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German Pages 1628 [1592] Year 2007
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht
Helmut Kreicker
Völkerrechtliche Exemtionen Grundlagen und Grenzen völkerrechtlicher Immunitäten und ihre Wirkungen im Strafrecht Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht Strafrechtliche Forschungsberichte Herausgegeben von Ulrich Sieber Band S 107
Helmut Kreicker Völkerrechtliche Exemtionen
Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht
Strafrechtliche Forschungsberichte Herausgegeben von Ulrich Sieber in Fortführung der Reihe „Beiträge und Materialien aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg“ begründet von Albin Eser
Bände S 107.1 und S 107.2
Völkerrechtliche Exemtionen Grundlagen und Grenzen völkerrechtlicher Immunitäten und ihre Wirkungen im Strafrecht
Helmut Kreicker
Duncker & Humblot x Berlin
Die Drucklegung wurde finanziert durch das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Forschungsgemeinschaft
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten © 2007 Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. c/o Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Günterstalstraße 73, 79100 Freiburg i.Br. http://www.mpicc.de Vertrieb in Gemeinschaft mit Duncker & Humblot GmbH, Berlin http://www.duncker-humblot.de Umschlagbild: © Alan Schein Photography/CORBIS Foto des Autors: Cityfoto Hildesheim Druck: Stückle Druck und Verlag, Stückle-Straße 1, 77955 Ettenheim Printed in Germany ISSN 1860-0093 ISBN 978-3-86113-868-6 (Max-Planck-Institut) ISBN 978-3-428-12579-1 (Duncker & Humblot) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ?
Vorwort Völkerrechtliche Exemtionen wie Immunitäten, Unverletzlichkeitsgewährleistungen und Befreiungen von Zeugenpflichten, die Staatsoberhäuptern, Diplomaten, Funktionsträgern internationaler Organisationen, Soldaten sowie etlichen weiteren Personengruppen zukommen, hatten für das Strafrecht lange Zeit nur ganz am Rande Bedeutung. Dies hat sich in jüngster Zeit geändert. Vor allem die rasante Entwicklung des Völkerstrafrechts und die Bestrebungen, die für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen vor internationalen Strafgerichtshöfen oder nationalen Gerichten von Drittstaaten zur Verantwortung zu ziehen, haben dazu beigetragen. Denn die Beschuldigten berufen sich in solchen Verfahren fast immer darauf, eine Strafverfolgung sei wegen ihnen zustehender Staatenimmunität, Immunität als Staatsoberhaupt oder diplomatischer Immunität unzulässig. Spezifisch strafrechtliche Untersuchungen, die vor diesem Hintergrund die Relevanz völkerrechtlicher Exemtionen für Strafverfahren analysieren, gibt es jedoch nur wenige; eine Gesamtdarstellung der strafrechtlichen Relevanz völkerrechtlicher Exemtionen fehlt bislang. Ziel des vorliegenden Werks ist es, diese Lücke wenn nicht zu schließen, so doch zumindest zu verkleinern. Die Arbeit richtet sich nicht nur an Völkerrechtler und Strafrechtler in der Wissenschaft, sondern in gleicher Weise auch an „Praktiker“, die – als Regierungsbeamte, Staatsanwälte, Richter oder Strafverteidiger – mit Fällen befaßt sind, in denen völkerrechtliche Strafverfolgungshindernisse eine Rolle spielen bzw. geltend gemacht werden. Selbst mittlerweile im Justizdienst tätig, war ich daher bestrebt, auch auf praxisrelevante Fragestellungen sachgerechte Antworten zu geben. Aus der Zielsetzung, eine auch für die Strafrechtspraxis hilfreiche Gesamtdarstellung vorzulegen, resultiert der zumindest auf den ersten Blick abschreckende Umfang des Werks, der eine Veröffentlichung in zwei Bänden erforderlich machte. Doch habe ich mich bemüht, die einzelnen Kapitel so zu verfassen, daß sie aus sich heraus verständlich sind. Auch eine klare Gliederung, eine Vielzahl von Querverweisen sowie nicht zuletzt das Sachverzeichnis am Ende des zweiten Bandes sollen dazu beitragen, daß auch derjenige, der ganz gezielt Antworten auf bestimmte Fragestellungen sucht, schnell fündig wird und die erstrebten Informationen erhält. Die Arbeit entstand während meiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Leiter des Referats „Internationales Strafrecht und Völkerstrafrecht“ am Freiburger MaxPlanck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht. Sie wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau im Sommersemester 2005 als Dissertation angenommen. Da ich meine
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Vorwort
Untersuchungen zur strafrechtlichen Relevanz völkerrechtlicher Exemtionen nicht ausschließlich mit dem Ziel betrieben habe, eine Dissertation zu verfassen, sondern sie stets auch als Teil meines Forschungsprogramms am Max-Planck-Institut verstanden habe, weicht die hiermit veröffentlichte Fassung der Studie nicht unerheblich von meiner Dissertation ab: Ich habe das Werk für die Publikation um einige Kapitel erweitert sowie den gesamten Text inhaltlich überarbeitet, ergänzt und aktualisiert. Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Albin Eser, M.C.J., Direktor em. des MaxPlanck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht und Richter a.D. des UN-Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, danke ich sehr herzlich für die Betreuung der Dissertation und die Übernahme des Erstgutachtens. Er hat nicht nur meinen Vorschlag, zu völkerrechtlichen Exemtionen und damit einem gemeinhin dem Völkerrecht und nicht dem Strafrecht zugeordneten Thema zu arbeiten, bereitwillig akzeptiert, sondern mir auch viele wertvolle Ratschläge gegeben und den Umfang der Arbeit mitgetragen. Bei Herrn Professor Dr. Dietrich Murswiek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht der Universität Freiburg, bedanke ich mich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Ulrich Sieber, Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, gebührt Dank dafür, daß er mir als Referatsleiter am Institut Freiraum für eigene wissenschaftliche Arbeiten gewährt und die Veröffentlichung dieser Arbeit in der von ihm herausgegebenen Schriftenreihe des MaxPlanck-Instituts ermöglicht hat. Den Mitarbeiterinnen der Veröffentlichungsabteilung des Max-Planck-Instituts, namentlich Frau Petra Lehser, gilt mein Dank für das gründliche Lektorat sowie die bewährte und gute Zusammenarbeit bei der Herstellung des Werks. Der Friedrich-Ebert-Stiftung danke ich dafür, daß sie mir ein Graduiertenstipendium gewährt hat. Dies hat es mir ermöglicht, mich einige Zeit ganz auf diese Arbeit zu konzentrieren. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Forschungsgemeinschaft haben die Drucklegung der beiden Bände finanziert. Auch hierfür möchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Ein besonderer Dank schließlich geht an Susanne und an meine Eltern für ihre vielfältige Unterstützung! Für die vorliegende Veröffentlichung wurden Rechtsprechung und Literatur bis Ende März 2006 berücksichtigt. Freiburg im Breisgau, im Mai 2007
Helmut Kreicker
Inhaltsübersicht Band 1 Vorwort ............................................................................................................................. V Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................... XL § 1 Einleitung ................................................................................................................... 1 Teil 1: Geltungsgrund der völkerrechtlichen Exemtionen und gerichtsverfassungsrechtliche Grundlagen
19
§ 2 Geltungsgrund der völkerrechtlichen Exemtionen .................................................. 19 § 3 Die gerichtsverfassungsrechtlichen Grundlagen ...................................................... 32 Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
48
§ 4 Die Staatenimmunität – Grundlagen und zivilrechtliche Relevanz ......................... 49 § 5 Strafrechtliche Bedeutung der Staatenimmunität – Personale, sachliche, räumliche und zeitliche Reichweite ..................................... 109 § 6 Ausnahmen von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen und sonstigen schweren Menschenrechtsverletzungen .......................................... 156 § 7 Weitere Ausnahmen von der Staatenimmunität ..................................................... 234 § 8 Die Relevanz einer Staatensukzession für die Geltung der Staatenimmunität ...... 265 § 9 Bedeutung der Staatenimmunität für internationale Strafgerichtshöfe .................. 278 § 10 Act of State-Doktrin ............................................................................................... 298 Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
308
§ 11 Historische Entwicklung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen ............................................................................ 310 § 12 Die Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen von 1961 und 1963 ............................................. 327 § 13 Reichweite der personenbezogenen diplomatischen und konsularischen Exemtionen im Empfangsstaat ............................................... 383 § 14 Geltung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen ......... 564 § 15 Geltung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen gegenüber Drittstaaten und internationalen Strafgerichtshöfen ............................. 596
VIII
Inhaltsübersicht
§ 16 Sachbezogene diplomatische und konsularische Exemtionen ............................... 637
Band 2 Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
706
§ 17 Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder .............................. 707 § 18 Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen ................................................. 774 § 19 Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen ........................................ 857 § 20 Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte ................................................ 1030 § 21 Exemtionen für Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge sowie deren Besatzungsmitglieder und Passagiere .............................................. 1160 Teil 5: Wirkungen der völkerrechtlichen Exemtionen im Strafrecht
1240
§ 22 Materiellrechtliche oder prozessuale Wirkung der Immunitäten ......................... 1242 § 23 Bedeutung der völkerrechtlichen Exemtionen für den Strafprozeß ..................... 1295 § 24 Bedeutung der völkerrechtlichen Exemtionen für das Recht der Ordnungswidrigkeiten ................................................................................... 1402 Teil 6: Schluß
1413
§ 25 Zusammenfassung und rechtspolitische Bewertung ............................................ 1413 Rechtsprechungsnachweis ............................................................................................ 1445 Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 1452 Sachverzeichnis ............................................................................................................ 1504
Inhaltsverzeichnis Band 1 Vorwort ............................................................................................................................. V Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................... XL § 1 Einleitung................................................................................................................... 1 I. II. III. IV.
V.
Untersuchungsgegenstand und Ziel der Arbeit .................................................. 1 Stand der Forschung in Deutschland ................................................................. 3 Konzeption der Arbeit und Abgrenzung des Untersuchungsrahmens ............... 7 Terminologische Vorbemerkungen ................................................................... 9 1. Begriffsvielfalt ........................................................................................... 9 2. Begriffsdefinitionen ................................................................................. 11 a) Exemtion als Oberbegriff ................................................................ 11 b) Sachbezogene Exemtionen .............................................................. 11 c) Personenbezogene Exemtionen........................................................ 12 aa) Befreiung von den Zeugenpflichten ........................................ 12 bb) Persönliche Unverletzlichkeit ................................................. 13 cc) Immunität ................................................................................ 13 d) Graphische Darstellung der begrifflichen Differenzierung ............. 16 Gang der Untersuchung ................................................................................... 16 Teil 1: Geltungsgrund der völkerrechtlichen Exemtionen und gerichtsverfassungsrechtliche Grundlagen
19
§ 2 Geltungsgrund der völkerrechtlichen Exemtionen ............................................. 19 I. II. III. IV.
Quellen des Völkerrechts ................................................................................. Verhältnis des Völkerrechts zum nationalen Recht ......................................... Geltungsgrund der völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen ...................... Geltungsgrund der völkervertraglichen Exemtionen ....................................... 1. Geltungsanordnung durch ein deutsches Zustimmungsgesetz ................ 2. Geltungsanordnung durch eine Rechtsverordnung .................................. V. Zur Frage der Beachtlichkeit völkerrechtlicher Exemtionen wegen des Prinzips „estoppel“ .................................................................................... VI. Fazit .................................................................................................................
19 21 23 24 24 26 29 31
§ 3 Die gerichtsverfassungsrechtlichen Grundlagen ................................................. 32 I.
Entwicklung der Normen über Exemtionen im Gerichtsverfassungsgesetz .... 32 1. Die Ursprungsfassung von 1877 und die Novelle von 1924 ................... 32
X
Inhaltsverzeichnis 2. Die Novelle von 1934 .............................................................................. 3. Die Novelle von 1950 .............................................................................. 4. Die völlige Neufassung von 1974 ........................................................... 5. Die Novelle von 1984 .............................................................................. 6. Die Novelle von 2002 .............................................................................. II. Überblick über die derzeit geltenden Normen über Exemtionen im Gerichtsverfassungsgesetz ..................................................... 1. Wortlaut der §§ 18–21 GVG ................................................................... 2. Überblick über den Gehalt der §§ 18–21 GVG ....................................... a) Gehalt der §§ 18 und 19 GVG ........................................................ b) Gehalt des § 20 Abs. 1 GVG ........................................................... c) Gehalt des § 20 Abs. 2 GVG ........................................................... d) Gehalt des § 21 GVG ...................................................................... III. Sonstige nationale Bestimmungen ................................................................... 1 Gesetzliche Regelungen .......................................................................... 2. Das Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern ........................ 3. Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren ................ Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
34 35 36 38 38 38 38 39 39 41 43 45 45 45 46 47 48
§ 4 Die Staatenimmunität – Grundlagen und zivilrechtliche Relevanz .................. 49 I. II.
Grundsätzliches zur Staatenimmunität ............................................................ Zivilrechtliche Relevanz der Staatenimmunität ............................................... 1. Rechtsgrundlagen der Staatenimmunität als Schranke des Zivilrechts ... a) Völkergewohnheitsrechtliche Rechtsgrundlagen ............................ b) Völkervertragliche Rechtsgrundlagen ............................................. c) Nationale Rechtsgrundlagen ........................................................... 2. Differenzierung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis ........ a) Nichtgeltung der Staatenimmunität für acta iure gestionis ............. b) Abgrenzung von hoheitlichem zu nichthoheitlichem staatlichem Handeln ........................................................................ c) Bedeutung der Beschränkung der Staatenimmunität auf acta iure imperii für die aus der Staatenimmunität folgende Exemtion natürlicher Personen ....................................................... 3. Nichtgeltung der Staatenimmunität bei Grundeigentum betreffenden Klagen, bei Widerklagen und bei einem Verzicht .............. 4. Nichtgeltung der Staatenimmunität bei deliktischem Handeln ............... 5. Zur Frage der Geltung der Staatenimmunität als Schranke des Zivilrechts bei schweren Menschenrechtsverletzungen .................... a) Nichtgeltung der Staatenimmunität bei Zahlungsklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen aufgrund eines impliziten Immunitätsverzichts ....................................................... b) Nichtgeltung der Staatenimmunität aufgrund des ius cogensCharakters von völkerrechtlichen Menschenrechtsgarantien .......... aa) Völkerrechtliches ius cogens ..................................................
49 53 53 53 54 56 58 58 62 65 65 66 76 78 81 81
Inhaltsverzeichnis
6. 7.
XI
bb) Entscheidung des EGMR im Fall Al-Adsani gegen das Vereinigte Königreich ............................................ 83 cc) Argumentation der überstimmten Richter für eine Nichtgeltung der Staatenimmunität bei Verstößen gegen völkerrechtliches ius cogens ......................................... 85 dd) Die erga omnes-Wirkung von ius cogens-Verletzungen und die Institute der Repressalie und Verwirkung als Ansatzpunkte für Immunitätsausnahme ............................ 87 ee) Ablehnung der ius cogens-Argumentation durch die völkerrechtliche und nationale Rechtsprechung ..................... 92 c) Fazit ................................................................................................. 99 Zur Frage der Geltung der Staatenimmunität als Schranke des Zivilrechts bei terroristischen Gewaltakten ..................................... 104 Zur Frage der Vereinbarkeit der Staatenimmunität mit völkerrechtlichen Rechtsschutzgewährleistungen ........................... 105
§ 5 Strafrechtliche Bedeutung der Staatenimmunität – Personale, sachliche, räumliche und zeitliche Reichweite ................................ 109 I. Rechtsgrundlagen .......................................................................................... II. Personale Reichweite der Staatenimmunität .................................................. III. Sachliche Reichweite der Staatenimmunität .................................................. 1. Beschränkung der Staatenimmunität auf dienstliche Handlungen ........ a) Die Staatenimmunität als Immunität ratione materiae .................. b) Abgrenzung zwischen dienstlichen und privaten Handlungen ..... c) Zur These der generellen Einstufung völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger gravierender Völkerrechtsverstöße als private Handlungen .................................................................. aa) Exkurs: Die Pinochet-Entscheidungen des House of Lords aus den Jahren 1998 und 1999 ................... bb) Exkurs: Das Urteil des IGH im Fall Demokratische Republik Kongo gegen Belgien aus dem Jahr 2002 ................................................................. cc) Begründungen der These vom privaten Charakter völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger schwerer Völkerrechtsverletzungen ...................................... dd) Bewertung der These vom privaten Charakter völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger schwerer Völkerrechtsverletzungen ...................................... 2. Beschränkung der Staatenimmunität auf hoheitliche Handlungen ........ a) Die Staatenimmunität als Immunität ratione materiae für acta iure imperii ....................................................................... b) Abgrenzung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis in bezug auf die strafrechtliche Wirkung der Staatenimmunität ... 3. Keine Ausnahme bei deliktischem Handeln .......................................... IV. Räumliche Reichweite der Staatenimmunität ................................................ 1. Die erga omnes-Wirkung der Staatenimmunität ...................................
114 116 117 118 118 118 120 123 127 132 134 139 139 140 144 147 147
XII
Inhaltsverzeichnis 2.
Keine Ausnahme für im Hoheitsgebiet des strafverfolgungswilligen Staates begangene Taten ........................................................................ V. Zeitliche Reichweite der Staatenimmunität ................................................... VI. Zur Möglichkeit eines Verzichts auf die Staatenimmunität .......................... VII. Bedeutung der Staatenimmunität für die Verhängung von Sanktionen gegen juristische Personen .......................................................... VIII. Fazit ...............................................................................................................
148 150 152 153 155
§ 6 Ausnahmen von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen und sonstigen schweren Menschenrechtsverletzungen .................................... 156 I.
II.
Völkervertragliche Ausnahmen ..................................................................... 1. Die Völkermordkonvention von 1948 ................................................... 2. Die Genfer Abkommen von 1949 und die Zusatzprotokolle von 1977 .............................................................. 3. Die UN-Folterkonvention von 1984 ...................................................... 4. Die Apartheidkonvention von 1973 ...................................................... Außervertragliche Ausnahmen ...................................................................... 1. Die völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen ............... a) Der Begriff des völkerrechtlichen Verbrechens ............................ b) Nichtgeltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen ....................................................... c) Anerkennung der Nichtgeltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen durch die Staatenpraxis ........... aa) Ahndung während des Ersten Weltkrieges begangener Kriegsverbrechen ............................................... bb) Die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg und die Anerkennung der „Nürnberger Prinzipien“ ................................................. cc) Die Tokioter Kriegsverbrecherprozesse der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg ................................................ dd) Der Prozeß gegen Adolf Eichmann in Jerusalem ................. ee) Ahndung von NS-Verbrechen durch Gerichte anderer Staaten ...................................................................... ff) Ausschluß der Staatenimmunität in den Statuten des ICTY und ICTR .............................................................. gg) Ahndung im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien begangener völkerrechtlicher Verbrechen durch nationale Gerichte ....... hh) Das Verfahren gegen Pinochet vor britischen Gerichten 1998/99 ................................................ ii) Strafverfahren gegen Pinochet in anderen Staaten ................ jj) Weitere Strafverfahren wegen völkerrechtlicher Verbrechen ................................................ kk) Ausschluß der Staatenimmunität im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs .................................... d) Fazit ...............................................................................................
156 158 161 165 174 175 175 175 178 182 182 187 198 201 203 207 209 212 213 214 218 219
Inhaltsverzeichnis 2.
Ausnahmen von der Staatenimmunität bei sonstigen Menschenrechtsverletzungen ................................................ a) Zur Frage der Existenz einer völkergewohnheitsrechtlichen Ausnahme ..................................... b) Zur Frage der Ableitung einer Ausnahme aus allgemeinen völkerrechtlichen Rechtsüberlegungen ..................... aa) Impliziter Immunitätsverzicht bei Verstößen gegen Menschenrechte .......................................................... bb) Ausnahme von der Staatenimmunität bei Verstößen gegen Menschenrechte mit ius cogens-Charakter aufgrund der völkerrechtlichen Normenhierarchie ............... cc) Ausnahme von der Staatenimmunität bei Verstößen gegen Menschenrechte mit ius cogens-Charakter ................. dd) Ergebnis: Verwirkung der Staatenimmunität bei Verstößen gegen Menschenrechte mit ius cogens-Charakter ................. III. Fazit ...............................................................................................................
XIII
219 221 224 226 226 228 231 232
§ 7 Weitere Ausnahmen von der Staatenimmunität ............................................... 234 I.
Ausnahmen von der Staatenimmunität bei Spionagetätigkeiten ................... 1. Kriegsspionage ...................................................................................... a) Begriff und völkerrechtlicher Status der Kriegsspionage ............. b) Völkerrechtliche Zulässigkeit der strafrechtlichen Ahndung von Kriegsspionage ....................................................................... 2. Friedensspionage ................................................................................... a) Begriff und völkerrechtlicher Status der Friedensspionage .......... b) Völkerrechtliche Zulässigkeit der strafrechtlichen Ahndung von Friedensspionage .................................................................... aa) Im Staatsgebiet des ausspionierten Staates betriebene Spionage .............................................................. bb) Vom Ausland aus betriebene Spionage ................................. 3. Fazit ....................................................................................................... II. Ausnahmen von der Staatenimmunität bei Taten gegen die Existenz, den Bestand oder die Verfassungsordnung eines Staates .............................. III. Ausnahmen von der Staatenimmunität bei geheimdienstlichen Gewalttaten .... 1. Der Begriff „geheimdienstliche Gewalttaten“ ....................................... 2. Relevanz der Staatenimmunität ............................................................. a) Staatenpraxis der Reaktion auf geheimdienstliche Gewalttaten ... b) Bewertung der Staatenpraxis ......................................................... IV. Weitere Ausnahmen von der Staatenimmunität bei verdecktem Staatshandeln ........................................................................
234 235 235 237 240 240 243 243 245 250 251 254 255 255 256 261 263
§ 8 Die Relevanz einer Staatensukzession für die Geltung der Staatenimmunität ........................................................................ 265 I.
Vorüberlegungen zum Recht der Staatensukzession ..................................... 265 1. Begriff und Arten der Staatensukzession .............................................. 265 2. Rechtsfolgen einer Staatensukzession ................................................... 268
XIV
Inhaltsverzeichnis II.
Die Bedeutung des Untergangs eines Staates für dessen Staatenimmunität am Beispiel des Beitritts der DDR zur BRD .................... 1. Geltung der Staatenimmunität vor dem Beitritt .................................... 2. Auffassungen zur Auswirkung des Beitritts auf die Staatenimmunität der früheren DDR-Funktionsträger ................... a) Untergang der Staatenimmunität mit dem Untergang der DDR ... b) Verzicht auf die Staatenimmunität durch die DDR ....................... c) Verzicht auf die Staatenimmunität durch die BRD als Nachfolgestaat der DDR .......................................................... d) Weitergeltung der Staatenimmunität als Strafverfolgungshindernis ........................................................ 3. Bewertung der verschiedenen Ansichten .............................................. III. Fazit ................................................................................................................
270 270 271 271 272 272 273 274 276
§ 9 Bedeutung der Staatenimmunität für internationale Strafgerichtshöfe ........ 278 I.
Bedeutung der Staatenimmunität für die UN-Strafgerichtshöfe .................... 1. Rechtliche Struktur der UN-Strafgerichtshöfe ...................................... 2. Der Ausschluß der Staatenimmunität .................................................... a) Der Ausschluß der Staatenimmunität durch Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut ........... b) Zur Völkerrechtskonformität des Ausschlusses der Staatenimmunität .................................................................... aa) Zulässigkeit des Immunitätsausschlusses wegen der Gründung der UN-Strafgerichtshöfe durch den UN-Sicherheitsrat ................................................. bb) Zulässigkeit des Immunitätsausschlusses wegen der Nichtgeltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen ......................................... cc) Fazit: Irrelevanz der Staatenimmunität für die UN-Strafgerichtshöfe ...................................................... II. Bedeutung der Staatenimmunität für den Internationalen Strafgerichtshof .. 1. Rechtliche Struktur des Internationalen Strafgerichtshofs .................... 2. Ausschluß der Staatenimmunität ........................................................... a) Ausschluß der Staatenimmunität durch Art. 27 IStGH-Statut ...... b) Zur Völkerrechtskonformität des Ausschlusses der Staatenimmunität .................................................................... aa) Zulässigkeit des Immunitätsausschlusses bei einer Strafverfolgung von Funktionsträgern von Vertragsstaaten des IStGH-Statuts ........................................ bb) Zulässigkeit des Immunitätsausschlusses bei einer Strafverfolgung von Funktionsträgern von Nichtvertragsstaaten des IStGH-Statuts ................................ cc) Fazit: Irrelevanz der Staatenimmunität für den Internationalen Strafgerichtshof ..................................... III. Exkurs: Bedeutung völkerrechtlicher Exemtionen für sogenannte gemischte Tribunale ......................................................................................
279 279 280 280 280 281 284 285 286 286 287 287 289 290 290 293 293
Inhaltsverzeichnis
XV
§ 10 Act of State-Doktrin ............................................................................................ 298 I. II.
Die Act of State-Doktrin als Synonym für die Staatenimmunität ................. Die Act of State-Doktrin als völkerrechtliches Gebot der Anerkennung fremdstaatlicher Hoheitsakte ............................................ 1. Gehalt dieser Act of State-Doktrin ........................................................ 2. Zur Rechtsqualität dieser Act of State-Doktrin ..................................... III. Die Act of State-Doktrin als auf nationalem Recht beruhendes Gebot der Anerkennung fremdstaatlicher Hoheitsakte ............... IV. Fazit ...............................................................................................................
298
304 307
Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
308
299 299 302
§ 11 Historische Entwicklung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen ......................................................................... 310 I.
II.
Die Entwicklung der diplomatischen Exemtionen vor dem Hintergrund der Entwicklung der diplomatischen Beziehungen ........... 1. Die Entwicklung der diplomatischen Beziehungen ............................... a) Struktur der diplomatischen Beziehungen bis zum Ausgang des Mittelalters ....................................................... b) Die Entwicklung ständiger diplomatischer Beziehungen seit der Renaissance ...................................................................... c) Die Rolle diplomatischer Missionen im modernen Informationszeitalter ............................................... 2. Die Entwicklung der diplomatischen Exemtionen ................................ a) Die Entwicklung der diplomatischen Exemtionen bis zum Ausgang des Mittelalters ................................................. b) Die Entwicklung der diplomatischen Exemtionen von der Ausbildung der ständigen Diplomatie in der Renaissance bis zum 17. Jahrhundert ................................................................ c) Die unangefochtene Geltung der diplomatischen Exemtionen seit dem 17. Jahrhundert ................................................................ Die Entwicklung der konsularischen Exemtionen vor dem Hintergrund der Entwicklung der konsularischen Beziehungen ............ 1. Die Entwicklung der konsularischen Beziehungen ............................... a) Die Entstehung des Konsularwesens in den Ländern des Mittelmeerraums ................................................ b) Die Entwicklung des Konsularwesens in den islamischen Ländern ........................................................... c) Die Entwicklung des Konsularwesens in Westeuropa .................. d) Der Wandel von gewählten zu staatlich ernannten Konsuln ......... 2. Die Entwicklung der konsularischen Exemtionen ................................. a) Das Ausbleiben der Entstehung völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionen ................................... b) Die völkervertragliche Normierung von Exemtionen in Konsularverträgen .....................................................................
310 310 310 311 312 313 313 314 317 319 319 319 320 321 322 323 323 324
XVI
Inhaltsverzeichnis c)
Die Anerkennung völkergewohnheitsrechtlicher Immunität ratione materiae ............................................................................. 325
§ 12 Die Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen von 1961 und 1963 ................................................ 327 I.
Die Entstehungsgeschichte der Übereinkommen .......................................... 327 1. Die Ausarbeitung des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen ................................................................... 327 2. Die Ausarbeitung des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen ........................................................... 328 II. Die Reichweite der Übereinkommen ............................................................. 329 1. Die völkerrechtliche Bindungswirkung des WÜD und des WÜK ........ 329 2. Geltung des Völkergewohnheitsrechts für in den Übereinkommen nicht geregelte Aspekte ......................................................................... 331 3. Verhältnis der Exemtionsregelungen des WÜK zu denen älterer Konsularverträge ......................................................... 332 4. Klassifizierung des Diplomaten- und Konsularrechts als „self-contained-regime“ durch den IGH .......................................... 335 a) Der „Teheraner Geiselfall“ ............................................................ 336 b) Die Entscheidungen des IGH ........................................................ 338 c) Einordnung des Diplomaten- und Konsularrechts als „self-contained-regime“ ........................................................... 339 d) Fazit ............................................................................................... 341 5. Zur Modifizierbarkeit der Exemtionsregelungen des WÜD und des WÜK ....................................................................... 341 6. Von WÜD und WÜK explizit gestattete Abweichungen von den Exemtionsregelungen .............................................................. 344 7. Exkurs: Der Austausch „Ständiger Vertreter“ zwischen der DDR und der BRD .......................................................... 346 III. Die Aufnahme diplomatischer und konsularischer Beziehungen und die Ernennung von Mitgliedern einer Vertretung ..................................... 347 1. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen ........................................... 347 2. Die Ernennung von Mitgliedern einer diplomatischen Mission .............. 349 a) Die Ernennung eines Missionschefs ............................................. 350 b) Die Ernennung des diplomatischen Personals und der weiteren Beschäftigten einer Mission ..................................... 353 aa) Das Recht des Entsendestaates zur freien Auswahl und Einstufung der Beschäftigen .......................................... 353 bb) Das Recht des Empfangsstaates zur Erklärung einer Person zur persona non grata oder nicht genehmen Person .............. 355 cc) Notifizierungspflichten des Entsendestaates ......................... 357 3. Die Aufnahme konsularischer Beziehungen ......................................... 357 4. Die Ernennung von Mitgliedern einer konsularischen Vertretung ........ 360 a) Die Ernennung eines Leiters einer konsularischen Vertretung ..... 360 b) Die Ernennung von Mitgliedern des konsularischen Personals .... 361
Inhaltsverzeichnis
XVII
aa) Das Recht des Entsendestaates zur freien Auswahl und Einstufung der Beschäftigen .......................................... 361 bb) Das Recht des Empfangsstaates zur Erklärung einer Person zur persona non grata oder nicht genehmen Person .............. 362 cc) Notifizierungspflichten des Entsendestaates ......................... 363 dd) Die Unterscheidung zwischen Berufsund Wahlkonsularbeamten .................................................... 363 IV. Die Beendigung diplomatischer und konsularischer Beziehungen sowie der Tätigkeit von Mitgliedern einer Vertretung ............... 364 1. Die Beendigung diplomatischer Beziehungen ...................................... 364 2. Die Beendigung der Tätigkeit von Mitgliedern einer diplomatischen Mission ................................................................ 365 3. Die Beendigung konsularischer Beziehungen ....................................... 367 4. Die Beendigung der Tätigkeit von Mitgliedern einer konsularischen Vertretung ............................................................ 367 V. Die von WÜD und WÜK gestatteten Tätigkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen .......................................... 368 1. Die Aufgaben diplomatischer Vertretungen .......................................... 369 2. Die Aufgaben konsularischer Vertretungen .......................................... 371 VI. Ziel und Zweck der Exemtionen .................................................................... 374 1. Die Exterritorialitätstheorie ................................................................... 375 2. Die Repräsentationstheorie .................................................................... 376 3. Die Funktionstheorie ............................................................................. 379 4. Bewertung ............................................................................................. 381 5. Der Entsendestaat als Schutzobjekt der Exemtionen ............................ 382 § 13 Reichweite der personenbezogenen diplomatischen und konsularischen Exemtionen im Empfangsstaat ......................................... 383 I.
Personale und sachliche Reichweite der personenbezogenen Exemtionen im Empfangsstaat ...................................... 1. Exemtionen nach dem WÜD ................................................................. a) Exemtionen für Diplomaten .......................................................... aa) Der Begriff des Diplomaten .................................................. bb) Die grundsätzliche Unterworfenheit unter das Recht des Empfangsstaates ............................................. cc) Die Unverletzlichkeit der Diplomaten nach Art. 29 WÜD ... dd) Die strafrechtliche Immunität der Diplomaten nach Art. 31 Abs. 1 WÜD und ihre Abgrenzung zur Unverletzlichkeit ............................................................. ee) Befreiung von den Zeugenpflichten ...................................... ff) Sachliche Grenzen der Immunität ......................................... gg) Zulässigkeit von Gefahrenabwehrmaßnahmen ..................... b) Exemtionen für Mitglieder des Verwaltungsund technischen Personals ............................................................. c) Exemtionen für Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals ......... d) Exemtionen für Familienmitglieder ..............................................
383 384 384 384 385 389 390 396 400 409 414 416 420
XVIII
Inhaltsverzeichnis e) f)
2.
3.
Exemtionen für private Hausangestellte ........................................ Exemtionen für Mitglieder einer diplomatischen Mission, die Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind ..................................................................... aa) Exemtionen für Diplomaten, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ansässig sind ............... bb) Exemtionen für sonstige Personen, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ansässig sind ............... Exemtionen nach dem WÜK für den Bereich der von Berufskonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretungen .......... a) Exemtionen für Berufskonsularbeamten ....................................... aa) Der Begriff „Berufskonsularbeamter“ .................................. bb) Die grundsätzliche Unterworfenheit unter das Recht des Empfangsstaates ............................................. cc) Die strafrechtliche Immunität der Berufskonsularbeamten nach Art. 43 Abs. 1 WÜK ..................................................... dd) Grundsätzliches zur Unverletzlichkeit der Berufskonsularbeamten nach Art. 41 WÜK ................... ee) Zur Interpretation des Begriffs der schweren strafbaren Handlung in Art. 41 Abs. 1 WÜK ........................ ff) Restriktionen bei einer zulässigen Strafverfolgung von Berufskonsularbeamten .................................................. gg) Zur Zeugnispflicht von Berufskonsularbeamten ................... hh) Die Zulässigkeit von Gefahrenabwehrmaßnahmen .............. b) Exemtionen für Bedienstete des Verwaltungsoder technischen Personals ............................................................ c) Exemtionen für Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals ......... d) Exemtionen für Familienangehörige und Mitglieder des Privatpersonals ...................................................... e) Exemtionen für Mitglieder einer berufskonsularischen Vertretung, die Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind ..................................................................... aa) Exemtionen für Konsularbeamte, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ansässig sind ............... bb) Exemtionen für sonstige Mitglieder des Personals einer konsularischen Vertretung, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ansässig sind ............... Exemtionen nach dem WÜK für den Bereich der von Wahlkonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretungen ..... a) Exemtionen für Wahlkonsularbeamte ........................................... b) Exemtionen für die übrigen Mitglieder einer von einem Wahlkonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretung ....... c) Exemtionen für Familienangehörige und Mitglieder des Privatpersonals ...................................................... d) Exemtionen für Mitglieder einer wahlkonsularischen Vertretung, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind .....................................................................
425 427 429 435 438 439 439 440 441 444 450 459 460 463 463 465 467 467 468 469 470 470 472 476 476
Inhaltsverzeichnis 4.
Exemtionen bei Wahrnehmung konsularischer Aufgaben durch Mitglieder einer diplomatischen Mission .............................................. 5. Exemtionen für diplomatische und konsularische Kuriere .................... II. Abgrenzung von durch Immunität ratione materiae geschütztem Handeln zu nicht erfaßten Verhaltensweisen ............................................................... 1. Problemlage ........................................................................................... 2. Ausschluß vor Beginn oder nach Beendigung der Beschäftigung als Mitglied einer Vertretung vorgenommener Handlungen ................. 3. Unerheblichkeit der Strafbarkeit bzw. Rechtswidrigkeit eines Verhaltens ........................................................ 4. Ausschluß von Gelegenheitshandlungen................................................ 5. Die Erforderlichkeit der Erfüllung vom WÜD und vom WÜK anerkannter diplomatischer oder konsularischer Aufgaben .................. 6. Unerheblichkeit der Differenzierung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis ................................................ 7. Die Unzulässigkeit einer einheitlichen Bestimmung der Reichweite der Immunitäten ratione materiae für alle Personengruppen ................. a) These der einheitlichen Geltung aller Immunitäten ratione materiae nur für die unmittelbaren Amtshandlungen ........ b) These der einheitlichen Geltung aller Immunitäten ratione materiae für sämtliche Diensthandlungen ......................... 8. Reichweite der Begriffe „Amtshandlung“ und „Diensthandlung“ ........ a) Der Begriff „Amtshandlung“ ........................................................ aa) Hoheitlich-dienstliche diplomatische oder konsularische Amtshandlungen ............................................ bb) Sonstige Amtshandlungen ..................................................... b) Der Begriff „Diensthandlung“ ...................................................... aa) Amtshandlungen als Teilmenge der Diensthandlungen ........ bb) Allgemeine Kennzeichen sonstiger Diensthandlungen ......... cc) Während der Vornahme von Amtshandlungen verübte Taten ................................................ dd) Mittelbar der Wahrnehmung diplomatischer bzw. konsularischer Aufgaben dienende Handlungen .................. ee) Dienstliche Teilnahme an Veranstaltungen .......................... ff) Aktivitäten in unmittelbarem zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit der Vornahme von Amts- oder Diensthandlungen ................................................................. c) Anmerkungen zu der in der Rechtspraxis besonders relevanten Fallgruppe der Straßenverkehrsdelikte ........................ 9. Fazit der Überlegungen ......................................................................... III. Zeitliche Reichweite der Exemtionen ............................................................ 1. Beginn der diplomatischen und konsularischen Exemtionen ................ a) Beginn der Exemtionen für die zum Dienstantritt in den Empfangsstaat einreisenden Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen ..................................................
XIX
477 478 480 480 481 482 485 486 490 492 493 495 498 498 498 499 500 500 500 501 501 502 503 504 508 508 509 510
XX
Inhaltsverzeichnis b)
Beginn der Exemtionen für Personen, die sich bereits vor Aufnahme ihrer dienstlichen Tätigkeit im Empfangsstaat aufgehalten haben .......................................................................... 2. Ende der diplomatischen und konsularischen Exemtionen ................... a) Erlöschen der Immunitäten ratione personae, der Unverletzlichkeiten und der Befreiungen von Zeugenpflichten bei Dienstbeendigung ......................................... aa) Erlöschen der Exemtionen bei einer durch den Entsendestaat veranlaßten Beendigung der dienstlichen Tätigkeit....................................................... bb) Erlöschen der Exemtionen bei einer durch den Empfangsstaat veranlaßten Beendigung der dienstlichen Tätigkeit ...................................................... b) Unbegrenzte Fortdauer der Immunitäten ratione materiae ............ aa) Die Regelungen des WÜD und des WÜK ............................ bb) Der Rechtsgrund für die Fortgeltung der Immunitäten ratione materiae ......................................... c) Vereinbarkeit des Erlöschens diplomatischer und konsularischer Exemtionen mit dem Rückwirkungsverbot ........... IV. Die Möglichkeit eines Verzichts auf die Exemtionen ................................... 1. Grundsätzliches zum Verzicht auf diplomatische und konsularische Exemtionen ..................................................................... a) Der mögliche Gegenstand eines Verzichts .................................... b) Die mögliche Reichweite eines Verzichts ..................................... 2. Erklärung eines Verzichts ...................................................................... a) Berechtigung zur Erklärung eines Verzichts ................................. b) Zulässigkeit eines antizipierten Verzichts ..................................... 3. Zur Geltung eines Verzichts auf die Immunität für Strafvollstreckungsmaßnahmen ............................................................ 4. Zulässigkeit einer Rücknahme eines Verzichts ..................................... 5. Vereinbarkeit eines Verzichts mit dem Rückwirkungsverbot ............... V. Abgrenzung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen zu anderen völkerrechtlichen Exemtionen ..................................................... 1. Grundsatz der Eigenständigkeit der verschiedenen völkerrechtlichen Exemtionen ............................................................... 2. Abgrenzung und Verhältnis der diplomatischen und konsularischen Exemtionen zur Staatenimmunität ................................ a) These der Identität von Staatenimmunität und diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae ........................ b) These des abschließenden Charakters der diplomatischen und konsularischen Exemtionen .................................................... c) Unterschiedlichkeit und Eigenständigkeit der Exemtionen .......... aa) Unterschiede zwischen den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts und der Staatenimmunität ..................................................... bb) Eigenständigkeit der Exemtionen .........................................
514 515 515 517 522 525 525 531 533 537 537 538 540 541 541 546 547 548 549 550 550 551 551 553 553 554 557
Inhaltsverzeichnis
XXI
§ 14 Geltung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen .... 564 I.
II.
Geltung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen .................................................................. 564 1. Erfassung völkerrechtlicher Verbrechen vom Schutzbereich der diplomatischen und konsularischen Exemtionen ............................ 566 a) Zur Erfassung vom Schutzbereich der Immunitäten ratione materiae ............................................................................. 566 b) Zur Erfassung vom Schutzbereich der Immunitäten ratione personae ............................................................................ 569 2. Zur Frage einer Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen ............ 570 a) Ableitbarkeit einer Ausnahme aus den Normen des WÜD und des WÜK oder anderer völkerrechtlicher Verträge ................ 571 aa) Der Wortlaut der Exemtionsregelungen des WÜD und des WÜK ........................................................................ 571 bb) Relevanz der Verwandtschaft der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts mit der Staatenimmunität ...................................................... 575 cc) Verhältnis der Exemtionen des Diplomaten- und Konsularrechts bei völkerrechtlichen Verbrechen zu völkerrechtlichen Bestrafungspflichten .............................. 577 b) Zur Frage einer völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung einer Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen .................................................... 579 c) Zur Zulässigkeit eines Rückgriffs auf die völkerrechtlichen Rechtsinstitute der Verwirkung oder Repressalie ......................... 586 d) Fazit: Keine Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen .... 588 3. Zur Gebotenheit einer Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen ............ 589 Geltung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen ................................................... 593
§ 15 Geltung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen gegenüber Drittstaaten und internationalen Strafgerichtshöfen ..................... 596 I.
Geltung der Exemtionen gegenüber Drittstaaten ........................................... 1. Die grundsätzliche Geltungsbeschränkung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen auf den jeweiligen Empfangsstaat ............ 2. Die begrenzte Notwendigkeit eines Schutzes der Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen in Drittstaaten ............ 3. Die Unverletzlichkeit von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen während einer Durchreise durch Drittstaaten .................................................................................. a) Der Grund für die Beachtlichkeit von Exemtionen für Drittstaaten ..............................................................................
596 596 598 598 598
XXII
Inhaltsverzeichnis b)
II.
Die Normen des WÜD und des WÜK über die Unverletzlichkeit von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen in Drittstaaten .......................................................... 599 c) Durch Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK geschützte Personen ....... 600 d) Nichtgewährung eines Rechts auf Durchreise durch Drittstaaten ... 601 e) Reichweite der Exemtion in Drittstaaten ....................................... 603 aa) Sachliche Reichweite ............................................................ 603 bb) Das Erfordernis einer „Durchreise“ und die zeitliche Beschränkung der Unverletzlichkeit auf die Dauer der Durchreise ................................................ 609 f) Die Unverletzlichkeit bei einem Aufenthalt in einem Drittstaat aufgrund höherer Gewalt ................................ 610 4. Zur Sicherstellung der Exemtionierung wegen hoheitlich-dienstlicher Handlungen in bezug auf Drittstaaten im Diplomatenund Konsularrecht ................................................................................. 611 a) Problemlage ................................................................................... 611 b) Der Fall der Strafverfolgung des ehemaligen syrischen Botschafters in der DDR durch die Bundesrepublik ..... 612 c) Die These der Geltung der diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae auch in Drittstaaten ....................... 615 d) Bewertung dieser These ................................................................ 616 e) Das Verbot einer Verfolgung wegen hoheitlich-dienstlicher diplomatischer oder konsularischer Handlungen durch Drittstaaten aufgrund der Staatenimmunität .................................. 621 5. Fazit der Überlegungen zur Geltung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen gegenüber Drittstaaten ....................... 625 Bedeutung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen für internationale Strafgerichtshöfe ............................................................... 626 1. Bedeutung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen für den Internationalen Strafgerichtshof ................................................ 626 a) Der generelle Exemtionsausschluß durch Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut .......................................................... 628 b) Völkerrechtliche Zulässigkeit des Ausschlusses diplomatischer und konsularischer Exemtionen durch Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut .......................................................... 628 aa) Erste Fallgruppe: Der Entsendestaat ist Vertragsstaat des Römischen Statuts .......................................................... 629 bb) Zweite Fallgruppe: Der Entsendestaat ist nicht Vertragsstaat des Römischen Statuts ...................................... 629 c) Fazit: Irrelevanz diplomatischer und konsularischer Exemtionen für den IStGH ............................................................ 633 2. Bedeutung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen für die UN-Strafgerichtshöfe ............................................. 635 a) Der generelle Exemtionsausschluß durch Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut ............ 635 b) Die völkerrechtliche Zulässigkeit des Exemtionsausschlusses ..... 635 c) Fazit: Irrelevanz diplomatischer und konsularischer Exemtionen für die UN-Strafgerichtshöfe .................................... 636
Inhaltsverzeichnis
XXIII
§ 16 Sachbezogene diplomatische und konsularische Exemtionen .......................... 637 I.
Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen ................................................................... 1. Die Differenzierung zwischen positiver und negativer Unverletzlichkeit ................................................................... 2. Die negative Unverletzlichkeit .............................................................. a) Zugehörigkeit der geschützten Räumlichkeiten zum Staatsgebiet des Empfangsstaates und Geltung des Rechts des Empfangsstaates ...................................................................... b) Unzulässigkeit der Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen ....................................................................... aa) Unverletzlichkeit von Räumlichkeiten diplomatischer Missionen .............................................................................. bb) Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten berufskonsularischer Vertretungen ......................................................................... cc) Zum Schutz der Räumlichkeiten wahlkonsularischer Vertretungen ......................................................................... dd) Keine Ausnahme von der Unverletzlichkeit bei schweren Straftaten ............................................................................... c) Zeitliche Reichweite der Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen .......................... d) Möglichkeit eines Verzichts auf die Unverletzlichkeit ................. e) Strafrechtlich relevante Rechtsfolgen einer Mißachtung der Unverletzlichkeit.................................................. aa) Pflicht zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands ... bb) Zur Frage eines strafprozessualen Verwertungsverbots ....... f) Zulässigkeit von präventiv-polizeilichen Abwehrmaßnahmen ..... II. Unverletzlichkeit der privaten Räumlichkeiten und Vermögenswerte von Mitgliedern diplomatischer Missionen ................................................... III. Unverletzlichkeit von Archiven, Schriftstücken und amtlicher Korrespondenz ........................................................................ IV. Die Freiheit der Kommunikation und des Verkehrs sowie die Unverletzlichkeit des Kuriergepäcks ............................................. 1. Schutz des freien Verkehrs diplomatischer und konsularischer Vertretungen ........................................................... 2. Unverletzlichkeit des Kuriergepäcks ..................................................... a) Der Begriff „Kuriergepäck“ .......................................................... b) Schutz des Kuriergepäcks ............................................................. c) Zurückweisung von Kuriergepäck ................................................ d) Abwehr von unmittelbaren Gefahren ............................................ e) Kontrolle von Kuriergepäck durch Transportunternehmen .......... f) Rechtsstellung von diplomatischem und konsularischem Kuriergepäck in Drittstaaten .............................. g) Bestrebungen zur Reform der Rechtsstellung von Kuriergepäck ..........................................................................
638 638 640 640 642 642 647 652 653 655 657 659 659 660 667 673 679 685 685 687 688 691 694 697 699 700 703
XXIV
Inhaltsverzeichnis
Band 2 Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
706
§ 17 Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder ....................... 707 I.
II.
Völkerrechtliche Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder fremder Staaten .......................................................... 707 1. Die Begriffe „Staatsoberhaupt“ und „Regierungsmitglied“ .................. 709 a) Der Begriff „Staatsoberhaupt“ ...................................................... 709 b) Der Begriff „Regierungsmitglied“ ................................................ 711 2. Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder gegenüber der nationalen Strafgerichtsbarkeit fremder Staaten ............ 712 a) Exemtionen für amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder .................................................................... 712 aa) Rechtsgrundlagen .................................................................. 712 bb) Sachliche Reichweite der Exemtionen für Staatsoberhäupter ............................................................ 714 cc) Sachliche und personale Reichweite der Exemtionen für Regierungsmitglieder ...................................................... 723 dd) Geltung der Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen und sonstigen schweren Menschenrechtsverletzungen ......... 729 ee) Räumliche Reichweite der Exemtionen ................................ 743 ff) Zeitliche Reichweite der Exemtionen und Möglichkeit eines Verzichts .................................................. 744 b) Exemtionen für ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder ............................................................. 747 aa) Die fortgeltende Immunität ratione materiae als Anwendungsfall der Staatenimmunität ............................ 747 bb) Ausnahmen vom fortgeltenden Immunitätsschutz bei völkerrechtlichen Verbrechen, schweren Menschenrechtsverletzungen und in weiteren Fällen ........... 749 cc) Vereinbarkeit der postulierten Ausnahmen vom Immunitätsschutz mit dem Urteil des IGH im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien ......................... 751 c) Exemtionen für Angehörige von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern ........................................................... 756 3. Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder gegenüber internationalen Strafgerichtshöfen ....................................... 759 a) Exemtionen für amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder ............................................................. 759 b) Exemtionen für ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder ............................................................. 766 c) Exemtionen für Angehörige von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern ........................................................... 767 Exemtionen für Repräsentanten fremder Staaten aufgrund bundesdeutschen Rechts ................................................................... 767 1. Die Entstehungsgeschichte und Intention des § 20 Abs. 1 GVG ............ 767 2. Reichweite der von § 20 Abs. 1 GVG gewährten Exemtionen ............... 768
Inhaltsverzeichnis
XXV
§ 18 Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen ............................................. 774 I. II.
Der Begriff „Spezialmission“ ........................................................................ Zur Schwierigkeit der Feststellung der Existenz und Reichweite völkerrechtlicher Normen über Spezialmissionen ...................... III. Die Konvention über Spezialmissionen ......................................................... 1. Entstehungsgeschichte und Ratifizierungsstand .................................... 2. Konzeption der Konvention über Spezialmissionen ............................. 3. Konstitutive Elemente einer Spezialmission nach der Konvention ....... 4. Rechtsstellung der Mitglieder einer Spezialmission ............................. a) Allgemeine Normen über die Rechtsstellung der Mitglieder von Spezialmissionen .................................................................... b) Die Regeln über Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit ......................................................................... aa) Personale und sachliche Reichweite der Exemtionen von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates ................ bb) Zur Möglichkeit eines Verzichts auf die Exemtionen ........... cc) Zeitliche Reichweite der Exemtionen ................................... dd) Verhältnis der Exemtionen nach der Konvention zu den Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder sowie Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen .......................................... ee) Exemtionen von der Strafgerichtsbarkeit von Drittstaaten ..... 5. Sonstige strafrechtlich relevante Exemtionsbestimmungen der Konvention ...................................................................................... IV. Völkergewohnheitsrechtliche Regeln über den Status von Mitgliedern von Spezialmissionen ......................................................... 1. Der Fall Tabatabai als strafrechtlicher “leading case” in Deutschland .... 2. Zur Vielfältigkeit der in der Literatur vertretenen Auffassungen über den Status der Mitglieder von Spezialmissionen ........................... 3. Analyse der Gründe für die Ablehnung der Konvention über Spezialmissionen und der Staatenpraxis ....................................... a) Gründe für die Ablehnung der Konvention über Spezialmissionen ................................................................... b) Wichtige Gerichtsentscheidungen zur Rechtsstellung der Mitglieder von Spezialmissionen ............................................ c) Sonstige Staatenpraxis ................................................................... 4. Zwischenfazit: Die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen verschiedenen Kategorien von Spezialmissionen .................................. 5. Rechtsstellung der Mitglieder hochrangiger politischer Spezialmissionen ................................................................................... a) Notwendigkeit der Vereinbarung einer politischen Aufgabe und weitere Voraussetzungen für die Erlangung völkerrechtlicher Exemtionen ....................................................... aa) Erfordernis der Vereinbarung einer konkreten temporären politischen Aufgabe .............................................................. bb) Erfordernis eines Einverständnisses des Empfangsstaates mit den einzelnen Mitgliedern einer Spezialmission ............
774 776 778 778 779 781 784 784 786 786 788 789
789 790 791 793 794 796 800 800 808 813 820 825 825 825 832
XXVI
V.
Inhaltsverzeichnis cc) Der Fall der Entsendung von Staatenvertretern zu internationalen Konferenzen ............................................ b) Umfang der völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit ........................................ aa) Umfang der Exemtionen von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates ............................................................. bb) Zur Frage nach Ausnahmen von der Exemtion bei bestimmten Arten von Taten ........................................... cc) Zur Frage der Geltung der Exemtion in Drittstaaten ............ dd) Zur Frage der Geltung der Exemtion gegenüber internationalen Strafgerichtshöfen ........................................ c) Zur Rechtsstellung von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern als Angehörige von Spezialmissionen ..... 6. Rechtsstellung der Mitglieder sonstiger Spezialmissionen ................... 7. Zur These des BGH von der Möglichkeit der Verleihung von Immunität unabhängig von den Regeln über Spezialmissionen ............ 8. Zur Frage einer Verpflichtung deutscher Gerichte zur Anerkennung von Exemtionen aufgrund des völkerrechtlichen Prinzips „estoppel“ ..... 9. Fazit der Untersuchung zur Reichweite völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen .............. Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen aufgrund nationaler deutscher Rechtsnormen ................................................
833 834 834 840 842 844 845 845 846 849 854 855
§ 19 Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen ................................. 857 I.
Grundsätzliches zu den Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit im Bereich internationaler Organisationen ..................... 858 1. Begriff und Kennzeichen internationaler Organisationen ..................... 858 a) Der Begriff „internationale Organisation“ .................................... 858 b) Abgrenzung: Atypische Völkerrechtssubjekte .............................. 860 c) Relevanz der partiellen Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen für die Reichweite von Exemtionen ..................... 863 d) Relevanz der partikularen Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen für die Reichweite von Exemtionen ............................................................................ 864 2. Rechtsquellen der Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen .............................................................. 867 a) Völkergewohnheitsrechtliche Exemtionsregelungen .................... 867 b) Organisationsübergreifende völkervertragliche Exemtionsregelungen ...................................................................... 871 c) Organisationsbezogene völkervertragliche Exemtionsregelungen .................................................................... 876 aa) Erste Kategorie von Verträgen: Gründungsverträge ............. 877 bb) Zweite Kategorie von Verträgen: Besondere Verträge über Vorrechte und Befreiungen .......... 881 cc) Dritte Kategorie von Verträgen: Headquarter-Agreements ..... 884 dd) Vierte Kategorie von Verträgen: Verträge mit Drittstaaten .... 886
Inhaltsverzeichnis d)
II.
XXVII
Nationale deutsche Exemtionsregelungen ..................................... aa) Die Ermächtigung zur Gewährung von Exemtionen für den Bereich der Vereinten Nationen über das völkerrechtlich gebotene Maß hinaus ................................... bb) Exemtionen für Teilnehmer an in Deutschland durchgeführten internationalen Konferenzen ........................ cc) Verordnungsermächtigung des Zustimmungsgesetzes zum Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen der UN ......................................... e) Zur verfassungsrechtlichen Problematik der Übernahme völkerrechtlicher Exemtionsregelungen durch Rechtsverordnungen ............................................................ 3. Ziel und Zweck der Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen .............................................................. a) Achtung der souveränen Gleichheit der Staaten als Rechtsgrund für die Gewährung von Exemtionen ................... b) Schutz der Funktionsfähigkeit internationaler Organisationen als Rechtsgrund für die Gewährung von Exemtionen ................... Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen gegenüber den Mitgliedstaaten ...................................................................... 1. Übereinstimmende Grundstrukturen der Exemtionsregelungen ........... a) Räumliche Reichweite der Exemtionen ........................................ b) Sachliche Reichweite der Exemtionen .......................................... aa) Überblick über die sachliche Reichweite .............................. bb) Zur Bestimmung des Umfangs der gewährten Exemtionen ratione materiae ................................................ cc) Zur Frage einer Ausnahme von den Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen ......................................... c) Zeitliche Reichweite der Exemtionen und die Regelungen über einen Verzicht ....................................................................... 2. Exemtionen für Funktionsträger der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen ............................................................. a) Exemtionen für Bedienstete .......................................................... aa) Exemtionen für alle Bedienstete ........................................... bb) Weiterreichende Exemtionen für hochrangige Bedienstete .... cc) Das Recht und die Pflicht zum Verzicht auf die Exemtionen ............................................................... dd) Zeitliche Reichweite der Exemtionen ................................... b) Exemtionen für Sachverständige ................................................... 3. Exemtionen für Funktionsträger der Europäischen Gemeinschaften .... a) Exemtionen für Bedienstete .......................................................... aa) Zur Reichweite der Exemtionen ........................................... bb) Zur Auslegungszuständigkeit des EuGH .............................. cc) Das Recht und die Pflicht zum Verzicht auf die Exemtion ... b) Exemtionen für Mitglieder des Europäischen Parlaments ............ aa) Zum Schutzzweck der parlamentarischen Exemtionen ........
886 887 889 891 895 900 900 902 904 904 905 906 906 908 911 913 914 914 914 916 918 919 920 924 924 924 926 930 931 931
XXVIII
Inhaltsverzeichnis
bb) Rechtsgrundlagen der parlamentarischen Exemtionen ......... cc) Indemnität der Mitglieder des Europäischen Parlaments ...... dd) Die Immunität und Unverletzlichkeit der Mitglieder des Europäischen Parlaments ................................................ ee) Zur Ausnahme von der Immunität und Unverletzlichkeit bei Ergreifung auf frischer Tat .............................................. ff) Zur Aufhebung der Exemtionen durch das Europäische Parlament .............................................................................. gg) Pläne zu einer Neuregelung der Exemtionen für Mitglieder des Europäischen Parlaments ................................................ 4. Exemtionen für Funktionsträger internationaler Gerichte ..................... a) Exemtionen für Richter ................................................................. aa) Exemtionen für Richter des IGH und des Seegerichtshofs ..... bb) Exemtionen für Richter des IStGH ....................................... cc) Exemtionen für Richter des EuGH und des EuG .................. dd) Exemtionen für Richter des ICTY und des ICTR ................. b) Exemtionen für sonstige Funktionsträger ...................................... 5. Exemtionen für Funktionsträger von Europol ....................................... a) Vorbemerkungen zur Organisation Europol ................................. b) Die Exemtionsregelungen ............................................................. aa) Reichweite der Exemtionen .................................................. bb) Anmerkungen zur Legitimität der Immunität für Europol-Bedienstete und Vorschläge zu ihrer Reform ..... III. Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen gegenüber Drittstaaten und internationalen Strafgerichtshöfen ..................... 1. Exemtionen gegenüber Drittstaaten ....................................................... 2. Exemtionen gegenüber internationalen Strafgerichtshöfen.................... a) Exemtionen gegenüber der Gerichtsbarkeit des IStGH ................. b) Exemtionen gegenüber der Gerichtsbarkeit des ICTY und des ICTR ................................................................ IV. Exemtionen für Vertreter von Mitgliedstaaten bei internationalen Organisationen ................................................................ 1. Zur Schwierigkeit eines Interessenausgleichs aufgrund der Trilateralität der Beziehungen ......................................................... 2. Übereinstimmende Grundstrukturen der Exemtionsregelungen ........... a) Das Fehlen einer Befugnis der Sitzstaaten und Transitstaaten zur Ablehnung bestimmter Personen als Staatenvertreter ............. b) Zur Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Staatenvertretern .................................................................... aa) Temporäre Staatenvertreter ................................................... bb) Ständige Staatenvertreter ...................................................... c) Sachliche Reichweite der Exemtionen .......................................... aa) Exemtionen für temporäre Staatenvertreter .......................... bb) Die Exemtionen für ständige Staatenvertreter ......................
932 932 933 941 942 945 947 947 948 955 961 963 966 967 967 970 970 976 985 985 987 987 991 992 992 995 995 996 996 997 998 998 999
Inhaltsverzeichnis cc) Zur Frage einer Ausnahme von den Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen ....................................... d) Räumliche Reichweite der Exemtionen ...................................... e) Zeitliche Reichweite der Exemtionen und die Regelungen über einen Verzicht ..................................................................... f) Verhältnis der Exemtionen für Vertreter bei internationalen Organisationen zur Staatenimmunität und sonstigen Exemtionen ................................................................................ g) Zur Geltung der Exemtionen gegenüber internationalen Strafgerichten .............................................................................. 3. Exemtionen für Staatenvertreter bei den Vereinten Nationen und ihren Sonderorganisationen .......................................................... a) Exemtionen nach dem UN-Immunitäten-Übereinkommen und dem Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen ....... aa) Die personale, sachliche und räumliche Reichweite der Exemtionen ................................................................... bb) Zur zeitlichen Reichweite der Exemtionen und zur Frage eines Verzichts .................................................................... b) Exemtionen nach den Headquarter-Agreements ......................... 4. Exemtionen für Staatenvertreter bei den Europäischen Gemeinschaften ................................................................................... 5. Exemtionen für Staatenvertreter beim Internationalen Strafgerichtshof ................................................................................... 6. Exemtionen für Staatenvertreter bei Europol ...................................... V. Exemtionen für Vertreter von Drittstaaten bei internationalen Organisationen .............................................................. VI. Exemtionen für Beteiligte an Verfahren internationaler Gerichte ............... 1. Übereinstimmende Grundstrukturen der Exemtionsregelungen ......... 2. Exemtionen für Beteiligte an Verfahren des IGH und des ISGH ........ 3. Exemtionen für Beteiligte an Verfahren des IStGH ............................ 4. Exemtionen für Beteiligte an Verfahren des EuGH und des EuG ....... 5. Exemtionen für Beteiligte an Verfahren des ICTY und ICTR ............ VII. Sachbezogene Exemtionen zugunsten internationaler Organisationen .......
XXIX
1000 1000 1001 1003 1004 1006 1006 1006 1009 1011 1013 1015 1016 1018 1020 1020 1022 1023 1025 1027 1028
§ 20 Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte .......................................... 1030 I.
Völkergewohnheitsrechtliche Regeln über die Rechtsstellung von Angehörigen fremder Streitkräfte ......................................................... 1. Rechtsstellung von Militärangehörigen bei privaten Aufenthalten in fremden Staaten ........................................... a) Das Fehlen einer rechtlichen Sonderstellung von Militärangehörigen ............................................................... b) Zur Befreiung von fremdstaatlicher Strafgerichtsbarkeit aufgrund der Staatenimmunität ................................................... aa) Allgemeines zur Reichweite der Staatenimmunität in bezug auf Angehörige fremder Streitkräfte ....................
1031 1031 1031 1032 1032
XXX
II.
Inhaltsverzeichnis bb) Anmerkungen zu den in bezug auf Angehörige fremder Streitkräfte relevanten Ausnahmen von der Staatenimmunität ................................................... 1032 2. Die Rechtsstellung von Militärangehörigen, die im Rahmen bewaffneter Konflikte in den Machtbereich des Gegners gelangen .... 1035 3. Die Rechtsstellung von Militärangehörigen als Mitglieder einer Besatzungsmacht ........................................................ 1037 4. Rechtsstellung von Militärangehörigen, die sich mit Einverständnis eines fremden Staates in diesem dienstlich aufhalten ......................... 1037 a) Die These der vollständigen Exemtion für Angehörige fremder Streitkräfte im Aufenthaltsstaat ..................................... 1039 b) Die These der vollständigen Unterworfenheit von Angehörigen fremder Streitkräfte unter die Hoheitsgewalt des Aufnahmestaates ..................................................................... 1041 c) Die These der sachlich beschränkten Exemtion für Angehörige fremder Streitkräfte im Aufenthaltsstaat ................. 1044 d) Bewertung der verschiedenen Rechtsauffassungen .................... 1046 Historische Entwicklung der Rechtsstellung fremder Streitkräfte und ihrer Angehörigen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ........................ 1050 1. Die Rechtsstellung fremder Streitkräfte und ihrer Angehörigen bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1949 ............ 1050 2. Die Rechtsstellung fremder Streitkräfte und ihrer Angehörigen in der Bundesrepublik im Zeitraum von 1949–1955 ........................... 1051 3. Die Rechtsstellung fremder Streitkräfte und ihrer Angehörigen in der Bundesrepublik vom Inkrafttreten der Pariser Verträge 1955 bis zum Inkrafttreten des NATO-Truppenstatuts 1963 ....................... 1053 a) Der Weg zur Souveränität der Bundesrepublik Deutschland ...... 1053 b) Die Rechtsstellung der in der Bundesrepublik befindlichen Streitkräfte und ihrer Angehörigen nach den Pariser Verträgen ......................................................... 1054 aa) Das Aufenthaltsrecht für Streitkräfte der Westalliierten und ihrer Verbündeten ........................................................ 1055 bb) Die Rechtsstellung der Angehörigen der in der Bundesrepublik befindlichen Streitkräfte ..................... 1056 c) Ablösung des Truppenvertrags durch das NATO-Truppenstatut und die Zusatzvereinbarungen zum NATO-Truppenstatut ......... 1058 4. Die Rechtsstellung der in der DDR befindlichen Streitkräfte und ihrer Angehörigen.......................................................................... 1060 5. Auswirkungen der Vereinigung Deutschlands im Jahr 1990 auf die Rechtsstellung fremder Streitkräfte und ihrer Angehörigen................. 1061 a) Die völkerrechtlichen Vereinbarungen zur Herstellung der Einheit Deutschlands.............................................................. 1061 b) Regelungen in bezug auf den Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus Deutschland......................................................... 1063 c) Neuregelung des Aufenthaltsrechts fremder Streitkräfte in Deutschland ............................................................................. 1063 d) Neuregelung des räumlichen Geltungsbereichs der Verträge über die Rechtsstellung fremder Streitkräfte und ihrer Angehörigen ..... 1064
Inhaltsverzeichnis 6.
XXXI
Überblick über die gegenwärtig für den Status fremder Streitkräfte und ihrer Angehörigen in Deutschland maßgeblichen Rechtsnormen .... III. Exemtionen von deutscher Strafgerichtsbarkeit nach dem NATOTruppenstatut und den Zusatzvereinbarungen ............................................. 1. Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen den verschiedenen NATO-Staaten ..................................................................................... 2. Der personale und zeitliche Geltungsbereich der strafrechtlich relevanten Normen des NATO-Truppenstatuts und der Zusatzvereinbarungen ............................................................ a) Der personale Geltungsbereich der strafrechtlich relevanten Bestimmungen ........................................................... b) Geltungsbeschränkung der strafrechtlich relevanten Bestimmungen auf den Zeitraum dienstlich bedingter Aufenthalte .................................................................. 3. Unterworfenheit der geschützten Personen unter das materielle Strafrecht des Aufnahmestaates .......................................................... 4. Bestimmungen über die Zulässigkeit der Durchführung eines Strafverfahrens ........................................................................... a) Aufteilung der Befugnis zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit anstelle einer alleinigen Festlegung von Exemtionen ................. aa) Die Grundregeln des Art. VII Abs. 1 NTS ........................... bb) Vollständige Immunität für Auslandstaten von der Strafgerichtsbarkeit des Aufnahmestaates als Konsequenz aus Art. VII Abs. 1 NTS ............................ b) Differenzierung zwischen ausschließlicher und konkurrierender Gerichtsbarkeit ................................................. c) Die Vorrangregelung bei der konkurrierenden Gerichtsbarkeit .... d) Kompetenz zur Beurteilung der Strafbarkeit bzw. des dienstlichen Charakters einer Tat .......................................... e) Verzicht auf das Vorrecht auf Ausübung der Strafgerichtsbarkeit nach dem NTS ...................................... aa) Allgemeines zum Verzicht auf das Vorrecht auf Ausübung der Gerichtsbarkeit ...................................... bb) Reichweite und Folgen des von Deutschland erklärten generellen Verzichts nach Art. 19 Abs. 1 ZA-NTS ............ f) Bilaterale Vereinbarungen Deutschlands mit anderen NATO-Staaten über ein Absehen von der Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit ....................... g) Zulässigkeit strafprozessualer Ermittlungs- und Zwangsmaßnahmen trotz Nachrangigkeit oder Fehlens der Strafgerichtsbarkeit ............................................................... aa) Zum Fall der Nachrangigkeit der Strafgerichtsbarkeit ........ bb) Zum Fall des Fehlens der Strafgerichtsbarkeit .................... 5. Sonstige exemtionsrelevante Bestimmungen des NTS und der Zusatzvereinbarungen ............................................................ 6. Bewertung der Exemtionen nach dem NTS und den Zusatzvereinbarungen ............................................................
1066 1068 1068 1070 1070 1071 1073 1073 1073 1073 1076 1080 1084 1091 1092 1092 1094 1099 1101 1101 1106 1107 1110
XXXII
Inhaltsverzeichnis
IV. Exemtionen von deutscher Strafgerichtsbarkeit nach dem PfP-Truppenstatut und dem Streitkräfteaufenthaltsgesetz ................... 1. Exemtionen nach dem PfP-Truppenstatut ........................................... 2. Exemtionen nach dem Streitkräfteaufenthaltsgesetz ........................... a) Konzeption des Streitkräfteaufenthaltsgesetzes .......................... b) Der strafrechtlich relevante Regelungsgehalt der nach Maßgabe des Streitkräfteaufenthaltsgesetzes zu treffenden Vereinbarungen ........................................................................... c) Praktische Relevanz des Streitkräfteaufenthaltsgesetzes ............ V. Exemtionen für Streitkräfte der Vereinten Nationen und von den Vereinten Nationen autorisierte Streitkräfte ........................... 1. Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen Streitkräften der UN und von den UN lediglich autorisierten Streitkräften ............. a) Streitkräfte der Vereinten Nationen ............................................ b) Streitkräfte einzelner Staaten mit Mandat der Vereinten Nationen ............................................................... 2. Exemtionen für Streitkräfte der Vereinten Nationen ........................... a) Exemtionen auf der Basis von Statusabkommen zwischen den Vereinten Nationen und dem Aufenthaltsstaat ..................... b) Exemtionen auf der Basis der UN-Charta und des Übereinkommens über Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen ................................... c) Exemtionen auf der Basis von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates .............................................................. 3. Exemtionen für von den Vereinten Nationen autorisierte Streitkräfte ... a) Exemtionen auf der Basis vertraglicher Vereinbarungen mit dem Aufenthaltsstaat ............................................................. b) Exemtionen auf der Basis von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates .............................................................. VI. Exemtionen für Angehörige von Streitkräften gegenüber Internationalen Strafgerichtshöfen ............................................................... 1. Zur Unterworfenheit von Militärangehörigen unter die Gerichtsbarkeit der UN-Strafgerichtshöfe ..................................... 2. Zur Unterworfenheit von Militärangehörigen unter die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs ................... a) Militärangehörige ohne Anbindung an die Vereinten Nationen ... b) Mitglieder von Streitkräften der Vereinten Nationen .................. c) Mitglieder von durch die Vereinten Nationen autorisierten Streitkräften ............................................................ 3. Freistellung von Soldaten von der Gerichtsbarkeit des IStGH aufgrund von Bemühungen der USA .................................................. a) Überblick über die verschiedenen Bemühungen der USA um Freistellung ihrer Soldaten von der Gerichtsbarkeit des IStGH .................................................................................... aa) Die These einer Unzulässigkeit der Strafverfolgung von Angehörigen von Nichtvertragsstaaten durch den IStGH .................................................................
1112 1112 1114 1115 1117 1118 1119 1119 1120 1122 1123 1123 1127 1132 1132 1134 1137 1140 1140 1141 1141 1143 1144 1146 1146 1147
Inhaltsverzeichnis
b)
XXXIII
bb) Abschluß bilateraler Nicht-Überstellungs-Abkommen ....... cc) Nationale Gesetzgebung der USA zur Einschränkung der Tätigkeit des IStGH ....................... dd) Das Drängen der USA auf Verabschiedung einer die Zuständigkeit des IStGH beschränkenden Resolution des UN-Sicherheitsrates ...................................................... Exemtion von Militärangehörigen von der Gerichtsbarkeit des IStGH durch Resolution 1422 des UN-Sicherheitsrates und Art. 16 IStGH-Statut ............................................................ aa) Zum materiellen Gehalt der Resolution .............................. bb) Rechtmäßigkeit und Bindungswirkung der Resolution ...... cc) Rechtspolitische Bewertung der Resolution .......................
1148 1150 1151 1151 1154 1155 1159
§ 21 Exemtionen für Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge sowie deren Besatzungsmitglieder und Passagiere ......................................... 1160 I.
Die Exemtion für Staatsschiffe, deren Besatzungsmitglieder und Passagiere ............................................................................................. 1. Geltungsbereich des deutschen materiellen Strafrechts bei Taten auf Schiffen .............................................................................. a) Materielle Strafgewalt im Bereich der deutschen Binnengewässer, der deutschen inneren Gewässer und des deutschen Küstenmeeres .............................................................................. aa) Strafgewalt im Bereich der deutschen Binnengewässer ..... bb) Strafgewalt im Bereich der deutschen inneren Gewässer ... cc) Strafgewalt im Bereich des deutschen Küstenmeeres ......... dd) Irrelevanz der Staatszugehörigkeit des Schiffs ................... b) Materielle Strafgewalt im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszonen und der Hohen See ......................................... c) Materielle Strafgewalt im Bereich fremdstaatlicher Küstenmeere, fremdstaatlicher innerer Gewässer und fremdstaatlicher Binnengewässer ......................................... 2. Zur Reichweite deutscher Strafgerichtsbarkeit an Bord von Schiffen und bezüglich auf Schiffen begangener Taten ............... a) Strafgerichtsbarkeit im Bereich des deutschen Staatsgebiets einschließlich der Binnengewässer, der inneren Gewässer und des Küstenmeeres ................................................................. aa) Strafgerichtsbarkeit im Bereich des Festlands, der Binnengewässer und der inneren Gewässer .................. bb) Strafgerichtsbarkeit im Bereich des Küstenmeeres ............. b) Strafgerichtsbarkeit im Bereich der Hohen See, der ausschließlichen Wirtschaftszonen und der Anschlußzonen ....... c) Strafgerichtsbarkeit im Bereich fremdstaatlicher Gebietshoheit ... 3. Reichweite der Exemtion für Staatsschiffe sowie deren Besatzungsmitglieder und Passagiere ........................................ a) Arten von Staatsschiffen ............................................................. b) Rechtsgrund für die Gewährung der Exemtion ........................... c) Ausschluß von Staatshandelsschiffen von der Exemtion ............
1162 1163 1163 1163 1165 1166 1167 1168 1171 1171 1172 1172 1175 1178 1181 1182 1183 1184 1187
XXXIV
Inhaltsverzeichnis d) e) f)
II.
Konstruktive Begründung der Exemtion ..................................... Der strafrechtlich relevante Regelungsgehalt der Exemtion ....... Strafrechtlich relevante Rechtsfolgen einer Mißachtung der Exemtion ........................................................... g) Sachliche und räumliche Grenzen der Exemtion ........................ aa) Grenzen der Exemtion in den Binnengewässern und den inneren Gewässern des strafverfolgenden Staates ........ bb) Grenzen der Exemtion im Küstenmeer des strafverfolgenden Staates .............................................. cc) Grenzen der Exemtion im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszonen und der Hohen See ................................. dd) Grenzen der Exemtion im Bereich der Küstengewässer, inneren Gewässer und Binnengewässer eines anderen als des strafverfolgenden Staates ........................... h) Zeitliche Grenzen der Exemtion und Zulässigkeit eines Verzichts ........................................................ Die Exemtion für Staatsluftfahrzeuge sowie deren Besatzungsmitglieder und Passagiere ................................................ 1. Zum Geltungsbereich des deutschen materiellen Strafrechts bei Taten in Luftfahrzeugen ................................................................ a) Materielle Strafgewalt im Bereich des deutschen Staatsgebiets .... b) Materielle Strafgewalt im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszonen und der Hohen See .............. c) Materielle Strafgewalt im Bereich eines fremden Staatsgebiets ... 2. Reichweite deutscher Strafgerichtsbarkeit an Bord von Luftfahrzeugen und bezüglich in Luftfahrzeugen begangener Taten .... a) Strafgerichtsbarkeit im Bereich des deutschen Staatsgebiets ...... b) Strafgerichtsbarkeit im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszonen und der Hohen See .............. c) Strafgerichtsbarkeit im Bereich fremdstaatlicher Gebietshoheit ... 3. Reichweite der Exemtion für Staatsluftfahrzeuge sowie deren Besatzungsmitglieder und Passagiere ........................................ a) Arten von Staatsluftfahrzeugen ................................................... b) Grundsätzliches zur Exemtion von Staatsluftfahrzeugen ............ c) Sachliche und räumliche Grenzen der Exemtion ........................ aa) Grenzen der Exemtion im Staatsgebiet des strafverfolgenden Staates .............................................. bb) Grenzen der Exemtion im Luftraum über ausschließlichen Wirtschaftszonen und der Hohen See ...... cc) Grenzen der Exemtion im Bereich fremdstaatlicher Gebietshoheit ........................................... d) Zeitliche Grenzen der Exemtion und Zulässigkeit eines Verzichts ........................................................ 4. Exkurs: Zur Rechtsstellung von Weltraumflugkörpern und deren Besatzungsmitgliedern ........................................................
1188 1191 1198 1199 1200 1208 1211 1213 1214 1214 1215 1215 1217 1219 1219 1219 1222 1224 1225 1225 1226 1229 1229 1234 1235 1235 1235
Inhaltsverzeichnis Teil 5: Wirkungen der völkerrechtlichen Exemtionen im Strafrecht
XXXV 1240
§ 22 Materiellrechtliche oder prozessuale Wirkung der Immunitäten ................. 1242 I.
Vorbemerkungen ......................................................................................... 1242 1. Beschränkung der Untersuchung auf Immunitäten ............................. 1242 2. Überblick über die verschiedenen Auffassungen zur Einordnung der Immunitäten ......................................................... 1243 II. Einordnung der Immunitäten als Schranken des persönlichen Geltungsbereichs des Strafrechts ..................................... 1244 1. Einordnung sämtlicher Immunitäten als Schranken des Geltungsbereichs des Strafrechts .................................................. 1244 a) Wirkung dieser Einordnung ........................................................ 1244 b) Strafrechtsdogmatische Konsequenz dieser Einordnung ............ 1245 c) Zur Bedeutung dieser Auffassung ............................................... 1246 2. Einordnung der Immunitäten ratione materiae als Schranken des Geltungsbereichs des Strafrechts .................................................. 1248 a) Wirkung dieser Einordnung ........................................................ 1248 b) Begründung dieser Auffassung ................................................... 1249 c) Zur Bedeutung dieser Auffassung ............................................... 1250 III Einordnung der Immunitäten als materielle persönliche Strafbefreiungsgsgründe ........................................................... 1251 1. Wirkung dieser Einordnung ................................................................ 1251 2. Begründung dieser Auffassung ........................................................... 1252 IV. Einordnung der Immunitäten als prozessuale Strafverfahrenshindernisse ..... 1253 1. Wirkung dieser Einordnung ................................................................ 1253 2. Begründung dieser Auffassung ........................................................... 1256 V. Einordnung der Immunitäten als Institute mit Doppelcharakter .................. 1256 VI. Bewertung der verschiedenen Auffassungen ................................................. 1257 1. Zur These der Einordnung der Immunitäten als Schranken des Geltungsbereichs des Strafrechts .................................................. 1258 a) Die explizite Festlegung einer Normunterworfenheit in immunitätsbegründenden völkerrechtlichen Verträgen .......... 1258 b) Regelungen über einen Immunitätsverzicht und eine zeitliche Begrenzung der Immunitäten ratione personae als Indizien für eine Normunterworfenheit ................................. 1259 c) Verkennung der Grenzen staatlicher Hoheitsgewalt durch die Vertreter der modifizierten Geltungsbeschränkungstheorie .. 1261 aa) Das implizite Abstellen auf die völkerrechtlich nicht anerkannte Act of State-Doktrin ......................................... 1262 bb) Zur Reichweite des Gebots der Achtung fremder Hoheitsakte ......................................................................... 1263 cc) Der Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten und das Verbot der Einmischung in innere Angelegenheiten eines anderen Staates als Schranken jeglicher extraterritorialer Strafgewalterstreckung .................................... 1266
XXXVI
Inhaltsverzeichnis
2. 3.
4.
dd) Fazit: Keine völkerrechtliche Pflicht zur Einstufung der Immunitäten ratione materiae als Schranken des Geltungsbereichs des Strafrechts .................................. 1268 d) Kein Gebot einer Beschränkung des Geltungsbereichs des Strafrechts aufgrund des völkerrechtlichen Schutzzwecks der Immunitäten .......................................................................... 1269 e) Unvereinbarkeit einer Einordnung der Immunitäten als Schranken des Geltungsbereichs des Strafrechts mit deutschen Rechtsvorschriften ............................................... 1270 Zwischenergebnis: Geltung des (Straf-)Rechts auch für exemte Personen ................................................................................................ 1271 Zur Frage der Einordnung der Immunitäten als materielle Strafbefreiungsgründe oder prozessuale Verfahrenshindernisse ......... 1273 a) Völkerrechtliche Vorgaben ......................................................... 1273 b) Verfassungsrechtliche Vorgaben ................................................. 1275 aa) Vorüberlegungen ................................................................. 1275 bb) Gebotenheit einer Einordnung der Immunitäten als materiellrechtliche Strafbefreiungsgründe wegen des Rückwirkungsverbots? ................................................. 1278 cc) Gebotenheit einer Einordnung der Immunitäten als prozessuale Verfahrenshindernisse wegen des Rückwirkungsverbots? ................................................. 1279 dd) Fazit der verfassungsrechtlichen Überlegungen ................. 1281 c) Wortlaut und Regelungsort der einschlägigen deutschen Normen ................................................ 1282 d) Teleologische Betrachtung .......................................................... 1285 e) Einordnung nach den allgemeinen Theorien zur Abgrenzung materieller Strafbefreiungsgründe von prozessualen Verfahrenshindernissen ............................................................... 1286 aa) Vorbemerkungen zu dieser Kontrollüberlegung ................. 1286 bb) Theorie des Abstellens auf das „Verdientsein des Strafübels“ ....................................... 1288 cc) Theorie des „Hinwegdenkens des Strafprozesses“ ............. 1289 dd) Theorie der Prozeßvoraussetzungen als „typisierte Voraussetzungen der Sicherung des Rechtsfriedens“ ......... 1290 ee) Theorie des unmittelbaren Zusammenhangs mit dem Tatgeschehen ........................................................ 1292 ff) Fazit dieser Kontrollüberlegung .......................................... 1293 f) Vergleichende Kontrollüberlegung: Die Einordnung völkerrechtlicher Immunitäten im Zivil- und Verwaltungsrecht ... 1293 Ergebnis: Einordnung sämtlicher Immunitäten allein als prozessuale Verfahrenshindernisse ................................................ 1294
§ 23 Bedeutung der völkerrechtlichen Exemtionen für den Strafprozeß ............. 1295 I.
Verfahren zur Feststellung einer Exemtion ................................................. 1295 1. Entscheidungskompetenz von Judikative oder Exekutive ................... 1295 a) Entscheidungskompetenz der Gerichte ....................................... 1295
Inhaltsverzeichnis
II.
XXXVII
b) Entscheidungskompetenz der Staatsanwaltschaften ................... 2. Prüfung von Amts wegen .................................................................... a) Grundsatz der Prüfung von Amts wegen .................................... aa) Prüfungspflicht bei Immunitäten ........................................ bb) Prüfungspflicht bei Unverletzlichkeitsgewährleistungen und Befreiungen von den Zeugenpflichten ......................... b) Besonderheiten im Rechtsmittelverfahren .................................. aa) Erfordernis eines zulässigen Rechtsmittels ......................... bb) Prüfungsbeschränkung des Revisionsgerichts bei nicht erhobener Sachrüge .............................................. c) Ergebnis ....................................................................................... 3. Pflicht zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 2 GG ..................................................................... 4. Entscheidung im Wege des Freibeweises oder Strengbeweises .......... 5. Entscheidung bei verbleibenden Zweifeln über das Bestehen einer Exemtion ...................................................... a) Verbleibende Zweifel bei Unverletzlichkeitsgewährleistungen und Befreiungen von den Zeugenpflichten ................................. b) Verbleibende Zweifel bei völkerrechtlichen Immunitäten .......... Zulässigkeit und Gebotenheit von strafprozessualen Maßnahmen trotz bestehender bzw. ungeklärter Exemtion .............................................. 1. Zulässigkeit von Ermittlungsmaßnahmen trotz bestehender bzw. ungeklärter Exemtion .................................................................. a) Ausgangspunkt: Unzulässigkeit sämtlicher Strafverfolgungsmaßnahmen bei Vorliegen einer Immunität ..... b) Zulässigkeit von Ermittlungsmaßnahmen bei Fehlen eines Tatverdächtigen .................................................................. c) Zulässigkeit von Ermittlungsmaßnahmen zur Feststellung einer Immunität ................................................. d) Zur Zulässigkeit polizeilicher Strafverfolgungsmaßnahmen ...... 2. Zulässigkeit einer Gerichtsstandsbestimmung nach § 13a StPO ......... 3. Pflicht des Bemühens um einen Verzicht auf eine Exemtion .............. 4. Zulässigkeit eines Klageerzwingungsverfahrens nach § 172 StPO ..... 5. Zulässigkeit von Maßnahmen gegenüber exemten Personen als Nichtbeschuldigte ............................................ a) Die Nichterfassung von Maßnahmen gegenüber exemten Personen als Nichtbeschuldigte durch die völkerrechtlichen Immunitäten ...................................... b) Unverletzlichkeitsgewährleistungen und Befreiungen von den Zeugenpflichten als Verbote einer Inanspruchnahme von Nichtbeschuldigten ............................................................... aa) Die Unverletzlichkeitsgewährleistungen ............................ bb) Die Befreiungen von den Zeugenpflichten ......................... cc) Rechtsfolgen einer Mißachtung von Unverletzlichkeitsgewährleistungen und Befreiungen von den Zeugenpflichten .....................................................
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XXXVIII
Inhaltsverzeichnis 6.
Zulässigkeit von Ordnungsmaßnahmen .............................................. a) Zulässigkeit von Maßnahmen zur unmittelbaren Störungsbeseitigung .................................................................... b) Zulässigkeit von Maßnahmen mit Beugeund Sanktionscharakter ............................................................... III. Verfahrensbeendigung als strafprozessuale Konsequenz des Vorliegens einer Immunität ................................................................... 1. Art der Beendigung eines Verfahrens bei Vorliegen einer Immunität .... a) Verfahrensbeendigung im Vorverfahren ..................................... b) Verfahrensbeendigung im Zwischenverfahren ........................... c) Verfahrensbeendigung im Hauptverfahren ................................. d) Verfahrensbeendigung im Rechtsmittelverfahren ....................... aa) Im Berufungsverfahren ....................................................... bb) Im Revisionsverfahren ........................................................ 2. Kostenentscheidung bei Einstellung eines Strafverfahrens ................. 3. Sperrwirkung von verfahrensbeendenden Entscheidungen ................. a) Sperrwirkung von Einstellungsentscheidungen nach § 205 StPO .......................................................................... b) Sperrwirkung von Einstellungsentscheidungen nach § 170 Abs. 2 StPO ....................................................................... c) Sperrwirkung einer Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 204 Abs. 1 StPO ............................. d) Sperrwirkung von Einstellungsentscheidungen nach § 206a StPO ........................................................................ e) Sperrwirkung von Prozeßurteilen nach § 260 Abs. 3 StPO ........ f) Sperrwirkung von verfahrenseinstellenden Rechtsmittelentscheidungen ........................................................ IV. Rechtswirkungen von unter Mißachtung einer Immunität ergangenen Sachentscheidungen ................................................................. 1. Streitstand ............................................................................................ 2. Zur Möglichkeit und den Voraussetzungen nichtiger Urteile .............. 3. Rechtswirksamkeit unter Mißachtung einer Immunität ergangener Urteile ..................................................... 4. Aufhebbarkeit und fehlende Vollstreckbarkeit von unter Mißachtung einer Immunität ergangenen Urteilen .............. a) Aufhebbarkeit von Urteilen ......................................................... b) Fehlende Vollstreckbarkeit von Urteilen .................................... V. Ruhen der Verjährung von Straftaten bei Bestehen einer Immunität .......... VI. Zulässigkeit von Rechtshilfemaßnahmen .................................................... 1. Rechtshilfemaßnahmen zugunsten anderer Staaten ............................ 2. Rechtshilfemaßnahmen zugunsten internationaler Strafgerichtshöfe .... a) Rechtshilfemaßnahmen zugunsten der UN-Strafgerichtshöfe .... b) Rechtshilfemaßnahmen zugunsten des Internationalen Strafgerichtshofs .......................................... aa) Die Regelung des Art. 98 IStGH-Statut im Überblick ........
1340 1340 1341 1343 1344 1344 1346 1347 1349 1349 1351 1354 1357 1358 1358 1359 1361 1362 1363 1364 1364 1365 1367 1368 1368 1371 1371 1374 1374 1377 1378 1380 1380
Inhaltsverzeichnis
XXXIX
bb) Die von Art. 98 Abs. 1 IStGH-Statut erfaßten Exemtionen ......................................................................... cc) Die von Art. 98 Abs. 2 IStGH-Statut erfaßten Übereinkünfte ..................................................................... dd) Die Entscheidungskompetenz des IStGH ........................... ee) Exemtionen zugunsten von Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts ........................................................ ff) Exemtionen zugunsten von Vertragsstaaten des Römischen Statuts ........................................................ gg) Fazit ..................................................................................... VII. Immunitäten als Vollstreckungshindernisse ................................................ VIII. Exkurs: Strafbarkeit nach § 344 und § 345 StGB bei bewußter Mißachtung einer Immunität ..................................................
1381 1382 1385 1386 1389 1395 1397 1399
§ 24 Bedeutung der völkerrechtlichen Exemtionen für das Recht der Ordnungswidrigkeiten ........................................................ 1402 I.
Geltung der völkerrechtlichen Exemtionen im Bereich der Ordnungswidrigkeiten ........................................................................... 1. Generelle Geltung der Exemtionen im Bußgeldverfahren .................. 2. Explizite Erstreckung der Exemtionen auf Ordnungswidrigkeiten nach den Regeln für NATO-Streitkräfte ......... 3. Erstreckung der Immunität der Abgeordneten des Europäischen Parlaments auch auf Ordnungswidrigkeiten ........... II. Relevanz der völkerrechtlichen Exemtionen für die Durchführung eines Bußgeldverfahrens .............................................................................. III. Relevanz der völkerrechtlichen Immunitäten für die Durchführung eines Verwarnungsverfahrens ................................... 1. Zur Zulässigkeit einer Verwarnung mit Erhebung eines Verwarnungsgeldes .................................................................... 2. Zur Zulässigkeit einer Verwarnung ohne Erhebung eines Verwarnungsgeldes .................................................................... Teil 6: Schluß
1402 1402 1404 1406 1407 1410 1411 1412 1413
§ 25 Zusammenfassung und rechtspolitische Bewertung ....................................... 1413 I. II. III. IV. V.
Staatenimmunität und Act of State-Doktrin ................................................ Diplomatische und konsularische Exemtionen ............................................ Sonstige völkerrechtliche Exemtionen ........................................................ Wirkungen der völkerrechtlichen Exemtionen im deutschen Strafrecht ..... Fazit .............................................................................................................
1414 1419 1428 1437 1443
Rechtsprechungsnachweis ............................................................................................ 1445 Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 1452 Sachverzeichnis ............................................................................................................ 1504
Abkürzungsverzeichnis a.A.
anderer Ansicht
a.a.O.
am angegebenen Ort
abgedr.
abgedruckt
ABl.
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften/Amtsblatt der Europäischen Union
Abs.
Absatz
Abschn.
Abschnitt
Add.
Addendum
AG
Amtsgericht
a.F.
alte Fassung
AHK
Alliierte Hohe Kommission
AIDP
Association Internationale de Droit Pénal
AJIL
American Journal of International Law
AJPIL
Austrian Journal of Public International Law
AK-StGB
Alternativkommentar zum Strafgesetzbuch
AK-StPO
Alternativkommentar zur Strafprozeßordnung
AktO
Aktenordnung
All ER
All England Law Reports
Alt.
Alternative
a.M.
am Main
Anm.
Anmerkung
AöR
Archiv für öffentliches Recht
APUZ
Aus Politik und Zeitgeschichte
AR
Registerzeichen für allgemeine Rechtssachen
Art.
Artikel
AT
Allgemeiner Teil
Aufl.
Auflage
AVR
Archiv des Völkerrechts
Az.
Aktenzeichen
Abkürzungsverzeichnis
XLI
BayObLG
Bayerisches Oberstes Landesgericht
BayObLGSt
Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen (zitiert nach Jahr und Seite)
BayVBl.
Bayerische Verwaltungsblätter
Bd.
Band
BDGVR
Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht
BdiP
Blätter für deutsche und internationale Politik
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl.
Bundesgesetzblatt der Bundesrepublik Deutschland
BGE
Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts (zitiert nach Band und Seite)
BGH
Bundesgerichtshof
BGHSt
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite)
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (zitiert nach Band und Seite)
BL-ZPO
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung
BMI
Bundesministerium des Innern
BPolG
Gesetz über die Bundespolizei
BRD
Bundesrepublik Deutschland
BT
Besonderer Teil
BT-Drucks.
Drucksache des Deutschen Bundestages (zitiert nach Wahlperiode und Nummer)
B.U.Int’L.J.
Boston University International Law Journal
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGG
Gesetz über das Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zitiert nach Band und Seite)
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
BYIL
British Yearbook of International Law
bzgl.
bezüglich
BZRG
Bundeszentralregistergesetz
bzw.
beziehungsweise
Cal. L. Rev.
California Law Review
CanYBIL
The Canadian Yearbook of International Law
Case W. Res. L. Rev.
Case Western Reserve Law Review
XLII
Abkürzungsverzeichnis
CDU
Christlich Demokratische Union
CJTL
Columbia Journal of Transnational Law
CLF
Criminal Law Forum
Crim.L.R.
Criminal Law Review
CSM
Convention on Special Missions vom 8.12.1969, Res. der UN-Generalversammlung 2530 (XXIV) (UNTS 1400, 213 = ILM 9 [1970], 127)
CSU
Christlich-Soziale Union
DA
Deutschland-Archiv
DAR
Deutsches Autorecht
DDR
Deutsche Demokratische Republik
DDR-GBl.
Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik
ders.
derselbe
dies.
dieselbe/n
Diss.
Dissertation
DJ
Deutsche Justiz
DJZ
Deutsche Juristen-Zeitung
DM
Deutsche Mark
DÖV
Die Öffentliche Verwaltung
DRiZ
Deutsche Richterzeitung
dt.
deutsch
DtZ
Deutsch-deutsche Rechtszeitschrift
Duke J. Comp & Int’l. L.
Duke Journal of Comparative and International Law
DuR
Demokratie und Recht
DVBl.
Deutsches Verwaltungsblatt
d. Verf.
der Verfasser
DWA
Beschluß und Akt zur Einführung allgemeiner und unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments vom 20.9.1976 (BGBl. 1977 II, S. 734) i.d.F. des Beschlusses vom 25.6./23.9.2002 (BGBl. 2003 II, S. 810)
EG
Europäische Gemeinschaften
EGBGB
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EGStGB
Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland
Abkürzungsverzeichnis
XLIII
EGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25.3.1957 (BGBl. 1957 II, S. 766) i.d.F. der Akte zum Beitrittsvertrag vom 16.4.2003 (BGBl. 2003 II, S. 1410)
Einl.
Einleitung
EJIL
European Journal of International Law
EMRK
Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, 953) i.d.F. des 11. Protokolls vom 11.5.1994 (BGBl. 1995 II, S. 579)
EPIL
Encyclopedia of Public International Law
et al.
et alii
ETS
European Treaty Series
EU
Europäische Union
EuAbgG
Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz)
EUFOR
European Union Force
EuG
Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
EuGH
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
EuGRZ
Europäische Grundrechte-Zeitschrift
EuR
Europarecht
EURATOM
Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25.3.1957 (BGBl. 1957 II, S. 1014) i.d.F. der Akte zum Beitrittsvertrag vom 16.4.2003 (BGBl. 2003 II, S. 1410)
EUV
Vertrag über die Europäische Union vom 7.2.1992 (BGBl. 1992 II, S. 1253) i.d.F. der Akte zum Beitrittsvertrag vom 16.4.2003 (BGBl. 2003 II, S. 1410)
EuWG
Gesetz über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europawahlgesetz)
EVG
Europäische Verteidigungsgemeinschaft
EZB
Europäische Zentralbank
f./ff.
folgende/fortfolgende
FamRZ
Zeitschrift für das gesamte Familienrecht
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Fn.
Fußnote
Fordham Int’l L. J.
Fordham International Law Journal
XLIV
Abkürzungsverzeichnis
FR
Frankfurter Rundschau
FS
Festschrift
F.Supp.
Federal Supplement
FSIA
Foreign Sovereign Immunities Act
FW
Friedenswarte
GA
Goltdammers’s Archiv für Strafrecht/General Assembly
GA I
I. Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde vom 12.8.1949 (BGBl. 1954 II, S. 783)
GA II
II. Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See vom 12.8.1949 (BGBl. 1954 II, S. 813)
GA III
III. Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 12.8.1949 (BGBl. 1954 II, S. 838)
GA IV
IV. Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12.8.1949 (BGBl. 1954 II, S. 917)
GedS
Gedächtnisschrift
GG
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
ggf.
gegebenenfalls
GLJ
German Law Journal
GMBl.
Gemeinsames Ministerialblatt
GO-EP
Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments (ABl. EU 2003 Nr. L 61, S. 1)
GVG
Gerichtsverfassungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland
GYIL
German Yearbook of International Law
Hdb. IZVR II/1
Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Band II/1
Hk-EMRK
Handkommentar zur Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
HK-StPO
Heidelberger Kommentar zur Strafprozeßordnung
HK-StVR
Heidelberger Kommentar zum Straßenverkehrsrecht
HLKO
Haager Landkriegsordnung (Anlage zum Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18.10.1907; RGBl. 1910, S. 107, 132)
HRLJ
Human Rights Law Journal
HRQ
Human Rights Quarterly
Abkürzungsverzeichnis
XLV
Hrsg.
Herausgeber
Hs.
Halbsatz
HuV-I
Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften
IC
International Conciliation
ICJ-Reports
Reports of Judgements, Advisory Opinions and Orders of the International Court of Justice
ICLQ
International Comparative Law Quarterly
ICLR
International Criminal Law Review
ICTR
International Criminal Tribunal for Rwanda
ICTY
International Criminal Tribunal for the Former Jugoslavia
i.d.F.
in der Fassung
i.e.
id est
IFOR
Implementation Force
IGH
Internationaler Gerichtshof
IJIL
Indian Journal of International Law
IKRK
Internationales Komitee vom Roten Kreuz
ILC
International Law Commission
ILM
International Legal Materials
ILQ
International Law Quarterly
ILR
International Law Reports
IMT
International Military Tribunal (Nürnberg)
IMTFE
International Military Tribunal for the Far East (Tokio)
insb.
insbesondere
IPBPR
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 (BGBl. 1973 II, S. 1534)
IPRax
Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts
ISAF
International Security Assistance Force
i.S.d.
im Sinne des/der
ISGH
Internationaler Seegerichtshof
IStGH
Internationaler Strafgerichtshof
i.S.v.
im Sinne von
i.V.m.
in Verbindung mit
IYHR
Israel Yearbook on Human Rights
JA
Juristische Arbeitsblätter
JBl. RP.
Justizblatt Rheinland-Pfalz
XLVI
Abkürzungsverzeichnis
JICJ
Journal of International Criminal Justice
JMBl. BY
Bayerisches Justizministerialblatt
JMBl. NW
Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen
JR
Juristische Rundschau
Js
Registerzeichen für Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen bestimmte Beschuldigte
Jura
Juristische Ausbildung
JuS
Juristische Schulung
JW
Juristische Wochenschrift
JZ
Juristenzeitung
Kap.
Kapitel
KFOR
Kosovo Force
KG
Kammergericht (Berlin)
KJ
Kritische Justiz
KK-OWiG
Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
KK-StPO
Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung
km
Kilometer
KMR-StPO
Kleinknecht/Müller/Reitberger, Kommentar zur Strafprozeßordnung
KRG
Kontrollratsgesetz
KSZE
Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
KZ
Konzentrationslager
LdR
Lexikon des Rechts
LdR-VR
Lexikon des Rechts, Völkerrecht
LG
Landgericht
lit.
litera
LJIL
Leiden Journal of International Law
LK-StGB
Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch
LNTS
League of Nations Treaty Series
LR-StPO
Löwe/Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz. Großkommentar
LuftVG
Luftverkehrsgesetz
Max Planck UNYB
Max Planck Yearbook of United Nations Law
McGill L. J.
McGill Law Journal
Abkürzungsverzeichnis
XLVII
MDR
Monatsschrift für Deutsches Recht
Mich. J. Int’l L.
Michigan Journal of International Law
Mich. L. Rev.
Michigan Law Review
Mio.
Million
MK-StGB
Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch
MK-ZPO
Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
Nachw.
Nachweis
NATO
North Atlantic Treaty Organisation
NdsRpfl.
Niedersächsische Rechtspflege
NGO
Non-Governmental Organization
NILR
Netherlands International Law Review
NZIR
Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht
NJ
Neue Justiz
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NJW-RR
Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport
NK-StGB
Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch
No.
number
Nr.
Nummer
NS
Nationalsozialismus
NStZ
Neue Zeitschrift für Strafrecht
NStZ-RR
Neue Zeitschrift für Strafrecht – Rechtsprechungsreport
NTS
Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen (NATOTruppenstatut) vom 19.6.1951 (BGBl. 1961 II, S. 1190)
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
NVwZ-RR
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungsreport
NYIL
Netherlands Yearbook of International Law
NZV
Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht
NZWehrr
Neue Zeitschrift für Wehrrecht
NZZ
Neue Zürcher Zeitung
ÖBGBl.
Österreichisches Bundesgesetzblatt
ÖZfAP
Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik
ÖZöR
Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht
XLVIII
Abkürzungsverzeichnis
ÖZöRV
Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht und Völkerrecht
OG
Oberstes Gericht der DDR
OLG
Oberlandesgericht
OVG
Oberverwaltungsgericht
OWiG
Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
para.
Paragraph(en)
PCIJ
Permanent Court of International Justice
PDS
Partei des Demokratischen Sozialismus
PfP-Truppenstatut
Übereinkommen vom 19.6.1995 zwischen den Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrages und den anderen an der Partnerschaft für den Frieden teilnehmenden Staaten über die Rechtsstellung ihrer Truppen (BGBl. 1998 II, S. 1340)
PKW
Personenkraftwagen
RabelsZ
Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht
RdC
Recueil des Cours
RDI
Revue de droit international, de sciences diplomatiques et politiques
Res.
Resolution
RG
Reichsgericht
RGBl.
Reichsgesetzblatt des Deutschen Reiches
RGSt
Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite)
RGZ
Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (zitiert nach Band und Seite)
RidDP
Revue Internationale de Droit Penal
RiStBV
Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren
RIW
Recht der Internationalen Wirtschaft
Rn.
Randnummer
ROW
Recht in Ost und West
RRG
Rechtsprechung des deutschen Reichsgerichts in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite)
RRH-OWiG
Rebmann/Roth/Herrmann, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten. Kommentar
Rs.
Rechtssache
RuP
Recht und Politik
Abkürzungsverzeichnis
XLIX
S.
Seite
SchlHA
Schleswig-Holsteinische Anzeigen
SchwJIR
Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht
SDÜ
Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 19.6.1990 – Schengener Durchführungsübereinkommen – (BGBl. 1993 II, S. 1013)
SED
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
SeeAufgG
Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschiffahrt
SFOR
Stabilization Force
SIA
State Immunity Act
SJZ
Süddeutsche Juristenzeitung
SkAufG
Gesetz über die Rechtsstellung ausländischer Streitkräfte bei vorübergehenden Aufenthalten in der Bundesrepublik Deutschland (Streitkräfteaufenthaltsgesetz)
SK-StGB
Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch
SK-StPO
Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz
Slg.
Sammlung der Rechtsprechung des EuGH und des EuG
SOFA
Status of Forces Agreement
sog.
sogenannt
Sp.
Spalte
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
SRÜ
Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10.12.1982 (BGBl. 1994 II, S. 1799)
SS
Schutzstaffel
StGB
Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland
StIGH
Ständiger Internationaler Gerichtshof
StPO
Strafprozeßordnung der Bundesrepublik Deutschland
StV
Strafverteidiger
StVO
Straßenverkehrsordnung
Suppl.
Supplement
SZ
Süddeutsche Zeitung
L
Abkürzungsverzeichnis
Tb.
Teilband
TV
Vertrag über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland (Truppenvertrag) vom 26.5.1952 i.d.F. des Pariser Protokolls vom 23.10.1954 (BGBl. 1955 II, S. 321)
u.a.
und andere/unter anderem
UdSSR
Union der sozialistischen Sowjetrepubliken
Übers.
Übersetzung
UJs
Registerzeichen für Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen Unbekannt
UN
United Nations
UN-Charta
Charta der Vereinten Nationen vom 26.6.1945 (BGBl. 1973 II, S. 431)
UNDOF
United Nations Disengagement Observer Force
UNEF
United Nations Emergency Force
UNESCO
United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization
UNFICYP
United Nations Peacekeeping Force in Cyprus
UNMIK
United Nations Interim Administration Mission in Kosovo
UNO
United Nations Organization
UNOSOM II
United Nations Operation in Somalia II
UNPROFOR
United Nations Protection Force
UNSCR
United Nations Security Council Resolution
UNTAET
United Nations Transitional Administration in East Timor
UNTS
United Nations Treaty Series
UNYB
Yearbook of the United Nations
US
United States
U.S.
United States Reports
USA
United States of America
USSR
Union of the Socialist Soviet Republics
Va. J. Int’l L.
Virginia Journal of International Law
VandJTL
Vanderbilt Journal of Transnational Law
Verf.
Verfasser
VerwArch
Verwaltungsarchiv
vgl.
vergleiche
VJIL
Virginia Journal of International Law
Abkürzungsverzeichnis
LI
VN
Vereinte Nationen
vol.
volume
VR
Verwaltungsrundschau
VRS
Verkehrsrechts-Sammlung
VStGB
Völkerstrafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland
Wash. U. L. Q.
Washington University Law Quarterly
WEU
Westeuropäische Union
WHO
World Health Organization
wistra
Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht
WRV
Weimarer Reichsverfassung
WStG
Wehrstrafgesetz
WÜD
Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961 (BGBl. 1964 II, S. 959)
WÜK
Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24.4.1963 (BGBl. 1969 II, S. 1585)
WVR
Wörterbuch des Völkerrechts
WVRK
Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.5.1969 (BGBl. 1985 II, S. 926)
YBILC
Yearbook of the International Law Commission
YIHL
Yearbook of International Humanitarian Law
YJIL
Yale Journal of International Law
ZA-NTS
Zusatzabkommen zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen vom 3.8.1959 (BGBl. 1961 II, S. 1218) i.d.F. des Abkommens vom 18.3.1993 (BGBl. 1994 II, S. 2598)
ZaöRV
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
z.B.
zum Beispiel
ZBJV
Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins
Ziff.
Ziffer
ZLW
Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht
ZNR
Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte
ZP I
Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) vom 8.6.1977 (BGBl. 1990 II, S. 1551)
LII
Abkürzungsverzeichnis
ZPO
Zivilprozeßordnung
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
ZStrR
Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht
ZStW
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
ZVglRWiss
Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft
§ 1 Einleitung I. Untersuchungsgegenstand und Ziel der Arbeit Verschiedene Fälle aus jüngerer Zeit machen deutlich, daß Normen des Völkerrechts eine Freistellung bestimmter Funktionsträger von strafrechtlicher Verantwortlichkeit bewirken können, obwohl sämtliche von der Strafrechtsordnung des bestrafungswilligen Staates aufgestellten Voraussetzungen für eine Verfolgung erfüllt sind. In den Gerichtsverfahren, die in den neunziger Jahren im Rahmen der strafjuristischen Reaktion auf das in der DDR begangene Systemunrecht durchgeführt wurden, beriefen sich die angeklagten DDR-Funktionsträger wiederholt darauf, ein bundesdeutsches Gericht dürfe über ihre Taten nicht urteilen, da sie für den Staat DDR gehandelt hätten und somit Immunität genössen. – Das OLG Köln entschied im Jahr 2000, in Deutschland dürfe kein Strafverfahren gegen den damaligen irakischen Staatspräsidenten Saddam Hussein durchgeführt werden, da dieser als amtierendes Staatsoberhaupt Immunität von deutscher Strafgerichtsbarkeit genieße. – Nachdem im Februar 1999 das Wachpersonal des israelischen Konsulats in Berlin mehrere auf dem Konsulatsgrundstück demonstrierende Kurden erschossen hatte, durfte die Berliner Staatsanwaltschaft keine Strafverfahren einleiten, da sich die Israelis auf ihre Immunität beriefen. – Im Februar 1998 starben in Oberitalien Insassen einer Seilbahngondel, nachdem ein US-amerikanischer Pilot mit seinem Militärflugzeug das Tragseil durchschnitten hatte. Aufgrund von Regelungen des NATO-Truppenstatuts konnte die italienische Strafjustiz nicht gegen ihn vorgehen. – Besondere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit fand der Fall Pinochet. Der chilenische Ex-Diktator war im Oktober 1998 in London festgenommen worden, da die spanische Justiz seine Auslieferung beantragt hatte, um ihn wegen seiner Verantwortung für die Ermordung und das Verschwindenlassen spanischer Regimegegner in Chile während der Militärherrschaft vor Gericht zu bringen. Heftig umstritten war, ob Pinochet sich auf diplomatische Immunität, auf Immunität als ehemaliges Staatsoberhaupt oder auf Staatenimmunität berufen könne und somit wegen einer Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit nicht ausgeliefert werden dürfe. Das oberste britische Gericht, das House of Lords, verneinte dies in zwei Entscheidungen. Der Internationale Gerichtshof entschied im Februar 2002 in einem Rechtsstreit zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Belgien, Belgien habe mit der Ausstellung eines Haftbefehls gegen den amtierenden Außenminister der Demokratischen Republik Kongo völkerrechtswidrig gehandelt. Denn amtierende Außenminister genössen nach Völkergewohnheitsrecht vollständige Immunität von der Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten.
2
§ 1 Einleitung
Diese völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit sind Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Ziel der Arbeit ist es, die Bedeutung und Reichweite der verschiedenen völkerrechtlichen Exemtionen – häufig wird synonym von völkerrechtlichen Immunitäten gesprochen – aus spezifisch strafrechtlicher Sicht darzustellen und zu analysieren. Die völkerrechtlichen Exemtionen werden also (nur) insoweit untersucht, als sie für das Strafrecht von Relevanz sind. Immunitäten sind seit jeher im Völkerrecht fest verankert. Die Freistellung von der Strafgerichtsbarkeit, die fremden Staatsoberhäuptern, Diplomaten und Konsularbeamten, Funktionsträgern internationaler Organisationen, Soldaten anderer Staaten, Sonderbotschaftern und weiteren Personengruppen aufgrund völkervertraglicher oder völkergewohnheitsrechtlicher Regeln zukommt, ist nichts grundsätzlich Neues. Doch hat das Recht der völkerrechtlichen Exemtionen vor allem in jüngster Zeit für die Strafrechtspraxis und Strafrechtswissenschaft Bedeutung erlangt. Für diese Entwicklung können verschiedene Gründe angeführt werden. Aufgrund der zunehmenden Intensität der internationalen Zusammenarbeit der Staaten ist die Zahl der staatlichen und internationalen Funktionsträger, die im Auftrag eines Staates bzw. einer internationalen Organisation im Gebiet anderer Staaten tätig sind und dort Exemtionen genießen, stark angestiegen. Die gewachsene Bedeutung der Menschenrechte, die erhöhte Sensibilität für Menschenrechtsverletzungen in aller Welt und der allgemeine Wunsch nach Beendigung der verbreiteten Straflosigkeit der für schwere Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen haben nicht nur zur Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs geführt, sondern auch dazu, daß viele Staaten ihr nationales Strafrecht dahingehend modifiziert haben, daß sie selbst völkerrechtliche Verbrechen und sonstige schwere Menschenrechtsverletzungen möglichst umfassend ahnden können. Solche Taten werden aber in aller Regel von staatlichen Funktionsträgern und damit von Personen begangen, die in der einen oder anderen Weise völkerrechtliche Exemtionen von der Hoheitsgewalt anderer Staaten genießen. Es stellt sich daher sowohl für die nationalen Strafgerichte als auch für internationale Strafgerichtshöfe bei einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger Menschenrechtsverletzungen fast immer auch die Frage, ob völkerrechtliche Exemtionen einer Bestrafung entgegenstehen. Angesichts der gegenwärtigen Entwicklung des Völkerrechts von einer Rechtsordnung, deren höchster Wert die Souveränität und Unabhängigkeit der einzelnen Staaten war, hin zu einem internationalen Rechtssystem, das die Friedenssicherung, den Schutz der Menschenrechte und das Wohl der einzelnen Menschen als primäre Ordnungsaufgaben ansieht, lassen sich Immunitäten, die allein im Interesse eines Schutzes staatlicher Souveränität gewährt werden, vielfach nicht mehr legitimieren. Dies gilt zumindest dann, wenn diese Immunitäten eine strafrechtliche Ahndung völkerrechtlicher Verbrechen, sonstiger schwerer Menschenrechtsverletzungen und
§ 1 Einleitung
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terroristischer Gewaltakte verhindern könnten. Das Völkergewohnheitsrecht hat durch eine Einschränkung des Schutzbereichs völkerrechtlicher Immunitäten auf diese Entwicklung reagiert. Wenn auch bereits recht klare Konturen eines durch Menschenrechte begrenzten Systems völkerrechtlicher Exemtionen erkennbar sind, ist das „neue“ Völkergewohnheitsrecht von einer endgültigen Konsolidierung noch weit entfernt. Daraus resultieren erhebliche Schwierigkeiten bei der Ahndung völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger staatlicher Makrokriminalität. Es erscheint daher sinnvoll, die Materie der völkerrechtlichen Exemtionen einer größeren strafrechtlichen Untersuchung zu unterziehen, in der die gegenwärtige Rechtslage dargestellt, die jüngste Völkerrechtsentwicklung nachgezeichnet und die Legitimationsfähigkeit des geltenden Rechts kritisch hinterfragt wird.
II. Stand der Forschung in Deutschland In der völkerrechtlichen Literatur wird den Regeln über Exemtionen, die zu den ältesten internationalen Rechtsnormen überhaupt gehören, seit jeher größere Aufmerksamkeit gewidmet. Alle Lehrbücher geben einen Überblick über die völkerrechtlichen Exemtionen.1 Doch können solche Gesamtdarstellungen Einzelfragen der Befreiung speziell von strafrechtlicher Verantwortlichkeit nicht nachgehen. Zudem liegt der Darstellung naturgemäß eine rein völkerrechtliche Perspektive zugrunde. Die innerstaatlichen strafrechtlichen Wirkungen der Exemtionen bleiben deshalb unberücksichtigt. Neben den völkerrechtlichen Gesamtdarstellungen gibt es eine größere Zahl von Monographien jüngeren Datums, zumeist Dissertationen, die sich mit völkerrechtlichen Exemtionen befassen. Dabei handelt es sich jedoch durchweg um völkerrechtliche Arbeiten, die sich der untersuchten Problematik mithin gleichfalls aus einer rein völkerrechtlichen Perspektive nähern. Diese Arbeiten beschäftigen sich in aller Regel jeweils nur mit einzelnen Exemtionen,2 etwa der Staatenimmunität3, den diplomatischen und konsularischen Exemtionen4, den Befreiungen für Spe___________ 1 Vgl. beispielhaft Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 252 ff., 272 ff., 310 ff., 452 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 656 ff.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 ff.; Hailbronnner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 46 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1008 ff., 1462 ff.; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 713 ff., 735 ff. 2 Ausnahmen: Bosch, Immunität und internationale Verbrechen (2004); Karl, Völkerrechtliche Immunität im Bereich der Strafverfolgung schwerster Menschenrechtsverletzungen (2003); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger (2000). 3 Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights (1997). 4 Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen (1994); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten und Privilegien (1994).
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zialmissionen5, den Immunitäten für Europol-Bedienstete6 oder den Immunitäten internationaler Richter7. Diese Exemtionen werden entweder in ihrer Bedeutung für alle Rechtsbereiche dargestellt8, also auch für das Zivil- und Verwaltungsrecht, oder aber ausschließlich hinsichtlich ihrer zivilrechtlichen Wirkungen betrachtet9. Spezifisch strafrechtliche Fragestellungen werden in aller Regel nicht oder nur am Rande diskutiert. In jüngster Zeit sind mehrere Arbeiten über die Immunitäten von Staatsoberhäuptern hinzugekommen, die durch die wissenschaftliche Diskussion über den Fall Pinochet motiviert worden sind. Diese untersuchen die hochaktuelle Frage, ob die völkergewohnheitsrechtliche Immunität von Staatsoberhäuptern mittlerweile eine Ausnahme erfährt bei völkerrechtlichen Verbrechen bzw. schweren Menschenrechtsverletzungen.10 Jedoch konzentrieren sich auch diese Monographien auf eine völkerrechtliche Analyse einer einzelnen Exemtion und können nicht als strafrechtliche Arbeiten klassifiziert werden. Die Zahl der Aufsätze, die sich mit völkerrechtlichen Exemtionen befassen, ist, wenn man neben dem deutschsprachigen auch das englischsprachige Schrifttum mit in den Blick nimmt, nahezu unüberschaubar.11 In den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts waren es vor allem die Kodifikationsbemühungen der International Law Commission im Bereich der völkerrechtlichen Exemtionen, die Anlaß zu wissenschaftlicher Reflexion gaben.12 Anfang der achtziger Jahre wurde in Deutschland über den Fall des iranischen „Sonderbotschafters“ Tabatabai debattiert, in dessen Gepäck Rauschgift entdeckt worden war und der sich unter Hinweis auf eine völkerrechtliche Immunität gegen eine Strafverfolgung verwahrte.13 Seit Mitte der neunziger Jahre bestimmt die Frage die wissenschaftliche Diskussion, ob die Immunitäten bei völkerrechtlichen Verbrechen und (sonstigen) schweren Menschenrechtsverletzungen Einschränkungen erfahren. Die Verabschiedung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs im Jahr ___________ Quarch, Völkerrechtliche Immunität der Sondermissionen (1991). Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete? (2003); Voß, Europol (2003). 7 Koster, Immunität internationaler Richter (2002). 8 So etwa Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger (2000); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten und Privilegien (1994). 9 Etwa Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights (1997); Wenckstern, Immunität internationaler Organisationen (1994). 10 Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern (2002); Tangermann, Völkerrechtliche Immunität von Staatsoberhäuptern (2002); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern (2003). 11 Neben den in den nachfolgenden Anmerkungen genannten Beiträgen sei auf folgende „Überblicksaufsätze“ hingewiesen: Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 ff. und Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 ff. 12 Vgl. Bindschedler, SchwJIR 18 (1961), 29 ff.; Herndl, AVR 11 (1963/64), 417 ff.; Lang, ZaöRV 37 (1977), 43 ff.; Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 ff. 13 Siehe Bockslaff/Koch, GYIL 1982, 539 ff.; dies., NJW 1984, 2742 ff.; Engel, JZ 1983, 627 ff. 5 6
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1998 und die Verhaftung Pinochets im selben Jahr führten zu einem sprunghaften Anstieg der Zahl der Veröffentlichungen zur Frage des Verhältnisses von (völkerstrafrechtlichem) Menschenrechtsschutz und Immunitätsgewährleistungen.14 Diese Diskussion hat durch die Entscheidung des IGH im Fall Demokratische Republik Kongo gegen Belgien im Jahr 200215 noch weiteren Auftrieb erfahren.16 Wenn auch ein Teil dieser Aufsätze von (Völker-)Strafrechtlern verfaßt worden ist, so handelt es sich auch bei diesen Beiträgen um völkerrechtliche, nicht um spezifisch strafrechtliche Publikationen. Das Feld der völkerrechtlichen Exemtionen wird also – gerade in jüngster Zeit – intensiv beackert. Arbeiten, die aus dem Blickwinkel eines Staatsanwalts oder Strafrichters geschrieben sind, der vor der Frage steht, inwieweit er an der Durchführung eines Strafverfahrens wegen einer völkerrechtlichen Exemtion gehindert ist, Arbeiten also, die speziell die Frage der strafrechtlichen Wirkungen völkerrechtlicher Exemtionen (mit) in den Blick nehmen, gibt es jedoch nur wenige. Die Strafrechtswissenschaft scheint sich – sieht man einmal von dem recht jungen Teilbereich der Völkerstrafrechtswissenschaft ab, für den ausschließlich die Frage der Geltung von Exemtionen bei Völkerstraftaten von Belang ist – für die strafrechtliche Bedeutung völkerrechtlicher Exemtionen nicht sonderlich zu interessieren.17 Dies war allerdings nicht immer so. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich die deutsche Strafrechtswissenschaft intensiv mit der Frage befaßt, ob völkerrechtliche Immunitäten den persönlichen Geltungsbereich des Strafrechts begrenzen, also materiellrechtlich wirken, oder aber lediglich ein strafprozessuales Vorgehen gegen die geschützten Personen untersagen, also als prozessuale Verfahrenshindernisse einzustufen sind.18 Zu den Exemtionen von Militärangehörigen von ___________ Siehe zum Fall Pinochet nur Ambos, JZ 1999, 16 ff.; ders., JZ 1999, 564 ff.; Bank, ZaöRV 59 (1999), 677 ff.; Wirth, Jura 2000, 76 ff. Aus der Vielzahl von Aufsätzen, die sich mit dem Verhältnis völkerrechtlicher Immunitäten zur Gerichtsbarkeit des IStGH befassen, ist an dieser Stelle hinzuweisen auf Kreß, NStZ 2000, 617 ff. und Wirth, CLF 12 (2001), 429 ff. Zu erwähnen ist ferner, daß die umstrittene Einführung einer Immunität für Europolbedienstete in etlichen Aufsätzen aus zumeist verfassungsrechtlicher Warte kritisch hinterfragt wurde; vgl. etwa Böse, NJW 1999, 2416 ff.; Hailbronner, JZ 1998, 283 ff.; Hirsch, ZRP 1998, 10 ff.; Hölscheidt/Schotten, NJW 1999, 2851 ff. Zudem hat eine Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1998 zur Frage der Immunität eines ehemals in der DDR akkreditierten Botschafters gegenüber der Strafgerichtsbarkeit der Bundesrepublik Anlaß zu kritischen Beiträgen von Völkerrechtlern gegeben; vgl. Beemelmans, NJ 1998, 243 ff.; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 ff.; Faßbender, NStZ 1998, 144 ff. 15 IGH, ILM 41 (2002), 536. 16 Zur IGH-Entscheidung vgl. nur Kreß, GA 2003, 25 ff.; Schultz, ZaöRV 62 (2002), 703 ff.; Weiß, JZ 2002, 696 ff.; Wirth, EJIL 13 (2002), 877 ff.; Zeichen/Hebenstreit, AVR 41 (2003), 182 ff. 17 Zum Teil ist der Thematik sogar mit deutlicher Abneigung begegnet worden. So spricht Sauer, Grundlagen des Prozeßrechts (1929), S. 343 von „höchst unangenehmen Fragen über die rechtliche Stellung der sog. Eximierten“. 18 Siehe etwa Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität (1896); Inganni, Strafrechtliche Exterritorialität der diplomatischen Personen (1921). 14
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deutscher Strafgerichtsbarkeit gibt es mehrere Dissertationen aus den fünfziger und sechziger Jahren.19 Eine gewisse Aufmerksamkeit wurde der Thematik in der Strafrechtswissenschaft erneut im Jahre 1979 zuteil, als sich der XII. Strafrechtskongreß der „Association Internationale de Droit Pénal“ (AIDP) in der IV. Sektion mit dem Thema „Immunität, Exterritorialität und Asylrecht im internationalen Strafrecht“ befaßte. In diesem Kontext entstanden kleinere Publikationen.20 Die Zahl der weiteren Beiträge zur strafrechtlichen Relevanz völkerrechtlicher Exemtionen ist überaus klein.21 Allerdings werden in den Kommentaren zur StPO zumeist auch die §§ 18–21 GVG und damit die gerichtsverfassungsrechtlichen Bestimmungen über die nationale Bedeutung der völkerrechtlichen Exemtionen kommentiert,22 die Spezialkommentare zum GVG befassen sich im Rahmen der Erläuterung der §§ 18–20 GVG auch mit der strafrechtlichen Relevanz völkerrechtlicher Exemtionen,23 in einigen Lehrbüchern zum Allgemeinen Teil des Strafrechts finden sich kursorische Feststellungen zur Bedeutung völkerrechtlicher Exemtionen24 und in den meisten Kommentaren zum StGB sind in den Vorbemerkungen zu den §§ 3–9 StGB (überwiegend sehr kurze) Ausführungen zu völkerrechtlichen Exemtionen enthalten.25 ___________ Schneider, Exterritorialität der Truppen in strafrechtlicher Hinsicht (1964); Strauß, Strafrechtliche Probleme bei der Stationierung von Truppen auf fremdem Hoheitsgebiet (1957) und Witsch, Deutsche Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte (1970). 20 Siehe die Berichte und Entschließungen in ZStW 89 (1977), 298 ff.; ZStW 92 (1980), 1047 ff.; den von Vogler vorgelegten Generalbericht zum Tagungsthema in ZStW 92 (1980), 1021 ff. sowie den vorbereitenden Beitrag von Oehler, ZStW 91 (1979), 395 ff. 21 Hingewiesen werden soll an dieser Stelle auf Jakobs, NStZ 1987, 88 f.; Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht (1985), S. 397 ff.; Oehler, Internationales Strafrecht (1982) (in dieser Gesamtdarstellung zum Internationalen Strafrecht werden auch die durch Exemtionen gezogenen Grenzen deutscher Strafgewalt ausführlich erörtert) und Bloy, Dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe (1976), der unter anderem die strafrechtsdogmatische Einordnung der „völkerrechtlichen Exterritorialität“ untersucht. 22 Siehe LR-StPO-Böttcher; KK-StPO-Pfeiffer; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung. Diese Kommentierungen sind aber zumeist sehr knapp und daher zwingend recht oberflächlich. Zudem sind sie fast alle von Auflage zu Auflage nahezu unverändert übernommen worden und spiegeln damit die moderne Völkerrechtsentwicklung nicht wider. So werden in aller Regel nur die diplomatischen und konsularischen Immunitäten sowie die Straffreistellungen für fremde Militärangehörige dargestellt. Die Staatenimmunität dagegen bleibt überwiegend unbeachtet. 23 Siehe Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz. Die Bemerkungen in Anm. 22 gelten auch für die vorgenannten Werke. 24 Siehe Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 7 Rn. 11 ff.; Jescheck/ Weigend, Lehrbuch, § 19 III. Die Bemerkungen in Anm. 22 gelten auch für diese Werke. 25 Siehe MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 105 ff.; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 38 ff.; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 260 ff., 336 ff.; NK-StGB-Lemke, vor § 3 Rn. 62 ff. Positiv hervorzuheben ist die Kommentierung von Ambos, die als Neukommen19
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Darüber hinaus finden sich in den Lehr- und Handbüchern zum Internationalen Strafrecht bzw. Völkerstrafrecht Ausführungen zur strafrechtlichen Relevanz völkerrechtlicher Exemtionen; jedoch beschränken sich die dortigen Erörterungen auf die Frage, inwieweit diese Exemtionen einer Ahndung völkerrechtlicher Verbrechen entgegenstehen können.26 Die Tatsache, daß sich die Strafrechtswissenschaft der Thematik völkerrechtlicher Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit bislang kaum zugewandt hat, liegt zum einen sicherlich daran, daß immunitätsrechtliche Fragen für die Strafrechtspraxis verglichen mit anderen „Rechtsproblemen“ bislang eine nur marginale Relevanz hatten. Die Zahl der Gerichtsentscheidungen, in denen es um völkerrechtliche Immunitäten ging, ist klein.27 Zum anderen dürfte eine Rolle spielen, daß die Rechtsgrundlagen allesamt dem Völkerrecht angehören. Daher wurde es dieser Disziplin überlassen, den Bereich wissenschaftlich zu bearbeiten. Die Völkerrechtswissenschaft läßt bei ihren Betrachtungen jedoch die innerstaatliche strafrechtliche Wirkung von Exemtionen außer Betracht. Bloy spricht in bezug auf die Immunität von Diplomaten deshalb zu Recht davon, daß das Thema das „typische Schicksal eines Grenzproblems“ erlitten habe. Aus dem Grenzproblem sei ein Randproblem gemacht worden, da weder das Völkerrecht noch das Strafrecht die Exterritorialität in vollem Umfange zu ihrem Rechtsgebiet zählten.28
III. Konzeption der Arbeit und Abgrenzung des Untersuchungsrahmens Es liegt also eine wissenschaftliche Lücke vor, die wenn nicht zu schließen, so doch wenigstens etwas zu verkleinern die vorliegende Arbeit zum Ziel hat. Die Untersuchung versteht sich mithin als eine sowohl völkerrechtliche als auch strafrechtliche Arbeit. In einem weitgefaßten Sinn kann sie als Beitrag zum internationalen Strafrecht eingestuft werden.29 ___________ tierung die jüngste völkerrechtliche Entwicklung rezipiert und als einzige strafrechtliche Kommentierung die Staatenimmunität erläutert und als grundlegende völkerrechtliche Immunität ratione materiae ganz zu Recht an die Spitze der Ausführungen stellt. 26 Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 106 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 14 Rn. 35 f.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 445 ff. 27 Siehe die Aufstellung veröffentlichter deutscher Gerichtsentscheidungen im Anhang. 28 Bloy, Dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe (1976), S. 38. 29 Die Strafrechtswissenschaft ordnet die völkerrechtlichen Regeln über Exemtionen zumeist dem strafrechtlichen Teilgebiet des „Internationalen Strafrechts“ zu. So werden die Exemtionen im Kontext der §§ 3 ff. StGB kommentiert (vgl. die Nachw. in Anm. 25) und enthält die Monographie „Internationales Strafrecht“ von Oehler ein Kapitel, das sich mit Immunität und Exterritorialität befaßt (Kapitel 6, S. 359 ff.). Auch von Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1021 f.) werden die völkerrechtlichen Exemtionen als dem Internationa-
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Es gibt eine Vielzahl verschiedener völkerrechtlicher Exemtionen, die voneinander weitgehend unabhängig sind. Sie beruhen auf unterschiedlichen Rechtsgründen und haben eine unterschiedliche Reichweite. Sie stehen gewissermaßen „nebeneinander“, so daß eine Person in einem konkreten Fall aufgrund mehrerer Exemtionen unverfolgbar sein kann bzw. dann, wenn eine Exemtion nicht einschlägig ist, gleichwohl eine andere Exemtion eine Straffreistellung bewirken kann. Daher werden die verschiedenen Exemtionen zunächst einzeln vorgestellt und hinsichtlich ihrer strafrechtlichen Reichweite analysiert. Daraus folgt eine relative Eigenständigkeit der verschiedenen Teile und Kapitel der Untersuchung, die auch deshalb bewußt angestrebt wurde, um dem Leser angesichts des Umfangs der Arbeit die Möglichkeit zu geben, sich je nach individuellem Interesse auf die Kenntnisnahme einzelner Teile oder Kapitel zu beschränken. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt auf dem Institut der Staatenimmunität, da diese Immunität – was ihre strafrechtliche Wirkung angelangt – nicht völkervertraglich normiert ist, ihre Voraussetzungen und Grenzen im Hinblick auf das Strafrecht auch deshalb vielfach verkannt werden und diese Exemtion von der deutschen Strafrechtswissenschaft bislang nahezu unbeachtet geblieben ist.30 Von der Vielzahl der weiteren völkerrechtlichen Befreiungen haben die diplomatischen und konsularischen Exemtionen – wie auch die im Anhang wiedergegebenen deutschen Gerichtsentscheidungen zeigen – die größte Relevanz für die Strafrechtspraxis. Zudem haben diese völkerrechtshistorisch betrachtet ersten Exemtionen eine enorme Vorbildwirkung für Befreiungen in anderen Bereichen entfaltet, etwa im Bereich der internationalen Organisationen und der Spezialmissionen. Daher wird auch auf die diplomatischen und konsularischen Exemtionen ein besonderes Augenmerk gerichtet. Aber auch die Exemtionsbestimmungen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder, Sonderbotschafter, Funktionsträger internationaler Organisationen und fremde Militärangehörige sowie die Befreiungen in bezug auf Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge sind in die Untersuchung einbezogen, da auch im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Strafjustiz etliche offene Rechtsfragen existieren. Neben der Darstellung und Analyse der verschiedenen völkerrechtlichen Exemtionen wird erörtert, inwieweit de lege ferenda Änderungen dieser Institute erforderlich sind, um einerseits den nötigen Schutz der betroffenen Personen zu gewährleisten, andererseits aber die möglichst umfassende Anwendbarkeit des Strafrechts, gerade im Hinblick auf schwere Menschenrechtsverletzungen, sicherzustellen. Die Frage der Reichweite völkerrechtlicher Exemtionen bei schweren Menschenrechts___________ len Strafrecht zugehörig betrachtet. Er spricht zudem von einer „Nahtstelle zwischen Völkerrecht und Strafrecht“. 30 Von den in den Anm. 20–25 aufgeführten deutschen strafrechtlichen Kommentaren, Lehrbüchern und Aufsätzen erläutert lediglich MK-StGB-Ambos die strafrechtliche Bedeutung der Staatenimmunität. Alle anderen Werke erwähnen sie entweder gar nicht oder lediglich mit wenigen Worten.
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verletzungen, namentlich bei völkerrechtlichen Verbrechen, ist daher ein weiterer Schwerpunkt der Untersuchung. Die Arbeit ist nicht nur aus einem strafrechtlichen sondern – überwiegend – auch aus einem deutschen Blickwinkel geschrieben worden. Es geht in erster Linie darum, die Bedeutung der völkerrechtlichen Exemtionen für das deutsche Strafrecht und die Durchführung eines deutschen Strafverfahrens aufzuzeigen. Daher wird im Anschluß an die Einzelanalyse der verschiedenen Exemtionen einheitlich für alle betrachteten personenbezogenen Befreiungen der Frage nach ihrer dogmatischen Einordnung in das deutsche Strafrechtssystem sowie der Frage nach ihren strafprozessualen Wirkungen nach deutschem Recht nachgegangen. Es gilt, sich einigen in Deutschland umstrittenen strafrechtlichen Aspekten zuzuwenden. So ist in der deutschen Strafrechtswissenschaft umstritten, ob es sich bei den Exemtionen um materielle Strafausschließungsgründe oder um prozessuale Strafverfahrenshindernisse handelt. Diese Frage ist von großer Bedeutung für die Rechtspraxis, da von ihrer Beantwortung beispielsweise abhängt, ob bei der Feststellung völkerrechtlicher Exemtionen der Grundsatz in dubio pro reo gilt und auf welche Art über das Vorliegen einer Exemtion Beweis zu erheben ist (Freibeweis oder Strengbeweis). Umstritten ist ferner, ob ein unter Mißachtung einer völkerrechtlichen Exemtion ergangenes Urteil Rechtswirkung zu entfalten vermag und ob die Gerichte selbständig über das Vorliegen einer Exemtion befinden dürfen. Der „deutsch-strafrechtliche“ Blickwinkel war auch maßgeblich für die Auswahl der ausgewerteten Literatur und Rechtsprechung. Die veröffentlichte deutsche Rechtsprechung zur strafrechtlichen Relevanz völkerrechtlicher Exemtionen ist vollständig erfaßt und ausgewertet worden; gleiches gilt für die einschlägige deutsche Literatur. Berücksichtigt worden ist auch die ausländische und internationale Rechtsprechung sowie englischsprachige Literatur; dies allerdings nur insoweit, als sie auch für die deutsche Rechtsanwendung von besonderer Bedeutung ist. In einer Beziehung aber wird die Fokussierung auf das deutsche Recht durchbrochen: Im Kontext der Analyse der einzelnen Exemtionen wird auch danach gefragt, inwieweit diese der Gerichtsbarkeit der internationalen Strafgerichtshöfe, also der Gerichtsbarkeit der UN-Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda sowie der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs, Schranken zu setzen vermögen.
IV. Terminologische Vorbemerkungen 1. Begriffsvielfalt Für die völkerrechtlichen Befreiungen von staatlicher bzw. supranationaler Strafgewalt, die staatlichen und internationalen Funktionsträgern sowie den diesen zu-
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geordneten Sachgütern aus zumeist völkerrechtspolitischen, jedenfalls aber strafrechtsfremden Gründen zu gewähren sind, werden die unterschiedlichsten Bezeichnungen verwendet. So gehören in den hier interessierenden Zusammenhang die Begriffe „Immunität“, „Exemtion“ oder „Exemption“, „Exterritorialität“, „Unverletzlichkeit“, „Act of State-Doktrin“, „Theorie der Hoheitsakte“ und „völkerrechtliche Befreiungen“. Der Begriff der Immunität wird noch mit verschiedenen Zusätzen versehen, um zwischen unterschiedlichen Arten völkerrechtlicher Immunitäten zu differenzieren: „persönliche“ oder auch „personale“ Immunität, „funktionale“ oder auch „funktionelle“ Immunität, Immunität „ratione personae“ und Immunität „ratione materiae“, „diplomatische“ und „konsularische“ Immunität, „Amtsimmunität“, Immunität „als Staatsorgan“ und „Staatenimmunität“. Zu dieser terminologischen Vielfalt tritt hinzu, daß die verschiedenen Begriffe in aller Regel nicht als Synonyme verstanden werden, sondern mit ihnen zumeist unterschiedliche und verschieden weit reichende Befreiungen gekennzeichnet werden. Würde jeder der verschiedenen Begriffe vom Schrifttum und von der Rechtsprechung einheitlich für eine ganz bestimmte Rechtsregel gebraucht, so könnte man die Vielfalt als Beweis für die hohe juristische Kunst der sprachlichen Differenzierung und terminologischen Präzision sehen. Doch leider ist der Sprachgebrauch im Schrifttum weit von einer Einheitlichkeit entfernt.31 So werden zum Teil die Begriffe „Exemtion“ und „Immunität“ für Befreiungen verwendet, die bestimmten Personen zustehen, für sachbezogene Befreiungen dagegen die Bezeichnung „Exterritorialität“ benutzt.32 Andere Autoren sprechen von Immunität, wenn sie Befreiungen meinen, die lediglich als prozessuale Verfahrenshindernisse wirken, dagegen von Exemtion, wenn es um Normen geht, die – ihrer Meinung nach – materiell-strafrechtliche Wirkungen entfalten.33 Wieder andere verwenden die Begriffe „Immunität“, „Exemtion“ und „Exterritorialität“ synonym.34 Daher sollen an dieser Stelle die verschiedenen Begriffe auf der Basis des in der Völkerrechtswissenschaft vorherrschenden Begriffsverständnisses klar definiert und voneinander abgegrenzt werden.
___________ So auch die Feststellung von Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 1; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1026); MK-ZPO-Wolf, vor §§ 18-20 GVG Rn. 2. 32 So z.B. Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, vor § 18 GVG Rn. 1; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (395); Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1027). 33 Beispielsweise Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 44; LK-StGB-Tröndle (10. Aufl. 1985), vor § 3 Rn. 74. 34 So etwa BL-ZPO-Albers, Einl. §§ 18-20 GVG Rn. 1; MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 105; LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 1; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 1. 31
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2. Begriffsdefinitionen a) Exemtion als Oberbegriff Als Oberbegriff für sämtliche völkerrechtliche Befreiungen staatlicher und internationaler Funktionsträger sowie diesen zugeordnete Sachgüter von staatlicher bzw. supranationaler Strafgewalt soll der Begriff „Exemtion“ verwendet werden.35 Dieser wird zwar nur noch selten gebraucht (vor allem in der Schreibweise „Exemption“), dafür aber besteht nicht die Gefahr, daß mit ihm assoziativ bestimmte Rechtsfolgen verbunden werden oder mit ihm nur ein kleiner Teilbereich des Gesamtkomplexes der völkerrechtlichen Befreiungen assoziiert wird. Eine erste Differenzierung ist vorzunehmen zwischen sachbezogenen Exemtionen und personenbezogenen Exemtionen. b) Sachbezogene Exemtionen Die sachbezogenen Exemtionen untersagen ein strafrechtliches Vorgehen in bestimmten Räumlichkeiten oder gegenüber bestimmten Objekten. Als sachbezogene Befreiungen können beispielhaft das Verbot des Betretens der Räumlichkeiten diplomatischer Missionen nach Art. 22 Abs. 1 WÜD und das Verbot der Beschlagnahme der Archive einer diplomatischen Mission nach Art. 24 WÜD genannt werden. Den sachbezogenen Exemtionen von Räumlichkeiten ist gemeinsam, daß sie ein strafrechtliches Vorgehen in den geschützten Räumen unabhängig davon untersagen, gegen welche Person eine Maßnahme gerichtet werden soll. Von den sachbezogenen Exemtionen profitieren damit gegebenenfalls auch Personen, die selbst keinerlei personenbezogene Exemtionen genießen. Für die sachbezogenen Exemtionen von Räumlichkeiten und Gegenständen wird im folgenden im Einklang mit der völkerrechtlichen Terminologie der Begriff „Unverletzlichkeit“ (inviolability) benutzt.36 Eine Verwendung des Begriffs „Exterritorialität“, der heutzutage zumeist allein als Synonym für die Unverletzlichkeit von Räumlichkeiten und Gegenständen benutzt wird, soll dagegen unterbleiben, da dieser zu der verfehlten Annahme verlei___________ Der Begriff „Exemtion“ ist abgeleitet vom lateinischen „exemptio“ und steht ebenso wie das lateinische Wort im allgemeinen Sprachgebrauch für „Befreiung von bestimmten Lasten oder Pflichten“. 36 Der Begriff der Unverletzlichkeit in völkerrechtlichen Verträgen hat allerdings auch noch eine zweite, hier jedoch nicht interessierende Dimension: Wenn eine Unverletzlichkeit einer Räumlichkeit oder eines Gegenstands normiert ist, so folgt daraus nicht nur (gewissermaßen negativ), daß der Adressat der Norm von einem hoheitlichen Eingreifen in den geschützten Räumlichkeiten bzw. gegen die geschützten Gegenstände Abstand zu nehmen hat, sondern zudem (positiv), daß diesem die Pflicht auferlegt ist, die Räumlichkeiten und Gegenstände gegen Beeinträchtigungen von seiten Dritter (etwa durch private Bürger) zu schützen. Siehe hierzu näher unten § 16 I.1. 35
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tet, die geschützten Räumlichkeiten und Gegenstände seien als außerhalb des Hoheitsgebiets des zur Exemtionsgewährung verpflichteten Staates befindlich anzusehen und daher dessen Zugriffskompetenz entzogen.37 c) Personenbezogene Exemtionen Als personenbezogene Exemtionen werden hier die Befreiungen bezeichnet, die staatlichen und internationalen Funktionsträgern zuerkannt werden, die also eine strafrechtliche Inanspruchnahme von Personen untersagen. Hierzu zählt beispielsweise die Immunität der Diplomaten nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD, aber auch deren Befreiung von den Zeugenpflichten nach Art. 31 Abs. 2 WÜD oder das Verbot einer Festnahme von Konsularbeamten nach Art. 41 Abs. 1 WÜK. Hinsichtlich der personenbezogenen Exemtionen ist zwischen drei Arten von Befreiungen zu unterscheiden: zwischen (1.) einer Befreiung von Zeugenpflichten, (2.) einer (persönlichen) Unverletzlichkeit und (3.) einer Immunität. aa) Befreiung von den Zeugenpflichten Eine Befreiung von Zeugenpflichten bedeutet, daß die bevorrechtigte Person nicht zu einer aktiven Mitwirkung als Zeuge, also als Nichtbeschuldigter, in einem gegen eine andere Person durchgeführten Strafverfahren angehalten werden darf. In welchem Umfang eine solche Exemtion besteht, hängt von ihrer konkreten völkervertraglichen Ausgestaltung ab. Zum Teil wird lediglich ein auf dienstliche Angelegenheiten beschränktes Auskunftsverweigerungsrecht normiert (etwa in Art. 44 Abs. 1 Satz 2 WÜK). Andere Regelungen sehen ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht vor, das die exemte Person aber von sich aus als Recht geltend ma___________ 37 Der Begriff „Exterritorialität“ ist eine Abwandlung von ex terra – „aus der Erde“. Diese Bezeichnung stammt noch aus der Zeit, als man Exemtionen rechtskonstruktiv damit begründete, die bevorrechtigten Personen oder Räumlichkeiten seien als außerhalb des Staatsgebiets des zur Exemtionsgewährung verpflichteten Staates befindlich anzusehen, womit sie wegen des Grundsatzes, daß Staaten nur innerhalb ihres Staatsgebiets Hoheitsgewalt ausüben dürfen, dieser entzogen seien. Heute sind derartige Fiktionen zu verwerfen; die Immunitäten können unmittelbar aus ihrer Funktion heraus begründet werden. Vgl. Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (400 f.). Siehe aber auch Bloy, Dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 42, der betont, im mittelalterlichen Sprachgebrauch sei der Begriff „territorium“ nicht räumlich, sondern im Sinne von „Jurisdiktionsbefugnis“ verstanden worden. Von dem im Zusammenhang mit völkerrechtlichen Befreiungen von staatlicher Hoheitsgewalt verwendeten Terminus der „Exterritorialität“ ist zudem der Begriff „extraterritorial“ abzugrenzen. Letzterer findet in der deutschen Strafrechtswissenschaft im Bereich des Strafrechtsanwendungsrechts Verwendung; als „extraterritoriale Strafgewalt“ wird die Erstreckung des Geltungsbereichs des eigenen nationalen Strafrechts eines Staates auf im Ausland begangene Taten bezeichnet. Im angloamerikanischen Sprachraum dagegen werden die Begriffe „exterritoriality“ und „extraterritoriality“ synonym gebraucht und stehen jeweils für völkerrechtliche Exemtionen im oben beschriebenen allgemeinen Sinne.
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chen muß, das der verpflichtete Staat mithin nur dann beachten muß, wenn es in Anspruch genommen wird (etwa Art. 31 Abs. 2 WÜD). bb) Persönliche Unverletzlichkeit Als (persönliche) Unverletzlichkeit (inviolability) wird – wiederum im Einklang mit der in den einschlägigen völkerrechtlichen Verträgen verwendeten Terminologie – das Verbot bezeichnet, gegen eine exemte Person (strafprozessuale) Zwangsmaßnahmen zu ergreifen.38 Ein solches Verbot ist unabhängig davon, ob die Maßnahme im Rahmen eines gegen die betreffende Person als Beschuldigte durchgeführten Strafverfahrens ergriffen oder die Person als Nichtbeschuldigte in Anspruch genommen werden soll. Auch die persönliche Unverletzlichkeit kann unterschiedlich ausgestaltet sein. Zum Teil ist lediglich ein Verbot der Verhaftung und Inhaftierung festgelegt, das einem kurzfristigen Festhalten zum Zweck einer Personenkontrolle nicht entgegensteht, zum Teil eine umfassende Unverletzlichkeit normiert, die jegliches mit körperlichem Zwang verbundene Vorgehen untersagt. cc) Immunität Der Begriff „Immunität“ (immunity) ist im strafrechtlichen Kontext dahingehend zu verstehen, daß die berechtigten Personen nicht als Beschuldigte strafrechtlich in Anspruch genommen werden dürfen. Eine Immunität verbietet es dem verpflichteten Staat bzw. dem verpflichteten internationalen Gericht, ein Strafverfahren gegen die bevorrechtigte Person einzuleiten und durchzuführen, im Rahmen eines solchen Verfahrens Zwangsmaßnahmen gegen die immune Person zu ergreifen, ein Urteil zu verhängen und eine Strafe zu vollstrecken. In diesem Sinne wird der Begriff „Immunität“ auch in den einschlägigen völkerrechtlichen Verträgen verwendet. Dem vielfach anzutreffenden Sprachgebrauch, nach dem alle personenbezogenen Exemtionen unter dem Begriff „Immunität“ vereint werden,39 soll hier nicht gefolgt werden, da damit die sachliche Differenzierung, die die einschlägigen völkerrechtlichen Verträge zwischen Immunitäten, Unverletzlichkeitsgewährleistungen und Befreiungen von den Zeugenpflichten vornehmen, ohne Not verdeckt wird.40 ___________ Auch insoweit, als der Begriff der Unverletzlichkeit in völkerrechtlichen Verträgen auf Personen bezogen wird, bedeutet er nicht nur eine Freistellung von staatlicher Zwangsgewalt (negative Unverletzlichkeit; vgl. z.B. Art. 29 Satz 2 WÜD), sondern ist zugleich im Sinne eines Gebots gemeint, die betreffende Person vor Übergriffen Dritter zu schützen (positive Unverletzlichkeit; vgl. z.B. Art. 29 Satz 3 WÜD). 39 Vgl. die Nachw. oben in Anm. 32. 40 Wenn dennoch im Untertitel dieser Arbeit das Wort „Immunität“ enthalten ist, so liegt dies allein daran, daß dieser Begriff der für die Thematik geläufigste ist und seine Verwendung im Titel damit ein Auffinden des Werks bei einer Recherche nach Stichworten in elektronischen Datenbanken erleichtert. 38
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Völkerrechtliche Immunitäten werden gemeinhin in zwei große Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe wird als Immunitäten ratione personae, die andere als Immunitäten ratione materiae bezeichnet. Erstere werden synonym auch „persönliche“ oder „personale“ Immunitäten genannt, als Synonym für letztere sind die Begriffe „funktionale“ bzw. „funktionelle“ Immunität und „Amtsimmunität“ geläufig. Als Immunität ratione personae bezeichnet man eine Immunität, die eine Person vollumfänglich von der Strafgerichtsbarkeit des zur Exemtionsgewährung verpflichteten Völkerrechtssubjekts befreit.41 Eine Person, der Immunität ratione personae zukommt, genießt also unabhängig vom Charakter der ihr vorgeworfenen Tat Immunität, so daß es keinen Unterschied macht, ob die Tat als Privathandlung oder als in dienstlicher Funktion für ein anderes Völkerrechtssubjekt begangene Diensthandlung zu klassifizieren ist. Eine Immunität ratione personae ist beispielsweise die Immunität, die Diplomaten nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD genießen.42 Unter einer Immunität ratione materiae dagegen wird eine Immunität verstanden, die eine Person lediglich im Hinblick auf bestimmte, für ein Völkerrechtssubjekt vorgenommene dienstliche Handlungen genießt. Eine Immunität ratione materiae knüpft also nicht an die Person des Begünstigten an, sondern an den Charakter der von ihr vorgenommenen Handlungen. Eine Person, die Immunität ratione materiae genießt, kann von dem zur Immunitätsgewährung verpflichteten Völkerrechtssubjekt für diejenigen dienstlichen Handlungen, die sie für ein anderes Völkerrechtssubjekt vorgenommen hat und die in den Schutzbereich der Immunität fallen, nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Einer Ahndung von „Privathandlungen“ stehen die Immunitäten ratione materiae nicht im Wege.43 Schon die benutzen Wendungen „bestimmte dienstliche Handlungen“ und „Handlungen, die in den Schutzbereich der Immunität fallen“, zeigen auf, daß sich auch hinter dem Begriff der Immunität ratione materiae kein einheitliches Rechtsinstitut verbirgt. Dies wird zwar in der wissenschaftlichen Literatur vielfach behauptet,44 doch wird die Untersuchung nachweisen können, daß auch der Begriff ___________ 41 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 679; Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (976); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 449; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (432). 42 Vereinzelt wird dagegen angenommen, Immunitäten ratione personae gälten für den privaten Lebensbereich der begünstigten Person, erfaßten also nur „Privattaten“. So etwa BVerfGE 96, 68 (80) = NJW 1998, 50 (51); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (576). Damit aber sind Mißverständnisse vorprogrammiert. Denn ganz überwiegend wird der Begriff der Immunität ratione personae im oben skizzierten Sinne gebraucht. 43 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 679; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 448; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (431 f.). 44 Vgl. nur Cassese, International Criminal Law, S. 264 ff.; ders., International Law, S. 114; Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (975 ff.); Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (70, 74 f., 96 f. m.w.N. in Fn. 24 ff. und Fn. 95 ff.); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 446 ff.
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der Immunität ratione materiae nur eine Sammelbezeichnung für eigenständige, auf unterschiedlichen Rechtsgründen beruhende Immunitäten ist, die nicht mehr vereint, als daß sie auf bestimmte dienstliche Handlungen bezogen sind. Eine Immunität ratione materiae ist die Staatenimmunität (State Immunity), aufgrund deren hoheitlich-dienstliche Handlungen für einen Staat unabhängig vom Status und der Funktion des Handelnden der Gerichtsbarkeit anderer Staaten entzogen sind. Die Staatenimmunität wird auch als „Theorie der Hoheitsakte“45 oder „Immunität als Staatsorgan“46 bezeichnet. Vielfach wird als Synonym auch der Begriff „Act of State-Doktrin“ verwendet,47 doch begegnet dieser Bedenken, da auch die im anglo-amerikanischen Rechtskreis verbreitete These, es sei den Staaten untersagt, die Rechtmäßigkeit fremdstaatlicher Hoheitsakte in Frage zu stellen, Act of State-Doktrin genannt wird. Die Begriffe „diplomatische Immunitäten“ und „konsularische Immunitäten“ werden in dieser Untersuchung nur als Sammelbezeichnungen für die Immunitäten verwendet, die nach dem WÜD und dem WÜK den Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen sowie deren Angehörigen zustehen. In der Literatur wird der Begriff „diplomatische Immunität“ allerdings zum Teil als Synonym für Immunität ratione personae benutzt, weil Diplomaten in aller Regel (nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD) umfassende Immunität ratione personae genießen. Doch ist mit diesem Sprachgebrauch die Gefahr des Mißverständnisses verbunden, da nach dem Recht der diplomatischen Beziehungen, wie es im WÜD kodifiziert ist, einige Personen – auch Diplomaten – lediglich Immunität für Diensthandlungen, also Immunität ratione materiae, genießen (vgl. Art. 37 Abs. 3 und Art. 38 Abs. 1 WÜD).
___________ 45 46 47
So z.B. Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 14 III. 3. BVerfGE 96, 68 (91) = NJW 1998, 50 (54). Vgl. nur Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (251 ff.); Jescheck, GA 1981, 49 (54 f.).
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d) Graphische Darstellung der begrifflichen Differenzierung Die im vorstehenden entfaltete begriffliche Differenzierung kann auch graphisch dargestellt werden: Völkerrechtliche Exemtionen
Personenbezogene Exemtionen
Immunitäten
Persönliche Unverletzlichkeit
Immunitäten ratione personae
Beispiel: Immunität für Diplomaten nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD
Sachbezogene Exemtionen
Befreiung von den Zeugenpflichten
Immunitäten ratione materiae
Beispiel: Immunität für amtierende Staatsoberhäupter
Verschiedene Immunitäten mit unterschiedlicher Reichweite!
Beispiel: Staatenimmunität für hoheitlichdienstliche Handlungen
Beispiel: Immunität für konsularische Diensthandlungen nach Art. 43 Abs. 1 WÜK
Verschiedene Immunitäten mit unterschiedlicher Reichweite!
V. Gang der Untersuchung In Teil 1 der Untersuchung wird der Geltungsgrund der völkerrechtlichen Exemtionsbestimmungen erläutert, also der Frage nachgegangen, warum die dem Völkerrecht zugehörigen Exemtionen für die bundesdeutschen Strafverfolgungsorgane
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unmittelbar beachtlich sind (§ 2). Daneben werden die einschlägigen gerichtsverfassungsrechtlichen Grundlagen erörtert (§ 3). Teil 2 (§§ 4–10) der Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, welche Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit sich aus der Staatenimmunität ergeben. Im Anschluß an eine allgemeine Einführung in die (strafrechtliche) Relevanz der Staatenimmunität (§§ 4 und 5) wird schwerpunktmäßig untersucht, bei welchen Arten von Taten Ausnahmen von diesem Immunitätsschutz anerkannt sind. Namentlich geht es dabei um völkerrechtliche Verbrechen und sonstige schwere Menschenrechtsverletzungen (§ 6) sowie um Spionage und geheimdienstliche Gewalttaten (§ 7). Die für die Bundesrepublik im Rahmen der strafrechtlichen Reaktion auf das DDR-Systemunrecht bedeutsam gewordene Frage, ob die Staatenimmunität im Fall einer Staatensukzession die Strafverfolgungskompetenzen des Nachfolgestaates begrenzt, wird gesondert erörtert (§ 8). Gleiches gilt für Frage, welche Bedeutung die Staatenimmunität für die Gerichtsbarkeit der UN-Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda sowie des Internationalen Strafgerichtshofs hat (§ 9). In ihrer Wirkung als strafrechtliche Exemtion wird die Staatenimmunität abgegrenzt von der Act of State-Doktrin (§ 10). In Teil 3 (§§ 11–16) der Untersuchung werden die diplomatischen und konsularischen Exemtionen auf ihre strafrechtliche Relevanz hin analysiert. Zunächst wird die historische Entwicklung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen skizziert (§ 11), danach werden mit dem WÜD und dem WÜK die wohl bedeutendsten Verträge im Bereich der völkerrechtlichen Exemtionen vorgestellt (§ 12). Anschließend wird dargelegt, welche Reichweite die diplomatischen und konsularischen Exemtionen im Empfangsstaat der Auslandsvertreter haben (§ 13), wobei der für das (Völker-)Strafrecht wichtigen und gegenwärtig diskutierten Frage, ob diese Exemtionen auch bei völkerrechtlichen Verbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen gelten, gesondert nachgegangen wird (§ 14). Erörtert wird zudem, welche Rolle die diplomatischen und konsularischen Exemtionen für Drittstaaten und für die Gerichtsbarkeit der Internationalen Strafgerichtshöfe spielen (§ 15). Teil 3 der Arbeit schließt mit einem Blick auf sonstige Aspekte dieser Exemtionen ab; dabei geht es vor allem um die strafrechtliche Relevanz sachbezogener Exemtionen wie der Unverletzlichkeit von Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen (§ 16). In Teil 4 (§§ 17–21) werden dann die übrigen völkerrechtlichen Exemtionen ins Blickfeld genommen. Dies sind zunächst die Befreiungen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder. Hierbei geht es vor allem um die seit dem Fall Pinochet heftig diskutierte und auch nach der Entscheidung des IGH im Rechtsstreit zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Belgien noch nicht endgültig geklärte Frage, ob amtierende bzw. ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder völkerrechtlichen Schutz selbst vor einer Strafverfolgung wegen von ihnen zu verantwortender völkerrechtlicher Verbrechen genießen. Es wird der Versuch gemacht, den gegenwärtigen Stand des Völkergewohnheitsrechts im Bereich der
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Immunität für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder aufzuzeigen. Zudem soll eine völkerrechtskonforme und interessengerechte Lösung eines bei allen Exemtionen auftretenden, bei der Immunität von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern aber in besonderer Schärfe zu Tage tretenden Konflikts skizziert werden: des Konflikts zwischen staatlichen Souveränitätsinteressen und dem Gebot der Sicherung der völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit der Staaten einerseits und andererseits dem im Interesse der gesamten Menschheit liegenden Ziel, eine Straflosigkeit der für völkerrechtliche Verbrechen Verantwortlichen zu verhindern (§ 17). Aber auch die Exemtionen für Sondermissionen (§ 18), die Befreiungen im Bereich der internationalen Organisationen (§ 19), die Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte (§ 20) sowie die Exemtionen von Besatzungsmitgliedern und Passagieren von Staatsschiffen und Staatsluftfahrzeugen (§ 21) werden auf ihre strafrechtliche Bedeutung hin untersucht. In Teil 5 (§§ 22–24) wird der Frage nach dem Standort und den Wirkungen der völkerrechtlichen Exemtionen im deutschen Strafrecht nachgegangen. Dabei gilt es zum einen zu klären, ob die völkerrechtlichen Immunitäten eine materiellrechtliche Wirkung haben, etwa einen persönlichen Strafbefreiungsgrund darstellen, oder ob sie „lediglich“ prozessual wirken, indem sie ein Verfahrenshindernis begründen (§ 22). Zum anderen ist zu erörtern, wie in einem Strafverfahren strafprozessual zu reagieren ist, wenn die Frage im Raum steht, ob und inwieweit eine bestimmte Person eine völkerrechtliche Exemtion genießt bzw. das Vorliegen einer Exemtion feststeht (§ 23). Auch auf die Bedeutung der völkerrechtlichen Exemtionen für das Recht der Ordnungswidrigkeiten wird eingegangen (§ 24). Im letzten Teil, dem Teil 6 (§ 25), werden die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung zusammengefaßt und vor dem Hintergrund des Ziels, einerseits durch völkerrechtliche Exemtionen für staatliche und internationale Funktionsträger das für die Friedenssicherung und den weltweiten Schutz der Menschenrechte unentbehrliche Funktionieren der internationalen Beziehungen sicherzustellen, andererseits aber auch die Verfolgung und Ahndung von Straftaten möglichst umfassend zu ermöglichen, einer abschließenden rechtspolitischen Bewertung unterzogen.
Teil 1
Geltungsgrund der völkerrechtlichen Exemtionen und gerichtsverfassungsrechtliche Grundlagen § 2 Geltungsgrund der völkerrechtlichen Exemtionen I. Quellen des Völkerrechts Hinsichtlich des Geltungsgrundes der völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit ist zwischen den verschiedenen Quellen des Völkerrechts, die nach vorherrschender Auffassung abschließend in Art. 38 Abs. 1 IGHStatut aufgeführt sind,1 zu differenzieren. Als erste Rechtsquelle nennt Art. 38 Abs. 1 lit. a) IGH-Statut „internationale Übereinkünfte“, womit multilaterale und bilaterale Verträge zwischen Staaten bzw. Staaten und internationalen Organisationen gemeint sind.2 Eine Reihe völkerrechtlicher Exemtionen ist in solchen vertraglichen Vereinbarungen normiert. Dies gilt etwa für die diplomatischen und konsularischen Exemtionen, die im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD) von 19613 und im Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK) von 19634 festgelegt sind, aber auch für die vielen Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen5 sowie für die Befreiungen von Militärangehörigen, die im Gebiet eines fremden Staates mit dessen Einverständnis dienstlich tätig sind.6 Die zweite Rechtsquelle, auf die Art. 38 Abs. 2 lit. b) IGH-Statut Bezug nimmt, ist das „internationale Gewohnheitsrecht“, also das Völkergewohnheitsrecht.7 Nach wie vor sind viele völkerrechtliche Normen nicht schriftlich (das heißt – wegen des ___________ Vgl. allgemein zu den Rechtsquellen des Völkerrechts Doehring, Völkerrecht, Rn. 270 ff.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 28 ff.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 97 ff.; Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rn. 113 ff. 2 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 272, 327 ff.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 101, 108; Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rn. 113. 3 BGBl. 1964 II, S. 957. Internationale Quelle: UNTS 500, 95. 4 BGBl. 1969 II, S. 1585. Internationale Quelle: UNTS 596, 261. 5 Vgl. zu den Rechtsquellen der Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen unten § 19 I.2. 6 Vgl. diesbezüglich unten § 20 III.–V. 7 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 273; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 101, 237; Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rn. 131. 1
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Teil 1: Geltungsgrund und gerichtsverfassungsrechtliche Grundlagen
kooperativen Charakters des Völkerrechts – nicht völkervertraglich) fixiert, sondern gelten allein gewohnheitsrechtlich. Das Völkergewohnheitsrecht wird in Art. 38 Abs. 2 lit. b) IGH-Statut definiert als „Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung“. Es besteht mithin aus zwei konstitutiven Elementen, einer Rechtsüberzeugung (opinio iuris, subjektives Element) und einer Übung (consuetudo, objektives Element). Völkergewohnheitsrechtliche Normen sind demnach Normen, die entstanden sind durch eine – regelmäßig aber nicht notwendig längere – einheitliche Beachtung durch die Völkerrechtssubjekte (tatsächliche Übung), wobei diese Übung getragen sein muß von einer Überzeugung, von Rechts wegen zu diesem Verhalten verpflichtet zu sein (Rechtsüberzeugung).8 Viele der nachfolgend zu analysierenden völkerrechtlichen Exemtionen gelten ausschließlich völkergewohnheitsrechtlich. Dies gilt etwa für die Staatenimmunität,9 für die Exemtionen von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern10 sowie für die Befreiungen von Mitgliedern von Spezialmissionen11. Als dritte Rechtsquelle des Völkerrechts nennt Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut die „von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze“. Als – praktisch subsidiäre – Rechtsquelle des Völkerrechts werden nach dieser Vorschrift solche allgemeinen Rechtsgrundsätze des innerstaatlichen Rechts angesehen, die in den verschiedenen Staaten12 weitestgehend übereinstimmend gelten. Es handelt sich also nicht um originäre Rechtssätze des Völkergewohnheitsrechts, sondern um grundlegende Regeln des nationalen Rechts einzelner Staaten, die in den meisten Rechtsordnungen, zumindest aber in allen verschiedenen Rechtskreisen, inhaltlich übereinstimmend zu finden sind und daher legitimerweise auch auf völkerrechtlicher Ebene zur Problemlösung herangezogen werden können.13 Diese Rechtsquelle hat für den Bereich der völkerrechtlichen Exemtionen jedoch keine Bedeutung.14
___________ Vgl. BVerfGE 96, 68 (87) = NJW 1998, 50 (53); Doehring, Völkerrecht, Rn. 285 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 16 Rn. 1 ff.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 237 ff.; Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rn. 131 ff. 9 Vgl. zu dieser unten §§ 4–9. 10 Vgl. zu dieser unten § 17 I. 11 Vgl. zu dieser unten § 18. 12 Die Einschränkung durch den Begriff „Kulturvölker“ hat angesichts der nahezu universellen Geltung der Charta der Vereinten Nationen und des dort normierten Grundsatzes der Gleichheit der Staaten heute keine Bedeutung mehr. Siehe nur Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 161. 13 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 274, 407 ff.; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 17 Rn. 1 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 505 ff.; Stein/ von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 161 ff.; Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rn. 142 ff. 14 Siehe auch die Ausführungen unten in § 2 V. und § 18 IV.8. zur Frage einer Beachtlichkeit völkerrechtlicher Exemtionen aufgrund des Prinzips „estoppel“, das zum Teil als allgemeiner Rechtsgrundsatz i.S.d. Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut klassifiziert wird. 8
§ 2 Geltungsgrund der völkerrechtlichen Exemtionen
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II. Verhältnis des Völkerrechts zum nationalen Recht Nach der (gemäßigten) dualistischen Theorie, der hier gefolgt wird, sind das nationale Recht eines Staates und das Völkerrecht voneinander getrennte Rechtsordnungen, so daß völkerrechtliche Normen nicht unmittelbar in das staatliche Recht hineinwirken und nicht ohne weiteres und automatisch unter Verdrängung nationalen Rechts innerstaatliche normative Wirkung entfalten können.15 Davon gehen aber auch die Vertreter der Theorie des gemäßigten Monismus aus, die zwar eine Verbindung von Völkerrecht und nationalem Recht zu einer Einheit postulieren, gleichwohl aber dem Völkerrecht keinen unmittelbaren Anwendungsvorrang gegenüber nationalen Rechtsnormen zuerkennen.16 Im Ergebnis unterscheiden sich diese beiden heute vertretenen Theorien zum Verhältnis des Völkerrechts zum nationalen Recht damit nicht.17 Völkerrechtliche Normen sind nach einhelliger Auffassung grundsätzlich zunächst nur für die Staaten und internationalen Organisationen als Völkerrechtssubjekte, nicht aber innerstaatlich und damit für die Einzelmenschen sowie die Behörden bei der Rechtsanwendung verbindlich.18 Erforderlich für die innerstaatliche Verbindlichkeit völkerrechtlicher Normen ist ein nationaler Umsetzungsakt. Durch einen autonomen nationalen Rechtsakt müssen die völkerrechtlichen Normen in die nationale Rechtsordnung eingelassen bzw. überführt werden.19 Nach der auch hier vertretenen Transformationstheorie werden die völkerrechtlichen Normen durch einen innerstaatlichen Rechtsakt in nationale Rechtsnormen mit unmittelbarer Verbindlichkeit für die rechtsunterworfenen Einzelmenschen und die nationalen Behörden umgewandelt.20 Nach der Adaptionstheorie werden völkerrechtliche Normen dagegen nicht umgewandelt, sondern behalten ihren Charakter als völkerrechtliche Normen. Diese Theorie geht davon aus, daß der innerstaatliche Rechtsakt lediglich die völkerrechtlichen Normen als solche für anwendbar
___________ Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 701 ff.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 33. Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 698 ff.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 26, 29. 17 So auch Herdegen, Völkerrecht, § 22 Rn. 7; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 25 Rn. 4; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 34. 18 Vgl. Herdegen, Völkerrecht, § 22 Rn. 1 ff.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 29, 33 ff.; Koenig, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 25 Rn. 1 ff. Eine wichtige Ausnahme sind die anerkannten völkerrechtlichen Verbrechenstatbestände. Die völkerrechtlichen Strafnormen verpflichten Einzelmenschen unmittelbar. Diese sind insofern direkte Pflichtsubjekte des Völkerrechts. Vgl. diesbezüglich Doehring, Völkerrecht, Rn. 703; Herdegen, Völkerrecht, § 22 Rn. 2. 19 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 696; Koenig, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 25 Rn. 1 f., 35 f. 20 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 708; Koenig, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 25 Rn. 37; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 424 ff. 15 16
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Teil 1: Geltungsgrund und gerichtsverfassungsrechtliche Grundlagen
und innerstaatlich verbindlich erklärt.21 Da aber die Transformationstheorie von einer Anbindung der in nationales Recht umgewandelten Normen an die Völkerrechtsnormen insofern ausgeht, als die nationalen Normen bei Aufhebung der völkerrechtlichen „Mutternormen“ automatisch ebenfalls rechtsunwirksam werden, besteht zwischen beiden Theorien kein praktisch relevanter Unterschied.22 Für den vorliegenden Zusammenhang ist allein entscheidend, daß Völkerrechtsnormen eines nationalen Umsetzungsakts bzw. Anwendungsbefehls bedürfen, um innerstaatlich und damit auch für die nationalen Strafverfolgungsbehörden anwendbar und verbindlich zu werden. Einer Transformation in die deutsche Rechtsordnung sind aber selbstverständlich nur solche völkervertraglichen Normen zugänglich, die dazu geeignet und gedacht sind, im innerstaatlichen Raum unmittelbare Rechtswirkungen zu entfalten, die also als unmittelbar anwendbare Normen formuliert sind, so daß sie „vollzugsfähig“ sind und ihnen bloß der Charakter nationaler Rechtsnormen verliehen werden muß (dann spricht man von „self-executing-Normen“).23 Völkerrechtliche Normen, die sich nur an die Staaten als Völkerrechtssubjekte wenden, bedürfen gegebenenfalls eigenständiger nationaler Durchführungsvorschriften.24 Die hier interessierenden völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit sind aber „self-executing-Normen“, also von ihrer Ausgestaltung und Intention her einer direkten Anwendung durch die deutschen Behörden zugänglich. Das Völkerrecht überläßt es den einzelnen Staaten, wie sie rechtstechnisch ihrer Pflicht nachkommen, völkerrechtliche Normen mit self-executing-Charakter innerstaatlich verbindlich zu machen.25 Das deutsche Recht differenziert zwischen völkergewohnheitsrechtlichen Normen und den hier nicht interessierenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen einerseits und völkervertraglichen Regelungen andererseits. Aus diesem Grund muß die Frage nach dem Geltungsgrund völkerrechtlicher Exemtionen in Deutschland für die völkergewohnheitsrechtlichen und die völkervertraglichen Exemtionen getrennt beantwortet werden.
___________ Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 708; Koenig, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 25 Rn. 38 f.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 420 ff. 22 Vgl. Koenig, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 25 Rn. 41; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 432 ff. 23 Vgl. Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 436 ff., 476. 24 Vgl. Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 436 ff. 25 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 711 f., 726; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 25 Rn. 5; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 418. 21
§ 2 Geltungsgrund der völkerrechtlichen Exemtionen
23
III. Geltungsgrund der völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen Völkergewohnheitsrechtliche Normen und damit auch die völkergewohnheitsrechtlich geltenden Exemtionsbestimmungen werden durch Art. 25 GG automatisch und pauschal in die deutsche Rechtsordnung überführt.26 Art. 25 GG lautet: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“
Die Beachtlichkeit völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionen für die deutschen Strafverfolgungsbehörden ergibt sich also unmittelbar aus Art. 25 GG. Während Art. 25 Satz 1 GG festlegt, daß die allgemeinen Regeln des Völkerrechts – worunter neben dem Völkergewohnheitsrecht auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze im Sinne des Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut zu verstehen sind27 – automatisch Bestandteil des Bundesrechts (und damit für die gemäß Art. 20 Abs. 3 bzw. Art. 97 Abs. 1 GG an das Bundesrecht gebundenen Gerichte und sonstigen Strafverfolgungsbehörden maßgeblich) sind, bestimmt Art. 25 Satz 2 GG, daß die allgemeinen Regeln des Völkerrechts den Gesetzen vorgehen. Völkergewohnheitsrecht hat in Deutschland demnach einen Rang zwischen dem Grundgesetz und dem einfachen Bundesrecht.28 Dieser Vorrang vor dem einfachen Bundesrecht ist auch in bezug auf die hier interessierenden völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen von Bedeutung. Denn der Gesetzgeber könnte durch eine einfachgesetzliche Regelung die Strafverfolgungsbehörden nicht davon entbinden, die völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen zu beachten; der Grundsatz lex posterior derogat legi priori kommt insofern nicht zur Anwendung. Ein deutsches Gesetz, das beispielsweise explizit festlegte, daß auch amtierende Staatsoberhäupter fremder Staaten in Deutschland wegen völkerrechtlicher Verbrechen verfolgt werden dürfen29 oder daß die Räumlichkeiten diplomatischer Missionen betreten oder durchsucht werden dürfen, wenn der Verdacht besteht, daß in den Räumlichkeiten gegen die Bundes___________ Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 729 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 22 Rn. 12 ff.; Koenig, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 25 Rn. 3, 44 ff.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 470 ff.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 25 Rn. 8 ff. 27 Vgl. BVerfGE 96, 68 (86 f.) = NJW 1998, 50 (53); Doehring, Völkerrecht, Rn. 740; Herdegen, Völkerrecht, § 22 Rn. 12; Koenig, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 25 Rn. 18, 23; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 25 Rn. 6, 13; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Art. 59 Rn. 35. 28 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 729; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 25 Rn. 37; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 479. A.A. z.B. Koenig, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 25 Rn. 55. 29 Die völkergewohnheitsrechtliche Immunität ratione personae amtierender Staatsoberhäupter schützt auch vor einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen. Vgl. unten § 17 I.2.a)dd). 26
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Teil 1: Geltungsgrund und gerichtsverfassungsrechtliche Grundlagen
republik gerichtete Staatsschutzdelikte begangen werden,30 wäre wegen des Geltungsvorrangs des Völkergewohnheitsrechts nicht nur völkerrechtswidrig, sondern sogar nichtig und damit unbeachtlich.31
IV. Geltungsgrund der völkervertraglichen Exemtionen 1. Geltungsanordnung durch ein deutsches Zustimmungsgesetz Völkervertragliche Exemtionsregelungen bedürfen nach deutschem Recht ebenso wie alle anderen völkervertraglichen Normen stets eines individuellen Transformationsakts. Insofern ist bei völkerrechtlichen Verträgen klar zwischen der völkerrechtlichen Ebene des Vertragsabschlusses und der nationalen Ebene der Transformation zu differenzieren. Völkerrechtliche Verträge über Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit werden nach der deutschen Verfassungsordnung von der Bundesregierung ausgehandelt und unterzeichnet.32 Eine völkerrechtliche Bindung der Bundesrepublik an einen Vertrag tritt aber erst mit der Erklärung ein, an den Vertrag gebunden sein zu wollen, die zumeist in Form einer als Ratifikation bezeichneten feierlichen Mitteilung abgegeben wird.33 Diese Zustimmungserklärung hat nach Art. 59 Abs. 1 Satz 2 GG der Bundespräsident abzugeben.34 Völkerrechtliche Verträge, die sich „auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen“ oder „die politischen Beziehungen des Bundes regeln“, bedürfen vor ihrer Ratifikation jedoch gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG einer parlamentarischen Zustimmung in Form eines Bundesgesetzes. Man spricht in solchen Fällen von ___________ 30 Die Unverletzlichkeit von Räumlichkeiten diplomatischer Missionen nach Art. 22 WÜD gilt – ebenso wie alle sonstigen Exemtionen des WÜD und WÜK – auch völkergewohnheitsrechtlich; vgl. unten § 12 II.1. 31 Ebenso in bezug auf die Exemtionen des WÜD und WÜK Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 61 ff., wenn auch dort nicht klar genug zwischen der Geltung der Exemtionsbestimmungen als Völkervertragsrecht einerseits (insofern nur – als leges speciales gegenüber den Strafgesetzen – im Rang einfachen Bundesrechts stehend) und als Völkergewohnheitsrecht andererseits (insofern im Rang zwischen einfachem Bundesrecht und dem Grundgesetz stehend) differenziert wird. Die Exemtionsregelungen des WÜD und WÜK gelten in der BRD im Verhältnis zu anderen Signatarstaaten sowohl als Vertragsrecht als auch als Gewohnheitsrecht; im Verhältnis zu Staaten, die nicht Vertragsparteien sind, dagegen allein als Gewohnheitsrecht; vgl. unten § 12 II.1. 32 Vgl. Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 144 ff. Die (ausschließliche) Zuständigkeit des Bundes (und nicht der Länder) folgt aus Art. 32 Abs. 1 und 3 GG i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG; vgl. Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 116 ff. 33 Vgl. Art. 11 ff. WVRK; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 153. 34 Vgl. Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 135 ff.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Art. 59 Rn. 8 ff.
§ 2 Geltungsgrund der völkerrechtlichen Exemtionen
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einem „mehrphasigen Verfahren“.35 Verträge beziehen sich dann auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung, wenn für ihre Umsetzung in die deutsche Rechtsordnung und ihre Vollziehung eine Mitwirkung gesetzgebender Körperschaften durch Erlaß eines Gesetzes erforderlich ist.36 Dies ist bei Exemtionsregelungen der Fall, da diese die Regelungen der StPO modifizieren und Abweichungen von der StPO für die gemäß Art. 97 Abs. 1 GG ausschließlich an das Gesetz gebundenen Gerichte nur beachtlich sind, wenn sie eine gesetzliche Grundlage haben.37 Der Bundespräsident darf einen völkerrechtlichen Vertrag, der Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit normiert, also erst nach erfolgter parlamentarischer Zustimmung ratifizieren. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die „self-executing-Normen“ enthalten, also auch bei Verträgen, die Exemtionen festlegen, hat das parlamentarische Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht nur die Funktion, den Bundespräsidenten zur Ratifikation zu ermächtigen, sondern es bewirkt gleichzeitig die Transformation der völkervertraglichen Normen in nationale deutsche Rechtsnormen.38 Die Regeln eines völkerrechtlichen Vertrags, dem durch ein Bundesgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zugestimmt wird, werden nämlich in das Zustimmungsgesetz aufgenommen und als dessen Bestandteil als Bundesgesetz verabschiedet. Völkerrechtliche Exemtionen, die in einem völkerrechtlichen Vertrag normiert sind, werden also normalerweise durch das deutsche Zustimmungsgesetz zu dem betreffenden Vertrag nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in das deutsche Recht überführt. Sie erlangen dann als integraler Bestandteil des Zustimmungsgesetzes Gesetzeskraft und sind damit für die deutschen Strafverfolgungsbehörden in gleicher Weise verbindlich wie die Normen der StPO oder eines anderen Bundesgesetzes. So sind beispielsweise die Exemtionsregelungen des WÜD und WÜK für die deutschen Strafverfolgungsbehörden deshalb unmittelbar beachtlich, weil sie Bestandteil der jeweiligen Zustimmungsgesetze sind.39 Gleiches gilt beispielsweise für die ___________ Vgl. Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 143, 162. Vgl. BVerfGE 1, 372 (388 ff.) = NJW 1952, 970 (971); Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 23; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 166 ff.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 31 ff. 37 Vgl. Engel, JZ 1983, 627 (628); Knuth, JZ 1970, 539 (540); Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 92; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 77; Wenkstern, NJW 1987, 1113 (1113 f.); ders., Hdb. IZVR II/1, Rn. 135. 38 Vgl. Kempen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 59 Rn. 82; Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rn. 110 ff.; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 32; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 445 ff.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 60 ff. 39 Zustimmungsgesetz zum WÜD vom 6.8.1964, BGBl. 1964 II, S. 959; Zustimmungsgesetz zum WÜK vom 26.8.1969, BGBl. 1969 II, S. 1585. Die Formulierung in Art. 1 35 36
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Teil 1: Geltungsgrund und gerichtsverfassungsrechtliche Grundlagen
Regelungen im Übereinkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Vereinten Nationen von 1946, die durch das deutsche Zustimmungsgesetz zu diesem Übereinkommen von 198040 Bestandteil des Bundesrechts geworden sind. Ein Zustimmungsgesetz ist, was seine Rechtsgeltung anbelangt, ein „normales“ Bundesgesetz wie auch die StPO und das StGB. Die über ein Zustimmungsgesetz transformierten völkerrechtlichen Exemtionen haben somit den gleichen Rang wie die StPO, das StGB und sonstige Bundesgesetze.41 Dies bedeutet aber selbstverständlich nicht, daß völkerrechtliche Exemtionen unter Hinweis auf das in der StPO normierte Legalitätsprinzip überwunden werden könnten. Vielmehr gehen die völkerrechtlichen Exemtionen insofern den Normen des Strafverfahrensrechts als leges speciales vor.42 2. Geltungsanordnung durch eine Rechtsverordnung Völkervertragliche Exemtionsregelungen können aber nicht nur durch ein Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in die deutsche Rechtsordnung überführt werden. Vielmehr ist grundsätzlich auch eine Transformation durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung möglich.43 Da auch Rechtsverordnungen für die Gerichte und sonstigen Strafverfolgungsbehörden verbindlich sind, haben diese auch solche völkerrechtlichen Exemtionen unmittelbar zu beachten, die eine Rechtsverordnung für innerstaatlich maßgeblich erklärt. Voraussetzung für eine Transformation völkervertraglicher Exemtionen durch eine Rechtsverordnung ist jedoch, daß ein Bundesgesetz im Sinne des Art. 80 Abs. 1 GG die Bundesregierung ausdrücklich zum Erlaß von Rechtsverordnungen, die Exemtionsregelungen enthalten, ermächtigt. Eine solche Ermächtigungsgrundlage stellt Art. 3 des Zustimmungsgesetzes zum Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen der
___________ dieser Gesetze, die die Transformation bewirkt, lautet jeweils: „Dem (…) Übereinkommen (…) wird zugestimmt. Das Übereinkommen und die (…) werden nachstehend veröffentlicht.“ Vgl. LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 1, § 19 GVG Rn. 1; Fliedner, ZRP 1973, 263 (265); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 4, § 19 Rn. 1. 40 Zustimmungsgesetz vom 16.8.1980, BGBl. 1980 II, S. 941. 41 Vgl. LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 1; Herdegen, Völkerrecht, § 22 Rn. 19; Kempen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 59 Rn. 92; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 447. 42 Vgl. Herdegen, Völkerrecht, § 22 Rn. 19. 43 Vgl. allgemein zur Möglichkeit einer Transformation völkervertraglicher Normen durch Erlaß einer Rechtsverordnung Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 36. Bedenken in bezug auf die innerstaatliche Wirksamkeit per Rechtsverordnung transformierter Exemtionsregelungen äußert Wenckstern, NJW 1987, 1113 (1115 ff.); ders., Hdb. IZVR II/1, Rn. 143 ff.
§ 2 Geltungsgrund der völkerrechtlichen Exemtionen
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Vereinten Nationen dar.44 Durch diese Norm wird die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates Rechtsverordnungen zu erlassen über die Gewährung von Exemtionen für internationale Organisationen und für Personen, die für eine internationale Organisation tätig sind. Von dieser Ermächtigungsgrundlage ist verschiedentlich Gebrauch gemacht worden, um völkerrechtliche Vereinbarungen über Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen innerstaatlich umzusetzen;45 genau zu diesem Zweck wurde sie auch geschaffen.46 Da sich Art. 3 des Zustimmungsgesetzes zum Immunitätenabkommen für die UN-Sonderorganisationen (jedenfalls in erster Linie) auf Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen bezieht, soll auf diese für die Rechtspraxis bedeutsame, aber sehr „versteckte“ und daher von der Wissenschaft kaum beachtete Norm sowie auf die Gesamtproblematik einer Transformation völkervertraglicher Exemtionsregelungen durch Erlaß einer Rechtsverordnung erst unten in § 19 I.2.d)cc) und § 19 I.2.e) im Zusammenhang mit der Erläuterung der Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen näher eingegangen werden. An dieser Stelle sei aber bereits darauf hingewiesen, daß die Möglichkeit des Erlasses einer Rechtsverordnung zur Transformation völkervertraglicher Exemtionen nicht nur Bedeutung hat für die Umsetzung der Exemtionen in deutsches Recht, sondern auch für die Art des Abschlusses eines völkerrechtlichen Vertrags, in dem auf diese Weise umsetzbare Exemtionen vereinbart werden. Denn Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG verlangt ein mehrstufiges Verfahren (also die Zustimmung zum Vertragsabschluß durch ein Bundesgesetz) außer in dem hier nicht interessierenden Fall, daß der Vertrag die politischen Beziehungen des Bundes regelt,47 nur dann, wenn er sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht, zu seiner Umsetzung also eine Mitwirkung der Legislative durch Erlaß eines Gesetzes erforderlich ist.48 Dies ist aber nicht der Fall, wenn der Erlaß einer exekutiven Rechtsverordnung zur Transformation ausreicht. Demgemäß wird zum Teil davon ausgegangen, solche völkerrechtlichen Verträge dürften im einstufigen Verfahren, also als sogenannte Verwaltungsabkommen ohne parlamentarische Beteiligung, abgeschlossen werden.49 Doch ist ___________ Gesetz vom 22.6.1954; BGBl. 1954 II, S. 639, zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 1 des Zustimmungsgesetzes zum UN-Immunitäten-Übereinkommen (vgl. oben Anm. 40). 45 Vgl. die Aufstellung von auf dieser Ermächtigungsgrundlage basierenden Rechtsverordnungen mit Transformationswirkung unten in § 19 I.2.d)cc). 46 Vgl. BT-Drucks. II/156, S. 3 ff.; BT-Drucks. IV/1482, S. 3; BT-Drucks. IV/1776, S. 2; Treviranus, NJW 1983, 1948 (1949 ff.); Wenckstern, NJW 1987, 1113 (1115). 47 Vgl. diesbezüglich BVerfGE 1, 372 (380 ff.); BVerfGE 90, 286 (359) = NJW 1994, 2207 (2212); Kempen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 59 Rn. 63 f.; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 22; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 163 f.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 29. 48 Vgl. die Nachw. oben in Anm. 36. 49 So Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der Auswärtigen Gewalt, S. 220 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 14, 21; Kempen, in: von Mangoldt/ 44
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einer solchen Verfassungsinterpretation – wie unten in § 19 I.2.e) näher ausgeführt wird – zu widersprechen. Eine legislative Zustimmung zu einem völkerrechtlichen Vertrag, der Exemtionen normiert, ist auch dann geboten, wenn eine Transformation durch Rechtsverordnung möglich ist.50 Denn die parlamentarische Zustimmung soll nicht nur sicherstellen, daß die Bundesrepublik ihrer völkervertraglich eingegangenen Pflicht innerstaatlich nachkommen kann, sondern auch eine Kontrolle des Handelns der Exekutive auf völkerrechtlicher Ebene sicherstellen.51 Da aber die Zustimmung in diesem Fall nicht gleichzeitig die Transformation der vertraglichen Regelungen zu bewirken braucht, muß sie nicht in Form eines Gesetzes ergehen, sondern es reicht ein einfacher Beschluß aus.52 Allerdings ist in engen Grenzen eine antizipierte parlamentarische Zustimmung zum Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrags über völkerrechtliche Exemtionen statthaft.53 Eine solche antizipierte Zustimmung enthält Art. 1 des Streitkräfteaufenthaltsgesetzes (SkAufG).54 Dieses Gesetz ermächtigt die Bundesregierung, ohne parlamentarische Zustimmung im Einzelfall mit anderen Staaten bilaterale Verträge über die Modalitäten eines zeitweiligen Aufenthalts fremder Streitkräfte auf ___________ Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 59 Rn. 68; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 24. 50 Ebenso – allerdings begrenzt auf den Fall, daß die transformierende Rechtsverordnung nach Art. 80 Abs. 2 GG der Zustimmung des Bundesrates bedarf – BVerfGE 1, 372 (390) = NJW 1952, 970 (971). Vgl. auch Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rn. 105; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 170. 51 Vgl. Kempen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 59 Rn. 38; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 22. Auszugehen ist davon, daß Träger der auswärtigen Gewalt nicht allein die Exekutive ist, sondern auch im Bereich der auswärtigen Gewalt wesentliche Entscheidungen einer parlamentarischen Zustimmung bedürfen und dem Parlament auch in diesem Bereich eine Kontrollfunktion zukommt. Vgl. diesbezüglich Kempen, a.a.O, Rn. 31 ff.; Streinz, a.a.O., Rn. 23 ff. Zwar hat der Gesetzgeber mit der Verordnungsermächtigung die Schaffung solcher Rechtsnormen, zu denen der betreffende Vertrag verpflichtet, bereits vorab gebilligt, doch wird durch den Vertragsabschluß die Entschließungsfreiheit der Legislative aufgehoben, weil die Rechtsverordnung wegen der völkerrechtlichen Verpflichtung nicht – wie sonst Rechtsverordnungen – vom Parlament durch Erlaß eines Gesetzes beseitigt werden darf. 52 Vgl. Kempen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 59 Rn. 69; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 177 f.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 37. Überwiegend wird allein ein Beschluß des Bundesrates verlangt. Die Kontrollfunktion der parlamentarischen Zustimmung und die oben in Anm. 51 erwähnte Einschränkung des parlamentarischen Handlungsspielraums sprechen jedoch dafür, daß auf jeden Fall (auch) der Bundestag durch Beschluß zustimmen muß. 53 Vgl. Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 42a. Kritisch aber Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 59 Rn. 1b. Eine solche Möglichkeit gänzlich ablehnend Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rn. 105. 54 Gesetz über die Rechtsstellung ausländischer Streitkräfte bei vorübergehenden Aufenthalten in der Bundesrepublik Deutschland (Streitkräfteaufenthaltsgesetz – SkAufG) vom 20.7.1995; BGBl. 1995 II, S. 554.
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deutschem Territorium zu schließen und diese Vereinbarungen dann innerstaatlich durch Rechtsverordnung in Kraft zu setzen. Verfassungskonform ist eine solche Regelung aber nur, wenn – wie das beim SkAufG der Fall ist – bereits in dem zum Vertragsabschluß und zum Erlaß einer transformierenden Rechtsverordnung ermächtigenden Gesetz genau bestimmt ist, welchen Inhalt der Vertrag haben darf.55 Eine nähere Analyse der Regelung des SkAufG und der mit ihr verbundenen verfassungsrechtlichen Problematik soll aus Gründen des Sachzusammenhanges erst unten in § 20 IV.2.a) vorgenommen werden.
V. Zur Frage der Beachtlichkeit völkerrechtlicher Exemtionen wegen des Prinzips „estoppel“ In der Literatur wird zum Teil die These vertreten, eine für die Strafverfolgungsbehörden unmittelbar beachtliche Exemtion könne sich auch aus dem völkerrechtlichen Prinzip „estoppel“, also dem Gebot des Vertrauensschutzes oder – negativ gewendet – dem Verbot des venire contra factum proprium56 ergeben. Wenn ein Staat einem anderen Völkerrechtssubjekt die (einseitige) Zusage gebe, eine bestimmte Person nicht strafrechtlich zu verfolgen, setze er einen Vertrauenstatbestand, an den er und seine Strafverfolgungsbehörden gebunden seien.57 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Da eine derart begründete Exemtion in erster Linie im Zusammenhang mit der Entsendung sogenannter Spezialmissionen, also der anlaßbezogenen Entsendung von Vertretern in einen anderen Staat zur Wahrnehmung einer bestimmten einzelnen Verhandlungsaufgabe, eine Rolle spielen dürfte, wird auf diese These ausführlich erst unten in § 18 IV.8. eingegangen. Im Rahmen dieser allgemeinen Erläuterungen zum Geltungsgrund völkerrechtlicher Exemtionen soll es dagegen bei folgenden Feststellungen belassen werden. Die Zusage eines Staates – sei es eine einseitige Erklärung, sei es eine Zusage im Rahmen einer Vereinbarung – einem anderen Völkerrechtssubjekt gegenüber, eine bestimmte Person nicht zu verfolgen, kann zwar auf völkerrechtlicher Ebene über das Prinzip „estoppel“ durchaus Bindungswirkung für den betreffenden Staat entfalten, also ein völkerrechtliches Verbot einer Strafverfolgung bewirken. Aber in ___________ Vgl. BT-Drucks. 13/730, S. 10 zum SkAufG. Siehe aber auch Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rn. 105. 56 Vgl. allgemein zum Prinzip „estoppel“ IGH, ICJ-Reports 1962, 6 (143 f.) (Sondervotum Judge Spender); Brownlie, International Law, S. 615 ff.; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 18 Rn. 7; Müller/Cottier, Estoppel, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 116 (116 ff.). 57 So neben anderen Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (266 ff.); Herdegen, Special Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 574 (576). Siehe auch Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, Art. 25 Rn. 11. 55
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Teil 1: Geltungsgrund und gerichtsverfassungsrechtliche Grundlagen
Deutschland wäre eine solche Zusage (der Bundesregierung) für die Strafverfolgungsbehörden innerstaatlich unbeachtlich. Soweit argumentiert wird, das Prinzip „estoppel“ sei ein Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts bzw. ein allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne des Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut und daher über Art. 25 GG innerstaatlich verbindlich,58 ist dem entgegenzuhalten, daß Art. 25 GG nicht die innerstaatliche Beachtlichkeit der völkerrechtlichen Konsequenzen allgemeiner völkerrechtlicher Rechtsprinzipien anzuordnen vermag. Denn sonst würde Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG praktisch bedeutungslos und das grundgesetzliche Fundamentalprinzip der Gewaltenteilung negiert: Ebenso wie das Prinzip „estoppel“ ist auch der Rechtssatz pacta sunt servanda ein völkerrechtliches Grundprinzip. Wäre dieser Rechtssatz über Art. 25 GG innerstaatlich verbindlich, wären völkerrechtliche Verträge entgegen der klaren Regelung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG auch ohne parlamentarische Zustimmung innerstaatlich unmittelbar wirksam.59 Nun wird allerdings argumentiert, Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG beziehe sich nur auf Verträge, beim Prinzip „estoppel“ aber gehe es um einseitige Zusagen.60 Doch ist zum einen die Grenze zwischen einseitigen, vom anderen Völkerrechtssubjekt bloß entgegengenommenen Zusagen und zweiseitigen Vereinbarungen in der Praxis nicht immer klar zu ziehen. Zum anderen ist zu bedenken, daß in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG der Wille des Grundgesetzes zum Ausdruck gebracht wird, daß die Exekutive nicht ohne Zustimmung der Legislative völkerrechtliche Bindungen eingehen können soll, die die Kompetenzen der Legislative tangieren, sei es, weil nationale gesetzliche Regeln nicht mehr angewandt werden dürfen (wie das bei völkerrechtlichen Exemtionen der Fall ist), sei es, weil neue Gesetze geschaffen werden müssen. Würde man der hier vorgestellten These folgen, dann könnte die Exekutive durch Abgabe völkerrechtlich bindender Erklärungen (mit vertragsgleicher Wirkung) indirekt autonom legislativ tätig werden. Dies verstieße gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung. Das Prinzip „estoppel“ vermag daher nicht über Art. 25 GG eine für die deutschen Strafverfolgungsbehörden verbindliche Exemtion zu begründen.61
___________ 58 So Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (268); Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, Art. 25 Rn. 11. 59 Gegen eine solche Wirkung des Grundsatzes pacta sunt servanda, die in Deutschland nicht (mehr) behauptet wird, zutreffend Doehring, Völkerrecht, Rn. 741 und Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 29 f. 60 Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (268); Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 25 Rn. 11. 61 Im Ergebnis wie hier, weil (zu Recht) davon ausgehend, daß einseitige Akte mit völkerrechtlicher Bindungswirkung nur bei erfolgter parlamentarischer Zustimmung in analoger Anwendung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG innerstaatlich wirksam sein können, Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 10; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 59 Rn. 43 f. Siehe auch Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 313.
§ 2 Geltungsgrund der völkerrechtlichen Exemtionen
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VI. Fazit Zusammenfassend ist festzuhalten, daß völkerrechtliche Exemtionen sich aus den Rechtsquellen Völkergewohnheitsrecht und Völkervertragsrecht ergeben können. Völkergewohnheitsrechtliche Exemtionen sind für die deutschen Strafverfolgungsbehörden wegen der durch Art. 25 GG bewirkten automatischen Inkorporierung völkergewohnheitsrechtlicher Normen in die deutsche Rechtsordnung unmittelbar beachtlich und verbindlich. Völkervertragliche Exemtionen sind für die bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden dann beachtlich und verbindlich, wenn die vertraglichen Regelungen in die deutsche Rechtsordnung transformiert worden sind. Die Transformation kann entweder durch ein parlamentarisches Zustimmungsgesetz zum betreffenden Vertrag nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erfolgen oder aber – sofern eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage gegeben ist – durch eine Rechtsverordnung. Die völkervertraglichen Exemtionen sind dann für die Strafverfolgungsbehörden als Bestandteil des deutschen Zustimmungsgesetzes bzw. der transformierenden Rechtsverordnung verbindlich.
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Teil 1: Geltungsgrund und gerichtsverfassungsrechtliche Grundlagen
§ 3 Die gerichtsverfassungsrechtlichen Grundlagen Im Hinblick auf die völkerrechtlichen Exemtionen sind für die deutschen Strafverfolgungsbehörden nicht nur die völkervertraglichen und völkergewohnheitsrechtlichen Regelungen von Relevanz, die über ein Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG eine transformierende Rechtsverordnung bzw. Art. 25 GG Eingang in die deutsche Rechtsordnung gefunden haben. Neben diesen in deutsches Recht überführten völkerrechtlichen Normen gibt es auch noch originär nationale deutsche Bestimmungen, die im vorliegenden Zusammenhang von Interesse sind. Dies sind vor allem die §§ 18–21 GVG, die gerichtsverfassungsrechtlichen Normen über völkerrechtliche Exemtionen. Im Detail wird auf diese Regelungen im Kontext der Untersuchung der einzelnen Exemtionen eingegangen. An dieser Stelle soll aber zum einen die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte dieser Normen skizziert werden, zum anderen ein kurzer Überblick über ihren Regelungsgehalt gegeben werden. Darüber hinaus gibt es noch einige weitere nationale Bestimmungen, die sich auf völkerrechtliche Exemtionen beziehen, in engem sachlichem Zusammenhang mit den §§ 18 ff. GVG stehen und daher in einem weiten Sinne gleichfalls zu den gerichtsverfassungsrechtlichen Grundlagen gezählt werden können.
I. Entwicklung der Normen über Exemtionen im Gerichtsverfassungsgesetz 1. Die Ursprungsfassung von 1877 und die Novelle von 1924 Seit seiner Verabschiedung am 27. Januar 1877 enthält das Gerichtsverfassungsgesetz, das am 1. Oktober 1879 zusammen mit den anderen sogenannten Reichsjustizgesetzen (unter anderem StPO und ZPO) in Kraft getreten ist,1 in den §§ 18 ff. GVG nationale deutsche Rechtsvorschriften über die Freistellung bestimmter Personen von deutscher Gerichtsbarkeit, mit denen sichergestellt werden soll, daß Deutschland seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen auch innerstaatlich nachkommt. In ihrer Ursprungsfassung von 18772 lauteten die §§ 18 ff. GVG: ___________ Vgl. Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, Einl. Rn. 50. Gerichtsverfassungsgesetz vom 27.1.1877; RGBl. 1877, S. 41 (44 f.). Die verabschiedete Fassung der §§ 18–21 GVG war deckungsgleich mit dem Regierungsentwurf (§§ 6–9). Vgl. Reichstags-Drucksache, 2. Legislaturperiode, II. Session 1874/1875, Nr. 4, S. 4; Hahn (Hrsg.), Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Erster Band, Erste Abtheilung, S. 4. Vgl. auch die Begründung des Regierungsentwurfs, Reichstags-Drucksache, a.a.O., S. 55 f.; Hahn (Hrsg.), Materialien, a.a.O., S. 65 f. Weder in der vom Reichstag eingesetzten Kommission noch im Plenum wurde über die Regelungen debattiert, ihre Einführung war unumstritten; vgl. Hahn (Hrsg.), Materialien, a.a.O., S. 427; ders. (Hrsg.), Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Erster Band, Zweite Abtheilung, S. 1194, 1552. 1 2
§ 3 Die gerichtsverfassungsrechtlichen Grundlagen
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§ 18 „(1) Die inländische Gerichtsbarkeit erstreckt sich nicht auf die Chefs und Mitglieder der bei dem Deutschen Reiche beglaubigten Missionen. Sind diese Personen Staatsangehörige eines der Bundesstaaten, so sind sie nur insofern von der inländischen Gerichtsbarkeit befreit, als der Staat, dem sie angehören, sich der Gerichtsbarkeit über sie begeben hat. (2) Die Chefs und Mitglieder der bei einem Bundesstaate beglaubigten Missionen sind der Gerichtsbarkeit dieses Staates nicht unterworfen. Dasselbe gilt von den Mitgliedern des Bundesraths, welche nicht von demjenigen Staats abgeordnet sind, in dessen Gebiete der Bundesrath seinen Sitz hat.“ § 19 „Auf die Familienmitglieder, das Geschäftspersonal der im § 18 erwähnten Personen und auf solche Bedienstete derselben, welche nicht Deutsche sind, finden die vorstehenden Bestimmungen Anwendung.“ § 20 „Durch die Bestimmungen der §§ 18, 19 werden die Vorschriften über den ausschließlichen dinglichen Gerichtsstand in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nicht berührt.“ § 21 „Die im deutschen Reiche angestellten Konsuln sind der inländischen Gerichtsbarkeit unterworfen, sofern nicht in Verträgen des Deutschen Reichs mit anderen Mächten Vereinbarungen über die Befreiung der Konsuln von der inländischen Gerichtsbarkeit getroffen sind.“
Nach diesen Vorschriften genossen die Leiter der beim Deutschen Reich errichteten diplomatischen Vertretungen, die Diplomaten, deren Familienmitglieder und private Bedienstete sowie das Geschäftspersonal einer diplomatischen Vertretung vollständige Exemtion von deutscher Strafgerichtsbarkeit. Voraussetzung war allerdings grundsätzlich, daß die betreffenden Personen keine Deutsche waren. Nach der Reichsverfassung von 1871 war es noch statthaft, daß fremde Staaten unmittelbar bei den einzelnen Gliedstaaten des Reichs diplomatische Vertretungen errichteten.3 Die Mitglieder einer solchen Vertretung genossen allerdings nur gegenüber der Strafgerichtsbarkeit desjenigen Gliedstaates Exemtion, bei dem die Mission beglaubigt worden war. Mitgliedern in Deutschland errichteter konsularischer Vertretungen wurden nur insoweit Exemtionen zuerkannt, als in völkerrechtlichen Verträgen – namentlich in Konsularverträgen – mit dem betreffenden Entsendestaat ausdrücklich eine Befreiung von deutscher Gerichtsbarkeit vereinbart worden war.4 ___________ 3 Vgl. Kempen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 32 Rn. 3. Gemäß Art. 32 Abs. 1 GG ist heute (wie schon nach der Weimarer Reichsverfassung, vgl. Art. 78 Abs. 1 WRV) die „Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten“ ausschließlich Sache des Bundes, so daß die einzelnen Bundesländer keine diplomatischen Beziehungen mit fremden Staaten unterhalten dürfen. Vgl. Kempen, a.a.O., Art. 32 Rn. 6, 68; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, Art. 32 Rn. 27. 4 Bis deutlich ins 20. Jahrhundert hinein genossen lediglich die Mitglieder diplomatischer Missionen und ihre Familienangehörigen völkergewohnheitsrechtliche Exemtionen, nicht aber die Mitglieder konsularischer Vertretungen. Daher stand die Regelung des § 19
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Teil 1: Geltungsgrund und gerichtsverfassungsrechtliche Grundlagen
Im Jahr 1924 wurde § 18 GVG ohne inhaltliche Änderung sprachlich modifiziert, um im Gesetzeswortlaut die Staatsorganisation des Deutschen Reiches nach der Weimarer Reichsverfassung terminologisch korrekt zum Ausdruck zu bringen:5 § 18 „(1) Die inländische Gerichtsbarkeit erstreckt sich nicht auf die Chefs und Mitglieder der bei dem Deutschen Reiche beglaubigten Missionen. Sind diese Personen Staatsangehörige eines der deutschen Länder, so sind sie nur insofern von der inländischen Gerichtsbarkeit befreit, als das Land, dem sie angehören, sich der Gerichtsbarkeit über sie begeben hat. (2) Die Chefs und Mitglieder der bei einem deutschen Lande beglaubigten Missionen sind der Gerichtsbarkeit dieses Landes nicht unterworfen. Dasselbe gilt von den Mitgliedern des Reichsrats, welche nicht von dem Lande abgeordnet sind, in dessen Gebiete der Reichsrat seinen Sitz hat.“
2. Die Novelle von 1934 Die erste inhaltliche Revision der §§ 18 ff. GVG fand im Jahr 1934 statt.6 Während die §§ 20 und 21 unverändert blieben, wurden die §§ 18 und 19 GVG wie folgt neu gefaßt: § 18 „(1) Die deutsche Gerichtsbarkeit erstreckt sich nicht auf die Leiter und Mitglieder der bei dem Deutschen Reich beglaubigten diplomatischen Vertretungen. Sie erstreckt sich auch nicht auf andere Personen, die nach den allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts oder nach einem Staatsvertrag von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit sind. (2) Die Bestimmungen des Absatzes 1 finden auf die den Hausstand teilenden Familienmitglieder und das Geschäftspersonal der in Abs. 1 bezeichneten Personen Anwendung, es sei denn, daß die Befreiung von der deutschen Gerichtsbarkeit nach einer im Reichsgesetzblatt veröffentlichten Bekanntmachung der Reichsregierung nicht gewährt wird. (3) Die Vorschrift des Absatzes 2 gilt auch für die nichtdeutschen Bediensteten der im Abs. 1 bezeichneten Personen.“
___________ GVG i.d.F. von 1877 im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands. Vgl. hierzu näher unten § 11 II.2. 5 Bekanntmachung der Texte des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung vom 22.3.1924; RGBl. 1924 I, S. 299 (301). Während nach Art. 1 der Reichsverfassung von 1871 (RGBl. 1871, S. 63) der Bund aus einzelnen „Staaten“ („Bundesstaaten“) bestand, hat die Weimarer Reichsverfassung (RGBl. 1919, S. 1383) für die Glieder des Bundes den Begriff „Länder“ eingeführt (vgl. Art. 2), den das Grundgesetz beibehalten hat (vgl. Präambel, Art. 30). Nach der Reichsverfassung von 1871 wurde die Länderkammer (wie heute nach dem Grundgesetz) als „Bundesrath“ bezeichnet (vgl. Art. 6), während die Weimarer Reichsverfassung die Bezeichnung „Reichsrat“ gewählt hatte (vgl. Art. 60). 6 Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 13.12.1934; RGBl. 1934 I, S. 1233 (1233). Vgl. die amtliche Begründung in „Deutsche Justiz“ 1934, 1606 (1606).
§ 3 Die gerichtsverfassungsrechtlichen Grundlagen
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§ 19 „Besitzt eine der im § 18 Absätze 1 und 2 bezeichneten Personen die Reichsangehörigkeit, so ist die Person von der deutschen Gerichtsbarkeit nur befreit, wenn das Reich sich der Gerichtsbarkeit über sie durch eine Verfügung der Reichsregierung begeben hat.“
Zwar wurde diese Novelle der §§ 18 und 19 GVG unter der Herrschaft der Nationalsozialisten verabschiedet, doch enthielten die Änderungen nur sehr begrenzt nationalsozialistisches Gedankengut. Durch die Restriktion der Exemtionen für Familienmitglieder und das Geschäftspersonal (§ 18 Abs. 2 GVG) sollte im Sinne der Reziprozität die Möglichkeit geschaffen werden, Befreiungen zurückzunehmen, falls der betreffende Entsendestaat seinerseits den Mitgliedern einer in diesem Staat errichteten deutschen diplomatischen Vertretung nur eingeschränkt Exemtionen gewähren sollte.7 Diese Regelung kann nicht als völkerrechtswidrig klassifiziert werden, und zwar auch deshalb nicht, weil die Reichweite der völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen für diese Personen zur damaligen Zeit nicht klar definiert war. Völkerrechtlich problematisch und durchaus nationalsozialistisch motiviert war dagegen der generelle Ausschluß von Exemtionen, den § 19 GVG für den Fall festlegte, daß die betreffende Person die deutsche Reichsangehörigkeit besaß.8 Allerdings muß betont werden, daß es – in etwas eingeschränkter Form – diesen Ausschluß auch schon in den früheren Fassungen des § 18 GVG gegeben hatte. Bemerkenswert ist ferner der neue § 18 Abs. 1 Satz 2 GVG, eine Regelung, die es als § 20 Abs. 2 GVG auch heute noch gibt. Mit dieser Bestimmung, die lediglich Klarstellungsfunktion hat, wurde erstmals deutlich gemacht, daß es neben den diplomatischen und konsularischen Exemtionen noch weitere – völkergewohnheitsrechtlich oder völkervertraglich geltende – Exemtionen gibt, die der deutschen Gerichtsbarkeit Schranken setzen.9 3. Die Novelle von 1950 Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurden die gerichtsverfassungsrechtlichen Bestimmungen über völkerrechtliche Exemtionen im Jahr 1950
___________ Vgl. die amtliche Begründung in „Deutsche Justiz“ 1934, 1606 (1606) sowie unten § 11 I.2.c). Eine vergleichbare Regelung enthalten heute Art. 2 Zustimmungsgesetz zum WÜD (vgl. unten Anm. 30) und Art. 2 Zustimmungsgesetz zum WÜK (vgl. unten Anm. 31). 8 In der amtlichen Begründung der Novelle heißt es zu § 19 GVG: „Die Neufassung paßt sich den veränderten staatsrechtlichen Verhältnissen im Deutschen Reich an.“ Vgl. „Deutsche Justiz“ 1934, 1606 (1606). 9 In der amtlichen Begründung der Novelle wird die bloße Klarstellungsfunktion des § 18 Abs. 1 Satz 2 GVG ausdrücklich hervorgehoben; vgl. „Deutsche Justiz“ 1934, 1606 (1606). 7
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Teil 1: Geltungsgrund und gerichtsverfassungsrechtliche Grundlagen
erneut geändert.10 Die Bezeichnung „Deutsches Reich“ wurde durch „Bundesrepublik Deutschland“ ersetzt. Zudem wurde die Bestimmung des § 19 GVG gestrichen, womit nun die Leiter und Mitglieder diplomatischer Vertretungen, deren Geschäftspersonal und Familienangehörige auch dann vollständige Befreiung von deutscher Gerichtsbarkeit genossen, wenn diese die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen. Die zuvor in § 18 GVG normierte Exemtion von Familienmitgliedern, des Geschäftspersonals diplomatischer Vertretungen und der Bediensteten wurde jetzt in § 19 GVG verankert. § 20 GVG wurde in der Ursprungsfassung beibehalten. Die §§ 18, 19 und 21 GVG lauteten nunmehr: § 18 „Die deutsche Gerichtsbarkeit erstreckt sich nicht auf die Leiter und Mitglieder der bei der Bundesrepublik Deutschland beglaubigten diplomatischen Vertretungen. Sie erstreckt sich auch nicht auf andere Personen, die nach den allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts oder nach einem Staatsvertrag von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit sind.“ § 19 „Für die Familienmitglieder, das Geschäftspersonal der im § 18 genannten Personen und für ihre Bediensteten, die nicht Deutsche sind, gilt die Vorschrift des § 18 entsprechend.“ § 21 „Die in der Bundesrepublik Deutschland angestellten Konsuln sind der inländischen Gerichtsbarkeit unterworfen, sofern nicht in den Verträgen der Bundesrepublik mit anderen Mächten Vereinbarungen über die Befreiung der Konsuln von der inländischen Gerichtsbarkeit getroffen sind.“
4. Die völlige Neufassung von 1974 Im Dezember 1964 trat für die Bundesrepublik Deutschland das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD) in Kraft.11 Das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK) wurde für die Bundesrepublik im Oktober 1971 verbindlich.12 In diesen beiden multilateralen Verträgen sind die diplomatischen und konsularischen Exemtionen umfassend normiert. Da die Exemtionsregelungen von WÜD und WÜK über das jeweilige deutsche Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 GG Bestandteil des deutschen Rechts sind, waren die §§ 18 ff. GVG – jedenfalls insofern, als es um Exemtionen ging, die gegenüber anderen Vertragsstaaten des WÜD und WÜK zu gewähren waren – reformbedürftig geworden. Denn in bezug auf den Umfang der festgelegten Exemtionen stimmten die §§ 18 ff. nicht mit den Regelungen des WÜD und des WÜK überein. Inso___________ Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12.9.1950; BGBl. 1950, S. 455 (456, 516). Vgl. auch BT-Drucks. 1/530, S. 6. 11 Bekanntmachung der Bundesregierung vom 13.2.1965, BGBl. 1965 II, S. 147. 12 Bekanntmachung der Bundesregierung vom 30.11.1971, BGBl. 1971 II, S. 1285. 10
§ 3 Die gerichtsverfassungsrechtlichen Grundlagen
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fern bestand Unsicherheit, ob die §§ 18 ff. GVG – zumindest im Verhältnis zu den anderen Vertragsstaaten des WÜD und des WÜK – durch die Regelungen des WÜD und des WÜK gemäß der lex posterior-Regel vollständig abgelöst worden oder aber insoweit wirksam geblieben waren, als sie weiterreichende Exemtionen festlegten als das WÜD.13 Zeitweilig war die ersatzlose Streichung der §§ 18–20 GVG erwogen worden.14 Die oppositionelle CDU/CSU-Fraktion hatte im Gesetzgebungsverfahren zunächst für eine solche Lösung votiert und einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht.15 Der Deutsche Bundestag entschied sich dann aber im Interesse der Rechtklarheit mit den Stimmen der CDU/CSU-Abgeordneten für eine vom Rechtsausschuß einmütig ausgearbeitete Verweisung auf die Regelungen des WÜD und WÜK.16 Zudem sollte durch eine ausdrückliche Festlegung der Anwendbarkeit der Regeln des WÜD und WÜK auch auf Vertretungen von NichtVertragsstaaten der damalige Streit, ob diese Regeln auch Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts sind und schon deshalb auch auf Nicht-Vertragsstaaten angewendet werden müßten bzw. dürften,17 entschärft werden.18 Mit der vom Bundestag einstimmig verabschiedeten Reform von 197419 bekamen die §§ 18 und 19 GVG die Fassung, die auch heute noch gilt. Die bislang als § 18 Satz 2 GVG normierte Regelung blieb als § 20 GVG erhalten,20 sie lautete nunmehr: „Die deutsche Gerichtsbarkeit erstreckt sich auch nicht auf andere als die in den §§ 18 und 19 genannten Personen, soweit sie nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, auf Grund völkerrechtlicher Vereinbarungen oder sonstiger Rechtsvorschriften von ihr befreit sind.“
§ 21 GVG wurde gestrichen. ___________ 13 Vgl. BT-Drucks. 7/226, S. 3. Unter anderem durch die vollständige Befreiung auch des nachgeordneten Personals von deutscher Gerichtsbarkeit gemäß § 19 GVG a.F. gewährte das deutsche GVG weitergehende Exemtionen als nach dem WÜD vorgesehen und völkerrechtlich geboten. So auch die Einschätzung im Gesetzgebungsverfahren; vgl. BTDrucks. 7/226, S. 3; BT-Drucks. 7/365, S. 1, 3; Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Stenographische Berichte, 7. Wahlperiode, 23. Sitzung, S. 1106B. 14 Vgl. Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 4. 15 Vgl. BT-Drucks. 7/226, S. 2 ff. 16 In der parlamentarischen Debatte wandte sich der Redner der SPD gegen die vom Vorredner der CDU präferierte ersatzlose Streichung der §§ 18 ff. GVG mit den Worten: „Er stürzt damit die Gerichte in ein tiefes Loch, und zukünftige Examenskandidaten schickt er zudem in eine Stolperschneise (…).“ Vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Stenographische Berichte, 7. Wahlperiode, 23. Sitzung, S. 1107B. 17 Vgl. Fliedner, ZRP 1973, 263 (265 f.); Hauser, ZRP 1974, 128 (128). 18 Vgl. BT-Drucks. 7/1586, S. 3; LR-StPO-Schäfer (24. Aufl. 1996), Bd. 6/1, § 18 GVG Rn. 1. 19 Art. 1 Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 25.3.1974; BGBl. 1974 I, S. 761 (761 f.). Vgl. auch BT-Drucks. 7/226; BT-Drucks. 7/365; BT-Drucks. 7/1586. 20 Vgl. BT-Drucks. 7/1586, S. 3.
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Teil 1: Geltungsgrund und gerichtsverfassungsrechtliche Grundlagen
5. Die Novelle von 1984 Im Jahr 1984 wurde § 20 GVG ergänzt. Der bisherige Text des § 20 GVG wurde mit lediglich redaktionellen Änderungen als § 20 Abs. 2 GVG beibehalten; neu eingefügt wurde der heutige § 20 Abs. 1 GVG, nach dem eingeladene Repräsentanten anderer Staaten einschließlich ihrer Begleitung Befreiung von deutscher Gerichtsbarkeit genießen.21 6. Die Novelle von 2002 Die letzte Änderung der §§ 18 ff. GVG datiert aus dem Jahr 2002. Der bei der Reform von 1974 gestrichene § 21 GVG wurde neu geschaffen und legt nunmehr fest, daß völkerrechtliche Exemtionen einer Überstellung von Personen an einen Internationalen Strafgerichtshof sowie sonstiger Rechtshilfe für ein supranationales Strafgericht nicht entgegenstehen.22
II. Überblick über die derzeit geltenden Normen über Exemtionen im Gerichtsverfassungsgesetz 1. Wortlaut der §§ 18–21 GVG Die derzeit geltenden Normen über Exemtionen im Gerichtsverfassungsgesetz sind die §§ 18–21 GVG. Sie lauten: § 18 „Die Mitglieder der im Geltungsbereich dieses Gesetzes errichteten diplomatischen Missionen, ihre Familienmitglieder und ihre privaten Hausangestellten sind nach Maßgabe des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 (Bundesgesetzbl. 1964 II S. 957 ff.) von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit. Dies gilt auch, wenn ihr Entsendestaat nicht Vertragspartei dieses Übereinkommens ist; in diesem Fall findet Artikel 2 des Gesetzes vom 6. August 1964 zu dem Wiener Übereinkommen vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen (Bundesgesetzbl. 1964 II S. 957) entsprechende Anwendung.“
___________ 21 Art. 4 Zweites Gesetz zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes vom 17.7.1984; BGBl. 1984 I, S. 990 (993 f.). In Kraft getreten am 1.8.1984. Siehe auch BTDrucks. 10/1447. Zum Gehalt des § 20 Abs. 1 GVG vgl. unten § 3 II.2.b); § 17 II.; § 18 V. 22 Art. 4 Gesetz zur Ausführung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 21. Juni 2002; BGBl. 2002 I, S. 2144 (2162). Vgl. auch den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 13.3.2002; BT-Drucks. 14/8527, S. 23, 99. Das Gesetz ist am 1.7.2002 in Kraft getreten. Zum Gehalt des „neuen“ § 21 GVG vgl. unten § 3 II.2. sowie § 23 VI.2.
§ 3 Die gerichtsverfassungsrechtlichen Grundlagen
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§ 19 „(1) Die Mitglieder der im Geltungsbereich dieses Gesetzes errichteten konsularischen Vertretungen einschließlich der Wahlkonsularbeamten sind nach Maßgabe des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 (Bundesgesetzbl. 1969 II S. 1585 ff.) von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit. Dies gilt auch, wenn ihr Entsendestaat nicht Vertragspartei dieses Übereinkommens ist; in diesem Fall findet Artikel 2 des Gesetzes vom 26. August 1969 zu dem Wiener Übereinkommen vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen (Bundesgesetzbl. 1969 II S. 1585) entsprechende Anwendung. (2) Besondere völkerrechtliche Vereinbarungen über die Befreiung der in Absatz 1 genannten Personen von der deutschen Gerichtsbarkeit bleiben unberührt.“ § 20 „(1) Die deutsche Gerichtsbarkeit erstreckt sich auch nicht auf Repräsentanten anderer Staaten und deren Begleitung, die sich auf amtliche Einladung der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten. (2) Im übrigen erstreckt sich die deutsche Gerichtsbarkeit auch nicht auf andere als die in Absatz 1 und in den §§ 18 und 19 genannten Personen, soweit sie nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, auf Grund völkerrechtlicher Vereinbarungen oder sonstiger Rechtsvorschriften von ihr befreit sind.“ § 21 „Die §§ 18 bis 20 stehen der Erledigung eines Ersuchens um Überstellung und Rechtshilfe eines internationalen Strafgerichtshofes, der durch einen für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Rechtsakt errichtet wurde, nicht entgegen.“
2. Überblick über den Gehalt der §§ 18–21 GVG a) Gehalt der §§ 18 und 19 GVG § 18 GVG betrifft die Exemtionen für Mitglieder diplomatischer Missionen, § 19 GVG die der Mitglieder konsularischer Vertretungen. § 18 Satz 1 und § 19 Abs. 1 Satz 1 GVG verweisen auf die Regelungen des WÜD und WÜK, die pauschal für anwendbar erklärt werden. Damit haben § 18 Satz 1 und § 19 Abs. 1 Satz 1 GVG keinen eigenen materiellen Regelungsgehalt, sondern bloß deklaratorische Bedeutung. Denn die Bestimmungen des WÜD und WÜK sind über die deutschen Zustimmungsgesetze gemäß Art. 59 Abs. 2 GG ohnehin Bestandteil des Bundesrechts und unmittelbar anwendbare und verpflichtende Rechtsnormen.23 Konstitutive Bedeutung könnten jedoch § 18 Satz 2 Hs. 1 und § 19 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 GVG haben, die festlegen, daß die Bestimmungen des WÜD und des WÜK auch im Verhältnis zu Nicht-Vertragsstaaten dieser Übereinkommen Anwendung finden. Denn die Regeln des WÜD und WÜK können als völkervertragliche Normen gemäß Art. 34 WVRK für Nichtsignatarstaaten nicht verbindlich sein.24 Doch ist mittler___________ So auch LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 1, § 19 GVG Rn. 1; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 85, 409 f. 24 Vgl. Fliedner, ZRP 1973, 263 (265). 23
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weile unumstritten, daß die Bestimmungen des WÜD und WÜK nicht zuletzt aufgrund der überwältigend großen Zahl von Vertragsstaaten – das WÜD ist von 184 Staaten, das WÜK von 169 Staaten ratifiziert worden25 – auch völkergewohnheitsrechtlich gelten.26 Im Verhältnis zu Nicht-Vertragsstaaten sind die Bestimmungen des WÜD und des WÜK für Deutschland damit als völkergewohnheitsrechtliche Normen maßgeblich. Da diese über Art. 25 GG automatisch Bestandteil des Bundesrechts sind, sind das WÜD und das WÜK für die Strafverfolgungsbehörden auch im Verhältnis zu Nicht-Vertragsstaaten ohnehin verbindlich. Auch § 18 Satz 2 Hs. 1 und § 19 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 GVG haben damit jedenfalls heutzutage lediglich deklaratorische Wirkung.27 Soweit §§ 18 und 19 GVG die Bestimmungen des WÜD und des WÜK für maßgeblich erklären, kommt ihnen ausschließlich eine Klarstellungsfunktion zu.28 Der Rechtsanwender wird in einem ihm vertrauten nationalen Gesetz – dem GVG – auf die Anwendbarkeit von WÜD und WÜK hingewiesen und davon entbunden, selbst über den Geltungsgrund dieser Verträge und die völkergewohnheitsrechtliche Verankerung ihrer Bestimmungen zu räsonieren.29 Konstitutiven Charakter haben allerdings § 18 Satz 2 Hs. 2 und § 19 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 GVG, die Art. 2 des (nationalen deutschen) Zustimmungsgesetzes zum WÜD30 und den inhaltsgleichen Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zum WÜK31 – die unmittelbar nur im Verhältnis zu den Vertragsstaaten der Übereinkünfte Anwendung finden können – im Verhältnis zu Nicht-Vertragsstaaten des WÜD und des WÜK für entsprechend anwendbar erklären. Diese von Art. 47 Abs. 2 WÜD und Art. 72 Abs. 2 WÜK gedeckten nationalen deutschen Rechtsvorschriften gestatten es der Bundesregierung, per Rechtsverordnung den Vertretungen bestimmter Staaten und deren Mitgliedern entweder weiterreichende Vorrechte und Befreiungen zuzuerkennen als nach dem WÜD bzw. WÜK vorgesehen oder aber festzulegen, daß den Vertretungen und deren Mitgliedern die Exemtionen nach ___________ 25 Vgl. die Aufstellung zum Ratifizierungsstand unter (31.3.2006). 26 Vgl. unten § 12 II.1. mit Nachw. zu Rechtsprechung und Literatur. 27 Ebenso Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 84 f. 28 Vgl. LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 1; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 4, § 19 Rn. 1. 29 Im Gesetzgebungsverfahren wurde – indirekt – betont, durch die ausdrückliche Festlegung der Geltung der Bestimmungen des WÜD und des WÜK auch im Verhältnis zu Nicht-Vertragsstaaten sollten die Gerichte von der Pflicht entbunden werden, bei einem Streit darüber, ob die Regelungen des WÜD und des WÜK auch völkergewohnheitsrechtlich gelten und deshalb auch im Verhältnis zu Nicht-Vertragsstaaten anwendbar sind, das BVerfG nach Art. 100 Abs. 2 GG anzurufen. Vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Stenographische Berichte, 7. Wahlperiode, 23. Sitzung, S. 1107B. Siehe auch oben Anm. 16. 30 Zustimmungsgesetz zum WÜD vom 6.8.1964; BGBl. 1964 II, S. 959. 31 Zustimmungsgesetz zum WÜK vom 26.8.1969; BGBl. 1969 II, S. 1585.
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dem WÜD und dem WÜK nicht oder nicht in vollem Umfang gewährt werden, wenn der betreffende Staat seinerseits deutschen Vertretungen und deren Mitgliedern nicht oder nur in eingeschränktem Maße Exemtionen zuerkennt.32 § 19 Abs. 2 GVG, wonach besondere völkerrechtliche Verträge, durch die Mitgliedern konsularischer Vertretungen Exemtionen gewährt werden, Vorrang vor den Bestimmungen des WÜK haben – und zwar auch dann, wenn diese Verträge weniger weit reichende Exemtionen normieren als das WÜK und das diesem entsprechende Völkergewohnheitsrecht –, ist wiederum rein deklaratorisch. Denn einen solchen Vorrang spezieller Verträge – gemeint sind vor allem die noch in Kraft befindlichen bilateralen Konsularverträge der Bundesrepublik mit anderen Staaten – legt bereits Art. 73 WÜK fest.33 Auch § 19 Abs. 2 GVG hat damit lediglich Klarstellungsfunktion. b) Gehalt des § 20 Abs. 1 GVG Die Bedeutung des § 20 Abs. 1 GVG wird nur vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte dieser 1984 geschaffenen und der Besonderheit des Verhältnisses von DDR und BRD geschuldeten Regelung verständlich. Im Jahr 1984 war ein Besuch des DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker in der Bundesrepublik geplant (zu dem es allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht kam). Da gegen Honecker wegen der unter seiner Führung in der DDR begangenen Menschenrechtsverletzungen in der Bundesrepublik Strafanzeigen erhoben worden waren, wollte die Bundesregierung sicherstellen, daß Honecker bei seinem Besuch in Westdeutschland vor Strafverfolgungsmaßnahmen geschützt sein würde. Man befürchtete, daß die völkergewohnheitsrechtliche Regel, wonach amtierende Staatsoberhäupter gegenüber der Gerichtsbarkeit anderer Staaten vollständige Exemtion genießen,34 in bezug auf Honecker nicht anwendbar sein könnte. Denn – so wurde argumentiert – zum einen sei Honecker formal nicht Staatsoberhaupt der DDR, zum anderen sei die DDR von der Bundesrepublik nicht als Staat völkerrechtlich anerkannt worden, so daß Honecker nach dem Recht der Bundesrepublik nicht als Staatsoberhaupt eines fremden Staates angesehen werden könne. Zwar hat der BGH später beide Thesen zurückgewiesen und Honecker völkergewohnheitsrechtliche Immunität als Staatsoberhaupt zuerkannt,35 doch war zuvor in einem legislativen Schnellverfahren § 20 Abs. 1 GVG geschaffen worden, um den Besuch Honeckers zu ermöglichen und ihn und seine Begleitung für diesen Besuch von der ___________ Vgl. hierzu näher unten § 12 II.6. Vgl. BT-Drucks. 7/1586, S. 3; LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 1; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 19 GVG Rn. 2; MK-ZPO-Wolf, vor §§ 18–20 GVG Rn. 1. Siehe näher zu den bilateralen Verträgen und ihrem Verhältnis zum WÜK unten § 12 II.3. 34 Vgl. hierzu unten § 17 I.2.a)bb). 35 Vgl. BGHSt 33, 97 (97 f.) = NJW 1985, 639 (639). Gegen den BGH Blumenwitz, JZ 1985, 614 (614 ff.). 32 33
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deutschen Gerichtsbarkeit zu befreien.36 § 20 Abs. 1 GVG, der auch als „lex Honecker“ bezeichnet wird, betrifft somit keine völkerrechtliche Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, sondern ist eine nationale Exemtionsregelung, durch die die für die Bundesrepublik maßgeblichen völkerrechtlichen Exemtionen ergänzt werden.37 Auf Einzelheiten des Gehalts des § 20 Abs. 1 GVG soll erst an späterer Stelle eingegangen werden.38 Hier muß die Feststellung genügen, daß nach § 20 Abs. 1 GVG Personen, die als staatliche Funktionsträger und mit der Befugnis, als Vertreter eines anderen Staates zu agieren, aufgrund einer amtlichen Einladung der Bundesrepublik – eine Einladung eines einzelnen Bundeslandes genügt nicht – in diese einreisen, ebenso wie ihr Begleitpersonal39 während ihres von der Einladung gedeckten Aufenthaltes in Deutschland vollständige Befreiung von deutscher Gerichtsbarkeit (Immunität ratione personae, Unverletzlichkeit und Befreiung von Zeugenpflichten) genießen.40 Auch wenn § 20 Abs. 1 GVG aus Anlaß des geplanten Besuchs Honeckers in der Bundesrepublik geschaffen worden war, so beschränkt sich seine Geltung doch nicht auf DDR-Funktionsträger. Die Norm ist vielmehr so allgemein formuliert, daß sie auch auf Repräsentanten anderer Staaten Anwendung findet und nach dem Untergang der DDR nicht obsolet geworden ist.41 ___________ Vgl. Blumenwitz, JZ 1985, 614 (614 ff.); LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 1; Kissel/ Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 39; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 20 GVG Rn. 1 f.; MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 1. Die Verabschiedung der Ergänzung des § 20 GVG erfolgte als Teil eines Artikelgesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG), obgleich sie inhaltlich in keinerlei Zusammenhang mit dem BZRG steht. Man ist gewissermaßen willkürlich auf das erstbeste bereits laufende Gesetzgebungsverfahren aufgesprungen, um die Ergänzung des § 20 GVG möglichst schnell umsetzen zu können. So findet sich im ursprünglichen Entwurf des BZRG-Änderungsgesetzes (BTDrucks. 10/319) noch kein Hinweis auf eine Änderung des § 20 GVG, diese Novellierung wurde erst in die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses aufgenommen (vgl. BTDrucks. 10/1447, S. 12, 14). Vgl. zur Intention des Gesetzgebers das Protokoll der Plenardebatte (Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Stenographische Berichte, 10. Wahlperiode, 74. Sitzung, S. 5382, 5386). 37 Vgl. BL-ZPO-Albers, § 20 GVG Rn. 1; LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 1; Kissel/ Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 39; MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 1. Strenggenommen fällt § 20 Abs. 1 GVG damit aus dem Untersuchungsrahmen der vorliegenden Arbeit heraus. Wenn diese Norm dennoch berücksichtigt wird, so allein deshalb, weil sie in unmittelbarem Zusammenhang mit den völkerrechtlichen Exemtionsregelungen steht. 38 Vgl. unten § 17 II. und § 18 V. 39 Damit sind laut BT-Drucks. 10/1447, S. 14 die Begleitpersonen gemeint, die auf der von Deutschland akzeptierten Delegationsliste aufgeführt sind. 40 Vgl. BL-ZPO-Albers, § 20 GVG Rn. 1; LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 2; Kissel/ Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 39 f.; KK-StPO-Pfeiffer, § 20 GVG Rn. 1; MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 2 ff. 41 So auch LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 1; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 39 f. Schon im damaligen Gesetzgebungsverfahren war nicht von einer Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 20 Abs. 1 GVG auf DDR-Funktionsträger ausgegangen worden. Als von dieser Regelung erfaßt wurden auch „die im KSZE-Prozeß vorgesehenen Manöverbeobachter“ bezeichnet. Vgl. Verhandlungen des Deutschen Bun36
§ 3 Die gerichtsverfassungsrechtlichen Grundlagen
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Bedeutung hat die Vorschrift heute namentlich für Sondergesandte fremder Staaten.42 c) Gehalt des § 20 Abs. 2 GVG § 20 Abs. 2 GVG legt fest, daß Personen, die von den §§ 18, 19 und 20 Abs. 1 GVG nicht erfaßt werden, der deutschen Gerichtsbarkeit entzogen sind, wenn sie aufgrund der allgemeinen Regeln des Völkerrechts, völkerrechtlicher Vereinbarungen oder sonstiger Rechtsvorschriften von ihr befreit sind. Damit wird eine bare Selbstverständlichkeit zum Ausdruck gebracht. Ebenso wie ihre 1934 geschaffene Vorgängernorm – der frühere § 18 Satz 2 GVG – hat der deklaratorische § 20 Abs. 2 GVG lediglich die Funktion, den Rechtsanwender darauf hinzuweisen, daß es neben den in §§ 18, 19 und 20 Abs. 1 GVG explizit genannten Exemtionsregelungen noch weitere Bestimmungen geben kann, die eine Befreiung von deutscher Gerichtsbarkeit bewirken.43 Der Verweis des § 20 Abs. 2 GVG auf die allgemeinen Regeln des Völkerrechts bezieht sich auf das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts, also die in Art. 38 Abs. 1 lit. b) und c) IGH-Statut genannten Völkerrechtsquellen.44 Diese Rechtssätze sind jedoch bereits über Art. 25 GG Bestandteil des unmittelbar anwendbaren Bundesrechts.45 Mit dem Verweis auf völkerrechtliche Vereinbarungen sind völkerrechtliche Verträge im Sinne des Art. 38 Abs. 1 lit. a) IGH-Statut gemeint. Allerdings bezieht sich § 20 Abs. 2 GVG nur auf solche völkerrechtlichen Verträge, die von der Bundesrepublik ratifiziert worden und ordnungsgemäß in nationales deutsches Recht transformiert worden sind.46 Verfehlt wäre es anzunehmen, daß durch § 20 Abs. 2 GVG (dann mit konstitutiver Wirkung) auch Exemtionen für maßgeblich erklärt ___________ destages, Stenographische Berichte, 10. Wahlperiode, 74. Sitzung, S. 5386D; LR-StPOBöttcher, § 20 GVG Rn. 2. 42 Vgl. zur Relevanz des § 20 Abs. 1 GVG für Sondermissionen unten § 18 V. 43 Vgl. die amtliche Begründung zur Vorgängernorm in „Deutsche Justiz“ 1934, 1606 (1606). Wie hier auch MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 112; Gehrlein, Strafbarkeit der OstSpione, S. 84; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 79, 88; MK-ZPO-Wolf, vor §§ 18–20 GVG Rn. 1, § 20 GVG Rn. 6. Der BGH, NJW 1979, 1101 (1101), hat § 20 Abs. 2 GVG als „lückenfüllende Generalklausel“ bezeichnet. 44 Allerdings spielen – wie schon oben in § 2 I. erwähnt – allgemeine Rechtsgrundsätze i.S.d. Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut im Bereich der völkerrechtlichen Exemtionen keine Rolle. 45 Vgl. LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 4; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 20 Rn. 2; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 2; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 20 GVG Rn. 3 f.; MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 7. Verkannt wurde die Bedeutung des § 20 Abs. 2 GVG für völkergewohnheitsrechtliche Exemtionen von BGH, NJW 1979, 1101 (1101). 46 So auch Engel, JZ 1983, 627 (628).
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Teil 1: Geltungsgrund und gerichtsverfassungsrechtliche Grundlagen
werden, die in Verträgen vereinbart worden sind, bei denen Deutschland nicht Vertragspartei ist. Gleichfalls verfehlt wäre die Annahme, § 20 Abs. 2 GVG ordne die Maßgeblichkeit auch solcher Verträge an, die (noch) nicht über ein deutsches Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 GG oder durch eine Rechtsverordnung in nationales Recht überführt worden sind, ermögliche es also der Exekutive, ohne parlamentarische Zustimmung für die deutschen Gerichte beachtliche Exemtionen mit anderen Staaten zu vereinbaren.47 Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, daß der Gesetzgeber mit der Regelung des § 20 Abs. 2 GG der Exekutive eine praktisch grenzenlose Ermächtigung zum Abschluß völkerrechtlicher Vereinbarungen mit unmittelbarer innerstaatlicher Verbindlichkeit gegeben hat, also quasi eine antizipierte Zustimmung im Sinne des Art. 59 Abs. 2 GG erteilt hat.48 Zwar sind – wie schon oben in § 2 IV.2. angedeutet – antizipierte Zustimmungen zu völkerrechtlichen Vereinbarungen nicht schlechthin unzulässig – gerade im Bereich der völkerrechtlichen Exemtionen gibt es solche tatsächlich;49 doch kann ein solches Vorgehen nur dann für verfassungsrechtlich zulässig erachtet werden, wenn die vorherige Zustimmung auf eine ganz bestimmte und in ihrer Reichweite schon feststehende Exemtion bezogen ist. Der Gesetzgeber hätte eine pauschale Zustimmung, wie man sie auf den ersten Blick aus § 20 Abs. 2 GVG herauslesen könnte, also gar nicht erteilen dürfen, eine solche wäre nichtig.50 Die dritte Rechtsquelle, auf die § 20 Abs. 2 GVG verweist, sind „sonstige Rechtsvorschriften“. Damit sind nur originär nationale Rechtsnormen – Gesetze und Rechtsverordnungen – gemeint.51 Denn der Kanon der völkerrechtlichen Rechtsquellen wird bereits durch die zwei vorhergehenden Verweise abgedeckt. § 20 Abs. 2 GVG bezieht sich vor allem auf gesetzliche Regelungen, die in Ergänzung der in deutsches Recht überführten völkervertraglichen Exemtionsregelungen als Bestandteil der betreffenden Zustimmungsgesetze nach Art. 59 Abs. 2 GG geschaffen worden sind, sowie auf Rechtsverordnungen auf der Basis dieser gesetzli-
___________ Vgl. diesbezüglich Murswiek, JuS 1984, 139 (139 f.); ders., JuS 1985, 474 (474 f.); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 78 f. 48 Ganz im Gegenteil wurde in der amtlichen Begründung der Vorgängernorm (§ 18 Abs. 1 Satz 2 a.F.) auf den bloß deklaratorischen Charakter der Bestimmung hingewiesen und von einem Vertrag gesprochen, der „innerstaatlich Gesetz geworden ist“. Vgl. „Deutsche Justiz“ 1934, 1606 (1606). 49 Vgl. unten § 19 I.2.e) und § 20 IV.2.a). 50 Vgl. zur verfassungsrechtlichen Problematik antizipierter Zustimmungen zu Exemtionsvereinbarungen unten § 19 I.2.e) und § 20 IV.2.a) sowie Brockmeyer, in: SchmidtBleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 59 Rn. 1b; Rojahn, in: von Münch/ Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 42a. 51 Diese Interpretation entspricht der Intention des Gesetzgebers, vgl. BT-Drucks. 7/1586, S. 3. Ebenso LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 9; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 38. 47
§ 3 Die gerichtsverfassungsrechtlichen Grundlagen
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chen Regelungen.52 Ein Überblick über diese originär deutschen Rechtsnormen wird unten in § 3 III.1. gegeben. d) Gehalt des § 21 GVG Der im Jahr 2002 in Kraft getretene § 21 GVG, dessen Verabschiedung Teil eines größeren Gesetzgebungsverfahrens war, mit dem die Voraussetzungen für eine vom Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs geforderte Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof geschaffen worden sind, bestimmt, daß völkerrechtliche Exemtionen generell einer Kooperation mit internationalen Strafgerichtshöfen keine Schranke setzen. Diese Regelung bezieht sich (derzeit) nicht nur auf Überstellungs- und Rechtshilfemaßnahmen zugunsten des IStGH, sondern auch auf Maßnahmen zugunsten der UN-Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda.53 Auf die Frage, inwieweit diese Festlegung einer generellen Unbeachtlichkeit von Exemtionen völkerrechtskonform ist, wird unten in § 23 VI.2. eingegangen.
III. Sonstige nationale Bestimmungen Abschließend ist noch auf einige weitere nationale Bestimmungen hinzuweisen, die die §§ 18–20 GVG ergänzen. 1. Gesetzliche Regelungen Im Zusammenhang mit der parlamentarischen Zustimmung zu einigen völkerrechtlichen Verträgen, die Exemtionen normieren, sind ergänzende nationale Rechtsvorschriften geschaffen worden, auf die § 20 Abs. 2 GVG mit dem Verweis auf „sonstige Rechtsvorschriften“ Bezug nimmt. Dies sind zum einen Art. 2 Zustimmungsgesetz zum WÜD54 und Art. 2 Zustimmungsgesetz zum WÜK55, die schon oben in § 3 II.2.a) erwähnt wurden. Zum anderen ist Art. 3 Abs. 2 Zustimmungsgesetz zum Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen56 zu nennen, der den Teilnehmern an Veranstaltungen der Vereinten Nationen, ihrer Sonderorganisationen und ___________ Vgl. BT-Drucks. 7/1586, S. 3; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (396 Fn. 5). Vgl. LR-StPO-Böttcher, § 21 GVG Rn. 1 ff.; KK-StPO-Pfeiffer, § 21 GVG Rn. 1; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 21 Rn. 15 ff. 54 Vgl. oben Anm. 30. 55 Vgl. oben Anm. 31. 56 Gesetz vom 16.8.1980; BGBl. 1980 II, S. 941. Siehe hierzu auch BT-Drucks. 8/3232. 52 53
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Teil 1: Geltungsgrund und gerichtsverfassungsrechtliche Grundlagen
mit den Vereinten Nationen assoziierter Organisationen, die in Deutschland stattfinden, Exemtionen zuerkennt.57 Darüber hinaus gibt es einige Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen im Sinne des Art. 80 GG, die der Bundesregierung gestatten, per Verordnung für die Strafverfolgungsbehörden – auch die Gerichte – verbindliche Exemtionen festzulegen. Zu nennen sind Art. 3 Abs. 1 Zustimmungsgesetz zum Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen,58 Art. 3 Zustimmungsgesetz zum Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen59 sowie Art. 1 Streitkräfteaufenthaltsgesetz (SkAufG)60. Auf den Gehalt dieser Verordnungsermächtigungen, die – wie schon erwähnt – zum Teil auch eine Transformation völkervertraglicher Exemtionen per Rechtsverordnung ermöglichen, wird noch gesondert eingegangen.61 2. Das Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern Wichtig für die Rechtspraxis bei Strafverfahren gegen Personen, die (möglicherweise) völkerrechtliche Exemtionen genießen, ist neben den gesetzlichen Vorschriften das informatorische Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern mit dem Titel „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“. Dieses Rundschreiben wird in längeren Abständen aktualisiert, die jüngste Fassung datiert vom 17. August 1993.62 Rechtsverbindlichkeit kommt diesem Rundschreiben zwar weder für die Gerichte noch für die Staatsanwaltschaften zu, doch bietet es eine hilfreiche Zusammenfassung und Erläuterung der einschlägigen Rechtsvorschriften.
___________ Auf diese Regelung wird unten in § 19 I.2.d)bb) näher eingegangen. Vgl. oben Anm. 56. 59 Gesetz vom 22.6.1954; BGBl. 1954 II, S. 639, zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 1 Zustimmungsgesetz zum UN-Immunitäten-Übereinkommen (vgl. oben Anm. 56). 60 Gesetz über die Rechtsstellung ausländischer Streitkräfte bei vorübergehenden Aufenthalten in der Bundesrepublik Deutschland (Streitkräfteaufenthaltsgesetz – SkAufG) vom 20.7.1995; BGBl. 1995 II, S. 554. 61 Zu Art. 3 Abs. 1 Zustimmungsgesetz zum Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen vgl. unten § 19 I.2.d)aa); zu Art. 3 Zustimmungsgesetz zum Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen vgl. unten § 19 I.2.d)cc) und § 19 I.2.e); zum SkAufG vgl. unten § 20 IV.2.a). 62 Rundschreiben das Bundesministeriums des Innern „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 – P I 6 – 640 005/1 –; GMBl. 1993, S. 591. Auszugsweise abgedruckt unter anderem bei LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 9; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 18 GVG Rn. 11 sowie bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12. 57 58
§ 3 Die gerichtsverfassungsrechtlichen Grundlagen
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3. Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Bestimmungen über die strafrechtliche Bedeutung völkerrechtlicher Exemtionen enthalten auch die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV), die von Bund und Ländern als Verwaltungsvorschrift einheitlich erlassen worden sind.63 Die RiStBV sind zwar, da es sich nicht um Außenrechtssätze handelt, für die gemäß Art. 97 Abs. 1 GG ausschließlich dem Gesetz unterworfenen Richter nicht verbindlich, wohl aber für die Staatsanwaltschaften.64 Die im vorliegenden Zusammenhang relevanten Nr. 192b–199 und Nr. 298 enthalten Bestimmungen über den Umgang mit Personen, die völkerrechtliche Exemtionen genießen, erläutern, inwieweit völkerrechtliche Exemtionen einem strafrechtlichen Vorgehen entgegenstehen, und legen den Staatsanwaltschaften besondere Berichtspflichten auf.
___________ 63 64
Abgedr. u.a. bei Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Anhang Nr. 12. Vgl. zur Bindungswirkung der RiStBV deren Einführung.
Teil 2
Staatenimmunität und Act of State-Doktrin Die im Hinblick auf den geschützten Personenkreis umfassendste und völkerrechtstheoretisch bedeutendste völkerrechtliche Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit ist die Staatenimmunität (im Englischen als State Immunity oder auch Sovereign Immunity bezeichnet). Von der deutschen Strafrechtswissenschaft ist die Staatenimmunität jedoch lange Zeit weitgehend unbeachtet geblieben, da ihr bis vor kurzem keine praktische strafrechtliche Relevanz zukam. Funktionsträger fremder Staaten und internationaler Organisationen, die nach Deutschland entsandt werden, genießen in aller Regel aufgrund spezieller Exemtionen – etwa den diplomatischen und konsularischen Immunitäten – Befreiung von deutscher Strafgerichtsbarkeit, so daß es auf die Staatenimmunität nicht ankommt. Und in den Fällen, in denen fremdstaatliche Funktionsträger zur Verantwortung gezogen wurden, die keine besondere Exemtion genossen, war die Staatenimmunität aufgrund einer der vielen Ausnahmen, die sie erfährt, nicht einschlägig. In das Blickfeld der deutschen Strafrechtswissenschaft gelangte die Staatenimmunität erst im Zusammenhang mit den zwei großen Herausforderungen, denen sich das Strafrecht in den neunziger Jahren zu stellen hatte. Dies war zum einen die strafrechtliche Reaktion auf das in der DDR begangene Systemunrecht.1 Als es nach der deutschen Vereinigung galt, das DDR-Systemunrecht strafrechtlich zu ahnden, stellte sich die Frage, ob die Verantwortlichen, da sie für den Staat DDR gehandelt hatten, wegen der Staatenimmunität von bundesdeutscher Gerichtsbarkeit befreit waren.2 Zum anderen hat die rapide Entwicklung des Völkerstrafrechts durch die Errichtung supranationaler Strafgerichtshöfe sowie eine verstärkte nationale Strafverfolgung im Ausland begangener völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger schwerer Menschenrechtsverletzungen die Aufmerksamkeit auf die Staatenimmunität gelenkt.3 Denn wenn man fremdstaatliche Funktionsträger wegen ___________ Vgl. hierzu allgemein Eser/Arnold (Hrsg.), Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht, Bd. 2: Deutschland. 2 Siehe BVerfG DtZ 1992, 216 (216); BVerfGE 92, 277 (321) = NJW 1995, 1811 (1813); BVerfGE 95, 96 (128 ff.) = NJW 1997, 929 (929 f.); BGH NJW 1991, 2498 (2499); BGHSt 39, 1 (5 f.) = NJW 1993, 141 (142); BGHSt 39, 260 (263 f.) = NJW 1993, 3147 (3147 f.) sowie ausführlich zur Relevanz der Staatenimmunität für die Ahndung des DDR-Systemunrechts unten § 8. 3 Vgl. nur MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 106 ff., 131 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 106 sowie die oben in § 1 II. erwähnte Literatur zum Fall Pinochet, zum 1
§ 4 Staatenimmunität – Grundlagen und zivilrechtliche Relevanz
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völkerrechtlicher Verbrechen oder sonstiger schwerer Menschenrechtsverletzungen, die sie im Dienste ihres Staates begangen haben, vor Gerichten anderer Staaten oder vor supranationalen Instanzen zur Verantwortung zieht, stellt sich die Frage, ob diese Personen mit dem Hinweis, sie hätten für ihren Staat gehandelt und partizipierten daher an dessen Immunität, eine Unzulässigkeit ihrer strafrechtlichen Verfolgung aufgrund der Staatenimmunität geltend machen können. Auch wenn die intensive wissenschaftliche Diskussion, die vor allem im Anschluß an den spektakulären Fall Pinochet in den letzten Jahren geführt wurde, erheblich zur Klärung der strafrechtlichen Reichweite der Staatenimmunität beigetragen hat, bestehen doch nach wie vor viele Unsicherheiten. Dies gilt vor allem in bezug auf die Frage, bei welchen Fallkonstellationen die Staatenimmunität eine Ausnahme erfährt. Denn die Geschichte der Staatenimmunität ist im Prinzip eine Geschichte der Herausbildung und völkerrechtlichen Anerkennung von Ausnahmen.4 Daher sind nicht nur die Grundzüge der Staatenimmunität zu erläutern, sondern ist schwerpunktmäßig zu untersuchen, in welchen Fällen die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit ausnahmsweise nicht gilt.
§ 4 Die Staatenimmunität – Grundlagen und zivilrechtliche Relevanz I. Grundsätzliches zur Staatenimmunität Zu den völkerrechtlichen Fundamentalnormen gehört das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten, das auch in Art. 2 Nr. 1 UN-Charta verankert ist. Alle Staaten sind rechtlich gleichrangig und allein an das Völkerrecht, nicht aber an das nationale Recht anderer Staaten gebunden.5 Daraus folgt, daß grundsätzlich kein Staat einen anderen Staat seiner nationalen Gerichtsbarkeit unterwerfen darf. Das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten verbietet es den Staaten grundsätzlich, „über einen anderen Staat zu Gericht zu sitzen“. Denn würde ein Staat über einen anderen Staat Gerichtsbarkeit ausüben, so würde er sich eine höherrangige Stellung anma___________ Urteil des IGH im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien sowie zum Verhältnis des völkerrechtlichen Immunitätsschutzes zur Gerichtsbarkeit des IStGH. 4 Vgl. Cohn, Gerichtsbarkeit über fremde Staaten, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR, Bd. 1, S. 661 (662), der ganz zu Recht ausgeführt hat, die Geschichte der Staatenimmunität sei zur „Geschichte des Ringens um Zahl, Art und Umfang der Ausnahmen geworden“. Ähnlich auch Dahm, FS Nikisch, S. 153 (153): „Seit Jahrzehnten ist die Immunität der ausländischen Staaten gegenüber der inländischen Gerichtsbarkeit in einem Prozeß der Schrumpfung begriffen.“ 5 Vgl. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 7 ff.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 58; Herdegen, Völkerrecht, § 33 Rn. 1, 3 f.; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 342; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 522 ff.; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 454.
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
ßen. Staaten genießen daher gegenüber der Gerichtsbarkeit anderer Staaten Immunität, die sogenannte Staatenimmunität.6 Dieser Grundsatz des Völkerrechts findet Ausdruck in der griffigen Rechtsparömie par in parem non habet imperium.7 Die Staatenimmunität bewirkt zunächst, daß ein Staat grundsätzlich nicht vor Gerichten eines anderen Staates verklagt werden kann. Sie hat daher vor allem im Zivilrecht praktische Bedeutung erlangt. Die Inanspruchnahme eines fremden Staates als Beklagter vor nationalen Gerichten ist prinzipiell völkerrechtswidrig, eine solche Klage ist wegen fehlender völkerrechtlicher Kompetenz des Gerichts unzulässig.8 Die Staatenimmunität hat sich historisch im Zuge der Herausbildung des modernen Territorialstaates aus der persönlichen Immunität der Staatsoberhäupter9 entwickelt und schließlich von dieser verselbständigt. Ursprünglich genossen lediglich die Staatsoberhäupter als Individuen Immunität, denn die Vorstellung eines von der Person des (monarchischen) Staatsoberhaupts getrennten, als juristische Person begriffenen Staates entwickelte sich erst mit der beginnenden Neuzeit. Der Monarch war die Personifizierung des als Personenverband begriffenen Staates, eine ___________ Vgl. Cassese, International Law, S. 99 f.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 453 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 658 ff.; Drohla, in: Heintschel v. Heinegg, Casebook Völkerrecht, Rn. 494; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 8, 17 ff.; Fox, State Immunity, S. 1 ff.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. 1. a); Geimer, Zivilprozeßrecht, Rn. 472 ff., 555 ff.; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 89; Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 1; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 3, 9; Kokott/Doehring/Buergenthal, Grundzüge des Völkerrechts, Rn. 461; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 606 f.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1462 ff.; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 714; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1168; Wirth, Jura 2000, 70 (71); ders., CLF 12 (2001), 429 (430); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 23. Terminologisch nicht präzise genug, weil auf den Hoheitsakt als solchen und damit in der Sache auf die Act of State-Doktrin abstellend MK-StGBAmbos, vor § 3 Rn. 106. Vollkommen überzeugend ist die Ableitung der Staatenimmunität aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten allerdings nicht. So auch Dahm, FS Nikisch, S. 153 (155); Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O., S. 453; Damian, Staatenimmunität, S. 14 f.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 109; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 122. Denn wenn alle Staaten über andere Staaten Gerichtsbarkeit ausüben dürften, wäre eine rechtliche Gleichheit ebenfalls gewahrt. Daher wird der Grundsatz der Staatenimmunität auch als Ausfluß der Unabhängigkeit (Souveränität) der Staaten und des Gebots des Schutzes der Würde eines Staates zu begründen versucht; vgl. Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 10 ff.; Damian, a.a.O., S. 15; Jennings/Watts, a.a.O., § 109; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 24 ff. 7 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 453; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 606; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1168. Zur Herkunft dieses Satzes siehe Gornig, NJ 1992, 4 (5, 13). 8 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 658 ff.; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 17 ff.; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 3, 9; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 606 f.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1462 ff.; Wirth, NStZ 2001, 665 (666). 9 Siehe zu dieser Immunität unten § 17 I. 6
§ 4 Staatenimmunität – Grundlagen und zivilrechtliche Relevanz
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eigenständige Immunität des Staates daher undenkbar. Als sich aber die Vorstellung vom Staat als selbständige juristische Person etabliert und die völkerrechtliche Souveränität der Staaten Anerkennung gefunden hatte, wurde auch den Staaten selbst Immunität zuerkannt. Ebenso wie die Monarchen als einander rechtlich ebenbürtig angesehen wurden und daher Immunität von der Gerichtsbarkeit anderer Monarchen genossen – par in parem non habet imperium –, wurden nun auch die Staaten als gleichberechtigte, nur dem Völkerrecht, nicht aber der Rechtsmacht anderer Staaten unterworfene Rechtssubjekte angesehen.10 Die Staatenimmunität wird aber nicht nur den Staaten als juristischen Personen zuerkannt. Sie erstreckt sich vielmehr auch auf natürliche Personen, die für einen Staat und damit diesem zurechenbar gehandelt haben. Diese sind in bezug auf ihr Handeln für einen fremden Staat der nationalen (Zivil- und Straf-)Gerichtsbarkeit grundsätzlich entzogen.11 ___________ Vgl. Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 533; Bröhmer, LJIL 12 (1999), 361 (364); Damian, Staatenimmunität, S. 4 ff.; Schaumann, in: Schaumann/Habscheid, Immunität ausländischer Staaten, S. 1 (11 ff.); Simbeye, Immunity and International Criminal Law, S. 93; Steinberger, State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 615 (616 f.); Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 147; Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (35) sowie YBILC 1980 II/1, 199 (207, 215 ff.) (UN-Dokument A/CN.4/331). 11 Vgl. BGH NJW 1979, 1101 (1102); BVerwG NJW 1989, 678 (679); BL-ZPO-Albers, § 20 GVG Rn. 2; Ambos, JZ 1999, 16 (19 f.); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 106; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 106; Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 539; Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 64 ff., 76 f.; Dahm, FS Nikisch, S. 153 (167 ff.); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 453; Damian, Staatenimmunität, S. 77 ff.; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (205); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 25 Rn. 38; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578); Fox, State Immunity, S. 353 ff.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. 2. a); Geimer, Zivilprozeßrecht, Rn. 475, 620 f.; Gornig, NJ 1992, 4 (13); Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 3; Hess, EJIL 4 (1993), 269 (280); ders., in: Geimer (Hrsg.), FS Schütze, S. 269 (270 Fn. 7); Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 32, 38; Kelsen, Peace through law, S. 81 ff.; ders., Principles of International Law, S. 235 f.; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 3; Kriebaum, in: Karl (Hrsg.), Völkerund Europarecht, S. 51 (52 ff.); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 164 ff.; Scheffler, Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts, S. 101; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 610; Schweitzer/Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis, Rn. 663, 924, 933; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1482 ff.; Stein, Immunität, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), LdR Völkerrecht, S. 167 (167); Steinberger, State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 615 (615); Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1177; Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 952; Wirth, Jura 2000, 70 (72); ders., CLF 12 (2001), 429 (430 f.); MK-ZPOWolf, § 20 GVG Rn. 9; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 32. Vgl. auch die Nachw. bei Whomersley, ICLQ 41 (1992), 848 (848 ff.). A.A. Berber, Völkerrecht, Bd. I, S. 221; Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 30 Fn. 122. Teilweise wird abweichend von der hier verwendeten Terminologie der Begriff der Staatenimmunität nur auf die Freistellung der Staaten selbst bezogen, im Hinblick auf staatliche Funktionsträger jedoch von einer „abgeleiteten Amtsträgerimmunität“ gesprochen; so etwa BVerfGE 96, 68 (91) = NJW 1998, 50 (54); Bosch, a.a.O., S. 64 f., 72 f. Hinzuweisen ist darauf, daß präventiv-polizeiliche Maßnahmen zur Abwehr einer konkreten Gefahr von der Staatenimmunität – ebenso wie von sämtlichen anderen völkerrechtlichen Exemtionen – nicht untersagt werden. 10
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
Begründet wird die Erstreckung der Staatenimmunität auf staatliche Funktionsträger12 damit, daß die Staaten als juristische Personen nur durch natürliche Personen agieren können. Die von natürlichen Personen für „ihren“ Staat vorgenommenen Handlungen seien als Handlungen des Staates zu begreifen.13 Mit der ziviloder strafrechtlichen Inanspruchnahme einer Person wegen ihres Handelns für einen anderen Staat würde mithin indirekt Gerichtsbarkeit über einen fremden Staat ausgeübt, indirekt würde man dann über einen fremden Staat selbst „zu Gericht sitzen“. Daher wäre eine Inanspruchnahme seitens natürlicher Personen wegen ihres Handelns für einen fremden Staat in gleicher Weise ein Verstoß gegen den Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten wie eine unmittelbare Inanspruchnahme des Staates als juristische Person.14 Die Bedeutung der Staatenimmunität kann anhand eines fiktiven Fallbeispiels verdeutlicht werden: Ein Deutscher fährt zu einer Demonstration gegen die Nutzung von Atomenergie nach Frankreich und beteiligt sich dort an einer Blockade eines Atomkraftwerks. Die Blockade wird schließlich von der französischen Polizei aufgelöst, der Demonstrant wird weggetragen. Dabei wird er verletzt. Wieder nach Deutschland zurückgekehrt, erhebt er vor einem deutschen Gericht zum einen Klage gegen den Staat Frankreich auf Zahlung von Schmerzensgeld mit dem Argument, er sei von einem französischen Polizeibeamten verletzt worden, für dessen Verhalten müsse Frankreich einstehen. Zum anderen verklagt er auch den Polizeibeamten selbst auf Zahlung von Schmerzensgeld. Ferner erstattet er in Deutschland Strafanzeige gegen den Polizeibeamten wegen Körperverletzung. Aufgrund der Staatenimmunität fehlt es für alle drei Verfahren an der deutschen Gerichtsbarkeit. Die Klage gegen Frankreich ist wegen der Staatenimmunität Frankreichs unzulässig, denn mit der Durchführung eines Verfahrens gegen Frankreich würde Deutschland gegen den Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten verstoßen. Auch die Zivilklage gegen den Polizeibeamten ist wegen der Staatenimmunität Frankreichs unzulässig. Denn mit der Durchführung eines Zivilprozesses gegen den Beamten wegen eines als Amtshandlung dem Staat Frankreich zuzurechnenden Verhaltens würde Deutschland indirekt ebenfalls über Frankreich „zu Gericht sitzen“. Dies gälte aber auch, wenn Deutschland ein Strafverfahren gegen den Polizeibeamten wegen der (gemäß § 7 Abs. 1 StGB vom deutschen Strafrecht erfaßten) Körperverletzung durchführte. Auch ein solches Strafverfahren wäre daher mit der Staatenimmunität unvereinbar.
___________ 12 Der hier verwendete Begriff des staatlichen Funktionsträgers erfaßt nicht nur Personen, die in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem Staat stehen, sondern alle Personen, die für einen Staat tätig werden oder geworden sind, auch wenn es sich um die einmalige Ausübung einer staatlichen Funktion in einem Einzelfall handelt. 13 Vgl. BGH NJW 1979, 1101 (1102); Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (385 f.); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (576, 578). 14 Vgl. Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578); Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. 2. a); Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (234); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (431); ders., NStZ 2001, 665 (666). Siehe auch BGH NJW 1979, 1101 (1102): „(…) Organhandlungen stellen sich als unmittelbares staatliches Handeln dar und können den jeweils zum Handeln Berufenen nicht als private Tätigkeit zugerechnet werden (…). Es bedeutete eine Aushöhlung der uneingeschränkten Immunität souveräner Staaten im Bereich hoheitlicher Betätigung, wollte man staatliches Handeln durch Zugriff auf das handelnde ausländische Organ der deutschen Gerichtsbarkeit unterwerfen.“
§ 4 Staatenimmunität – Grundlagen und zivilrechtliche Relevanz
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II. Zivilrechtliche Relevanz der Staatenimmunität Die Staatenimmunität als Schranke des Zivilrechts und die hier interessierende Staatenimmunität als Schranke für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit sind keine verschiedenen Exemtionen; vielmehr handelt es sich um ein und dieselbe Rechtsregel des Völkerrechts. Deshalb wird in der Literatur die Auffassung vertreten, die Staatenimmunität gelte im Strafrecht im selben Umfang wie im Zivilrecht.15 Ob diese These zutreffend ist, kann nur beantwortet werden, wenn Klarheit über die zivilrechtliche Reichweite der Staatenimmunität besteht. Da die Staatenimmunität vor allem im Zivilrecht praktische Bedeutung erlangt hat, wird sie in ihrer strafrechtlichen Reichweite nur verständlich, wenn man die Grundzüge ihrer zivilrechtlichen Wirkung vor Augen hat. Hinzu kommt, daß die umfangreiche zivilrechtliche Rechtsprechung und Gesetzgebung zur Staatenimmunität in den einzelnen Staaten erheblich zur Konturierung und Ausdifferenzierung, aber auch zur Modifikation der völkerrechtlichen Regeln über die zivilrechtliche Reichweite der Staatenimmunität beigetragen hat. Diese Entwicklung hatte auch Auswirkungen auf die strafrechtliche Relevanz der Staatenimmunität. Aus diesen Gründen ist es geboten, zunächst auf die zivilrechtliche Relevanz der Staatenimmunität einzugehen. 1. Rechtsgrundlagen der Staatenimmunität als Schranke des Zivilrechts a) Völkergewohnheitsrechtliche Rechtsgrundlagen Während früher von der Rechtsprechung und Literatur zum Teil angenommen wurde, die Staatenimmunität sei Bestandteil der Völkercourtoisie, werde also als Ausdruck der Höflichkeit im zwischenstaatlichen Verkehr, nicht aber aufgrund einer völkerrechtlichen Pflicht gewährt, besteht heute weitgehende Einigkeit darüber, daß die Staatenimmunität ein verbindlicher Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts ist.16 ___________ 15 Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (252). Ihm folgend Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (579 Fn. 59). Ferner Dörr, AVR 41 (2003), 201 (204); Geimer, Zivilprozeßrecht, Rn. 475. 16 So etwa Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 9; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 454; Damian, Staatenimmunität, S. 10; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (203); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (577); Geimer, Zivilprozeßrecht, Rn. 555; Hess, Staatenimmunität, S. 29; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. I, § 109; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 3; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 146; Rensmann, IPRax 1998, 44 (44); Schaumann, in: Schaumann/Habscheid, Immunität ausländischer Staaten, S. 1 (8 ff.); Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 714; Steinberger, State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 615 (616, 619); Thomas/Small, NILR 2003, 1 (20); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (430); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 34. Zweifelnd etwa Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (247 ff.). Generell eine Verbindlichkeit der Staatenimmunität als „Grundrecht“ der Staaten verneinend aber Caplan, AJIL 97 (2003), 741 (745 ff.). Zu früheren Auffassungen über den Rechtscharakter der Staatenimmunität vgl. Gmür, Gerichtsbarkeit über fremde Staaten, S. 21 ff.
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Die Staatenimmunität ist nicht nur als Ableitung aus dem völkergewohnheitsrechtlich geltenden Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten, sondern auch für sich genommen ein Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts.17 Denn die Staatenimmunität wird von einer breiten Staatenpraxis als völkerrechtliche Norm anerkannt, sie ist niemals prinzipiell in Frage gestellt worden. Das Vorliegen der konstitutiven Elemente von Völkergewohnheitsrecht – Staatenpraxis und entsprechende Rechtsüberzeugung – kann nicht ernsthaft bezweifelt werden. Insofern ist es letztlich irrelevant, ob die Deduktion der Staatenimmunität aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten wirklich zu überzeugen vermag.18 b) Völkervertragliche Rechtsgrundlagen Völkervertragliche Regelungen zur Staatenimmunität gibt es dagegen nur wenige. Zu nennen ist das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität vom 16. Mai 1972, das im Rahmen des Europarats ausgearbeitet wurde.19 Mit diesem Abkommen, das zu einer Zeit verabschiedet wurde, als über die Frage, inwieweit die Staatenimmunität auch bei kommerziellen staatlichen Aktivitäten gilt,20 noch erhebliche Meinungsunterschiede zwischen den einzelnen Staaten bestanden, wollte man vor allem der damaligen Unsicherheit über den Stand des Völkergewohnheitsrechts in bezug auf privatrechtliches staatliches Handeln begegnen.21 Das am 11. Juni 1976 in Kraft getretene Übereinkommen hat jedoch nur geringe Bedeutung erlangt. Es ist bislang von nur acht Staaten ratifiziert worden;22 Deutschland hat ihm erst im Jahr 1990 zugestimmt.23 In den Art. 1–14 des Übereinkommens werden kasuistisch Fallkonstellationen aufgeführt, bei denen sich ein Vertragsstaat gegenüber der Gerichtsbarkeit eines anderen Vertragsstaates nicht auf seine Staa___________ So auch Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. I, § 109; Stein, Immunität, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), LdR Völkerrecht, S. 167 (167). 18 Vgl. hierzu oben Anm. 6. 19 BGBl. 1990 II, S. 35. Internationale Quelle: ETS Nr. 074 = ILM 11 (1972), 470. Internetquelle (31.3.2006). Das Übereinkommen wird auch als „Baseler Übereinkommen“ bezeichnet. 20 Vgl. hierzu unten § 4 II.2. 21 Vgl. allgemein zum Europäischen Übereinkommen über Staatenimmunität Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 119 ff.; Brownlie, International Law, S. 332 f.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 461 f.; Damian, European Convention on State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 197 (197 ff.); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 26; Fox, State Immunity, S. 94 ff.; Geimer, Zivilprozeßrecht, Rn. 666 ff.; Karczewski, RabelsZ 54 (1990), 553 (533 ff.); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 18; Kronke, IPRax 1991, 141 (141 ff.); Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 608. 22 Vgl. (31.3.2006). Vertragsstaaten sind Belgien, Deutschland, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweiz, Vereinigtes Königreich (Großbritannien) und Zypern. 23 Deutsches Zustimmungsgesetz vom 22.1.1990, BGBl. 1990 II, S. 34. 17
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tenimmunität berufen kann. Art. 15 legt dann pauschal fest, daß ansonsten die Staatenimmunität einer Ausübung von Gerichtsbarkeit über fremde Staaten entgegensteht. Art. 15 des Übereinkommens, der gewissermaßen die Kernnorm des Vertrags ist, lautet: „Ein Vertragsstaat kann vor den Gerichten eines anderen Vertragsstaats Immunität von der Gerichtsbarkeit beanspruchen, wenn das Verfahren nicht unter die Artikel 1 bis 14 fällt; das Gericht muß die Durchführung eines solchen Verfahrens auch dann ablehnen, wenn sich der Staat daran nicht beteiligt.“
Ferner ist das Brüsseler Abkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die Immunität der Staatsschiffe vom 10. April 192624 zu erwähnen, das die Immunität von Staatsschiffen betrifft, die im Kern ein Unterfall der Staatenimmunität ist.25 Dieses Übereinkommen schließt in bezug auf Staatshandelsschiffe, die kommerziellen Zwecken dienen, eine Berufung auf die Staatenimmunität aus.26 Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, daß die UN-Generalversammlung am 2. Dezember 2004 eine UN Convention on Jurisdictional Immunities of States and Their Property verabschiedet hat.27 Diese Konvention basiert auf einem von der International Law Commission (ILC)28 nach langjähriger Befassung mit diesem Thema29 im Jahr 1991 vorgelegten und gründlich kommentierten Entwurf für einen universellen völkerrechtlichen Vertrag zur Kodifikation der Regeln der Staatenim___________ RGBl. 1927 II, S. 483; RGBl. 1936 II, S. 303. Internationale Quelle: LNTS 176, 199 und LNTS 176, 214. In Kraft getreten für das Deutsche Reich am 8.1.1937 gemäß Bekanntmachung vom 11.9.1936, RGBl. 1936 II, S. 303. Vgl. zu dem Abkommen und seiner Entstehungsgeschichte Böger, Immunität der Staatsschiffe, S. 155 ff.; Erichsen, Immunität der Staatsschiffe, S. 49 ff. 25 Vgl. hierzu näher unten § 21 I.3.b)aa). 26 Auf die Immunität von Staatsschiffen in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit wird wegen der relativen Eigenständigkeit dieser Exemtion unten in § 21 I. gesondert eingegangen. 27 Resolution 59/38 der UN-Generalversammlung vom 2.12.2004; abrufbar im Internet unter (31.3.2006). Abgedr. und kommentiert in ILM 44 (2005), 801 ff. Ferner wiedergegeben bei Tomuschat (Hrsg.), Völkerrecht, Nr. 10. Allgemein zu dieser Konvention Stewart, AJIL 99 (2005), 194 (194 ff.). 28 Die ILC ist ein subsidiäres Organ der UN-Generalversammlung, dem 34 formal unabhängige Völkerrechtsexperten angehören und dessen Aufgabe die Vorbereitung von vertraglichen völkerrechtlichen Regeln ist. Eine wesentliche Aufgabe ist die Vorbereitung der Kodifikation existierender völkergewohnheitsrechtlicher Regeln im Sinne ihrer vertraglichen Festschreibung und Bestätigung in multilateralen Übereinkommen. Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rn. 50 ff. 29 Vgl. die Berichte der ILC-Sonderberichterstatter Sompong Sucharitkul (Thailand) und Motoo Ogiso (Japan) in YBILC 1979 II/1, 227 (UN-Dokument A/CN.4/323); YBILC 1980 II/1, 199 (UN-Dokument A/CN.4/331 and ADD.1); YBILC 1981 II/1, 125 (UNDokument A/CN.4/340 and Add.1); YBILC 1982 II/1, 199 (UN-Dokument A/CN.4/357); YBILC 1983 II/1, 25 (UN-Dokument A/CN.4/363 and Add.1); YBILC 1984 II/1, 5 (UNDokument A/CN.4/376 and Add.1 and 2); YBILC 1985 II/1, 21 (UN-Dokument A/CN.4/388); YBILC 1986 II/1, 21 (UN-Dokument A/CN.4/396); YBILC 1988 II/1, 96 (UN-Dokument A/CN.4/415); YBILC 1989 II/1, 59 (UN-Dokument A/CN.4/422 and Add.1); YBILC 1990 II/1, 3 (UN-Dokument A/CN.4/431). 24
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munität.30 Doch ist diese Konvention, die den Versuch macht, das Recht der Staatenimmunität zu kodifizieren, bislang nicht in Kraft getreten. Für ein Inkrafttreten sind gemäß Art. 30 der Konvention 30 Ratifikationen erforderlich. c) Nationale Rechtsgrundlagen Einige Staaten, vor allem solche des common law-Bereichs, haben sogenannte State Immunity Acts verabschiedet. Dies sind nationale Gesetze, in denen die betreffenden Staaten mit Verbindlichkeit für ihre eigenen Gerichte festgelegt haben, in welchem Umfang diese an einer Ausübung von Gerichtsbarkeit wegen der Staatenimmunität gehindert sind.31 Selbstverständlich können die Staaten nicht durch Verabschiedung nationaler Gesetze zur Staatenimmunität einseitig über die Reichweite ihrer völker-(gewohnheits-)rechtlichen Pflichten disponieren. Sie können allenfalls anderen Staaten weiterreichende Exemtionen gewähren als die, zu deren Beachtung sie völkerrechtlich verpflichtet sind. Sie können sich aber nicht unter Berufung auf ihr nationales Immunitätsrecht ihrer Pflicht zur Beachtung völkerrechtlicher Regeln zur Staatenimmunität entziehen. Dementsprechend war es die Intention der jeweiligen Gesetzgeber, die völkergewohnheitsrechtlichen Immunitätsregeln in den nationalen State Immunity Acts abzubilden; diese sollten nicht hinter den völkerrechtlichen Bestimmungen zurückbleiben. Sie zielen ausschließlich darauf ab, unter Beachtung des Völkerrechts eine einheitliche innerstaatliche Rechtsprechung sicherzustellen und die Gerichte von der mitunter schwierigen Aufgabe der Bestimmung des Standes des Völkergewohnheitsrechts zu entlasten bzw. die Entscheidung über die Reichweite des für das eigene Land verbindlichen Völkergewohnheitsrechts der Legislative und nicht den Gerichten zu überlassen. Mittelbar aber haben diese nationalen State Immunity Acts eine erhebliche Rückwirkung auf das Völkergewohnheitsrecht. Sie geben nicht nur Auskunft darüber, von welchem Stand des Völkergewohnheitsrechts die betreffenden Staaten ausgehen, sondern sind selbst ein Teil der Staatenpraxis, durch die Völkergewohn___________ Draft Articles on Jurisdictional Immunities of States and Their Property; Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1991, YBILC 1991 II/2, 1 (12 ff.) (UN-Dokument A/46/10) = ILM 30 (1991), 1554. Vgl. zum ILC-Entwurf Bankas, The State Immunity Controversy, S. 301 ff.; Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 125 ff.; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (203); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 27; Fox, State Immunity, S. 216 ff.; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 92; Hess, Staatenimmunität, S. 272 ff.; ders. EJIL 4 (1993), 269 ff. Die ILC hatte 1986 der UN-Generalversammlung bereits einen ersten Vertragsentwurf präsentiert; vgl. YBILC 1986 II/2, 1 (7 ff.) (UN-Dokument A/41/10); zu diesem ersten Entwurf siehe Tomuschat, in: Böckstiegel u.a. (Hrsg.), FS Seidl-Hohenveldern, S. 603 ff. 31 Vgl. Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 51 ff., 84 ff., 96 ff.; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 25; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (582 Fn. 133). 30
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heitsrecht geschaffen und modifiziert wird. Andererseits aber haben die nationalen State Immunity Acts auch eine das Völkergewohnheitsrecht zementierende Wirkung, indem sie die Gerichte binden und ihnen so die Möglichkeit nehmen, durch eine eigenständige Feststellung des gegenwärtigen Stands des Völkerrechts aktuelle Rechtsentwicklungen zu berücksichtigen und so als Motor der Weiterentwicklung des Völkerrechts zu fungieren.32 Die praktisch bedeutsamsten nationalen Gesetze zur Staatenimmunität sind der Foreign Sovereign Immunities Act der USA (FSIA) vom 21. Oktober 197633 und der State Immunity Act Großbritanniens (SIA) vom 20. Juli 1978,34 nicht zuletzt deshalb, weil diese Gesetze eine große Vorbildwirkung für vergleichbare Regelungen in anderen Staaten entfaltet haben.35 In section 1604 des US-amerikanischen FSIA ist der Grundsatz der Staatenimmunität wie folgt festgelegt: “Subject to international agreements to which the United States is a party at the time of the enactment of this Act a foreign state shall be immune from the jurisdiction of the courts of the United States and of the States except as provided in sections 1605 to 1607 of this chapter.”
Die Regelung des britischen SIA ist sehr ähnlich. Der Grundsatz der Staatenimmunität ist in section 1(1) normiert: “A State is immune from the jurisdiction of the courts of the United Kingdom except as provided in the following provisions of this Act.”
In den sections 2–11 sind dann die “exceptions from immunity” normiert. ___________ Der US Supreme Court hat in seinem Urteil im Verfahren Argentine Republic ./. Amerada Hess Shipping Corp. vom 23.1.1989, 488 US 428 (434 ff.) = 109 S.Ct. 683 (688 ff.) = ILR 81, 658 (663 ff.) entschieden, daß der FSIA die Staatenimmunität für die US-amerikanischen Gerichte abschließend regelt. Diese Feststellung hat der US Supreme Court in seinem Urteil im Verfahren Saudi Arabia ./. Nelson vom 23.3.1993, ILR 100, 544 (550) bestätigt. 33 ILM 15 (1976), 1388. Das FSIA wurde bislang zweimal geändert, und zwar zum einen durch den Antiterrorism and Effective Death Penalty Act of 1996 (ILM 36 [1997], 759), zum anderen durch den Treasury and General Government Appropriations Act of 1999 (AJIL 93 [1999], 185). Die aktuelle Fassung ist abgedr. bei Tomuschat (Hrsg.), Völkerrecht, Nr. 48. Vgl. zum FSIA Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 51 ff.; Fox, State Immunity, S. 187 ff.; Hess, Staatenimmunität, S. 82 ff.; Schreuer, RIW 1985, 173 (173 ff.). 34 ILM 17 (1978), 1123 = ILR 64, 718. Vgl. zum SIA Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 84 ff.; Brownlie, International Law, S. 333 ff.; Fox, State Immunity, S. 128 ff.; Hess, Staatenimmunität, S. 123 ff.; Hockl, AJPIL 48 (1995), 121 ff.; Mann, BYIL 50 (1979), 43 (43 ff.). 35 Andere Staaten mit nationalen State Immunity Acts sind Argentinien, Australien ( [31.3.2006], ILM 25 [1986], 715), Kanada ( [31.3.2006], ILM 21 [1982], 798), Neuseeland, Pakistan; Singapur, Südafrika. Alle diese State Immunity Acts sind wiedergegeben bei Dickinson u.a., State Immunity, S. 461 ff. Siehe zudem Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 96 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 463; Hess, EJIL 4 (1993), 269 (269 Fn. 3). 32
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Deutschland dagegen hat ebenso wie die anderen kontinentaleuropäischen Staaten keine nationale gesetzliche Regelung zur Staatenimmunität. Insofern obliegt es den deutschen Gerichten, über die Relevanz der Staatenimmunität ausschließlich und unmittelbar am Maßstab des über Art. 25 GG (und über den – deklaratorischen – § 20 Abs. 2 GVG) anwendbaren Völkergewohnheitsrechts zu befinden, sofern nicht ausnahmsweise das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität einschlägig ist.36 Da aber die Gerichte nach Art. 100 Abs. 2 GG verpflichtet sind, bei Zweifeln über die Reichweite des Völkergewohnheitsrechts das BVerfG anzurufen und diesem die Entscheidung über den Umfang des für Deutschland beachtlichen Völkergewohnheitsrechts zu überlassen,37 ist es in Deutschland im wesentlichen das BVerfG, das über die Relevanz der Staatenimmunität entscheidet.38 2. Differenzierung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis a) Nichtgeltung der Staatenimmunität für acta iure gestionis Lange Zeit galt die Staatenimmunität absolut, also für sämtliche staatliche Handlungen.39 Denn staatliche Aktivitäten, bei denen die Staaten nicht ihr hoheitliches Instrumentarium zum Einsatz brachten, sondern wie Privatpersonen auftraten – etwa der Kauf von Waffen bei einem Unternehmen in einem anderen Staat, die Vergabe eines Auftrags zum Bau eines Kriegsschiffs an eine Werft in einem anderen Staat – waren normalerweise so eng mit dem unmittelbaren hoheitlichen Aufgabenbereich der Staaten verknüpft, daß eine Differenzierung zwischen verschiedenen Arten staatlicher Aktivitäten nicht für möglich bzw. sachgerecht erachtet wurde.40 Auch staatlichen Funktionsträgern stand die aus der Staatenimmunität folgende Immunität ratione materiae für alle Handlungen zu, die sie im Auftrag ihres Staates vornahmen. ___________ 36 Vgl. BVerwG NJW 1989, 678 (679); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 112; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. 1. d); Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 2. Das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität ist für Deutschland nur einschlägig bei Klagen, die vor deutschen Gerichten gegen eine der Vertragsparteien, also gegen Belgien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweiz, Vereinigtes Königreich (Großbritannien) oder Zypern erhoben werden. 37 Vgl. BVerfGE 96, 68 (77 f.) = NJW 1998, 50 (51); Benda/Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozeßrechts, Rn. 924 ff.; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 1 Rn. 5a; Sturm, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 100 Rn. 25 ff. sowie unten § 23 I.3. 38 So auch Geiger, NJW 1987, 1124 (1126). 39 Vgl. nur RGZ 62, 165 (166 ff.); RGZ 102, 304 (306); RGZ 103, 274 (275 ff.). Die frühere Rechtslage wird referiert in BVerfGE 16, 27 (33 ff.) = NJW 1963, 1732 (1733). Siehe auch Doehring, Völkerrecht, Rn. 658; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 28 f.; Ress, in: De Salvia/Villiger (Hrsg.), The Birth of European Human Rights Law, S. 175 (177 ff.); Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1168. 40 Vgl. Seidl-Hohenveldern, in: Arndt u.a. (Hrsg.), FS Rudolf, S. 95 (96); SeidlHohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1470; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1168.
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Dies änderte sich, als die Staaten im 19. Jahrhundert begannen, kommerzielle Aktivitäten zu entfalten und wie Private zum Zweck der Gewinnerzielung wirtschaftlich tätig zu werden. Die Gewährung von Immunität auch für solche nichthoheitlichen Akte stieß auf zunehmende Ablehnung.41 Als erste versagten es italienische und belgische Gerichte anderen Staaten, sich in bezug auf eine nichthoheitliche Tätigkeit auf die Staatenimmunität zu berufen.42 Gerichte in anderen Staaten folgten dieser Rechtsprechung,43 der sich im Jahr 1963 auch das deutsche BVerfG anschloß.44 Die Staaten des anglo-amerikanischen Rechtskreises vertraten noch länger die These der absoluten Staatenimmunität,45 obwohl das USamerikanische Außenministerium bereits 1952 in seiner berühmten “Tate-Letter” verkündet hatte: “The department feels that the widespread and increasing practice on the part of governments of engaging on commercial activities makes necessary a practice which will enable persons doing business with them have their rights determined in the courts.”46
Endgültig anerkannt wurde die Ausnahme von der Staatenimmunität bei nichthoheitlichen staatlichen Aktivitäten in den USA erst durch das FSIA von 197647 und in Großbritannien erst durch das SIA von 1978.48 Die Staaten des Ostblocks haben sogar überwiegend bis zum Zusammenbruch des Systems des Staatssozialismus Ende der achtziger Jahre am Grundsatz der absoluten Staatenimmunität festgehalten, da nach ihrem Selbstverständnis wirtschaftliche Aktivitäten zum Kernbereich der staatlichen Aufgaben gehörten.49 ___________ Vgl. zur Entwicklungsgeschichte der Beschränkung der Staatenimmunität auf hoheitliche Staatsakte Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 456 ff. 42 Vgl. YBILC 1991 II/2, 1 (36 f.) (UN-Dokument A/46/10); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 458; Damian, Staatenimmunität, S. 6 f.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1469; Steinberger, State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 615 (617); Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1169. 43 Siehe die Nachw. bei YBILC 1991 II/2, 1 (36 ff.) (UN-Dokument A/46/10); Brownlie, International Law, S. 323 mit Fn. 25; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 458 f. und Steinberger, State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 615 (617 f.). 44 BVerfGE 16, 27 (33 ff.) = NJW 1963, 1732 (1732 ff.). Zur Entwicklung in Deutschland vgl. Münch, ZaöRV 24 (1964), 265 (267 ff.). 45 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 460; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1170 f. 46 Zitiert nach Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 18. 47 Vgl. American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, Introductory Note to Chapter Five, Subchapter A, § 443; Ress, ZaöRV 40 (1980), 217 (251 ff.). In section 1602 des US-amerikanischen FSIA, der mit “Findings and declaration of purpose” überschrieben ist, heißt es unter anderem: “Under international law, states are not immune from the jurisdiction of foreign courts insofar as their commercial activities are concerned (…).” 48 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 460 f.; Ress, ZaöRV 40 (1980), 217 (235 ff.); Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1170 f. 49 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 458, 461; Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 4; Hess, EJIL 4 (1993), 269 (269 Fn. 2); Ress, ZaöRV 40 (1980), 217 41
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Seit geraumer Zeit ist aber weltweit anerkannt, daß die Staatenimmunität nur noch für hoheitliche staatliche Tätigkeit, für sogenannte acta iure imperii gilt, nicht aber für sogenannte acta iure gestionis, worunter das nichthoheitliche Handeln eines Staates verstanden wird.50 Die Staatenimmunität erfährt also eine gewohnheitsrechtliche Ausnahme bei acta iure gestionis; es gibt damit keine „absolute Staatenimmunität“ mehr, sondern nur noch eine „relative Staatenimmunität“. Auch das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität, die nationalen State Immunity Acts und das noch nicht in Kraft getretene UN-Abkommen über Staatenimmunität vom 2. Dezember 2004 sehen eine Nichtgeltung der Staatenimmunität bei acta iure gestionis vor.51 Eine Immunität, die verhindert, daß Staaten in bezug auf ihre erwerbswirtschaftlichen Aktivitäten verklagt werden können, erschien nicht nur wegen der aus ihr folgenden Wettbewerbsverzerrung verfehlt, sondern vor allem auch wegen der daraus resultierenden Nachteile für die ausländischen Vertragspartner eines Staates, denen eine solche Immunität die Möglichkeit nimmt, vor Gerichten des eigenen Staates effektiven Rechtsschutz zu erreichen.52 Die Versagung der Staatenimmunität für acta iure gestionis läßt sich zudem unschwer damit legitimieren, daß Staaten, die im Ausland oder mit ausländischen Unternehmen privatrechtliche Geschäfte tätigen, dies aus eigener Initiative und freiwillig tun. Somit erscheint es statthaft, ___________ (230 ff.); Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1172. China geht auch heute noch vom Grundsatz der absoluten Staatenimmunität aus; vgl. Seidl-Hohenveldern, in: Arndt u.a. (Hrsg.), FS Rudolf, S. 95 (96). 50 BVerfGE 16, 27 (33 ff.) = NJW 1963, 1732 (1732 ff.); BGH NJW 1979, 1101 (1101); BGH NJW 2003, 3488 (3489); American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 451, 453; Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 66 ff.; Cassese, International Law, S. 100 f.; Classen, VerwArch 96 (2005), 464 (467); Cremer, AVR 41 (2003), 137 (140 f.); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 458 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 661; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (206 f.); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 18; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. 1. a); Geimer, Zivilprozeßrecht, Rn. 576 ff.; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 90; Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 4; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 348; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 3 f.; Ress, in: De Salvia/ Villiger (Hrsg.), The Birth of European Human Rights Law, S. 175 (179 ff.); Roeder, JuS 2005, 215 (215); Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 606; Seidl-Hohenveldern, in: Arndt u.a. (Hrsg.), FS Rudolf, S. 95 (95 f.); Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1472; Stein, Immunität, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), LdR Völkerrecht, S. 167 (168); Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 717 ff.; Steinberger, State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 615 (619); Tauchmann, Immunität internationaler Organisationen, S. 35 ff.; Verdross/ Simma, Völkerrecht, § 1169; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 27. A.A. jedoch Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 31. Zweifel hinsichtlich einer universellen Anerkennung der Immunitätsbeschränkung äußert Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 132. 51 Vgl. Art. 7 Abs. 1 Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität (siehe oben Anm. 19); Art. 10 des UN-Übereinkommens (vgl. oben Anm. 27). Zu Art. 10 des dem UNAbkommens zugrunde liegenden ILC-Entwurfs (vgl. oben Anm. 30) siehe Hess, EJIL 4 (1993), 269 (272 ff.). 52 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 457.
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wenn ein Staat, der zuläßt, daß andere Staaten in seinem Staatsgebiet oder mit Unternehmen, die in seinem Staatsgebiet ihren Sitz haben, nichthoheitliche Geschäfte abwickeln, die Zulassung solcher Aktivitäten an die „Bedingung“ knüpft, daß der andere Staat in bezug auf diese Aktivitäten seiner Gerichtsbarkeit unterworfen ist.53 Nicht vergessen werden darf auch, daß die Nichtgeltung der Staatenimmunität für acta iure gestionis für den betreffenden Staat auch Vorteile mit sich bringt, etwa dessen Kreditwürdigkeit erhöht.54 Von grundlegender Bedeutung für das Recht der Staatenimmunität ist also die Differenzierung zwischen acta iure imperii (hoheitlichen staatlichen Handlungen) und acta iure gestionis (nichthoheitlichen staatlichen Handlungen). Das BVerfG hat in seiner Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1963 ausgeführt:55 „Eine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der die inländische Gerichtsbarkeit für Klagen gegen einen ausländischen Staat in bezug auf seine nicht-hoheitliche Betätigung ausgeschlossen ist, besteht nicht. (…) In der Zeit bis zum ersten Weltkrieg ging die eindeutig überwiegende Staatenpraxis dahin, ausländischen Staaten unbeschränkt Immunität zu gewähren, sie also sowohl in bezug auf ihre hoheitliche als auch ihre nichthoheitliche Tätigkeit von inländischer Gerichtsbarkeit auszunehmen. Seitdem aber ist die Staatenimmunität ‚in einem Prozeß der Schrumpfung begriffen’ (…), ihre Geschichte ist zur ‚Geschichte des Ringens um Zahl, Art und Umfang der Ausnahmen geworden’ (…). Die Zunahme staatlicher Tätigkeit auf wirtschaftlichem Gebiet, insbesondere die Ausdehnung des Staatshandels, ließ es geboten erscheinen, acta iure gestionis von der Staatenimmunität auszunehmen. Es wurde als notwendig empfunden, dem Einzelnen nicht nur gegenüber seinem eigenen Staat, sondern auch gegenüber ausländischen Staaten in größerem Umfang als bisher Rechtsschutz durch Gerichte zu gewähren. Vorwiegend aus diesen Gründen hat die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, daß sich heute ein von der weitaus größeren Zahl der Staaten im Bewußtsein rechtlicher Verpflichtung für längere Zeit geübter Brauch nicht mehr nachweisen läßt, nach dem ausländische Staaten auch für Klagen in bezug auf ihre nicht-hoheitliche Betätigung von inländischer Gerichtsbarkeit freigestellt wären. (…) Aus der Praxis der Gerichte kann (…) nicht hergeleitet werden, daß die Gewährung unbeschränkter Immunität auch heute noch als ein von der weitaus größeren Zahl der Staaten im Bewußtsein rechtlicher Verpflichtung geübter Brauch angesehen werden kann. (…) Die (…) völkerrechtlichen Verträge, die generell oder für bestimmte Objekte (z.B. für Staatshandelsschiffe) Fragen der Staatenimmunität regeln, bestätigen auch bei vorsichtiger Würdigung, daß nach allgemeinem Völkerrecht die Staaten Immunität nur noch für Akte iure imperii und nicht mehr für Akte iure gestionis beanspruchen können. (…) Wenn auch nach allgemeinem Völkerrecht ausländische Staaten für Akte iure gestionis nicht von inländischer Gerichtsbarkeit freigestellt sind, so steht ihnen doch nach allgemeiner Rechtsüberzeugung, die sich in der Praxis der Staaten, in den Kodifikationsentwürfen und in der Völkerrechtslehre niedergeschlagen hat, Immunität für solche Betätigungen zu, die hoheitlicher Art sind.“
___________ 53 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 457; Geiger, NJW 1987, 1124 (1126: „Die Aufnahme privater Rechtsgeschäfte gilt als ein impliziter Verzicht auf die Immunität für hieraus erwachsene Streitigkeiten.“); Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1477. 54 Hierauf weisen zu Recht Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1473 hin. 55 BVerfGE 16, 27 (33 ff.) = NJW 1963, 1732 (1732 ff.).
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Die Differenzierung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis ist auch dann maßgeblich, wenn es um das Handeln von privatrechtlich organisierten Unternehmen geht, die sich in Staatseigentum befinden (sogenannte Staatshandelsunternehmen).56 Lange Zeit meinte man, daß sich solche Unternehmen nie auf die Staatenimmunität berufen könnten, da sie von „ihrem“ Staat rechtlich verselbständigt seien.57 Heutzutage aber ist anerkannt, daß ihnen – ebenso wie Unternehmen, die sich in Privateigentum befinden – dann Staatenimmunität zukommt, wenn und soweit sie unmittelbar hoheitlich tätig werden (etwa als Beliehene).58 In aller Regel aber agieren Staatshandelsunternehmen in gleicher Weise wie Unternehmen, die sich in Privateigentum befinden, so daß ihre Handlungen als acta iure gestionis einzustufen sind, für die sie keine Staatenimmunität genießen. b) Abgrenzung von hoheitlichem zu nichthoheitlichem staatlichem Handeln Probleme wirft allerdings die Abgrenzung von hoheitlichem und nichthoheitlichem staatlichem Handeln, also die Differenzierung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis, auf.59 Einheitliche völkerrechtliche Regeln haben sich insofern nicht entwickelt, so daß nach wie vor die Gerichte entsprechend der Rechtsauffassung des Gerichtsstaates (also nach der lex fori) entscheiden, ob ein Akt eines fremden Staates zu den acta iure imperii oder den acta iure gestionis zu zählen ist.60 Zum Teil wurde eine Unterscheidung nach dem Zweck des betreffenden staatlichen Akts vorgenommen, so daß beispielsweise der Ankauf von Zigaretten für die Versorgung der Streitkräfte als von der Staatenimmunität geschützter Hoheitsakt ___________ Vgl. Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 609; MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 10. Vgl. BGHZ 18, 1 (9 f.); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 466; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 33. 58 Vgl. OLG Frankfurt, IPRax 1983, 68 (68 ff.); Doehring, Völkerrecht, Rn. 664; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 33 f.; Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 9; SeidlHohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1471; Steinberger, State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 615 (621); Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1176; MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 10. Siehe auch Art. 27 des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität (vgl. oben Anm. 19) und BVerfGE 64, 1 = NJW 1983, 2766. 59 Das BVerfG, BVerfGE 16, 27 (61) = NJW 1963, 1732 (1735), hat hierzu festgestellt: „Daß es schwierig ist, hoheitliche von nicht-hoheitlicher Staatstätigkeit abzugrenzen, ist kein Anlaß, diese Unterscheidung aufzugeben. Schwierigkeiten ähnlicher Art kennt das Völkerrecht auch sonst.“ 60 Vgl. BVerfGE 16, 27 (62) = NJW 1963, 1732 (1735); BGH NJW 1979, 1101 (1101); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 24; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 90 f.; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 158 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1474 ff.; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 720; Steinberger, State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 615 (625); Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 133; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1173. 56 57
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angesehen wurde.61 Doch erwies sich diese Unterscheidung als wenig praktikabel, da im Endeffekt sämtliches staatliches Handeln der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dient.62 Ganz überwiegend wird daher heute nach der Natur des betreffenden Akts differenziert und gefragt, ob eine Privatperson in gleicher Weise handeln könnte. Wenn ein Staat in einer Weise tätig wird, in der auch eine Privatperson agieren kann, sich also der rechtlichen Instrumente des Privatrechts bedient, liegt eine von der Staatenimmunität nicht erfaßte nichthoheitliche Handlung vor, eine solche Aktivität ist zu den acta iure gestionis zu zählen. Handlungen dagegen, bei denen ein Staat von spezifisch öffentlich-rechtlichen Handlungsformen und Eingriffsbefugnissen Gebrauch macht, sind als hoheitliche Handlungen, also als acta iure imperii, zu klassifizieren. Diese unterfallen der Staatenimmunität und sind der Gerichtsbarkeit anderer Staaten entzogen.63 Diese Differenzierung nach der Natur des betreffenden Akts wird auch in Deutschland vorgenommen.64 Das BVerfG hat in seiner grundlegenden Entscheidung zur Staatenimmunität aus dem Jahr 1963 ausgeführt:65 „Die Unterscheidung zwischen hoheitlicher und nichthoheitlicher Staatstätigkeit kann nicht nach dem Zweck der staatlichen Betätigung und danach vorgenommen werden, ob diese Betätigung in erkennbarem Zusammenhang mit hoheitlichen Aufgaben des Staates steht. Denn letztlich wird die Tätigkeit des Staates, wenn nicht insgesamt, so doch zum weitaus größten Teil hoheitlichen Zwecken und Aufgaben dienen und mit ihnen in einem immer noch erkennbaren Zusammenhang stehen. Ebensowenig kann es darauf ankommen, ob der Staat sich gewerblich betätigt hat. Gewerbliche Tätigkeit des Staates unterscheidet sich nicht ihrem Wesen nach von sonstiger nicht-hoheitlicher Staatstätigkeit. Maßgebend für die Unterscheidung zwischen Akten iure imperii und iure gestionis kann vielmehr nur die Natur der staatlichen Handlung oder des entstandenen Rechtsverhältnisses sein, nicht aber Motiv oder Zweck der Staatstätigkeit. Es kommt also darauf an, ob der ausländische Staat in Ausübung der ihm zustehenden Hoheitsgewalt, also öffentlich-rechtlich, oder wie eine Privatperson, also privatrechtlich, tätig geworden ist. (…) Die Qualifikation der Staatstätigkeit als hoheitlich oder nichthoheitlich wird grund-
___________ Vgl. Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1478. Vgl. Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 1. 63 Vgl. Cremer, AVR 41 (2003), 137 (141); Doehring, Völkerrecht, Rn. 662; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 24; Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 6; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 149 ff.; Ress, in: De Salvia/Villiger (Hrsg.), The Birth of European Human Rights Law, S. 175 (180 f.); Roeder, JuS 2005, 215 (216); Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 606; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1479; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 719; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1173. Ebenso Art. 2 Abs. 2 des UN-Übereinkommens (vgl. oben Anm. 27) und des diesem zugrunde liegenden ILCEntwurfs (vgl. oben Anm. 30). 64 Vgl. BVerfGE 16, 27 (62) = NJW 1963, 1732 (1735); BGH NJW 1979, 1101 (1101). Siehe auch Doehring, Völkerrecht, Rn. 662; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 24; Ress, in: De Salvia/Villiger (Hrsg.), The Birth of European Human Rights Law, S. 175 (180 f.); Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 606; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1479. 65 BVerfGE 16, 27 (61 f.) = NJW 1963, 1732 (1735). 61 62
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin sätzlich nach nationalem Recht vorgenommen werden müssen, da das Völkerrecht, jedenfalls in der Regel, Kriterien für diese Abgrenzung nicht enthält.“
Auch das US-amerikanische FSIA, das britische SIA und das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität differenzieren nach der Natur des in Frage stehenden Staatsakts. In section 1605 FSIA ist festgelegt: “(a) A foreign state shall not be immune from the jurisdiction of courts of the United States or of the States in any case – (…) (2) in which the action is based upon a commercial activity carried on in the United States by the foreign state, or upon an act performed in the United States in connection with a commercial activity of the foreign state elsewhere and that act causes a direct effect in the United States; (…).”
Zum Begriff der commercial activity wird in section 1603(d) FSIA ausgeführt: “A »commercial activity« means either a regular course of commercial conduct or a particular commercial transaction or act. The commercial character of an activity shall be determined by reference to the nature of the cours of conduct or particular transaction or act, rather than by reference to its purpose.”
In section 3 SIA heißt es: “(1) A State is not immune as respects proceedings relating to (a) a commercial transaction entered into by the State (…). (3) In this section “commercial transaction” means (a) any contract for the supply of goods and services (…); (c) any other transaction or activity (whether of a commercial, industrial, financial, professional or other similar character) into which a State enters or in which it engages otherwise than in the exercise of sovereign authority; (…).”
Die Beschränkung der Staatenimmunität auf acta iure imperii und die Abgrenzung dieser von den nicht erfaßten acta iure gestionis nach der Natur des betreffenden Staatsakts kann an folgenden Beispielen verdeutlicht werden: Wenn ein fremder Staat in Deutschland mit einem deutschen Automobilhersteller einen Vertrag über Kauf und Lieferung von Fahrzeugen für seine Streitkräfte abschließt, so agiert er wie eine Privatperson, diese könnte in der gleichen Weise Fahrzeuge erwerben. Die Aktivität des Staates ist damit nichthoheitlicher Natur. Daher steht, wenn der fremde Staat nach Lieferung der Fahrzeuge seiner Zahlungsverpflichtung nicht nachkommt, einer in Deutschland erhobenen Klage die Staatenimmunität nicht entgegen. Wenn der Staat dagegen Fahrzeuge des Automobilherstellers, die dieser zum Zweck des Verkaufs in das fremde Land verbracht hat, dort im Wege der Enteignung für seine Streitkräfte requiriert, so handelt er unter Einsatz seines öffentlich-rechtlichen Instrumentariums, die Enteignung ist eine hoheitliche Handlung, die ein Privater nicht vornehmen könnte. Einer in der Bundesrepublik erhobenen Klage (auf Rückgabe oder Entschädigung) steht damit die Staatenimmunität entgegen.
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c) Bedeutung der Beschränkung der Staatenimmunität auf acta iure imperii für die aus der Staatenimmunität folgende Exemtion natürlicher Personen Die Beschränkung der Staatenimmunität auf acta iure imperii hat sich auch ausgewirkt auf die Befreiung von fremdstaatlicher (Zivil-)Gerichtsbarkeit, die staatliche Funktionsträger in bezug auf ihr Handeln für ihren Staat genießen, also auf die Staatenimmunität natürlicher Personen. Auch die Staatenimmunität von natürlichen Personen ist heute auf acta iure imperii beschränkt. Einzelpersonen genießen heutzutage Staatenimmunität für hoheitlich-dienstliche Handlungen, nicht aber für nichthoheitlich-dienstliche Handlungen.66 3. Nichtgeltung der Staatenimmunität bei Grundeigentum betreffenden Klagen, bei Widerklagen und bei einem Verzicht Die Staatenimmunität erfährt im zivilrechtlichen Bereich aber nicht nur bei acta iure gestionis eine Ausnahme. Bereits seit langer Zeit sind weitere Ausnahmen anerkannt. So erfährt die Staatenimmunität eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme bei dinglichen Klagen, die im Hoheitsgebiet des Forumstaates befindliches Grundeigentum betreffen.67 Eine weitere Ausnahme gilt für Widerklagen. Wenn ein Staat vor einem Gericht eines anderen Staates als Kläger auftritt, kann er sich gegenüber einer von dem Beklagten erhobenen konnexen Widerklage nicht auf seine Staatenimmunität berufen.68 Diese und einige weitere Ausnahmen sind jedoch für die vorliegende Untersuchung ohne Belang, denn hier interessieren die zivilrechtlichen Wirkungen der Staatenimmunität nur insofern, als sie möglicherweise Rückschlüsse auf die Reichweite der Staatenimmunität im Strafrecht ermöglichen. Von Interesse ist damit jedoch die Feststellung, daß die Staatenimmunität einem zivilrechtlichen Verfahren dann nicht entgegensteht, wenn sich der betreffende Staat der Gerichtsbarkeit des Forumstaates unterworfen hat. Ein Staat kann nach einhelliger Auffassung auf die ihm zukommende Staatenimmunität ver___________ 66 Vgl. BGH NJW 1979, 1101 (1102); BVerwG NJW 1989, 678 (679); MK-StGBAmbos, § 3 Rn. 106; Bassiouni, Introduction to International Criminal Law, S. 72; Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (252, 257); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 25 Rn. 38; Kissel/ Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 3; Seidl-Hohenveldern, in: Conrad (Hrsg.), GedS Peters, S. 915 (922). A.A. aber Bröhmer, LJIL 12 (1999), 361 (368). 67 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 469; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 28; Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 7; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1468; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1174. Siehe auch section 6 SIA (vgl. oben Anm. 34) und Art. 9 Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität (vgl. oben Anm. 19). 68 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 469; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 28; Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 7; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1467; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1174. Siehe auch Art. 1 Abs. 2 Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität (vgl. oben Anm. 19), Art. 9 UNAbkommen zur Staatenimmunität (vgl. oben Anm. 27) sowie Art. 9 des dem UNAbkommen zugrunde liegenden ILC-Entwurfs (vgl. oben Anm. 30).
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zichten.69 Ein Verzicht kann entweder durch ausdrückliche Erklärung oder aber konkludent durch Einlassung zur Sache ausgesprochen werden.70 Doch ist in bezug auf einen konkludenten Verzicht ein strenger Maßstab anzulegen. Weder ein Ausbleiben vor Gericht noch ein Auftreten vor Gericht, um die Staatenimmunität geltend zu machen, kann als Verzicht gewertet werden.71 4. Nichtgeltung der Staatenimmunität bei deliktischem Handeln Eine Ausnahme, die sich erst in jüngerer Zeit herausgebildet hat, ist die sogenannte torts exception. Danach kann sich ein Staat – und der handelnde Funktionsträger – bei Klagen auf Zahlung von Schadensersatz oder Schmerzensgeld wegen eines deliktischen Verhaltens im Gebiet eines anderen Staates, das dort einen Schaden verursacht hat, vor Gerichten dieses Staates nicht auf die Staatenimmunität berufen. Die Staatenimmunität erfährt also in bezug auf Zahlungsklagen wegen deliktischen Verhaltens im Forumstaat eine Ausnahme.72 Insofern kommt es auf die Differenzierung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis nicht an.73 Die Nichtgeltung der Staatenimmunität bei deliktischem Handeln im Gebiet des Gerichtsstaates ist zunächst in nationalen State Immunity Acts verankert worden. So heißt es in section 1605(a)(5) FSIA: ___________ 69 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 469 ff.; Damian, Staatenimmunität, S. 34 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 668; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 29; Geimer, Zivilprozeßrecht, Rn. 506 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 7; SeidlHohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1466 f.; Steinberger, State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 615 (622). Siehe auch section 2 SIA (vgl. oben Anm. 34); section 1605(a)(1) FSIA (vgl. oben Anm. 33); Art. 2 f. Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität (vgl. oben Anm. 19); Art. 7 UN-Übereinkommen (vgl. oben Anm. 27) sowie Art. 7 des dem UN-Übereinkommen zugrunde liegenden ILC-Entwurfs (vgl. oben Anm. 30). 70 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 470; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 29; Steinberger, State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 615 (622). 71 Vgl. BGH NJW 1979, 1101 (1102); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 470; Doehring, Völkerrecht, Rn. 668; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 29. Siehe auch Art. 8 Abs. 2, 3 und 4 des UN-Abkommens zur Staatenimmunität (vgl. oben Anm. 27). 72 Vgl. das Urteil des griechischen Areopag im Distomo-Fall vom 13.4.2000, KJ 2000, 472 (472 f.); Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 58 ff., 88 ff., 96 ff.; Cremer, AVR 41 (2003), 137 (144 ff.); Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. 1. a); Ress, in: De Salvia/Villiger (Hrsg.), The Birth of European Human Rights Law, S. 175 (182 ff.). Erforderlich für die torts-exception sind kumulativ: (1.) Deliktisches Verhalten (Handlung oder Unterlassung) im Forumstaat, (2.) Aufenthalt des Täters zum Tatzeitpunkt im Forumstaat (keine Erfassung von Distanzdelikten), (3.) Schadenseintritt im Forumstaat. 73 Vgl. das Urteil des griechischen Areopag im Distomo-Fall vom 13.4.2000, KJ 2000, 472 (472 ff.); Geiger, NJW 1987, 1124 (1125 f.); ders., Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. 1. a); Hess, Staatenimmunität, S. 292 f.; Schreuer, State Immunity, S. 49 f.
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“A foreign state shall not be immune from the jurisdiction of courts of the United States or of the States in any case – (…) (5) (…) in which money damages are sought against a foreign state for personal injury or death, or damage to or loss of property, occuring in the United States and caused by the tortious act or omission of that foreign state or of any official or employee of that foreign state while acting within the scope of his office or employment; except this paragraph shall not apply to (A) any claim based upon the exercise or performance or the failure to exercise or perform a discretionary function regardless of whether the discretion be abused, or (B) any claim arising out of malicious prosecution, abuse of process, libel, slander, misrepresentation, deceit, or interference with contract rights; (…)”74
Eine sachlich sehr ähnliche Regelung enthält section 5 SIA: “A State is not immune as prespects proceedings in respect of – (a) death or personal injury; or (b) damage to or loss of tangible property, caused by an act or omission in the United Kingdom.”
Auch das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität legt in Art. 11 die Nichtgeltung der Staatenimmunität bei deliktischem Handeln fest: „Ein Vertragsstaat kann vor einem Gericht eines anderen Vertragsstaats Immunität von der Gerichtsbarkeit nicht beanspruchen, wenn das Verfahren den Ersatz eines Personenoder Sachschadens betrifft, das schädigende Ereignis im Gerichtsstaat eingetreten ist und der Schädiger sich beim Eintritt des Ereignisses in diesem Staat aufgehalten hat.“
Der am 2. Dezember 2004 von der UN-Generalversammlung verabschiedete, aber bis dato noch nicht in Kraft getretene multilaterale Vertrag über Staatenimmunität75 sieht gleichfalls eine torts exception vor; die Regelung in Art. 12 des UNÜbereinkommens entspricht im wesentlichen Art. 11 des Europäischen Übereinkommens.76 Es spricht vieles dafür, daß die Ausnahme von der Staatenimmunität bei zivilrechtlichen Klagen wegen deliktischen Handelns im Gerichtsstaat mittlerweile im Grundsatz völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung erfahren hat.77 Denn zum einen haben die Staaten, die diese Ausnahme in ihren nationalen State Immunity ___________ Vgl. zu section 1605(a)(5) FSIA American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 454; Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 58 ff.; von Schönfeld, Staatenimmunität, S. 94 ff. 75 Vgl. oben Anm. 27. Zum ILC-Entwurf siehe oben Anm. 30. 76 Vgl. zu dem mit Art. 12 des UN-Übereinkommens identischen Art. 12 des dem Übereinkommen zugrunde liegenden ILC-Entwurfs Hess, EJIL 4 (1993), 269 (274 ff.). 77 Für eine völkergewohnheitsrechtliche Geltung das Urteil des griechischen Areopag im Distomo-Fall vom 13.4.2000, KJ 2000, 472 (474); Bianchi, AJPIL 46 (1994), 195 (216); Cremer, AVR 41 (2003), 137 (150 ff.) (allerdings methodisch darauf abhebend, daß keine positive völkergewohnheitsrechtliche Regel mehr nachweisbar sei, nach der bei deliktischem Handeln im Forumstaat Immunität zu gewähren sei); Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 7; Ress, in: De Salvia/Villiger (Hrsg.), The Birth of European Human Rights Law, S. 175 (198). A.A. Damian, Staatenimmunität, S. 114; Hobe, IPRax 2001, 368 (370); Kempen, in: Cremer u.a. (Hrsg.), FS Steinberger, S. 179 (185); Steinberger, State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 615 (626 f.). Zweifelnd Dörr, AVR 41 (2003), 201 (208 f.); Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, Rn. 626c; Hess, Staatenimmunität, S. 293; Voyiakis, ICLQ 52 (2003), 297 (314). 74
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Acts verankert haben,78 hiermit kundgetan, daß sie von einer entsprechenden Einschränkung der Staatenimmunität auf völkerrechtlicher Ebene ausgehen – sonst wären die nationalen Regelungen völkerrechtswidrig. Zum anderen haben andere Staaten nicht gegen diese nationalen Regelungen protestiert. Auch die Hinnahme dieser Einschränkung der Staatenimmunität durch andere Staaten kann als Akt der Staatenpraxis gewertet werden, mit dem die Nichtgeltung der Staatenimmunität in bezug auf zivilrechtliche Klagen wegen deliktischen Handelns im Gerichtsstaat als völkergewohnheitsrechtliche Regel anerkannt wurde. Bei der Festlegung der torts exceptions hatte man vor allem Schadensereignisse wie Verkehrsunfälle vor Augen, die (fahrlässig) durch staatliche Funktionsträger und damit einem Staat zurechenbar im Gebiet eines anderen Staates herbeigeführt werden. In solchen Fällen besteht regelmäßig eine Schadensversicherung, so daß von einer Anerkennung der Staatenimmunität im Ergebnis nur das Versicherungsunternehmen profitieren würde, während der Geschädigte lediglich wegen des Zufalls der Verantwortlichkeit eines fremden Staates für seinen (Unfall-)Schaden häufig seine Ansprüche nicht realisieren könnte. Eine solche mit dem Grundgedanken der Staatenimmunität nicht zu vereinbarende Konsequenz wollte man mit der torts exception verhindern.79 Auf diese Ausnahme von der Staatenimmunität ist aber auch in Fällen rekurriert worden, in denen es nicht um „versicherbare Schäden“ ging. Denn die State Immunity Acts enthalten eine derartige Einschränkung nicht. Insofern konnte auf diese Ausnahmeregelung auch in Fällen zurückgegriffen werden, in denen es um geheimdienstliche Anschläge im Gebiet fremder Staaten ging.80 Neuerdings ist eine Tendenz zu verzeichnen, diese Ausnahme fruchtbar zu machen bei Schadensersatzklagen gegen fremde Staaten wegen völkerrechtlicher Verbrechen bzw. schwerer Menschenrechtsverletzungen. ___________ Hierzu zählen neben den USA und Großbritannien auch Argentinien, Australien, Kanada, Singapur und Südafrika. Vgl. Cremer, AVR 41 (2003), 137 (147 f.). 79 Vgl. BGH NJW 2003, 3488 (3489); Hess, Staatenimmunität, S. 91 f., 293; ders., IPRax 1993, 110 (111); von Schönfeld, Staatenimmunität, S. 96 f.; Schreuer, State Immunity, S. 44. Siehe auch die Erläuterung der ILC zu Art. 12 des dem UN-Abkommen zur Staatenimmunität (vgl. oben Anm. 27) zugrunde liegenden ILC-Entwurfs, YBILC 1991 II/2, 1 (45) (UN-Dokument A/46/10): “(…) appears to be confined principally to insurable risks. The areas of damage envisaged in article 12 are mainly concerned with accidental death or physical injuries to persons or damage to tangible property involved in traffic accidents (…). Essentially, the rule of non-immunity will preclude the possibility of the insurance company hiding behind the cloak of State immunity and evading its liability to the injured individuals.” 80 Siehe auch die Erläuterung der ILC zu Art. 12 des dem UN-Abkommen zur Staatenimmunität (vgl. oben Anm. 27) zugrunde liegenden ILC-Entwurfs, der ebenfalls keine Einschränkung auf versicherbare Schäden enthält, in YBILC 1991 II/2, 1 (45) (UNDokument A/46/10): “In addition [zu dem, was oben in Anm. 79 wiedergegeben ist], the scope of article 12 is wide enough to cover also intentional physical harm such as assault and battery, malicious damage to property, arson or even homicide, including political assassination.” Vgl. diesbezüglich auch Hess, EJIL 4 (1993), 269 (274 f.). 78
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Hingewiesen sei beispielhaft auf den Letelier-Fall:81 Der chilenische Exilpolitiker Orlando Letelier, der unter Allende Außenminister Chiles war, und eine amerikanische Staatsbürgerin wurden am 21. September 1976 in Washington, USA, getötet, als ein vom chilenischen Geheimdienst an ihrem Auto angebrachter Sprengsatz explodierte. In einem von Hinterbliebenen der Opfer gegen Chile in den USA angestrengten Prozeß bestritt Chile zwar eine Verantwortlichkeit für den Anschlag, betonte aber gleichzeitig, daß die Klage schon wegen der Staatenimmunität Chiles unstatthaft sei. Denn ein solcher Anschlag sei als hoheitliche Staatshandlung zu bewerten. Unter Berufung auf die torts exception des FSIA wies der US-amerikanische District Court for the District of Columbia jedoch den Immunitätseinwand zurück82 und verurteilte Chile durch ein Versäumnisurteil zur Zahlung von Schadensersatz.83
Im Anschluß an die Letelier-Entscheidung haben auch andere US-amerikanische Gerichte Schadensersatzklagen zugelassen, die von Hinterbliebenen der Opfer in den USA begangener geheimdienstlicher Anschläge gegen den (vermeintlich) verantwortlichen Staat erhoben worden waren.84 Betroffen von dieser Entwicklung ist auch Deutschland, und zwar im Zusammenhang mit gegen die Bundesrepublik als Staat gerichteten Schadensersatzklagen wegen völkerrechtlicher Verbrechen, die während des Zweiten Weltkrieges von den Nationalsozialisten im Gebiet damals besetzter Staaten verübt wurden. So verurteilten griechische Gerichte Deutschland zur Zahlung von Schadensersatz wegen eines von der Waffen-SS im Dorf Distomo verübten Massakers an der einheimischen Bevölkerung; die Staatenimmunität wurde nicht als Hindernis für eine solche Verurteilung erachtet:85 ___________ Vgl. zu diesem Fall Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 59 f.; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (580); Hess, Staatenimmunität, S. 93; ders., IPRax 1993, 110 (110 ff.); Ress, in: De Salvia/Villiger (Hrsg.), The Birth of European Human Rights Law, S. 175 (188 ff.); Scheffler, Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts, S. 63 f.; von Schönfeld, Staatenimmunität, S. 97; Schreuer, State Immunity, S. 48 f. 82 Entscheidung des U.S. District Court for the District of Columbia vom 11.3.1980; 488 F.Supp. 665. Abgedr. auch in ILM 19 (1980), 409 und in ILR 63, 378. 83 Im Jahr 1992 einigten sich die USA und Chile außergerichtlich auf eine Entschädigungszahlung Chiles an die Angehörigen der Opfer. Vgl. Hess, IPRax 1993, 110 (112 ff.). Die Vereinbarung ist wiedergegeben in ILM 31 (1992), 1 (3 ff.) = ILR 88, 730. 84 Vgl. den im Jahr 1986 von einem New Yorker Gericht entschiedenen Fall Liu ./. Volksrepublik China; 642 F.Supp. 297. Das Gericht hat die gegen die Volksrepublik China erhobene Schadensersatzklage wegen einer in den USA verübten Tötung eines taiwanesischen Dissidenten durch chinesische Agenten für zulässig erklärt. Weitere Nachw. bei Hess, Staatenimmunität, S. 94; ders., IPRax 1993, 110 (113 Fn. 41). 85 Vgl. zum Distomo-Fall Appelbaum, HuV-I 2004, 190 (190 ff.); Beys, in: Schütze (Hrsg.), FS Geimer, S. 67 (72 ff.); Caplan, AJIL 97 (2003), 741 (768 ff.); Doehring, in: FAZ vom 11.9.2001, S. 10; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (208); Dolzer, NJW 2001, 3525 (3525); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 19 ff.; Gattini, JICJ 1 (2003), 348 (356 ff.); Handl, ILM 42 (2003), 1027 (1027 ff.); Hobe, IPRax 2001, 368 (368 ff.); Kempen, in: Cremer u.a. (Hrsg.), FS Steinberger, S. 179 (179 ff.); Maierhöfer, in: Menzel u.a. (Hrsg.), Völkerrechtsprechung, S. 805 ff.; Paech, KJ 1999, 380 (381 ff.); ders., BdiP 2000, 787 (787 ff.); Schminck-Gustavus, KJ 2001, 111 (111 ff.) sowie FAZ vom 9.5.2000, S. 6; FAZ vom 12.7.2000, S. 1 f.; FAZ vom 13.7.2000, S. 4; SZ vom 13.7.2000, S. 2; FAZ vom 81
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Am 10. Juni 1944 fielen SS-Panzergrenadiere (Angehörige der Waffen-SS) in das mittelgriechische Dorf Distomo bei Delphi ein und töteten über 200 Zivilisten, zumeist Frauen und Kinder, als Rache für einen Partisanenüberfall griechischer Widerstandskämpfer. Im Jahr 1997 verklagten Angehörige der Opfer die Bundesrepublik Deutschland vor einem griechischen Gericht (Landgericht von Livadia) auf Schadensersatz. Diese Klage hatte Erfolg; das Urteil vom 25. September 1997, das den Klägern umgerechnet knapp 29 Mio. € Schadensersatz zugesprochen hatte,86 wurde am 13. April 2000 vom Areopag, dem obersten Gerichtshof Griechenlands, bestätigt.87 Als die Kläger im Juli 2000 die Zwangsvollstreckung gegen deutsches Eigentum in Griechenland in die Wege leiteten (Vornahme einer Schätzung des Immobilienwerts des Goethe-Instituts und des Deutschen Archäologischen Instituts in Athen), berief sich die Bundesrepublik auf die Unzulässigkeit sowohl der Verurteilung als auch der Zwangsvollstreckung, unter anderem wegen Verstoßes gegen die Staatenimmunität. Zudem wurde geltend gemacht, daß die nach griechischem Recht erforderliche Zustimmung des Justizministers zu einer Vollstreckung fehle. Ein Athener Gericht ordnete wegen der fehlenden Zustimmung des Justizministers zunächst eine Aussetzung der Zwangsvollstreckung an, doch erklärte es schließlich die Zwangsvollstreckung am 10. Juli 2001 für grundsätzlich zulässig und begründete die Zulässigkeit damit, das Erfordernis einer Zustimmung des Justizministers zu einer Vollstreckung sei wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 2 Abs. 3 IPBPR unwirksam. Dagegen entschied ein Berufungsgericht am 14. September 2001, daß das Zustimmungserfordernis doch rechtmäßig und wirksam sei, mithin ohne diese Zustimmung eine Vollstreckung nicht durchgeführt werden dürfe. Das griechische Verfassungsgericht bestätigte schließlich am 28. Juni 2002 diese Rechtsauffassung des Berufungsgerichts. Da sich der Justizminister weigerte, seine Zustimmung zu einer Vollstreckung zu erklären, ist es nicht zu Vollstreckungsmaßnahmen gekommen. Eine von den Klägern mit der Behauptung einer EMRK-widrigen Versagung gerichtlichen Rechtsschutzes erhobene Menschenrechtsbeschwerde wies der EGMR am 12.12.2002 als unzulässig zurück.88
Der Areopag hat die Nichtgeltung der Staatenimmunität im Distomo-Fall zwar mit der torts exception begründet, doch hat er deren Anwendungsbereich sehr begrenzt, indem er ausgeführt hat: „Die Ausnahme von der Regel der Exterritorialität [die torts exception, d. Verf.] umfaßt keine Schadensersatzansprüche aufgrund von Situationen, die das Ergebnis von bewaffneten Zusammenstößen sind, deren Kern in der Regel der Konflikt zwischen Staaten bildet, der zwangsweise auch die Zivilbevölkerung trifft. Diese Art von Ansprüchen werden durch die normalen zwischenstaatlichen Vereinbarungen nach einem Krieg geregelt, und zwar auch aus praktischen Gründen (Vermeidung einer Flut von Klagen von der einen Seite, aber auch von Gegenklagen von der anderen Seite). Es geschieht aber nicht das gleiche, d.h. es gilt die obige Ausnahme von der Staatenimmunität [die torts
___________ 2.9.2000, S. 6; SZ vom 13.7.2001, S. 7, SZ vom 4.9.2001, S. 2; FAZ vom 5.9.2001, S. 1, 3; FAZ vom 8.9.2001, S. 5; FAZ vom 10.9.2001, S. 1; SZ vom 11.9.2001, S. 8; SZ vom 15.9.2001, S. 11. 86 Entscheidende Passagen dieses Urteils sind in englischer Übers. wiedergegeben bei Caplan, AJIL 97 (2003), 741 (769). 87 Das Urteil des Areopag vom 13.4.2000 (Nr. 11/2000) ist auszugsweise in deutscher Übers. wiedergegeben in KJ 2000, 472 ff. In den dort wiedergegebenen Urteilsauszügen findet sich auch eine ausführliche Schilderung der streitgegenständlichen Vorgänge. 88 Vgl. EGMR, Beschluß vom 12.12.2002, Beschwerde Nr. 59021/00 (Kalogeropoulou et al. ./. Greece and Germany). (31.3.2006). Siehe zum Verhältnis der Staatenimmunität zu den Rechtsschutzgarantien in der EMRK sogleich unten § 4 II.7.
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exception, d. Verf.], wenn es um Schadensersatzansprüche wegen Delikten (gewöhnliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit) geht, die nicht unausweichlich als reflexartige Folge des Krieges die Zivilbevölkerung allgemein treffen, sondern einen beschränkten Personenkreis an einem konkreten Ort, der in keiner Verbindung zu den bewaffneten Zusammenstößen steht und der sich in keinerlei Weise, direkt oder indirekt (z.B. durch die Gewährung von Unterstützung oder die Anstiftung von Kriegshandlungen), an den Kampfhandlungen beteiligt. Insbesondere gilt: Im Falle der militärischen Besetzung (…) werden von der Exterritorialität (Staatenimmunität) nicht die verbrecherischen Handlungen der Organe dieser Besatzungsmacht gedeckt, die unter Mißbrauch ihrer souveränen Gewalt als Vergeltungsmaßnahmen für Sabotageakte von Widerstandsgruppen zu Lasten konkreter, zahlenmäßig beschränkter, am Kampf völlig unbeteiligter und unschuldiger Bürger begangen werden (…).“89
Damit hat der Areopag die torts exception nicht für alle Arten von deliktischem Verhalten im Gebiet des Forumstaates anerkannt, insbesondere nicht pauschal für völkerrechtliche Verbrechen und sonstige schwere Menschenrechtsverletzungen. Völkerrechtliche Verbrechen großen Ausmaßes, die Teil einer staatlichen Politik sind und deren Begehung nicht auf einen bestimmten Ort oder eine begrenzte Zahl von Personen beschränkt ist, unterfallen offenbar nach Ansicht des Areopag der torts exception nicht. Bei einer Klage auf Schadensersatz wegen eines Kriegsverbrechens des Einsatzes verbotener Mittel oder Methoden der Kriegsführung (vgl. §§ 11 und 12 VStGB) wäre nach der Auffassung des Areopag die torts exception ebenfalls nicht anwendbar. Damit aber ist nach wie vor sehr fraglich, inwieweit die torts exception über die Fallgruppe versicherbarer Schäden und geheimdienstlicher Gewaltakte hinaus ein Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts geworden ist, zumal in der wissenschaftlichen Literatur selbst die begrenzte Ablehnung der Staatenimmunität durch den Areopag im Distomo-Fall als völkerrechtswidrig gebrandmarkt wurde.90 Doch können die Befürworter einer torts exception bei Menschenrechtsverletzungen im Forumstaat auch auf eine Entscheidung des italienischen Kassationsgerichtshofs im Fall Luigi Ferrini vom 11. März 2004 verweisen. Der Entscheidung lag eine Klage des italienischen Staatsbürgers Ferrini gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, mit der Ferrini Entschädigungszahlungen von Deutschland wegen seiner Verschleppung als Zwangsarbeiter während der deutschen Besetzung Italiens im Zweiten Weltkrieg geltend gemacht hatte. Den Einwand Deutschlands, die Klage sei vor italienischen Gerichten wegen der Staatenimmunität Deutschlands unzulässig, wies der italienische Kassationsgerichtshof zurück; unter Berufung auf das Urteil des Areopag entschied das Gericht, bei schweren Menschen___________ Urteil des Areopag vom 13.4.2000; zitiert nach KJ 2000, 472 (474). Für völkerrechtswidrig halten das Urteil Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 21 ff.; Dolzer, NJW 2001, 3525 (3525). Dagegen stimmen Paech, BdiP 2000, 787 (788 ff.) und Schminck-Gustavus, KJ 2001, 111 (111 ff.) dem Urteil zu und kritisieren die Bundesrepublik für ihre Verschleppungstaktik bei der Frage der Entschädigung der Opfer der NS-Diktatur in Griechenland. Wie der Areopag bereits Paech, KJ 1999, 380 (393 ff.). 89 90
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rechtsverletzungen im Forumstaat könne sich der beklagte Staat nicht auf die Staatenimmunität berufen.91 Hinterbliebene von Opfern des Distomo-Massakers hatten nicht nur in Griechenland, sondern auch vor deutschen Gerichten ihre Schadensersatzforderungen geltend gemacht. Nachdem das LG Bonn und das OLG Köln die Klage abgewiesen hatten, mußte sich der BGH mit dem Fall befassen.92 In seinem Urteil vom 26. Juni 200393 hat dieser auch zu der Frage Stellung bezogen, ob das vom griechischen Landgericht Livadia ergangene Urteil (das vom Areopag bestätigt worden war) mit der Staatenimmunität vereinbar ist. Denn es galt zu klären, ob dieses Urteil von den deutschen Gerichten anzuerkennen war. Der BGH verneinte dies, weil das griechische Urteil wegen der Staatenimmunität Deutschlands nicht hätte ergehen dürfen.94 Der BGH hat damit die Rechtsauffassung der griechischen Gerichte einschließlich des Areopag als völkerrechtswidrig zurückgewiesen und die völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung einer umfassenden torts exception verneint.95 Der BGH hat in bezug auf die torts exception in Art. 11 Europäisches Übereinkommen über Staatenimmunität96 ausgeführt, es gehe „der Ursprung dieser Regelung eher in Richtung der Bewältigung von Vorfällen, die mit den hier streitgegenständlichen Handlungen nichts zu tun haben (z.B. Verkehrsunfälle bei Dienstfahrten ausländischer Diplomaten)“.97 Zudem lege Art. 31 des Übereinkommens fest, daß die torts exception ebenso wie alle anderen im Übereinkommen normierten Ausnahmen von der Staatenimmunität nicht gelte in bezug auf Handlungen oder Unterlassungen, ___________ 91 Vgl. Bianchi, AJIL 99 (2005), 242 (242 ff.); Cassese, International Law, S. 108; De Sena/De Vittor, EJIL 16 (2005), 89 (93 ff.); Focarelli, ICLQ 54 (2005), 951 (951 ff.); Gattini, JICJ 3 (2005), 224 (224 ff.); BT-Drucks. 15/3100, S. 5. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß der römische Kassationsgerichtshof die Nichtgeltung der Staatenimmunität nicht nur mit der torts exception begründete, sondern im Rahmen einer Gesamtschau ein Konglomerat von Argumenten vorbrachte, warum die Staatenimmunität der Klage nicht entgegenstehe. So wurde auch auf die völkerrechtliche Strafbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwiesen und angeführt, der ius cogens-Charakter der verletzten Menschenrechte führe zur Irrelevanz der Staatenimmunität im zu entscheidenden Fall. Siehe zu dieser Argumentation unten § 4 II.5.b). 92 Zunächst hatte das LG Bonn mit Urteil vom 23.6.1997 (Az. 1 O 358/95) die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hat das OLG Köln mit Urteil vom 27.8.1998 (Az. 7 U 167/97) zurückgewiesen. Gegen die Entscheidung des OLG Köln hatten die Kläger Revision zum BGH erhoben. 93 BGH NJW 2003, 3488. Siehe zu der Entscheidung auch Baufeld, HuV-I 2004, 93 (93 ff.); SZ vom 13.6.2003, S. 2. 94 BGH NJW 2003, 3488 (3489). 95 Im übrigen hat laut BGH NJW 2003, 3488 (3489) und Dörr, AVR 41 (2003), 201 (209) das Oberste Sondergericht Griechenlands am 17.9.2002 in einem anderen Verfahren wegen gleich gelagerter Ansprüche gegen Deutschland entschieden, daß der Bundesrepublik auch in Fällen wie dem Distomo-Massaker Staatenimmunität zukomme, womit nach Ansicht des BGH die Distomo-Entscheidung des Areopag als „überholt“ anzusehen sei. 96 Vgl. oben Anm. 19. 97 BGH NJW 2003, 3488 (3489).
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die von den Streitkräften eines Staates im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates begangen werden.98 Der BGH kommt daher zu folgendem Ergebnis: „Es sprechen danach weiterhin die überwiegenden Gesichtspunkte gegen die Annahme, bei Regeln wie Art. 11 des Europäischen Übereinkommens vom 16.5.1972 handele es sich um mittlerweile geltendes Völkergewohnheitsrecht (…) Jedenfalls wird eine militärische Aktion der hier in Rede stehenden Art während eines Krieges hiervon nicht erfaßt (…).“99
Die Zweifel an der völkergewohnheitsrechtlichen Geltung der torts exception sind erheblich bestärkt worden durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall McElhinney ./. Ireland.100 In dieser Entscheidung vom 21. November 2001 haben der EGMR ebenso wie die irischen Gerichte, die zuvor mit diesem Fall befaßt waren,101 eine Nichtgeltung der Staatenimmunität bei Zivilklagen wegen deliktischen Handelns im Gerichtsstaat nicht als Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts angesehen. Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:102 Der Ire John McElhinney fuhr am 4. März 1991 mit seinem PKW und einem Anhänger von Nordirland in Richtung seiner Heimat Republik Irland. Als er in der Grafschaft Derry einen an der Grenze gelegenen britischen Kontrollpunkt passierte, kollidierte er mit seinem Fahrzeug versehentlich mit den Sperreinrichtungen der Kontrollstelle. Daraufhin näherte sich ein britischer Soldat dem Gespann. Während die britische Regierung behauptete, McElhinney sei von dem Soldaten zum Anhalten aufgefordert worden, machte McElhinney geltend, ihm sei nach seinem Anhalten von dem Soldaten durch Winken die Weiterfahrt gestattet worden. Auf jeden Fall wurde der britische Soldat von dem Anhänger des Gespanns erfaßt und mitgeschleift, konnte sich aber schließlich an der Deichsel hochziehen und auf dieser festhalten. Er feuerte mehrere Schüsse auf McElhinney ab. Dieser glaubte an einen Anschlag und fuhr ohne anzuhalten bis zu einer Polizeiwache drei Kilometer entfernt auf dem Gebiet der Republik Irland. Dort befahl der britische Soldat McElhinney und seinen zwei Mitfahrern, mit erhobenen Händen auszusteigen. Als diese sich dem Soldaten zuwandten, um die Situation aufzuklären, zielte der völlig verängstigte Soldat auf McElhinney, doch löste sich wegen einer Ladehemmung kein Schuß aus der Waffe. Dann traf die irische Polizei ein. McElhinney verklagte Großbritannien und den Soldaten 1993 vor dem irischen High Court auf Schadenersatz für den von ihm infolge der Ereignisse erlittenen posttraumatischen Schock. Dieser wies seine Klage aber am 15. April 1994 wegen Staatenimmunität Großbritanniens zurück.103 McElhinney, der die Klage gegen den Soldaten zurückgenommen hatte, legte daraufhin Beschwerde beim irischen Supreme Court ein und machte geltend, die Staatenimmunität gelte nicht bei deliktischem Handeln im Gebiet des Forumstaa-
___________ BGH NJW 2003, 3488 (3489). BGH NJW 2003, 3488 (3489). Das BVerfG nahm eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BGH erst gar nicht zur Entscheidung an (Beschluß vom 15.2.2006, 2 BvR 1476/03). Vgl. SZ vom 4.3.2006, S. 6. 100 EGMR, Urteil vom 21.11.2001, Beschwerde Nr. 31253/97 (John McElhinney ./. Ireland), Reports of Judgments and Decisions 2001-XI, 37 = HRLJ 23 (2002), 57 = EuGRZ 2002, 415 (dt. Übers.). Internetquelle: (31.3.2006). 101 Vgl. unten Anm. 104. 102 Vgl. EGMR, John McElhinney ./. Ireland (siehe oben Anm. 100), para. 7 ff. 103 Urteil des irischen High Court vom 15.4.1994, ILR 103, 311. 98 99
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tes; er berief sich also auf die torts exception. Der Supreme Court wies die Klage jedoch am 15. Dezember 1995 ebenfalls wegen Staatenimmunität ab; das Gericht betonte, die Handlung des britischen Soldaten sei ein Hoheitsakt, für den Immunität zu gewähren sei. Eine gewohnheitsrechtliche Geltung der torts exception lehnte der irische Supreme Court ab.104 McElhinney erhob daraufhin 1996 Menschenrechtsbeschwerde gegen die Republik bei der Europäischen Menschenrechtskommission, die nach der Reform des Rechtsschutzsystems der EMRK 1998 an den EGMR verwiesen wurde. Er machte eine EMRK-widrige Versagung gerichtlichen Rechtsschutzes geltend.
Der EGMR hatte zu prüfen, ob die Abweisung der Klage McElhinney’s unter Hinweis auf die Staatenimmunität Großbritanniens eine mit Art. 6 Abs. 1 EMRK unvereinbare Verweigerung effektiven Rechtsschutzes darstellte. Um diese Frage beantworten zu können, hat der EGMR inzident geprüft, ob Irland von Völkerrechts wegen gehalten war, Großbritannien in diesem Fall Staatenimmunität zu gewähren. Denn – so die Argumentation des EGMR – wenn Irland völkerrechtlich verpflichtet war, die Klage wegen einer Staatenimmunität Großbritanniens abzuweisen, könne die Klagabweisung nicht als mit Art. 6 Abs. 1 EMRK unvereinbare Versagung gerichtlichen Rechtsschutzes eingestuft werden.105 Der EGMR hat eine Staatenimmunität Großbritanniens im Fall McElhinney’s mit den folgenden Feststellungen bejaht (und folgerichtig einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verneint): “The Court observes that (…) there appears to be a trend in international and comparative law towards limiting State immunity in respect of personal injury caused by an act or omission within the forum State, but that this practice is by no means universal. Further, it appears (…) that the trend may primarily refer to ‘insurable’ personal injury, that is incidents arising out of ordinary road traffic accidents, rather than matters relating to the core area of State Sovereignty such as the acts of a soldier on foreign territory which, of their very nature, may involve sensitive issues affecting diplomatic relations between States an national security. Certainly, it cannot be said that Ireland is alone in holding that immunity attaches to suits in respect of such torts committed by acta jure imperii or that, in affording this immunity, Ireland falls outside any currently accepted international standards. The Court agrees with the Supreme Court in the present case (…) that it is not possible, given the present states of the developments of international law, to conclude that Irish law conflicts with its general principles.”106
___________ 104 Vgl. EGMR, John McElhinney ./. Ireland (siehe oben Anm. 100), para.15, wo aus dem Urteil des irischen Supreme Court zitiert wird. Danach hat Chief Justice Hamilton unter anderem ausgeführt: “Despite the Herculean efforts of the plaintiff’s legal advisers in making available to the court copies of all relevant decisions, articles and draft Conventions (…) I am not satisfied that it is a principle of public international law that the immunity granted to sovereign states should be restricted by making them liable in respect of tortious acts, committed on their behalf by their servant or agent, causing personal injuries to the person affected by such act or omission, when such act or omission is committed jure imperii and I would dismiss the appeal on this point.” 105 EGMR, John McElhinney ./. Ireland (siehe oben Anm. 100), para. 35 ff. Vgl. näher zum Verhältnis der Staatenimmunität zu den Rechtsschutzgarantien in der EMRK und anderen Menschenrechtsverbürgungen sogleich unten § 4 VI. 106 EGMR, John McElhinney ./. Ireland (siehe oben Anm. 100), para. 38. Allerdings haben 5 der 17 an der Entscheidung beteiligten Richter gegen die Mehrheit gestimmt. Die
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Während der griechische Areopag (und ihm folgend der italienische Kassationsgerichtshof) über den Kreis von „versicherbaren Schäden“ und geheimdienstlichen Gewalttaten hinaus auch bei Taten im Gebiet des Forumstaates, die nicht im unmittelbaren Kontext einer kriegerischen Auseinandersetzung stehen, die sich gegen eine begrenzte Zahl von Opfern richten und die auf einen Ort beschränkt sind, von einer (völkergewohnheitsrechtlichen) Geltung der torts exception ausgeht, hat der EGMR ebenso wie der irische Supreme Court und der BGH selbst bei solchen „Einzeltaten“ die völkergewohnheitsrechtliche Geltung und damit Anwendbarkeit der torts exception verneint. Als Fazit der Betrachtungen der torts exception bei zivilrechtlichen Klagen kann festgehalten werden, daß trotz der Zurückhaltung, die in den genannten Gerichtsentscheidungen zum Ausdruck kommt, vieles dafür spricht, daß eine solche Ausnahme im Grundsatz völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung erfahren hat, daß aber noch erhebliche Unsicherheit im Hinblick auf den genauen Umfang dieser Ausnahme besteht. Man wird annehmen dürfen, daß diese Ausnahme für Fälle gilt, in denen durch (fahrlässiges) dienstliches Handeln eines staatlichen Funktionsträgers im Rahmen eines grundsätzlich erlaubten Verhaltens – etwa der Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr – ein Schaden verursacht wurde, für den typischerweise eine Schadensversicherung aufkommt. Auch dürfte eine gewohnheitsrechtliche Anerkennung für die Fallgruppe geheimdienstlicher Anschläge gegeben sein. Dagegen kann angesichts der erwähnten Urteile des griechischen Areopag,107 des BGH108 sowie des Supreme Court der Republik Irland109 und des EGMR110 im Fall McElhinney (noch) nicht von Völkergewohnheitsrecht dahingehend gesprochen werden, daß diese Ausnahme pauschal auch für sonstige Fälle gilt, in denen staatliche Funktionsträger im Gerichtsstaat schadensstiftende Aktivitäten entfalten, namentlich gravierende Menschenrechtsverletzungen begehen.111 Auf jeden Fall aber ___________ Richter Caflisch, Cabral Baretto und Vajiü haben in ihrem sehr ausführlichen gemeinsamen Sondervotum kundgetan, daß sie der Auffassung seien, die torts exception gelte völkergewohnheitsrechtlich, so daß im zu entscheidenden Fall keine Staatenimmunität Großbritanniens bestand. Vgl. die im Anhang zum Urteil (siehe oben Anm. 100) wiedergegebenen Sondervoten. 107 Vgl. oben Anm. 87. 108 Vgl. oben Anm. 93. 109 Vgl. oben Anm. 104. 110 Vgl. oben Anm. 100. 111 Zurückhaltend bzw. sogar ablehnend auch Damian, Staatenimmunität, S. 114; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (208 f.); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 21 ff.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. 1. a); Hess, Staatenimmunität, S. 293; Hobe, IPRax 2001, 368 (370); Kempen, in: Cremer u.a. (Hrsg.), FS Steinberger, S. 179 (185); Stein, Immunität, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), LdR Völkerrecht, S. 167 (170); Steinberger, State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 615 (626 f.); Voyiakis, ICLQ 52 (2003), 297 (314). A.A. aber Classen, VerwArch 96 (2005), 464 (474). Festzuhalten ist, daß es durchaus gute Gründe gegen eine generelle Anerkennung der torts exception bei Fällen gibt, in denen staatliche Funktionsträger im Gerichtsstaat gravierende Menschenrechtsverletzungen begehen. Da diese Gründe die gleichen sind, die gegen eine tatortunabhängige
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wird zu prüfen sein, inwieweit die (eng begrenzte) zivilrechtliche torts exception Auswirkungen auf die Reichweite der Staatenimmunität als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit hat.112 5. Zur Frage der Geltung der Staatenimmunität als Schranke des Zivilrechts bei schweren Menschenrechtsverletzungen Ebenso wie die Diskussion über die strafrechtliche Relevanz der Staatenimmunität wird auch die Diskussion über die Bedeutung dieser Exemtion für das Zivilrecht derzeit bestimmt durch die Frage, ob die Staatenimmunität eine Ausnahme erfährt bei schweren Menschenrechtsverletzungen, namentlich bei völkerrechtlichen Verbrechen und staatlichen Folterungen.113 Da die diesbezügliche Rechtsentwicklung im Bereich des Zivilrechts grundsätzlich geeignet ist, Auswirkungen auf die strafrechtliche Relevanz der Staatenimmunität zu zeitigen und die in der zivilrechtlichen Diskussion vorgebrachten Argumente auch für das Strafrecht fruchtbar gemacht werden können, erscheint es sachgerecht, die zivilrechtliche Diskussion über Ausnahmen von der Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen nachzuzeichnen. In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von Klagen erhoben, mit denen Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder deren Nachfahren die Staaten, die für die Taten verantwortlich sind, vor Gerichten anderer Staaten auf Zahlung von Entschädigung in Anspruch genommen haben; der Distomo-Fall und der Ferrini-Fall sind also keine Einzelfälle. Zumeist wurden diese Klagen in den USA erhoben; einige richteten sich gegen die Bundesrepublik Deutschland, die wegen Verbrechen des Nazi-Regimes verklagt wurde.114 Den bislang skizzierten Ausnahmen von der Staatenimmunität unterfielen diese Fälle nicht, da die Taten zum einen keine acta iure gestionis, sondern hoheitlich begangene makrokriminelle Taten waren, und zum anderen die Taten (mit Ausnahme des Distomo- und des Ferrini-Falls) nicht im Gerichtsstaat verübt worden waren, so daß schon aus diesem Grunde die torts exception nicht herangezogen werden konnte. ___________ Ausnahme von der Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen sprechen, sei insofern auf die Ausführungen unten in § 4 II. 5. verwiesen. 112 Siehe unten § 5 III. 3. 113 Vgl. zur Diskussion in bezug auf das Zivilrecht exemplarisch Bianchi, AJPIL 46 (1994), 195 (195 ff.); Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 143 ff.; Caplan, AJIL 97 (2003), 741 (741 ff.); Cremer, AVR 41 (2003), 137 (137 ff.); Dörr, AVR 41 (2003), 201 (210 ff.); Heidenberger, ZVglRWiss 97 (1998), 440 (440 ff.); Hess, in: Geimer (Hrsg.), FS Schütze, S. 269 (269 ff.); Hobe, IPRax 2001, 368 (368 ff.); Karagiannakis, LJIL 11 (1998), 9 (9 ff.); Maierhöfer, EuGRZ 2002, 391 (391 ff.); Ress, in: De Salvia/Villiger (Hrsg.), The Birth of European Human Rights Law, S. 175 (175 ff.); Scheffler, Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts, S. 61 ff. 114 Vgl. die Aufstellung bei Heidenberger, ZVglRWiss 97 (1998), 440 (440 ff.) und Scheffler, Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts, S. 34 f.
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Für die Gerichte stellte sich daher die Frage, ob aus sonstigen Gründen die Staatenimmunität bei Klagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen ausnahmsweise kein Verfahrenshindernis darstellt. Da an der moralischen Berechtigung solcher Klagen in aller Regel kein Zweifel bestand, waren die Gerichte bzw. einzelne Richter, die ihre Auffassung in Sondervoten zum Ausdruck brachten, vielfach bemüht, Mittel und Wege zu finden, das Eingreifen der Staatenimmunität aufgrund des Charakters der den Klagen zugrunde liegenden Taten verneinen zu können. Dabei entwickelten sie zum Teil beachtliche juristische Kreativität. Auch die Beiträge in der wissenschaftlichen Literatur, die sich mit der Frage befassen, ob die Staatenimmunität Zahlungsklagen von Opfern staatlicher Menschenrechtsverletzungen vor Gerichten anderer Staaten entgegensteht, sind vielfach gekennzeichnet durch den – jedenfalls auf den ersten Blick verständlichen – Wunsch, die Zulässigkeit solcher Klagen nicht an der Staatenimmunität scheitern zu lassen. Dementsprechend sind verschiedene – auch für das Strafrecht interessante – Argumentationslinien entwickelt worden, mit denen der Versuch gemacht wurde, die Nichtgeltung der Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen de lege lata zu begründen. Im folgenden sollen die verschiedenen von der Rechtsprechung und Literatur entwickelten Argumentationsmuster vorgestellt und kritisch hinterfragt werden. Vorab ist allerdings noch auf ein gemeinsames Charakteristikum der Ansätze zur Begründung einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei Zivilklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen, das zugleich ein generelles Kennzeichen des gegenwärtigen Völkerrechts ist: Es wird nicht der Versuch gemacht, das Bestehen einer speziellen völkergewohnheitsrechtlichen Regel nachzuweisen – hier einer Regel, die explizit festlegt, daß die Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen nicht gilt. Denn dazu wäre der Nachweis einer entsprechenden einheitlichen Staatenpraxis erforderlich, die es aber nicht gibt. Vielmehr werden allgemeine völkerrechtliche Grundsätze und Prinzipien – die ihrerseits unstreitig völkergewohnheitsrechtlich gelten – herangezogen und es wird versucht, aus ihnen die Nichtgeltung der Staatenimmunität abzuleiten. Damit kommt es auf eine Anerkennung des Ergebnisses als solches – Nichtgeltung der Staatenimmunität – durch eine hinreichend breite Staatenpraxis nicht an. Das moderne Völkerrecht ist mittlerweile eine enorm ausdifferenzierte Rechtsordnung, die nicht nur aus einzelnen völkervertraglich oder völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Spezialregelungen, sondern zudem aus einer Vielzahl von allgemeinen, fundamentalen Rechtsprinzipien besteht, so daß es jedenfalls grundsätzlich möglich und statthaft ist, aus diesen bestimmte Einzelbestimmungen – etwa die Nichtgeltung völkerrechtlicher Exemtionen bei bestimmten Fallkonstellationen – zu deduzieren.115 Damit wird nicht der Existenz einer weiteren völkerrechtlichen Rechts___________ 115 So auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 312. Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (371) spricht in bezug auf die hier angedeute-
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quelle das Wort geredet. Denn die Grundsätze und Rechtsprinzipien, die herangezogen werden, sind ihrerseits – wie gesagt – völkergewohnheitsrechtlich anerkannt. Es wird nur aus einer allgemeinen völkergewohnheitsrechtlichen Regel, der Grundsatzcharakter zukommt, eine spezielle Regel deduziert. a) Nichtgeltung der Staatenimmunität bei Zahlungsklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen aufgrund eines impliziten Immunitätsverzichts Der US-amerikanische Staatsbürger Hugo Princz, der während der Diktatur der Nationalsozialisten wegen seines jüdischen Glaubens in Konzentrationslagern inhaftiert war, dort Zwangsarbeit leisten mußte und ungeheuerlichem Leiden ausgesetzt war, hatte, nachdem seine Bemühungen gescheitert waren, auf dem Verhandlungswege eine Schadensersatzzahlung von der Bundesrepublik Deutschland zu erhalten, im Jahr 1992 vor dem US District Court for the District of Columbia eine Schadensersatzklage gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben. Mit dieser hatte er zunächst Erfolg; das Gericht wies den von Deutschland erhobenen Einwand der Staatenimmunität zurück.116 Doch hat der zuständige US Court of Appeals dieses Urteil in einer vielbeachteten Entscheidung vom 1. Juli 1994 aufgehoben und festgestellt, die Staatenimmunität Deutschlands stehe der Zulässigkeit eines Verfahrens vor US-amerikanischen Gerichten entgegen.117 Der US Court of Appeals hat sich allerdings nicht mit der Frage befaßt, ob das Völkergewohnheitsrecht eine Ausnahme von der Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen – eine solche war die KZ-Haft von Princz ohne Zweifel – erfährt, sondern ausschließlich danach gefragt, ob das für die US-amerikanischen Gerichte allein maßgebliche FSIA118 eine Klage zuläßt. Dies aber wurde verneint, die im FSIA normierten Ausnahmen von der Staatenimmunität seien nicht einschlägig.119 ___________ te Entwicklung des Völkerrechts treffend von einem „Konstitutionalisierungsprozeß des Völkerrechts“. 116 US District Court for the District of Columbia, Urteil im Verfahren Hugo Princz ./. Federal Republic of Germany; 813 F.Supp. 22 (26) = ILR 103, 598. Das Gericht führte aus, der FSIA “has not role to play where the claims alleged involve undisputed acts of barbarism committed by a one-time outlaw national which demonstrated callous disrespect for the humanity of an American citizen, simply because he was Jewish”. Zu Recht kritisch bezüglich der emotional sehr aufgeladenen, juristisch aber dürftigen Argumentation des District Court Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 78 f.; Reimann, IPRax 1995, 123 (124 f.). 117 US Court of Appeals, District of Columbia Circuit, Urteil im Verfahren Hugo Princz ./. Federal Republic of Germany; 26 F.3d 1166 (1994) = ILM 33 (1994), 1483 = ILR 103, 604. 118 Vgl. zur Bindungswirkung des FSIA oben Anm. 32 und dazugehörigen Text. 119 Siehe zu diesem Fall auch Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 76 ff.; Heidenberger, ZVglRWiss 97 (1998), 440 (441 ff.); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 295 ff.; Reimann, IPRax 1995, 123 (123 ff.); Ress, in: De Salvia/Villiger (Hrsg.), The Birth of European Human Rights Law, S. 175 (191 ff.). Letztlich waren die Anstrengungen von Hugo Princz aber nicht vergeblich: Die Bundesrepublik
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Dieser Mehrheitsmeinung hat Richterin Patricia Wald widersprochen. Sie hat in ihrem Sondervotum argumentiert, section 1605(a)(1) FSIA, wonach die Staatenimmunität nicht eingreife, wenn der beklagte Staat auf diese explizit oder auch implizit verzichtet habe,120 sei im zu entscheidenden Fall einschlägig. Die Bundesrepublik habe implizit auf die ihr zustehende Staatenimmunität verzichtet: “I believe that Germany’s treatment of Princz violated ius cogens norms of the law of nations, and that by engaging in such conduct, Germany implicitly waived its immunity from suit within the meaning of § 1605(a)(1) of the FSIA. (…) Germany waived its sovereign immunity by violating the ius cogens norms of international law condemning enslavement and genocide. (…).”121
Diese Argumentation wirkt allerdings überaus konstruiert; allein aus der Tatsache der Begehung schwerster Delikte kann man keinen Verzicht auf einen Immunitätsschutz ableiten. Mit der Argumentation eines konkludenten Verzichts bei schweren Menschenrechtsverletzungen wird versucht, einen Verzicht gerade dann zu konstruieren, wenn in Wirklichkeit keiner vorliegt, sich der betroffene Staat also nicht bereit zeigt, auf die Staatenimmunität zu verzichten. Die These eines impliziten Immunitätsverzichts bei schweren Menschenrechtsverletzungen ist daher ganz zu Recht überwiegend abgelehnt worden.122 ___________ Deutschland sah sich gezwungen, mit den USA am 19.9.1995 ein Abkommen (wiedergegeben in ILM 35 [1996], 193) zu schließen, in dem sie sich verpflichtete, 3 Mio. DM = 2,1 Mio. US-$ für die Entschädigung von US-Bürgern zu zahlen, die bis dahin noch keine Entschädigungsleistungen für durch das NS-Regime erlittenes Unrecht erhalten hatten. Vgl. Bröhmer, a.a.O., S. 82 f.; Paech, KJ 1999, 380 (395); Ress, a.a.O., 195. 120 Section 1605(a)(1) FSIA lautet: “A foreign state shall not be immune from the jurisdiction of courts of the United States or the States in any case – (1) in which the foreign state has waived its immunity either explicitly or by implication (…)”. 121 US Court of Appeals, District of Columbia Circuit, Urteil im Verfahren Hugo Princz ./. Federal Republic of Germany; 26 F.3d 1166 (1178 f.). Vgl. zu dieser Argumentation Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 76 ff., 190 ff.; Reimann, IPRax 1995, 123 (126 f.); Ress, in: De Salvia/Villiger (Hrsg.), The Birth of European Human Rights Law, S. 175 (193 f.). 122 Ablehnend etwa Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 94; Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 76 ff., 190 ff. („inherent contradiction“); Cremer, AVR 41 (2003), 137 (143); Hess, in: Geimer (Hrsg.), FS Schütze, S. 269 (281 f.); Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 133 f.; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 357 f.; Ress, in: De Salvia/Villiger (Hrsg.), The Birth of European Human Rights Law, S. 175 (193 ff.); Paech, KJ 1999, 380 (395). Auch zeitlich der PrinczEntscheidung nachfolgende US-amerikanische Gerichtsentscheidungen haben die These eines impliziten Immunitätsverzichts zurückgewiesen. Vgl. etwa das Urteil des US Court of Appeals, Second Circuit vom 26.11.1996 im Verfahren Smith ./. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 101 F.3d 239 = ILR 113, 534 sowie das Urteil des US District Court, Southern District New York vom 8.4.1997 im Verfahren Hirsch ./. State of Israel and State of Germany, 962 F.Supp. 337 = ILR 113, 534. Allerdings ist die „Verzichtsargumentation“ in der Judikatur zum Teil auch auf Zustimmung gestoßen. So hat sich das griechische Landgericht Livadia im Distomo-Fall die Argumentation von Richterin Wald zu eigen gemacht und ist gleichfalls von einem impliziten Verzicht Deutschlands auf Staatenimmunität ausgegangen; vgl. Handl, ILM 42 (2003), 1027 (1027).
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Hinter der Verzichts-Argumentation steht in Wahrheit wohl die Vorstellung, in bestimmten Fällen dürfe die Staatenimmunität unabhängig vom Willen des betroffenen Staates nicht gelten; genaugenommen läuft die Argumentation von Richterin Wald auf die Annahme einer Verwirkung der Staatenimmunität wegen des Charakters der Tat hinaus.123 Doch konnte Richterin Wald nicht argumentieren, es gebe eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme von der Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen oder bei solchen Taten werde die Staatenimmunität verwirkt. Denn auch Richterin Wald – die angesichts des ungeheuerlichen Leids, das Princz widerfahren war, und der Weigerung Deutschlands, ihn zu entschädigen, verständlicherweise bestrebt war, Princz „zu helfen“124 – war an das FSIA gebunden. Ihr blieb gar nichts anderes übrig, als sich im Rahmen des FSIA zu bewegen; dieses aber kennt weder eine Verwirkung der Staatenimmunität noch eine Ausnahme bei schweren Menschenrechtsverletzungen.125 Insofern kann die Verzichts-Argumentation nur als (untauglicher) Versuch gelten, eine Nichtgeltung der Staatenimmunität bei außerhalb der USA begangenen Menschenrechtsverletzungen aus dem FSIA abzuleiten.126 Gerade an diesem Fall zeigt sich deutlich, daß die nationalen State Immunity Acts eine die bestehende Rechtslage zementierende Wirkung haben. So haben die US-amerikanischen Gerichte wegen ihr Bindung an das FSIA nicht die Möglichkeit, Entwicklungen des Völkergewohnheitsrechts zu rezipieren und selbst an der Herausbildung neuer Ausnahmen von der Staatenimmunität mitzuwirken. Da die meisten Klagen gegen fremde Staaten in den USA erhoben werden, ist schon dadurch die völkergewohn-
___________ 123 Dies kommt in folgender Feststellung von Judge Wald zum Ausdruck: “When the Nazis tore off Princz’s clothes, exchanged them for a prison uniform and a tattoo, shoved him behind the spiked barbed wire fences of Auschwitz and Dachau, and sold him to the German armament industry as fodder for their wartime labour operation, Germany rescinded any claim under international law to immunity from this court’s jurisdiction.” (26 F.3d 1166 [1182]). Wie hier auch Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (85); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 298. Vgl. ferner Paech, KJ 1999, 380 (395). 124 Dies kommt in folgender Feststellung von Judge Wald deutlich zum Ausdruck: “Due to Germany’s unequivocal refusal to enter into any settlement with Princz, this appeal is his last resort.” (26 F.3d 1166 [1177]). 125 Dieses Dilemma beschreibt Judge Wald, nachdem sie festgestellt hat, daß nach Völkergewohnheitsrecht bei den streitgegenständlichen Taten keine Staatenimmunität bestehe, mit folgenden Worten: “It is a well established canon of statutory construction that (…) we must, wherever possible, interpret United States law consistently with international law. (…) The only way to reconcile the FSIA’s presumption of foreign sovereign immunity with international law is to interpret § 1605(a)(1) of the act as encompassing the principle that a foreign state implicitly waives its right to sovereign immunity by violating ius cogens norms.” (26 F.3d 1166 [1182]). 126 So auch Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (85): „Der Rückgriff auf einen konkludenten Immunitätsverzicht ist nur damit zu erklären, daß in den USA die StaatenImmunität durch Gesetz (FSIA) geregelt und auf die dort vorgesehenen Ausnahmen beschränkt ist.“
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heitsrechtliche Herausbildung einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei Zivilklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen sehr erschwert. b) Nichtgeltung der Staatenimmunität aufgrund des ius cogens-Charakters von völkerrechtlichen Menschenrechtsgarantien aa) Völkerrechtliches ius cogens Einige Normen des Völkerrechts gehören zum sogenannten ius cogens, zum „zwingenden Völkerrecht“. Völkerrechtliche Normen mit ius cogens-Charakter sind Normen, die für das friedliche Zusammenleben der Völker und das Wohl der einzelnen Menschen von so fundamentaler Bedeutung sind, daß die Völkerrechtssubjekte über die Geltung dieser Rechtssätze nicht disponieren dürfen. Es ist ihnen untersagt, durch vertragliche Vereinbarungen Abweichungen von ius cogensNormen festzulegen. Sollten sie dies dennoch tun, so sind die mit ius cogensNormen unvereinbaren Bestimmungen ipso iure nichtig. Auch Völkergewohnheitsrecht, das gegen ius cogens verstößt, ist unwirksam. Ius cogens-Normen können nur durch solche völkerrechtlichen Rechtssätze überwunden werden, die ihrerseits ius cogens-Charakter haben.127 Insofern kann die Definition für ius cogens, die in Art. 53 Satz 2 Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK)128 festgelegt ist, als allgemeingültig angesehen werden: „Im Sinne dieses Übereinkommens ist eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann.“
Die Konsequenz, die sich aus dem ius cogens-Charakter von Normen für den Bereich völkerrechtlicher Verträge ergibt, formuliert Art. 53 Satz 1 WVRK wie folgt: „Ein Vertrag ist nichtig, wenn er im Zeitpunkt seines Abschlusses im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts steht.“
Art. 53 Satz 1 wird ergänzt durch Art. 64 WVRK: „Entsteht eine neue zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts, so wird jeder zu dieser Norm im Widerspruch stehende Vertrag nichtig und erlischt.“
___________ 127 Vgl. BVerfG NJW 2001, 1848 (1849); Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 146 f.; Cassese, International Law, S. 198 ff.; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 707 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 298 ff.; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 15 Rn. 36 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 16 Rn. 14; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 172 ff.; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 147 ff.; Verdross/Simma, Völkerrecht, §§ 524 ff.; Wolfrum, Jus Cogens, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL III, 65 (66 ff.). Zu den theoretischen Begründungsansätzen für ius cogens vgl. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 130 ff. 128 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.5.1969; BGBl. 1985 II, S. 926.
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Zumindest faktisch haben ius cogens-Normen damit gegenüber „normalen“ (dispositiven) Völkerrechtssätzen einen höheren Rang.129 Ebenso wie in Deutschland einfaches Bundesrecht nichtig ist, wenn es mit höherrangigen Normen des Grundgesetzes unvereinbar ist, so sind auch „normale“ völkerrechtliche Normen unwirksam, die gegen völkerrechtliches ius cogens verstoßen. Welche Normen zum Bestand des völkerrechtlichen ius cogens gehören, ist nicht abschließend geklärt.130 Übereinstimmung besteht jedoch dahingehend, daß das Verbot der Begehung völkerrechtlicher Verbrechen, das Recht auf Leben, das Folterverbot, das Verbot von Sklaverei und Zwangsarbeit sowie sonstige die physische und psychische Integrität und Freiheit des einzelnen betreffende universell anerkannte elementare Menschenrechte zum Bestand des ius cogens zu zählen sind.131 Auf der anderen Seite können die Regeln der Staatenimmunität nicht zum ius cogens gezählt werden.132 Insofern ist die These naheliegend, bei schweren Menschenrechtsverletzungen, namentlich bei völkerrechtlichen Verbrechen, könne die Staatenimmunität nicht gelten, da sie als „normaler“ dispositiver Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts von den höherrangigen Menschenrechtsgarantien, denen ius cogens-Charakter zukommt, verdrängt werde. ___________ So ausdrücklich ICTY, Urteil im Verfahren gegen Furundžija vom 10.12.1998 (IT95-17/1-T), para. 153, ILR 121, 213 (260) = ILM 38 (1999), 317 (349). Ebenso Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 146; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 174 f. Siehe aber auch Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 15 Rn. 45, der nicht von einer Höherrangigkeit, sondern lediglich einer „verfestigten Geltungskraft“ von ius cogens ausgeht. 130 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 714 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 986; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 15 Rn. 51 ff. 131 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1970, 3 (32); Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 147; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 714 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 21, 40, 300, 986 ff.; Hannikainen, Peremptory Norms, S. 425 ff.; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 15 Rn. 51 ff., insb. Rn. 59; Herdegen, Völkerrecht, § 16 Rn. 14; Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 286 ff.; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 338 ff.; de Wet, EJIL 15 (2004), 97 (97 ff.). Explizit für eine Zugehörigkeit des Folterverbots zum ius cogens aus der Rechtsprechung u.a. ICTY, Urteil im Verfahren gegen Furundžija vom 10.12.1998 (IT-95-17/1-T), para. 144, ILR 121, 213 (257 f.) = ILM 38 (1999), 317 (347); ICTY, Urteil im Verfahren gegen Delaliü et al. vom 16.11.1998 (IT-96-21-T), para. 454; ICTY, Urteil im Verfahren gegen Kunarac vom 22.2.2001 (IT-96-23-T), para. 466 (sämtliche ICTY-Entscheidungen sind im Internet abrufbar unter ); US Court of Appeal for the Ninth Circuit, Urteil im Verfahren Siderman de Blake and Others ./. The Republic of Argentina and Others vom 22.5.1992, 965 F.2d 699 (714 ff.) = ILR 103, 454 (470 ff.). 132 Cremer, AVR 41 (2003), 137 (162 f.); Karagiannakis, LJIL 11 (1998), 9 (19 f.); Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (253, 258); Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1438. A.A. aber Black-Branch, in: Woodhouse (Hrsg.), Pinochet Case, S. 93 (101); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 343 f.; Matscher, in: Schütze (Hrsg.), FS Geimer, S. 669 (681 Fn. 27). 129
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bb) Entscheidung des EGMR im Fall Al-Adsani gegen das Vereinigte Königreich Mit der Frage, ob die Staatenimmunität bei Schadensersatzklagen wegen eines Verstoßes gegen völkerrechtliches ius cogens eine Ausnahme erfährt, hatte sich der EGMR im Verfahren Al-Adsani ./. United Kingdom zu befassen. Das am 21. November 2001 auf eine Menschenrechtsbeschwerde von Al-Adsani hin ergangene Urteil des EGMR133 ist für den vorliegenden Zusammenhang von besonderer Bedeutung, weil die Gerichte der Mitgliedstaaten der EMRK, die über die Reichweite der Staatenimmunität am Maßstab des Völkergewohnheitsrechts zu entscheiden haben, sich voraussichtlich an der rechtlichen Beurteilung des EGMR orientieren werden. Dieses Urteil dürfte damit eine signifikante präjudizielle Wirkung haben. Der Entscheidung des EGMR im Verfahren Al-Adsani ./. United Kingdom lag folgender Sachverhalt zugrunde:134 Der Beschwerdeführer Sulaiman Al-Adsani, der sowohl die britische als auch die kuwaitische Staatsangehörigkeit besitzt, war 1991 nach Kuwait gereist, um sich als Pilot bei der Kuwaiti Air Force an der Verteidigung Kuwaits gegen den Irak zu beteiligen. Nach der Besetzung Kuwaits durch den Irak kämpfte er als Mitglied einer Widerstandsbewegung weiter gegen den Irak. Seinen eigenen Angaben zufolge – deren Wahrheitsgehalt nicht geklärt wurde – fielen während dieser Zeit mehrere Videokassetten in seine Hände, die einen sehr einflußreichen kuwaitischen Scheich in sexuell kompromittierenden Situationen zeigten. Diese Kassetten gelangten aus ungeklärten Umständen an die Öffentlichkeit, wofür der Scheich Al-Adsani verantwortlich machte. Nach der Befreiung Kuwaits überraschte der Scheich am 2. Mai 1991 Al-Adsani in dessen Haus, schlug zusammen mit zwei Begleitern auf ihn ein und brachte ihn mit einem staatlichen Fahrzeug in ein kuwaitisches Gefängnis, wo Al-Adsani mehrere Tage inhaftiert blieb. Während dieser Zeit wurde er von den Wärtern wiederholt mißhandelt. Nach Unterzeichnung eines erpreßten Geständnisses wurde er freigelassen. Wenige Tage später zwang der Scheich Al-Adsani jedoch erneut, ein staatliches Fahrzeug zu besteigen und verbrachte ihn in einen Palast des Bruders des kuwaitischen Emirs, wo er nach erneuten Mißhandlungen schließlich in ein Zimmer mit benzingetränkten Matratzen eingesperrt wurde, die vom Scheich in Brand gesetzt wurden. Dabei erlitt Al-Adsani schwerste Brandverletzungen. Nach einer ersten Behandlung in einem kuwaitischen Krankenhaus kehrte Al-Adsani am 17. Mai 1991 nach Großbritannien zurück, wo er für längere Zeit in einem Krankenhaus wegen seiner Brandverletzungen behandelt wurde.
___________ EGMR, Urteil vom 21.11.2001, Beschwerde Nr. 35763/97 (Sulaiman Al-Adsani ./. United Kingdom); Reports of Judgments and Decisions 2001-XI, 79 = HRLJ 23 (2002), 39 = EuGRZ 2002, 403 (dt. Übers.). Internetquelle: (31.3.2006). Ausführlich zum EGMR-Urteil Caplan, AJIL 97 (2003), 741 (741 ff.); Cremer, AVR 41 (2003), 137 (159 ff.); Gärditz, in: Menzel u.a. (Hrsg.), Völkerrechtsprechung, S. 434 ff.; Maierhöfer, EuGRZ 2002, 391 (391 ff.); Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (229 ff.); ders., LJIL 15 (2002), 703 (703 ff.); Rau, German Law Journal , 3 (2002) No. 6; Tams, AVR 40 (2002), 331 (331 ff.); Thomas/Small, NILR 2003, 1 (2 ff.); Voyiakis, ICLQ 52 (2003), 297 (303 ff.). Siehe ferner Klein, in: Bröhmer u.a. (Hrsg.) FS Ress, S. 151 (157 ff.). 134 Vgl. EGMR, Al-Adsani ./. United Kingdom (siehe oben Anm. 133), para. 9 ff. 133
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Al-Adsani erhob schließlich im August 1992 Klage vor einem englischen Gericht unter anderem gegen den Staat Kuwait und machte mit dieser Schadensersatz wegen der in Kuwait erlittenen Körperverletzungen geltend. Nachdem die Klage zunächst zugestellt worden war,135 beantragte Kuwait die Streichung des Falls. Der englische High Court gab dem Antrag am 15. März 1995 statt. Zwar seien die Folterungen Kuwait als staatliches Handeln zuzurechnen, doch habe der Kläger nicht den erforderlichen Anscheinsbeweis dafür führen können, daß Kuwait sich nicht auf Art. 1(1) des SIA berufen könne, also in dem Fall keine Staatenimmunität besitze. Nach den Bestimmungen SIA, die für die britischen Gerichte bindend seien, stehe Kuwait Staatenimmunität zu, da keine der in den Art. 2 ff. SIA aufgeführten Ausnahmen einschlägig seien.136 Diese Entscheidung des High Court bestätigte der Court of Appeal am 12. März 1996.137 Das House of Lords entschied am 27. November 1996, keine Revision zuzulassen, womit der innerstaatliche Rechtsweg erschöpft war. Daraufhin erhob Al-Adsani Menschenrechtsbeschwerde gegen Großbritannien und machte geltend, ihm sei von britischen Gerichten unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK gerichtlicher Rechtsschutz versagt worden.
Wie im bereits erläuterten Verfahren McElhinney ./. Ireland138 hat der EGMR inzident geprüft, ob Kuwait in diesem Fall – nach Völkerrecht – Immunität zukam. Denn wenn eine völkerrechtliche Pflicht zur Immunitätsgewährung bestehe, könne – so der EGMR – eine Zurückweisung einer Klage nicht als unvereinbar mit Art. 6 Abs. 1 EMRK eingestuft werden.139 Einig waren sich alle 17 an der Entscheidung beteiligten Richter des EGMR, daß das Folterverbot zum völkerrechtlichen ius cogens gehört, also Kuwait – sollten die Behauptungen des Beschwerdeführers zutreffen – gegen eine völkerrechtliche ius cogens-Norm verstoßen habe.140 Über die Konsequenzen, die sich hieraus für die Staatenimmunität ergeben, konnte jedoch keine Einigkeit erzielt werden. Während acht Richter der Auffassung waren, bei Verstößen gegen ius cogens-Normen erfahre die Staatenimmunität eine Ausnahme, hat eine hauchdünne Mehrheit von neun Richtern eine Ausnahme von der Staatenimmunität bei Verstößen gegen ius cogens nicht als Bestandteil des Völkerrechts akzeptiert. Mit einer Stimmenmehrheit von neun Richtern hat der EGMR daher entschieden, daß Kuwait Staatenimmunität zukommt und die Beschwerde von Al-Adsani für unbegründet erklärt.
___________ 135 Vgl. das Urteil des Court of Appeal, England, Al-Adsani ./. Government of Kuwait and Others, vom 21.1.1994, ILR 100, 465. 136 Vgl. das Urteil des High Court, England, Al-Adsani ./. Government of Kuwait and Others, vom 15.3.1995, ILR 103, 420 (429 ff.). 137 Court of Appeal, England, Al-Adsani ./. Government of Kuwait and Others, ILR 107, 536. Auszüge aus dem Urteil des Court of Appeal sind wiedergegeben im Urteil des EGMR, vgl. EGMR, Al-Adsani ./. United Kingdom (siehe oben Anm. 133), para. 18. 138 Vgl. oben Anm. 105 und dazugehörigen Text. 139 EGMR, Al-Adsani ./. United Kingdom (siehe oben Anm. 133), para. 46 ff. 140 EGMR, Al-Adsani ./. United Kingdom (siehe oben Anm. 133), para. 60 f.
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cc) Argumentation der überstimmten Richter für eine Nichtgeltung der Staatenimmunität bei Verstößen gegen völkerrechtliches ius cogens Die im Verfahren Al-Adsani ./. United Kingdom überstimmten EGMR-Richter haben in mehreren Sondervoten begründet, warum sie die Staatenimmunität bei Klagen wegen Verstößen gegen völkerrechtliches ius cogens nicht akzeptieren können.141 Ihre Argumentation ist überaus einfach: Weil ius cogens-Normen einen höheren Rang genössen als „normale“ Völkerrechtssätze, die Staatenimmunität aber zum „normalen“ Völkerrecht zu zählen sei, müßten ius cogens-Normen die Staatenimmunität verdrängen. Das Verbot der Begehung schwerer Menschenrechtsverletzungen, namentlich von Folterungen, gehöre zum ius cogens. Bei Klagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen, hier Folterungen, könne sich der beklagte Staat daher nicht auf Staatenimmunität berufen.142 In dem gemeinsamen Sondervotum der Richter Rozakis und Caflisch, dem sich die Richter Costa, Cabral Baretto und Vajiü sowie der EGMR-Präsident Wildhaber angeschlossen haben, wird ausgeführt: “By accepting that the rule on prohibition of torture is a rule of ius cogens, the majority recognise that it is hierarchically higher than any other rule of international law, be it general or particular, customary or conventional, with the exception, of course, of other ius cogens norms. For the basic characteristic of a ius cogens rule is that, as a source of law in the now vertical international legal system, it overrides any other rule which does not have the same status. In the event of a conflict between a ius cogens rule and any other rule of international law, the former prevails. The consequence of such prevalence is that the conflicting rule is null and void, or, in any event, does not produce legal effects which are in contradiction with the content of the peremptory rule. The Court’s majority do not seem, on the other hand, to deny that the rules on State immunity, customary or conventional, do not belong to the category of ius cogens; and rightly so, because it is clear that the rules of State immunity, deriving from both customary and conventional international law, have never been considered by the international community as rules with a hierarchically higher status. It is common knowledge that, in many instances, States have, through their own initiative, waived their rights of immunity; that
___________ 141 Die Sondervoten sind im Anhang zum EGMR-Urteil (siehe oben Anm. 133) abgedruckt. 142 Diese Argumentation ist allerdings keinesfalls neu. Mit ihr wurde auch schon vor US-amerikanischen Gerichten – letztlich ohne Erfolg, siehe unten § 4 II.5.b)ee) – eine Nichtgeltung der Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen geltend gemacht. Vgl. etwa das Vorbringen der Kläger im Verfahren Siderman de Blake and Others ./. The Republic of Argentina and Others; Urteil des US Court of Appeal for the Ninth Circuit vom 22.5.1992, 965 F.2d 699 (716 ff.) = ILR 103, 454 (472 ff.). Das Gericht hat diese Argumentation zwar in völkerrechtlicher Hinsicht für zutreffend gehalten, aber wegen seiner Bindung an das FSIA dennoch eine Nichtgeltung der Staatenimmunität im zu entscheidenden Fall abgelehnt; vgl. 965 F.2d 699 (718 ff.) = ILR 103, 454 (474 ff.). Zudem scheint der ICTY dieser Argumentation zuzuneigen, wobei allerdings die Argumentation des ICTY nicht ganz durchsichtig ist und unklar bleibt, ob der ICTY die Staatenimmunität vor Augen hatte. Vgl. ICTY, Urteil im Verfahren gegen Furundžija vom 10.12.1998 (IT-95-17/1-T), para. 155 f., ILR 121, 213 (261 f.) = ILM 38 (1999), 317 (349 f.). Siehe zur Genese dieser Argumentation auch Caplan, AJIL 97 (2003), 741 (765 ff.). Vgl. ferner de Wet, EJIL 15 (2004), 97 (105 ff.).
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin in many instances they have contracted out of them, or have renounced them. These instances clearly demonstrate that the rules on State immunity do not enjoy a higher status, since ius cogens rules, protecting as they do the ‘ordre public’, that is the basic values of the international community, cannot be subject to unilateral or contractual forms of derogation from their imperative contents. The acceptance therefore of the ius cogens nature of the prohibition of torture entails that a State allegedly violating it cannot invoke hierarchically lower rules (in this case, those on State immunity) to avoid the consequences of the illegality of its actions. In the circumstances of this case, Kuwait cannot validly hide behind the rules on State immunity to avoid proceedings for a serious claim of torture made before a foreign jurisdiction (…).”
Diesen Erwägungen hat sich der italienische Kassationsgerichtshof angeschlossen und in seiner Entscheidung im Fall Ferrini vom 11. März 2004143 unter anderem argumentiert, Deutschland könne sich bei einer Entschädigungsklage eines italienischen Staatsbürgers, der während des Zweiten Weltkrieges als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt wurde, auch deshalb nicht auf die Staatenimmunität berufen, weil das Deutsche Reich Menschenrechte mißachtet habe, die zum ius cogens gehörten.144 Doch ist diese Argumentation, die in der Literatur als “normative hierarchy theory” bezeichnet wird,145 allenfalls auf den ersten Blick zugkräftig. Zwar ist es richtig, daß grundlegende Menschenrechte wie das Folterverbot zum ius cogens gehören, die Staatenimmunität dagegen nicht. Somit ist gleichfalls zutreffend, daß das Folterverbot gegenüber der Staatenimmunität ein (faktisch) höherrangiger Rechtssatz des Völkerrechts ist. Doch verdrängt eine höherrangige Norm nicht jede nachrangige Regelung, sondern nur solche rangniedrigeren Normen, die mit der höherrangigen Norm unvereinbar sind. Verdrängt werden von ius cogens-Normen mit der Folge ihrer Nichtigkeit können daher nur solche Normen, die im Widerspruch zu einer Vorschrift des ius cogens stehen. In bezug auf das Verbot der Folter und das der Begehung völkerrechtlicher Verbrechen – Normen mit ius cogensCharakter – wäre daher jede Regelung, die eine Begehung solcher Taten gestattete, nichtig. Wenn beispielsweise zwei Staaten in einem bilateralen Vertrag vereinbarten, einander das Foltern ihrer Staatsangehörigen zu gestatten, so wäre eine solche Vereinbarung wegen Verstoßes gegen ius cogens nichtig. Die Staatenimmunität betrifft aber nicht das Verbot der Folter und sonstiger Menschenrechtsverletzungen. Dieses wird durch die Gewährung von Staatenimmunität nicht tangiert. Einem Staat Staatenimmunität auch bei Klagen wegen Menschenrechtsverletzungen zu gewähren, bedeutet nicht, diesem Menschenrechtsverletzungen zu gestatten. Die Gewährung von Staatenimmunität bei Klagen wegen Menschenrechtsverletzungen bewirkt „lediglich“, daß gegen den (vermeintlich) verantwortlichen Staat Sekundäransprüche – Schadensersatz wegen Mißachtung grundlegender Menschenrechte ___________ Siehe oben S. 71 mit Anm. 91. Vgl. Bianchi, AJIL 99 (2005), 242 (242 ff.); De Sena/De Vittor, EJIL 16 (2005), 89 (93 ff.); Focarelli, ICLQ 54 (2005), 951 (951 ff.); Gattini, JICJ 3 (2005), 224 (224 ff.). 145 Siehe etwa Caplan, AJIL 97 (2003), 741 (741, 765). 143 144
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– nicht geltend gemacht werden können. Da die Staatenimmunität mithin nicht in Widerspruch zum Verbot der Folter und der Begehung sonstiger Menschenrechtsverletzungen steht, kann sie von diesen Verboten mit ius cogens-Charakter nicht verdrängt werden. Die Argumentation der überstimmten EGMR-Richter setzte vielmehr voraus, daß eine Norm mit ius cogens-Charakter existierte, nach der die Staaten verpflichtet wären, Schadensersatzklagen gegen fremde Staaten wegen Menschenrechtsverletzungen vor eigenen nationalen Gerichten zu ermöglichen. Die Existenz einer solchen Norm ist aber – ganz zu Recht – bislang nicht behauptet worden.146 Insofern muß dem kanadischen Ontario Supreme Court of Justice zugestimmt werden, der mit eben dieser Feststellung in einem Verfahren eines Folteropfers gegen den Iran die vom Kläger vorgetragene Begründung für eine Ausnahme von der Staatenimmunität, die der hier skizzierten Meinung der überstimmten EGMR-Richter entsprach, zurückgewiesen hat.147 dd) Die erga omnes-Wirkung von ius cogens-Verletzungen und die Institute der Repressalie und Verwirkung als Ansatzpunkte für Immunitätsausnahme Auch wenn die Argumentation der im Al-Adsani-Fall überstimmten EGMRRichter zurückzuweisen ist, so bedeutet dies nicht, daß der ius cogens-Charakter von Menschenrechtsgewährleistungen keine Bedeutung für die Geltung der Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen haben kann. In der wissenschaftlichen Literatur sind interessante andere Begründungsansätze für eine Verneinung der Staatenimmunität bei Zahlungsklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen entwickelt worden, deren Ausgangspunkt gleichfalls der ius cogensCharakter von völkerrechtlichen Menschenrechtsgarantien ist. Diese auch für die strafrechtliche Ausprägung der Staatenimmunität bedeutsamen Argumentationsmuster sind allerdings etwas komplexer als der Ansatz der überstimmten EGMRRichter. Verstöße gegen völkerrechtliche Menschenrechtsgewährleistungen mit ius cogensCharakter sind Verstöße gegen fundamentale Wertordnungsgrundsätze der Völkergemeinschaft. Die soziale Störung, die staatlich veranlaßte Menschenrechtsverlet___________ Wie hier auch Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 195; Caplan, AJIL 97 (2003), 741 (771 f.); Cremer, AVR 41 (2003), 137 (162 f.); Dörr, AVR 41 (2003), 201 (214 f.); Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 56; Maierhöfer, EuGRZ 2002, 391 (397); Rau, German Law Journal , 3 (2002) No. 6; Tams, AVR 40 (2002), 331 (342); de Wet, EJIL 15 (2004), 97 (107 ff.). Dagegen wie die überstimmten EGMR-Richter Bianchi, AJPIL 46 (1994), 195 (219); Karagiannakis, LJIL 11 (1998), 9 (20); Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (258 ff.). Siehe zudem Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 110; Voyiakis, ICLQ 52 (2003), 297 (320 ff.). 147 Urteil des Ontario Superior Court of Justice vom 1.5.2002, para. 57 ff., ILR 124, 428 (441 ff.). Im Ergebnis hat das Gericht dem Iran Staatenimmunität zuerkannt und die Klage abgewiesen. 146
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zungen auslösen, beschränkt sich daher nicht auf das Verhältnis zwischen dem verantwortlichen Staat und dem individuellen Opfer. Vielmehr wird durch solche Taten – wie es in bezug auf völkerrechtliche Verbrechen treffend in Abs. 4 der Präambel zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut) vom 17. Juli 1998148 heißt – die internationale Gemeinschaft als Ganzes berührt. Solche Völkerrechtsverstöße betreffen jeden Staat, nicht nur den Staat, dessen Staatsangehörigkeit das Opfer hat. Menschenrechte sind daher nicht nur Individualrechte der einzelnen Menschen, sondern Rechte, die im Interesse des Friedens, der Sicherheit und des Wohls der gesamten Menschheit zu gewähren sind. Wie der IGH in seiner Entscheidung im Fall Barcelona Traction festgestellt hat, wirken Verstöße gegen Menschenrechtsgewährleistungen mit ius cogens-Charakter daher erga omnes, sie verletzen also die gesamte Staatengemeinschaft und mithin auch jeden einzelnen Staat in eigenen Rechten.149 Wenn aber durch die erga omnes-Wirkung von Menschenrechtsverletzungen jeder Staat in eigenen Rechten verletzt ist, dann erscheint es folgerichtig, den in ihren Rechten verletzten – also allen – Staaten die Möglichkeit einzuräumen, auf diese Rechtsverletzung zu reagieren.150 Schon seit längerem wird es nicht mehr als verbotene Einmischung in innere Angelegenheiten angesehen, wenn einem Staat von anderen Staaten Menschenrechtsverletzungen vorgehalten werden und dieser aufgefordert wird, die Menschenrechte zu achten. In jüngster Zeit wird sogar vermehrt die Auffassung vertreten, bei einer Blockade des UN-Sicherheitsrats sei es Einzel___________ BGBl. 2000 II, S. 1393 und BT-Drucks. 14/2682, S. 9. Deutsche Fassung auch in der Sammlung „Sartorius II“ unter Nr. 35. Internet: (31.3.2006). 149 IGH, Barcelona Traction, Light and Power Company (Belgium ./. Spain), ICJReports 1970, 3 (32). Vgl. auch ICTY, Urteil im Verfahren gegen Furundžija vom 10.12.1998 (IT-95-17/1-T), para. 151, ILR 121, 213 (260) = ILM 38 (1999), 317 (348); BVerfG NJW 2001, 1848 (1849); Cremer, AVR 41 (2003), 137 (137); Doehring, Völkerrecht, Rn. 40, 828, 988; Herdegen, Völkerrecht, § 39 Rn. 1 f.; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 174; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 316 ff.; Verdross/Simma, Völkerrecht, §§ 526, 1263. 150 So zu Recht ICTY, Urteil im Verfahren gegen Furundžija vom 10.12.1998 (IT-9517/1-T), para. 151, ILR 121, 213 (260) = ILM 38 (1999), 317 (348); Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 154 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 92 f.; Hannikainen, Peremptory Norms, S. 293 ff., 724 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 39 Rn. 4, § 59 Rn. 8; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 174, 237; Verdross/ Simma, Völkerrecht, § 1343; Wolfrum, Jus Cogens, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL III, 65 (67 f.). Vgl. zu dieser überaus umstrittenen Frage auch Doehring, Völkerrecht, Rn. 40, 989; Frowein, in: Bernhardt u.a. (Hrsg.), FS Mosler, 241 (244 ff.); Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 15 Rn. 58; Schröder, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 7. Abschn. Rn. 113; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 640 f. In der Staatenpraxis ist eine Vielzahl von Fällen eines Einschreitens dritter Staaten in Form der Verhängung von Wirtschaftssanktionen oder der Suspendierung vertraglicher Rechte nachweisbar, die wegen fehlender Ermächtigung seitens des UN-Sicherheitsrats nur dann als völkerrechtskonform angesehen werden können, wenn man von einer Reaktionsbefugnis von Drittstaaten auf Verletzungen von Normen mit erga omnes-Wirkung ausgeht; vgl. Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 321 ff. 148
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staaten trotz des allgemeinen völkerrechtlichen Gewaltverbots erlaubt, zur Durchsetzung der Achtung der Menschenrechte eine sogenannte humanitäre Intervention zu unternehmen und mit militärischen Mitteln einzuschreiten.151 All dies zeigt, daß eine Berufung auf die staatliche Souveränität und Unabhängigkeit zur Abwehr von Einmischungen durch dritte Staaten bei Verletzungen des als ius cogens anerkannten Kernbereichs der Menschenrechte vom Völkerrecht nicht mehr oder zumindest nicht mehr in gleichem Maße wie früher anerkannt wird und alle Staaten aufgrund der erga omnes-Wirkung von Menschenrechtsverletzungen befugt sind, auch ohne konkrete eigene Betroffenheit auf solche zu reagieren.152 Eine solche Reaktion könnte die Nichtachtung der Staatenimmunität des Verletzerstaates sein, indem Klagen der Opfer von Menschenrechtsverletzungen gegen den verantwortlichen Staat vor Gerichten des eigenen Staates verhandelt werden.153 Aufbauend auf diesen Grundüberlegungen sind zwei unterschiedliche Argumentationslinien entwickelt worden. Die eine zieht das völkerrechtliche Rechtsinstitut der Repressalie, die andere das der Verwirkung heran, um eine Nichtachtung der Staatenimmunität zu rechtfertigen. Unter einer Repressalie154 wird ein völkerrechtswidriges Verhalten verstanden, das von einem Völkerrechtssubjekt als Beugemittel gegenüber dem völkerrechts___________ Vgl. nur Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rn. 25 ff. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Hobe/Tietje, GYIL 39 (1996), 523 (536 ff.), die sogar so weit gehen anzunehmen, nationale Rechtsnormen, die gegen ius cogens verstießen, seien nichtig und müßten von keinem anderen Staat anerkannt werden. Aus diesem Grund hätten sich die DDR-Grenzsoldaten nach der deutschen Vereinigung vor bundesdeutschen Gerichten nicht auf die Rechtfertigung ihres Handelns nach DDR-Recht berufen können. Diese These dürfte aber zumindest derzeit noch keinen Rückhalt im Völkerrecht finden. Siehe hierzu auch Kreicker, Art. 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutschdeutschen Grenze, S. 75 f. 153 Vgl. ICTY, Urteil im Verfahren gegen Furundžija vom 10.12.1998 (IT-95-17/1-T), para. 155 f., ILR 121, 213 (261 f.) = ILM 38 (1999), 317 (349 f.), wo angedeutet wird, daß die Staatenimmunität bei Folterhandlungen wegen der erga omnes-Wirkung eines Verstoßes gegen das Folterverbot einer Zivilklage eines Opfers vor Gerichten anderer Staaten nicht entgegenstehen könne. Siehe zu dieser ICTY-Entscheidung auch Thomas/Small, NILR 2003, 1 (18 f.). Vgl. ferner Bianchi, AJPIL 46 (1994), 195 (203 ff.) und Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 154 ff., insb. S. 158 f. Soweit in diesem Zusammenhang allerdings die Auffassung vertreten wird, die Staatenimmunität solle einen Staat davor bewahren, daß sich ein anderer Staat völkerrechtswidrig in seine inneren Angelegenheiten einmische, nicht aber ein menschenrechts- und damit selbst völkerrechtswidriges Handeln schützen, kann dies als Argument gegen die Gewährung von Staatenimmunität genauso wenig anerkannt werden wie die Behauptung, ein Staat würde durch Gewährung von Immunität in gewisser Weise der Geltung des internationalen Rechts enthoben (so aber die Thesen von Bianchi, AJPIL 46 [1994], 195 [200]). Zwar ist es richtig, daß ein Staat, der völkerrechtlich anerkannte Menschenrechte nicht achtet, gegen das Völkerrecht verstößt. Doch ist die Regel, daß Staaten nur dem Völkerrecht, nicht aber anderen Staaten unterworfen sind, ebenso eine Regel des Völkerrechts. Ein Staat, der die Staatenimmunität nicht achtet, verstößt damit ebenfalls gegen geltendes Völkerrecht. 154 Neuerdings wird auch von „Gegenmaßnahme“ gesprochen; vgl. Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 983; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 236 f. 151 152
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widrigen Verhalten eines anderen Völkerrechtssubjekts eingesetzt wird.155 Die Zulässigkeit einer Repressalie ist – wenngleich in engen Grenzen156 – seit langem im Völkergewohnheitsrecht anerkannt. Staaten, die in eigenen Rechtspositionen durch das Verhalten eines anderen Staates verletzt wurden, dürfen zur Abwehr der Rechtsverletzung bzw. zur Erzwingung eines völkerrechtskonformen Zustands grundsätzlich auch mit völkerrechtswidrigem Verhalten reagieren. Wenn, so wird argumentiert, ein Staat bei Menschenrechtsverletzungen, die ein anderer Staat zu verantworten habe, wegen deren erga omnes-Wirkung in eigenen Rechten verletzt werde, so dürfe er im Wege der Repressalie die dem anderen Staat zukommende Staatenimmunität mißachten. Der in der Nichtbeachtung der Staatenimmunität liegende Völkerrechtsverstoß sei ausnahmsweise gerechtfertigt.157 Doch begegnet diese Argumentation Bedenken. Nach Völkergewohnheitsrecht müssen Repressalien von der obersten Staatsführung (im praktisch vornehmlich relevanten Kriegsfall von der obersten Militärführung) angeordnet werden.158 Befugt zu einem Vorgehen im Rahmen einer Repressalie ist damit völkerrechtlich lediglich die Exekutive. Bei einer Nichtbeachtung der Staatenimmunität aber würde das Gericht, das die Klage verhandelt, also eine Stelle der Judikative, im Wege der Repressalie vorgehen.159 Vor allem aber dürfen Repressalien nicht zur Vergeltung eines bereits beendeten Völkerrechtsverstoßes der Gegenseite eingesetzt werden, sondern nur auf die Rechtsdurchsetzung und Wiederherstellung eines völkerrechts___________ BGHSt 23, 103 (107) = NJW 1969, 2105 (2106); BT-Drucks. 14/8524, S. 15; Dahm/ Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 91 f.; dies., Völkerrecht, Bd. I/3, S. 983 ff.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rn. 45; Herdegen, Völkerrecht, § 59 Rn. 6; Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 407; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1776; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1342. 156 Vgl. zu diesen Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 408 f. 157 Für die Statthaftigkeit einer Nichtbeachtung der Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen als Repressalie etwa Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 5 (allerdings sehr vorsichtig formulierend); Kokott/Doehring/Buergenthal, Grundzüge des Völkerrechts, Rn. 468. Sehr kritisch gegenüber einer Reaktion auf Verletzungen von erga omnes-Normen im Wege einer Repressalie aber Frowein, in: Bernhardt u.a. (Hrsg.), FS Mosler, 241 (256, 258). Siehe ferner Doehring, Völkerrecht, Rn. 1031; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rn. 46. 158 Vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 15 f.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 599, 1029 ff.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rn. 45 ff.; Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 408; Schröder, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 7. Abschn. Rn. 114; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1343. Siehe auch das Urteil des ICTY im Verfahren gegen Kupreškiü et al. vom 14.1.2000 (IT-95-16-T), para. 535 (abrufbar im Internet unter ). 159 Vgl. diesbezüglich auch Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 5; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 369 f. 155
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konformen Zustands abzielen.160 Wenn eine Klage wegen einer Menschenrechtsverletzung erhoben wird, so ist der der Klage zugrundeliegende Rechtsverstoß in aller Regel aber bereits seit geraumer Zeit beendet. Eine Nichtachtung der Staatenimmunität des Verletzerstaates kann also nicht der Beendigung der Menschenrechtsverletzung dienen, hierauf zielt eine Klage in aller Regel auch gar nicht ab. Mit der Rechtsfigur der Repressalie könnte eine Nichtbeachtung der Staatenimmunität bei Klagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen daher allenfalls dann gerechtfertigt werden, wenn man auch eine Wiedergutmachung in Form von Entschädigungszahlungen an die individuellen Opfer als legitimes Ziel einer Repressalie ansieht.161 Überzeugender ist es, auf das Rechtsinstitut der Verwirkung abzustellen. Dieses besagt, daß ein Staat, der anderen Völkerrechtssubjekten zukommende Rechtspositionen mißachtet, seiner Befugnis verlustig geht, sich seinerseits zur Abwehr von Handlungen dieser anderen Völkerrechtssubjekte auf ebendiese Rechte zu berufen. Das Institut der Verwirkung ist eine Ausprägung des Prinzips von Treu und Glauben und gilt völkerrechtlich als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne des Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut:162 Niemand kann für sich selbst Rechte in Anspruch nehmen, die er anderen nicht zuzubilligen bereit ist.163 In bezug auf die Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen, namentlich bei völkerrechtlichen Verbrechen, kann man nun wie folgt argumentieren: Da Menschenrechtsverletzungen erga omnes wirken, werden durch staatliche Menschenrechtsverletzungen alle anderen Staaten in den ihnen als souveräne Völkerrechtssubjekte zukommenden Rechten verletzt. Eine staatliche Menschenrechtsverletzung bedeutet somit einen rechtswidrigen Eingriff in die Souveränitätsrechte anderer Staaten. Ein Staat, der so die Souveränitätsrechte anderer Staaten mißachtet, verwirkt damit sein Recht, sich seinerseits gegenüber Maßnahmen anderer Staaten auf ihm zukommende Souveränitätsrechte zu berufen. Die Staatenimmunität aber ist ein Recht, das unmittelbar aus der Souveränität der Staaten fließt. Ein ___________ Vgl. die Nachw. oben in Anm. 158. Ablehnend gegenüber einem Abstellen auf das Rechtsinstitut der Repressalie Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 159, 192 f. Bedenken im Hinblick auf eine Vereinbarkeit einer solchen Repressalie mit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit äußert Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 372 ff. Siehe aber auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 985; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1030, die darauf hinweisen, eine Repressalie dürfe auch zur Erzwingung einer Wiedergutmachungsleistung, etwa der Zahlung von Schadensersatz, eingesetzt werden. Insofern sei eine Repressalie auch zulässig, um die Folgen rechtswidrigen Verhaltens zu korrigieren. 162 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 64; Doehring, in: Böckstiegel u.a. (Hrsg.), FS Seidl-Hohenveldern, S. 51 (51 ff.) (mit einer überzeugenden Darlegung, warum ein Abstellen auf einen Rechtsmißbrauch und auf das Prinzip „estoppel“ nicht in Betracht kommt); Kokott, in: Beyerlin u.a. (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 135 (136 ff.) (mit einer Abgrenzung des Rechtsinstituts der Verwirkung von anderen allgemeinen Rechtsgrundsätzen wie namentlich dem Verbot des Rechtsmißbrauchs). 163 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 417. 160 161
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Staat, der Menschenrechtsverletzungen, namentlich völkerrechtliche Verbrechen, zu verantworten hat, verwirkt damit die ihm zukommende Staatenimmunität insoweit, als es um Verfahren wegen dieser Menschenrechtsverletzungen geht.164 Im Ergebnis ist festzuhalten, daß die völkerrechtliche Zulässigkeit einer Nichtbeachtung der Staatenimmunität bei Verstößen gegen Menschenrechte mit ius cogens-Charakter, die erga omnes wirken, damit begründet werden könnte, daß der Staat, der solche Menschenrechtsverletzungen begeht, seinen Anspruch auf Beachtung der ihm zukommenden Staatenimmunität verwirkt. ee) Ablehnung der ius cogens-Argumentation durch die völkerrechtliche und nationale Rechtsprechung Von der völkerrechtlichen und nationalen Rechtsprechung wird eine Ausnahme von der Staatenimmunität bei Verstößen gegen ius cogens allerdings ganz überwiegend nach wie vor abgelehnt. So ist, wie erwähnt, die Richtermehrheit des EGMR im hier besonders interessierenden Fall Al-Adsani ./. United Kingdom vom Bestehen einer Staatenimmunität Kuwaits trotz (vermutlichen) Verstoßes Kuwaits gegen ius cogens-Normen ausgegangen. Bemerkenswert ist, daß sich der EGMR gar nicht mit den im Vorstehenden entfalteten Argumentationslinien auseinandergesetzt hat. Er hat die Argumente, wegen der völkerrechtlichen Normenhierarchie trete die Staatenimmunität hinter ius cogens-Normen zurück bzw. wegen der erga omnes-Wirkung von ius cogensVerletzungen verwirke der Verletzerstaat seine Staatenimmunität oder sei eine Mißachtung der Staatenimmunität im Wege einer Repressalie statthaft, nicht aufgegriffen. Offenbar wollte sich die Richtermehrheit auf die „neue Methode“ der Rechtsfindung im Völkerrecht, aus allgemeinen Rechtsprinzipien konkrete Schlußfolgerungen für die Reichweite einzelner Rechtsinstitute – hier der Staatenimmunität – abzuleiten,165 nicht einlassen. Die Richtermehrheit des EGMR hat vielmehr ganz „klassisch“166 argumentiert, eine Ausnahme von der Staatenimmunität bei ius cogens___________ 164 So etwa Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (85 f.); Kokott, in: Beyerlin u.a. (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 135 (148 f.); dies., BDGVR 38 (1998), 71 (84 f.) (dort allerdings überaus vorsichtig formulierend). Vgl. auch Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 194. Der Gedanke einer Verwirkung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen klingt auch bei Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 61 an. Grundsätzlich für eine Verwirkbarkeit völkerrechtlicher Immunitäten auch Doehring, in: Böckstiegel u.a. (Hrsg.), FS Seidl-Hohenveldern, S. 51 (53 ff.). Die auf das Institut der Verwirkung abstellende Argumentationslinie stößt allerdings in der Literatur zum Teil auf Ablehnung. Verworfen wird sie z.B. von Cremer, AVR 41 (2003), 137 (155 ff.); Hess, in: Geimer (Hrsg.), FS Schütze, S. 269 (280 f.); Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 42 ff., 132 f.; Rensmann, IPRax 1998, 44 (47); ders., IPRax 1999, 268 (271). 165 Vgl. hierzu schon oben vor § 4 II.5.a). 166 Thomas/Small, NILR 2003, 1 (3) sprechen davon, der EGMR sei “conventional in its treatment of the status of immunity in public international law”.
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Verstößen finde keinen Rückhalt in der Staatenpraxis. Daher könne eine solche Ausnahme auch nicht als Rechtssatz des Gewohnheitsrechts angesehen werden. Im einzelnen hat der EGMR ausgeführt: “While the Court accepts (…) that the prohibition of torture has achieved the status of a peremptory norm in international law, it observes that the present case concerns not, as in the Furundzija and Pinochet decisions, the criminal liability of an individual for alleged acts of torture, but the immunity of a State in a civil suit for damages in respect of acts of torture within the territory of that State. Notwithstanding the special character of the prohibition of torture in international law, the Court is unable to discern in the international instruments, judicial authorities or other materials before it any firm basis for concluding that, as a matter of international law, a State no longer enjoys immunity from civil suit in the courts of another State where acts of torture are alleged. (…) The Court, while noting the growing recognition of the overriding importance of the prohibition of torture, does not accordingly find it established that there is yet acceptance in international law of the proposition that States are not entitled to immunity in respect of civil claims for damages for alleged torture committed outside the forum State.”167
Mit der gleichen „klassischen“ Argumentation hatte auch schon der englische Court of Appeal eine Ausnahme von der Staatenimmunität im Fall Al-Adsani verneint.168 Der EGMR hat seine Rechtsauffassung in seinem schon erwähnten Beschluß vom 12. Dezember 2002 bestätigt, mit dem er eine Menschenrechtsbeschwerde der im Distomo-Rechtsstreit letztlich erfolglos gebliebenen Kläger zurückgewiesen hat. In diesem Beschluß hat der EGMR ausgeführt, er sehe es nicht als erwiesen an, daß zum jetzigen Zeitpunkt im Völkerrecht akzeptiert sei, daß Staaten in bezug auf Schadensersatzklagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in einem anderen Staat geltend gemacht werden, nicht mehr immunitätsberechtigt seien.169 Auch der deutsche BGH hat in seiner am 26. Juni 2003 ergangenen Entscheidung zu der in Deutschland erhobenen Klage von Opfern des Distomo-Massakers die These zurückgewiesen, bei Verstößen gegen völkerrechtliches ius cogens stehe die Staatenimmunität zivilrechtlichen Klagen gegen fremde Staaten nicht entgegen. Er ist von einer uneingeschränkten Staatenimmunität bei acta iure imperii ausgegangen.170 In einer Vielzahl von Entscheidungen US-amerikanischer, britischer und kanadischer Gerichte wurde eine Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrecht___________ EGMR, Al-Adsani ./. United Kingdom (siehe oben Anm. 133), para. 61. Court of Appeal, Al-Adsani ./. Government of Kuwait and Others (siehe oben Anm. 137), ILR 107, 536 (541 ff.). Siehe auch EGMR, Al-Adsani ./. United Kingdom (oben Anm. 133), para. 18. 169 EGMR, Beschluß vom 12.12.2002, Beschwerde Nr. 59021/00, Kalogeropoulou et al. ./. Greece and Germany (vgl. oben Anm. 88): “The Court does not find it established, however, that there is yet acceptance in international law of the proposition that States are not entitled to immunity in respect of civil claims brought against them in another State for crimes against humanity (…).” Siehe auch BGH NJW 2003, 3488 (3489). 170 BGH NJW 2003, 3488 (3489). 167 168
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lichen Verbrechen und sonstigen schweren Menschenrechtsverletzungen gleichfalls abgelehnt. Diese Entscheidungen zeichnen sich jedoch überwiegend dadurch aus, daß – zumindest schwerpunktmäßig – die Ablehnung einer solchen Ausnahme damit begründet wurde, der einschlägige nationale State Immunity Act – der USamerikanische FSIA bzw. der britische und der kanadische SIA – enthalte keine Ausnahmeregelung für völkerrechtliche Verbrechen oder sonstige schwere Menschenrechtsverletzungen. Insofern haben sich die US-amerikanischen, britischen und kanadischen Gerichte nicht zum Stand des Völkergewohnheitsrechts geäußert, sondern wegen ihrer Bindung an das FSIA bzw. SIA die Ablehnung einer Ausnahme von der Staatenimmunität unter Heranziehung des jeweiligen nationalen Rechts begründet. Dennoch sind auch diese Gerichtsentscheidungen Teil einer Staatenpraxis, die eine Nichtgeltung der Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen ablehnt. Von den Entscheidungen US-amerikanischer, britischer und kanadischer Gerichte, die eine Ausnahme von der Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen und sonstigen Völkerrechtsverstößen unter Hinweis auf das Fehlen einer entsprechenden Regelung im FSIA bzw. SIA abgelehnt haben, sollen an dieser Stelle nur die wichtigsten erwähnt werden: Die Entscheidung des US Court of Appeals vom 1. Juli 1994 im Fall Hugo Princz ./. Germany171 wurde bereits im Zusammenhang mit der These eines impliziten Immunitätsverzichts skizziert.172 Auch in den ebenfalls bereits erwähnten Entscheidungen des englischen High Court und des englischen Court of Appeal im Verfahren Al-Adsani ./. Government of Kuwait and Others wurde – wenngleich nicht ausschließlich173 – auf der Basis nationalen Rechts argumentiert und die Klage jeweils mit dem Argument abgewiesen, das SIA sehe eine Ausnahme von der Staatenimmunität bei einem Staat zurechenbaren und außerhalb von Großbritannien begangenen Folterungen nicht vor.174 Mit seinem Urteil im Fall Argentine Republic ./. Amerada Hess Shipping Corp. vom 23. Januar 1989175 hat der US-Supreme Court Argentinien in einem Verfahren, in dem Argentinien wegen Beschädigung eines unter liberianischer Flagge auf Hoher See fahrenden neutralen Schiffs (Öl-Tankers) durch argentinische Kampfflugzeuge während des Falklandkrieges 1982 in Anspruch genommen wurde, Staa___________ Vgl. oben Anm. 117. Vgl. oben § 4 II.5.a). 173 Vgl. oben Anm. 168 und dazugehöriger Text. 174 High Court, Al-Adsani ./. Government of Kuwait and Others (siehe oben Anm. 136), ILR 103, 420 (429 ff.); Court of Appeal, Al-Adsani ./. Government of Kuwait and Others (siehe oben Anm. 137), ILR 107, 536 (541 ff.). 175 Urteil des US Supreme Court vom 23.1.1989, 488 US 428 (434 ff.) = 109 S.Ct. 683 (688 ff.) = ILR 81, 658 (661 ff.) = ILM 28 (1989), 382. Das Urteil der Vorinstanz ist wiedergegeben in ILR 79, 1. Vgl. auch Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 48 f. 171 172
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tenimmunität mit dem Argument zuerkannt, diese erfahre – anders als vom Kläger behauptet – nach dem FSIA selbst bei Handlungen, die gegen das Völkerrecht verstoßen, keine Ausnahme. Die torts exception greife nicht ein, da der Schaden nicht im Hoheitsgebiet der USA eingetreten sei. Im Verfahren Siderman de Blake and Others ./. The Republic of Argentina and Others ging es um eine Klage von Mitgliedern der Familie Siderman, die unter anderem geltend gemacht hatten, Jose Siderman sei von argentinischen Militärs in Argentinien gefoltert worden. Die Kläger hatten Argentinien vor amerikanischen Gerichten auf Zahlung von Schadensersatz verklagt. Die Argumentation der Sidermans, die Staatenimmunität könne bei Verstößen gegen völkerrechtliches ius cogens nicht eingreifen, wies der Court of Appeal in seinem Urteil vom 22. Mai 1992 unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Supreme Court in Amerada Hess mit dem Argument zurück, eine Ausnahme von der Staatenimmunität bei ius cogensVerstößen sei im FSIA nicht normiert.176 Diese Rechtsprechung hat der US Supreme Court in seinem Urteil im Verfahren Saudi Arabia ./. Nelson vom 23. März 1993 bestätigt.177 Dabei ging es um die Klage des US-amerikanischen Staatsbürgers Scott Nelson, der 1984 in Saudi-Arabien als Techniker in einem Krankenhaus gearbeitet hatte und, nachdem er auf Sicherheitsmängel aufmerksam gemacht hatte, von der saudi-arabischen Polizei verhaftet worden war. Während seiner fünfwöchigen Haft wurde Nelson seinen Angaben zufolge gefoltert. Er wurde schließlich auf Intervention eines US-Senators freigelassen und konnte in die USA zurückkehren, wo er Saudi Arabien auf Zahlung von Schadensersatz verklagte. Der US Supreme Court wies auf den abschließenden Charakter des FSIA hin und ging auf eine mögliche Ausnahme von der Staatenimmunität bei Folterhandlungen gar nicht erst ein. Die einzige in Betracht kommende Ausnahme unter dem FSIA, die “commercial exception” nach section 1605(a)(2) FSIA,178 sei nicht einschlägig, da die Verhaftung und die Folterungen Hoheitsakte Saudi Arabiens gewesen sein.179 Die hier zu erwähnende kanadische Entscheidung, auf die in anderem Zusammenhang bereits hingewiesen wurde, betraf eine Klage des iranischen Staatsbürgers Houshang Bouzari, der 1993/94 im Iran inhaftiert und gefoltert worden war und nach seiner Freilassung nach Kanada ausgewandert war. Bouzari hatte – zusammen mit Familienangehörigen – den Iran vor einem kanadischen Gericht auf ___________ Urteil des United States Court of Appeal for the Ninth Circuit vom 22.5.1992, 965 F.2d 699 (713 ff.) = ILR 103, 454 (470 ff.). Vgl. zu diesem Verfahren auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 294 f.; Ress, in: De Salvia/Villiger (Hrsg.), The Birth of European Human Rights Law, S. 175 (190 f.). 177 Urteil des US Supreme Court vom 23.3.1993, ILR 100, 544. 178 Vgl. zu section 1605(a)(2) FSIA oben § 4 II.2.b). 179 Siehe zu diesem Fall auch Bianchi, AJPIL 46 (1994), 195 (208); Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 64 ff. 176
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Zahlung von Entschädigung für die erlittene Folter verklagt. Der Ontario Superior Court of Justice hat in seinem Urteil vom 1. Mai 2002 im Verfahren Bouzari and Others ./. Islamic Republic of Iran180 zwar anerkannt, daß der Iran, die Wahrheit des klägerischen Vorgehens unterstellt, gegen völkerrechtliches ius cogens verstoßen habe,181 doch entschieden, daß hieraus aber anders als nach Meinung des Klägers keine Ausnahme von der Staatenimmunität folge. Denn zum einen sei das Gericht an das kanadische SIA gebunden. Die dort normierten Ausnahmen, namentlich die torts exception und die commercial-activity-exception, seien jedoch auf den Fall nicht anwendbar.182 Zum anderen folge aus dem ius cogens-Charakter des Folterverbots nicht, daß Kanada verpflichtet sei, den individuellen Opfern eine Klage gegen den verantwortlichen fremden Staat vor kanadischen Gerichten zu ermöglichen.183 Darüber hinaus hat das kanadische Gericht ebenso wie der EGMR im Fall Al-Adsani – und unter Berufung auf diese und andere Gerichtsentscheidungen – „klassisch“ argumentiert und betont, in der Staatenpraxis finde eine Ausnahme von der Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen keinen Rückhalt, so daß eine gewohnheitsrechtliche Anerkennung einer solchen Ausnahme nicht angenommen werden könne.184 Die Klage Bouzari’s wurde daher abgewiesen. Es gibt allerdings auch (neben der bereits erwähnten italienischen Entscheidung im Ferrini-Fall185) eine US-amerikanische Gerichtsentscheidung, in der eine Ausnahme von der Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen anerkannt wurde. Im Fall von Dardel ./. USSR wurde die Sowjetunion im Jahr 1985 durch ein Versäumnisurteil zur Zahlung von Entschädigung an den Halbbruder des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg verurteilt, der während des Zweiten Weltkrieges in Ungarn bemüht war, jüdische Bürger vor ihrer Ermordung in Konzentrationslagern zu bewahren, nach dem Einmarsch der sowjetischen Armee in Ungarn aber von den Sowjets verhaftet worden war und vermutlich in sowjetischer Haft gestorben ist. Das Schicksal Wallenbergs gilt noch immer als nicht endgültig geklärt. Das Gericht argumentierte, das einschlägige FSIA sei im Lichte des bei seiner Verabschiedung geltenden Völkerrechts zu interpretieren, dieses aber gewähre bei Verstößen gegen ius cogens-Normen keine Immunität.186 Doch ist dieses ___________ Urteil des Ontario Superior Court of Justice vom 1.5.2002, ILR 124, 428. Urteil des Ontario Superior Court (siehe oben Anm. 180), para. 61, ILR 124, 428 (442 f.). 182 Urteil des Ontario Superior Court (siehe oben Anm. 180), para. 18 ff., ILR 124, 428 (433 ff.). 183 Urteil des Ontario Superior Court (siehe oben Anm. 180), para. 62, ILR 124, 428 (443). 184 Urteil des Ontario Superior Court (siehe oben Anm. 180), para. 63 ff., ILR 124, 428 (443 ff.). 185 Hierzu oben Anm. 91. 186 Urteil des US District Court, District of Columbia, vom 15.10.1985 im Verfahren Dardel ./. USSR, 623 F.Supp. 246 = ILR 77, 258. Vgl. zu diesem Verfahren auch Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 74 ff.; Kunczik, in: Menzel u.a. 180 181
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Urteil zum einen durch die Rechtsprechung des US Supreme Court im Fall Amerada Hess187 überholt, zum anderen ist die völkerrechtliche Argumentation überaus dürftig. Das Gericht hat nämlich die Nichtgeltung der Immunität damit begründet, bei Verstößen gegen das Völkerrecht bestehe eine Gerichtsbarkeit einzelner Staaten nach dem Universalitätsprinzip. Doch gilt diese Feststellung zum einen nur für völkerrechtliche Verbrechen, zum anderen bloß für eine strafrechtliche Verfolgung der individuellen Täter.188 Die bislang erwähnten Entscheidungen aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis betrafen sämtlich Klagen, die gegen fremde Staaten gerichtet waren. Daneben gab es auch noch einige wenige Klagen, in denen nicht der für Menschenrechtsverletzungen (vermeintlich) verantwortliche Staat, sondern unmittelbar die natürlichen Personen auf Zahlung von Entschädigung in Anspruch genommen wurden, die nach Ansicht des Klägers die Menschenrechtsverletzungen begangen hatten.189 Diese Fälle erscheinen zwar im vorliegenden Zusammenhang, in dem es um Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit und damit primär um Exemtionen von natürlichen Personen geht, von besonderem Interesse zu sein. Doch geben sie letztlich wenig Aufschluß über die Reichweite der Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen. Im dem von den Hinterbliebenen eines später ermordeten Folteropfers in den USA angestrengten Schadensersatzverfahren Filartiga ./. Peña-Irala wurde der frühere Polizeichef von Asunción, Paraguay, zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt, ohne daß die Gerichte auf die Frage einer dem Verfahren entgegenstehenden Immunität des Beklagten überhaupt eingingen.190 Das gleiche gilt für das Verfahren Forti ./. Suaréz-Mason, in dem ein hoher Offizier der argentinischen Armee vor US-amerikanischen Gerichten wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen, unter anderem wegen Folterungen, extralegaler Hinrichtungen und Taten des Verschwindenlassens, auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen wurde. Der Beklagte Suaréz-Mason wurde verurteilt, ohne
___________ (Hrsg.), Völkerrechtsprechung, S. 420 ff.; Ress, in: De Salvia/Villiger (Hrsg.), The Birth of European Human Rights Law, S. 175 (187 f.). 187 Vgl. oben Anm. 175. 188 Vgl. zur Strafverfolgungskompetenz nach dem Weltrechtsprinzip bei völkerrechtlichen Verbrechen Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 252 ff. Zu den verschiedenen Formen einer nationalen Strafverfolgung von Völkerstraftaten siehe Kreicker, ICLR 5 (2005), S. 313 (319 ff.). 189 Vgl. Hess, in: Geimer (Hrsg.), FS Schütze, S. 269 (272 f.). 190 US Court of Appeals, Second Circuit, Urteil vom 30.6.1980, 630 F.2nd. 876 = ILR 77, 171. Memorandum und Order des US District Court, Eastern District New York, vom 10.1.1984, 577 F.Supp. 860 = ILM 77, 191. Siehe auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 277 f.
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daß die Frage einer ihm zukommenden Immunität als Ausfluß der Staatenimmunität diskutiert wurde.191 Auch im Verfahren Abebe-Jira ./. Negewo, in dem ein ehemaliger Funktionsträger des äthiopischen Militärregimes auf Zahlung von Schadensersatz wegen Folterungen in Anspruch genommen wurde, hat das Gericht eine Verurteilung ausgesprochen, ohne sich mit der Problematik der Staatenimmunität auseinanderzusetzen.192 Es spricht vieles dafür, daß in diesen Verfahren die mögliche Relevanz der Staatenimmunität überhaupt nicht erkannt wurde. Daher erscheint es verfehlt, diese Fälle als Beleg für eine Nichtgeltung der Staatenimmunität bei Schadensersatzklagen gegen natürliche Personen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen heranzuziehen.193 Es sind allerdings auch einige Verfahren in den USA zu verzeichnen, die Schadensersatzklagen gegen staatliche Funktionsträger wegen Menschenrechtsverletzungen betrafen und in denen ausdrücklich der Einwand der Unzulässigkeit der Verfahren wegen Staatenimmunität zurückgewiesen wurde. Zu nennen sind in den USA erhobene Schadensersatzklagen gegen den ehemaligen philippinischen Präsidenten Ferdinand Marcos wegen der während seiner Herrschaft begangenen Menschenrechtsverletzungen,194 eine Klage gegen einen haitianischen General195 sowie ein Verfahren gegen den ehemaligen guatemaltekischen Verteidigungsminister Gramajo.196 In diesen Verfahren wurden die Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt und wurde der Einwand der Staatenimmunität jeweils mit dem Argument für unerheblich erklärt, schwerste Menschenrechtsverletzungen könnten nicht als Handlungen in Ausübung staatlicher Funktionen, also nicht als Handlungen für einen fremden Staat begriffen werden. Denn solche Aktivitäten gehörten nicht zum ___________ 191 US District Court, Northern District California, Urteil vom 6.10.1987, 672 F.Supp. 1531 = ILR 95, 624. Siehe auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 278. 192 Urteil des US Court of Appeals, Eleventh Circuit im Verfahren Abebe-Jira./. Negewo vom 10.1.1996, 72 F.3d 844 = ILR 107, 447. Siehe auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 279. 193 So jedoch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 279, die aber dennoch zu dem Ergebnis kommt, eine völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Staatenimmunität bei Zivilklagen gegen staatliche Funktionsträger wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen existiere nicht (a.a.O., S. 285, 302). 194 US Court of Appeals, Ninth Circuit, Urteil vom 16.6.1994 im Verfahren Hilao and Others ./. Estate of Marcos, 25 F.3d 1467 = ILR 104, 119. Siehe auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 278. 195 US District Court, Southern District of Florida, Urteil im Verfahren Paul and Others ./. Avril vom 14.1.1993, 812 F.Supp. 207 = ILR 103, 553. Siehe auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 279. 196 US District Court, District of Massachusetts, Urteil vom 12.4.1995 im Verfahren Xuncas and Others ./. Gramajo, 886 F.Supp. 162 = ILR 104, 165. Siehe auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 280.
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legitimen staatlichen Aufgabenbereich. Da die Staatenimmunität nur solche Handlungen staatlicher Funktionsträger erfasse, die als staatliche Handlungen einzustufen seien, könne sie einer Verurteilung der betreffenden Personen nicht entgegenstehen.197 Es wurde also nicht zur Frage Stellung bezogen, ob die Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen oder sonstigen schweren Menschenrechtsverletzungen eine Ausnahme erfährt, sondern es wurde die gewissermaßen vorgelagerte Zurechenbarkeit des zu beurteilenden Verhaltens als staatliches Handeln verneint und davon ausgegangen, die schadensstiftenden Aktivitäten seien private Handlungen der Beklagten gewesen.198 Für die hier interessierende Frage, ob die Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen eine Ausnahme erfährt, sind auch diese Entscheidungen damit ohne Relevanz. Dennoch wird auf die von den US-amerikanischen Gerichten entfaltete Argumentationslinie noch zurückzukommen sein, wenn sogleich in § 5 vor dem Hintergrund der hier skizzierten zivilrechtlichen Relevanz der Staatenimmunität deren strafrechtliche Bedeutung analysiert wird. Denn es stellt sich die Frage, ob diese Argumentation auf das Strafrecht übertragen werden kann, also die Staatenimmunität trotz grundsätzlicher Geltung bei völkerrechtlichen Verbrechen und sonstigen schweren Menschenrechtsverletzungen möglicherweise schon deshalb bei solchen Taten kein Strafverfolgungshindernis darstellt, weil solche Taten nicht als staatliche Handlungen und mithin nicht als der Staatenimmunität unterfallende dienstliche Handlungen klassifiziert werden können, sondern als Privathandlungen der jeweiligen Täter einzustufen sind. c) Fazit Die vorstehenden Ausführungen führen zu der Erkenntnis, daß sich eine (generelle) Nichtgeltung der Staatenimmunität bei zivilrechtlichen Klagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen – namentlich wegen völkerrechtlicher Verbrechen – derzeit völkerrechtlich nicht begründen läßt. Zwar gibt es einzelne Gerichtsentscheidungen, die eine solche Immunitätsausnahme bejaht haben – zu nennen ist namentlich die Ferrini-Entscheidung des italienischen Kassationsgerichtshofs vom ___________ Im Fall Paul and Others ./. Avril (vgl. oben Anm. 195) wurde der Immunitätseinwand allerdings hauptsächlich mit dem Argument zurückgewiesen, Haiti habe auf die Immunität des Beklagten verzichtet. Aus dem gleichen Grund ist auch das Urteil des US Court of Appeals, Second Circuit im Verfahren Doe ./. United States of America vom 19.10.1988, 860 F.2d 40 = ILR 121, 567 ohne Relevanz für den vorliegenden Zusammenhang. Das im vorliegenden Kontext zum Teil angeführte Urteil des US Court of Appeals, Ninth Circuit vom 21.10.1992 im Verfahren Trajano ./. Marcos and Another vom 21.10.1992, 978 F.2d 493 = ILR 103, 521, ist hier nicht einschlägig, da lediglich darauf abgestellt wurde, die Beklagte habe selbst eingestanden, nicht in ihrer Funktion als staatliche Funktionsträgerin gehandelt zu haben. 198 Ganz zu Recht kritisch gegenüber dieser Argumentation Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 282 ff. 197
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11. März 2004.199 Doch erst in jüngster Zeit haben mehrere Gerichte – unter anderem der BGH im Distomo-Fall,200 der Areopag im Distomo-Fall,201 der EGMR im Fall Al-Adsani202 und im Distomo-Fall203 – eine solche Ausnahme von der Staatenimmunität mit aller Deutlichkeit abgelehnt. Hinzu kommen die im vorstehenden erwähnten ablehnenden Entscheidungen US-amerikanischer und britischer Gerichte. Auch die ganz herrschende Völkerrechtslehre steht einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei zivilrechtlichen Klagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen (noch) ablehnend gegenüber.204 Zwar ist die Argumentation, schwere Menschenrechtsverletzungen stellten einen Verstoß gegen völkerrechtliches ius cogens dar, der erga omnes wirke, so daß für einen Schutz der Souveränität des Verletzerstaates und mithin für eine Gewährung von Staatenimmunität für solche Taten kein Raum sei, von großer Überzeugungskraft. Dies gilt vor allem für den Gedankengang, der von einer Verwirkung der Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen ausgeht. Doch muß dieser Argumentation dreierlei entgegengehalten werden. Erstens ist die Staatenimmunität – wie oben in § 4 II.1.a) aufgezeigt wurde – heutzutage nicht bloß in ihrer Ableitung aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten ein Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts, sondern unabhängig davon eigenständig anerkanntes Völkergewohnheitsrecht. Schon insofern sind alle Begründungen für eine Nichtgeltung der Staatenimmunität, die darauf abstellen, bei schweren ___________ Siehe oben Anm. 91. BGH NJW 2003, 3488 (3489). 201 Urteil des griechischen Areopag im Distomo-Fall vom 13.4.2000, KJ 2000, 472 (472 ff.). Das oben in § 4 II.4. dargestellte Urteil hat zwar im Ergebnis eine Staatenimmunität Deutschlands verneint, doch mit einer – zudem sehr eng begrenzten – torts exception begründet. Einer allgemeinen Ausnahme von der Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen, namentlich bei Kriegsverbrechen, hat auch der Areopag eine Absage erteilt. 202 EGMR, Urteil vom 21.11.2001, Beschwerde Nr. 35763/97, Al-Adsani ./. United Kingdom (vgl. oben Anm. 133). 203 EGMR, Beschluß vom 12.12.2002, Beschwerde Nr. 59021/00, Kalogeropoulou et al. ./. Greece and Germany (vgl. oben Anm. 88). 204 Ablehnend etwa Cremer, AVR 41 (2003), 137 (168); Dolzer, NJW 2001, 3525 (3525); Hess, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, S. 292 f.; ders., in: Geimer (Hrsg.), FS Schütze, S. 269 (280 ff.); Hobe, IPRax 2001, 368 (371); Kämmerer, AVR 37 (1999), 283 (307 f.); Rensmann, IPRax 1998, 44 (47); Ress, in: De Salvia/Villiger (Hrsg.), The Birth of European Human Rights Law, S. 175 (186, 197) (allerdings eine Tendenz hin zur Entstehung einer Ausnahme erkennen wollend); Seidl-Hohenveldern, IPRax 1996, 52 (53 f.); Scheffler, Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts, S. 87 f. Vgl. auch Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 5. Dagegen wird eine Nichtgeltung der Staatenimmunität bei Zivilklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen bejaht von Bianchi, AJPIL 46 (1994), 195 (200 ff.); Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 196 ff. und Caplan, AJIL 97 (2003), 741 (744 ff.) (wobei Caplan allerdings die Staatenimmunität nicht als völkergewohnheitsrechtlich anerkanntes fundamentales Strukturprinzip des Völkerrechts ansieht und ihre völkerrechtliche Verbindlichkeit grundsätzlich in Frage stellt). 199 200
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Menschenrechtsverletzungen könne sich der Verletzerstaat nicht auf seine Souveränitätsrechte berufen, problematisch. Zweitens kann mit diesem Gedankengang allenfalls dargelegt werden, daß eine Gewährung von Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen nicht wegen staatlicher Souveränitätsrechte geboten ist; mit ihnen allein kann aber kein zwingendes Verbot einer Gewährung von Staatenimmunität begründet werden. Dies läßt Raum für gegenläufiges Völkergewohnheitsrecht: Wenn eine von einer Rechtsüberzeugung getragene Staatenpraxis nachweisbar ist, nach der trotz allem den Staaten auch bei Zivilklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen Staatenimmunität gewährt wird, dann besteht ein Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts dahingehend, daß Staaten bei Zivilklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen selbst dann Staatenimmunität genießen, wenn man „eigentlich“ aus allgemeinen völkerrechtlichen Rechtsprinzipien, etwa dem Institut der Verwirkung, ableiten könnte, daß eine Gewährung von Staatenimmunität nicht geboten ist. Eine solche Staatenpraxis aber ist – wie aufgezeigt wurde – nicht zuletzt mit den erwähnten Entscheidungen des BGH,205 des griechischen Areopag,206 des EGMR207 und des englischen Court of Appeal208 gegeben. Damit scheitert eine Nichtgeltung der Staatenimmunität wegen des ius cogens-Charakters von Menschenrechten, wegen Verwirkung oder aufgrund einer Repressalie an gegenläufigem Völkergewohnheitsrecht, das als Verbot des Abstellens auf solche Argumentationsmuster wirkt. Und drittens gibt es durchaus gute Gründe, zivilrechtliche Schadensersatzklagen gegen fremde Staaten wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen vor Gerichten anderer Staaten für unzulässig zu erklären.209 Denn solche Klagen können wegen der hohen Summen, die regelmäßig geltend gemacht werden – wie nicht zuletzt der Distomo-Fall gezeigt hat – zu einer erheblichen Belastung der zwischenstaatlichen Beziehungen führen. Der einzelne Kläger könnte mehr oder weniger direkt Einfluß auf die internationalen Beziehungen nehmen, und zwar vorbei an den hierzu zuständigen Regierungsstellen. Bemühungen von Regierungen oder internationalen Organisationen, nach schweren Menschenrechtsverletzungen in einem Staat die Vergangenheit „aufzuarbeiten“, zu einer zwischenstaatlichen Aussöhnung beizutragen und eine allen Seiten gerecht werdende Entschädigungsregelung zu vereinbaren, die nicht nur allen Opfern zugute kommt, sondern dem verantwortlichen Staat und den dort nachwachsenden Generationen einen Neuanfang ermöglicht, könnten durch Klagen Einzelner torpediert werden. Bei Klagen Einzelner geht es ___________ Vgl. oben Anm. 200. Vgl. oben Anm. 201. 207 Vgl. oben Anm. 202 und 203. 208 Vgl. oben Anm. 168. 209 So auch Richter Pellonpää in seinem (zustimmenden) Sondervotum zum Urteil des EGMR im Fall Al-Adsani./. United Kingdom (siehe oben Anm. 133). 205 206
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nur um das Individualinteresse des Klägers; die Interessen anderer Opfer massenhafter Menschenrechtsverletzungen, die nicht die Gelegenheit einer Klage haben, bleiben ebenso unberücksichtigt wie das im Interesse aller bestehende Gebot, nicht durch unverhältnismäßig hohe Schadensersatzverpflichtungen einer Aussöhnung und einem Neuanfang entgegenzuwirken. Diese sachlichen Gründe für eine Geltung der Staatenimmunität bei Zivilklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen werden auch von denjenigen gesehen, die eine Ausnahme in diesen Fällen zu begründen versuchen. Bröhmer will deshalb die Staatenimmunität nur bei singulären Vorkommnissen gegen individualisierte Personen (etwa die Folterung eines Gefangenen in Polizeigewahrsam) entfallen lassen, nicht aber bei Taten wie Kriegsverbrechen, Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die im Kontext eines größeren Angriffs gegen ganze Bevölkerungsgruppen stehen.210 Damit aber wird im Ergebnis die gesamte Argumentation für das Bestehen einer Ausnahmeregelung de lege lata in Frage gestellt und statt dessen rechtspolitisch für eine Anerkennung einer – sinnvollen und begrüßenswerten, wenngleich praktisch schwer handhabbaren – begrenzten Ausnahme de lege ferenda geworben.211 Für die Beantwortung der im Rahmen der vorliegenden Untersuchung interessierenden Frage, inwieweit die Staatenimmunität eine Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit bewirkt, können die hier skizzierten Hauptargumente gegen eine Ausnahme von der Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen jedoch nicht herangezogen werden, diese beschränken sich vielmehr auf zivilrechtliche Schadensersatzklagen. Das Argument, gegenläufiges Völkergewohnheitsrecht aufgrund von Gerichtsentscheidungen, die eine Staatenimmunität auch bei Klagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen anerkannt haben, stehe den aufgezeigten Begründungsmustern für eine Nichtgeltung der Staatenimmunität entgegen, verfängt in bezug auf eine Strafverfolgung nicht, da die betreffenden Gerichtsentscheidungen allein zivilrechtliche Schadensersatzklagen betrafen. Und bei einer individuellen Strafverfolgung einzelner Personen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen bestehen die soeben dargelegten Gefahren, die sachlich ___________ Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 196 ff. Ihm folgend Ambos, JZ 1999, 16 (22) und Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 347 f. Ähnlich auch die oben in § 4 II.4. skizzierte Differenzierung des griechischen Areopag im Distomo-Urteil von 13.4.2000, KJ 2000, 472 (474). Offenbar steht hinter dieser vom Areopag für die Fallgruppe der torts-exception vorgenommenen Differenzierung ebenfalls die Befürchtung, Schadensersatzklagen gegen Staaten vor Gerichten anderer Staaten wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen könnten die hier dargelegten negativen Auswirkungen haben. 211 Kritisch gegenüber der Argumentation von Bröhmer auch Cremer, AVR 41 (2003), 137 (142 Fn. 23) (mit der zutreffenden Feststellung, daß die teleologisch ausgerichtete, nach dem Sinn und Zweck der Staatenimmunität fragende Argumentation von Bröhmer nicht geeignet sei, die Unanwendbarkeit völkergewohnheitsrechtlicher Rechtssätze zu begründen); Hess, in: Geimer (Hrsg.), FS Schütze, S. 269 (280 Fn. 69). 210
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gegen die Zulässigkeit zivilrechtlicher Schadensersatzklagen sprechen, nicht oder jedenfalls nicht in demselben Maß. Die Aufgabe der Strafverfolgung ist eine staatliche Aufgabe, so daß die Gefahr, daß einzelne Opfer durch ihr Handeln Bemühungen der Staaten oder internationaler Organisationen um eine „Vergangenheitsaufarbeitung“ torpedieren können, insofern nicht gegeben ist. Individuelle strafrechtliche Verfolgungen einzelner Personen können anders als millionenschwere Schadensersatzklagen gegen fremde Staaten einem Neuanfang und einer Aussöhnung nach schweren Menschenrechtsverletzungen in aller Regel nicht entgegenwirken, vielmehr ist umgekehrt in aller Regel ein Neuanfang und eine Aussöhnung erst nach einer Bestrafung der Verantwortlichen überhaupt möglich. Denn während eine Verurteilung eines fremden Staates zur Zahlung von Schadensersatz letztlich alle Menschen dieses Staates trifft und faktisch eine Kollektivhaftung aller bedeutet, trifft eine Strafverfolgung lediglich die individuell Verantwortlichen. Insofern wäre es verfehlt, aus dem hier zu ziehenden Fazit, daß die Staatenimmunität keine Ausnahme erfährt bei zivilrechtlichen Schadensersatzklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen, namentlich wegen völkerrechtlicher Verbrechen, abzuleiten, daß sie auch einer fremdstaatlichen Strafverfolgung wegen in staatlichem Auftrag begangener Menschenrechtsverletzungen entgegensteht. Ein Schluß von der zivilrechtlichen Ausprägung der Staatenimmunität auf ihre Reichweite für das Strafrecht – und auch umgekehrt – verbietet sich aus sachlogischen Gründen. Für die nachfolgende Untersuchung der strafrechtlichen Relevanz der Staatenimmunität bedeutet dies, daß im Hinblick auf die Ausnahmen von der Staatenimmunität eine eigenständige Bewertung vorzunehmen ist. Die in der Literatur anzutreffende These, die Staatenimmunität gelte im Strafrecht im selben Umfang wie im Zivilrecht,212 ist also mit einem großen Fragezeichen zu versehen, ein solcher Gleichlauf ist zumindest nicht zwingend.213 Daher sind die hier skizzierten Argumentationsmuster, vor allem der bezogen auf das Zivilrecht entwickelte Gedankengang, der ius cogens-Charakter von Menschenrechten und die erga omnes-Wirkung ihrer Verletzung führten dazu, daß die Staatenimmunität bei der Begehung von ___________ Vgl. oben Anm. 15. In ihren Voten zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999 haben es Lord Hutton, HRLJ 1999, 89 (90 f., 95), Lord Millett, HRLJ 1999, 97 (102) und Lord Phillips of Worth Matravers, HRLJ 1999, 102 (103) ausdrücklich abgelehnt, von der Reichweite der Staatenimmunität im Bereich des Zivilrechts auf ihre Reichweite als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu schließen. Die Tatsache, daß im Bereich des Zivilrechts selbst bei Folterungen Staatenimmunität gewährt werde, bedeute nicht automatisch, daß sich Personen, denen Folterungen vorgeworfen werden, in einem Strafverfahren auf die Staatenimmunität berufen könnten. Gegen einen Gleichlauf der Staatenimmunität im Bereich des Zivil- und des Strafrechts auch EGMR, Urteil vom 21.11.2001, Beschwerde Nr. 35763/97 (Al-Adsani ./. United Kingdom); Reports of Judgments and Decisions 2001-XI, 79 = HRLJ 23 (2002), 39 = EuGRZ 2002, 403 (dt. Übers.), para. 61, 65. Internetquelle: (31.3.2006); Bianchi, AJPIL 46 (1994), 195 (205, 228); Bröhmer, LJIL 12 (1999), 361 (370). 212 213
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schweren Menschenrechtsverletzungen verwirkt werde, erneut aufzugreifen, wenn es um die Frage geht, ob die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit bei Menschenrechtsverletzungen Ausnahmen erfährt. Zudem wird – wie schon angekündigt wurde – der Frage nachzugehen sein, ob die Staatenimmunität bereits deshalb kein Hindernis für eine Strafverfolgung natürlicher Personen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen darstellen kann, weil solche Taten nicht als staatliche Handlungen klassifiziert werden können, sondern gewissermaßen private Handlungen der jeweiligen Täter sind. 6. Zur Frage der Geltung der Staatenimmunität als Schranke des Zivilrechts bei terroristischen Gewaltakten Auch wenn angesichts der restriktiven Staatenpraxis von einer Nichtgeltung der Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen im Bereich zivilrechtlicher Klagen (derzeit) nicht ausgegangen werden darf, so geht die Entwicklung doch nach wie vor dahin, die Staatenimmunität zu begrenzen, um Opfern staatlich veranlaßter Taten die Möglichkeit zu eröffnen, vor Gerichten ihres eigenen Staates Schadensersatzansprüche gegen fremde Staaten durchzusetzen. Von besonderer Bedeutung ist insofern eine Ergänzung des US-amerikanischen FSIA aus dem Jahr 1996, mit der eine weitere Ausnahme von der Staatenimmunität festgelegt wurde.214 Diese nationale Regelung dürfte schon wegen der Vielzahl der in den USA gegen fremde Staaten erhobenen Klagen erhebliche Rückwirkungen auf die Entwicklung des Völkerrechts haben. Doch ist diese Neuregelung eng begrenzt, sie bezieht sich nicht auf Menschenrechtsverletzungen, sondern auf terroristische Gewaltakte.215 Insofern kann sie auch nicht als Beleg für eine Staatenpraxis herangezogen werden, nach der die Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen eine Ausnahme erfährt.216 Zulässig ist nach der neuen section 1605(a)(7) FSIA eine auf Schadensersatz gerichtete Klage, wenn es durch Folter, außergesetzliche Tötung, einen Anschlag auf den Luftverkehr oder eine Geiselnahme zu einer Körperverletzung oder dem Tod einer Person gekommen ist, die Handlung durch einen Funktionsträger des beklagten fremden Staates begangen wurde, entweder der Kläger oder das Tatopfer amerikanischer Staatsbürger ist bzw. war und die US-amerikanische Regelung den betreffenden Staat als “state sponsor of terrorism” eingestuft hat. Die neue section 1605(a)(7) FSIA lautet: ___________ 214 Antiterrorism and Effective Death Penalty Act of 1996; ILM 36 (1997), 759. Vgl. auch oben Anm. 33. 215 Vgl. Dörr, AVR 41 (2003), 201 (211); Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 5; Hess, in: Geimer (Hrsg.), FS Schütze, S. 269 (274 f.); Hobe, IPRax 2001, 368 (370). 216 So auch Hess, in: Geimer (Hrsg.), FS Schütze, S. 269 (274 f.). A.A. aber wohl Kokott, BDGVR 38 (1998), 71 (84 f.).
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“A foreign state shall not be immune from the jurisdiction of courts of the United States or of the States in any case – (…) (7) (…) in which money damages are sought against a foreign state for personal injury or death that was caused by an act of torture, extrajudicial killing, aircraft sabotage, hostage taking, or the provision of material support or resources (…) for such an act if such act or provision of material support is engaged in by an official, employee, or agent of such foreign state while acting within the scope of his or her office, employment, or agency, except that the court shall decline to hear a claim under this paragraph – (A) if the foreign state was not designated as a state sponsor of terrorism (…) at the time the act occurred, unless later so designated as a result of such act; and (B) even if the foreign state is or was so designated, if – (i) the act occurred in the foreign state against which the claim has been brought and the claimant has not afforded the foreign state a reasonable opportunity to arbitrate the claim in accordance with accepted international rules of arbitration; or (ii) neither the claimant nor the victim was a national of the United States (…) when the act upon which the claim is based occurred.”
Section 1605(a)(7) FSIA wird ergänzt durch section 1605(f) FSIA, wonach Klagen nur innerhalb von zehn Jahren nach der betreffenden Handlung zulässig sind: “No action shall be maintained under subsection (a)(7) unless the action is commenced not later than 10 years after the date on which the cause of action arose.”
Derzeit läßt sich in Ermangelung einschlägiger Gerichtsentscheidungen aus anderen Staaten als den USA217 nur schwer einschätzen, ob die von section 1605(a)(7) FSIA festgelegte Ausnahme auch Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts ist – und die FSIA-Ergänzung damit völkerrechtskonform ist. Angesichts der zumindest klaren Tendenz hin zu einer Nichtgeltung der Staatenimmunität bei Zivilklagen wegen staatlich veranlaßter und zu verantwortender Gewalttaten wird zu fragen sein, inwieweit für das Strafrecht eine Ausnahme von der Staatenimmunität bei solchen Taten, namentlich bei geheimdienstlichen Gewaltakten, Anerkennung gefunden hat. 7. Zur Frage der Vereinbarkeit der Staatenimmunität mit völkerrechtlichen Rechtsschutzgewährleistungen Neuerdings hat – wie schon angedeutet – die Frage Bedeutung erlangt, ob die Staatenimmunität mit völkerrechtlichen Rechtsschutzgewährleistungen vereinbar ist. Auf diese Diskussion soll zum Abschluß der Skizzierung der zivilrechtlichen Relevanz der Staatenimmunität eingegangen werden. In mehreren Fällen haben Personen, die vor Gerichten ihres Heimatstaates Zivilklagen gegen fremde Staaten erhoben hatten und deren Klagen mit dem Hinweis auf die Staatenimmunität des beklagten Staates als unzulässig abgewiesen worden ___________ 217 Zur Anwendung der „Terrorismus-Ausnahme-Klausel“ durch US-amerikanische Gerichte vgl. die Nachweise bei Dörr, AVR 41 (2003), 201 (211 Fn. 51 ff.).
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waren, hierin einen Verstoß gegen das von Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierte Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz218 erblickt und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eine Individualbeschwerde erhoben. Der EGMR hat sich in drei Urteilen vom 21. November 2001219 sowie einer weiteren Entscheidung vom 12. Dezember 2002220, auf die zum Teil schon hingewiesen worden ist, zur Frage des Verhältnisses der Staatenimmunität zum völkerrechtlich gewährleisteten Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz geäußert.221 Der EGMR hat in diesen Urteilen zunächst festgestellt, daß durch die Abweisung einer Zivilklage wegen (angeblicher) Staatenimmunität des Beklagten der Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 EMRK berührt sei. Art. 6 Abs. 1 EMRK gewähre zwar keine materiellrechtlichen zivilrechtlichen Ansprüche, verlange aber einen Zugang zu staatlichen Gerichten, um mit deren Hilfe Ansprüche durchsetzen zu können. Da die Staatenimmunität nicht die Reichweite materiellrechtlicher Ansprüche betreffe, sondern nur ein prozessuales Hindernis für die gerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs darstelle, müsse sich die Gewährung von Staatenimmunität an Art. 6 Abs. 1 EMRK messen lassen.222 Doch verlange Art. 6 Abs. 1 EMRK keinen uneingeschränkten Gerichtszugang. Vielmehr seien Beschränkungen des Gerichtszugangs, die den Wesensgehalt von Art. 6 Abs. 1 EMKR nicht verletzten, die einem legitimen Zweck dienten und die verhältnismäßig seien, mit Art. 6 Abs. 1 EMRK ___________ 218 Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR betrifft Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht nur die Art und Weise der Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens, sondern gewährt als notwendige Vorbedingung eines rechtsstaatlichen Verfahrens auch ein Recht auf Zugang zu einem Gericht. Vgl. die nachfolgend aufgeführten Entscheidungen des EGMR, in denen jeweils die frühere Rechtsprechung des Gerichtshofs referiert wird. Siehe ferner Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 178 f.; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 48 f.; Peters, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 115; Ress, in: De Salvia/Villiger (Hrsg.), The Birth of European Human Rights Law, S. 175 (175). 219 EGMR, Beschwerde Nr. 31253/97 (John McElhinney ./. Ireland), Reports of Judgments and Decisions 2001-XI, 37 = HRLJ 23 (2002), 57 = EuGRZ 2002, 415 (dt. Übers.) (vgl. zu diesem Fall schon oben § 4 II.4.); EGMR, Beschwerde Nr. 35763/97 (Al-Adsani ./. United Kingdom); Reports of Judgments and Decisions 2001-XI, 79 = HRLJ 23 (2002), 39 = EuGRZ 2002, 403 (dt. Übers.); EGMR, Beschwerde Nr. 37112/97 (Mary Fogarty ./. United Kingdom), Reports of Judgments and Decisions 2001-XI, 157 = HRLJ 23 (2002), 50 = EuGRZ 2002, 411 (dt. Übers.). Internetquelle jeweils: (31.3.2006). 220 EGMR, Beschwerde Nr. 59021/00 (Kalogeropoulou et al. ./. Greece and Germany). Internetquelle jeweils: (31.3.2006). 221 Ausführlich zu dieser Fragestellung vor Ergehen der hier skizzierten EGMREntscheidungen Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 163 ff. und Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 384 ff. Eine kritische Reflexion der Rechtslage nach Ergehen der EGMR-Entscheidungen findet sich bei Classen, VerwArch 96 (2005), 464 (464 ff.). 222 EGMR, John McElhinney ./. Ireland (siehe oben Anm. 219), para. 23 ff.; EGMR, AlAdsani ./. United Kingdom (siehe oben Anm. 219), para. 47 ff.; EGMR, Mary Fogarty ./. United Kingdom (siehe oben Anm. 219), para. 24 ff.
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vereinbar.223 Die Versagung gerichtlichen Rechtsschutzes, die erfolge, damit der Gerichtsstaat seine völkerrechtliche Verpflichtung zur Gewährung von Staatenimmunität einhalte, sei als eine statthafte und EMRK-konforme Beschränkung des Gerichtszugangs einzustufen. Denn die Staatenimmunität diene dem legitimen Zweck der Beachtung des Völkerrechts zum Zweck der Förderung der guten Beziehungen und des höflichen Umgangs zwischen den Staaten durch Achtung der Souveränität anderer Staaten. Durch die Gewährung von Staatenimmunität werde Art. 6 Abs. 1 EMRK daher nicht verletzt.224 Doch müsse im jeweiligen Fall tatsächlich eine völkerrechtliche Pflicht zur Gewährung von Staatenimmunität bestehen. In den entschiedenen Fällen hat der EGMR daher inzident geprüft, ob die Staatenimmunität der Durchführung der von den Beschwerdeführern angestrengten Verfahren tatsächlich entgegenstand. Dies wurde jeweils bejaht.225 Die Beschwerden wurden deshalb für unbegründet erklärt. Im Ergebnis ist festzuhalten, daß die Staatenimmunität insoweit, als sie völkerrechtlich anerkannt ist, also eine völkerrechtliche Pflicht zu ihrer Gewährung besteht, mit menschenrechtlichen Rechtsschutzgarantien vereinbar ist.226 Denn diese Garantien gelten nicht absolut, sondern sind durch die völkerrechtliche Staatenimmunität beschränkt. Die Staatenimmunität tritt also nicht (im Verhältnis der Vertragsstaaten der EMRK zueinander) hinter die Rechtsschutzgarantien der EMRK zurück. Insoweit, als ein Staat völkerrechtlich zur Gewährung von Staatenimmunität verpflichtet ist, kann sich ein Kläger nicht auf das in Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerte Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz berufen. In bezug auf die hier interessierende Relevanz der Staatenimmunität für das Strafrecht ist die Überlegung, ob sich aus völkerrechtlichen Rechtsschutzgarantien eine Einschränkung der Staatenimmunität ergibt, allerdings – entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht227 – auch und schon deshalb ohne Bedeutung, weil keine Rechte Dritter auf Durchführung eines Strafverfahrens bestehen, die mit ei___________ EGMR, John McElhinney ./. Ireland (siehe oben Anm. 219), para. 34; EGMR, AlAdsani ./. United Kingdom (siehe oben Anm. 219), para. 53; EGMR, Mary Fogarty ./. United Kingdom (siehe oben Anm. 219), para. 33. Vgl. auch Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 48 ff.; Peters, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 116, 120. 224 EGMR, John McElhinney ./. Ireland (siehe oben Anm. 219), para. 35 ff.; EGMR, AlAdsani ./. United Kingdom (siehe oben Anm. 219), para. 54 ff.; EGMR, Mary Fogarty ./. United Kingdom (siehe oben Anm. 219), para. 34 ff. Sehr kritisch bezüglich eines solchen Vorrangs der Staatenimmunität Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (253 ff.). 225 EGMR, John McElhinney ./. Ireland (siehe oben Anm. 219), para. 38 ff.; EGMR, AlAdsani ./. United Kingdom (siehe oben Anm. 219), para. 61 ff.; EGMR, Mary Fogarty ./. United Kingdom (siehe oben Anm. 219), para. 37 ff. 226 So auch Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 52 ff. A.A. Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 186 f. 227 Weiß, JZ 2002, 696 (703): „(…) lässt sich für den Fall einer strafrechtlichen Klage schlussfolgern, dass die Verweigerung eines Strafverfahrens wegen Immunität als Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK gerügt werden kann.“ 223
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nem völkerrechtlichen Verfolgungshindernis kollidieren könnten. Ein subjektives Recht (des Opfers einer Straftat oder seiner Angehörigen) auf Strafverfolgung gewähren die Menschenrechtspakte jedenfalls insoweit nicht, als es um eine Strafverfolgung staatlicher Funktionsträger fremder Staaten geht.228 Die hier skizzierte Diskussion über das Verhältnis der Staatenimmunität zu menschenrechtlichen Rechtsschutzgarantien braucht also im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zu Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit nicht weiter zu interessieren.229 Vor dem Hintergrund der hier skizzierten zivilrechtlichen Relevanz der Staatenimmunität ist nun zu fragen, welche Bedeutung die Staatenimmunität für das Strafrecht hat. Vor allem wird zu klären sein, ob sie in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit weitergehende Ausnahmen erfährt als im Bereich des Zivilrechts, namentlich, ob sie im Strafrecht – anders als im Zivilrecht – eine Ausnahme erfährt bei völkerrechtlichen Verbrechen und (sonstigen) schweren Menschenrechtsverletzungen. ___________ Peukert, in: Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 6 Rn. 66. Siehe aber auch EGMR, Beschwerde Nr. 33677/96 (Grams ./. Deutschland), NJW 2001, 1989 (1989 f.); Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 2 Rn. 9 ff., Art. 3 Rn. 4, Art. 6 Rn. 27. 229 Nur angemerkt sei daher an dieser Stelle, daß die auf das Zivilrecht bezogene Problematik der Kollision völkerrechtlicher Exemtionen mit menschenrechtlichen Rechtsschutzgarantien nicht auf die Staatenimmunität beschränkt ist, sondern auch sämtliche andere Exemtionen betrifft. Vgl. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 52 ff. Dabei ist nicht zwingend, daß einer Exemtion Vorrang vor dem Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz zukommt. Da die in Menschenrechtspakten verankerten Rechtsschutzgarantien eine Beschränkung des Zugangs zu den Gerichten nur insoweit zulassen, als diese einem legitimen Zweck dienen und verhältnismäßig sind, ist die Festlegung von Exemtionen in bilateralen oder multilateralen Verträgen, die nicht der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der internationalen Beziehungen, dem Schutz staatlicher Souveränität bzw. der Arbeitsfähigkeit staatlicher Auslandsvertretungen oder internationaler Organisationen dienen bzw. deutlich über das zur Erreichung dieses Zwecks erforderliche Maß hinausreichen, mit den völkerrechtlichen Rechtsschutzgarantien unvereinbar und völkerrechtswidrig. Ein Staat, der sich zur Gewährung solcher Exemtionen verpflichtete, würde sich in die mißliche Situation bringen, miteinander kollidierende völkerrechtliche Bindungen einzugehen (von einem ius cogens-Charakter der völkerrechtlichen Rechtsschutzgarantien, die eine Unwirksamkeit einer solchen Exemtionsvereinbarung zur Folge hätte, wird man nicht ausgehen können). Die Vertragsstaaten der EMRK sind daher gehalten, beim Abschluß völkervertraglicher Exemtionsvereinbarungen, die eine Freistellung von der Zivilgerichtsbarkeit betreffen, Zurückhaltung zu üben, da sie ansonsten Gefahr laufen, den Vertragsstaaten der Exemtionsvereinbarung gegenüber dazu verpflichtet zu sein, zivilrechtliche Klagen als unzulässig abzuweisen, während sie gleichzeitig wegen einer vom EGMR festgestellten Unvereinbarkeit der Freistellung von der Zivilgerichtsbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 EMRK gemäß Art. 46 Abs. 1 EMRK verpflichtet sind, dem Beschwerdeführer gerichtlichen Rechtsschutz zu gewähren, also die von diesem erhobene Klage als zulässig zu behandeln. Lediglich im Verhältnis der Vertragsparteien der EMRK zueinander könnte man von einem durch Ratifikation der EMRK konkludent erklärten Immunitätsverzicht ausgehen. Vgl. diesbezüglich auch EGMR, Urteil vom 18.2.1999, Beschwerde Nr. 26083/94 (Waite and Kennedy ./. Germany), Reports of Judgments and Decisions 1999-I, 393 = NJW 1999, 1173 (dt. Übers.) = EuGRZ 1999, 207 (dt. Übers.). Internetquelle: (31.3.2006); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 2. 228
§ 5 Strafrechtliche Bedeutung der Staatenimmunität
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§ 5 Strafrechtliche Bedeutung der Staatenimmunität – Personale, sachliche, räumliche und zeitliche Reichweite Wie oben in § 4 I. dargelegt wurde, folgt aus der Staatenimmunität nicht nur, daß es den Staaten grundsätzlich untersagt ist, andere Staaten ihrer eigenen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen, so daß ein Staat grundsätzlich nicht vor Gerichten eines anderen Staates verklagt werden kann. Vielmehr steht die Staatenimmunität prinzipiell auch einer Inanspruchnahme natürlicher Personen wegen Handlungen entgegen, die diese für einen anderen Staat vorgenommen haben.1 Denn Handlungen, die staatliche Funktionsträger für „ihren“ Staat vornehmen, sind diesem Staat als staatliche Handlungen zurechenbar. Mit einer zivil- oder strafrechtlichen Inanspruchnahme einer Person wegen ihres Handelns für einen anderen Staat würde mithin indirekt Gerichtsbarkeit über einen fremden Staat ausgeübt werden; indirekt würde man dann über einen fremden Staat selbst „zu Gericht sitzen“. Das aber wird für unvereinbar mit dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten erachtet.2 Für das Strafrecht bedeutet dies, daß die Staatenimmunität den Staaten grundsätzlich untersagt, Personen wegen Handlungen, die sie für einen anderen Staat vorgenommen haben, strafrechtlich zu verfolgen.3 ___________ Vgl. die Nachw. oben in § 4 I. Anm. 11. Vgl. BGH NJW 1979, 1101 (1102); Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. 2. a); Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1482 ff.; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 32 f. 3 Entscheidung der Appeals Chamber des ICTY im Verfahren gegen Blaškiü vom 29.10.1997 (IT-95-14-AR108bis), para. 38, 41, ILR 110, 607 (707, 710); OLG Köln, NStZ 2000, 667 (667); House of Lords, drittes Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, Votum von Lord Browne-Wilkinson, HRLJ 1999, 61 (68 f.) und Votum von Lord Millet, HRLJ 1999, 97 (98); Akande, AJIL 98 (2004), 407 (412 f.); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 106, 112; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 106; Arnold/Kühl, JuS 1992, 991 (992); Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 64 f., 76 f.; Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (247 ff. m.w.N. in Fn. 20); Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (862); ders., International Criminal Law, S. 264; ders., International Law, S. 110 ff., 450; Dahm, FS Nikisch, S. 153 (168); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 453; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (202 ff.); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 25 Rn. 38, § 26 Rn. 18, 35; Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (370, 385 f.); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578); Fox, State Immunity, S. 20 f.; Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (975 f.); Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. 2. a); Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 85; Gornig, NJ 1992, 4 (13); Hailbronner, Schutz der Luftgrenzen, S. 54; Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 3; Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 164; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 39 f.; Kasper, NJ 1992, 432 (433); Kelsen, Peace through law, S. 81 ff.; ders., Principles of International Law, S. 235 f.; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 3; Kriebaum, in: Karl (Hrsg.), Völker- und Europarecht, S. 51 (52 ff.); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 166 ff.; Schroeder, NJW 1969, 81 (82); Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 610; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1482 ff.; Simma/Volk, NJW 1991, 871 (873); Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1177; Vest, ZStrR 121 (2003), 46 (68); Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 540, 952; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 448; Wirth, 1 2
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
Auch wenn diese Exemtion von Einzelpersonen eine aus der Immunität der Staaten resultierende Exemtion ist, wird doch – auch hier – der Einfachheit halber von der Staatenimmunität einzelner Personen gesprochen.4 Der Grundsatz der strafrechtlichen Immunität von Personen für Amtshandlungen, die sie für einen anderen Staat vorgenommen haben, ist bereits seit langem in der Völkerrechtspraxis anerkannt.5 In der Literatur wird als Beleg für die Anerkennung der Immunität fremder Staatsorgane für ihr hoheitliches Handeln immer wieder auf den Fall McLeod aus dem Jahr 1840 verwiesen.6 Alexander McLeod, ein britischer Staatsangehöriger, nahm 1837 als in den Diensten Großbritanniens stehender Offizier an einem Überfall auf das Schiff Caroline teil, das der Unterstützung gegen die Briten agierender kanadischer Insurgenten diente und sich zum Zeitpunkt des Überfalls in US-amerikanischen Hoheitsgewässern befand. Bei dem Überfall wurde der US-amerikanische Staatsbürger Durfee getötet. Deswegen wurde McLeod im November 1840 in New York verhaftet und vor Gericht gestellt, aus Mangel an Beweisen aber schließlich freigesprochen. Die britische Regierung protestierte unter Berufung auf fehlende Gerichtsbarkeit der USA gegen die Ausübung amerikanischer Strafgewalt. Die amerikanische Regierung erkannte diese Rechtsauffassung schließlich an.7 In einem Schreiben an die britische Regierung betonte Staatssekretär Webster: “(…) that an individual, forming part of a public force and acting under the authority of his Government is not to be held answerable as a private trespasser or malefactor, is a principle of public law sanctioned by the usages of all nations, and which the Government of the United States has no inclination to dispute. This has no connection whatever with the question, whether, in this case, the attack on the ‘Caroline’ was, as the British Government think it, a justifiable employment of force for the purpose of defending the
___________ Jura 2000, 70 (71 f.); ders., NStZ 2001, 665 (666); ders., CLF 12 (2001), 429 (430 f.); ders., EJIL 13 (2002), 877 (882 f.); Zappalà, EJIL 12 (2001), 595 (598). 4 Anders Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 64 f., 72 f., die terminologisch zwischen einer nur für Staaten geltenden Staatenimmunität und einer „abgeleiteten Amtsträgerimmunität“ differenziert. Ähnlich auch BVerfGE 96, 68 (91) = NJW 1998, 50 (54). 5 Vgl. die Entscheidung der Appeals Chamber des ICTY im Verfahren gegen Blaškiü vom 29.10.1997 (IT-95-14-AR108bis), para. 38, 41, ILR 110, 607 (707, 710); Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (248 ff.); Gornig, NJ 1992, 4 (5). Zu Unrecht vertritt Baumann, JZ 1963, 110 (117) die gegenteilige Auffassung. 6 Vgl. Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (247 f.); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578); Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 164 f.; ders., McLeodFall, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR, Bd. 2, S. 492 (492). Siehe aber auch Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 150, der betont, der Fall McLeod könne gerade nicht als Beleg für die Anerkennung der Staatenimmunität als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit angesehen werden, da die Gerichte in diesem Fall nicht auf diese Exemtion rekurriert hätten. Diese Auffassung greift aber zu kurz. Für den Nachweis von Völkergewohnheitsrecht relevante Staatspraxis kann auch das Handeln der Exekutive wie das der britischen Regierung und von Staatssekretär Webster im Fall McLeod sein. 7 Vgl. Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (247 f.); Jennings, AJIL 32 (1938), 82 (92 ff.); Jescheck, McLeod-Fall, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR, Bd. 2, S. 492 (492).
§ 5 Strafrechtliche Bedeutung der Staatenimmunität
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British territory from unprovoked attack, or whether it was a most unjustifiable invasion, in time of peace, of the territory of the United States, as this Government regarded it.”8
Mit klaren Worten hat 1997 der ICTY im Verfahren gegen Blaškiü die Geltung der Staatenimmunität als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit bestätigt: “State officials acting in their official capacity (…) are mere instruments of a State and their official action can only be attributed to the State. They cannot be the subject of sanctions or penalties for conduct that is not private but undertaken on behalf of a State. In other words, State officials cannot suffer the consequences of wrongful acts which are not attributable to them personally but to the State on whose behalf they act: they enjoy so-called ‘functional immunity’. This is a well established rule of customary international law (…). (…) each State is entitled to claim that acts or transactions performed by one of its organs in its official capacity be attributed to the State, so that the individual organ may not be held accountable for those acts or transactions. The general rule under discussion is well established in international law and is based on the sovereign equality of States (par in parem not habet imperium).”9
Wegen ihrer Ableitung aus dem völkerrechtlichen Fundamentalprinzip der souveränen Gleichheit der Staaten muß die Staatenimmunität als die grundlegende völkerrechtliche Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit schlechthin klassifiziert werden. Die große theoretische Bedeutung der Staatenimmunität kontrastiert jedoch deutlich mit ihrer praktischen Relevanz für das Strafrecht. Diese ist – verglichen mit anderen völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit – überaus gering.10 Wohl aus diesem Grund ist die Staatenimmunität – wie bereits erwähnt wurde – bis weit in die neunziger Jahre hinein von der Strafrechtswissenschaft im großen und ganzen unbeachtet geblieben.11 Selbst in ___________ Zitiert nach Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (247 f.). Siehe auch Jescheck, McLeodFall, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR, Bd. 2, S. 492 (492). 9 Entscheidung der Appeals Chamber des ICTY im Verfahren gegen Blaškiü vom 29.10.1997 (IT-95-14-AR108 bis), para. 38, 41, ILR 110, 607 (707, 710). Vgl. auch Fox, in: Vohrah u.a. (Hrsg.), Man’s Inhumanity to Man, S. 297 (299 ff.); Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (976 Fn. 3); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 451 Fn. 410. 10 Siehe die Aufstellung veröffentlichter deutscher Gerichtsentscheidungen im Anhang. 11 Die meisten strafrechtlichen bzw. gerichtsverfassungsrechtlichen Kommentare und Lehrbücher, die auf völkerrechtliche Exemtionen als Strafverfolgungshindernisse eingehen, erwähnen die Staatenimmunität entweder gar nicht oder nur mit wenigen Worten, während den diplomatischen und konsularischen Exemtionen verhältnismäßig breiter Raum eingeräumt wird. Vgl. nur die Lehrbücher Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 7 Rn. 11 ff. und Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 19 III. sowie die Kommentare LR-StPO-Böttcher, Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz; KK-StPO-Pfeiffer; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung (jeweils §§ 18 ff. GVG) und Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 38 ff.; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 260 ff., 336 ff.; NK-StGB-Lemke, vor § 3 Rn. 53 ff. In den Überblicksaufsätzen zur strafrechtlichen Relevanz völkerrechtlicher Exemtionen von Oehler, ZStW 91 (1979), 395 ff.; Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 ff. und Vogler; ZStW 92 (1980), 1021 ff. wird die Staatenimmunität mit keinem Wort erwähnt. Die wenigen vor der Jahrhundertwende erschienenen Beiträge zur strafrechtlichen Relevanz völkerrechtlicher Exemtionen, die auf die Staatenimmunität ausführlich eingehen, sind nicht von 8
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
völkerrechtlichen Lehrbüchern wird bei der Darstellung der Staatenimmunität deren strafrechtliche Relevanz zum Teil ausgeblendet bzw. verkannt.12 Aber auch die strafrechtliche Judikatur hat der Staatenimmunität lange Zeit keine Aufmerksamkeit geschenkt. In älteren Entscheidungen bundesdeutscher Gerichte, die die strafrechtliche Verfolgung von Funktionsträgern fremder Staaten wegen Taten betrafen, die diese für ihren Staat und diesem zurechenbar verübt hatten, wird die Staatenimmunität als mögliches Strafverfolgungshindernis nicht einmal erwähnt, obwohl sie in diesen Fällen grundsätzlich einschlägig war und lediglich aufgrund einer der – nachfolgend in den §§ 6–8 zu erläuternden – Ausnahmen im Ergebnis kein Verfolgungshindernis darstellen konnte. Beispielhaft genannt seien das Urteil des BGH im Staschynskij-Fall aus dem Jahr 196213 und die Entscheidung des LG Stuttgart im Fall Hanke aus dem Jahr 196314.15 Doch wäre es verfehlt, angesichts dieses Befunds die Geltung der Staatenimmunität als völkerrechtliche Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gänzlich in Frage zu stellen.16 Die weitgehende praktische Irrelevanz der Staatenimmunität ___________ Strafrechtlern, sondern von Völkerrechtlern verfaßt worden. Vgl. Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 ff.; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 ff. Siehe aber nunmehr die im Jahr 2003 erschienene Neukommentierung MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 105 ff., der ganz zu Recht einen Schwerpunkt der Ausführungen zu den völkerrechtlichen Exemtionen auf die Staatenimmunität legt und diese an die Spitze der Kommentierung stellt. 12 Siehe Doehring, Völkerrecht, Rn. 658 ff., insb. 663; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 35 ff. (Epping diskutiert nur die Immunität von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern). 13 BGHSt 18, 87 = NJW 1963, 355 (Die Entscheidung betraf die Verurteilung eines Agenten des sowjetischen Geheimdiensts wegen eines in der Bundesrepublik verübten Auftragsmordes an zwei ukrainischen Exilpolitikern. Die Tatsache, daß die Tötung ein Hoheitsakt der Sowjetunion war, blieb – soweit dies die veröffentlichten Urteilsgründe erkennen lassen – offenbar unbeachtet.). Vgl. Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (259); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (580); Herdegen, ZaöRV 47 (1987), 221 (225). 14 LG Stuttgart NJW 1964, 63 (Die Entscheidung betraf die Verurteilung eines in die Bundesrepublik übergesiedelten ehemaligen Grenzsoldaten der DDR wegen der Tötung eines Flüchtlings an der deutsch-deutschen Grenze. Das Gericht ist – soweit dies die veröffentlichten Urteilsgründe erkennen lassen – auf die Tatsache, daß die Tötung ein Hoheitsakt der DDR war, offenbar überhaupt nicht eingegangen.). Auch in der ausführlichen Besprechung des Urteils von Grünwald, JZ 1966, 633 (633 ff.) bleibt die Frage einer eventuellen Immunität des Grenzsoldaten unbeachtet. 15 Siehe zudem BGHSt 37, 305 (308) = NJW 1991, 929 (930); BayObLGSt 1991, 127 (133 f.) = NStZ 1992, 281 (282); OLG Düsseldorf NJW 1983, 1277 (1277). 16 Gegen eine Geltung der Staatenimmunität als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit aber Lord Phillips of Worth Matravers in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil des House of Lords vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 61 (104 ff.); Baumann, JZ 1963, 110 (117); Bianchi, EJIL 10 (1999), 237 (259); Dahm, Problematik des Völkerstrafrechts, S. 43 ff.; Herdegen, ZaöRV 47 (1987), 221 (225) (Herdegen hat diese ablehnende Haltung allerdings mittlerweile offenbar aufgegeben; vgl. Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 3); Schmidt, Lehrkommentar StPO und GVG, Teil III, § 18 GVG Rn. 4; Wright, AJIL 41 (1947), 38 (46, 70 f.) sowie der spanische Antrag auf Auslieferung des chilenischen ExDiktators Pinochet von Großbritannien an Spanien vom 3.11.1998, der Grundlage des Pinochet-Verfahrens in Großbritannien 1998/99 war (dt. Übers. bei Ahlbrecht/Ambos
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für das Strafrecht beruht vielmehr – wie bereits in der Einleitung zum 2. Teil dieser Untersuchung betont – lediglich darauf, daß die staatlichen Funktionsträger, die von ihrem Staat in einen anderen Staat entsandt werden, zumeist besondere vorrangig anwendbare Exemtionen genießen (etwa diplomatische und konsularische Exemtionen), so daß es auf die Staatenimmunität nicht ankommt, während in den Fällen, in denen keine besondere Exemtion ein Strafverfolgungshindernis begründet, häufig die „allgemeine“ Staatenimmunität wegen einer der Ausnahmen, die sie erfährt, im Ergebnis keine Schranke für eine strafrechtliche Inanspruchnahme darstellt. Nahezu einhellig und ganz zu Recht wird daher in der straf- und völkerrechtlichen Literatur, soweit sie zur Bedeutung der Staatenimmunität für eine Strafverfolgung Stellung bezieht, von einer grundsätzlichen völkerrechtlichen Geltung der Staatenimmunität als Schranke für eine Strafverfolgung ausgegangen und allein danach gefragt, ob bei bestimmten Fallkonstellationen – namentlich bei völkerrechtlichen Verbrechen und (sonstigen) schweren Menschenrechtsverletzungen – Ausnahmen völkerrechtliche Anerkennung gefunden haben.17 In den deutschen Gerichtsentscheidungen jüngeren Datums, in denen auf die Staatenimmunität als mögliche Schranke für eine Strafverfolgung eingegangen wurde, ist lediglich die Frage ihrer Nichtgeltung wegen des besonderen Charakters der Tat oder sonstiger Besonderheiten des Falls erörtert worden18 – woraus man im Umkehrschluß folgern kann, daß die prinzipielle Wirkung der Staatenimmunität als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit ebenfalls nicht in Zweifel gezogen wurde. Und ___________ [Hrsg.], Der Fall Pinochet(s), S. 45 [58 ff.]; vgl. allgemein zum Pinochet-Verfahren unten § 5 III.1.c)aa)). Siehe auch die überaus zurückhaltenden Feststellungen bei BGH NJW 1991, 2498 (2499); BGHSt 39, 260 (263 f.) = NJW 1993, 3147 (3147 f.) sowie von Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (249 f.) und Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 149 ff. 17 Vgl. nur MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 106 ff.; Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (247 ff.); Cassese, International Criminal Law, S. 264 ff.; ders., International Law, S. 110 ff., 450 f.; Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (370, 385 f.); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578 ff.); Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 540, 952; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 448, 451 ff.; Wirth, Jura 2000, 70 (71 ff.); ders., NStZ 2001, 665 (666); ders., CLF 12 (2001), 429 (430 ff.). 18 Vgl. BVerfGE 92, 277 (321) = NJW 1995, 1811 (1813); BVerfGE 95, 96 (128 ff.) = NJW 1997, 929 (929 f.); BVerfGE 96, 68 (85, 90 f.) = NJW 1998, 50 (53 f.) (soweit in dieser Entscheidung davon gesprochen wird, die Staatenimmunität verbiete ein Strafverfahren nicht, weil sie nur eingreife, wenn der Staat als solcher Partei eines gerichtlichen Verfahrens sei, ist zu beachten, daß das BVerfG in diesem Beschluß – entgegen der üblichen Terminologie – den Begriff der Staatenimmunität sehr eng faßt und auf zivilrechtliche Verfahren gegen fremde Staaten beschränkt, während bezüglich der strafrechtlichen Wirkung der Staatenimmunität von einer „Immunität als Staatsorgan“ gesprochen wird. Diese „Immunität als Staatsorgan“ und damit in der Sache die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit wird aber nicht in Frage gestellt); BGHSt 39, 1 (5 f.) = NJW 1993, 141 (142); OLG Köln, NStZ 2000, 667 (667). Sehr zurückhaltend jedoch BGH NJW 1991, 2498 (2499); BGHSt 39, 260 (263 f.) = NJW 1993, 3147 (3147 f.).
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
wie soeben ausgeführt wurde, hat der ICTY die grundsätzliche Geltung der Staatenimmunität als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit bestätigt.19 Im folgenden soll daher auf Details der Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als völkerrechtliche Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit eingegangen werden.
I. Rechtsgrundlagen Die Staatenimmunität ist – wie im Hinblick auf ihre Bedeutung für das Zivilrecht oben in § 4 II.1.a) dargelegt wurde – ein Rechtssatz des universellen Völkergewohnheitsrechts.20 Dies gilt auch hinsichtlich ihrer Wirkung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Da in einer Vielzahl von Gerichtsentscheidungen die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion staatlicher Funktionsträger von strafrechtlicher Verantwortlichkeit prinzipiell anerkannt worden ist – und sei es nur indirekt, indem erläutert wurde, warum die Staatenimmunität im zu entscheidenden Fall einer Strafverfolgung nicht entgegenstand –,21 besteht am Vorliegen der gemäß Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut konstitutiven Elemente von Völkergewohnheitsrecht – einer Überzeugung vom Rechtscharakter der Regel (opinio iuris), die sich in einer ihr entsprechenden Staatenpraxis (consuetudo) manifestiert22 – kein Zweifel.23 Völkerrechtliche Verträge, die umfassende Regelungen zur Geltung der Staatenimmunität im Bereich des Strafrechts enthalten, gibt es dagegen nicht. Die oben in § 4 II.1.b) erwähnten Verträge, die Bestimmungen zur Staatenimmunität enthalten, gelten für Strafverfahren gegen staatliche Funktionsträger nicht. Das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität vom 16. Mai 197224 betrifft lediglich die ___________ Siehe oben Anm. 9. Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 454; Damian, Staatenimmunität, S. 10, 77 f.; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (577); Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (976 Fn. 3); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 3; Steinberger, State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 615 (616, 619); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (430); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 34. 21 Vgl. nur die in Anm. 18 genannten Judikate sowie die unten in § 6 II.1.c) erläuterten Entscheidungen, vor allem die in § 6 II.1.c)hh) angeführten Voten der englischen Lordrichter im Fall Pinochet. 22 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 285 ff.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 237 ff.; Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rn. 131 ff. 23 Eindeutig die schon erwähnte Formulierung in der Entscheidung der Appeals Chamber des ICTY im Verfahren gegen Blaškiü vom 29.10.1997 (IT-95-14-AR108bis), para. 41, ILR 110, 607 (710): “The general rule under discussion is well established in international law and is based on the sovereign equality of States (par in parem non habet imperium).” Wie hier auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 166. 24 BGBl. 1990 II, S. 35. 19 20
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Zulässigkeit zivilrechtlicher Klagen, mit denen ein fremder Staat als solcher verklagt wird.25 Das Brüsseler Abkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die Immunität der Staatsschiffe vom 10. April 192626 betrifft nur die Zulässigkeit zivilrechtlicher Klagen gegen fremde Staaten als Schiffseigentümer. Und die von der UN-Generalversammlung am 2. Dezember 2004 verabschiedete, bislang aber noch nicht in Kraft getretene UN-Convention on Jurisdictional Immunities of States and Their Property27 bezieht sich gleichfalls ausschließlich auf die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Schranke für die nationale Zivilgerichtsbarkeit. Auch die oben in § 4 II.1.c) erwähnten nationalen State Immunity Acts gelten lediglich für zivilrechtliche Klagen gegen fremde Staaten, nicht aber für Strafverfahren gegen staatliche Funktionsträger.28 Das britische SIA und der kanadische State Immunity Act legen dies in section 16(4)29 bzw. section 1830 sogar explizit fest. ___________ 25 So auch Damian, European Convention on State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 197 (197). Die Nichtgeltung des Übereinkommens für das Strafrecht ist zwar nicht ausdrücklich festgelegt, ergibt sich aber bereits aus der Präambel des Übereinkommens, wo lediglich von Verfahren gegen Staaten als solche die Rede ist, im übrigen aber auch aus dem gesamten Normkontext. Alle Regelungen des Übereinkommens beziehen sich ausschließlich auf zivilrechtliche Streitigkeiten. Auch die Besprechungen des Übereinkommens in der Literatur gehen mit keinem Wort auf eine mögliche strafrechtliche Relevanz ein; vgl. etwa Karczewski, RabelsZ 54 (1990), 533 ff.; Kronke, IPRax 1991, 141 ff. Lord Phillips of Worth Matravers hat im dritten Pinochet-Urteil des britischen House of Lords vom 24.3.1999 ausdrücklich betont, das Übereinkommen sei auf Strafverfahren nicht anwendbar, vgl. HRLJ 1999, 102 (103 f.). 26 RGBl. 1927 II, S. 483; RGBl. 1936 II, S. 303. 27 Verabschiedet als Bestandteil der Resolution 59/38 der UN-Generalversammlung vom 2.12.2004; abrufbar im Internet unter (31.3.2006). Abgedr. und kommentiert in ILM 44 (2005), 801 ff. Vgl. diesbezüglich auch oben § 4 II.1.b). 28 Vgl. Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 145 Fn. 426 sowie Whomersley, ICLQ 41 (1992), 848 (848), der berichtet, die US-Regierung stehe auf dem Standpunkt, das FSIA sei in Verfahren gegen natürliche Personen generell nicht anwendbar. In seinem Urteil im Verfahren United States of Amerika ./. Noriega vom 7.7.1997 hat der US Court of Appeals, Eleventh Circuit, 117 F.3d 1206 = ILR 121, 591 explizit festgestellt, das FSIA “addresses neither head of state immunity, nor foreign sovereign immunity in the criminal context.” Im ersten Urteil des House of Lords gegen Pinochet vom 25.11.1998 hat Lord Slynn of Hadley betont, Part I des britischen SIA sei ebenso wie das US-amerikanische FSIA nicht maßgeblich für Strafverfolgungen (HRLJ 1998, 419 (421). Ebenso für das SIA Lord Lloyd of Berwick, HRLJ 1998, 419 (434), Lord Nicholls of Birkenhead, HRLJ 1998, 436 (437) und Lord Steyn, HRLJ 1998, 439 (440) in ihren Voten zum ersten PinochetUrteil vom 25.11.1998 sowie Lord Browne-Wilkinson, HRLJ 1999, 61 (68), Lord Goff of Chieveley, HRLJ 1999, 69 (71) und Lord Hutton, HRLJ 1999, 89 (90 f.) in ihren Voten zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999. Das britische SIA enthält allerdings in section 20 gewissermaßen als „Anhang“ eine Exemtionsregelung für Staatsoberhäupter, die jedoch mit der Staatenimmunität – dem eigentlichen Regelungsgegenstand des SIA – nichts zu tun hat. Diese section 20 des SIA gilt auch für Strafverfahren. Vgl. hierzu unten § 17 I.2.a)aa). 29 Section 16(4) SIA lautet: “This Part of this Act does not apply to criminal proceedings”.
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
Dies bedeutet aber nicht, daß das Völkervertragsrecht für die Staatenimmunität als Schranke der Strafgerichtsbarkeit keinerlei Relevanz hat. Wie im einzelnen noch zu zeigen sein wird, sind in einigen völkerrechtlichen Verträgen ausgehend vom völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität einzelne Ausnahmen normiert, also Bestimmungen dahingehend getroffen worden, daß die Staatenimmunität bei den Fallkonstellationen, auf die sich der Vertrag bezieht, einer Strafverfolgung ausnahmsweise nicht entgegenstehen soll. Insofern läßt sich feststellen: Die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit ist (allein) ein Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts. In völkerrechtlichen Verträgen sind lediglich – zum Teil sogar nur implizit – einzelne Ausnahmen normiert, also Festlegungen dahingehend getroffen, daß die Staatenimmunität in bestimmten Fällen einer Strafverfolgung nicht entgegensteht.
II. Personale Reichweite der Staatenimmunität In den „Genuß“ der Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Immunität von strafrechtlicher Verantwortlichkeit kann grundsätzlich jede Person kommen. Ein besonderer persönlicher Status ist weder erforderlich noch überhaupt von irgendeiner Relevanz. Denn bei der Staatenimmunität geht es nicht – wie etwa bei den diplomatischen und konsularischen Exemtionen oder den Exemtionen für Bedienstete internationaler Organisationen – um den persönlichen Schutz bestimmter Funktionsträger, denen eine ungehinderte Wahrnehmung ihrer Aufgaben im Interesse einer Störungsfreiheit der internationalen Beziehungen ermöglicht werden soll. Vielmehr geht es bei der Staatenimmunität ausschließlich um den Schutz der Souveränität der einzelnen Staaten. Insofern kommt es bei der Staatenimmunität allein auf den Charakter der strafrechtlich relevanten Handlung, nicht aber auf die Person des Beschuldigten an. Wegen einer Handlung, die als Handlung für einen Staat zu klassifizieren ist, darf niemand von einem anderen Staat strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden – es sei denn, eine der anerkannten Ausnahmen von der Staatenimmunität greift ein. Jede Person, ungeachtet ihres Status, ihrer Nationalität, ihres Wohnorts, ihres Alters oder sonstiger personenbezogener Eigenschaften genießt Staatenimmunität in bezug auf ihre für einen Staat vorgenommenen Handlungen.31 ___________ Section 18 des kanadischen State Immunity Act lautet: “This Act does not apply to criminal proceedings or proceedings in the nature of criminal proceedings.” 31 Lord Millett in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (98); Akande, AJIL 98 (2004), 407 (412 f.); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 106; Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (863); ders., International Criminal Law, S. 264, 266; ders., International Law, S. 110 ff., 450; Dahm, FS Nikisch, S. 153 (168); Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (386); Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome 30
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In der Regel sind es aber Beamte und staatliche Angestellte, also Angehörige des öffentlichen Dienstes, die für einen Staat agieren und daher Immunitätsschutz aufgrund der Staatenimmunität genießen. Erforderlich ist ein dauerhaftes oder jedenfalls über die strafrechtlich relevante Handlung hinausreichendes Dienstverhältnis jedoch nicht. Auch Personen, die lediglich einmalig – etwa aufgrund eines besonderen Auftrags im Einzelfall – eine hoheitliche Tätigkeit ausüben, genießen für diese den Schutz der Staatenimmunität. Wenn beispielsweise die Polizei einen privaten Abschleppunternehmer beauftragt, bei der Auflösung einer bei einer politischen Kundgebung mit Kraftfahrzeugen errichteten Straßenblockade mitzuhelfen und ein Angestellter des Abschleppunternehmens durch Unachtsamkeit beim Wegheben eines Fahrzeugs einen ausländischen Demonstranten schwer verletzt oder sogar tötet, so kann dieser Angestellte vom Heimatstaat des Verletzten nicht wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. fahrlässiger Tötung strafrechtlich belangt werden. Seine Handlung ist als eine Hoheitshandlung des Staates zu beurteilen, für den der Angestellte gehandelt hat. Für sie genießt er Staatenimmunität.
III. Sachliche Reichweite der Staatenimmunität An dieser Stelle sollen die allgemeinen Regeln zur sachlichen Reichweite der Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als völkerrechtliche Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit erläutert werden. Wie in der Einleitung zum 2. Teil dieser Untersuchung angemerkt, haben mittlerweile in bezug auf etliche Taten Ausnahmen von Staatenimmunität völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung erfahren. Da diese Ausnahmen – soweit sie sich auf die Strafgerichtsbarkeit beziehen – jeweils nur für spezielle Fallkonstellationen gelten, sollen sie hier zunächst außer Betracht bleiben und erst unten in den §§ 6 und 7 erörtert werden. Ob in einem konkreten Fall die Staatenimmunität ein Verfolgungshindernis darstellt, kann aber erst beurteilt werden, wenn diese Ausnahmeregelungen mit ins Blickfeld genommen werden.
___________ Statute of the International Criminal Court, S. 975 (975 f.); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 175 f.; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 33. Insofern verkennt der BGH die Völkerrechtslage, wenn er in BGH NJW 1991, 2498 (2499) betont, die Staatenimmunität gelte grundsätzlich nur für Staatsoberhäupter. Der Verweis des BGH in der genannten Entscheidung auf BGHSt 33, 97 = NJW 1985, 639 geht ins Leere, denn dort ist nur davon die Rede, daß Staatsoberhäupter Immunität genießen, nicht aber, daß anderen Personen keine (Staaten-)Immunität zukommt.
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1. Beschränkung der Staatenimmunität auf dienstliche Handlungen a) Die Staatenimmunität als Immunität ratione materiae Die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit erfaßt naturgemäß nur Handlungen, die für einen Staat vorgenommen werden und diesem als Staatshandeln zuzurechnen sind. Sie kann damit von vornherein nur einer Strafverfolgung staatlicher Funktionsträger wegen solcher Handlungen – oder pflichtwidriger Unterlassungen32 – entgegenstehen, die diese im Rahmen eines Dienst- oder Auftragsverhältnisses für einen Staat vorgenommen haben. Man spricht insofern von einer Beschränkung der Staatenimmunität auf dienstliche Handlungen.33 Die Staatenimmunität ist also eine Immunität ratione materiae.34 Einer Strafverfolgung staatlicher Funktionsträger wegen privater Taten steht die Staatenimmunität nicht im Wege. b) Abgrenzung zwischen dienstlichen und privaten Handlungen Wichtig ist zunächst die Feststellung, daß es für die Abgrenzung von dienstlichen zu privaten Handlungen nicht darauf ankommt, ob die betreffende Handlung während der Dienstzeit oder während der Freizeit eines Funktionsträgers begangen worden ist. Nicht der Zeitpunkt der Vornahme einer Handlung ist entscheidend, sondern ihr Ziel und Zweck. Eine dienstliche Handlung im Sinne der Staatenimmunität (zum Teil wird synonym der Begriff „Amtshandlung“ verwendet35) ist nur eine solche Handlung, die im Rahmen eines Dienst- oder Auftragsverhältnisses vorgenommen wird, also in den dem handelnden Funktionsträger übertragenen Aufgabenkreis fällt, und die
___________ Die Staatenimmunität gilt – wie auch sämtliche andere völkerrechtliche Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit – nicht nur für (aktive) Handlungen, sondern in gleicher Weise auch für pflichtwidrige Unterlassungen; vgl. Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 952. Lediglich der sprachlichen Einfachheit halber wird im folgenden allein von „Handlungen“ gesprochen. Der Begriff „Handlung“ ist hier also im Sinne von „Verhaltensweise“ zu verstehen und erfaßt damit auch pflichtwidrige Unterlassungen. 33 Lord Millett in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (98); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 106; Cassese, International Law, S. 110; Dahm, FS Nikisch, S. 153 (169); Dörr, AVR 41 (2003), 201 (205); Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (388); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 176 ff. Zumindest zu ungenau NillTheobald, „Defences“ bei Kriegsverbrechen, S. 372 f. 34 Lord Millett in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (98); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 106; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 106; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (205). 35 Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578). 32
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dazu beitragen soll, die übertragene Aufgabe zu erfüllen.36 Handlungen dagegen, die ein staatlicher Funktionsträger in seiner Freizeit oder auch während seines Dienstes lediglich in seinem persönlichen und privaten Interesse vornimmt, unterfallen als private Handlungen der Staatenimmunität von vornherein nicht, und zwar selbst dann nicht, wenn der Täter sich besondere Möglichkeiten, die ihm aufgrund seiner Stellung als staatlicher Funktionsträger zur Verfügung stehen, zunutze macht.37 Wenn beispielsweise Polizeibeamte im Rahmen einer Vernehmung die Verhörsperson foltern, um sie zu einer Aussage zu zwingen, so liegt ohne Zweifel eine dienstliche Handlung vor. Wenn die Beamten aber die Situation ausnutzen und die Verhörsperson zur Befriedigung ihres Sexualtriebs vergewaltigen, so handelt es sich um eine private Tat, bei der die Staatenimmunität nicht eingreifen kann. Der Charakter einer Handlung als Diensthandlung wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß sie nach dem Recht des Staates, für den gehandelt wurde, rechtswidrig ist. Gleichfalls ohne Bedeutung ist es für den dienstlichen Charakter eines Verhaltens, wenn dieses nach dem Recht des Staates, der eine Strafverfolgung durchführen möchte, rechtswidrig ist.38 Letzteres ist ohne weiteres einleuchtend: Eine Immunität nur für rechtmäßiges und damit nicht strafbares Verhalten zu gewähren, ergäbe keinerlei Sinn.39 Aber auch im erstgenannten Fall kann die Staatenimmunität nicht von vornherein versagt werden. Denn auch dann, wenn ein Staat eine Strafverfolgung wegen fremdstaatlichen Handelns durchführte, das der Staat, für den gehandelt wurde, selbst als rechtswidrig (und gegebenenfalls sogar strafbar) klassifiziert, würde er indirekt über den fremden Staat „zu Gericht sitzen“, sich eine höherrangige Stellung anmaßen und damit gegen den Grundsatz der souverä-
___________ Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578) definieren den Begriff „Amtshandlung“ im Sinne der Staatenimmunität als „jeder Akt, der dem Staat in Verfolgung seiner politischen Ziele zuzurechnen ist“. Diese Formulierung übernehmend OLG Köln NStZ 2000, 667 (667). 37 Vgl. Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (262); Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (388); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 187 sowie Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578): „Davon [von einer Amtshandlung] zu unterscheiden sind die Handlungen, die von einem Staatsorgan in Verfolgung privater Ziele lediglich unter Ausnutzung der besonderen Möglichkeiten des offiziellen Amtes begangen werden. Für diese greift mangels Qualifikation als Staatshandeln die Staatenimmunität nicht ein, so daß auch die daraus abgeleitete funktionale Immunität des Staatsorgans nicht einschlägig ist.“ 38 So auch Lord Millett in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (98); Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (254 f., 262 mit Hinweis auf abweichende Auffassungen); Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (388); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 187; Stein, Immunität, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg), LdR Völkerrecht, S. 167 (167); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (432); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 33. 39 Vgl. in diesem Zusammenhang BVerfGE 96, 68 (80 ff.) = NJW 1998, 50 (51 f.). 36
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nen Gleichheit der Staaten verstoßen. Grundsätzlich unterfallen daher auch völkerrechtswidrige Akte der Staatenimmunität.40 c) Zur These der generellen Einstufung völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger gravierender Völkerrechtsverstöße als private Handlungen In jüngster Zeit haben die – grundsätzlich begrüßenswerten – Bestrebungen, eine Bestrafung von Personen, die für völkerrechtliche Verbrechen oder sonstige gravierende Völkerrechtsverstöße verantwortlich sind, nicht an Immunitäten ratione materiae, namentlich an der Staatenimmunität, scheitern zu lassen, folgender Argumentation erheblichen Zuspruch verschafft: Die Begehung völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger schwerer Völkerrechtsverstöße könne nicht als dienstliches Handeln bewertet werden. Denn die Begehung solcher völkerrechtswidriger Taten gehöre nicht zum legitimen Aufgabenbereich der Staaten. Damit stehe die ausschließlich für Diensthandlungen geltende Staatenimmunität ebenso wie sonstige Immunitäten ratione materiae einer Bestrafung in solchen Fällen von vornherein nicht entgegen.41 Die These, völkerrechtliche Verbrechen und sonstige gravierende Völkerrechtsverstöße könnten nicht als dienstliche Handlungen eingestuft werden, ist – wie oben in § 4 II.5.b)ee) erwähnt wurde – zunächst von US-amerikanischen Gerichten in zivilrechtlichen Verfahren vertreten worden, in denen es um Klagen ging, mit denen die Täter von Menschenrechtsverletzungen auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen wurden. Vor allem im Kontext der Entscheidungen des ___________ Blumenwitz, in: Heß (Hrsg.), Weder Recht noch Menschlichkeit, S. 129 (140); Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (261 ff.); Cassese, International Law (1. Aufl.), S. 90; Dahm, Problematik des Völkerstrafrechts, S. 41 f.; Damian, Staatenimmunität, S. 79 f.; Geimer, Zivilprozeßrecht, Rn. 502 f.; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 227 ff.; Scheffler, Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts, S. 67; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 33 f. A.A. offenbar Bianchi, AJPIL 46 (1994), 195 (200). 41 So Ambos, JZ 1999, 16 (23); Czapliñski, FW 78 (2003), 63 (72 f.); Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 255; Fleck, JICJ 1 (2003), 651 (662); Gornig, NJ 1992, 4 (13); ders., in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (481) (Gornig spricht sogar davon, bei dieser Einstufung „herrscht Übereinstimmung“; dem ist jedoch klar zu widersprechen, siehe unten Anm. 102); Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 3; Khan/Landwehr, Jura 2004, 485 (491); Kreß, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, vor III 26 Rn. 245 (Kreß spricht von einer „vordringenden Schrifttumsmeinung“); ders., GA 2003, 25 (36 f.); Nouwen, LJIL 18 (2005), 645 (662 f.); Oellers-Frahm, in: Riedel (Hrsg.), Stocktaking in German Public Law, S. 62 (77 f.); Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (236 f., 238 f., 243); Simbeye, Immunity and International Criminal Law, S. 127 ff.; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 214 f., 218, 226, 232. Ähnlich auch schon Dahm, FS Nikisch, S. 153 (170); ders., Völkerrecht, Bd. I, S. 358 f. Widersprüchlich Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 151 einerseits und S. 155 andererseits. Zur vergleichbaren Situation im Zivilrecht in bezug auf Schadensersatzklagen gegen (frühere) staatliche Funktionsträger wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen siehe Hess, in: Geimer (Hrsg.), FS Schütze, S. 269 (272 ff.). 40
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britischen House of Lords im Fall Pinochet aus den Jahren 1998 und 199942 sowie des Urteils des IGH im Fall Demokratische Republik Kongo ./. Belgien aus dem Jahr 200243 ist diese Auffassung dann auch bezogen auf eine strafrechtliche Verantwortlichkeit vertreten worden. Ihr haben sich nicht nur einige der Kommentatoren dieser Entscheidungen angeschlossen,44 sondern auch einige – aber längst nicht alle – Richter selbst haben in ihren (Sonder-)Voten dieser Argumentationslinie zugestimmt und so das Bestehen einer Immunität ratione materiae verneint.45 Zwar ging es bei diesen Entscheidungen um die Immunität von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern46 und wurde die hier diskutierte Frage im Zusammenhang mit der Immunität ratione materiae von ehemaligen Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern erörtert, doch ist – wie noch zu zeigen sein wird47 – die Immunität, die ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder genießen, keine eigenständige Exemtion, sondern lediglich ein Anwendungsfall der Staatenimmunität. In bezug auf ihr dienstliches Handeln können sich ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder – wie jeder andere staatliche Funktionsträger – auf die Staatenimmunität berufen; eine besondere Immunität genießen sie dagegen nicht mehr.48 ___________ Vgl. unten Anm. 56 ff. IGH, Urteil im Verfahren Democratic Republic of the Congo ./. Belgium vom 14.2.2002, ILM 41 (2002), 536. Internetquelle: (31.3.2006). Dt. Übers. in EuGRZ 2003, 563. 44 Ambos, JZ 1999, 16 (23); Czapliñski, FW 78 (2003), 63 (72 f.); Kreß, GA 2003, 25 (36 f.); Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (238 f., 243). 45 Gemeinsames Sondervotum der Richter Higgins (Großbritannien), Kooijmans (Niederlande) und Buergenthal (USA) zum IGH-Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien, para. 85; Lord Nicholls of Birkenhead in seinem Votum zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 436 (438); Lord Steyn in seinem Votum zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 439 (441 f.); Lord Browne-Wilkinson in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 61 (68 f.); Lord Hutton in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 89 (90 ff.). In seinem Urteil vom 20.11.2000 im Verfahren gegen das ehemalige Staatsoberhaupt von Surinam, Desi Bouterse, hat auch der Gerechtshof Amsterdam diese Auffassung vertreten; vgl. die englische Urteilsübersetzung in YIHL 3 (2000), 677 (687 f.): “4.1. Bouterse’s counsel has submitted that Bouterse cannot be prosecuted for the offences concerned since he was Head of State at that time. 4.2. The Court of Appeal need not consider whether this insufficiently argued submission concerning the position of Bouterse is correct. This is because the commission of very grave criminal offences of this kind cannot be regarded as part of the official duties of a Head of State.” Der Oberste Gerichtshof von Israel hatte in seinem Urteil gegen Adolf Eichmann (siehe hierzu unten § 6 II.1.c)dd)) ähnlich, wenngleich nicht so prononciert argumentiert; vgl. das Urteil des Obersten Gerichtshofs des Staates Israel vom 29.5.1962, para. 14, ILR 36, 277 (312). 46 Vgl. ausführlich zu dieser Immunität unten § 17 I. 47 Siehe unten § 17 I.2.b). 48 So auch das Votum von Lord Slynn of Hadley zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 419 (421, 423), in dem dieser betont, die Immunität von Staatsoberhäuptern sei abgeleitet von der allgemeinen Staatenimmunität; das Votum von Lord Millett zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (98), in dem Millett 42 43
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
Die Pinochet-Entscheidungen des House of Lords und das Urteil des IGH im Fall Demokratische Republik Kongo ./. Belgien gehören ohne Frage für den Bereich der völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu den wichtigsten Gerichtsentscheidungen. Die in den letzten Jahren erschienene wissenschaftliche Literatur zu völkerrechtlichen Exemtionen besteht ganz überwiegend aus Beiträgen, die sich mit diesen Entscheidungen auseinandersetzen. Diese Entscheidungen sind daher auch für die vorliegende Untersuchung von großer Relevanz; auf sie bzw. die Voten einzelner Richter wird immer wieder Bezug zu nehmen sein. Deshalb erscheint es angebracht, an dieser Stelle im Rahmen von zwei Exkursen die Pinochet-Entscheidungen und das IGH-Urteil kurz vorzustellen, also die den Judikaten zugrundeliegenden Sachverhalte, den jeweiligen Verfahrensverlauf sowie die Verfahrensergebnisse zu skizzieren. Eine Urteilsanalyse und Urteilskritik soll dagegen an dieser Stelle nicht vorgenommen werden. Denn Ziel der vorliegenden Arbeit ist es nicht, diese Entscheidungen als solche vorzustellen und zu analysieren, sondern das Recht der völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit systematisch zu entfalten. Deshalb sind diese Entscheidungen hier nur insofern von Relevanz, als ihnen Feststellungen zum Stand des Völkerrechts entnommen werden können. In bezug auf Einzelheiten der Judikate wird auf die überaus umfangreiche Literatur verwiesen, die sich speziell oder jedenfalls schwerpunktmäßig mit den Urteilen des House of Lords im Fall Pinochet49 bzw. ___________ von einer Identität der Immunität ehemaliger Staatsoberhäupter und der Staatenimmunität und mithin von einem identischen Exemtionsumfang ausgeht; OLG Köln, NStZ 2000, 667 (667); Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (862 ff.); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 254 f.; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (205); Fastenrath, FAZ vom 10.11.1998, S. 6; Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (975 ff., insb. 982); dies., JICJ 1 (2003), 186 (187 f.); Gornig, in: Ipsen/SchmidtJortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (484); Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 263, 265; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. I, § 451, 456; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 69; Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 357 f.; Kriebaum, in: Karl (Hrsg.), Völker- und Europarecht, S. 51 (53); Paulus, NJW 1999, 2644 (2645); Wirth, Jura 2000, 70 (72); ders., NStZ 2001, 665 (666 f.); ders., CLF 12 (2001), 429 (432 ff., 457); ders., EJIL 13 (2002), 877 (883, 888 ff.); Zappalà, EJIL 12 (2001), 595 (598 ff.); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 50 f. Kritisch bezüglich der Annahme einer Identität der Immunität ehemaliger Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder mit der Staatenimmunität aber Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 152 Fn. 477. Während ihrer Amtszeit genießen Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder – wie der IGH in seiner Entscheidung im Fall Demokratische Republik Kongo ./. Belgien mit aller Deutlichkeit bestätigt hat (Urteil vom 14.2.2002, para. 51, 55, 58, ILM 41 [2002], 536 [549 ff.]) –, vollständige Immunität ratione personae, aufgrund derer sie fremdstaatlicher Gerichtsbarkeit umfassend entzogen sind. 49 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei auf folgende für den vorliegenden Zusammenhang relevante Literatur zum Fall Pinochet hingewiesen: Ahlbrecht/Ambos (Hrsg.), Der Fall Pinochet(s); Alebeek, BYIL 71 (2000), 29; Ambos, JZ 1999, 16; ders., JZ 1999, 564; ders., HuV-I 1999, 264; Bank, ZaöRV 59 (1999), 677; Barker, ICLQ 48 (1999), 937; Bianchi, EJIL 10 (1999), 237; Boister/Burchill, CLF 10 (1999), 405; Bosch, Immunität und
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mit der Entscheidung des IGH im Fall Demokratische Republik Kongo ./. Belgien50 befaßt. aa) Exkurs: Die Pinochet-Entscheidungen des House of Lords aus den Jahren 1998 und 1999 Der ehemalige chilenische Militärdiktator Augusto Pinochet wurde am 16. Oktober 1998 in London, wo er sich aus privaten Gründen aufgehalten hatte, festgenommen und unter Hausarrest gestellt, nachdem die spanische Justiz seine vorläufige Auslieferungshaft beantragt hatte, um den zu diesem Zeitpunkt 82 Jahre alten Ex-Diktator wegen des Verschwindenlassens, der Folterung und der Ermordung von spanischen Staatsbürgern während seiner von 1973 bis 1990 dauernden Herrschaft in Chile strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. In Chile waren seit dem blutigen Putsch Pinochets gegen den sozialistischen Staatspräsidenten Salva-
___________ internationale Verbrechen, S. 155 ff.; Bradley/Goldsmith, Mich. L. Rev. 97 (1998-99), 2129; Brinkmeier, Menschenrechtsverletzer vor nationalen Strafgerichten? S. 5 ff.; Bröhmer, LJIL 12 (1999), 361; ders., LJIL 13 (2000), 229; Buffard, in: Karl (Hrsg.), Völkerund Europarecht, S. 35 ff.; Byers, Duke J. Comp. & Int’l. L. 10 (1999/2000) 415; Denza, ICLQ 48 (1999), 949; Dolzer, NJW 2000, 1700; Fox, ICLQ 48 (1999), 207; dies., ICLQ 48 (1999), 687; Gornig, in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (476 ff.); Häußler, in: Hasse u.a. (Hrsg.), Menschenrechte, S. 562 (573 ff.); Handl, in: Benedek u.a. (Hrsg.), Development and Developing International and European Law, 59 ff.; Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 206 ff.; Horowitz, Fordham Int’l L. J. 23 (1999/ 2000), 489; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 17 ff., 73 ff.; Jones, in: Yee/Tieya (Hrsg.), International Law in the Post-Cold War World, S. 254 (254 ff.); Kenny, KJ 1999, 448; Kriebaum, in: Karl (Hrsg.), Völker- und Europarecht, S. 51 ff.; Nicholls, Va. J. Int’l L. 41 (2000/01), 140; Paulus, NJW 1999, 2644; Rensmann, IPRax 1999, 268; Ruud, Pinochet Case; Sands, LJIL 16 (2003), 37 (45 ff.); Sears, GYIL 42 (1999), 125; Simma/ Paulus, NZZ vom 27.11.1998, S. 7; Sison, Wash. U. L. Q. 78 (2000), 1583; Stanley, BdiP 44 (1999), 532; Stuby, BdiP 44 (1999), 158; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 69 ff.; Turns, Legal Studies 20 (2000), 566; Warbrick u.a., YIHL 2 (1999), 91; Wedgwood, McGill L. J. 46 (2000/01), 249; dies., Va. J. Int’l L. 40 (1999/2000), 829; Wenzl, Fall Pinochet; White, Case W. Res. L. Rev. 50 (1999/2000), 176; Wilson, HRQ 21 (1999), 927; Wirth, Jura 2000, 70; ders., CLF 12 (2001), 429 (434 ff.); Woodhouse (Hrsg.), Pinochet Case; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 118 ff. 50 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei auf folgende Literatur zum IGH-Urteil hingewiesen: de Aragão, HuV-I 2002, 77; Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 199 ff.; Cassese, EJIL 13 (2002), 853; ders., JICJ 1 (2003), 437 (438 ff.); Czapliñski, FW 78 (2003), 63; Frulli, German Law Journal , 3 (2002) No. 3; Gaeta, JICJ 1 (2003), 186; Gries, HuV-I 2001, 19; Henzelin, ZStrR 120 (2002), 249; Hoffmann, in: Menzel u.a. (Hrsg.), Völkerrechtsprechung, S. 439 ff.; Kreß, GA 2003, 25; ders., ZStW 114 (2002), 818; Maierhöfer, EuGRZ 2003, 545; McLachlan, ICLQ 51 (2002), 959; Meisenberg, HuV-I 2004, 30 (31 ff.); Oellers-Frahm, VN 2002, 121; Orakhelashvili, AJIL 96 (2002), 677; ders., GYIL 45 (2002), 227 (231 ff.); Sands, LJIL 16 (2003), 37 (47 ff.); Schultz, ZaöRV 62 (2002), 703; Spinedi, EJIL 13 (2002), 895; Weiß, JZ 2002, 696; Winants, LJIL 16 (2003), 491; Wirth, EJIL 13 (2002), 877; Wouters, LJIL 16 (2003), 253; Zeichen/Hebenstreit, AVR 41 (2003), 182. Siehe zudem SZ vom 16.2.2002, S. 4, 8.
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
tore Allende im Jahr 1973 von den staatlichen Machthabern über 3.000 Oppositionelle umgebracht und etwa 100.000 Regimegegner gefoltert worden.51 Chile protestierte scharf gegen die überraschende Aktion der Londoner Regierung und forderte Pinochets Freilassung, unter anderem, weil er als ehemaliges Staatsoberhaupt Chiles Immunität genieße.52 Der Fall Pinochet beschäftigte in Großbritannien mehrfach die Gerichte.53 Am 28. Oktober 1998 entschied zunächst der Londoner High Court, Pinochet genieße als ehemaliges Staatsoberhaupt Immunität, und hob den Haftbefehl auf.54 Das House of Lords als Berufungsgericht55 urteilte am 25. November 1998 in einer mit drei gegen zwei Stimmen ergangenen Entscheidung („erstes Pinochet-Urteil“) dann jedoch, daß Pinochet keine Immunität zukomme.56 Nachdem sich herausgestellt hatte, daß der an der Entscheidung beteiligte Lordrichter Hoffmann bei einer mit amnesty international verbundenen Menschenrechtsorganisation engagiert war und daher Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufgekommen waren, wurde vom House of Lords am 17. Dezember 1998 angeordnet, daß das Verfahren wiederholt werden müsse („zweites Pinochet-Urteil“), ein bislang einmaliger Vorgang in der Justizgeschichte Großbritanniens.57 In der erneuten Entscheidung des House of Lords vom 24. März 1999 („drittes Pinochet-Urteil“), die mit sechs zu einer Stimme erging, wurde aber wiederum mehrheitlich entschieden, daß Pinochet keine Immunität zustehe.58 ___________ Zu den Pinochet vorgeworfenen Verbrechen vgl. Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 118 ff. 52 Vgl. SZ vom 20.10.1998, S. 1; SZ vom 30.10.1998, S. 9. 53 Eine ausführliche tabellarische Chronologie des Pinochet-Falls findet sich bei Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 240 ff. 54 High Court of Justice, Queen’s Bench Devision, Urteil vom 28.10.1998, ILM 38 (1999), 68. Dt. Übers. (gekürzt) in Ahlbrecht/Ambos (Hrsg.), Der Fall Pinochet(s), S. 31 ff. Siehe auch NZZ vom 29.10.1998, S. 1. 55 Vgl. zur Stellung und Funktion des House of Lords als oberstes britisches Gericht Heimrich, FAZ vom 19.1.1999, S. 3. 56 Erstes Pinochet-Urteil des House of Lords vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 419 = ILM 37 (1998), 1302. Stark gekürzte deutsche Übers. in Ahlbrecht/Ambos (Hrsg.), Der Fall Pinochet(s), S. 103 ff. Siehe auch FAZ vom 26.11.1998, S. 1 f.; NZZ vom 26.11.1998, S. 1; Die Zeit vom 3.12.1998, S. 15 ff. Gegen eine Immunität haben gestimmt die Lordrichter Nicholls of Birkenhead, Steyn und Hoffmann, für eine Immunität Lord Slynn of Hadley und Lord Lloyd of Berwick. 57 Zweites Pinochet-Urteil des House of Lords vom 17.12.1998, HRLJ 20 (1999), 443 = ILM 38 (1999), 430. Stark gekürzte dt. Übers. in Ahlbrecht/Ambos (Hrsg.), Der Fall Pinochet(s), S. 139 ff. Siehe auch FAZ vom 18.12.1998, S. 7; FAZ vom 19.1.1999, S. 3; SZ vom 18.12.1998, S. 1, 4, 8; SZ vom 18.1.1999, S. 6; NZZ vom 17.12.1998, S. 5; NZZ vom 18.12.1998, S. 1; NZZ vom 29.12.1998, S. 2; NZZ vom 19.1.1999, S. 1. 58 Drittes Pinochet-Urteil des House of Lords vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 61 = ILM 38 (1999), 581. Stark gekürzte (leider auch unter Weglassung wichtiger Passagen) dt. Übers. in Ahlbrecht/Ambos (Hrsg.), Der Fall Pinochet(s), S. 148 ff. Siehe auch SZ vom 24.3.1999, S. 7; SZ vom 25.3.1999, S. 1, 3, 12; FAZ vom 24.3.1999, S. 7; FAZ vom 25.3.1999, 51
§ 5 Strafrechtliche Bedeutung der Staatenimmunität
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In dem daraufhin fortgeführten Auslieferungsverfahren59 konnten sich Pinochets Anwälte allerdings mit dem Argument, ihr Mandant sei zu krank, um einem Verfahren folgen zu können, durchsetzen. Der britische Innenminister entschied daraufhin am 2. März 2000, offenbar nicht unglücklich über diese elegante Möglichkeit, die Akten schließen und die diplomatischen Verstimmungen beenden zu können, daß dem spanischen Auslieferungsbegehren nicht stattgegeben werde. Pinochet durfte daraufhin nach Chile zurückkehren.60 Dort lebt er seither weitgehend ___________ S. 1 f.; NZZ vom 25.3.1999, S. 1, 3. Gegen eine Immunität stimmten die Lordrichter Browne-Wilkinson, Hope of Craighead, Hutton, Saville of Newdigate, Millett und Phillips of Worth Matravers. Für eine Immunität votierte lediglich Lordrichter Goff of Chieveley. Vgl. zur Prozeßgeschichte bis zur Entscheidung des House of Lords vom 24.3.1999 auch Bank, ZaöRV 59 (1999), 677 (678 f.). Allerdings gestatteten die Lordrichter in dieser Entscheidung eine Auslieferung Pinochets lediglich wegen einer geringen Zahl der von spanischer Seite erhobenen Tatvorwürfe. Nur wegen solcher Foltertaten, die nach dem 8.12.1988 begangen worden seien, sei – so die Mehrheit der Lordrichter – eine Auslieferung zulässig. Denn die Richter gingen in dieser Entscheidung mehrheitlich nicht von einer generellen, alle Taten Pinochets umfassenden völkergewohnheitsrechtlichen Immunitätsausnahme aus, sondern stellten allein darauf ab, daß die UN-Folterkonvention einen völkervertraglichen Immunitätsausschluß bei Folterhandlungen festlege (siehe diesbezüglich ausführlich unten § 6 I.3.). Insofern genieße Pinochet nur hinsichtlich Folterhandlungen keine Immunität. Darüber hinaus dürfe nach dem anzuwendenden Auslieferungsrecht eine Auslieferung nur wegen solcher Taten erfolgen, die auch nach britischem Recht strafbar seien. Eine Strafbarkeit wegen Folterungen, die außerhalb Großbritanniens begangen wurden, sei aber erst am 29.9.1988 mit Verabschiedung eines die Folterkonvention implementierenden Gesetzes geschaffen worden, durch das eine Folterstrafbarkeit für Amtsträger und eine extraterritoriale Jurisdiktionserstreckung nach dem Weltrechtsprinzip begründet worden sei (vgl. diesbezüglich Ambos, JZ 1999, 564 [565]; ders., HuV-I 1999, 154 [154 f.]; Bank, ZaöRV 59 [1999], 677 [679 ff.]; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 78; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 128 ff.). Doch auch eine Auslieferung wegen aller nach dem 29.9.1988 (angeblich) begangener Foltertaten komme nicht in Betracht. Denn die UN-Folterkonvention sei erst am 8.12.1988 von Großbritannien ratifiziert worden, erst seit diesem Zeitpunkt bestehe für Folterhandlungen aufgrund des Immunitätsausschlusses in der Konvention keine Immunität ratione materiae mehr. Vgl. hierzu das Votum von Lord Browne Wilkinson im dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 61 (61 ff.) sowie Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 78 f. Die Auffassung, der durch die Ratifikation der UN-Folterkonvention bewirkte Immunitätsausschluß dürfe nicht retroaktiv auf Taten erstreckt werden, die vor der Ratifikation begangen wurden, geht allerdings fehl. Denn sämtliche völkerrechtliche Exemtionen werden nicht im Interesse der geschützten Personen gewährt, sondern im Interesse des Staates, für den die betreffende Person tätig ist. Daher unterfallen völkerrechtliche Exemtionen dem Rückwirkungsverbot nicht. Sie stehen lediglich insofern einer Durchführung eines Strafverfahrens entgegen, als sie während des Verfahrens (noch) bestehen. Auf den Tatzeitpunkt kommt es insofern überhaupt nicht an (vgl. ausführlich zur Rückwirkungsproblematik unten § 22 VI.3.b)). Diese völkerrechtliche Rechtslage wird auch durch nationales britisches Recht nicht modifiziert. Section 23(3) des britischen State Immunity Act (SIA) von 1978 (ILM 17 [1978], 1123; vgl. zum SIA auch oben § 4 II.1.c)), in dem ein Verbot der rückwirkenden Anwendung des SIA normiert ist, bezieht sich ausdrücklich nicht auf section 20, in dem die Immunität von Staatsoberhäuptern geregelt ist, sondern nur auf die Reichweite der Staatenimmunität bei zivilrechtlichen Streitigkeiten. 59 Vgl. SZ vom 16.4.1999, S. 1, 4, 8; FAZ vom 16.4.1999, S. 1 f. 60 Vgl. zu dieser Wendung im Fall Pinochet, die sich bereits seit Sommer 1999 abgezeichnet hatte, SZ vom 4.8.1999, S. 7; SZ vom 6.8.1999, S. 1; SZ vom 11.8.1999, S. 9; SZ
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
unbehelligt von Strafverfolgungsaktivitäten. Zwar wurde seine auf nationalem Recht beruhende Immunität als Senator auf Lebenszeit im Jahr 2000 vom Obersten Gerichtshof Chiles aufgehoben,61 doch entschied ein Berufungsgericht im Juli 2001, daß ein Gerichtsverfahren wegen seines schlechten nicht durchgeführt werden dürfe;62 diese Entscheidung wurde im Juli 2002 vom Obersten Gerichtshof Chiles bestätigt.63 Ende 2004 wurde ein weiterer Versuch gemacht, Pinochet in Chile strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen; erneut kam es zu Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, die Pinochet eine auf nationalem chilenischem Recht basierende Immunität absprachen.64 Doch verhinderte wiederum der angeblich schlechte Gesundheitszustand Pinochets (bislang) die Durchführung eines Strafverfahrens.65 Klare Feststellungen zur Existenz und Reichweite völkerrechtlicher Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit können den Pinochet-Urteilen des House of Lords allerdings kaum entnommen werden. Denn Basis der Entscheidungen ist keine gemeinsame, einheitliche Begründung des mehrheitlich gefundenen Ergebnisses, sondern jeder Richter hat seine Entscheidung für oder gegen das Bestehen einer Immunität in einem eigenen Votum begründet. In diesen Voten, die mehr oder weniger unverbunden nebeneinander stehen, finden sich die unterschiedlichsten Argumentationsmuster. Praktisch alle rechtlichen Argumente und theoretischen Ansätze, die zur Begründung des Bestehens oder Nichtbestehens völkerrechtlicher Exemtionen bislang erörtert worden sind, werden von den Lordrichtern zur Unterstützung des jeweils eigenen Votums herangezogen.66 Angesichts dieses Konglo___________ vom 11.10.1999, S. 10; SZ vom 27.9.1999, S. 6; SZ vom 28.9.1999, S. 6; SZ vom 9.10.1999, S. 8; FAZ vom 11.1.2000, S. 3; FAZ vom 13.1.2000, S. 1 f.; SZ vom 13.1.2000, S. 8; SZ vom 1.2.2000, S. 7; SZ vom 16.2.2000, S. 7; SZ vom 3.3.2000, S. 1, 3; FAZ vom 3.3.2000, S. 1 ff. Siehe auch Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 233. 61 Urteil des Corte de Justicia, Santiago de Chile, vom 8.8.2000. Dt. Übers. in EuGRZ 2001, 41. Siehe ausführlich zu den Strafverfolgungsbemühungen in Chile Wenzl, Fall Pinochet, S. 93 ff. Vgl. ferner SZ vom 8.3.2000, S. 8; SZ vom 1.4.2000, S. 12; SZ vom 28.4.2000, S. 10; FAZ vom 6.6.2000, S. 1; SZ vom 7.6.2000, S. 10; FAZ vom 7.6.2000, S. 9; SZ vom 21.7.2000, S. 7; SZ vom 9.8.2000, S. 1 f.; FAZ vom 9.8.2000, S. 1 f.; FAZ vom 10.8.2000, S. 4. 62 Vgl. Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 245 ff.; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 145 f.; SZ vom 10.7.2001, S. 8; FAZ vom 10.7.2001, S. 6; FAZ vom 11.7.2001, S. 3. 63 Vgl. Brinkmeier, Menschenrechtsverletzer vor nationalen Strafgerichten? S. 11; SZ vom 2.7.2002, S. 8; SZ vom 3.7.2002, S. 7; FAZ vom 3.7.2002, S. 6. 64 Vgl. SZ vom 15.12.2004, S. 8; SZ vom 5.1.2005, S. 6; SZ vom 7.1.2005, S. 7; SZ vom 16.9.2005, S. 11. 65 SZ vom 9.6.2005, S. 8; SZ vom 16.9.2005, S. 11; SZ vom 25.11.2005, S. 11; SZ vom 28.12.2005, S. 7. 66 Ganz zu Recht erachten Bank, ZaöRV 59 (1999), 677 (702 f.); Dolzer, NJW 2000, 1700 (1701); Ruud, Pinochet Case, S. 32, 48 f., 67 f. und Stanley, BdiP 44 (1999), 532 (533) daher die Präzedenzwirkung für gering. Stanley, a.a.O., hält das dritte PinochetUrteil schlicht für „konfus“.
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merats juristischer Begründungsansätze erscheint es nicht sachgerecht, an dieser Stelle die Begründungen der einzelnen Voten im Zusammenhang zu skizzieren und zu analysieren,67 zumal es – wie gesagt – nicht Ziel dieser Untersuchung ist, einzelne Judikate vorzustellen, sondern das Recht der völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit systematisch zu erörtern. Daher wird auf die Begründungsansätze der einzelnen Richter jeweils im konkreten Sachzusammenhang eingegangen.68 Nachfolgend werden die Voten der Lordrichter im Pinochet-Verfahren also zunächst lediglich insofern erörtert, als einige Richter das Nichtbestehen einer Immunität Pinochets damit zu begründen versucht haben, schwere Menschenrechtsverletzungen könnten nicht als dienstliche Handlungen klassifiziert werden, auf die allein sich die Staatenimmunität und andere Immunitäten ratione materiae beziehen. Zuvor aber gilt es noch, das Urteil des IGH im Fall Demokratische Republik Kongo ./. Belgien kurz vorzustellen. bb) Exkurs: Das Urteil des IGH im Fall Demokratische Republik Kongo gegen Belgien aus dem Jahr 2002 Ein belgischer Untersuchungsrichter erließ am 11. April 2000 gegen den damals amtierenden Außenminister der Demokratischen Republik Kongo, Abdulaye Yerodia Ndombasi, einen Haftbefehl. Yerodia wurde vorgeworfen, im August 1998 in seiner früheren Funktion als Leiter des kongolesischen Präsidialamts Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, indem er in öffentlichen Reden zur Ermordung von Oppositionellen – vornehmlich Angehörigen der Volksgruppe der Tutsi – aufgerufen habe. Wegen dieser Verbrechen wollte ihn die belgische Justiz strafrechtlich zur Verantwortung ziehen, und zwar auf der Basis des belgischen Gesetzes zur Verfolgung schwerer Verletzungen des humanitären Völkerrechts von 1993/199969, dessen Reichweite im April 2003 erheblich
___________ Diesbezüglich wird auf die oben in Anm. 49 genannte Literatur verwiesen. Im vorliegenden Zusammenhang sind die Pinochet-Urteile nur insofern von Relevanz, als sie sich mit der Frage einer völkerrechtlichen Exemtion Pinochets befassen. Fragen der Strafbarkeit Pinochets nach dem Recht Spaniens, Großbritanniens und anderer Staaten, die um seine Auslieferung ersucht hatten, bleiben also ebenso unberücksichtigt wie auslieferungsrechtliche Aspekte und in einzelnen Voten angestellte Überlegungen zu einer Immunität Pinochets nach nationalem britischem Recht, namentlich nach dem SIA (siehe oben Anm. 58). Vgl. zu diesen „Problemfeldern“ des Pinochet-Verfahrens Ambos, JZ 1999, 16 (16 ff.); ders., JZ 1999, 564 (565); Bank, ZaöRV 59 (1999), 677 (679 ff.). 69 Loi du 16 juin 1993 relative à la répression des infractions graves aux Conventions internationales de Genève du 12 août 1949 et aux Protocoles I et II du 8 juin 1977, additionnels à ces conventions (Moniteur Belge, 5.8.1993) in der durch die Loi relative à la répression des violations graves du droit international humanitaire (Moniteur Belge, 23.8.1999) geänderten Fassung. Eine englische Übers. dieses Gesetzes in seiner 1999 modifizierten Fassung ist abgedruckt in ILM 38 (1999), 918. Ausführlich zu diesem Gesetz Winants, LJIL 16 (2003), 491 (492 ff.). 67 68
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zurückgenommen wurde70 und das im August 2003 schließlich gänzlich abgeschafft wurde,71 das aber zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftbefehls – ähnlich wie das deutsche VStGB (vgl. § 1 VStGB i.V.m. § 153f StPO) – eine Einleitung eines Strafverfahrens wegen völkerrechtlicher Verbrechen nach dem uneingeschränkten Weltrechtsprinzip auch gegen Personen zuließ, die sich nicht in Belgien aufhielten und deren Tat keinen spezifischen Anknüpfungspunkt zu Belgien aufwies.72 Dieses Gesetz sah in seiner damaligen Fassung ausdrücklich vor, daß völkerrechtliche Exemtionen kein Strafverfolgungshindernis begründeten,73 weshalb der Ermittlungsrichter sich nicht wegen der Stellung Yerodias als amtierender Außenminister am Erlaß des Haftbefehls gehindert sah. Gleichwohl verfügte er, der Haftbefehl dürfe nicht vollstreckt werden, wenn sich Yerodia in amtlicher Mission in Belgien aufhalte. Der Haftbefehl wurde Interpol und den Behörden der Demokratischen Republik Kongo übermittelt, allerdings ohne zugleich um eine Auslieferung Yerodias zu ersuchen.74 Trotz dieser Einschränkungen hielt die Demokratische Republik Kongo den Erlaß des Haftbefehls für völkerrechtswidrig und verklagte Belgien am 17. Oktober 2000 vor dem IGH auf Aufhebung des Haftbefehls.75 Der Kongo machte geltend, als amtierender Außenminister genieße Yerodia umfassende Immunität ratione personae, die sich auch auf angeblich begangene völkerrechtliche Verbrechen erstrecke und bereits die Einleitung eines Strafverfahrens durch Erlaß eines Haftbefehls untersage. Belgien dagegen meinte, amtierende Außenminister genössen nach ___________ 70 Loi modifiant la loi du 16 juin 1993 relative à la répression des violations graves du droit international humanitaire et l’article 144ter du Code judiciaire vom 23.4.2003 (Moniteur Belge, 5.5.3003). Englische Übers. in ILM 42 (2003), 749. Vgl auch die Anmerkung zu dieser Novelle von Smis/van der Borght in ILM 42 (2003), 740. 71 Loi relative aux violations graves du droit international humanitaire vom 5.8.2003 (Moniteur Belge, 7.8.2003). Siehe hierzu Ratner, AJIL 97 (2003), 888 (890 f.); Rau, HuV-I 2003, 212 (212 ff); Reydams, JICJ 1 (2003), 679 (679 ff.). 72 Vgl. zum damaligen belgischen Recht Ratner, AJIL 97 (2003), 888 (890 f.); Schultz, ZaöRV 62 (2002), 703 (707 f.). Zur Rechtslage in Deutschland siehe Kreicker, in: Eser/ Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 250 ff. 73 Art. 5 Abs. 3 des Gesetzes lautete: „L’immunité attachée à la qualité officielle d’une personne n’empêche pas l’application de la présente loi.“ Mit der Aufhebung des belgischen Völkerstrafgesetzes im August 2003 ist die Beachtlichkeit völkerrechtlicher Exemtionen für die belgische Strafjustiz in Art. 1bis der Einleitung zur Strafprozeßordnung neu geregelt worden. Dessen § 1 lautet: „Conformément au droit international, les poursuites sont exclues à l’égard: des chef d’Etat, chefs de gouvernement et ministres des Affaires étrangères, pendant la période où ils exercent leur fonction, ainsi que des autres personnes dont l’immunité est reconnue par le droit international (…).“ Siehe zur neuen belgischen Gesetzeslage auch unten § 17 I.2.a)dd). 74 Vgl. die Sachverhaltsdarstellung bei Kreß, GA 2003, 25 (25 f.); Maierhöfer, EuGRZ 2003, 545 (545 f.); Schultz, ZaöRV 62 (2002), 703 (709). 75 Belgien und die Demokratische Republik Kongo haben sich beide durch Erklärungen nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut der (grundsätzlich fakultativen) Gerichtsbarkeit des IGH unterworfen. Vgl. de Aragão, HuV-I 2002, 77 (78).
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Völkerrecht nur Immunität ratione materiae in bezug auf ihre dienstlichen Handlungen. Die Yerodia vorgeworfenen Taten seien aber nicht in dienstlicher Eigenschaft begangen worden.76 Der IGH gab – nachdem er zunächst mit Beschluß vom 8. Dezember 2000 den Antrag der Demokratischen Republik Kongo auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach Art. 41 IGH-Statut zurückgewiesen hatte77 – in seinem Urteil vom 14. Februar 200278 der Demokratischen Republik Kongo vollumfänglich Recht, wobei allerdings elf Richter dem Urteil oder jedenfalls dessen Begründung nicht zuzustimmen vermochten und daher zum Teil ausführliche abweichende Sondervoten verfaßten.79 Zunächst einmal betonte der IGH mit der Mehrheit der Stimmen der Richter, die Tatsache, daß Yerodia seit April 2001 nicht mehr Außenminister der Demokratischen Republik Kongo sei, habe entgegen der von Belgien vertretenen Auffassung nicht zur Erledigung des Rechtsstreits und damit zur Unzulässigkeit der Klage geführt. Diese habe schließlich der Frage gegolten, ob der streitgegenständliche Haftbefehl erlassen werden durfte. Auf diesen Streit aber habe die Funktionsbeendigung Yerodias keine Auswirkungen gehabt.80 Nach Zurückweisung weiterer – hier nicht interessierender – prozessualer Einwände stellte der IGH dann fest, die Frage, ob Belgien grundsätzlich befugt sei, nach dem uneingeschränkten Weltrechtsprinzip Strafverfolgungsaktivitäten gegen Personen zu entfalten, die sich im Ausland aufhalten und deren Tat keinerlei Anknüpfungspunkt zu Belgien aufweist, sei nicht Gegenstand der Klage.81 Diese beziehe sich nur darauf, ob dem Verfahren eine Immunität entgegenstehe.82 Der IGH hielt es nicht für geboten, auf die Problematik einer Strafgewalterstreckung nach dem uneingeschränkten Weltrechtsprinzip als ___________ Vgl. zum klägerischen Vorbringen, zu den Entgegnungen Belgiens und zum Verfahrensverlauf IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 43), para. 1 ff., 47 ff. sowie Schultz, ZaöRV 62 (2002), 703 (708 f.). 77 Die Entscheidung ist abrufbar unter (31.3.2006). 78 Siehe oben Anm. 43. 79 Die Sondervoten sind Bestandteil des Urteils; für die Fundstellen vgl. daher oben Anm. 43. Der IGH hat eine offizielle Zusammenfassung seines Urteils und der Sondervoten als Pressemitteilung veröffentlicht (Press Release 2002/04bis vom 14.2.2002). Diese ist im Internet unter (31.3.2006) abrufbar. Vgl. zu den Sondervoten Czapliñski, FW 78 (2003), 63 (65 ff.); Schultz, ZaöRV 62 (2002), 703 (716 ff.). 80 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 43), para. 23 ff. Ausführlich zu den erhobenen prozessualen Einwänden Schultz, ZaöRV 62 (2002), 703 (710 f.). 81 Zwar hatte die Demokratische Republik Kongo ursprünglich ihre Klage auch darauf gestützt, eine Ausübung belgischer Strafgewalt nach dem uneingeschränkten Weltrechtsprinzip sei völkerrechtswidrig, doch wurde dieses Vorbringen später zurückgezogen und nur eine Entscheidung in bezug auf die behauptete Immunität erbeten. Vgl. IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 43), para. 45. 82 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 43), para. 46. 76
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Vorfrage einzugehen, sondern ging offensichtlich davon aus, die Frage des Bestehens einer Immunität sei unabhängig von der Frage einer grundsätzlichen Strafverfolgungskompetenz und könne isoliert beantwortet werden.83 Der IGH beschränkte sich daher darauf, über das Bestehen oder Nichtbestehen einer dem Erlaß des Haftbefehls entgegenstehenden völkerrechtlichen Immunität Yerodias zu befinden. Die entscheidenden Passagen des Urteils84 sind überraschend kurz und apodiktisch gehalten.85 Der IGH stellt fest, nach Völkergewohnheitsrecht – Völkervertragsrecht sei nicht einschlägig – genössen amtierende Außenminister ebenso wie amtierende Staatsoberhäupter und Regierungschefs umfassende Immunität ratione personae. Diese Immunität erfasse amtliche Handlungen ebenso wie private und erstrecke sich sowohl auf Taten, die vor der Amtsübernahme verübt worden seien, als auch auf während der Ausübung des Amtes begangene.86 Die Immunität ratione personae erfahre auch bei völkerrechtlichen Verbrechen keine Ausnahme. Für eine solche Annahme fehle es an hinreichender Staatenpraxis.87 Die Immunitätsausschlüsse, die in den Statuten internationaler Strafgerichtshöfe normiert seien, könnten nicht zur Begründung einer Nichtgeltung völkerrechtlicher Exemtionen bei einer nationalen Strafverfolgung herangezogen werden, sondern bezögen sich ausschließlich auf eine internationale Strafverfolgung.88 ___________ Vgl. Schultz, ZaöRV 62 (2002), 703 (713). Diese Feststellung des IGH ist zutreffend. Völkerrechtliche Exemtionen sind unabhängig von den völkerrechtlichen Regeln über die zulässige Reichweite einer extraterritorialen Strafgewaltserstreckung. Zwar kommt es auf die Frage des Bestehens einer Exemtion bei einer Auslandstat nicht an, wenn es (bereits) an einer extraterritorialen Strafgewalt des strafverfolgungswilligen Staates fehlt, doch gilt dies umgekehrt ebenso: Die Frage, ob ein Staat nach den völkerrechtlichen und innerstaatlichen Regeln über die extraterritoriale Strafgewaltserstreckung befugt ist, wegen einer Auslandstat Strafverfolgungsaktivitäten zu entfalten, kann offenbleiben, wenn der Beschuldigte bereits aufgrund einer völkerrechtlichen Exemtion der Strafgewalt des betreffenden Staates nicht unterfällt. A.A. – Verpflichtung zur vorrangigen Prüfung einer grundsätzlichen Strafverfolgungskompetenz – aber IGH-Präsident Guillaume (Frankreich) in seinem Sondervotum (para. 1), die Richter Higgins (Großbritannien), Kooijmans (Niederlande) und Buergenthal (USA) in ihrem gemeinsamen Sondervotum (para. 3 ff.); die Sondervoten von IGH-Richter Rezek (Brasilien), para. 3 f. und Ad-hoc-Richterin Van den Wyngaert (Belgien), para. 4, 7, 41 f. sowie Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (855 f.); Maierhöfer, EuGRZ 2003, 545 (546) („logisch richtige Prüfungsreihenfolge“) und Schultz, ZaöRV 62 (2002), 703 (724 f.). Wie hier dagegen die Sondervoten der IGH-Richter Oda aus Japan (para. 12), Ranjeva aus Madagaskar (para. 1), Koroma aus Sierra Leone (para. 1 ff.) und Czapliñski, FW 78 (2003), 63 (68). 84 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 43), para. 54–61. 85 Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (854): “a judgment that is remarkable for its brevity”. 86 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 43), para. 55. 87 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 43), para. 58. 88 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 43), para. 58. 83
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Der IGH kam mit einer Mehrheit von 13 zu 3 Stimmen zu dem Ergebnis, Belgien habe bereits mit dem Erlaß des Haftbefehls gegen Yerodia gegen Völkergewohnheitsrecht verstoßen und sei zu dessen Aufhebung verpflichtet.89 In einem bemerkenswerten obiter dictum, auf das im Zusammenhang mit der Erörterung der Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder unten in § 17 I. 2.b)cc) ausführlich einzugehen sein wird, betonte die Richtermehrheit allerdings noch, die Gewährung umfassender Immunität ratione personae bedeute nicht zwangsläufig Straflosigkeit. Der IGH stellte fest, eine Strafverfolgung amtierender Außenminister wegen völkerrechtlicher Verbrechen sei durch den Heimatstaat stets möglich, durch einen Drittstaat dann, wenn der Heimatstaat auf die Immunität verzichte. Zudem dürften ehemalige Außenminister für sämtliche vor ihrer Amtszeit begangene Taten sowie wegen solcher während der Amtszeit begangener Taten strafrechtlich verfolgt werden, die als private Handlungen zu klassifizieren seien.90 Dieses obiter dictum legt im Umkehrschluß – jedenfalls auf den ersten Blick – nahe, daß der IGH sämtliche während der Amtszeit begangene dienstliche Taten als von einer zeitlich unbegrenzten Immunität erfaßt ansieht. Demnach könnten ehemalige Außenminister – und auch ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungschefs – nur dann wegen während der Amtszeit begangener völkerrechtlicher Verbrechen verfolgt werden, wenn man diese generell als private Handlungen klassifiziert. Dieses obiter dictum veranlaßte deshalb nicht nur die Richter Higgins, Kooijmans, Buergenthal und Van den Wyngaert, in ihrem Sondervotum festzustellen, Völkerstraftaten könnten per se nicht als Amtshandlungen qualifiziert werden,91 sondern hat auch dazu geführt, daß die These des „privaten“ Charakters völkerrechtlicher Verbrechen in der wissenschaftlichen Literatur zunehmend Unterstützung findet.92
___________ 89 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 43), para. 62 ff., insb. para. 78. Vgl. auch Schultz, ZaöRV 62 (2002), 703 (713 ff.). Kritisch bezüglich der ausgesprochenen Rechtsfolge des belgischen Völkerrechtsverstoßes mit dem – zutreffenden – Argument, seit dem Ausscheiden Yerodias aus dem Amt des Außenministers sei dessen Immunität entfallen, Maierhöfer, EuGRZ 2003, 545 (554): Der Rechtsverstoß sei mit dem Wegfall der Immunität geheilt. Belgien dürfe nun jederzeit einen neuen Haftbefehl erlassen; dann aber sei es rechtsmißbräuchlich, eine Aufhebung des bestehenden zu fordern. 90 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 43), para. 61. Ausführlich zu diesem obiter dictum Wirth, EJIL 13 (2002), 877 (881 f.). 91 Vgl. oben Anm. 45. 92 Vgl. oben Anm. 41.
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cc) Begründungen der These vom privaten Charakter völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger schwerer Völkerrechtsverletzungen Um die These, die Verübung völkerrechtlicher Verbrechen oder sonstiger schwerer Völkerrechtsverstöße könne generell nicht als dienstliches Handeln klassifiziert werden, bewerten zu können, erscheint es sachgerecht, einen näheren Blick auf die Begründungen zu werfen, die von den Vertretern dieser Auffassung vorgetragen werden. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Voten der dieser These anhängenden Lordrichter im Verfahren gegen Augusto Pinochet.93 Lord Nicholls of Birkenhead führte im ersten Pinochet-Urteil des House of Lords aus: “(…) it hardly needs saying that torture of his own subjects, or of aliens, would not be regarded by international law as a function of a head of state. (…) International law recognises, of course, that the functions of a head of state may include activities which are wrongful, even illegal, by the law of his own state or by the laws of other states. But international law has made plain that certain types of conduct, including torture and hostage-taking, are not acceptable conduct on the part of anyone. This applies as much to heads of state, or even more so, as it does to everyone else; the contrary conclusion would make a mockery of international law.”94
Ebenfalls im ersten Pinochet-Urteil stellte Lord Steyn fest: “(…) the development of international law since the Second World War justifies the conclusion that (…) international law condemned genocide, torture, hostage-taking and crimes against humanity (…) as international crimes deserving punishment. Given this state of international law, it seems to me difficult to maintain that the commission of such crimes may amount to acts performed in the exercise of the functions of a Head of State.”95
Im dritten Pinochet-Urteil betonte Lord Browne-Wilkinson: “Can it be said that the commission of a crime which is an international crime against humanity and ius cogens is an act done in an official capacity on behalf of the state? I believe there to be strong ground for saying that the implementation of torture as defined by the Torture Convention cannot be a state function. (…) How can it be for international law purposes an official function to do something which international law itself prohibits and criminalises? (…) Finally, and to my mind decisively, if the implementation of a torture regime is a public function giving rise to immunity ratione materiae, this produces bizarre results. Immunity ratione materiae applies not only to ex-heads of state and ex-ambassadors but to all state officials who have been involved in carrying out the functions of the state. (…) If that applied to the present case, and if the implementation
___________ Im gemeinsamen Sondervotum der Richter Higgins (Großbritannien), Kooijmans (Niederlande) und Buergenthal (USA) zum IGH-Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 43) wird zwar in para. 85 ebenfalls für eine Einstufung völkerrechtlicher Verbrechen als Privathandlungen plädiert, doch keine Begründung geliefert. 94 Lord Nicholls of Birkenhead in seinem Votum zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 436 (438). 95 Lord Steyn in seinem Votum zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 439 (441). 93
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of the torture regime is to be treated as official business sufficient to found an immunity for the former head of state, it must also be official business sufficient to justify immunity for his inferiors who actually did the torturing. Under the Convention the international crime of torture can only be committed by an official or someone in an official capacity. They would all be entitled to immunity. It would follow that there can be no case outside Chile in which a successful prosecution for torture can be brought unless the State of Chile is prepared to waive its right to its officials immunity.”96
Ebenfalls im dritten Pinochet-Urteil legte Lord Hutton dar: “The Torture Convention makes it clear that not state is to tolerate torture by its public officials or by persons acting in an official capacity (…). I consider that the clear intent of the provisions is that an official of one state who has committed torture should be prosecuted if he is present in another State. Therefore having regard to the provisions of the Torture Convention, I do not consider that Senator Pinochet or Chile can claim that the commission of torture (…) were functions of the head of state. The alleged acts of torture by Senator Pinochet were carried out under colour of his position of head of state, but they cannot be regarded as functions of a head of state under international law when international law expressly prohibits torture as a measure which a state can employ in any circumstances whatsoever and has made it an international crime.”97
Mit ähnlichen Argumenten ist die These vom „privaten Charakter“ völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger schwerer völkerrechtswidriger Menschenrechtsverletzungen im Anschluß an die Pinochet-Entscheidungen auch in der Literatur begründet worden. So stützt Ambos seine Auffassung auf den Gedanken, die Begehung oder Anordnung internationaler Verbrechen könne kein amtliches Handeln im Sinne des Immunitätsrechts darstellen, da grob völkerrechtswidrige Akte keine Geltung beanspruchen dürften und als Zurechnungsgrund staatlichen Handelns ausschieden.98 Gornig betont, wegen der heute weltweit bestehenden Verpflichtung, die Menschenrechte zu respektieren, könne die Verletzung von Menschenrechten nicht mehr dem Staat als hoheitliches Handeln zugerechnet werden. Denn Verletzungen von Menschenrechten gehörten nicht zu den ureigensten Aufgaben eines Staatsoberhaupts, zumal nach internationalem Strafrecht die Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit als Straftatbestand anerkannt sei.99 Kreß rechtfertigt seine Zustimmung zu der von ihm im Anschluß an Bank100 als „Tatbestandslösung“ bezeichneten Argumentation schlicht damit, nur so sei nach der Entscheidung des IGH das gewünschte Ergebnis – keine Immunität ratione materiae (Staatenimmunität) bei völkerrechtlichen Verbrechen – zu begründen.101
___________ 96 Lord Browne-Wilkinson in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 61 (68 f.). 97 Lord Hutton in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 89 (94 f.). 98 Ambos, JZ 1999, 16 (23). 99 Gornig, in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (482). 100 Bank, ZaöRV 59 (1999), 677 (689). 101 Kreß, GA 2003, 25 (36 f.).
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Es zeigt sich, daß im Kern lediglich zwei verschiedene Argumente vorgebracht werden. Zum einen wird die These der Einstufung völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger schwerer Menschenrechtsverletzungen als private Handlungen damit begründet, das Völkerrecht untersage den Staaten die Begehung solcher Taten. Da das Völkerrecht den Staaten solche Taten nicht erlaube, könnten sie auch keine staatlichen Handlungen sein. Zum anderen wird lediglich vom gewünschten Ergebnis her argumentiert: Völkerrechtliche Verbrechen und sonstige schwere Menschenrechtsverletzungen sollen nicht vom Schutz der völkerrechtlichen Immunitäten ratione materiae erfaßt werden. Da diese für dienstliche, einem Staat als staatliche Handlungen zurechenbare Taten gelten, müßten völkerrechtliche Verbrechen eben als private Handlungen klassifiziert werden. dd) Bewertung der These vom privaten Charakter völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger schwerer Völkerrechtsverletzungen Die so nur überaus dürftig begründete These, die Begehung völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger schwerer Völkerrechtsverstöße könne generell nicht als dienstliches Handeln bewertet werden, vermag nicht zu überzeugen.102 ___________ Wie hier auch die belgische Ad-hoc-Richterin Van den Wyngaert in ihrem abweichenden Sondervotum zum Urteil des IGH im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 43), para. 36; Lord Slynn of Hadley (HRLJ 1998, 419 [423]) und Lord Lloyd of Berwick (HRLJ 1998, 419 [432]) im ersten Pinochet-Urteil des House of Lords vom 25.11.1998; in ihren Voten zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999 Lord Goff of Chieveley, HRLJ 1999, 69 (74), Lord Hope of Craighaed, HRLJ 1999, 78 (85 f.), Lord Saville of Newdigate, HRLJ 1999, 96 (96 f.), Lord Millett, HRLJ 1999, 97 (101) und Lord Phillips of Worth Matravers, HRLJ 1999, 102 (107); ferner MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 136, 143; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 110; Barker, ICLQ 48 (1999), 937 (943); Black-Branch, in: Woodhouse (Hrsg.), Pinochet Case, S. 93 (109); Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 89 f.; Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (254 f., 262); Bröhmer, LJIL 12 (1999), 361 (370); ders., LJIL 13 (2000), 229 (233); Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (868 ff.); ders., JICJ 1 (2003), 437 (444 f.); Dahm, Problematik des Völkerstrafrechts, S. 41 f.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1019 Fn. 113; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (214); Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (393 f. Fn. 118); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 42; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578); Fox, ICLQ 48 (1999), 687 (696); Handl, in: Benedek u.a. (Hrsg.), Development and Developing International and European Law, 59 (65 f.); Hoepfel, in: Arnold u.a. (Hrsg.), FS Eser, S. 765 (772 f.); Hübner, Das Verbrechen des Völkermordes, S. 262 f.; Jones, in: Yee/Tieya (Hrsg.), International Law in the Post-Cold War World, S. 254 (261 f.); Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 135 f.; Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 358 Fn. 1557; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 292 (bezogen auf zivilrechtliche Klagen); Rensmann, IPRax 1999, 268 (269); Ruud, Pinochet Case, S. 37 ff.; Spinedi, EJIL 2002, 895 (897 ff.); Vest, ZStrR 121 (2003), 46 (70 Fn. 77); Weiß, JZ 2002, 696 (702); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 451 Fn. 410; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (432); ders., EJIL 13 (2002), 877 (890 f.); Wouters, LJIL 16 (2003), 253 (262); Zegfeld, NYIL 32 (2001), 97 (115). Siehe auch Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (389 f.). 102
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Zunächst einmal ist festzustellen, daß dieser These ein Schluß vom rechtlichen „Nicht-Dürfen“ auf das rechtliche „Nicht-Können“ zugrunde liegt: Weil den Staaten durch das Völkerrecht untersagt sei, völkerrechtliche Verbrechen und sonstige schwere Völkerrechtsverletzungen zu begehen, könnten solche Taten keine staatlichen Handlungen, also auch keine dienstlichen Handlungen der einzelnen individuellen Täter sein. Ein solcher Schluß ist aber generell im Recht nicht möglich. Aus dem Verbotensein folgt noch nicht die Unmöglichkeit eines Tuns; dies gilt auch für das Völkerrecht. Es ist im Völkerrecht unbestritten, daß Staaten völkerrechtswidrig handeln können. Da Staaten nur durch natürliche Personen als Organe handeln können, muß es auch möglich sein, daß das einem Staat zurechenbare Handeln einzelner Personen, also dienstliches Handeln staatlicher Funktionsträger, völkerrechtswidrig ist. Umgekehrt kann damit aus der Völkerrechtswidrigkeit eines Verhaltens nicht gefolgert werden, daß dieses kein dienstliches, sondern privates Handeln des Funktionsträgers ist. Völkerrechtliche Verbrechen und sonstige schwere Menschenrechtsverletzungen, etwa staatlich veranlaßte Folterungen durch Polizei- und Militärangehörige, stets als private Handlungen der jeweiligen Täter zu klassifizieren, hieße zudem, die Essenz dieser Verbrechen zu leugnen und eine realitätsferne Beurteilung vorzunehmen.103 Diese Taten zeichnen sich gerade dadurch aus, daß es sich typischerweise um „Staatsverbrechen“, also um sogenanntes „Systemunrecht“ bzw. um „Makrokriminalität“ handelt. Es ist kaum bestreitbar, daß völkerrechtliche Verbrechen und sonstige schwere Völkerrechtsverstöße „auch und gerade im Namen und zum Schutz eines bestimmten Staates und seiner politischen Ordnung, also in Verfolgung hoheitlicher oder doch wenigstens dienstlicher Zwecke begangen werden“.104 Diese Taten erfahren ihren besonderen Unwertgehalt gerade aus der Tatsache, daß sie Staatsverbrechen sind.105 Das können sie aber nur sein, wenn man das individuelle Handeln des jeweiligen Täters als dienstliches Verhalten klassifiziert. Nach der hier diskutierten These kann es dagegen keine völkerrechtswidrigen Staatsverbrechen, kein völkerrechtswidriges Systemunrecht geben. Sobald Taten eine bestimmte Schwere erreichen, indem sie die Schwelle zum völkerrechtswidrigen Verhalten, namentlich zum völkerrechtlichen Verbrechen, überschreiten, sind sie nach dieser Auffassung allein private Taten der handelnden Person, nicht aber mehr dem Staat, für den gehandelt wurde, zurechenbares Unrecht. Die während der Militärdiktatur unter Pinochet in Chile begangenen schwersten Menschenrechtsverletzungen und der Genozid an den Juden während des Dritten Reichs sind nach dieser Auffassung lediglich als private Taten der beteiligten Personen zu bewerten. ___________ 103 So auch MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 143; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 110 („reichlich realitätsferne Vorstellung“); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 451 Fn. 410. 104 MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 136. 105 So auch Ambos, JZ 1999, 16 (23), der aber dennoch eine Einstufung solcher Taten als amtliches Handeln – wenngleich lediglich als „amtliches Handeln im Sinne des Immunitätsrechts“ – ablehnt.
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Eine „Privatisierung“ völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger schwerer Völkerrechtsverstöße stellt damit eine inakzeptable Relativierung solcher Taten dar. Gerade weil solche Taten Amtshandlungen sind, sind sie besonders verwerflich, nicht aber sind sie wegen ihrer Verwerflichkeit keine Amtshandlungen mehr. Die These, die Begehung völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger schwerer Völkerrechtsverstöße könne nicht als dienstliches Handeln bewertet werden, hat aber auch eine unhaltbare praktische Konsequenz: Die Taten könnten dann nicht dem Staat, für den gehandelt wurde, völkerrechtlich zugerechnet werden. Der hinter der Tat stehende Staat könnte dann auch nicht völkerrechtlich verantwortlich gemacht werden.106 Ein Staat, in dessen Namen und Auftrag Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord, Kriegsverbrechen oder Folterungen begangen werden, könnte sich darauf zurückziehen, die Taten seien private Handlungen der jeweiligen individuellen Täter. Entschädigungsansprüche gegen Staaten wegen solcher Taten kann es nach dieser Auffassung nicht geben.107 Die Tatsache, daß die Staaten – wie auch die oben in § 4 II.5. erwähnten Gerichtsentscheidungen zeigen – vom Bestehen solcher Ansprüche und also einer Staatenverantwortlichkeit für völkerrechtliche Verbrechen und sonstige schwere Völkerrechtsverletzungen ausgehen, macht deutlich, daß die hier diskutierte These nicht nur völkerrechtspolitisch abzulehnen ist, sondern auch mit dem geltenden Völkerrecht nicht in Übereinstimmung gebracht werden kann. ___________ 106 Vgl. allgemein zur Zurechenbarkeit des Handelns natürlicher Personen Ipsen, in: ders., Völkerrecht, § 40 Rn. 2 ff. Im Recht der Staatenverantwortlichkeit ist anerkannt, daß grundsätzlich auch ultra vires-Handlungen, also Handlungen, mit denen ein Staatsorgan die „seinem“ Staat zukommende völkerrechtliche Kompetenz überschreitet, dem Staat, für den gehandelt wurde, als Staatsakt – mit der Folge völkerrechtlicher Staatenverantwortlichkeit – zugerechnet werden können; vgl. Ipsen, a.a.O., § 40 Rn. 24 f. 107 So auch Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (255, 262); Barker, ICLQ 48 (1999), 937 (943); Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 135 f.; Hailbronner, Schutz der Luftgrenzen, S. 56 Fn. 214; Rensmann, IPRax 1999, 268 (269: „jedenfalls zweifelhaft“); Ruud, Pinochet Case, S. 38; Spinedi, EJIL 2002, 895 (898 f.); Vest, ZStrR 121 (2003), 46 (70 Fn. 77); Wirth, EJIL 13 (2002), 877 (890 f.); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 154. Diese Konsequenz erkennen auch Anhänger der hier diskutierten These an, wollen sie aber als zwangsläufig hinnehmen; vgl. Ambos, JZ 1999, 16 (23), der davon spricht, dieses Ergebnis liege „in der Logik persönlicher strafrechtlicher Verantwortlichkeit“, die es zu akzeptieren gelte. Warum sich aber eine persönliche strafrechtliche Verantwortlichkeit des Täters und eine zivilrechtliche Schadensersatzpflicht des Staates, für den gehandelt wurde, ausschließen sollen, bleibt unklar. Zu einer solchen Konsequenz kommt man nur, wenn man dem zur Beurteilung anstehenden Handeln den amtlichen Charakter abspricht, nicht aber, wenn man eine Ausnahme von der Immunität auch bei amtlichem Handeln anerkennt. Dann nämlich bleibt das Handeln auch dem Staat zurechenbar. Die Tatsache, daß Amtshandlungen dem betreffenden Staat als Staatshandlungen zugerechnet werden, bewirkt keine privative Haftungsüberleitung. Eine solche doppelte Zurechnung ist völkerrechtlich zulässig; vgl. Cassese, International Criminal Law, S. 273; Ipsen, in: ders., Völkerrecht, vor § 39 Rn. 3 sowie Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (389 f.).
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Die Problematik der „Privatisierungslösung“ wird in besonderer Weise in bezug auf die UN-Folterkonvention108 offenbar. Diese verpflichtet die Vertragsstaaten, Folterhandlungen zu pönalisieren und Beschuldigte, die sich im eigenen Hoheitsgebiet aufhalten, entweder – nach dem Weltrechtsprinzip – selbst zu bestrafen oder aber an einen anderen strafverfolgungswilligen Staat auszuliefern.109 Als Folterhandlungen im Sinne der Konvention gelten aber nach Art. 1 Abs. 1 UN-Folterkonvention ausschließlich Taten, die von einer in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren Einverständnis begangen werden.110 Die Tatbegehung in dienstlicher Eigenschaft ist also gerade konstitutives Merkmal einer international geächteten und einer Bestrafungspflicht unterworfenen Folterung. Würde man der hier betrachteten These von einer generellen Einstufung schwerer Menschenrechtsverletzungen als Privathandlungen folgen, liefe die UN-Folterkonvention leer. Für Handlungen im Sinne der Folterkonvention könnten sich die Täter umgekehrt betrachtet auf die Staatenimmunität berufen, da diese nach der hier untersuchten These nur bei privaten Taten nicht gilt.111 Allerdings bieten die Verfechter der „Privatisierungslösung“ einen Ausweg aus diesem Dilemma an, der zugleich die Konsequenz der fehlenden staatlichen Zurechenbarkeit und damit fehlenden Staatenverantwortlichkeit vermeidet: In bezug auf die Charakterisierung von Folterhandlungen (bzw. sonstigen Menschenrechtsverletzungen) durch staatliche Funktionsträger als Straftaten im Sinne der UNFolterkonvention (bzw. als völkerrechtliche Verbrechen) müsse einer natürlichen Betrachtungsweise gefolgt werden und müßten solche Taten als in amtlicher Funktion begangen klassifiziert werden. Lediglich in immunitätsrechtlicher Hinsicht seien solche Taten als Privathandlungen einzustufen.112 Eine relative, zwischen verschiedenen Rechtskomplexen differenzierende Begriffsbestimmung ist zwar nicht per se unzulässig, aber diese Differenzierung ist doch an Spitzfindigkeit und Realitätsferne kaum zu übertreffen.113 Dieser Ansatz läuft darauf hinaus, ein ___________ 108 Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984; BGBl. 1990 II, S. 246. Internationale Quelle: UNTS 1465, 85 = ILM 23 (1984), 1027. 109 Vgl. hierzu ausführlich unten § 6 I.3. 110 In Art. 1 Abs. 1 UN-Folterkonvention heißt es: „Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck ‚Folter’ jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden (…), wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden.“ 111 So auch Ruud, Pinochet Case, S. 39; Wirth, EJIL 13 (2002), 877 (890 f.). 112 Siehe etwa Ambos, JZ 1999, 16 (23); Bank, ZaöRV 59 (1999), 677 (693); Kreß, GA 2003, 25 (36 f.: „Der Grundsatz der Relativität von Rechtsbegriffen gehört zum Kanon der rechtswissenschaftlichen Methodenlehre.“). Ähnlich auch Häußler, in: Hasse u.a. (Hrsg.), Menschenrechte, S. 562 (578). 113 Ganz zu Recht spricht Ambos, JZ 1999, 16 (23) in bezug auf die von ihm selbst unterstützte These von „Haarspalterei“.
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rechtspolitisch unerwünschtes Ergebnis – die Geltung völkerrechtlicher Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen und sonstigen schweren Menschenrechtsverletzungen – zu vermeiden durch eine überaus artifizielle und sektoral begrenzte Neubestimmung des Inhalts des Begriffs des amtlichen Handelns, die mit dem natürlichen Wortsinn nicht mehr vereinbar ist und sich damit jenseits der anerkannten Auslegungsgrenzen bewegt. Letztlich wird ein (vermeintliches) Strafverfolgungshindernis ohne Rücksicht auf das „normale“ Begriffsverständnis schlicht wegdefiniert. Ein solcher Lösungsweg ist aber nicht überzeugend.114 Nicht zuletzt ist die These, die Begehung völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger schwerer Völkerrechtsverstöße dürfe generell nicht als dienstliches Handeln bewertet werden, aber auch deshalb abzulehnen, weil sie zur Begründung des angestrebten Ergebnisses – keine Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen und sonstigen schweren Menschenrechtsverletzungen – trotz der erwähnten Feststellungen des IGH gar nicht erforderlich ist. Wie unten in § 6 gezeigt wird, erfährt die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit – anders als in ihrer Ausprägung als Schranke für die Durchsetzbarkeit zivilrechtlicher Ansprüche – nämlich bei völkerrechtlichen Verbrechen eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte und durch eine Vielzahl von Judikaten bestätigte Ausnahme. Und auch die Nichtgeltung der Staatenimmunität für sonstige schwere Menschenrechtsverletzungen läßt sich – wie zu zeigen sein wird – ohne eine „Privatisierung“ der Taten begründen.115 Insofern darf das erwähnte obiter dictum des IGH – will man nicht die Völkerrechtswidrigkeit der Feststellungen des IGH behaupten116 – nicht als abschließende Auflistung der Fälle angesehen werden, in denen eine Strafverfolgung von ehemaligen hochrangigen staatlichen Funktionsträgern (denen nach Beendigung ihres Amts lediglich Staatenimmunität zukommt) statthaft ist.117 Als Fazit ist somit festzuhalten, daß auch völkerrechtliche Verbrechen und sonstige schwere Völkerrechtsverstöße, namentlich Menschenrechtsverletzungen und geheimdienstliche Gewaltakte, sofern sie – wie dies in aller Regel der Fall ist – im Auftrag eines Staates bzw. im Rahmen eines staatlichen Dienstverhältnisses begangen werden, dem betreffenden Staat zurechenbare dienstliche Handlungen im Sinne der Staatenimmunität sind.118 ___________ So auch Ruud, Pinochet Case, S. 39; Wirth, EJIL 13 (2002), 877 (891 Fn. 92). Vgl. diesbezüglich auch Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (389 f.). 116 So aber Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (866 ff.); ders., JICJ 1 (2003), 437 (445 ff.); Gaeta, JICJ 1 (2003), 186 (189 ff.); Wirth, EJIL 13 (2002), 877 (888 ff.). 117 Vgl. Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 358 Fn. 1557 sowie ausführlich zur „richtigen“ Einordnung des obiter dictums des IGH unten § 17 I.2.b)cc). 118 So auch die belgische Ad-hoc-Richterin Van den Wyngaert in ihrem abweichenden Sondervotum zum Urteil des IGH im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien 114 115
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2. Beschränkung der Staatenimmunität auf hoheitliche Handlungen a) Die Staatenimmunität als Immunität ratione materiae für acta iure imperii In bezug auf die Bedeutung der Staatenimmunität für das Zivilrecht wurde oben in § 4 II.2. dargelegt, daß die Staatenimmunität, seitdem die Staaten in großem Ausmaß kommerzielle Aktivitäten entfalten und wie Private wirtschaftlich tätig sind, nur noch für acta iure imperii, also für hoheitliche staatliche Tätigkeit, nicht mehr jedoch für acta iure gestionis, also für nichthoheitliches Handeln wie eine private Person, gewährt wird. Es wurde ferner festgestellt, daß diese völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Einschränkung der Staatenimmunität nicht nur bei Verfahren gegen fremde Staaten als solche gilt, sondern auch die Staatenimmunität der natürlichen Personen, die als Organe eines Staates tätig werden, mittlerweile auf acta iure imperii begrenzt ist. Einzelpersonen genießen also heutzutage lediglich Staatenimmunität für hoheitlich-dienstliche Handlungen, nicht aber für nichthoheitlich-dienstliche Handlungen.119 ___________ (siehe oben Anm. 43), para. 36; Lord Slynn of Hadley (HRLJ 1998, 419 [423]: “clearly international law does not recognise that it is one of the specific functions of a Head of State to commit torture or genocide. But the fact that in carrying out other functions, a Head of State commits an illegal act does not mean that he is no longer to be regarded as carrying out one of his functions”.) und Lord Lloyd of Berwick (HRLJ 1998, 419 [432]: “Where a person is accused of organising the commission of crimes as the head of the government […] and carrying out those crimes through the agency of the police and secret service, the inevitable conclusion must be that he was acting in a sovereign capacity and not in a personal or private capacity.”) im ersten Pinochet-Urteil des House of Lords vom 25.11.1998; Lord Hope of Craighaed in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 78 (85 f.): “It may be said that it is not one of the functions of a head of state to commit acts which are criminal according to the laws and constitution of his own state or which customary international law regards as criminal. But I consider that this approach to the question is unsound in principle. The principle of immunity ratione materiae protects all acts which the head of state has performed in the exercise of the functions of government.”; zudem in ihren Voten zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999 Lord Goff of Chieveley, HRLJ 1999, 69 (74), Lord Saville of Newdigate, HRLJ 1999, 96 (96 f.), Lord Millett, HRLJ 1999, 97 (101) und Lord Phillips of Worth Matravers, HRLJ 1999, 102 (107); ferner MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 136; Barker, ICLQ 48 (1999), 937 (943); Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (254 f., 262); Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (868 ff.); ders., JICJ 1 (2003), 437 (444 f.); Dahm, Problematik des Völkerstrafrechts, S. 41 f.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1019 Fn. 113; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (214); Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (393 f. Fn. 118); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578); Fox, ICLQ 48 (1999), 687 (696); Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 358 f. mit Fn. 1555 und Fn. 1557; Rensmann, IPRax 1999, 268 (269); Ruud, Pinochet Case, S. 37 ff.; Spinedi, EJIL 2002, 895 (897 ff.); Vest, ZStrR 121 (2003), 46 (70 Fn. 77); Weiß, JZ 2002, 696 (702); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (432); ders., EJIL 13 (2002), 877 (890 f.). 119 Vgl. BGH NJW 1979, 1101 (1102); BVerwG NJW 1989, 678 (679); MK-StGBAmbos, § 3 Rn. 106, 131; Bassiouni, Introduction to International Criminal Law, S. 72; Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (252, 257); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 25 Rn. 38; Fastenrath, FAZ vom 23.11.1996, S. 2; ders., in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch
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Diese Beschränkung der Staatenimmunität staatlicher Funktionsträger auf hoheitlich-dienstliche Handlungen gilt nicht nur bei einer zivilrechtlichen, sondern in gleicher Weise auch bei einer strafrechtlichen Inanspruchnahme. Die Staatenimmunität verbietet eine Ausübung von Strafgerichtsbarkeit also nur dann, aber grundsätzlich auch immer dann, wenn es sich bei der einer Person vorgeworfenen Tat um eine hoheitlich-dienstliche Handlung für einen fremden Staat handelt.120 Die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit ist damit eine „Immunität ratione materiae für acta iure imperii“. Hinzuweisen ist aber bereits an dieser Stelle darauf, daß die Beschränkung auf acta iure imperii lediglich für die Staatenimmunität, nicht aber auch für andere Immunitäten ratione materiae, etwa solche des Diplomaten- und Konsularrechts, gilt.121 Wie schon oben in § 1 IV.2.c)cc) ausgeführt wurde, sind die verschiedenen völkerrechtlichen Exemtionen voneinander unabhängig und handelt es sich bei der Bezeichnung „Immunität ratione materiae“ nur um eine Sammelbezeichnung für unterschiedliche Exemtionen, die nicht mehr vereint, als daß sie auf bestimmte dienstliche Handlungen bezogen sind. Daher kann von Beschränkungen einer Immunität ratione materiae nicht auf ebensolche bei einer anderen Immunität ratione materiae geschlossen werden. b) Abgrenzung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis in bezug auf die strafrechtliche Wirkung der Staatenimmunität Die Abgrenzung von der Staatenimmunität erfaßter hoheitlich-dienstlicher Handlungen (acta iure imperii) zu nicht erfaßten nichthoheitlich-dienstlichen Handlungen (acta iure gestionis) ist in bezug auf die Strafgerichtsbarkeit genauso vorzunehmen wie die Abgrenzung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis bei zivilrechtlichen Streitigkeiten.122 In Deutschland ist demgemäß wie auch in den meisten anderen Staaten am Maßstab des nationalen deutschen Rechts nach der ___________ UNO, S. 369 (387 f.); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 3; SeidlHohenveldern, in: Conrad (Hrsg.), GedS Peters, S. 915 (922). A.A. aber Bröhmer, LJIL 12 (1999), 361 (368); Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (869 Fn. 42). 120 Vgl. MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 106, 131; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 106; Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (252, 257, 262); Fastenrath, FAZ vom 23.11.1996, S. 2; ders., in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (387 f.); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 3; Seidl-Hohenveldern, in: Conrad (Hrsg.), GedS Peters, S. 915 (922); Simma/Volk, NJW 1991, 871 (873). A.A. Bröhmer, LJIL 12 (1999), 361 (368); Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (869 Fn. 42). 121 Vgl. BVerfGE 96, 68 (85) = NJW 1998, 50 (53); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 104 ff. Siehe ausführlich zur Abgrenzung der Staatenimmunität von den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts unten § 13 V.2. 122 Vgl. diesbezüglich oben § 4 II.2.b). Auch in bezug auf das Strafrecht ist die Abgrenzung nach dem Recht des Forumstaates vorzunehmen; vgl. MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 131; Dahm, FS Nikisch, S. 153 (169).
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Natur der strafrechtlich relevanten Handlung oder Unterlassung zu differenzieren.123 Wenn der Täter bei seiner für einen anderen Staat – also dienstlich – vorgenommenen Handlung von spezifisch öffentlich-rechtlichen Handlungsformen und Eingriffsbefugnissen Gebrauch gemacht hat, ist die Tat als eine hoheitlich-dienstliche Handlung zu bewerten. Wenn er dagegen wie eine Privatperson gehandelt hat, namentlich sich bei seinem Handeln der rechtlichen Instrumente des Privatrechts bedient hat, liegt eine nichthoheitlich-dienstliche Handlung vor. Die Abgrenzung zwischen hoheitlich-dienstlichen Handlungen und nichthoheitlich-dienstlichen Handlungen ist damit in Deutschland identisch mit der verwaltungsrechtlichen Abgrenzung zwischen öffentlich-rechtlichem und (verwaltungs-) privatrechtlichem Handeln.124 Insofern ist die hier erörterte Abgrenzung bei der Staatenimmunität nach den Kriterien vorzunehmen, die im Verwaltungsrecht für die Abgrenzung von öffentlich-rechtlichem zu privatrechtlichem Handeln entwickelt wurden.125 Recht unproblematisch ist danach die Abgrenzung bei Rechtsakten, also Handlungen, die unmittelbar auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet sind. Hier kommt es darauf an, ob die Rechtsnormen, von denen Gebrauch gemacht wird, dem öffentlichen Recht oder dem Privatrecht angehören. Wenn eine strafbare dienstliche Handlung im Rahmen des Abschlusses oder der Abwicklung eines zivilrechtlichen Vertrags vorgenommen wird, ist die Tat als nichthoheitlich-dienstliche Handlung zu bewerten. Wenn beispielsweise ein Bediensteter eines fremden Staates für seinen Staat mit einem deutschen Automobilhersteller einen Vertrag über den Kauf von Kraftfahrzeugen abschließt, wenn er in Deutschland für seinen Staat ein Gebäude anmietet oder mit einem in Deutschland ansässigen Bauunternehmen einen Werkvertrag über den Bau einer Brücke in seinem Staat schließt, dann handelt er nichthoheitlich-dienstlich, die Handlungen sind acta iure gestionis. Sollte er in diesem Zusammenhang eine Straftat begehen, etwa einen Betrug, indem er über die Zahlungsfähigkeit seines Staates täuscht, so kann er für diese Straftaten in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden, die Staatenimmunität steht dem nicht entgegen. Wenn ein Staatsbediensteter dagegen von öffentlich-rechtlichen Befugnisnormen Gebrauch macht, insbesondere von solchen des Polizei- und Militärrechts, liegt eine öffentlich-rechtliche und mithin hoheitlich-dienstliche Handlung vor, für die dem handelnden Funktionsträger grundsätzlich Staatenimmunität zukommt. Wenn beispielsweise Polizeibeamte eine Person verhaften und in Gewahrsam nehmen, wenn sie eine Demonstration gewaltsam auflösen und dabei Teilnehmer der Ver___________ So auch MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 131. Vgl. Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 105 ff. 125 Vgl. hierzu Ehlers, in: Schoch u.a. (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, § 40 Rn. 203 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 14 ff. 123 124
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sammlung verletzen oder aber einer angetrunkenen Person ein Kraftfahrzeug wegnehmen, das beim Transport zur Polizeiwache beschädigt wird, so handeln sie öffentlich-rechtlich (durch Erlaß einer Polizeiverfügung) und mithin hoheitlichdienstlich. Sie genießen also für ihre Handlungen den Schutz der Staatenimmunität, so daß sie von einem fremden Staat nicht wegen Freiheitsberaubung, Körperverletzung oder Sachbeschädigung strafrechtlich belangt werden dürfen. Schwieriger ist die Abgrenzung bei Realakten, also rein tatsächlichen Handlungen. Hier ist eine kasuistische Gesamtbewertung unter maßgeblicher Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs und der objektiven Zielsetzung einer Handlung vorzunehmen,126 wobei aber vielfach eine gefestigte Rechtsprechung die Zuordnung erleichtert. In der Regel wird man dienstliches Realhandeln von Angehörigen der Polizei, Militär und Justiz als hoheitlich-dienstliches Handeln zu klassifizieren haben.127 So sind etwa dienstliche Handlungen von Staatsbediensteten, namentlich von Polizeibeamten, Soldaten und Mitarbeitern von Geheimdiensten, die darauf abzielen, die körperliche oder psychische Unversehrtheit oder die Freiheit einer Person zu beeinträchtigen, etwa Folterungen, Tötungen, geheimdienstliche Attentate und Taten, die völkerrechtliche Verbrechen darstellen, als hoheitlichdienstliche Handlungen zu bewerten. Ebenso sind Spionagehandlungen als hoheitlich-dienstliche Handlungen zu klassifizieren. Angemerkt sei an dieser Stelle nur, daß ebenso wie es unstatthaft ist, völkerrechtliche Verbrechen und sonstige schwere Menschenrechtsverletzungen generell als private Handlungen zu klassifizieren,128 es auch nicht zulässig ist, solche Taten mit dem Argument, auch Privatpersonen könnten solche Delikte begehen, pauschal als acta iure gestionis einzustufen und so dem Immunitätsschutz zu entziehen.129 Denn auch wenn Tötungen, Körperverletzungen und sonstige Taten ebenfalls von Privatpersonen verübt werden können, es sich also nicht um echte Amtsdelikte handelt, so macht doch ein Staat, wenn er solche Taten im Rahmen polizeilicher oder militärischer Aktionen begehen läßt, von seinem spezifisch hoheitlichen Handlungsinstrumentarium Gebrauch. Insofern ist darauf abzustellen, daß nur der Staat, nicht aber eine Privatperson solche Taten unter Verwendung militärischer oder polizeilicher Mittel verüben kann. Völkerrechtliche Verbrechen und sonstige schwere Menschenrechtsverletzungen im Rahmen von militärischen oder polizeilichen Aktionen sind daher – sofern die Tat nicht aus rein privater Motivation des ___________ Vgl. Ehlers, in: Schoch u.a. (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, § 40 Rn. 392 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 22; Rennert, in: Eyermann u.a., Verwaltungsgerichtsordnung, § 40 Rn. 81. 127 Vgl. BGH NJW 1979, 1101 (1101 f.); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 131; Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (262); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 4; MKZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 12. 128 Vgl. oben § 4 III.1.c). 129 So aber Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (237 ff.). 126
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Täters heraus begangen wird, sondern der Erreichung eines Ziels des hinter dem Täter stehenden Staates dienen soll – hoheitlich-dienstliche Handlungen. 130 Schwierig ist vor allem die Einstufung von Straßenverkehrsdelikten und sonstigen Taten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr, etwa die fahrlässige Tötung eines anderen Verkehrsteilnehmers. Denn nach wie vor ist in Deutschland umstritten, ob eine aus dienstlichen Gründen durchgeführte Autofahrt als öffentlichrechtlich oder privatrechtlich einzustufen ist.131 Richtigerweise wird man die Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr im Rahmen einer Dienstfahrt grundsätzlich dem Privatrecht zuzuordnen haben, sie also grundsätzlich als nichthoheitlichdienstliche Handlung klassifizieren müssen.132 Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die im Rahmen einer Dienstfahrt verübt werden, sind daher von der Staatenimmunität in der Regel nicht erfaßt. Als öffentlich-rechtlich und damit als hoheitlich-dienstliche Handlung kann man nur eine dienstliche Autofahrt einstufen, bei der von besonderen öffentlich-rechtlichen Befugnisnormen wie § 35 StVO Gebrauch gemacht wird.133 Die Verfolgung eines Straftäters mit einem Polizeifahrzeug und die Einsatzfahrt mit einem Feuerwehrfahrzeug unter Verwendung von Blaulicht und Martinshorn sind damit hoheitlich-dienstliche Handlungen, so daß Delikte, die im Rahmen einer solchen Fahrt begangen werden, der Staatenimmunität unterfallen. Wenn also beispielsweise ein Beamter einer deutschen Kommune auf der Fahrt zu einer Besprechung über eine Baumaßnahme der Gemeinde durch Unachtsamkeit einen Unfall verursacht, bei dem ein niederländischer Autofahrer getötet wird, so ___________ Wie hier BGH NJW 1979, 1101 (1101 f.) („Nach deutschem öffentlichen Recht gehört aber die Ausübung polizeilicher Gewalt unzweifelhaft zur hoheitlichen Tätigkeit des Staates; […]“); BGH NJW 2003, 3488 (3489); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 131; Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (262); Cremer, AVR 41 (2003), 137 (157); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 4; Thomas/Small, NILR 2003, 1 (21 ff.) (allerdings nur “reluctantly dismissing the argument”). Auch in den oben in § 4 II.5.b)ee) erwähnten Gerichtsentscheidungen, in denen es um völkerrechtliche Verbrechen bzw. Folterungen durch Militär- und Polizeieinheiten ging, ist eine Ausnahme von der Staatenimmunität wegen nichthoheitlichen Handelns entweder verworfen oder gar nicht erst diskutiert worden (in diesem Zusammenhang ist allerdings zu beachten, daß die in den State Immunity Acts festgelegte “commercial activity exception” nicht vollkommen deckungsgleich ist mit der völkergewohnheitsrechtlichen Ausnahme von der Staatenimmunität bei acta iure gestionis). 131 Vgl. Ehlers, in: Schoch u.a. (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, § 40 Rn. 407 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 22. 132 So auch Ehlers, in: Schoch u.a. (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, § 40 Rn. 410; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 22. Explizit für eine Einstufung des Betriebs von Kraftfahrzeugen als acta iure gestionis Damian, Staatenimmunität, S. 114; Geimer, Zivilprozeßrecht, Rn. 586; Ress, in: De Salvia/Villiger (Hrsg.), The Birth of European Human Rights Law, S. 175 (182); von Schönfeld, Staatenimmunität S. 97. A.A. aber offenbar Geiger, NJW 1987, 1124 (1126). 133 So auch Ehlers, in: Schoch u.a. (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, § 40 Rn. 410; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 22. 130
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steht einer Strafverfolgung des Beamten wegen fahrlässiger Tötung in den Niederlanden die Staatenimmunität nicht entgegen. Wenn dagegen ein Feuerwehrmann (auch ein freiwilliger!) bei einer Einsatzfahrt mit seinem Feuerwehrfahrzeug aufgrund überhöhter Geschwindigkeit einen Unfall verursacht, bei dem ein Niederländer getötet wird, dann ist die fahrlässige Tötung als hoheitlich-dienstliche Handlung zu qualifizieren, so daß der Feuerwehrmann von den Niederlanden aufgrund der Staatenimmunität nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden darf. 3. Keine Ausnahme bei deliktischem Handeln Wie oben in § 4 II.4. dargelegt wurde, enthalten die nationalen State Immunity Acts ebenso wie das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität jeweils eine Klausel dahingehend, daß die Staatenimmunität keine Schranke für eine auf Zahlung von Schadensersatz gerichtete zivilrechtliche Klage gegen einen fremden Staat darstellt, wenn Gegenstand der Klage ein dem beklagten Staat zurechenbares deliktische Verhalten im Hoheitsgebiet des Forumstaates ist. Es wurde darauf hingewiesen, daß vieles dafür spricht, daß diese torts exception jedenfalls im Grundsatz völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung erfahren hat, wenngleich der BGH im Distomo-Fall134 und der EGMR in seinem Urteil zum Fall McElhinney ./. Ireland,135 in dem es um deliktisches Verhalten eines britischen Soldaten in der Republik Irland ging, eine völkergewohnheitsrechtliche Geltung der torts exception abgelehnt haben. Es ist daher – wie bereits angekündigt – nun die Frage zu beantworten, ob diese torts exception auch für das Strafrecht gilt, schließlich wird in der Literatur betont, die Staatenimmunität gelte im Strafrecht grundsätzlich im gleichen Umfang wie im Zivilrecht.136 Doch zeigt sich bei der Betrachtung der torts exception einmal mehr, daß ein solcher Gleichlauf der Staatenimmunität im Zivilrecht und im Strafrecht nicht besteht.137 Die Ausnahmen, die die Staatenimmunität in bezug auf zivilrechtliche Klagen erfährt, und die Ausnahmen im Hinblick auf ihre Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit weichen vielmehr ganz überwiegend deutlich voneinander ab, lediglich die Beschränkung der Staatenimmunität auf acta iure imperii gilt für das Strafrecht in gleicher Weise wie für das Zivilrecht. Ansonsten haben sich – wie oben in § 4 II.5. im Zusammenhang mit der Erörterung der Frage, ob die Staatenimmunität zivilrechtlichen Schadensersatzklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen entgegensteht, bereits angedeutet wurde – ___________ BGH NJW 2003, 3488. EGMR, Urteil vom 21.11.2001, Beschwerde Nr. 31253/97 (John McElhinney ./. Ireland), Reports of Judgments and Decisions 2001-XI, 37 = HRLJ 23 (2002), 57 = EuGRZ 2002, 415 (dt. Übers.). Internetquelle: (31.3.2006). 136 Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (252). Ihm folgend Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (579 Fn. 59). Ferner Dörr, AVR 41 (2003), 201 (204). 137 So auch Scheffler, Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts, S. 103. 134 135
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die Ausnahmen im Bereich des Strafrechts und die im Bereich des Zivilrechts eigenständig und unabhängig voneinander herausgebildet. Hinsichtlich der Ausnahmen von der Staatenimmunität ist somit ein Schluß von der Reichweite der Staatenimmunität bei zivilrechtlichen Klagen auf ihre Reichweite in bezug auf die Strafgerichtsbarkeit und umgekehrt nicht statthaft.138 Zu Recht wird in der Literatur in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die Einschränkung der Souveränität eines fremden Staates durch den Ausschluß der Staatenimmunität qualitativ eine andere sei, wenn es um eine gegen den Staat gerichtete Geldforderung gehe, als wenn es um die strafrechtliche Verurteilung seiner Funktionsträger gehe.139 Was nun die Geltung der torts exception im Bereich des Strafrechts anbelangt, so ist zunächst einmal daran zu erinnern, daß die nationalen State Immunity Acts und das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität ausschließlich für zivilrechtliche Verfahren gelten,140 so daß deren Regelungen zur torts exception nicht für Strafverfahren nutzbar gemacht werden können. Es kommt somit allein darauf an, ob die torts exception speziell für den Bereich des Strafrechts völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung erfahren hat. Betrachtet man aber die Staatenpraxis zur strafrechtlichen Bedeutung der Staatenimmunität, insbesondere die in jüngerer Zeit ergangenen Gerichtsentscheidungen, so ist kein Fall erkennbar, in der die Staatenimmunität mit der Begründung verneint wurde, die strafrechtlich relevante Handlung habe deliktischen Charakter. Auch in der Literatur wird – soweit ersichtlich – eine Nichtgeltung der Staatenimmunität als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit bei deliktischem Handeln im Gerichtsstaat nicht behauptet. Die torts exception ist somit für das Strafrecht irrelevant; eine völkergewohnheitsrechtliche Regel dahingehend, daß bei deliktischem Handeln im Gerichtsstaat die Staatenimmunität kein Strafverfolgungshindernis begründet, kann nicht festgestellt werden. Die Konsequenzen, die sich aus einer Ablehnung der Geltung der torts exception für den Bereich des Strafrechts ergeben, sind allerdings im Ergebnis gering. Denn die typischen Fälle deliktischen hoheitlich-dienstlichen Handelns staatlicher Funktionsträger im Gebiet eines fremden Staates betreffen Spionagetaten und geheimdienstliche Gewaltakte – bei solchen Aktivitäten aber erfährt die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit – wie unten in § 7 gezeigt wird – eine tatbezogene Ausnahme. ___________ Ebenso (implizit) EGMR, Urteil vom 21.11.2001, Beschwerde Nr. 35763/97 (AlAdsani ./. United Kingdom); Reports of Judgments and Decisions 2001-XI, 79 = HRLJ 23 (2002), 39 = EuGRZ 2002, 403 (dt. Übers.), para. 61, 65. Internetquelle: (31.3.2006) sowie in ihren Voten zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999 Lord Hutton, HRLJ 1999, 89 (90 f., 95), Lord Millett, HRLJ 1999, 97 (102) und Lord Phillips of Worth Matravers, HRLJ 1999, 102 (103). 139 Ress, in: De Salvia/Villiger (Hrsg.), The Birth of European Human Rights Law, S. 175 (194). 140 Vgl. oben § 5 I. 138
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Während es sich bei solchen Taten um generell verbotene Aktivitäten in fremdem Hoheitsgebiet handelt, sind Fälle, in denen deliktische Handlungen im Rahmen einer erlaubten hoheitlich-dienstlichen Tätigkeit im Gebiet eines fremden Staates vorgenommen werden, schon deshalb überaus selten, weil es den Staaten von Völkerrechts wegen verboten ist, Hoheitsakte in fremdem Staatsgebiet ohne ausdrückliche Gestattung des betreffenden Staates vorzunehmen.141 Eine solche Gestattung wird aber nur selten erteilt; selbst im Rahmen des engen Verbunds der Staaten der Europäischen Union ist eine Ausübung von staatlicher Hoheitsgewalt im Gebiet eines anderen Staates nur ausnahmsweise gestattet. Praktisch bedeutsam für den vorliegenden Zusammenhang kann wohl lediglich der Bereich der zwischenstaatlichen polizeilichen Zusammenarbeit nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ)142 sein. Nach Art. 40 f. SDÜ ist es den Polizeibeamten der Schengen-Staaten in besonderen Fällen gestattet, hoheitliche polizeiliche Aktivitäten auch im Gebiet eines anderen Vertragsstaates auszuüben. So darf im Rahmen einer sogenannten polizeilichen Nacheile die Verfolgung einer Person auch über die Grenze hinweg fortgesetzt werden.143 Dabei kann die Staatenimmunität Relevanz erlangen. Wenn – um ein fiktives Beispiel zu bilden – ein französischer Polizeibeamter im Rahmen einer polizeilichen Nacheile gemäß Art. 41 SDÜ einen flüchtigen Straftäter über die französisch-deutsche Grenze hinweg mit seinem Polizeifahrzeug verfolgt und in Deutschland bei der Verfolgung mit einem unbeteiligten deutschen Autofahrer kollidiert, der bei dem Unfall schwere Verletzungen erleidet, so stellt sich die Frage, inwieweit die Staatenimmunität einer Inanspruchnahme des Beamten und Frankreichs entgegensteht. Schon wegen der torts exception kann der Verletzte vor deutschen Gerichten eine zivilrechtliche Klage auf Zahlung von Schadensersatz gegen den französischen Staat sowie den Polizeibeamten selbst erheben. Da die torts exception aber im Strafrecht nicht gilt, müßte eigentlich ein Strafverfahren gegen den französischen Polizeibeamten wegen fahrlässiger Körperverletzung in Deutschland aufgrund des hoheitlich-dienstlichen Charakters seiner Tat unzulässig sein. Doch legt Art. 42 SDÜ fest, daß die Polizeibeamten, die eine solche grenzüberschreitende Nacheile vornehmen, im Gebiet des anderen Staates in strafrechtlicher Hinsicht den Beamten dieses Staates gleichgestellt sind.144 Da ein Staat über seine eigenen Beamten ohne Rücksicht auf die Staatenimmunität Strafgerichtsbarkeit ausüben darf, ist Art. 42 SDÜ als vertraglicher ___________ Vgl. nur Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 69. Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 19.6.1990, BGBl. 1993 II, S. 1013. 143 Vgl. Gleß/Lüke, Jura 1998, 70 (73 f.); Würtenberger/Heckmann, Polizeirecht, Rn. 51. 144 Art. 42 SDÜ lautet: „Während eines Einschreitens nach Maßgabe der Artikel 40 und 41 werden die Beamten, die im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei eine Aufgabe erfüllen, den Beamten dieser Vertragspartei in bezug auf die Straftaten, denen diese Beamten zum Opfer fallen oder die sie begehen würden, gleichgestellt.“ 141 142
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Verzicht auf die Staatenimmunität zu verstehen.145 Art. 42 SDÜ legt mithin fest, daß die Staatenimmunität einer Strafverfolgung von Polizeibeamten, die im Rahmen einer Tätigkeit nach Art. 40 f. SDÜ im Gebiet eines anderen Staates eine Straftat begehen, durch den Tatortstaat nicht entgegensteht.
IV. Räumliche Reichweite der Staatenimmunität 1. Die erga omnes-Wirkung der Staatenimmunität Die Staaten haben den Funktionsträgern anderer Staaten Staatenimmunität grundsätzlich unabhängig davon zu gewähren, wo die nach ihrem Recht strafbare Tat, die als hoheitlich-dienstliche Handlung für einen anderen Staat einzustufen ist, begangen wurde. Es spielt für die Pflicht zur Gewährung der Staatenimmunität prinzipiell keine Rolle, ob eine Tat im Hoheitsgebiet des Staates, dem sie als Staatshandeln zuzurechen ist, begangen wurde, ob sie im Hoheitsgebiet des strafverfolgungswilligen Staates verübt wurde oder das Hoheitsgebiet eines Drittstaates Tatort ist. Wenn eine Tat als hoheitlich-dienstliche Handlung für einen Staat zu bewerten ist und nicht eine der noch zu erörternden Fallgruppen vorliegt, bei denen die Staatenimmunität ausnahmsweise nicht gilt, ist jeder Staat zur Gewährung von Staatenimmunität verpflichtet. Da die Staatenimmunität ein Rechtssatz des universellen Völkergewohnheitsrechts ist, ist kein Staat von der Verpflichtung zur Gewährung von Staatenimmunität entbunden. Die Staatenimmunität wirkt also erga omnes.146 Nur der Staat, dem die betreffende hoheitlich-dienstliche Handlung als Staatshandlung zuzurechnen ist, ist an einer strafrechtlichen Ahndung dieser Tat nicht gehindert. Es spielt auch keine Rolle, ob der strafverfolgungswillige Staat den Staat, für den die betreffende hoheitlich-dienstliche Handlung vorgenommen wurde, als Staat völkerrechtlich anerkannt hat. Denn Staatsqualität und damit Anspruch jedem anderen Staat gegenüber auf Achtung seiner Souveränität und der ihm zukommenden Staatenimmunität hat jedes Gebilde, das die drei nach Völkerrecht konstitutiven Merkmale eines Staates aufweist: Vorliegen eines Staatsgebiets, Existenz eines Staatsvolks und Bestehen einer effektiven Staatsgewalt. Eine Anerkennung hat für ___________ Siehe generell zur Möglichkeit eines Verzichts auf die Staatenimmunität unten § 5 VI. BVerfGE 96, 68 (91) = NJW 1998, 50 (54); Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (863); ders., International Criminal Law, S. 266; ders., International Law, S. 116; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (74 ff.) (allerdings vermag die Gleichsetzung zwischen diplomatischer Immunität ratione materiae und Staatenimmunität, die Doehring/Ress propagieren, nicht zu überzeugen; siehe hierzu unten § 13 V.2.c)); Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (975 f.). A.A. Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 223 ff., 304. 145 146
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die Staatseigenschaft als solche keine Bedeutung; sie ist völkerrechtlich gesehen rein deklaratorisch.147 Die erga omnes-Wirkung unterscheidet die Staatenimmunität grundlegend von anderen völkerrechtlichen Exemtionen, auch von anderen Immunitäten ratione materiae. Diese verpflichten nämlich entweder – wie im Fall der diplomatischen und konsularischen Exemtionen oder der Exemtionen von Sonderbotschaftern – lediglich den jeweiligen Empfangsstaat, in dem und mit dessen Einverständnis die Funktionsträger tätig sind,148 oder aber – wie im Fall der Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen – nur diejenigen Staaten, die Vertragsstaaten des Abkommens sind, in dem die Exemtionen normiert sind.149 Der Grund für die erga omnes-Wirkung der Staatenimmunität liegt darin, daß die Staatenimmunität nicht wie die Immunitäten ratione personae, etwa die Immunität von Diplomaten nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD, dazu dient, einer Person die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit im Gebiet eines oder mehrerer Staaten zu ermöglichen – in einem solchen Fall ist lediglich eine Geltung der Exemtion im Gebiet der Staaten, in denen die geschützte Person tätig werden soll, zu legitimieren. Bei der Staatenimmunität geht es vielmehr um den Schutz der Souveränität des Staates, für den gehandelt wurde. Eine Strafverfolgung wegen einer hoheitlichdienstlichen Handlung für einen fremden Staat ist unzulässig, weil man mit der Durchführung eines solchen Strafverfahrens indirekt Hoheitsgewalt über den fremden Staat ausüben würde und damit gegen den Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten verstieße. Ein solcher Eingriff in fremdstaatliche Souveränitätsrechte ist aber unabhängig davon, welcher Staat eine Strafverfolgung durchführt. In gleicher Weise wie der Tatortstaat würde auch jeder andere Staat bei der strafrechtlichen Inanspruchnahme einer Person wegen einer hoheitlich-dienstlichen Handlung für einen anderen Staat über diesen anderen Staat „zu Gericht sitzen“ und damit dessen Souveränitätsrechte beeinträchtigen. 2. Keine Ausnahme für im Hoheitsgebiet des strafverfolgungswilligen Staates begangene Taten In der Literatur wird allerdings vereinzelt die Auffassung vertreten, die Staatenimmunität gelte generell nicht für Taten, die im Hoheitsgebiet des strafverfol___________ Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 942 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 8 Rn. 11; Hobe/ Kimminich, Völkerrecht, S. 70 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 648 f. Siehe aber auch Geimer, Zivilprozeßrecht, Rn. 563; Steinberger, State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 615 (620). 148 Vgl. unten § 15 I. und § 18 IV.5.b)cc) sowie BVerfGE 96, 68 (87 f.) = NJW 1998, 50 (53 f.). Dies wird verkannt von Doehring, Völkerrecht, Rn. 679 f. mit Fn. 34.; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (75 ff., 95 ff.); Faßbender, NStZ 1998, 144 (145); ders., AJIL 92 (1998), 74 (76 f.). 149 Vgl. unten § 19 II.1.a). 147
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gungswilligen Staates verübt werden. Ein Staat sei nicht verpflichtet, auch für solche hoheitlich-dienstlichen Handlungen zugunsten eines fremden Staates Staatenimmunität zu gewähren, die in seinem Staatsgebiet begangen werden, bei denen er seine Strafgewalt also auf das Territorialitätsprinzip stützen könne.150 Zum Teil wird zwar eine solche generelle Immunitätsausnahme verworfen, aber immerhin die These vertreten, eine Berufung auf die Staatenimmunität sei bei Taten zu versagen, die einhergingen mit einer „groben Verletzung der Territorialhoheit“ des Tatortstaates. In einem solchen Fall dürfe der Tatortstaat ohne Rücksicht auf die Staatenimmunität eine Strafverfolgung betreiben.151 Wieder andere stellen darauf ob, ob dem Täter der Aufenthalt im Hoheitsgebiet des Tatortstaates ausdrücklich gestattet worden ist oder nicht. Nur im ersten Fall könne sich dieser gegenüber einer Strafverfolgung durch den Tatortstaat auf die Staatenimmunität berufen.152 Doch können diese Auffassungen nicht überzeugen.153 Eine derartige Ausnahme vom Grundsatz der erga omnes-Wirkung der Staatenimmunität findet keinen hinreichenden Rückhalt in der Staatenpraxis. Da die erga omnes-Wirkung gewissermaßen in der Natur der Staatenimmunität liegt, kann eine Ausnahme nur dann anerkannt werden, wenn sie in der Staatenpraxis eindeutige Anerkennung erfahren hat; dies aber ist nicht der Fall. Zunächst ist daran zu erinnern, daß die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Schranke für die Ausübung von Zivilgerichtsbarkeit prinzipiell auch für die Gerichte des Staates gilt, in dessen Gebiet die Handlung, wegen der eine Klage erhoben worden ist, vorgenommen wurde. Dies ergibt sich auch aus dem Europäischen Abkommen über Staatenimmunität und den erwähnten nationalen State Immunity Acts. Denn diese normieren – wie oben in § 4 II.4. skizziert wurde – nur für deliktisches Verhalten im Forumstaat eine Ausnahme von der Staatenimmunität, nicht aber für sämtliche im Gerichtsstaat vorgenommene Handlungen. Wenn aber in bezug auf das Zivilrecht eine generelle Ausnahme von der Staatenimmunität bei Taten im Gebiet des Forumstaates keine Anerkennung gefunden hat, vielmehr von der Rechtsprechung sogar der torts exception Anerkennung versagt wird, so fällt es schwer, ohne weiteres von einer solchen Ausnahme im Bereich des Strafrechts auszugehen. ___________ Classen, VerwArch 96 (2005), 464 (474); Herdegen, ZaöRV 47 (1987), 221 (225); Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 59 ff.; Siegrist, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, S. 15 ff.; Pugh, ICLQ 36 (1987), 655 (661 f.). 151 Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (261). Ihm zustimmend Damian, Staatenimmunität, S. 80 Fn. 440. 152 Vgl. die Nachw. bei Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (260 mit Fn. 72). 153 Wie hier auch Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 43; Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (975 f.); SeidlHohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1482 ff.; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (430). Vgl. auch Wengler, Völkerrecht, Bd. I, S. 542 f. 150
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Die zur Unterstützung der hier skizzierten Auffassung von ihren Vertretern angeführten Judikate betreffen ganz überwiegend Spionagetaten oder geheimdienstliche Gewalttaten. Anhaltspunkte dafür, daß die Gerichte von einer generellen Nichtgeltung der Staatenimmunität bei Taten im Hoheitsgebiet des strafverfolgenden Staates ausgegangen sind, sind nicht erkennbar. Die Entscheidungen bestätigen damit, daß die Staatenimmunität – wie im einzelnen unten in § 7 gezeigt werden wird – bei Spionagetaten und geheimdienstlichen Gewalttaten eine tatbezogene Ausnahme erfährt, können aber nicht als Beleg für eine generelle Nichtgeltung bei Taten im Hoheitsgebiet des strafverfolgungswilligen Staates dienen.154 Denn wenn es darum geht, den Stand des Völkergewohnheitsrechts zu ermitteln, ist es verfehlt, auf einzelne unterschiedliche Taten bezogene und als solche völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahmen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und zu verallgemeinern.155
V. Zeitliche Reichweite der Staatenimmunität Während sämtliche Immunitäten ratione personae zeitlich beschränkt sind auf die Dauer der Ausübung einer bestimmten Funktion, die Grundlage für die Immunitätsgewährung ist,156 besteht eine zeitliche Begrenzung bei der Staatenimmunität ebenso wie bei anderen Immunitäten ratione materiae nicht.157 Die Staatenimmunität wird durch Veränderungen des persönlichen Status des Funktionsträgers, der die betreffende Handlung vorgenommen hat, nicht tangiert. Für die Geltung der Staa___________ Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß in der Schweiz offenbar die Auffassung vorherrschend ist, dort begangene Taten könnten auch dann von Schweizer Gerichten geahndet werden, wenn es sich um hoheitlich-dienstliche Handlungen fremdstaatlicher Funktionsträger handelt. Die Schweizer Auffassung, die auch in Art. 271 Abs. 1 des schweizerischen StGB (Verbotene Handlungen für einen fremden Staat: „Wer auf schweizerischem Gebiet ohne Bewilligung für einen fremden Staat Handlungen vornimmt, die einer Behörde oder einem Beamten zukommen […] wird […] bestraft.“) und einer bereits älteren Schweizer Gerichtsentscheidung (BGE 65 I [1939], 39 ff.) zum Ausdruck kommt (vgl. Bothe, ZaöRV 31 [1971], 246 [257 f.]; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 [581]; Wengler, Völkerrecht, Bd. I, S. 542 f. sowie unten § 7 IV.), kann jedoch nicht verallgemeinert werden, da zu vermuten steht, daß sie dem besonderen Schweizer Selbstverständnis als neutraler Staat geschuldet ist. Zudem hatte der Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorgängervorschrift des Art. 271 Abs. 1 schweizerisches StGB Spionagetaten vor Augen; vgl. Bothe, a.a.O., S. 257 f. mit. Fn. 56; Outry, Verletzung schweizerischer Gebietshoheit, S. 29 ff.; Siegrist, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, S. 17. 155 Ähnlich auch Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (256). 156 Vgl. für die Immunitäten ratione personae des Diplomatenrechts unten § 13 III.2.a). 157 MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 108; Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (263 f.); Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (863); ders., International Criminal Law, S. 266; ders., International Law, S. 118; Dahm, FS Nikisch, S. 153 (168); Dörr, AVR 41 (2003), 201 (205 f.); Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (386); Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (975 f.); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 449; Wirth, EJIL 13 (2002), 877 (883). 154
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tenimmunität ist es irrelevant, wenn ein Funktionsträger aus dem Dienstverhältnis, in dessen Rahmen er die in Frage stehende Handlung vorgenommen hat, ausscheidet, wenn er seine Staatszugehörigkeit wechselt oder sonstige Veränderungen seiner persönlichen Verhältnisse eintreten.158 Ein Polizeibeamter, der im Rahmen einer Razzia unter Mißachtung der für ihn geltenden Vorschriften einen Ausländer verletzt hat, kann also selbst dann nicht vom Heimatstaat des Verletzten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn er aus dem Polizeidienst ausgeschieden ist. Der Grund für die zeitlich unbeschränkte Geltung der Staatenimmunität liegt ebenso wie der Grund für ihre erga omnes-Wirkung darin, daß es bei der Staatenimmunität nicht darum geht, einer Person die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit zu ermöglichen (in einem solchen Fall ist eine Fortdauer einer Exemtion nach Beendigung der Tätigkeit nicht zu legitimieren), sondern sie ausschließlich dem Schutz der Souveränität des Staates dient, für den gehandelt wurde. Die Strafverfolgung einer Person wegen einer hoheitlich-dienstlichen Handlung für einen fremden Staat hat deshalb zu unterbleiben, weil man bei der Durchführung eines solchen Strafverfahrens indirekt Hoheitsgewalt über den fremden Staat ausüben würde und damit gegen den Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten verstieße. Ein solcher Verstoß gegen den Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten wäre bei einer Strafverfolgung einer Person wegen einer für einen fremden Staat vorgenommenen hoheitlich-dienstlichen Handlung aber auch dann gegeben, wenn die betreffende Person zum Zeitpunkt der Durchführung des Strafverfahrens nicht mehr für den fremden Staat tätig ist oder sonstige die Person des Täters betreffende Veränderungen eingetreten sind.159 Abgesehen von dem sogleich zu erörternden Fall eines Verzichts können nur Veränderungen, die unmittelbar den Staat betreffen, dessentwegen die Staatenimmunität zu gewähren ist, Auswirkungen auf die Fortdauer des Immunitätsschutzes haben. Die Frage, ob die zeitliche Dauer der Staatenimmunität an die Existenz des Staates geknüpft ist, dessen Souveränität durch die Staatenimmunität geschützt werden soll, hat in Deutschland im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Reaktion auf das in der DDR begangene Systemunrecht Bedeutung erlangt. Dabei galt es zu klären, ob die für Taten des Systemunrechts verantwortlichen DDRFunktionsträger schon deshalb keine Staatenimmunität geltend machen konnten, weil der Staat DDR, für den sie gehandelt hatten, untergegangen war. Wegen ihrer ___________ 158 Insofern ist es terminologisch nicht korrekt, wenn MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 108 und Dörr, AVR 41 (2003), 201 (206) von „Nachwirkung“ sprechen. Wenn man schon in der Veränderung des persönlichen Status des handelnden Funktionsträgers eine Zäsur sehen will (was allenfalls faktisch, nicht aber rechtlich der Fall ist), sollte man von „Weitergeltung“ sprechen. Von einem Erlöschen der Staatenimmunität von Funktionsträgern mit dem Ausscheiden aus dem Staatsdienst gehen aber – fälschlicherweise – Lüderssen, Der Staat geht unter, S. 108 und Rosenau, Tödliche Schüsse in staatlichem Auftrag, S. 88 aus. 159 Vgl. Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (263).
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besonderen Bedeutung für Deutschland, aber auch wegen ihrer Komplexität soll der Frage, inwieweit ein Staatsuntergang oder territoriale Veränderungen eines Staates Auswirkungen auf die Fortgeltung der diesem Staat zustehenden Staatenimmunität haben, unten in § 8 gesondert nachgegangen werden.
VI. Zur Möglichkeit eines Verzichts auf die Staatenimmunität Die Staatenimmunität wird, auch in ihrer Ausprägung als Exemtion der für einen Staat handelnden Personen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit in bezug auf ihr hoheitlich-dienstliches Handeln, lediglich im Interesse desjenigen Staates gewährt, dem die betreffende Handlung als Staatshandlung zuzurechnen ist. Sie dient allein dem Schutz der Souveränität dieses Staates, nicht aber dem Schutz der handelnden Person. Diese profitiert von der Staatenimmunität, doch steht sie ihr nicht als subjektives Recht zu.160 Deshalb kann der Staat, dem eine von der Staatenimmunität erfaßte Handlung als staatliches Handeln zuzurechnen ist, auf den Schutz der Staatenimmunität jederzeit und ohne Einschränkung verzichten.161 Insofern gilt nichts anderes als für die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Schranke des Zivilrechts.162 Die aus dem Verzicht resultierende Konsequenz des Wegfalls des völkerrechtlichen Verbots einer Strafverfolgung hat der betroffene handelnde Funktionsträger hinzunehmen.163 Auf seine persönliche Haltung kommt es insofern nicht an, ein Widerspruch des Funktionsträgers ist irrelevant. Andererseits kann die Person, die strafrechtlich verfolgt werden soll, nicht selbst auf die ihr zukommende Staatenimmunität verzichten. Da ihr die Immunität nicht als subjektives Recht zusteht, ist sie nicht dispositionsbefugt.164 An eine Verzichtserklärung sind hohe Anforderungen zu stellen. Schon im Interesse ungestörter internationaler Beziehungen wird man einen Verzicht in aller Regel nur bei einem ausdrücklich erklärten und eindeutigen Einverständnis des betroffenen Staates mit einer Strafverfolgung seines Funktionsträgers annehmen ___________ 160 Lord Millett in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (97); MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 106. 161 Lord Millett in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (97); MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 106; Cassese, International Law, S. 113; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 51; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (431). 162 Vgl. oben § 4 II.3. 163 Die Frage, ob ein Verzicht mit dem strafrechtlichen Rückwirkungsverbot vereinbar ist, soll erst im Zusammenhang mit den diplomatischen und konsularischen Exemtionen (unten § 13 III.2.c) und § 13 IV.5.) erörtert werden, da bei diesen ein Verzicht größere praktische Relevanz hat als bei der Staatenimmunität. 164 Vgl. MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 106; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (431); ders., EJIL 13 (2002), 877 (882).
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dürfen. Eine bloße (schweigende) Hinnahme einer fremdstaatlichen Strafverfolgung kann nicht als konkludenter Verzicht interpretiert werden, denn die Staatenimmunität muß vom berechtigten Staat nicht geltend gemacht werden, sie ist vielmehr vom verpflichteten Staat von sich aus zu beachten. Allenfalls eine aktive Unterstützung einer fremdstaatlichen Strafverfolgung durch den immunitätsberechtigten Staat – beispielsweise durch eine Auslieferung des Beschuldigten oder die Erbringung sonstiger Rechtshilfeleistungen – kann man als konkludenten Verzicht interpretieren, sofern die Unterstützung in Kenntnis der Tatsache geleistet wird, daß Gegenstand der Strafverfolgung eine für den unterstützenden Staat vorgenommene hoheitlich-dienstliche Handlung ist. Eine besondere Regelung dahingehend, wer für den Staat, dem die Staatenimmunität zusteht, einen Verzicht aussprechen darf, existiert nicht. Insofern sind die allgemeinen Regeln über die rechtsgeschäftliche Vertretung von Staaten im völkerrechtlichen Verkehr maßgeblich, die in Art. 7 WVRK165 für den Bereich des Vertragsschlusses eine schriftliche Fixierung erfahren haben. Danach sind – wie in Art. 7 Abs. 1 lit. a) und lit. b) WVRK zum Ausdruck kommt – auf jeden Fall das Staatsoberhaupt, der Regierungschef und der Außenminister als zentrale Organe sowie der Leiter der im strafverfolgungswilligen Staat errichteten diplomatischen Mission als vertretungsberechtigt und damit als zur Abgabe einer Verzichtserklärung befugt anzusehen. Auf die Vertretungsbefugnis dieser Personen darf im völkerrechtlichen Verkehr vertraut werden; insofern kann sich der vertretene Staat nicht auf eine fehlende Vertretungsbefugnis berufen.166
VII. Bedeutung der Staatenimmunität für die Verhängung von Sanktionen gegen juristische Personen Der Vollständigkeit halber sei noch festgehalten, daß die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit nicht nur natürlichen Personen zugute kommt. Zwar hat sie – soweit ersichtlich – bislang nur bei Strafverfahren gegen natürliche Personen praktische Bedeutung erlangt. Doch ebenso wie die Staatenimmunität einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme eines fremden Staates, eines im Eigentum eines fremden Staates stehenden privatrechtlich organisierten Unternehmens oder auch eines privaten Unternehmens insoweit entgegensteht, als Gegenstand der Klage eine hoheitliche Staatshandlung ist, dürfen fremde Staaten, Staatsunternehmen fremder Staaten sowie private Unternehmen als juristische Personen wegen Handlungen, die als acta iure imperii zu klassifizieren ___________ Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.5.1969; BGBl. 1985 II, S. 926. 166 Vgl. Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 247, 962. Siehe auch Steinberger, State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 615 (622). 165
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sind, auch nicht strafrechtlich in Anspruch genommen werden167 – es sei denn, eine der nachfolgend in den §§ 5 und 6 dargestellten Ausnahmen liegt vor.168 Da aber die Staatenimmunität auch in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit lediglich für acta iure imperii, nicht aber auch für acta iure gestionis gilt, steht sie in aller Regel einer strafrechtlichen Inanspruchnahme juristischer Personen nicht entgegen. Denn im Eigentum eines Staates stehende privatrechtlich organisierte Unternehmen sowie private Unternehmen agieren normalerweise auch dann privatrechtlich, wenn sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Nur in Ausnahmefällen ist ihnen (etwa als Beliehene oder kraft besonderen staatlichen Auftrags) gestattet, hoheitlich tätig zu werden. Wenn sie aber ausnahmsweise hoheitlich tätig werden, steht ihnen für ihre acta iure imperii auch in strafrechtlicher Hinsicht Staatenimmunität zu.169 Für Deutschland hat die Immunität juristischer Personen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit bei hoheitlichem Handeln für einen fremden Staat jedoch schon deshalb keine praktische Relevanz, weil das deutsche Recht – jedenfalls derzeit – generell keine Strafbarkeit juristischer Personen kennt.170 Allerdings können gemäß § 30 OWiG gegen juristische Personen und Personenvereinigungen Bußgelder festgesetzt werden, wenn eine vertretungsberechtigte natürliche Person eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, durch die Pflichten, welche die juristische Person oder die Personenvereinigung betreffen, verletzt worden sind oder die juristische Person oder die Personenvereinigung bereichert worden ist oder werden sollte.171 Nach § 30 OWiG ist es somit möglich, daß ein fremder Staat, ein Staatsunternehmen oder ein privates Unternehmen als juristische Person mit einem Bußgeld belegt wird.172 Wenn die in Frage stehende Handlung einer vertretungsberechtigten ___________ Vgl. Schaumann, in: Schaumann/Habscheid, Immunität ausländischer Staaten, S. 1 (51 f.); Seidl-Hohenveldern, in: Conrad (Hrsg.), GedS Peters, S. 915 (915 ff.). Mit ihrer Feststellung, Staaten könnten als juristische Personen nicht mit Kriminalstrafen belegt werden, greift Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 346 deutlich zu kurz. 168 Ob eine strafrechtliche Inanspruchnahme einer juristischen Person wegen einer für einen fremden Staat vorgenommenen hoheitlichen Handlung ausnahmsweise trotz der Staatenimmunität statthaft ist, bestimmt sich selbstverständlich ausschließlich danach, ob eine der für das Strafrecht geltenden Ausnahmen eingreift. Die von den strafrechtlichen Ausnahmen zum Teil abweichenden Ausnahmen für eine Inanspruchnahme fremder Staaten, von Unternehmen fremder Staaten oder von Privatunternehmen wegen hoheitlicher Handlungen als Beklagte in einem Zivilverfahren sind dagegen für die Zulässigkeit einer strafrechtlichen Inanspruchnahme irrelevant. 169 Vgl. Seidl-Hohenveldern, in: Conrad (Hrsg.), GedS Peters, S. 915 (915 ff.). 170 Vgl. Schönke/Schröder-Cramer/Heine, vor § 25 Rn. 119; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 23 VII. 1. 171 Vgl. Schönke/Schröder-Cramer/Heine, vor § 25 Rn. 120; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 23 VII. 2.; KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 1 ff. 172 Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind von § 30 OWiG nicht ausgenommen, vgl. König, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, § 30 Rn. 1; KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 32 ff. 167
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natürlichen Person, die eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit darstellt, eine für einen fremden Staat vorgenommene und diesem mithin als Staatshandlung zurechenbare Tat ist, kommt es darauf an, ob – wie dies in aller Regel der Fall sein dürfte – privatrechtlich gehandelt wurde oder aber vom hoheitlichen (öffentlichrechtlichen) Handlungsinstrumentarium des fremden Staates Gebrauch gemacht wurde. Im ersten Fall ist die Festsetzung eines Bußgelds nach § 30 OWiG ohne weiteres statthaft, im zweiten Fall nur dann, wenn eine der Ausnahmen von der Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit eingreift.
VIII. Fazit Die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gilt allein völkergewohnheitsrechtlich. Sie kommt jeder Person zugute, die für einen fremden Staat handelt, ein festes Dienstverhältnis ist nicht erforderlich. Im Gegensatz zur personalen Reichweite ist die sachliche Reichweite der Staatenimmunität eng begrenzt. Sie gilt nur für dienstliche Handlungen, wobei die Tatsache, daß ein Verhalten als völkerrechtliches Verbrechen strafbar ist oder eine sonstige Völkerrechtsverletzung darstellt, als solche nicht geeignet ist, den dienstlichen Charakter in Frage zu stellen. Zudem ist die Staatenimmunität wie im Zivilrecht auf solche dienstlichen Handlungen begrenzt, die hoheitlichen Charakter haben. Privatrechtliches dienstliches Handeln ist nicht geschützt. Die Staatenimmunität ist damit eine Immunität ratione materiae für acta iure imperii. Die Staatenimmunität gilt erga omnes, jeder Staat mit Ausnahme des Staates, für den die betreffende hoheitlich-dienstliche Handlung vorgenommen wurde, ist an einer Strafverfolgung gehindert. Auch dem Tatortstaat ist bei einer Tat, die als hoheitlich-dienstliche Handlung für einen fremden Staat zu klassifizieren ist, die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit untersagt. Die Ausnahme, die die Staatenimmunität bei zivilrechtlichen Klagen wegen deliktischen Handelns im Gebiet des Forumstaates erfährt, gilt für das Strafrecht nicht. Die Staatenimmunität besteht zeitlich unbegrenzt, allerdings kann der Staat, in dessen Interesse sie zu gewähren ist, jederzeit auf sie verzichten. Die Staatenimmunität verbietet nicht nur eine Strafverfolgung natürlicher Personen wegen hoheitlich-dienstlicher Handlungen, sondern auch eine strafrechtliche Inanspruchnahme juristischer Personen wegen acta iure imperii. Allerdings erfährt die Staatenimmunität bei bestimmten Taten Ausnahmen. Auf diese Ausnahmen soll nunmehr eingegangen werden.
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§ 6 Ausnahmen von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen und sonstigen schweren Menschenrechtsverletzungen Die Diskussion über die Staatenimmunität in der Strafrechtswissenschaft konzentriert sich auf die Frage, inwieweit diese Exemtion in ihrer Ausprägung als Immunität von strafrechtlicher Verantwortlichkeit Ausnahmen erfährt bei völkerrechtlichen Verbrechen und (sonstigen) schweren Menschenrechtsverletzungen. Dieser Frage soll im folgenden nachgegangen werden. Dabei geht es an dieser Stelle ausschließlich darum, ob nationale Gerichte an einer Ahndung solcher Taten wegen der Staatenimmunität gehindert sein können. Inwieweit die Staatenimmunität einem Tätigwerden internationaler Gerichte, namentlich des Internationalen Strafgerichtshofs und der UN-Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda, entgegensteht, wird unten in § 9 gesondert erörtert. Zunächst werden die Ausnahmen von der Staatenimmunität analysiert, die völkervertraglich verankert sind (I.). Anschließend wird – getrennt für völkerrechtliche Verbrechen einerseits und sonstige schwere Menschenrechtsverletzungen andererseits – dargelegt, inwieweit darüber hinaus Ausnahmen völkergewohnheitsrechtlich anerkannt sind oder sich aus allgemeinen völkerrechtlichen Rechtsprinzipien ableiten lassen (II.).
I. Völkervertragliche Ausnahmen Verschiedene völkerrechtliche Verträge, durch die einzelne Staaten verpflichtet werden, bestimmte Straftaten zu ahnden, legen entweder ausdrücklich oder zumindest implizit fest, daß die Staatenimmunität einer Strafverfolgung fremdstaatlicher Funktionsträger nicht entgegensteht. Im vorliegenden Zusammenhang sind folgende völkerrechtliche Verträge mit universeller Zielrichtung von Belang: erstens die Völkermordkonvention von 19481, die zu einer Strafverfolgung von Völkermordtaten verpflichtet, zweitens die vier Genfer Abkommen von 19492 mit ihrem Ersten ___________ Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords vom 9.12.1948, BGBl. 1954 II, S. 730. Internationale Quelle: UNTS 78, 277. In Kraft getreten für die Bundesrepublik Deutschland am 22.2.1955; vgl. Bekanntmachung vom 14.3.1955, BGBl. 1955 II, S. 210. 2 I. Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde vom 12.8.1949 (BGBl. 1954 II, S. 783; UNTS 75, 31); II. Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See vom 12.8.1949 (BGBl. 1954 II, S. 813; UNTS 75, 85); III. Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 12.8.1949 (BGBl. 1954 II, S. 838; UNTS 75, 135); IV. Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12.8.1949 (BGBl. 1954 II, S. 917; UNTS 75, 287). Die vier Genfer Abkommen sind für die Bundesrepublik Deutschland am 3.3.1955 in Kraft getreten; vgl. Bekanntmachung vom 4.11.1954, BGBl. 1954 II, S. 1133. 1
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Zusatzprotokoll von 19773, die ein Gebot der Ahndung schwerer in internationalen bewaffneten Konflikten begangener Kriegsverbrechen enthalten, drittens die UNFolterkonvention von 19844, die den Staaten eine Pflicht zur strafrechtlichen Ahndung staatlicher Folterungen auferlegt, und viertens die – von der Bundesrepublik allerdings nicht ratifizierte – Apartheidkonvention5, die eine Strafverfolgung von Aktivitäten zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung eines Systems der Apartheid gebietet. Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs von 19986 gehört dagegen nicht zum Kreis der hier interessierenden Verträge. Zwar ist – worauf noch detailliert einzugehen sein wird – in Art. 27 IStGH-Statut eine generelle Unbeachtlichkeit völkerrechtlicher Exemtionen festgelegt, doch bezieht sich diese Ausnahme lediglich auf die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs; einzelne Staaten und deren nationale Gerichte sind nicht Adressat dieser Norm.7 Neben den genannten Verträgen gibt es eine Vielzahl weiterer völkerrechtlicher Vereinbarungen, die die Vertragsstaaten im Interesse der Staatengemeinschaft zur Pönalisierung und Ahndung bestimmter Taten verpflichten.8 Doch bedeutet die Normierung einer Verfolgungspflicht in einem völkerrechtlichen Vertrag nicht unbedingt, daß damit die Staatenimmunität oder andere völkerrechtliche Exemtionen für unbeachtlich erklärt werden, also auch Taten exemter Personen, namentlich
___________ 3 Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) vom 8.6.1977 (BGBl. 1990 II, S. 1551, UNTS 1125, 3). In Kraft getreten für die Bundesrepublik Deutschland am 14.8.1991; vgl. Bekanntmachung vom 30.7.1991, BGBl. 1991 II, S. 968. 4 Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984; BGBl. 1990 II, S. 246. Internationale Quelle: UNTS 1465, 85 = ILM 23 (1984), 1027. 5 International Convention on the Suppression and Punishment of the Crime of Apartheid vom 30.11.1973; UNTS 1015, 243 = ILM 13 (1974), 51. Nichtamtliche dt. Übers. in VN 1975, 57. 6 BGBl. 2000 II, S. 1393 und BT-Drucks. 14/2682, S. 9. Deutsche Fassung auch in der Sammlung „Sartorius II“ unter Nr. 35. Internetquelle: (31.3.2006). 7 Dies schließt allerdings nicht aus, daß aus der Festlegung eines generellen Exemtionsausschlusses in Art. 27 IStGH-Statut Rückschlüsse auf eine völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung einer Exemtionsausnahme möglich sind und eine solche völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme dann auch für nationale Strafgerichtsbarkeiten gilt (vgl. hierzu unten § 6 II.1.c)kk)). Doch geht es hier zunächst lediglich um Ausnahmen, die sich unmittelbar aus Verträgen ergeben, die also als vertragliche Ausnahmen gelten. 8 Als Beispiele können genannt werden das Abkommen über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen vom 14.9.1963 („Tokioter Abkommen“), BGBl. 1969 II, S. 121 und das Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen vom 16.12.1970 („Haager Abkommen“), BGBl. 1972 II, S. 1505. Siehe ferner die Auflistung bei LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 10 ff.
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hoheitlich-dienstliche Handlungen, geahndet werden sollen und dürfen.9 Vielmehr ist im Grundsatz davon auszugehen, daß völkerrechtliche Bestrafungspflichten gegenüber völkerrechtlichen Exemtionen – und zwar nicht nur gegenüber der Staatenimmunität, sondern auch gegenüber anderen Immunitäten – nachrangig sind. Da die völkerrechtlichen Verträge, die Bestrafungspflichten normieren, den Kreis der potentiellen Täter typischerweise nicht beschränken, die Exemtionsregelungen aber Freistellungen für ganz bestimmte Personen bzw. Taten festlegen, sind die Exemtionsregelungen grundsätzlich leges speciales gegenüber völkervertraglichen Bestrafungspflichten.10 Dies hat der IGH in seinem Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien vom 14. Februar 2002 deutlich herausgestellt: “It should further be noted that the rules governing the jurisdiction of national courts must be carefully distinguished from those governing jurisdictional immunities: jurisdiction does not imply absence of immunity, while absence of immunity does not imply jurisdiction. Thus, although various international conventions on the prevention and punishment of certain serious crimes impose on States obligations of prosecution of extradition, thereby requiring them to extend their criminal jurisdiction, such extension of jurisdiction in no way affects immunities under customary international law, including those of Ministers for Foreign Affairs. These remain opposable before the courts of a foreign State, even where those courts exercise such a jurisdiction under these conventions.”11
Eine Ausnahme von der Staatenimmunität (oder auch anderen Exemtionen) kann einem völkerrechtlichen Vertrag daher nur dann entnommen werden, wenn dieser explizit eine Nichtgeltung völkerrechtlicher Exemtionen anordnet, wenn er speziell zur Ahndung von Taten verpflichtet, für die eigentlich Immunitätsschutz besteht oder aber aus dem Gesamtkontext des Vertrags eindeutig hervorgeht, daß sich die Bestrafungspflicht auch auf Taten beziehen soll, die an sich wegen einer völkerrechtlichen Exemtion nicht geahndet werden dürfen. Von den universellen völkerrechtlichen Konventionen erfüllen nur die oben aufgeführten Verträge diese Voraussetzungen. 1. Die Völkermordkonvention von 1948 Durch die am 9. Dezember 1948 geschlossene Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (Völkermordkonvention)12 haben sich die Ver___________ So aber wohl Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (579). Wie hier dagegen Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 88 ff.; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 308; Maierhöfer, EuGRZ 2003, 545 (552). 10 Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 441 Fn. 1933. 11 IGH, Urteil vom 14.2.2002 im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien, para. 59, ILM 41 (2002), 536 (551). Kritisch gegenüber dieser Feststellung des IGH Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (251 ff.). Zustimmend dagegen Maierhöfer, EuGRZ 2003, 545 (552). 12 Siehe oben Anm. 1. 9
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tragsstaaten verpflichtet, Völkermord zu verhüten und zu bestrafen (Art. I).13 Welche Tathandlungen im einzelnen dieser vertraglichen Bestrafungspflicht unterfallen, ist in Art. II f. aufgeführt. Allerdings wird durch die Völkermordkonvention nicht jedem Staat eine universale Strafverfolgungspflicht nach dem Weltrechtsprinzip auferlegt. Gemäß Art. VI Völkermordkonvention sollen Personen, denen Völkermord zur Last gelegt wird, vor ein Gericht des Staates, in dessen Gebiet die Handlung begangen worden ist, oder aber vor ein internationales Strafgericht gestellt werden, dessen Gerichtsbarkeit die Vertragsstaaten anerkannt haben.14 Damit wird eine Strafverfolgungspflicht für einzelne Staaten lediglich nach dem Territorialitätsprinzip normiert; eine weitergehende extraterritoriale Strafgewalterstrekkung – etwa nach dem Weltrechtsprinzip – allerdings nicht untersagt.15 In Art. IV Völkermordkonvention ist – wenngleich etwas verklausuliert – die Nichtgeltung der Staatenimmunität bei einer auf der Basis der Konvention erfolgenden Strafverfolgung festgelegt: „Personen, die Völkermord oder eine der sonstigen in Artikel III aufgeführten Handlungen begehen, sind zu bestrafen, gleichviel ob sie regierende Personen, öffentliche Beamte oder private Einzelpersonen sind.“
___________ Vgl. BGHSt 45, 64 (66 ff.) = NStZ 1999, 396 (397); Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 13 f.; Bremer, Nationale Strafverfolgung internationaler Verbrechen, S. 114 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1148; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 26 ff., § 6 Rn. 9; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 33; Heintze, HuV-I 2000, 225 (230); Jescheck, ZStW 66 (1954), 193 (208 f.); Kreicker, in: Eser/ Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 437; Zimmermann, ZRP 2002, 97 (98). 14 Art. VI Völkermordkonvention lautet: „Personen, denen Völkermord oder eine der sonstigen in Artikel III aufgeführten Handlungen zur Last gelegt wird, werden vor ein zuständiges Gericht des Staates, in dessen Gebiet die Handlung begangen worden ist, oder vor das internationale Strafgericht gestellt, das für die Vertragschließenden Parteien, die seine Gerichtsbarkeit anerkannt haben, zuständig ist.“ 15 Vgl. BGHSt 45, 64 (66 ff.) = NStZ 1999, 396 (397); BVerfG NJW 2001, 1848 (1852 f.); BT-Drucks. 5/4095, S. 6; MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 50, 54, § 6 Rn. 7; Bremer, Nationale Strafverfolgung internationaler Verbrechen, S. 114 ff.; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1085; Eser, in: ders. u.a. (Hrsg.), FS Meyer-Goßner, S. 3 (7, 14); Füth, HuV-I 1997, 38 (39); LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 121 f., § 6 Rn. 26 f.; Griesbaum, in: Geiß u.a. (Hrsg.), 50 Jahre BGH, S. 663 (666); Hoß/Miller, GYIL 44 (2001), 576 (591 ff.); Jescheck, Genocide, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, S. 541 (542 f.); Kadelbach, JZ 2001, 981 (981 f.); Kreicker, NJ 2002, 281 (284); ders., in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 441 f.; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 49 Fn. 76; Roggemann, Die Internationalen Strafgerichtshöfe, S. 54; Schabas, JICJ 1 (2003), 39 (60); Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 626; Tomuschat, in: Cremer u.a. (Hrsg.), FS Steinberger, S. 315 (330 f.); Werle, JZ 1999, 1181 (1182 f.); ders., Völkerstrafrecht, Rn. 176 mit Fn. 338; Zimmermann, ZRP 2002, 97 (98). Daher begegnet die Regelung im deutschen Völkerstrafgesetzbuch, nach der Völkermordtaten dem Weltrechtsprinzip unterfallen (§ 6 VStGB i.V.m. § 1 VStGB), keinen völkerrechtlichen Bedenken (ebenso schon § 220a StGB a.F. i.V.m. § 6 Nr. 1 StGB a.F.). 13
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Art. IV Völkermordkonvention normiert damit eine völkervertragliche Ausnahme von der Staatenimmunität.16 Doch ist diese Ausnahme eng begrenzt.17 Zum einen kann sie gemäß der völkerrechtlichen Regel, daß Verträge für Drittstaaten keine Verpflichtungen begründen können (vgl. Art. 34 WVRK), ausschließlich im Verhältnis von Vertragsstaaten der Konvention untereinander gelten, bezieht sich also nur auf Strafverfolgungen von Angehörigen eines Vertragsstaates durch einen anderen Vertragsstaat (mittlerweile sind allerdings 138 Staaten Signatarstaaten der Völkermordkonvention18). Zum anderen ist Art. IV der Konvention im Kontext von Art. VI zu sehen. Die Immunitätsausnahme bezieht sich auf eine Strafverfolgung, wie sie durch die Konvention angeordnet wird, also auf eine Strafverfolgung durch den Tatortstaat nach dem Territorialitätsprinzip oder durch einen internationalen Strafgerichtshof.19 Bei einer Strafverfolgung durch einen Drittstaat, zum Beispiel nach dem passiven Personalitätsprinzip oder dem Weltrechtsprinzip, kann Art. IV der Konvention daher keine Ausnahme von der Staatenimmunität entnommen werden.20 ___________ So auch OLG Köln, NStZ 2000, 667 (667); Cassese, JICJ 1 (2003), 437 (440 f., 448); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1018; Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (390); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (579); Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (981); Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. 2. b); Heintze, HuV-I 2000, 225 (230); Jescheck, ZStrR 72 (1957), 217 (241); ders, Genocide, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, S. 541 (542); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 240 ff.; Maierhöfer, EuGRZ 2003, 545 (552); Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (252); Robinson, Genocide Convention, S. 70 f., Schabas, Genozid im Völkerrecht, S. 419 ff. (mit ausführlicher Darlegung der Entstehungsgeschichte von Art. IV Völkermordkonvention); Weiß, JZ 2002, 696 (701); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (433). A.A. aber Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 80 f. 17 Jescheck, ZStW 66 (1954), 193 (209) spricht zutreffend davon, der „Ausschluß der ‚Acts of State-doctrine’“ könne „nach den Bestimmungen der Konvention kaum praktisch werden“. Siehe auch ders., ZStrR 72 (1957), 217 (231 f., 241). 18 Vgl. (31.3.2006). 19 So auch die belgische Cour de Cassation im Urteil vom 12.2.2003 zum Fall Sharon; vgl. Cassese, JICJ 1 (2003), 437 (439); Rau, HuV-I 2003, 92 (96). Der Cour de cassation zustimmend Cassese, a.a.O., S. 441; ihre Auslegung ablehnend Rau, HuV-I 2003, 92 (98 f.). Siehe in diesem Zusammenhang auch Jescheck, ZStrR 72 (1957), 217 (241): „schon der zweite Entwurf fand das Universalitätsprinzip zu gefährlich für die Souveränität, weil dadurch jedem Mitgliedstaat die Gerichtsbarkeit über im Ausland begangene Taten, insbesondere über Hoheitsakte, eingeräumt würde. Art. IV, der die Strafbarkeit der Regierungsmitglieder und Staatsorgane ausdrücklich festlegt, erweist sich damit als bedeutungslos, denn dass eigene Hoheitsakte der eigenen Gerichtsbarkeit unterliegen, ist nie bezweifelt worden“. Diese Feststellung ist allerdings nur zum Teil richtig. Denn die Völkermordkonvention legt dem Tatortstaat (nicht dem Heimatstaat) eine Verfolgungspflicht auf. Immerhin denkbar, wenngleich unwahrscheinlich, ist eine Tatbegehung durch staatliche Funktionsträger im Gebiet eines anderen Staates. Bei einer Strafverfolgung durch diesen anderen (Tatort-)Staat könnte die Exemtionsausnahme Bedeutung erlangen. So auch Weiß, JZ 2002, 696 (701); Rau, HuV-I 2003, 92 (98). 20 Eine generelle, also auch Taten von Funktionsträgern von Nichtvertragsstaaten erfassende Ausnahme von der Staatenimmunität bei Völkermord kann nur durch Völker16
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2. Die Genfer Abkommen von 1949 und die Zusatzprotokolle von 1977 Die vier Genfer Abkommen von 194921 verpflichten die Vertragsstaaten, bestimmte in den Abkommen konkret benannte und im Rahmen internationaler22 bewaffneter Konflikte verübte schwere Kriegsverbrechen gegen die von den Abkommen geschützten Personen – also gegen verwundete, kranke oder schiffbrüchige Mitglieder der gegnerischen Streitkräfte, gegen Kriegsgefangene und gegen im gegnerischen Machtbereich befindliche Zivilpersonen – strafrechtlich zu ahnden.23 Diese Bestrafungspflicht gilt nicht nur für den Tatortstaat bzw. den Staat, dem eine beschuldigte Person angehört, sondern obliegt jedem Vertragsstaat. Die Genfer Abkommen normieren also eine Bestrafungspflicht nach dem Weltrechtsprinzip.24 Allerdings ist diese universale Verfolgungspflicht in zweierlei Hinsicht begrenzt. Zum einen kann ein Staat seiner Verfolgungspflicht auch dadurch nachkommen, daß er einen Beschuldigten25 nicht vor ein eigenes Gericht stellt, sondern wahlweise an einen anderen strafverfolgungswilligen Staat zum Zweck einer dortigen Strafverfolgung überstellt (Prinzip des aut dedere aut judicare).26 Zum anderen ___________ gewohnheitsrecht begründet sein (vgl. auch Art. 38 WVRK). Zur Frage, ob eine solche gewohnheitsrechtliche Ausnahme besteht, siehe unten § 6 II. 21 Vgl. oben Anm. 2. 22 Zur Streitfrage, ob die Genfer Abkommen auch eine Bestrafungspflicht für Kriegsverbrechen begründen, die im Rahmen nichtinternationaler bewaffneter Konflikte begangen wurden, siehe unten Anm. 34 und dazugehörigen Text sowie ausführlich Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 438 f. 23 BGHSt 46, 292 (297 f.) = NJW 2001, 2728 (2729); BayObLGSt 1997, 83 (88 ff.) = NJW 1998, 392 (393 ff.); Ambos, NStZ 1999, 226 (226 f.); ders., Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 15 ff.; Bremer, Nationale Strafverfolgung internationaler Verbrechen, S. 88 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1148; Wolfrum, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts, S. 422 ff.; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 29 ff., § 6 Rn. 9; Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 437 f.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 185; Werle/Nerlich, HuV-I 2002, 124 (124); Wilkitzki, ZStW 99 (1987), 455 (466 f.); Zimmermann, ZRP 2002, 97 (98) 24 BGHSt 46, 292 (297 f.) = NJW 2001, 2728 (2729); BayObLGSt 1997, 83 (93) = NJW 1998, 392 (394 f.); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 51, 54, § 6 Rn. 22; Eser, in: ders. u.a. (Hrsg.), FS Meyer-Goßner, S. 3 (24); LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 38, § 6 Rn. 2; Jescheck, Genocide, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, S. 541 (542 f.); ders., War Crimes, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL VI, S. 1349 (1352); Kreicker, NJ 2002, 281 (284); ders., in: Eser/ Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 442; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 185, 791. 25 Die Taten i.S.d. Genfer Abkommen, auf die sich die Verfolgungspflicht bezieht, können grundsätzlich von jedermann verübt werden. Der potentielle Täterkreis ist nicht auf Militärangehörige beschränkt; vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 26; Gropengießer, in: Eser/ Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 159; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 842. 26 Vgl. Bremer, Nationale Strafverfolgung internationaler Verbrechen, S. 90; LK-StGBGribbohm, vor § 3 Rn. 37 f.; Gropengießer, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 143; Werle, Völkerstrafrecht,
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folgt aus der Bestimmung, daß auch mit einer Überstellung eines Beschuldigten an einen anderen Staat den Verpflichtungen der Genfer Abkommen genügt wird, daß sich die Verfolgungspflicht nur auf solche Beschuldigte bezieht, die sich im Hoheitsgebiet des betreffenden Staates aufhalten. Eine Verpflichtung, auch gegen Beschuldigte Strafverfolgungsaktivitäten zu entfalten, die sich im Ausland befinden, besteht nicht.27 In den gleichlautenden Art. 49 GA I, Art. 50 GA II, Art. 129 GA III und Art. 146 GA IV, in denen diese Verpflichtungen normiert sind, heißt es: „(1) Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, alle notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen zur Festsetzung von angemessenen Strafbestimmungen für solche Personen zu treffen, die irgendeine der im folgenden Artikel umschriebenen schweren Verletzungen des vorliegenden Abkommens begehen oder zu einer solchen Verletzung den Befehl erteilen. (2) Jede Vertragspartei ist zur Ermittlung der Personen verpflichtet, die der Begehung oder der Erteilung eines Befehls zur Begehung einer dieser schweren Verletzungen beschuldigt sind; sie stellt sie ungeachtet ihrer Nationalität vor ihre eigenen Gerichte. Wenn sie es vorzieht, kann sie sie auch gemäß den in ihrem eigenen Recht vorgesehenen Bedingungen einer andern an der gerichtlichen Verfolgung interessierten Vertragspartei zur Aburteilung übergeben, sofern diese gegen die erwähnten Personen ein ausreichendes Belastungsmaterial vorbringt. (…).“
Welche Taten zu den schweren Verletzungen der Genfer Abkommen – den sogenannten grave breaches – zählen, auf die sich die Verfolgungspflicht bezieht, ist in Art. 50 GA I, Art. 51 GA II, Art. 130 GA III sowie Art. 147 GA IV aufgeführt. Die Aufzählungen in diesen Artikeln stimmen zwar weitgehend überein, doch gibt es auch Divergenzen. Somit ist zu beachten, daß einige Verhaltensweisen nur dann als grave breaches der Genfer Abkommen gelten, wenn sie gegen eine bestimmte der von den vier Genfer Abkommen erfaßten vier Personengruppen gerichtet sind.28 ___________ Rn. 185, 791 („echtes Wahlrecht“). Für einen Vorrang einer eigenen Strafverfolgung vor einer Auslieferung aber MK-StGB-Ambos, § 6 Rn. 22. 27 Bremer, Nationale Strafverfolgung internationaler Verbrechen, S. 89 ff.; Cassese, International Law. 1. Aufl. S. 261, 264; ders., International Criminal Law, S. 9; Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 442; Weiß, JZ 2002, 696 (699). A.A. (weltweite Verfolgungspflicht) Tomuschat, in: Cremer u.a. (Hrsg.), FS Steinberger, S. 315 (333). 28 Vgl. diesbezüglich Bremer, Nationale Strafverfolgung internationaler Verbrechen, S. 94 f.; Wolfrum, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts, S. 425 ff.; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 31 ff.; Gropengießer, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 143, 159 f.; Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 159 f.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 852 ff. Während das Römische Statut diese Besonderheit durch den Begriff des „jeweiligen Genfer Abkommens“ in Art. 8 Abs. 2 lit. a) IStGH-Statut reflektiert, hat das deutsche VStGB mit der Legaldefinition des neu geschaffenen Begriffs der „nach humanitärem Völkerrecht zu schützenden Personen“ in § 8 Abs. 6 VStGB bedauerlicherweise diese Nuancierung des humanitären Völkerrechts mißachtet. Vgl. hierzu und zu den Konsequenzen für die Rechtsanwendung nach dem VStGB Gropengießer, a.a.O, S. 159 f.
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Die hier interessierenden Bestimmungen der vier Genfer Abkommen werden ergänzt durch das Erste Zusatzprotokoll von 1977.29 Art. 85 ZP I erweitert die von den Genfer Abkommen begründete Verfolgungspflicht in zweierlei Hinsicht. Zum einen wird der Personenkreis, gegen den sich eine der in den Genfer Abkommen als schwere Verletzung bezeichnete Tat richten muß, um der Verfolgungspflicht zu unterfallen, durch Art. 85 Abs. 2 ZP I geringfügig erweitert. Zum anderen werden durch Art. 85 Abs. 3 ZP I weitere Verhaltensweisen, deren Unzulässigkeit im Rahmen internationaler bewaffneter Konflikte das ZP I festlegt, in den Kreis der grave breaches einbezogen und der Verfolgungspflicht unterstellt.30 Eine ausdrückliche Nichtgeltung der Staatenimmunität für die grave breaches, zu deren Verfolgung die Genfer Abkommen und das ZP I verpflichten, ist allerdings in diesen Verträgen nicht festgelegt.31 Doch ist folgendes zu bedenken: Die Genfer Abkommen gelten, wie sich jeweils aus Art. 2 ergibt, für Taten im Rahmen internationaler bewaffneter Konflikte. Solche Kriege werden in aller Regel von staatlichen Streitkräften geführt, so daß schon aus diesem Grund zum potentiellen Täterkreis, der durch die Abkommen erfaßt werden soll, vornehmlich Angehörige staatlicher Streitkräfte, also staatliche Funktionsträger zählen. Zudem sind viele der als grave breaches bezeichneten Verhaltensweisen solche, die von den Tätern – also vornehmlich von Soldaten staatlicher Streitkräfte – regelmäßig nicht aus privatem Antrieb und mithin nicht als – von der Staatenimmunität von vornherein nicht erfaßte – Privathandlungen begangen werden. Vielmehr handelt es sich bei den Taten, auf die sich die Verfolgungspflicht bezieht, um solche, die typischerweise für den eigenen Staat und damit als diesem zurechenbare hoheitlich-dienstliche Handlungen begangen werden. Es geht also um Taten, deren fremdstaatliche Verfolgung in aller Regel durch die Staatenimmunität untersagt wäre, erführe diese keine Ausnahme. Gerade eine solche fremdstaatliche Strafverfolgung (nach dem Weltrechtsprinzip) gebieten die Abkommen aber. Die Verfolgungspflichten der Genfer Abkommen und des ZP I liefen also überwiegend leer, wenn man nicht eine Ausnahme von der Staatenimmunität annähme. Damit das Ziel der Abkommen – die Ahndung schwerer Kriegsverbrechen – erreicht werden kann, sind Art. 49 GA I, Art. 50 GA II, Art. 129 GA III und Art. 146 GA IV sowie Art. 85 ZP I (vor allem die Formulierung „ungeachtet ihrer Nationalität“) deshalb dahingehend zu verstehen, daß sie implizit eine Nichtgeltung der Staatenimmunität bei den Taten
___________ Vgl. oben Anm. 3. Vgl. BGHSt 46, 292 (297 f.) = NJW 2001, 2728 (2729); Bremer, Nationale Strafverfolgung internationaler Verbrechen, S. 96 ff.; Jescheck, GA 1981, 49 (56 f.); Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 160 ff.; Werle/Nerlich, HuV-I 2002, 124 (124 f.); Wilkitzki, ZStW 99 (1987), 455 (466 ff.); Zimmermann, ZRP 2002, 97 (98). 31 Anders noch ein früherer Expertenentwurf; vgl. Meier, Bestimmungen über das Kriegsverbrechens- und Besatzungsstrafrecht, S. 32. 29 30
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anordnen, die der Verfolgungspflicht unterfallen.32 Die Vertragsstaaten der Genfer Abkommen und des ZP I haben also insofern auf die ihnen zustehende Staatenimmunität verzichtet. Diese völkervertragliche Ausnahme von der Staatenimmunität ist allerdings – ebenso wie die schon erläuterte Ausnahme nach der Völkermordkonvention – gleich in mehrfacher Hinsicht eng begrenzt. Erstens kann sie nur im Verhältnis der Vertragsstaaten der Abkommen untereinander gelten, also bei einer Strafverfolgung wegen solcher hoheitlich-dienstlicher Handlungen, die einem Vertragsstaat zuzurechnen sind, durch einen anderen Vertragsstaat.33 Zweitens gilt die festgelegte Verfolgungspflicht und damit auch die auf die von ihr erfaßten Taten bezogene Ausnahme von der Staatenimmunität – wie schon erwähnt – ausschließlich für Kriegsverbrechen in internationalen bewaffneten Konflikten. Der gemeinsame Art. 3 der Genfer Abkommen, der Regeln für nichtinternationale bewaffnete Konflikte (Bürgerkriege) aufstellt, statuiert lediglich bestimmte Verhaltensgebote, ohne aber Verstöße gegen diese einer Verfolgungspflicht zu unterwerfen; und Art. 2 der Genfer Abkommen betont ausdrücklich, daß die übrigen Artikel der Abkommen nur auf internationale bewaffnete Konflikte Anwendung finden sollen.34 Und drit___________ 32 So auch Jescheck, ZStrR 72 (1957), 217 (240 f.); Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 88; Meier, Bestimmungen über das Kriegsverbrechens- und Besatzungsstrafrecht, S. 32 f.; Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (252); Strebel, ZaöRV 15 (1953), 31 (50); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (449 f.). Vgl. auch LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 37. 33 Diese Einschränkung dürfte aber in der Praxis keine Relevanz haben. Denn die Genfer Abkommen haben zur Zeit 192 Vertragsstaaten; das ZP I ist bislang von 164 Staaten ratifiziert worden. Siehe (31.3.2006). 34 Die gegenteilige Auffassung, die etwa von Ambos, NStZ 1999, 226 (229 ff.); ders., NStZ 2001, 628 (629 f.); Werle, JZ 2000, 755 (759); ders., Völkerstrafrecht, Rn. 182, 185 vertreten wird, ist mit dem insofern klaren Wortlaut der Genfer Abkommen nicht vereinbar. Wie hier auch Kreß, Vom Nutzen eines deutschen Völkerstrafgesetzbuchs, S. 26 Fn. 78; ders., NStZ 2000, 617 (624 Fn. 90); Zimmermann, ZRP 2002, 97 (99). Siehe näher zu dieser vom BGH (BGHSt 46, 292 [302] = NJW 2001, 2728 [2730]) ausdrücklich offengelassenen Streitfrage Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 438 f. Allerdings legt mittlerweile das Völkergewohnheitsrecht den Staaten eine Verfolgungspflicht auch für im Rahmen nichtinternationaler bewaffneter Konflikte begangener Kriegsverbrechen auf, so daß der Streit über die Reichweite der Verfolgungspflichten nach den Genfer Abkommen keine praktische Relevanz hat. Vgl. Kreicker, a.a.O., S. 440 f. m.w.N. Bei solchen Kriegsverbrechen, deren Ahndung das Völkergewohnheitsrecht gebietet, kann sich allerdings auch eine Ausnahme von der Staatenimmunität nur aus dem Völkergewohnheitsrecht ergeben. Siehe diesbezüglich die Ausführungen unten in § 6 II.1. Die Intention der abweichenden in Deutschland vertretenen Literaturmeinung wird im übrigen dann verständlich, wenn man sich vor Augen hält, daß vor Schaffung des VStGB im Ausland begangene Kriegsverbrechen vielfach nur dann der deutschen Strafgewalt unterfielen, wenn eine extraterritoriale Strafgewalterstreckung über § 6 Nr. 9 StGB begründet werden konnte. Und § 6 Nr. 9 StGB legt eine deutsche Strafgewalt für Auslandstaten nur insoweit fest, als eine völkervertragliche Bestrafungspflicht besteht. Mit dem – nach Inkrafttreten des VStGB nunmehr unnötigen – „Trick“, eine völkervertragliche Bestrafungspflicht für Kriegsverbrechen in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten durch eine Weiterentwicklung der Genfer
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tens schließlich stellen die grave breaches der Genfer Abkommen und des ZP I, auf die nach dem Gesagten die hier erörterte Ausnahme von der Staatenimmunität begrenzt ist, nur einen Teilbereich der nach Völker(gewohnheits)recht strafbaren Kriegsverbrechen dar. So sind etliche der in Art. 8 IStGH-Statut aufgeführten Kriegsverbrechen keine grave breaches. Und wie im einzelnen unten in § 6 II.1.a) gezeigt werden wird, erfaßt selbst Art. 8 IStGH-Statut nicht alle nach Völkergewohnheitsrecht strafbaren Kriegsverbrechen. Die hier erörterte völkervertragliche Ausnahme von der Staatenimmunität gilt also bei weitem nicht für alle Kriegsverbrechen. Eine generelle Nichtgeltung der Staatenimmunität bei Kriegsverbrechen ist daher nur dann gegeben, wenn ein entsprechender Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts nachgewiesen werden kann. Der Frage, ob derartiges Völkergewohnheitsrecht besteht, ist unten in § 6 II.1.b) nachzugehen. 3. Die UN-Folterkonvention von 1984 Die UN-Folterkonvention von 198435 verpflichtet die Vertragsstaaten, Folterhandlungen unter Strafe zu stellen (Art. 4) und die Verantwortlichen zu bestrafen (Art. 5 ff.).36 Welche Verhaltensweisen als Folterhandlungen im Sinne der Konvention gelten, ist in Art. 1 Abs. 1 detailliert definiert: „Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck ‚Folter’ jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfaßt nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.“
Definitionsgemäß sind Folterhandlungen von der UN-Folterkonvention nur erfaßt, wenn sie von Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person bzw. auf deren Veranlassung oder mit deren Einverständnis begangen werden.37 Die Konvention bezieht sich also aus___________ Abkommen anzunehmen, sollte „lediglich“ die deutsche Strafverfolgungskompetenz begründet werden. 35 Vgl. oben Anm. 4. 36 Vgl. Boulesbaa, U.N. Convention on Torture, S. 175 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1099 f.; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 89 ff. 37 Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (868); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1018; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 310; Wirth, Jura 2000, 70 (73). Siehe auch Boulesbaa, U.N. Convention on Torture, S. 23 ff.
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schließlich auf staatliche Folterungen, vornehmlich auf solche durch Angehörige von Vollzugsorganen wie der Polizei, der Justiz und dem Militär. Es geht mithin um Taten, die als hoheitlich-dienstliche Handlungen zu klassifizieren sind und damit grundsätzlich der Staatenimmunität unterfallen. Insoweit, als die UN-Folterkonvention mit Art. 5 Abs. 1 lit. b) und Art. 7 Abs. 1 dem Staat, dessen Angehöriger ein Verdächtiger ist, eine Strafverfolgungspflicht bei Folterhandlungen im Sinne des Art. 1 auferlegt, spielt die Staatenimmunität in aller Regel von vornherein keine Rolle. Denn diese untersagt nur eine fremdstaatliche Strafverfolgung, nicht aber ein Tätigwerden des Staates, für den gehandelt wurde. Typischerweise aber handelt es sich bei Vollzugsbediensteten und anderen Amtsträgern im Sinne des Art. 1 UN-Folterkonvention um Angehörige des Staates, dem die betreffenden Folterhandlungen als Staatshandlungen zuzurechnen sind. Doch beschränkt sich die UN-Folterkonvention nicht darauf, den Staaten eine Pflicht zur strafrechtlichen Ahndung von Folterungen durch eigene Staatsangehörige aufzuerlegen. Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Konvention verpflichten zudem den jeweiligen Tatortstaat zu einer Strafverfolgung und gestatten ferner eine Strafverfolgung durch den Staat, dessen Staatsangehörigkeit ein Opfer besitzt. Art. 5 Abs. 1 UN-Folterkonvention lautet: „Jeder Vertragsstaat trifft die notwendigen Maßnahmen, um seine Gerichtsbarkeit über die in Artikel 4 genannten Straftaten in folgenden Fällen zu begründen: a) wenn die Straftat in einem der Hoheitsgewalt des betreffenden Staates unterstehenden Gebiet oder an Bord eines in diesem Staat eingetragenen Schiffes oder Luftfahrzeuges begangen wird; b) wenn der Verdächtige Angehöriger des betreffenden Staates ist; c) wenn das Opfer Angehöriger des betreffenden Staates ist, sofern dieser Staat es für angebracht hält.“
Diese Norm wird ergänzt durch Art. 7 Abs. 1 UN-Folterkonvention: „Der Vertragsstaat, der die Hoheitsgewalt über das Gebiet ausübt, in dem der einer in Artikel 4 genannten Straftat Verdächtige aufgefunden wird, unterbreitet den Fall, wenn er den Betreffenden nicht ausliefert, in den in Artikel 5 genannten Fällen seinen zuständigen Behörden zum Zweck der Strafverfolgung.“
Darüber hinaus hat nach Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 UN-Folterkonvention jeder Staat, in dessen Gebiet ein Beschuldigter angetroffen wird, eine Strafverfolgung (nach dem Weltrechtsprinzip) durchzuführen, sofern er die Person nicht an den Staat, auf dessen Gebiet gehandelt wurde oder dessen Staatsangehörigkeit der Täter oder das Opfer besitzt, ausliefert (Prinzip aut dedere aut judicare).38 Art. 5 Abs. 2 UN-Folterkonvention lautet: ___________ Vgl. Lord Browne-Wilkinson in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 61 (67); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 51, 54, § 6 Rn. 24; Boulesbaa, U.N. Convention on Torture, S. 206 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1100; Herdegen, Völkerrecht, § 26 Rn. 14; Wirth, Jura 2000, 70 (73). Für die Bundesrepublik Deutschland, die Vertragsstaat der UN-Folterkonvention ist, allerdings 38
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„Ebenso trifft jeder Vertragsstaat die notwendigen Maßnahmen, um seine Gerichtsbarkeit über diese Straftaten für den Fall zu begründen, daß der Verdächtige sich in einem der Hoheitsgewalt des betreffenden Staates unterstehenden Gebiet befindet und er ihn nicht nach Artikel 8 an einen der in Absatz 1 des vorliegenden Artikels bezeichneten Staaten ausliefert.“
Art. 5 Abs. 1 lit. a) und c) sowie Art. 5 Abs. 2 – jeweils in Verbindung mit Art. 7 – kommt nur dann eigenständige praktische Relevanz zu, wenn diese Regelungen so verstanden werden, daß sie eine Strafverfolgung durch Drittstaaten gebieten bzw. gestatten, also eine Verfolgung durch Staaten, die an die Staatenimmunität gebunden sind. Da aber Folterungen im Sinne der Konvention per definitionem hoheitlichdienstliche Handlungen sind, die grundsätzlich der Staatenimmunität unterfallen, ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Art. 1 und Art. 5 der UN-Folterkonvention ein impliziter völkervertraglicher Ausschluß der Staatenimmunität bei Folterungen im Sinne des Art. 1.39 Ansonsten würden sowohl die Strafverfolgungsgebote des Art. 5 Abs. 1 lit. a) und des Art. 5 Abs. 2 als auch die Verfolgungsbefugnis des Art. 5 Abs. 1 lit. c) weitgehend leerlaufen. Entscheidend auf diesen Immunitätsausschluß in der UN-Folterkonvention haben auch die englischen Lordrichter im dritten Pinochet-Urteil des House of Lords vom 24. März 1999 abgestellt, als sie letztverbindlich eine Auslieferung des ehemaligen chilenischen Militärdiktators Augusto Pinochet an die spanische Justiz zum Zwekke seiner dortigen Strafverfolgung wegen der Folterung spanischer Staatsbürger für rechtlich zulässig erklärten.40 Während amtierende Staatsoberhäupter – wie der IGH im Jahr 2002 in seinem Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. ___________ mangels eines speziellen Foltertatbestands die Straftatbestände des allgemeinen Strafrechts, namentlich die §§ 340, 343, 223 ff. StGB, bei Taten i.S.d. Art. 1 der Konvention zur Anwendung bringen muß, ergibt sich bei einer Fallkonstellation i.S.d. Art. 5 Abs. 2 der Konvention die extraterritoriale Strafgewalt aus § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB bzw. § 6 Nr. 9 StGB (Weltrechtsprinzip); vgl. LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 93. Zur Bedeutung und Reichweite des § 6 Nr. 9 StGB siehe Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 249 f. m.w.N. 39 So auch Ambos, JZ 1999, 564 (566); Bank, ZaöRV 59 (1999), 677 (696, 701); Bantekas/ Nash/Mackarel, International Criminal Law, S. 41; Cassese, JICJ 1 (2003), 437 (448 f.); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1018; Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (390); Handl, in: Benedek u.a. (Hrsg.), Development and Developing International and European Law, 59 (66); Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 78; Kriebaum, in: Karl (Hrsg.), Völker- und Europarecht, S. 51 (84 ff.); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 310 f; Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (252); Rensmann, IPRax 1999, 268 (271 f.); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (433); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 143 f. sowie die im folgenden dargestellten Voten der Lordrichter Browne-Wilkinson, Hutton, Saville of Newdigate, Millett und Phillips of Worth Matravers im dritten Pinochet-Urteil des House of Lords vom 24.3.1999. A.A. aber Häußler, in: Hasse u.a. (Hrsg.), Menschenrechte, S. 562 (582 f.) sowie – unter Verkennung der strafrechtlichen Bedeutung der Staatenimmunität – Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 81 Fn. 409, S. 210 Fn. 293. 40 Vgl. allgemein zum Pinochet-Verfahren 1998/99 die Ausführungen oben in § 5 III.1.c)aa).
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Belgien mit aller Deutlichkeit festgestellt hat41 – absolute Immunität ratione personae genießen, die auch völkerrechtliche Verbrechen und sonstige schwere Menschenrechtsverletzungen einschließlich Folterungen erfaßt,42 kommt ehemaligen Staatsoberhäuptern – als solches war Pinochet anzusehen43 – keine besondere Immunität mehr zu. Zwar wird immer wieder betont, ehemalige Staatsoberhäupter dürften wegen solcher während ihrer Amtszeit begangener Taten, die als Amtshandlungen zu klassifizieren seien, auch nach Ausscheiden aus dem Amt zeitlich unbegrenzt nicht von anderen Staaten strafrechtlich verfolgt werden.44 Doch handelt es sich bei dieser Exemtion – wie im einzelnen unten in § 17 I.2.b) noch zu zeigen sein wird – nicht um eine besondere Immunität ratione materiae, sondern „lediglich“ um die allgemeine, für jeden staatlichen Funktionsträger geltende Staatenimmunität.45 Aufgrund dieser dürfen auch ehemalige Staatsoberhäupter zeitlich unbegrenzt wegen ihrer dienstlichen Handlungen, soweit diese hoheitlicher Natur sind, von keinem Drittstaat strafrechtlich verfolgt werden. Damit gelten die hier interessierenden Ausnahmen von der Staatenimmunität bei bestimmten Arten von ___________ IGH, Urteil vom 14.2.2002 im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien, para. 51, 55, 58, ILM 41 (2002), 536 (549 ff.). 42 Vgl. an dieser Stelle nur die Voten zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999 von Lord Goff of Chieveley, HRLJ 1999, 69 (75) und Lord Millett, HRLJ 1999, 97 (101); Ambos, JZ 1999, 16 (23); Gornig, in: Ipsen u.a. (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (480 ff.); Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 356 f.; Wirth, NStZ 2001, 665 (666 f.); ders., CLF 12 (2001), 429 (445); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 156 f. Ausführlich zur Immunität von Staatsoberhäuptern unten § 17 I.2.a). 43 Vgl. nur das Votum von Lord Nicholls of Birkenhead zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 419 (436 f.). 44 Vgl. nur das soeben genannte IGH-Urteil (siehe oben Anm. 41), para. 61, ILM 41 (2002), 536 (552) sowie Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 51; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1497. 45 So auch das Votum von Lord Slynn of Hadley zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 419 (421, 423), in dem dieser betont, die Immunität von Staatsoberhäuptern sei abgeleitet von der allgemeinen Staatenimmunität; das Votum von Lord Millett zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (98), in dem dieser von einer Identität der Immunität ehemaliger Staatsoberhäupter und der Staatenimmunität und mithin von einem identischen Exemtionsumfang ausgeht; OLG Köln, NStZ 2000, 667 (667); Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (862 ff.); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 254 f.; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (205); Fastenrath, FAZ vom 10.11.1998, S. 6; Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (975 ff., insb. 982); dies., JICJ 1 (2003), 186 (187 f.); Gornig, in: Ipsen/SchmidtJortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (484); Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 263, 265; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 451, 456; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 69; Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 357 f.; Kriebaum, in: Karl (Hrsg.), Völker- und Europarecht, S. 51 (53); Paulus, NJW 1999, 2644 (2645); Wirth, Jura 2000, 70 (72); ders., NStZ 2001, 665 (666 f.); ders., CLF 12 (2001), 429 (432 ff., 457); ders., EJIL 13 (2002), 877 (883, 888 ff.); Zappalà, EJIL 12 (2001), 595 (598 ff.); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 50 f. 41
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Straftaten auch dann, wenn es um die Staatenimmunität ehemaliger Staatsoberhäupter geht.46 Insofern hatten die Richter des House of Lords darüber zu befinden, ob die Pinochet (weiterhin) zukommende (Staaten-)Immunität wegen des Charakters der ihm vorgeworfenen Taten eine Ausnahme erfährt. Eine solche Ausnahme haben die Lordrichter Browne-Wilkinson, Hutton, Saville of Newdigate, Millett und Phillips of Worth Matravers (nur) in dem von der UN-Folterkonvention festgelegten Immunitätsausschluß erblickt. Sie haben sich auf die in Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 UN-Folterkonvention gestützte Pflicht zur Auslieferung bezogen, für die – wie gezeigt – ein implizit normierter Ausschluß der Staatenimmunität gilt. Folgerichtig wurde eine Auslieferung ausschließlich wegen der Pinochet vorgeworfenen Folterhandlungen, nicht aber wegen anderer Taten gebilligt. Da Großbritannien die UN-Folterkonvention jedoch erst im September 1988 durch Festlegung einer entsprechenden Amtsträgerstrafbarkeit und einer Geltung des Weltrechtsprinzips in sein nationales Recht umgesetzt und erst am 8. Dezember 1988 ratifiziert hatte, hielten die Lordrichter mehrheitlich eine Auslieferung Pinochets an Spanien nur wegen solcher Folterhandlungen für statthaft, die (laut spanischem Auslieferungsersuchen) nach dem 8. Dezember 1988 begangen worden waren.47 Da die Argumentation der einzelnen Voten der Lordrichter sehr unterschiedlich ist, erscheint es sinnvoll, sich an dieser Stelle etwas detaillierter den Ausführungen zur immunitätsrechtlichen Bedeutung der Folterkonvention zuzuwenden, mit denen die genannten Lordrichter in ihrem Urteil vom 24. März 1999 die Zulässigkeit einer Auslieferung Pinochets begründet haben. Lord Millett betont in seinem Votum, bereits die Definition der Folter in der UNFolterkonvention verbiete eine Berufung auf Immunität. Die Straftat der Folter könne nach der Konvention nur durch eine in offizieller Funktion handelnde Person begangen werden. Genau diese offizielle Funktion aber sei die Grundlage für eine Immunität ratione materiae. Kein vernünftiges Strafrechtssystem könne eine Immunität erlauben, die mit der Straftat zusammenfalle, also einerseits eine Immunität statuieren, andererseits aber einen Straftatbestand schaffen, der nur dann verwirklicht werden könne, wenn eine Eigenschaft gegeben sei, die gleichzeitig eine Immunität begründe.48 Ein von der Verteidigung Pinochets vorgetragenes Argument gegen seine Begründung weist Lord Millett zurück: die Verteidigung hatte vorgetragen, es sei nicht widersprüchlich, wenn einerseits der Straftatbestand der Folter nur durch staatliche Funktionsträger in Ausübung ihrer Funktion verwirk___________ 46 Vgl. nur Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 357 ff. Siehe ausführlich unten § 17 I.2.b). 47 Vgl. Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 52. 48 Lord Millett in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (101). Vgl. zu diesem Votum auch Bank, ZaöRV 59 (1999), 677 (695); Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 76; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 135 ff.
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licht werden könne, andererseits aber eine Strafverfolgung wegen der Immunität grundsätzlich nicht möglich sei, denn der betroffene Staat könne auf die Immunität verzichten, so daß eine Strafverfolgung aufgrund der UN-Folterkonvention mit Einverständnis des betroffenen Staates zulässig sei. Dieses Argument sei, so Lord Millet, nicht nur weit hergeholt, sondern auch vollkommen unvereinbar mit der Intention der UN-Folterkonvention.49 Die Auffassung von Lord Millett wird geteilt von Lord Saville of Newdigate und Lord Phillips of Worth Matravers. Lord Phillips of Worth Matravers betont, die UN-Folterkonvention beziehe sich ausschließlich auf Handlungen, die von Immunität ratione materiae erfaßt würden, wenn diese anwendbar wäre. Daher müsse die UN-Folterkonvention eine Berufung auf Immunität ausschließen.50 Lord Saville of Newdigate stellt sogar fest, die UN-Folterkonvention bestimme ausdrücklich die Irrelevanz völkerrechtlicher Immunitäten, deren Nichtgeltung ergebe sich aus der Konvention “simply by applying its express terms”. Jeder Vertragsstaat der Konvention habe zugestimmt, daß eine andere Vertragspartei Gerichtsbarkeit über Täter ausüben dürfe, die sich in ihrem Staatsgebiet befinden. Daher könne ein Vertragsstaat nicht gleichzeitig eine Immunität geltend machen.51 Im Ergebnis spricht sich ferner Lord Browne-Wilkinson für eine Nichtgeltung der Staatenimmunität bzw. der (einen Anwendungsfall der Staatenimmunität darstellenden) Immunität ehemaliger Staatsoberhäupter bei Strafverfolgungen wegen Folterungen im Sinne der UN-Folterkonvention aus. Anstatt aber in dem Regelwerk der Konvention eine implizite Normierung einer Ausnahme von der Staatenimmunität zu erblicken, zieht Lord Browne-Wilkinson aus der richtigen Erkenntnis, daß die Konvention, indem sie eine umfassende Pflicht entweder zur Bestrafung des Täters oder zu dessen Auslieferung an einen strafverfolgungswilligen Staat normiert, eine Berufung auf die Staatenimmunität bzw. die Immunität als ehemaliges Staatsoberhaupt nicht zulasse, den verfehlten Schluß, daß Folterungen nicht als Amtshandlungen betrachtet werden dürfen.52 Für Privathandlungen aber gilt, wie erwähnt wurde, die Staatenimmunität als Immunität ratione materiae nicht. Im ___________ 49 Lord Millett in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (102). 50 Lord Phillips of Worth Matravers in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 102 (107). Vgl. zu diesem Votum auch Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 137 f. Ähnlich offenbar auch der Gedankengang von Lord Nicholls of Birkenhead in seinem Votum zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 436 (439). 51 Lord Saville of Newdigate in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 96 (97). Vgl. zu diesem Votum auch Bank, ZaöRV 59 (1999), 677 (694 f.); Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 75 f.; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 134 f. 52 Lord Browne-Wilkinson in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 61 (67 ff.). Vgl. zu diesem Votum auch Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 74 f.; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 130 f.
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wesentlichen wie Lord Browne-Wilkinson argumentiert auch Lord Hutton. Auch er betont, mit der Intention der UN-Folterkonvention sei eine Geltung völkerrechtlicher Exemtionen bei einer auf der Basis der Konvention durchgeführten Strafverfolgung wegen Folterungen unvereinbar, denn nach der Konvention solle ein staatlicher Funktionsträger für Folterungen von dem Staat, in dem er sich aufhalte, bestraft werden. Daher könnten Folterhandlungen nicht als Amtshandlungen – auf die sich Immunitäten ratione materiae erstrecken – angesehen werden.53 Doch wie bereits ausführlich dargelegt wurde, vermag die „Privatisierung“ von Handlungen mit dem Ziel, sie dem Schutz der Staatenimmunität zu entziehen, nicht zu überzeugen. Eine solche artifizielle Rechtskonstruktion verschleiert die Rechtswirklichkeit und wirkt in erschreckendem Maße unrechtsrelativierend.54 Hinzu kommt im Fall der UN-Folterkonvention, daß diese laut Art. 1 nur Folterungen erfaßt, die Amtshandlungen sind, also die Argumentation von Lord Browne-Wilkinson und Lord Hutton damit eigentlich zur gänzlichen Unanwendbarkeit der UN-Folterkonvention führen müßte.55 Einige Lordrichter haben sich allerdings deutlich gegen die These einer durch die UN-Folterkonvention festgelegten Immunitätsausnahme ausgesprochen, wobei sie diese Ablehnung allerdings zum Teil nur auf die Immunität für ehemalige Staatsoberhäupter, nicht auf die allgemeine Staatenimmunität bezogen haben. Die damit propagierte Differenzierung zwischen der „normalen“ Staatenimmunität und einer Immunität für ehemalige Staatsoberhäupter vermag aber nicht zu überzeugen, sie findet weder in der Folterkonvention noch in der Staatenpraxis hinreichenden Rückhalt. So hat Lord Slynn of Hadley im ersten Pinochet-Urteil vom 25. November 1998 betont, die Folterkonvention enthalte keinen Verzicht auf Immunität für amtierende oder ehemalige Staatsoberhäupter. Die Formulierung in Art. 1, wonach es um Handlungen gehe, die „von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person (…) verursacht werden“, dürfe nicht dahingehend interpretiert werden, daß sie auch (amtierende oder ehemalige) Staatsoberhäupter erfasse. In anderen völkerrechtlichen Dokumenten, die einen Immunitätsausschluß festlegten, seien nämlich stets Staatsoberhäupter neben Staatsbediensteten separat ausdrücklich aufgeführt.56 Doch kann der genannten Klausel des Art. 1 UN-Folterkonvention richtigerweise eine solche Beschränkung nicht entnommen werden.57 Hätten ehemalige Staatsoberhäupter nicht erfaßt wer___________ Lord Hutton in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 89 (94 f.). 54 Vgl. hierzu ausführlich oben § 5 III.1.c)dd). 55 Siehe auch zu diesem Einwand die Feststellungen oben in § 5 III.1.c)dd). 56 Lord Slynn of Hadley in seinem Votum zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 419 (426 f.). 57 So auch Bank, ZaöRV 59 (1999), 677 (696). 53
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den sollen, so wäre dies sicherlich ausdrücklich erwähnt worden, da eine wortlautgetreue Anwendung der Konvention Taten von Staatsoberhäuptern sehr wohl einschließt. Im übrigen aber kann aus den Ausführungen von Lord Slynn of Hadley im Umkehrschluß zumindest abgeleitet werden, daß auch er von einer Immunitätsausnahme für andere Personen als Staatsoberhäupter und also – mit der Ausnahme von Staatsoberhäuptern – gleichfalls von einer Anordnung der Nichtgeltung der Staatenimmunität bei Folterhandlungen durch die UN-Folterkonvention ausgeht. Eine andere Beschränkung der Immunitätsausnahme durch die UN-Folterkonvention propagiert Lord Hope of Craighead: Nur bei solchen Folterungen, die gleichzeitig Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellten, also im Rahmen eines systematischen oder ausgedehnten Angriffs gegen die Zivilbevölkerung verübt würden, dürfe ein Immunitätsausschluß angenommen werden. Er begründet seine Auffassung damit, daß ein ausdrücklicher Immunitätsverzicht in der Konvention nicht enthalten und bei der Annahme eines konkludenten Verzichts große Zurückhaltung geboten sei. Die Definition der Folter in der Konvention sei so weitgehend, daß nicht angenommen werden könne, die Vertragsstaaten hätten hinsichtlich aller erfaßten Taten auf ihren Immunitätsschutz verzichten wollen. Anders sei die Situation aber bei Folterungen, die zugleich Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellten. Bezüglich solcher Folterungen könne nach der Ratifikation der UNFolterkonvention kein Immunitätsschutz angenommen werden.58 Für eine solche Differenzierung – die Lord Hope of Craighead zwar lediglich auf die Immunität ehemaliger Staatsoberhäupter bezieht, die aber, wie gesagt, nur ein Anwendungsfall der Staatenimmunität ist – findet sich jedoch in der UN-Folterkonvention kein Anhaltspunkt. Hierauf weist ganz zu Recht Lord Hutton hin, der aus diesem Grund die von Lord Hope of Craighead propagierte Differenzierung ausdrücklich ablehnt.59 Bedenkt man, daß eine solche Differenzierung im Ergebnis dazu führen würde, daß nur Folterungen, die die Schwelle zum völkerrechtlichen Verbrechen überschreiten, von Drittstaaten geahndet werden könnten, die UN-Folterkonvention aber ganz offensichtlich das Verbot jeglicher staatlicher Folterung auch durch eine Drittstaatenverfolgung effektiv durchsetzen möchte, dann vermag die Interpretation von Lord Hope of Craighead in der Tat nicht zu überzeugen.
___________ 58 Lord Hope of Craighead in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 78 (86 ff.). Da dieser die Pinochet vorgeworfenen Folterungen als Taten im Rahmen eines ausgedehnten bzw. systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung eingestuft hat, hat er sich im Ergebnis gegen das Bestehen einer Immunität Pinochets ausgesprochen. Vgl. zu diesem Votum auch Bank, ZaöRV 59 (1999), 677 (695 f.); Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 76 f.; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 131 ff. 59 Lord Hutton in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 89 (95).
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Nicht einmal eine solche begrenzte Ausnahme von der Staatenimmunität vermögen Lord Lloyd of Berwick und Lord Goff of Chieveley der UN-Folterkonvention zu entnehmen.60 Ihre Argumentation, die Folterkonvention normiere keine Ausnahme von der Staatenimmunität oder anderen völkerrechtlichen Immunitäten, weil sie keine ausdrückliche Norm enthalte, die eine Irrelevanz völkerrechtlicher Exemtionen festlege,61 greift jedoch zu kurz. Sie verkennt, daß nicht nur eine grammatikalische, sondern auch und sogar vor allem eine teleologische Interpretation völkerrechtlicher Verträge geboten ist, ein Vertrag also vor allem „im Lichte seines Zieles und Zweckes“ auszulegen ist (so Art. 31 Abs. 1 WVRK). Daher steht einer Ableitung einer impliziten Immunitätsausnahme aus dem gesamten Normkontext nichts entgegen. Als Ergebnis der Betrachtung der Voten der Lordrichter im Pinochet-Verfahren ist damit festzuhalten, daß diese, soweit sie überzeugen können, die hier aufgezeigte durch die UN-Folterkonvention festgelegte völkervertragliche Exemtionsausnahme bestätigen. Allerdings ist auch dieser implizite völkervertragliche Ausschluß der Staatenimmunität dadurch begrenzt, daß er lediglich für eine Strafverfolgung von Funktionsträgern eines Vertragsstaates durch die Strafverfolgungsbehörden eines anderen Signatarstaates gilt.62 Denn sowohl eine Berechtigung – im Sinne einer Strafverfolgungskompetenz ohne Rücksicht auf die Staatenimmunität – als auch eine Verpflichtung – im Sinne des Gebots einer Akzeptanz einer fremdstaatlichen Verfolgung eigener Funktionsträger aufgrund eines durch Ratifikation der Folterkonvention konkludent erteilten Verzichts auf die Staatenimmunität – kann sich aus der UN-Folterkonvention bloß für Vertragsstaaten ergeben. Eine weitergehende Ausnahme von der Staatenimmunität bei Folterhandlungen, die auch Nichtvertragsstaaten zur Strafverfolgung wegen fremdstaatlicher Folterungen berechtigt bzw. eine Strafverfolgung auch solcher Folterhandlungen durch Drittstaaten gestattet, die einem Nichtvertragsstaat als Hoheitshandlungen zuzurechnen sind, kann sich wiederum nur aus dem Völkergewohnheitsrecht ergeben. Inwieweit eine derartige völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Staatenimmunität bei Folterhandlungen existiert, ist daher unten in § 6 II.2. zu untersuchen.
___________ 60 Lord Lloyd of Berwick in seinem Votum zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 428 (432 ff.); Lord Goff of Chieveley in seinem Votum zum dritten PinochetUrteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 69 (72 ff.). Vgl. zum Votum von Lord Goff of Chieveley auch Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 138 f. 61 So auch Black-Branch, in: Woodhouse (Hrsg.), Pinochet Case, S. 93 (101). 62 So auch Bank, ZaöRV 59 (1999), 677 (704); Ruud, Pinochet Case, S. 49. Allerdings ist die Zahl der Vertragsstaaten recht hoch, sie liegt derzeit bei 141. Siehe zum Ratifikationsstatus im Internet (31.3.2006).
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4. Die Apartheidkonvention von 1973 Die im Rahmen der Vereinten Nationen ausgearbeitete und sich eng an die UNVölkermordkonvention von 1948 anlehnende Apartheidkonvention vom 30. November 1973,63 die von den westlichen Industriestaaten einschließlich der Bundesrepublik Deutschland abgelehnt wurde und wird,64 verpflichtet die Vertragsstaaten, die in Art. II im einzelnen definierten und als Apartheid bezeichneten Politiken und Praktiken der Rassentrennung und Rassendiskriminierung durch das nationale Strafrecht unter Strafe zu stellen (Art. 4 lit. a)) und ihrer Gerichtsbarkeit unterfallende Täter zu bestrafen (Art. 4 lit. b)). Anders als die Völkermordkonvention gestattet die Apartheidkonvention in Art. V ausdrücklich eine Ausübung extraterritorialer Strafgewalt nach dem Weltrechtsprinzip.65 Für den vorliegenden Zusammenhang ist von Interesse, daß die Apartheidkonvention in Art. III durch eine Einbeziehung von „Vertretern des Staates“ in den Kreis der Personen, auf die sich die strafrechtliche Verantwortlichkeit nach der Konvention beziehen soll, eine Berufung auf die Staatenimmunität ausschließt.66 Art. III Apartheidkonvention lautet in der verbindlichen englischen Fassung: “International criminal responsibility shall apply, irrespective of the motive involved, to individuals, members of organizations and institutions and representatives of the State, whether residing in the territory of the State in which the acts are perpetrated or in some other State, whenever they: a) Commit, participate in, directly incite or conspire in the commission of the acts mentioned in article II of the present Convention; b) Directly abet, encourage or co-operate in the commission of the crime of apartheid.”67
Wie für die anderen hier skizzierten völkerrechtlichen Verträge, so gilt auch für die Apartheidkonvention, daß der von ihr angeordnete Exemtionsausschluß wegen der völkergewohnheitsrechtlich anerkannten und in Art. 34 WVRK zum Ausdruck gebrachten pacta tertiis-Regel nur im Verhältnis der Vertragsstaaten untereinander gilt, also nur für den Fall, daß sowohl der strafverfolgende Staat als auch der Staat, für den ein staatlicher Funktionsträger agiert hat, der also Immunitätsbegünstigter ___________ Siehe oben Anm. 5. Deutschland hat die Konvention, die derzeit 106 Vertragsstaaten hat, weder gezeichnet noch ratifiziert. Vgl. zum Ratifikationsstatus (31.3.2006). 65 Vgl. allgemein zur Apartheidkonvention Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1097 f.; Ipsen, in: ders., Völkerrecht, § 48 Rn. 23; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 81 ff. 66 So auch Cassese, JICJ 1 (2003), 437 (448); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1018; Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (981); Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 84 f.; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 308; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 159, 210 Fn. 293. 67 Eine (nichtamtliche) dt. Übers. findet sich in VN 1975, 57. 63 64
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ist, Signatarstaaten der Apartheidkonvention sind.68 Damit ist die Bedeutung dieser Konvention auch abgesehen davon, daß das Phänomen der Apartheid mit dem Systemwechsel in Südafrika (derzeit) weitgehend überwunden scheint, nur gering.
II. Außervertragliche Ausnahmen Die erläuterten völkervertraglichen Ausnahmen von der Staatenimmunität erfassen zum einen nur einen Teilbereich völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger schwerer Menschenrechtsverletzungen. So werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit – abgesehen vom Verbrechen der Apartheid – und Kriegsverbrechen in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten von den vertraglichen Ausnahmen nicht erfaßt. In bezug auf Menschenrechtsverletzungen, die nicht als völkerrechtliche Verbrechen klassifiziert werden können, gibt es eine völkervertragliche Exemtionsausnahme lediglich für Folterhandlungen. Zum anderen gelten die völkervertraglichen Ausnahmen – wie bereits erwähnt wurde – bloß im Verhältnis der Vertragsparteien des betreffenden Vertrags zueinander. Dies bedeutet, daß diese Ausnahmebestimmungen nur einschlägig sind, wenn sowohl der strafverfolgende Staat als auch der Staat, dem die strafbare Handlung als staatliche Handlung zuzurechnen ist, um dessen Staatenimmunität es also geht, Vertragsstaaten des betreffenden Abkommens sind. Daher ist im folgenden zu klären, inwieweit neben den analysierten vertraglichen Ausnahmen auch außervertragliche Ausnahmen von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen und sonstigen Menschenrechtsverletzungen existieren. Die Untersuchung hat insofern zu differenzieren zwischen einerseits völkerrechtlichen Verbrechen und andererseits Menschenrechtsverletzungen, die die Schwelle zum völkerrechtlichen Verbrechen nicht überschreiten. Denn die Frage einer außervertraglichen Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen kann angesichts einer einhelligen und gefestigten Staatenpraxis mittlerweile klar und eindeutig beantwortet werden. Inwieweit eine außervertragliche Ausnahme bei sonstigen Menschenrechtsverletzungen existiert, ist dagegen noch weitgehend ungeklärt. 1. Die völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen a) Der Begriff des völkerrechtlichen Verbrechens Völkerrechtliche Verbrechen – als Synonym wird auch der Begriff „Völkerstraftaten“ verwandt – sind Taten, die direkt und unmittelbar nach Völkerrecht strafbar ___________ 68
Gegenwärtig haben 106 Staaten die Konvention ratifiziert (siehe oben Anm. 64).
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sind. Beim völkerrechtlichen Strafrecht bzw. Völkerstrafrecht handelt es sich mithin um einen Bestand von strafrechtlichen Normen, die als Teil des universell geltenden Völkergewohnheitsrechts eine unmittelbare strafrechtliche Verantwortlichkeit von Einzelpersonen festlegen – den einzelnen Menschen also insofern als Pflichtsubjekt des Völkerrechts anerkennen – und den Staaten gestatten, in Anwendung dieser Straftatbestände Sanktionen zu verhängen.69 Einigkeit besteht dahingehend, daß Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu den völkerrechtlichen Verbrechen in diesem Sinne zu zählen sind.70 Weitgehend geklärt ist auch, welche konkreten Verhaltensweisen unter diese Tatbezeichnungen fallen. Völkermordtaten sind diejenigen Taten, die von Art. II Völkermordkonvention71 und Art. 6 IStGH-Statut72 – sowie seinem deutschen Pendant, dem § 6 VStGB73 – unter Strafe gestellt sind. Als Verbrechen gegen die Menschlichkeit im völkerstrafrechtlichen Sinne gelten diejenigen Verhaltensweisen, die von Art. 7 IStGH-Statut bzw. § 7 VStGB pönalisiert sind. Art. 6 und 7 IStGH-Statut sowie §§ 6 und 7 VStGB spiegeln also den Stand des völker(gewohnheits-)rechtlichen Strafrechts wider.74 Schwieriger zu beantworten ist dagegen die Frage, welche Taten als Kriegsverbrechen durch das Völkerrecht ___________ Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 5 Rn. 1; Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 49; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 71 f. Abzugrenzen sind völkerrechtliche Verbrechen damit von Taten, zu deren Pönalisierung durch nationale Rechtsvorschriften und Bestrafung sich die Staaten durch völkerrechtliche Vereinbarungen verpflichtet haben. Denn bezüglich solcher Taten folgt die Strafbarkeit allein aus dem nationalen Strafrecht, nicht unmittelbar aus dem Völkerrecht. Vgl. Kreicker, a.a.O., S. 49 Fn. 2. Beispiele für solche völkerrechtlichen Vereinbarungen, die keine unmittelbare Strafbarkeit nach Völkerrecht begründen, sondern lediglich den Vertragsstaaten die Schaffung und ggf. Anwendung nationaler Strafnormen gebieten, sind etwa Art. 4 f. UN-Folterkonvention (siehe oben Anm. 4) und Art. 1 ff. Haager Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen vom 16.12.1970 (BGBl. 1972 II, S. 1505). Zu den verschiedenen Möglichkeiten der Staaten, Völkerstraftaten auf nationaler Ebene zu ahnden, siehe (in bezug auf Völkermord) Kreicker, ICLR 5 (2005), S. 313 (319 ff.). 70 Vgl. nur BT-Drucks. 14/8524, S. 12, 23; Cassese, International Criminal Law, S. 24, 47 ff., 64 ff., 96 ff.; Schönke/Schröder-Eser, vor § 1 Rn. 22; Jescheck, in: Bemmann/ Spinellis (Hrsg.), FS Mangakis, S. 483 (487); Triffterer, in: Gössel/Triffterer (Hrsg.), GedS Zipf, S. 493 (508 ff., 533); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 15, 28, 73, 538 sowie Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 54 m.w.N. in Fn. 31. 71 Vgl. oben Anm. 1. 72 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17.7.1998; BGBl. 2000 II, S. 1393. 73 Art. 1 Gesetz zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches vom 26.6.2002, BGBl. 2002 I, S. 2254. Vgl. allgemein zum VStGB Gropengießer/Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 21 ff. 74 Vgl. Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 65. Zum Teil a.A. Cassese, International Criminal Law, S. 91 ff., 107 f. 69
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strafbewehrt sind. Art. 8 IStGH-Statut kann nicht als umfassende Normierung aller nach Völkerrecht strafbaren Kriegsverbrechen angesehen werden. Diese Vorschrift, die einem auf der Staatenkonferenz von Rom gefundenen politischen Kompromiß zu verdanken ist, weist vor allem im Bereich der Kriegsverbrechen in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten Lücken auf.75 Dagegen ist das deutsche VStGB darauf angelegt, sämtliche nach anerkanntem Völkerrecht strafbaren Verbrechen und damit auch sämtliche Kriegsverbrechen zu erfassen.76 Daher können die Kriegsverbrechenstatbestände des VStGB (§§ 8–12) als vollumfängliche Auflistung der nach Völkerrecht strafbaren Kriegsverbrechen angesehen werden.77 Eine gewisse Unsicherheit besteht hinsichtlich der Frage, inwieweit das Verbrechen der Aggression völkerrechtlich strafbewehrt ist. In Art. 5 Abs. 1 lit. c) IStGHStatut ist das Verbrechen der Aggression zwar aufgeführt, doch legt Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut fest, daß der Internationale Strafgerichtshof seine Gerichtsbarkeit über dieses Verbrechen erst ausüben darf, wenn dieses durch die Vertragsstaaten des Römischen Statuts definiert worden ist. Wenn aber noch keine Einigkeit über die Tatbestandsmerkmale dieses Verbrechens besteht, dann fällt es schwer, von einer völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung auszugehen. So hat denn auch der deutsche Gesetzgeber trotz seines Anspruchs, das VStGB solle die Entwicklung des Völkerstrafrechts widerspiegeln, von einer Pönalisierung des Verbrechens der Aggression im VStGB – ganz zu Recht – Abstand genommen. Eklatant völkerrechtswidrige Fälle eines Angriffskrieges im Sinne eines mit nicht unerheblichen militärischen Mitteln sowie mit dem Ziel einer Unterwerfung eines anderen Staates geführten Krieges sind (als Nukleus des Aggressionsverbrechens) jedoch nach richtiger Auffassung bereits heute nach Völkergewohnheitsrecht strafbar.78 Zwar werden in der progressiven völkerstrafrechtlichen Literatur zum Teil auch terroristische Gewaltakte wie etwa die Anschläge auf das Word Trade Center in New York vom 11. September 2001 sowie auch solche Folterungen, die nicht im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung ___________ Vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 12, 23; Cassese, International Criminal Law, S. 59 ff.; Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 66 f., 487 f.; Werle, JZ 2001, 885 (894 f.); Werle/Jeßberger, JZ 2002, 725 (731 f.); Werle/Nerlich, HuV-I 2002, 124 (127). 76 Vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 12, 23 sowie Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 65 ff. 77 Vgl. Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 68; Satzger, NStZ 2002, 125 (132); Werle, JZ 2001, 885 (894 f.); Werle/Jeßberger, JZ 2002, 725 (731); Werle/Nerlich, HuV-I 2002, 124 (127). 78 In diesem Sinne etwa Ambos, in: Arnold u.a. (Hrsg.), FS Eser, S. 671 (674 ff.); ders., Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 254 ff.; Cassese, International Criminal Law, S. 113; ders., in: Evans (Hrsg.), International Law, S. 721 (747); Hummrich, Der völkerrechtliche Straftatbestand der Aggression, S. 121 f., 139, 147; Kreß, ZStW 115 (2003), 294 (296 ff.); Kurth, NZWehrr 2005, 59 (62 f.); Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 15 Rn. 77; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 1150 ff. 75
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verübt werden und damit nicht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit klassifiziert werden können, zum Kreis der unmittelbar nach Völkerrecht strafbaren völkerrechtlichen Verbrechen gezählt.79 Doch kann dem de lege lata nicht zugestimmt werden. Weder gibt es eine hinreichende Gerichts- oder sonstige Staatenpraxis, in der die Anerkennung einer solchen völkerrechtlichen Strafbewehrung zum Ausdruck kommt, noch läßt sich den völkerstrafrechtlichen Dokumenten – vom Statut des Nürnberger Militärgerichtshofs bis zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs – ein Anhaltspunkt dafür entnehmen, daß neben Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und dem Verbrechen der Aggression noch weitere Taten als völkerrechtliche Verbrechen strafbar sind.80 Wenn im folgenden die Frage der Geltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen erörtert wird, so geht es also einerseits um Völkermordtaten, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in dem Umfang, wie sie im VStGB definiert sind, und andererseits um eklatant völkerrechtswidrige Fälle eines Angriffskrieges. b) Nichtgeltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen Völkerrechtliche Verbrechen im soeben definierten Sinne werden zwar nicht zwingend, wohl aber typischerweise in staatlichem Auftrag bzw. mit staatlicher Unterstützung und Billigung begangen.81 Sie sind also in aller Regel einem Staat zurechenbare acta iure imperii, auf die sich die Staatenimmunität bezieht. Mit der dem Völkerstrafrecht zugrundeliegenden Idee der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Einzelnen für Völkerrechtsverbrechen wäre eine auf dem Grundsatz der Staatenimmunität basierende Exemtion jedoch unvereinbar, denn eine solche bedeutete, daß ausschließlich der Staat, in dessen Auftrag bzw. dem zurechenbar die Tat begangen wurde, bzw. ein mit Zustimmung dieses Staates er___________ So etwa Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (864); ders., International Criminal Law, S. 24, 117 ff., 120 ff.; ders., in: Evans (Hrsg.), International Law, S. 721 (748 ff.). 80 So auch Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 73. Ebenso der deutsche Gesetzgeber, wenn er angesichts seines Ziels, mit dem VStGB das geltende Völkerstrafrecht zu erfassen (vgl. oben Anm. 76), weder terroristische Gewaltakte noch Folterungen außerhalb des Kontextes von Verbrechen gegen die Menschlichkeit im VStGB unter Strafe gestellt hat. Für die hier interessierende Frage, bei welchen Fallgruppen die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit Ausnahmen erfährt, ist dieser Streit aber unerheblich. Denn wie noch zu zeigen sein wird, erfährt die Staatenimmunität generell bei Foltertaten sowie bei geheimdienstlichen Gewalttaten eine völkerrechtlich anerkannte Ausnahme, unabhängig davon, ob solche Taten als Völkerstraftaten klassifiziert werden können oder nicht (vgl. hierzu unten § 6 II.2. und § 7). 81 Vgl. Cassese, International Criminal Law, S. 83 f. (in bezug auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 644 ff., 842 ff. (in bezug auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen). Zu Recht weist Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (868) darauf hin, daß vor allem Kriegsverbrechen auch in “private capacity” begangen werden können. 79
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richtetes internationales Strafgericht zu einer Strafverfolgung befugt wäre. Das Völkerstrafrecht liefe damit in aller Regel leer. Eine solche Exemtion wäre auch nicht zu legitimieren. Denn die Staatenimmunität soll die Souveränität der Staaten schützen. Ein Staat, der völkerrechtliche Verbrechen begehen läßt, ist jedoch in keiner Weise schutzwürdig. Er verletzt vielmehr seinerseits das Völkerrecht. Da völkerrechtliche Verbrechen – wie die Präambel des Römischen Statuts feststellt – den Frieden, die Sicherheit und das Wohl der Welt bedrohen und die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, ist jeder Staat durch die Begehung eines völkerrechtlichen Verbrechens betroffen. Eine Bestrafung stellt damit keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Tatortstaates oder Heimatstaates des Täters dar und verletzt generell keine schutzwürdigen Souveränitätsinteressen des Staates, der „hinter dem Verbrechen steht“. Für die Staatenimmunität ist daher bei völkerrechtlichen Verbrechen kein Raum; mit der Entwicklung eines Völkerstrafrechts mußte notwendigerweise eine Einschränkung der Staatenimmunität einhergehen.82 Integraler Bestandteil der Entwicklung des Völkerstrafrechts war daher – nahezu zwangsläufig – die parallele völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen. In ihrem Kommentar zum Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind von 199683 hat die ILC treffend ausgeführt: “(…) crimes against the peace and security of mankind often require the involvement of persons in positions of governmental authority who are capable of formulating plans or policies involving acts of exceptional gravity and magnitude. These crimes require the power to use or to authorize the use of the essential means of destruction and to mobilize the personnel required for carrying out these crimes. A government official who plans, instigates, authorizes or orders such crimes not only provides the means and the personnel required to commit the crime, but also abuses the authority and power entrusted to him. He may, therefore, be considered to be even more culpable than the subordinate who actually commits the criminal act. It would be paradoxical to allow the individuals who are, in some respects, the most responsible for the crimes covered by the Code to invoke the sovereignty of the State and to hide behind the immunity that is conferred on them by virtue of their positions particularly since these heinous crimes shock the conscience of mankind, violate some of the most fundamental rules of international law and threaten international peace and security.”84
Es steht daher heute außer Frage, daß die Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme erfährt.
___________ So auch Ambos, JZ 1999, 16 (21): „Absolute Immunität opfert die Menschenrechte auf dem Altar des überkommenen Grotiusschen Grundsatzes der Staatensouveränität.“ 83 Vgl. näher zu diesem Entwurf unten Anm. 164. 84 YBILC 1996 II/2, 26 f. 82
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Diese Auffassung wird nicht nur nahezu einhellig in der wissenschaftlichen Literatur vertreten,85 sondern findet auch Rückhalt in einer absolut uniformen Staaten___________ 85 Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 79; Akande, JICJ 1 (2003), 618 (638 f.); ders., AJIL 98 (2004), 407 (413 ff.); Alebeek, BYIL 71 (2000), 29 (64); Ambos, JZ 1999, 16 (21 ff.); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 135 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 111; Arnold/Kühl, JuS 1992, 991 (992); Basak, HuV-I 2005, 85 (92); Bassiouni, Introduction to International Criminal Law, S. 75; Bianchi, EJIL 10 (1999), 237 (259 ff.); Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (252, 254, 257); Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (864 ff.); ders., International Criminal Law, S. 23 f., 267 ff.; ders., JICJ 1 (2003), 437 (444 ff.); ders., International Law, S. 110, 113, 450; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1018 f., 1036; Delupis, AJIL 78 (1984), 53 (59, 61); Doehring, Völkerrecht, Rn. 1166; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (210); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 37; Fastenrath, FAZ vom 18.1.1999, S. 14; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578 f.); Frulli, JICJ 2 (2004), 1118 (1126); Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, Bd. I, S. 975 (981 f.); dies., JICJ 1 (2003), 186 (187 f.); Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 86 f.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. 2. b); Graefrath, NJ 1967, 458 (458 f.); Herdegen, ZaöRV 47 (1987), 221 (224); Hübner, Das Verbrechen des Völkermordes, S. 261 ff.; Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 136 f.; Hummrich, Der völkerrechtliche Straftatbestand der Aggression, S. 32 ff.; Jescheck, GA 1981, 49 (54 f.); ders., JICJ 2 (2004), 38 (43 f.); Jescheck/ Weigend, Lehrbuch, § 14 III. 3.; Jones, in: Yee/Tieya (Hrsg.), International Law in the Post-Cold War World, S. 254 (262 ff.); Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 165 f.; Kasper, MDR 1994, 545 (545); Kleffner, JICJ 1 (2003), 86 (103); Klingberg, GYIL 46 (2003), 537 (552 ff.); Knoops, Defences, S. 70 ff.; Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 353 ff.; Kreß, NStZ 2000, 617 (622); ders., GA 2003, 25 (35); Kriebaum, in: Karl (Hrsg.), Völker- und Europarecht, S. 51 (59 ff.); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 240 ff., 271 ff.; McDonald/Swaak-Goldman, International Criminal Law, S. 386; Morris/Scharf, International Criminal Tribunal for Rwanda, vol. 1, S. 246 ff.; Nouwen, LJIL 18 (2005), 645 (660); Pilitu, JICJ 1 (2003), 453 (457 f.); Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (404 f.); Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 42 f.; Simma/Paulus, NZZ vom 27.11.1998, S. 7; Triffterer, Untersuchungen zur Entwicklung des materiellen Völkerstrafrechts, S. 3, 222; ders., in: Lampe (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung, Bd. II, S. 131 (142 f.); ders., in: Hankel/Stuby (Hrsg.), Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen, S. 169 (213); ders., in: Gössel/Triffterer (Hrsg.), GedS Zipf, S. 493 (507); ders., in: ders. (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 27 Rn. 12; Weber, VN 1990, 205 (208 f.); Wengler, Völkerrecht, Bd. I, S. 540 ff.; ders., Völkerrecht, Bd. II, S. 955, 1461 f.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 451 ff.; Wirth, Jura 2000, 70 (76); ders., NStZ 2001, 665 (667); ders., CLF 12 (2001), 429 (433 ff., 457); ders., EJIL 13 (2002), 877 (884, 888); Wirth/Harder, ZRP 2000, 144 (147); Woetzel, Nuremberg Trials, S. 73 f. (die von ihm propagierte Beschränkung der Immunitätsausnahme auf Taten, die in Souveränitätsrechte des strafverfolgenden Staates eingreifen, ist heute angesichts der erga omnes-Wirkung völkerrechtlicher Verbrechen überholt); Zappalà, EJIL 12 (2001), 595 (601 ff.); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 113, 152. Anders kurz nach dem Zweiten Weltkrieg noch Kelsen, ILQ 1 (1947), 153 (159 ff.); ders., Principles of International Law, S. 238 f. und Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 166, 286 ff., 293 f., wobei Jescheck im Jahr 1957 dann formuliert hat, „dass die Entwicklung in Richtung auf eine Anerkennung der Gerichtsbarkeit über fremde Hoheitsakte zu verlaufen scheint“ (Jescheck, ZStrR 72 [1957], 217 [240]). Auch heute noch sehr restriktiv Häußler, in: Hasse u.a. (Hrsg.), Menschenrechte, S. 562 (587); Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 610. Vgl. in diesem Zusammenhang auch BVerfGE 96, 68 (84 f.) = NJW 1998, 50 (52 f.), wo in einem obiter dictum gleichfalls von einer Nichtgeltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen ausgegangen wird.
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praxis. Der deutsche Gesetzgeber erachtet diese Ausnahme von der Staatenimmunität ganz offensichtlich sogar für eine bare Selbstverständlichkeit. Denn die amtliche Begründung zum Gesetzentwurf für das VStGB geht mit keinem Wort auf ein mögliches Verfolgungshindernis wegen der Staatenimmunität ein.86 Bevor aber nun diese Staatenpraxis einer näheren Betrachtung unterzogen wird, soll noch auf zwei wichtige Punkte hingewiesen werden: Erstens gilt die Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen unabhängig davon, ob eine Strafverfolgung wegen einer Völkerstraftat unter direkter Anwendung der völkergewohnheitsrechtlichen Strafnormen erfolgt – dies ist aus völkerrechtlicher Sicht ohne weiteres statthaft87 – oder aber nationale Straftatbestände des strafverfolgenden Staates – sei es Spezialtatbestände wie die des VStGB, die den völkerrechtlichen Strafnormen entsprechen, sei es Straftatbestände des „normalen“, auch für die „Alltagskriminalität“ geltenden Strafrechts – zur Anwendung gebracht werden. Die Exemtionsausnahme greift also beispielsweise auch dann, wenn ein Staat die Tötung eines Menschen im Rahmen eines Völkermords als Totschlag oder ein Kriegsverbrechen der Plünderung als Diebstahl unter Anwendung seiner für die „Alltagskriminalität“ geschaffenen Straftatbestände ahndet. Entscheidend ist allein, daß die Tat, um deren Ahndung es geht, völkerrechtlich betrachtet als Völkerstraftat zu klassifizieren ist. Zweitens folgt aus der Feststellung, daß die Gewährung von Staatenimmunität mit der dem Völkerstrafrecht zugrundeliegenden Idee einer individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach Völkerrecht unvereinbar ist, daß eine Anerkennung weiterer Völkerstraftaten auch unmittelbar Auswirkungen auf die Reichweite der Ausnahme von der Staatenimmunität haben muß. Die Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen ist mithin nicht statisch auf diejenigen Verhaltensweisen bezogen, die momentan als völkerrechtliche Verbrechen strafbar sind, sondern dynamisch auf alle Taten, die „als schwerste Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren“,88 unmittelbar nach Völkerrecht strafbar sind. Sollte sich also zukünftig der Kreis der Völkerstraf___________ Vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 17. So lassen Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 EMRK sowie die gleichlautenden Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 IPBPR und Art. 49 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 der (noch nicht rechtsverbindlichen) EU-Grundrechtecharta vom 7.12.2000 (ABl. EG. Nr. C 364/1 vom 18.12.2000) eine Bestrafung auf der Basis des „internationalen Rechts“, also des Völkerstrafrechts zu. Für die Bundesrepublik Deutschland scheidet eine unmittelbare Anwendung des (völkergewohnheitsrechtlichen) Völkerstrafrechts jedoch von Verfassungs wegen aus. Denn den Anforderungen, die das Gesetzlichkeitsprinzip des Art. 103 Abs. 2 GG mit seinen Geboten der lex scripta und lex certa an Strafnormen stellt, genügt das Völkerstrafrecht auf weiten Strekken nicht. Vgl. zum Ganzen Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 54 ff. 88 So die Charakterisierung von Völkerstraftaten durch die Präambel des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs. 86 87
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taten erweitern, so würde die Ausnahme von der Staatenimmunität gewissermaßen „mitwachsen“. c) Anerkennung der Nichtgeltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen durch die Staatenpraxis Die völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen kommt – wie soeben angedeutet wurde – in einer umfangreichen, über Jahrzehnte gefestigten und einheitlichen Staatenpraxis zum Ausdruck. Im folgenden soll ein exemplarischer Blick auf diese Staatenpraxis geworfen werden, wobei ein besonderes Augenmerk Strafverfahren gilt, die in Deutschland durchgeführt wurden bzw. die einen unmittelbaren Bezug zu Deutschland haben. aa) Ahndung während des Ersten Weltkrieges begangener Kriegsverbrechen Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges hatten die siegreichen Alliierten ursprünglich eine strafrechtliche Verfolgung des deutschen Kaisers und eine Bestrafung deutscher Soldaten wegen Kriegsverbrechen89 beabsichtigt. Diese Absicht wurde im Versailler Vertrag vom 28. Juni 191990 zum Ausdruck gebracht; die einschlägigen Art. 227 ff. sahen zudem eine Auslieferung des ehemaligen deutschen Kaisers und von Deutschen, denen Kriegsverbrechen zur Last gelegt wurden, an die Alliierten vor, um sie vor Gerichten der Siegermächte zur Verantwortung zu ziehen.91 Die Art. 227 ff. des Versailler Friedensvertrags lauteten:92 „Art. 227. (1) Die alliierten und assoziierten Mächte stellen Wilhelm II von Hohenzollern, vormaligen Kaiser von Deutschland, wegen schwerster Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge unter öffentliche Anklage. (2) Ein besonderer Gerichtshof wird eingesetzt, um über den Angeklagten unter Wahrung der wesentlichen Bürgschaften des Rechts auf Verteidigung zu Gericht zu sitzen. Der Gerichtshof besteht aus fünf Richtern, von denen je einer von folgenden fünf Mäch-
___________ 89 Zu den im Ersten Weltkrieg begangenen Kriegsverbrechen siehe die Aufstellung bei Seidler/de Zayas (Hrsg.), Kriegsverbrechen, S. 19 ff. 90 RGBl. 1919, S. 687. 91 Vgl. Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 27 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 3; Bassiouni, in: ders. (Hrsg.), International Criminal Law, Bd. III: Enforcement, S. 31 (33 ff.); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1025 f.; Engelhart, Jura 2004, 734 (736); Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 41 ff.; Merkel, in: Nürnberger Menschenrechtszentrum (Hrsg.), Von Nürnberg nach Den Haag, S. 68 (71 ff.); Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 12 Rn. 3; Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag, S. 71 ff.; von Selle, ZNR 19 (1997), 193 (194 ff.); Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 48 ff., 198 ff.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 5 ff.; Willis, Prologue to Nuremberg, S. 3 ff. 92 RGBl. 1919, S. 687 (981, 983).
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ten, nämlich den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan ernannt wird. (3) Der Gerichtshof urteilt auf der Grundlage der erhabensten Grundsätze der internationalen Politik; Richtschnur ist für ihn, den feierlichen Verpflichtungen und internationalen Verbindlichkeiten ebenso wie dem internationalen Sittengesetze Achtung zu verschaffen. Es steht ihm zu, die Strafe zu bestimmen, deren Verhängung er für angemessen erachtet. (4) Die alliierten und assoziierten Mächte werden an die Regierung der Niederlande das Ersuchen richten, den vormaligen Kaiser zum Zwecke seiner Aburteilung auszuliefern. Art. 228. (1) Die deutsche Regierung räumt den alliierten und assoziierten Mächten die Befugnis ein, die wegen eines Verstoßes gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges angeklagten Personen vor ihre Militärgerichte zu ziehen. (…). (2) Die deutsche Regierung hat den alliierten und assoziierten Mächten oder derjenigen Macht von ihnen, die einen entsprechenden Antrag stellt, alle Personen auszuliefern, die ihr auf Grund der Anklage, sich gegen die Gesetzes und Gebräuche des Krieges vergangen zu haben, (…) bezeichnet werden. Art. 229. (1) Sind die strafbaren Handlungen gegen Staatsangehörige einer der alliierten und assoziierten Mächte begangen, so werden die Täter vor die Militärgerichte dieser Macht gestellt. (2) Sind die strafbaren Handlungen gegen Staatsangehörige mehrerer alliierter und assoziierter Mächte begangen, so werden die Täter vor Militärgerichte gestellt, die sich aus Mitgliedern von Militärgerichten der beteiligten Mächte zusammensetzen. (…).“
Letztlich aber kam es nicht zu den von den Alliierten geplanten Prozessen. Die Niederlande, in die sich der deutsche Kaiser nach seiner Abdankung geflüchtet hatte, weigerten sich, den früheren Kaiser den Siegermächten zu überstellen.93 Ebensowenig kam es zu einer Auslieferung anderer Deutscher. Da das Deutsche Reich sich einer Überstellung deutscher Soldaten – die Entente-Mächte hatten ursprünglich die Auslieferung von knapp 900 Personen verlangt – vehement verweigerte und die Siegermächte die Durchsetzung ihrer ursprünglichen Pläne nicht als vordringlich erachteten, einigte man sich schließlich darauf, daß Deutschland selbst Strafverfahren wegen Kriegsverbrechen deutscher Soldaten durchführen sollte.94 ___________ Vgl. Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 37 f.; Bassiouni, in: ders. (Hrsg.), International Criminal Law, Bd. III: Enforcement, S. 31 (36 f.) (Bassiouni stellt die Vermutung auf, die Alliierten hätten die Auslieferung des ehemaligen Kaisers von den Niederlanden nicht wirklich erstrebt und den Niederlanden goldene Brükken gebaut, um eine Auslieferung ablehnen zu können); Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 62 f.; Gornig, in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (463 f.); Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 201 ff.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 8; Willis, Prologue to Nuremberg, S. 98 ff. 94 Vgl. Bassiouni, in: ders. (Hrsg.), International Criminal Law, Bd. III: Enforcement, S. 31 (37); Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 64; Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag, S. 250 ff., 300 ff., 322 ff.; von Selle, ZNR 19 (1997), 193 (194 ff.); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 8 f.; Willis, Prologue to Nuremberg, S. 113 ff. sowie die ausführliche Analyse der „Leipziger Prozesse“ von Wiggenhorn, Verliererjustiz. 93
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Daraufhin fanden auf der Grundlage eines besonderen Gesetzes95 einige wenige halbherzig betriebene Prozesse vor dem Reichsgericht in Leipzig statt. Insgesamt wurde nur gegen zwölf Personen eine Hauptverhandlung durchgeführt, von denen die Hälfte vom Reichsgericht freigesprochen wurde.96 Für den vorliegenden Zusammenhang sind diese Ereignisse insofern von Relevanz, als im Vorfeld der Unterzeichnung des Versailler Vertrags auf seiten der Siegermächte Bedenken bestanden, ob eine Strafverfolgung deutscher Funktionsträger wegen Kriegsverbrechen vor Gerichten der Siegermächte mit der Staatenimmunität vereinbart werde könne. So haben sich die Amerikaner und die Japaner unter Hinweis auf die Staatenimmunität gegen eine Strafverfolgung des ehemaligen deutschen Kaisers ausgesprochen.97 Auch Strafrechtswissenschaftler der späteren Siegermächte haben während des Ersten Weltkrieges zum Teil die Zulässigkeit einer strafrechtlichen Ahndung solcher Kriegsverbrechen, die Hoheitsakte des Feindstaates darstellen, entschieden verneint.98 Die Tatsache, daß man sich im Ergebnis über diese Bedenken hinwegsetzte, spricht jedoch dafür, daß die Staatenimmunität letztlich nicht als Hindernis für eine Ahndung von Kriegsverbrechen durch Gerichte fremder Staaten angesehen wurde und die schon während des Krieges unter den Strafrechtswissenschaftlern der späteren Siegermächte Frankreich und England im Vordringen begriffene Auffassung, daß die Staatenimmunität bei Kriegsverbrechen eine Ausnahme erfährt,99 Anerkennung gefunden hatte.100 ___________ Gesetz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen vom 18.12.1919, RGBl. 1919, S. 2125. Hinzuweisen ist zudem auf ergänzende Gesetze vom 24.3.1920 (RGBl. 1920, S. 341) und vom 12.5.1921 (RGBl. 1921, S. 508). Siehe zu diesen Gesetzen von Selle, ZNR 19 (1997), 193 (194). 96 Vgl. Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 41 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 5; Bassiouni, in: ders. (Hrsg.), International Criminal Law, Bd. III: Enforcement, S. 31 (38 f.); Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 64 ff.; von Selle, ZNR 19 (1997), 193 (196 ff.); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 9 ff. (Werle spricht von „Schein- und Schauverfahren zur Befriedigung der Siegermächte“); Willis, Prologue to Nuremberg, S. 126 ff. sowie aus zeitgenössischer Perspektive Hofacker, ZStW 43 (1922), 649 (649 ff.). Die Urteile sind veröffentlicht in den Verhandlungen des deutschen Reichstags, 1. Wahlperiode 1920, Bd. 368, Nr. 2584, S. 2542 ff. Bei diesen Prozessen konnte die Staatenimmunität selbstverständlich keine Relevanz haben. 97 Vgl. Baumann, JZ 1963, 110 (117 Fn. 95); Dahm, Problematik des Völkerstrafrechts, S. 46; Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (979); Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 56 f., 164; Merkel, in: Nürnberger Menschenrechtszentrum (Hrsg.), Von Nürnberg nach Den Haag, S. 68 (75); Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 199 f. 98 Vgl. die Nachw. bei Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 44 f. und bei Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag, S. 65. 99 Vgl. die Nachw. bei Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 46 ff. und bei Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag, S. 63 ff. 100 So Triffterer, ZStW 114 (2002), 321 (333), der die hier erörterten Regelungen des Versailler Vertrags als „eine erste Einschränkung der ‚act of state’-Doktrin“ bezeichnet. Ebenso Verdross, Völkerrechtswidrige Kriegshandlung, S. 87. 95
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Für eine solche Anerkennung einer Ausnahme von der Staatenimmunität schon zum damaligen Zeitpunkt spricht auch, daß französische Gerichte bereits während des Krieges deutsche Kriegsgefangene wegen Kriegsverbrechen, die sie auf Geheiß ihrer Vorgesetzten verübt hatten, die also hoheitlich-dienstliche Handlungen waren, verurteilt hatten101 und England sich nicht durch die Staatenimmunität gehindert sah, Anklagen gegen deutsche Marineoffiziere wegen völkerrechtswidriger Kriegshandlungen vorzubereiten.102 Demgemäß war in den Plänen Frankreichs und Englands eine Bestrafung deutscher Funktionsträger – soweit ersichtlich – auch nicht von einem vorherigen Immunitätsverzicht Deutschlands abhängig gemacht worden.103 Auch die zur Vorbereitung der alliierten Strafverfolgung eingesetzte multinationale Kommission hatte in ihrem Bericht die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen für Kriegsverbrechen und die Irrelevanz völkerrechtlicher Immunitäten als geltendes Völkerrecht angesehen.104 Im übrigen hatte sich auch im Deutschen Reich während des Ersten Weltkrieges die Auffassung durchgesetzt, daß gegnerische Soldaten nach ihrer Gefangennahme auch für solche Kriegsverbrechen bestraft werden dürfen, die sie vor ihrer Gefangennahme als ihrem Staat zurechenbare Kriegshandlungen verübt haben. Während die Gerichte zu Beginn des Krieges eine solche Strafverfolgungskompetenz noch verneint hatten,105 änderten sie – offenbar unter dem Eindruck der gegenläufigen französischen Strafrechtspraxis – später ihre Auffassung und gingen dazu über, ihre Zuständigkeit für eine Ahndung vor der Gefangennahme begangener und einer kriegführenden Macht als Hoheitshandlung zurechenbarer Kriegsverbrechen von feindlichen Kriegsgefangenen zu bejahen.106 In der zeitgenössischen deutschen
___________ Vgl. die Nachw. bei Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 46 mit Fn. 37 und Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag, S. 63 ff. Siehe auch Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 5 Fn. 2. 102 Vgl. Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 48; Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag, S. 66 ff. 103 Vgl. Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 46 ff., 51 ff. 104 Vgl. die Wiedergabe des Kommissionsberichts in AJIL 14 (1920), 95 (116 f.). Siehe ferner Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (979); Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 51 ff.; Merkel, in: Nürnberger Menschenrechtszentrum (Hrsg.), Von Nürnberg nach Den Haag, S. 68 (74); Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag, S. 94 ff. 105 Vgl. Reichsmilitärgericht, Urteil vom 23.8.1915, DJZ 1915, Sp. 1235. Auszugsweise wiedergegeben bei Kohler, GA 62 (1916), 354 (369 ff.). Siehe zu diesem Urteil aber auch Verdross, Völkerrechtswidrige Kriegshandlung, S. 17, der feststellt, daß die (Militär-) Gerichtsbarkeit nicht aus völkerrechtlichen Gründen, sondern wegen Besonderheiten des deutschen Militärstrafprozeßrechts verneint worden sei. 106 Vgl. Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 50; Verdross, Völkerrechtswidrige Kriegshandlung, S. 17 ff. Siehe auch Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag, S. 60 f. 101
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Literatur wurde eine solche Ahndungskompetenz – und damit eine Nichtgeltung der Staatenimmunität – zwar zum Teil abgelehnt,107 zunehmend jedoch bejaht.108 Aber dennoch ist Vorsicht geboten, die Regelungen des Versailler Vertrags über die Bestrafung deutscher Kriegsverbrecher als wegen der Vielzahl der Vertragsstaaten allgemeine Anerkennung einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei Kriegsverbrechen durch die Staatenpraxis zu werten.109 Denn der Versailler Vertrag wurde von Deutschland unterzeichnet und ratifiziert. Insofern hat sich Deutschland – auch wenn ein politischer Handlungsspielraum nicht bestand – durch Zustimmung zu der im Vertrag festgelegten Bestrafung und Auslieferung mit einer Bestrafung deutscher Kriegsverbrecher durch Gerichte der Siegermächte einverstanden erklärt. Dieses Einverständnis ist in Art. 228 Abs. 1 Versailler Vertrag sogar explizit verankert. Die Zustimmung Deutschlands zum Versailler Vertrag und das Einverständnis mit einer alliierten Strafverfolgung deutscher Kriegsverbrecher kann man daher auch als einen von den Vertragsstaaten für notwendig erachteten Verzicht Deutschlands auf einer Strafverfolgung an sich entgegenstehende völkerrechtliche Exemtionen bewerten.110 Aus diesem Grund können die Art. 227 ff. Versailler Vertrag, die in ihrem Kontext stehenden regierungsamtlichen Verlautbarungen Englands und Frankreichs, der Bericht der alliierten Kommission sowie die Bestrafungen von Kriegsgefange___________ So etwa Arndt, GA 66 (1919), 522 (522 ff.); Kohler, GA 62 (1916), 354 (371 f.); Wegner, Kriminelles Unrecht, S. 28 ff. 108 Vgl. nur Beling, DJZ 1915, Sp. 129 (131 ff.); Verdross, Völkerrechtswidrige Kriegshandlung, S. 21 ff., 87 (S. 27: „Eine Exterritorialität […] besteht aber nach Völkerrecht für die in Rede stehenden Personen nicht.“). Ebenso bereits Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 135 ff.: „Eine grundsätzliche Exemtion der Truppen im Feindesland (…) anzunehmen, wäre verfehlt. (…) Es ist unbestritten, daß die Kriegsmacht im feindlichen Land der Gerichtsbarkeit des Heimathstaates untersteht. Aber mit Unrecht ist hieraus eine Exterritorialität der zur Streitmacht gehörenden Personen abgeleitet worden.“ Mit gewissen Einschränkungen für eine Ahndungskompetenz auch Heilfron, DJZ 1915, Sp. 39 (42 ff.). Siehe auch Hinz, Kriegsgefangenenrecht, S. 165 ff.; Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 50; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 1057; Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag, S. 61 ff.; Verdross, a.a.O., S. 8 ff. (mit einer ausführlichen Darstellung der in der Literatur bis Anfang des 20. Jahrhunderts vertretenen Auffassungen). 109 Vgl. oben Anm. 100. 110 So etwa Dahm, Problematik des Völkerstrafrechts, S. 42 f., 46; ders., Völkerrecht, Bd. III, S. 318 Fn. 18; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 254 Fn. 36; Jescheck, ZStrR 72 (1957), 217 (239 mit. Fn. 4); Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 203 Fn. 256. A.A. aber Verdross, Völkerrechtswidrige Kriegshandlung, S. 87, der darauf hinweist, daß die verbindliche englische und französische Fassung von Art. 228 Abs. 1 Versailler Vertrag jeweils davon spricht, daß Deutschland die Gerichtsbarkeit der Alliierten über Kriegsverbrechen deutscher Soldaten anerkennt („reconnaît“, „recognises the right“). Daher habe Deutschland lediglich ein schon bestehendes Recht der Alliierten anerkannt, nicht aber den Alliierten (durch Exemtionsverzicht) ein neues eingeräumt. Vgl. zu dieser Textdiskrepanz auch Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag, S. 112 Fn. 180. 107
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nen wegen Kriegsverbrechen durch Frankreich und Deutschland lediglich als ein erstes – wenngleich bereits starkes – Indiz für eine allgemeine Anerkennung einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei Kriegsverbrechen und damit bei völkerrechtlichen Verbrechen111 gewertet werden.112 bb) Die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg und die Anerkennung der „Nürnberger Prinzipien“ Der endgültige „Durchbruch“ für das Völkerstrafrecht im Sinne einer Anerkennung einer unmittelbaren Strafbarkeit des Einzelnen nach völkerrechtlichen Straftatbeständen, einer individuellen Verantwortlichkeit der einzelnen Täter auch für in staatlichem Auftrag begangene Völkerstraftaten und damit einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen erfolgte mit den „Nürnberger Prozessen“ der Alliierten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Bereits Anfang der vierziger Jahre bestand Einigkeit unter den späteren Siegermächten USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion, daß die für die Greueltaten des NS-Regimes Verantwortlichen, vor allem die politischen und militärischen Eliten, nach Kriegsende zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Nachdem in Großbritannien und der Sowjetunion zunächst eine standrechtliche Erschießung der Führungspersonen des Dritten Reichs präferiert worden war, konnte sich bald die vor allem vom US-amerikanischen Kriegsministerium unterstützte und dort maßgeblich entfaltete Idee eines ordentlichen Strafverfahrens gegen die Hauptverantwortlichen der NS-Diktatur durchsetzen. In der Moskauer Erklärung über deutsche Grausamkeiten im besetzten Europa vom 30. Oktober 1943113 wurden die alliierten Pläne propagiert, im selben Jahr nahm eine alliierte Vorbereitungskommission (United Nations War Crimes Commission) ihre Arbeit auf.114 ___________ Der Kreis der völkerrechtlichen Verbrechen im Sinne unmittelbar nach Völkerrecht strafbarer Taten umfaßte damals Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Aggressionsverbrechen noch nicht. Diese Tatbestände fanden erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Folge der Nürnberger Prozesse völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung. 112 Noch restriktiver Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (980), die davon ausgeht, daß – soweit es “senior State officials” anbelangt – zum damaligen Zeitpunkt keine völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei Kriegsverbrechen gegeben war, weil weder die vom Versailler Vertrag vorgesehene internationale Strafverfolgung des ehemaligen Kaisers noch eine Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher vor alliierten Gerichten stattgefunden hat. Ähnlich wohl Cassese, International Criminal Law, S. 38 ff., 329. 113 Abgedruckt in AJIL 38 (1944), Suppl., 7 sowie bei Heinze/Schilling, Rechtsprechung der Nürnberger Militärtribunale, S. 313. Vgl. auch Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 17. 114 Vgl. zur „Vorgeschichte“ der Nürnberger Prozesse Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 63 ff.; ders., in: Hasse u.a. (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, S. 365 (366 ff.); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1027; Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 121 ff. (mit Ausführungen zur Auffassung in der zeitgenössischen Wissenschaft über die Relevanz der 111
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Im Londoner Viermächte-Abkommen vom 8. August 1945115 legten die USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion dann fest, daß ein Internationaler Militärgerichtshof (International Military Tribunal – IMT) ein Strafverfahren gegen diejenigen „Hauptkriegsverbrecher“ durchführen sollte, deren Verbrechen sich nicht auf einen geographisch bestimmten Tatort beschränkten, während Einzeltaten von den Alliierten bzw. den Ländern abgeurteilt werden sollten, in denen sie begangen worden waren. Das Londoner Abkommen, dem später noch 19 weitere Staaten beitraten, begründete nicht nur das IMT, sondern enthielt als Anhang auch dessen Statut.116 Durch das Statut wurde ein Gerichtshof geschaffen, der aus vier Richtern und vier Stellvertretern bestand, wobei jede der vier Mächte einen Richter und einen Stellvertreter bestellte. Art. 6 IMT-Statut normierte die Straftatbestände, die vom Gericht anzuwenden waren, nämlich Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zum Gerichtsort wurde Nürnberg bestimmt – ein Ort, der wegen der dort abgehaltenen Reichsparteitage der Nationalsozialisten besondere Symbolkraft hatte.117 Schon während des Krieges wurden die alliierten Pläne zum Teil als völkerrechtswidrig gebrandmarkt, wobei im vorliegenden Zusammenhang lediglich der vor allem von Kelsen erhobene Einwand der Staatenimmunität von Interesse ist: Kelsen betonte in mehreren Veröffentlichungen, Strafverfahren eines Staates oder mehrerer Staaten gegen staatliche Funktionsträger eines anderen Staates wegen Kriegsverbrechen, die als Hoheitsakte des anderen Staates zu klassifizieren seien, seien wegen des Grundsatzes der Staatenimmunität völkerrechtswidrig. Solche Taten seien als Hoheitshandlungen fremdstaatlicher Gerichtsbarkeit entzogen.118 ___________ Staatenimmunität auf S. 132 ff.); ders., Nuremberg Trials, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL III, S. 747 (747 f.); Kastner, JA 1995, 802 (803 f.); Taylor, Nürnberger Prozesse, S. 36 ff.; Zayas, in: Demandt (Hrsg.), Macht und Recht, S. 249 (251 ff.). 115 Abkommen zwischen der Regierung des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland, der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, der Provisorischen Regierung der Französischen Republik und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Verfolgung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der Europäischen Achse vom 8.8.1945. Abgedruckt in Internationaler Militärgerichtshof, Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, Bd. 1, Nürnberg 1947, S. 7 = AJIL 39 (1945), Suppl., 257 = UNTS 82 (1951), 279. 116 Internationaler Militärgerichtshof, Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, Bd. 1, Nürnberg 1947, S. 10 = AJIL 39 (1945), Suppl., 258 = UNTS 82 (1951), 284. 117 Vgl. allgemein zum Nürnberger „Hauptkriegsverbrecherprozeß“ Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 6 f.; Engelhart, Jura 2004, 734 (737); Eschenburg, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, S. 53 ff.; Ipsen, in: ders., Völkerrecht, § 42 Rn. 13 ff.; Jescheck, Nuremberg Trials, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL III, S. 747 ff.; Kastner, JA 1995, 802 ff.; Taylor, Nürnberger Prozesse, S. 77 ff.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 14 ff.; Wright, AJIL 41 (1947), 38 (38 ff.); Zayas, in: Demandt (Hrsg.), Macht und Recht, S. 249 ff. 118 Kelsen, Cal. L. Rev. 31 (1943), 530 (538 ff.); ders., Peace through law, S. 81 ff., 96 ff. Vgl. zur Auffassung Kelsens auch die Analyse von Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 137 f. Auch noch im Anschluß an die Nürnberger Prozesse ist deren Zulässigkeit teilweise wegen Verstoßes gegen die Staatenimmunität
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Die alliierten Siegermächte hielten diesen Einwand jedoch für nicht begründet und legten in Art. 7 IMT-Statut ausdrücklich die Irrelevanz sämtlicher völkerrechtlicher Exemtionen fest: „Die amtliche Stellung eines Angeklagten, sei es als Oberhaupt eines Staates oder als verantwortlicher Beamter in einer Regierungsabteilung, soll weder als Strafausschließungsgrund noch als Strafmilderungsgrund gelten.“119
Es wäre allerdings zu kurz gegriffen, wenn man diesen in Art. 7 IMT-Statut normierten Exemtionsausschluß ohne weiteres als Ausdruck der Anerkennung einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei den der Gerichtsbarkeit des IMT unterfallenden völkerrechtlichen Verbrechen bewertete. Denn aufgrund der Hoheitsrechte der Alliierten konnte die Staatenimmunität von vornherein der Strafgewalt der Alliierten nach dem Ende des Krieges keine Schranke setzen. Die Nichtgeltung der Staatenimmunität kann jedoch nicht schon damit begründet werden, die Staatenimmunität solle die Souveränität eines fremden Staates schützen, das Deutsche Reich als Berechtigter der Staatenimmunität sei aber mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945, der vollständigen Besetzung Deutschlands und der Übernahme der Regierungsgewalt durch die Alliierten untergegangen.120 Zwar ist es – wie im einzelnen unten in § 8 gezeigt werden wird – richtig, daß die Staatenimmunität eines Staates mit dessen Untergang erlischt. Allerdings ist es zu einem solchen Untergang des Deutschen Reichs nicht gekommen. Wie die Alliierten in ihrer Berliner Deklaration vom 5. Juni 1945121 betonten, erfolgte lediglich eine vollständige Besetzung Deutschlands und eine Übernahme der Regierungsgewalt durch die Alliierten, nicht aber eine Annexion des Deutschen Reichs durch die Siegermächte.122 Der Fortbestand des Deutschen ___________ verneint worden; so etwa von Blumenwitz, in: Hess (Hrsg.), Weder Recht noch Menschlichkeit, S. 129 (140 f.) (bezogen auf das Verbrechen gegen den Frieden); Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 166, 286 ff., 293 f.; Kelsen, ILQ 1 (1947), 153 (159 ff.); ders., Principles of International Law, S. 238 f. Als Bruch mit der zum Zeitpunkt der Nürnberger Prozesse geltenden lex lata sehen auch Verdross/Simma, Völkerrecht, § 442 die Bestrafung von NS-Verbrechern wegen solcher Handlungen an, die sie im Auftrag der deutschen Regierung ausgeführt hatten. Vgl. zur Diskussion darüber, inwieweit die Staatenimmunität den Nürnberger Prozessen entgegenstand, ferner Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (252 f.). 119 Die verbindliche englische Fassung lautet: “The official position of defendants, whether as Head of State or as responsible officials in Government Departments, shall not be considered as freeing them from responsibility or mitigation punishment.” 120 So auch Ahlbrecht, in: Hasse u.a. (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, S. 365 (371 ff.); Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 287. 121 Berliner Deklaration in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands vom 5.6.1945; UNTS 68, 190 = AJIL 39 (1945), 171. Abgedr. auch bei von Münch (Hrsg.), Dokumente des geteilten Deutschlands, S. 19 ff. und bei Rauschning (Hrsg.), Rechtsstellung Deutschlands, S. 15. 122 Vgl. Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 69 f.; ders., in: Hasse u.a. (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, S. 365 (371 ff.); Jescheck, JICJ 2 (2004), 38 (38).
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Reichs wurde jedenfalls bis zur Gründung der BRD und der DDR im Jahr 1949 von den vier Siegermächten nicht in Frage gestellt, danach ist nur die Sowjetunion von einem Untergang des Deutschen Reichs ausgegangen. Die Irrelevanz der Staatenimmunität für den Internationalen Militärgerichtshof resultiert vielmehr aus dessen rechtlicher Struktur, und zwar unabhängig davon, welchen Rechtscharakter man dem Tribunal beimißt. Die Frage des Rechtscharakters des IMT war und ist umstritten, wobei die Bedeutung dieses Streits allerdings vielfach überschätzt wird und sich die verschiedenen Auffassungen nicht einmal gegenseitig ausschließen.123 Zum Teil ist der Nürnberger Gerichthof als interalliiertes Besatzungsgericht klassifiziert worden, da er von den vier Besatzungsmächten ohne Zustimmung Deutschlands geschaffen worden ist, diese die Richter und Ankläger stellten und dem Beitritt weiterer Staaten im wesentlichen bloß symbolische Bedeutung zukam.124 Folgt man dieser Klassifizierung, so ergibt sich die Irrelevanz der Staatenimmunität aus folgenden Überlegungen: Die USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion übten als Besatzungsmächte die Hoheitsgewalt in Deutschland und über Deutschland aus. Als Inhaber der Hoheitsgewalt des Deutschen Reichs konnten die Siegermächte aber nicht an die Staatenimmunität gebunden sein. Diese verbietet nur die Ausübung fremdstaatlicher Hoheitsgewalt, die Alliierten machten aber von ihrer Hoheitsgewalt als Besatzungsmächte und damit letztlich von deutscher Hoheitsgewalt Gebrauch.125 Argumentieren läßt sich zudem wie folgt: Als nunmehrige Inhaber der deutschen Hoheitsgewalt konnten die Besatzungsmächte über Deutschland zukommende völkerrechtliche Rechtspositionen disponieren, ___________ Wie hier schon Dahm, Problematik des Völkerstrafrechts, S. 17. Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 70; ders., in: Hasse u.a. (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, S. 365 (386); Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 252; Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 150 ff., 168, 177; ders., Nuremberg Trials, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL III, S. 747 (748, 752); ders., in: Bemmann/Spinellis (Hrsg.), FS Mangakis, S. 483 (486 f.); ders., JICJ 2 (2004), 38 (39); Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 14 II. 2. Siehe auch Ipsen, in: ders., Völkerrecht, § 42 Rn. 18. 125 Wie hier auch Fox, State Immunity, S. 431 f.; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 241 f. Fn. 752. Gegen diese Argumentation auf der Basis einer sehr restriktiven Interpretation der Befugnisse von Besatzungsmächten nach der HLKO aber Woetzel, Nuremberg Trials, S. 77 ff. Die Besetzung Deutschlands durch die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg konnte und kann aber nicht mit einer herkömmlichen militärischen Besetzung eroberter Gebiete gleichgesetzt werden, auf die die Regelungen der HLKO zugeschnitten sind. Vielmehr war durch die bedingungslose Kapitulation Deutschlands die uneingeschränkte (also nicht an die Vorgaben der HLKO gebundene) Hoheitsgewalt auf die Alliierten übergegangen, wovon diese auch ohne weiteres ausgingen. Wie hier auch das Nürnberger „Juristenurteil“; vgl. Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, vol. III, S. 954 (959 ff.); Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 69 ff.; Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Nürnberger Juristenurteil, S. 37 (43 ff.). Siehe aber auch Ahlbrecht, in: Hasse u.a. (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, S. 365 (387 ff.). 123 124
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also auch über die dem Deutschen Reich zustehende Staatenimmunität verfügen. Insofern kann man auch von einem von den Besatzungsmächten implizit erklärten Verzicht auf die Staatenimmunität Deutschlands sprechen.126 Nach anderer Auffassung war der Nürnberger Gerichtshof ein internationaler Strafgerichtshof, da er durch einen völkerrechtlichen Vertrag der Siegermächte und weiterer Staaten als zwischenstaatliche Institution geschaffen wurde.127 Dieser Auffassung kann nicht – wie das in der Literatur zum Teil geschehen ist128 – entgegengehalten werden, daß Deutschland nicht Vertragspartei des ViermächteAbkommens gewesen ist. Für eine Einstufung eines Gerichts als internationales Gericht ist nicht erforderlich, daß der Staat, dessen Bürger oder Funktionsträger von der Strafkompetenz des Gerichts erfaßt werden, Vertragsstaat des Statuts ist. Ansonsten könnte auch der 1998 durch das Römische Statut geschaffene Internationale Strafgerichtshof nicht als internationales Strafgericht klassifiziert werden, da auch er – vgl. Art. 12 Abs. 2 lit. a) IStGH-Statut – Angehörige von Drittstaaten verfolgen darf. Da völkerrechtliche Verbrechen nach dem Weltrechtsprinzip von jedem Staat verfolgt werden dürfen,129 können mehrere Staaten durch einen völkerrechtlichen Vertrag ein internationales Gericht schaffen und an dieses ihre eigene Strafverfolgungskompetenz über Angehörige von Drittstaaten delegieren. Im Fall des Nürnberger Militärgerichtshofs kommt noch hinzu, daß die vier Siegermächte auch eine Strafkompetenz als Besatzungsmächte hatten, die sie auf den Nürnberger Gerichthof übertragen konnten. Daher können die Nichtbeteiligung Deutschlands am Viermächte-Abkommen und die fehlende Zustimmung Deutschlands zum IMTStatut den Rechtscharakter des Nürnberger Gerichthofs als internationales Gericht nicht in Frage stellen. Dieser ergibt sich vielmehr allein daraus, daß das Gericht durch einen völkerrechtlichen Vertrag als internationale Organisation geschaffen wurde.130 Doch auch bei dieser Einstufung des Nürnberger Gerichtshofs war die Staatenimmunität für diesen von vornherein ohne Bedeutung: Wie schon ausgeführt wurde, waren die vier Siegermächte Inhaber der deutschen Hoheitsgewalt und konnten über diese und damit über die Staatenimmunität disponieren. Da die Siegermächte (Haupt-)Vertragsparteien des Abkommens vom 8. August 1945 waren, haben sie – so läßt sich argumentieren – auf eine einer Strafverfolgung durch den
___________ So auch Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 206 Fn. 276. Blumenwitz, in: Hess (Hrsg.), Weder Recht noch Menschlichkeit, S. 129 (133); Dahm, Problematik des Völkerstrafrechts, S. 17 f. 128 Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 150 ff.; ders., in: Bemmann/Spinellis (Hrsg.), FS Mangakis, S. 483 (486 f.); Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 14 II. 2. m.w.N.; Zayas, in: Demandt (Hrsg.), Macht und Recht, S. 249 (253). 129 Vgl. Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 252 ff. m.w.N. 130 So auch Dahm, Problematik des Völkerstrafrechts, S. 17 f.; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 153 Fn. 483. 126 127
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Internationalen Militärgerichtshof zugunsten des Deutschen Reichs entgegenstehende völkerrechtliche Exemtion implizit verzichtet.131 Doch auch wenn das Statut des Nürnberger Militärgerichtshofs als solches, namentlich dessen Art. 7, nach dem Gesagten für die Frage einer völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen wenig ergiebig ist, so kommt dem Hauptkriegsverbrecherprozeß dennoch große Bedeutung für die hier aufgeworfene Fragestellung zu. Denn der Gerichthof hat die Irrelevanz der Staatenimmunität nicht mit den oben entfalteten formalen Argumenten begründet, sondern ist von einer völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Nichtgeltung der Staatenimmunität bei völkergewohnheitsrechtlichen Verbrechen ausgegangen. Der Prozeß vor dem Internationalen Militärgerichtshof begann am 20. November 1945. Angeklagt waren, nachdem sich – zur Erleichterung vor allem Großbritanniens – Hitler, Himmler und Goebbels durch Selbstmord ihrer irdischen Verantwortung entzogen hatten, 24 von den Alliierten ausgewählte besonders exponierte Funktionsträger des Dritten Reichs.132 Das Verfahren endete mit dem am 1. Oktober 1946 verkündeten Urteil,133 durch das zwölf Todesstrafen,134 zwei Verurteilungen zu lebenslangen und fünf zu langjährigen zeitigen Freiheitsstrafen sowie drei Freisprüche135 verhängt wurden.136 Die Todesurteile wurden, soweit dies ___________ Wie hier Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 206 Fn. 276. Die Angeklagten waren: Hermann Göring (Reichsmarschall), Rudolf Heß (bis zu seinem Flug nach England 1941 Hitlers Stellvertreter im Parteivorsitz), Joachim von Ribbentrop (Reichsaußenminister), Robert Ley (Führer der Deutschen Arbeitsfront), Wilhelm Keitel (Chef des Oberkommandos der Wehrmacht), Ernst Kaltenbrunner (Chef des Reichssicherheitshauptamts), Alfred Rosenberg (Minister für die besetzten Ostgebiete), Hans Frick (Generalgouverneur von Polen), Wilhelm Frick (Reichsinnenminister), Julius Streicher (Gauleiter von Franken und Herausgeber des Hetzblatts „Der Stürmer“), Walther Funk (Reichswirtschaftsminister), Hjalmar Schacht (Reichswirtschaftsminister bis 1937, Reichsbankpräsident bis 1939), Gustav Krupp von Bohlen und Halbach (Industrieller), Karl Dönitz (Oberbefehlshaber der Kriegsmarine seit 1943, Nachfolger Hitlers als Staatsoberhaupt), Erich Reader (Oberbefehlshaber der Kriegsmarine bis 1943), Baldur von Schirach (Reichsjugendführer, Gauleiter von Wien), Fritz Sauckel (Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz), Alfred Jodl (Chef des Wehrmachtsführungsstabs), Martin Bormann (Sekretär Hitlers), Franz von Papen (Vizekanzler bis 1934), Arthur Seyß-Inquart (Reichskommissar für die Niederlande), Albert Speer (Architekt und Rüstungsminister), Konstantin von Neurath (Reichsprotektor von Böhmen und Mähren), Hans Fritsche (Chefkommentator des Rundfunks). Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 7 mit Fn. 31; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1029 Fn. 41; Kastner, JA 1995, 802 (810 f.). 133 Das Urteil ist in der amtlichen deutschen Sprachfassung wiedergegeben in Internationaler Militärgerichtshof, Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, Bd. 1, Nürnberg 1947, S. 189 sowie im dtv-Band 2902 „Das Urteil von Nürnberg 1946“ (4. Aufl. 1996). 134 Gegen Bormann (in Abwesenheit), Frank, Frick, Göring, Jodl, Kaltenbrunner, Keitel, von Ribbentrop, Rosenberg, Sauckel, Seyß-Inquart und Streicher. 135 Gegen Fritsche, von Papen und Schacht. 131 132
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möglich war, am 16. Oktober 1946 vollstreckt.137 Von seiten der Verteidiger der Angeklagten wurden viele gewichtige Einwände gegen das Verfahren vorgebracht, primäre Bedeutung hatte der Einwand des Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot, da während des Zweiten Weltkrieges weder Verbrechen gegen den Frieden noch Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf völkerrechtlicher Ebene strafbewehrt waren.138 Wie zu erwarten war, wurde auch der Einwand der fehlenden Gerichtsbarkeit wegen Staatenimmunität erhoben, vom Gericht aber – wie schon gesagt – unter Hinweis auf eine Nichtgeltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen zurückgewiesen. In seinem Urteil hat der Nürnberger Gerichtshof zwar zunächst betont, das Recht des Statuts sei „maßgebend und für den Gerichtshof bindend“, sodann aber ausgeführt: „Das Statut ist keine willkürliche Ausübung der Macht seitens der siegreichen Nationen, sondern ist nach Ansicht des Gerichts (…) der Ausdruck des zur Zeit der Schaffung des Statuts bestehenden Völkerrechts (…). Die Signatarmächte errichteten diesen Gerichtshof, setzten das Recht fest, das er anzuwenden hat, und erließen Bestimmungen für die ordentliche Führung des Prozesses. Damit haben sie gemeinsam das getan, was jede einzelne von ihnen allein hätte tun können; denn es kann nicht bezweifelt werden, daß jede Nation das Recht hat, besondere Gerichtshöfe zur Anwendung des Gesetzes zu errichten. (…).“
Konkret bezogen auf die Staatenimmunität hat der Gerichtshof im Urteil festgestellt: „Es ist angeführt worden, daß sich das Völkerrecht auf Handlungen souveräner Staaten beziehe und keine Bestrafung von Einzelpersonen vorsieht; und weiter, daß dort, wo die fragliche Handlung ein Staatsakt ist, jene Personen, die sie ausführen, keine eigene Verantwortung tragen, sondern durch den Lehrsatz von der Souveränität des Staates geschützt seien. Nach Meinung des Gerichtshofs müssen diese beiden Einwände zurückgewiesen werden. (…) Jener Grundsatz des Völkerrechts, der unter gewissen Umständen dem Repräsentanten eines Staates Schutz gewährt, kann nicht auf Taten Anwendung finden, die durch das Völkerrecht als verbrecherisch gebrandmarkt werden. Diejenigen, die solche Handlungen begangen haben, können sich nicht hinter ihrer Amtsstellung verstecken, um in ordentlichen Gerichtsverfahren der Bestrafung zu entgehen. (…) Derjenige, der das Kriegsrecht verletzt, kann nicht Straffreiheit deswegen erlangen, weil er auf Grund der Staatshoheit handelte, wenn der Staat Handlungen gutheißt, die sich außerhalb der Schranken des Völkerrechts bewegen.“
___________ Über zwei Anklagen wurde nicht entschieden: Ley beging vor Prozeßbeginn Selbstmord, das Verfahren gegen Krupp wurde wegen dessen Verhandlungsunfähigkeit ausgesetzt. 137 Bormann wurde nie dingfest gemacht. Göring beging am Tag vor der Hinrichtung Selbstmord. 138 Vgl. zu den gegen das Verfahren erhobenen Einwänden Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1031 ff.; Ipsen, in: ders., Völkerrecht, § 42 Rn. 17 ff.; Jescheck/ Weigend, Lehrbuch, § 14 II. 2.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 24 ff. In der zeitgenössischen deutschen strafrechtlichen Literatur wurde das Nürnberger Verfahren wegen der ohne Zweifel gegebenen rechtsstaatlichen Defizite, die aber die moralische Legitimität des Prozesses und der Verurteilungen nicht in Frage stellen konnten, überwiegend sehr kritisch beurteilt. Vgl. Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 85 m.w.N.; Werle, a.a.O, Rn. 24 ff. 136
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Das „Urteil von Nürnberg“ ist damit ein ganz gewichtiger Beleg aus der Staatenpraxis für eine völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen. Ganz zu Recht wird in der Literatur das Urteil immer wieder als „Beweis“ für die Nichtgeltung der Staatenimmunität bei Völkerstraftaten ins Feld geführt.139 Der soeben skizzierte „Hauptkriegsverbrecherprozeß“ fand seine Fortsetzung in weiteren Verfahren, die von einzelnen Alliierten in ihrer Funktion als Besatzungsmächte auf der Basis des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 vom 20. Dezember 1945140 betrieben wurden.141 Das KRG Nr. 10 übernahm im wesentlichen die Regelungen des IMT-Statuts und ermöglichte eine Strafverfolgung von NS-Verbrechern durch die Alliierten – nach deren Ermächtigung zeitweilig auch durch deutsche Gerichte – wegen Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ohne Rücksicht auf das zur Tatzeit geltende deutsche Strafrecht. Wie Art. 7 IMT-Statut legte auch das KRG Nr. 10 in Art. 4 lit. a) einen generellen Exemtionsausschluß fest: „Die Tatsache, daß jemand eine amtliche Stellung eingenommen hat, sei es die eines Staatsoberhauptes oder eines verantwortlichen Regierungsbeamten, befreit ihn nicht von der Verantwortlichkeit für ein Verbrechen und ist kein Strafmilderungsgrund.“142
Art 4 lit. a) KRG Nr. 10 hat jedoch ebenso wie Art. 7 IMT-Statut keine unmittelbare Bedeutung für die hier interessierende Fragestellung, da – wie bereits gesagt wurde – die Alliierten als Besatzungsmächte und damit Inhaber der deutschen Hoheitsgewalt von vornherein nicht durch die dem Deutschen Reich zukommende Staatenimmunität gebunden sein konnten.143 Beachtlich ist dagegen die auf der Basis des KRG Nr. 10 ergangene Rechtsprechung, namentlich die der USamerikanischen Militärgerichte, die in Nürnberg zwölf sogenannte „NachfolgeProzesse“ durchführten.144 Diese zwölf Nürnberger Prozesse – neben denen es noch etliche andere von den Alliierten als Besatzungsmächte in Deutschland ___________ 139 So etwa von Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (981 Fn. 19); Triffterer, in: ders. (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 27 Rn. 2; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 453. 140 Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Nr. 3 vom 31.1.1946, S. 50. Abgedruckt auch bei Heinze/Schilling, Rechtsprechung der Nürnberger Militärtribunale, S. 323 ff. 141 Vgl. Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 96 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 9; Rückerl, NS-Verbrechen vor Gericht, S. 95 ff.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 34 ff. 142 Die verbindliche englische Fassung lautet: “The official position of any person, whether as Head of State or as a responsible official in a Government Department, does not free him from responsibility for a crime or entitle him to mitigation of punishment.” 143 So auch das Nürnberger „Juristenurteil“ (siehe unten Anm. 147), Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, vol. III, S. 954 (959 ff.). 144 Diese US-amerikanischen Gerichte waren anders als der IMT keine internationalen Gerichte. Vgl. Dahm, Problematik des Völkerstrafrechts, S. 18 mit Fn. 38.
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durchgeführte Strafverfahren gab145 – waren jeweils gegen bestimmte Personengruppen gerichtet, deren Tätigkeit vielfach Pate stand für die Bezeichnung der einzelnen Verfahren.146 Im sogenannten Juristenprozeß, in dem es um die Verantwortlichkeit hochrangiger Vertreter der NS-Justiz ging,147 ist der US-amerikanische Militärgerichtshof ebenso wie der Internationale Militärgerichtshof von einer völkergewohnheitsrechtlichen Nichtgeltung der Staatenimmunität bei den zu beurteilenden völkerrechtlichen Verbrechen ausgegangen. Im Urteil heißt es: “A resolution recently adopted by the General Assembly of the United Nations is in part as follows: ‚(…) The General Assembly therefore affirms (…) that genocide is a crime under international law (…) and for the commission of which principals and accomplices – whether private individuals, public officials, or statesmen (…) – are punishable.’ (…) We approve and adopt this conclusion.”148
An einer anderen Stelle des „Juristenurteils“ finden sich folgende Feststellungen: “We have pointed out that governmental participation is a material element of the crime against humanity. Only when official organs of sovereignty participated in atrocities and persecutions did those crimes assume international proportions. It can scarcely be said that governmental participation, the proof of which is necessary for conviction, can also be a defense to the charge.”149
Auch im Urteil des „Wilhelmstraßenprozesses“, dem elften der Nürnberger Nachfolgeprozesse, in dem es um die Verantwortlichkeit führender Repräsentanten des in der Berliner Wilhelmstraße ansässigen Auswärtigen Amts ging,150 wurde der Einwand der Staatenimmunität zurückgewiesen: “To permit such immunity is to shroud international law in a mist of unreality. We reject it and hold that those who plan, prepare, initiate, and wage aggressive wars and inva-
___________ Vgl. den Überblick bei Rückerl, NS-Verbrechen vor Gericht, S. 97 ff. Vgl. zu diesen „Nachfolge-Prozessen“ Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 98 f.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 9; Jescheck, Nuremberg Trials, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL III, S. 747 (750 ff.); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 36 f. sowie die Beiträge in Ueberschär (Hrsg.), Der Nationalsozialismus vor Gericht. In diesen zwölf Nachfolgeprozessen wurden 36 Todesurteile, 23 lebenslange und 102 zeitige Freiheitsstrafen sowie 38 Freisprüche verkündet; vgl. Zayas, in: Demandt (Hrsg.), Macht und Recht, S. 249 (263). 147 Zum Juristenprozeß siehe Bästlein, in: Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Nürnberger Juristenurteil, S. 9 ff.; Kastner, JA 1997, 699 ff.; Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), Der Nationalsozialismus vor Gericht, S. 99 ff. 148 Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, vol. III, S. 954 (983). Dt. Übers. in Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Nürnberger Juristenurteil, S. 37 (64). Vgl. auch Heinze/Schilling, Rechtsprechung der Nürnberger Militärtribunale, S. 59. 149 Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, vol. III, S. 954 (984). Dt. Übers. in Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Nürnberger Juristenurteil, S. 37 (65). 150 Vgl. Blasius, in: Ueberschär (Hrsg.), Nationalsozialismus vor Gericht, S. 187 ff. 145 146
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
sions violate international law and may be tried, convicted, and punished for their acts.”151
Die Rechtsprechung der US-amerikanischen Militärgerichte in den Nürnberger Nachfolgeprozessen kann damit gleichfalls als Ausdruck der Anerkennung einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen gelten.152 Bedeutsam im Hinblick auf die allgemeine Anerkennung der in Nürnberg propagierten Immunitätsausnahme bei völkerrechtlichen Verbrechen durch die Staatengemeinschaft ist auch die weitere Rezeptionsgeschichte des sogenannten Nürnberger Rechts.153 Bereits auf seiner ersten Sitzung im Jahr 1946 bestätigte die UN-Generalversammlung durch Resolution 95 (I) die „Nürnberger Prinzipien“, zu denen auch die Nichtgeltung der Staatenimmunität bei Völkerstraftaten gezählt wurde.154 Zwar hat die UN-Generalversammlung keine legislative Kompetenz, so daß die Bestätigung nicht unmittelbar rechtschaffend wirken konnte.155 Doch haben die in der Generalversammlung vereinten Staatenvertreter mit der Bekräftigung die Auffassung „ihrer“ Staaten über die Geltung der Nürnberger Prinzipien als Völkergewohnheitsrecht zum Ausdruck gebracht. Die Bekräftigung kann damit als Staatenpraxis – in Form einer „Verbalpraxis“ – gelten, in der die Rechtsüberzeugung der Staaten von der Geltung des „Nürnberger Rechts“ zum Ausdruck gekommen ist. Mit Resolution 177 (II) vom 21.11.1947156 forderte die UN-Generalversammlung dann die International Law Commission (ILC)157 auf, die bestätigten Prinzipien auszuformulieren.158 Die ILC präsentierte im Jahr 1950 eine Aufstellung von
___________ Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, vol. XIV, S. 308 (322). 152 Siehe in diesem Zusammenhang auch Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (253 Fn. 36). 153 Vgl. hierzu Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 124 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1037 ff.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 39 ff. 154 Resolution 95 (I) vom 11.12.1946; UNYB 1946/47, S. 254; dt. Übers. bei Kaul/ Noack, NJ 1969, 97 (99). In dieser Resolution heißt es: “The General Assembly (…) affirms the principles of international law recognized by the Charter of the Nürnberg Tribunal and the judgment of the Tribunal (…).” 155 Blumenwitz, in: Hess (Hrsg.), Weder Recht noch Menschlichkeit, S. 129 (137); Jescheck, GA 1981, 49 (52); Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 14 II. 4. 156 Abgedruckt in UNYB 1947/48, 215 und in AJIL 44 (1950), Suppl., 8. 157 Vgl. zur ILC oben § 4 II.1.b). 158 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1038; Ipsen, in: ders., Völkerrecht, § 42 Rn. 28. 151
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sieben Prinzipien,159 in der als drittes Prinzip auch die Nichtgeltung der Staatenimmunität bei Völkerstraftaten genannt ist: “The fact that a person who committed an act which constitutes a crime under international law acted as Head of State or responsible Government official does not relieve him from responsibility under international law.”
Zwar hat die UN-Generalversammlung sich den Katalog der ILC nie zu eigen gemacht,160 weshalb in Teilen der Literatur der positiven Stellungnahme der Generalversammlung durch Resolution 95 (I) jedwede Bedeutung für die völkergewohnheitsrechtliche Verankerung des Völkerstrafrechts abgesprochen worden ist.161 Doch ist die Entwicklung „nach Nürnberg“ vor dem Hintergrund des Kalten Krieges zu sehen, der eine weitere Entfaltung des Völkerstrafrechts vor allem wegen der Unmöglichkeit einer Einigung über das Aggressionsverbrechen bis zum Zusammenbruch des sozialistischen Systems und dem definitiven Ende des Kalten Krieges 1989/90 aus politischen Gründen verhinderte.162 Die fehlende Akzeptanz der von der ILC vorgelegten „Prinzipien“ bezog sich nicht auf das dritte Prinzip, also den Ausschluß der Staatenimmunität.163 Sie taugt deshalb nicht dazu, die seit den Nürnberger Prozessen allgemein anerkannte individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit einzelner auch für in staatlichem Auftrag begangene Völkerrechtsverbrechen in Frage zu stellen. Nahezu selbstredend enthielten auch die von der ILC in den Jahren 1954, 1991 und 1996 vorgelegten Entwürfe für eine Kodifikation des Völkerstrafrechts164 je___________ 159 Principles of International Law Recognized in the Charter and the Judgment of the Nürnberg Tribunal; wiedergegeben in YBILC 1950 II, 192, 374 f. = AJIL 44 (1950), Suppl., 125. 160 Vgl. YBILC 1996 II/2, 15; Ipsen, in: ders., Völkerrecht, § 42 Rn. 28. 161 Blumenwitz, in: Hess (Hrsg.), Weder Recht noch Menschlichkeit, S. 129 (137 f.); Jescheck, ZStrR 72 (1957), 217 (220 ff.); ders., GA 1981, 49 (52); Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 14 II. 2. Fn. 15, § 14 II. 4. Siehe auch Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 154 f. 162 Wesentlicher Grund für die fehlende Akzeptanz der verschiedenen Entwürfe der ILC zur Kodifizierung des Völkerstrafrechts (siehe unten Anm. 164) durch die Staatengemeinschaft war die Schwierigkeit, sich über eine Definition des Aggressionsverbrechens zu einigen. Vgl. YBILC 1996 II/2, 15; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1039. 163 Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (254 Fn. 37); Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 178 ff.; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 211 Fn. 305. 164 Draft Code of Offences against the Peace and Security of Mankind von 1954 (YBILC 1954 II, 151 = AJIL 49 [1955], Suppl., 17); Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind von 1991 (YBILC 1991 II/2, 94); Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind von 1996 (YBILC 1996 II/2, 17 = HRLJ 1997, 96). Siehe zum letztgenannten ILC-Entwurf Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1039 f.; Tomuschat, EuGRZ 1998, 1 ff. Allgemein zur Arbeit der ILC und privater Organisationen an „Draft Codes“ zum Völkerstrafrecht Bassiouni, in: ders. (Hrsg.), International Criminal Law, vol. I, S. 293 (293 ff.); Tomuschat, in: Hankel/Stuby (Hrsg.),
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weils eine Regel dahingehend, daß völkerrechtliche Exemtionen kein Strafverfolgungshindernis darstellen sollten.165 Erst Anfang der neunziger Jahre wurde mit der Schaffung der UN-Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda sowie mit den wieder aufgenommenen Arbeiten für die Schaffung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofs an das Nürnberger Vermächtnis angeknüpft.166 Wie sogleich gezeigt werden soll, sehen sowohl die Statuten des ICTY und ICTR als auch das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs einen Ausschluß der Staatenimmunität vor. Insofern kann man von einer niemals angefochtenen allgemeinen Akzeptanz des Nürnberger Prinzips der Nichtgeltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen sprechen. cc) Die Tokioter Kriegsverbrecherprozesse der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg Weitaus weniger Beachtung als die Nürnberger Prozesse fand der von den Alliierten nach dem Vorbild des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses vom 3. Mai 1946 bis zum 12. November 1948 durchgeführte Tokioter Kriegsverbrecherprozeß, durch den die auf japanischer Seite für das Kriegsgeschehen im Fernen Osten Hauptverantwortlichen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden sollten.167 Das vom Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte, MacArthur, am 19. Januar 1946 erlassene Statut für den Internationalen Militärgerichtshof für den Fernen ___________ Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen, S. 270 (270 ff.); Triffterer, in: ders. (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 27 Rn. 3 f. 165 Art. 3 Draft Code of Offences against the Peace and Security of Mankind von 1954 (vgl. oben Anm. 164) lautete: “The fact that a person acted as Head of State or as responsible government official does not relieve him of responsibility for committing any of the offences defined in this code.” Siehe zu dieser Regelung auch den Kommentar der ILC in YBILC 1951 II, 137. Art. 13 Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind von 1991 (vgl. oben Anm. 164) lautete: “The official position of an individual who commits a crime against the peace and security of mankind, and particularly the fact that he acts as head of State or Government, does not relieve him of criminal responsibility.” Siehe zu dieser Regelung auch den Kommentar der ILC in YBILC 1988 II/2, 71. Art. 7 Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind von 1996 (vgl. oben Anm. 164): “The official position of an individual who commits a crime against the peace and security of mankind, even if he acted as head of State or Government, does not relieve him of criminal responsibility or mitigate punishment.” Siehe zu dieser Regelung auch den Kommentar der ILC in YBILC 1996 II/2, 26 f. 166 Siehe Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1039 ff. 167 Vgl. allgemein zu diesem Verfahren Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 103 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1029; Ipsen, in: Herzberg (Hrsg.), FS Oehler, S. 505 (505 ff.); Minear, Victor’s Justice, passim; Röling, Tokyo Trial, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, S. 863 ff.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 29 ff.
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Osten (International Military Tribunal for the Far East – IMTFE),168 dessen in Art. 5 normierte Straftatbestände im wesentlichen mit denen im IMT-Statut übereinstimmten, sah wie das Nürnberger Statut einen generellen Exemtionsausschluß vor. Art. 6 IMTFE-Statut lautet: “Responsibility of the Accused. Neither the official position, at any time, of an accused, nor the fact that an accused acted pursuant to order of his government or of a superior shall, of itself, be sufficient to free such accused from responsibility for any crime with which he is charged, but such circumstance may be considered in mitigation of punishment if the Tribunal determines that justice so requires.”
Art. 6 IMTFE unterscheidet sich nicht nur durch die Festlegung einer möglichen Strafmilderung,169 sondern auch insofern von Art. 7 IMT-Statut, als kein Immunitätsausschluß für Staatsoberhäupter festgelegt wurde.170 Letzteres ist vermutlich darauf zurückzuführen, daß eine Strafverfolgung des japanischen Kaisers nicht beabsichtigt war und jeder Anschein, daß es zu einem solchen Verfahren kommen könne, vermieden werden sollte.171 Der IMTFE, der sich aus je einem Richter aus elf Ländern172 zusammensetzte und der damit sowie wegen der von Japan in der Kapitulationsurkunde173 erklärten Zustimmung zu einer Strafverfolgung174 weitaus leichter als ein internationales Strafgericht eingestuft werden kann als das Nürnberger Tribunal,175 verhandelte gegen insgesamt 28 ehemalige japanische Generäle und Politiker. Es fällte sieben Todesurteile und verurteilte 16 Personen zu lebenslanger Freiheitsstrafe sowie zwei weitere zu einer zwanzigjährigen bzw. siebenjährigen Freiheitsstrafe; freigespro___________ Das Statut ist wiedergegeben bei Minear, Victor’s Justice, S. 185 ff. Internetquelle: (31.3.2006). 169 Vgl. Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 156. Diese Strafmilderungsmöglichkeit ist ausschließlich vor dem Hintergrund der Tatsache zu sehen, daß in Art. 6 IMTFE-Statut nicht nur die Irrelevanz völkerrechtlicher Exemtionen, sondern auch die eines Handelns auf Befehl normiert war. Eine Strafmilderung lediglich aufgrund der Tatsache eines Handelns als staatlicher Funktionsträger ist zu keiner Zeit gutgeheißen worden. 170 Vgl. Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 154 ff. 171 Triffterer, in: ders. (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 27 Rn. 2. A.A. aber Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 155 f., der die Auffassung vertritt, auch der japanische Kaiser sei als eine Person mit “official position” zu klassifizieren und damit vom Exemtionsausschluß des Art. 6 IMTFE-Statut erfaßt gewesen. Einen solchen auch das Staatsoberhaupt erfassenden Exemtionsausschluß hätten die Alliierten gewollt. 172 Dies waren neben den USA Australien, China, Frankreich, Großbritannien, Indien, Kanada, die Niederlande, Neuseeland, die Philippinen und die Sowjetunion. Vgl. Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 31 Fn. 57. 173 Der Text der Kapitulationsurkunde vom 2.9.1945 ist wiedergegeben in AJIL 39 (1945), Suppl., 264. 174 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1029. 175 Für eine Klassifizierung als internationales Gericht etwa Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1029. 168
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chen wurde keiner der Angeklagten.176 In Japan wurden und werden die Verurteilten jedoch zumeist nicht als Verbrecher, sondern als Märtyrer angesehen – was sicherlich auch damit zusammenhängt, daß Japan anders als das Dritte Reich keine Politik der systematischen Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen betrieben hatte. Zwar wurden die Todesstrafen im Dezember 1948 vollstreckt, diejenigen, die zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden waren, wurden jedoch recht bald begnadigt und konnten teilweise sogar später wieder hohe politische Ämter erlangen.177 Ebenso wie der Internationale Militärgerichthof von Nürnberg hat auch der IMTFE in der Staatenimmunität kein Verfolgungshindernis gesehen, sondern ist – obgleich die Staatenimmunität dem Tokioter Verfahren schon deshalb nicht entgegenstehen konnte, weil Japan als immunitätsberechtigter Staat sein Einverständnis mit der Strafverfolgung erklärt hatte178 – von einer völkergewohnheitsrechtlichen Immunitätsausnahme ausgegangen. Im Urteil des IMTFE vom 1. November 1948179 wird zwar zunächst festgestellt, daß der unter anderem auf die Staatenimmunität gestützte Einwand der fehlenden Zuständigkeit des Gerichts schon deshalb zurückgewiesen werden müsse, weil das Statut für den Gerichtshof bindend sei. Gleichwohl aber hat der Gerichtshof zu den erhobenen Einwänden sachlich Stellung bezogen. Er zitiert hierfür in seinem Urteil zunächst einschlägige Passagen des Urteils des Nürnberger Militärgerichtshofs, unter anderem die oben wiedergegebene Passage, mit der der Nürnberger Gerichtshof den Einwand der Staatenimmunität zurückgewiesen hat, und macht sich diese dann vollumfänglich zu eigen:180 “(…) the International Military Tribunal sitting at Nuremberg delivered its verdicts on the first of October 1946. That Tribunal expressed inter alia the following opinions: ‘(…) the principle of international law which under certain circumstances protects the representative of a state cannot be applied to acts which are condemned as criminal by international law. The authors of these acts cannot shelter themselves behind their official position in order to be freed from punishment in appropriate proceedings. (…)’. With the foregoing opinions of the Nuremberg Tribunal and the reasoning by which they are reached this Tribunal is in complete accord. (…) In view of the fact that in all material aspects the Charters of this Tribunal and the Nuremberg Tribunal are identical, this Tribunal prefers to express its unqualified adherence to the relevant opinion of the Nuremberg Tribunal rather than by reasoning the matters anew in somewhat different
___________ 176 Vgl. die Aufstellung bei Minear, Victor’s Justice, S. 200 ff. Siehe ferner Röling, Tokyo Trial, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, S. 863 (863). 177 Vgl. Grewe, in: Hailbronner u.a. (Hrsg.), FS Doehring, S. 229 (233 f.); Röling, Tokyo Trial, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, S. 863 (865); Zayas, in: Demandt (Hrsg.), Macht und Recht, S. 249 (264). 178 So zu Recht Dahm, Problematik des Völkerstrafrechts, S. 43 Fn. 109; Woetzel, Nuremberg Trials, S. 71 Fn. 41. Vgl. auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1029. 179 Das Urteil des IMTFE ist wiedergegeben bei Röling/Rüter (Hrsg.), The Tokyo Judgment, Bd. 1, S. 1 ff. und bei Pritchard/Zaide (Hrsg.), The Tokyo War Crimes Trial, vol. 20. 180 Siehe diesbezüglich auch Minear, Victor’s Justice, S. 26 f., 42 ff.
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language to open the door to controversy by way of conflicting interpretations of the two statements of opinions.”181
Das Tokioter Urteil des IMTFE ist somit ein weiterer Fall von Staatenpraxis, in der die völkergewohnheitsrechtliche Nichtgeltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen zum Ausdruck gekommen ist. dd) Der Prozeß gegen Adolf Eichmann in Jerusalem Die Nürnberger Prozesse und das Verfahren vor dem IMTFE sind zwar ohne Zweifel die bedeutendsten Verfahren zur strafrechtlichen Ahndung der während des Zweiten Weltkrieges begangenen Verbrechen, doch gab es noch eine Vielzahl weiterer Verfahren. Aus diesen ragt der von Israel gegen Adolf Eichmann durchgeführte Prozeß hervor.182 Dieser ist auch für den vorliegenden Zusammenhang von besonderem Interesse. Im Mai 1960 wurde der ehemalige SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann vom israelischen Geheimdienst in Argentinien aufgespürt, festgenommen und nach Israel verbracht.183 Eichmann war als Leiter des „Judenreferats“ IV.B.4 im Reichssicherheitshauptamt verantwortlich gewesen für die Organisation der Transporte von Juden aus Deutschland und den vom NS-Regime besetzten Gebieten in die Konzentrationslager, in denen sie umgebracht wurden. Er war damit – wenngleich als subalterner Bürokrat – an maßgeblicher Stelle an der Organisation des Genozids an den europäischen Juden beteiligt gewesen.184 In Jerusalem wurde Eichmann im Dezember 1961 auf der Basis eines israelischen Gesetzes zur Verfolgung von NS-Straftaten vom 1. August 1950185 wegen ___________ 181 Röling/Rüter (Hrsg.), The Tokyo Judgment, Bd. 1, S. 1 (28). Allerdings hat der indische Richter Pal in seinem Minderheitsvotum die Auffassung vertreten, die Staatenimmunität stehe einer Verfolgung entgegen. Vgl. Pal, International Military Tribunal for the Far East, Dissentient Judgment, Kalkutta 1953, S. 9 ff. sowie Minear, Victor’s Justice, S. 45 f. Damit hat Pal aber unabhängig davon, ob zum damaligen Zeitpunkt eine Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen bestand, nicht hinreichend berücksichtigt, daß sich Japan als immunitätsberechtigter Staat mit einer Strafverfolgung einverstanden erklärt und somit auf die Staatenimmunität verzichtet hatte. So auch Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 137 Fn. 7. 182 Bezüglich weiterer in Israel gegen Funktionsträger des NS-Regimes geführter Verfahren siehe Kremnitzer/Cohen, in: Eser/Sieber/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 5: Israel, S. 317 (396). 183 Vgl. Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 93, 351 ff.; Baumann, JZ 1963, 110 (111). 184 Zur Person und zum Werdegang Eichmanns vgl. das Psychogramm von Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 100 ff. sowie Große, Eichmann-Prozeß, S. 14 ff. 185 Die entscheidenden Normen des Nazi and Nazi Collaborators (Punishment) Law 5710/1950 sind wiedergegeben in ILR 36, 7 sowie bei Baumann, JZ 1963, 110 (111 Fn. 13) und bei Nellessen, Prozess von Jerusalem, S. 313 ff. Als Sanktion für Verbrechen gegen das jüdischen Volk und Verbrechen gegen die Menschlichkeit war zwingend die Todesstrafe vorgesehen.
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Verbrechen gegen das jüdische Volk (so die Bezeichnung des Gesetzes für den Völkermord an den Juden), Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt.186 Nachdem dieses Urteil von der zweiten Instanz bestätigt worden war,187 wurde er am 31. Mai 1962 gehängt.188 Neben hier nicht zu erörternden Problemen wie dem der retroaktiven Wirkung des Gesetzes, auf dem die Verurteilung beruhte,189 und der Frage der Strafgewalt Israels190 war von den israelischen Gerichten auch zu klären, ob der Grundsatz der Staatenimmunität einer Ausübung israelischer Strafgerichtsbarkeit entgegenstand. Eichmann hatte schließlich seine Taten als staatlicher Funktionsträger des Deutschen Reichs begangen. Der Verteidiger Eichmanns hatte sich ausdrücklich auf die Staatenimmunität berufen und aus diesem Grund den israelischen Gerichten eine Verfolgungskompetenz abgesprochen.191 Die israelischen Gerichte versagten Eichmann jedoch den Schutz der Staatenimmunität.192 Im Rahmen seiner detaillierten Begründung der Nichtgeltung der Staatenimmunität zitiert das Bezirksgericht ___________ Urteil des Bezirksgerichts von Jerusalem vom 12.12.1961, Strafakte 40/61, ILR 36, 18. Dt. Übers. in Less (Hrsg.), Schuldig, S. 1 ff. Vgl. auch Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 360 ff., 365; Baumann, JZ 1963, 110 (111); Große, Eichmann-Prozeß, S. 33 ff.; Kremnitzer/Cohen, in: Eser/Sieber/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 5: Israel, S. 317 (393 f.); Nellessen, Prozess von Jerusalem, S. 15 ff. (deutschsprachige Wiedergabe des Eröffnungsplädoyers des Generalstaatsanwalts), S. 181 ff. (deutschsprachige auszugsweise Wiedergabe des Urteils) und S. 317 ff. (deutschsprachige Wiedergabe der Anklageschrift). 187 Urteil des Obersten Gerichtshofs des Staates Israel vom 29.5.1962, ILR 36, 277. Siehe zu diesem Judikat auch Becker, in: Menzel u.a. (Hrsg.), Völkerrechtsprechung, S. 781 ff. 188 Vgl. Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 366 f.; Baumann, JZ 1963, 110 (112). 189 Das Bezirksgericht von Jerusalem hat ausdrücklich die Rückwirkung des Gesetzes anerkannt, sie aber im Hinblick auf die Schwere der unter Strafe gestellten Taten für rechtmäßig erachtet. Vgl. Urteil (siehe oben Anm. 186), para. 5 ff., 27 ff. Siehe ferner Baumann, JZ 1963, 110 (112). Diese Rechtsauffassung hat auf internationaler Ebene Zustimmung gefunden; siehe nur Art. 7 Abs. 2 EMRK. Vgl. zu dieser in der EMRK festgelegten Ausnahme vom Rückwirkungsverbot Kreicker, Art. 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze, S. 94 ff. 190 Das Bezirksgericht von Jerusalem argumentierte, völkerrechtliche Verbrechen könnten nach dem Universalitätsprinzip von jedem Staat geahndet werden; vgl. Urteil (siehe oben Anm. 186), para. 8 ff. Siehe ferner Baumann, JZ 1963, 110 (112). Diese Auffassung hat sich mittlerweile jedenfalls für den Fall, daß der Beschuldigte im Hoheitsgebiet des strafverfolgenden Staates anwesend ist, weithin durchgesetzt. Vgl. Kreicker, in: Eser/ Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 252 ff. 191 Vgl. das Urteil des Bezirksgerichts (siehe oben Anm. 186), para. 28; Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 180 f. 192 Urteil (siehe oben Anm. 186), para. 28. Siehe auch Baumann, JZ 1963, 110 (113, 115). Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Argumentation gegen das Bestehen von Staatenimmunität im Fall Eichmann von Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 59 ff., 180 f., von Baumann, JZ 1963, 110 (117), von De Sena, in: Conforti/Francioni (Hrsg.), Enforcing International Human Rights, S. 367 (382 ff.); von Fawcett, BYIL 38 (1962), 181 (213 f.); von Papadatos, Eichmann Trial, S. 72 ff. und von Woetzel, Crim.L.R. 1962, 671 (675 f.). 186
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zunächst ausführlich die Feststellungen des Urteils des Nürnberger Militärgerichtshofs zur individuellen Verantwortlichkeit einzelner und zum Immunitätsausschluß bei völkerrechtlichen Verbrechen und macht sich diese zu eigen.193 Sodann wird betont, ein Staat, der wie das Deutsche Reich einen Genozid geplant und durchgeführt habe, könne nicht beanspruchen, daß für ihn als par inter pares die Staatenimmunität gelte.194 Im Anschluß trifft das Gericht die Feststellung, die Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen sei einer der Grundsätze des Völkerrechts, die durch das Statut des Nürnberger Gerichtshofs und das Urteil von Nürnberg Anerkennung gefunden hätten und von der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit der Resolution 95 (I) vom 11. Dezember 1946 bestätigt worden seien.195 Damit wird deutlich, daß das Gericht von einer völkergewohnheitsrechtlichen Nichtgeltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen ausging. Der Oberste Gerichtshof hat diese Rechtsauffassung des Bezirksgerichts in seiner Rechtsmittelentscheidung bestätigt und gleichfalls betont, die Staatenimmunität – wie im Urteil des Bezirksgerichts wird als Synonym der Begriff “theory of Act of State” verwandt – erfahre eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme bei völkerrechtlichen Verbrechen.196 ee) Ahndung von NS-Verbrechen durch Gerichte anderer Staaten Neben Israel haben auch viele andere Staaten Strafverfahren wegen NSVerbrechen durchgeführt, wobei es jeweils um Taten ging, die völkerrechtlich gesehen als Kriegsverbrechen, Völkermord bzw. Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bewerten sind. In aller Regel ging es nicht um Taten, die aus privater Motivation heraus begangen worden waren, sondern mit Rückendeckung des NSRegimes und in Verfolgung politischer Ziele des Dritten Reichs, also um Taten, die als hoheitlich-dienstliche Taten grundsätzlich in den Schutzbereich der Staatenimmunität fielen. Solche Verfahren wurden unter anderem von Australien,197 Frank___________ Urteil (siehe oben Anm. 186), para. 28. Siehe auch Baumann, JZ 1963, 110 (113). Urteil (siehe oben Anm. 186), para. 28: “A State that plans and implements a ‘final solution’ cannot be treated as par in parem, but only as a gang of criminals.” (Zitiert nach ILR 36, 18 [46].) Siehe auch Baumann, JZ 1963, 110 (113). 195 Urteil (siehe oben Anm. 186), para. 28: “The repudiation of the argument of ‘act of State’ is one of the principles of international law that were acknowledged by the Charter and Judgment of the Nuremberg Tribunal and were unanimously affirmed by the United Nations Assembly in its Resolution of December 11, 1946.” (Zitiert nach ILR 36, 18 [47 f.].) 196 Urteil des Obersten Gerichtshofs (siehe oben Anm. 187), para. 14: “In any event, there is no basis for the doctrine when the matter pertains to acts prohibited by the law of nations, especially when they are international crimes of the class of ‘crimes against humanity’ (in the wide sense).” (Zitiert nach ILR 36, 277 [309 f.].) 197 Biehler/Kerll, in: Eser/Sieber/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 6: Australien, S. 19 (68 ff.). 193 194
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reich,198 Großbritannien, Italien,199 Kanada,200 den Niederlanden, Polen und der Sowjetunion durchgeführt.201 Soweit ersichtlich, wurde in den insgesamt mehreren tausend Verfahren niemals ein Prozeßhindernis wegen der völkerrechtlichen Staatenimmunität angenommen. Auch diese Verfahren sind damit eine klare Bestätigung der völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen.202 Nun könnte man allerdings geneigt sein, die Nichtgeltung der Staatenimmunität in diesen Fällen damit zu begründen, das Deutsche Reich sei 1945 oder spätestens nach Gründung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1949 untergegangen, so daß das Schutzobjekt der Exemtion entfallen sei. Insofern kommt es aber auf die Rechtsauffassung des jeweiligen strafverfolgenden Staates an. Man könnte es deshalb allenfalls dann für unstatthaft halten, die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit wegen NS-Verbrechen als Ausdruck der Anerkennung einer Nichtgeltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen zu bewerten, wenn der betreffende Staat selbst von einem Untergang des Deutschen Reichs ausgegangen ist. Soweit ersichtlich, ist aber lediglich von den Ostblockstaaten, namentlich von der Sowjetunion, diese Auffassung vertreten worden, und das auch erst nach der Gründung der DDR. Die westlichen Staaten haben alle angenommen, das Deutsche Reich sei weder durch die Kapitulation 1945 noch durch die doppelte Staatsgründung 1949 untergegangen. Dies wird schon daran deutlich, daß eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Wiedergutmachung von NS-Unrecht angenommen wurde,203 eine solche Pflicht aber nicht auf Nachfolgestaaten übergeht.204 Insofern ist also von einer Subjektidentität der Bundesrepublik Deutschland mit dem Deutschen Reich und mithin nicht von einem Erlöschen des Deutschen Reichs ausgegangen worden. Damit ist es zulässig, die Verfolgung von NS-Verbrechern durch ___________ Vgl. zu den französischen Verfahren in den ersten Jahren nach Kriegsende und den mit ihnen zusammenhängenden Rechtsproblemen, auch dem der Staatenimmunität, Jescheck, SJZ 1949, 107 (107 ff.). Siehe ferner unten Anm. 210 und dazugehörigen Text. 199 Siehe auch unten Anm. 212 und dazugehörigen Text sowie Grammer, in: Eser/ Sieber/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 4: Italien, S. 337 (412 ff.); Gaeta, in: Fischer/Kreß/Lüder (Hrsg.), International and National Prosecution of Crimes Under International Law, S. 751 (751 ff.); Rivello, JICJ 3 (2005), 422 (422 ff.). 200 Siehe auch unten Anm. 214 f. und dazugehörigen Text. 201 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1030; Götz, Bilanz, S. 26 ff.; Henkys, Gewaltverbrechen, S. 189 ff.; Rückerl, NS-Verbrechen vor Gericht, S. 98 ff.; Zayas, in: Demandt (Hrsg.), Macht und Recht, S. 249 (263). 202 So auch Lord Millett in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (99) sowie Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (870 f.); ders., International Criminal Law, S. 267 f. mit Fn. 8, der eine Vielzahl einschlägiger Judikate anführt. 203 Vgl. Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 709 und das Londoner Schuldenabkommen vom 27.2.1953 (BGBl. 1953 II, S. 331). 204 Vgl. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 25 Rn. 34; Fastenrath, BDGVR 35 (1996), 9 (26); Herdegen, Völkerrecht, § 30 Rn. 2; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1409 f. 198
§ 6 Ausnahmen bei völkerrechtlichen Verbrechen
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die westlichen Staaten als Beweis für die Nichtgeltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen zu bewerten.205 Vorsicht ist lediglich insofern angebracht, als es um eine Bewertung der von den Ostblockstaaten nach 1949 durchgeführten Strafverfolgungen geht. So könnte man die Strafverfolgungen von NS-Verbrechern in der DDR206 auch darauf zurückführen, daß die DDR – die jede Identität mit dem Deutschen Reich stets abgelehnt und sich selbst als Neustaat begriffen hat – von einem Untergang des Deutschen Reichs ausging,207 also eine Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen nicht anzunehmen brauchte, sondern sich auf den Standpunkt zurückziehen konnte, die Staatenimmunität der NS-Funktionsträger sei mit dem Untergang des Deutschen Reichs erloschen. Doch wurde gerade in der DDR stets davon ausgegangen, die „Nürnberger Prinzipien“ einschließlich des Grundsatzes der Nichtgeltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen hätten Eingang in das Völkergewohnheitsrecht gefunden.208 Unzulässig wäre es lediglich, die Ahndung von NS-Verbrechen durch die Bundesrepublik Deutschland als Ausdruck der Anerkennung einer Nichtgeltung der Staatenimmunität bei Völkerstraftaten zu bewerten. Denn die BRD ist stets von einer zumindest teilweisen Identität der Bundesrepublik mit dem Deutschen Reich ausgegangen,209 so daß die Ahndung von NS-Unrecht aus bundesdeutscher Sicht nie eine fremdstaatliche Strafverfolgung war. Nur einer solchen aber kann die Staatenimmunität entgegenstehen. Auf einige der für den vorliegenden Zusammenhang relevanten Strafverfahren gegen NS-Funktionsträger durch westliche Staaten soll noch besonders hingewiesen werden: ___________ 205 Strafverfolgungen durch Frankreich und Großbritannien im eigenen Land können dabei nicht als Strafverfolgungen in Ausübung von Kompetenzen als Besatzungsmächte angesehen werden, bei denen die Staatenimmunität aufgrund der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands und der Übernahme der vollen Hoheitsgewalt durch die Alliierten von vornherein keine Relevanz haben konnte. Denn Frankreich und Großbritannien haben bei den durchgeführten Verfahren, vor allem bei denjenigen, die nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland betrieben wurden, nicht von ihren Kompetenzen als Besatzungsmacht Gebrauch gemacht bzw. sich nicht auf solche Kompetenzen stützen können. 206 Vgl. hierzu Kreicker, NJ 2002, 281 (282); ders., in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 90 f., jeweils m.w.N. 207 Vgl. zur Auffassung der DDR über die „deutsche Frage“ Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 148; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 632; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 704, 715. 208 Vgl. OG, NJ 1963, 449 (507); OG, NJ 1966, 193 (203); Ministerium der Justiz (Hrsg.), Strafrecht der DDR, Kommentar zum StGB, S. 248 f.; Sektion Rechtswissenschaft der Humboldt Universität u.a. (Hrsg.), Strafrecht BT, Lehrbuch, S. 17 ff.; Toeplitz, NJ 1986, 49 (49 ff.) sowie speziell zur Staatenimmunität Graefrath, NJ 1967, 458 (458 f.). 209 Vgl. BVerfGE 36, 1 (16) = NJW 1973, 1539 (1540); BVerfGE 77, 137 (155 f., 160 f.) = NJW 1988, 1313 (1315 f.); Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 635.
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In den achtziger Jahren erlangte das in Frankreich durchgeführte Verfahren gegen den „Schlächter von Lyon“ Klaus Barbie besondere Aufmerksamkeit. Der deutsche SS-Offizier Barbie war in Lyon verantwortlich gewesen für die Deportation jüdischer Bürger in Konzentrationslager und hatte Folterungen und Tötungen von Mitgliedern der französischen Résistance angeordnet. Nach dem Krieg konnte er mit US-amerikanischer Hilfe nach Bolivien entkommen; dort wurde er unter dem Namen Klaus Altmann unter anderem für die bolivianische Militärregierung tätig. Er wurde aber 1983 von dort nach Frankreich ausgeliefert, wo er schon in den fünfziger Jahren zum Tode verurteilt worden war. 1987 wurde er wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erneut verurteilt, dieses Mal zu lebenslanger Freiheitsstrafe.210 Er starb schließlich 1991 in französischer Haft. Die französischen Gerichte hatten sich nicht durch die Staatenimmunität an einer Strafverfolgung gehindert gesehen, obgleich Barbie seine Verbrechen als dem Deutschen Reich zurechenbare Hoheitsakte begangen hatte.211 Entsprechendes gilt für das in Italien durchgeführte Verfahren gegen Erich Priebke. Priebke war als SS-Hauptsturmführer verantwortlich für die 1944 als Vergeltung für einen Angriff italienischer Partisanen auf ein deutsches SS-Polizeiregiment erfolgte Erschießung von über 300 Zivilisten in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom. Nach dem Krieg konnte er zwar nach Argentinien flüchten, von dort wurde er aber 1995 nach Italien ausgeliefert. In einem ersten Verfahren im Jahr 1996 wurde er nicht verurteilt, da das Gericht seine Taten für verjährt hielt. Dieses und ein weiteres Urteil wurden jedoch später aufgehoben. Priebke wurde schließlich 1998 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, 1999 jedoch aus gesundheitlichen Gründen aus der Haft entlassen. Priebke befindet sich seither in Italien unter Hausarrest; seine Begnadigung hat der italienische Staatspräsident abgelehnt.212 ___________ Vgl. die Urteile der Cour de Cassation vom 6.10.1983, 26.1.1984 und 20.12.1985, ILR 78, 124 sowie das Urteil der Cour de Cassation vom 3.6.1988, ILR 100, 331. 211 Vgl. zum Verfahren gegen Barbie Lelieur-Fischer, in: Eser/Sieber/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 4: Frankreich, S. 225 (232 Fn. 1, 236, 308); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 90 f. sowie die Darstellung bei Wexler, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. III, S. 273 (273 ff.). Die Verfahren gegen Maurice Papon und Paul Touvier (siehe Zehnder, a.a.O., S. 91; Wexler, a.a.O.) sollen hier außer Betracht bleiben, da diese beiden Angeklagten für das französische Vichy-Regime tätig waren und insofern ihre Strafverfolgung durch Frankreich keine fremdstaatliche gewesen ist. Verfehlt ist die Feststellung von Kriebaum, in: Karl (Hrsg.), Völker- und Europarecht, S. 51 (75 f.), die französischen Fälle könnten nicht als Beleg für eine Immunitätsausnahme gelten, da die durch die französische Justiz Verfolgten Franzosen gewesen sein. Es kommt nämlich bei der Staatenimmunität nicht darauf an, ob eine Person eine fremde Staatsangehörigkeit besitzt, sondern nur darauf, ob sie für einen fremden Staat agiert hat. 212 Vgl. Gaeta, in: Fischer/Kreß/Lüder (Hrsg.), International and National Prosecution of Crimes Under International Law, S. 751 (754 ff.); Grammer, in: Eser/Sieber/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 4: Italien, S. 337 (412 ff.). Siehe ferner die Aufstellung und Urteilswiedergabe im Internet unter 210
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Im Anschluß an die Verurteilung Priebkes kam es in Italien zu weiteren Strafverfahren wegen deutscher Kriegsverbrechen; die Staatenimmunität wurde auch in diesen Verfahren nicht als Verfolgungshindernis angesehen. So wurden im Jahr 2005 – in Abwesenheit – in mehreren Prozessen ehemalige deutsche SS-Offiziere wegen ihrer Beteiligung an Massakern an der italienischen Zivilbevölkerung im Jahr 1944 verurteilt, ohne daß die Staatenimmunität als Verfolgungshindernis erachtet wurde.213 In Kanada wurde 1992 der frühere ungarische Gendarm Imre Finta wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgrund seiner Mitwirkung an der Deportation ungarischer Juden in Konzentrationslager im Jahr 1944 angeklagt, ohne das in der Staatenimmunität ein Verfolgungshindernis erblickt wurde. Er wurde zwar freigesprochen, doch nicht wegen Bestehens völkerrechtlicher Immunität.214 Der kanadische Supreme Court hat dieses Urteil 1994 bestätigt.215 ff) Ausschluß der Staatenimmunität in den Statuten des ICTY und ICTR In den Statuten der UN-Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda ist – wie im einzelnen unten in § 9 I.2. erläutert werden wird – jeweils die Irrelevanz sämtlicher völkerrechtlicher Exemtionen festgelegt. Art. 7 Abs. 2 ICTYStatut216 und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut217 formulieren wortgleich: „Die amtliche Stellung eines Beschuldigten, sei er Staats- oder Regierungschef oder hoher Regierungsbeamter, enthebt den Betreffenden nicht seiner strafrechtlichen Verantwortung und mindert auch seine Strafe nicht.“
Doch wäre es verfehlt, diese Festlegung als weiteres Indiz für die völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei ___________ (31.3.2006) sowie SZ vom 8.3.2004, S. 7. 213 Vgl. SZ vom 11.6.2005, S. 7; SZ vom 26.11.2005, S. 7; SZ vom 7.2.2006, S. 6; SZ vom 22.3.2006, S. 5; SZ vom 23.3.2006, S. 6. Siehe in diesem Zusammenhang auch BGHSt 49 (189) = NStZ 2005, 36. Mit dieser Entscheidung vom 17.6.2004 stellte der BGH das in Deutschland gegen den früheren SS-Offizier Friedrich Engel wegen einer in Italien begangenen Massenerschießung von Zivilisten geführte Verfahren nicht zuletzt wegen des hohen Alters des Angeklagten nach § 206a StPO (!) ein. Engel verstarb Anfang 2006; vgl. SZ vom 14.2.2006, S. 7. 214 Urteil des High Court of Justice vom 10.7.1989, ILR 82, 424; Urteil des Ontario Court of Appeal vom 29.4.1992, ILR 98, 520. Vgl. zum Verfahren gegen Finta auch Amerasinghe, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. III, S. 243 (260 ff.); Burchards, Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen durch Drittstaaten, S. 179 ff.; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 61 ff. 215 Urteil des kanadischen Supreme Court vom 24.3.1994, ILR 104, 284. Vgl. zu dieser Entscheidung auch den Bericht von Cotler in AJIL 90 (1996) 460 (460 ff.). 216 Abgedruckt in ILM 32 (1993), 1192 und in BT-Drucks. 13/57 (dort auch dt. Übers.). Internetquelle: (31.3.2006). 217 Abgedruckt in ILM 33 (1994), 1602 und in BT-Drucks. 13/7953 (dort auch dt. Übers.). Internetquelle: (31.3.2006).
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völkerrechtlichen Verbrechen zu werten. Denn wie unten in § 9 I. näher ausgeführt werden wird, sind die beiden UN-Strafgerichtshöfe vom UN-Sicherheitsrat durch Resolutionen auf der Basis von Kapitel VII UN-Charta als Hilfsorgane des Sicherheitsrates gegründet worden. Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen – hierzu zählen auch Ruanda und die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien – haben sich gemäß Art. 25 UN-Charta verpflichtet, die Beschlüsse des Sicherheitsrates anzunehmen und durchzuführen. Damit sind sie auch verpflichtet, die mit Beschlüssen des UN-Sicherheitsrates verbundenen Einschränkungen ihrer Souveränitätsrechte zu akzeptieren. Insofern haben sich die UN-Mitgliedstaaten durch ihren Beitritt zu den Vereinten Nationen zugleich mit möglichen Einschränkungen ihrer Souveränitätsrechte, die durch Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates bewirkt werden, vorab einverstanden erklärt. Schon deshalb war es dem UN-Sicherheitsrat möglich, die Unbeachtlichkeit völkerrechtlicher Exemtionen für den ICTY und den ICTR festzulegen.218 Dagegen ist die Judikatur des ICTY auch für den vorliegenden Zusammenhang von Interesse. Denn zum einen hat sich der ICTY auch während der Zeit, in der die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Jugoslawien in den Vereinten Nationen suspendiert und Jugoslawien daher nicht gemäß Art. 25 UN-Charta verpflichtet war, Beschlüsse des Sicherheitsrates anzunehmen,219 nicht als gehindert angesehen, gegen ehemalige Funktionsträger Jugoslawiens strafrechtlich vorzugehen. Schon dies spricht dafür, daß der ICTY von einer gewohnheitsrechtlichen Nichtgeltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen ausgeht. Zum anderen hat der ICTY in mehreren Entscheidungen explizit festgestellt, daß die Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme erfährt. In einer Entscheidung im Verfahren gegen Karadziü aus dem Jahr 1995 finden sich folgende Feststellungen: “Proceedings in respect of persons in positions of authority before the International Tribunal derive expressly from Article 7 of the Statute of the International Tribunal and more particularly, from paragraphs 1, 2 and 3 thereof. (…) The punishment for the crimes allegedly committed by such individuals is also based on the general principles of international humanitarian law, and derives in particular from the precedents laid down by Nuremberg and Tokyo; furthermore, the principle of individual criminal responsibility of persons in positions of authority has been reaffirmed in a number of decisions taken by national courts, and adopted in various national and international legal instruments. (…) It follows from the above principle that the official capacity of an individual even de facto in a position of authority – whether as military commander,
___________ Ähnlich auch Wirth, CLF 12 (2001), 429 (442). Vgl. im einzelnen die Darstellung unten in § 9 I.2.b)aa). 219 Vgl. hierzu näher unten § 9 I.2.b)aa). 218
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leader, or as one in government – does not exempt him from criminal responsibility and would tend to aggravate it (…).”220
In seiner bereits erwähnten221 Entscheidung im Verfahren gegen Blaškiü aus dem Jahr 1997 hat der ICTY ausgeführt: “(…) each State is entitled to claim that acts or transactions performed by one of its organs in its official capacity be attributed to the State, so that the individual organ may not be held accountable for those acts or transactions. The general rule under discussion is well established in international law and is based on the sovereign equality of States (par in parem non habet imperium). The few exceptions relate to one particular consequence of the rule. These exceptions arise from the norms of international criminal law prohibiting war crimes, crimes against humanity and genocide. Under these norms, those responsible for such crimes cannot invoke immunity from national or international jurisdiction even if they perpetrated such crimes while acting in their official capacity.”222
Seine Rechtsauffassung hat der ICTY 1998 im Verfahren gegen Furundžija erneut zum Ausdruck gebracht: “Article 7(2) of the Statute and article 6(2) of the Statute of the International Criminal Tribunal for Rwanda (…) are indisputably declaratory of customary international law.”223
Diese Aussage hat der ICTY mit ähnlichen Worten in einer Entscheidung im Verfahren gegen Miloseviü im Jahr 2001 wiederholt: “There is absolutely no basis for challenging the validity of Article 7, paragraph 2, which at this time reflects a rule of customary international law.”224
Die hier angeführten Feststellungen des ICTY in den Verfahren gegen Karadziü, Blaškiü, Furundžija und Miloseviü können mithin als weitere Völkerrechtspraxis gelten, durch die die völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen bestätigt wird.225 gg) Ahndung im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien begangener völkerrechtlicher Verbrechen durch nationale Gerichte Nicht nur der ICTY, sondern auch die nationalen Strafverfolgungsbehörden einzelner Drittstaaten – namentlich von Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz – waren bzw. sind mit der strafrechtlichen Ahndung ___________ Entscheidung des ICTY im Verfahren gegen Karadziü vom 16.5.1995 (IT-95-5-D), para. 24. 221 Vgl. oben § 5. 222 Entscheidung des ICTY im Verfahren gegen Blaškiü vom 29.10.1997 (IT-9514AR108bis), para. 41, ILR 110, 607 (710). Vgl. auch Wirth, CLF 12 (2001), 429 (442). 223 Urteil des ICTY im Verfahren gegen Furundžija vom 10.12.1998 (IT-95-17/1-T), para. 140, ILR 121, 213 (257) = ILM 38 (1999), 317 (346 f.). 224 Entscheidung des ICTY im Verfahren gegen Miloseviü vom 8.11.2001 (IT-02-54), para. 28. Vgl. zu den Ausführungen des ICTY in der genannten Entscheidung auch Jones/ Powles, International Criminal Practice, 6.2.65. 225 So auch Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (871). 220
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von völkerrechtlichen Verbrechen befaßt, die nach dem Zerfall der Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien im Jahr 1991 auf dem Balkan verübt wurden.226 Vor allem die Bundesrepublik Deutschland hat sich hier hervorgetan. Da die vorliegende Untersuchung die völkerrechtlichen Exemtionen in erster Linie insoweit untersucht, als sie für die bundesdeutsche Strafgerichtsbarkeit von Relevanz sind, ist auf die deutsche Staatenpraxis ein besonderes Augenmerk zu richten. Daher sollen die Strafverfolgungsaktivitäten Deutschlands hier kurz skizziert werden. Wegen in den neunziger Jahren im Gebiet des früheren Jugoslawien begangener völkerrechtlicher Verbrechen wurden in Deutschland in der Zeit zwischen 1993 und Ende 2004 insgesamt 128 Ermittlungsverfahren durchgeführt.227 Da das deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) erst am 30. Juni 2002 in Kraft getreten ist und eine rückwirkende Anwendung seiner Normen aufgrund des verfassungsrechtlich abgesicherten Rückwirkungsverbots (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG) unzulässig ist,228 konnte eine Strafverfolgung nur unter Heranziehung des StGB erfolgen.229 Zur Anwendung kamen der vor Schaffung des VStGB in § 220a StGB a.F. normierte Straftatbestand des Völkermords und die Tötungstatbestände des StGB. Eine extraterritoriale Strafgewaltserstreckung konnte, da es um Auslandstaten von Ausländern ging, deren Opfer Ausländer waren, nur nach dem Universalitätsprinzip begründet werden. Dieses galt nach § 6 Nr. 1 und 9 StGB a.F. zur Tatzeit für Völkermord und für diejenigen Kriegsverbrechen, zu deren Ahndung Deutschland aufgrund der Genfer Abkommen von 1949 und des Zusatzprotokolls I von 1977 völkervertraglich verpflichtet war. Zudem hatte der BGH die Strafverfolgung von im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien begangenen völkerrechtlichen Verbrechen dadurch eng begrenzt, daß er die Zulässigkeit einer Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit über Völkermordtaten unter den Vorbehalt eines besonderen legitimierenden Anknüpfungspunkts stellte.230 Da der BGH die Tatsache, daß sich An___________ Vgl. Sieber, Punishment of Serious Crimes, S. 125 f. Vgl. Ambos/Wirth, in: Fischer/Kreß/Lüder (Hrsg.), International and National Prosecution of Crimes Under International Law, S. 769 ff. (mit Auflistung von Gerichtsentscheidungen in Fn. 1); Eser, in: Roxin/Widmaier (Hrsg.), FS BGH IV, S. 3 (26); Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 427 ff.; Rissing-van Saan, JICJ 3 (2005), 381 (382 ff.); Werle/Jeßberger, JZ 2002, 725 (726). Siehe auch die Angaben des Generalbundesanwalts im Internet unter (31.3.2006). 228 Vgl. hierzu (sowie allgemein zum VStGB) Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 390 ff. 229 Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 428; Rissing-van Saan, JICJ 3 (2005), 381 (383). 230 Vgl. BGH NStZ 1994, 232 (233); BGH NStZ 1999, 236 (236); BGH StV 1999, 240 (240); BGHSt 45, 64 (65 ff.) = NStZ 1999, 396 (397 f.). Offengelassen von BVerfG NJW 2001, 1848 (1853). Siehe auch BayObLGSt 1997, 83 (94 f.) = NJW 1998, 392 (395) und BGHSt 46, 292 (306 f.) = NJW 2001, 2728 (2731 f.). In der letztgenannten Entscheidung betonte der BGH, er „neige dazu“, bei § 6 Nr. 9 StGB wegen der völkervertraglichen Verfolgungspflicht zusätzliche legitimierende Anknüpfungstatsachen nicht für erforderlich zu halten. Kritisch bezüglich dieses Erfordernisses Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Natio226 227
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zeigeerstatter, Opfer oder wichtige Zeugen in der Bundesrepublik aufhielten, nicht als ausreichenden Legitimationsgrund für die Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit angesehen hat,231 kam es nur in sehr wenigen Fällen zu Gerichtsverfahren und Verurteilungen, nämlich in den Fällen, in denen sich der Beschuldigte freiwillig und längerfristig in Deutschland aufhielt;232 im „berühmten“ Fall Duško Tadiü erfolgte zudem eine Überstellung des Beschuldigten an den ICTY.233 Zu nennen sind folgende Verfahren:234 Im Mai 1997 sprach das BayObLG den bosnischen Serben Novislav Djajiü zwar vom Vorwurf des Völkermords frei, verurteilte ihn jedoch wegen Beihilfe zum Mord in 14 Fällen und einem versuchten Mord zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren.235 Ihm wurde vorgeworfen, im Juni 1992 an der Erschießung von 14 muslimischen Einwohnern des Ortes Trnovaca an der Drina mitgewirkt zu haben. Im September 1997 verurteilte das OLG Düsseldorf Nicola Jorgiü, ebenfalls ein bosnischer Serbe, wegen Völkermords in elf Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe.236 Ihm wurde zur Last gelegt, im Mai/Juni 1992 an „Säuberungsaktionen“ im Gebiet der bosnischen Stadt Doboj teilgenommen und dabei eigenhändig muslimische Bewohner getötet zu haben. Dies war die erste Verurteilung in Deutschland wegen Völkermords überhaupt. Die Verurteilung wurde im Jahr 1999 vom BGH bestätigt,237 eine Verfassungsbeschwerde vom BVerfG im Jahr 2000 mangels Aussicht auf Erfolg erst gar nicht zur Entscheidung angenommen.238 Im Jahr 1999 kam es zu zwei weiteren erstinstanzlichen Urteilen gegen bosnische Serben. Das OLG Düsseldorf verurteilte Maksim Sokoloviü unter anderem wegen Beihilfe zum Völkermord zu einer Freiheitsstrafe ___________ nale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 253 ff. m.w.N. Das Erfordernis eines besonderen legitimierenden Anknüpfungspunkts erstreckt sich im übrigen nicht auf Taten nach dem VStGB; vgl. Kreicker, a.a.O., S. 255, 258. 231 Vgl. BGH NStZ 1999, 236 (236); BGH StV 1999, 240 (240). 232 Vgl. Ambos/Wirth, in: Fischer/Kreß/Lüder (Hrsg.), International and National Prosecution of Crimes Under International Law, S. 769 (771 f.); Bremer, Nationale Strafverfolgung internationaler Verbrechen, S. 239 ff. 233 Vgl. Griesbaum, in: Geiß u.a. (Hrsg.), 50 Jahre BGH, S. 663 (663); Rissing-van Saan, JICJ 3 (2005), 381 (382). 234 Siehe auch Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 428 f.; Rissing-van Saan, JICJ 3 (2005), 381 (389 ff.). 235 BayObLGSt 1997, 83 = NJW 1998, 392. Zu einer Revisionsentscheidung des BGH kam es nicht, da die eingelegten Rechtsmittel zurückgenommen wurden. Vgl. zu diesem Judikat auch Ambos, NStZ 1998, 138 ff. 236 OLG Düsseldorf IV 26/96–2 StE 8/96 vom 26.9.1997; nicht veröffentlicht. 237 BGHSt 45, 65 = NStZ 1999, 396. Der BGH änderte lediglich den Schuldspruch dahingehend ab, daß er nicht wie das OLG Düsseldorf mehrere Völkermordtaten, sondern eine einzige Tat des Völkermords in Tateinheit mit Mord in 30 Fällen annahm. Vgl. zu diesem Judikat auch Ambos, NStZ 1999, 404 ff.; Lagodny/Nill-Theobald, JR 2000, 205 ff.; Werle, JZ 1999, 1181 ff. 238 BVerfG NJW 2001, 1848. Vgl. zu diesem Judikat auch Hoß/Miller, GYIL 44 (2001), 576 ff.; Kadelbach, JZ 2001, 981 ff.; Kotzur, DÖV 2002, 195 ff.
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
von neun Jahren, weil er sich im Mai 1992 in Bosnien an militärischen Aktionen gegen die muslimische Bevölkerung beteiligt hatte.239 Das BayObLG verurteilte Djuradi Kusljiü wegen Völkermords in Tateinheit mit Mord in sechs Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe, weil er als Leiter einer Polizeistation in Bosnien im Sommer 1992 an „Säuberungsaktionen“ gegen Muslime mitgewirkt hatte.240 Gegen die Entscheidungen des OLG Düsseldorf und des BayObLG wurde jeweils Revision eingelegt, die der BGH aber im Jahr 2001 beide verwarf.241 Obwohl die Taten, über die in diesen Verfahren geurteilt wurde, als unter der Führung und mit Billigung der serbischen Regierung begangene hoheitlichdienstliche Taten zu bewerten sind, wurde die Staatenimmunität in keinem der genannten Fälle als Verfolgungshindernis angesehen. Die Nichtgeltung der Staatenimmunität in diesen Fällen – in denen es völkerrechtlich gesehen jeweils um völkerrechtliche Verbrechen ging – wurde vielmehr offenbar als selbstverständlich erachtet. Denn soweit aus den veröffentlichten Urteilsgründen ersichtlich ist, wurde auf ein mögliches Strafverfolgungshindernis wegen der völkerrechtlichen Staatenimmunität überhaupt nicht eingegangen. Das gleiche gilt für die literarischen Stellungnahmen zu diesen Verfahren; auch in diesen wird mit keinem Wort auf die Staatenimmunität als potentielles Verfolgungshindernis hingewiesen.242 Aber auch in den anderen Staaten, in denen Strafverfahren wegen der in den neunziger Jahren auf dem Balkan verübten völkerrechtlichen Verbrechen durchgeführt wurden (Dänemark, Niederlande, Österreich und Schweiz), ist die Staatenimmunität offensichtlich nicht als Verfolgungshindernis angesehen worden. Denn soweit keine Verurteilungen ausgesprochen wurden, ergingen entweder Freisprüche aus Mangel an Beweisen oder aber wurde das Verfahren aus anderen Gründen als wegen Immunität des Beschuldigten eingestellt.243 hh) Das Verfahren gegen Pinochet vor britischen Gerichten 1998/99 Wie schon erwähnt wurde, genießen ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder keine besondere Exemtion mehr; ihnen steht vielmehr lediglich wie jedem anderen (ehemaligen) staatlichen Funktionsträger die allgemeine Staatenimmunität zu.244 Auch Pinochet konnte sich daher vor britischen Gerichten auf ___________ 239 240
licht.
OLG Düsseldorf IV 9/97 – 2 StE 6/97 vom 29.11.1999; nicht veröffentlicht. BayObLG 6 St 1/99 – 2 BJs 25/95 – 5 – 2 StE 5/99 vom 15.12.1999; nicht veröffent-
241 BGHSt 46, 292 = NJW 2001, 2728; BGH NJW 2001, 2732. Vgl. zu diesen Judikaten auch Ambos, NStZ 2001, 628 ff. 242 Vgl. nur Ambos, NStZ 1999, 404 (405 f.); Eser, in: Eser u.a. (Hrsg.) FS MeyerGoßner, S. 3 (14 ff.); Werle, JZ 1999, 1181 (1183). 243 Vgl. Sieber, Punishment of Serious Crimes, S. 125 f. 244 Vgl. oben Anm. 45 und dazugehörigen Text.
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die Staatenimmunität berufen. Dennoch wurde ihm für die ihm vorgeworfenen Taten vom House of Lords kein Immunitätsschutz gewährt. Es wäre jedoch verfehlt, in den Entscheidungen des House of Lords ohne weiteres einen erneuten Beleg für eine völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen zu sehen. Denn in ihrer dritten Entscheidung vom 24. März 1999 haben die Lordrichter – wie oben in § 5 III.1.c)aa) und in § 6 I.2. ausgeführt – entscheidend auf die in der UN-Folterkonvention normierte völkervertragliche Exemtionsausnahme abgestellt und britische Strafverfolgungsaktivitäten demgemäß nur wegen Pinochet vorgeworfener und von der Konvention erfaßter Folterhandlungen für zulässig erachtet. Doch sind etliche Lordrichter in ihren Voten vom Bestehen einer völkergewohnheitsrechtlichen Ausnahme von der Immunität für ehemalige Staatsoberhäupter (und damit von der Staatenimmunität) bei völkerrechtlichen Verbrechen ausgegangen.245 Diese einzelnen Voten können daher für sich genommen als ein weiterer Beleg für die Existenz einer völkergewohnheitsrechtlichen Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen gelten.246 ii) Strafverfahren gegen Pinochet in anderen Staaten Nachdem die spanische Justiz mit ihrem an Großbritannien gerichteten Auslieferungsbegehren den Fall Pinochet ins Rollen gebracht hatte, leiteten auch etliche andere Staaten Ermittlungsverfahren gegen Pinochet wegen der unter seiner Herrschaft in Chile begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein und stellten ebenfalls Auslieferungsersuchen. Zu diesen Staaten gehören unter anderem Belgien247, die Schweiz, Frankreich und Deutschland.248 Auch wenn Pinochet letztlich in ___________ So Lord Nicholls of Birkenhead in seinem Votum zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 436 (439) sowie in ihren Voten zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999 Lord Hutton, HRLJ 1999, 89 (93 f.), Lord Millett, HRLJ 1999, 97 (98 ff.) und Lord Phillips of Worth Matravers, HRLJ 1999, 102 (106). Am deutlichsten hat die Immunitätsausnahme Lord Phillips of Worth Matravers formuliert (a.a.O.): “(…) no established rule of international law requires state immunity ratione materiae to be accorded in respect of prosecution for an international crime. International crimes and extraterritorial jurisdiction are both new arrivals in the field of public international law. I do not believe that state immunity ratione materiae can co-exist with them.” A.A. aber in ihren Voten zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998 Lord Slynn of Hadley, HRLJ 1998, 419 (425 ff.) und Lord Lloyd of Berwick, HRLJ 1998, 428 (433 f.) sowie in ihren Voten zum dritten PinochetUrteil vom 24.3.1999 Lord Goff of Chieveley, HRLJ 1999, 69 (71 f.) und Lord Hope of Craighaed, HRLJ 1999, 78 (86). 246 So auch Wirth, CLF 12 (2001), 429 (435 ff.), der nach einer gründlichen Analyse der Voten von Lord Hope of Craighaed, Lord Hutton, Lord Millet und Lord Phillips of Worth Matravers zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999 zu dem Ergebnis kommt, diese hätten sich alle für eine generelle Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen ausgesprochen. Siehe auch Wirth, EJIL 13 (2002), 877 (884). 247 Vgl. die in ILR 119, 346 wiedergegebene Entscheidung eines Brüsseler Gerichts vom 6.11.1998. 245
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keinem dieser Staaten der Prozeß gemacht wurde, so zeigt doch bereits die Tatsache der Entfaltung von Strafverfolgungsaktivitäten, daß in diesen Staaten die Pinochet als ehemaligem Staatsoberhaupt zukommende Staatenimmunität nicht als Verfolgungshindernis erachtet wurde. Die Strafverfahren gegen Pinochet in den genannten anderen Staaten können mithin als ein weiterer Beleg für die Existenz einer völkergewohnheitsrechtlichen Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen ins Feld geführt werden.249 In Deutschland erklärte der BGH 1998 durch Beschluß nach § 13a StPO das LG Düsseldorf und damit die dortige Staatsanwaltschaft für zuständig für die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Pinochet in Deutschland.250 Zwar hat der BGH in Verfahren nach § 13a StPO eigentlich nicht zu prüfen, ob eine völkerrechtliche Exemtion eine Strafverfolgung untersagt; doch steht der BGH auf dem Standpunkt, eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 13a StPO habe zu unterbleiben, wenn ohne Zweifel feststehe, daß eine völkerrechtliche Immunität oder ein sonstiger Hinderungsgrund der Durchführung eines Strafverfahrens entgegenstehe.251 Die Tatsache, daß im Fall Pinochet eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 13a StPO erfolgte, kann also dahingehend interpretiert werden, daß der BGH eine Ausnahme von der Staatenimmunität immerhin für möglich erachtete.252 jj) Weitere Strafverfahren wegen völkerrechtlicher Verbrechen Nicht nur im Fall Pinochet, sondern auch in weiteren Fällen, namentlich wegen unter lateinamerikanischen Militärdiktaturen begangener schwerster Menschenrechtsverletzungen, haben Drittstaaten Verfolgungsaktivitäten entfaltet. Dabei ging es zumeist um Taten des Verschwindenlassens, um extralegale Tötungen und um Folterungen im Rahmen eines systematischen bzw. ausgedehnten Angriffs gegen
___________ Vgl. Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 99; Wirth, NStZ 2001, 665 (667 Fn. 26); ders., CLF 12 (2001), 429 (441); ders., EJIL 13 (2002), 877 (884). 249 So auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 99; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (441). 250 Beschluß des BGH vom 18.11.1998, Az. 2 ARs 471 und 474/98 (unveröffentlicht). Vgl. FAZ vom 20.11.1998, S. 2; Die Zeit vom 3.12.1998, S. 15; Ahlbrecht/Ambos (Hrsg.), Der Fall Pinochet(s), S. 100 ff.; MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 140 mit Fn. 776. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen Pinochet ein; vgl. SZ vom 5.12.1998, S. 2; SZ vom 29.3.2001, S. 11. Dieses wurde allerdings eingestellt; vgl. Vogel, in: Vogel/Grotz, Perspektiven des internationalen Strafprozessrechts, S. 1 (31 mit Fn. 86). 251 Vgl. hierzu ausführlich unten § 23 II.2. 252 So auch Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 126 f.; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 99 Fn. 276; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (441). Zu weitgehend aber Thun, in: Ahlbrecht/Ambos, Der Fall Pinochet(s), S. 19 (22), wenn er meint, mit dem Beschluß habe der BGH indirekt entschieden, Pinochet genieße keine Immunität. 248
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die Zivilbevölkerung, also um Taten, die als Völkerstraftaten einzustufen sind.253 Obwohl die Taten als hoheitlich-dienstliche Handlungen für die jeweiligen Machthaber und damit für den jeweiligen Staat zu klassifizieren sind, wurde in der Staatenimmunität kein Strafverfolgungshindernis für Drittstaaten gesehen. Von besonderem Interesse sind hier wiederum Verfahren in Deutschland. In der Bundesrepublik wurden einige Ermittlungsverfahren wegen Verschwindenlassens, Tötung und Folterung von Personen unter den Militärdiktaturen in Argentinien und Chile eingeleitet. Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit hat vor allem ein von der Staatsanwaltschaft Nürnberg betriebenes Verfahren wegen der Ermordung der deutschen Studentin Elisabeth Käsemann 1977 in Argentinien gefunden.254 Anknüpfungspunkt für die Aufnahme von Ermittlungen wegen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten war jeweils die Tatsache, daß es sich bei den (vermutlich) von staatlichen Sicherheitskräften verschleppten und getöteten Personen bzw. den Gefolterten um deutsche Staatsangehörige handelte und daher eine extraterritoriale deutsche Strafgewalt nach dem passiven Personalitätsprinzip des § 7 Abs. 1 StGB gegeben ist. Auch wenn der BGH Gerichtsstandsbestimmungen nach § 13a StPO getroffen hat,255 ist es doch bislang nicht zu Anklagen gekommen, da sich die Ermittlungen als überaus schwierig gestalten bzw. man der Beschuldigten nicht habhaft wird.256 Aber schon die Tatsache, daß Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sind, zeigt, daß die deutschen Strafverfolgungsbehörden nicht vom Vorliegen eines Verfolgungshindernisses aufgrund der Staatenimmunität ausgehen. Strafverfahren auf der Grundlage des im Jahr 2002 in Kraft getretenen VStGB257 sind in Deutschland bis jetzt (März 2006) nicht durchgeführt worden.258 Zwar hat es bislang etwa 30 Strafanzeigen gegeben, doch hat die gemäß § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 120 Abs. 1 Nr. 8 GVG zuständige Bundesanwaltschaft bislang keinen Anlaß gesehen, Ermittlungsverfahren einzuleiten.259 Größere öffent___________ Vgl. bezüglich des Verschwindenlassens Art. 7 Abs. 1 lit. i) IStGH-Statut und § 7 Abs. 1 Nr. 7 VStGB, bezüglich extralegaler Tötungen Art. 7 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut und § 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB sowie bezüglich Folterungen Art. 7 Abs. 1 lit. f) IStGH-Statut und § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB. 254 Vgl. SZ vom 28.1.2004, S. 3. 255 Siehe etwa den (unveröffentlichten) Beschluß vom 17.6.1998, 2 AR 80/98. Vgl. auch MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 140 mit Fn. 776. 256 Vgl. Ambos/Ruegenberg/Woischnik, EuGRZ 1998, 468 (468 ff.); Eser, in: Roxin/ Widmaier (Hrsg.), FS BGH IV, S. 3 (25); Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 429 f.; Thun, in: Ahlbrecht/Ambos (Hrsg.), Der Fall Pinochet(s), S. 19 (21 ff.); SZ vom 28.1.2004, S. 3. 257 Allgemein zum VStGB Gropengießer/Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, passim. 258 Wegen des Rückwirkungsverbots (Art. 103 Abs. 2 GG) kann das VStGB nur auf Taten Anwendung finden, die nach seinem Inkrafttreten am 30.6.2002 begangen wurden bzw. werden. 259 Kreicker, Landesbericht Deutschland, Bd. 1, S. 21 (424 f.); SZ vom 1.12.2004, S. 1. 253
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liche Aufmerksamkeit erlangte in Deutschland allerdings eine im November 2004 erhobene Strafanzeige einer US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation, mit der eine Strafverfolgung des US-Verteidigungsministers Rumsfeld, des früheren CIA-Chefs Tenet und hochrangiger US-Militärs wegen der Folterungen irakischer Gefangener im Gefängnis Abu Ghraib in der Nähe von Bagdad durch US-Soldaten im Herbst/Winter 2003/2004 initiiert werden sollte.260 Der Generalbundesanwalt beschloß jedoch im Februar 2005, auch insoweit keine Ermittlungen einzuleiten.261 Er begründete seine Entscheidung damit, die nach Maßgabe des § 153f StPO vorzunehmende Abwägung habe ergeben, daß für ein Tätigwerden deutscher Ermittlungsbehörden in Ansehung des Grundsatzes der Subsidiarität kein Raum sei. Insofern komme es nicht darauf an, ob ein hinreichender Anfangsverdacht für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens vorliege. Auch könne offen bleiben, inwieweit die angezeigten Personen Immunität genössen. Die Generalbundesanwaltschaft nutzte also die ihr durch § 153f StPO eingeräumte Möglichkeit, von der Durchführung eines Strafverfahrens nach dem VStGB bei Auslandstaten abzusehen.262 Maßgebend für die Entscheidung des Generalbundesanwalts war, daß in den USA Ermittlungen wegen der Geschehnisse in Abu Ghraib durchgeführt würden und kein Grund zur Annahme bestehe, daß die aufgrund der Nationalität der Beschuldigten vorrangig zur Strafverfolgung berufenen Strafverfolgungsbehörden der USA nicht willens oder nicht in der Lage seien, von einem ernsthaften Verfolgungswillen getragene Ermittlungen und Strafverfolgungen durchzuführen.263 Zwar erhoben die Anzeigeerstatter Einstellungsbeschwerde und betrieben ein Klageerzwingungsverfahren264 vor dem zuständigen OLG Stuttgart,265 doch verwarf das OLG Stuttgart mit Beschluß vom 13. September 2005 den Antrag als unzulässig und verwies darauf, daß der Generalbundesanwalt bei richtiger Rechtsanwendung und richtiger Ausübung des ihm möglichen Ermessens gesetzesgemäß entschieden habe.266 Zur hier allein interessierenden Frage des Geltungsbereichs völkerrecht___________ 260 Vgl. Basak, HuV-I 2005, 85 (85 ff.); Fischer-Lescano, KJ 2005, 72 (72 ff.); ders., GLJ 6 (2005), 689 (689 ff.); FAZ vom 1.12.2004, S. 1 f.; FR vom 30.11.2004, S. 1, 7; SZ vom 1.12.2004, S. 1, 10; SZ vom 19.8.2005, S. 11. Die Strafanzeige ist im Wortlaut abrufbar unter (31.3.2006). 261 Vgl. die Pressemitteilung 6/2005 vom 10.2.2005 des Generalbundesanwalts, abrufbar unter (31.3.2006), abgedruckt in JZ 2005, 311 (311 f.). Siehe ferner FAZ vom 11.2.2005, S. 4; FR vom 11.2.2005, S. 1, 4; SZ vom 11.2.2005, S. 8; SZ vom 19.8.2005, S. 11. 262 Siehe zum Regelungsgehalt des § 153f StPO Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 259 ff. 263 Vgl. die oben in Anm. 261 erwähnte Presseerklärung des Generalbundesanwalts. 264 Zu dessen grundsätzlicher (Un-)Zulässigkeit vgl. Kreicker, Landesbericht Deutschland, Bd. 1, S. 269. 265 Vgl. SZ vom 19.8.2005, S. 11. Der Wortlaut des Klageerzwingungsantrags ist abrufbar unter (31.3.2006). 266 OLG Stuttgart, NStZ 2006, 117 (117 ff.).
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licher Exemtionen nahm die Generalbundesanwaltschaft – und das gleiche gilt für das OLG Stuttgart – nicht Stellung. Hinzuweisen ist überdies noch auf zwei Judikate der niederländischen bzw. spanischen Justiz.267 Mit einer Entscheidung vom 20. November 2000 stellte der niederländische Gerechtshof Amsterdam fest, daß sich das ehemalige Staatsoberhaupt von Surinam, Desi Bouterse, nicht auf die ehemaligen Staatsoberhäuptern zukommende Staatenimmunität268 berufen könne, da der Tatvorwurf als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu klassifizierende Folterhandlungen betreffe.269 Im Dezember 1999 wurde in Spanien ein Strafverfahren gegen ehemalige hochrangige Funktionsträger von Guatemala, unter ihnen frühere guatemaltekische Staatsoberhäupter, initiiert. Ihnen wurde vorgeworfen, zwischen 1962 und 1996 – also während der Zeit des guatemaltekischen Bürgerkrieges – völkerrechtliche Verbrechen, unter anderem Völkermord, begangen zu haben. Zwar erklärten sowohl die Audiencia Nacional mit einer Entscheidung vom 13. Dezember 2000 als auch das Tribunal Supremo mit einer Entscheidung vom 25. Februar 2003270 die Durchführung eines Strafverfahrens für unzulässig,271 doch nicht wegen einer völkerrechtlichen Exemtion der Beschuldigten. Die Audiencia Nacional begründete die Unzulässigkeit des Verfahrens damit, die Kläger hätten nicht hinreichend dargetan, daß die guatemaltekische Justiz keine Strafverfolgungsaktivitäten entfaltet habe; dies aber sei angesichts der Subsidiarität einer spanischen Strafverfolgung nach dem Weltrechtsprinzip – keiner der Beschuldigten hielt sich in Spanien auf – erforderlich. Das Tribunal Supremo betonte, eine Strafverfolgung nach dem Weltrechtsprinzip komme nur in Betracht, wenn die in Frage stehenden Taten einen speziellen Bezug zu Spanien aufwiesen. Einen solchen legitimierenden Anknüpfungspunkt für eine spanische Strafverfolgung gebe es aber im zu entscheidenden Fall nicht.272 Da die Frage völkerrechtlicher Exemtionen im Urteil des Tribunal Supremo vom 25. Februar 2003 nicht erörtert wird – obwohl das Gericht auf ande___________ Zu Verfahren der belgischen Justiz, die hier nicht im einzelnen beleuchtet werden sollen, vgl. Vandermeersch, JICJ 3 (2005), 400 (403 ff.). 268 Zur Immunität ehemaliger Staatsoberhäupter vgl. oben Anm. 45 und dazugehörigen Text sowie ausführlich unten § 17 I.2.b). 269 Eine englische Übers. dieser Entscheidung ist abgedruckt in YIHL 3 (2000), 677 ff. und NYIL 32 (2001), 266. Diese Entscheidung wurde zwar vom Hoge Raad mit Urteil vom 18.9.2001 (NYIL 32 [2001], 282) aufgehoben, doch nicht wegen der Feststellungen in bezug auf völkerrechtliche Exemtionen. Siehe MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 141; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (213); Ruud, Pinochet Case, S. 78 f.; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (441); ders., EJIL 13 (2002), 877 (885); Zegfeld, NYIL 32 (2001), 97 (97 ff.). 270 Das Urteil Nr. 327/2003 des Tribunal Supremo vom 25.2.2003 ist, auch in englischer Übers., wiedergegeben in ILM 42 (2003), 686 ff. 271 Vgl. Benavides, ILM 42 (2003), 683 (683 f.). 272 Vgl. Benavides, ILM 42 (2003), 683 (683 f.). 267
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re Verfahren Bezug nimmt, in denen diese Frage eine zentrale Rolle spielte –, darf angenommen werden, daß die spanische Justiz von einer Nichtgeltung der Staatenimmunität bei den den Beschuldigten vorgeworfenen völkerrechtlichen Verbrechen ausging. kk) Ausschluß der Staatenimmunität im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs Wie im einzelnen unten in § 9 II.2. erörtert werden wird, ist ebenso wie in den Statuten des ICTY und ICTR auch im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) vom 17. Juli 1998273 ein umfassender Exemtionsausschluß normiert, durch den unter anderem die Irrelevanz der Staatenimmunität für den IStGH festgelegt wird. Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut formuliert: „Immunitäten oder besondere Verfahrensregeln, die nach innerstaatlichem Recht oder nach dem Völkerrecht mit der amtlichen Eigenschaft einer Person verbunden sind, hindern den Gerichtshof nicht an der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit über eine solche Person.“
Aus Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut darf aber – insoweit gilt das gleiche wie für die Exemtionsausschlüsse in den Statuten des ICTY und ICTR – nicht ohne weiteres auf eine Anerkennung einer völkergewohnheitsrechtlichen Ausnahme von der Staatenimmunität bei den erfaßten völkerrechtlichen Verbrechen geschlossen werden. Denn Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut läßt sich auch als Verzicht der Vertragsstaaten auf eine ihnen eigentlich zukommende Exemtion verstehen. Ganz zu Recht wird Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut in der Literatur dahingehend interpretiert, daß sich die Vertragsstaaten mit einer Strafverfolgung auch ihrer Funktionsträger durch den IStGH einverstanden erklärt und gewissermaßen ex ante auf Exemtionen verzichtet haben.274 Doch kann diese „Verzichtsargumentation“ nur für Fälle einer Strafverfolgung von Funktionsträgern von Vertragsstaaten des Römischen Statuts gelten. Für Drittstaaten ist das Römische Statut eine res inter alios acta, ihre Rechte können – vgl. Art. 34 WVRK – durch das Statut nicht begrenzt werden.275 Von der Strafgewalt des IStGH sind aber Funktionsträger von Drittstaaten nicht ausgeschlossen. Gemäß Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut kann der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit – abgesehen von dem hier nicht interessierenden Fall, daß der UN-Sicherheitsrat dem An___________ Siehe oben Anm. 6. Bruer-Schäfer, Der Internationale Strafgerichtshof, S. 123, 213 f.; Kreß, GA 2003, 25 (38); ders., in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, vor III 26, Rn. 244; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 242 f. Fn. 752; Meißner, Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 123 f., 130, 213; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 455 Fn. 415; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (452, 456 f.); Wirth/Harder, ZRP 2000, 144 (147). 275 So auch Meißner, Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 125; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (453, 457). 273 274
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kläger einen Fall überweist – ausüben, wenn entweder der Tatortstaat oder aber der Staat, dessen Angehöriger der Beschuldigte ist, Vertragsstaat des Statuts ist. Vornehmlich bei der erstgenannten, unter Umständen aber auch bei der zweitgenannten Konstellation ist es denkbar, daß der Gerichtshof gemäß Art. 12 Abs. 2 IStGHStatut Gerichtsbarkeit über eine Person ausübt, die eine ihr vorgeworfene Tat als hoheitlich-dienstliche Handlung für einen Nichtvertragsstaat des Statuts begangen hat. Auch für diesen Fall aber soll der Exemtionsausschluß des Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut gelten. Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut ist in einem solchen Fall mithin nur dann völkerrechtskonform, wenn die Staatenimmunität bei den vom Statut erfaßten völkerrechtlichen Verbrechen nach universellem Völkergewohnheitsrecht – das auch für Drittstaaten verbindlich ist – eine Ausnahme erfährt. Da nicht davon ausgegangen werden kann, daß die Vertragsstaaten des Statuts eine völkerrechtlich unzulässige Regelung zu Lasten von Drittstaaten treffen wollten, kann die Bestimmung des Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut, wenn man sie in Verbindung mit den Normen über die Gerichtsbarkeit des IStGH betrachtet, nur dahingehend verstanden werden, daß die Vertragsstaaten des Statuts von einer völkergewohnheitsrechtlichen Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen ausgehen. Insofern kann auch Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut als Ausdruck der Akzeptanz einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen durch die Staatenpraxis gelten. d) Fazit Es ist eine umfangreiche und uniforme Staatenpraxis nachweisbar, in der die einhellige Rechtsauffassung der Staaten zum Ausdruck kommt, daß die Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen kein Strafverfolgungshindernis darstellt. Diese Rechtsauffassung wird heutzutage ohne Ausnahme auch in der Völkerrechts- und Strafrechtswissenschaft vertreten. Wenn daher eine Feststellung zur insgesamt noch nicht klar konturierten Reichweite der Staatenimmunität als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zweifelsfrei getroffen werden kann, dann die, daß die Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen, also bei Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und dem Verbrechen des Angriffskrieges, eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme erfährt. Einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen steht die Staatenimmunität mithin nicht entgegen. 2. Ausnahmen von der Staatenimmunität bei sonstigen Menschenrechtsverletzungen Soweit sich die Strafrechtspraxis mit der Frage zu befassen hatte, inwieweit die Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen eine Ausnahme erfährt, handelte es sich in aller Regel um Fälle, die als völkerrechtliche Verbrechen einzustufen
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sind, in denen also schon aufgrund der Einordnung der Taten als Völkerstraftaten die Staatenimmunität kein Strafverfolgungshindernis darstellen konnte. Dagegen sind kaum Verfahren nachweisbar, in denen sich die Frage stellte, ob die Staatenimmunität einer Ahndung von Menschenrechtsverletzungen unterhalb der Schwelle zum völkerrechtlichen Verbrechen entgegensteht oder nicht. Hierfür können mehrere Gründe angeführt werden. Die Staatenimmunität bezieht sich ausschließlich auf hoheitlich-dienstliche Handlungen staatlicher Funktionsträger. Solche Handlungen werden in aller Regel im Gebiet des Staates vorgenommen, für den agiert wird. In dessen Gebiet halten sich die betreffenden Funktionsträger typischerweise auf. Somit ist in erster Linie der Staat, dem die Handlungen zuzurechnen sind, faktisch zur Durchführung eines Strafverfahrens in der Lage, und es besitzt in erster Linie dieser Staat – schon kraft des Territorialitätsprinzips – die erforderliche Strafgewalt. Dieser Staat aber ist ohnehin durch die Staatenimmunität nicht an einer Strafverfolgung gehindert. Andere Staaten – für die die Staatenimmunität ein Strafverfolgungshindernis darstellen könnte – sind dagegen vielfach schon deshalb an einer Ausübung eigener Strafgewalt gehindert, weil sich ihre nationale materielle Strafgewalt nicht auf die Tat bezieht, die für sie eine Auslandstat ist. Hinzu kommt, daß in Rechtsstaaten Funktionsträger, die im Rahmen ihrer hoheitlich-dienstlichen Tätigkeit Menschenrechtsverletzungen begehen, in aller Regel durch die Gerichte „ihres“ Staates zur Verantwortung gezogen werden. Dann aber besteht für andere Staaten selbst dann, wenn sich ihre materielle Strafgewalt auf die betreffende Tat bezieht – etwa nach dem passiven Personalitätsprinzip –, kein Anlaß, strafrechtlich tätig zu werden. Wenn dagegen der Staat, dessen Funktionsträger hoheitlich-dienstliche Menschenrechtsverletzungen begangen haben, eine Strafverfolgung unterläßt, etwa deshalb, weil er das Verhalten seiner Funktionsträger billigt oder gar direkt angeordnet hat, dann scheitert eine Strafverfolgung durch andere Staaten, etwa durch den Staat, dessen Staatsangehörigkeit ein Opfer staatlich veranlaßter Menschenrechtsverletzungen hat, in aller Regel schon daran, daß eine Auslieferung der Verantwortlichen nicht realisierbar ist und diese nicht freiwillig in Staaten reisen, in denen ihnen eine Strafverfolgung droht, man also der Täter nicht habhaft wird. Bei völkerrechtlichen Verbrechen dagegen ist die Situation zumeist eine andere. Solche Taten werden vielfach im Kontext eines bewaffneten Konflikts begangen, nach deren Beendigung die siegreiche Macht faktisch und als Besatzungsmacht auch rechtlich in der Lage ist, die Verantwortlichen zu bestrafen. Die Nürnberger Prozesse sind ein Beispiel für ein solches Vorgehen. Wegen der Dimension und Schwere völkerrechtlicher Verbrechen ist zudem regelmäßig das Interesse der Staaten, solche Taten als Drittstaaten zu verfolgen, größer als bei weniger gravierenden Fällen von Menschenrechtsverletzungen. So ist das Engagement, das Spanien und England sowie einige andere Staaten im Fall Pinochet gezeigt haben, wohl in erster Linie damit zu erklären, daß es sich bei den Pinochet vorgeworfenen Taten um Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehandelt hat. Nicht zuletzt reicht die extra-
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territoriale materielle Strafgewalt vieler Staaten bei völkerrechtlichen Verbrechen deutlich weiter als bei sonstigen Menschenrechtsverletzungen. Zu bedenken ist ferner, daß sich das Engagement der Opfer von Menschenrechtsverletzungen, Wiedergutmachung mit Hilfe der Justiz anderer Staaten zu erlangen – nur in solchen Fällen kann die Staatenimmunität Relevanz erlangen –, in aller Regel nicht auf eine strafrechtliche Verurteilung der Täter konzentriert, sondern darauf, Entschädigungsleistungen vom verantwortlichen Staat zu erhalten, zumal die Opfer solche zivilrechtlichen Verfahren selbst initiieren und betreiben können. Auf solche Verfahren wurde oben im § 4 II.4. und 5. bereits eingegangen. Dennoch ist die Frage, ob die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit auch bei Menschenrechtsverletzungen unterhalb der Schwelle zur Völkerstraftat Ausnahmen erfährt, für die vorliegende Untersuchung von Interesse. Denn es können unschwer Fälle konstruiert werden, in denen diese Frage auch für die deutschen Strafverfolgungsbehörden Relevanz erlangt: Ein deutscher Staatsbürger, der seit geraumer Zeit im Staat X lebt, engagiert sich dort für die politische Opposition. Er wird deswegen verhaftet. Als er sich beim Verhör weigert, andere Oppositionsmitglieder zu denunzieren, wird er von Polizeibeamten gefoltert. Die Tat wird allerdings nicht im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung verübt, sie kann daher nicht als völkerrechtliches Verbrechen – hier als Verbrechen gegen die Menschlichkeit – klassifiziert werden. Nach seiner Freilassung kehrt er nach Deutschland zurück. Geraume Zeit später bringt er in Erfahrung, daß sich einer der Beamten, die ihn gefoltert haben, in Deutschland aufhält. Er erstattet Strafanzeige. Für die zuständige Staatsanwaltschaft stellt sich damit die Frage, ob sie ein Strafverfahren einleiten darf oder ob dem die Staatenimmunität entgegensteht. Denn die Tat ist als hoheitlich-dienstliche Handlung für den Staat X zu bewerten. Sie unterfiele der Staatenimmunität, sofern diese keine Ausnahme bei Menschenrechtsverletzungen, hier Folterungen, erfährt.
Zunächst ist zu untersuchen, ob das Völkergewohnheitsrecht ebenso wie in bezug auf völkerrechtliche Verbrechen eine sich in einer hinreichenden Staatenpraxis manifestierende (positive) Regel dahingehend enthält, daß die Staatenimmunität (in ihrer Wirkung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit) auch bei (bestimmten) Menschenrechtsverletzungen unterhalb der Schwelle zum völkerrechtlichen Verbrechen ausnahmsweise nicht gilt. Im Anschluß ist zu prüfen, ob sich aus allgemeinen völkerrechtlichen Rechtsprinzipien eine Nichtgeltung der Staatenimmunität ableiten läßt. a) Zur Frage der Existenz einer völkergewohnheitsrechtlichen Ausnahme Auf den ersten Blick könnte man meinen, daß gerade umgekehrt eine einheitliche Staatenpraxis und mithin entsprechendes Völkergewohnheitsrecht dahingehend besteht, daß die Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen keine Ausnahme erfährt. Denn wie oben in § 4 II.5.b) im Kontext der Erörterung der zivilrechtli-
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chen Relevanz der Staatenimmunität aufgezeigt wurde, gibt es eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen, in denen die These einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen explizit verworfen wurde. Genannt seien an dieser Stelle unter Verweis auf die Ausführungen oben in § 4 II.5. die Entscheidungen des englischen High Court, des englischen Court of Appeal und des EGMR im Verfahren Al-Adsani ./. United Kingdom,276 das Urteil des BGH im DistomoFall277 sowie aus der US-amerikanischen Judikatur die Entscheidung des Court of Appeals im Verfahren Hugo Princz ./. Federal Republic of Germany,278 des Court of Appeals im Verfahren Siderman de Blake and Others ./. The Republic of Argentina and Others279 und des Supreme Court im Verfahren Saudi Arabia ./. Nelson280. Doch handelt es sich bei all diesen Entscheidungen um zivilrechtliche Judikate. Und wie schon mehrfach erwähnt wurde, ist die Reichweite der Staatenimmunität Zivilrecht unabhängig von der im Bereich des Strafrechts zu bestimmen.281 Dies wird bereits offenbar, wenn man sich die gerade genannten Urteile des BGH im Distomo-Fall und des Court of Appeals im Verfahren Hugo Princz ansieht. In beiden zivilrechtlichen Verfahren ging es um völkerrechtliche Verbrechen – dennoch wurde eine Immunitätsausnahme abgelehnt. Wie oben in § 6 II.1. gezeigt werden konnte, besteht aber ohne Zweifel eine Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen, soweit es um die Strafverfolgung der hierfür verantwortlichen Täter geht. Ein Gleichlauf der Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Schranke für zivilrechtliche Verfahren einerseits und als Schranke in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit andererseits besteht also nicht. Insofern sind die vorgenannten Entscheidungen für die hier interessierende strafrechtliche Fragestellung ohne Relevanz. Dies gilt im übrigen auch deshalb, weil zum einen die genannten US-amerikanischen Entscheidungen lediglich auf dem FSIA basieren,282 dieses aber für das Strafrecht nicht maßgeblich ist,283 und zum anderen der EGMR in seinem Urteil im Verfahren Al-Adsani ausdrücklich ___________ High Court, England, Urteil vom 15.3.1995, ILR 103, 420; Court of Appeal, England, Urteil vom 12.3.1996, ILR 107, 536; EGMR, Urteil vom 21.11.2001, Beschwerde Nr. 35763/97, Reports of Judgments and Decisions 2001-XI, 79 = HRLJ 23 (2002), 39 = EuGRZ 2002, 403 (dt. Übers.); Internetquelle: (31.3.2006). 277 BGH, Urteil vom 26.6.2003; NJW 2003, 3488. 278 US Court of Appeals, District of Columbia Circuit, Urteil vom 1.7.1994; 26 F.3d 1166 (1994) = ILM 33 (1994), 1483. 279 US Court of Appeal for the Ninth Circuit, Urteil vom 22.5.1992, 965 F.2d 699 (713 ff.) = ILR 103, 454 (470 ff.). 280 Urteil des US Supreme Court vom 23.3.1993, ILR 100, 544. 281 Vgl. EGMR, Al-Adsani ./. United Kingdom (siehe oben Anm. 276), para. 61, 65 sowie die Voten zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999 der Richter Lord Hutton, HRLJ 1999, 89 (90 f., 95), Lord Millett, HRLJ 1999, 97 (102) und Lord Phillips of Worth Matravers, HRLJ 1999, 102 (103). 282 Siehe hierzu oben § 4 II.5.b)ee). 283 Vgl. oben § 5 I. 276
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darauf hingewiesen hat, dass die zivilrechtliche Reichweite der Staatenimmunität sei unabhängig von ihrer strafrechtlichen Bedeutung zu bestimmen sei.284 Es kommt also ausschließlich darauf an, ob es eine hinreichende strafrechtliche Staatenpraxis – namentlich Strafgerichtsentscheidungen – gibt, in der klar zum Ausdruck kommt, daß die Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen unterhalb der Schwelle zum völkerrechtlichen Verbrechen kein Hindernis für eine Strafverfolgung darstellt. Eine solche Staatenpraxis aber ist nicht nachweisbar. Die Pinochet-Entscheidungen des englischen House of Lords von 1998/99 können hier nicht genannt werden. Denn zum einen haben die Richter im zweiten Urteil vom 24. März 1999 – wie oben in § 6 I.3. ausführlich dargelegt– entscheidend auf die völkervertraglich in der UN-Folterkonvention verankerte Exemtionsausnahme abgestellt, zum anderen sind die Richter, die eine völkergewohnheitsrechtliche Exemtionsausnahme ins Feld geführt haben,285 davon ausgegangen, die Pinochet vorgeworfenen Taten seien als völkerrechtliche Verbrechen einzustufen. Allerdings kommt im Urteil des EGMR im Fall Al-Adsani indirekt zum Ausdruck, daß der EGMR wohl nicht zur Anerkennung der Staatenimmunität Kuwaits bereit gewesen wäre, wenn es nicht um zivilrechtliche Klage gegen Kuwait, sondern um ein Strafverfahren gegen die für die Folterung Al-Adsanis verantwortlichen Funktionsträger Kuwaits gegangen wäre.286 Hinzuweisen ist auch auf das Urteil der Strafkammer des ICTY im Verfahren gegen Furundžija vom 10. Dezember 1998.287 In diesem Urteil hat der ICTY ausgeführt, Folterhandlungen könnten wegen des ius cogens-Charakters des Folterverbots und der erga omnes-Wirkung dieses Verbots von jedem Staat geahndet werden, wobei sich diese Feststellung eindeutig auch auf Taten fremdstaatlicher Funktionsträger bezog. Damit wurde implizit eine Beachtlichkeit der Staatenimmunität verneint. Doch können diese vereinzelten bzw. nur implizit zur strafrechtlichen Relevanz der Staatenimmunität Stellung beziehenden Judikate nicht als hinreichende Staatenpraxis angesehen werden.288 In bezug auf das genannte ICTY-Urteil im Fall ___________ Vgl. oben Anm. 281. Vgl. oben Anm. 245. 286 Vgl. EGMR, Al-Adsani ./. United Kingdom (siehe oben Anm. 276), para. 61, 65 f. 287 ICTY, Urteil im Verfahren gegen Furundžija vom 10.12.1998 (IT-95-17/1-T), para. 155 f., ILR 121, 213 (261 f.) = ILM 38 (1999), 317 (349 f.). 288 Die in Deutschland durchgeführten Verfahren wegen der Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze (vgl. hierzu Kreicker, Art. 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze, passim) betrafen zwar auch schwere Menschenrechtsverletzungen, doch wurde die Staatenimmunität in diesen Verfahren nicht wegen der Einstufung der Taten als Menschenrechtsverletzungen verneint, sondern wegen des Untergangs der DDR als Staat. Vgl. diesbezüglich unten § 8. Diese Fälle können daher im vorliegenden Zusam284 285
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Furundžija ist zudem anzumerken, daß der Gerichtshof nicht von einer völkergewohnheitsrechtlichen Ausnahme von der Staatenimmunität bei Folterhandlungen gesprochen hat, sondern die Zulässigkeit einer Strafverfolgung durch Drittstaaten mit dem ius cogens-Charakter des Folterverbots und der erga omnes-Wirkung einer Mißachtung des Folterverbots begründet hat und explizit auf die Staatenimmunität in diesem Zusammenhang überhaupt nicht eingegangen ist. Zudem hat der ICTY schon aufgrund seiner auf Völkerstraftaten beschränkten Zuständigkeit Folterhandlungen vor Augen gehabt, die die Qualität eines völkerrechtlichen Verbrechens erreichen – hier aber geht es gerade um Foltertaten, die die Schwelle zum völkerrechtlichen Verbrechen nicht überschreiten. Als Fazit muß daher festgehalten werden, daß es keine völkergewohnheitsrechtliche Regel dahingehend gibt, daß die Staatenimmunität bei Strafverfolgungen wegen Menschenrechtsverletzungen unterhalb der Schwelle zur Völkerstraftat eine Ausnahme erfährt.289 b) Zur Frage der Ableitung einer Ausnahme aus allgemeinen völkerrechtlichen Rechtsüberlegungen Die Feststellung, daß es eine völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme nicht gibt, bedeutet allerdings noch nicht, daß die Staaten, die fremdstaatliche Funktionsträger wegen hoheitlich-dienstlich begangener Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zur Verantwortung ziehen, völkerrechtswidrig handeln, sofern nicht die in der UNFolterkonvention enthaltene Immunitätsausnahme einschlägig oder die Tat als völkerrechtliches Verbrechen zu klassifizieren ist.290 Oben in § 4 II.5. wurden im Rahmen der Erörterung der Frage, ob die Staatenimmunität als Schranke zivilrechtlicher Verfahren bei Menschenrechtsverletzungen eine Ausnahme erfährt, verschiedene in der Literatur und von einigen Richtern entwickelte Argumentationsmuster vorgestellt, mit denen versucht wurde, eine Ausnahme für zivilrechtliche Klagen unabhängig von der Frage einer völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung zu begründen.291 Es wurde jedoch deutlich gemacht, daß diese Begründungen – soweit sie als solche überhaupt zu überzeugen vermögen – im Ergebnis für zivilrechtliche Klagen nicht durchschlagen, weil es mittlerweile eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen – unter anderem die soeben genannten – gibt, in denen eine solche Ausnahme ausdrücklich abgelehnt wird.292 Insofern gibt es gegenläufiges Völkergewohnheitsrecht, das ein Abstellen auf die ___________ menhang nicht herangezogen werden. So auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 303. 289 So auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 307, 311 f. 290 So auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 312. 291 Vgl. oben § 4 II.5.a); § 4 II.5.b)cc) und § 4 II.5.b)dd). 292 Vgl. oben § 4 II.5.b)ee) und § 4 II.5.c).
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auf allgemeine völkerrechtliche Rechtsprinzipien rekurrierenden Argumentationsmuster untersagt.293 Da aber diese Entscheidungen auf die Staatenimmunität in ihrer Wirkung als Schranke für zivilrechtliche Klagen beschränkt sind, existiert kein gegenläufiges Völkergewohnheitsrecht, das einem Rückgriff auf diese Argumentationsmuster in bezug auf die Reichweite der Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit entgegenstünde. Es gibt allerdings – wie schon erwähnt – durchaus gute Gründe dafür, eine Ausnahme von der Staatenimmunität bei zivilrechtlichen Entschädigungsklagen wegen staatlich zu verantwortender Menschenrechtsverletzungen nicht zuzulassen.294 Insofern können die ablehnenden Gerichtsentscheidungen nicht ohne weiteres mißbilligt werden. Selbst Befürworter einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei Zivilklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen wollen diese auf singuläre Vorkommnisse gegen individualisierte Personen (etwa die Folterung eines Gefangenen in Polizeigewahrsam) beschränken, nicht aber auf makrokriminelle Taten erstrecken, die im Kontext eines größeren Angriffs gegen ganze Bevölkerungsgruppen stehen.295 Doch wurde bereits dargetan, daß diese Einwände nicht auch gegen eine Strafverfolgung der für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen sprechen. Denn die gegen die Zulässigkeit zivilrechtlicher Klagen ins Feld zu führende Gefahr, daß einzelne Opfer durch millionenschwere Schadensersatzklagen Bemühungen der Staaten oder internationaler Organisationen um eine „Vergangenheitsaufarbeitung“ nach schweren Menschenrechtsverletzungen torpedieren, ist insofern nicht gegeben. Daher spricht völkerrechtspolitisch nichts gegen eine Ausnahme von der Staatenimmunität auch bei Menschenrechtsverletzungen, die die Dimension völkerrechtlicher Verbrechen nicht erreichen. Umgekehrt ist eine solche, da sie eine Strafverfolgung der für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen ermöglicht, einer „Aussöhnung“ und einem „Neuanfang“ dienlich. Es stehen also auch teleologische Überlegungen einem Rückgriff auf diese auf das Zivilrecht bezogenen Argumentationsmuster nicht entgegen. Deshalb ist – wie oben in § 4 II.5.c) schon angekündigt wurde – nun auf diese Argumentationsmuster zurückzukommen und zu fragen, ob sie für das Strafrecht nutzbar gemacht werden können.
___________ 293 294 295
Vgl. oben § 4 II.5.c). Vgl. oben § 4 II.5.c). Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 204 ff.
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aa) Impliziter Immunitätsverzicht bei Verstößen gegen Menschenrechte Wie oben in § 4 II.5.a) im einzelnen dargelegt, hat Richterin Wald im Rechtsstreit Hugo Princz ./. Federal Republic of Germany296 argumentiert, ein Staat, der schwerste Menschenrechtsverletzungen begehe, verzichte damit implizit auf die ihm zukommende Staatenimmunität. Doch kann diese Argumentation aus den gleichen Gründen, aus denen sie in bezug auf zivilrechtliche Klagen nicht zu überzeugen vermag, auch nicht für strafrechtliche Verfahren herangezogen werden.297 Diese Argumentation versucht, einen Verzicht gerade dann zu begründen, wenn ein solcher nicht vorliegt, weil der betroffene Staat mit dem Verfahren nicht einverstanden ist.298 bb) Ausnahme von der Staatenimmunität bei Verstößen gegen Menschenrechte mit ius cogens-Charakter aufgrund der völkerrechtlichen Normenhierarchie Die weiteren Argumentationsmuster stellen auf den ius cogens-Charakter299 grundlegender Menschenrechte ab. Die einfachste dieser Argumentationen ist von den überstimmten EGMR-Richtern im Verfahren Al-Adsani ./. United Kingdom300 propagiert worden und wurde bereits oben in § 4 II.5.b)cc) skizziert: Da ius cogens-Normen einen höheren Rang besitzen als „normale“ Völkerrechtssätze, die Staatenimmunität aber zum „normalen“ Völkerrecht zu zählen sei,301 müßten ius cogens-Normen die Staatenimmunität verdrängen. Das Verbot der Begehung schwerer Menschenrechtsverletzungen gehöre zum ius cogens. Bei schweren Menschenrechtsverletzungen könne sich der für diese verantwortliche Staat daher nicht auf Staatenimmunität berufen.302 ___________ US Court of Appeals, District of Columbia Circuit, Urteil im Verfahren Hugo Princz ./. Federal Republic of Germany, Sondervotum Judge Wald; 26 F.3d 1166 (1178 f.). 297 Insofern kann an dieser Stelle auf die Ausführungen oben § 4 II.5.a) und die dort angeführte Literatur verwiesen werden. 298 Ganz zu Recht wird daher – soweit ersichtlich – die Auffassung eines impliziten Immunitätsverzichts in bezug auf das Strafrecht nicht vertreten. 299 Zum völkerrechtlichen ius cogens siehe die Ausführungen oben § 4 II.5.b)aa). 300 Vgl. oben Anm. 276. 301 Ganz vereinzelt wird in der Literatur die Auffassung vertreten, völkerrechtliche Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gehörten zum ius cogens. So etwa Black-Branch, in: Woodhouse (Hrsg.), Pinochet Case, S. 93 (101); Häußler, in: Hasse u.a. (Hrsg.), Menschenrechte, S. 562 (580 f.). Diese Auffassung ist aber verfehlt, wie sich schon daran zeigt, daß die oben in § 6 I. vorgestellten Verträge Ausnahmen vom Immunitätsschutz vorsehen und daß Einigkeit über die Verzichtbarkeit von Exemtionen besteht. 302 Ähnlich in bezug auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit staatlicher Funktionsträger auch Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (393 f.); Neuner, in: ders. (Hrsg.), National Legislation Incorporating International Crimes, S. 105 (109 f.); Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (262 ff.) sowie Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 346, 350, wenn sie bei Verstößen gegen völkerrechtliches ius cogens 296
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Doch kann auch diese Argumentation in bezug auf das Strafrecht ebensowenig überzeugen wie in bezug auf zivilrechtliche Entschädigungsklagen.303 Sie ist aus den gleichen Gründen, aus denen sie oben in § 4 II.5.b)cc) bereits für das Zivilrecht zurückgewiesen werden mußte, auch für das Strafrecht abzulehnen: ius cogensNormen – zu denen grundlegende Menschenrechte gehören – sind zwar (faktisch) höherrangige Normen als Völkerrechtssätze, die diese Rechtsqualität nicht besitzen – zu diesen zählt die Staatenimmunität. Doch verdrängen ius cogens-Normen nicht automatisch alle Rechtssätze des „normalen“ Völkerrechts, sondern nur solche, die mit der betreffenden ius cogens-Norm unvereinbar sind. Eine Nichtverfolgung der Täter von Menschenrechtsverletzungen aufgrund der Staatenimmunität stellt aber für sich genommen keine Menschenrechtsverletzung dar. Die Gewährung von Staatenimmunität als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit bei solchen Taten steht damit nicht in Widerspruch zu Menschenrechten mit ius cogensCharakter.304 Die Gewährung von Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen wäre nur dann mit ius cogens unvereinbar, wenn es eine völkerrechtliche ius cogens-Norm gäbe, die die Staaten verpflichtete, die für schwere Menschenrechtsverletzungen unterhalb der Schwelle zum völkerrechtlichen Verbrechen Verantwortlichen trotz bestehender Immunität strafrechtlich zu verfolgen. Eine solche Rechtspflicht besteht aber nicht. Zwar gibt es auf Menschenrechtsverletzungen bezogene völkerrechtliche Strafverfolgungspflichten. Diese betreffen aber ganz überwiegend völkerrechtliche Verbrechen.305 Man geht wohl nicht fehl, wenn man angesichts der in Abs.6 der Präambel des IStGH-Statuts zum Ausdruck gebrachten Auffassung, die Staaten seien zu einer Ahndung völkerrechtlicher Verbrechen verpflichtet, annimmt, daß das Völkergewohnheitsrecht von den Staaten eine nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen dann verlangt, wenn entweder der Täter Angehöriger des eigenen Staates ist oder aber sich im Hoheitsgebiet des
___________ einen Immunitätsschutz wegen der „besonderen Wertigkeit“ von ius cogens verneint. Offenbar neigt auch der ICTY dieser Argumentationslinie zu; vgl. ICTY, Urteil im Verfahren gegen Furundžija vom 10.12.1998 (IT-95-17/1-T), para. 155 f., ILR 121, 213 (261 f.) = ILM 38 (1999), 317 (349 f.). Siehe zu dieser ICTY-Entscheidung de Wet, EJIL 15 (2004), 97 (97 ff.). 303 A.A. aber Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (393 f.); Neuner, in: ders. (Hrsg.), National Legislation Incorporating International Crimes, S. 105 (109 f.); Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (262 ff.); Ruffert, NILR 2001, 171 (188); Schultz, ZaöRV 62 (2002), 703 (745). Wie hier dagegen Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (986). 304 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen oben § 4 II.7. sowie Häußler, in: Hasse u.a. (Hrsg.), Menschenrechte, S. 562 (581 f.). 305 Vgl. bezüglich völkerrechtlicher Strafverfolgungspflichten bei Völkerstraftaten Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 436 ff.
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eigenen Staates aufhält.306 Doch ist schon diese Strafverfolgungspflicht bei Völkerstraftaten nicht unbestritten.307 Daher wird man von einer allgemeinen (gewohnheitsrechtlichen) Strafverfolgungspflicht bei sonstigen Menschenrechtsverletzungen unterhalb der Schwelle zum völkerrechtlichen Verbrechen jedenfalls derzeit nicht ausgehen können. Eine Strafverfolgungspflicht bei solchen Taten besteht daher nur insoweit, als sie völkervertraglich vereinbart ist.308 Eine solche vertragliche Vereinbarung ist lediglich in der bereits untersuchten UN-Folterkonvention enthalten. Diese ist – wie bereits ausgeführt wurde – dahingehend zu interpretieren, daß sie eine Berufung des verantwortlichen Staates auf die Staatenimmunität ausschließt. Doch gilt diese Verfolgungspflicht und damit auch dieser Ausschluß der Staatenimmunität nur im Verhältnis der Vertragsstaaten der UN-Folterkonvention untereinander. Für die hier interessierende Frage einer außervertraglichen Ausnahme von der Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen ist damit nichts gewonnen. cc) Ausnahme von der Staatenimmunität bei Verstößen gegen Menschenrechte mit ius cogens-Charakter Eine weitere in bezug auf zivilrechtliche Schadensersatzklagen entwickelte Argumentation setzt bei der erga omnes-Wirkung von schweren Menschenrechtsverletzungen an. Wie oben in § 4 II.5.b)dd) detailliert dargelegt, wird zutreffend argumentiert, Verstöße gegen völkerrechtliche Menschenrechtsgewährleistungen mit ius cogens-Charakter seien Verstöße gegen fundamentale Wertordnungsgrundsätze der Völkergemeinschaft. Solche Völkerrechtsverstöße tangierten jeden Staat, nicht nur den Staat, dessen Staatsangehörigkeit das Opfer hat. Verstöße gegen Men___________ So etwa Jarasch/Kreß, in: Kreß/Lattanzi (Hrsg.), Rome Statute and Domestic Legal Orders, vol. I, S. 91 (108 f.); Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 441 ff.; Kreß, NStZ 2000, 617 (621); Wirth/Harder, ZRP 2000, 144 (146). Vgl. ferner Ambos, AVR 37 (1999), 318 (328 ff.); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 257 ff.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 181, 186 ff.; Werle/Jeßberger, JZ 2002, 725 (727, 733). 307 Ablehnend etwa Cassese, International Law. 1. Aufl. S. 264; ders., International Criminal Law, S. 301 f.; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 33. Für zweifelhaft hält die Rechtslage Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (986). 308 So auch Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 33. A.A. Ambos, AVR 37 (1999), 318 (328 ff.); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 183. Aber selbst wenn es eine (völkergewohnheitsrechtliche) Rechtspflicht zur Ahndung von Menschenrechtsverletzungen gäbe, wäre damit noch nicht gesagt, daß sie auch zu einer Ahndung ohne Rücksicht auf völkerrechtliche Exemtionen verpflichtete. Denn dazu müßte sie den Rang von ius cogens haben, was aber auf keinen Fall angenommen werden kann. Vgl. Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (986). Siehe auch Werle, a.a.O., Rn. 189, der davon ausgeht, daß die Bestrafungspflicht bei Menschenrechtsverletzungen beschränkt ist auf den Tatortstaat. Für diesen aber spielt die Staatenimmunität in aller Regel keine Rolle, da staatliche Menschenrechtsverletzungen typischerweise von staatlichen Funktionsträgern des Tatortstaates verübt werden. 306
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schenrechtsgewährleistungen mit ius cogens-Charakter wirkten daher erga omnes; durch sie werde jeder einzelne Staat in eigenen Rechten verletzt. Auf Verletzungen eigener Rechtspositionen dürfen die Staaten reagieren. Eine denkbare Reaktion wäre im Fall schwerer Menschenrechtsverletzungen eine Strafverfolgung der verantwortlichen Täter ohne Rücksicht auf die Staatenimmunität des Staates, dem die Taten zuzurechnen sind. Zudem könnte man argumentieren, ein Staat, der eine Strafverfolgung wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen durchführe, reagiere damit gewissermaßen als Sachwalter der Völkergemeinschaft, deren Rechte durch eine Mißachtung von ius cogens-Normen mit erga omnesWirkung gleichfalls verletzt würden.309 In bezug auf zivilrechtliche Entschädigungsklagen ist – wie bereits aufgezeigt – eine solche Reaktion zum einen unter Rückgriff auf das Rechtsinstitut der Repressalie, zum anderen unter Heranziehung des Grundsatzes der Verwirkung völkerrechtlicher Rechte zu legitimieren versucht worden. Eine Rechtfertigung einer Mißachtung der Staatenimmunität als Repressalie kann jedoch in bezug auf eine Strafverfolgung der für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen noch weitaus weniger überzeugen als in bezug auf zivilrechtliche Klagen gegen den Staat, dem die Taten als Staatshandeln zuzurechnen sind. Denn wie oben in § 4 II.5.b)dd) erläutert, kann eine Repressalie eine Mißachtung völkerrechtlicher Rechtspositionen nur dann rechtfertigen, wenn sie darauf abzielt, ein noch andauerndes völkerrechtswidrigen Verhalten zu beenden bzw. einen völkerrechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Vergeltungsmaßnahmen können nicht als Repressalie gerechtfertigt werden. Eine Strafverfolgung derjenigen, die für bereits begangene und abgeschlossene Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, dient aber weder unmittelbar der Beendigung eines völkerrechtswidrigen Verhaltens noch unmittelbar der Beseitigung der Folgen eines solchen Verhaltens, sondern stellt eine vergeltende Reaktion auf früheres völkerrechtswidriges Verhalten dar, die nicht als unmittelbare Wiedergutmachung eingestuft werden kann.310 ___________ So Hobe/Tietje, GYIL 37 (1994), 386 (398 ff., 404 ff.) sowie der ICTY, der mit dieser Argumentation in seinem Urteil im Verfahren gegen Furundžija vom 10.12.1998 (IT95-17/1-T), para. 155 f., ILR 121, 213 (261 f.) = ILM 38 (1999), 317 (349 f.) implizit die Beachtlichkeit der Staatenimmunität bei einer Strafverfolgung staatlicher Funktionsträger in Drittstaaten wegen Folterhandlungen verneint hat. Doch hat der ICTY ebensowenig wie Hobe/Tietje, a.a.O., deutlich gemacht, warum Drittstaaten auf die Verletzung von erga omnes-Normen ihrerseits mit einer Nichtbeachtung bzw. Mißachtung der Staatenimmunität reagieren dürfen. Aus der Tatsache, daß ein Völkerrechtssubjekt in eigenen Rechten verletzt wurde, folgt noch nicht, daß dieses nun die Rechte des für die Verletzung verantwortlichen anderen Völkerrechtssubjekts mißachten darf bzw. Rechtspositionen des anderen Völkerrechtssubjekts entfallen. Insofern greift die Argumentation des ICTY zu kurz. Ähnlich wie hier auch Ambos, JZ 1999, 16 (22). 310 Aus diesem Grund zu Recht einen Rückgriff auf das Repressalienrecht ablehnend Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 372 Fn. 1241. Siehe auch Dahm/Delbrück/ 309
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Dagegen ist es ebenso wie in bezug auf zivilrechtliche Entschädigungsklagen auch in bezug auf eine Strafverfolgung der für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen möglich, eine Nichtgeltung der Staatenimmunität unter Heranziehung des Rechtsinstituts der Verwirkung zu begründen. Diese oben in § 4 II.5.b)dd) für das Zivilrecht skizzierte und daher hier nur zusammenfassend wieder aufzugreifende Argumentation stellt darauf ab, daß durch eine staatlich zu verantwortende Verletzung von Menschenrechten mit ius cogens-Charakter, die erga omnes wirkt, alle anderen Staaten in den ihnen als souveräne Völkerrechtssubjekte zukommenden Rechten verletzt werden. Eine staatliche Menschenrechtsverletzung stellt also einen rechtswidrigen Eingriff in die Souveränitätsrechte anderer Staaten dar. Ein Staat, der die anderen Staaten zukommenden Souveränitätsrechte mißachtet, geht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben seiner Befugnis verlustig, sich seinerseits zur Abwehr von Handlungen dieser anderen Völkerrechtssubjekte auf seine Souveränitätsrechte und damit auf die ihm als Ausfluß seiner Souveränität zustehende Staatenimmunität zu berufen. Er verwirkt die ihm an sich zukommende Staatenimmunität insoweit, als es um eine Strafverfolgung derjenigen individuellen Täter geht, die für die Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind.311 ___________ Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 985: „Erforderlich ist (…), daß die Handlung oder deren Wirkung noch andauert. Gegenmaßnahmen sind keine Strafe und kein Vergeltungsakt, sondern nach ihrer gesamten Konzeption Selbsthilfeakte zur Durchsetzung eines Rechts.“; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1031: „Die Repressalie hat (…) nicht eine Bestrafung der anderen Seite zum Zweck.“; Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 170: „(…) die Repressalie hat stets präventiven Charakter und kann niemals mit in der Vergangenheit liegenden Völkerrechtsverletzungen begründet werden, wenn die Wiederholung ausgeschlossen ist.“ Vgl. ferner Doehring, Spionage im Friedensvölkerrecht, S. 307 (316); Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 170; Tomuschat, ZaöRV 33 (1973), 179 (185 f.). Für eine Statthaftigkeit einer Nichtbeachtung der Staatenimmunität in Strafverfahren als Repressalie dagegen Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (252, 259 f.); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578) und wohl auch Kokott/ Doehring/Buergenthal, Grundzüge des Völkerrechts, Rn. 468. Generell gegen ein Abstellen auf das Rechtsinstitut der Repressalie im Zusammenhang mit völkerrechtlichen Immunitäten Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 192 f. 311 Wie hier Häußler, in: Hasse u.a. (Hrsg.), Menschenrechte, S. 562 (587 f.) und – unter Verweis auf den Verf. der vorliegenden Arbeit – Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 111 sowie offenbar auch Doehring, Völkerrecht, Rn. 1162. Explizit a.A. aber Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 132 f. In deutlicher Nähe zur „Verwirkungs-Argumentation“ steht die These, das auch im Völkerrecht verankerte Verbot des venire contra factum proprium untersage eine Berufung auf die Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen. Ein Staat verhalte sich im Widerspruch zu Treu und Glauben, wenn er einerseits die Wahrung von Menschenrechten verkünde und völkerrechtlichen Menschenrechtskonventionen oder Menschenrechtsdeklarationen zustimme, sich andererseits aber auf seine Staatenimmunität berufe, wenn eigene Funktionsträger wegen der Verletzung solcher Menschenrechte von Gerichten anderer Staaten zur Verantwortung gezogen werden. So etwa Wirth, Jura 2000, 70 (76). Aus einem Beitritt zu Menschenrechtskonventionen und einer Erklärung, Menschenrechte beachten zu wollen, kann man genaugenommen jedoch nicht mehr ableiten als eine Absicht, selbst Menschenrechte zu achten und deren Verletzung – gegebenenfalls durch die Bestrafung eigener Funktionsträger durch eigene Gerichte – zu unterbinden und zu sanktionieren. In einem Beitritt zu Menschenrechtspak-
§ 6 Ausnahmen bei völkerrechtlichen Verbrechen
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dd) Ergebnis: Verwirkung der Staatenimmunität bei Verstößen gegen Menschenrechte mit ius cogens-Charakter Als Fazit kann festgehalten werden, daß die Staatenimmunität einer Strafverfolgung wegen Verstößen gegen Menschenrechte mit ius cogens-Charakter deshalb nicht entgegensteht, weil der Staat, der solche Menschenrechtsverletzungen begeht, seinen Anspruch auf Beachtung der ihm zukommenden Staatenimmunität verwirkt. Damit stellt sich hier allerdings abschließend noch die Frage, welche Menschenrechte so grundlegend sind, daß sie zum ius cogens gehören. Denn die hier unterstützte Argumentation gegen eine Geltung der Staatenimmunität bezieht sich ausschließlich auf Menschenrechtsverletzungen unterhalb der Schwelle zum völkerrechtlichen Verbrechen, die gegen Menschenrechte mit ius cogens-Charakter verstoßen. Bei Verstößen gegen völkerrechtlich gewährleistete Individualrechte, die zum „normalen“ Völkerrecht gehören, kann auch nach hier vertretener Auffassung die Staatenimmunität nicht überwunden werden, so daß sie in solchen Fällen als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit wirkt und ein völkerrechtliches Strafverfolgungshindernis begründet. Eine klare Abgrenzung der zum ius cogens gehörenden Völkerrechtsnormen ist bislang nicht gelungen.312 Vielfach wird festgestellt, elementare Menschenrechte hätten ius cogens-Charakter.313 Um welche Rechte es sich dabei im einzelnen handelt, bleibt jedoch zumeist offen. Es besteht allerdings Einigkeit dahingehend, daß das Folterverbot zum ius cogens gehört.314 Damit werden die meisten Fälle staat___________ ten oder einer Zustimmung zu Menschenrechtsdeklarationen kann man daher kein Verhalten erkennen, das es als widersprüchlich erscheinen läßt, wenn derselbe Staat nicht damit einverstanden ist, daß ein anderer Staat seine Funktionsträger wegen ihres hoheitlichdienstlichen Verhaltens strafrechtlich zur Verantwortung zieht. 312 Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 15 Rn. 51 ff. 313 IGH, ICJ-Reports 1970, 3 (32); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 714 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 21, 40, 300; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 15 Rn. 51 ff., insb. Rn. 59; Herdegen, Völkerrecht, § 16 Rn. 14; Hobe/ Tietje, AVR 32 (1994), 130 (136); Verdross/Simma, Völkerrecht, § 527; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 67. 314 Ausdrücklich für eine Zugehörigkeit des Folterverbots zum ius cogens u.a. ICTY, Urteil im Verfahren gegen Furundžija vom 10.12.1998 (IT-95-17/1-T), para. 144, ILR 121, 213 (257 f.) = ILM 38 (1999), 317 (347); ); ICTY, Urteil im Verfahren gegen Delaliü et al. vom 16.11.1998 (IT-96-21-T), para. 454; ICTY, Urteil im Verfahren gegen Kunarac et al. vom 22.2.2001 (IT-96-23-T), para. 466 (sämtliche ICTY-Entscheidungen sind im Internet abrufbar unter ); EGMR, Al-Adsani ./. United Kingdom (siehe oben Anm. 276), para. 60 f.; US Court of Appeal for the Ninth Circuit, Urteil im Verfahren Siderman de Blake and Others ./. The Republic of Argentina and Others vom 22.5.1992, 965 F.2d 699 (714 ff.) = ILR 103, 454 (470 ff.). In der dritten Entscheidung des House of Lords im Verfahren gegen Pinochet wurde von Lord Millet und Lord Hope of Craighead allerdings behauptet, nicht jede Folterung könne als Verstoß gegen das Völkerrecht einen Immunitätsschutz entfallen lassen, sondern nur systematische und weit verbreitete Folterungen; vgl. HRLJ 1999, 61 (86 ff., 101). Siehe auch Klein, in: Bröhmer u.a. (Hrsg.) FS Ress, S. 151 (156); de Wet, EJIL 15 (2004), 97 (97 ff.).
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licher Menschenrechtsverletzungen unterhalb der Schwelle zum völkerrechtlichen Verbrechen erfaßt. Ebenfalls unvereinbar mit völkerrechtlichem ius cogens sind extralegale Tötungen, Sklaverei, langdauernde rechtsstaatswidrige Freiheitsentziehungen und das Verschwindenlassen von Personen.315
III. Fazit Bei völkerrechtlichen Verbrechen erfährt die Staatenimmunität eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme. Diese Ausnahme gilt für alle Taten, die als völkerrechtliche Verbrechen klassifiziert werden können, also unmittelbar nach Völkerrecht strafbar sind. Dies sind zur Zeit Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen – und zwar sowohl solche in internationalen als auch solche in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten – sowie das Verbrechen des Angriffskrieges. Diese Ausnahme von der Staatenimmunität ist dynamisch, so daß bei einer völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung weiterer Verhaltensweisen als völkerrechtliche Verbrechen dann auch für diese Taten die Staatenimmunität nicht (mehr) gilt. Einer nationalen Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen steht die Staatenimmunität also nicht entgegen. Diese Ausnahme von der Staatenimmunität ist in der Völkermordkonvention sowie in den Genfer Abkommen von 1949 auch völkervertraglich verankert und insoweit „doppelt abgesichert“. Allerdings gilt die Ausnahme als Rechtssatz des Völkervertragsrechts nur für Völkermordtaten und Kriegsverbrechen in internationalen bewaffneten Konflikten sowie ausschließlich im Verhältnis der Vertragsstaaten der Abkommen untereinander. Eine völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen unterhalb der Schwelle zum völkerrechtlichen Verbrechen ist dagegen nicht nachweisbar. Ein Staat, der fremdstaatliche Funktionsträger wegen solcher hoheitlich-dienstlich begangener Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zur Verantwortung zieht, handelt dennoch nicht unbedingt völkerrechtswidrig. Zum einen ist eine völkervertragliche Ausnahme von der Staatenimmunität implizit in der UN-Folterkonvention enthalten, wobei diese allerdings lediglich für Foltertaten im Sinne dieser Konvention und „nur“ im Verhältnis der zur Zeit 141 Vertragsstaaten untereinander gilt. Zum anderen ist zu bedenken, daß fundamentale Menschenrechte ius cogens-Charakter haben. Verletzungen dieser Menschenrechte wirken erga omnes, betreffen also die Völkergemeinschaft als Ganzes und verletzen jeden einzelnen Staat in eigenen Rechten. Ein Staat, dem Verletzungen von ___________ Vgl. IGH, ICJ-Reports 1970, 3 (32); Doehring, Völkerrecht, Rn. 986 ff.; Hannikainen, Peremptory Norms, S. 425 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 16 Rn. 14, § 39 Rn. 2; Hobe/Tietje, AVR 32 (1994), 130 (136, 138 ff.); dies., GYIL 39 (1996), 523 (541); Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 286 ff.; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 69. Restriktiver Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 342. 315
§ 6 Ausnahmen bei völkerrechtlichen Verbrechen
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Menschenrechten mit ius cogens-Charakter zuzurechnen sind, mißachtet also die Rechte, die im Interesse der gesamten Völkergemeinschaft und damit auch im Interesse aller anderen Staaten zu gewähren sind. Ein Staat, der einen solchen Rechtsbruch begeht, kann nicht seinerseits von anderen Staaten verlangen, daß diese die ihm als Mitglied der Völkergemeinschaft zukommenden Souveränitätsrechte achten und auf eine strafrechtliche Reaktion auf diese Verletzung grundlegender Menschenrechte verzichten. Er verwirkt insofern sein Recht auf Staatenimmunität. Dies bedeutet, daß die Staatenimmunität einer strafrechtlichen Ahndung der Verletzung von Menschenrechten, die zum ius cogens gehören, nicht entgegensteht.
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§ 7 Weitere Ausnahmen von der Staatenimmunität Die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit erfährt nicht nur bei völkerrechtlichen Verbrechen und (sonstigen) gegen völkerrechtliches ius cogens verstoßenden Menschenrechtsverletzungen eine Ausnahme. Den weiteren, nunmehr zu erläuternden Ausnahmen ist gemeinsam, daß sie sich auf Taten beziehen, die besonders schutzwürdige staatliche Interessen verletzen. Im einzelnen geht es um Spionageaktivitäten (I.), um Taten, die gegen die Existenz oder Verfassungsordnung eines fremden Staates gerichtet sind (II.), und um geheimdienstliche Gewalttaten (III.). In der Literatur wird darüber hinausgehend die Auffassung vertreten, die Staatenimmunität gelte generell bei verdecktem Staatshandeln nicht (IV.).
I. Ausnahmen von der Staatenimmunität bei Spionagetätigkeiten Nahezu alle Staaten der Welt betreiben Spionage. Die für einen Staat agierenden Spione handeln unabhängig davon, ob sie in einem Dienstverhältnis zum spionierenden Staat stehen, etwa Angehörige von dessen Geheimdienst sind, oder aber als Privatpersonen im Rahmen einer Verabredung für einen Staat tätig werden, als staatliche Funktionsträger.1 Ihre Spionagetätigkeiten sind als Diensthandlungen für den betreffenden Staat zu klassifizieren, und zwar als hoheitlich-dienstliche Handlungen, also als acta iure imperii.2 Nach dem Grundsatz der Staatenimmunität dürften sie damit vom ausspionierten Staat eigentlich nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.3 Doch normieren wohl alle nationalen Rechtsordnungen eine Strafbarkeit gegen den eigenen Staat gerichteter Spionage, vielfach werden auch reine Auslandstaten erfaßt. Festgenommene Spione werden regelmäßig zu hohen Strafen verurteilt. Auch die Bundesrepublik Deutschland stellt gegen Deutschland gerichtete Spionageaktivitäten in den §§ 94 ff. StGB unter Strafe, und zwar unabhängig davon, ob im Inland oder vom Ausland aus agiert wird (vgl. § 5 Nr. 4 StGB). Daher scheint es auf den ersten Blick so, als könne man die Frage, ob die Staatenimmunität bei Spionagetaten einer Bestrafung entgegensteht, ohne weiteres verneinen. Und in der Tat wird in der Rechtsprechung und Literatur vielfach pauschal behauptet, es sei den ausspionierten Staaten völkerrechtlich nicht untersagt, gegen sie gerichtete Agententätigkeit strafrechtlich zu ahnden; der Grundsatz der Staatenimmunität gelte für Spionagetaten nicht.4 Doch gibt es auch Stimmen in ___________ Vgl. Gusy, NZWehrr 1984, 187 (189). Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (580); Langkau, Kriegs- und Friedensspionage, S. 207 ff.; LK-StGB-Träger, § 99 Rn. 7. 3 Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (580). 4 BVerfGE 92, 277 (321) = NJW 1995, 1811 (1813); BGH NJW 1991, 2498 (2499) (der BGH verwendet als Synonym zur Staatenimmunität den Begriff „Act of State1 2
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der Literatur, die davon ausgehen, daß die Staatenimmunität einer Ahndung im Ausland – also außerhalb des Staatsgebiets des ausspionierten Staates – betriebener Spionage entgegensteht.5 Daher ist es geboten, der Frage der Geltung der Staatenimmunität bei Spionagehandlungen etwas genauer nachzugehen, zumal die juristische Beurteilung von Spionagehandlungen in vielerlei Hinsicht besondere Schwierigkeiten aufweist – gesprochen wird von einer „rechtlichen Grauzone“6 bzw. von einem „Phänomen (…), das sich schlechthin der Einordnung in gängige Rechtsüberlegungen entzieht“7. Die Betrachtung hat zu unterscheiden zwischen Kriegsspionage einerseits und Friedensspionage andererseits. 1. Kriegsspionage a) Begriff und völkerrechtlicher Status der Kriegsspionage Der kriegsrechtliche Spionagebegriff ist sehr eng. Nach Art. 29 Abs. 1 Haager Landkriegsordnung (HLKO)8, die eine Kodifikation universell geltenden Völkergewohnheitsrechts dargestellt,9 gilt als Spion nur „wer heimlich oder unter falschem Vorwand in dem Operationsgebiet eines Kriegführenden Nachrichten einzieht oder einzuziehen sucht in der Absicht, sie der Gegenpartei mitzuteilen“.
Negativ gewendet heißt es in Art. 29 Abs. 2 HLKO: „Demgemäß sind Militärpersonen in Uniform, die in das Operationsgebiet des feindlichen Heeres eingedrungen sind, um sich Nachrichten zu verschaffen, nicht als Spione zu betrachten. Desgleichen gelten nicht als Spione: Militärpersonen und Nichtmilitärperso-
___________ Doktrin“); MK-StGB-Ambos, § 5 Rn. 19; Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (317); Classen, JZ 1991, 717 (717 f.); Dahm, Problematik des Völkerstrafrechts, S. 44 f.; Damian, Staatenimmunität, S. 80; Delupis, AJIL 78 (1984), 53 (62 f.) (allerdings unter Zugrundelegung eines sehr engen Spionagebegriffs); Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (97); Eilers u.a., JuS 1984, 49 (55); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (580); Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. 2. b) bb); Herdegen, ZaöRV 47 (1987), 221 (224); Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 166; Mössner, NJW 1982, 1196 (1198); Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (404); Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 610; LK-StGB-Träger, vor § 93 Rn. 6. Auch die Stimmen in der Literatur, die der Auffassung sind, die Staatenimmunität gelte generell bei verdecktem Staatshandeln nicht, können hier genannt werden: Gornig, NJ 1992, 4 (13); Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1482 ff.; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1177. 5 Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (261, 263); Kasper, NJ 1992, 432 (433 f.); Wengler, Völkerrecht Bd. II, S. 938 Fn. 2. 6 Albrecht/Kadelbach, NJ 1992, 137 (139). 7 Doehring, Spionage im Friedensvölkerrecht, S. 307 (311). 8 Anlage zum Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18.10.1907; RGBl. 1910, S. 107 (132). 9 BVerfGE 27, 253 (274) = NJW 1970, 799 (800); BGHSt 37, 305 (309) = NJW 1991, 929 (930); Fahl, Humanitäres Völkerrecht, S. 23; Ipsen, in: ders., Völkerrecht, § 63 Rn. 2; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1826.
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nen, die den ihnen erteilten Auftrag, Mitteilungen an ihr eigenes oder an das feindliche Heer zu überbringen, offen ausführen. (…).“
Art. 46 Abs. 2 I. Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen (ZP I)10 betont: „Wenn sich ein Angehöriger der Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei für diese Partei in einem von der gegnerischen Partei kontrollierten Gebiet Informationen beschafft oder zu beschaffen versucht, so gilt dies nicht als Spionage, wenn er dabei die Uniform seiner Streitkräfte trägt.“
Kennzeichen der Kriegsspionage, also der nachrichtendienstlichen Tätigkeit von und gegen Kriegsparteien, ist demnach die Heimlichkeit und Verdecktheit des Vorgehens, die sich vor allem darin manifestiert, daß der Spion nicht die Uniform der Streitkräfte seines Staates trägt, sondern regelmäßig Zivilkleidung. Gefordert wird weiter eine nachrichtendienstliche, also auf Erlangung nicht offen zugänglicher Informationen gerichtete Tätigkeit, die zudem im gegnerischen Operationsgebiet ausgeübt werden muß.11 Dagegen wird vom Kriegsvölkerrecht weder die Tätigkeit sogenannter militärischen Spähtrupps, die ihre Aufgabe offen und uniformiert ausführen, noch die Aufklärungsarbeit von Funktionsträgern einer Kriegspartei, die außerhalb des Operationsgebiets des Gegners tätig sind und sogenannte Fernaufklärung betreiben oder von dort aus den Einsatz von Spionen im gegnerischen Operationsgebiet steuern, als Spionage angesehen.12 Solche Tätigkeiten sind den Parteien in bewaffneten Konflikten nicht nur völkerrechtlich gestattet, sondern dürfen als legale Kriegshandlungen auch nicht – etwa nach Kriegsende vom siegreichen Gegner – strafrechtlich geahndet werden. Die Tatsache, daß solche Aktivitäten im Rahmen eines bewaffneten Konflikts begangen werden, stellt einen völkerrechtlichen Rechtfertigungsgrund dar,13 so daß es insofern auf die Staatenimmunität nicht ankommt. ___________ 10 Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) vom 8.6.1977 (BGBl. 1990 II, S. 1551; UNTS 1125, 3). 11 Als gegnerisches Operationsgebiet müssen heutzutage wegen der Reichweite moderner Waffensysteme in der Regel neben dem eigentlichen Kampfplatz der Bodentruppen das gesamte Staatsgebiet des Gegners sowie von diesem militärisch besetzte Gebiete gelten; ebenso Erasmus, Geheimer Nachrichtendienst, S. 25 f.; Hinz, Spionage, in: Strupp/ Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 298 (299); Ipsen, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts, S. 82 (83); Sandoz u.a. (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols, Protocol I, Art. 46, Rn. 1765, 1775; Schuck, Spionage, S. 31 ff. Vgl. auch Frowein/Wolfrum/Schuster, Gutachten, S. 67, 71 m.w.N.; Langkau, Kriegs- und Friedensspionage, S. 46 ff. Art. 46 ZP I spricht daher – ohne sachlichen Unterschied – von einem von der gegnerischen Partei kontrollierten bzw. besetzten Gebiet. 12 Vgl. Adler, Spionage, S. 26; Hinz, Spionage, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 298 (299); Ipsen, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts, S. 82 (82 f.); Schuster, ZaöRV 51 (1991), 651 (667). 13 Frowein/Wolfrum/Schuster, Gutachten, S. 72; Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 105 f., 109; Langkau, Kriegs- und Friedensspionage, S. 126 ff.; Schätzel, FS Thoma, S. 173 (187, 193). Grundsätzlich gilt, daß Einzelpersonen für völkerrechtlich nicht verbotene Kriegshandlungen nicht strafrechtlich belangt werden dürfen, solche – in Friedenszei-
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Doch auch Aktivitäten, die nach dem Gesagten als Kriegsspionage einzustufen sind, stellen eine vom Völkerrecht erlaubte Tätigkeit dar. Kriegsspionage ist den Parteien eines bewaffneten Konflikts gestattet.14 Dies ergibt sich nicht nur daraus, daß weder in Art. 23 ff. HLKO und den Genfer Abkommen von 194915 noch in Art. 35 ff. ZP I Spionage als Methode der Kriegsführung untersagt wird, sondern auch unmittelbar aus Art. 24 HLKO, wo es heißt: „Kriegslisten und die Anwendung der notwendigen Mittel, um sich Nachrichten über den Gegner und das Gelände zu verschaffen, sind erlaubt.“
b) Völkerrechtliche Zulässigkeit der strafrechtlichen Ahndung von Kriegsspionage Allerdings sind Taten der Kriegsspionage anders als sonstige völkerrechtlich legale Kriegshandlungen nicht in strafrechtlicher Hinsicht gerechtfertigt; die völkerrechtliche Erlaubtheit der Kriegsspionage wirkt also – anders als die sonstiger legaler Kriegshandlungen16 – nicht auch als strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund. Nach Art. 30 HLKO darf der bei der Tat ertappte Spion nicht ohne vorausgegangenes Urteil bestraft werden. Beschränkt auf Angehörige der Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei heißt es in Art. 46 Abs. 1 ZP I, daß eine solche Person, wenn sie bei der Ausübung von Spionage in die Gewalt einer gegnerischen Partei gerät, keinen Anspruch auf den Status eines Kriegsgefangenen hat und als Spion behandelt werden darf. Hieraus folgt, daß eine Bestrafung von Spionen im Sinne des Art. 29 Abs. 1 HLKO – also von Personen, die im gegnerischen Operationsgebiet verdeckt als Spione agieren und bei dieser Tätigkeit gestellt werden – völkerrechtlich zulässig ist, die völkerrechtliche Legalität der Kriegsspionage also nicht als strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund einer Bestrafung entgegengehalten wer___________ ten regelmäßig strafbare – Handlungen vielmehr aufgrund des Kriegszustands strafrechtlich gerechtfertigt sind. Vgl. allgemein zu diesem Rechtfertigungsgrund der Tatbegehung im Rahmen eines bewaffneten Konflikts Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 399 f. m.w.N. 14 BGHSt 37, 305 (308) = NJW 1991, 929 (930); Adler, Spionage, S. 35 ff.; Baxter, BYIL 28 (1951), 323 (329 ff.); Delupis, AJIL 78 (1984), 53 (67); Erasmus, Geheimer Nachrichtendienst, S. 55 f.; Frowein/Wolfrum/Schuster, Gutachten, S. 71; Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 96 ff.; Götz, Quirin-Fall, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 2, 814 (814); LK-StGB-Gribbohm, § 5 Rn. 14; Hinz, Spionage, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 298 (300); Ipsen, in: ders., Völkerrecht, § 68 Rn. 39; Kish, Espionage, S. 123 ff.; Langkau, Kriegs- und Friedensspionage, S. 89 ff.; Rauch, Espionage, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 114 (115); Sandoz u.a. (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols, Protocol I, Art. 46, Rn. 1765, 1768; Schätzel, FS Thoma, S. 173 (185 ff.); Schuck, Spionage, S. 69 ff.; Schuster, ZaöRV 51 (1991), 651 (668 Fn. 71); Stein/Marauhn, ZaöRV 60 (2000), 1 (33); Steinkamm, Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, S. 269; Wright, AJIL 54 (1960), 836 (849). 15 BGBl. 1954 II, S. 783, 813, 838, 917. 16 Hierzu Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 399 f. m.w.N. sowie bereits oben Anm. 13.
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den kann.17 Die Kriegsspionage wird daher auch als „riskante Kriegshandlung“18 bezeichnet, da sie zwar als völkerrechtlich legales Mittel der Kriegsführung gilt, der Spion aber dennoch für seine Tat bestraft werden darf.19 Bestätigt wurde diese Rechtslage beispielsweise durch die vielzitierte Entscheidung des Supreme Court der USA im Quirin-Fall: Von deutschen U-Booten aus waren im Juni 1942, also nach Kriegseintritt der USA, acht Angehörige der deutschen Wehrmacht, sieben davon – auch Quirin – waren Deutsche, im Rahmen einer Operation namens „Pastorius“ an der Küste der USA an Land gesetzt worden. Zwar trugen sie zunächst deutsche Uniformen, doch vergruben sie diese unmittelbar nach der Landung und begaben sich in Zivilkleidung ins Inland. Die Agenten, die alle zuvor lange in den USA gelebt hatten, aber als begeisterte Nazis nach 1933 nach Deutschland übergesiedelt waren, hatten vor, für Deutschland in den USA Spionage- und Sabotagehandlungen vor allem gegen die US-Flugzeugindustrie durchzuführen, konnten jedoch vor Beginn ihrer Tätigkeit in New York bzw. Chikago verhaftet werden. Sieben der Agenten wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet, der achte kam mit einer Freiheitsstrafe davon, weil er die Gruppe an den amerikanischen Geheimdienst verraten hatte. Der Supreme Court bestätigte die Verurteilung und betonte, eine Bestrafung von Kriegsspionen nach nationalem Recht des betroffenen Staates sei völkerrechtlich statthaft.20
___________ 17 Adler, Spionage, S. 44; Baxter, BYIL 28 (1951), 323 (329 ff.); Delupis, AJIL 78 (1984), 53 (62, 67); Doehring, Völkerrecht, Rn. 594; Edmondson, VandJTL 5 (1971/72), 434 (438); Frowein/Wolfrum/Schuster, Gutachten, S. 71; Gehrlein, Strafbarkeit der OstSpione, S. 96 ff.; LK-StGB-Gribbohm, § 5 Rn. 14; Hinz, Spionage, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 298 (300); Ipsen, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts, S. 82 (82 f.); Ipsen, in: ders., Völkerrecht, § 68 Rn. 39; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. II, § 159, 255; Kish, Espionage, S. 125; Langkau, Kriegsund Friedensspionage, S. 81, 91, 112 f.; Lippold, NJW 1992, 18 (20); Sandoz u.a. (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols, Protocol I, Art. 46, Rn. 1765, 1768; Schuster, ZaöRV 51 (1991), 651 (667); Steinkamm, Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, S. 270; Wengler, Völkerrecht Bd. II, S. 1393 Fn. 2, 1410; Wright, AJIL 54 (1960), 836 (849). Unerheblich ist, ob es sich bei den Spionen um Angehörige der Streitkräfte einer Partei oder um Zivilpersonen handelt. Die Spionage betreffende Regeln des Kriegsvölkerrechts gelten für Zivilpersonen entsprechend; vgl. Baxter, a.a.O, S. 331 f.; Hinz, a.a.O., S. 299 f.; Ipsen, in: Fleck (Hrsg.), a.a.O., S. 82 f.; Langkau, a.a.O., S. 122 ff.; Sandoz u.a., a.a.O., Rn. 1766 f. 18 Hinz, Spionage, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 298 (300); Ipsen, in: ders., Völkerrecht, § 68 Rn. 39; Schätzel, FS Thoma, S. 173 (186). Allgemein versteht man unter „riskanten Kriegshandlungen“ Handlungen, die vom Völkerrecht nicht verboten sind, bei denen es das Völkerrecht aber andererseits gestattet, sie wegen ihrer Gefährlichkeit vom Gegner aufgrund nationalen Rechts mit Kriminalstrafen abzuwehren; vgl. Schätzel, a.a.O., S. 173 (174 ff.); Steinkamm, Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, S. 269 ff. m.w.N. 19 Der Spion hat mithin keinen Anspruch auf den Status eines Kriegsgefangenen. Er hat aber Anspruch auf die fundamentalen Schutzrechte des Art. 75 ZP I und des GA IV, insbesondere der Art. 27 ff. IV. GA, wenn auch mit gewissen Einschränkungen in bezug auf Kommunikationsrechte (Art. 5 GA IV, Art. 45 Abs. 3 ZP I); vgl. Rauch, Espionage, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 114 (115); Sandoz u.a. (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols, Protocol I, Art. 46, Rn. 1767 f., 1787. 20 Urteil des Supreme Court vom 31.7.1942 (317 U.S. 1 [1 ff., insb. 31]). Vgl. Götz, Quirin-Fall, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 2, 814 (814); Langkau, Kriegs- und Friedensspionage, S. 82 ff.; Schuck, Spionage, S. 57 f.
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Da Kriegsspionage eine hoheitlich-dienstliche Tätigkeit ist, für die grundsätzlich die Staatenimmunität gilt, folgt aus diesen Feststellungen, daß die Staatenimmunität bei Kriegsspionage eine Ausnahme erfährt, wenn der Täter auf frischer Tat im gegnerischen Operationsgebiet gefaßt wird. Die Zulässigkeit einer Bestrafung gegnerischer Spione (während gefangengenommenen Gegnern, sofern sie keine völkerrechtlich untersagten Kriegshandlungen begangen haben, ansonsten nur die als Sicherungsmaßnahme zu verstehende Kriegsgefangenschaft auferlegt werden darf21) und die Ausnahme von der Staatenimmunität läßt sich damit erklären und legitimieren, daß die Bestrafung eine besonders effektive Schutz- und Abwehrmaßnahme durch den betroffenen Staat ist. Mit der Bestrafung soll zum einen sichergestellt werden, daß die erlangten Erkenntnisse nicht weitergegeben werden, zum anderen soll eine Abschreckungswirkung erzielt werden. Anders als bei der Bestrafung von Kriegsverbrechern dient das Strafrecht hier also nicht der Ahndung einer Tätigkeit, die dem auch im Krieg geltenden ethischen Minimalkonsens entgegenläuft, sondern sie dient lediglich der Abwehr einer für den Gegner wegen der Verdecktheit des Vorgehens besonders gefährlichen, aber dennoch legalen Kriegshandlung.22 Auf diesen Überlegungen beruht auch die Regelung des Art. 31 HLKO. Dort heißt es: „Ein Spion, der zu dem Heere, dem er angehört, zurückgekehrt ist und später vom Feinde gefangengenommen wird, ist als Kriegsgefangener zu behandeln und kann für früher begangene Spionage nicht verantwortlich gemacht werden.“
Art. 46 Abs. 4 ZP I wiederholt diese Aussage mit anderen Worten. Wer also als Militärangehöriger im gegnerischen Operationsgebiet Spionage betrieben hat und sich dann wieder in den Kreis der normalen Kombattanten oder sonstigen Angehörigen der Streitkräfte eingegliedert hat, der gilt wegen der Beendigung der Spionage nicht mehr als derart gefährlich, daß eine Spionageabwehr durch Bestrafung legitimiert werden könnte. Da die erlangten Informationen dann regelmäßig bereits weitergegeben worden sein dürften, kann eine Bestrafung auch nicht mehr dem Schutz militärischer Geheimnisse dienen.23 Strafrechtsdogmatisch muß die Regelung des Art. 31 HLKO und Art. 46 Abs. 4 ZP I als Strafaufhebungsgrund eingeordnet werden. Zu Recht wird aus diesen Regelungen zudem die allgemeine ___________ Doehring, Völkerrecht, Rn. 589. Adler, Spionage, S. 52 ff.; Baxter, BYIL 28 (1951), 323 (329 ff.); Erasmus, Geheimer Nachrichtendienst, S. 52 f.; Frowein/Wolfrum/Schuster, Gutachten, S. 71; Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 103 f.; Hinz, Spionage, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 298 (300); Kunz, Kriegsrecht und Neutralitätsrecht, S. 68 f.; Langkau, Kriegs- und Friedensspionage, S. 102 f.; Sandoz u.a. (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols, Protocol I, Art. 46, Rn. 1768; Schätzel, FS Thoma, S. 173 (190); Schuck, Spionage, S. 83; Steinkamm, Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, S. 270. 23 Vgl. Erasmus, Geheimer Nachrichtendienst, S. 53; Schätzel, FS Thoma, S. 173 (189, 191). 21 22
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Schlußfolgerung gezogen, daß nach Beendigung eines Krieges sämtliche gefangengenommene Spione, auch als Agenten tätig gewesene Zivilpersonen und solche Spione, die bereits strafrechtlich verurteilt wurden, freizulassen sind und neu entdeckte Spione nicht belangt werden dürfen.24 2. Friedensspionage a) Begriff und völkerrechtlicher Status der Friedensspionage Friedensspionage im Sinne des Völkerrechts betreibt, wer es außerhalb einer kriegerischen Auseinandersetzung für einen Staat verdeckt unternimmt, politische, wirtschaftliche oder militärische Geheimnisse eines anderen Staates oder eines Unternehmens auszukundschaften oder solche Geheimnisse dem interessierten Staat zu übermitteln.25 Entscheidend für die völkerrechtliche Charakterisierung eines Verhaltens als Friedensspionage ist, daß die Tätigkeit auf die Erlangung von Kenntnissen gerichtet ist, die das Spionageopfer von sich aus nicht preisgeben will, vielmehr vor einer größeren Öffentlichkeit geheimhält. Voraussetzung ist weiter die Verdecktheit des Vorgehens. Gemeint ist damit, daß die Tätigkeit selbst oder zumindest die erlangte Information nicht offengelegt wird.26 ___________ Adler, Spionage, S. 54, 61 f.; Baxter, BYIL 28 (1951), 323 (345); Erasmus, Geheimer Nachrichtendienst, S. 53 ff., 81; Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 104, 107 f.; Hinz, Spionage, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 298 (299); Kasper, NJ 1991, 432 (435); Langkau, Kriegs- und Friedensspionage, S. 122; Schätzel, FS Thoma, S. 173 (193); Steinkamm, Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, S. 275. Hier ist in strafrechtlichen Kategorien gesprochen gleichfalls ein völkergewohnheitsrechtlich geltender und für die bundesdeutschen Strafverfolgungsorgane über Art. 25 GG unmittelbar beachtlicher Strafaufhebungsgrund bzw. bei bereits verurteilten Spionen eine völkergewohnheitsrechtlich geltende Rechtspflicht zur Amnestierung oder Begnadigung anzunehmen. 25 Ähnlich wie hier Adler, Spionage, S. 64 f.; Eilers u.a., JuS 1984, 49 (55); Langkau, Kriegs- und Friedensspionage, S. 137 ff.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. II, § 455; Schuck, Spionage, S. 3 ff., 13 ff., 33 f. Vgl. auch Rauch, Espionage, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 114 (114). 26 An das Merkmal der Verdecktheit sind keine hohen Anforderungen zu stellen. So ist – anders als bei der Kriegsspionage – nicht erforderlich, daß die spionierende Person selbst verdeckt und unter Geheimhaltung ihrer Identität, ihres Status oder gar ihrer Existenz lebt und arbeitet. Auch der in der Öffentlichkeit bekannte Leiter eines staatlichen Geheimdienstes kann ein Spion im völkerrechtlichen Sinne sein, ebenso ein Diplomat, der im Empfangsstaat offen als solcher auftritt, aber geheime Informationen zu erwerben versucht. Kennzeichnend für Spionage im Sinne des Völkerrechts ist aber, daß die Tätigkeit so ausgeübt wird, daß das Spionageopfer im Unklaren über die bestimmungswidrige Nutzung des Geheimnisses bleiben soll. Für Spionage vom eigenen Staatsgebiet (etwa durch terrestrische Lauscheinrichtungen), von Schiffen oder Flugzeugen aus, aber auch für Spionage mittels Spionagesatelliten vom Weltraum aus bedeutet dies, daß nicht die Verheimlichung des Einsatzes solcher Mittel zu fordern ist, sondern es ausreicht, daß die konkreten Ziele der Ausspähung und die erlangten Erkenntnisse geheimgehalten werden. Auch eine als solche erkennbare Ausspähung mittels technischer Einrichtungen ist damit Spionage im Sinne des Völkerrechts (ebenso Classen, Fernerkundung, S. 161 f. m.w.N.). Damit ist 24
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Die Frage, ob Friedensspionage gegen das Völkerrecht verstößt oder nicht, wird nicht einheitlich beantwortet. Anders als die Kriegsspionage ist die Friedensspionage völkervertraglich nicht geregelt. Völkergewohnheitsrecht, das explizit geheimdienstliche Tätigkeiten erlaubt oder verbietet, hat sich bislang nicht gebildet.27 Zum Teil wird davon ausgegangen, Friedensspionage sei, unabhängig davon, ob sie vom eigenen Staat aus – etwa in Form der Fernaufklärung – oder im Gebiet des ausspionierten oder eines dritten Staates durchgeführt werde, völkerrechtlich zulässig. Sie sei eine völkerrechtlich legale Handlung.28 Häufiger dagegen wird ausgeführt, Spionage in Friedenszeiten sei jedenfalls kein völkerrechtliches Unrecht;29 wieder andere behaupten, sie sei weder erlaubt noch verboten, sondern finde in einem völkerrechtsfreien Raum statt.30 Nach überwiegender Ansicht ist die Friedensspionage damit zumindest nicht verboten.31 Begründet wird dies regelmäßig damit, daß nahezu alle Staaten Spionage betrieben, ohne daß das Bewußtsein nachzuweisen sei, damit Unrecht zu tun. Damit fehle es an der für die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht erforderlichen Rechtsüberzeugung.32 Andererseits gibt es auch Stimmen, die Spionage ausdrücklich für völkerrechtswidrig halten.33 ___________ gleichzeitig auch klargestellt, daß es unerheblich ist, von wo aus die Spionage begangen wird. Sie kann auf fremdem Staatsgebiet, in herrschaftsfreien Räumen wie der Hohen See und dem Weltraum oder vom Gebiet des spionierenden Staates aus begangen werden. 27 Vgl. BGHSt 37, 305 (307 f.) = NJW 1991, 929 (930); Doehring, Spionage im Friedensvölkerrecht, S. 307 (309); Gusy, NZWehrr 1984, 187 (187); Rauch, Espionage, in: Bernhardt, EPIL II, 114 (116); Stein/Marauhn, ZaöRV 60 (2000), 1 (32). 28 Doehring, Spionage im Friedensvölkerrecht, S. 307 (308, 311, 314); Erasmus, Geheimer Nachrichtendienst, S. 63; Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 87, 100, 122; LK-StGB-Gribbohm, § 5 Rn. 14; Hinz, Spionage, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 298 (300); Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rn. 150 (der Begriff „erlaubt“ wird jedoch in Anführungszeichen gesetzt); Mössner, NJW 1982, 1196 (1198); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. II, § 455; Schuck, Spionage, S. 121; Stone, in: Stanger (Hrsg.), Essays on Espionage, S. 29 (32 ff.). Für Legalität auch BGHSt 37, 305 (308) = NJW 1991, 929 (930). In dieser Entscheidung werden die Begriffe „legale Handlung“ und „erlaubt“ allerdings ebenfalls in Anführungszeichen gesetzt. 29 Doehring, ZRP 1995, 293 (294); ders., Völkerrecht, Rn. 698, 1159. Vgl. auch Doehring, Spionage im Friedensvölkerrecht, S. 307 (307, 316). Weitere Nachweise bei Schuster, ZaöRV 51 (1991), 651 (654 Fn. 12). 30 Gusy, NZWehrr 1984, 187 (190 ff., insb. 196); Herdegen, Völkerrecht, § 26 Rn. 12. Diese Argumentation ist aber abzulehnen, da im Völkerrecht Verhalten, das nicht verboten ist, erlaubt ist. Eine dritte Kategorie nicht geregelten Verhaltens gibt es nicht. Ebenso Schuster, ZaöRV 51 (1991), 651 (654 Fn. 13). 31 Vgl. BVerfGE 92, 277 (328) = NJW 1995, 1811 (1814); Albrecht/Kadelbach, NJ 1992, 137 (138); Stein/Marauhn, ZaöRV 60 (2000), 1 (32). Rauch, Espionage, in: Bernhardt, EPIL II, 114 (116) führt aus: “The prevailing view seems to be that, as the law now stands, there are insufficient grounds to warrant the statement that international law does not permit espionage in peace-time.” 32 Vgl. Albrecht/Kadelbach, NJ 1992, 137 (138). 33 Beispielsweise Adler, Spionage, S. 71 ff.; Lippold, NJW 1992, 18 (20); Schuster, ZaöRV 51 (1991), 651 (656); Simma/Volk, NJW 1991, 871 (871 f.); Wright, AJIL 54 (1960), 836 (849); Wright, in: Stanger (Hrsg.), Essays on Espionage, S. 3 (12 f.).
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Spionagetätigkeiten im Staatsgebiet des ausspionierten Staates oder auch eines Drittstaates müssen richtigerweise als völkerrechtswidrig angesehen werden. Sie gehen nämlich stets mit einer Mißachtung der Gebietshoheit des betroffenen Staates einher. Aus der Gebietshoheit folgt, daß kein Staat befugt ist, auf dem Gebiet eines anderen Staates Hoheitsakte vorzunehmen.34 Der Kreis der verbotenen Hoheitsakte wird dabei zu Recht sehr weit gezogen. So sind nicht nur staatliche Zwangsmaßnahmen wie etwa Verhaftungen auf fremdem Staatsgebiet unzulässig, sondern auch das Abhalten von Parlamentssitzungen, die Verkündung von Gesetzen und sogar die Einholung amtlicher Auskünfte wird – um nur einige Beispiele zu nennen – als Verletzung der Gebietshoheit angesehen.35 Im Ergebnis besteht damit ein umfassendes Verbot, Staatsgewalt im Sinne von staatlich veranlaßten Maßnahmen, die nicht ausschließlich privatrechtlicher Natur sind, in fremdem Staatsgebiet auszuüben. Wendet man diese Grundsätze auf Spionagehandlungen in fremdem Staatsgebiet an, so müssen diese stets als Verletzung der Gebietshoheit des betroffenen Staates und damit als völkerrechtswidrig bewertet werden.36 Spionageaktionen, die ausschließlich vom Staatsgebiet des spionierenden Staates oder von herrschaftsfreien Räumen, also der Hohen See, der Antarktis, dem Luftraum über diesen Gebieten oder dem Weltraum aus begangen werden – etwa mittels terrestrischer Lauscheinrichtungen oder Spionagesatelliten –, verletzen dagegen die Gebietshoheit des ausspionierten oder eines dritten Staates nicht.37 Hier findet der allgemeine Grundsatz Anwendung, daß den Staaten Verhaltensweisen, die nicht gegen ein völkerrechtliches Verbot verstoßen, gestattet sind. Solche Spionageaktivitäten sind damit völkerrechtskonform.38 ___________ Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 217, 318, 326; Doehring, Völkerrecht, Rn. 88; Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 69. 35 Vgl. Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 69 f.; Okresek; ÖZöRV 35 (1985), 325 (331 ff.); Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1505 f.; Verdross/ Simma, Völkerrecht, § 456. 36 Ebenso BayObLGSt 1991, 127 (133 f.) = NStZ 1992, 281 (282); Albrecht/Kadelbach, NJ 1992, 137 (138 f.); Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (301); Kasper, NJ 1992, 432 (434); ders., MDR 1994, 545 (546); Kish, Espionage, S. 88, 96, 101; Langkau, Kriegs- und Friedensspionage, S. 232 ff., 300 ff.; Lippold, NJW 1992, 18 (20); Simma/Volk, NJW 1991, 871 (871 f.); Wright, AJIL 54 (1960), 836 (849). Die hier vertretene These wird zudem unterstützt durch Art. 19 Abs. 2 lit. c) SRÜ. Ausdrücklich eine Verletzung der Gebietshoheit ablehnend dagegen Gusy, NZWehrr 1984, 187 (192 f.). 37 So auch Albrecht/Kadelbach, NJ 1992, 137 (138); Kasper, NJ 1992, 432 (434); Stein/Marauhn, ZaöRV 60 (2000), 1 (33). Anders aber BayObLGSt 1991, 127 (133 f.) = NStZ 1992, 281 (282). 38 Ebenso Albrecht/Kadelbach, NJ 1992, 137 (138 f.); Kasper, NJ 1992, 432 (434); ders., MDR 1994, 545 (546); Kish, Espionage, S. 109, 114, 120; Langkau, Kriegs- und Friedensspionage, S. 162 ff., 246 ff., 307 ff., 329 ff.; Stone, in: Stanger (Hrsg.), Essays on Espionage, S. 29 (34). Schuster, ZaöRV 51 (1991), 651 (656) hält dagegen auch Auslandsspionage generell für völkerrechtswidrig. Ebenso wohl auch Lippold, NJW 1992, 18 (20) und Wright, in: Stanger (Hrsg.), a.a.O., S. 3 (12 f.). 34
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b) Völkerrechtliche Zulässigkeit der strafrechtlichen Ahndung von Friedensspionage In der Rechtsprechung und Literatur wird ganz überwiegend pauschal behauptet, es sei auf jeden Fall völkergewohnheitsrechtlich zulässig, gegen den eigenen Staat gerichtete Spionage strafrechtlich zu ahnden.39 Diejenigen, die Spionage für völkerrechtlich erlaubt oder zumindest nicht verboten halten, betonen, dies bedeute nicht, daß es den einzelnen Staaten untersagt sei, gegen sie gerichtete nachrichtendienstliche Tätigkeit zu ahnden.40 Die Erlaubtheit der Spionage könne nicht als völkerrechtlicher Rechtfertigungsgrund einer Bestrafung entgegengehalten werden, da das Völkerrecht nicht nur die Spionage, sondern ebenso auch ihre Bestrafung gestatte.41 Für eine präzise Untersuchung der Reichweite der Staatenimmunität muß man aber zwischen nachrichtendienstlicher Tätigkeit im Gebiet des ausspionierten Staates und Spionage vom Ausland aus unterscheiden. aa) Im Staatsgebiet des ausspionierten Staates betriebene Spionage Soweit es um Spionagehandlungen geht, die im Staatsgebiet des ausspionierten Staates vorgenommen werden, können in der Tat keine Bedenken gegen eine Bestrafung der Spione erhoben werden. Denn die Staatenpraxis zeigt, daß solche Spione, wenn man ihrer habhaft wird, in aller Regel strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.42 Die Staaten handeln dabei mit der Überzeugung, zur Bestrafung ___________ BVerfGE 92, 277 (328) = NJW 1995, 1811 (1814); BGHSt 37, 305 (308) = NJW 1991, 929 (930); BGH NJW 1991, 2498 (2498 f.); BayObLGSt 1991, 127 (133 f.) = NStZ 1992, 281 (282) (die Frage, ob Spionage vom Völkerrecht erlaubt ist oder nicht, wird in den beiden letztgenannten Entscheidungen ausdrücklich offengelassen); Albrecht/ Kadelbach, NJ 1992, 137 (139); Delupis, AJIL 78 (1984), 53 (62); Doehring, Spionage im Friedensvölkerrecht, S. 307 (307, 311, 314); ders., ZRP 1995, 293 (293 f.); ders., Völkerrecht, Rn. 1159; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (580); Frowein/Wolfrum/Schuster (Hrsg.), Gutachten, S. 9; Gusy, NZWehrr 1984, 187 (197); Hinz, Spionage, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 298 (300); Mössner, NJW 1982, 1196 (1198); Schuster, ZaöRV 51 (1991), 651 (657); Stein/Marauhn, ZaöRV 60 (2000), 1 (32). 40 BVerfGE 92, 277 (328) = NJW 1995, 1811 (1814); BGHSt 37, 305 (308) = NJW 1991, 929 (930); Doehring, Spionage im Friedensvölkerrecht, S. 307 (312 ff.); Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 87, 100, 122; LK-StGB-Gribbohm, § 5 Rn. 14; Gusy, NZWehrr 1984, 187 (197); Hinz, Spionage, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 298 (300); Kunig in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rn. 150; Mössner, NJW 1982, 1196 (1198). 41 BGH NJW 1991, 2498 (2499); BayObLGSt 1991, 127 (133 f.) = NStZ 1992, 281 (282); Doehring, ZRP 1995, 293 (294); Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 100. 42 Angeführt seien hier nur beispielhaft einige Entscheidungen bundesdeutscher Gerichte: BGHSt 25, 145 = NJW 1973, 1288; BGHSt 28, 169 = NJW 1979, 54; BGHSt 28, 318 = NJW 1979, 1666; BGHSt 29, 325 = NJW 1980, 2653; BGHSt 31, 317 = NJW 1984, 184; BGHSt 32, 104 = NJW 1984, 2769; BGH NStZ 1986, 165; BGH NStZ 1996, 492; BayObLGSt 1991, 127 (127 f.) = NStZ 1992, 281 (281); BayObLG MDR 1994, 821; KG Berlin NJW 1987, 1372; OLG Hamburg NJW 1989, 1371. 39
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ohne Einschränkung durch die Staatenimmunität völkerrechtlich befugt zu sein. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Staatenimmunität – Rechtsüberzeugung und Übung – kann nicht in Zweifel gezogen werden. Die Staatenimmunität erfährt also eine Ausnahme bei Spionagehandlungen, die im Staatsgebiet des ausspionierten Staates vorgenommen werden.43 Weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur finden sich Stimmen, die bei einer im Gebiet des strafenden Staates ausgeübten Spionage eine Strafverfolgung für unvereinbar mit der Staatenimmunität halten. Auch im „berühmten“ Spionagefall des 1960 über dem Staatsgebiet der UdSSR abgeschossenen usamerikanischen Aufklärungsflugzeugs U 2 wurde die Zulässigkeit der Verurteilung des Piloten Powers durch ein sowjetisches Gericht von den USA nicht bestritten.44 Im Fall des 1981 in schwedischen Gewässern auf Grund gelaufenen sowjetischen U-Boots U-137, das aller Wahrscheinlichkeit nach einen Spionageauftrag hatte, erfolgte die Freigabe von Boot und Besatzung zwar schließlich verbunden mit einer Gewährung von Immunität für die Besatzung, doch wurde ausdrücklich betont, die Immunitätsgewährung erfolge ad hoc aus Gründen politischer Opportunität und nicht, weil Schweden sich dazu für verpflichtet halte.45 Das Völkerrecht erlaubt also die Bestrafung im eigenen Staatsgebiet durchgeführter Spionage, auch wenn sie von staatlichen Funktionsträgern anderer Staaten begangen wurde. Da nach hier vertretener Auffassung die in fremdem Staatsgebiet begangene staatlich veranlaßte Spionage völkerrechtswidrig ist, ergibt sich bei dieser Fallkonstellation auch nicht die als „juristische Schizophrenie“46 bezeichnete Situation, daß ein Verhalten einerseits erlaubt ist, andererseits aber seine strafrecht___________ So die in Anm. 4 aufgeführte Rechtsprechung und Literatur sowie BGHSt 39, 260 (263) = NJW 1993, 3147 (3147); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 113; Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (252, 257, 263); Frowein/Wolfrum/Schuster (Hrsg.), Gutachten, S. 18 ff.; Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 87 f.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. I, §§ 455, 569; Langkau, Kriegs- und Friedensspionage, S. 268 f.; Schuck, Spionage, S. 25, 129; Simma/Volk, NJW 1991, 871 (873); Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1177; Wengler, Völkerrecht Bd. II, S. 953, 1055 Fn. 2; Wright, AJIL 54 (1960), 836 (850 f.); ders., in: Stanger (Hrsg.), Essays on Espionage, S. 3 (14). Die ohnehin problematische Konstruktion, zwar einerseits eine Mißachtung der Staatenimmunität bei einer Strafverfolgung zu konstatieren, diese aber andererseits wegen der Völkerrechtswidrigkeit der Spionage als völkerrechtsliche Repressalie zu rechtfertigen (so Kasper, NJ 1992, 432 [435]; ders., MDR 1994, 545 [546]), ist daher überflüssig. Verfehlt ist schon die Grundannahme von Kasper, Ausnahmen von der Staatenimmunität seien nur bei solchen Taten möglich, die nach Völkerstrafrecht strafbar sind (Kasper, NJ 1992, 432 [433 f.]; ders., MDR 1994, 545 [545]). 44 Vgl. Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (317); Frowein/Wolfrum/Schuster (Hrsg.), Gutachten, S. 19; Hinz, Spionage, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 298 (300); Wright, AJIL 54 (1960), 836 (836 ff.). Siehe zu diesem Vorfall auch unten § 21 II.3.c)aa). 45 Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (295 ff., insb. 296, 312 ff.); Frowein/Wolfrum/Schuster (Hrsg.), Gutachten, S. 20 Fn. 41; Leifland, ÖZfAP 22 (1982), 138 (142); Mössner, NJW 1982, 1196 (1196 ff.). Siehe ausführlich zu diesem Vorfall unten § 21 I.3.c)aa). 46 Doehring, Spionage im Friedensvölkerrecht, S. 307 (308); ders., ZRP 1995, 293 (294). 43
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liche Ahndung ebenso gestattet ist. Der Befund der Zulässigkeit einer Bestrafung und einer Ausnahme von der Staatenimmunität ist auch rechtspolitisch sinnvoll. Zwar ist die Legitimationsgrundlage der Bestrafung fremder Spione auch bei der Friedensspionage sehr begrenzt. Denn die Bestrafung von Spionen beruht nicht auf einem allgemeinen sozialethischen Unwerturteil, sondern dient nur dem Zweck der Abwehr und dem Schutz vor fremder Spionage.47 Doch genau dieser Zweck der Bestrafung reicht als Legitimationsgrundlage aus. Der durch Spionage betroffene Staat hat ein berechtigtes Interesse, eine Ausforschung von Geheimnissen abzuwehren, und seinen Bürgern gegenüber sogar die Pflicht, sich vor Verletzungen seiner Integrität zu schützen und ihnen damit den notwendigen Freiraum zu persönlicher und politischer Selbstbestimmung zu gewährleisten.48 bb) Vom Ausland aus betriebene Spionage Schwieriger zu beantworten ist die Frage, inwieweit das Völkerrecht eine strafrechtliche Ahndung ausschließlich im Ausland – also außerhalb des Staatsgebiets des ausspionierten Staates – begangener Agententätigkeit erlaubt.49 Zwar können gegen die Festlegung einer Strafbarkeit von Spionagehandlungen, die vom Ausland aus begangen werden, keine völkerrechtlichen Bedenken erhoben werden. Diese läßt sich mit dem völkerrechtlich anerkannten (Staats-)Schutzprinzip rechtfertigen.50 Auch einer tatsächlichen Strafverfolgung von Tätern „privater“ (Wirtschafts-)Spionage stehen völkerrechtliche Normen nicht entgegen.51 In der Literatur wird aber zum Teil angenommen, die strafrechtliche Verfolgung von Spionen, die im Ausland in staatlichem Auftrag tätig geworden sind, verstoße gegen die ___________ BVerfGE 92, 277 (328 f.) = NJW 1995, 1811 (1814 f.); Doehring, Spionage im Friedensvölkerrecht, S. 307 (311); ders., ZRP 1995, 293 (294 f.). 48 Vgl. BVerfGE 92, 277 (318) = NJW 1995, 1811 (1812). 49 Für die völkerrechtliche Differenzierung zwischen Inlands- und Auslandsspionage kommt es ausschließlich auf den Handlungsort an. Die Annahme eines inländischen Tatorts trotz alleinigen Handelns im Ausland durch das nationale Strafrecht einzelner Staaten, etwa über das Ubiquitätsprinzip des § 9 StGB, führt nicht dazu, daß auch völkerrechtlich – und damit für die hier zu beurteilende Frage der Reichweite der Staatenimmunität – von einer Tat im Staatsgebiet des ausspionierten Staates ausgegangen werden darf. 50 BVerfGE 92, 277 (317 f., 321) = NJW 1995, 1811 (1812 f.); BGH NJW 1991, 2498 (2498 f.); BGHSt 39, 260 (269) = NJW 1993, 3147 (3149); BGHSt 37, 305 (307) = NJW 1991, 929 (930). Ferner Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 322; Doehring, Völkerrecht, Rn. 817, 1159; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 7; Frowein/Wolfrum/ Schuster (Hrsg.), Gutachten, S. 11 ff. mit Nachw. zur Staatenpraxis; Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 78 f.; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 129, § 5 Rn. 13; Schuster, ZaöRV 51 (1991), 651 (657 f.); Simma/Volk, NJW 1991, 871 (872 f.); LK-StGB-Träger, vor § 93 Rn. 6. Bedenken gegen die Ausweitung der Strafbarkeit wegen Spionage aufgrund des Schutzprinzips auf Auslandstaten werden aber erhoben von Albrecht/Kadelbach, NJ 1992, 137 (139) und Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 597. 51 Dies wird auch von Kasper, NJ 1992, 432 (432, 434) anerkannt, der ansonsten die Geltung der Staatenimmunität bei Auslandsspionagetaten bejaht. 47
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Staatenimmunität.52 Das Bestehen einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei Spionage wird von diesen Autoren verneint, soweit es um Spionagehandlungen außerhalb des Gebiets des betroffenen Staates geht. Verwiesen wird auf Fälle aus der Staatenpraxis, in denen solche Spionagetaten nicht geahndet wurden.53 Angeführt wird vor allem ein Fall aus der schwedischen Rechtsprechung: Der deutsche Staatsangehörige Hanswolf von Herder spionierte während der deutschen Besetzung Norwegens im Zweiten Weltkrieg von dort aus für den deutschen Geheimdienst gegen Schweden. Da Schweden während des Krieges neutral war, handelte es sich um Friedensspionage. Der oberste Gerichtshof Schwedens, vor dem sich von Herder schließlich zu verantworten hatte, bestätigte in seinem Urteil vom 1. Februar 1946 zwar die grundsätzliche Zulässigkeit des Schutzprinzips und damit die Erfassung von durch Ausländer im Ausland begangenen Taten, entschied aber, daß das Völkerrecht den Staaten eine Bestrafung nachrichtendienstlicher Tätigkeiten verbiete, die allein im Machtbereich eines anderen Staates begangen wurden.54
Die weiteren genannten Fälle vermögen dagegen die These einer Geltung der Staatenimmunität bei Auslandsspionagetaten kaum zu stützen. Die als Beleg angeführte55 Entscheidung des deutschen Reichsgerichts aus dem Jahr 188756 bezog sich auf Hochverrat, nicht auf Spionage. Der Verweis auf die während des Zweiten Weltkrieges getroffene Entscheidung des Deutschen Reichs, Spione, die von Gebieten aus, die von deutschen Truppen besetzt worden waren, vor dem Krieg gegen Deutschland spioniert hatten, nicht zu verfolgen, es sei denn, es handelte sich um Volksdeutsche oder um als Privatpersonen tätig gewesene Agenten,57 ist insofern wenig aussagekräftig, als alles dafür spricht, daß sich die NS-Führung nicht aus völkerrechtlichen Gründen an der Verfolgung gehindert sah, sondern diese nur aus Gründen politischer Opportunität nicht durchführen wollte.58 Auch die Tatsache, daß nach dem Zweiten Weltkrieg die Besatzungsmächte die deutschen Spione, die vor Kriegsbeginn von Deutschland aus gegen die späteren Siegermächte Agententätigkeiten ausgeübt hatten, nicht bestraften,59 ist wohl nicht darauf zurückzufüh___________ Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (261, 263); Kasper, NJ 1992, 432 (433 f.); Wengler, Völkerrecht Bd. II, S. 938 Fn. 2. Ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Staatenimmunität gegen eine Verfolgbarkeit auch Jescheck, Verbrechen gegen das Völkerrecht, in: ders., Strafrecht im Dienste der Gemeinschaft, S. 492 (500 Fn. 42). So wohl auch Simma/Volk, NJW 1991, 871 (873) und Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1177: „Hingegen können Personen, die im geheimen Auftrag eines Staates im Ausland tätig werden, dort strafrechtlich verfolgt werden.“ (Hervorhebung durch den Verf.) 53 Vgl. insb. Kasper, NJ 1992, 432 (433 f.). 54 Schilderung des Falls bei Kasper, NJ 1992, 432 (434). Vgl. auch Jescheck, Verbrechen gegen das Völkerrecht, in: ders., Strafrecht im Dienste der Gemeinschaft, S. 492 (500 Fn. 42); Langkau, Kriegs- und Friedensspionage, S. 291 Fn. 2. 55 Kasper, NJ 1992, 432 (434). 56 RGSt 16, 165 (167). 57 Vgl. Kasper, NJ 1992, 432 (434). 58 Vgl. Koch, Volksgerichtshof, S. 168 f. Auch Schuck, Spionage, S. 22 ff. geht davon aus, daß jedenfalls nicht die Staatenimmunität der Grund für die Nichtverfolgung war. 59 Vgl. Kasper, NJ 1992, 432 (434). 52
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ren, daß man sich wegen der Staatenimmunität hieran gehindert sah, sondern eher darauf, daß man entweder die Täter nicht ermitteln konnte oder aber eine derartige Strafverfolgung für nicht sinnvoll hielt. Die genannte vereinzelte Staatenpraxis bildet mithin keine tragfähige Grundlage für die Annahme, im Ausland in staatlichem Auftrag tätige Spione seien dem Schutz der Staatenimmunität unterstellt.60 Vielmehr sind im Gegenteil Fälle nachweisbar, in denen im Ausland in staatlichem Auftrag tätig gewesenen Spionen ein Immunitätsschutz aufgrund hoheitlichen Handelns versagt wurde. Zu nennen ist hier der klassische Schnaebelé-Fall: Im Jahr 1887 wurde der an der deutsch-französischen Grenze im Elsaß stationierte französische Polizeibeamte Schnaebelé von der deutschen Polizei verhaftet, als er anläßlich einer Dienstbesprechung mit deutschen Kollegen, zu der er offiziell eingeladen worden war, nach Deutschland kam. Ihm wurde vorgeworfen, von Frankreich aus im Auftrag des Nachrichtenbüros des französischen Kriegsministeriums Spionagehandlungen gegen das deutsche Reich begangen zu haben. Der französische Botschafter in Berlin intervenierte daraufhin beim deutschen Staatssekretär des Auswärtigen und verlangte die Freilassung Schnaebelés. Frankreich berief sich aber nicht auf eine Immunität Schnaebelés, sondern darauf, er sei in eine Falle gelockt worden. Beide Seiten waren bemüht, den Fall auf freundschaftliche Weise zu einem schnellen Ende zu bringen. Schnaebelé wurde neun Tage nach seiner Verhaftung auf Erlaß des deutschen Kaisers freigelassen, die französische Regierung versetzte ihn im Gegenzug auf einen anderen Posten. Zwar kam es also nicht zu einer Verurteilung, doch ergibt sich aus einer Note Bismarcks, in der dem französischen Botschafter die Freilassung Schnaebelés notifiziert wurde, daß sich daß deutsche Reich jedenfalls nicht wegen einer Immunität Schnaebelés an einer Verurteilung gehindert sah. Vielmehr wurde betont, daß an der Rechtmäßigkeit des Haftbefehls kein Zweifel bestehe. Doch gehe man davon aus, daß „Grenzüberschreitungen, welche auf Grund dienstlicher Verabredungen zwischen Beamten benachbarter Staaten erfolgen, jederzeit als unter der stillschweigenden Zusicherung des freien Geleites stehend anzusehen seien.“61 In der Literatur wird zudem betont, unter anderen politischen Vorzeichen und wenn nicht deutliche Indizien für eine Schnaebelé gestellte Falle gesprochen hätten, wäre die Entscheidung möglicherweise anders ausgefallen.62
Auch Gerichtsentscheidungen aus den USA haben bei Spionagetaten vom Ausland aus eine Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit wegen Staatenimmunität verneint: Im Fall United States ./. Zehe, über den der District Court von Massachusetts im Jahr 1985 entschied, wurde ein Staatsbürger der DDR – Alfred Zehe –, der in Mexiko lebte, wegen Spionage verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, für den DDR-Geheimdienst einen amerikanischen Staatsbürger, der als Agent in den USA gearbeitet und militärische Geheimnisse an die DDR weitergegeben hatte, betreut zu haben. Er habe sich mit ihm in Mexiko-City und Berlin (Ost) getroffen, von ihm Material erhalten und ihm Anweisungen
___________ 60 Auch der BGH vermißt eine eindeutige Staatenpraxis, vgl. BGHSt 39, 260 (264) = NJW 1993, 3147 (3147). Ebenso Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 88. 61 Schilderung des Falls und Zitierung aus der Note nach Freudenberg, SchnaebeléFall, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 212 (212 f.). Vgl. auch Frowein/ Wolfrum/Schuster (Hrsg.), Gutachten, S. 21 f. mit Fn. 46. 62 Freudenberg, Schnaebelé-Fall, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 212 (213).
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gegeben. Zehe wurde während eines Besuchs in Boston verhaftet. Er wurde nach seiner Verurteilung dem Botschafter der DDR in Washington übergeben und durfte in die DDR ausreisen. Im Gegenzug wurden mehrere in der DDR inhaftierte US-Bürger freigelassen. Soweit erkennbar, wurde im Verfahren auf eine eventuelle Immunität Zehes nicht eingegangen.63 In einer Entscheidung des Distriktgerichts von New York, die ebenfalls aus dem Jahr 1985 stammt, wurde die Verfolgbarkeit einer Staatsbürgerin der DDR wegen Spionage bejaht, obwohl diese bei ihrer Verhaftung auf dem Flughafen von New York zum ersten Mal das Staatsgebiet der USA betreten hatte.64
In der Literatur werden zudem ähnliche – allerdings bereits sehr viel ältere – Urteile der französischen Cour de Cassation angeführt.65 Vor allem aber Entscheidungen bundesdeutscher Gerichte jüngeren Datums können gegen die Geltung der Staatenimmunität bei Auslandsspionagetaten ins Feld geführt werden. Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1990 führte die Bundesrepublik etliche Strafverfahren gegen ehemalige Mitarbeiter des Auslandsgeheimdienstes der DDR durch, die zuvor ausschließlich in der Zentrale des DDR-Geheimdienstes – also im Staatsgebiet der DDR – tätig gewesen waren und niemals den Boden der BRD betreten hatten. Auch wenn umstritten war, ob angesichts der besonderen Situation der deutschen Vereinigung eine strafrechtliche Ahndung der DDR-Spionage mit Völker- und Verfassungsrecht vereinbar war,66 so wurde doch von keinem Gericht ein Verbot einer Strafverfolgung wegen Staatenimmunität angenommen.67 Unabhängig von der Frage, ob die Staatenimmunität früherer DDR-Funktionsträger wegen des Untergangs der DDR als Völkerrechtssubjekt entfallen war,68 wurde in allen Gerichtsentscheidungen, die sich mit der Frage einer Immunität der DDR-Spione auseinandersetzten, betont, die Staatenimmunität gelte wegen des Charakters der Taten als Spionagetaten nicht.69 ___________ US District Court von Massachusetts, Urteil vom 29.1.1985, 601 F.Supp. 196. Siehe auch Frowein/Wolfrum/Schuster (Hrsg.), Gutachten, S. 14 f., 21 und Krizek, B.U.Int’l L.J. 6 (1988), 337 (349 ff.). 64 Urteil des US District Court, District of New York im Verfahren United States ./. Michelson vom 30.4.1985, 607 F.Supp. 693; vgl. auch Frowein/Wolfrum/Schuster (Hrsg.), Gutachten, S. 15 Fn. 29. 65 Frowein/Wolfrum/Schuster (Hrsg.), Gutachten, S. 14 Fn. 26: Im Fall Bayot wurde ein Belgier 1923 wegen Weitergabe französischer Geheimnisse an Deutschland von Belgien aus verurteilt. Im Fall Urios verurteilte das Gericht 1920 einen Ausländer, der in Spanien französische Geheimnisse an den Feind verraten hatte. 66 Siehe ausführlich zur strafrechtlichen Ahndung der „DDR-Spionage“ Kreicker, in: Eser/Arnold (Hrsg.), Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht, Bd. 2: Deutschland, S. 277 ff. m.w.N. 67 Vgl. BVerfGE 92, 277 = NJW 1995, 1811; BGHSt 37, 305 = NJW 1991, 929; BGH NJW 1991, 2498; BGHSt 39, 260 = NJW 1993, 3147; BayObLGSt 1991, 127 = NStZ 1992, 281; KG Berlin NJW 1991, 2501; OLG Stuttgart NJW 1993, 1406. 68 Siehe hierzu unten § 8. 69 BVerfGE 92, 277 (321) = NJW 1995, 1811 (1813); BGH NJW 1991, 929 (930, insoweit in BGHSt 37, 305 nicht abgedruckt. Zwar wird hier nicht explizit von der Staaten63
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Insbesondere auch in den Judikaten, die zwischen Inlands- und Auslandsspionage differenzierten, wurde davon ausgegangen, daß die Staatenimmunität der strafrechtlichen Ahndung von Auslandsspionagetaten nicht entgegensteht.70 Das BVerfG hat die Frage, ob die ehemals für die DDR allein auf deren Staatsgebiet tätig gewesenen Spione von der Bundesrepublik bestraft werden dürfen, zwar im Ergebnis verneint. Doch geschah dies nicht, weil das BVerfG die Bestrafung im Ausland gegen die Bundesrepublik agierender Spione für völkerrechtswidrig hielt, sondern weil das Gericht annahm, aufgrund der besonderen, singulären Situation der deutschen Vereinigung ergebe sich aus Art. 2 GG in Verbindung mit dem im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein unmittelbar verfassungsrechtlich begründetes Verfolgungshindernis.71 Ferner gibt es veröffentlichte Entscheidungen bundesdeutscher Gerichte zur Bestrafung von Auslandsspionagetaten, die nicht im besonderen Kontext der Aufar-
___________ immunität gesprochen, in der Sache aber wird sie diskutiert); BGH NJW 1991, 2498 (2499); BGHSt 39, 260 (263 f.) = NJW 1993, 3147 (3147 f.). 70 In BGHSt 39, 260 (263 f.) = NJW 1993, 3147 (3147 f.) wird darauf hingewiesen, daß zwar im Schrifttum die Spionage vom Heimatstaat aus teilweise dem Immunitätsschutz unterstellt werde, gleichwohl aber betont, daß dies jedenfalls nicht für Personen gelten könne, die eingebunden in konkrete nachrichtendienstliche Operationen eng mit den unmittelbar im ausspionierten Staat tätigen Agenten zusammenarbeiten. Ihr Verhalten sei einer Tätigkeit auf dem Gebiet des strafverfolgenden Staates aufgrund der vergleichbaren Beeinträchtigung der territorialen und personalen Hoheit des betroffenen Staates sachlich gleichzustellen. Durch die unterschiedslose Gewährung von Immunitätsschutz würde der nach dem Schutzprinzip anerkannten Befugnis eines Staates, auch im Ausland begangene Spionage zu bestrafen, ihre praktische Bedeutung weitgehend wieder entzogen. Diese Argumentation kann aber nicht überzeugen. Ob eine Ausnahme vom Grundsatz der Staatenimmunität besteht, ist allein danach zu bestimmen, ob entsprechendes Völkergewohnheitsrecht nachgewiesen werden kann. Ob eine Gleichstellung der im Ausland tätigen Agenten mit den im Inland agierenden gerechtfertigt ist, ist dabei unerheblich. Auch liefe die Befugnis, nach dem Schutzprinzip im Ausland begangene, gegen den eigenen Staat gerichtete Spionagetaten dem eigenen Strafrecht zu unterwerfen, bei einer Anerkennung der Geltung der Staatenimmunität nicht völlig leer, da die Staatenimmunität eine Verfolgbarkeit „privater“ (Industrie-)Spionage nicht entgegensteht (kritisch auch Träger, NStZ 1994, 282 [282]). Gewichtig und letztlich für die Beurteilung entscheidend ist dagegen das ebenfalls genannte Argument, daß ausreichende Belege für eine Staatenpraxis, nach der Immunitätsschutz bei Spionage vom Ausland aus gewährt wird, nicht vorhanden sind. Implizit gegen eine Geltung des Grundsatzes der Staatenimmunität für Auslandsspionagetaten auch BGH NJW 1991, 929 (930, insoweit in BGHSt 37, 305 nicht abgedruckt), wobei zur Begründung aber nur auf das schutzwürdige Interesse der BRD an einer strafrechtlichen Verfolgbarkeit der Taten rekurriert wird. 71 BVerfGE 92, 277 (316 f., 325 ff.) = NJW 1995, 1811 (1812, 1814 ff.). Vgl. Kreicker, in: Eser/Arnold (Hrsg.), Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht, Bd. 2: Deutschland, S. 291 ff. m.w.N.
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beitung des DDR-Unrechts stehen. Auch in diesen wurde kein Verfolgungshindernis wegen Staatenimmunität angenommen.72 Als Ergebnis der Betrachtung der Staatenpraxis ist damit festzuhalten, daß auch im Ausland begangene staatlich veranlaßte Spionage nicht vom Schutz der Staatenimmunität umfaßt ist, diese also auch insofern eine Ausnahme erfährt.73 Zwar ist nach hier vertretener Auffassung die vom Ausland aus betriebene Friedensspionage völkerrechtskonform. Doch bedeutet dies anders als bei der Kriegsspionage nicht, daß die völkerrechtliche Legalität dieser Spionage als völkerrechtlicher Rechtfertigungsgrund einer Bestrafung entgegengehalten werden könnte. Vielmehr gilt, daß das Völkerrecht in den Fällen, in denen es Friedensspionage erlaubt, gleichzeitig auch die Bestrafung der Spione durch den ausspionierten Staat gestattet.74 Auch die Ausnahme von der Staatenimmunität bei Auslandsspionagetaten ist rechtspolitisch sinnvoll. Denn auch bei solchen Taten besteht ein besonders schutzwürdiges Interesse des betroffenen Staates, sich mittels strafrechtlicher Sanktionen gegen eine Ausforschung zu wehren. Ebenso wie bei der Inlandsspionage kann auch bei der Auslandsspionage die Außerachtlassung des aus dem Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten folgenden Verbots, über fremde Hoheitsakte Gerichtsbarkeit auszuüben, damit legitimiert werden, daß der spionierende Staat seinerseits wichtige und schutzwürdige Interessen des strafenden Staates verletzt. 3. Fazit Als Fazit ist festzuhalten, daß die Staatenimmunität sowohl bei Kriegs- als auch bei Friedensspionage eine Ausnahme erfährt. Unerheblich ist, ob die Spionage auf dem Gebiet des strafenden Staates ausgeübt oder vom Ausland aus begangen wird. Zu betonen ist allerdings, daß die Ausnahme von der Staatenimmunität bei Spionagetaten nur insoweit gilt, als die zu beurteilende Tat dem oben skizzierten völkerrechtlichen Spionagebegriff unterfällt. Die völkerrechtliche Ausnahme von der ___________ 72 Siehe etwa BayObLGSt 1957, 84 = NJW 1957, 1327; OLG Düsseldorf NJW 1983, 1277 sowie BGHSt 6, 349 (350 ff.) und BGHSt 13, 46 (50) = NJW 1959, 1501 (1502). In den BGH-Entscheidungen wird die Strafbarkeit der Auslandsspionage betont, aber mit keinem Wort auf mögliche Schranken einer Strafverfolgung wegen Staatenimmunität eingegangen. 73 Ebenso in der Literatur Frowein/Wolfrum/Schuster (Hrsg.), Gutachten, S. 18 ff.; Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 87 ff.; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 352; Herdegen, Völkerrecht, § 26 Rn. 12; Schünemann, in: Lampe (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung, Bd. 2, 173 (180); Schuck, Spionage, S. 25; Schuster, ZaöRV 51 (1991), 651 (657 f.) sowie die in Anm. 4 genannten Autoren. 74 BVerfGE 92, 277 (321, 328) = NJW 1995, 1811 (1813 f.); BGH NJW 1991, 2498 (2499); BayObLGSt 1991, 127 (133 f.) = NStZ 1992, 281 (282); Schünemann, in: Lampe (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung, Bd. 2, 173 (180). A.A. aber Schönke/Schröder-Eser, § 5 Rn. 10.
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Staatenimmunität bei Spionagehandlungen berechtigt den ausspionierten Staat, die durch fremdstaatliche Funktionsträger begangene Agententätigkeit umfassend strafrechtlich zu ahnden. Das Völkerrecht beschränkt die Staaten nicht darauf, eine Bestrafung lediglich auf die eigentlichen Spionagestraftatbestände (etwa §§ 94, 99 StGB) zu stützen. Vielmehr darf der Lebenssachverhalt, der sich bei einer natürlichen Betrachtungsweise als einheitliches Spionagegeschehen im Sinne der völkerrechtlichen Spionagedefinition darstellt, insgesamt der Strafverfolgung unterworfen werden. Auch eine Strafverfolgung wegen Begleittaten wie etwa Bestechung (§ 334 StGB), Verletzung des Dienstgeheimnisses (§ 353b StGB), Urkundenfälschung (§ 267 StGB), Verletzung des Briefgeheimnisses (§ 202 StGB) oder Ausspähen von Daten (§ 202a StGB) verstößt damit nicht gegen den Grundsatz der Staatenimmunität.75 Hinzuweisen ist abschließend aber darauf, daß zwar die Staatenimmunität bei Spionagetaten nicht einschlägig ist, daß aber andere Immunitäten sehr wohl eine Verfolgbarkeit von Spionagehandlungen ausschließen können.76
II. Ausnahmen von der Staatenimmunität bei Taten gegen die Existenz, den Bestand oder die Verfassungsordnung eines Staates Wie soeben gezeigt wurde, gilt die Staatenimmunität bei Spionagetaten nicht, da durch fremdstaatlich veranlaßte Spionage wichtige schutzwürdige Interessen des betroffenen Staates gefährdet werden. Das Völkerrecht gestattet dem betroffenen Staat daher die Abwehr dieser Gefahr auch mit dem Mittel des Strafrechts. Wenn aber bereits bei jeder abstrakten und regelmäßig nicht existenzbedrohenden Gefährdung staatlicher Interessen durch Spionageaktivitäten eine Ausnahme vom Grundsatz der Staatenimmunität völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung gefunden hat, dann muß erst recht eine Ausnahme von der Staatenimmunität gelten bei Taten, die fremdstaatliche Interessen qualitativ stärker bedrohen, also den betroffenen Staat stärker und unmittelbarer gefährden als Spionagetaten. Im Wege eines Schlusses a minori ad maius muß daher auch bei Handlungen, die die völkerrechtliche Existenz eines Staates, seinen Bestand77 oder seine verfassungsmäßige Ordnung78 bedrohen, von einer Nichtgeltung der Staatenimmunität ausgegangen wer___________ Ebenso BVerfGE 92, 277 (320) = NJW 1995, 1811 (1812 f.). Vgl. in bezug auf die diplomatischen und konsularischen Exemtionen unten § 13 I.1.a)ff). 77 Unter Bestand eines Staates ist nicht nur in räumlicher Hinsicht das Staatsgebiet zu verstehen, so daß beispielsweise Handlungen, durch die ein Teil des Staatsgebiets einem anderen Staat einverleibt wird, eine Bestandsverletzung darstellen. Vielmehr liegt eine Bestandsbeeinträchtigung auch vor bei einer durch eine völkerrechtswidrige Intervention bewirkten Aufhebung der politischen Unabhängigkeit (etwa durch eine Verwandlung in ein Protektorat oder einen Satellitenstaat). So auch die Legaldefinition für das bundesdeutsche Strafrecht in § 92 Abs. 1 StGB; vgl. Fischer, in: Tröndle/Fischer, § 92 Rn. 2 ff. 78 Zum Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung, der vom StGB bei den Hochverratstatbeständen verwendet wird, vgl. BGHSt 6, 336 (338 f.); BGHSt 7, 222 (226 f.); Fischer, 75 76
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den. Auch und gerade bei solchen Taten besteht ein berechtigtes Interesse des betroffenen Staates, sich mit dem Mittel des Strafrechts gegen Bedrohungen und Gefährdungen zu wehren. Ein solcher Schluß a minori ad maius ist auch im Völkerrecht nicht unzulässig. Insofern ist es letztlich unerheblich, daß ein eindeutiger Nachweis einer völkergewohnheitsrechtlichen Regel, die explizit eine Ausnahme von der Staatenimmunität bei gegen die Existenz oder Verfassungsordnung eines fremden Staates gerichteten Taten normiert, nur schwer zu erbringen ist. Zwar wird man von einer Rechtsüberzeugung der Staaten ausgehen dürfen, zu einer strafrechtlichen Ahndung solcher Taten auch dann berechtigt zu sein, wenn sie – wie das häufig der Fall ist – von einem anderen Staat initiiert und gelenkt wurden. Dies zeigt sich zum einen daran, daß das Staatsschutzstrafrecht der Staaten in aller Regel auch solche fremdstaatlich zu verantwortenden Taten pönalisiert und auch reine Auslandstaten unter Strafe stellt. Zudem wurde oben in § 6 I. gezeigt, daß die Staatenimmunität im Fall l des als völkerrechtliches Verbrechen zu bewertenden Angriffskrieges eine völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme erfährt, also die Staaten jedenfalls in diesem schwersten Fall einer Gefährdung der Existenz und des Bestands eines Staates von einer Nichtgeltung der Staatenimmunität ausgehen. Wenn aber sowohl im Fall l von Spionageaktivitäten als auch bei völkerrechtswidrigen Angriffshandlungen eine klare Rechtsüberzeugung dahingehend nachweisbar ist, daß die Staatenimmunität nicht gilt, so wird man auch generell für Taten, die die Existenz, den Bestand oder die Verfassungsordnung eines Staates gefährden, von einer Rechtsüberzeugung der Staaten ausgehen dürfen, daß der gefährdete Staat ohne Rücksicht auf die Staatenimmunität zu einer strafrechtlichen Ahndung befugt ist. Eine hinreichende Staatenpraxis – das zweite konstitutive Element von Völkergewohnheitsrecht –, in der sich diese Rechtsüberzeugung manifestiert, ist aber kaum nachzuweisen. Doch ist dieser „Mangel“ lediglich darauf zurückzuführen, daß derartige Taten in der Praxis kaum vorkommen, vor allem aber bei solchen Taten, die durch fremdstaatliche Funktionsträger begangen werden, eine Strafverfolgung normalerweise nicht stattfinden kann, da sich die Täter regelmäßig im Gebiet ihres Staates aufhalten und für den betroffenen Staat nicht erreichbar sind.79 ___________ in: Tröndle/Fischer, § 81 Rn. 4; LK-StGB-Laufhütte, § 81 Rn. 6 ff. Der Begriff, der hier im Sinne des strafrechtlichen Verständnisses gebraucht wird, umfaßt für Deutschland sämtliche das Wesen der freiheitlichen Demokratie ausmachende, sich in der konkreten tatsächlichen Staatsverfassung widerspiegelnde Grundlagen und Prinzipien des Zusammenlebens im Staat und der Staatswillensbildung, soweit sie sich auf das Grundgesetz zurückführen lassen. Dies sind vornehmlich die Regeln des Staatsorganisationsrechts und die Grundrechte. Eine Beeinträchtigung der verfassungsmäßigen Ordnung wäre beispielsweise der von einem anderen Staat initiierte Sturz einer Regierung. 79 Die Entscheidung RGSt 16, 165 aus dem Jahr 1887, in der die Zulässigkeit einer Bestrafung fremdstaatlicher Funktionsträger wegen Hochverrats (durch Vorbereitung eines Angriffskrieges) verneint wurde, ist durch die Völkerrechtsentwicklung überholt und kann daher nicht (mehr) als gerade gegenteilige Staatenpraxis ins Feld geführt werden.
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Daher darf dem Fehlen einer klaren Staatenpraxis, in der sich die Existenz einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei den hier diskutierten Taten manifestiert, keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden.80 Zudem läßt sich die Nichtgeltung der Staatenimmunität bei gegen die Existenz, den Bestand oder die Verfassungsordnung eines Staates gerichteten Taten auch unabhängig vom Nachweis einer entsprechenden konkreten völkergewohnheitsrechtlichen Norm begründen: Derartige Taten sind, sofern sie in fremdstaatlichem Auftrag begangen werden und damit einem fremden Staat zurechenbar sind, stets völkerrechtswidrig. Sie verstoßen gegen den Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten (Art. 2 Nr. 1 UN-Charta), gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot und bei Gewalteinsatz auch gegen das allgemeine völkerrechtliche Gewaltverbot (Art. 2 Nr. 4 UN-Charta).81 Sie verletzen also unmittelbar staatliche Souveränitätsrechte. Ein Staat, der in einer solchen Weise fremdstaatliche Souveränität mißachtet, kann sich aber gegenüber dem verletzten Staat nicht durch Berufung auf die ihm zukommende Staatenimmunität und damit letztlich unter Berufung auf seine Souveränitätsrechte gegen eine Abwehr und Ahndung dieser Souveränitätsverletzung durch Strafverfolgung der handelnden Funktionsträger verwahren. Durch seine Mißachtung fremdstaatlicher Souveränität verwirkt er das Recht, sich seinerseits gegenüber dem verletzten Staat auf die ihm zukommende Souveränität, sprich auf die Staatenimmunität, zu berufen. In der Literatur wird noch weitergehend sogar davon gesprochen, die Staatenimmunität gelte generell bei schweren Völkerrechtsverletzungen nicht, also unabhängig davon, ob es sich um völkerstrafrechtlich pönalisierte schwere Völker___________ Vgl. zur grundsätzlichen Notwendigkeit einer völkerrechtlichen Übung als konstitutivem Merkmal von Völkergewohnheitsrecht neben einer entsprechenden Rechtsüberzeugung BVerfGE 95, 96 (129) = NJW 1997, 929 (929); BVerfGE 96, 68 (86 f.) = NJW 1998, 50 (53); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 55 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 286 ff.; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rn. 2 ff. Zwar wird man prinzipiell daran festzuhalten haben, daß für Völkergewohnheitsrecht die beiden Merkmale einer Rechtsüberzeugung der Staaten sowie einer (unter Umständen auch sehr kurzen) Staatenpraxis vorliegen müssen; doch kann man das Merkmal der Staatenpraxis dann vernachlässigen, wenn die fehlende Staatenpraxis lediglich darauf zurückzuführen ist, daß in der Praxis keine Fälle auftauchen, in denen die Völkerrechtsregel Anwendung finden könnte, man die fehlende Staatenpraxis also nicht als bewußtes Unterlassen und damit als Anzeichen einer gerade gegenteiligen Rechtsüberzeugung ansehen muß. Denn das Merkmal der Staatenpraxis ist deshalb grundsätzlich zu fordern, weil sich die Rechtsüberzeugung von Staaten in staatlichem Handeln oder Unterlassen manifestiert und so einigermaßen sicher festzustellen ist. Dem konstitutiven Merkmal der Staatenpraxis kommt damit die Bedeutung zu, das Merkmal der Rechtsüberzeugung zu bestätigen. Dann aber ist letztlich Rechtsgrund für Völkergewohnheitsrecht die Rechtsüberzeugung der Staatengemeinschaft. 81 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 190, 193, 456, 568 f.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rn. 1, 9 ff., 50 ff.; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 306 ff., 341 ff.; SeidlHohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1444 f., 1783e ff. Siehe auch den ersten, dritten und sechsten Grundsatz der Friendly Relations Declaration der UN-Generalversammlung vom 24.10.1970 (UN GA Res. 2625 [XXV]), AJIL 65 [1971], 243, dt. Übers. in VN 1978, 138). 80
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rechtsverletzungen handelt oder um schwere Völkerrechtsverletzungen, die keine derartige Pönalisierung erfahren haben.82 In dieser Pauschalität findet diese Aussage aber keinen Rückhalt im geltenden Völkerrecht. Vielmehr ist – wie in der vorliegenden Untersuchung – auf konkrete Fallgruppen abzustellen. Da aber gegen die Existenz, den Bestand oder die Verfassungsordnung eines Staates gerichtete Taten stets mit einer schweren Völkerrechtsverletzung verbunden sind, kann diese Literaturmeinung als Bestätigung der hier vertretenen Auffassung gelten. Für das deutsche Strafrecht folgt aus den hier getroffenen Feststellungen, daß die Staatenimmunität einer strafrechtlichen Ahndung von Handlungen, die durch die Tatbestände des ersten und zweiten Titels des Besonderen Teils des StGB (Friedensverrat und Hochverrat) erfaßt werden, nicht entgegensteht.83
III. Ausnahmen von der Staatenimmunität bei geheimdienstlichen Gewalttaten Von durchaus nicht unerheblicher praktischer Relevanz ist die Frage, ob die Staatenimmunität auch bei auf staatliche Veranlassung hin begangenen geheimdienstlichen Gewalttaten eine Ausnahme erfährt.84 In der Literatur wird diese Frage ___________ So etwa Jescheck, GA 1981, 49 (54 f.); Schroeder, JZ 1969, 41 (48); Wengler, Völkerrecht Bd. II, S. 955. Noch weitergehend Dahm, Problematik des Völkerstrafrechts, S. 43 ff., der aus allgemeinen Überlegungen heraus bei allen Taten, die in den Hoheitsbereich eines anderen Staates unter Verletzung von dessen Strafgesetzen eingreifen, die Staatenimmunität nicht gelten lassen will. Dabei nennt er als mögliche Taten ausdrücklich solche, die die Existenz des Staates berühren, namentlich Hochverrat und die völkerrechtswidrige Entfesselung eines Krieges. 83 Da sich die Ausnahme von der Staatenimmunität auf den gesamten Lebenssachverhalt bezieht, der als Friedens- oder Hochverrat einzustufen ist, dürfen die verantwortlichen fremdstaatlichen Funktionsträger auch für die einzelnen vorgenommenen Handlungen – etwa Tötungs- oder Körperverletzungshandlungen, Nötigung von Verfassungsorganen oder Wahlfälschung – unter Heranziehung der einschlägigen Tatbestände bestraft werden, ohne daß die Staatenimmunität einer Strafverfolgung entgegenstünde. 84 Die Ausführungen beschränken sich auf geheimdienstliche Gewaltakte in Friedenszeiten. Zu den im Rahmen eines internationalen bewaffneten Konflikts, also eines zwischenstaatlichen Krieges, begangenen geheimdienstlichen Sabotage- und Gewaltakten sei nur folgendes festgestellt: Von einer kriegführenden Partei mit dem Ziel der Schädigung einer gegnerischen Partei verdeckt begangene (also durch Personen, die nicht durch Tragen der Uniform der Streitkräfte des eigenen Staates als Kombattanten erkennbar sind) und gegen Personen oder Sachwerte des Gegners gerichtete Gewaltakte sind zwar in Kriegen üblich – auf deutscher Seite gab es im Zweiten Weltkrieg als Kommandoeinheit für solche Aufgaben die dem militärischen Geheimdienst unterstellte „Division Brandenburg“ –, gleichwohl aber kriegsvölkerrechtlich verboten (vgl. nur Art. 39 Abs. 2 und Art. 44 Abs. 3 ZP I). Für vom humanitären Völkerrecht verbotene Handlungen aber gilt die Staatenimmunität nicht, und zwar selbst dann nicht, wenn die Handlungen nicht unmittelbar nach Völkerstrafrecht strafbar sind, also keine Kriegsverbrechen im Sinne unmittelbar nach Völkerrecht strafbarer Handlungen sind (vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 11 [13]). Eine strafrechtliche Ahndung von im Rahmen eines internationalen bewaffneten Konflikts begange82
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ganz überwiegend bejaht, also eine Geltung der Staatenimmunität bei geheimdienstlichen Gewalttaten verneint.85 Im folgenden soll untersucht werden, ob diese Auffassung zutreffend ist. 1. Der Begriff „geheimdienstliche Gewalttaten“ Unter den Begriff „geheimdienstliche Gewalttaten“ fallen im vorliegenden Zusammenhang politisch motivierte Angriffe auf Personen oder Sachgüter, bei denen der Tod oder die Verletzung von Menschen bzw. die Zerstörung oder Beschädigung von Gegenständen beabsichtigt oder zumindest in Kauf genommen wird und bei denen die Taten zum einen verdeckt, also heimlich, und zum anderen von einem staatlichen Geheimdienst oder zumindest auf staatliche Veranlassung hin begangen werden. Der Begriff „geheimdienstliche Gewalttaten“ ist also weit zu fassen. Als in der Praxis relevant gewordene Fallkonstellationen sind zu nennen die Tötung von politischen Gegnern – etwa von Exilpolitikern oder Regimegegnern – durch staatliche Geheimdienste,86 von diesen durchgeführte Bombenanschläge auf Gebäude oder Flugzeuge, staatliche Entführungen von Personen aus dem Ausland, um sie im eigenen Land wegen angeblicher Straftaten zur Verantwortung zu ziehen, aber auch das „Verschwindenlassen“ von politischen Gegnern. Taten wie die in letzter Zeit vermehrt zu verzeichnenden Terroranschläge islamistischer Gruppierungen gehören dagegen nicht zu den hier interessierenden Gewaltakten. Denn einer strafrechtlichen Ahndung solcher Taten vermag die Staatenimmunität als eine auf hoheitlich-dienstliche Staatshandlungen bezogene Exemtion von vornherein keine Schranke zu setzen. 2. Relevanz der Staatenimmunität Zwar gehört die Begehung geheimdienstlicher Gewalttaten wie etwa die Tötung politischer Gegner oder die Durchführung von Sabotageakten und Sprengstoffanschlägen nicht zum legitimen Aufgabenbereich eines Staates. Aber dennoch sind ___________ nen geheimdienstlichen Gewaltakten ist also ohne Rücksicht auf die Staatenimmunität statthaft (ebenso Erasmus, Geheimer Nachrichtendienst, S. 30; Wengler, Völkerrecht Bd. II, S. 1410 mit Fn. 3). 85 Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (97); Fastenrath, FAZ vom 22.3.1996, S. 7; ders., FAZ vom 23.11.1996, S. 2; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (580); Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. b) cc); LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 352. Auch die Autoren, die generell bei verdecktem staatlichem Handeln die Geltung der Staatenimmunität verneinen, müssen bei der Fallgruppe der geheimdienstlichen Gewalttaten eine Ausnahme anerkennen. So etwa Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578); Gornig, NJ 1992, 4 (13); Jennings/ Watts, Oppenheim’s International Law, Bd. I/2, § 569; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 610; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1482 ff.; Simma/Volk, NJW 1991, 871 (873); Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1177. Siehe zudem Herdegen, ZaöRV 47 (1987), 221 (225). 86 Vgl. Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (580).
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solche Taten, wenn sie von staatlichen Geheimdiensten oder in staatlichem Auftrag verübt werden, als acta iure imperii, als hoheitlich-dienstliche Handlungen zu bewerten. Denn wie bereits dargelegt wurde, ist bei der Klärung der Frage, ob eine Tat eine hoheitlich-dienstliche Handlung ist, ein rein funktionaler Maßstab anzulegen.87 Wenn also derartige Taten auf staatliche Veranlassung hin begangen werden und damit einem Staat zuzurechnen sind, dann handelt es sich um Amtshandlungen, die nach dem Grundsatz der Staatenimmunität prinzipiell der Jurisdiktionskompetenz anderer Staaten entzogen sind. Zu untersuchen ist daher, ob auch für diesen Bereich staatlicher Aktivitäten eine Ausnahme von der Staatenimmunität völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung erfahren hat. Für die Beantwortung dieser Frage ist zunächst ein Blick auf die Staatenpraxis zu werfen. a) Staatenpraxis der Reaktion auf geheimdienstliche Gewalttaten Bereits älteren Datums ist der in der Literatur vielfach zitierte Ben Barka-Fall aus der französischen Rechtsprechung. Dem marokkanischen Geheimdienstchef Dlimi und dem marokkanischen Innenminister Ufkir wurde 1966 die Verantwortung für die Entführung und spätere Ermordung des marokkanischen Exilpolitikers Ben Barka in Paris vorgeworfen. Beide wurden hierfür von einem französischen Gericht verurteilt, der Innenminister in Abwesenheit. Die Frage einer Immunität der Angeklagten spielte im Prozeß keine Rolle; auch der offizielle marokkanische Protest stützte sich nicht auf eine Immunität der Angeklagten als staatliche Funktionsträger, sondern nur auf einen Rechtshilfevertrag zwischen beiden Staaten.88 Ein weiterer Fall, in dem es um eine Entführung ging, beschäftigte 1939 die Schweizer Justiz. Ein deutscher Gestapo-Agent wurde von einem Basler Gericht wegen Freiheitsberaubung verurteilt, weil er im Auftrag deutscher Regierungsstellen die Entführung eines Regimegegners mit deutscher Staatsangehörigkeit aus der Schweiz nach Deutschland organisiert hatte.89 Aus der us-amerikanischen Rechtsprechung ist der bereits im Zusammenhang mit der zivilrechtlichen torts exception von der Staatenimmunität erwähnte Letelier-Fall zu nennen.90 Wegen der vom chilenischen Geheimdienst durchgeführten Ermordung des chilenischen Exilpolitikers Orlando Letelier am 21. September 1976 in den USA wurde nicht nur Chile im Rahmen eines von den Hinterbliebenen in den USA angestrengten Zivilprozesses zur Zahlung von Schadensersatz verur___________ 87 Vgl. oben § 5 III.1.c) und § 5 III.2.b). Wie hier bezogen auf geheimdienstliche Gewaltakte auch Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (262) und Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578). 88 Vgl. Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (259); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (580). 89 Vgl. Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (258); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (581); Outry, Verletzung schweizerischer Gebietshoheit, S. 72 ff. 90 Vgl. oben § 4 II.4.
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teilt,91 vielmehr wurden auch die Agenten, die den Bombenanschlag auf das Auto von Letelier durchgeführt hatten, wegen Mordes verurteilt.92 Aus der bundesdeutschen Rechtsprechung ist auf den Staschynskij-Fall93 hinzuweisen. Bogdan Staschynskij hatte als Agent des sowjetischen Geheimdienstes in amtlichem sowjetischem Auftrag in München im Oktober 1957 bzw. Oktober 1959 die ukrainischen Exilpolitiker Lev Rebet und Stefan Bandera heimtückisch mit einer besonders konstruierten Giftpistole getötet. Er stellte sich, nachdem er mit seiner Frau in den Westen geflohen war, im August 1961 den Strafverfolgungsbehörden und wurde wegen Beihilfe zum Mord und landesverräterischer Beziehungen (§ 100e StGB a.F.) zu einer Strafe von acht Jahren Zuchthaus verurteilt.
Der BGH, der nach der damals geltenden Fassung des GVG (§ 134 Abs. 1 GVG a.F.) als erste und einzige Instanz zuständig war, nahm in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 1962 zu der hier interessierenden Frage der Geltung der Staatenimmunität überhaupt nicht Stellung. Ganz offensichtlich ging er ohne weiteres davon aus, daß die Staatenimmunität kein Verfolgungshindernis darstellte. Der BGH betonte lediglich, die Taten seien „von sowjetischer ‚höchster’ Stelle, zumindest auf Regierungsbasis (…), dem Angeklagten befohlen worden.“94 Auch einige Fälle aus der jüngeren Zeit verdienen Aufmerksamkeit. Zu nennen ist der Fall der Versenkung des Greenpeace-Schiffs Rainbow Warrior durch Agenten des französischen Geheimdienstes und mit Billigung des französischen Staatspräsidenten Mitterrand im Hafen von Auckland, Neuseeland, am 10. Oktober 1985:95 Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hatte mit dem Schiff Rainbow Warrior gegen französische Atomtests auf dem Mururoa-Atoll im Südpazifik protestiert. Nachdem zwei von französischen Geheimdienstagenten am Rumpf des im Hafen von Auckland liegenden Schiffs angebrachte Sprengsätze explodiert waren, sank das Schiff; dabei kam ein niederländischer Fotograf ums Leben, der sich zur Tatzeit an Bord aufgehalten hatte. Offensichtlich wollte Frankreich mit der Aktion weitere Proteste verhindern. Die neuseeländischen Behörden konnten zwei der Agenten, den Major Alain Mafart und Hauptmann Dominique Prieur, festnehmen. Sie wurden, nachdem sie sich vor dem New Zealand High Court für schuldig erklärt hatten, von diesem jeweils zu einer Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt.
___________ 91 Entscheidung des U.S. District Court for the District of Columbia vom 11.3.1980; 488 F.Supp. 665. Abgedr. auch in ILM 19 (1980), 409 und in ILR 63, 378. 92 Strafverfahren United States ./. Sepulveda. Vgl. ILM 19 (1980), 409 (410 mit Fn. 1). 93 BGHSt 18, 87 = NJW 1963, 355. Vgl. Anders, Mord auf Befehl, S. 9 ff.; Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (259); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (580). 94 BGHSt 18, 87 (88) = NJW 1963, 355 (356). 95 Vgl. Davidson, ICLQ 40 (1991), 446 (446 ff.); Denny, Rainbow Warrior, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 18 (18 ff.); Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 72; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 62 Rn. 30; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (580); Jennings/ Watts, Oppenheim’s International Law, Bd. I/1, § 165 Fn. 5; Pugh, ICLQ 36 (1987), 655 (655 ff.) sowie FAZ vom 12.7.1985, S. 9 und SZ vom 12.7.2005, S. 5.
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Weder gewährte Neuseeland den beiden französischen Agenten Immunität, noch verlangte Frankreich eine Immunitätsgewährung.96 In der Entscheidung des High Court vom 22. November 1985 wurde in bezug auf die Tatsache, daß die Angeklagten im Auftrag des französischen Geheimdienstes (und damit als staatliche Funktionsträger) gehandelt hatten, lediglich geprüft, ob diese als “mitigating factor” zu gelten habe, die Frage aber verneint.97 In dem sich an die Verurteilung aufgrund einer Vereinbarung zwischen Frankreich und Neuseeland vom Juli 1986 anschließenden Schiedsverfahren vor dem UN-Generalsekretär verlangte Frankreich zwar die Freilassung der Agenten, doch stützte es sein Verlangen nicht auf eine Immunität der Täter. Vielmehr wurde darauf abgestellt, daß Frankreich zu einer förmlichen Entschuldigung und zur Zahlung von Schadensersatz bereit sei. Frankreich betonte: “(…) both for reasons of law and in order to restore the traditional friendly relations between the two countries, it behoves the New Zealand Government to release the two officers.”98 Im Schiedsspruch vom 6. Juli 1986 legte der UNGeneralsekretär Javier Perez de Cuéllar fest, daß die Agenten für drei Jahre auf einer französischen Insel im Pazifik von Frankreich festgehalten werden sollten. Zudem wurde Frankreich zu einer Zahlung von 7 Mio. US-Dollar Schadensersatz an Neuseeland verpflichtet.99 Beide Seiten kamen dem Spruch zwar zunächst nach, doch ließ Frankreich die Agenten unter Mißachtung des Schiedsspruchs vorzeitig frei.100 Von Bedeutung für den vorliegenden Zusammenhang ist auch der vielbeachtete Lockerbie-Fall:101 ___________ Vgl. das Memorandum of the Government of the French Republic to the Secretary General of the United Nations, ILM 26 (1987) 1358 = ILR 74, 264 sowie das Memorandum of the Government of New Zealand to the Secretary General of the United Nations, ILM 26 (1987), 1350 = ILR 74, 257. Siehe zudem Frowein/Wolfrum/Schuster (Hrsg.), Gutachten, S. 19 f. 97 Urteil des New Zealand High Court im Fall R. ./. Mafart and Prieur, ILR 74, 241 (250 ff.). Vgl. ferner Frowein/Wolfrum/Schuster (Hrsg.), Gutachten, S. 20 und FAZ vom 23.11.1985, S. 2; SZ vom 23.11.1985, S. 9. Auch im Memorandum von Neuseeland (Anm. 96), ILM 26 (1987), 1350 (1357) = ILR 74, 257 (260 f.) wird auf eine Immunität überhaupt nicht eingegangen, sondern lediglich auf die Relevanz des Handelns auf Befehl. 98 Memorandum von Frankreich (Anm. 96), ILM 26 (1987), 1358 (1366) = ILR 74 (1987), 264 (269). Vgl. auch Frowein/Wolfrum/Schuster (Hrsg.), Gutachten, S. 20 Fn. 40. 99 Siehe das Ruling Pertaining to the Differences Between France and New Zealand Arising from the Rainbow Warrier Affair vom 6.7.1986, ILM 26 (1987), 1349 (1368 ff.) = ILR 74 (1987), 256 (256 ff.). Näher zu diesem Schiedsspruch Richter, in: Menzel u.a. (Hrsg.), Völkerrechtsprechung, S. 760 ff. Vgl. zudem Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 62 Rn. 30; Frowein/Wolfrum/Schuster (Hrsg.), Gutachten, S. 20 Fn. 40. 100 Vgl. die daraufhin ergangene Schiedsgerichtsentscheidung New Zealand ./. France, ILR 82 (1990), 499 (499 ff.). Siehe hierzu Davidson, ICLQ 40 (1991), 446 (447 ff.). 101 Vgl. Aust, ICLQ 49 (2000), 278 ff.; Bantekas/Nash/Mackarel, International Criminal Law, S. 275 ff.; Black, AVR 37 (1999), 214 ff.; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (579); Klip/Mackarel, RIdDP 70 (1999), 777 ff.; Marschang, KJ 1993, 62 (63 f.); Martenczuk, EJIL 10 (1999), 517 ff.; Mohr, DuR 1992, 305 ff.; Plachta, EJIL 2001, 125 ff.; Schmalen96
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Am 21. Dezember 1988 stürzte aufgrund einer Sprengstoffexplosion ein mit 259 Menschen besetzter Jumbo-Jet der US-amerikanischen Fluggesellschaft PanAm über dem schottischen Ort Lockerbie ab; alle an Bord befindlichen Personen sowie elf Bewohner des Orts kamen dabei ums Leben. Die Spur des Anschlags führte nach Libyen. Die USA und Großbritannien warfen dem libyschen Staatschef Gaddafi vor, den Anschlag aus Rache für amerikanische Luftangriffe auf Tripolis und Bengasi 1986 angeordnet zu haben. Sie erließen nach langwierigen Ermittlungen im November 1991 Haftbefehle gegen zwei Angehörige des libyschen Geheimdienstes. Die Haftbefehle konnten aber zunächst nicht vollstreckt werden, da sich die Beschuldigten in Libyen aufhielten. Nicht zuletzt wegen der erheblichen wirtschaftlichen Belastung Libyens durch die nach dem Anschlag verhängten UN-Sanktionen erklärte sich Gaddafi schließlich 1998 mit einem Gerichtsverfahren gegen die beiden libyschen Beschuldigten Abdel Basset Ali Al Meghrahi und Lamen Khalifa Fahima einverstanden, das zwar vor einem schottischen Gericht, aber auf neutralem Boden stattfinden sollte. Die Agenten wurden daraufhin im April 1999 in die Niederlande überstellt, wo im Mai 2000 auf dem Gelände des ehemaligen US-Luftwaffenstützpunkts Camp Zeist, das aufgrund einer Vereinbarung zwischen den Niederlanden und Großbritannien102 für die Zeit des Prozesses zu schottischem Territorium erklärt worden war, der Prozeß begann. Am 31. Januar 2001 verurteilte das Gericht den 48jährigen Angeklagten Meghrahi zu lebenslanger Freiheitsstrafe, der 44jährige Mitangeklagte Fahima dagegen wurde freigesprochen.103 Die drei Richter betonten, es sei erwiesen, daß Libyen für den Anschlag verantwortlich sei. Die von Meghrahi eingelegte Berufung wurde – wiederum von einem mit schottischen Richtern besetzten und in Camp Zeist tagenden Gericht – am 14. März 2002 zurückgewiesen.104 Im August 2003 schließlich übernahm Libyen offiziell die Verantwortung für den Anschlag; mit den Anwälten der Hinterbliebenen einigte sich Libyen auf die Leistung von Entschädigungszahlungen. In der Folge wurden die UN-Sanktionen gegen Libyen endgültig aufgehoben.
___________ bach, VN 2000, 28 ff.; Stein, AVR 31 (1993), 206 ff. sowie aus der Tagespresse FAZ vom 23.12.1988, S. 1, 7; FAZ vom 24.12.1988, S. 1 f.; FAZ vom 29.12.1988, S. 1; FAZ vom 30.12.1988, S. 1 f.; FAZ vom 16.11.1991, S. 1; SZ vom 22.12.1988, S. 1 f.; SZ vom 23.12.1988, S. 1 ff.; SZ vom 24.12.1988, S. 1 f.; SZ vom 27.12.1988, S. 2; SZ vom 29.12.1988, S. 1, 3; SZ vom 22.7.1998, S. 6; SZ vom 29.7.1998, S. 8; SZ vom 25.8.1998, S. 7; SZ vom 26.8.1998, S. 4; SZ vom 27.8.1998, S. 7; SZ vom 19.12.1998, S. 11; SZ vom 15.2.1999, S. 1; SZ vom 1.3.1999, S. 7; SZ vom 8.3.1999, S. 8; SZ vom 20.3.1999, S. 8; SZ vom 6.4.1999, S. 10; SZ vom 7.4.1999, S. 1 f.; SZ vom 8.6.1999, S. 2; SZ vom 8.12.1999, S. 12; FAZ vom 3.5.2000, S. 7; SZ vom 4.5.2000, S. 1 f.; FAZ vom 4.5.2000, S. 2; SZ vom 24.5.2000, S. 12; SZ vom 22.8.2000, S. 2; SZ vom 27.9.2000, S. 6; SZ vom 30.9.2000, S. 9; SZ vom 16.11.2000, S. 8; SZ vom 9.1.2001, S. 7; SZ vom 10.1.2001, S. 8; FAZ vom 10.1.2001, S. 6; FAZ vom 19.1.2001, S. 2; SZ vom 1.2.2001, S. 1, 4, 8; FAZ vom 1.2.2001, S. 1, 7; SZ vom 2.2.2001, S. 8; FAZ vom 3.2.2001, S. 6; FAZ vom 7.2.2001, S. 8; SZ vom 8.2.2001, S. 2; FAZ vom 16.10.2001, S. 6; SZ vom 23.1.2002, S. 9; FAZ vom 24.1.2002, S. 5; FAZ vom 4.2.2002, S. 10; SZ vom 15.3.2002, S. 1; FAZ vom 15.3.2002, S. 2; SZ vom 24.8.2002, S. 6; SZ vom 14.8.2003, S. 1; SZ vom 18.8.2003, S. 6; SZ vom 20.8.2003, S. 7; SZ vom 13.9.2003, S. 7; SZ vom 25.11.2003, S. 8. Siehe zudem die Dokumentation in ILM 31 (1992), 717 (717 ff.). 102 Agreement between the Government of the Kingdom of the Nertherlands and the Government of the United Kingdom Concerning a Scottish Trial in the Netherlands vom 18.9.1998, abgedr. in ILM 38 (1999), 926. 103 Das Urteil ist im Internet abrufbar unter (31.3.2006). 104 Das Urteil ist im Internet abrufbar unter (31.3.2006).
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
Zwar erklärte Libyen sein Einverständnis mit einer Strafverfolgung und verzichtete damit auf eventuell einer Strafverfolgung entgegenstehende völkerrechtliche Exemtionen. Doch zeigt die Tatsache, daß bereits lange vor der Übereinkunft Haftbefehle erlassen und Anklagen erhoben worden waren, daß sich weder Großbritannien noch die USA wegen des Charakters des Anschlags als Amtshandlung des libyschen Geheimdienstes an einer Strafverfolgung gehindert sahen. Ein weiteres Verfahren gegen Angehörige des libyschen Geheimdienstes fand 1999 in Frankreich statt. Den sechs Angeklagten wurde vorgeworfen, einen Bombenanschlag auf ein französisches Verkehrsflugzeug verübt zu haben, bei dessen Absturz über nigerianischem Staatsgebiet im Jahr 1989 170 Menschen ums Leben gekommen waren. Die Angeklagten wurden in Abwesenheit zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Offenbar wurde auch hier kein Verfolgungshindernis wegen Staatenimmunität angenommen.105 Auch die Verantwortlichkeit für diesen Anschlag hat Libyen mittlerweile eingestanden. Wie im Fall Lockerbie wurden die Angehörigen der Opfer von Libyen entschädigt.106 Auch in Deutschland wurden Agenten des libyschen Geheimdienstes wegen einer in staatlichem Auftrag begangenen geheimdienstlichen Gewalttat verurteilt: Bei einem Sprengstoffanschlag auf die vorwiegend von US-amerikanischen Soldaten besuchte Berliner Diskothek La Belle am 5. April 1986 starben drei Menschen, darunter zwei US-Bürger. Über 200 weitere Menschen wurden verletzt. Der Verdacht, daß auch dieser Anschlag vom libyschen Geheimdienst verübt worden war, erhärtete sich rasch; als Vergeltung für den Anschlag bombardierte die US-amerikanische Luftwaffe am 15. April 1986 die libyschen Städte Tripolis und Bengasi. Die Berliner Staatsanwaltschaft erhob schließlich 1997 Anklage gegen fünf in Berlin lebende Personen, die den Anschlag ausgeführt hatten. Mit seinem Urteil vom 13. November 2001 verurteilte das Landgericht Berlin vier Angeklagte zu Haftstrafen zwischen 12 und 14 Jahren, eine Angeklagte wurde freigesprochen. Ausdrücklich stellte das Gericht die Verantwortlichkeit Libyens für den Anschlag fest.107 Der BGH verwarf am 24. Juni 2004 die eingelegten Revisionen und stellte gleichfalls die Verantwortung Libyens für den Anschlag heraus.108
Die Staatenimmunität wurde also auch in diesem Fall nicht als Verfolgungshindernis angesehen.109 ___________ Vgl. NZZ vom 9.3.1999, S. 1; SZ vom 9.3.1999, S. 8; SZ vom 11.3.1999, S. 7; FAZ vom 11.3.1999, S. 1; SZ vom 7.4.1999, S. 2; SZ vom 21.10.2000, S. 7; FAZ vom 21.10.2000, S. 7; SZ vom 14.3.2001, S. 9; SZ vom 10.1.2004, S. 6. 106 Vgl. SZ vom 18.8.2003, S. 6; SZ vom 20.8.2003, S. 7; SZ vom 10.1.2004, S. 6. 107 Siehe FAZ vom 11.10.2000, S. 9; FAZ vom 5.4.2001, S. 16; SZ vom 16.5.2001, S. 1, 8; FAZ vom 16.5.2001, S. 2; SZ vom 17.5.2001, S. 1; SZ vom 18.5.2001, S. 5; SZ vom 19.5.2001, S. 2; FAZ vom 25.5.2001, S. 4; SZ vom 4.10.2001, S. 9; SZ vom 5.10.2001, S. 10; SZ vom 12.10.2001, S. 10; SZ vom 27.10.2001, S. 9; FAZ vom 13.11.2001, S. 4; SZ vom 14.11.2001, S. 1, 4, 9; FAZ vom 14.11.2001, S. 8. 108 BGH NJW 2004, 3051. Siehe auch SZ vom 16.6.2004, S. 6; FAZ vom 25.6.2004, S. 2; SZ vom 25.6.2004, S. 5. 109 Der libysche Staatschef Gaddafi erklärte sich auch zur Entschädigung der Opfer dieses Anschlags bereit; eine Vereinbarung, die Zahlungen in Höhe von insgesamt 35 Mio. 105
§ 7 Weitere Ausnahmen von der Staatenimmunität
261
Schließlich ist das Mykonos-Urteil des Berliner Kammergerichts aus dem Jahr 1997 zu nennen.110 Das Berliner Kammergericht verurteilte am 10. April 1997 einen Iraner und drei Libanesen zu lebenslangen bzw. langjährigen Freiheitsstrafen, da sie für schuldig befunden worden waren, am 17. September 1992 vier iranisch-kurdische Exilpolitiker der „Demokratischen Partei Kurdistan-Iran“ in dem Berliner Restaurant Mykonos ermordet und damit die exponiertesten im Exil lebenden Vertreter der iranischen Opposition liquidiert zu haben. Ausdrücklich wurde im Urteil die politische Führung des Iran als Auftraggeberin des Verbrechens bezeichnet. Diese Feststellung, die zuvor schon von der Bundesanwaltschaft getroffen worden war, führte zu erheblichen Verstimmungen im Verhältnis zwischen Deutschland und dem Iran, zeitweilig wurden sogar die diplomatischen Beziehungen zwischen den EU-Staaten und dem Iran suspendiert. Die von drei Verurteilten eingelegten Revisionen wurden vom BGH einstimmig und ohne mündliche Verhandlung als unbegründet verworfen.111
Das Gericht ging also von einer Handlung im staatlichen Auftrag des Iran aus, sah sich aber dennoch nicht an einer Verurteilung der Angeklagten gehindert. Die geschilderten Fälle zeigen, daß der Grundsatz der Staatenimmunität bei geheimdienstlichen Gewalttaten weder von den strafverfolgenden Staaten noch von den für die Taten verantwortlichen Staaten als Verfolgungshindernis angesehen wurde. Lediglich ein Fall gegenteiliger Staatenpraxis ist ersichtlich, der bereits erwähnte McLeod-Fall aus dem Jahr 1840.112 Insoweit, als damals die Staatenimmunität ausnahmslos anerkannt worden war, ist dieser Fall aber durch die Völkerrechtsentwicklung überholt. b) Bewertung der Staatenpraxis Die Staatenpraxis zeigt, daß sich die Staaten nicht gehindert sehen, Personen zu bestrafen, die in fremdstaatlichem Auftrag im Staatsgebiet des Gerichtsstaates oder auch in dem eines Drittstaates geheimdienstliche Gewalttaten begangen haben. Diese von einer Überzeugung ihrer völkerrechtlichen Legalität getragene Staatenpraxis läßt den Schluß zu, daß die Staatenimmunität auch bei geheimdienstlichen Gewalttaten eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme erfährt. Diese Ausnahme gestattet nicht nur eine Strafverfolgung von Personen, die einen Anschlag unmittelbar ausgeführt haben, sondern auch eine Verfolgung der „Hinter___________ US-Dollar vorsieht, wurde im August 2004 in Berlin unterzeichnet. Vgl. SZ vom 11.8.2004, S. 5. 110 Vgl. FAZ vom 28.5.1993, S. 6; FAZ vom 28.10.1993, S. 7; FAZ vom 29.10.1993, S. 4; FAZ vom 13.11.1996, S. 4; FAZ vom 16.11.1996, S. 4; FAZ vom 11.4.1997, S. 1, 3; NZZ vom 11.4.1997, S. 1; SZ vom 19.11.1996, S. 1; SZ vom 15.2.1997, S. 1, 5; SZ vom 7.3.1997, S. 5; SZ vom 21.3.1997, S. 5; SZ vom 2.4.1997, S. 5; SZ vom 10.4.1997, S. 10; SZ vom 11.4.1997, S. 1, 5; SZ vom 17.4.1997, S. 7; SZ vom 21.3.1998, S. 1, 9; SZ vom 23.3.1998, S. 4. Das Urteil des KG ist nicht veröffentlicht worden. 111 Vgl. NZZ vom 10.12.1998, S. 2; SZ vom 10.12.1998, S. 2. Der Beschluß des BGH vom 9.12.1998 (3 StR 408/98) ist nicht veröffentlicht worden. 112 Vgl. oben § 5.
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
männer“, die – etwa von der Geheimdienstzentrale ihres Landes aus – einen Anschlag initiiert und koordiniert haben.113 Zwar sind solche Personen zumeist nicht zur Verantwortung gezogen worden, doch lag dies nicht daran, daß man ihnen Staatenimmunität zubilligte, sondern daran, daß man ihrer entweder nicht habhaft werden konnte114 oder aber sie wegen einer besonderen Immunität ratione personae nicht verfolgt werden durften.115 Die Ausnahme von der Staatenimmunität bei geheimdienstlichen Gewalttaten ist sachgerecht. Ebenso wie bei Spionageaktivitäten besteht auch bei geheimdienstlichen Gewalttaten, die im eigenen Staatsgebiet oder gegen eigene Staatsangehörige verübt werden, ein berechtigtes Interesse der Staaten an einer Strafverfolgung. Denn nur so können die Staaten ihrer Pflicht zur Gewährung von Schutz und Sicherheit vor schweren Rechtsverletzungen effektiv nachkommen. Könnten Agenten eines anderen Staates ohne persönliches Risiko Gewalttaten im Gebiet eines anderen Staates verüben, so wäre die innere Sicherheit des betroffenen Staates ernsthaft gefährdet. Ein schutzwürdiges Interesse des für die Taten verantwortlichen Staates, das die Beachtung der Staatenimmunität geböte, ist dagegen nicht erkennbar.
___________ A.A. aber Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (263). Der mutmaßliche Auftraggeber im Staschynskij-Fall (vgl. oben Anm. 93), Alexander Schelepin, der in der Sowjetunion die kuriose Doppelfunktion eines Geheimdienstchefs und Gewerkschaftsfunktionärs innehatte, verzichtete auf einen Besuch in letztgenannter Eigenschaft in der BRD, nachdem ihm von bundesdeutschen Behörden die Gefahr einer Strafverfolgung signalisiert worden war; vgl. Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 88 f.; Langkau, Kriegs- und Friedensspionage, S. 292. Im Mykonos-Fall wurde im März 1996 ein Haftbefehl gegen den iranischen Geheimdienstminister Ali Fallahian erlassen, der allerdings wegen dessen Aufenthalt im Iran nicht vollstreckt werden konnte; vgl. Fastenrath, FAZ vom 22.3.1996, S. 7 und vom 23.11.1996, S. 2; FAZ vom 15.3.1996, S. 1; FAZ vom 18.3.1996, S. 1, 3; SZ vom 17.4.1997, S. 7. Ermittlungen gegen den iranischen Staatspräsidenten Rafsandschani, den Außenminister Welajati und den religiösen Führer Khamenei, die nach Ansicht des KG neben Fallahian die eigentlichen Drahtzieher des Mykonos-Attentats waren, wurden allerdings mit der Begründung, die Reichweite einer ihnen zukommenden völkerrechtlichen Immunität sei weitgehend ungeklärt, unter Anwendung von §§ 153c Abs. 2, 153d Abs. 1 StPO nicht durchgeführt; vgl. SZ vom 17.4.1997, S. 7; SZ vom 16.5.1997, S. 2, 4. Zwar hätte in der Tat eine Strafverfolgung dieser Personen nicht betrieben werden dürfen, doch nicht wegen der Staatenimmunität, sondern wegen ihnen zukommender Immunität ratione personae als Staatsoberhaupt bzw. Regierungsmitglied; vgl. unten § 17 I.2.a). Wie hier auch Fastenrath, a.a.O. 115 So wurde in Frankreich die Durchführung eines Strafverfahrens gegen den libyschen Staatschef Gaddafi wegen des Bombenanschlags auf ein französisches Flugzeug 1989 (vgl. oben Anm. 105) wegen dessen Immunität ratione personae als amtierendes Staatsoberhaupt abgelehnt, nicht aber wegen des Charakters des Anschlags als Staatshandlung. Vgl. zu diesem Verfahren gegen Gaddafi unten § 17 I.2.a)bb). 113 114
§ 7 Weitere Ausnahmen von der Staatenimmunität
263
IV. Weitere Ausnahmen von der Staatenimmunität bei verdecktem Staatshandeln Bei von einem Staat im Gebiet eines anderen Staates verdeckt vorgenommenen staatlichen Handlungen handelt es sich in aller Regel um Spionage oder um Taten, die als geheimdienstliche Gewalttaten oder gegen den Bestand oder die Verfassungsordnung eines fremden Staates gerichtete Taten einzustufen sind. Bei diesen Fallgruppen besteht, wie gezeigt wurde, eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte bzw. aus allgemeinen völkerrechtlichen Rechtsüberlegungen ableitbare Ausnahme von der Staatenimmunität. Darüber hinausgehend wird in der Literatur zum Teil die Auffassung vertreten, bei verdecktem Staatshandeln im Ausland gelte die Staatenimmunität generell nicht, sie beschränke sich auf offen gesetzte Hoheitsakte.116 Doch findet diese Auffassung keinen hinreichenden Rückhalt in der Staatenpraxis. In den bislang entschiedenen Fällen ging es fast ausnahmslos um Spionagehandlungen oder geheimdienstliche Gewaltakte. Lediglich ein – zudem bereits älterer – Fall aus der Schweiz wird in der Literatur zur Unterstützung der These einer generellen Immunitätsausnahme bei verdecktem Staatshandeln auf fremdem Staatsgebiet angeführt, nämlich die Verurteilung des deutschen Devisenprüfers Kämpfer durch ein Schweizer Gericht im Jahr 1938:117 Der Devisenprüfer Wilhelm Kämpfer hatte im Auftrag der deutschen Reichstreuhandgesellschaft im Sommer 1938 in Zürich bei mehreren Schweizer Unternehmen mit deren Einverständnis eine amtliche Untersuchung durchgeführt und darüber einen für die Reichstreuhandstelle bestimmten Bericht verfaßt. Nach außen hin war für die Behörden der Schweiz nicht erkennbar, daß es sich um eine Amtshandlung handelte. Er wurde wegen verbotener Amtsausübung zugunsten eines fremden Staates zu einer Haftstrafe von zwei Monaten verurteilt.
Das von Kämpfer daraufhin angerufene schweizerische Bundesgericht setzte sich zwar ausführlich mit der Frage auseinander, ob der Beschwerdeführer in deutschem Auftrag hoheitlich gehandelt hatte, doch galt diese Erörterung lediglich der Frage, ob die Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Strafnorm118 erfüllt waren. Nicht erörtert wurde, ob der Grundsatz der Staatenimmunität einer Ausübung schweizeri___________ MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 140; Fastenrath, FAZ vom 22.3.1996, S. 7; ders., FAZ vom 23.11.1996, S. 2; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578); Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. a); Gornig, NJ 1992, 4 (13); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, Bd. I/2, § 569; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 610; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1482 ff.; Simma/Volk, NJW 1991, 871 (873); Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1177. 117 Entscheidung Kämpfer gegen Zürich, BGE 65 I (1939), 39 ff. Vgl. Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (581); Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1485; Outry, Verletzung schweizerischer Gebietshoheit, S. 52 ff.; Siegrist, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, S. 148. 118 Art. 1 Abs. 1 des Bundesbeschlusses betreffend den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft vom 21.6.1935 (Vorgängervorschrift des Art. 271 Abs. 1 des schweizerischen StGB). 116
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
scher Gerichtsbarkeit entgegenstand. Offensichtlich hatte man keine Zweifel, völkerrechtlich zu einer Bestrafung befugt zu sein. Es können zwar noch einige weitere Fälle aus der schweizerischen Staatspraxis genannt werden, in denen ausländische Amtsträger, vor allem Zoll- und Polizeibeamte, wegen verdeckter Ausübung einer amtlichem Tätigkeit auf schweizerischem Staatsgebiet – in der Regel ging es um Recherchen – bestraft wurden,119 doch können diese ausschließlich die Schweiz betreffenden Fälle nicht ausreichen, um eine generelle völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Staatenimmunität bei verdecktem Staatshandeln zu begründen, zumal die schweizerische Staatspraxis auch dem besonderen Selbstverständnis der Schweiz als neutraler Staat geschuldet sein dürfte. Auch wäre es verfehlt, wegen der Verletzung der Gebietshoheit bei verdecktem staatlichem Handeln auf fremdem Staatsgebiet und damit der durch den handelnden Staat zu verantwortenden Souveränitätsverletzung ähnlich wie bei Taten, die gegen den Bestand oder die Verfassungsordnung eines fremden Staates gerichtet sind, eine Verwirkung der Staatenimmunität anzunehmen. Eine solche Verwirkung läßt sich allenfalls bei schweren Verletzungen fremdstaatlicher Souveränitätsrechte, nicht aber schon bei jeder auch nur geringfügigen Mißachtung fremdstaatlicher Gebietshoheit begründen. Als Fazit ist damit festzuhalten, daß eine generelle Ausnahme von der Staatenimmunität bei verdecktem Staatshandeln auf fremdem Staatsgebiet nicht existiert. Völkerrechtlich anerkannt sind Ausnahmen lediglich für Spionageaktivitäten, für Handlungen, die gegen die Existenz, den Bestand oder die Verfassungsordnung eines fremden Staates gerichtet sind, sowie für geheimdienstliche Gewaltakte.
___________ 119
Vgl. Siegrist, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, S. 19 f., 151 ff.
§ 8 Relevanz einer Staatensukzession
265
§ 8 Die Relevanz einer Staatensukzession für die Geltung der Staatenimmunität Als die Bundesrepublik Deutschland nach dem zum 3. Oktober 1990 erfolgten Beitritt der DDR und dem damit erreichten Ende der Teilung Deutschlands begann, das in der DDR verübte Systemunrecht strafrechtlich zu ahnden, verteidigten sich die beschuldigten DDR-Funktionäre, aber auch „einfache Täter“ wie die Grenzsoldaten, denen die Erschießung von Flüchtlingen zur Last gelegt wurde, damit, daß sie für den Staat DDR gehandelt hätten; sie dürften deshalb nach dem Grundsatz der Staatenimmunität von der BRD als einem anderen Staat keiner Strafverfolgung unterworfen werden. Dem wurde entgegengehalten, die Staatenimmunität sei mit dem Untergang der DDR im Zuge ihres Beitritts1 entfallen. Als Rechtsproblem kristallisierte sich die Frage heraus, ob der Untergang der DDR als Völkerrechtssubjekt bzw. die Art und Weise des Beitritts Auswirkungen auf die Staatenimmunität ihrer Funktionsträger hatte. Abstrahiert von dem Kontext der Reaktion auf das DDR-Systemunrecht lautet die im folgenden zu untersuchende Frage, welche Auswirkungen es für die Staatenimmunität hat, wenn der Staat, für den eine Tat begangen wurde, die ein anderer Staat strafrechtlich ahnden möchte, und zu dessen Gunsten die Staatenimmunität wirkt, der also Schutzobjekt der Staatenimmunität ist, sich quantitativ bzw. qualitativ verändert oder sogar völkerrechtlich untergeht. Da sich dieses Problem der Rechtsprechung bislang lediglich bei der strafrechtlichen „Aufarbeitung“ der DDRVergangenheit gestellt hat und sich auch die Stellungsnahmen in der straf- und völkerrechtlichen Literatur auf diesen Fall beschränken, erfolgt die Erörterung bezogen auf diesen Präzedenzfall. Zuvor gilt es aber, im Rahmen allgemeiner Überlegungen zum Recht der Staatensukzession von vornherein für die Geltung der Staatenimmunität irrelevante Sachverhalte auszugrenzen.
I. Vorüberlegungen zum Recht der Staatensukzession 1. Begriff und Arten der Staatensukzession Als Staatensukzession oder auch Staatennachfolge bezeichnet man den Eintritt eines Staates in die völkerrechtliche Rechts- und Pflichtenstellung eines anderen Staates in bezug auf ein Territorium. Es geht also um einen Wechsel in der Gebietshoheit über ein bestimmtes Territorium von einem auf ein anderes Völkerrechtssubjekt und die sich daran anknüpfenden völkerrechtlichen Rechtsfolgen. Allgemeinverständlicher – wenn auch völkerrechtlich nicht so exakt – kann man ___________ 1 Zum Untergang der DDR als Völkerrechtssubjekt siehe Doehring, Völkerrecht, Rn. 163; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 19; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 108 f.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 605, 672 f.
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
auch von der Übertragung eines Staatsgebiets von einem auf einen anderen Staat und den daraus resultierenden Rechtsfolgen sprechen. In der völkerrechtlichen Terminologie wird zum Teil weiter differenziert und unter Staatensukzession der tatsächliche Vorgang des Übergangs der Gebietshoheit, unter Staatennachfolge der daran anknüpfende Eintritt in völkerrechtliche Rechte und Pflichten des Vorgängerstaates verstanden. So wird die Staatennachfolge definiert als die Nachfolge eines Staates in die Rechte und Pflichten eines anderen Staates als Folge der Erstreckung seiner Staatsgewalt auf Gebiete, welche bisher der Staatsgewalt eines anderen Staates unterstellt waren.2 Man unterscheidet zwei Arten von Staatensukzessionen: vollständige und partielle Staatensukzessionen. Eine vollständige Staatensukzession liegt vor, wenn der Vorgängerstaat untergeht, also unter Verlust seiner Völkerrechtssubjektivität Teil eines anderen Staates wird oder in mehreren Nachfolgestaaten aufgeht. Unter den Begriff der partiellen Staatensukzession werden Fälle gefaßt, bei denen nur ein Gebietsteil eines Staates auf einen anderen Staat übergeht, der damit verkleinerte Staat aber als Völkerrechtssubjekt fortbesteht.3 Fallgruppen der partiellen Staatensukzession sind die Zession und die Sezession. Unter Zession wird die – völkervertraglich geregelte – Übertragung des Teils eines Staatsgebiets auf einen anderen bestehenden Staat verstanden; typischer Fall sind Grenzverschiebungen zwischen zwei benachbarten Staaten.4 Die Sezession oder auch Separation ist die Abspaltung eines Gebietsteils aus einem fortbestehenden Staat unter Gründung eines neuen Staates im abgespalteten Gebietsteil.5 Bei partiellen Staatensukzessionen bleibt die Völkerrechtssubjektivität des sich verkleinernden Staates unberührt.6 Damit können diese Fälle als für die Geltung der Staatenimmunität irrelevant von der weiteren Betrachtung ausgenommen werden. Denn bei einer partiellen Staatensukzession ändert sich zwar der räumliche Umfang des Staatsgebiets, der vom Gebietsverlust betroffene Staat bleibt aber als Schutzobjekt der Staatenimmunität erhalten, ohne daß sein völkerrechtliches Recht ___________ Vgl. Blumenwitz, Staatennachfolge, S. 19; Doehring, Völkerrecht, Rn. 168; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 25 Rn. 1; Fastenrath, BDGVR 35 (1996), 9 (9); Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 589; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1383; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 336; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 972; Zimmermann, Staatennachfolge, S. 9 ff. Die Wiener Konventionen über die Staatennachfolge (vgl. unten Anm. 13) definieren diese in Art. 2 Abs. 1 als “the replacement of one State by another in the responsibility for the international relations of territory”. 3 Vgl. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 25 Rn. 5. 4 Vgl. Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 50 ff.; Fastenrath, BDGVR 35 (1996), 9 (14). 5 Vgl. Fastenrath, BDGVR 35 (1996), 9 (14); Heintze, in: Ipsen, Völkerrecht, § 29 Rn. 8. Siehe aber auch Zimmermann, Staatennachfolge, S. 21, der beide Begriffe nicht synonym setzt. 6 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 137; Fiedler, Kontinuitätsproblem, S. 52 ff.; Hummer/Mayr-Singer, AVR 38 (2000), 298 (299). 2
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auf Achtung seiner Souveränität, seiner völkerrechtlichen Gleichheit und Unabhängigkeit tangiert wird. Die Staatenimmunität besteht auch dann unverändert fort, wenn die Amtshandlung, die ein Staat zum Gegenstand einer Strafverfolgung machen möchte, in dem Gebietsteil vorgenommen wurde, der auf einen anderen Staat übergegangen ist. Ebenso unerheblich für die Fortgeltung der Staatenimmunität ist es, wenn der Funktionsträger, der einer Straftat beschuldigt wird, im Zuge der Staatensukzession als Bewohner des übergegangenen Gebietsteils die Staatsangehörigkeit des bisherigen Staates verliert und Staatsbürger sowie möglicherweise sogar Staatsbediensteter des vergrößerten Staates bzw. des Neustaates wird. Denn an dem Charakter der Handlung als Staatshandlung des „alten“ Staates und damit an der Zurechnung zum „alten“ Staat ändert sich nichts, wenn sich die Beziehungen zwischen der handelnden Person und dem Staat nach Vornahme der Handlung oder aber die rechtliche Zuordnung des Handlungsorts ändern. Es können also nur solche Arten der Staatensukzession Auswirkungen auf die Geltung der Staatenimmunität haben, bei denen der Staat, dem die betreffende Handlung zugerechnet wird, als Völkerrechtssubjekt untergeht, also der Träger des Rechts auf Staatenimmunität seine Völkerrechtssubjektivität verliert.7 Dies ist bei einer vollständigen Staatensukzession der Fall. Auch hier sind verschiedene Konstellationen zu unterscheiden. Eine Dismembration oder auch Dissolution ist der Zerfall eines Staates in zwei oder mehr Neustaaten, wobei der Vorgängerstaat aufhört zu existieren.8 Als Fusion wird der Zusammenschluß von zwei oder mehr Staaten unter Verlust ihrer Staatlichkeit zu einem Neustaat verstanden.9 Als Inkorporation oder auch Beitritt schließlich wird die vollständige Eingliederung ___________ 7 Von vornherein irrelevant für die Geltung der Staatenimmunität sind auch sonstige Veränderungen eines Staates, die seine Völkerrechtssubjektivität nicht berühren (man spricht in diesem Zusammenhang von der „Kontinuität von Staaten“), etwa Namensänderungen und Änderungen des politischen Systems wie ein Wechsel von einem monarchischen zu einem demokratischen System. Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 138; Doehring, Völkerrecht, Rn. 151, 158; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 12; Fiedler, Kontinuitätsproblem, S. 46 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 8 Rn. 22; SeidlHohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1384; Zimmermann, Staatennachfolge, S. 37 ff. Auch ein sogenannter “failed State” behält sein Recht auf Achtung der ihm – und seinen (ehemaligen) Funktionsträgern – zukommenden Staatenimmunität, solange „nur“ seine Handlungsfähigkeit aufgehoben und seine Völkerrechtssubjektivität nicht erloschen ist. Vgl. zum Fortbestand der Souveränitätsrechte von “failed State” Doehring, Völkerrecht, Rn. 161 f.; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 11; Herdegen, Völkerrecht, § 8 Rn. 35; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 102 f., 104; Thürer, BDGVR 34 (1996), 9 (16 f.); Zimmermann, Staatennachfolge, S. 42 ff. 8 Ein Beispiel ist der Untergang der Tschechoslowakei und die Entstehung der Tschechischen Republik und der Slowakei zum 1.1.1993. Vgl. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 19; Fastenrath, BDGVR 35 (1996), 9 (14); Heintze, in: Ipsen, Völkerrecht, § 29 Rn. 8; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 313. 9 Als Fusion ist der Zusammenschluß der Arabischen Republik Jemen und der Demokratischen Volksrepublik Jemen zur Republik Jemen im Mai 1990 einzustufen. Vgl. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 19; Fastenrath, BDGVR 35 (1996), 9 (14, 35).
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eines Staates in einen oder unter Aufteilung seines Gebiets in mehrere bereits existierende und fortbestehende Staaten bezeichnet.10 Die eingangs gestellte Frage kann nun dahingehend präzisiert werden, daß zu fragen ist, wie sich der Untergang eines Staates auf die ihm zustehende Staatenimmunität (seiner früheren Funktionsträger) auswirkt:11 Geht der Immunitätsanspruch im Zuge einer vollständigen Staatensukzession auf den oder die Gebietsnachfolgestaat(en) über oder erlischt er? 2. Rechtsfolgen einer Staatensukzession Das Recht der Staatennachfolge, die Frage also, inwieweit bei einer Staatensukzession ein Übergang von Rechten und Pflichten erfolgt, gehört zu den umstrittensten Gebieten des Völkerrechts.12 Die Staatenpraxis und die Rechtsauffassungen der Staaten sind zu uneinheitlich, als daß man von gefestigtem und einheitlichem Völkergewohnheitsrecht für alle Aspekte einer Staatensukzession sprechen könnte.13 In der Staatenpraxis behilft man sich regelmäßig mit vertraglichen Abreden im Einzelfall.14 Es stehen sich zwei Grundkonzeptionen gegenüber, die auf einem fundamental unterschiedlichen Staatsverständnis basieren. Die eine betont den Charakter der Staaten als juristische Personen und kommt so zu dem Ergebnis, daß die Rechte und Pflichten von Staaten mit ihrem Untergang grundsätzlich erlöschen. Ein Rechte- und Pflichtenübergang finde nur insoweit statt, als er durch nachweisbares Völ___________ Eine Inkorporation stellt der Beitritt der DDR zur fortbestehenden BRD dar. Vgl. Blumenwitz, Staatennachfolge, S. 46 f.; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 19; Fastenrath, BDGVR 35 (1996), 9 (14, 35); Herdegen, Völkerrecht, § 8 Rn. 24; Zimmermann, Staatennachfolge, S. 127 ff. 11 Die Differenzierung zwischen einerseits den hier interessierenden vollständigen Staatensukzessionen und andererseits den für die Staatenimmunität irrelevanten partiellen Staatensukzessionen, also bloßen räumlichen Veränderungen unter Wahrung der Völkerrechtssubjektivität des „alten“ Staates, ist allerdings in der Praxis häufig nur schwer zu treffen. Dies gilt vor allem für die Unterscheidung zwischen Fällen einer Dismembration und solchen einer bloßen Sezession. Vgl. Fastenrath, BDGVR 35 (1996), 9 (18 ff.). Entscheidend ist, welche Auffassung im konkreten Fall die Zustimmung der Staatengemeinschaft findet (vgl. Fastenrath, a.a.O, S. 20), wobei in Zweifelsfällen gemäß dem Grundsatz der „größtmöglichen Kontinuität des Staates“ vom Fortbestehen eines Staates auszugehen ist (vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 137; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 17). 12 So BVerfGE 96, 68 (79) = NJW 1998, 50 (51); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 158; Fastenrath, BDGVR 35 (1996), 9 (18). 13 Fastenrath, BDGVR 35 (1996), 9 (9 f.). Völkervertragliche Regelungen gibt es nur für Teilbereiche des Rechts der Staatennachfolge. Vgl. das Wiener Übereinkommen über die Staatennachfolge in Verträge vom 23.8.1978 (ILM 17 [1978], 1488) und das – noch nicht in Kraft getretene – Wiener Übereinkommen über die Staatennachfolge in Staatsvermögen, Staatsschulden und Staatsarchive vom 8.4.1983 (ILM 22 [1983], 306). 14 Vgl. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 25 Rn. 4. 10
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kergewohnheitsrecht festgelegt sei oder sich aus allgemeinen völkerrechtlichen Rechtsüberlegungen ergebe. Im Zweifel sei von einem Erlöschen völkerrechtlicher Rechte und Pflichten auszugehen.15 Dem steht die „Konzeption der selbstbestimmten Völker“ entgegen, die den Staat in erster Linie als Organisationsform einer Bevölkerung als dem eigentlichen Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten begreift. Wenn nun eine Bevölkerung im Rahmen einer vollständigen Staatensukzession in einen anderen Staatsverband eingegliedert wird oder in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Völker einen neuen Staat gründet, dann liegt es bei Annahme dieser Konzeption nahe, einen Übergang der Rechte und Pflichten des „alten“ Völkerrechtssubjekts anzunehmen. Es müßte also eine Art Universalsukzession in alle Rechte und Pflichten stattfinden.16 Die jüngere Staatenpraxis zeigt jedoch, daß die früher vertretene Vorstellung einer Universalsukzession, die damals allerdings auf einem Verständnis des Staatsgebiets als praktisch „vererbbarem“ Privateigentum des Souveräns, also auf einem absolutistischen Staatsverständnis beruhte, heute keine Gefolgschaft mehr findet.17 Vielmehr wird ein Rechte- und Pflichtenübergang keinesfalls als zwingend angesehen, insbesondere die im Zuge der Entkolonialisierung entstandenen Staaten haben großen Wert darauf gelegt, keine Verpflichtungen vom jeweiligen Kolonialstaat übernommen zu haben. Es erscheint insofern richtig, der erstgenannten Grundkonzeption zu folgen. Dies bedeutet, daß die Staatenimmunität im Fall des Untergangs des immunitätsberechtigten Staates erlischt, es sei denn, es läßt sich eine klare völkergewohnheitsrechtliche Regel nachweisen, die einen Übergang des Anspruchs auf Staatenimmunität auf den Rechtsnachfolgestaat anordnet, oder aber ein solcher Übergang der Staatenimmunität ergibt sich aus allgemeinen völkerrechtlichen Rechtsüberlegungen. Da die Frage der Fortgeltung der Staatenimmunität im Fall einer vollständigen Staatensukzession – soweit ersichtlich – erstmals im Kontext des Beitritts der DDR zur BRD Relevanz erlangte, ist die Existenz einer diesen Aspekt der Staatensukzession betreffenden völkergewohnheitsrechtlichen Regel zu verneinen. Damit kommt es entscheidend darauf an, ob allgemeine völkerrechtliche Rechtsüberlegungen eine Fortgeltung der Staatenimmunität gebieten. Vor diesem Hintergrund ist nun zu untersuchen, welche Auffassungen im Hinblick auf die von den ehemaligen Funktionsträgern der DDR gegenüber den bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden geltend gemachte Staatenimmunität vertreten wurden.
___________ Vgl. Blumenwitz, Staatennachfolge, S. 22; Fastenrath, BDGVR 35 (1996), 9 (12). Vgl. Blumenwitz, Staatennachfolge, S. 22; Fastenrath, BDGVR 35 (1996), 9 (11 f.). 17 Vgl. BVerfGE 96, 68 (92) = NJW 1998, 50 (55); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 25 Rn. 2. 15 16
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II. Die Bedeutung des Untergangs eines Staates für dessen Staatenimmunität am Beispiel des Beitritts der DDR zur BRD 1. Geltung der Staatenimmunität vor dem Beitritt Im Hinblick auf völkerrechtliche Rechte und Pflichten war die DDR ein souveräner Staat, und zwar auch im Verhältnis zur BRD.18 Im Verhältnis zwischen BRD und DDR waren damit für die BRD die allgemeinen Regeln des Völkerrechts – wozu auch die Staatenimmunität zählt – über Art. 25 GG verbindlich.19 Der DDR und ihren Funktionsträgern kam mithin auch gegenüber der BRD Staatenimmunität zu.20 Hoheitlich-dienstliche Handlungen von Funktionsträgern der DDR – als solche sind nahezu alle Taten des DDR-Systemunrechts einzustufen – durften während der Existenz der DDR von der BRD nicht geahndet werden, es sei denn, sie unterfielen einer der oben in § 6 und § 7 untersuchten Ausnahmen von der Staatenimmunität. Da die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze gegen völkerrechtliches ius cogens verstoßende Menschenrechtsverletzungen waren,21 stand die Staatenimmunität ihrer Verfolgung schon wegen der Ausnahme, die sie bei solchen Menschenrechtsverletzungen erfährt, weder vor noch nach dem Beitritt entgegen.22 Die bereits erwähnte Verurteilung des früheren DDR-Grenzsoldaten Hanke durch das LG Stuttgart im Jahr 196323 verstieß damit nicht gegen die – vom Gericht überhaupt nicht angesprochene – Staatenimmunität. Gleiches gilt wegen der Immunitätsausnahme bei Spionagehandlungen für die Verfolgung der von der DDR gegen die BRD betriebenen Spionage. Einer Ahndung etlicher anderer Bereiche des Systemunrechts – etwa der Fälle des nicht mit schweren Menschenrechtsverlet___________ BVerfGE 92, 277 (320) = NJW 1995, 1811 (1812); BVerfGE 95, 96 (129) = NJW 1997, 929 (929). 19 BVerfGE 92, 277 (320) = NJW 1995, 1811 (1812); BVerfGE 95, 96 (129) = NJW 1997, 929 (929). 20 So auch Rosenau, Tödliche Schüsse in staatlichem Auftrag, S. 87 und Rummler, Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze, S. 476 f. Dagegen scheinen Arnold/Kühl, JuS 1992, 991 (992); Dannecker, Jura 1994, 585 (586 f.) und Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 221 der Auffassung zuzuneigen, wegen der Besonderheiten des deutsch-deutschen Verhältnisses – der Nichtanerkennung der DDR als anderer Staat durch die BRD – habe die Staatenimmunität im Verhältnis zwischen DDR und BRD nicht gegolten. 21 Vgl. BVerfGE 95, 96 (135 ff.) = NJW 1997, 929 (931); BGHSt 39, 1 (16 ff.) = NJW 1992, 141 (145 f.); BGHSt 40, 241 (245 ff.) = NJW 1994, 2708 (2709 f.); BGHSt 41, 101 (105) = NJW 1995, 2728 (2730) sowie Kreicker, Art. 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze, S. 70 ff. 22 So auch Hobe/Tietje, GYIL 37 (1994), 386 (404 ff.). Die Gewalttaten an der deutschdeutschen Grenze können nicht als völkerrechtliche Verbrechen gegen das Völkerrecht, etwa als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, eingestuft werden. Vgl. Kreicker, Art. 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze, S. 86 ff. m.w.N. Eine sachliche Ausnahme von der Staatenimmunität wegen des Charakters der Taten als völkerrechtliche Verbrechen war damit nicht gegeben. 23 LG Stuttgart NJW 1964, 63 (63 ff.). 18
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zungen verbundenen Justizunrechts – stand dagegen vor dem Beitritt die Staatenimmunität entgegen. Die von der Bundesrepublik vorgenommene weitreichende Ahndung auch solcher Taten nach der deutschen Vereinigung kann mithin nur dann als völkerrechtskonform eingestuft werden, wenn die Staatenimmunität der DDR und ihrer Funktionsträger im Zuge des Beitritts der DDR oder danach entfiel. 2. Auffassungen zur Auswirkung des Beitritts auf die Staatenimmunität der früheren DDR-Funktionsträger a) Untergang der Staatenimmunität mit dem Untergang der DDR Nach übereinstimmender Ansicht von BGH und BVerfG, die auch in der Literatur überwiegend Unterstützung gefunden hat, kann die Staatenimmunität die Existenz des Staates, für den gehandelt wurde und der Schutzobjekt der Exemtion ist, nicht überdauern. Mit dem Untergang des Staates ende auch die diesem zukommende Staatenimmunität, sie stehe dann einer Strafverfolgung der staatlichen Funktionsträger des untergegangenen Staates nicht mehr entgegen. Für dieses Ergebnis sprächen Sinn und Zweck der völkerrechtlichen Immunität. Durch sie solle die Souveränität eines fremden Staates geschützt werden. Ein Schutz der Souveränität eines Staates sei aber nach dessen Untergang nicht mehr möglich. Mit dem Ende eines Staates entfalle der tragende Grund für die Gewährung der Immunität.24 Es gibt aber auch Stimmen in der Literatur, die dem ausdrücklich widersprechen. So wird darauf hingewiesen, es gebe im Völkerrecht keinen Rechtssatz des Inhalts, daß sinnlose bzw. leerlaufende Völkerrechtsregeln ihrer Verbindlichkeit entkleidet seien. Entscheidend sei, ob die These vom Wegfall einer Immunität bei Untergang ___________ BVerfG DtZ 1992, 216 (216); BVerfGE 95, 96 (129) = NJW 1997, 929 (930); BGHSt 39, 1 (6) = NJW 1993, 141 (142); Ambos, StV 1997, 39 (43); Blumenwitz, DA 1992, 567 (570) (allerdings bezogen auf eine mögliche Immunität Erich Honeckers als ehemaligem Staatsoberhaupt der DDR); ders., in: Ziemske u.a. (Hrsg.), FS Kriele, S. 713 (714 f.); Bröhmer, LJIL 12 (1999), 361 (368); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 254 (allerdings bezogen auf die Exemtion für Staatsoberhäupter); Drohla, in: Heintschel von Heinegg, Casebook Völkerrecht, Rn. 497; Ebert, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission, Bd. II 2, S. 1381 (1388); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 25 Rn. 38, § 26 Rn. 35; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. 2. a); Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 89; Gornig, NJ 1992, 4 (13) (allerdings bezogen auf die Exemtion für Staatsoberhäupter); LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 340; Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 266 f.; Kenntner, RuP 1997, 170 (182); Kissel/ Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 39; Renzikowski, NJ 1992, 152 (152); Rosenau, Tödliche Schüsse in staatlichem Auftrag, S. 85, 88; Rummler, Gewalttaten an der deutschdeutschen Grenze, S. 476; Schroeder, in: Brunner (Hrsg.), Juristische Bewältigung des kommunistischen Unrechts, S. 211 (213); ders., in: Eckart u.a. (Hrsg.), Wiedervereinigung Deutschlands, S. 399 (403); Schweitzer/Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis, Rn. 663, 960; Simma/Volk, NJW 1991, 871 (873); Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Art. 25 Rn. 80; Stuby, DuR 1992, 416 (419) (bezogen auf eine Exemtion Erich Honeckers als ehemaligem Staatsoberhaupt der DDR); Triffterer, in: Lampe (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung, S. 131 (144). 24
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des Staates Rückhalt in einer entsprechenden Staatenpraxis finde. Dies sei aber nicht der Fall.25 Zudem wird argumentiert, auch nach dem Untergang der DDR seien deren ehemalige Staatsbedienstete schutzbedürftig, so daß von einem Entfallen des Rechtsgrunds für die Immunitätsgewährung nicht gesprochen werden könne.26 Ausgehend von der oben verworfenen „Konzeption der selbstbestimmten Völker“, nach der eigentlicher Rechtsträger völkerrechtlicher Rechte die Bevölkerung sei, wird ferner behauptet, die Rechte aus der Staatenimmunität stünden zwar formal dem Staat, der Sache nach aber dessen Bevölkerung zu. Wenn sich diese Bevölkerung unter Aufgabe ihrer bisherigen Organisationsform einem anderen Staat anschließe, so bringe sie den ihr zustehenden Immunitätsanspruch in den neuen Staat ein. Die Staatenimmunität ende daher nicht automatisch mit einem Staatsuntergang, sondern gehe mit der Bevölkerung auf den Nachfolgestaat über.27 b) Verzicht auf die Staatenimmunität durch die DDR In der Literatur wird zum Teil – ohne die These vom Untergang der Staatenimmunität mit dem Untergang des immunitätsberechtigten Staates zu diskutieren – angenommen, die DDR habe auf die ihr zukommende Staatenimmunität mit Abschluß des Einigungsvertrags28 verzichtet.29 c) Verzicht auf die Staatenimmunität durch die BRD als Nachfolgestaat der DDR Vereinzelt wurde in der Literatur die Zulässigkeit einer Ahndung des DDRSystemunrechts durch die BRD nicht mit dem Argument eines Verzichts auf die Staatenimmunität durch die DDR selbst begründet, sondern damit, die BRD habe nach dem Beitritt einen Verzicht erklärt. Die Staatenimmunität habe nicht mit dem Untergang der DDR geendet, sondern sei auf die BRD übergegangen. Ein Verzicht durch die DDR liege nicht vor, da dieser explizit hätte ausgesprochen werden müs___________ Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 221 f. (bezogen auf die Immunität ehemaliger Staatsoberhäupter). 26 Hobe/Tietje, GYIL 37 (1994), 386 (403, 405). Gegen dieses Argument ist allerdings bereits an dieser Stelle einzuwenden, daß der Rechtsgrund der Staatenimmunität gerade nicht in der Gewährung eines Schutzes für die handelnden Personen liegt, sondern diese Exemtion ausschließlich dem Zweck dient, fremdstaatliche Souveränität zu achten. 27 So Fastenrath, BDGVR 35 (1996), 9 (43 f.). 28 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – vom 31.8.1990, BGBl. 1990 II, S. 889. 29 Neben anderen Arnold/Kühl, JuS 1992, 991 (992); Dannecker, Jura 1994, 585 (587); Hobe/Tietje, GYIL 37 (1994), 386 (403 ff.); Kraut, Rechtsbeugung, S. 116; Lüderssen, Der Staat geht unter, S. 110 ff. (allerdings bezogen auf eine Immunität Erich Honeckers als ehemaliges Staatsoberhaupt der DDR); Rosenau, Tödliche Schüsse in staatlichem Auftrag, S. 89. Siehe auch Nill-Theobald, „Defences“ bei Kriegsverbrechen, S. 376 und Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (89 Fn. 201). 25
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sen. Der Anspruch der DDR auf Staatenimmunität sei durch die Staatensukzession zu einem nunmehr der BRD zustehenden Anspruch geworden. Damit aber habe die BRD über dieses Recht disponieren und einen Verzicht aussprechen können. Ein solcher Verzicht sei konkludent in jeder Strafverfolgungsmaßnahme, vor allem in einer Anklageerhebung, enthalten gewesen.30 Sofern man der These vom Übergang des Immunitätsanspruchs auf die BRD folgt, müßte man aber gar nicht die Vorstellung eines konkludenten Verzichts durch die BRD bemühen. Denn die Staatenimmunität steht nur einer fremdstaatlichen Strafverfolgung entgegen, nicht aber einem Tätigwerden des Staates, zu dessen Gunsten die Immunität besteht. Wenn man also annähme, der BRD stünde als Rechtsnachfolgerin der DDR deren Anspruch auf Staatenimmunität zu, so hätte diese einer Strafverfolgung durch die BRD von vornherein nicht im Wege gestanden. Unzulässig wäre lediglich eine Strafverfolgung durch Drittstaaten gewesen.31 d) Weitergeltung der Staatenimmunität als Strafverfolgungshindernis Auch wenn die drei geschilderten Argumentationsmuster stark differieren, so waren sich Rechtsprechung und Literatur doch im Ergebnis ganz überwiegend einig, daß die Staatenimmunität einer Ahndung des DDR-Systemunrechts durch die BRD nicht entgegenstand. Keine Resonanz dagegen haben die vereinzelten Stimmen gefunden, die eine Strafverfolgung wegen des Grundsatzes der Staatenimmunität für unzulässig hielten. So wurde argumentiert, die DDR-Funktionsträger seien zur Tatzeit wegen des Grundsatzes der Staatenimmunität vor einer Strafverfolgung durch die BRD geschützt gewesen. Wenn nunmehr die Geltung der Staatenimmunität abgelehnt werde, so verstoße dies gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG. Es werde den Tätern rückwirkend ein zur Tatzeit bestehender Schutz vor Strafverfolgung entzogen und entsprechendes Vertrauen enttäuscht.32 Ferner wurde behauptet, der Schutz der Staatsbediensteten vor einer Strafverfolgung beruhe darauf, daß das amtliche Handeln von Staatsorganen nur dem Staat, ___________ Albrecht/Kadelbach, NJ 1992, 137 (140 f.); Nill-Theobald, „Defences“ bei Kriegsverbrechen, S. 376; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 222 f. Siehe auch Gornig, in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (484 f.) und Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (89 Fn. 201). 31 Hiervon gehen Fastenrath, BDGVR 35 (1996), 9 (44) und Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 95 Fn. 259 tatsächlich aus. Vgl. auch Stuby, DuR 1992, 416 (419). 32 Merkel, in: Unseld (Hrsg.), Politik ohne Projekt?, S. 298 (303 ff.); ders., Die Zeit vom 28.8.1992, S. 52. Merkel bezieht sich auf eine Strafverfolgung des ehemaligen DDRStaatsratsvorsitzenden und SED-Generalsekretärs Erich Honecker wegen der Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze; für diese Taten galt jedoch – wie dargelegt wurde – wegen der Einstufung der Taten als schwere Menschenrechtsverletzungen die Staatenimmunität ohnehin nicht. Vgl. hierzu auch Rosenau, Tödliche Schüsse in staatlichem Auftrag, S. 89. 30
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nicht aber der individuellen handelnden Person zugeordnet werde. Strafrechtlich relevantes hoheitlich-dienstliches Fehlverhalten sei mithin gar kein individuelles Verhalten der handelnden Person. Damit scheide ihre strafrechtliche Verantwortlichkeit dauerhaft aus, so daß auch ehemalige DDR-Funktionsträger für die von ihnen vorgenommenen Amtshandlungen zeitlich unbegrenzt einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit entzogen seien.33 3. Bewertung der verschiedenen Ansichten Die zuletzt genannten Ansichten, deren Vertreter die Strafverfolgung von DDRFunktionsträgern für unvereinbar mit der Staatenimmunität halten, vermögen nicht zu überzeugen. Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot steht – wie im einzelnen unten in § 22 VI.3.b) erörtert wird – einem Entfallen völkerrechtlicher Immunitäten nicht entgegen. Denn das Rückwirkungsverbot dient dem Schutz berechtigten Vertrauens darauf, daß ein zum Tatzeitpunkt legales Verhalten nicht nachträglich und rückwirkend strafrechtlich geahndet wird.34 Einen solchen Vertrauenstatbestand kann es aber im Bereich der völkerrechtlichen Immunitäten wegen der von vornherein bestehenden Möglichkeit eines Immunitätsverzichts nicht geben, zumindest aber wäre ein Vertrauen in die fehlende Verfolgbarkeit einer Tat aufgrund der Staatenimmunität nicht schutzwürdig. Denn die Staatenimmunität wird ausschließlich im Interesse des jeweiligen Staates gewährt, sie steht dem handelnden Funktionsträger nicht als subjektives Recht zu. Dieser profitiert lediglich von der Immunität, die nicht den Zweck hat, die handelnden Personen um ihrer selbst willen einer Strafverfolgung zu entziehen. Die Auffassung, es fehle bei hoheitlich-dienstlichen Handlungen bereits an einer individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit des handelnden Funktionsträgers, da dessen Handeln „seinem“ Staat als Staatshandeln zuzurechnen sei, verkennt die Bedeutung dieser Zurechnung. Zwar wird amtliches Handeln staatlicher Funktionsträger dem Staat, für den gehandelt wurde, als Staatshandeln zugerechnet, so dass dieser Staat völkerrechtlich für die Handlungen verantwortlich und gegebenenfalls zur Erbringung von Wiedergutmachungsleistungen verpflichtet ist. Aber diese Zurechnung bewirkt – jedenfalls in strafrechtlicher Hinsicht – keine privative, von jeglicher individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit befreiende Haftungsüberleitung. Die Staatenimmunität verbietet es lediglich, aus der individuellen Verantwortlichkeit durch Realisierung eines Strafanspruchs Konsequenzen zu ziehen. ___________ So etwa Doehring, Völkerrecht, Rn. 672; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 612, 683 (konkret bezogen auf Erich Honecker als früheres Staatsoberhaupt der DDR). 34 Vgl. BVerfGE 95, 96 (131) = NJW 1997, 929 (930); Schönke/Schröder-Eser, § 2 Rn. 1; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 15 IV. 33
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Eine zeitliche Begrenzung der Staatenimmunität ist also ohne weiteres möglich. Damit aber lässt sich auch die Völkerrechtskonformität der von der Bundesrepublik vorgenommenen strafrechtlichen Ahndung des DDR-Systemunrechts im Ergebnis ohne Schwierigkeiten bejahen. Wenn man der Auffassung folgte, daß die Staatenimmunität der DDR im Wege der Staatensukzession auf die Bundesrepublik übergegangen ist, dann wäre die BRD als nunmehr Inhaberin der Immunität – wie bereits gesagt – von vornherein nicht an einer Strafverfolgung gehindert. Gute Gründe sprechen auch für die Annahme, die DDR habe bereits mit Abschluß des Einigungsvertrags auf die ihr zustehende Staatenimmunität ihrer Funktionsträger verzichtet.35 Für die Frage der Zulässigkeit einer strafrechtlichen Ahndung des DDR-Systemunrechts durch die bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden braucht die hier interessierende Frage, ob die Staatenimmunität bei einem Untergang des immunitätsberechtigten Staates erlischt oder auf den Rechtsnachfolgestaat übergeht, damit nicht entschieden zu werden. Entweder ging die Staatenimmunität mit dem Beitritt unter; oder die DDR hatte bereits zuvor auf die ihr zustehende Exemtion verzichtet oder aber die Immunität ging auf die BRD über, womit diese aber als neue Rechtsinhaberin nicht an einer Strafverfolgung gehindert war. Doch wäre es verfehlt, sich mit diesem Ergebnis zu begnügen. Denn dann wäre weder eine allgemeingültige Aussage gewonnen noch die Frage geklärt, ob auch Drittstaaten eine Strafverfolgung wegen des DDR-Systemunrechts hätten betreiben dürfen. Ausgehend von der oben getroffenen Feststellung, daß die Staatenimmunität im Fall des Untergangs des immunitätsberechtigten Staates nur dann nicht erlöschen würde, wenn allgemeine völkerrechtliche Rechtsüberlegungen eine Fortgeltung der Staatenimmunität geböten, ist der von der Rechtsprechung und herrschenden Meinung in der Literatur vertretenen These vom Untergang der Staatenimmunität mit dem Untergang des Staates und auch der für diese These vorgetragenen Begründung zuzustimmen. Da die Staatenimmunität nur gewährt wird, um den Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten und die Unabhängigkeit der Staaten zu achten und sie lediglich verhindern soll, daß ein Staat „über einen anderen Staat zu Gericht sitzt“, indem er dessen Funktionsträger für ihr amtliches Handeln bestraft, ___________ 35 So erfaßt der durch den Einigungsvertrag geschaffene Art. 315 EGStGB, mit dem die Modalitäten einer Strafverfolgung von „DDR-Alttaten“ durch die Bundesrepublik festgelegt wurden, alle Arten von Straftaten. Hätte die DDR eine Strafverfolgung von Taten des Systemunrechts durch die BRD verhindern wollen, so hätte eine entsprechende Einschränkung im Einigungsvertrag zumindest nahegelegen. Wie sich aus Art. 17–19 des Einigungsvertrags ergibt, waren sich die Vertragsparteien darüber einig, daß es in der DDR rechtsstaatswidriges staatliches Handeln gegeben hatte, auf das die Bundesrepublik reagieren müsse und dürfe. Ausdrücklich ist die Aufhebbarkeit rechtsstaatswidriger Verwaltungsakte und Urteile festgelegt worden. Auch hatte sich die Volkskammer der DDR im Sommer 1990 in einem Beschluß ausdrücklich für eine Fortsetzung der strafrechtlichen Reaktion auf das Systemunrecht nach dem bevorstehenden Beitritt ausgesprochen, der Einigungsvertrag hat explizit die Weiterführung bereits laufender Strafverfahren geregelt.
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entfällt der tragende Grund für die Gewährung der Staatenimmunität, wenn der Staat als Schutzobjekt der Exemtion untergeht. Mangels Existenz des Staates gibt es keine Souveränität und Unabhängigkeit mehr, die ein fremder Staat zu achten hätte. Der Nachfolgestaat übernimmt mit dem Untergang des Vorgängerstaates auch nicht etwa nahtlos dessen Hoheitsgewalt mit der Konsequenz, daß Amtshandlungen des alten Staates jetzt als Amtshandlungen des neuen Staates angesehen werden müßten. Er übt vielmehr ab dem Zeitpunkt seiner Gründung bzw. der Eingliederung des neuen Staatsgebiets eigene, originäre Hoheitsgewalt in seinem neuen Gebiet aus.36 Zwar mag es sein, daß im Rahmen der Nachfolge die Staatsbediensteten des untergegangenen Staates übernommen werden; auch dürften regelmäßig Rechtsakte des untergegangenen Staates vom Nachfolgestaat als weiterhin rechtsgültig und wirksam betrachtet werden, doch bleiben die Hoheitsakte des „alten“ Staates solche dieses untergegangenen Staates und haben die handelnden Personen als Organe des untergegangenen Staates agiert. Wenn daher ein dritter Staat Personen wegen der Vornahme solcher Hoheitsakte strafrechtlich zur Verantwortung zieht, wird nicht über Hoheitsakte des Nachfolgestaates judiziert; deshalb liegt auch keine Mißachtung der Souveränität des Nachfolgestaates vor.37 Daraus folgt, daß wegen des Unterganges der DDR die Staatenimmunität, die bis dahin einer Strafverfolgung ihrer Funktionsträger wegen amtlicher Handlungen entgegenstand, entfallen ist. Nicht nur die BRD, sondern auch Drittstaaten waren und sind daher seit dem Untergang der DDR nicht mehr aufgrund der Staatenimmunität an einer Strafverfolgung von Taten des DDR-Systemunrechts gehindert. Dieses Ergebnis läßt sich verallgemeinern: Die Staatenimmunität eines Staates erlischt mit seinem Untergang als Völkerrechtssubjekt.
III. Fazit Veränderungen eines Staates, die dessen Völkerrechtssubjektivität nicht berühren, haben keine Auswirkungen auf die Fortdauer der Staatenimmunität seiner Funktionsträger. Dies gilt auch für Fälle einer partiellen Staatensukzession, da hier der Staat, der Staatsgebiet verliert, als Völkerrechtssubjekt und damit als Träger des Rechts auf Staatenimmunität erhalten bleibt. Sobald aber ein Staat im Rahmen einer vollständigen Staatensukzession untergeht, erlischt die diesem und seinen früheren Funktionsträgern zukommende Staatenimmunität. In einem solchen Fall ist kein Staat mehr völkerrechtlich an einer ___________ Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 158; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 25 Rn. 2. 37 Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 25 Rn. 38. 36
§ 8 Relevanz einer Staatensukzession
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Strafverfolgung von Personen aufgrund der Tatsache gehindert, daß die zu beurteilende Tat eine hoheitlich-dienstliche Handlung für den untergegangenen Staat war. Dies gilt unabhängig von der Art der vollständigen Staatensukzession, also nicht nur im Fall einer Inkorporation wie bei dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, sondern auch bei einer Dismembration eines Staates in mehrere Neustaaten oder einer Fusion von Staaten zu einem Neustaat.
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
§ 9 Bedeutung der Staatenimmunität für internationale Strafgerichtshöfe Bislang ging es ausschließlich um die Frage, inwieweit die Staatenimmunität einzelnen Staaten die Ausübung nationaler Strafgerichtsbarkeit untersagt. Vor wenigen Jahren noch hätte eine solche Betrachtung ausgereicht, da die Ahndung strafbaren Verhaltens allein eine Aufgabe der einzelnen Staaten war. Mittlerweile aber sind die Bemühungen, völkerrechtliche Verbrechen nicht ungesühnt zu lassen und der verbreiteten Straflosigkeit schwerster Menschenrechtsverletzungen entgegenzuwirken, vor allem gekennzeichnet durch die Errichtung supranationaler Strafgerichtshöfe zur Ahndung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.1 Am Anfang dieser neuen Epoche des Völkerstrafrechts stand die Errichtung der UN-Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien (ICTY)2 und für Ruanda (ICTR)3 durch den UN-Sicherheitsrat in den Jahren 1993 bzw. 1994. Während die Zuständigkeit dieser supranationalen Gerichtshöfe sowohl örtlich als auch zeitlich beschränkt ist,4 wurde schließlich im Jahr 1998 mit der Verabschiedung des Römischen Statuts für den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH)5 erstmalig ein ständiges supranationales Strafgericht gegründet und damit ___________ 1 Diese Feststellung darf aber nicht zu der Schlußfolgerung verleiten, die Ahndung solcher Taten sei primär Aufgabe internationaler Gerichte. Das Gegenteil ist der Fall. So ist die Gerichtsbarkeit des IStGH gemäß Art. 17 IStGH-Statut ausdrücklich komplementär gegenüber der Zuständigkeit nationaler Gerichte. Auch wenn das IStGH-Statut den Staaten keine Verfolgungspflicht auferlegt, so liegt doch der Gesamtkonzeption des Statuts die Vorstellung zugrunde, daß die Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen primär Aufgabe der einzelnen Staaten ist. Vgl. Eser/Kreicker, in: dies. (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 2 ff. sowie Eser, in: Grafl/ Medigovic (Hrsg.), FS Burgstaller, S. 355 (360 ff.). Dem Gebot einer nationalen Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen hat die Bundesrepublik durch die Schaffung des VStGB im Jahr 2002 Rechnung getragen; vgl. Gropengießer/Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, passim. 2 International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia (ICTY). Das Statut dieses Gerichtshofs ist abgedruckt in ILM 32 (1993), 1192 und in BT-Drucks. 13/57 (dort auch dt. Übers.). Internetquelle: (31.3.2006). 3 International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR). Das Statut dieses Gerichtshofs ist abgedruckt in ILM 33 (1994), 1602 und in BT-Drucks. 13/7953 (dort auch dt. Übers.). Internetquelle: (31.3.2006). 4 Das Jugoslawientribunal ist nach Art. 1 ICTY-Statut für Taten zuständig, die seit dem 1.1.1991 im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien begangen wurden, das Ruandatribunal gemäß Art. 1 ICTR-Statut für Taten, die im Jahr 1994 in Ruanda bzw. von ruandischen Staatsangehörigen in den Nachbarstaaten verübt wurden. 5 UN-Dokument A/CONF.183/9. Abgedruckt in englischer Fassung in ILM 37 (1998), 999; in englischer und französischer Fassung sowie in amtlicher dt. Übers. in BGBl. 2000 II, S. 1393 und BT-Drucks. 14/2682, S. 9. Deutsche Fassung auch in der Sammlung „Sartorius II“ unter Nr. 35. Internetquelle: (31.3.2006).
§ 9 Bedeutung der Staatenimmunität für internationale Strafgerichte
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der wohl bislang wichtigste Meilenstein in der Geschichte des Völkerstrafrechts gesetzt. Es ist daher zu klären, ob die Staatenimmunität der Strafgerichtsbarkeit dieser internationalen Strafgerichtshöfe Grenzen zu setzen vermag.6 Wegen der unterschiedlichen Rechtsgrundlagen der internationalen Strafgerichtshöfe ist bei der Untersuchung zu differenzieren zwischen einerseits den UN-Tribunalen und andererseits dem IStGH. In gewisser Weise zwischen diesen supranationalen Gerichten und rein nationalen Gerichten stehen die mixed tribunals, die von UN-Übergangsverwaltungen bzw. unter Mitwirkung der Vereinten Nationen im Kosovo, in Ost-Timor, in Sierra Leone und in Kambodscha eingerichtet wurden.7 Auf die Frage, inwieweit völkerrechtliche Exemtionen für diese Gerichte beachtlich sind, soll in Form eines Exkurses am Schluß dieses Kapitels eingegangen werden.
I. Bedeutung der Staatenimmunität für die UN-Strafgerichtshöfe 1. Rechtliche Struktur der UN-Strafgerichtshöfe Für die Beantwortung der Frage, inwieweit völkerrechtliche Exemtionen der Gerichtsbarkeit internationaler Strafgerichtshöfe Grenzen setzen, kommt es entscheidend auf die rechtliche Struktur der Gerichte an. Für den ICTY und ICTR ist daher vorab festzustellen, daß beide Tribunale durch Resolutionen des UN-Sicherheitsrates nach Kapitel VII UN-Charta gegründet wurden.8 Der ICTY wurde durch Re___________ Die Darstellung stellt aus zwei Gründen konkret auf die beiden UN-Tribunale und auf den IStGH ab: Zum einen stehen diese Gerichtshöfe für die beiden Möglichkeiten, auf internationaler Ebene Gerichtsinstanzen zu schaffen, denn der IStGH beruht auf einem völkerrechtlichen Vertrag einzelner Staaten, die UN-Gerichte auf Resolutionen des UNSicherheitsrates. Zum anderen ist eine Schaffung weiterer internationaler Strafgerichtshöfe wegen des Universalitätsanspruchs des Römischen Statuts und dessen Verknüpfung mit den UN-Organen (Art. 2, Art. 13 lit. b) IStGH-Statut) nicht zu erwarten. 7 Vgl. hierzu die unten in Anm. 54 genannte Literatur. 8 Vgl. (auch allgemein zu den UN-Strafgerichtshöfen) Akhavan, AJIL 90 (1996), 501 (501 ff.); Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 34 ff.; Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 59 ff., 125 ff.; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1129 ff.; Engelhart, Jura 2004, 734 (740 f.); Graefrath, NJ 1993, 433 (433 ff.); Heintschel von Heinegg, HuV-I 1996, 75 (77 ff.); ders., in: Fischer/Lüder (Hrsg.), Völkerrechtliche Verbrechen, S. 63 ff.; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 256 ff.; Hollweg, JZ 1993, 980 (980 ff.); Ipsen, in: ders., Völkerrecht, § 42 Rn. 32 ff.; Knocke/Lüder, HuV-I 1996, 214 (214 ff.); Kreß, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, III 27 Rn. 6; Oellers-Frahm, ZaöRV 54 (1994), 416 (416 ff.); dies., in: Beyerlin u.a. (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 733 (735 ff.); Partsch, VN 1994, 11 (11 ff.); Roggemann, Die Internationalen Strafgerichtshöfe, S. 60 ff., 156 ff.; Shraga/Zacklin, EJIL 7 (1996), 501 (501 ff.); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 44 ff. 6
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solution 827 (1993), der ICTR durch Resolution 955 (1994) eingerichtet.9 Beide Gerichtshöfe sind damit formal Hilfsorgane (Nebenorgane) des UN-Sicherheitsrates im Sinne von Art. 29 UN-Charta. Sie basieren nicht auf völkerrechtlichen Verträgen, die einzelne Staaten miteinander geschlossen haben, und sind keine internationalen Organisationen mit eigener Völkerrechtssubjektivität.10 2. Der Ausschluß der Staatenimmunität a) Der Ausschluß der Staatenimmunität durch Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut Auf den ersten Blick scheint die Frage, ob die Staatenimmunität für den ICTY und ICTR von Bedeutung ist, sehr einfach zu verneinen zu sein. Denn die Statuten der UN-Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda legen – wie bereits erwähnt wurde – ausdrücklich fest, daß sämtliche völkerrechtliche Exemtionen, also auch die Staatenimmunität, einer Strafverfolgung nicht im Wege stehen.11 In Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut heißt es wortgleich: „Die amtliche Stellung eines Beschuldigten, sei er Staats- oder Regierungschef oder hoher Regierungsbeamter, enthebt den Betreffenden nicht seiner strafrechtlichen Verantwortung und mindert auch seine Strafe nicht.“12
Doch wäre es zu kurz gegriffen, wenn man sich darauf beschränkte, auf diesen Exemtionsausschluß hinzuweisen. Vielmehr ist zu fragen, ob diese Bestimmung in den Statuten völkerrechtskonform ist. b) Zur Völkerrechtskonformität des Ausschlusses der Staatenimmunität Die Frage der Völkerrechtskonformität des Ausschlusses der Staatenimmunität durch Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut kann jedoch – um ___________ Die Resolution 827 (1993) vom 25.5.1993 ist abgedruckt in BT-Drucks. 13/57 (Anlage 1). Die Resolution 955 (1994) vom 8.11.1994 ist abgedruckt in BT-Drucks. 13/7953 (Anlage 1). Der Errichtung des ICTY durch Resolution 827 (1993) ging ein Grundsatzbeschluß zur Schaffung des Gerichts (Resolution 808 [1993]) vom 22.2.1993 (abgedr. in VN 1993, 71) voraus. Alle Resolutionen sind im Internet abrufbar unter (31.3.2006). 10 Vgl. Oellers-Frahm, EuGRZ 2003, 107 (109). 11 Vgl. Kreß, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, III 27 Rn. 18. 12 Dt. Übers. in BT-Drucks. 13/57, S. 16 (24) bzw. BT-Drucks. 13/7953, S. 18 (20). Die verbindliche englische Fassung lautet: “The official position of any accused person, whether as Head of State or Government or as a responsible Government official, shall not relieve such person of criminal responsibility nor mitigate punishment.” Vgl. ILM 32 (1993), 1192 (1194) = BT-Drucks. 13/57, S. 14 (16) bzw. ILM 33 (1994), 1602 (1604) = BT-Drucks. 13/7953, 18 (20). Internetquellen: bzw. (31.3.2006). 9
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das Ergebnis vorwegzunehmen – bejaht werden, und zwar mit zwei voneinander unabhängigen Argumentationen. aa) Zulässigkeit des Immunitätsausschlusses wegen der Gründung der UN-Strafgerichtshöfe durch den UN-Sicherheitsrat Art. 39 ff. UN-Charta ermächtigen den Sicherheitsrat, Maßnahmen zu beschließen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen. Welche Maßnahmen dies sein können, legt Kapitel VII nicht abschließend fest, weshalb der Sicherheitsrat selbst entscheiden kann, welcher Art die von ihm zu beschließenden Maßnahmen sein sollen.13 Der Sicherheitsrat hat – auf Empfehlung des UN-Generalsekretärs14 – im Fall der ethnischen Konflikte im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda die Ahndung der verübten völkerrechtlichen Verbrechen durch UN-Strafgerichtshöfe als eine gebotene Maßnahme zur Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erachtet. Zu diesem Zweck hat er durch Resolutionen nach Kapitel VII UN-Charta den ICTY und den ICTR errichtet und deren Statute, in denen der Immunitätsausschluß normiert ist, verabschiedet.15 ___________ Vgl. Frowein/Krisch, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 41 Rn. 10, 14 ff. (insb. Rn. 19). 14 Vgl. den Bericht des UN-Generalsekretärs vom 3.5.1993 bezüglich der Einrichtung des UN-Tribunals für Jugoslawien (UN-Dokument S/25704; abgedruckt in ILM 32 [1993], 1163 [1169 f.]). 15 Die Völkerrechtskonformität der Errichtung von Strafgerichtshöfen auf der Basis von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates nach Kapitel VII UN-Charta wurde zum Teil bestritten. Eine derartige Maßnahme sei nicht, wie Art. 39 UN-Charta verlange, unmittelbar zur Wahrung bzw. Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit geeignet. Bei der Schaffung der Charta sei bezüglich nichtmilitärischer Maßnahmen ausschließlich an Maßnahmen gedacht worden, die unmittelbar zur Befriedung eines gegenwärtigen Konflikts führen können, etwa – wie Art. 41 UN-Charta zeige – an die Verhängung von Wirtschaftssanktionen oder die Unterbrechung von Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen. Zudem dürfe der Sicherheitsrat selbst keine rechtsprechende Tätigkeit ausüben; dann aber könne er nicht ein Hilfsorgan mit einer solchen Befugnis gründen. Denn niemand könne Kompetenzen übertragen, die er selbst nicht habe. Vgl. Graefrath, NJ 1993, 433 (434 ff.); Doehring, Völkerrecht, Rn. 1169 und Schmalenbach, AVR 36 (1998), 285 (287 ff.). Doch läßt sich kaum leugnen, daß die Ahndung von Völkerrechtsverbrechen zu einer Aussöhnung zwischen verfeindeten Volksgruppen ebenso beitragen kann wie zu einer Abschreckung potentieller Friedensstörer. Dies sind wesentliche Bausteine für die dauerhafte Befriedung eines Konflikts. Zudem ist die Errichtung der Strafgerichtshöfe auf die Zustimmung nahezu aller Staaten gestoßen. Zwar darf der Sicherheitsrat nach der UN-Charta selbst keine Rechtsprechung ausüben; dies ist vielmehr nach Art. 92 UN-Charta Aufgabe des IGH. Doch betrifft dieses Verbot die justizielle Beilegung eines Streits zwischen Staaten als Parteien, diese fällt ausschließlich in die Zuständigkeit des IGH. Bei den UN-Tribunalen geht es aber darum, Individuen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Hierauf bezieht sich das Rechtsprechungsverbot für den Sicherheitsrat nicht. Damit kann die Legalität der Gerichtshofgründung auf der Basis von Kapitel VII UN-Charta bejaht werden. Ebenso die Auffassung des ICTY selbst, der sich bereits in 13
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Dem System und den Befugnissen der Vereinten Nationen haben sich durch Ratifikation der UN-Charta nahezu alle Staaten der Welt unterworfen, auch Ruanda und die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien sind Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen.16 Gemäß Art. 24 Abs. 1 UN-Charta haben die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen dem Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit übertragen und anerkannt, daß der Sicherheitsrat bei der Wahrnehmung der sich aus dieser Verantwortung ergebenden Pflichten in ihrem Namen handelt.17 Nach Art. 25 UN-Charta sind die Staaten verpflichtet, Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates anzunehmen und durchzuführen.18 Die Staaten haben sich also verpflichtet, sämtliche Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates zu akzeptieren, und sich mit eventuellen Eingriffen in ihre völkerrechtlichen Rechtspositionen vorab einverstanden erklärt. Soweit mit der Festlegung einer Unbeachtlichkeit völkerrechtlicher Exemtionen im ICTY-Statut und im ICTR-Statut in staatliche Souveränitätsrechte oder sonstige völkerrechtliche Rechtspositionen der Staaten eingegriffen wird, ist dieser Eingriff daher gerechtfertigt. Man kann in gewisser Weise von einem „Verzicht“ der Staaten auf ihnen zukommende völkerrechtliche Rechtspositionen sprechen.19 Schon aus diesem Grund ___________ seinem ersten Verfahren mit der Zulässigkeit der Gerichtshofgründung durch den UNSicherheitsrat befaßt und diese bejaht hat: Berufungsentscheidung im Fall Tadiü vom 2.10.1995 (IT-94-1-AR72), para. 26 ff., ILM 35 (1996), 32 (41 ff.) = HRLJ 1995, 437 (441 ff.). Für eine Rechtmäßigkeit auch Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 64 ff., 130 ff., 183 ff.; Heintschel von Heinegg, HuV-I 1996, 75 (78 ff.); ders., in: Fischer/Lüder (Hrsg.), Völkerrechtliche Verbrechen, S. 63 (67 ff.); Hollweg, JZ 1993, 980 (981 ff.); Kreß, EuGRZ 1996, 638 (641 f.); OellersFrahm, ZaöRV 54 (1994), 416 (418); dies., in: Beyerlin u.a. (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 733 (736 ff.); Schröder, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 7. Abschn. Rn. 47. Siehe ferner Kreß, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, III 27 Rn. 7. Hinzuweisen ist zudem darauf, daß der UN-Sicherheitsrat – wollte er nicht mit dem als Menschenrecht anerkannten Rückwirkungsverbot in Konflikt geraten – nur solche Taten der Gerichtsbarkeit der UN-Gerichtshöfe unterwerfen durfte, die bereits zur Tatzeit nach einer für die Täter maßgeblichen Rechtsordnung strafbar waren. Der UN-Generalsekretär hat daher ausdrücklich darauf verwiesen, daß die in dem Statut des Jugoslawien-Tribunals normierten Straftatbestände – Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen – bereits zu Beginn des Tatzeitraums, auf den sich die Gerichtsbarkeit des ICTY bezieht (das ist das Jahr 1991), unzweifelhaft Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts waren. Vgl. Bericht des UN-Generalsekretärs vom 3.5.1993 (siehe oben Anm. 14), Ziff. 29, 34 f. Siehe auch Partsch, VN 1994, 11 (13). 16 Die einzigen Staaten, die nicht Mitglieder der UN sind, sind die Demokratische Arabische Republik Westsahara, die Republik China (Taiwan) und die Vatikanstadt. Im September 2002 ist auch die Schweiz UN-Mitglied geworden. Vgl. zum Ratifizierungsstand im Internet (31.3.2006). 17 Vgl. Delbrück, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 24 Rn. 3 ff. 18 Vgl. Delbrück, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 25 Rn. 4 ff.; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 150 f. 19 Wie hier auch Akande, AJIL 98 (2004), 407 (417); Gaeta, JICJ 1 (2003), 186 (192); Klingberg, GYIL 46 (2003), 537 (546); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 242 f. Fn. 752; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (442). Zu dieser Auffassung tendierend auch
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ist der Ausschluß der Staatenimmunität – und auch aller sonstiger völkerrechtlicher Exemtionen – durch Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut völkerrechtskonform. Eine Einschränkung dieser Aussage muß jedoch gemacht werden: Mit dieser Argumentation kann eine Nichtbeachtung der Staatenimmunität und sonstiger Exemtionen durch den ICTY und ICTR insoweit nicht legitimiert werden, als es um eine Strafverfolgung von Funktionsträgern der drei Staaten geht, die nicht UN-Mitglieder sind.20 Denn die UN-Charta vermag als völkerrechtlicher Vertrag nur die Vertragsstaaten zu verpflichten, stellt sich für die Nichtvertragsstaaten dagegen als für sie unverbindliche res inter alios acta dar.21 Doch dürften Funktionsträger der Staaten, die nicht UN-Mitglieder sind, nicht zum Kreis der Personen gehören, für deren Verfolgung die UN-Strafgerichtshöfe zuständig sind. Bedeutsamer ist dagegen die Tatsache, daß die nach dem Zusammenbruch der Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien im Jahr 1992 aus den Gliedstaaten Serbien und Montenegro neu entstandene Bundesrepublik Jugoslawien (heute „Serbien und Montenegro“) bis zum 1. November 2000 nicht Mitglied der Vereinten Nationen war, da ihr Anspruch, subjektidentisch mit der früheren Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien zu sein, von den Vereinten Nationen nicht anerkannt worden war22 und die UN-Generalversammlung einer Aufnahme der Bundesrepublik Jugoslawien in die
___________ Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 212. Siehe zudem Fastenrath, FAZ vom 29.7.1995, S. 5. 20 Vgl. oben Anm. 16. 21 Art. 34 WVRK legt (deklaratorisch) fest, daß völkerrechtliche Verträge für Drittstaaten (Nichtvertragsstaaten) weder Pflichten noch Rechte zu begründen vermögen (pacta tertiis nec nocent ne prosunt); vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rn. 23 ff.; Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rn. 120. Nach Ansicht des IGH im „Bernadotte-Gutachten“ aus dem Jahr 1948 sollen die Vereinten Nationen zwar objektive Völkerrechtspersönlichkeit besitzen, die auch gegenüber Drittstaaten wirkt (vgl. IGH, ICJ-Reports 1949, 174 [185]); doch folgt hieraus nicht die Bindungswirkung von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates für Drittstaaten. So auch Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 92, 96, 154. A.A. aber Delbrück, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 25 Rn. 19, der eine Bindungswirkung von Resolutionen des Sicherheitsrates auch für Nichtmitgliedstaaten für möglich hält. 22 Vgl. diesbezüglich die Resolutionen 752 (1992), 757 (1992) und 777 (1992) des UNSicherheitsrates (abgedr. in VN 1992, 109 f., 218; Internetquelle: [31.3.2006]) sowie die Gutachten Nr. 8–10 der sogenannten Badinter-Kommission von 1992, EJIL 1993, 84 ff., wo von einer Dismembration Jugoslawiens im Jahr 1992 ausgegangen und die Bundesrepublik Jugoslawien als Neustaat angesehen wurde. Diese von den meisten Staaten, namentlich den Staaten der EU, geteilte Auffassung ablehnend und mit guten Gründen von einer Subjektidentität der Bundesrepublik Jugoslawien mit der Sozialistischen Republik Jugoslawien ausgehend Arnold, Der UNOSicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 79 ff.; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 18. Siehe auch Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 174; Hummer/Mayr-Singer, VN 1999, 104 (104 f.); Scharf, Law and Contemporary Problems 64 (2001), 67 (109 f.).
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Vereinten Nationen erst am 1. November 2000 zustimmte.23 Es spricht vieles dafür, daß die Bundesrepublik Jugoslawien während dieser Zeit nicht durch die UNCharta gebunden war.24 Demnach konnte die Unbeachtlichkeit völkerrechtlicher Exemtionen bei Maßnahmen der Strafverfolgung von Funktionsträgern der Bundesrepublik Jugoslawien während der Dauer der Nichtmitgliedschaft der Bundesrepublik Jugoslawien in den Vereinten Nationen25 nicht mit der oben entfalteten Argumentation begründet werden.26 Insofern kommt auch der zweiten Argumentationslinie zur Begründung der Völkerrechtskonformität des Ausschlusses der Staatenimmunität durch die Statuten der UN-Strafgerichtshöfe Bedeutung zu. bb) Zulässigkeit des Immunitätsausschlusses wegen der Nichtgeltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen Die zweite Argumentationslinie ist bestechend einfach, kann allerdings anders als die vorstehende nicht für alle völkerrechtlichen Exemtionen, sondern nur für die Staatenimmunität gelten: Die Gerichtsbarkeit des ICTY und ICTR beschränkt sich gemäß Art. 2–5 ICTY-Statut und Art. 2–4 ICTR-Statut auf Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, also auf völkerrechtliche Verbrechen. Bei völkerrechtlichen Verbrechen erfährt die Staatenimmunität aber – wie oben in § 6 gezeigt wurde – eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme. Einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen kann die Staatenimmunität (anders als andere Exemtionen) also von vornherein nicht entgegenstehen. Diese Ausnahme ist nicht auf die Ausübung nationaler Strafgerichtsbarkeit einzelner Staaten beschränkt, sondern gilt – wie schon vom Nürnberger Kriegsver-
___________ Siehe Resolution A/Res/55/12 der UN-Generalversammlung vom 1.11.2000; Internet: (31.3.2006). Vgl. zudem Kreß, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, III 27 Rn. 2. 24 Vgl. oben Anm. 21. Da die Bundesrepublik Jugoslawien selbst allerdings eine Subjektidentität mit der Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien und das Fortbestehen der UN-Mitgliedschaft behauptet hatte, spricht andererseits einiges dafür, daß dann auch an den hieraus resultierenden Pflichten den Vereinten Nationen gegenüber festgehalten werden konnte. Für eine Bindung der Bundesrepublik Jugoslawien an die UN-Charta und damit auch an das Statut des ICTY bereits vor dem 1.11.2000 nicht zuletzt auch wegen der ambivalenten Haltung der UN gegenüber der Frage der Mitgliedschaft der Bundesrepublik Jugoslawien in den Vereinten Nationen Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 82 f. 25 Eine Strafverfolgungsmaßnahme ist nur dann zulässig, wenn zum Zeitpunkt ihrer Vornahme keine völkerrechtliche Exemtion besteht. Es kommt auf den Zeitpunkt der Verfolgung, nicht auf den der Tatbegehung an. 26 A.A. offenbar Kreß, GA 2003, 25 (39). 23
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brechertribunal betont wurde27 – generell, mithin auch und gerade dann, wenn ein internationaler Strafgerichtshof tätig wird. Diese Argumentation gegen eine Beachtlichkeit der Staatenimmunität für den ICTY und ICTR hat sich auch der ICTY selbst zu eigen gemacht, als er 1997 im Verfahren gegen Blaškiü – wie schon erwähnt – in bezug auf die Staatenimmunität feststellte: “(…) each State is entitled to claim that acts or transactions performed by one of its organs in its official capacity be attributed to the State, so that the individual organ may not be held accountable for those acts or transactions. The general rule under discussion is well established in international law and is based on the sovereign equality of States (par in parem non habet imperium). The few exceptions relate to one particular consequence of the rule. These exceptions arise from the norms of international criminal law prohibiting war crimes, crimes against humanity and genocide. Under these norms, those responsible for such crimes cannot invoke immunity from national or international jurisdiction even if they perpetrated such crimes while acting in their official capacity.”28
Im Verfahren gegen Furundžija hat der ICTY dann 1998 ausgeführt, Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut seien “indisputably declaratory of customary international law”.29 cc) Fazit: Irrelevanz der Staatenimmunität für die UN-Strafgerichtshöfe Als Fazit kann also festgehalten werden, daß die Staatenimmunität der Gerichtsbarkeit des ICTY und ICTR generell keine Schranken zu setzen vermag, weil sie zum einen bei den Taten, die der Gerichtsbarkeit der UN-Tribunale unterfallen, eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme erfährt, und zum anderen die Staaten – sofern sie UN-Mitglieder sind – wegen des Rechtscharakters der UNStrafgerichtshöfe als Hilfsorgane des UN-Sicherheitsrates nach Art. 25 UN-Charta verpflichtet sind, deren Tätigkeit zu akzeptieren, die Staaten also ihnen zustehende völkerrechtliche Rechtspositionen der Ausübung von Strafgerichtsbarkeit durch die UN-Tribunale nicht entgegenhalten können.
___________ 27 Vgl. das Urteil des Nürnberger Internationalen Militärgerichtshofs vom 30.9.1946, Internationaler Militärgerichtshof, Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, Bd. 1, Nürnberg 1947, S. 189 (249 f.). Siehe auch Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 453. 28 Urteil des ICTY im Verfahren gegen Blaškiü vom 29.10.1997 (IT-94-1AR108bis), para. 41, ILR 110, 607 (710). Vgl. auch Wirth, CLF 12 (2001), 429 (442). 29 Urteil des ICTY im Verfahren gegen Furundžija vom 10.12.1998 (IT-95-17/1), para 140, ILR 121, 213 (257) = ILM 38 (1999), 317 (346 f.).
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II. Bedeutung der Staatenimmunität für den Internationalen Strafgerichtshof 1. Rechtliche Struktur des Internationalen Strafgerichtshofs Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut) wurde am 17. Juli 1998 auf einer Staatenkonferenz in Rom, an der über 160 Staaten beteiligt waren, verabschiedet.30 Der IStGH basiert damit anders als die UN-Strafgerichtshöfe auf einem multilateralen völkerrechtlichen Vertrag. Nachdem die gemäß Art. 126 Abs. 1 IStGH-Statut erforderliche Zahl von 60 Ratifikationen am 11. April 2002 erreicht worden war, ist das Statut nach Art. 126 Abs. 1 IStGH-Statut am 1. Juli 2002 in Kraft getreten.31 Der IStGH hat im März 2003 seine Arbeit aufgenommen.32 Die Strafgewalt des IStGH erstreckt sich laut Art. 5 IStGH-Statut auf Völkermord (Art. 6 IStGH-Statut), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7 IStGHStatut) und Kriegsverbrechen (Art. 8 IStGH-Statut) sowie vorbehaltlich einer Einigung der Vertragsstaaten über die Definition des Verbrechens der Aggression auch auf dieses Verbrechen, sofern die Taten nach Inkrafttreten des Statuts begangen worden sind (Art. 11 IStGH-Statut). Allerdings darf der Gerichtshof seine Strafgewalt nur ausüben, wenn entweder der Tatortstaat oder der Staat, dessen Angehöriger die eines Verbrechens beschuldigte Person ist, Mitgliedstaat des Statuts ist bzw. die Gerichtsbarkeit des IStGH anerkennt oder aber der UN-Sicherheitsrat mit einer auf Kapitel VII UN-Charta gestützten Resolution die Anklagebehörde zum Tätigwerden bezüglich eines Ereignisses auffordert (Art. 12 und Art. 13 IStGH-Statut). Die Gerichtsbarkeit des IStGH ist subsidiär gegenüber der nationaler Gerichte (vgl. Art. 1 IStGH-Statut). Art. 17 IStGH-Statut normiert den Grundsatz der Komplementarität, nach dem ein Verfahren vor dem Gerichtshof nur zulässig ist, wenn nationale Gerichte nicht willens oder nicht in der Lage sind, selbst eine Strafverfolgung des Beschuldigten zu betreiben.33 ___________ Das Statut wurde mit 120 Ja-Stimmen, 21 Stimmenthaltungen und 7 Gegenstimmen angenommen. Gegen das Statut haben nach eigenem Bekunden unter anderem die USA, die Volksrepublik China und Israel gestimmt. Vgl. BT-Drucks. 14/2682, S. 6, 101; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 59, 65. 31 Vgl. Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 65 sowie die Bekanntmachung der Bundesregierung vom 28.2.2003; BGBl. 2003 II, S. 293. Zum aktuellen Ratifizierungsstand vgl. im Internet (31.3.2006). 32 Vgl. Kaul, VN 2004, 141 (141 ff.); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 202. 33 Vgl. allgemein zum IStGH aus der deutschen Literatur Ambos, NJW 1998, 3743 (3743 ff.); ders., ZStW 111 (1999), 175 (175 ff.); ders., Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 40 ff.; Blanke/Molitor, AVR 39 (2001), 142 (142 ff.); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1143 ff.; Eser, in: Courakis (Hrsg.), FS Spinellis, S. 339 (339 ff.); ders., ZBJV 139 (2003), 2 (9 ff.); ders., in: Grafl/Medigovic (Hrsg.), FS Burgstaller, S. 355 (356 ff.); Fastenrath, JuS 1999, 632 (632 ff.); Hermsdörfer, JR 2001, 6 (6 ff.); Jescheck, in: Bemmann/Spinellis (Hrsg.), FS Mangakis, S. 483 (483 ff.); Kreß, in: Grütz30
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Der IStGH ist, auch wenn er – wie Art. 2 IStGH-Statut formuliert – durch einen besonderen völkerrechtlichen Vertrag mit den Vereinten Nationen in Beziehung gebracht wird, eine selbständige, von den Vertragsstaaten getragene internationale Organisation.34 2. Ausschluß der Staatenimmunität a) Ausschluß der Staatenimmunität durch Art. 27 IStGH-Statut Das IStGH-Statut selbst gibt eine klare und eindeutige Antwort auf die Frage der Relevanz völkerrechtlicher Exemtionen für den Gerichtshof: Nach Art. 27 IStGHStatut ist jegliche amtliche Eigenschaft oder Immunität für den Gerichtshof unerheblich.35 Art. 27 IStGH-Statut lautet: „(1) Dieses Statut gilt gleichermaßen für alle Personen, ohne jeden Unterschied nach amtlicher Eigenschaft. Insbesondere enthebt die amtliche Eigenschaft als Staats- oder Regierungschef, als Mitglied einer Regierung oder eines Parlaments, als gewählter Vertreter oder als Amtsträger einer Regierung eine Person nicht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach diesem Statut und stellt für sich genommen keinen Strafmilderungsgrund dar. (2) Immunitäten oder besondere Verfahrensregeln, die nach innerstaatlichem Recht oder nach dem Völkerrecht mit der amtlichen Eigenschaft einer Person verbunden sind, hindern den Gerichtshof nicht an der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit über eine solche Person.“36
Art. 27 Abs. 1 IStGH-Statut betrifft die materielle Strafgewalt des IStGH (jurisdiction to prescribe). Eine amtliche Eigenschaft soll die Strafbarkeit nach dem Sta___________ ner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, III 27 Rn. 10 ff.; Roggemann, NJ 1998, 505 (505 ff.); Satzger, Internationales und europäisches Strafrecht, § 13 Rn. 1 ff.; Seidel/Stahn, Jura 1999, 14 (14 ff.); Stahn, EuGRZ 1998, 577 (577 ff.); Tomuschat, FW 73 (1998), 335 (335 ff.); Triffterer, in: Gössel/Triffterer (Hrsg.), GedS Zipf, S. 493 (493 ff.). Siehe auch BT-Drucks. 14/2682, S. 99 ff. und die Homepage des IStGH: (31.3.2006). 34 Vgl. Ascensio, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 290; Lüder, HuV-I 2001, 136 (136 ff.); Oellers-Frahm, EuGRZ 2003, 107 (110); Tolbert, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 48 Rn. 1. 35 Vgl. Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (978, 990 ff.); Triffterer, in: ders. (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 27 Rn. 11 ff. Zur Entstehungsgeschichte dieses Exemtionsausschlusses siehe Triffterer, a.a.O., Art. 27 Rn. 5 ff. 36 ILM 37 (1998), 999 (1017) = BGBl. 2000 II, S. 1393 (1414) = BT-Drucks. 14/2682, S. 9 (29). Die verbindliche englische Fassung lautet: “(1) This Statute shall apply equally to all persons without any distinction based on official capacity. In particular, official capacity as a Head of State of Government, a member of a Government or parliament, an elected representative or a government official shall in no case exempt a person from criminal responsibility under this Statute, nor shall it, in and of itself, constitute a ground for reduction of sentence. (2) Immunities or special procedural rules which may attach to the official capacity of a person, whether under national or international law, shall not bar the Court from exercising its jurisdiction over such a person.”
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tut nicht ausschließen oder mildern, also keinen Strafausschließungs- oder Strafmilderungsgrund darstellen. Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut dagegen betrifft die Strafgerichtsbarkeit (jurisdiction to adjudicate and to enforce37) des IStGH, also seine Befugnis, Maßnahmen zur Verfolgung einer Person wegen eines nach dem Statut strafbaren und damit der materiellen Strafgewalt des Gerichtshofs unterfallenden Verhaltens durchzuführen.38 Völkerrechtliche Exemtionen sollen einem Tätigwerden des IStGH generell nicht entgegenstehen. Der in bezug auf die deutsche Rechtsordnung geführte Streit, ob völkerrechtliche Immunitäten als materielle Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründe bzw. als strafprozessuale Strafverfolgungshindernisse einzustufen sind,39 ist für den IStGH unerheblich, weil Art. 27 IStGH-Statut völkerrechtliche Exemtionen weder als Strafbefreiungsgründe (Abs. 1) noch als Verfahrenshindernisse (Abs. 2) gelten läßt. Allerdings geht aus Art. 27 IStGH-Statut deutlich hervor, daß das Statut selbst völkerrechtlichen Exemtionen, da auf diese in Abs. 2 Bezug genommen wird, keine materiellrechtliche Bedeutung beimißt, sondern davon ausgeht, daß sie eine rein verfahrensrechtliche Bedeutung haben, also lediglich die Strafgerichtsbarkeit ausschließen können. Somit ist im Ergebnis für völkerrechtliche Exemtionen allein Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut einschlägig.40 Es wäre nun aber verfehlt, sich mit der Feststellung zu begnügen, daß Art. 27 IStGH-Statut völkerrechtliche Exemtionen nicht anerkennt.41 Denn ebenso wie in bezug auf den Exemtionsausschluß in den Statuten der UN-Strafgerichtshöfe gilt es zu fragen, ob ein solcher genereller Exemtionsausschluß überhaupt völkerrechtlich zulässig und damit rechtswirksam ist.
___________ Zu den verschiedenen Formen von “jurisdiction” siehe Walther, in: Arnold u.a. (Hrsg.), FS Eser, S. 925 (928 f.). 38 Vgl. die Denkschrift der Bundesregierung zum IStGH-Statut, BT-Drucks. 14/2682, S. 99 (108) und die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des VStGB, BTDrucks. 14/8524, S. 11 (17). A.A. aber Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (978); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 448 Fn. 400, die meinen, Art. 27 Abs. 1 IStGH-Statut betreffe Immunitäten ratione materiae, Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut dagegen Immunitäten ratione personae. Für eine solche Differenzierung finden sich aber im Wortlaut des Art. 27 IStGH-Statut keinerlei Anhaltspunkte. 39 Vgl. hierzu ausführlich unten § 22. 40 So auch die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des VStGB, BT-Drucks. 14/8524, S. 11 (17). Siehe zudem BT-Drucks. 14/2682, S. 108. Auch Kreß, in: Grützner/ Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, III 27 Rn. 61; ders., GA 2003, 25 (38) geht davon aus, daß völkerrechtliche Exemtionen ausschließlich durch Art. 27 Abs. 2 IStGH erfaßt (genauer: ausgeschlossen) werden. 41 So aber Triffterer, in: ders. (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 27 Rn. 11 ff., 20 ff. (insb. Rn. 22). 37
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b) Zur Völkerrechtskonformität des Ausschlusses der Staatenimmunität In der Literatur wird zum Teil argumentiert, die Staatenimmunität könne schon deshalb der Gerichtsbarkeit internationaler Instanzen keine Schranke setzen, weil sie nur dem Schutz der souveränen Gleichheit der Staaten diene und „lediglich“ verhindern wolle, daß ein Staat durch die Strafverfolgung eines staatlichen Funktionsträgers wegen dessen hoheitlich-dienstlichen Handelns für einen anderen Staat indirekt einen anderen Staat seiner Gerichtsbarkeit unterwerfe und sich so eine höherrangige Stellung anmaße. Sie richte sich daher ausschließlich an die Staaten und beschränke allein deren Zuständigkeit. Überstaatliche Gerichte könnten durch die Staatenimmunität per definitionem nicht gebunden sein.42 Doch greift diese Argumentation bezogen auf den IStGH deutlich zu kurz. Dieser ist zwar ein supranationales Gericht, jedoch eines, das durch einzelne Staaten, die das Statut ratifiziert haben, gegründet worden ist und von diesen Staaten getragen wird. Es handelt sich also nicht um ein Gericht „der Völkergemeinschaft“ ohne Anbindung an die einzelnen Staaten, sondern im Gegenteil um ein Gericht, das einzelne Staaten durch gemeinschaftliches Zusammenwirken, nämlich durch Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrags, geschaffen haben. Damit muß sich aber auch die Kompetenz des IStGH auf die völkerrechtlichen Kompetenzen der Vertragsstaaten zurückführen bzw. aus deren Kompetenzen ableiten lassen. Wenn sich mehrere Staaten „zusammenschließen“ und durch völkerrechtlichen Vertrag ein auf völkerrechtlicher Ebene angesiedeltes Gericht gründen, kann dieses nur soviel Kompetenzen haben, wie die einzelnen Staaten zusammen besitzen. Die einzelnen Staaten können sich ihrer Pflicht zur Beachtung völkerrechtlicher Exemtionen nicht dadurch entledigen, daß sie sich zusammentun und gemeinsam ein internationales Gericht gründen. Für den IStGH sind damit grundsätzlich sämtliche völkerrechtliche Exemtionen verbindlich, die die Vertragsstaaten an einer nationalen Strafverfolgung hindern. Die Prüfung der Völkerrechtskonformität des Ausschlusses der Staatenimmunität durch Art. 27 IStGH-Statut fällt mithin etwas komplizierter aus. Da der IStGH auf einem von einzelnen Staaten geschlossenen völkerrechtlichen Vertrag basiert, ist zu differenzieren zwischen einerseits der Fallkonstellation, daß der Staat, für den ein Beschuldigter die ihm vorgeworfene hoheitlich-dienstliche Handlung begangen hat, in dessen Interesse und als dessen Recht also die Staatenimmunität zu gewähren wäre, Vertragsstaat des Römischen Statuts ist, und andererseits der Fallkonstellation, daß Strafgerichtsbarkeit über eine Person ausgeübt werden soll, die für einen ___________ Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1018, 1129; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 39; Frulli, JICJ 2 (2004), 1118 (1122); Gaeta, JICJ 1 (2003), 186 (194); Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 14 III. 3.; Jones/Powles, International Criminal Practice, 6.2.66; König, Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 400; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 455 Fn. 415 und wohl auch Dahm, Problematik des Völkerstrafrechts, S. 40 f., 45 sowie Wirth, Jura 2000, 70 (71 Fn. 22). 42
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Staat gehandelt hat, der das Römische Statut nicht ratifiziert hat, also an dieses nicht völkervertraglich gebunden ist. aa) Zulässigkeit des Immunitätsausschlusses bei einer Strafverfolgung von Funktionsträgern von Vertragsstaaten des IStGH-Statuts Wenn der Staat, für den ein Beschuldigter die ihm vorgeworfene hoheitlichdienstliche Handlung begangen hat, Vertragsstaat des Römischen Statuts ist, so bereitet es keine Schwierigkeiten, die Völkerrechtskonformität und Anwendbarkeit von Art. 27 IStGH-Statut zu bejahen, also die Irrelevanz der Staatenimmunität festzustellen. Denn jeder Staat, der das IStGH-Statut ratifiziert hat, hat dessen Normen als für sich verbindlich anerkannt und sich daher auch mit der Regelung des Art. 27 IStGH-Statut einverstanden erklärt. Jeder Vertragsstaat hat durch die Ratifikation konkludent zum Ausdruck gebracht, daß sämtliche ihm zustehende und seiner Disposition unterliegende völkerrechtliche Exemtionen einschließlich der Staatenimmunität der für ihn handelnden Personen keine Rolle spielen sollen. Man kann insofern von einem „Verzicht“ der Vertragsstaaten auf völkerrechtliche Exemtionen sprechen.43 bb) Zulässigkeit des Immunitätsausschlusses bei einer Strafverfolgung von Funktionsträgern von Nichtvertragsstaaten des IStGH-Statuts In bezug auf die Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts stellt sich dagegen die Frage, ob ein solcher Staat der Strafverfolgung einer Person wegen einer für ihn vorgenommenen hoheitlich-dienstlichen Handlung die ihm zustehende Staatenimmunität mit dem Argument entgegenhalten kann, er habe der Regelung des Art. 27 IStGH-Statut nicht zugestimmt. Nach dem Wortlaut von Art. 27 IStGH-Statut kann dieser Einwand keine Rolle spielen, da diese Norm nicht zwischen Vertragsstaaten und Nichtvertragsstaaten differenziert. Doch könnte Art. 27 IStGH-Statut gegenüber Funktionsträgern von Nichtvertragsstaaten unwirksam sein. Art. 27 IStGH-Statut könnte insofern, als er auch gelten soll, wenn eine Person wegen einer hoheitlich-dienstlichen Handlung für einen Nichtvertragsstaat verfolgt werden soll, eine Vertragsklausel zu Lasten ___________ So auch Bruer-Schäfer, Der Internationale Strafgerichtshof, S. 123, 213 f.; Danilenko, Mich. J. Int’l L. 21 (2000), 445 (469); Klingberg, GYIL 46 (2003), 537 (549); Kreß, GA 2003, 25 (38); ders., in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, vor III 26, Rn. 244; ders., GA 2003, 25 (38); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 242 f. Fn. 752; Maierhöfer, EuGRZ 2003, 545 (552); Meißner, Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 123 f., 130, 213; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 212; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 455 Fn. 415; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (452, 456 f.); ders., EJIL 13 (2002), 877 (889); Wirth/Harder, ZRP 2000, 144 (147). 43
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dritter Staaten darstellen. Verträge zu Lasten Dritter sind – wie der auch gewohnheitsrechtlich geltende Art. 34 WVRK zeigt – auch im Völkerrecht unzulässig und dem Dritten gegenüber unwirksam.44 Das „Verzichtsargument“ kann selbstredend bei Drittstaaten nicht herangezogen werden.45 Doch kann die Befürchtung einer Völkerrechtswidrigkeit des Art. 27 IStGHStatut in bezug auf die Staatenimmunität von Drittstaaten schnell und einfach zerstreut werden, und zwar mit derselben Argumentation, mit der oben die Irrelevanz der Staatenimmunität für die UN-Strafgerichtshöfe begründet wurde: Ebenso wie die Zuständigkeit der UN-Strafgerichtshöfe beschränkt sich die Gerichtsbarkeit des IStGH gemäß Art. 5 IStGH-Statut auf völkerrechtliche Verbrechen. Bei diesen Taten aber gilt die Staatenimmunität von vornherein nicht, sie erfährt insofern eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme.46 Diese Ausnahme gilt unabhängig davon, welche Instanz – ein einzelner Staat oder ein internationaler Gerichtshof – eine Strafverfolgung betreibt. Wegen dieser generellen Nichtgeltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen können sich auch Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts bei einer Strafverfolgung durch den IStGH nicht auf eine in ihrem Interesse bestehende Staatenimmunität des Beschuldigten berufen.47 Die Staatenimmunität kann für den IStGH mithin im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten nur und erst dann Bedeutung erlangen, wenn zukünftig seine Zuständigkeit erweitert werden sollte. Dann kommt es darauf an, ob auch für die neu in die Zuständigkeit des IStGH fallenden Taten eine Ausnahme von der Staatenimmunität völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Dies ist der Fall für das Verbrechen der Aggression, das gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut bereits jetzt in die Zuständigkeit des IStGH fällt, über das der Gerichtshof jedoch bis zur Einigung über eine Verbrechensdefinition gemäß Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut keine Gerichtsbarkeit ausüben darf.48 Denn die Staatenimmunität erfährt bei allen Taten eine Ausnahme, die völkerrechtliche Verbrechen darstellen, also unmittelbar nach Völkerrecht strafbar sind. Und zu dem Kreis dieser ___________ Vgl. zur pacta tertiis-Regel oben Anm. 21. So auch Meißner, Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 125; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (453, 457). Siehe auch Akande, AJIL 98 (2004), 407 (421). 46 Vgl. die Ausführungen oben in § 6 II.1. 47 Wie hier auch Akande, JICJ 1 (2003), 618 (637 ff.). Soweit der IStGH aufgrund eines Ersuchens des UN-Sicherheitsrates nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut tätig wird, kann die Irrelevanz der Staatenimmunität (sowie allen sonstigen völkerrechtlicher Exemtionen) auch mit der oben in § 9 I.2b)aa) entfalteten Argumentation begründet werden, also damit, daß die UN-Mitgliedstaaten gemäß Art. 25 UN-Charta verpflichtet sind, Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates zu akzeptieren und deshalb einer Strafverfolgung, die vom UNSicherheitsrat initiiert worden ist, die also gewissermaßen dem UN-Sicherheitsrat zuzurechnen ist, keine Exemtionen entgegenhalten dürfen. 48 Vgl. Kreß, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, III 27 Rn. 46; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 1138. 44 45
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Taten gehört auch das Aggressionsverbrechen, jedenfalls insofern, als es sich um eklatant und offensichtlich völkerrechtswidrige Fälle des Führens eines Angriffskrieges handelt.49 Wenn sich – völkergewohnheitsrechtlich – der Kreis der völkerrechtlichen Verbrechen ausweiten sollte, dann wüchse gewissermaßen auch die Ausnahme von der Staatenimmunität mit. Bei einer Aufnahme solcher neuen Völkerstraftaten in das Römische Statut könnte die Staatenimmunität also auch im Verhältnis zu Drittstaaten kein Strafverfolgungshindernis darstellen. Wenn sich die Vertragsstaaten des Römischen Statuts dagegen – was prinzipiell statthaft wäre – entschieden, den Gerichtshof zur Verfolgung von Taten für zuständig zu erklären, die (noch) nicht unmittelbar nach universellem Völkergewohnheitsrecht strafbar und damit (noch) keine völkerrechtlichen Verbrechen sind, dann könnte die Ausnahme der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen nicht zur Begründung der Völkerrechtskonformität von Art. 27 IStGH-Statut Drittstaaten gegenüber herangezogen werden. Der Verfolgung von Funktionsträgern von Drittstaaten stünde dann die Staatenimmunität entgegen50 – es sei denn, eine der weiteren speziellen Ausnahmen von der Staatenimmunität wäre einschlägig. Während – wie oben in § 7 II. gezeigt– die Staatenimmunität bei geheimdienstlichen Gewaltakten eine weitere völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme erfährt, gilt dies beispielsweise bei Drogendelikten nicht. Eine Erstreckung der Zuständigkeit des IStGH auf terroristische Gewaltakte wäre damit im Hinblick auf die Staatenimmunität unproblematisch.51 Würde man dagegen den IStGH für die Verfolgung von transnationalen Drogendelikten für zuständig erklären, dann könnten Personen, die ein solches Delikt für einen in Drogengeschäfte verwickelten Drittstaat begangen haben, wegen der Staatenimmunität nicht ohne Einverständnis dieses Drittstaates verfolgt werden; Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut wäre dann teilweise unanwendbar – es sei denn, bis zu einer solchen Änderung des Römischen Statuts sind Drogendelikte als völkerrechtliche Verbrechen anerkannt worden oder hat zumindest der Kreis der Taten, bei denen die Staatenimmunität nicht gilt, eine völkergewohn-
___________ 49 Die völkergewohnheitsrechtliche Strafbarkeit des Aggressionsverbrechens und damit dessen Charakter als völkerrechtliches Verbrechen wird bejaht u.a. von Ambos, in: Arnold u.a. (Hrsg.), FS Eser, S. 671 (674 ff.); ders., Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 254 ff.; Cassese, International Criminal Law, S. 113; ders., in: Evans (Hrsg.), International Law, S. 721 (747); Hummrich, Der völkerrechtliche Straftatbestand der Aggression, S. 121 f., 139, 147; Kreß, ZStW 115 (2003), 294 (296 ff.); Kurth, NZWehrr 2005, 59 (62 f.); Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 15 Rn. 77; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 1150 ff. A.A. z.B. Bothe, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 8. Abschn. Rn. 28. 50 In bezug auf Vertragsstaaten des Römischen Statuts gälte aber auch dann der generelle Exemtionsverzicht, den diese mit der Ratifikation des Statuts und ihrem darin liegenden Einverständnis mit Art. 27 IStGH-Statut erklärt haben. 51 Vgl. zur Frage, inwieweit „Terrorismus“ (schon jetzt) als völkerrechtliches Verbrechen eingestuft werden kann, die (allzu progressiven) Ausführungen von Cassese, International Criminal Law, S. 120 ff.
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heitsrechtlich anerkannte Ausweitung dahingehend erfahren, daß auch Drogendelikte in ihn einbezogen sind.52 cc) Fazit: Irrelevanz der Staatenimmunität für den Internationalen Strafgerichtshof Die Staatenimmunität vermag der Gerichtsbarkeit des IStGH (derzeit) generell keine Schranken zu setzen, weil sie bei den völkerrechtlichen Verbrechen, die nach Art. 5 IStGH-Statut der Gerichtsbarkeit des IStGH unterfallen, eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme erfährt. Im Verhältnis zu den Vertragsstaaten des Statuts läßt sich zudem argumentieren, daß diese sich durch Ratifikation des Statuts auch mit dessen Art. 27 einverstanden erklärt und insofern in bezug auf Strafverfolgungsmaßnahmen des IStGH auf die ihnen zustehenden völkerrechtlichen Exemtionen verzichtet haben.53
III. Exkurs: Bedeutung völkerrechtlicher Exemtionen für sogenannte gemischte Tribunale Im Kosovo, in Ost-Timor, in Sierra Leone und in Kambodscha wurden von den dort durch Resolutionen des UN-Sicherheitsrates nach Kapitel VII UN-Charta eingesetzten UN-Übergangsverwaltungen (Kosovo, Ost-Timor) bzw. in Kooperation des Landes mit den Vereinten Nationen (Sierra Leone, Kambodscha) besondere Gerichte bzw. gerichtliche Strukturen geschaffen. Diese weder rein nationalen noch supranationalen, sondern „gemischten“ Tribunale sollen bzw. sollten vor allem eine strafrechtliche Ahndung der vor dem Einschreiten der Vereinten Nationen in diesen Gebieten begangenen makrokriminellen Delikte, namentlich der dort verübten völ-
___________ 52 Im Vorfeld der Ausarbeitung des Römischen Statuts war von einigen Staaten eine Erstreckung der Gerichtsbarkeit des IStGH auch auf terroristische Taten und auf Drogendelikte befürwortet worden, doch fand diese Initiative auf der Staatenkonferenz in Rom keine Mehrheit. Laut Schlußakte der Konferenz von Rom soll die Frage, ob terroristische Taten und Drogendelikte der Zuständigkeit des IStGH unterstellt werden sollten, erneut auf einer Überprüfungskonferenz nach Art. 123 IStGH-Statut aufgegriffen werden. Vgl. Stahn, EuGRZ 1998, 577 (579); Tomuschat, FW 73 (1998), 335 (340 f.); Zimmermann, ZaöRV 58 (1998), 47 (78 f.). Siehe auch das von der ILC im Jahr 1994 vorgelegte Draft Statute (abgedr. im Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung von 1994, YBILC 1994 II/2, 1 [26 ff.] [UN-Dokument A/49/10] sowie in NILR 42 [1995], 207 ff.), dessen Art. 20 lit. e) unter Verweis auf in einem Annex aufgeführte Verträge vorsah, Taten aus dem Bereich des Terrorismus und der transnationalen Drogenkriminalität der Zuständigkeit eines Internationalen Strafgerichtshofs zu unterstellen (vgl. YBILC 1994 II/2, 38 ff., 70 ff.). 53 Zur Frage, ob sich dieser Verzicht der Vertragsstaaten auch auf Rechtshilfemaßnahmen anderer Staaten bezieht, die diese nach Teil 9 des Römischen Statuts für den IStGH vornehmen, vgl. unten § 23 VI.2.b)ff).
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kerrechtlichen Verbrechen, bewirken.54 Da sich die Einsetzung dieser Gerichte im Kosovo, in Ost-Timor und in Sierra Leone mittelbar auf Sicherheitsratsresolutionen zurückführen läßt, stellt sich die Frage, ob die “mixed tribunals” im Kosovo, in Ost-Timor und in Sierra Leone ebenso wie der ICTY und der ICTR aus den oben in § 9 I.2.b)aa) skizzierten Gründen generell nicht an völkerrechtliche Exemtionen gebunden sind bzw. waren. Man könnte wie folgt argumentieren: Die besonderen Gerichtsinstanzen im Kosovo und in Ost-Timor wurden durch Verfügungen der UN-Übergangsverwaltungen eingerichtet.55 Die Kompetenzen der Übergangsverwaltungen ergeben bzw. ergaben sich aus den UN-Sicherheitsratsresolutionen, mit denen die UNVerwaltungen geschaffen wurden.56 Da die einzelnen Staaten nach Art. 25 UNCharta Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates zu akzeptieren haben und diesen kei___________ 54 Vgl. hierzu die Beiträge in Ambos/Othman (Hrsg.), New Approaches in International Criminal Justice, sowie Ambach, HuV-I 2005, 106 (106 ff.); Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 58 ff.; Bassiouni, Introduction to International Criminal Law, S. 545 ff.; Bohlander/Winter, in: Kirsch (Hrsg.), Internationale Strafgerichtshöfe, S. 261 (261 ff.); von Braun, HuV-I 2005, 93 (94 f.) und Linton, CLF 12 (2001), 185 (185 ff.). Das am 10.12.2003 durch den damaligen irakischen Regierungsrat und die US-Besatzungsmacht errichtete Sondertribunal für den Irak (Iraqi Special Tribunal) zur Aufarbeitung der (vor allem unter der Diktatur von Saddam Hussein) im Irak zwischen dem 17.7.1968 (Machtergreifung durch die Ba’ath-Partei) und dem 1.5.2003 (offizielles Ende der Kampfhandlungen nach der Invasion der USA) begangenen makrokriminellen Taten gehört nicht zu den hier interessierenden Instanzen. Denn es handelt sich nicht um eine in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen geschaffene Institution, sondern um ein rein irakisches Gericht, wenngleich die Initiative zu seiner Errichtung von den USA als Besatzungsmacht ausging (interessanterweise haben die USA für das Sondertribunal ein Statut erarbeitet, das im wesentlichen deckungsgleich ist mit dem von ihnen so vehement abgelehnten Römischen Statut des IStGH!). Das Sondertribunal für den Irak, vor dem auch Saddam Hussein angeklagt ist, ist mithin wie jedes andere nationale (irakische) Gericht an völkerrechtliche Exemtionen gebunden. Einer Strafverfolgung von Saddam Hussein und anderen früheren irakischen Funktionären durch dieses Tribunal stehen völkerrechtliche Exemtionen aber nicht entgegen, da diese nur eine fremdstaatliche Strafverfolgung verbieten können. Vgl. zum Sondertribunal für den Irak die Internetseite des Gerichtshofs (31.3.2006) sowie Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 63, 67; Bantekas, ICLQ 54 (2005), 237 (237 ff.) und SZ vom 15.12.2003, S. 2; SZ vom 8.3.2004, S. 7; SZ vom 2.7.2004, S. 1 f.; SZ vom 7.6.2005, S. 11; SZ vom 25.8.2005, S. 8. 55 Kosovo: UNMIK Regulation No. 2000/64 vom 15.12.2000. Ost-Timor: UNTAET Regulation 2000/15. Beide Verfügungen sind abgedr. bei Ambos/Othman (Hrsg.), New Approaches in International Criminal Justice, S. 216 ff., 231 ff. Die UNTAET Regulation 2000/15 ist im Internet abrufbar unter (31.3.2006). Die UNMIK Regulation No. 2000/64 ist im Internet abrufbar unter (31.3.2006). Ausführlich zum Sondergericht in Osttimor von Braun, HuV-I 2005, 93 (93 ff.). Die UN-Übergangsverwaltung in Osttimor wurde beendet, nachdem Osttimor im Mai 2002 als Timor-Leste die Unabhängigkeit erlangt hatte; das „gemischte Tribunal“ in Timor-Leste stellte im Mai 2005 seine Tätigkeit ein. 56 Kosovo: Resolution 1244 (1999) vom 10.6.1999. Ost-Timor: Resolution 1272 (1999) vom 25.10.1999. Beide Resolutionen sind abgedr. bei Ambos/Othman (Hrsg.), New Approaches in International Criminal Justice, S. 208 ff., 225 ff. und im Internet abrufbar unter (31.3.2006).
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ne völkerrechtlichen Exemtionen entgegenhalten können, müßten sie auch die Tätigkeit von UN-Übergangsverwaltungen und damit auch die Ausübung von Gerichtsbarkeit durch Tribunale, die von den Übergangsverwaltungen geschaffen worden sind, akzeptieren. Solche Tribunale könnten also ohne Rücksicht auf völkerrechtliche Exemtionen judizieren. Gleiches gelte für das besondere Gericht in Sierra Leone, da sich der UN-Sicherheitsrat in einer Resolution57 für die Errichtung dieses Gerichts ausgesprochen habe.58 Doch wäre eine solche Argumentation zu pauschal. Ein Eingriff in völkerrechtliche Rechtspositionen einzelner Staaten durch Maßnahmen der Vereinten Nationen ist nur dann durch die UN-Charta gedeckt, wenn dieser Eingriff unmittelbar vom UN-Sicherheitsrat beschlossen, also unmittelbar durch eine Resolution des UNSicherheitsrates legitimiert ist. Die Einrichtung einer Übergangsverwaltung durch eine Sicherheitsratsresolution gibt dieser zunächst nur das Recht, innerhalb des betreffenden Gebiets Hoheitsgewalt auszuüben und damit in die Souveränitätsrechte des Staates einzugreifen, für dessen Gebiet die Übergangsverwaltung eingesetzt worden ist. Eine Befugnis, auch in die völkerrechtlichen Rechtspositionen anderer Staaten einzugreifen, folgt hieraus nicht. Eine solche Befugnis muß vielmehr direkt in einer UN-Sicherheitsratsresolution festgelegt sein. Eine UN-Übergangsverwaltung darf mithin nur dann die Hoheitsrechte dritter Staaten beschränken, wenn sie in einer Sicherheitsratsresolution ausdrücklich hierzu ermächtigt worden ist. Für den vorliegenden Zusammenhang bedeutet dies, daß von UN-Übergangsverwaltungen geschaffene Tribunale nur dann nicht an völkerrechtliche Exemtionen von Drittstaaten gebunden sind, wenn sich unmittelbar aus einer UNSicherheitsratsresolution ergibt, daß die betreffende Übergangsverwaltung ein Gericht mit einer solchen Befreiung schaffen darf. Ansonsten sind diese Gerichte in gleicher Weise an völkerrechtliche Exemtionen gebunden wie die rein nationalen Gerichte des Staates, dessen Gebiet der UN-Übergangsverwaltung unterstellt ist. Für den in Kooperation mit den Vereinten Nationen geschaffenen Sondergerichtshof in Sierra Leone folgt aus dem Vorstehenden, daß dieser nur dann nicht an völkerrechtliche Exemtionen gebunden ist, wenn sich aus der einschlägigen Sicherheitsratsresolution eine solche Befreiung unzweifelhaft ergibt. ___________ Resolution 1315 (2000) vom 14.8.2000. Abgedr. bei Ambos/Othman (Hrsg.), New Approaches in International Criminal Justice, S. 250 f. und im Internet abrufbar unter (31.3.2006). 58 Der besondere Gerichtshof zur Ahndung der Verbrechen der Roten Khmer, dessen Errichtung Kambodscha im Juni 2003 mit den Vereinten Nationen vertraglich vereinbarte (das Abkommen ist ein Anhang zur Resolution 57/228 der UN-Generalversammlung vom 22.5.2003 [abgedr. in HuV-I 2005, 59 ff.]; vgl. zum überaus schwierigen und langwierigen Verhandlungsprozeß zwischen den Vereinten Nationen und Kambodscha Bassiouni, Introduction to International Criminal Law, S. 548 ff.; siehe ferner Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 62; SZ vom 5.10.2004, S. 8), ist nicht durch eine Sicherheitsratsresolution legitimiert worden. Daher ist für dieses Gericht die hier interessierende Frage eines Exemtionsausschlusses ohne Bedeutung. Es hat vielmehr völkerrechtliche Exemtionen wie jedes andere kambodschanische Gericht zu beachten. 57
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Blickt man nun auf die einschlägigen Sicherheitsratsresolutionen,59 so zeigt sich, daß den UN-Übergangsverwaltungen für den Kosovo60 und für Ost-Timor61 eine unmittelbare Ermächtigung zur Errichtung von Gerichten mit der Kompetenz, in die Rechtspositionen von Drittstaaten einzugreifen, nicht erteilt wurde. Die von den UN-Verwaltungen im Kosovo und in Ost-Timor errichteten Gerichtsinstanzen haben bzw. hatten also die Exemtionen, die zugunsten fremder Staaten existieren, ebenso wie rein nationale Gerichte von Serbien und Montenegro bzw. Indonesien zu beachten. Daher ist section 15.2 des Statuts für das Tribunal in Ost-Timor62 insoweit, als dieser hinsichtlich seines operativen Gehalts mit Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut identische Exemtionsausschluß63 über das Völkergewohnheitsrecht hinausreicht, nicht völkerrechtskonform und konnte keine Nichtbeachtlichkeit völkerrechtlicher Exemtionen (mit Ausnahme solcher, die Indonesien zustehen) bewirken. Etwas anderes gilt dagegen für den Sondergerichtshof für Sierra Leone. Durch UN-Sicherheitsratsresolution 1315 (2000)64 wurde der UN-Generalsekretär ermächtigt, mit Sierra Leone ein Abkommen über die Errichtung eines Sondergerichtshofs abzuschließen, nach dem “the special court should have personal jurisdiction over persons who bear the greatest responsibility for the commission of the crimes (…), including those leaders who, in committing such crimes, have threatened the establishment of an implementation of the peace process in Sierra Leone”. Diese Ermächtigung ist so zu verstehen, daß die genannten Personen ohne Rücksicht auf völkerrechtliche Exemtionen verfolgt werden sollen. Der in Art. 6 Abs. 2 des Statuts des Sondergerichtshofs für Sierra Leone65 festgelegte generelle ___________ Vgl. oben Anm. 56 und Anm. 57. United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK). 61 United Nations Transitional Administration in East Timor (UNTAET). 62 UNTAET Regulation 2000/15 (vgl. oben Anm. 55). 63 Section 15.2. lautet: “Immunities or special procedural rules which may attach to the official capacity of a person, whether under national or international law, shall not bar the panels from exercising its jurisdiction over such a person.” Die Ähnlichkeit von section 15.2. des Statuts für das Tribunal in Ost-Timor mit Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut ist nicht zufällig. Vielmehr ist das gesamte Statut im großen und ganzen eine Kopie des Römischen Statuts. 64 Vgl. oben Anm. 57. 65 Das Statut ist Bestandteil des Agreement between the United Nations and the Government of Sierra Leone on the Establishment of a Special Court for Sierra Leone vom 16.1.2002 (UN-Dokument S/2000/915). Abgedr. bei Ambos/Othman (Hrsg.), New Approaches in International Criminal Justice, S. 254 ff. Internetquelle: (31.3.2006). Eine dt. Übers. findet sich in HuV-I 2004, 47. Das Gericht hat im Dezember 2002 seine Arbeit aufgenommen. Vgl. allgemein zu diesem Special Court Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 61; Bassiouni, Introduction to International Criminal Law, S. 566 ff.; Beresford/Muller, LJIL 14 (2001), 635 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1141 ff.; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 265 f.; Jones/Powles, International Criminal Practice, para. 1.64–1.115; Jones u.a., JICJ 2 (2004), 211 ff.; Klingberg, GYIL 46 (2003), 537 (539 ff.); Meisenberg, HuV-I 2004, 30 (34 ff.); ders., HuV-I 2004, 175 (175 ff.); Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 1187 f.; Wetzel, HuV-I 2003, 147 ff. Siehe zudem die Internethomepage des Gerichts unter (31.3.2006). 59 60
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Exemtionsausschluß66 ist damit völkerrechtskonform.67 Insofern handelte der Gerichtshof nicht völkerrechtswidrig, als er am 7. März 2003 Anklage gegen den damals noch amtierenden, mittlerweile aber zurückgetretenen Staatspräsidenten von Liberia, Charles Taylor, erhob und zugleich einen Haftbefehl gegen Taylor erließ.68 Im Ergebnis ist mithin die spezielle Immunitätsentscheidung des Gerichtshofs vom 31. Mai 2004, mit der die Völkerrechtskonformität des Vorgehens gegen Charles Taylor ausdrücklich herausgestellt wurde, zutreffend.69 Der von der Verteidigung Taylors erhobene Einwand der Unzulässigkeit eines Verfahrens wegen Immunität des Beschuldigten70 war schon zum Zeitpunkt der Anklageerhebung unbegründet. ___________ Art. 6 Abs. 2 des Statuts ist identisch mit Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut/Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut und lautet: “The official position of any accused person, whether as Head of State or Government or as a responsible Government official, shall not relieve such person of criminal responsibility nor mitigate punishment.” 67 Im Ergebnis ebenso, aber mit anderer Begründung, Meisenberg, HuV-I 2004, 30 (37 ff.). A.A. aber Deen-Racsmány, LJIL 18 (2005), 299 (307 ff.); Klingberg, GYIL 46 (2003), 537 (546 ff.), da sie die Sicherheitsratsresolution 1315 (2000) nicht für nach Art. 25 UNCharta verbindlich erachten. Würde man – wofür es zugegeben durchaus auch gute Argumente gibt – der Resolution keine Bindungswirkung nach Art. 25 UN-Charta zuerkennen, dann müßte man zu dem Ergebnis kommen, daß die Anklageerhebung gegen den damals amtierenden Staatspräsidenten von Liberia Taylor und der Erlaß des Haftbefehls (siehe Anm. 68) zum damaligen Zeitpunkt völkerrechtswidrig waren. Denn der Sondergerichtshof für Sierra Leone gehört nicht zu den internationalen Gerichten, gegenüber denen die Immunitäten ratione personae amtierender Staatsoberhäupter (hierzu unten § 17 I.) eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme erfahren; hierzu näher unten § 17 I.3.a). 68 Verfahren Nr. SCSL-2003-01-I, Entscheidungen abrufbar unter (31.3.2006). Vgl. zu diesem Verfahren vor Ergehen der nachfolgend in Anm. 69 genannten Immunitätsentscheidung des Sondergerichtshofs Jones u.a., JICJ 2 (2004), 211 (212 mit Fn. 5); Klingberg, GYIL 46 (2003), 537 (537 ff.); Meisenberg, HuV-I 2004, 30 (30 ff.); Wetzel, HuV-I 2003, 147 (152). Taylor flüchtete zunächst nach Nigeria, konnte aber Ende März 2006 – nachdem Nigeria ihm weiteren Schutz versagt hatte – verhaftet werden; vgl. SZ vom 27.3.2006, S. 9; SZ vom 30.3.2006, S. 1; SZ vom 31.3.2006, S. 7. 69 Decision on Immunity from Jurisdiction vom 31.5.2004 im Verfahren Nr. SCSL2003-01-I, para. 34 ff.; abrufbar unter (31.3.2006). Ausführlich zu dieser Entscheidung Deen-Racsmány, LJIL 18 (2005), 299 (299 ff.); Frulli, JICJ 2 (2004), 1118 (1118 ff.); Nouwen, LJIL 18 (2005), 645 (645 ff.). Der Gerichtshof argumentierte, die Immunität Taylors als amtierendem Staatsoberhaupt Liberias habe einer Anklageerhebung und einem Haftbefehl nicht entgegengestanden, weil es sich bei dem Sondergerichtshof um ein internationales Strafgericht handele, das aufgrund eines Vertrags mit den Vereinten Nationen (vgl. oben Anm. 65) errichtet worden sei. Und für internationale Strafgerichtshöfe sei, sofern deren Errichtung auf eine Entscheidung des UN-Sicherheitsrates zurückzuführen sei, die völkergewohnheitsrechtliche Immunität amtierender Staatsoberhäupter kein Verfahrenshindernis. Zu Recht diese Argumentation des Sondergerichtshofs in Frage stellend Ambach, HuV-I 2005, 106 (123); Frulli, a.a.O., S. 1123 ff. Siehe ferner zu dieser Argumentation des Sondergerichtshofs von Braun, HuV-I 2005, 93 (94 f.); Meisenberg, HuV-I 2004, 175 (176). Ausführlich zur Frage der Immunität amtierender Staatsoberhäupter vor internationalen Strafgerichtshöfen unten § 17 I.3.a). 70 Vgl. Jones u.a., JICJ 2 (2004), 211 (212 mit Fn. 6); Klingberg, GYIL 46 (2003), 537 (538, 543 f.). 66
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§ 10 Act of State-Doktrin Im Zusammenhang mit den völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, vor allem im Kontext der Staatenimmunität, wird immer wieder der Begriff „Act of State-Doktrin“ gebraucht. Untersucht man, was in den Urteilen und wissenschaftlichen Beiträgen, in denen dieser Begriff auftaucht, unter Act of State-Doktrin verstanden wird, zeigt sich wieder einmal, daß der Sprachgebrauch alles andere als einheitlich ist.1 Ganz zu Recht wird daher in bezug auf die Act of State-Doktrin von einem Begriff gesprochen, der „schillernde Bedeutung“ habe.2 Eine nähere Analyse von Rechtsprechung und Literatur ergibt, daß im Kern drei verschiedene (angebliche) Rechtsprinzipien als Act of State-Doktrin bezeichnet werden.3 Im Grunde muß man daher von drei verschiedenen Act of StateDoktrinen sprechen.4
I. Die Act of State-Doktrin als Synonym für die Staatenimmunität Vielfach – und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in der angelsächsischen Literatur – wird der Begriff „Act of State-Doktrin“ schlicht als Synonym für die Staatenimmunität gebraucht.5 In strafrechtlicher Hinsicht versteht man damit unter Act of State-Doktrin das völkergewohnheitsrechtliche Verbot, Personen wegen Handlungen strafrechtlich zu belangen, die als hoheitlich-dienstliche Handlungen für einen anderen Staat (als “acts of State”) einzustufen sind. Die Act of StateDoktrin steht mithin für die allgemeine Immunität ratione materiae für acta iure ___________ 1 Vgl. zur Problematik des uneinheitlichen Sprachgebrauchs im Bereich der völkerrechtlichen Exemtionen schon oben § 1 IV. 2 So Wirth, Jura 2000, 70 (72). Vgl. auch Lord Lloyd of Berwick in seinem Votum zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 428 (430): “Act of State is a confusing term. It is used in different senses in many different contexts.” 3 So auch Wirth, Jura 2000, 70 (72 f.). 4 Ganz zu Recht wird in der Literatur warnend darauf hingewiesen, man dürfe die verschiedenen gleichnamigen Doktrinen nicht verwechseln. Vgl. Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (251); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (578); Malanczuk, Akehurst’s Modern Introduction to International Law, S. 122. 5 So etwa BGH NJW 1991, 2498 (2499); BGHSt 39, 168 (174 f.) = NJW 1993, 1932 (1933); Baumann, JZ 1963, 110 (117); Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (251 ff.); Delupis, AJIL 78 (1984), 53 (60 f.); Dinstein, ICLQ 15 (1996), 76 (86); Doehring, Völkerrecht, Rn. 1166; Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 84 ff.; Hailbronner, Schutz der Luftgrenzen, S. 55 f.; Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 164; ders., GA 1981, 49 (54 f.); Malanczuk, Akehurst’s Modern Introduction to International Law, S. 122; Schroeder, NJW 1969, 81 (82); ders., JZ 1969, 41 (48); Triffterer, in: Gössel/Triffterer (Hrsg.), GedS Zipf, S. 493 (507); ders., ZStW 116 (2004), 958 (958, 966).
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imperii, in deren Genuß grundsätzlich jede Person unabhängig von einem besonderen persönlichen Status kommen kann. Diese Begriffsverwendung ist aber nicht nur unnötig, weil mit dem Terminus „Staatenimmunität“ bzw. „State Immunity“ eine eingebürgerte und klar definierte Bezeichnung für dieses Rechtsinstitut zur Verfügung steht. Vielmehr läuft diese Begriffsverwendung auch Gefahr, zu juristischen Fehlbeurteilungen zu verleiten. Dieser Gefahr ist selbst der BGH erlegen. In seinem zweiten Grundsatzurteil zu den Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze aus dem Jahr 1993 hat der BGH festgestellt, die Act of State-Doktrin sei kein Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts. Dies ist – wie sogleich gezeigt werden soll – durchaus zutreffend, wenn man unter Act of State-Doktrin das Gebot versteht, die Rechtswirksamkeit von Hoheitsakten fremder Staaten anzuerkennen. Der BGH aber hat den Begriff „Act of State-Doktrin“ als Synonym für die Staatenimmunität verwendet und es mit der – insofern rechtsfehlerhaften – Feststellung, die Act of State-Doktrin sei kein verbindlicher Rechtssatz, für unnötig befunden, der Frage nachzugehen, ob die angeklagten DDR-Grenzsoldaten als staatliche Funktionsträger der DDR in den Genuß der Staatenimmunität kamen.6 Auch in der wissenschaftlichen Literatur zu Fragen des Umgangs mit dem DDR-Systemunrecht ist zum Teil unter Verkennung der Vielschichtigkeit des Begriffs „Act of State-Doktrin“ in der Sache der Staatenimmunität rechtsfehlerhaft der Charakter eines Rechtssatzes des Völkergewohnheitsrechts abgesprochen worden.7 Insofern sollte tunlichst davon Abstand genommen werden, den Begriff „Act of State-Doktrin“ als Synonym für die Staatenimmunität zu verwenden.8
II. Die Act of State-Doktrin als völkerrechtliches Gebot der Anerkennung fremdstaatlicher Hoheitsakte 1. Gehalt dieser Act of State-Doktrin Im anglo-amerikanischen Rechtsraum wird unter Act of State-Doktrin das Gebot verstanden, Hoheitsakte eines anderen Staates als rechtswirksam anzuerkennen. Die Gerichte dürften die Rechtsverbindlichkeit von Hoheitsakten, die ein anderer ___________ BGHSt 39, 168 (174 f.) = NJW 1993, 1932 (1933). Diese juristische Fehlbeurteilung ist um so unverständlicher, als der BGH in dieser Entscheidung ausdrücklich Bezug nimmt auf die Entscheidung BGHSt 39, 1 (5 f.) = NJW 1993, 141 (142), in der sauber differenziert wird zwischen einerseits der Act of State-Doktrin im Sinne eines Gebots der Anerkennung fremdstaatlicher Hoheitsakte und andererseits der Staatenimmunität. 7 Ebert, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“, Bd. II/2, S. 1381 (1388); Hobe/Tietje, GYIL 37 (1994), 386 (404 f.); dies., GYIL 39 (1996), 523 (533 f.). 8 So auch Wirth, Jura 2000, 70 (73 Fn. 54). 6
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
Staat in seinem Staatsgebiet erlassen habe, nicht am Maßstab der eigenen Rechtsordnung oder des Völkerrechts überprüfen. Fremdstaatliche Hoheitsakte dürften nicht in Frage gestellt werden, sondern seien ohne weiteres als rechtswirksam, ja sogar als rechtmäßig anzusehen und müßten den gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt werden.9 Als Leitentscheidung für diese Act of State-Doktrin wird immer wieder auf die Entscheidung des US-Supreme Court im Fall Underhill ./. Hernandez aus dem Jahr 1897 hingewiesen.10 In diesem Urteil hat Chief Justice Fuller ausgeführt: “Every sovereign State is bound to respect the independence of every other sovereign State, and the courts of one country will not sit in judgment on the act of the government of another, done within its own territory. Redress of grievance by reason of such acts must be obtained through the means open to be availed of by sovereign powers as between themselves.”11
Ausgangspunkt der Act of State-Doktrin waren ursprünglich die völkerrechtlichen Grundsätze der souveränen Gleichheit der Staaten und des Verbots der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten.12 Da die einzelnen Staaten rechtlich gleichrangig und voneinander unabhängig sind, seien sie von Völkerrechts wegen verpflichtet, die Hoheitsakte, die ein anderer Staat in seinem Staatsgebiet gesetzt habe, zu akzeptieren und als rechtsverbindlich anzuerkennen. Die Act of State-Doktrin hat vor allem bei zivilrechtlichen Herausgabeklagen eine Rolle gespielt. Bei diesen Klagen ging es darum, daß ein ursprünglicher Eigen___________ Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 487 f.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 92, 658, 959; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 9; Folz, Geltungskraft fremder Hoheitsäußerungen, S. 170 f.; Fonteyne, Act of State, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 17 (17 ff.); Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 346 f.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 576; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1487; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1178. 10 168 U.S. 250 (1897). Der Kläger Underhill, ein US-Bürger, hatte in Bolivar, Venezuela, ein Wasserwerk errichtet und betrieben. Im Rahmen eines Bürgerkrieges war er 1892 zunächst von General Hernandez, dem Beklagten, der die Stadt eingenommen hatte, verpflichtet worden, in Bolivar zu bleiben, um die örtliche Wasserversorgung sicherzustellen; später aber durfte er in die USA zurückkehren. Dort machte er Schadensersatzansprüche gegen General Hernandez geltend, dessen Bürgerkriegspartei von den USA mittlerweile als legitime Regierung von Venezuela anerkannt worden war. Die Gerichte lehnten es jedoch ab, über die Rechtmäßigkeit des Handelns von Hernandez zu befinden, da dieser für den venezolanischen Staat gehandelt habe und die gegenüber Underhill ergangenen Entscheidungen mithin fremdstaatliche Hoheitsakte gewesen seien. Vgl. ausführlich zu dieser Entscheidung des Supreme Court Folz, Geltungskraft fremder Hoheitsäußerungen, S. 31 ff.; Holstein, Act of State, S. 41 ff. Zu zeitlich früheren Entscheidungen, in denen die Act of State-Doktrin Anerkennung gefunden hatte, siehe Folz, a.a.O., S. 19 ff.; zu Entscheidungen, die nach der Underhill-Entscheidung des Supreme Court ergangen sind, siehe Folz, a.a.O., S. 34 ff. 11 168 U.S. 250, 252 (1897). Dt. Übers. bei Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 487 Fn. 17. 12 Vgl. zu diesen völkerrechtlichen Grundprinzipien Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 7 ff.; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 341 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1439 ff. 9
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tümer von einem Staat enteignet wurde, während sich die betreffenden Sachgüter im Gebiet dieses Staates befanden. Nunmehr waren die Gegenstände in das Gebiet eines anderen Staates gelangt. Vor dessen Gerichten klagte der ursprüngliche Eigentümer gegen den jetzigen Eigentümer auf Herausgabe der Güter mit dem Argument, die Enteignung sei rechtswidrig und unwirksam gewesen. Soweit sich die angerufenen Gerichte auf die Act of State-Doktrin beriefen, haben sie die Herausgabeklage mit dem Argument abgewiesen, sie dürften über die sich in dem Prozeß stellende Vorfrage, ob die Enteignung rechtswirksam sei, nicht entscheiden. Die Enteignung sei ein fremdstaatlicher Hoheitsakt, den sie als rechtmäßig zu akzeptieren hätten.13 Wäre diese Act of State-Doktrin ein Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts, dann hätte sie auch für das Strafrecht Bedeutung; sie würde dann als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit wirken. Denn wenn es den Staaten von Völkerrechts wegen untersagt wäre, fremde Hoheitsakte am Maßstab der eigenen Rechtsordnung zu bewerten, dann müßte man annehmen, daß sie auch die Geltung ihres eigenen Strafrechts nicht auf Hoheitsakte anderer Staaten erstrecken dürften. Das Strafrecht eines Staates dürfte dann nicht für Taten gelten, die jemand für einen anderen Staat bzw. in dessen Auftrag vorgenommen hat und die daher dem anderen Staat als Hoheitsakt zuzurechnen sind. Denn wenn fremde Hoheitsakte in den Geltungsbereich des Strafrechts eines Staates einbezogen werden, so erfolgt in gleicher Weise eine rechtliche Bewertung eines fremdstaatlichen Hoheitsakts wie dann, wenn ein staatliches Gericht die Rechtswirksamkeit fremdstaatlicher Enteignungen am Maßstab der eigenen nationalen Rechtsordnung überprüft. Strafrechtsdogmatisch bedeutete dies, daß sich der Geltungsbereich des nationalen Strafrechts nicht auf fremde Hoheitsakte erstrecken dürfte. Ebenso wie Auslandstaten dann nicht dem Geltungsbereich einer Strafrechtsordnung unterworfen werden dürfen, wenn kein völkerrechtlich legitimierter Anknüpfungspunkt für eine extraterritoriale Strafgewaltserstreckung gegeben ist, dürfte sich der Geltungsbereich des Strafrechts nicht auf fremde Hoheitsakte erstrecken. Ebenso wie die Erfassung einer Auslandstat von Normen des deutschen internationalen Strafrechts (§§ 3 ff. StGB) strafrechtsdogmatisch als objektive Bedingung der Strafbarkeit einzuordnen ist,14 müßte das Nichtvorliegen eines fremdstaatlichen Hoheitsakts als objektive Bedingung der Strafbarkeit einzustufen sein. Die Act of State-Doktrin hätte also materiell-strafrechtliche Wirkung dahingehend, daß sie zur Nichtgeltung des deutschen Strafrechts führte. Die vorstehenden Ausführungen machen eines deutlich: Die Staatenimmunität und die Act of State-Doktrin in ihrer Ausformung als vermeintlich völkerrecht___________ Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 92, 959; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 576; SeidlHohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1487. 14 Vgl. MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 3; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 61; LKStGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 148; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 18 V. 13
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
liches Gebot der Anerkennung fremdstaatlicher Hoheitsakte lassen sich beide auf den völkerrechtlichen Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten zurückführen.15 Während die Staatenimmunität es den Staaten untersagt, ein Verfahren gegen einen fremden Staat oder ein Strafverfahren gegen einen Funktionsträger eines fremden Staates wegen eines Hoheitsakts durchzuführen (und damit prozessuale Wirkung im Sinne des Verbots der Durchführung eines Verfahrens hat), verböte es die Act of State-Doktrin, wäre sie ein Rechtssatz des Völkerrechts, die Rechtmäßigkeit und Rechtswirksamkeit eines fremden Hoheitsakts in Frage zu stellen. Sie untersagte es einem Staat, fremde Hoheitsakte in den Geltungsbereich des eigenen materiellen Strafrechts einzubeziehen. Die hier betrachtete Act of State-Doktrin ist damit das materiellrechtliche Pendant zur lediglich prozessual wirkenden Staatenimmunität.16 2. Zur Rechtsqualität dieser Act of State-Doktrin Angesichts des im Vorstehenden benutzten Konjunktivs dürfte die Feststellung, daß die Act of State-Doktrin im Sinne eines Gebots der Anerkennung fremdstaatlicher Hoheitsakte kein Rechtssatz des Völkerrechts ist, nicht überraschen. Es besteht vielmehr vollkommene Einigkeit darüber, daß diese Act of StateDoktrin völkergewohnheitsrechtlich nicht anerkannt ist.17 Dies ist auch von deutschen Gerichten ganz zu Recht immer wieder betont worden.18 ___________ 15 So auch Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 43 (“the act-of-state doctrine is closely related to the principle of sovereign immunity”), S. 45 (“the act-of-state doctrine relies on the same basic considerations as the immunity doctrine”); Folz, Geltungskraft fremder Hoheitsäußerungen, S. 178 („Gemeinsam ist die rechtsgeschichtliche und rechtssystematische Grundlage im Rechtsprinzip der Achtung fremder Souveränität“) und Holstein, Act of State, S. 84 („… entspringt die Act of State Doctrine den gleichen völkerrechtlichen Quellen wie die Staatenimmunität“) und S. 356 ff. 16 So auch Lord Lloyd of Berwick in seinem Votum zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 428 (430) sowie Doehring, Völkerrecht, Rn. 658 Fn. 6: „Die Act of State-Doctrine bezieht sich auf das materielle Recht und ist die Kehrseite des Verfahrenshindernisses der Staatenimmunität.“ Siehe auch Holstein, Act of State, S. 356 ff.; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 145. Nicht zu überzeugen vermag dagegen die Feststellung von MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 109, die Act of State-Doktrin sei eine „Ausprägung der Staatenimmunität“. 17 Vgl. nur Lord Millett in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (98); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 109; Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 43; Brownlie, International Law, S. 483 f.; Dannecker, Jura 1994, 585 (586); Doehring, Völkerrecht, Rn. 93 f., 960; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 9; Frowein/Wolfrum/Schuster, Strafbarkeit von Spionen aus der ehemaligen DDR, S. 23; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 47 Rn. 31; LK-StGB-Gribbohm, § 5 Rn. 23; Hailbronnner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 89; Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 11; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 346 f.; Hobe/Tietje, GYIL 37 (1994), 386 (404 f.); dies., GYIL 39 (1996), 523 (533 f.); Kreicker, in: Eser/Arnold (Hrsg.), Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht, Bd. 2: Deutschland, S. 322, 353 f.; Lüke,
§ 10 Act of State-Doktrin
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Denn das Argument für die Act of State-Doktrin, das auch in der Entscheidung des US-Supreme Court im Fall Underhill ./. Hernandez zum Ausdruck kommt, ist zu einseitig und verfängt daher nicht. Wenn argumentiert wird, ein Staat, der einen Hoheitsakt eines anderen Staates nicht anerkenne, maße sich die Funktion eines Richters über fremdes Staatshandeln an und verletze damit die souveräne Gleichheit des fremden Staates, wird verkannt, daß eine Pflicht zur Anerkennung fremder Hoheitsakte in umgekehrter Weise gleichfalls staatliche Souveränitätsrechte tangieren würde. Eine Pflicht zur Anerkennung fremder Hoheitsakte beschränkte nämlich die Souveränitätsrechte der Staaten, denen man eine Pflicht zur Respektierung der Hoheitsakte auferlegte. Denn dann könnte ein Staat allein dadurch, daß er einen Sachverhalt durch Erlaß eines Hoheitsakts regelte, anderen Staaten die Möglichkeit nehmen, den betreffenden Sachverhalt selbst zu regeln; damit würde er sich eine höherrangige Stellung anmaßen. Ein generelles völkerrechtliches Gebot der Anerkennung fremdstaatlicher Hoheitsakte läßt sich daher nicht mit dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten begründen.19 Dies ist auch in den USA seit langem anerkannt. So hat der US-Supreme Court in einer weiteren Leitentscheidung zur Act of State-Doktrin, der Entscheidung Banco National de Cuba ./. Sabbatino aus dem Jahr 1964,20 zwar an dieser Doktrin festgehalten und es abgelehnt, über die Rechtmäßigkeit kubanischer Verstaatlichungsmaßnahmen zu entscheiden, doch explizit festgestellt, daß es sich dabei nicht um ein völkerrechtliches Gebot handele: “international law does not require application of the doctrine”.21 ___________ Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 66; Rosenau, Tödliche Schüsse im staatlichen Auftrag, S. 82 f.; Rummler, Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze, S. 475 f.; Schroeder, in: Eckart u.a. (Hrsg.), Wiedervereinigung Deutschlands, S. 399 (403); SeidlHohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1490; Steinberger, State Immunity, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 615 (616); Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 146; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1179. 18 BVerfGE 92, 277 (321 f.) = NJW 1995, 1811 (1813); BVerfGE 95, 96 (129) = NJW 1997, 929 (929 f.); BVerfGE 96, 68 (90) = NJW 1998, 50 (54); BGHSt 39, 1 (5) = NJW 1993, 141 (142); BGHSt 39, 168 (174 f.) = NJW 1993, 1932 (1933). Vgl. auch die häufig zitierten (zivilrechtlichen) Entscheidungen LG Hamburg, RabelsZ 37 (1973), 579 = ILM 13 (1974), 1115 und OLG Bremen, AVR 9 (1961/62), 318, in denen es um die Beachtlichkeit im Ausland vorgenommener entschädigungsloser Enteignungen für deutsche Gerichte ging. In diesen Entscheidungen wurde eine Überprüfung am Maßstab des deutschen ordre public (vgl. Art. 30 EGBGB) für völkerrechtlich zulässig erachtet und vorgenommen. Letztlich wurde die Beachtlichkeit der entschädigungslos vorgenommenen fremdstaatlichen Enteignung aber bejaht. 19 So auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 485 f.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 62 II. 1.; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1021. 20 376 U.S. 398 (1964) = AJIL 58 (1964), 779 ff. Vgl. ausführlich zu diesem Verfahren Folz, Geltungskraft fremder Hoheitsäußerungen, S. 99 ff.; Holstein, Act of State, S. 57 ff.; Zimmer, in: Menzel u.a. (Hrsg.), Völkerrechtsprechung, S. 402 ff. 21 376 U.S. 398, 421 (1964) = AJIL 58 (1964), 779 (788). Vgl. auch Dahm/ Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 488; Folz, Geltungskraft fremder Hoheitsäußerungen, S. 116, 172 ff.; Holstein, Act of State, S. 88 ff.
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
Doch bedeutet die Feststellung, daß die Act of State-Doktrin keine Regel des Völkerrechts ist, nicht, daß die Staaten vollkommen frei in ihrer Entscheidung sind, ob sie fremde Hoheitsakte anerkennen wollen oder nicht. Fremdstaatliche Hoheitsakte, die einen Bereich betreffen, für den ein anderer Staat keinerlei eigenes legitimes Regelungsinteresse hat, hat dieser andere Staat grundsätzlich zu akzeptieren.22 Doch hat diese Einschränkung für das Strafrecht keinerlei Bedeutung. Denn ein Staat darf generell sein Strafrecht unabhängig davon, ob eine Tat als Hoheitshandlung für einen fremden Staat zu bewerten ist oder nicht, lediglich auf Inlandstaten sowie auf solche Auslandstaten erstrecken, für deren Ahndung er ein legitimes völkerrechtlich anerkanntes Interesse geltend machen kann.23 Es kann mithin festgehalten werden, daß die hier betrachtete Act of StateDoktrin (im anglo-amerikanischen Sinne) keine Schranke für das Strafrecht darstellt, also keine Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit begründet, da sie kein Rechtssatz des Völkerrechts ist.
III. Die Act of State-Doktrin als auf nationalem Recht beruhendes Gebot der Anerkennung fremdstaatlicher Hoheitsakte Auch wenn der US-Supreme Court im Fall Banco National de Cuba ./. Sabbatino24 zutreffend festgestellt hat, daß die Act of State-Doktrin kein Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts ist, so hat er – wie schon angedeutet wurde – doch in der Sache an ihr festgehalten. Er hat sie nämlich als Rechtssatz des nationalen USamerikanischen Rechts klassifiziert. Zwar verlange auch die US-Verfassung die Anwendung der Act of State-Doktrin nicht, doch folge diese aus dem Prinzip der Gewaltenteilung und dem Gebot der richterlichen Zurückhaltung bei außenpolitisch relevanten Fragen. Die Entscheidung, fremdstaatliche Hoheitsakte nicht anzuerkennen, sei nicht von den Gerichten, sondern wegen ihrer möglichen außenpolitischen Implikationen von der Regierung zu treffen.25 Diese Feststellung hat der
___________ Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 960 ff.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 62 II. 2./3.; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1021. Siehe auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 484 ff. sowie die detaillierteren Ausführungen zum Gebot der Achtung fremder Hoheitsakte unten in § 22 VI.1.c)bb). 23 Vgl. MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 17 ff.; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 3 ff.; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 145 ff.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 18 I. 2. sowie näher zum völkerrechtlichen Gebot der Achtung fremder Hoheitsakte und seiner Wirkung im Strafrecht unten § 22 VI.1.c)bb). 24 Vgl. oben Anm. 20. 25 376 U.S. 398, 424 ff. (1964) = AJIL 58 (1964), 779 (789 ff.). Vgl. auch Folz, Geltungskraft fremder Hoheitsäußerungen, S. 117 ff.; Holstein, Act of State, S. 95 ff. 22
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Supreme Court in der Entscheidung First National City Bank ./. Banco National de Cuba26 ausdrücklich bestätigt.27 Diese Auffassung der US-amerikanischen Gerichte stieß in den USA allerdings vielfach auf Ablehnung, zumal es auch US-Bürgern, die durch fremdstaatliche Enteignungen im Ausland Vermögen verloren hatten, von den Gerichten verwehrt wurde, in den USA mit Erfolg auf Herausgabe „ihres“ Eigentums zu klagen. Daher hat der Kongreß 1965 in Reaktion auf die Entscheidung Banco National de Cuba ./. Sabbatino ein besonderes Gesetz28 verabschiedet, das den Gerichten verbietet, die Überprüfung ausländischer Eigentumsentziehungen gestützt auf die Act of StateDoktrin abzulehnen, es sei denn, der US-Präsident bestimmt im Einzelfall aus außenpolitischen Gründen Gegenteiliges.29 Die Gerichte haben es jedoch verstanden, den Anwendungsbereich dieses Gesetzes sehr klein zu halten.30 Allerdings hat auch der Supreme Court selbst die Act of State-Doktrin zurückgenommen, indem er zum einen zumindest angedeutet hat, daß die Gerichte dann die Prüfung eines ausländischen Hoheitsakts vornehmen dürften, wenn das State Department in einem sogenannten „Bernstein Letter“31 festgestellt habe, daß sich eine solche Prüfung nicht negativ auf die amerikanische Außenpolitik auswirke.32 Zum anderen hat der Supreme Court betont, daß die Act of State-Doktrin lediglich auf hoheitliche Staats-
___________ 406 U.S. 759 (1972) = ILM 11 (1972), 811 = ILR 66, 102. Vgl. zu diesem Verfahren Folz, Geltungskraft fremder Hoheitsäußerungen, S. 150 ff. 28 Das sogenannte Second Hickenlooper Amendment zum Foreign Assistance Act, abgedr. in AJIL 59 (1965), 98, 368, 899. 29 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 489; Folz, Geltungskraft fremder Hoheitsäußerungen, S. 140 f. (mit einer Wiedergabe des Wortlauts der Gesetzesvorschrift auf S. 141 in Fn. 19); Holstein, Act of State, S. 229 ff. (mit einer Wiedergabe des Wortlauts der Gesetzesvorschrift auf S. 231 f.). 30 Vgl. Fonteyne, Act of State, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 17 (17); Holstein, Act of State, S. 233 ff. 31 Benannt nach Verfahren, die der Kläger Arnold Bernstein, ein vor den Nationalsozialisten in die USA geflohener ehemaliger deutscher Staatsangehöriger jüdischen Glaubens, der in Deutschland eine Reederei betrieben hatte, mit dem Ziel der Erlangung von Schadensersatz für seine mittlerweile untergegangenen Schiffe nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges angestrengt hatte. Diese Schiffe hatte er auf Druck der Nationalsozialisten an die Beklagten veräußern müssen. Die mit den Klagen befaßten Gerichte hatten entschieden, daß die Maßnahmen des NS-Regimes unüberprüfbare Hoheitsakte gewesen seien, und die Klagen daher abgewiesen. Das State Department versuchte zwar in Form eines Briefes („Bernstein Letter“) zugunsten von Bernstein zu intervenieren, konnte aber die Entscheidungen nicht mehr beeinflussen, da das Schreiben erst nach Urteilserlaß bekannt wurde. Vgl. Folz, Geltungskraft fremder Hoheitsäußerungen, S. 69 ff. (mit einer Wiedergabe der entscheidenden Passage des Briefes auf S. 76); Holstein, Act of State, S. 267 ff. (mit einer Wiedergabe der entscheidenden Passage des Briefes auf S. 269); Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1180 Fn. 5. 32 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 489; Holstein, Act of State, S. 270 ff. 26 27
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Teil 2: Staatenimmunität und Act of State-Doktrin
akte, nicht aber auf privatrechtliche anwendbar sei33 – insofern wurde die bei der Staatenimmunität entwickelte Differenzierung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis auf die Act of State-Doktrin übertragen. Damit ist die Act of State-Doktrin zwar auch in den USA „auf dem Rückzug“. Gänzlich aufgegeben wurde sie von den US-amerikanischen Gerichten, deren Rechtsprechung letztlich kein klares Bild von den Grundlagen und dem Anwendungsbereich der Doktrin liefert,34 in ihrer Ausprägung als Rechtssatz des nationalen US-Rechts allerdings nicht.35 Die Act of State-Doktrin hat vielmehr auch in Strafverfahren Bedeutung erlangt. So begründete ein Gericht in Florida im Jahr 1990 die Zulässigkeit eines Strafverfahrens wegen Drogendelikten gegen den ehemaligen Machthaber von Panama, General Manuel Antonio Noriega, der später zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, damit, die Act of State-Doktrin gelte zwar grundsätzlich auch für Strafverfahren, greife aber im vorliegenden Fall nicht ein, da zum einen die USRegierung sich – durch die Erhebung einer Anklage – mit der Strafverfolgung einverstanden erklärt habe und zum anderen die Drogengeschäfte Noriegas nicht als amtliches, sondern als dessen privates Handeln zu bewerten seien.36 ___________ 33 Alfred Dunhill ./. Republic of Cuba, 425 U.S. 682 (1976) = ILM 15 (1976), 735 = ILR 66, 212. Vgl. zu dieser Ausnahme von der Act of State-Doktrin Holstein, Act of State, S. 315 ff. 34 So auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 488. 35 So heißt es bei American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 443: “In the absence of a treaty or other unambiguous agreement regarding controlling legal principles, courts in the United States will generally refrain from examining the validity of a taking by a foreign state of property within its own territory, or from sitting in the judgment on other acts of a governmental character done by a foreign state within its own territory and applicable there.” 36 Entscheidung des US District Court, District of Southern Florida vom 8.6.1990 im Fall US ./. Noriega, ILR 99, 143 (163 ff.): “Although stated in terms of acts of the ‘State’ or ‘sovereign’, the doctrine also extends to governmental acts of State officials vested with sovereign authority. (…) In order for the act of state doctrine to apply, the defendant must establish that his activities are ‘acts of state’, i.e., that they were taken on behalf of the state and not, as private acts, on behalf of the actor himself. (…) The Court fails to see how Noriega’s alleged drug trafficking and protection of money launderers could conceivably constitute public action taken on behalf of the Panamanian state. (…) The indictment in this case charges a series of private acts committed by the defendant for his own personal financial enrichment. (…) Yet another consideration counsels against application of the act of state doctrine in this case. Although originally couched in terms of sovereign immunity, the doctrine as presently developed does not rest on principles of international law or respect of sovereign independence. More recent interpretations of the doctrine instead emphasize the separation of powers rationale – more specifically, the need to preclude judicial encroachment in the field of foreign policy and international diplomacy. (…) In questioning the validity of acts of foreign states, the judiciary may well hinder the Executive’s conduct of foreign affairs and the need to speak with one voice on the world stage. No such danger is present here and in fact the opposite is true since the Executive’s position is amply demonstrated by its decision to indict and prosecute the defendant. (…) The Court simply notes that this case does not present the possibility of interference with the Execu-
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Doch braucht die Act of State-Doktrin in ihrer Ausprägung als ein auf nationalem Recht beruhendes Gebot der Anerkennung fremdstaatlicher Hoheitsakte im Rahmen dieser Untersuchung, die sich auf die Frage der Relevanz strafrechtlicher Exemtionen für die deutsche Strafjustiz konzentriert, nicht weiter zu interessieren. Denn die deutschen Gerichte haben ganz zu Recht eine solche Regel nie als Bestandteil des deutschen Rechts ausgemacht.
IV. Fazit Der Begriff der Act of State-Doktrin ist mehrdeutig. Vielfach wird er als bloßes Synonym für die Staatenimmunität verwandt. Insofern hat die Act of State-Doktrin keine eigenständige völkerrechtliche Relevanz. Soweit mit der Act of State-Doktrin das Gebot bezeichnet wird, fremdstaatliche Hoheitsakte anzuerkennen, spielt sie ebenfalls für das (deutsche) Strafrecht keine Rolle. Denn ein solches Gebot ist völkerrechtlich nicht anerkannt. Und soweit es sich aus dem nationalen US-amerikanischen Recht oder dem nationalen Recht anderer Staaten ergeben sollte, ist es für die deutschen Strafverfolgungsbehörden nicht verbindlich.
___________ tive branch that might otherwise exist. The Court need not rest on this finding, however, since it concludes that Noriega has not demonstrated that his alleged drug-related activities were in fact acts of state rather than measures to further his own private self-interest. Absent such showing, the act of state doctrine cannot apply.” Auf die Staatenimmunität als eine völkerrechtliche Exemtion ging das Gericht dagegen überhaupt nicht ein. Sie stand aber der Verurteilung nicht im Wege, da das Gericht festgestellt hatte, daß die Noriega vorgeworfenen Drogengeschäfte nicht als Diensthandlungen zu bewerten seien.
Teil 3
Diplomatische und konsularische Exemtionen Zwar werden wichtige Entscheidungen auf völkerrechtlicher Ebene heutzutage in der Regel auf internationalen Konferenzen, in Gremien internationaler Organisationen oder im Rahmen bilateraler Treffen von Staatschefs, Regierungsmitgliedern oder Ministerialbeamten getroffen, doch bilden die diplomatischen und konsularischen Vertretungen nach wie vor das Rückgrat der internationalen Beziehungen. Trotz moderner Kommunikationstechnologie und der Möglichkeit, per Flugzeug innerhalb kürzester Zeit nahezu jedes Land der Erde zu erreichen, unterhalten die Staaten ständige diplomatische und konsularische Vertretungen in fremden Staaten und empfangen umgekehrt Diplomaten und Konsuln als ständige Vertreter anderer Staaten in ihrem Staatsgebiet. Vor allem in Zeiten politischer Spannungen gewährleisten die diplomatischen und konsularischen Vertretungen ein Minimum an Kommunikation und Kooperation und ermöglichen die Wahrung der Rechte und Interessen eigener Staatsbürger im Ausland. Es sind somit vor allem die Mitglieder ständiger diplomatischer und konsularischer Vertretungen, die – wegen ihres längeren Aufenthalts im Empfangsstaat – mit fremdstaatlicher Strafjustiz in Berührung kommen können, während andere staatliche Funktionsträger sich regelmäßig nur selten und kurz in fremdem Staatsgebiet aufhalten und mithin kaum Gefahr laufen, einer fremdstaatlichen Strafverfolgung ausgesetzt zu werden. Es verwundert daher nicht, daß es in der Mehrzahl der Fälle, in denen Staaten mit der Frage völkerrechtlicher Befreiungen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit konfrontiert waren, um die diplomatischen und konsularischen Exemtionen ging. Auch die meisten veröffentlichten strafrechtlichen Judikate deutscher Gerichte zu völkerrechtlichen Befreiungen betreffen – wie aus dem Rechtsprechungsnachweis im Anhang hervorgeht – diese Exemtionen. Aber nicht nur wegen der besonderen praktischen Relevanz sollen die Grundlagen und Grenzen der diplomatischen und konsularischen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit nachfolgend einer genauen Analyse unterzogen werden. Zwar sind die diplomatischen und konsularischen Exemtionen 1961 bzw. 1963 im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD)1 und im Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK)2 kodifiziert worden, so daß es hier vor allem um eine Analyse dieser nahezu universell geltenden multilateralen Abkommen geht. Doch gibt es einige noch immer nicht vollständig ___________ 1 2
BGBl. 1964 II, S. 957. Internationale Quelle: UNTS 500, 95. BGBl. 1969 II, S. 1585. Internationale Quelle: UNTS 596, 261.
Einleitung
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geklärte Fragen in bezug auf den Gehalt der diplomatischen und konsularischen Exemtionen, etwa hinsichtlich der Abgrenzung von den durch die Immunitäten ratione materiae geschützten dienstlichen Handlungen zu den nicht von Immunität erfaßten sonstigen Handlungen oder aber hinsichtlich der Reichweite diplomatischer und konsularischer Exemtionen in Drittstaaten, also in anderen Staaten als dem Empfangsstaat. Zudem stellt sich angesichts des Ausbaus des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes und des völkerrechtlichen Strafrechts die Frage, inwieweit die diplomatischen und konsularischen Exemtionen heute noch einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen und (sonstiger) schwerer Menschenrechtsverletzungen entgegenstehen. Hinzuweisen ist ferner darauf, daß einige der im 4. Teil dieser Untersuchung betrachteten völkervertraglich normierten Befreiungen auf den Exemtionsbestimmungen des Diplomaten- und Konsularrechts basieren und deren Regelungsinhalte mutatis mutandis übernehmen, zum Teil durch bloße Festschreibung „diplomatischer Immunität“. Dies gilt vor allem für die Exemtionen von Sonderbotschaftern (§ 18) und für die Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen (§ 19). Auch deshalb kommt einer Analyse der diplomatischen und konsularischen Exemtionen für die vorliegende Untersuchung besondere Bedeutung zu. Der Einsatz von Sonderbotschaftern, also lediglich für einen bestimmten Auftrag in einen fremden Staat entsandten Vertretern, und die staatlichen Vertretungen bei internationalen Organisationen bzw. die Vertretungen internationaler Organisationen in einzelnen Staaten werden zwar vielfach auch dem Bereich der „diplomatischen Beziehungen“ zugeordnet. Doch sollen hier zunächst lediglich die Vorrechte und Befreiungen der ständigen diplomatischen und konsularischen Vertreter eines Staates bei einem anderen Staat untersucht werden. Auch wenn unangefochtener Konsens darüber besteht, daß die Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen gewisser Vorrechte und Befreiungen bedürfen, so darf doch nicht außer acht gelassen werden, daß sich das Recht der diplomatischen und konsularischen Exemtionen in einen stetem Spannungsverhältnis befindet zwischen einerseits dem Interesse des Entsendestaates3 an einer möglichst weitgehenden Befreiung seiner Emissäre von fremdstaatlicher Hoheitsgewalt, damit diese in dem fremden Staat ungehindert die Interessen des Entsendestaates vertreten können, und andererseits dem Interesse des Empfangsstaates4, zur Sicherung des innerstaatlichen Rechtsfriedens und zur Wahrung der nationalen Rechts___________ Als „Entsendestaat“ wird der Staat bezeichnet, der in einem fremden Staat eine diplomatische oder konsularische Vertretung errichtet, für den also die Diplomaten bzw. Konsularbeamten tätig sind. Diese müssen nicht unbedingt tatsächlich „entsandt“ werden, sondern können unter Umständen auch im fremden Staat ansässige Personen sein. 4 Als „Empfangsstaat“ wird der Staat bezeichnet, in dem die diplomatischen bzw. konsularischen Vertreter des Entsendestaates gewissermaßen „stationiert“ sind und in dessen Hoheitsgebiet sie ihren Aufgaben nachkommen sollen. 3
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
ordnung möglichst alle in seinem Staatsgebiet befindlichen Personen umfassend seiner Hoheitsgewalt und damit auch seiner Strafgerichtsbarkeit zu unterwerfen. Der Ausgleich dieser divergierenden Interessen kann nicht ein für alle Mal gewissermaßen statisch gefunden werden, sondern stellt, bedingt durch sich wandelnde Rechts- und Wertvorstellungen, eine permanente Aufgabe dar. Eine Analyse der diplomatischen und konsularischen Exemtionen muß daher stets im Blick haben, daß es gilt, einen sachgerechten Ausgleich zwischen den gegenläufigen Interessen von Entsende- und Empfangsstaat herbeizuführen.
§ 11 Historische Entwicklung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen I. Die Entwicklung der diplomatischen Exemtionen vor dem Hintergrund der Entwicklung der diplomatischen Beziehungen 1. Die Entwicklung der diplomatischen Beziehungen a) Struktur der diplomatischen Beziehungen bis zum Ausgang des Mittelalters Das „Recht der diplomatischen Beziehungen“ wird zum ältesten Teil des Völkerrechts gezählt.1 Denn die Entwicklung völkerrechtlicher, also überstaatlicher Normen war überhaupt erst möglich auf der Grundlage einer von gemeinsamen Verhaltensregeln bestimmten zwischenstaatlichen Kontaktaufnahme. Bis zum Ausgang des Mittelalters beschränkten sich die diplomatischen Beziehungen allerdings auf den temporären und anlaßbezogenen Einsatz von „Ad-hocVertretern“.2 Es wurden Gesandte jeweils mit einem konkreten Auftrag zu fremden Herrschern geschickt. Nach Erledigung der ihnen übertragenen Aufgaben kehrten sie zurück. Der gewissen Regeln unterworfene Einsatz derartiger Botschafter war bereits unter den Herrschern der Königreiche Syriens und Mesopotamiens im 2. Jahrtausend vor Christi Geburt üblich. Auch die Stadtstaaten Griechenlands und später dann das Römische Reich bedienten sich der Institution der Gesandten zum Zweck der Kommunikation untereinander bzw. mit fremden Herrschern.3 Nach ___________ Vgl. Barnhoorn, NYIL 25 (1994), 39 (40); Berber, Völkerrecht, Bd. I, S. 278; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 260 f.; Denza, Diplomatic Law, S. 1; Kokott/Doehring/Buergenthal, Grundzüge des Völkerrechts, Rn. 451; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 885; Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 (398). 2 Vgl. Berber, Völkerrecht, Bd. I, S. 278; Blum, Diplomatic Agents and Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1034 (1035); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 1; Parkhill, ICLR 21 (1998), 565 (568 f.); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 10; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 6; Young, BYIL 40 (1964), 141 (141 ff.). 3 Vgl. Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 15 ff.; Nascimento E Silva, Diplomacy in International Law, S. 16 ff.; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 3 ff.; Young, BYIL 40 (1964), 141 (141 ff.). 1
§ 11 Historische Entwicklung der Exemtionen
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dem Zerfall des Römischen Imperiums und im Mittelalter setzten die christlichen Herrscher vor allem Mönche als Gesandte ein. Auch die Emissäre der islamischen Herrscher waren in der Regel „religiöse Sendboten“.4 b) Die Entwicklung ständiger diplomatischer Beziehungen seit der Renaissance Die ständige Diplomatie, also der Austausch von dauerhaft und unabhängig von konkreten Aufgaben im Empfangsstaat anwesenden diplomatischen Vertretern, entwickelte sich in Europa ab dem ausgehenden Mittelalter. Im 15. Jahrhundert waren es zunächst die oberitalienischen Stadtrepubliken, die in den jeweils anderen Städten ständige Repräsentanten stationierten, bald aber auch an den Höfen der Herrscher in Spanien, Frankreich, England und Deutschland ständige Vertretungen einrichteten. Der Aufschwung des Handels und wechselseitigen Austauschs in der Renaissance machte es erforderlich, permanente Vertreter zur kontinuierlichen Interessenvertretung, aber auch zur Erlangung wichtiger Informationen in fremden Staaten bzw. an fremden Höfen zu haben.5 Zwar tauschten bereits gegen Ende des 15. Jahrhunderts auch England, Frankreich, Spanien und Deutschland ständige diplomatische Vertreter aus, doch dauerte es noch bis zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, bis die Errichtung diplomatischer Missionen in fremden Staaten und bei fremden Herrschern allgemein verbreitet war. Seit diesem Zeitpunkt aber hat die Institution ständiger diplomatischer Missionen als solche kaum Wandlungen erfahren.6 Es erwies sich für alle Staaten und ihre Herrscher als im völkerrechtlichen Verkehr unverzichtbar, in fremden Ländern, mit denen aus geographischen oder politischen Gründen engere Verbindungen bestanden, ständige Repräsentanten zu haben. Da es zum einen nicht üblich, zum anderen wegen der Beschwerlichkeit des Reisens nur schwer möglich war, daß sich Staats- und Regierungsvertreter zu politischen Konsultationen wechselseitig besuchten, oblag der zwischenstaatliche Verkehr im wesentlichen den Diplomaten. Aufgrund der beschränkten Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Heimatstaat hatten die Botschafter7 die Aufgabe, aber auch die Chance, die Außen___________ 4 Vgl. Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 10 f.; Nascimento E Silva, Diplomacy in International Law, S. 19 ff.; Young, BYIL 40 (1964), 141 (142 f.). 5 Vgl. Blum, Diplomatic Agents and Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1034 (1035); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 261; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 1; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 461; Nahlik, RdC 1990 III, 187 (205 f.); Nascimento E Silva, Diplomacy in International Law, S. 21 ff.; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 6; Young, BYIL 40 (1964), 141 (145 f.). 6 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 261; Frey/Frey, History of Diplomatic Immunity, S. 121 ff.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 461; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 6 f. 7 Der Begriff „Botschafter“ wird hier zunächst dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend für den Leiter einer diplomatischen Mission verwendet. Das WÜD differenziert je-
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
politik ihres Staates gegenüber dem Empfangsstaat in vielerlei Hinsicht eigenständig zu gestalten. Die Entscheidungsträger im Heimatstaat wiederum konnten ihre außenpolitisch relevanten Entscheidungen vielfach nur auf der Basis von Informationen fällen, die sie von ihren Auslandsvertretern erhalten hatten. Die Botschafter hatten daher nicht nur in erheblichem Maße Macht und Einfluß, sondern genossen auch höchste Ehren im Empfangsstaat. Posten im diplomatischen Dienst wurden regelmäßig an hochstehende Personen aus dem Kreis der nationalen Eliten, vielfach an Personen aus dem Adelsstand, vergeben. Die so gekennzeichnete ständige Diplomatie erlebte ihren Höhepunkt im 19. Jahrhundert.8 c) Die Rolle diplomatischer Missionen im modernen Informationszeitalter Auch wenn die Institution der ständigen Diplomatie erhalten geblieben und weiterhin unverzichtbar ist, so hat doch der Tätigkeits- und Einflußbereich der Botschafter und übrigen Diplomaten seit dem 19. Jahrhundert erhebliche Änderungen erfahren. Die verbesserten Reisemöglichkeiten haben – wie bereits erwähnt – dazu geführt, daß wichtige außenpolitische Verhandlungen in der Regel nicht mehr von den Botschaftern, sondern von Regierungsvertretern und Ministerialbeamten geführt werden, die eigens zu diesem Zweck anreisen. Zudem hat die Zahl der bilateralen Verträge und Übereinkünfte zugunsten der auf internationalen Konferenzen beschlossenen mulilateralen Abkommen abgenommen. Wichtige außenpolitische Entscheidungen werden vielfach in Gremien internationaler Organisationen getroffen, man denke hier nur an die Arbeiten im Rahmen des Europarats und der Europäischen Union, die rein bilaterale Verträge in Europa in den Hintergrund haben treten lassen. Die Regierungsstellen eines Staates sind zudem heute weitaus weniger als früher auf Informationen angewiesen, die sie von ihren Auslandsvertretern erhalten. Denn Politikinformationen über die meisten Staaten sind im Informationszeitalter über die Presseberichterstattung, Fernsehberichte, das Internet und wissenschaftliche Publikationen leicht erhältlich. Heutzutage machen daher vor allem die persönlichen Kontakte und die Erfahrungen und Eindrücke, die ein Auslandsvertreter über den Empfangsstaat und dessen Politiken sammeln kann, die politische Bedeutung diplomatischer Beziehungen aus. Zudem erbringen die diplomatischen Vertretungen unverzichtbare Serviceleistungen, indem sie Reisen von Regierungsvertretern und Parlamentariern des eigenen Staates im Empfangsstaat organisieren und die zu Verhandlungen anreisenden Regierungsvertreter unterstützen. Ferner gilt es, die Aktivitäten von Wirtschafts___________ doch zwischen verschiedenen Klassen von Missionschefs, wobei als „Botschafter“ nach Art. 14 Abs. 1 WÜD nur die Missionschefs der höchsten Klasse bezeichnet werden. 8 Vgl. Blum, Diplomatic Agents and Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1034 (1035).
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unternehmen des Heimatstaates zu fördern, im Rahmen von Informations- und Kulturveranstaltungen ein positives Image des eigenen Staates zu verbreiten und Ansprechpartner zu sein für die sich im Empfangsstaat aufhaltenden eigenen Staatsbürger. Diese Entwicklung hat dem Diplomatenwesen viel von der ursprünglichen Aura des Ehr- und Würdevollen genommen. Die Tätigkeit von Botschaftern und den übrigen Diplomaten wird mehr und mehr als „normale“ Berufstätigkeit verstanden. Dies hat natürlich auch Rückwirkungen auf die Legitimationsfähigkeit der ihnen zukommenden Vorrechte und Immunitäten.9 2. Die Entwicklung der diplomatischen Exemtionen a) Die Entwicklung der diplomatischen Exemtionen bis zum Ausgang des Mittelalters Da eine Kontaktaufnahme über Gesandte nur dann möglich war, wenn der Entsendestaat davon ausgehen konnte, daß sein Gesandter im Empfangsstaat keiner Zwangsgewalt ausgesetzt werden und zudem gewissen Schutz und die nötige Hilfe und Unterstützung zur Durchführung seiner Mission erfahren würde, ferner der Austausch von Gesandten regelmäßig wechselseitig erfolgte, so daß beide Parteien ein Interesse an einem Schutz der Emissäre hatten, bildete sich mit der Entstehung des Gesandtschaftswesens zugleich die Unverletzlichkeit der Gesandten heraus.10 Die Unverletzlichkeit der Gesandten gehört daher zu den seit jeher anerkannten Regeln des Völkerrechts.11 Die Unverletzlichkeit hatte schon immer zwei Aspekte, einen negativen und einen positiven. Zum einen durfte der Gesandte vom Empfangsstaat keiner (strafrechtlichen) Zwangsgewalt unterworfen werden, zum anderen war er vor Übergriffen Dritter zu schützen, war ihm die erforderliche Unterstützung (Unterkunft, Nahrungsmittel) zu gewähren und war er „ehrenvoll“ zu behandeln. Diese Unverletzlichkeit wurde allerdings überwiegend noch nicht als „Rechtsregel“ betrachtet, sondern beruhte auf Courtoisie und wurde religiös begründet; der Gesandte wurde als „sakrosankt“ angesehen.12 ___________ 9 Zu den modernen Entwicklungstendenzen vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 261 f.; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 356 f.; Parkhill, ICLR 21 (1998), 565 (582 ff.). 10 Vgl. Berber, Völkerrecht, Bd. I, S. 278 Fn. 30; Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1040); dies., Diplomatic Law, S. 210; Nascimento E Silva, Diplomacy, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1024 (1028 f.); Young, BYIL 40 (1964), 141 (141 ff.). 11 Vgl. Folz, in: von Münch (Hrsg.), FS Schlochauer, S. 271 (271); Nahlik, RdC 1990 III, 187 (248); Nascimento E Silva, Diplomacy, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1024 (1028). 12 Vgl. Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 32 ff.; Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1040); Frey/Frey, History of Diplomatic Immunity, S. 11 ff., 85 ff., 149 f.;
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b) Die Entwicklung der diplomatischen Exemtionen von der Ausbildung der ständigen Diplomatie in der Renaissance bis zum 17. Jahrhundert Die Unverletzlichkeit der Diplomaten blieb nach dem Wandel vom System der Ad-hoc-Gesandtschaften hin zur Institution ständiger diplomatischer Vertretungen des Entsendestaates im Empfangsstaat ab dem 15. Jahrhundert als fundamentale Grundregel des Diplomatenrechts erhalten. Hinsichtlich der hier interessierenden Freistellung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit wurde auch in der damaligen Epoche noch nicht wie heute zwischen der Immunität der Diplomaten von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates und ihrer Unverletzlichkeit, das heißt ihrer Freistellung von strafprozessualer Zwangsgewalt, differenziert. Denn es war unüblich, ein Strafverfahren ohne vorherige Inhaftierung des Beschuldigten durchzuführen, so daß die Diplomaten aufgrund ihrer Unverletzlichkeit umfassend von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gegenüber dem Empfangsstaat befreit waren.13 Diese Unverletzlichkeit wurde ab dem Zeitalter der Renaissance aber nicht mehr religiös begründet, sondern als verbindliche Völkerrechtsregel begriffen.14 Doch hatte man Schwierigkeiten, nach der Herausbildung des modernen Territorialstaates, also dem Wandel der Staaten von Personenverbänden zu gebietsbezogenen Einheiten, die Unverletzlichkeit rechtskonstruktiv zu begründen. Denn der Territorialstaat war und ist gekennzeichnet durch die grundsätzliche Unterworfenheit aller sich im Staatsgebiet aufhaltenden Personen unter die Hoheitsgewalt dieses Staates. Offenbar konnte die heute geläufige und rechtstheoretisch unproblematische Begründung der Vorrechte und Befreiungen der Diplomaten als völkervertragliche oder völkergewohnheitsrechtliche Ausnahmevorschriften von der gleichrangigen völkerrechtlichen Rechtsregel der umfassenden Gebietshoheit der Staaten15 zu dieser Zeit nicht überzeugen. Denn in der damaligen Völkerrechtswissenschaft, namentlich von dem vielfach als „Vater des Völkerrechts“ bezeichneten niederländischen Juristen und Diplomaten Hugo Grotius (1583–1645), wurde die Unverletzlichkeit mit der Fiktion der „Exterritorialität“ begründet: Der Diplomat sei juristisch als außerhalb des Territo-
___________ Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 461; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 10 f.; Young, BYIL 40 (1964), 141 (142); Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 (398 f.). Im Römischen Reich wurde die Unverletzlichkeit von Gesandten allerdings auch gesetzlich verankert und somit auf eine doppelte Basis gestellt; vgl. Frey/Frey, a.a.O., S. 44 ff. 13 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 229; Nascimento E Silva, Diplomacy, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1024 (1029). 14 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 210; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 12. 15 Vgl. Berber, Völkerrecht, Bd. I, S. 291.
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riums des Empfangsstaates und damit als außerhalb von dessen Gebietshoheit stehend zu betrachten.16 Soweit allerdings untersucht wurde, aus welchem sachlichen Grund den Diplomaten Unverletzlichkeit zuzuerkennen sei, wurden schon damals die auch heute noch maßgeblichen Begründungen angeführt: Die Unverletzlichkeit werde dem Diplomaten gewährt, weil er seinen Staat – bzw. genauer gesagt dessen Monarchen – repräsentiere und ihn im Empfangsstaat vertrete, so daß aus dem Gebot, fremde Staaten und Monarchen ehren- und würdevoll zu behandeln, das Gebot folge, auch dessen Gesandte zuvorkommend zu behandeln. Die zweite, leistungsfähigere und auch schon bei Grotius zu findende Begründung stellte schon damals darauf ab, daß die Unverletzlichkeit dem Diplomaten ermöglichen solle, unbeeinflußt von hoheitlichen Maßnahmen des Empfangsstaates seine Missionsaufgaben erfüllen zu können.17 Wie heute noch und derzeit sogar wieder verstärkt, so wurde auch damals in der Wissenschaft diskutiert, ob die Unverletzlichkeit der Diplomaten selbst dann gelte, wenn diese schwere Straftaten, vor allem gegen den Staat und dessen Monarchen gerichtete Taten, begangen hatten.18 Denn im 16. und 17. Jahrhundert gab es mehrere Fälle, in denen Botschafter im Auftrag ihres Staates versucht hatten, den Herrscher des Empfangsstaates zu töten. So war etwa der bei der englischen Königin Elisabeth I. akkreditierte Botschafter Spaniens, Don Bernadino de Mendoza, 1584 in eine Verschwörung gegen die englische Königin verwickelt, die die Ablösung der Königin durch Mary Queen of Scots zum Ziel hatte. Gleiches galt für den Gesandten von Mary Queen of Scots bei der englischen Königin, den Bishop of Ross John Lesley. Mehrere namhafte Völkerrechtswissenschaftler hatten der englischen Queen geraten, die Gesandten zu verurteilen, und behauptet, deren Unverletzlichkeit gelte nicht bei Straftaten dieser Art. Doch folgte die Königin, ebenso wie andere Herrscher in vergleichbaren Fällen, dieser Auffassung einer begrenzten Unverletzlichkeit nicht. Vielmehr wurden die Gesandten in diesen Fällen lediglich des
___________ Grotius, De Iure Belli ac Pacis, II. Buch, Kap. 18 IV. 5.: „(…) daher gelten Gesandte nach einer (…) Fiktion als außerhalb des Landes wohnend (extra territorium); sie sind deshalb auch dem bürgerlichen Recht des Staates, bei dem sie beglaubigt sind, nicht unterworfen. Begehen sie ein Vergehen, das man unbeachtet lassen kann, so muß man es entweder totschweigen oder den Gesandten des Gebietes verweisen. (…) Ist das Verbrechen schwererer Natur und mit allgemeinen Nachteilen verbunden, so muß der Gesandte seinem Herrn zurückgeschickt werden, damit dieser in bestrafe oder ausliefere.“ Vgl. auch Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 28 ff., 66 f.; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 362; Nascimento E Silva, Diplomacy, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1024 (1029); Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (400 f.); Young, BYIL 40 (1964), 141 (151). 17 Vgl. Young, BYIL 40 (1964), 141 (151, 164 f.). 18 Vgl. Young, BYIL 40 (1964), 141 (148 ff., 161). 16
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Landes verwiesen.19 Hieraus entwickelte sich die auch heute noch für das Diplomatenrecht grundlegende Regel, daß ein Diplomat als Reaktion auf Rechtsverstöße – selbst auf besonders schwere – zwar zur persona non grata erklärt und des Landes verwiesen, nicht aber bestraft werden darf.20 Die Staatenpraxis, nach der Diplomaten auch bei schweren Rechtsverstößen keiner strafrechtlichen Reaktion unterworfen wurden, führte dazu, daß Hugo Grotius in seinem Werk De Iure Belli ac Pacis (1625) feststellen konnte, daß die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit gegenüber Diplomaten ohne Ausnahme vom Völkerrecht verboten sei.21 Mit der Einrichtung ständiger diplomatischer Vertretungen im Empfangsstaat, das heißt mit der permanenten Nutzung bestimmter Räumlichkeiten als Diensträume der Missionen und als persönliche Residenz des Botschafters, wurde die Unverletzlichkeit der Diplomaten erweitert um die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten der Mission.22 Das völkerrechtliche Gebot der Unverletzlichkeit diplomatischer Räumlichkeiten, das sich im Lauf des 16. und 17. Jahrhunderts herausbildete, wurde rechtskonstruktiv ebenfalls mit der Fiktion einer Exterritorialität begründet. Die Gebäude und Grundstücke wurden also als nicht zum Staatsgebiet des Empfangsstaates zugehörig betrachtet.23 Diese Unverletzlichkeit nahm zum Teil groteske Ausmaße an. So wurde nicht nur die Unverletzlichkeit der Botschaftsgebäude angenommen, sondern in einigen Städten wurde das ganze sie umgebende Stadtviertel von der Hoheitsgewalt des Empfangsstaates ausgenommen (franchise du quartier). Nachdem sich aber die so sämtlicher staatlicher Kontrolle des Empfangsstaates entzogenen Stadtbezirke zu Kriminalitätshochburgen und Rückzugsräumen für Straftäter entwickelt hatten, wurde spätestens im Lauf des 18. Jahrhunderts die
___________ 19 Vgl. Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1040); dies., Diplomatic Law, S. 59 f., 211, 229 f.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 1; Frey/Frey, History of Diplomatic Immunity, S. 167 ff. (dort findet sich eine ausführliche Darstellung des „Mendoza Case“ und des „Lesley Case“); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 501 Fn. 7; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 124; Young, BYIL 40 (1964), 141 (148 ff.). 20 Zur historischen Entwicklung dieser Regel siehe Denza, Diplomatic Law, S. 59 ff. 21 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, II. Buch, Kap. 18 IV. 5 (vgl. Anm. 16). Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 230; Young, BYIL 40 (1964), 141 (152). Allerdings hatte schon Grotius ein Recht des Empfangsstaates anerkannt, zur Abwehr von Gefahren, etwa zur Beendigung von andauernden Rechtsverstößen, einzuschreiten; vgl. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, II. Buch, Kap. 18 IV. 6 und 7 und Young, BYIL 40 (1964), 141 (152). 22 Vgl. Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1040); dies., Diplomatic Law, S. 113; Nascimento E Silva, Diplomacy, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1024 (1029); Young, BYIL 40 (1964), 141 (155 f.). 23 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 113, 230; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 12.
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Unverletzlichkeit überall wieder auf die unmittelbaren Gebäude und Grundstücke der Missionen zurückgeführt.24 c) Die unangefochtene Geltung der diplomatischen Exemtionen seit dem 17. Jahrhundert Nachdem im 16. und 17. Jahrhundert die Regeln über die uneingeschränkte Unverletzlichkeit der Diplomaten und der Räumlichkeiten diplomatischer Missionen zu gesichertem Völkergewohnheitsrecht erstarkt waren und sich spätestens im 17. Jahrhundert zudem auch eine Freistellung der Diplomaten von strafrechtlicher Verantwortlichkeit außerhalb des Bereichs strafprozessualer Zwangsgewalt, dessen Ausübung durch die Unverletzlichkeit untersagt war, herausgebildet hatte, also auch eine absolute Immunität (Immunität ratione personae) der Diplomaten von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates anerkannt worden war, blieben diese Regeln bis zur Schaffung des WÜD 1961 praktisch unverändert und unangefochten bestehen.25 Das WÜD hat diese Regeln dann übernommen. Uneinheitlich war die Staatenpraxis bis zum Inkrafttreten des WÜD jedoch hinsichtlich der strafrechtlichen Exemtionen von Familienangehörigen der Diplomaten sowie nachgeordnetem Personal, etwa Schreibkräften und Hausbediensteten.26 Hier hat erst das WÜD zu einer klaren Festlegung des Umfangs der zu gewährenden Immunitäten geführt.27 Bis zum Inkrafttreten des WÜD im Jahr 1964 waren die diplomatischen Vorrechte und Befreiungen ganz überwiegend bloß völkergewohnheitsrechtlich geregelt. Zwar wurden im 19. Jahrhundert in zahlreichen bilateralen Verträgen den Gesandten auf der Basis der Gegenseitigkeit Vorrechte und Immunitäten zugesichert, doch wurde der Umfang der Immunitäten nicht spezifiziert, sondern lediglich die ___________ Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 287 f.; Denza, Diplomatic Law, S. 113; Frey/Frey, History of Diplomatic Immunity, S. 223 ff.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 494; Nascimento E Silva, Diplomacy, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1024 (1029); Young, BYIL 40 (1964), 141 (156 f.). 25 Vgl. Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1040). § 18 Abs. 1 Satz 1 GVG i.d.F. vom 27.1.1877 (RGBl. 1877, S. 41 [44]) lautete dementsprechend: „Die inländische Gerichtsbarkeit erstreckt sich nicht auf die Chefs und die Mitglieder der bei dem Deutschen Reiche beglaubigten Missionen.“ Siehe zur Entwicklung der Exemtionsregelungen des GVG auch oben § 3 I. 26 In Deutschland wurde vor Inkrafttreten des WÜD all diesen Personen gleich den Diplomaten umfassende Immunität ratione personae gewährt. § 19 GVG i.d.F. vom 27.1.1877 (RGBl. 1877, S. 41 [44]) lautete: „Auf die Familienmitglieder, das Geschäftspersonal der in § 18 erwähnten Personen und auf solche Bedienstete, welche nicht Deutsche sind, finden die vorstehenden Bestimmungen Anwendung.“ Zur „vorstehenden Bestimmung“ des § 18 GVG vgl. oben Anm. 25. 27 Vgl. Brownlie, International Law, S. 353 f.; Denza, Diplomatic Law, S. 4, 329 f. sowie den kommentierten Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (101) (UN-Dokument A/3859). 24
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Geltung der gewohnheitsrechtlichen Regeln bekräftigt.28 Eine vertragliche Regelung wurde – anders als hinsichtlich der konsularischen Immunitäten – aufgrund des gesicherten Stands des Gewohnheitsrechts für entbehrlich gehalten. Die Reziprozität der diplomatischen Beziehungen, also die Tatsache, daß der Entsendestaat immer zugleich auch Empfangsstaat für Diplomaten des Staates ist, in dem eigene Diplomaten stationiert sind, sicherte die Beachtung der Immunitätsregeln. Denn jeder Staat, der sich an diese Regeln nicht gehalten hätte, hätte damit rechnen müssen, daß die seinen eigenen Diplomaten zukommenden Immunitäten ebenfalls eingeschränkt worden wären. In der auf dem Wiener Kongreß 1815 verabschiedeten Wiener Schlußakte und im Aachener Protokoll von 1818 wurden zwar einige Bestimmungen des Diplomatenrechts multilateral vertraglich geregelt, doch ging es damals nicht um die unbestrittenen Vorrechte und Befreiungen. Vielmehr betrafen diese Verträge lediglich die im 19. Jahrhundert als besonders wichtig angesehenen Fragen des diplomatischen Protokolls und der Etikette sowie der Rangordnung der bei einem Staat akkreditierten Gesandten, also sorgfältig abgestufte Regeln der Ehr- und Würdebezeugungen.29 Auch die Kodifikationswelle in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ging am Recht der diplomatischen Exemtionen zunächst weitgehend vorüber. Während in Europa aufkommende systemideologische Gegensätze und schließlich die beiden Weltkriege eine multilaterale Diplomatenrechtskonvention verhinderten,30 wurde am 20. Februar 1928 in Havanna die auf die südamerikanische Region beschränkte Convention on Diplomatic Officers von 14 lateinamerikanischen Staaten unterzeichnet.31 Diese Konvention bildete zusammen mit Entwürfen verschiedener ___________ Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 2; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 14 f. 29 Vgl. Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 25 f.; Blum, Diplomatic Agents and Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1034 (1035); Dahm/ Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 264; Fischer/Köck, Völkerrecht, Rn. 725; Münch, Vienna Congress (1815), in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1286 (1288); Nascimento E Silva, Diplomacy, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1024 (1029 f.); Seidl-Hohenveldern/ Stein, Völkerrecht, Rn. 979; Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 (399). Die – im kommentierten Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (93 f.) (UN-Dokument A/3859), abgedruckten – Regeln wurden im wesentlichen als Art. 14-16 in das WÜD übernommen. 30 Vgl. Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 15. 31 LNTS 155, 259 = AJIL 22 (1928), Suppl., 142 ff. Hinsichtlich der in der Konvention festgelegten Exemtionen ist auf folgende Normen hinzuweisen: Präambel: “Acknowledging the fact that diplomatic officers represent their respective states and should not claim immunities which are not essential to the discharge of their official duties (…).” Art. 14: “Diplomatic officers shall be inviolate as to their persons, their residence, private or official, and their property. This inviolability covers: (a) All classes of diplomatic officers; (b) the entire official personnel of the diplomatic mission; (c) The members of the respective families living under the same roof; (d) The papers, archives and correspondence of the mission.” Art. 16: “No judicial or administrative functionary or official of the state to which the diplomatic officer is accredited may enter the domicile of the latter, or of the mission, without his consent.” Art. 19: “Diplomatic officers are exempt from all civil or 28
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Völkerrechtsinstitute – zu nennen ist hier vor allem der sorgfältig kommentierte Entwurf der Harvard Law School zu diplomatischen Vorrechten und Immunitäten aus dem Jahr 193232 – eine wesentliche Grundlage für die Ausarbeitung des WÜD.
II. Die Entwicklung der konsularischen Exemtionen vor dem Hintergrund der Entwicklung der konsularischen Beziehungen 1. Die Entwicklung der konsularischen Beziehungen a) Die Entstehung des Konsularwesens in den Ländern des Mittelmeerraums Die Entwicklung des ständigen Konsularwesens reicht historisch weiter zurück als die der ständigen diplomatischen Beziehungen. Im Mittelalter wurde es in den Handelsstädten des Mittelmeerraums, vor allem in Italien, Spanien und Frankreich, üblich, daß die dort ansässigen fremden Kaufleute einer Nation aus ihrer Mitte eine Person zum Konsul wählten, der vornehmlich die Aufgabe hatte, bei zwischen ihnen bestehenden Streitigkeiten zu vermitteln und zu richten. Da der Staat damals noch nicht als territorial bezogener Herrschaftsverband, sondern als Personenverband begriffen wurde, unterstanden die fremden Kaufleute in der Regel nicht der örtlichen Gerichtsbarkeit. Es war deshalb geboten, durch die Wahl einer Vertrauensperson selbst für die Streitschlichtung vorzusorgen.33 Da die „Wahlkonsuln“ ein hohes Ansehen genossen, wurden sie häufig auch damit betraut, die Interessen der Kaufmannschaft gegenüber der örtlichen Hoheitsgewalt zu vertreten. Trotz der tiefgreifenden Wandlungen, die das Konsulatswesen seither durchlaufen hat, wurde damit der Grundstein für die auch heute noch wesentlichen Aufgaben der Konsuln gelegt: Aufgabe eines Konsuls ist es einerseits, die Bürger des Staates, für den er tätig ist, in seinem Konsularbezirk zu unterstüt___________ criminal jurisdiction of the state to which they are accredited; they may not, except in the case when duly authorized by their government they waive immunity, be prosecuted or tried unless it be by the courts of their own country.” Art. 20: “The immunity from jurisdiction survives the tenure of office of diplomatic officers in so far as regards actions pertaining thereto; it may not, however, be invoked in respect to other actions except while discharging their diplomatic functions.” 32 Draft Convention on Diplomatic Privileges and Immunities, abgedr. in AJIL 26 (1932), Suppl., S. 15 ff. Vgl. zu diesem Entwurf Young, BYIL 40 (1964), 141 (176 f.). Weitere (gegenüber der Harvard Draft Convention ältere) private Entwürfe einer Konvention über diplomatische Beziehungen sind abgedr. in AJIL 26 (1932), Suppl., S. 144 ff. 33 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 303; Doehring, Völkerrecht, Rn. 501; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 1; Herndl, AVR 11 (1963/64), 417 (418); Raftopoulo, Stellung der Konsuln, S. 3 f. Zu „Vorläufern“ der Konsuln des Mittelalters im Altertum vgl. Berber, Völkerrecht, Bd. I, S. 298; Fischer/Köck, Völkerrecht, Rn. 812 f.; Lee, Consular Law and Practice, S. 4 f.; Raftopoulo, a.a.O., S. 1 ff.; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 243 f.
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zen, andererseits die wirtschaftlichen und kommerziellen Interessen „seines“ Staates und von dessen Bürgern gegenüber den örtlichen Behörden zu vertreten. Die Regel, daß zum Konsul eine Person aus dem Kreis der ausländischen Bürger einer Nation gewählt wurde, war allerdings nicht zwingend. Teilweise wurden zu Wahlkonsuln auch besonders vertrauenswürdige Angehörige des Aufenthaltsstaates gewählt, vor allem, wenn von einem Konsul in erster Linie die Interessenvertretung gegenüber der örtlichen Hoheitsgewalt erwartet wurde.34 b) Die Entwicklung des Konsularwesens in den islamischen Ländern Als sich die europäischen Kaufleute im Gefolge der Kreuzzüge ab dem 12. Jahrhundert im Gebiet des späteren osmanischen Reiches niederließen, nahmen sie die Institution des Konsularwesens mit. Während die „Konsulargerichtsbarkeit“ in Europa mit der Ausbildung des modernen Territorialstaates und der Unterworfenheit sämtlicher Personen unter die Hoheitsgewalt des Territorialstaates verschwand, da sie mit der Idee des Territorialstaates unvereinbar war,35 erlebte sie im islamischen Bereich, vor allem im osmanischen Reich, eine Blüte. Denn die islamischen Herrscher hielten sich ihrem religiösen Selbstverständnis entsprechend nicht für berufen, über Streitigkeiten innerhalb der christlichen Kaufmannschaft zu judizieren.36 Die Konsulargerichtsbarkeit wurde im Rahmen sogenannter Kapitulationen zwischen dem Heimatstaat der Kaufleute und den islamischen Herrschern vertraglich verankert.37 Der Ausdruck der „Kapitulationen“ darf aber nicht als Zeichen der Schwäche mißgedeutet werden, da sich das osmanische Reich damals auf dem Hö___________ 34 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 303; Doehring, Völkerrecht, Rn. 501; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 1; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 534; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1069. 35 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 303; Economedès, Consuls, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 770 (771 f.); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 1. 36 Vgl. Fischer/Köck, Völkerrecht, Rn. 813 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1070. 37 Vgl. Economedès, Consuls, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 770 (770 f.); Fischer/Köck, Völkerrecht, Rn. 816; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 534; Lee, Consular Law and Practice, S. 5; Münch, Consular Jurisdiction, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 763 (764 f.); Raftopoulo, Stellung der Konsuln, S. 5 ff., 11 ff.; Sasse, Konsulargerichtsbarkeit, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR, Bd. 2, 278 (279 ff.); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 19 f. Die Einrichtung der Konsulargerichtsbarkeit und deren vertragliche Absicherung in „Kapitulationen“ war allerdings nicht auf islamische Länder beschränkt. Vielmehr konnten die europäischen Großmächte diese Einrichtung auch zeitweilig im Fernen Osten, etwa in Japan und China, zum Schutz ihrer Bürger durchsetzen; vgl. Fischer/Köck, a.a.O., Rn. 816; Lee, a.a.O., S. 8 ff. Zudem gab es solche vertraglich vereinbarte Konsulargerichtsbarkeit für fremde Kaufleute, die mit einer Freistellung von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates korrespondierte, zeitweilig im Zusammenhang mit den Handelsniederlassungen der Hanse im Nord- und Ostseeraum; vgl. Fischer/Köck, a.a.O., Rn. 813 mit Fn. 192.
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hepunkt seiner Machtentfaltung befand. Er rührt vielmehr daher, daß die Verträge in als „capitula“ bezeichnete Abschnitte untergliedert waren.38 Die Konsulargerichtsbarkeit in den islamischen Ländern umfaßte nicht nur zivilrechtliche Streitigkeiten innerhalb der Kaufmannschaft einer Nation, sondern auch die Strafgerichtsbarkeit über sämtliche Angehörige des jeweiligen Staates.39 Die Angehörigen des Staates, dem in einer Kapitulation Konsulargerichtsbarkeit über seine Bürger zugebilligt worden war, waren der örtlichen Gerichtsbarkeit praktisch vollständig entzogen.40 Erst in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, vor allem nach dem Untergang des Osmanischen Reiches, verlor die Konsulargerichtsbarkeit auch im islamischen Raum an Bedeutung und verschwand schließlich ganz, da sie nunmehr als unberechtigte Bevorzugung von Staatsangehörigen der europäischen Mächte empfunden wurde.41 c) Die Entwicklung des Konsularwesens in Westeuropa Zwar verbreitete sich das Konsularwesen im 15. Jahrhundert auch in Westeuropa, doch gelangte es hier nur zu eingeschränkter Bedeutung bzw. war der primäre Aufgabenbereich der Konsuln ein anderer. Zum einen hatte hier die Institution der Konsulargerichtsbarkeit aufgrund der Entwicklung des modernen Territorialstaates – wie gesagt – nur kurze Zeit Bedeutung. Zum anderen geriet das Konsularwesen in gewisse „Konkurrenz“ zu der ab dem 17. Jahrhundert verbreiteten Institution der ständigen diplomatischen Missionen, so daß sogar von einem zeitweiligen Niedergang der Institution des Konsularwesens gesprochen wird.42 Die Aufgabe der Konsuln beschränkte sich in Europa zunächst auf den Schutz und die Förderung der Wirtschaftsinteressen der von ihnen vertretenen Staaten und seiner Staatsangehörigen. Erst im Lauf des 19. Jahrhunderts und im Zuge der Intensivierung der zwischenstaatlichen Wirtschaftsbeziehungen, bedingt durch die beginnende Industrialisierung und die Innovationen im Transportsektor, gewannen die konsularischen Beziehungen in Europa (wieder) an Bedeutung, wenn auch nach wie vor die Aufgabe eines Konsuls vornehmlich die der Förderung der Handels- und Wirtschaftsinteressen „seines“ Staates war.43 ___________ Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1071. Gleiches gilt für die Konsulargerichtsbarkeit im Fernen Orient und im Hanse-Raum; vgl. hierzu oben Anm. 37. 40 Vgl. Lee, Consular Law and Practice, S. 7 ff. 41 Vgl. Berber, Völkerrecht, Bd. I, S. 298; Doehring, Völkerrecht, Rn. 502; Fischer/ Köck, Völkerrecht, Rn. 817; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 20; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1070 f. 42 Vgl. Herndl, AVR 11 (1963/64), 417 (418); Lee, Consular Law and Practice, S. 6; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 244 f. 43 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 303; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 1; Freudenberg, Konsularrecht, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR 38 39
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Die jüngere Entwicklung ist jedoch von einer steten Verbreiterung des Aufgabenspektrums der Konsulate und Konsularbeamten gekennzeichnet, vor allem im Bereich der Betreuung von Staatsangehörigen des Entsendestaates im Empfangsstaat. Damit wird eine klare Grenzziehung zwischen konsularischen und diplomatischen Aufgaben immer schwieriger. In der Praxis hat ferner vielfach eine organisatorische Verbindung stattgefunden, indem den diplomatischen Missionen sogenannte Konsularabteilungen angegliedert werden, in denen Personen mit diplomatischem Status tätig sind.44 d) Der Wandel von gewählten zu staatlich ernannten Konsuln Die Verbreitung des Konsularwesens in Europa war zudem gekennzeichnet von einem Wandel in der Bestimmung der mit den konsularischen Aufgaben betrauten Personen. Während diese ursprünglich von den im jeweiligen Staat ansässigen Staatsangehörigen eines anderen Staates gewählt wurden und hieraus auch die noch heute im WÜK verwendete Bezeichnung „Wahlkonsul“ herrührt, setzte sich nunmehr, da die Konsuln jetzt vornehmlich staatliche Interessen zu vertreten hatten, die Ernennung der Konsularbeamten durch den Staat, für den sie tätig werden sollten, durch.45 Dabei bildeten sich die zwei auch heute noch bekannten und im WÜK anerkannten Arten von Konsularbeamten heraus. Zum einen gibt es Berufskonsularbeamte, die von dem Staat, für den sie tätig werden sollen, nicht nur ernannt werden, sondern im Rahmen eines Dienstverhältnisses und verbunden mit einer Entlohnung für gewisse Zeit in das Land geschickt werden, in dem sie tätig werden sollen. Zum anderen gibt es Honorarkonsularbeamte, die zwar ihrer Tätigkeit ehrenhalber nachkommen, aber gleichfalls vom „Entsendestaat“ ausgewählt und ernannt werden.46 Regelmäßig werden diese Konsularbeamten aus dem Kreis der im „Empfangsstaat“ ansässigen Staatsbürger des zu vertretenden Staates rekrutiert. Es wurde aber auch üblich, für kleinere oder weniger wichtige Konsularbezirke Staatsangehörige des Empfangsstaates zu Honorarkonsuln zu ernennen. Die vom WÜK für diejenigen Konsularbeamten, die nicht vom Staat entsandte Berufskonsuln, sondern im Empfangsstaat ständig ansässige Staatsangehörige des Entsendestaates bzw. sogar Staatsangehörige des Empfangsstaates sind, verwendete Bezeichnung
___________ Bd. 2, 281 (282); Herndl, AVR 11 (1963/64), 417 (419); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 534; Raftopoulo, Stellung der Konsuln, S. 8 ff. 44 Siehe hierzu auch unten § 12 III. 1 und § 13 I. 4. 45 Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 1; Fischer/Köck, Völkerrecht, Rn. 814; Herndl, AVR 11 (1963/64), 417 (418 f.); Lee, Consular Law and Practice, S. 6; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 19. 46 Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 7; Schladebach, VR 2002, 298 (300).
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„Wahlkonsularbeamte“ ist damit nicht korrekt. Präziser ist die synonym verwendete Bezeichnung „Honorarkonsularbeamte“.47 2. Die Entwicklung der konsularischen Exemtionen a) Das Ausbleiben der Entstehung völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionen Da die Konsuln ursprünglich keine von einem anderen Staat entsandten Personen waren, sondern aus dem Kreis der ortsansässigen Kaufleute gewählt wurden, bestand zunächst kein Anlaß, ihnen durch Zuerkennung von Immunität oder Unverletzlichkeit eine Sonderstellung einzuräumen. Völkergewohnheitsrechtliche Exemtionen für Konsuln entwickelten sich daher zunächst nicht. In den Staaten, in denen den Konsuln durch „Kapitulationen“ die alleinige Strafgerichtsbarkeit über die Ausländer einer Nationalität zugesprochen wurde, sich die örtlichen Herrscher also überhaupt nicht berufen fühlten, über fremde Personen Strafgerichtsbarkeit auszuüben, waren ohnehin auch die Konsuln als Angehörige eines fremden Staates von der örtlichen Strafgerichtsbarkeit ausgenommen; allerdings nicht wegen einer ihnen aufgrund ihrer Funktion zukommenden Immunität, sondern allein aufgrund ihrer Ausländereigenschaft. In Westeuropa dagegen spielte – wie erwähnt – die Freistellung von der Strafgewalt des Empfangsstaates aufgrund des Systems der Konsulargerichtsbarkeit keine Rolle bzw. wurde rasch zurückgedrängt. Als sich hier zudem der Wandel von gewählten zu vom Entsendestaat ernannten Konsuln (entsandte Berufskonsularbeamte oder ortsansässige Honorarkonsuln) vollzog, war es naheliegend, diesen ähnlich wie den Diplomaten Immunitäten einzuräumen. Doch waren die Empfangsstaaten nicht gewillt, den Konsuln wie den Diplomaten umfassende Immunität ratione personae zu gewähren. Dies lag vor allem an dem begrenzten und als nicht „hochpolitisch“ eingestuftem Aufgabenfeld der Konsuln. Diese wurden nicht wie die Diplomaten als unmittelbare Vertreter ihres Monarchen bzw. Staates im Empfangsstaat angesehen. Sie hatten keine bedeutsamen außenpolitischen Verhandlungen zu führen und verkehrten nicht mit dem Staatsoberhaupt und den regierenden Personen des Empfangsstaates. Eine umfassende Immunität erschien deshalb weder aufgrund ihrer Stellung noch ihrer Funktionen legitimierbar. Andererseits aber wurde durchaus die Notwendigkeit der Gewährung gewisser Exemtionen gesehen, um den Konsuln eine Ausübung ihrer Arbeit ohne inakzeptable Behinderung und Beeinflussung durch den Empfangsstaat zu ermöglichen.
___________ 47 Vgl. Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 250 f.
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
b) Die völkervertragliche Normierung von Exemtionen in Konsularverträgen Angesichts dieser Ausgangslage verwundert es nicht, daß einige eng begrenzte Vorrechte und Immunitäten für Konsuln bis zur Schaffung des WÜK in den bilateralen „Konsularverträgen“ festgelegt wurden, mit denen die Vertragsstaaten ihre konsularischen Beziehungen regelten. Anders als die diplomatischen Exemtionen, die bis zum Inkrafttreten des WÜD fast ausschließlich in gefestigtem Völkergewohnheitsrecht verankert waren, beruhten die konsularischen Exemtionen mithin bis zum Inkrafttreten des WÜK primär auf bilateralen Konsularverträgen.48 Bereits im 17. Jahrhundert wurden erste Konsularverträge abgeschlossen. Im 19. Jahrhundert schließlich waren Konsularverträge weitverbreitet und wurden praktisch alle konsularischen Beziehungen durch bilaterale Abkommen geregelt.49 In der ersten Fassung der einschlägigen Norm des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes (§ 21 GVG i.d.F. von 1877)50 hieß es dementsprechend auch: „Die im Deutschen Reiche angestellten Konsuln sind der inländischen Gerichtsbarkeit unterworfen, sofern nicht in Verträgen des Deutschen Reichs mit anderen Mächten Vereinbarungen über die Befreiung der Konsuln von der inländischen Gerichtsbarkeit getroffen sind.“
Das Deutsche Reich hatte eine Vielzahl von Konsularverträgen abgeschlossen, die unter anderem den Konsuln gewisse Vorrechte und Befreiungen gewährten.51 Häufig wurde allerdings nur eine persönliche „Immunität von Verhaftung und Gefangennahme“ vereinbart.52 Diese Klausel bedeutete keinen generellen Ausschluß von der Strafgerichtsbarkeit, sondern schloß nur Freiheitsentziehungen während der Amtszeit aus.53 Zudem war das Verbot von Verhaftung und Gefangennahme in vielen Konsularverträgen mit einer Ausnahmeklausel versehen; es galt nicht bei – je nach Konsularvertrag unterschiedlich definierten – schweren Straftaten.54 Es ___________ Vgl. die Ausführungen bei RGSt 17, 51 (52 ff.) sowie Herndl, AVR 11 (1963/64), 417 (420); Lee, Consular Law and Practice, S. 18, 20 ff. 49 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 261, 304; Economedès, Consular Treaties, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 768 (768); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 20. 50 § 21 GVG i.d.F. des GVG vom 27.1.1877, RGBl. 1877, S. 41 (45). 51 Siehe die Aufstellung bei RGSt 17, 51 (53). 52 Vgl. RGSt 17, 51 (53 ff.). 53 RGSt 17, 51 (53 ff.); LR-StPO-Schäfer (20. Aufl. 1956), § 21 GVG Anm. 2; LRStPO-Schäfer (24. Aufl. 1996), Bd. 6/1, § 19 GVG Rn. 3. Diese Interpretation vertrat auch der ILC-Sonderberichterstatter Žourek in seinem im Rahmen der Ausarbeitung eines Entwurfs einer Konsularrechtskonvention durch die ILC erstellten Bericht zu konsularischen Exemtionen aus dem Jahr 1960, YBILC 1960 II, 2 (8 f.) (UN-Dokument A/CN.4/131). Seiner Auffassung folgte die ILC in ihrem Entwurf für eine Konsularrechtskonvention von 1961, YBILC 1961 II, 89 (115) (UN-Dokument A/4843). 54 Eine solcherart begrenzte Unverletzlichkeit war generell in den Konsularverträgen zwischen Staaten üblich geworden; vgl. die Kommentierung des Entwurfs einer Konsularrechtskonvention der ILC von 1961, YBILC 1961 II, 89 (115 f.). 48
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wurde also lediglich eine beschränkte persönliche Unverletzlichkeit gewährt. Damit durften Strafverfahren gegen Konsularbeamte durchgeführt und Verurteilungen ausgesprochen werden, lediglich eine Verhängung von Untersuchungshaft oder Vollstreckung einer Freiheitsstrafe war untersagt. Bei „schweren Straftaten“ war dagegen auch eine Inhaftierung einschließlich einer Strafvollstreckung erlaubt. Nach Inkrafttreten des WÜK für die Bundesrepublik im Jahr 1971 wurden die meisten für die Bundesrepublik verbindlichen Konsularverträge aufgehoben.55 c) Die Anerkennung völkergewohnheitsrechtlicher Immunität ratione materiae Bereits vor Inkrafttreten des WÜK im Jahr 1967, allerdings erst im Lauf des 20. Jahrhunderts, wurde jedoch allgemein anerkannt, daß Konsularbeamte nach Völkergewohnheitsrecht – gegebenenfalls über die Immunitätsklauseln in Konsularverträgen hinausgehend – Amtsimmunität genießen, also eine Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit für solche Handlungen, die sie in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit als Konsularbeamter vorgenommen haben.56 Die im 20. Jahrhundert abgeschlossenen Konsularverträge legten bzw. legen eine solche Immunität ratione materiae denn auch regelmäßig zusätzlich zu einer beschränkten persönlichen Unverletzlichkeit explizit fest.57 Diese Rechtsentwicklung verwundert nicht, denn die Amtsimmunität der Konsuln ist eng verwandt mit der Staatenimmunität. Die zum universellen Völkergewohnheitsrecht zählende Staatenimmunität bewirkt – wie in Teil 2 dieser Untersuchung eingehend dargelegt – eine Freistellung aller für einen Staat tätigen Personen von der Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten hinsichtlich der für „ihren“ Staat vorgenommenen hoheitlich-dienstlichen Handlungen. Denn bei einer Strafverfolgung ___________ 55
II.3.
Zu den noch geltenden Konsularverträgen und ihrem Verhältnis zum WÜK vgl. § 12
56 Vgl. Dinstein, Consular Immunity, S. 2 f., 10 ff.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 11; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 550 Fn. 11; von Liszt/ Fleischmann, Völkerrecht, S. 207; LR-StPO-Schäfer (21. Aufl. 1965), § 21 GVG Anm. 1 (in der Vorauflage von 1956 dagegen war eine völkergewohnheitsrechtliche Amtsimmunität noch nicht erwähnt worden); Verdross, Völkerrecht, S. 344 sowie die Ausführungen von ILC-Sonderberichterstatter Žourek in seinem Bericht von 1960 (vgl. oben Anm. 53), YBILC 1960 II, 2 (10 f.). In einer im Jahr 1853 erschienenen Schrift hatte Berner dagegen die Existenz einer gewohnheitsrechtlichen Exemtion für Konsularbeamte noch ausdrücklich verneint; vgl. Berner, Wirkungskreis der Strafgesetze, S. 214 f. Gegen eine völkergewohnheitsrechtliche Exemtion auch noch Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 155; Binding, Privilegien der Straflosigkeit, S. 28; Bluntschli, Das moderne Völkerrecht, § 267 und Meili, Lehrbuch des Internationalen Strafrechts, S. 450. 57 Vgl. beispielsweise Art. 10 Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reiche und der Türkischen Republik vom 28.5.1929; RGBl. 1930 II, S. 748 (751), Art. 11 Abs. 1 Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland vom 30.7.1956; BGBl. 1957 II, S. 285 (291) sowie Art. 8 Abs. 1 Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 25.4.1958; BGBl. 1959 II, S. 233 (235).
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
wegen hoheitlich-dienstlicher Handlungen für einen anderen Staat würde ein Staat indirekt den anderen Staat, für den agiert wurde, dem das Handeln also völkerrechtlich zuzurechnen ist, seiner Gerichtsbarkeit unterwerfen, was aber für unvereinbar gehalten wird mit dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten. Auch bei einer Strafverfolgung eines Konsularbeamten wegen dessen dienstlicher, also dem Entsendestaat zurechenbarer Handlungen würde der strafverfolgende Staat indirekt den Entsendestaat seiner Gerichtsbarkeit unterstellen. Die Immunität ratione materiae der Konsuln wird daher zum Teil als Unterfall oder Spezialfall der allgemeinen Staatenimmunität angesehen bzw. auf denselben Rechtsgrund zurückgeführt, auf dem auch die Staatenimmunität beruht. Dies braucht an dieser Stelle nicht weiter vertieft zu werden,58 vielmehr genügt hier die Feststellung, daß bei einer Strafverfolgung eines Konsuls wegen einer konsularischen Amtshandlung indirekt über fremde Staatstätigkeit geurteilt würde, was aber jedenfalls insoweit, als es um hoheitlich-dienstliche Handlungen geht, grundsätzlich als Verstoß gegen das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten bewertet wird. Insofern liegt eine Konsuln zuerkannte Immunität ratione materiae in gewisser Weise „in der Natur der Sache“.
___________ 58 Das Verhältnis der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts zur Staatenimmunität wird unten in § 13 V.2. ausführlich erörtert.
§ 12 Das WÜD von 1961 und das WÜK von 1963
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§ 12 Die Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen von 1961 und 1963 I. Die Entstehungsgeschichte der Übereinkommen 1. Die Ausarbeitung des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen Bereits auf ihrer ersten Sitzung im Jahr 1949 stellte die International Law Commission (ILC) fest, daß auf der Basis des Diplomatenrechtsentwurfs der Harvard Law School und der in Havanna unterzeichneten Convention Regarding Diplomatic Officers1 eine Kodifikation des Diplomatenrechts im Rahmen eines multilateralen Vertrags möglich sei. In der Zeit von 1954 bis 1958 arbeitete die ILC unter der Führung des schwedischen Sonderberichterstatters A.E.F. Sandström2 daraufhin einen Konventionsentwurf für das Recht der ständigen diplomatischen Gesandtschaften aus.3 Der endgültige Text des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen (WÜD) wurde schließlich auf einer Staatenkonferenz festgelegt, die vom 2. März bis 14. April 1961 unter dem Vorsitz des österreichischen Völkerrechtlers Alfred Verdross in Wien stattfand.4 Am 18. April 1961 wurde das WÜD in Wien unterzeichnet. Es trat am 24. April 1964 in Kraft. Die Bundesrepublik Deutschland ratifizierte das WÜD umgehend;5 für die BRD trat es am 11. Dezember 1964 in Kraft.6 ___________ Vgl. hierzu oben § 11 I.2.c). Dieser und die ILC legten mehrere Berichte und Vorentwürfe vor: YBILC 1955 II, 9–17 (UN-Dokument A/CN.4/91); YBILC 1957 II, 132–143 (UN-Dokument A/3623); YBILC 1958 II, 16–19 (UN-Dokument A/CN.4/116/ADD.1 AND 2). Das Sekretariat der ILC legte ferner ein Memorandum vor: YBILC 1956 II, 129–172 (UN-Dokument A/CN.4/98). 3 Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 3; Young, BYIL 40 (1964), 141 (177 ff.); Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 (400 ff.). Der von der ILC verabschiedete und sorgfältig kommentierte Entwurf ist als Teil des Berichts der ILC an die UN-Generalversammlung von 1958 abgedr. in YBILC 1958 II, 89–105 (UN-Dokument A/3859). Dieser gibt, anders als die Materialien der Wiener Konferenz, wertvolle Hinweise zur Intention einzelner Regeln. Gleiches gilt für den ersten kommentierten Entwurf von 1957; YBILC 1957 II, 132–143 (UN-Dokument A/3623). 4 Vgl. zu den Verhandlungen Bindschedler, SchwJIR 18 (1961), 29 (31 ff.); Kerley, AJIL 56 (1962), 88 (89 ff.); Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 (403 ff.); ders., Wiener Diplomatische Konferenz von 1961, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 844 (845 f.). Wichtige Urkunden zur Konferenz abgedr. in AVR 9 (1961/62), 464 ff. Dort findet sich auch eine Auflistung der an der Konferenz beteiligten Staaten. Daneben ist auf die von der UN herausgegebenen “Official Records” hinzuweisen: United Nations Conference on Diplomatic Intercourse and Immunities, Official Records, vol. I, Geneva 1962, vol. II, New York 1962 (UN-Dokumente A.CONF.20/14 und A.CONF.20/14/Add.1). 5 Gesetz vom 6.8.1964; BGBl. 1964 II, S. 957. Internationale Quelle des WÜD: UNTS 500, 95. Der Text des WÜD ist im Internet abrufbar unter:
(31.3.2006). Verbindlich sind gemäß Art. 53 WÜD ausschließlich die chinesische, engli1 2
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
2. Die Ausarbeitung des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen Auch die Bemühungen um eine Kodifikation des Rechts der konsularischen Beziehungen reichen weit zurück. Ähnlich wie im Diplomatenrecht stehen auch hier am Anfang der Bemühungen zum einen eine multilaterale Konvention amerikanischer Staaten, die Havana Convention on Consular Agents vom 20. Februar 1928,7 zum anderen Entwürfe einzelner Völkerrechtswissenschaftler und Völkerrechtsinstitute.8 So hatte beispielsweise die Harvard Law School 1932 auch einen vielbeachteten und detailliert kommentierten Konventionsentwurf zum Konsularrecht vorgelegt.9 Auf der Grundlage dieser Arbeiten begann die ILC 1955 mit der Ausarbeitung einer universalen Konsularrechtskonvention. Der tschechoslowakische Völkerrechtlicher Jaroslaw Žourek wurde mit der Durchführung der Vorarbeiten beauftragt. Er legte 1957 einen ersten und 1960 einen zweiten Bericht vor, die bereits Vertragsentwürfe enthielten.10 1961 verabschiedete die ILC dann einen Vertragsentwurf, der durch eine ausführliche Kommentierung ergänzt wurde.11 Daraufhin ___________ sche, französische, russische und spanische Fassung. Vgl. auch BT-Drucks. 4/1586 (Entwurf der Bundesregierung für das Ratifikationsgesetz vom 29.10.1963 mit Denkschrift der Bundesregierung zum WÜD); BT-Drucks. 4/2285. 6 Bekanntmachung der Bundesregierung vom 13.2.1965, BGBl. 1965 II, S. 147. 7 LNTS 155, 289 = AJIL 22 (1928), Suppl., 147. Bezüglich der Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit ist auf folgende Normen hinzuweisen: Art. 14: “In the absence of a special agreement between two nations, the consular agents who are nationals of the state appointing them, shall neither be arrested nor prosecuted except in the cases when they are accused of committing an act classed as a crime by local legislation.” Art. 16: “Consuls are not subject to local jurisdiction for acts done in their official character and within the scope of their authority.” Art. 17: “In respect of unofficial acts, consuls are subject, in civil as well as in criminal matters, to the jurisdiction of the state where they exercise their functions.” 8 Vgl. Economedès, Consular Treaties, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 768 (768 f.). 9 Harvard Draft Convention on the Legal Position and Functions of Consuls. Abgedr. in AJIL 26 (1932), Suppl., 189 ff. Weitere „private“ Entwürfe einer Konsularrechtskonvention sind abgedr. in AJIL 26 (1932), Suppl., 389 ff. 10 Die Berichte des ILC-Sonderberichterstatters Žourek sind abgedr. in YBILC 1957 II, 71–103 (UN-Dokument A/CN4./108); YBILC 1960 II, 2–32 (UN-Dokument A/CN.4/131); YBILC 1960 II, 32–40 (UN-Dokument A/CN.4/L.86); YBILC 1961 II, 55–75 (UNDokument A/CN.4/137). Die ILC legte als Teil des Berichts an die UN-Generalversammlung 1959 einen ersten kommentierten Teilentwurf einer Konsularrechtskonvention vor; YBILC 1959 II, 109–122 (UN-Dokument A/4169). Als Teil des Berichts an die UNGeneralversammlung 1960 präsentierte die ILC dann einen ersten vollständigen kommentierten Entwurf; YBILC 1960 II, 144–179 (UN-Dokument A/4425). Weitere Dokumente zur Arbeit der ILC finden sich in YBILC 1959 II, 84–85 (UN-Dokument A/CN.4/L.79); YBILC 1959 II, 86 (UN-Dokument A/CN.4/L.82). 11 Abgedr. als Teil des Berichts der ILC an die UN-Generalversammlung 1961 in YBILC 1961 II, 89–128 (UN-Dokument A/4843). Diese Kommentierung ist auch heute noch von großem Wert für das Verständnis einzelner Normen des WÜK. Vgl. zur „Vorge-
§ 12 Das WÜD von 1961 und das WÜK von 1963
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beschloß die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 18. Dezember 1961, eine internationale Staatenkonferenz einzuberufen, auf der in gleicher Weise wie bei der Schaffung des WÜD die endgültige Fassung des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen (WÜK) ausgearbeitet wurde. Diese Staatenkonferenz, die unter dem Vorsitz des österreichischen Völkerrechtlers Stephan Verosta stand, wurde in der Zeit vom 4. März 1963 bis 22. April 1963 ebenfalls in Wien abgehalten.12 Die Unterzeichnung des WÜK fand am 24. April 1963 in Wien statt. Das WÜK trat am 19. März 1967 in Kraft. Nachdem die BRD das WÜK ratifiziert hatte,13 wurde das Übereinkommen schließlich am 7. Oktober 1971 auch für die Bundesrepublik verbindlich.14
II. Die Reichweite der Übereinkommen 1. Die völkerrechtliche Bindungswirkung des WÜD und des WÜK Ihre vertragliche Bindungswirkung können das WÜD und das WÜK – wie jeder völkerrechtliche Vertrag – nur zwischen den Signatarstaaten entfalten, also den Staaten, die die Abkommen ratifiziert haben.15 Doch sind mittlerweile die allermeisten der insgesamt 193 Staaten der Welt Vertragsstaaten der beiden Konventionen. Das WÜD hat zur Zeit 184, das WÜK 169 Vertragsparteien.16 Aufgrund der hohen Zahl von Ratifikationen, aber auch aufgrund der überwältigenden Akzeptanz, die die Regelungen des WÜD und WÜK in den über 30 Jahren seit ihrem Inkrafttreten erfahren haben, wird zudem nahezu einhellig die Auffas___________ schichte“ der Wiener konsularischen Konferenz auch Herndl, AVR 11 (1963/64), 417 (422 ff.). 12 Vgl. zur Entstehungsgeschichte des WÜK Economedès, Consular Treaties, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 768 (769); Kussbach, Vienna Convention on Consular Relations (1963), in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1289 (1289); Nascimento E Silva, ICLQ 13 (1964), 1215 (1215 ff.). Daneben ist auf die von der UN herausgegebenen “Official Records” hinzuweisen: United Nations Conference on Consular Relations, Official Records, vol. I und II, New York 1963 (UN-Dokumente A.CONF.25/16 und A.CONF.25/16/Add.1). 13 Gesetz vom 26.8.1969; BGBl. 1969 II, S. 1585. Internationale Quelle des WÜK: UNTS 596, 261. Der Text des WÜK ist im Internet abrufbar unter:
(31.3.2006). Verbindlich sind gemäß Art. 79 WÜK ausschließlich die chinesische, englische, französische, russische und spanische Fassung. Vgl. auch BT-Drucks. 5/3449 (Entwurf der Bundesregierung für das Ratifikationsgesetz vom 31.10.1968 mit Denkschrift der Bundesregierung zum WÜK); BT-Drucks. 5/4512. 14 Bekanntmachung der Bundesregierung vom 30.11.1971, BGBl. 1971 II, S. 1285. 15 Art. 34 WVRK stellt das völkergewohnheitsrechtlich und als allgemeiner Rechtsgrundsatz i.S.d. Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut geltende Verbot von Verträgen zu Lasten Dritter noch einmal ausdrücklich fest. Vgl. auch Fliedner, ZRP 1973, 263 (265); Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rn. 23, 26 ff. 16 Zum Ratifikationsstand vgl. im Internet (31.3.2006).
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sung vertreten, daß die Bestimmungen der Übereinkommen heute auch universell geltendes Völkergewohnheitsrecht sind. Dies gilt insbesondere für die hier interessierenden Regeln der strafrechtlichen Unverletzlichkeit und Immunität.17 Das WÜD hat diesbezüglich ohnehin ganz überwiegend lediglich schon früher bestehendes Völkergewohnheitsrecht kodifiziert. Doch auch soweit es eine Vereinheitlichung früheren partikulären Völkergewohnheitsrechts bzw. früherer Staatenpraxis bewirkt hat, etwa hinsichtlich des Umfangs der strafrechtlichen Immunitäten von Familienmitgliedern von Diplomaten und des Verwaltungspersonals diplomatischer Vertretungen,18 sind diese für einige Staaten bei Schaffung des WÜD „neuen“ Regelungen mittlerweile Bestandteil des universellen Völkergewohnheitsrechts geworden. Das gleiche gilt für die Exemtionsbestimmungen des WÜK. Zwar kann diesbezüglich nur sehr eingeschränkt davon gesprochen werden, das WÜK habe bestehendes Völkergewohnheitsrecht kodifiziert, wenn auch – wie in § 11 II.2.c) gezeigt wurde – schon vor Schaffung des WÜK die Immunität ratione materiae der Konsularbeamten als Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts anerkannt worden war. Doch läßt die über 30jährige Staatenpraxis, die sich an die Regelungen des WÜK hält, den Schluß zu, daß die Exemtionsregelungen des WÜK heute gleichfalls Bestandteil des universellen Völkergewohnheitsrechts sind. Die Exemtionsregelungen von WÜD und WÜK sind daher heute – sofern keine anderweitigen abweichenden und vorrangigen völkerrechtlichen Vereinbarungen ___________ 17 So auch die internationale und die deutsche Rechtsprechung. Vgl. etwa die Entscheidungen des IGH zum „Teheraner Geiselfall“ (siehe hierzu unten § 12 II.5.), ICJ-Reports 1979, 7 (19 f.) und ICJ-Reports 1980, 3 (24, 31), sowie die Sondervoten zur letztgenannten Entscheidung von Richter Lachs, ICJ-Reports 1980, 47 (48) und Richter Morozov, ICJReports 1980, 51 (51). Siehe bzgl. der deutschen Rechtsprechung BayObLGSt 1991, 125 (126) = NJW 1992, 641 (641); OLG Hamburg, NJW 1988, 2191 (2191); OLG Hamm, GA 1967, 286 (286 f.); AG Hannover, NdsRpfl. 1975, 127 (127). Für eine gewohnheitsrechtliche Geltung in der Literatur etwa Brownlie, International Law, S. 341 (aber nur für das WÜD, hinsichtlich des WÜK vgl. S. 356 f.); Cassese, International Law, S. 114; Denza, Diplomatic Law, S. 1; Doehring, Völkerrecht, Rn. 490, 674; Economidès, Consuls, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 770 (774); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 3, 34; Hauser, ZRP 1974, 128 (128); Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 358; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 550; Kadelbach, Vienna Convention on Consular Relations (1963), Add. 2000, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1289 (1292); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 4; Lee, Consular Law and Practice, S. 26; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 74, 77 Fn. 177, 88; Nascimento E Silva, Diplomacy, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1024 (1033); ders., Vienna Convention on Diplomatic Relations (1961), in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1294 (1300 f.); Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 524; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 17, 21, 84 f., 374, 407; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 95. 18 Vgl. zu den Regeln, die bei Ausarbeitung des WÜD noch nicht Bestandteil universellen Völkergewohnheitsrechts waren, Denza, Diplomatic Law, S. 3 ff. Denza kommt zu dem Fazit, daß insgesamt betrachtet das WÜD die sachlichen Exemtionen, etwa im Hinblick auf die Unverletzlichkeit von Missionsgebäuden, erweitert, die den Familienangehörigen von Diplomaten und dem Verwaltungs- und technischen Personal zukommenden Exemtionen aber begrenzt habe; a.a.O., S. 5.
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einschlägig sind19 – für die diplomatischen und konsularischen Beziehungen zwischen allen Staaten der Welt maßgeblich, sei es aufgrund vertraglicher Bindungswirkung für die Beziehungen zwischen der großen Zahl von Staaten, die die Übereinkommen ratifiziert haben, sei es allein aufgrund völkergewohnheitsrechtlicher Geltung für die Beziehungen zu den wenigen Staaten, die nicht Vertragsparteien sind.20 Für die hier primär interessierende Frage der Reichweite völkerrechtlicher Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland folgt aus dem Vorstehenden, daß Diplomaten und Konsuln sowie alle weiteren nach Diplomaten- und Konsularrecht geschützten Personen Exemtionen von deutscher Strafgewalt einheitlich nach Maßgabe der Normen des WÜD und WÜK genießen. Die bundesdeutschen Strafverfolgungsorgane haben daher immer auf das WÜD und das WÜK zurückzugreifen, wenn in Frage steht, welche Exemtionen diesen Personen zustehen. Die nachfolgende Detailanalyse hat mithin stets von den Bestimmungen des WÜD und WÜK auszugehen und bei einer Interpretation der dort normierten Exemtionen anzusetzen.21 2. Geltung des Völkergewohnheitsrechts für in den Übereinkommen nicht geregelte Aspekte Sowohl das WÜD als auch das WÜK bestimmen in ihrer Präambel, „daß die Regeln des Völkergewohnheitsrechts auch weiterhin für alle Fragen gelten sollen, die nicht ausdrücklich in diesem Übereinkommen geregelt sind“. Zwar ergibt sich schon aus allgemeinen völkerrechtlichen Überlegungen, daß ein Vertrag nur insoweit Völkergewohnheitsrecht oder ältere vertragliche Regelungen verdrängen kann, als sein Regelungsgehalt reicht, so daß es naheliegend ist anzunehmen, daß hinsichtlich nicht explizit im WÜD und WÜK geregelter Aspekte weiterhin Völkergewohnheitsrecht gilt.22 Doch war es das Ziel der Wiener Übereinkommen, das ___________ Siehe zur Frage vorrangiger anderweitiger Verträge unten § 12 II.3. und § 12 II.5. Vgl. Art. 38 WVRK, der (deklaratorisch) feststellt, daß eine vertragliche Bestimmung als ein Satz des Völkergewohnheitsrechts, der als solcher anerkannt ist, auch für einen Drittstaat verbindlich ist. Frühere abweichende Regelungen des Völkergewohnheitsrechts und des (bilateralen) Völkervertragsrechts sind – soweit es nicht um Verträge im Bereich des Konsularrechts geht, deren Fortgeltung durch Art. 73 Abs. 1 WÜK ausdrücklich festgelegt ist (vgl. hierzu unten § 12 II.3.) und soweit die einschlägigen Verträge nicht ohnehin aufgehoben wurden – gemäß dem auch im Völkerrecht geltenden Grundsatz lex posterior derogat legi priori (vgl. Art. 30 Abs. 3 WVRK) unwirksam geworden. 21 Von der postulierten einheitlichen Geltung der Exemtionsregelungen des WÜK gibt es eine wichtige Ausnahme: Nach Art. 73 Abs. 1 WÜK bleiben ältere konsularrechtliche Verträge, die zwischen den Vertragsstaaten in Kraft sind, unberührt (vgl. auch Art. 30 Abs. 2 WVRK). Deren Exemtionsbestimmungen haben Vorrang. Siehe näher zu diesem Vorrang älterer Konsularverträge unten § 12 II.3. 22 Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 (408) meint, dies sei „theoretisch (…) selbstverständlich“. Gegen ihn aber zu Recht Bindschedler, SchwJIR 18 (1961), 29 (35). 19 20
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Recht der diplomatischen und konsularischen Beziehungen umfassend zu regeln. Daher könnte man auf den ersten Blick meinen, die Normen des WÜD und des WÜK seien abschließend, mehr als die explizit normierten Rechte und Pflichten gebe es nicht (mehr). Um hier Klarheit zu schaffen, sehen die Präambeln jeweils die subsidiäre Geltung von Völkergewohnheitsrecht hinsichtlich nicht geregelter Aspekte ausdrücklich vor.23 Inwieweit in bezug auf die hier interessierenden Exemtionen subsidiär und ergänzend völkergewohnheitsrechtliche Regelungen Anwendung finden, wird bei der Erörterung der einzelnen Befreiungen dargelegt. 3. Verhältnis der Exemtionsregelungen des WÜK zu denen älterer Konsularverträge Neben dem WÜK bzw. den parallelen gewohnheitsrechtlichen Regeln sind für die BRD im Verhältnis zu einigen Staaten noch ältere Konsularverträge in Kraft, so daß sich die Frage stellt, in welchem Verhältnis die jeweiligen Regelungen des Konsularrechts zueinander stehen. Nach dem lex posterior-Grundsatz müßten eigentlich die Regelungen des WÜK bzw. parallelen Völkergewohnheitsrechts Vorrang haben.24 Art. 73 Abs. 1 WÜK betont aber ausdrücklich, das WÜK lasse „andere internationale Übereinkünfte unberührt, die zwischen deren Vertragsstaaten in Kraft sind“.25 § 19 Abs. 2 GVG stellt für das deutsche Recht fest, daß besondere völkerrechtliche Vereinbarungen über die Befreiung der in § 19 Abs. 1 GVG genannten Personen von der deutschen Gerichtsbarkeit unberührt bleiben von den Bestimmungen im WÜK. Mit diesen Vorschriften soll die vorrangige Weitergeltung der Regelungen einzelner älterer Konsularverträge, das heißt solcher Konsularverträge, die geschlossen wurden, bevor die Parteien Vertragsstaaten des WÜK geworden sind, gesichert werden. Die meisten vom Deutschen Reich bzw. der Bundesrepublik geschlossenen bilateralen Konsularverträge sind allerdings mittlerweile aufgehoben worden. Derzeit sind für die Frage der völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit nur noch folgende Konsularverträge von Relevanz: erstens der Konsularvertrag zwischen dem Norddeutschen Bund und Spanien;26 zweitens der Konsu___________ Vgl. Bindschedler, SchwJIR 18 (1961), 29 (35); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 260 f., 304; Doehring, Völkerrecht, Rn. 490, 503; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 31; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 885, 918. 24 Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rn. 19 f. 25 Siehe diesbezüglich auch Art. 30 Abs. 2 WVRK. Vgl. zudem Economedès, Consular Treaties, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 768 (769). 26 Konsularkonvention zwischen dem Norddeutschen Bunde und Spanien vom 22.2.1870; Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1870, S. 99. Die Regelungen dieses Vertrags sind durch Art. 1 Konsularvertrag zwischen Deutschland und Spanien vom 12.1.1872 (RGBl. 1872, S. 211) für das Deutsche Reich für verbindlich erklärt worden. 23
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larvertrag mit der Türkei;27 drittens der Konsularvertrag mit dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland,28 der allerdings auch im Verhältnis zu einer Reihe von Staaten gilt, die ehemals britische Kolonien waren;29 viertens der Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR,30 der heute noch im Verhältnis zwischen der BRD und den Nachfolgestaaten der UdSSR in Kraft ist,31 sowie fünftens der Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag mit den USA.32 Die übrigen noch geltenden Freundschafts-, Handels- und Schiffahrts- sowie Konsularverträge sind für die Frage völkerrechtlicher Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit ohne praktische Bedeutung.33 ___________ 27 Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reiche und der Türkischen Republik vom 28.5.1929; RGBl. 1930 II, S. 748 = LNTS 133, 257. 28 Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland vom 30.7.1956; BGBl. 1957 II, S. 285 = UNTS 330, 233. 29 Dies sind laut dem vom Bundesministerium der Justiz herausgegebenen Fundstellennachweis B (Stand: 31.12.2005) Fidschi (BGBl. 1975 II, S. 1739), Grenada (BGBl. 1975 II, S. 366), Jamaika (BGBl. 1973 II, S. 49), Malawi (BGBl. 1967 II, S. 936) und Mauritius (BGBl. 1973 II, S. 50). 30 Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 25.4.1958; BGBl. 1959 II, S. 233 = UNTS 338, 49. 31 Der Vertrag gilt zur Zeit im Verhältnis zu Armenien (BGBl. 1993 II, S. 169), Aserbaidschan (BGBl. 1996 II, S. 2471), Belarus (BGBl. 1994 II, S. 2533), Georgien (BGBl. 1992 II, S. 1128), Kasachstan (BGBl. 1992 II, S. 1120), Kirgisistan (BGBl. 1992 II, S. 1015), Moldau (BGBl. 1996 II, S. 768), der Russischen Föderation (BGBl. 1992 II, S. 1016), Tadschikistan (BGBl. 1995 II, S. 255), der Ukraine (BGBl. 1993 II, S. 1189) sowie Usbekistan (BGBl. 1993 II, S. 2038). 32 Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reiche und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 8.12.1923; RGBl. 1925 II, S. 795 = LNTS 52, 133; BGBl. 1954 II, S. 722. Diejenigen Bestimmungen dieses Vertrags, die die konsularischen Beziehungen zwischen den USA und dem Deutschen Reich betreffen, sind durch den neuen Freundschafts- Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29.10.1954 (BGBl. 1956 II, S. 488) nicht berührt worden, sondern gelten gemäß Art. XXVIII des letztgenannten Vertrags fort. 33 In Ausnahmefällen kann allerdings der Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und dem irischen Freistaat (Irland) vom 12.5.1930 (RGBl. 1931 II, S. 116) für die Reichweite völkerrechtlicher Exemtionen Relevanz haben, da er in Art. 21 Abs. 2 in Form einer Meistbegünstigungsklausel festlegt, daß die Konsuln die gleichen Vorrechte und Befreiungen genießen sollen, die den Konsularbeamten irgendeines anderen Staates zustehen oder zustehen werden. Gleiches gilt für den ebenfalls noch in Kraft befindlichen Freundschaftsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und Kaiserreich Persien (Iran) vom 17.2.1929 (RGBl. 1930 II, S. 1002; BGBl. 1955 II, S. 829), der zwar in Art. 2 zunächst das Völkergewohnheitsrecht für maßgeblich erklärt, gleichzeitig aber eine Meistbegünstigungsklausel enthält, sowie für den gleichfalls eine Meistbegünstigungsklausel (Art. III Abs. 3) enthaltenden Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und Japan vom 20.7.1927 (RGBl. 1927 II, S. 1088). Der Freundschaftsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich der Hedschas, Nedjd und der zugehörigen Gebiete (heute: Saudi-Arabien) vom 26.4.1929 (RGBl. 1930 II, S. 1064; BGBl. 1952
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Diese älteren noch in Kraft befindlichen Konsularverträge sehen zum Teil weniger weitreichende, zum Teil umfassendere Exemtionen als das WÜK vor. Es ist nun aber nicht so, daß sich die Mitglieder konsularischer Vertretungen von Staaten, mit denen noch Konsularverträge bestehen, auf die im Einzelfall für sie günstigeren Bestimmungen berufen könnten. Vielmehr haben die älteren Konsularverträge, soweit ihr Regelungsbereich reicht, nach Art. 73 Abs. 1 WÜK und § 19 Abs. 2 GVG stets Vorrang. Die Exemtionen der betreffenden Personen bestimmen sich daher ausschließlich nach dem jeweils einschlägigen älteren Konsularvertrag.34 Der BGH dagegen vertritt die Auffassung, die Regelungen des WÜK würden in ihrer Geltung als Völkergewohnheitsrecht die Bestimmungen in älteren Konsularverträgen, im konkreten Fall des deutsch-türkischen KonsularVertrags, insoweit verdrängen, als sie weiterreichende Exemtionen gewähren. Es seien also die Normen anzuwenden, die im Einzelfall umfassendere Vorrechte und Befreiungen bewirkten.35 Doch steht der Annahme einer „Meistbegünstigungsregelung“ die klare Formulierung des Art. 73 Abs. 1 WÜK entgegen, die einen generellen Vorrang der älteren Konsularverträge normiert. Es läßt sich auch nicht argumentieren, Art. 73 Abs. 1 WÜK beziehe sich nur auf die Frage des Verhältnisses des WÜK als völkerrechtlichem Vertrag zu älteren Konsularverträgen, so daß die älteren Konsularverträge durch das neuere, den Bestimmungen des WÜK entsprechende Völkergewohnheitsrecht modifiziert würden. Denn die Regelungen des WÜK sind in ihrer Gesamtheit Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts, einschließlich der Regel, die einen Vorrang älterer Verträge festlegt. Die lex posterior-Regel, die grundsätzlich auch im Verhältnis von älterem Völkervertragrecht zu neuerem Völkergewohn___________ II, S. 724) dagegen ordnet hinsichtlich der völkerrechtlichen Exemtionen in Art. 2 lediglich die Maßgeblichkeit des Völkergewohnheitsrechts an. 34 Vgl. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 19 GVG Rn. 2; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 127 sowie den kommentierten Entwurf der ILC für eine Konsularrechtskonvention von 1961, YBILC 1961 II, 89 (128) (UN-Dokument A/4843). Im ILC-Entwurf heißt es (a.a.O., S. 128): “(…) the convention shall not affect international conventions or other agreements concluded between the contracting parties on the subject of consular relations and immunities. It is evident that in that case the multilateral convention will apply solely to questions which are not governed by pre-existing conventions or agreements concluded between parties.” Vgl. auch Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 32. Für die Praxis der Strafverfolgungsbehörden bedeutet dies, daß immer dann, wenn es um Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit gegenüber Mitgliedern einer konsularischen Vertretung Spaniens, der Türkei, des Vereinigten Königreichs, Rußlands, den USA und den weiteren genannten Staaten geht, auf die ebenfalls nach Art. 59 Abs. 2 GG als einfaches Bundesrecht unmittelbar anwendbaren Regelungen in diesen Konsularverträgen und nicht auf die Normen des WÜK abzustellen ist. 35 BGHSt 36, 396 (399, 402) = NJW 1990, 1799 (1800). Ebenso American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 465 Reporters’ Note 3. Großbritannien hat mit den Staaten, mit denen bilaterale Konsularverträge geschlossen worden waren, eine solche Meistbegünstigung ausdrücklich vereinbart. Vgl. Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 222. Dies ist zulässig, zeigt aber zugleich, daß ohne solche Vereinbarungen die „alten“ bilateralen Verträge Vorrang haben.
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heitsrecht gilt, ist insofern nicht anwendbar. Zudem müßten dann, wenn sie anwendbar wäre, die gesamten gewohnheitsrechtlichen Normen des Konsularrechts Vorrang vor den älteren Konsularverträgen haben, nicht nur die für die einzelnen Konsularbeamten und den Entsendestaat günstigeren Regeln, wie dies der BGH annimmt. Dann aber liefen die älteren Konsularverträge leer. Die Tatsache, daß die Staaten an diesen festhalten bzw., sofern sie die Regelungen der Konsularverträge durch die des WÜK ersetzen wollen, die Verträge explizit aufheben, macht deutlich, daß nicht von einem Vorrang des Völkergewohnheitsrechts vor älteren Konsularverträgen ausgegangen wird. Damit ist an dem Ergebnis festzuhalten, daß die Exemtionsregelungen in den älteren Konsularverträgen stets Vorrang vor den Regelungen des WÜK haben, und zwar auch Vorrang vor deren Geltung als Völkergewohnheitsrecht. Soweit die in den noch in Kraft befindlichen und vorrangigen älteren Konsularverträgen enthaltenen Exemtionsregelungen von denen des WÜK abweichen, wird hierauf im konkreten Sachzusammenhang hingewiesen.36 4. Klassifizierung des Diplomaten- und Konsularrechts als „self-contained regime“ durch den IGH Der Internationale Gerichtshof (IGH) hatte sich 1979 und 1980 in einem weltweit beachteten Rechtsstreit zwischen den USA und dem Iran um den „Teheraner Geiselfall“ mit den Regeln des Diplomaten- und Konsularrechts zu befassen. In zwei Entscheidungen – einer „einstweiligen Anordnung“ im „vorläufigen Rechtsschutzverfahren“ nach Art. 41 IGH-Statut37 vom 15. Dezember 197938 und einem Urteil im „Hauptsacheverfahren“ vom 24. Mai 198039 – hat der IGH wichtige und auch heute noch maßgebliche Feststellungen zu den Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen zukommenden Exemtionen getroffen, auf die in der nachfolgenden Darstellung jeweils im konkreten Sachzusammenhang Bezug genommen wird. Vor allem hat der IGH geklärt, in welchem Verhältnis die Regeln des Diplomaten- und Konsularrechts zu anderen Rechtsinstituten und Normen des Völkerrechts stehen: Er hat das Recht der diplomatischen und konsularischen Beziehungen klassifiziert als ein self-contained regime, als ein in sich geschlossenes rechtliches System, das nicht nur die Rechte und Pflichten von Entsende- und Empfangsstaat festlegt, sondern zugleich abschließend bestimmt, auf welche Art und Weise der Empfangsstaat reagieren darf, wenn Vertreter des Entsendestaates die ___________ Soweit die Exemtionsregelungen des WÜK allerdings mit denen in den noch in Kraft befindlichen Konsularverträgen übereinstimmen, wird auf die Konsularverträge, auch wenn sie vorrangig anzuwenden sind, nicht extra hingewiesen. 37 Statut des Internationalen Gerichtshofs vom 26.6.1945, BGBl. 1973 II, S. 505. Vgl. auch Art. 73 ff. der Verfahrensordnung des IGH, abgedr. in „Sartorius II“ unter Nr. 3. 38 IGH, ICJ-Reports 1979, 7. 39 IGH, ICJ-Reports 1980, 3. 36
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ihnen eingeräumten Vorrechte und Befreiungen mißbrauchen bzw. den ihnen von den Übereinkommen auferlegten Verhaltensgeboten zuwiderhandeln.40 a) Der „Teheraner Geiselfall“ Der den Entscheidungen zugrunde liegende Sachverhalt und der Verfahrensablauf lassen sich wie folgt zusammenfassen:41 Am 4. November 1979 fand vor der US-Botschaft in Teheran – wie schon einige Male zuvor – eine anti-amerikanische Kundgebung statt, an der sich überwiegend iranische Studenten beteiligten. Anders als bei früheren Demonstrationen, bei denen iranische Sicherheitskräfte Übergriffe auf die Räumlichkeiten und das Grundstück der Mission verhindert bzw. schnell beendet hatten, hielten sich die Polizeikräfte diesmal im Hintergrund. Die Demonstranten stürmten daraufhin die Räumlichkeiten der diplomatischen Mission und der konsularischen Abteilung sowie die Residenz des Botschafters und besetzten diese. Die dort anwesenden Bediensteten und zufällige Besucher wurden festgehalten, die Räumlichkeiten und die Einrichtung sowie die diplomatischen und konsularischen Archive wurden verwüstet. Die Botschaftsangehörigen forderten die Hilfe der iranischen Sicherheitskräfte an; diese aber unternahmen nichts. Etwa zeitgleich wurden auch die Räumlichkeiten der US-amerikanischen konsularischen Vertretungen in den Städten Tabriz und Shiraz besetzt, die zu dieser Zeit aber wegen des bereits sehr angespannten Verhältnisses zwischen den USA und dem Iran nach dem Sturz des Schahs und der Übernahme der Regierung durch islamische Fundamentalisten unter der Führung von Ayatollah Khomeini Anfang 1979 geschlossen waren und in denen sich kein amerikanisches Personal aufhielt. Der USamerikanische Geschäftsträger, also der Leiter der diplomatischen Mission, hielt sich zum Zeitpunkt der Besetzung zusammen mit zwei anderen Diplomaten im iranischen Außenministerium auf. Diese Personen wurden dort festgehalten mit dem Argument, man könne ein Verlassen des Gebäudes angesichts der Situation nicht verantworten. Von den gefangengehaltenen etwa 100 Personen wurden etliche Ende November 1979 freigelassen, etwa 50 Diplomaten bzw. Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals waren jedoch auch zum Zeitpunkt der Entscheidungen des IGH noch im Gewahrsam der Besetzer. Während die iranische Regierung zunächst die Besetzung der Vertretungen und die Gefangennahme der anwesenden Personen lediglich geduldet hatte, hat sie später deren Verhalten ausdrücklich gutgeheißen und unterstützt. Die Besetzer und auch die Regierung machten die Räumung der Vertretungen abhängig von einer Auslieferung des sich damals in den USA aufhaltenden Schahs an den Iran und der Übergabe seines in den USA befindlichen Vermögens.
Die USA bemühten sich auf verschiedenste Art und Weise, die Gefangenhaltung ihrer Staatsbürger zu beenden. Sie erwirkten Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, durch die der Iran aufgefordert wurde, die Botschaftsangehörigen und weitere fest-
___________ Vgl. zur Definition eines self-contained regime Simma, NYIL 16 (1985), 111 (117). 41 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1979, 7 (17 f.); IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (10 ff.); Frey/Frey, History of Diplomatic Immunity, S. 515 ff.; Green, AVR 19 (1980/81), S, 1 (6 ff.); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 494; McClanahan, Diplomatic Immunity, S. 8 ff.; Oellers-Frahm, United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran Case, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1214 (1214); Nahlik, RdC 1990 III, 187 (311 ff.). 40
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gehaltene Personen freizulassen.42 Sie versuchten im April 1980, die Geiseln durch einen Militäreinsatz zu befreien, was aber scheiterte, weil die eingesetzten Hubschrauber wegen technischer Probleme nicht bis nach Teheran gelangten.43 Zudem erhoben sie Klage gegen den Iran vor dem IGH, wobei sie im Kern beantragten, der IGH möge den Iran zur Freilassung sämtlicher Geiseln und zur Räumung der besetzten Gebäude verurteilen.44 Die Zuständigkeit des IGH (vgl. Art. 36 IGHStatut) ergab sich daraus, daß sowohl die USA als auch der Iran Vertragsparteien der Fakultativprotokolle über die obligatorische Beilegung von Streitigkeiten zum WÜD und WÜK45 waren, und diese jeweils in Art. I die Zuständigkeit des IGH bei Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung von WÜD und WÜK festlegen.46 Während die USA rügten, der Iran habe mit der Duldung bzw. späteren Unterstützung der Besetzung der Botschaft und der Konsulate sowie der Gefangenhaltung des darin befindlichen Personals und weiterer US-Bürger gegen die Unverletzlichkeit von Botschafts- und Konsularräumlichkeiten (Art. 22, 24 WÜD, Art. 31, 33 WÜK) sowie die Unverletzlichkeit der Mitglieder der diplomatischen Mission (Art. 29, 37 WÜD) verstoßen, beteiligte sich der Iran nicht am Verfahren, sondern versuchte nur, im Rahmen einer schriftlichen Äußerung die Zuständigkeit des IGH unter Hinweis auf eine langjährige Einmischung der USA in die inneren Angelegenheiten Irans, auf die nach der islamischen Revolution reagiert werden müsse, zu bestreiten bzw. hiermit das iranische Verhalten zu rechtfertigen: “(…) this question only represents a marginal and secondary aspect of an overall problem (…) which involves (…) more than 25 years of continual interference by the United States in the internal affairs of Iran, the shameless exploitation of our country, and numerous crimes perpetrated against the Iranian people (…). The Government of the Islamic Republic of Iran respectfully draws the attention of the Court to the deeprootedness and the essential character of the Islamic revolution of Iran, a revolution of a whole oppressed nation against its oppressors and their masters (…).”47
___________ Vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (16); Riesenfeld, United States – Iran Agreement of January 19, 1981 (Hostages and Financial Arrangements), in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1218 (1218), der auch auf die von den USA verhängten Wirtschaftssanktionen eingeht. 43 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (17 f.), das Sondervotum von Richter Morozov, ICJReports 1980, 51 (55 f.) sowie Röling, NYIL 11 (1980), 125 (149 f.). Siehe aber auch Folz, in: von Münch (Hrsg.), FS Schlochauer, S. 271 (284), der vermutet, der „Ausrüstungsschaden“ sei nur ein vorgeschobenes Argument gewesen, während in Wirklichkeit politische Beweggründe zum Abbruch der Aktion führten. 44 Zu den Anträgen im Hauptsacheverfahren vgl. IGH, ICJ-Reports 1979, 7 (8); IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (6 f.). Zum Antrag auf Erlaß vorsorglicher Maßnahmen vgl. IGH, ICJReports 1979, 7 (9, 12 f.). 45 BGBl. 1964 II, S. 1018 und BGBl. 1969 II, S. 1689. 46 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1979, 7 (13 f.); IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (24 ff.) sowie Röling, NYIL 11 (1980), 125 (138 ff.). 47 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1979, 7 (10 f.) (dort ist das Schreiben im Wortlaut wiedergegeben). Im Zuge des Hauptsacheverfahrens übermittelte der Iran dem Gerichtshof ein weiteres, inhaltlich im wesentlichen gleichlautendes Schreiben; vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (8 f.) (dort ist das zweite Schreiben im Wortlaut wiedergegeben). Siehe auch Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 173. 42
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b) Die Entscheidungen des IGH Mit seiner Entscheidung vom 15. Dezember 1979 verpflichtete der IGH als vorsorgliche Maßnahmen zunächst entsprechend dem Antrag der USA den Iran, die besetzten Räumlichkeiten zu räumen und an die Vertreter der USA zurückzugeben sowie sämtliche festgehaltene Personen ohne weiteres freizulassen, zukünftig die ihnen zukommende Unverletzlichkeit zu achten und ihre Ausreise aus dem Iran zu ermöglichen.48 In dieser Entscheidung wies der IGH – ebenso wie in der Hauptsacheentscheidung vom 24. Mai 198049 – den Einwand des Iran zurück, es handele sich bei dem „Geiselfall“ lediglich um ein zweitrangiges Problem im Rahmen der nur einheitlich zu betrachtenden Störungen der Beziehungen beider Staaten zueinander. Der IGH betonte, die Regeln des Diplomaten- und Konsularrechts seien von grundlegender Bedeutung für den internationalen Frieden. Streitigkeiten zwischen Staaten über völkerrechtliche Rechte und Pflichten, die zu entscheiden der IGH berufen sei, seien zudem typischerweise eingebettet in einen breiteren politischen Kontext. Dennoch dürfe der IGH in solchen Fällen nur über konkrete Rechtsfragen entscheiden und habe dies auch zu tun.50 Im Hinblick auf die Begründetheit der Klage hatte der IGH im Hauptsacheverfahren, da es lediglich seine Aufgabe ist, über einzelnen Staaten zukommende völkerrechtliche Rechte und Pflichten zu entscheiden, zum einen zu prüfen, ob die Handlungen dem Iran zuzurechnen waren, zum anderen, ob sie völkerrechtswidrig waren.51 Dazu unterteilte er das Geschehen in zwei Phasen. Der IGH kam zu dem Ergebnis, daß die unmittelbare Besetzung der Vertretungen und die Gefangennahme der dort befindlichen Personen vom Iran nicht veranlaßt worden waren, sondern diese Taten aus eigener Initiative der überwiegend studentischen Demonstranten heraus begangen worden waren. Dieses Geschehen könne dem Iran nicht direkt zugerechnet werden.52 Dennoch habe der Iran bereits in dieser ersten Phase eine ihm zurechenbare Völkerrechtsverletzung begangen. Er hätte nämlich gemäß Art. 22 Abs. 2, Art. 29 Satz 2 WÜD bzw. Art. 31 Abs. 3 WÜK die Räumlichkeiten vor einem Eindringen der Besetzer schützen bzw. die Besetzung nach Aufforderung durch die USA beenden sowie die Mitglieder der diplomatischen Mission vor den Angriffen schützen müssen. Insofern habe der Iran eine Völkerrechtsverletzung durch Unterlassen der gebotenen Schutzgewährung begangen.53 ___________ 48 IGH, ICJ-Reports 1979, 7 (21). Vgl. auch Oellers-Frahm, United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran Case, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1214 (1214 f.). 49 Siehe dazu Müller-Terpitz, in: Menzel u.a. (Hrsg.), Völkerrechtsprechung, S. 406 ff. 50 IGH, ICJ-Reports 1979, 7 (15); IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (18 ff.). 51 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (29). Vgl. auch Oellers-Frahm, United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran Case, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1214 (1216 f.). 52 IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (29 f.). 53 IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (30 ff.). Vgl. diesbezüglich auch Folz, in: von Münch (Hrsg.), FS Schlochauer, S. 271 (273).
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Nach Vollendung der Besetzung und Gefangennahme habe der Iran in einer zweiten Phase des Geschehens das Vorgehen der Besetzer ausdrücklich befürwortet und unterstützt, später sogar direkt gesteuert. Damit habe er sich das Verhalten der Besetzer zu eigen gemacht. Ab diesem Zeitpunkt sei das Geschehen dem Iran völkerrechtlich unmittelbar zuzurechnen. Die fortdauernde Besetzung der Vertretungen und die fortdauernde Gefangenhaltung der dort befindlichen Personen sowie das Festhalten des Chefs der Mission und weiterer Diplomaten im iranischen Außenministerium stelle, so der IGH, eine Mißachtung der Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten und des Personals der Vertretungen durch aktives Tun dar und sei mithin ein Verstoß gegen Art. 22 Abs. 1 und 3, Art. 29 Satz 1 und 2 WÜD sowie Art. 31 Abs. 1 und 2 WÜK.54 c) Einordnung des Diplomaten- und Konsularrechts als „self-contained regime“ An dieser Stelle, also im Kontext der Erörterung der Reichweite der Bestimmungen des WÜD und des WÜK, ist jedoch vor allem von Bedeutung, wie der IGH die Bemühungen des Irans um eine Rechtfertigung seines Verhaltens beurteilte.55 Der Ayatollah Khomeini hatte nämlich öffentlich erklärt, die US-Vertretungen bzw. ihr Personal würden Spionage gegen den Iran betreiben, sich in die inneren Angelegenheiten Irans einmischen und die islamische Revolution zu behindern versuchen. Daher könne der Iran die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten und des Personals nicht mehr akzeptieren.56 Im Rahmen seiner bereits erwähnten schriftlichen Äußerung hatte der Iran ebenfalls auf völkerrechtswidriges Verhalten der USA gegenüber dem Iran abgestellt und eine seit über 25 Jahren andauernde Einmischung der USA in die inneren Angelegenheiten des Irans behauptet.57 Der IGH betonte jedoch, selbst wenn diese Behauptungen zuträfen, könnte eine Mißachtung der Vorrechte und Befreiungen des Diplomaten- und Konsularrechts nicht gerechtfertigt werden.58 Denn auf Rechtsverstöße des Entsendestaates bzw. ___________ IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (33 ff.). Zur „islamischen Interpretation“ der diplomatischen und konsularischen Exemtionen vgl. Grabau, AVR 30 (1992), 171 (171 ff.). 55 Vgl. hierzu IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (37 ff.). 56 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (34). 57 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (37). 58 Grundsätzlich denkbar wäre eine Rechtfertigung einer Mißachtung der Vorrechte und Befreiungen als völkerrechtliche Repressalie. Daneben könnte auch die Annahme einer Verwirkung der Vorrechte und Befreiungen durch völkerrechtswidriges Verhalten in Betracht kommen. Zudem wäre an eine Rechtfertigung aufgrund zulässiger Selbstverteidigung, also aufgrund völkerrechtlicher „Notwehr“ gegen völkerrechtswidriges Verhalten zu denken. (Das Selbstverteidigungsrecht ist nicht auf bewaffnete Angriffe i.S.d. Art. 51 UNCharta beschränkt. Diese Norm verweist nur auf einen Anwendungsfall des „naturgegebenen“ Selbstverteidigungsrechts.) 54
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
der Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen dürfe ausschließlich mit den im Diplomatenrecht selbst vorgesehenen Mitteln reagiert werden: “In any case, even if the alleged criminal activities of the United States in Iran could be considered as having been established, the question would remain whether they could be regarded by the Court as constituting a justification of Iran’s conduct and thus a defence to the United States’ claims in the present case. The Court, however, is unable to accept that they can be so regarded. This is because diplomatic law itself provides the necessary means of defence against, and sanction for, illicit activities by members of diplomatic or consular missions.”59
Das Recht der diplomatischen (und konsularischen) Beziehungen sei ein selfcontained regime: “The rules of diplomatic law, in short, constitute a self-contained-regime which, on the one hand, lays down the receiving State’s obligations regarding the facilities, privileges and immunities to be accorded to diplomatic missions and, on the other, foresees their possible abuse by members of the mission and specifies the means at the disposal of the receiving State to counter any such abuse.”60
Als im Diplomatenrecht zulässige Reaktionen auf unter dem Schutz völkerrechtlicher Exemtionen begangene Rechtverstöße nennt der IGH die Erklärung einer bevorrechtigten Person zur persona non grata bzw. zur „nicht genehmen Person“ nach Art. 9 WÜD oder Art. 23 WÜK61 sowie den jederzeit möglichen Abbruch der diplomatischen Beziehungen.62 Der Iran habe, so der IGH, weder die diplomatischen oder konsularischen Beziehungen zu den USA abgebrochen noch irgendeine Person zur persona non grata bzw. nicht genehmen Person erklärt. Er sei daher verpflichtet, die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten und der Mitglieder der Vertretung zu beachten.63 Der Iran wurde deshalb einstimmig zur sofortigen Freilassung der Geiseln sowie zur Räumung der besetzten Räumlichkeiten und ihrer Rückgabe an die USA verurteilt.64 Das Urteil des IGH wurde allerdings vom Iran nicht unmittelbar befolgt. Erst nach dem Tod des früheren Schahs im Juli 1980 und damit dem Entfallen des wesentlichen Motivs der Geiselnahme kam Bewegung in die Angelegenheit. Unter der Vermittlung Algeriens wurden Verhandlungen zwischen dem Iran und den USA
___________ IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (38). IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (40). Vgl. auch Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 174 ff. und Simma, NYIL 16 (1985), 111 (111 ff.). 61 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (39). Vgl. zu diesem Reaktionsinstrument des Empfangsstaates unten § 12 III.2.b)bb); § 12 III.4.b)bb). 62 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (40). Siehe auch Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 39. Vgl. zu diesem Reaktionsinstrument unten § 12 IV.1. und 2. 63 IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (40 f.). 64 IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (44 f.). 59 60
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geführt, die schließlich zur Folge hatten, daß der Iran die Geiseln am 20. Januar 1981 nach über 14 Monaten Gefangenschaft in Algier an die USA übergab.65 Die Klassifizierung des Diplomaten- und Konsularrechts als self-contained regime durch den IGH hat sich 1997 auch das BVerfG in einer auf das Diplomatenrecht bezogenen Entscheidung zu eigen gemacht. Das BVerfG hat gleichfalls betont, die Regeln des Diplomatenrechts stellten eine in sich geschlossene Ordnung dar, die die möglichen Reaktionen auf Mißbräuche der diplomatischen Vorrechte und Befreiungen abschließend umschreibe.66 d) Fazit Aus der Klassifizierung des Diplomaten- und Konsularrechts als self-contained regime folgt, daß selbst bei schweren Rechtsverstößen eine Nichtbeachtung der Exemtionen des WÜD bzw. WÜK nicht legitimiert werden kann, also eine Bestrafung unter Mißachtung der Exemtionen auch bei schweren Straftaten nicht – als Repressalie oder unter Rückgriff auf den Rechtsgedanken der Verwirkung bzw. auf das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht – gerechtfertigt werden kann. 5. Zur Modifizierbarkeit der Exemtionsregelungen des WÜD und des WÜK Die Klassifizierung des Diplomaten- und Konsularrechts als self-contained regime bedeutet aber nicht, daß Modifikationen der Exemtionsregelungen oder Abweichungen von ihnen in keiner Weise gestattet sind. Da das Völkerrecht keine Rangordnung zwischen den Rechtsquellen Völkervertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht kennt, können nicht nur völkerrechtliche Verträge älteres Völkergewohnheitsrecht verdrängen, sondern kann umgekehrt auch Völkergewohnheitsrecht ältere völkervertragliche Regeln nach den Grundsätzen lex specialis derogat legi generali und lex posterior derogat legi priori modifizieren.67 Dies gilt auch für das WÜD und das WÜK. Somit ist es nicht ausgeschlossen, daß die Exemtionsregelungen des WÜD und des WÜK (sowohl in ihrer völkervertraglichen als auch in ihrer völkergewohnheitsrechtlichen Geltung) durch ___________ Vgl. Oellers-Frahm, United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran Case, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1214 (1214); Riesenfeld, United States – Iran Agreement of January 19, 1981 (Hostages and Financial Arrangements), in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1218 (1218 ff.). Die Erklärung Algeriens anläßlich der erzielten Übereinkunft ist abgedr. in ILM 20 (1981), 223. Die USA hatten bereits am 7.4.1980 die diplomatischen Beziehungen zum Iran abgebrochen; vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (17). 66 BVerfGE 96, 68 (83) = NJW 1998, 50 (52). 67 Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 13 Rn. 5, § 20 Rn. 3; Nascimento E Silva, Diplomacy, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1024 (1030 f.); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 44 f.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 523, 529. 65
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neues Völkergewohnheitsrecht verändert werden.68 Dabei kommt sowohl eine völkergewohnheitsrechtliche Ausweitung als auch eine gewohnheitsrechtliche Einschränkung der Exemtionen in Betracht.69 Im Rahmen dieser Untersuchung wird vor allem zu prüfen sein, ob die Entwicklung des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes und des Völkerstrafrechts mittlerweile zu einer völkergewohnheitsrechtlichen Einschränkung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen dahingehend geführt hat, daß diese – wie die Staatenimmunität – heutzutage bei völkerrechtlichen Verbrechen und (sonstigen) schweren Menschenrechtsverletzungen nicht mehr gelten.70 Selbstverständlich könnten die Exemtionsbestimmungen des WÜD oder WÜK auch durch einen Änderungsvertrag – also einen das WÜD oder das WÜK explizit ändernden neuen Vertrag – modifiziert werden.71 Bislang sind aber weder das WÜD noch das WÜK geändert worden. Darüber hinaus ist es sogar möglich, daß einzelne Vertragsstaaten miteinander vereinbaren, daß im Rahmen der zwischen ihnen bestehenden diplomatischen oder konsularischen Beziehungen andere Exemtionsregelungen als die im WÜD oder im WÜK normierten gelten sollen.72 Vereinbarungen zwischen einzelnen Staaten, die weitergehende Exemtionen vorsehen als die im WÜD oder im WÜK normierten, sind ohne Zweifel erlaubt; sie werden durch Art. 47 Abs. 2 lit. b) WÜD sowie Art. 72 Abs. 2 lit. b) und Art. 73 Abs. 2 WÜK explizit gestattet.73 ___________ So auch Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 30 ff. Gegen eine völkergewohnheitsrechtliche Einschränkbarkeit der Exemtionsregelungen des WÜD und des WÜK aber Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 30 f., 33 f. 70 Siehe unten § 14. 71 Die Änderung multilateraler völkerrechtlicher Verträge bestimmt sich – sofern der betreffende Vertrag keine spezielle Revisionsklausel enthält – nach Art. 40 WVRK. Dieses Übereinkommen hat bestehendes Völkergewohnheitsrecht kodifiziert, so daß seine Regelungen im Verhältnis zu allen Staaten maßgeblich sind und trotz des Art. 4 WVRK auch auf die gegenüber dem WVRK älteren Verträge WÜD und WÜK Anwendung finden. So auch Lee, Consular Law and Practice, S. 627. Siehe zur Änderung multilateraler Verträge auch Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 13 Rn. 1 ff., insb. Rn. 6. 72 Vgl. allgemein zur Zulässigkeit von multilateralen Verträgen abweichender Vereinbarungen zwischen einzelnen Vertragsparteien Art. 41 WVRK und Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 13 Rn. 8. 73 Ebenso Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 30 ff.; Fliedner, ZRP 1973, 263 (265) und für das WÜK auch Doehring, Völkerrecht, Rn. 510; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 15. Der Bundesgesetzgeber hat die Bundesregierung jeweils in Art. 2 der Zustimmungsgesetze zum WÜD und WÜK ermächtigt, auf der Basis der Gegenseitigkeit und aufgrund einer Vereinbarung mit einem konkreten Entsendestaat per Rechtsverordnung den Vertretern des betreffenden Entsendestaates weiterreichende Vorrechte und Befreiungen zu gewähren. Vgl. unten Anm. 80. 68 69
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Aber auch Übereinkünfte zwischen einzelnen Vertragsstaaten des WÜD bzw. des WÜK, in denen diese vereinbaren, im Rahmen der zwischen ihnen bestehenden diplomatischen oder konsularischen Beziehungen nur in geringerem Maße Exemtionen zu gewähren als vom WÜD oder vom WÜK vorgesehen, können nicht als völkerrechtswidrig angesehen werden.74 Vereinbarungen zwischen einzelnen Parteien eines multilateralen Vertrags, in denen diese festlegen, im Verhältnis untereinander von den Regeln des multilateralen Vertrags abzuweichen, sind nach Art. 41 WVRK statthaft, wenn (1.) der betreffende multilaterale Vertrag kein Verbot abweichender Vereinbarungen zwischen einzelnen Vertragsstaaten enthält, (2.) die Vereinbarung die Rechtsstellung der anderen Vertragsparteien nicht beeinträchtigt und (3.) die Sondervereinbarung sich nicht auf eine Bestimmung bezieht, von der abzuweichen mit dem Ziel und Zweck des multilateralen Vertrags unvereinbar wäre. Bezogen auf das WÜD und das WÜK ist festzustellen, daß diese einzelnen Vertragsparteien nicht explizit verbieten, sich dahingehend zu verständigen, im Verhältnis untereinander nur weniger weitreichende Exemtionen zu gewähren.75 Eine solche Vereinbarung würde auch die Rechtsstellung der anderen Vertragsparteien nicht tangieren, denn die Mitglieder der diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Staaten, die an einer solchen Vereinbarung nicht beteiligt sind, würden weiterhin in den Genuß der im WÜD und im WÜK normierten Exemtionen kommen.76 Und eine Vereinbarung einzelner Staaten dahingehend, daß den Mit___________ So auch Lee, Convention on Consular Relations, S. 196; ders., IC 571 (1969), 41 (72 f.); Verdross/Simma, Völkerrecht, § 528 und die ILC in ihrem Kommentar zu dem 1989 vorgelegten Entwurf einer Konvention mit dem Titel Status of the Diplomatic Courier and the Diplomatic Bag not Accompanied by Diplomatic Courier; vgl. den Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1989, YBILC 1989 II/2, S. 43 f. Vgl. zu diesem Konventionsentwurf auch unten § 16 IV.2.g). A.A. aber Parkhill, ICLR 21 (1998), 565 (576); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 33 f., 217 ff. 75 Aus Art. 73 Abs. 2 WÜK kann ein solches Verbot – etwa im Umkehrschluß aus der Festlegung, daß den Staaten eine Bestätigung und Ergänzung der Exemtionen erlaubt ist – nicht abgeleitet werden. Denn bei der Schaffung des WÜK stand lediglich die Frage im Raum, ob eine Ausweitung der Exemtionen für Konsularbeamte über eine Amtsimmunität hinaus und damit eine Angleichung an die Bestimmungen für Diplomaten wünschenswert sei. Dies wurde zwar mehrheitlich verneint, doch sollte den einzelnen Staaten – und das will Art. 73 Abs. 2 WÜK klarstellen – erlaubt sein, einen solchen Schritt zu tun. Die heute – vor dem Hintergrund des Wandels der Völkerrechtsordnung zu einer Ordnung, die den Schutz der Menschenrechte in den Mittelpunkt stellt – diskutierte Einschränkung von Exemtionen etwa bei schweren Menschenrechtsverletzungen lag damals außerhalb des Blickfelds. Wie hier auch Doehring, Völkerrecht, Rn. 510; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1097. In der Literatur wird dagegen zum Teil im Umkehrschluß aus Art. 73 Abs. 2 WÜK ein Verbot einschränkender Vereinbarungen einzelner Vertragsparteien abgeleitet; so Parkhill, ICLR 21 (1998), 565 (576) und Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 33 f., 217 ff. sowie implizit wohl auch Economedès, Consular Treaties, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 768 (769). Zur Diskussion über Art. 73 Abs. 2 WÜK auf der Wiener Konferenz 1963 vgl. die instruktiven Ausführungen von Lee, Convention on Consular Relations, S. 191 ff. 76 So auch Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 40. Vgl. zudem Verdross/Simma, Völkerrecht, § 539 mit Fn. 24. 74
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gliedern ihrer diplomatischen und konsularischen Vertretung im jeweils anderen Staat von diesem nur in eingeschränktem Maße Exemtionen zu gewähren sind, verstieße auch nicht gegen Ziel und Zweck des WÜD und WÜK. Denn wie Art. 47 WÜD und Art. 72 f. WÜK zeigen, halten die Übereinkommen eine einheitliche Behandlung aller in einem Staat tätigen Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen nicht für geboten.77 6. Von WÜD und WÜK explizit gestattete Abweichungen von den Exemtionsregelungen Art. 47 Abs. 2 lit. a) WÜD und Art. 72 Abs. 2 lit. a) WÜK erlauben dem Empfangsstaat zudem eine eingeschränkte Anwendung der Immunitätsbestimmungen in bezug auf die Vertreter eines Entsendestaates, wenn dieser seinerseits den in diesem Entsendestaat befindlichen eigenen Vertretern bzw. eigenen Missionen die im WÜD bzw. im WÜK normierten Exemtionen nicht vollumfänglich gewährt.78 Diese Regelungen berechtigen zwar nicht schon dann zu einer (einseitigen) Nichtbeachtung der zu gewährenden Exemtionen, wenn sich Vertreter des Entsendestaates nicht an ihre Pflichten halten, etwa im Empfangsstaat Spionage betreiben und so die ihnen zukommenden Exemtionen mißbrauchen. Wohl aber gestatten sie es einem Staat, dessen eigenen Vertretern in einem anderen Staat (völkerrechtswidrig) die im WÜD bzw. im WÜK normierten Exemtionen nicht (vollumfänglich) zuerkannt werden, nun seinerseits den Vertretern dieses Staates im eigenen Staat in gleicher Weise die Vorrechte und Befreiungen zu verkürzen, das heißt einzelne Exemtionen nicht oder nur in reduziertem Maße zu gewähren. Diese Regelung betrifft damit einen im Rahmen des self-contained regime spezialgesetzlich geregelten Anwendungsfall einer völkerrechtlichen Repressalie. Es handelt sich also bei der eingeschränkten Gewährung von Exemtionen nach Art. 47 Abs. 2 lit. a) WÜD oder Art. 72 Abs. 2 lit. a) um einen ausnahmsweise gerechtfertigten, aber an sich völkerrechtswidrigen Akt, der als Reaktion auf einen völkerrechtswidrigen Akt der Gegenseite vorgenommen wird, um diesen zur Einhaltung des Völkerrechts zu bewegen.79 ___________ 77 A.A. aber Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 30 f., 33 f., 40, 218 f., der annimmt, Ziel und Zweck von WÜD und WÜK sei es, einen einheitlichen (Mindest-)Standard für alle diplomatischen und konsularischen Vertreter in einem Staat zu schaffen. 78 Art. 47 Abs. 2 lit. a) lautet: „Es gilt jedoch nicht als [verbotene] Diskriminierung, a) wenn der Empfangsstaat eine Bestimmung dieses Übereinkommens deshalb einschränkend anwendet, weil sie im Entsendestaat auf seine eigene Mission einschränkend angewandt wird“. Art. 72 Abs. 2 lit. a) WÜK ist auf konsularische Vertretungen bezogen, aber sachlich identisch. 79 Vgl. Sen, Diplomat’s Handbook, S. 105 f. Siehe ferner Denza, Diplomatic Law, S. 404 f.; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 4; Polakiewicz, ZaöRV 50 (1990), 761 (778 f.). Da Art. 47 Abs. 2 lit. a) WÜD und Art. 72 Abs. 2 lit. a) WÜK diese Nichtbeachtung von Exemtionen ausdrücklich erlauben, wird in der Literatur aber zum Teil auch von einer Retorsion gesprochen; so etwa Kissel/Mayer, a.a.O., § 18 Rn. 4, 17;
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Zur Anwendung von Art. 47 Abs. 2 WÜD bzw. Art. 72 Abs. 2 WÜK in Deutschland hat der Bundesgesetzgeber die Bundesregierung jeweils durch Art. 2 der Zustimmungsgesetze zum WÜD und WÜK ermächtigt, im Wege des Erlasses einer Rechtsverordnung den Vertretern einzelner Staaten auf der Basis der Gegenseitigkeit weitergehende Vorrechte und Befreiungen zu gewähren bzw. die Vorrechte und Befreiungen nach dem WÜD und dem WÜK zu beschränken.80 Diese Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen, mit denen die Exemtionen für Vertreter einzelner Staaten erweitert bzw. beschränkt werden, findet nach § 18 Satz 2 Hs. 2 und § 19 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 GVG im Verhältnis zu Staaten, die nicht Vertragsstaaten von WÜD und WÜK sind, denen gegenüber die Exemtionsregelungen von WÜD und WÜK also nur aufgrund ihrer auch gewohnheitsrechtlichen Geltung maßgeblich sind, entsprechende Anwendung. Derartige Rechtsverordnungen sind ___________ Kussbach, Vienna Convention on Consular Relations (1963), in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1289 (1292); Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1051. Barnhoorn, NYIL 25 (1994), 39 (48 f.); Denza, a.a.O., S. 404 und Polakiewicz, a.a.O., S. 778 meinen dagegen unter Verweis auf die Debatten innerhalb der ILC bei der Ausarbeitung eines Entwurfs für eine Diplomatenrechtskonvention, erlaubt sei, da der Wortlaut der Normen nur von einer „eingeschränkten“ Anwendung der Exemtionsregelung spreche, nur eine restriktive Anwendung der Exemtionsnormen unter Beachtung der in den Normen des WÜD bzw. des WÜK enthaltenen Mindestverpflichtungen, nicht aber eine Nichtbeachtung und damit ein Verstoß gegen die Exemtionsregelungen. Art. 47 Abs. 2 lit. b) ist nach dieser Auffassung lediglich eine Ausnahmevorschrift von einem in Art. 47 Abs. 1 WÜD normierten Gebot der Gleichbehandlung aller Staaten und erlaubt eine Schlechterstellung eines Staates gegenüber anderen Staaten im Rahmen der von WÜD und WÜK gezogenen Grenzen, wenn der schlechter behandelte Staat seinerseits den in seinem Staat akkreditierten Vertretern des anderen Staates eine entsprechend restriktive Behandlung zukommen läßt. Die Staaten legen aber, wie die Darstellung bei Denza, a.a.O., S. 405 zeigt, Art. 47 Abs. 2 lit. b) in dem Sinne aus, wie er hier verstanden wird, also im Sinne einer Erlaubnis zur (an sich völkerrechtswidrigen) Einschränkung bzw. Nichtgewährung von Exemtionen. Dies gilt auch für die Bundesrepublik; vgl. unten Anm. 80. 80 Der Wortlaut der Ermächtigungen ist hinsichtlich ihres operativen Gehalts identisch. Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zum WÜD vom 6.8.1964 (BGBl. 1964 II, S. 959) lautet: „Zur Durchführung des Art. 47 Abs. 2 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen (…) wird die Bundesregierung ermächtigt, a) ausländischen Missionen und ihren Mitgliedern auf der Grundlage besonderer Vereinbarung mit dem Entsendestaat im Wege der Rechtsverordnung weitergehende diplomatische Vorrechte und Befreiungen nach Maßgabe der Gegenseitigkeit zu gewähren; b) durch Rechtsverordnung zur Herstellung und Gewährleistung der Gegenseitigkeit zu bestimmen, daß die in dem Wiener Übereinkommen vereinbarten Vorrechte, Befreiungen und sonstigen Rechte ausländischen Missionen und deren Mitgliedern in der Bundesrepublik Deutschland nicht oder nicht in vollem Umfang gewährt werden, soweit die Entsendestaaten das Wiener Übereinkommen auf die bei ihnen bestehende Mission der Bundesrepublik Deutschland und ihre Mitglieder einschränkend anwenden. Die Bundesregierung wird insbesondere ermächtigt, die Tätigkeit ausländischer Missionen und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland durch Rechtsverordnung der Art oder Wirkung nach gleichen Einschränkungen zu unterwerfen die für die entsprechende Tätigkeit der Mission der Bundesrepublik Deutschland im Entsendestaat gelten. (…).“
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allerdings bislang – soweit es um den Bereich der Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit geht – nicht erlassen worden.81 7. Exkurs: Der Austausch „Ständiger Vertreter“ zwischen der DDR und der BRD Seit dem Beitritt der DDR zur BRD im Jahr 1990 zwar gegenstandslos, aber als eine der vielen Besonderheiten der deutsch-deutschen Beziehungen von historischem Interesse sind die speziellen Vorrechte und Befreiungen, die den Vertretern der DDR von der BRD gewährt wurden. Da die BRD die DDR nie als souveränen Staat anerkennen wollte, kam die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, die konkludent eine solche Anerkennung bedeutet hätte,82 nicht in Betracht. Nach Abschluß des Grundlagenvertrags83 tauschte man daher ab März 1974 „Ständige Vertreter“ aus, die faktisch die Stellung und Funktion von Botschaftern hatten.84 Die in Berlin (Ost) respektive Bonn, also an den damaligen Regierungssitzen, eingerichteten „Ständigen Vertretungen“ agierten praktisch wie Botschaften. Durch Bundesgesetz vom 16. November 1973 war die Bundesregierung ermächtigt worden, unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit dem Ständigen Vertreter der DDR, den weiteren Mitgliedern der Ständigen Vertretung sowie ihren Familienangehörigen und privaten Hausangestellten Vorrechte und Befreiungen bis zu dem Umfang der Regeln des WÜD einzuräumen.85 Eine derartige Rechtsverordnung wurde von der Bundesregierung am 24. April 1974 erlassen. Sie gewährte den Mitgliedern der Ständigen Vertretung sowie dieser selbst Vorrechte und Befreiungen in genau dem Umfang, in dem das WÜD den Mitgliedern diplomatischer Missionen und diesen selbst Exemtionen zuerkennt – allerdings unter sorgfältiger Vermeidung des Begriffs „Immunität“, offenbar um deutlich zu machen, daß es nicht um völkerrechtlich begründete Befreiungen ging.86 Zur Gewährung von „Be___________ 81 LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 1, § 19 GVG Rn. 1; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 18 GVG Rn. 4, § 19 GVG Rn. 4; BL-ZPO-Albers, § 18 GVG Rn. 1, § 19 GVG Rn. 1. Andere Staaten, etwa Großbritannien, haben ähnliche nationale Regelungen zur Anwendung von Art. 47 Abs. 2 lit. a) WÜD bzw. Art. 72 Abs. 2 lit. a) WÜK, doch kommt diesen dort ebenfalls keine praktische Relevanz zu; vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 405. 82 Vgl. Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 22 Rn. 7. 83 Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 21.12.1972; BGBl. 1973 II, S. 423. 84 Art. 8 Abs. 1 des GrundlagenVertrags lautete: „Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik werden ständige Vertretungen errichten. Sie werden am Sitz der jeweiligen Regierung errichtet.“ 85 § 1 Gesetz über die Gewährung von Erleichterungen, Vorrechten und Befreiungen an die ständige Vertretung der Deutschen Demokratischen Republik; BGBl. 1973 I, S. 1673. 86 Verordnung über die Gewährung von Erleichterungen, Vorrechten und Befreiungen an die Ständige Vertretung der Deutschen Demokratischen Republik; BGBl. 1974 I,
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freiungen“, wie die Terminologie in der Rechtsverordnung lautete, in Analogie zu den Exemtionsregelungen des WÜD hatte sich die BRD im Zuge der tatsächlichen Errichtung der Ständigen Vertretungen im März 1974 gegenüber der DDR auch vertraglich verpflichtet.87 Rein faktisch galten die Exemtionsregelungen des WÜD damit auch für die Vertreter der DDR.
III. Die Aufnahme diplomatischer und konsularischer Beziehungen und die Ernennung von Mitgliedern einer Vertretung In ihren Details werden die diplomatischen und konsularischen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit nur verständlich, wenn man die wesentlichen Grundprinzipien der diplomatischen und konsularischen Beziehungen vor Augen hat. Deshalb sollen im folgenden die Bestimmungen des WÜD und des WÜK über die Aufnahme und die Beendigung diplomatischer und konsularischer Beziehungen, über die Ernennung von Mitgliedern einer Vertretung und die Beendigung ihrer Tätigkeit sowie über die Aufgaben diplomatischer und konsularischer Vertretungen insoweit skizziert werden, als sie Bedeutung für die Exemtionen haben. 1. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Die völkerrechtliche Fähigkeit, ständige diplomatische Beziehungen zu einem anderen Staat aufzunehmen (das sogenannte aktive bzw. passive Gesandtschaftsrecht), kommt jedem souveränen Staat zu, der die völkerrechtlichen Kriterien der Staatlichkeit erfüllt.88 Doch folgt aus dem Gesandtschaftsrecht kein Rechtsan___________ S. 1022. § 2 bestimmte die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten der Vertretung, § 4 die der Archive und Schriftstücke. § 9 regelte die Unverletzlichkeit der geschützten Personen, § 11 unter anderem die Befreiung der Mitglieder der Vertretung und ihrer Familienangehörigen von der Strafgerichtsbarkeit. § 12 enthielt Bestimmungen zum Verzicht auf die Befreiungen, § 19 regelte deren zeitliche Reichweite. Ein bloßer Verweis auf das WÜD schied schon deshalb aus, weil man auf jeden Fall den Anschein vermeiden wollte, die Regelungen beträfen diplomatische Beziehungen bzw. die Vertretung eines ausländischen Staates. Damit sollte jeder Ansatzpunkt für die Annahme einer konkludenten völkerrechtlichen Anerkennung der DDR ausgeschlossen werden; vgl. hierzu die Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des in Anm. 85 genannten Gesetzes, BT-Drucks. 7/424, S. 7, sowie den diesbezüglichen Bericht des BT-Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen, BT-Drucks. 7/720, S. 2. Siehe auch Blumenwitz, Die Errichtung ständiger Vertretungen, S. 45 ff.; LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 3. 87 Vgl. das Protokoll über die Errichtung der Ständigen Vertretungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der deutschen Demokratischen Republik vom 14.3.1974; BGBl. 1974 I, S. 934. Vgl. im übrigen auch den Dokumentenanhang bei Blumenwitz, Die Errichtung ständiger Vertretungen, S. 81 ff. 88 Bei Bundesstaaten hängt es vom Bundesrecht ab, ob nur der Gesamtstaat – der Bund – das aktive oder passive Gesandtschaftsrecht hat oder auch die einzelnen Gliedstaaten; vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 262. Für die Bundesrepublik Deutsch-
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spruch, diplomatische Beziehungen zu einem konkreten anderen Staat aufzunehmen und dort eine diplomatische Mission zu errichten, also dort Räumlichkeiten einzurichten und diplomatisches Personal zu stationieren. Umgekehrt hat kein Staat die Pflicht, der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu einem anderen Staat und der Errichtung einer diplomatischen Mission eines anderen Staates in seinem Hoheitsgebiet zuzustimmen. Art. 2 WÜD bestimmt vielmehr, daß die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Staaten und die Errichtung ständiger diplomatischer Missionen in gegenseitigem Einvernehmen erfolgen. Es steht also jedem Staat frei, ob er der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu einem anderen Staat zustimmt.89 Der Aufnahme diplomatischer Beziehungen folgt in der Regel die wechselseitige Errichtung ständiger diplomatischer Missionen.90 Beide Staaten entsenden dann jeweils ständige diplomatische Vertreter in den anderen Staat, sind also im Verhältnis zueinander stets gleichzeitig Entsende- und Empfangsstaat. Die Übereinkunft, diplomatische Beziehungen zueinander aufzunehmen, schließt nach Art. 2 Abs. 2 WÜK die Zustimmung zur Aufnahme konsularischer Beziehungen ein, sofern nicht explizit eine gegenteilige Feststellung getroffen wird.91 Die Errichtung einer konsularischen Vertretung ist aber unabhängig von der einer diplomatischen Mission. In der Staatenpraxis hat sich jedoch durchgesetzt, daß den diplomatischen Missionen Konsularabteilungen angegliedert werden, die diploma-
___________ land bestimmt Art. 32 Abs. 1 GG, daß ausschließlich der Bund das Gesandtschaftsrecht besitzt. 89 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1979, 7 (20); Brownlie, International Law, S. 342; Cahier, IC 571 (1969), 5 (9); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 262 f.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 488; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 7; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 464 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 988, 1065; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 9 f., 21 ff. (der zutreffend statt von einem “right” von einer “competence” spricht) sowie den kommentierten Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (90) (UN-Dokument A/3859). Als Relikt aus vergangenen Zeiten besitzt zudem der „Heilige Stuhl“ (zu unterscheiden vom Staat Vatikanstadt) das Gesandtschaftsrecht. Vgl. Nascimento E Silva, Diplomacy in International Law, S. 38 ff. 90 Möglich ist, daß einer der beiden oder auch beide Staaten wegen zu geringer politischer Bedeutung oder aus Kostengründen in dem anderen Staat keine ständige Mission errichten, sondern eine in einem dritten, benachbarten Staat errichtete Mission mit der Wahrnehmung der diplomatischen Aufgaben in dem anderen Staat betrauen. Vgl. hierzu Art. 5 WÜD; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 10; den kommentierten Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (90) (UNDokument A/3859) sowie die Darstellung unten bei § 12 III.2.a). 91 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 305; Economidès, Consular Relations, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 765 (766); Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 367; Kommentar zum Entwurf der ILC für eine Konsularrechtskonvention von 1961, YBILC 1961 II, 89 (94) (UN-Dokument A/4843).
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tischen Missionen damit gleichzeitig auch konsularische Aufgaben wahrnehmen. Art. 3 Abs. 2 WÜD betont ausdrücklich, daß das WÜD dem nicht entgegensteht.92 2. Die Ernennung von Mitgliedern einer diplomatischen Mission Bei der Ernennung der Mitglieder einer diplomatischen Vertretung sind die zum Teil gegenläufigen Interessen des Entsende- und des Aufnahmestaates in Ausgleich zu bringen. Dem Entsendestaat ist daran gelegen, möglichst eigenständig und frei entscheiden zu können, welche Personen er mit seiner Vertretung im Empfangsstaat beauftragt. Dieser wiederum hat ein Interesse daran, daß nur solche Personen in seinem Hoheitsgebiet stationiert werden, mit denen aus seiner Sicht eine gedeihliche Zusammenarbeit möglich ist. Da den diplomatischen Vertretern weitreichende Vorrechte und Befreiungen, insbesondere die hier zu untersuchenden Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, zukommen, hat der Empfangsstaat ein legitimes Interesse daran, nur solche Personen akzeptieren zu müssen, die sich dieser Vorrechte und Befreiungen voraussichtlich als würdig erweisen werden. Vor allen Dingen liegt ihm daran zu verhindern, daß Personen ernannt werden, die unter dem Schutzmantel diplomatischer Immunität in seinem Hoheitsgebiet strafbare Aktivitäten entfalten. Diesen potentiell divergierenden Interessen versucht das WÜD durch Regelungen gerecht zu werden, die eine Mitwirkung des Empfangsstaates bei der Auswahl der diplomatischen Vertreter sicherstellen. Dabei ist zwischen der Person des Missionschefs, also des Leiters einer Vertretung,93 dem diplomatischen Personal und den weiteren Beschäftigten einer Mission zu unterscheiden.94
___________ Vgl. auch Art. 70 WÜK, der unter anderem bestimmt, daß sich die Exemtionen derjenigen Mitglieder einer diplomatischen Mission, die mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben betraut sind, weiterhin ausschließlich nach den Bestimmungen des WÜD richten (Art. 70 Abs. 4 WÜK; siehe hierzu Denza, Diplomatic Law, S. 34; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 535). Im übrigen aber richtet sich gemäß Art. 3 S. 2 und Art. 70 Abs. 1 WÜK die Wahrnehmung konsularischer Aufgaben durch eine diplomatische Mission nach den Bestimmungen des WÜK. Vgl. bzgl. der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben durch diplomatische Missionen ferner die Darstellung unten bei Anm. 174 ff. 93 Zum Begriff „Missionschef“ vgl. Art. 1 lit. a) WÜD. 94 Vgl. den kommentierten Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (91) (UN-Dokument A/3859). Im nachfolgenden geht es ausschließlich um völkerrechtliche Regeln zur Rechtsstellung der Mitglieder diplomatischer Missionen. Daneben sind noch die rein nationalen Rechtsvorschriften zu beachten, die im Innenverhältnis des Entsendestaates zu den Mitgliedern seiner diplomatischen Missionen deren Rechtsstellung festlegen. Vgl. für Deutschland das Gesetz über den Auswärtigen Dienst vom 30.8.1990, BGBl. 1990 I, S. 1842. 92
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
a) Die Ernennung eines Missionschefs Nach Art. 4 WÜD darf der Entsendestaat nur eine solche Person zum Missionschef ernennen, mit der der Empfangsstaat einverstanden ist. Die Ernennung erfolgt daher in einem mehrstufigen Verfahren. Der Entsendestaat hat zunächst den Empfangsstaat über die von ihm als Missionschef vorgesehene Person in Kenntnis zu setzen. Dann hat der Empfangsstaat sein Einverständnis in Form eines „Agréments“ auszusprechen. In der Entscheidung, ob er sein Agrément erteilt, ist der Empfangsstaat frei, er kann dieses gemäß Art. 4 Abs. 2 WÜD ohne Angabe von Gründen verweigern. Somit hat der Empfangsstaat ein Vetorecht bezüglich der Person des Missionschefs. Erst nach Erhalt des Agréments darf der Entsendestaat den Missionschef ernennen und sein an den Empfangsstaat gerichtetes „Beglaubigungsschreiben“ ausstellen.95 Nach Art. 15 WÜD legen die Staaten durch Vereinbarung fest, in welche Klasse sie die Missionschefs einordnen wollen, die sie beim jeweils anderen Staat beglaubigen lassen. Nach Art. 14 WÜD gibt es drei Klassen: erstens die Klasse der Botschafter oder Nuntien, wie die Botschafter des Heiligen Stuhls96 bezeichnet werden, zweitens die Klasse der Gesandten, Minister oder – wiederum als Sonderbezeichnung für den Vertreter des Heiligen Stuhls – der Internuntien und drittens die Klasse der Geschäftsträger.97 Heutzutage tauschen aber fast alle Staaten untereinander Botschafter aus.98 Die Frage der Rangfolge der Missionschefs einer Klasse spielt heutzutage nur noch insofern eine Rolle, als der „dienstälteste“ Botschafter in einem Empfangsstaat als „Doyen“ des „Diplomatischen Korps“ sozusagen die Gesamtheit der di___________ 95 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 266 f.; Denza, Diplomatic Law, S. 40 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 489; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 19; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, §§ 475, 479; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 34 ff. sowie den kommentierten Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (91) (UN-Dokument A/3859). 96 Zu dessen Völkerrechtssubjektivität vgl. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 8 Rn. 1 ff. 97 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 264; Denza, Diplomatic Law, S. 90 ff.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 469 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 997 ff.; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 24 ff. sowie den kommentierten Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (93 f.) (UN-Dokument A/3859). 98 Vgl. Blum, Diplomatic Agents and Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1034 (1035); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 265; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 470. Als Geschäftsträger ad interim wird diejenige Person bezeichnet, die im Fall einer Verhinderung des Missionschefs, etwa wenn dieser sich auf einer Auslandsreise oder im Urlaub befindet oder aber längerfristig erkrankt ist, diesen vertritt oder aber die Mission interimistisch führt, solange der Posten des Missionschefs unbesetzt ist. Wer als derartiger „Stellvertreter“ fungiert, bestimmt der Entsendestaat. Vgl. diesbezüglich Art. 19 WÜD. Siehe auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O., S. 264 f.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 23; Jennings/Watts, a.a.O., § 472.
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plomatischen Missionen in einem Staat vertritt.99 Wenn sich beispielsweise die in einem Staat akkreditierten diplomatischen Vertreter zu einem gemeinsamen Auftritt, etwa zu einem gemeinsamen Protest gegen eine Mißachtung einer diplomatischen Immunität, veranlaßt sehen, so obliegt es dem Doyen, diesen anzuführen, also den Protest zu übermitteln.100 Die Rangfolge bestimmt sich gemäß Art. 16 Abs. 1 WÜD nach dem Zeitpunkt des Amtsantrittes (Prinzip der Anciennität). Dieser wiederum richtet sich nach Art. 13 WÜD. Als Zeitpunkt des Amtsantritts gilt – je nach Praxis im betreffenden Staat – entweder der Zeitpunkt der Übergabe des Beglaubigungsschreibens oder aber der Zeitpunkt der Notifizierung der Ankunft, verbunden mit der Überreichung der Abschrift des Beglaubigungsschreibens. In einigen Staaten ist es allerdings üblich, daß stets der jeweilige Nuntius, also der diplomatische Vertreter des Heiligen Stuhls, die Rangfolge anführt und damit als Doyen fungiert, was nach Art. 16 Abs. 3 WÜD statthaft ist.101 Für die im Rahmen dieser Untersuchung relevante Frage nach den Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit ist aber festzustellen, daß weder der Einteilung der Missionschefs in verschiedene Klassen noch der Rangfolge der Missionschefs irgendeine Relevanz zukommt.102 Im Hinblick auf die Exemtionen werden vielmehr alle Missionschefs und alle Mitglieder des weiteren diplomatischen Personals einer Mission gleich behandelt.103 ___________ 99 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 265; Denza, Diplomatic Law, S. 97 f.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 473; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1002 ff.; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 52 ff. 100 In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß die Mißachtung der diplomatischen Vertretern zukommenden Vorrechte und Befreiungen durch den Empfangsstaat nicht nur eine Völkerrechtsverletzung gegenüber dem Entsendestaat darstellt, sondern auch eine Verletzung der Rechte der gesamten Staatengemeinschaft. Insofern wirken die Bestimmungen des Diplomatenrechts erga omnes und ist jeder Staat – im Rahmen des Völkerrechts – zu Reaktionen befugt. Grund hierfür ist, daß das Funktionieren diplomatischer Beziehungen nicht nur als im Interesse des jeweiligen Entsende- und Empfangsstaates, sondern wegen der Bedeutung der Beziehungen für den Erhalt des Friedens als im allgemeinen Interesse der Staatengemeinschaft liegend angesehen wird. Daher wird auf Rechtsverletzungen durch den Empfangsstaat häufig in Form eines gemeinsamen Protests der Entsendestaaten reagiert. Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 265; Doehring, Völkerrecht, Rn. 499, 675; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 21; Herdegen, Völkerrecht, § 38 Rn. 2; Kokott/Doehring/Buergenthal, Grundzüge des Völkerrechts, Rn. 460 und IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (42 f.). 101 So auch in der Bundesrepublik entsprechend dem Schlußprotokoll zum (heute als Bundesrecht weitergeltenden) Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20.7.1933, RGBl. 1933 II, S. 679 (689). Vgl. auch Denza, Diplomatic Law, S. 96 f. 102 Blum, Diplomatic Agents and Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1034 (1035); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 265; Doehring, Völkerrecht, Rn. 491; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 130 f. 103 Vgl. Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 491; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 130.
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Hinzuweisen ist jedoch noch auf zwei Besonderheiten, denen vor allem im Rahmen der diplomatischen Beziehungen zu kleineren Staaten Bedeutung zukommt. Nach Art. 5 WÜD kann ein Staat ein und dieselbe Person als Missionschef für mehrere Staaten beglaubigen, wenn keiner der beteiligten Empfangsstaaten hiergegen Einspruch erhebt.104 So werden regelmäßig Botschafter, die in einem großen oder für den Entsendestaat bedeutsamen Staat akkreditiert sind und dort auch tatsächlich tätig sind, gleichzeitig als Botschafter in benachbarten kleineren und weniger bedeutsamen Staaten beglaubigt. Ebenso wie ein Botschafter können nach Art. 5 Abs. 1 WÜD auch Mitglieder des diplomatischen Personals einer Botschaft gleichzeitig in dem anderen Staat akkreditiert werden. „Mehrfach akkreditierte“ Botschafter und sonstige Diplomaten genießen nicht nur gegenüber der (Straf-)Gerichtsbarkeit des Staates, in dem sie hauptsächlich stationiert sind, sondern auch gegenüber der Gerichtsbarkeit des anderen Staates Exemtionen. Hinsichtlich der diesen Diplomaten zukommenden Exemtionen ist jeder Staat, bei dem sie akkreditiert sind, isoliert und einzeln zu betrachten, also so, als wäre die Person ausschließlich bei diesem (Empfangs-)Staat akkreditiert.105 Umgekehrt können mehrere Staaten nach Art. 6 WÜD dieselbe Person bei einem anderen Staat als Missionschef beglaubigen, sofern dieser Empfangsstaat keine ___________ Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 489; Denza, Diplomatic Law, S. 44 ff.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 24 f.; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 29 ff. 105 Dies bedeutet, daß „mehrfach akkreditierte“ Diplomaten, da Diplomaten nach Art. 31 WÜD gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates umfassende Immunität ratione personae genießen, während ihrer Amtszeit in jedem der Empfangsstaaten vollständige Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen, unabhängig davon, wo eine Tat begangen wurde und, ob eine Tat bei der Wahrnehmung diplomatischer Aufgaben im Rahmen der diplomatischen Beziehungen zu dem einen oder zu dem anderen Staat (oder aber als Privathandlung) verübt wurde. Anders stellt sich die Rechtslage nach Beendigung der dienstlichen Tätigkeit der Diplomaten dar. Nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD genießen sie gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates weiterhin Immunität in bezug auf die in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Handlungen, also Immunität ratione materiae. Diese fortdauernde Immunität für Diensthandlungen gilt aber nur für solche dienstlichen Handlungen, die im Rahmen der diplomatischen Beziehungen zu dem jeweiligen Entsendestaat vorgenommen wurden. Für dienstliche Tätigkeiten, die ein „mehrfach akkreditierter“ Diplomat im Rahmen der diplomatischen Beziehungen zu dem einen Staat vorgenommen hat, kann er also nach Dienstbeendigung in dem anderen Staat keine fortdauernde Immunität ratione materiae nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD beanspruchen. Ein Diplomat, der in den Staaten A und B akkreditiert war und während seiner Dienstzeit in beiden Staaten vollständige Immunität genoß, ist nach Dienstbeendigung also im Staat A nur in bezug auf solche dienstlichen Handlungen immun, die er im Rahmen der diplomatischen Beziehungen zu Staat A vorgenommen hat, während er diese Amtsimmunität nicht auch für solche dienstlichen Handlungen genießt, die er im Rahmen seiner Arbeit als im Land B akkreditierter Diplomat vorgenommen hat. Wegen dieser Diensthandlungen kann er sich gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Landes A dann nur auf die allgemeine Staatenimmunität berufen. In Beziehung auf die dienstliche Tätigkeit, die der Diplomat im Rahmen der Tätigkeit als Diplomat im Staat B vorgenommen hat, hat er im Staat A nach Dienstbeendigung die gleiche Rechtsstellung wie in jedem anderen Drittstaat auch. Vgl. ausführlich zur Rechtsstellung diplomatischer und konsularischer Vertreter in Drittstaaten unten § 15 I. 104
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Einwände erhebt. Mehrere Staaten können sich also gewissermaßen einen Missionschef und eine Mission „teilen“.106 In bezug auf die hier interessierenden Exemtionen ist dieser Fall unproblematisch, ein solcher Missionschef genießt dieselben Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, die ihm zukämen, wenn er lediglich von einem einzigen Entsendestaat beglaubigt worden wäre.107 Die verschiedenen Entsendestaaten sind insofern als Einheit zu betrachten.108 b) Die Ernennung des diplomatischen Personals und der weiteren Beschäftigten einer Mission aa) Das Recht des Entsendestaates zur freien Auswahl und Einstufung der Beschäftigen Gemäß Art. 7 WÜD kann der Entsendestaat die Mitglieder des Personals einer Mission, worunter nach Art. 1 lit. c) WÜD die Mitglieder des diplomatischen Personals, also die in diplomatischem Rang stehenden Beschäftigten, das Verwaltungs- und technische Personal sowie das dienstliche Hauspersonal einer Mission fallen, grundsätzlich nach freiem Ermessen ernennen.109 Die Zustimmung des Empfangsstaates in Form eines Agréments ist also nur beim Missionschef erforderlich.110 Allerdings gibt es auch hinsichtlich der Ernennung des Personals einer Mission einige vom Entsendestaat zu beachtende Schranken. Nach Art. 8 Abs. 1 WÜD sollen die im diplomatischen Rang stehenden Mitglieder der Mission, also die „Di___________ Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 263; Denza, Diplomatic Law, S. 44 ff.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 26 sowie Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 26 ff. 107 Er genießt also nach Art. 31 Abs. 1 WÜD während seiner Dienstzeit im Empfangsstaat vollständige Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Nach Amtsbeendigung genießt er gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD weiterhin Immunität beschränkt auf solche Handlungen, die er in bezug auf seine dienstliche Tätigkeit vorgenommen hat, unabhängig davon, für welchen der Staaten, die ihn beglaubigt hatten, er im konkreten Fall tätig geworden ist. 108 Bedeutung hat diese einheitliche Betrachtung in bezug auf einen Verzicht auf die Exemtionen: Während der Amtszeit ist eine strafrechtliche Inanspruchnahme nur möglich, sofern beide Staaten einen Exemtionsverzicht erklärt haben. Für einen Verzicht auf die nach Amtsbeendigung allein fortdauernde Immunität ratione materiae gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD kommt es allerdings darauf an, für welchen Staat im konkreten Fall agiert wurde. Dann ist lediglich ein Immunitätsverzicht dieses Staates erforderlich und geboten. 109 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 267; Denza, Diplomatic Law, S. 50 ff.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 22, 30 sowie den kommentierten Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (91) (UN-Dokument A/3859). 110 Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 99; Denza, Diplomatic Law, S. 50. Ein Zustimmungerfordernis war zwar bei der Ausarbeitung des WÜD auf der Wiener Konferenz erwogen worden, doch konnten sich entsprechende Forderungen nicht durchsetzen; vgl. Barker, a.a.O., S. 99 f.; Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 (411 f.). 106
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
plomaten“, grundsätzlich Staatsangehörige des Entsendestaates sein, damit Loyalitätskonflikte vermieden werden. Staatsangehörige des Empfangsstaates dürfen nach Art. 8 Abs. 2 WÜD nur mit Zustimmung des Empfangsstaates zu diplomatischem Personal ernannt werden.111 Bei Militär-, Marine- und Luftwaffenattachés kann der Empfangsstaat gemäß Art. 7 Satz 2 WÜD wegen der diesbezüglich latent vorhandenen Spionagegefahr verlangen, daß ihm ihre Namen vor Ernennung zwecks Zustimmung mitgeteilt werden. Diese Bestimmung wird überwiegend so interpretiert, daß der Entsendestaat, sofern der Empfangsstaat ein solches Verlangen stellt, nur Personen für diese Posten ernennen darf, die die Zustimmung des Empfangsstaates erhalten haben.112 Der Entsendestaat hat selbst festzulegen, welcher Kategorie eine Person angehört, ob sie also zum diplomatischen Personal, zum Verwaltungs- und technischen Personal oder zum dienstlichen Hauspersonal gehört. Ihm kommt nach Art. 7 WÜD die alleinige Kompetenz zur Statusbestimmung zu.113 Da – wie unten in § 13 I. gezeigt wird – der Umfang der einer Person zukommenden Exemtionen abhängig ist von der Personalkategorie, der sie zugehört, hat es der Entsendestaat durch die Einordnung seines Personals in die verschiedenen Kategorien in gewisser Hinsicht in der Hand, selbst die Reichweite der einzelnen Personen zukommenden Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu bestimmen. Allerdings ist der Entsendestaat nicht völlig frei in seiner Entscheidung, welcher Kategorie er eine Person zuordnet. Vielmehr hat er die Einordnung davon abhängig zu machen, in welchem Tätigkeitsbereich die zu ernennende Person schwerpunktmäßig tätig werden soll.114 Die Staatenpraxis hält sich an diese Kompetenzzuweisung jedoch immer weniger. So behalten sich beispielsweise die USA und Großbritannien das Recht vor, selbst den Status der auf ihrem Hoheitsgebiet tätigen Mitglieder fremder diplomatischer Missionen anhand ihnen vorzulegender Angaben über Tätigkeitsbereich, berufliche Vorbildung, bisherige berufliche Tätigkeit und ähnliches festzulegen.115 Es kann aber (noch) nicht davon ausgegangen werden, daß diese Staaten___________ Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 56 ff. sowie den kommentierten Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (91 f.) (UN-Dokument A/3859). 112 Vgl. den kommentierten Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (91) (UN-Dokument A/3859): “The receiving State may (…) require their names to be submitted beforehand for approval.” 113 So auch Denza, Diplomatic Law, S. 54; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 72; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 135 ff.; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 145. 114 Zu der Frage, welche Tätigkeiten dem diplomatischen Personal, dem Verwaltungsund technischen Personal sowie dem dienstlichen Hauspersonal im einzelnen obliegen, vgl. unten die Darstellung der den verschiedenen Gruppen zukommenden Exemtionen bei § 13 I. Zu der Frage, wie der Empfangsstaat auf eine seiner Meinung nach fehlerhafte Einordnung reagieren kann, siehe unten Anm. 120. 115 Vgl. Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (55 ff.); Denza, Diplomatic Law, S. 15 f., 55; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 57; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, 111
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praxis völkergewohnheitsrechtlichen Charakter erlangt hat und so das WÜD durch neues Völkergewohnheitsrecht modifiziert worden ist. Diese Praxis ist daher mit dem Diplomatenrecht unvereinbar.116 bb) Das Recht des Empfangsstaates zur Erklärung einer Person zur persona non grata oder nicht genehmen Person Auch wenn der Entsendestaat das Personal seiner Mission im wesentlichen frei bestimmen kann, so hat der Empfangsstaat doch die Möglichkeit, Personen zu verhindern, die ihm nicht genehm sind. Gemäß Art. 9 Abs. 1 WÜD kann der Empfangsstaat dem Entsendestaat jederzeit notifizieren, daß der Missionschef oder ein Mitglied des diplomatischen Personals der Mission sogenannte persona non grata ist oder daß ein anderes Mitglied der Mission ihm „nicht genehm“ ist. In diesen Fällen hat der Entsendestaat die betreffende Person entweder abzuberufen oder ihre Tätigkeit bei der Mission zu beenden. Eine Person kann auch schon zur persona non grata oder „nicht genehmen“ Person erklärt werden, bevor sie im Hoheitsgebiet des Empfangsstaates eintrifft.117 Diese seit der Entstehung des Diplomatenrechts anerkannte118 und vom WÜD lediglich übernommene Möglichkeit des Empfangsstaates, bestimmte Personen als Mitglieder einer Mission von vornherein zu verhindern oder aber jederzeit die Beendigung ihres Status als Mitglied der Mission zu verlangen, ist das bedeutendste Recht des Empfangsstaates im Diplomatenrecht überhaupt. Der Empfangsstaat darf zwar regelmäßig die Ernennung des Personals einer Mission nicht von seiner vorherigen Zustimmung abhängig machen, hat aber die Möglichkeit, jederzeit die Ab___________ S. 72 f. Fn. 154; Matz, Vienna Convention on Diplomatic Relations (1961), Add. 1999, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1301 (1302); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 135 f. Das gilt auch für die Statusbestimmung von Mitgliedern konsularischer Vertretungen; vgl. Kadelbach, Vienna Convention on Consular Relations (1963), Add. 2000, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1289 (1294). 116 So auch Denza, Diplomatic Law, S. 54; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 136 f. A.A. wohl Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (55 ff.). Zwar ist angesichts der Auswirkungen der Statusbestimmung auf die Reichweite der einer Person zukommenden Vorrechte und Befreiungen ein Interesse des Empfangsstaates an einer Einflußnahme auf die Statusbestimmung nachvollziehbar, doch berücksichtigt das WÜD dieses Interesse bereits dadurch, daß es dem Empfangsstaat die Möglichkeit einräumt, jederzeit eine bestimmte Person „abzulehnen“; vgl. unten Anm. 120. So auch Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 145. 117 Vgl. Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 101 ff., 109 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 267 f., 292 f.; Denza, Diplomatic Law, S. 59 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 493; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 28, 31; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 522; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 157 ff. sowie den kommentierten Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (91) (UN-Dokument A/3859). 118 Vgl. die Darstellung oben bei § 11 II.2.b).
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berufung bzw. Beendigung der Tätigkeit einer Person zu verlangen. Dies gilt nicht nur für den Missionschef selbst und das diplomatische Personal, bei dem terminologisch eine Erklärung zur persona non grata erfolgt, sondern auch für das Verwaltungs- und technische Personal sowie das dienstliche Hauspersonal, bei dem von einer Erklärung als „nicht genehm“ gesprochen wird.119 Bedeutsam ist, daß eine Erklärung nach Art. 9 Abs. 1 WÜD ohne Angabe von Gründen erfolgen kann. Damit soll von vornherein Streit über die „Berechtigung“ einer solchen Erklärung verhindert und dem Empfangsstaat die Möglichkeit gegeben werden, nach freiem politischem Ermessen über die Akzeptanz bestimmter Personen zu befinden. Da der Empfangsstaat den Aufenthalt und die Tätigkeit des Personals einer fremden Mission in seinem Hoheitsgebiet „dulden“ muß und diese wegen der ihnen zukommenden Exemtionen seiner Jurisdiktionsgewalt weitgehend entzogen sind, soll er zumindest die Möglichkeit haben, jederzeit und ohne Angabe von Gründen die Beendigung der dienstlichen Tätigkeit einer Person zu verlangen.120 Die Erklärung einer Person als non grata bzw. nicht genehm bietet dem Empfangsstaat nicht nur die Möglichkeit, den Amtsantritt bestimmter für ihn nicht akzeptabler Personen zu verhindern, sondern stellt vor allem auch eine Form der Reaktion auf Rechtsverstöße von Diplomaten und anderen Beschäftigten der Mission dar, auf die wegen der Exemtionen nicht strafrechtlich reagiert werden darf.121
___________ 119 Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 31; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 159. Fehlgehend daher Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 268; Kommentar zum Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (91) (UN-Dokument A/3859). 120 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (39 f.). Auf diese Weise kann der Empfangsstaat auch reagieren, wenn er zwar nicht eine Person als solche ablehnt, er aber mit ihrer Einstufung in eine bestimmte Kategorie (vgl. die Ausführungen oben bei Anm. 114) nicht einverstanden ist. Wenn etwa der Entsendestaat einen Fahrer als zum diplomatischen Personal gehörig ernennt, damit dieser in den „Genuß“ weitreichender Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gelangt, so kann der Empfangsstaat hierauf durch eine Erklärung zur persona non grata reagieren. Die Formalisierung des Verfahrens der Ernennung von Mitgliedern diplomatischer Missionen verbietet es dem Empfangsstaat aber, eine nach Art. 10 WÜD notifizierte und daher formal ordnungsgemäße Einordnung in eine bestimmte Kategorie durch den Entsendestaat zu verwerfen und durch eine eigene, den Tatsachen vermeintlich besser entsprechende Einordnung zu ersetzen. Denn damit hätte es der Empfangsstaat in der Hand, auch rückwirkend die einzelnen Personen zustehenden Exemtionen zu verkürzen bzw. diesen Exemtionen zu versagen. Damit aber wäre die Gefahr des Mißbrauchs gegeben. Auch wenn die Staatenpraxis zum Teil anders verfährt (vgl. oben bei Anm. 115), so ist doch festzuhalten, daß der Empfangsstaat zunächst an die Einordnung durch den Entsendestaat gebunden ist und lediglich durch eine Erklärung nach Art. 9 WÜD pro futuro auf (vermeintliche) falsche Einordnungen reagieren kann. 121 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (39); Denza, Diplomatic Law, S. 62 f.
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cc) Notifizierungspflichten des Entsendestaates Die Befugnis, bestimmte Personen als non grata bzw. nicht genehm zu erklären, kann aber nur dann ein effektives Instrument des Empfangsstaates zur Verhinderung von für ihn nicht akzeptablen Personen sein, wenn er Kenntnis hat über die Mitglieder des Personals einer diplomatischen Mission. Daher obliegen dem Entsendestaat gegenüber dem Empfangsstaat bestimmte Notifizierungsverpflichtungen.122 Gemäß Art. 10 Abs. 1 WÜD hat er den Empfangsstaat zu informieren über die Ernennung von Mitgliedern der Mission, ihre Ankunft und endgültige Abreise oder die Beendigung ihrer dienstlichen Tätigkeit. Auch über Ankunft und Abreise von Familienangehörigen eines Mitglieds der Mission, über die Tatsache, daß eine Person den Status eines Familienangehörigen erwirbt oder verliert, über die Ankunft und Abreise von privaten Hausangestellten von Mitgliedern der Mission und über die Einstellung und Entlassung von im Empfangsstaat ansässigen Personen, soweit diesen Exemtionen zukommen, ist der Empfangsstaat zu benachrichtigen. Damit der Empfangsstaat die Möglichkeit wahrnehmen kann, eine Person schon vor ihrer Ankunft im Empfangsstaat als non grata bzw. nicht genehm zu erklären, ist die Ankunft – ebenso wie die endgültige Abreise – gemäß Art. 10 Abs. 2 WÜD nach Möglichkeit im voraus zu notifizieren.123 Die Notifizierung hat aber keine konstitutive Wirkung.124 3. Die Aufnahme konsularischer Beziehungen Neben dem Gesandtschaftsrecht kommt jedem souveränen Staat auch die Fähigkeit zu, konsularische Beziehungen zu anderen Staaten aufzunehmen.125 Wie hinsichtlich der diplomatischen Beziehungen setzt aber auch die Aufnahme konsularischer Beziehungen ein Einverständnis der beiden Staaten voraus, zwischen denen konsularische Beziehungen begründet werden sollen. Art. 2 Abs. 1 WÜK betont, die Aufnahme konsularischer Beziehungen erfolge in gegenseitigem Einvernehmen. Eine Pflicht zur Aufnahme konsularischer Beziehungen kennt das Völkerrecht nicht.126 Allerdings schließt – wie bereits erwähnt – die Zustimmung zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen gemäß Art. 2 Abs. 3 WÜK die zur Auf___________ Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 32. Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 33, berichtet, daß in der Staatenpraxis in der Regel nicht im voraus notifiziert wird. 124 Vgl. Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 (411 f.). 125 Economidès, Consular Relations, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 765 (765). 126 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 305; Doehring, Völkerrecht, Rn. 509; Economidès, Consular Relations, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 765 (765); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 3; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1079 f.; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 247 f. sowie den kommentierten Entwurf der ILC für eine Konsularrechtskonvention von 1961, YBILC 1961 II, 89 (94) (UN-Dokument A/4843). 122 123
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nahme konsularischer Beziehungen ein, sofern keine abweichende Feststellung getroffen wird. Der Aufnahme konsularischer Beziehungen folgt typischerweise (aber nicht notwendigerweise) die wechselseitige Errichtung einer oder mehrerer ständiger konsularischer Vertretungen des einen (Entsende-)Staates im anderen (Empfangs-)Staat.127 Während ein Staat in einem anderen Staat stets nur eine einzige diplomatische Mission einrichten darf, kann der Entsendestaat im Empfangsstaat, sofern er dies angesichts der geographischen, politischen oder sonstigen Verhältnisse für sinnvoll erachtet, mehrere konsularische Vertretungen errichten.128 Nach Art. 4 Abs. 1 WÜK setzt jede Errichtung einer konsularischen Vertretung aber die Zustimmung des Empfangsstaates voraus. Über den Ort der Errichtung, den Rang129 und den Konsularbezirk einer Vertretung130 entscheidet zwar gemäß Art. 4 Abs. 2 WÜK der Entsendestaat, doch bedarf die Entscheidung der Genehmigung durch den Empfangsstaat. Ähnlich wie im Recht der diplomatischen Beziehungen ist es nach Art. 7 WÜK statthaft, daß ein Staat die konsularischen Aufgaben nicht durch eine im anderen Staat errichtete konsularische Vertretung wahrnimmt, sondern eine in einem dritten Staat errichtete eigene konsularische Vertretung mit der Wahrnehmung der konsularischen Aufgaben auch in dem anderen Staat betraut. Voraussetzung für eine solche Entscheidung ist aber, daß die beteiligten Staaten hiergegen auf Mitteilung durch den Entsendestaat keinen Einspruch erheben.131 Hinsichtlich der hier interessierenden Exemtionen der Konsularbeamten von der Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten sind die beteiligten Staaten, also der Staat, in dem die konsularische Vertretung ihren Sitz hat, und der Staat, in dem die konsularische Vertretung ebenfalls konsularische Aufgaben wahrnimmt, isoliert zu betrachten, also so, als wären die
___________ Economidès, Consular Relations, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 765 (766). Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 4; Lee, Convention on Consular Relations, S. 25 ff.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 538; SeidlHohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1077 f.; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 249 f. 129 Der Rang einer konsularischen Vertretung bestimmt sich nach dem Rang des Leiters der Vertretung. Gemäß Art. 9 WÜK gibt es Generalkonsuln, Konsuln, Vizekonsuln und Konsularagenten. Entsprechend gibt es Generalkonsulate, Konsulate, Vizekonsulate und Konsularagenturen; vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. a) WÜK. Vizekonsulate und Konsularagenturen sind allerdings nach Art. 4 Abs. 4 WÜK lediglich einem Generalkonsulat oder Konsulat zugeordnete „Außenstellen“. Vgl. Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 539. 130 Als „Konsularbezirk“ wird nach Art. 1 Abs. 1 lit. b) WÜK das einer konsularischen Vertretung für die Wahrnehmung konsularischer Aufgaben zugeteilte Gebiet bezeichnet. Grundsätzlich darf ein Konsularbeamter nur in dem Bezirk seiner konsularischen Vertretung tätig werden; Art. 6 WÜK. Siehe auch Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 538. 131 Vgl. den ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (99) (UN-Dokument A/4843). 127 128
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Konsularbeamten und übrigen Mitglieder der konsularischen Vertretung nur bei dem Staat akkreditiert, dessen Strafgerichtsbarkeit in Frage steht.132 Nach Art. 8 WÜK kann – sofern der Empfangsstaat keinen Einspruch erhebt – eine konsularische Vertretung des Entsendestaates im Empfangsstaat zudem auch konsularische Aufgaben für einen dritten Staat wahrnehmen.133 Für die konsularischen Vertretungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Staaten außerhalb der Europäischen Union hat diese Regelung eine gewisse Bedeutung, weil diese Vertretungen nach Art. 20 EGV verpflichtet sind, den Unionsbürgern eines anderen Staates der Union, der in dem betreffenden Staat keine eigene konsularische Vertretung hat, denselben konsularischen Schutz zu gewähren wie seinen eigenen Staatsbürgern.134 Im Hinblick auf die den Mitgliedern konsularischer Vertretungen zukommenden Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit sind in einem solchen Fall deren dienstliche Handlungen stets als Diensthandlungen des Entsendestaates zu betrachten. Nach Art. 18 WÜK können zudem zwei oder mehr Staaten mit Zustimmung des Empfangsstaates dieselbe Person zum Konsularbeamten bestellen.135 Im Hinblick auf die einer solchen Person zukommende strafrechtliche Immunität für Diensthandlungen ist darauf abzustellen, für welchen der Staaten eine strafrechtlich relevante Diensthandlung im konkreten Fall vorgenommen wurde.136
___________ Dies bedeutet, daß die Konsularbeamten in jedem der beteiligten Staaten persönliche Unverletzlichkeit nach Art. 41 Abs. 1 WÜK genießen. Bei der ihnen sowie den Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals nach Art. 43 Abs. 1 WÜK zukommenden Amtsimmunität für Handlungen, die sie in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen haben, gilt es zu differenzieren. Für Handlungen, die im Rahmen der konsularischen Beziehungen zu einem der beteiligten Staaten vorgenommen wurden, kann die betreffende Person lediglich Immunität gegenüber der Strafgerichtsbarkeit diese Staates, nicht aber auch gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des anderen Staates geltend machen. Denn die Amtsimmunität nach Art. 43 Abs. 1 WÜK gilt nicht für alle dienstlichen Handlungen, sondern bloß für solche im Rahmen der jeweiligen konsularischen Beziehungen. Entsprechendes gilt nach Art. 58 Abs. 2 WÜK für Wahlkonsularbeamte. In bezug auf hoheitliche Diensthandlungen, die im Rahmen der konsularischen Beziehungen zu dem einen Staat vorgenommen wurden, kann die betreffende Person sich gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des anderen Staates aber auf die Staatenimmunität berufen. Insofern ist der andere Staat wie jeder Drittstaat zu behandeln. Siehe zur vergleichbaren Situation im Diplomatenrecht oben Anm. 105. Vgl. ferner ausführlich zur Rechtsstellung diplomatischer und konsularischer Vertreter in Drittstaaten unten § 15 I. 133 Vgl. den kommentierten Entwurf der ILC für eine Konsularrechtskonvention von 1961, YBILC 1961 II, 89 (99) (UN-Dokument A/4843). 134 Vgl. Magiera, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 20 Rn. 3 ff. 135 Vgl. den ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (104) (UN-Dokument A/4843) und Lee, Consular Law and Practice, S. 60 ff. 136 Dies hat vor allem Bedeutung für die Frage, welcher Staat zu einem Verzicht auf die Immunität berechtigt ist. Siehe zur vergleichbaren Situation im Diplomatenrecht oben Anm. 107 f. 132
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4. Die Ernennung von Mitgliedern einer konsularischen Vertretung Wie bei der Ernennung der Mitglieder diplomatischer Missionen, so sind auch bei der Ernennung der Mitglieder konsularischer Vertretungen die Interessen des Entsendestaates, der möglichst frei über sein Personal entscheiden möchte, und die des Empfangsstaates, der in seinem Hoheitsgebiet nur solche Mitglieder einer konsularischen Vertretung akzeptieren will, die ihm genehm sind, in Einklang zu bringen. Ähnlich wie das WÜD enthält deshalb das WÜK detaillierte Regelungen über die Ernennung von Mitgliedern einer konsularischen Vertretung und deren Abberufung bzw. Dienstbeendigung.137 a) Die Ernennung eines Leiters einer konsularischen Vertretung Das Verfahren der Ernennung des Leiters einer konsularischen Vertretung138 entspricht im wesentlichem dem der Ernennung des Chefs einer diplomatischen Mission. Der Entsendestaat hat gemäß Art. 10 Abs. 1 WÜK eine Person zum Leiter der Vertretung zu bestellen und hierüber den Empfangsstaat nach Art. 11 WÜK mittels eines „Bestallungsschreibens“ zu informieren. Der Empfangsstaat hat dann zu entscheiden, ob er die betreffende Person als Leiter der Vertretung akzeptiert und bei einer positiven Entscheidung die Person zuzulassen. Diese Zulassung im Wege einer „Ermächtigung zur Ernennung“ wird gemäß Art. 12 Abs. 1 WÜK als „Exequatur“ bezeichnet. Das Exequatur entspricht dem Agrément im Diplomatenrecht. Es kann gemäß Art. 12 Abs. 2 WÜK ohne Angabe von Gründen verweigert werden. Erst nach Erteilung des Exequaturs kann der Entsendestaat den Leiter einer konsularischen Vertretung ernennen. Der Empfangsstaat hat damit ähnlich wie bei der Ernennung des Chefs einer diplomatischen Mission ein „Vetorecht“.139 Der Leiter einer konsularischen Vertretung wird nach Art. 9 WÜK entsprechend dem Rang der Vertretung in eine der vier Klassen Generalkonsul, Konsul, Vize-
___________ 137 Im Rahmen dieser Untersuchung geht es nur um völkerrechtliche Regeln zur Rechtsstellung der Mitglieder konsularischer Vertretungen. Daneben sind noch die rein nationalen Rechtsvorschriften zu beachten, die im Innenverhältnis des Entsendestaates zu den Mitgliedern seiner konsularischen Vertretungen deren Rechtsstellung festlegen. Vgl. für Deutschland das Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (Konsulargesetz) vom 11.9.1974, BGBl. 1974 I, S. 2317. 138 Zum Begriff „Leiter einer konsularischen Vertretung“ siehe Art. 1 Abs. 1 lit. c) WÜK. Zur Vertretung eines Leiters einer konsularischen Vertretung im Fall von dessen zeitweiliger Verhinderung sowie bei Vakanz des Posten des Leiters vgl. Art. 15 WÜK und den ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (103) (UN-Dokument A/4843). 139 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 309 f.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 8; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 543; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1081 f.; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 253 ff. sowie den ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (100 ff.) (UN-Dokument A/4843).
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konsul oder Konsularagent eingeteilt.140 Die Rangfolge innerhalb einer Klasse richtet sich gemäß Art. 16 WÜK grundsätzlich nach dem Tag, an dem das Exequatur erteilt wurde. Für die Frage der einem Leiter einer konsularischen Vertretung zukommenden Vorrechte und Befreiungen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit spielen Klasse und Rangfolge aber wie bei den Chefs diplomatischer Missionen keine Rolle.141 b) Die Ernennung von Mitgliedern des konsularischen Personals aa) Das Recht des Entsendestaates zur freien Auswahl und Einstufung der Beschäftigen Die Mitglieder des konsularischen Personals, worunter gemäß Art. 1 lit. h) WÜK die Konsularbeamten mit Ausnahme des Leiters der Vertretung, die Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals und die Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals fallen, werden gemäß Art. 19 Abs. 1 WÜK vom Entsendestaat nach grundsätzlich freiem Ermessen bestellt.142 Dem Entsendestaat kommt auch die alleinige Kompetenz zu, über die Zuordnung einzelner Personen zu einer der Kategorien von Beschäftigten zu befinden.143 Die Konsularbeamten, also die unmittelbar mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben betrauten Personen, sollen allerdings nach Art. 22 Abs. 1 WÜK Staatsangehörige des Entsendestaates sein.144
___________ Vgl. Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 539; Lee, Consular Law and Practice, S. 34 ff. und den ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (99 f.) (UN-Dokument A/4843). 141 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 309; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 9; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 132 sowie den ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (103 f.) (UN-Dokument A/4843). 142 Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 10; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 87 und den ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (104 f.) (UNDokument A/4843). Der Vorschlag, die Ernennung von Mitgliedern des konsularischen Personals generell von einer Zustimmung des Empfangsstaates abhängig zu machen, fand bei der Ausarbeitung des WÜK auf der Wiener Konferenz 1963 keine Zustimmung; vgl. Herndl, AVR 11 (1963/64), 417 (437 f.). 143 Vgl. Lee, Consular Law and Practice, S. 40; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 87; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 135 ff. Dies ergibt sich auch aus Art. 19 Abs. 2 WÜK. Wenn danach die Kategorie einer Person dem Empfangsstaat lediglich zu notifizieren ist, so liegt die Einordnung zwangsläufig in der Kompetenz des Entsendestaates. Auch im Konsularrecht wird diese Kompetenz des Entsendestaates zur Statusbestimmung in der Staatenpraxis allerdings vielfach mißachtet; vgl. Kadelbach, Vienna Convention on Consular Relations (1963), Add. 2000, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1289 (1294). 144 Angehörige des Empfangsstaates dürfen gemäß Art. 22 Abs. 2 WÜK nur mit dessen ausdrücklicher Zustimmung zu Konsularbeamten bestellt werden. Vgl. auch Art. 22 Abs. 3 WÜK und den ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (106) (UN-Dokument A/4843). 140
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bb) Das Recht des Empfangsstaates zur Erklärung einer Person zur persona non grata oder nicht genehmen Person Auch wenn die Mitglieder des konsularischen Personals damit allein vom Entsendestaat ernannt werden und diesem wie im Diplomatenrecht die Kompetenz zur Statusbestimmung zukommt, so kann sich doch der Empfangsstaat wie im Diplomatenrecht gegen eine für ihn nicht akzeptable Person bzw. eine seiner Auffassung nach unzutreffende Zuordnung zu einer der Kategorien der Mitglieder konsularischer Vertretungen wehren, indem er die betreffende Person nach Art. 23 Abs. 1 WÜK zur persona non grata (sofern es sich um einen Konsularbeamten handelt) bzw. zur „nicht genehmen Person“ (sofern es sich um ein anderes Mitglied der konsularischen Vertretung handelt) erklärt. Auch im Konsularrecht kann die Notifikation einer Person als non grata bzw. nicht genehm jederzeit erfolgen und braucht, da es sich um eine ausschließlich im politischen Ermessen des Empfangsstaates liegende Entscheidung handelt, gemäß Art. 23 Abs. 4 WÜK nicht begründet zu werden.145 Eine Erklärung kann gemäß Art. 23 Abs. 3 WÜK schon abgegeben werden, bevor eine zum Mitglied einer konsularischen Vertretung bestellte Person im Hoheitsgebiet des Empfangsstaates eingetroffen ist bzw. bevor sie ihre dienstliche Tätigkeit aufnimmt. In einem solchen Fall hat der Entsendestaat die Bestellung rückgängig zu machen. Die Erklärung zur persona non grata bzw. nicht genehmen Person kann aber auch in bezug auf ein Mitglied einer konsularischen Vertretung abgegeben werden, das bereits in dieser Funktion tätig ist. Insofern ist die Erklärung zur persona non grata bzw. nicht genehmen Person das wichtigste Instrument des Empfangsstaates zur Reaktion auf politisch nicht akzeptables oder sogar gegen die Rechtsordnung des Empfangsstaates verstoßendes Verhalten eines Mitglieds einer konsularischen Vertretung. Sofern das Verhalten der betreffenden Person als konsularische Diensthandlung zu bewerten und damit von einer ihr zukommenden Immunität von strafrechtlicher Verantwortlichkeit umfaßt ist, stellt die Erklärung zur persona non grata sogar die einzige Möglichkeit der Reaktion auf ein Fehlverhalten dar, sieht man einmal vom Abbruch konsularischer Beziehungen ab. Ist eine bereits als Mitglied einer konsularischen Vertretung tätige Person zur persona non grata erklärt worden, so hat der Entsendestaat diese gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 WÜK abzuberufen bzw. ihre Tätigkeit bei der konsularischen Vertretung zu beenden.
___________ 145 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 310; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 10; Lee, Convention on Consular Relations, S. 32 ff.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 543 sowie den ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (106 f.) (UN-Dokument A/4843).
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cc) Notifizierungspflichten des Entsendestaates Wie im Diplomatenrecht hat der Entsendestaat dem Empfangsstaat, damit dieser über den Personalbestand der konsularischen Vertretungen informiert ist und gegebenenfalls Maßnahmen nach Art. 23 WÜK ergreifen kann, gemäß Art. 24 WÜK den Empfangsstaat unter anderem über die Bestellung von Mitgliedern der Vertretung, ihre Ankunft, endgültige Abreise oder Beendigung der dienstlichen Tätigkeit sowie über alle weiteren ihre Stellung betreffenden Änderungen zu informieren, und zwar nach Möglichkeit im voraus.146 Bei Konsularbeamten hat die Information gemäß Art. 19 Abs. 2 WÜK sogar zwingend im voraus zu erfolgen, damit der Empfangsstaat in die Lage versetzt wird, diese nach Art. 23 Abs. 3 WÜK bereits vor Dienstantritt zu personae non gratae zu erklären.147 dd) Die Unterscheidung zwischen Berufs- und Wahlkonsularbeamten Wie erwähnt, waren die ersten Konsuln von den in einem Staat ansässigen Kaufleuten einer Nation aus ihrer Mitte gewählte Vertrauensleute. Später wurden die Konsuln dann nicht mehr von der örtlichen Kaufmannschaft gewählt, sondern vom Heimatstaat der Kaufleute ernannt. Zudem wurden nicht mehr nur ortsansässige Personen ernannt, sondern vielfach auch Personen aus dem einen Staat zur hauptberuflichen Wahrnehmung konsularischer Aufgaben auf Zeit in den anderen Staat entsandt. Hieraus resultierte die Entstehung von zwei unterschiedlichen Kategorien von Konsularbeamten: den Berufskonsularbeamten einerseits und den Wahlkonsularbeamten andererseits. Das WÜK hat diese zwei Kategorien übernommen und differenziert in vielerlei Hinsicht – auch in bezug auf den Umfang der den Mitgliedern einer konsularischen Vertretung zukommenden Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit – zwischen diesen beiden Arten von Konsularbeamten. So gelten die Regelungen des Kapitel II WÜK (Art. 28–57) nur für konsularische Vertretungen, die von Berufskonsularbeamten geleitet werden, die Regelungen des Kapitel III WÜK (Art. 58–68) allein für die von Wahlkonsularbeamten geleiteten Vertretungen (vgl. Art. 1 Abs. 2 WÜK). Berufskonsularbeamte (consules missi) sind Konsularbeamte, die ihrer Tätigkeit hauptberuflich nachkommen, in einem festen Anstellungsverhältnis zum Entsendestaat stehen und von diesem für ihre Tätigkeit entlohnt werden. Regelmäßig handelt es sich um Personen, die von dem Entsendestaat zur Wahrnehmung konsularischer Aufgaben für gewisse Zeit in den Empfangsstaat entsandt werden. In vielen Staaten, so auch in der Bundesrepublik, sind die Laufbahnen des diplomatischen und berufskonsularischen Staatsdienstes nicht getrennt. Eine Person kann daher im ___________ Vgl. den ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (107) (UN-Dokument A/4843). Vgl. Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 164. 146 147
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Rahmen einer Auslandsverwendung als diplomatischer Vertreter, im Rahmen der nächsten als Konsularbeamter eingesetzt werden.148 Wahlkonsularbeamte (consules electi) sind Konsularbeamte, die im Empfangsstaat einer anderweitigen (beruflichen) Tätigkeit nachgehen, aber eine enge Verbindung zum „Entsendestaat“ haben. In der Regel haben sie die Staatsangehörigkeit des „Entsendestaates“, doch ist dies nicht zwingend.149 Sie werden vom Entsendestaat mit der nebenberuflichen Wahrnehmung konsularischer Tätigkeiten betraut und führen diese „ehrenhalber“ aus. Da es sich aber nicht (mehr) um gewählte, sondern ebenfalls um ernannte Personen handelt, ist die vom WÜK noch verwendete Bezeichnung „Wahlkonsularbeamte“ nicht korrekt. Moderner und präziser ist die synonym gebrauchte Bezeichnung „Honorarkonsularbeamte“.150
IV. Die Beendigung diplomatischer und konsularischer Beziehungen sowie der Tätigkeit von Mitgliedern einer Vertretung 1. Die Beendigung diplomatischer Beziehungen Da es – wie gezeigt – keinen Anspruch auf Aufnahme diplomatischer Beziehungen gibt, sondern diese nach Art. 2 WÜD in gegenseitigem Einvernehmen aufgenommen werden, haben die Staaten auch jederzeit das Recht, einseitig die diplomatischen Beziehungen zu einem anderen Staat zu beenden. Man spricht dann von einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen.151 Von diesem schärfsten Mittel der Reaktion auf (völker-)rechtswidriges oder auch lediglich politisch inakzeptables Verhalten des anderen Staates bzw. seiner Vertreter im Empfangsstaat wird in der Praxis aber kaum Gebrauch gemacht. Auf Rechtsverstöße durch einzelne Mitglieder einer Mission wird, auch wenn diese durch den Entsendestaat bzw. den ___________ Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 308 f.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 7; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 537; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1085. 149 Nach Art. 21 Abs. 1 des deutschen Konsulargesetzes, BGBl. 1974 I, S. 2317 (2321) können zu deutschen Honorarkonsuln sowohl deutsche Staatsbürger als auch Ausländer ernannt werden. 150 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 309; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 7; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 537; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 250 f.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1073 ff. 151 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1979, 7 (20); IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (40); Dahm/ Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 293 f.; Denza, Diplomatic Law, S. 392 f.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 488; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 11; Jennings/ Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 523. Die diplomatischen Beziehungen enden auch bei einem Untergang eines der beiden Staaten; vgl. OVG Münster, AVR 36 (1998), 345 (347); Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O., S. 294 f.; Denza, a.a.O., S. 21. So endeten mit dem Untergang der DDR im Zuge ihres Beitritts zur BRD im Jahr 1990 automatisch die diplomatischen Beziehungen zwischen Drittstaaten und der DDR. 148
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Missionschef veranlaßt wurden, regelmäßig nur durch die Erklärung der betreffenden Personen zu personae non gratae bzw. nicht genehmen Personen nach Art. 9 Abs. 1 WÜD reagiert. Eine solche Erklärung wird zum Teil verbunden mit dem Verlangen nach einer Reduzierung des Personalbestands gemäß Art. 11 Abs. 1 WÜD. 2. Die Beendigung der Tätigkeit von Mitgliedern einer diplomatischen Mission Mit Beendigung der diplomatischen Beziehungen endet automatisch auch die dienstliche Tätigkeit des jeweiligen Missionschefs und der Mitglieder des Personals der jeweiligen diplomatischen Mission. Die „normale“ Form der Beendigung der dienstlichen Tätigkeit ist jedoch die der Abberufung der entsandten bzw. der Entlassung der ortsansässigen Mitglieder einer Mission durch den Entsendestaat. Es ist international üblich, daß die entsandten Mitglieder einer Mission, vor allem die Diplomaten, also die Missionschefs und die übrigen Vertreter mit diplomatischem Rang, nur wenige Jahre auf einem „Posten“ verbleiben und dann in einer anderen Auslandsvertretung oder im Außenministerium des Entsendestaates eingesetzt werden.152 Neben dieser jederzeit und ohne Einverständnis des Empfangsstaates möglichen Beendigung der dienstlichen Tätigkeit auf eigene Initiative des Entsendestaates hin steht die Abberufung bzw. Entlassung auf Betreiben des Empfangsstaates. Die Möglichkeit des Empfangsstaates, gemäß Art. 9 Abs. 1 WÜD jederzeit auch ohne Angabe von Gründen die Abberufung bzw. Entlassung von Mitgliedern einer diplomatischen Mission zu verlangen, wurde bereits erörtert.153 Es wurde darauf hingewiesen, daß der Entsendestaat nach der Notifikation einer Erklärung einer Person als non grata oder nicht genehm durch den Empfangsstaat verpflichtet ist, die dienstliche Tätigkeit der betreffenden Person durch Abberufung oder Entlassung zu beenden. Gemäß Art. 43 lit. a) WÜD ist die Tätigkeit eines Diplomaten – und dies muß in gleicher Weise auch für die übrigen Mitglieder einer Mission gelten – aber erst in dem Moment als (durch den Entsendestaat) beendet anzusehen, in dem der Entsendestaat dem Empfangsstaat die Beendigung der dienstlichen Tätigkeit notifiziert.154 Eine besondere Konstellation ergibt sich, wenn der Entsendestaat nach der Erklärung einer Person als non grata bzw. nicht genehm durch den Empfangsstaat seiner ___________ 152 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 292; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 521. Darüber hinaus endet die „persönliche Mission“ einer Person natürlich durch ihren Tod. Vgl. zu diesem Fall Art. 39 Abs. 3 und 4 WÜD sowie Jennings/Watts, a.a.O., vol. I, § 529. 153 Vgl. oben § 12 III.2.b)bb). 154 Vgl. LG Heidelberg, NJW 1970, 1514 (1514). Dieser Zeitpunkt ist auch für das Ende bestimmter Exemtionen von Relevanz; vgl. Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD und unten § 13 III.2.
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Pflicht zur Beendigung der dienstlichen Tätigkeit dieser Person nicht nachkommt. In einem solchen Fall gibt Art. 9 Abs. 2 WÜD dem Empfangsstaat, da ansonsten der Entsendestaat eine Erklärung nach Art. 9 Abs. 1 WÜD durch bloße Ignorierung ins Leere laufen lassen könnte, die Möglichkeit, von sich aus die dienstliche Tätigkeit eines Mitglieds der Mission zu beenden.155 Art. 9 Abs. 2 lautet: „Weigert sich der Entsendestaat oder unterläßt er es innerhalb einer angemessenen Frist, seinen Verpflichtungen auf Grund des Absatzes 1 nachzukommen, so kann der Empfangsstaat es ablehnen, die betreffende Person als Mitglied der Mission anzuerkennen.“
Als Weigerung ist die explizite oder aus den Umständen konkludent ableitbare eindeutige Erklärung des Entsendestaates zu verstehen, die betreffende Person weiterhin als Mitglied der Mission anzusehen. Liegt eine solche Erklärung nicht vor, kommt es darauf an, ob der Entsendestaat innerhalb einer angemessenen Frist reagiert hat oder nicht. Welche Frist angemessen ist, richtet sich nach den Umständen. Da die Abberufung bzw. Beendigung der dienstlichen Tätigkeit nicht mit dem Ende der Vorrechte und Befreiungen zusammenfällt, sondern die Exemtionen gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD nach Dienstbeendigung zumindest noch für die Zeit, die für eine ordentliche Ausreise aus dem Empfangsstaat erforderlich ist, fortbestehen, braucht die Frist bis zur Abberufung bzw. Dienstbeendigung als solche nicht sehr lang zu sein und muß bei ihrer Festlegung nicht auf die betreffende Person selbst Rücksicht genommen werden. Vielmehr bestimmt sich diese Frist zur Abberufung ausschließlich danach, wieviel Zeit zur verwaltungstechnischen Umsetzung des Abberufungsverlangens erforderlich ist. Dies dürften nur einige wenige Tage sein.156 Allerdings führt die bloße Weigerung oder der Ablauf einer angemessenen Frist nicht automatisch zu einer Beendigung der dienstlichen Tätigkeit. Vielmehr hat der Empfangsstaat in einem solchen Fall eine weitere Erklärung gegenüber dem Entsendestaat abzugeben, aus der sich ergibt, daß der Empfangsstaat sich nunmehr weigert, die betreffende Person als Mitglied der Mission anzuerkennen. Erst mit ___________ 155 Vgl. Verdross/Simma, Völkerrecht, § 891 (mit Nachweisen zur älteren Staatenpraxis) sowie den kommentierten Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (91) (UN-Dokument A/3859). In der Praxis spielt diese Fallkonstellation keine Rolle. Vielmehr kommen die Staaten in der Regel einem Abberufungsverlangen nach; vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 71. 156 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 71, die eine Frist von zwei Tagen für das Minimum hält. In der Praxis setzen Empfangsstaaten, die eine Person als non grata bzw. nicht genehm erklären, häufig selbst eine Frist bis zur Ausreise. Zwar können die Empfangsstaaten die Länge der Fristen nach Art. 9 Abs. 2 und Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD (die beiden Fristen sind voneinander zu trennen. Im Fall eines Untätigbleibens des Entsendestaates enden die Exemtionen erst nach Ablauf der zweiten Frist; vgl. hierzu unten § 13 III.2.a)bb)) nicht einseitig festlegen, sondern allenfalls kundtun, welchen Zeitraum sie in Anbetracht der Umstände als angemessen betrachten, doch werden solche Fristen in der Praxis von den Entsendestaaten beachtet. Regelmäßig reagieren diese dann aber mit einer „Ausweisung“ bei ihm akkreditierter Vertreter des Empfangsstaates unter Setzung einer gleich langen Frist, so daß schon diese Reziprozität die einseitige Festlegung zu kurzer Fristen verhindert.
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dieser erneuten Erklärung endet gemäß Art. 43 lit. b) WÜD die dienstliche Tätigkeit.157 Das Verfahren zur Beendigung der Tätigkeit einer Person durch den Empfangsstaat ist in einem solchen Fall also zweistufig. Zunächst ist dem Entsendestaat die Erklärung einer Person als non grata bzw. nicht genehm zu notifizieren. Dann ist die Reaktion des Entsendestaates abzuwarten. Weigert sich dieser, die dienstliche Tätigkeit der Person zu beenden oder unterläßt er es schlicht, dies innerhalb einer angemessenen Frist zu tun, so kann jetzt der Entsendestaat durch eine zweite Notifikation dem Entsendestaat mitteilen, daß er die Person nicht mehr als Mitglied der Mission anerkennt. Damit erst endet dann die dienstliche Tätigkeit. 3. Die Beendigung konsularischer Beziehungen Es steht jedem Staat frei, jederzeit die konsularischen Beziehungen zu einem anderen Staat abzubrechen. Insofern gilt das zum Abbruch diplomatischer Beziehungen Gesagte entsprechend.158 Allerdings ist zu beachten, daß zwar in der Zustimmung zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen gleichzeitig die Zustimmung zur Aufnahme konsularischer Beziehungen enthalten ist, nicht aber umgekehrt der Abbruch diplomatischer Beziehungen automatisch auch zum Abbruch der konsularischen Beziehungen führt. Art. 2 Abs. 3 WÜK stellt dies ausdrücklich fest.159 Damit haben die Staaten die Möglichkeit, auch nach Abbruch diplomatischer Beziehungen auf der politisch weniger bedeutsamen Ebene der konsularischen Beziehungen weiterhin zu kommunizieren; vor allem aber können sie so weiterhin den Schutz ihrer im Empfangsstaat befindlichen Staatsbürger sicherstellen. 4. Die Beendigung der Tätigkeit von Mitgliedern einer konsularischen Vertretung Die dienstliche Tätigkeit von Mitgliedern einer konsularischen Vertretung endet selbstverständlich mit Beendigung der konsularischen Beziehungen. Im Regelfall aber wird die Tätigkeit einzelner Mitglieder einer Vertretung durch ihre individuelle Abberufung bzw. Entlassung durch den Entsendestaat beendet.160 Diese indivi___________ 157 LG Heidelberg, NJW 1970, 1514 (1515); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 268 Fn. 11, 292; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 28. 158 Wie die diplomatischen Beziehungen, so enden auch die konsularischen Beziehungen automatisch mit dem Untergang des Entsende- oder Empfangsstaates; vgl. Dahm/ Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 315; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 312 f.; Kommentar zum Entwurf der ILC für eine Konsularrechtskonvention von 1961, YBILC 1961 II, 89 (107) (UN-Dokument A/4843). 159 Doehring, Völkerrecht, Rn. 506; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 367. 160 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 314. Der Tod einer Person hat selbstverständlich ebenfalls die automatische Beendigung der „persönlichen Mission“ zur Folge; vgl. Sen, Diplomat’s Handbook, S. 312 und den ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (107) (UN-Dokument A/4843).
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duelle Beendigung der konsularischen Tätigkeit erfolgt normalerweise aus eigenem Antrieb des Entsendestaates. Wie bei diplomatischen Vertretern ist es auch bei Berufskonsularbeamten üblich, daß diese nach einer gewissen Zeit auf einen neuen Posten versetzt werden. Als Zeitpunkt für die Beendigung der dienstlichen Tätigkeit gilt nach Art. 25 lit. a) WÜK die Notifizierung der Beendigung der Tätigkeit nach Art. 24 WÜK. Die Initiative zur Beendigung der dienstlichen Tätigkeit kann aber – wie bereits dargelegt wurde161 – auch vom Empfangsstaat ausgehen, indem dieser eine Person zur persona non grata bzw. zur nicht genehmen Person erklärt. In diesem Fall ist der Entsendestaat nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 WÜK zur Abberufung verpflichtet. Auch hier stellt sich natürlich die Frage, wie der Empfangsstaat reagieren kann, wenn der Entsendestaat seiner Abberufungsverpflichtung nicht nachkommt. Ähnlich wie im Diplomatenrecht hat der Entsendestaat dann die Möglichkeit, durch eine zweite Erklärung nach Art. 25 lit. c) WÜK i.V.m. Art. 23 Abs. 2 WÜK von sich aus die Tätigkeit einer Person für beendet zu erklären, womit er diese dann nicht mehr als Mitglied der konsularischen Vertretung anzuerkennen braucht. Der einschlägige Art. 23 Abs. 2 WÜK lautet: „Weigert sich der Entsendestaat oder unterläßt er es innerhalb einer angemessenen Frist, seinen Verpflichtungen auf Grund des Absatzes 1 nachzukommen, so kann der Empfangsstaat entweder der betreffenden Person das Exequatur entziehen oder sie nicht weiterhin als Mitglied des konsularischen Personals betrachten.“162
V. Die von WÜD und WÜK gestatteten Tätigkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen Im Konsularrecht wird – wie in § 13 I.2. und 3. gezeigt wird – in strafrechtlicher Hinsicht ausschließlich Immunität ratione materiae, also eine Exemtion für in Wahrnehmung dienstlicher Tätigkeiten vorgenommene (Amts-)Handlungen gewährt. Auch im Diplomatenrecht genießen – wie in § 13 I.1. ausführlich erörtert wird – einige Personengruppen lediglich Immunität ratione materiae. Zudem erlischt nach Beendigung der dienstlichen Tätigkeit eines Diplomaten zwar seine umfassende Immunität ratione personae, doch bleibt die von dieser mitumfaßte Immunität ratione materiae für Diensthandlungen gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD auf unbegrenzte Zeit bestehen. Es ist daher erforderlich, die völkerrechtlich zulässigen Aufgaben und damit das Spektrum möglicher dienstlicher Tätigkeiten ___________ Vgl. oben § 12 III.4.b)bb). Zu beachten ist, daß ebenso wie im Diplomatenrecht die Weigerung der Abberufung durch den Entsendestaat bzw. der Fristablauf allein nicht ausreichen für die Dienstbeendigung, sondern nach Art. 25 lit. c) WÜK hierfür eine zweite an den Entsendestaat gerichtete Erklärung des Empfangsstaates erforderlich ist. Vgl. auch den ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (106) (UN-Dokument A/4843). 161 162
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von Angehörigen diplomatischer und konsularischer Vertretungen zu bestimmen.163 1. Die Aufgaben diplomatischer Vertretungen Die Aufgaben diplomatischer Vertretungen ergeben sich aus Art. 3 WÜD.164 Danach ist es unter anderem Aufgabe einer diplomatischen Mission, den Entsendestaat im Empfangsstaat zu vertreten, die Interessen des Entsendestaates und seiner Staatsangehörigen im Empfangsstaat zu schützen, mit der Regierung des Empfangsstaates zu verhandeln, sich über die Verhältnisse im Empfangsstaat zu unterrichten und darüber an die eigene Regierung zu berichten sowie die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Entsende- und Empfangsstaat zu fördern, namentlich im wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Bereich.165 Diese Aufzählung von Funktionen ist ausdrücklich nicht abschließend, doch müssen sich weitere Aktivitäten an dieser Aufgabenzuweisung orientieren und mit den aufgelisteten Aufgaben in Zusammenhang gebracht werden können. Ansonsten kann der Empfangsstaat Einwendungen erheben und den dienstlichen Charakter einer Handlung verneinen.166 Da der Empfangsstaat für dienstliche Handlungen umfassend und zeitlich unbegrenzt Immunität ratione materiae gewähren muß, hat er ein Interesse daran, daß sich die dienstliche Tätigkeit im Rahmen der völkerrechtlich anerkannten Aufgaben bewegt.167 Kennzeichen der diplomatischen Beziehungen ist, daß die Vertretungsaufgaben vor allem gegenüber den obersten Regierungsstellen des Empfangsstaates wahrgenommen werden, es sich mithin um Aufgaben im engeren politischen Bereich handelt.168 Art. 41 Abs. 2 WÜD legt fest, daß alle Amtsgeschäfte mit dem Empfangsstaat mit dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten oder dem anderen im ___________ 163 Vgl. ausführlich zur Abgrenzung des von Immunität ratione materiae erfaßten Handelns zu nicht geschützten Verhaltensweisen unten § 13 II. Auf den Zusammenhang zwischen der Aufgabenzuweisung und den Immunitäten weist zu Recht Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 14 hin. 164 Innerstaatlich werden die Bestimmungen des Art. 3 WÜD ergänzt durch § 1 Gesetz über den Auswärtigen Dienst vom 30.8.1990, BGBl. 1990 I, S. 1842 (1842). 165 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 269 ff.; Denza, Diplomatic Law, S. 29 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 496; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 13; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, §§ 482 ff.; Salmon, Manuel de Droit Diplomatique, S. 103 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 972; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 56 ff. 166 Vgl. ausführlich unten § 13 II.5. 167 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 269, die zutreffend darauf hinweisen, daß die Aufgabenzuweisung in Art. 3 WÜD die Tätigkeiten umreißt, gegen deren Ausübung der Empfangsstaat keine Einwände erheben darf, und die berichten, daß die USA im Jahr 1985 von der Vertretung Neuseelands verlangten, die Vermittlung von Flugreisen und damit den Betrieb eines Reisebüros einzustellen. 168 Vgl. Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 972.
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gegenseitigen Einvernehmen bestimmten Ministerium des Empfangsstaates zu führen oder über diese zu leiten sind.169 Zur Vertretung und zum Schutz der Interessen des Entsendestaates und seiner Staatsbürger gehört damit zwar primär der Kontakt zu Regierungsstellen des Empfangsstaates, doch beschränkt sich der Aufgabenbereich nicht auf eine Kommunikation mit den obersten staatlichen Behörden. Wenn es darum geht, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Staaten zu fördern und die wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen auszubauen, sind die möglichen Handlungsformen nahezu unbegrenzt. Sie reichen von Repräsentationstätigkeiten wie der Teilnahme an Festakten und der Durchführung eigener Veranstaltungen über die Kontaktaufnahme zu Wirtschaftsunternehmen und die Organisation von Reisen parlamentarischer Delegationen des Entsendestaates im Empfangsstaat bis hin zur Beantwortung von Anfragen von Bürgern des Empfangsstaates. Als zweiter großer Aufgabenkreis neben dem der Vertretung der Interessen des Entsendestaates und seiner Staatsbürger ist die Informationsbeschaffung zu nennen. Seit jeher haben die Diplomaten die Regierung des Entsendestaates über die Verhältnisse und Entwicklungen im Empfangsstaat zu informieren. Laut Art. 3 Abs. 1 lit. d) WÜD müssen sich die Diplomaten bei der Informationsbeschaffung allerdings auf den Einsatz von nach dem Recht des Empfangsstaates zulässigen Mitteln beschränken. Während die Auswertung von Medienberichten und regierungsamtlichen Veröffentlichungen, die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen und Parlamentsdebatten sowie die Führung von Gesprächen mit politischen Entscheidungsträgern und Vertretern zugelassener politischer Parteien und privater Organisationen damit grundsätzlich statthafte Arten der Informationsbeschaffung sind, ist eine heimliche Informationsgewinnung durch Spionageaktivitäten nicht von Art. 3 WÜD gedeckt.170 Zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben genießen alle Mitglieder einer diplomatischen Mission Freizügigkeit innerhalb des Hoheitsgebiets des Empfangsstaates nach Art. 26 WÜD171 und das Recht der freien Nachrichtenübermittlung nach Art. 27 Abs. 1 WÜD.172 ___________ Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 378 f. Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 270 f. 171 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 273f.; Denza, Diplomatic Law, S. 168 ff.; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 361; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 127 ff. Im Rahmen des „Kalten Krieges“ haben die Ost- und die Westmächte wechselseitig die Bewegungsfreiheit ihrer Diplomaten häufig auf den Bereich der jeweiligen Hauptstadt beschränkt. Dies galt vor allem für Moskau und Washington. Eine solche Beschränkung ist aber völkerrechtswidrig. Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O.; Denza, a.a.O., S. 8 f.; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, a.a.O. 172 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 272 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 496; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 70 f., 73; Seidl-Hohenveldern/ 169 170
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Eine wesentliche Schranke für sämtliche diplomatische Tätigkeiten stellt die in Art. 41 Abs. 1 WÜD aufgestellte Pflicht der Diplomaten dar, einerseits die Gesetze und anderen Rechtsvorschriften des Empfangsstaates zu beachten, also sämtliche Aktivitäten nur im Rahmen der Rechtsordnung des Empfangsstaates durchzuführen, sowie andererseits sich nicht in die inneren Angelegenheiten des Empfangsstaates einzumischen. Das Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten ist dabei weiter als das Interventionsverbot des Art. 2 Nr. 7 der UN-Charta. So dürfen zwar die Interessen des Entsendestaates gegenüber den Regierungsstellen des Empfangsstaates zum Ausdruck gebracht werden, doch wäre es als Einmischung in die inneren Angelegenheiten zu bewerten, wenn diplomatische Vertreter zur Wahl einer bestimmten Partei aufforderten, sich öffentlichkeitswirksam zu bestimmten politischen Projekten äußerten, an politischen Demonstrationen teilnähmen oder revolutionäre Umtriebe unterstützten, auch wenn derartige Aktivitäten den (vermeintlichen) Interessen des Entsendestaates dienen sollten.173 Neben den genannten originären diplomatischen Aufgaben darf eine diplomatische Mission auch konsularische Aufgaben wahrnehmen.174 Es wurde bereits erwähnt, daß viele Staaten ihren diplomatischen Missionen zu diesem Zweck konsularische Abteilungen angliedern. Art. 3 Abs. 2 WÜD betont ausdrücklich, daß das WÜD nicht so auszulegen sei, als schließe es die Wahrnehmung konsularischer Aufgaben durch eine diplomatische Mission aus. Umstritten ist, ob Voraussetzung hierfür die Zustimmung des Empfangsstaates ist.175 Die Durchführung der konsularischen Aufgaben richtet sich gemäß Art. 3 Satz 2 WÜK und Art. 70 Abs. 1 WÜK allerdings auch in diesem Fall nach den Bestimmungen des WÜK.176 2. Die Aufgaben konsularischer Vertretungen Während die Diplomaten politische Repräsentanten ihrer Regierung sind und die Vertretungsaufgaben diplomatischer Missionen vornehmlich im engeren politischen Bereich angesiedelt sind, es also primär um Beziehungen zu den obersten ___________ Stein, Völkerrecht, Rn. 1051 f. Zu den im Zusammenhang mit der Nachrichtenübermittlung relevanten Exemtionen siehe unten § 16 III. und IV. 173 Vgl. American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 464 Reporters’ Note 3; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 271; Denza, Diplomatic Law, S. 373 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 497; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 59; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 487; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 97 f.; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 88 ff.; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 889. 174 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 31 ff.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 14, § 38 Rn. 6 sowie den ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (94) (UN-Dokument A/4843). 175 Bejahend Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 14; verneinend Economidès, Consular Relations, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 765 (766 f.). Zum Streit bei der Ausarbeitung des WÜD vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 31 f. 176 Vgl. diesbezüglich auch oben Anm. 92.
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Regierungsstellen des Empfangsstaates geht, können die Aufgaben von Konsuln ganz grob dahingehend charakterisiert werden, daß diese – wie auch Art. 38 WÜK zeigt – im wesentlichen in Kontakt treten zu untergeordneten Organen des Empfangsstaates und vornehmlich mit unpolitischen und verwaltungstechnischen Aufgaben betraut sind.177 Zu den „unpolitischen Aufgaben“ zählt vor allem die Interessenvertretung und Kontaktpflege im Bereich der kommerziellen, wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen, zu den „verwaltungstechnischen Aufgaben“ in erster Linie die Unterstützung und Betreuung eigener Staatsangehöriger, die sich im Empfangsstaat aufhalten, sowie die Bearbeitung von Einreisewünschen in den Entsendestaat und Ausstellung notwendiger Einreisedokumente. Es ist aber festzuhalten, daß eine scharfe Trennung zwischen konsularischen und diplomatischen Aufgaben nicht immer möglich ist. Vor allem die Förderung der wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen gehört sowohl zum Aufgabenbereich der diplomatischen Missionen als auch zu dem der konsularischen Vertretungen. Zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben genießen die Mitglieder einer konsularischen Vertretung nach Art. 34 WÜK volle Bewegungs- und Reisefreiheit im Empfangsstaat sowie Kommunikationsfreiheit nach Art. 35 WÜK.178 Einen umfangreichen Katalog der zulässigen konsularischen Aufgaben enthält Art. 5 WÜK.179 Die konsularischen Funktionen, die im Lauf der Zeit kontinuierlich erweitert wurden, lassen sich danach in vier Bereiche untergliedern:180 x Aufgaben im Bereich der wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen: Die konsularischen Vertretungen haben die Beziehungen im Bereich der Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft zu fördern und die Interessen des Entsendestaates sowie seiner Staatsbürger und der dort ansässigen Unternehmen in diesem Bereich zu vertreten.181 Die Pflege und Vermittlung von Kontakten zu Unternehmen, Unternehmensverbänden, Wissenschaftseinrichtungen und Verwal___________ 177 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 305; Doehring, Völkerrecht, Rn. 504; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 549; Seidl-Hohenveldern/ Stein, Völkerrecht, Rn. 974, 1072. 178 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 311; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 15; Lee, Consular Law and Practice, S. 429 ff. 179 Der Kreis der in Art. 5 WÜK genannten Aufgaben kann vom Entsendestaat, sofern der Empfangsstaat keinen Einspruch erhebt, einseitig erweitert werden. Weitere Aufgabenzuweisungen sind durch völkerrechtlichen Vertrag statthaft; vgl. Art. 5 lit. m) WÜK. Die in Art. 5 WÜK explizit genannten Tätigkeiten sind jedoch insofern von besonderem Belang, als diese dem Entsendestaat nicht vom Empfangsstaat untersagt werden dürfen. 180 Die Untergliederung folgt der Darstellung von Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 307 f. Vgl. zum Aufgabenkreis konsularischer Vertretungen ferner Doehring, Völkerrecht, Rn. 505; Economidès, Consuls, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 770 (772 ff.); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 5 f.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 544 ff.; Lee, Convention on Consular Relations, S. 51 ff.; ders., Consular Law and Practice, S. 115 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 974; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 268 ff. 181 Vgl. Art. 5 lit. b) WÜK.
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tungsstellen im Empfangsstaat, die Organisation und Förderung von Kulturveranstaltungen und die Information über Arbeits-, Forschungs- und Studienaufenthalte im Entsendestaat sind einige der möglichen Handlungen. Daneben gehört zu diesem Aufgabenbereich auch die Beschaffung von Informationen über Entwicklungen im wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Bereich im Empfangsstaat.182 x Schutz und Vertretung der Interessen von Staatsangehörigen des Entsendestaates: Die konsularischen Vertretungen sind Anlaufstellen für die Staatsbürger des Entsendestaates, die sich im Empfangsstaat aufhalten. Sie haben diese in Notsituationen und in ihren Beziehungen zu den Behörden des Empfangsstaates zu unterstützen.183 Zu diesen Aufgaben gehört unter anderem die Betreuung nach Unglücksfällen, die Vertretung gegenüber Gerichten und Verwaltungsbehörden, die Vermittlung von Rechtsanwälten bei Strafverfahren und die Betreuung von eigenen Staatsbürgern, die im Empfangsstaat inhaftiert sind.184 x Administrative und notarielle Aufgaben: Den konsularischen Vertretungen obliegt eine Vielzahl unterschiedlichster administrativer Aufgaben. Sie sind gewissermaßen Verwaltungsbehörden des Entsendestaates im Ausland und nehmen die Verwaltungsaufgaben des Entsendestaates wahr, die notwendigerweise bzw. sinnvollerweise im Empfangsstaat erledigt werden. Die bedeutendste Verwaltungsaufgabe wurde bereits genannt: die Bearbeitung von Einreisewünschen in den Entsendestaat und die Ausstellung von Einreisedokumenten.185 Daneben zählen zu den Verwaltungsangelegenheiten je nach Festlegung durch den Entsendestaat die Ausstellung von Personaldokumenten an im Empfangsstaat anwesende eigene Staatsbürger,186 Staatsangehörigkeits- und Personenstandsangelegenheiten, Beurkundungen, Legalisationen und Bestätigungen von Urkunden, die Bearbeitung von ___________ Vgl. Art. 5 lit. c) WÜK. Vgl. Art. 5 lit. e) und i) WÜK. Art. 36 Abs. 1 lit. a) WÜK erlaubt den Konsularbeamten, zu diesem Zweck mit den Angehörigen des Entsendestaates Kontakt aufzunehmen und sie aufzusuchen. Umgekehrt darf der Empfangsstaat den Angehörigen des Entsendestaates nicht verbieten, mit den Konsularbeamten ihres Staates zu verkehren und diese aufzusuchen. 184 Eine diesbezüglich wichtige Regelung enthält Art. 36 Abs. 1 lit. b) WÜK. Danach haben die Behörden des Empfangsstaates, die einen Ausländer inhaftiert haben, auf dessen Verlangen hin die zuständige konsularische Vertretung des Heimatstaates des Inhaftierten über die Festnahme in Kenntnis zu setzen. Zwar besteht diese Pflicht nur insoweit, als der Betroffene eine Information des Konsulats verlangt, doch ist er über sein diesbezügliches Recht ausdrücklich zu belehren. Diese allen Ausländern gegenüber bestehende Belehrungspflicht bei Inhaftierung wird in der Praxis allerdings häufig übersehen. Ferner haben Konsularbeamte nach Art. 36 Abs. 1 lit. c) WÜK das Recht, mit inhaftierten Personen zu kommunizieren und diese aufzusuchen. Vgl. (auch in bezug auf Fälle der Mißachtung des Art. 36 Abs. 1 lit. b) WÜK) Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 15; Paust, AJIL 92 (1998), 691 (691 ff.); Weigend, in: Prittwitz u.a. (Hrsg.), FS Lüderssen, S. 462 (462 ff.). 185 Vgl. Art. 5 lit. d) WÜK. 186 Vgl. Art. 5 lit. d) WÜK. 182 183
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Rechtshilfeersuchen und Nachlaßangelegenheiten.187 Für die deutschen konsularischen Vertretungen im Ausland bestimmen sich die Aufgaben nach dem Konsulargesetz.188 x Aufsichts- und Kontrollfunktionen im Bereich des Luft- und Schiffsverkehrs: Die Konsuln haben zudem gewisse Aufsichts- und Kontrollrechte über Schiffe und Luftfahrzeuge, die unter der Flagge des Entsendestaates verkehren.189 Sie können beispielsweise Schiffe, die unter der Flagge des Entsendestaates fahren, inspizieren und die Beachtung der Sicherheitsvorschriften überprüfen, um so der internationalen Überwachungspflicht des Flaggenstaates nach Art. 94 SRÜ nachzukommen. Ebenso wie die diplomatischen Vertreter haben auch die Konsularbeamten bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach Art. 55 Abs. 1 WÜK die Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften des Empfangsstaates zu beachten und sind verpflichtet, sich nicht in dessen innere Angelegenheiten einzumischen.190 Ausnahmsweise können gemäß Art. 17 Abs. 1 WÜK Konsularbeamte dann, wenn ihr Entsendestaat im Empfangsstaat keine diplomatische Vertretung unterhält und zudem kein dritter Staat als „Schutzmacht“ für den Entsendestaat im Empfangsstaat diplomatische Funktionen wahrnimmt, auch diplomatische Amtshandlungen vornehmen. Erforderlich ist aber die Zustimmung des Empfangsstaates.191
VI. Ziel und Zweck der Exemtionen Für die Bestimmung der Reichweite diplomatischer und konsularischer Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit ist es wichtig, sich Klarheit zu verschaffen über den Rechtsgrund der Vorrechte und Befreiungen, also die Frage zu beantworten, mit welchem Ziel und zu welchem Zweck die Exemtionen gewährt werden. In der Rechtsprechung und Literatur wird zwischen drei Theorien differenziert.
___________ 187 Vgl. Art. 5 lit. f), g), h) und j) WÜK. Zu diesbezüglichen Informationspflichten des Empfangsstaates vgl. Art. 37 lit. a) und b) WÜK. 188 §§ 1 ff. des Gesetzes über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (Konsulargesetz) vom 11.9.1974, BGBl. 1974 I, S. 2317 (2317 ff.). 189 Vgl. Art. 5 lit. k) und l) WÜK. Zu diesbezüglichen Informationspflichten des Empfangsstaates vgl. Art. 37 lit. c) WÜK. 190 Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 6. 191 Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 6; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 367; Lee, Consular Law and Practice, S. 593 ff. und den ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (104) (UN-Dokument A/4843).
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1. Die Exterritorialitätstheorie Die bereits in § 11 I.2.b) erwähnte älteste Theorie, die auf Hugo Grotius zurückgeführt wird, begründete die Vorrechte und Befreiungen im Empfangsstaat mit der Exterritorialität der Mitglieder und Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen. Die Räumlichkeiten seien nicht Bestandteil des Staatsgebiets des Empfangsstaates oder zumindest im Wege einer Fiktion als nicht dem Staatsgebiet des Empfangsstaates zugehörig anzusehen. Die Mitglieder einer Vertretung seien gleichfalls (fiktiv) als nicht im Staatsgebiet des Empfangsstaates befindlich zu betrachten. Daher könne die nach der Ausbildung des modernen Territorialstaates auf das gesamte eigene Staatsgebiet bezogene Hoheitsgewalt des Empfangsstaates diplomatische und konsularische Vertretungen und deren Mitglieder nicht umfassen.192 Doch wurde diese Theorie schon im 19. Jahrhundert als zu weitgehend kritisiert. Denn sie hätte nicht nur zur Folge, daß eine in den Räumlichkeiten einer Vertretung begangene Tat vom Empfangsstaat dort nicht verfolgt werden dürfte, also strafprozessuale Zwangsmaßnahmen im Gebäude und auf dem Gelände der Vertretung ausschieden, da solche grundsätzlich nicht außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets vorgenommen werden dürfen, sondern hätte überdies zur Konsequenz, daß eine Erstreckung der materiellen Strafgewalt auf eine derartige Tat nach dem Territorialitätsprinzip ausschiede, da eine solche Tat als nicht im Staatsgebiet des Empfangsstaates begangen betrachtet werden müßte. Damit schiede eine Strafverfolgung regelmäßig auch dann aus, wenn ein Täter, dem als Person keine Exemtion zukommt, etwa, weil er selbst nicht Mitglied einer Vertretung ist, später außerhalb des Geländes der Vertretung, auf dem die Tat begangen wurde, gefaßt würde. Eine solche Beschränkung wurde und wird jedoch zu Recht als zu weitgehend abgelehnt.193 Soweit die Exterritorialitätstheorie auch die Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen, also einzelne Personen, als außerhalb des Staatsgebiets des Empfangsstaates befindlich einstuft, ist ihr entgegenzuhalten, daß sie nicht zu erklären vermag, warum Befreiungen der bevorrechtigten Personen von der Hoheitsgewalt des Empfangstaates nicht unbegrenzt sind. So legt beispielsweise Art. 31 Abs. 1 Satz 2 WÜD fest, daß die Immunität der Diplomaten von der Zivilund Verwaltungsgerichtsbarkeit sachlich beschränkt ist. Die Unverletzlichkeit der ___________ 192 Nähere Erläuterungen zu dieser Theorie bei Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 39 ff.; Brownlie, International Law, S. 343; Denza, Diplomatic Law, S. 113; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 34; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 362; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 191; McClanahan, Diplomatic Immunity, S. 30 ff.; Parkhill, ICLR 21 (1998), 565 (571 f.); Salmon, Manuel de Droit Diplomatique, S. 175 ff.; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 21 f.; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 96; Wilson, Diplomatic Privileges and Immunities, S. 5 ff. 193 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 113 f.
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Konsularbeamten nach Art. 41 Abs. 1 WÜK gilt bei schweren Straftaten nicht.194 Art. 41 WÜD und Art. 55 Abs. 1 WÜK betonen zudem ausdrücklich, daß die bevorrechtigten Personen verpflichtet sind, die Gesetze und anderen Rechtsvorschriften des Empfangsstaates zu beachten. Sie werden also – jedenfalls im Hinblick auf das Strafrecht – sämtlichen im Staatsgebiet des Empfangsstaates geltenden und territorial bezogenen Rechtsnormen unterworfen, lediglich deren Durchsetzbarkeit ist ausgeschlossen. Bei Zugrundelegung der Exterritorialitätstheorie dürften die bevorrechtigten Personen dagegen den Rechtsnormen des Empfangsstaates nicht schon deshalb unterfallen, weil diese im Staatsgebiet des Empfangsstaates gelten, sondern die Rechtsnormen des Empfangsstaates könnten Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen allenfalls bei einer extraterritorialen Geltungserstreckung (auch) auf im Ausland befindliche Personen erfassen. Die Exterritorialitätstheorie kann zudem nicht erklären, daß einige Personen nur eingeschränkte Immunität ratione materiae, also nur funktionale Immunität für ihre Diensthandlungen genießen. Bei den auf dienstliche Handlungen beschränkten Immunitäten ratione materiae versagt sie vollkommen. Die Exterritorialitätstheorie wird daher heute nicht mehr vertreten. Zudem liefert sie überhaupt keine Antwort auf die Frage nach dem „warum“ der Vorrechte und Befreiungen im Sinne einer Antwort auf Ziel und Zweck der Exemtionen, sondern nur eine rechtskonstruktive Begründung.195 Doch hinsichtlich der Frage, aufgrund welcher Rechtssätze des Völkerrechts die Staaten verpflichtet sind, die Exemtionen zu beachten, reicht heutzutage der Hinweis auf die völkervertragliche bzw. völkergewohnheitsrechtliche Bindung der Staaten aus. 2. Die Repräsentationstheorie Die Repräsentationstheorie stellt auf die Stellung und Funktion der bevorrechtigten Personen als Repräsentanten und Vertreter eines fremden Regenten (so die ältere Version) bzw. eines fremden Staates (so die neuere Variante) ab. Bei dieser auch heute noch vertretenen Theorie muß man aber zwischen zwei voneinander getrennten Spielarten differenzieren. Es gibt gewissermaßen zwei verschiedene Repräsentationstheorien. Die eine, vornehmlich im Zusammenhang mit einer Betrachtung der Diplomaten als persönliche Vertreter eines fremden Monarchen im Empfangsstaat vertretene ältere Repräsentationstheorie sieht die Exemtionen als Ausdruck der Ehrerbietung gegenüber einem fremden Staat bzw. Monarchen an. Der fremde Monarch bzw. Staat habe gegenüber dem Empfangsstaat bzw. dessen Herrscher als gleichrangiger Monarch bzw. als souveräner, völkerrechtlich gleichberechtigter Staat einen An___________ Zum Begriff „schwere strafbare Handlung“ vgl. unten § 13 I.2.a)ee). So auch Bloy, Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 42. Vgl. zudem Nahlik, RdC 1990 III, 187 (223). 194 195
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spruch auf würdevolle und bevorzugte Behandlung. Dieser Achtungsanspruch werde durch die Freistellung seiner Vertreter von der Hoheitsgewalt des Empfangsstaates verwirklicht.196 Sieht man die Diplomaten als direkte persönliche Vertreter eines fremden Regenten an, so ist es naheliegend, diesen die gleiche Rechtsstellung zuzuerkennen wie der Person des fremden Herrschers selbst. Fremde Staatsoberhäupter aber genießen nach Völkergewohnheitsrecht umfassende Immunität ratione personae.197 Die so begründete Repräsentationstheorie vermag zwar die umfassende, also sowohl privates als auch dienstliches Handeln erfassende strafrechtliche Exemtion der Diplomaten und Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission zu erklären, doch nicht die Freistellung auch ihrer Familienangehörigen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit und auch nicht die begrenzte Immunität ratione materiae nur für Diensthandlungen, wie sie beispielsweise Konsularbeamte nach dem WÜK genießen. Dieser Spielart der Repräsentationstheorie liegt zudem ein antiquiertes Staatsverständnis zugrunde.198 Die moderne Repräsentationstheorie stellt darauf ab, daß das dienstliche Handeln von Diplomaten und Konsularbeamten als Handeln für einen fremden Staat diesem völkerrechtlich zuzurechnen ist. Würde man Mitglieder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung wegen solcher Handlungen strafrechtlich verfolgen, so würde man mithin indirekt über einen fremden Staat „zu Gericht sitzen“. Der Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten aber verbiete es, daß ein Staat einen fremden Staat seiner eigenen Gerichtsbarkeit unterwerfe und sich so eine höherrangige Stellung anmaße. Die Immunität wird damit – hierauf wurde schon im Zusammenhang mit der Darstellung der Entwicklung der völkergewohn___________ Vgl. Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 35 ff.; Dahm/ Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 278; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 34; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 191; McClanahan, Diplomatic Immunity, S. 28 f.; Parkhill, ICLR 21 (1998), 565 (571); Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1009; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 97; Wilson, Diplomatic Privileges and Immunities, S. 1 ff. 197 Vgl. hierzu unten § 17 I. 198 Gegen diese Variante der Repräsentationstheorie wandte sich schon Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 54: „Allein die Achtungspflicht der Staaten gegeneinander hat ihre Grenze. So wenig der einzelne Mensch sich auf seine rechtlich geschützte Ehre berufen könnte, wenn er etwa ein Delikt begangen hätte und er dieser That im Strafverfahren bezichtigt und wegen derselben verurtheilt würde, so wenig kann ein Staat sich auf sein ‚Recht auf Achtung’ berufen, wenn er oder sein Repräsentant Handlungen begangen, die ihn der Achtung unwürdig erscheinen lassen und der andere Staat sich anschickt, hiergegen zu reagiren; es aus blosser Höflichkeit auch hier fortbestehen zu lassen, hiesse den Kultus der Form auf Kosten der Sache selbst übertreiben. (…) Lässt nun ein Staat durch seinen Gesandten im fremden Staate Delikte verüben, so hört in dieser Hinsicht die Achtbarkeit auf. Straft der fremde Staat desswegen den Thäter, so verletzt er zwar die Achtung, aber nicht eine rechtlich geschuldete Achtung. Das Grundrecht auf Achtung vermag sonach den Gesandten vor Bestrafung durch den Empfangsstaat nicht zu schützen. Die Exterritorialität hat mit jenem Grundrecht mithin nichts zu thun.“ 196
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heitsrechtlichen Immunität ratione materiae der Konsularbeamten in § 11 II.2.c) hingewiesen – ebenso begründet, also auf denselben Rechtsgrund zurückgeführt wie die Staatenimmunität, zum Teil wird sie sogar als Unterfall bzw. als speziell geregelte Ausprägung der Staatenimmunität begriffen.199 Diese Begründung kann zwar recht gut die Immunitäten ratione materiae, also die Exemtionen für dienstliche Handlungen, erklären. Auch kann sie erklären, warum Diplomaten und Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission nach Dienstbeendigung weiterhin Immunität im Hinblick auf ihre dienstlichen Handlungen genießen, also ihre Immunität ratione materiae, die während der Amtszeit von ihrer umfassenden Immunität ratione personae überlagert wird, anders als letztere unbegrenzt fortdauert. Doch gilt das aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten resultierende völkerrechtliche Verbot, fremde Staaten und ihre Organe der eigenen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen – also die Staatenimmunität – heutzutage nur noch für acta iure imperii, also hoheitlich-dienstliches Handeln, während die Amtsimmunitäten des Diplomaten- und Konsularrechts alle im Rahmen der diplomatischen bzw. konsularischen Aufgaben vorgenommenen dienstlichen (Amts-)Handlungen umfassen.200 Schon insofern vermag diese Repräsentationstheorie die Exemtionen nicht vollständig zu erklären, denn als Ausfluß der Staatenimmunität dürften die Immunitäten ratione materiae nicht alle dienstlichen Handlungen, sondern nur solche hoheitlicher Natur umfassen. Zudem kann sie nicht begründen, warum Diplomaten und Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission während ihrer Dienstzeit im Empfangsstaat dessen Strafgerichtsbarkeit vollständig entzogen sind, also auch für ihr privates Handeln Immunität genießen, und weshalb Familienmitglieder dieser Mitglieder diplomatischer Missionen in den Kreis der geschützten Personen einbezogen sind.201
___________ 199 Vgl. Brownlie, International Law, S. 343, 355; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 277, 311; Dinstein, Consular Immunity, S. 23 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 679 mit. Fn. 34; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (70, 74 f., 96 f. m.w.N. in Fn. 24 ff. und Fn. 95 ff.); Faßbender, NStZ 1998, 144 (145); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 34; George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (107); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 192 ff.; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 22. Ausführlich zur Abgrenzung der Staatenimmunität zu den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts unten § 13 V.2. Der Versuch von Lüke, a.a.O., S. 206 ff., eine einheitliche theoretische Begründung für alle Arten völkerrechtlicher Exemtionen zu entwickeln und diese sämtlich auf das Ziel der Wahrung fremdstaatlicher Souveränitätsinteressen und damit auf die Grundsätze zurückzuführen, auf denen die Staatenimmunität beruht, vermag kaum zu überzeugen. 200 Vgl. oben § 5 III.2. und unten § 13 II.6. und § 13 V.2.c)aa). 201 So auch Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 23.
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3. Die Funktionstheorie Die modernste und heute vornehmlich vertretene „Theorie der funktionalen Notwendigkeit“ begründet die Exemtionen damit, daß sie erforderlich seien, damit die diplomatischen und konsularischen Vertreter ihre Aufgaben im Empfangsstaat unbeeinträchtigt von Interventionen des Empfangsstaates erfüllen können.202 Ohne die Gewährung von Exemtionen sei eine wirksame Aufgabenerfüllung nicht möglich. Die Funktionstheorie wird vielfach mit der alten Maxime ne impediatur legatio gekennzeichnet. Die Gewährung von Exemtionen für dienstliche Handlungen solle den diplomatischen und konsularischen Vertretern die Befürchtung nehmen, sich wegen ihrer zur Aufgabenerfüllung vorgenommenen Handlungen im Empfangsstaat verantworten zu müssen, was sich negativ auf das dienstliche Engagement auswirken könne. Der Empfangsstaat solle die Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen nicht dadurch an der Wahrnehmung ihrer dienstlichen Aufgaben hindern können, daß er die handelnden Personen wegen (vermeintlicher) Strafbarkeit ihrer diplomatischen oder konsularischen Handlungen durch eine Inhaftierung oder sonstige mit einem Strafverfahren verbundene Einschränkungen in der Funktionsausübung behindere. Dabei gehe es weniger um Maßnahmen des Empfangsstaates bei tatsächlich begangenen strafbewehrten Verstößen gegen seine Rechtsordnung – insofern kann von einer Schutzwürdigkeit in der Tat kaum die Rede sein –, sondern vornehmlich um die Gefahr einer willkürlichen Strafverfolgung aufgrund konstruierter Tatvorwürfe, um eine dem Empfangsstaat mißliebige dienstliche Tätigkeit ___________ BayObLGSt 1991, 125 (126) = NJW 1992, 641 (641); Berber, Völkerrecht, Bd. I, S. 291; Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 748 f.; Bloy, Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 43; LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 2, § 19 GVG Rn. 2; Brownlie, International Law, S. 343; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 275, 284; Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1041); dies., Diplomatic Law, S. 5, 10 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 500, 657, 675; Economidès, Consuls, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 770 (774); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 34; George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (108); LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 337; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 58; Herdegen, Völkerrecht, § 38 Rn. 3; Jabloner-Fugger, NJW 1964, 712 (712); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 489, 499; Koster, Immunität internationaler Richter, S. 119 f.; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 194 ff.; Malanczuk, Introduction to International Law, S. 124; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (397); Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (398, 402 f.); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 23, 106; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1008; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 97 f.; Shearer, Starke’s International Law, S. 201; Verdross/ Simma, Völkerrecht, § 900; Wilson, Diplomatic Privileges and Immunities, S. 17 ff. Wie oben in § 11 dargelegt, ist diese Theorie aber keinesfalls neu. Vgl. Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 46 ff.; Young, BYIL 40 (1964), 141 (151, 164 f.). Schon Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 49 ff., insb. S. 63; Berner, Wirkungskreis der Strafgesetze, S. 208 f. und Binding, Privilegien der Straflosigkeit, S. 27, haben allein die Funktionstheorie als tragfähige Begründung für die Exemtionen angesehen. 202
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eines diplomatischen oder konsularischen Vertreters zu unterbinden oder um eine mißliebige Person – durch Inhaftierung – „aus dem Verkehr zu ziehen“.203 Die umfassende Immunität ratione personae und Unverletzlichkeit, die Diplomaten und weiteren nach Diplomatenrecht geschützten Personen zukommt und diese während ihrer Amtszeit vollständig von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates befreit, werde gewährt, weil auch durch eine Strafverfolgung wegen einer während der Amtszeit als Privatperson, also außerdienstlich, vorgenommenen Handlung oder Unterlassung oder wegen einer vor Dienstantritt begangenen Tat oder durch eine sonstige Form der strafrechtlichen Inanspruchnahme die Wahrnehmung diplomatischer Aufgaben behindert werden könnte.204 Als ausschlaggebend für eine umfassende Exemtion wird dabei vor allem auch die Gefahr angesehen, daß ein Empfangsstaat die Tätigkeit der geschützten Person durch eine mißbräuchliche Strafverfolgung aufgrund konstruierter Tatvorwürfe beeinträchtigt, und zwar nicht nur unmittelbar durch eine Inhaftierung, sondern vor allem mittelbar durch eine Einschüchterung der geschützten Person.205 Hinzu kommt, daß die entsandten Mitglieder diplomatischer Missionen und ihre Familienangehörigen vielfach mit der Rechtsordnung und mit den Sitten und Gebräuchen des Empfangsstaates nur wenig vertraut sind und deshalb leicht Gefahr laufen, sich mit einem ihrer Einschätzung nach rechtskonformen Verhalten strafbar zu machen. Auch genügt die Strafrechtspflege in manchen Empfangsstaaten nicht den rechtsstaatlichen Ansprüchen des Entsendestaates und folgt nicht den Regeln, mit denen die entsandten Kräfte vertraut sind. Diese Aspekte führen dazu, daß die Entsendestaaten im Interesse der Mitglieder ihrer diplomatischen Missionen und wegen einer ihnen gegenüber obliegenden Schutzpflicht nur dann überhaupt diplomatische Missionen in Ländern eines anderen Kultur- und Rechtskreises errichten können, wenn die entsandten Personen durch eine Immunität ratione personae umfassend vor Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates geschützt werden.206 Die Funktionstheorie, die dem modernen Ansatz der Rechtstheorie folgt, Rechtsinstitute und -regeln funktional zu begründen, kann auch erklären, warum Familienangehörige von Diplomaten und Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission in den Kreis der bevorrechtigten Personen einbezogen sind. Denn durch eine Strafverfolgung von Personen, die einem Di___________ Vgl. diesbezüglich Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (403). Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 278; Doehring, Völkerrecht, Rn. 679; Verosta, Exterritorialität, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 1, 499 (501 f.). 205 Vgl. Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (403). 206 Vgl. in diesem Zusammenhang Parkhill, ICLR 21 (1998), 565 (589 f.), der berichtet, eine Umfrage in den USA habe ergeben, daß die Mehrheit der US-amerikanischen Diplomaten nicht bereit wäre, ohne den Schutz durch völkerrechtliche Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit in bestimmten Ländern zu arbeiten. 203 204
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plomaten bzw. einem Mitglied des Verwaltungs- und technischen Personals nahestehen, kann indirekt dessen Amtsausübung gleichfalls beeinflußt und behindert werden. Die Unverletzlichkeit diplomatischer und konsularischer Räumlichkeiten, der Archive, des Kuriergepäcks und der Kommunikationsmittel diplomatischer und konsularischer Vertretungen kann ebenfalls mit der „Theorie der funktionalen Notwendigkeit“ erklärt werden: Die Pflicht des Empfangsstaates, sich jeglicher Ausübung von Hoheitsgewalt zu enthalten, die gegen die Räumlichkeiten oder die dienstlich verwendeten Gegenstände gerichtet ist, soll sicherstellen, daß diese der diplomatischen oder konsularischen Vertretung zur unbeeinträchtigten Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung stehen. Auch soll mit den sachbezogenen Exemtionen verhindert werden, daß der Empfangsstaat sich Kenntnis verschafft über die Tätigkeit einer Vertretung bzw. diese beeinflußt. Die Funktionstheorie liegt auch dem WÜD und dem WÜK zugrunde.207 Im vierten Erwägungsgrund der Präambel des WÜD heißt es, daß „diese Vorrechte und Immunitäten nicht dem Zweck dienen, einzelne zu bevorzugen, sondern zum Ziel haben, den diplomatischen Missionen als Vertretungen von Staaten die wirksame Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu gewährleisten“.
Ähnlich betont der fünfte Erwägungsgrund der Präambel des WÜK, daß „diese Vorrechte und Immunitäten nicht dem Zweck dienen, einzelne zu bevorzugen, sondern zum Ziel haben, den konsularischen Vertretungen die wirksame Wahrnehmung ihrer Aufgaben im Namen ihres Staates zu gewährleisten“.
4. Bewertung Eine zeitgemäße und moderne Betrachtung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit kann diese am besten durch ein kumulatives Abstellen auf die Funktionstheorie und die (moderne), auf den Rechtsgrund der Staatenimmunität rekurrierende Repräsentationstheorie begrün-
___________ Vgl. Bindschedler, SchwJIR 18 (1961), 29 (34 f.); Denza, Diplomatic Law, S. 5; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 34; Jabloner-Fugger, NJW 1964, 712 (712); Kerley, AJIL 56 (1962), 88 (91 ff.). Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 (408), der an der Wiener Konferenz, auf der das WÜD ausgearbeitet wurde, beteiligt war, meint allerdings, es lasse sich „(…) schwerlich behaupten, der Konferenz hätte ein theoretisches Konzept vorgeschwebt“. Er stellt fest, die Beschlüsse könnten lediglich als „pragmatisch“ charakterisiert werden. Vgl. zur Diskussion auf der Wiener Konferenz auch die ausführliche Erörterung von Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 55 ff., der zu dem Ergebnis kommt, die Delegierten wollten die Exemtionen kumulativ auf die Repräsentations- und die Funktionstheorie stützen. Die deutsche Bundesregierung ist im Zuge der Ratifikation des WÜK durch Deutschland ausweislich ihrer Denkschrift zum WÜK (BTDrucks. 5/3449, S. 120 [123]) davon ausgegangen, dem WÜK liege die Funktionstheorie zugrunde. 207
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
den.208 Eine solche Begründung hat sich auch der IGH in seiner ersten Entscheidung zum „Teheraner Geiselfall“ zu eigen gemacht, in der es heißt: “(…) there is no more fundamental prerequisite for the conduct of relations between states than the inviolability of diplomatic envoys and embassies, so that throughout history nations of all creeds and cultures have observed reciprocal obligations for that purpose; and (…) the obligations thus assumed, notably those for assuring the personal safety of diplomats and their freedom from prosecution, are essential, unqualified and inherent in their representative character and their diplomatic function.”209
5. Der Entsendestaat als Schutzobjekt der Exemtionen Wichtig ist abschließend die Feststellung, daß alle diplomatischen und konsularischen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit ausschließlich im Interesse des Entsendestaates gewährt werden. Allein dieser soll geschützt werden, indem ihm zurechenbare Diensthandlungen nicht der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates unterworfen werden und indem dafür Sorge getragen wird, daß die Funktionsausübung seiner Vertreter nicht durch die Ausübung fremdstaatlicher Strafgerichtsbarkeit beeinträchtigt wird. Zwar profitieren die geschützten Personen von den Exemtionen, doch geht es nicht um ihre persönlichen Interessen oder um den Schutz ihrer Person als solche. Sie genießen die Exemtionen, doch ist „Endziel“ der Exemtionen der Schutz der Interessen des Entsendestaates. Schutzwürdig ist nicht die Person als solche, sondern nur ihre Funktion.210 Eine Immunität ad personam kennt das Völkerrecht nicht.211 Entsprechend formulieren die oben wiedergegebenen Erwägungsgründe in den Präambeln von WÜD und WÜK auch, die Befreiungen dienten nicht dem Zweck, einzelne zu bevorzugen. Wichtig ist diese Feststellung vor allem im Hinblick auf die Frage, inwieweit auf Exemtionen verzichtet werden kann und von wem ein Verzicht erklärt werden muß.212
___________ 208 So auch Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 64 f.; Jennings/ Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 489. 209 IGH, ICJ-Reports 1979, 7 (19). 210 So auch Bloy, Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 43; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 284; Doehring, Völkerrecht, Rn. 500; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 337; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 488 mit Fn. 1, 503; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 24, 106; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1043. Ebenso schon Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 49. 211 Doehring, Völkerrecht, Rn. 675; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 337. 212 Siehe hierzu unten § 13 IV.
§ 13 Reichweite der personenbezogenen Exemtionen im Empfangsstaat
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§ 13 Reichweite der personenbezogenen diplomatischen und konsularischen Exemtionen im Empfangsstaat I. Personale und sachliche Reichweite der personenbezogenen Exemtionen im Empfangsstaat Die Regeln des WÜK lehnen sich zwar in vielerlei Hinsicht eng an die des WÜD an. Hinsichtlich der Exemtionsregelungen bleibt das WÜK aber hinter dem WÜD zurück; den Mitgliedern konsularischer Vertretungen werden deutlich weniger weitreichende Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gewährt als den entsprechenden Mitgliedern diplomatischer Missionen. Dies erklärt sich zum einen aus der unterschiedlichen historischen Entwicklung diplomatischer und konsularischer Beziehungen, zum anderen aus dem als politisch weniger bedeutsam angesehenen Aufgabenkreis der konsularischen Vertreter. Da der von Eingriffen des Empfangsstaates unbeeinträchtigten Tätigkeit diplomatischer Vertreter ein größerer Stellenwert eingeräumt wird als der Arbeit konsularischer Vertreter und erstere aufgrund ihrer politischen Tätigkeit eher Gefahr laufen, mit der Staatsgewalt des Empfangsstaates in Konflikt zu geraten, gelten die Mitglieder diplomatischer Missionen als schutzbedürftiger als die konsularischer Vertretungen. Es ist daher klar zu differenzieren zwischen den Exemtionen für Mitglieder diplomatischer Missionen und deren Familienangehörigen nach dem WÜD (§ 13 I.1.) sowie den Exemtionen für Mitglieder konsularischer Vertretungen nach dem WÜK (§ 13 I.2. und 3.). Zu beachten ist ferner, daß nicht alle Mitglieder diplomatischer Missionen bzw. konsularischer Vertretungen jeweils Exemtionen in identischem Umfang genießen. Vielmehr unterscheiden sowohl das WÜD als auch das WÜK zwischen verschiedenen Kategorien von Personen, wobei die Unterscheidung primär anhand der Tätigkeitsbereiche vorgenommen wird. Je bedeutsamer und konfliktträchtiger die Tätigkeit einer Person ist, desto größer ist – so jedenfalls der Grundsatz – der Umfang der ihr zukommenden Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Die Darstellung hat daher auch zwischen den verschiedenen Kategorien von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen zu unterscheiden.1 Im folgenden wird zunächst ausschließlich der Reichweite von Exemtionen gegenüber der Hoheitsgewalt des Empfangsstaates nachgegangen. Die Frage, inwieweit Exemtionen auch gegenüber der Strafgerichtsbarkeit von Drittstaaten und gegenüber supranationalen Strafgerichtsbarkeiten gelten, wird unten in § 15 gesondert untersucht. Ferner geht es hier zunächst lediglich um die Exemtionen während der Zeit der dienstlichen Tätigkeit, also während der Zeit, in der die betreffenden Personen im Empfangsstaat im Rahmen der diplomatischen bzw. konsularischen Beziehungen tätig sind. Auf die Frage nach dem genauen Beginn und Ende der ___________ 1 Zu der – auch im Hinblick auf die Reichweite der Exemtionen – wichtigen Frage der Kompetenz zur Einordnung der Mitglieder einer Vertretung in eine der verschiedenen Kategorien und damit zur Statusbestimmung vgl. oben § 12 III.2.b)aa).
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Exemtionen sowie die Frage der Fortgeltung einzelner Exemtionen nach Beendigung der dienstlichen Tätigkeit wird für alle nach Diplomaten- und Konsularrecht geschützten Personen zusammen unten in § 13 III. eingegangen. 1. Exemtionen nach dem WÜD a) Exemtionen für Diplomaten aa) Der Begriff des Diplomaten Der Begriff „Diplomat“, wie er in den hier relevanten Art. 29 und 31 WÜD verwendet wird, umfaßt nach Art. 1 lit. e) WÜD zum einen den Missionschef, zum anderen die Mitglieder des diplomatischen Personals einer Mission. Zum diplomatischen Personal wiederum zählen nach Art. 1 lit. d) WÜD die im diplomatischen Rang stehenden Mitglieder des Personals einer Mission. Kennzeichen dieser Personen ist, daß sie zusammen mit dem ihnen vorgesetzten Missionschef unmittelbar die diplomatischen Aufgaben erledigen, während das Personal der übrigen Kategorien unterstützende Tätigkeiten ausübt. Hinsichtlich ihrer Rechtsstellung im Empfangsstaat wird zwischen dem Missionschef – unabhängig davon, welcher Klasse er zugeordnet ist – und dem diplomatischen Personal kein Unterschied gemacht.2 Die Frage, ob ein Mitglied einer diplomatischen Mission zur Kategorie der Mitglieder des diplomatischen Personals oder etwa zum Verwaltungs- und technischen Personal zu zählen ist, ist unabhängig von den tatsächlich und im (strafrechtlich relevanten) Einzelfall erledigten Aufgaben. Die Statuszugehörigkeit richtet sich vielmehr nach der vom Entsendestaat abstrakt bei der Ernennung vorgenommenen und dem Empfangsstaat notifizierten Einordnung. Differenziert wird allerdings bei den Diplomaten – wie auch beim übrigen Personal – gemäß Art. 38 WÜD danach, ob sie zu den vom Entsendestaat auf Zeit in den Empfangsstaat entsandten Personen gehören, die Staatsangehörige des Entsendestaates bzw. eines Drittstaates sind, oder aber ob sie Staatsangehörige des Empfangsstaates bzw. in diesem ständig ansässig sind. Zunächst wird – wie auch bei der Erörterung der Exemtionen des Verwaltungs- und technischen Personals, des dienstlichen Hauspersonals sowie der privaten Hausangestellten – nur die Rechtsstellung von Personen untersucht, die weder die Staatsangehörigkeit des Empfangsstaates haben noch in diesem ständig ansässig sind. Die Vorrechte und Befreiungen von Personen dagegen, die im Empfangsstaat ständig ansässig sind bzw. sogar dessen Staatsangehörigkeit besitzen, werden danach gesondert erörtert.3
___________ 2 3
Vgl. Sen, Diplomat’s Handbook, S. 185 f. Vgl. unten § 13 I.1.f).
§ 13 Reichweite der personenbezogenen Exemtionen im Empfangsstaat
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bb) Die grundsätzliche Unterworfenheit unter das Recht des Empfangsstaates Vor der Ausbildung des Territorialstaates waren Personen entsprechend der Vorstellung einer personalen Herrschaftsgewalt überall ausschließlich dem Recht ihres Heimatstaates unterworfen. Damit unterlagen auch die Gesandten im „Ausland“ nicht dem Recht des jeweiligen örtlichen Herrschers. Die Lehre von der Exterritorialität der Gesandten hat diese Vorstellung nach Ausbildung des Territorialstaates und damit der grundsätzlichen Unterworfenheit aller sich in einem Staatsgebiet aufhaltende Personen unter das Recht des jeweiligen Staates für die Mitglieder diplomatischer Missionen beibehalten und – wie erwähnt – die Exemtionen damit begründet, die bevorrechtigten Personen seien als außerhalb des Empfangsstaates befindlich und somit der territorial bezogenen Herrschaftsgewalt entzogen zu betrachten.4 Es wurde mithin angenommen, sie seien nicht nur von der Durchsetzbarkeit des Rechts des Empfangsstaates, sondern insgesamt von dessen Geltung ausgenommen. Die Diplomaten sollten zwar die örtlichen Gesetze aus Gründen der Courtoisie achten und respektieren, doch seien sie – so die früher vorherrschende Meinung – hierzu nicht von Rechts wegen verpflichtet.5 Man könnte meinen, dies gelte auch nach dem WÜD noch, denn Art. 41 Abs. 1 Satz 1 WÜD6 spricht davon, alle Personen, die Vorrechte und Befreiungen genössen, seien unbeschadet derselben verpflichtet, die Gesetze und andere Rechtsvorschriften des Empfangsstaates „zu beachten“.7 Man könnte argumentieren, die bevorrechtigten Personen hätten nach Art. 41 WÜD lediglich eine völkerrechtliche Pflicht, sich den Rechtsnormen des Empfangsstaates gemäß zu verhalten, würden aber von diesen nicht unmittelbar erreicht, seien diesen nicht direkt unterworfen.8 Auf das Strafrecht bezogen hieße dies, daß sich die bevorrechtigten Personen zwar entsprechend den in den Strafnormen zum Ausdruck kommenden Verhaltensgeboten und -verboten zu verhalten hätten, nicht aber nach dem Strafrecht des Empfangsstaates tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft handeln könnten, mithin der materiellen Strafgewalt im Sinne einer “jurisdiction to prescribe” des Empfangsstaates vollständig entzogen seien. Doch besteht heutzutage ganz zu Recht weitestgehend Einigkeit darüber, den Art. 41 Abs. 1 Satz 1 WÜD dahingehend zu verstehen, daß die bevorrechtigten ___________ Vgl. oben § 11 I.2.b) und § 12 VI.1. Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 373 f.; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 94. 6 Art. 41 Abs. 1 Satz 1 WÜD lautet: „Alle Personen, die Vorrechte und Befreiungen genießen, sind unbeschadet derselben verpflichtet, die Gesetze und anderen Rechtsvorschriften des Empfangsstaates zu beachten.“ 7 Die verbindliche englische Sprachfassung (vgl. Art. 53 WÜD) ist sogar noch eher geeignet, diese Auffassung zu stützen, da sie von einer “duty to respect the laws” spricht. 8 Vgl. Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1042). 4 5
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Personen grundsätzlich der Geltung der materiellen Rechtsnormen des Empfangsstaates unterworfen sind, und zwar unabhängig davon, ob ihr Verhalten privaten oder dienstlichen Charakter hat. Der personale Geltungsbereich der materiellen Rechtsnormen des Empfangsstaates umfaßt also grundsätzlich auch die nach Diplomatenrecht bevorrechtigten Personen.9 Denn wenn man bedenkt, daß die völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit dazu dienen sollen, den Mitgliedern diplomatischer Missionen die Ausübung ihrer Funktionen unbeeinträchtigt von hoheitlichen Eingriffen des Empfangsstaates zu ermöglichen (Funktionstheorie) bzw. verhindern sollen, daß unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Staaten über fremde Staatstätigkeit judiziert wird (moderne Variante der Repräsentationstheorie), während das Interesse des Empfangsstaates dahin geht, alle Personen, die sich in seinem Staatsgebiet aufhalten, möglichst weitgehend seiner Staatsgewalt zu unterwerfen, so muß man zu dem Schluß kommen, daß eine Ausnahme von der Geltung des Rechts des Empfangsstaates nicht zu legitimieren wäre. Für die genannten Ziele reicht ein Verbot der Durchsetzbarkeit des Rechts, also ein Verbot der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt des Empfangsstaates, völlig aus. Lediglich insoweit, als das WÜD ausdrücklich die Geltung des Rechts des Empfangsstaates ausschließt, findet dieses auf die bevorrechtigten Personen keine Anwendung. Dies ist etwa
___________ Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 277, 281; Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1042); dies., Diplomatic Law, S. 374; Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (80 f.); Fischer, in: Tröndle/Fischer, vor § 3 Rn. 21; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 499; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 94 f., 100 ff.; Verdross, Völkerrecht, S. 332; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 901. So auch das Rundschreiben BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. I. A.A. für die dienstlichen diplomatischen Handlungen van Panhuys, ICLQ 13 (1964), 1193 (1207); George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (109, 112 mit Fn. 57). Zu den früher vertretenen Rechtsauffassungen siehe Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 1 ff., 64 f., der selbst die Meinung vertrat, lediglich für völkerrechtskonforme dienstliche diplomatische Handlungen gelte das Strafrecht des Empfangsstaates nicht (a.a.O, S. 63 ff., 169 ff., insb. S. 84 ff.). Panhuys, a.a.O., geht davon aus, die dienstlichen Handlungen könnten, weil sie dem Entsendestaat unmittelbar zurechenbare Handlungen seien, gemäß dem Grundsatz par in parem non habet imperium nicht der Geltung des materiellen Rechts eines anderen Staates als des Entsendestaates unterworfen sein. Doch ist heute anerkannt, daß hoheitlich-staatliches Handeln nicht schon der Geltung des Rechts jedes anderen Staates entzogen ist, sondern „nur“ gemäß dem Grundsatz der Staatenimmunität der Staat, dem das Verhalten zuzurechnen ist, sowie die handelnden Organe wegen dieses Handelns nicht der Gerichtsbarkeit anderer Staaten unterworfen sind. Vgl. diesbezüglich auch Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (80 f.) sowie die Ausführungen unten in § 22 II 2. und § 22 VI.1. 9
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nach Art. 33 WÜD hinsichtlich der Vorschriften über soziale Sicherheit und nach Art. 34 WÜD hinsichtlich staatlicher Steuern und Abgaben der Fall.10 Für den hier allein interessierenden Bereich des Strafrechts bedeutet die von Art. 41 Abs. 1 Satz 1 WÜD festgelegte grundsätzliche Geltung des Rechts des Empfangsstaates, daß auch für die bevorrechtigten Personen die materiellen Strafgesetze Geltung haben. Die Mitglieder einer diplomatischen Mission und ihre Familienangehörigen sowie die übrigen Immunität genießenden Personen können in gleicher Weise wie sonstige Personen nach dem Strafrecht des Empfangsstaates tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft handeln, sie sind der materiellen Strafgewalt des Empfangsstaates (jurisdiction to prescribe) nicht entzogen, auch nicht bezüglich ihrer dienstlichen diplomatischen Handlungen.11 Es ist daher naheliegend, in bezug auf die in der deutschen Strafrechtswissenschaft umstrittene Frage der strafrechtsdogmatischen Einordnung der völkerrechtlichen Exemtionen zu dem Ergebnis zu kommen, daß diese lediglich die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit verhindern, also nur Maßnahmen zur Feststellung und Durchsetzung eines staatlichen Strafanspruchs verbieten. Auch wenn – um das Ergebnis einer genaueren Untersuchung der strafrechtsdogmatischen Einordnung völkerrechtlicher Exemtionen unten in § 22 bereits an dieser Stelle vorwegzunehmen – die diplomatischen und konsularischen Immunitäten in der Tat (lediglich) ein strafprozessuales Verfolgungshindernis darstellen,12 so wäre es jedoch verfehlt, diesen Schluß bereits aus dem bisher Gesagten zu ziehen. ___________ 10 Siehe ferner Art. 35, 36, 23 und 28 WÜD. Vgl. auch American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 464 Comment c). 11 Vgl. nur American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 464 Comment c); Fischer, in: Tröndle/Fischer, vor § 3 Rn. 21; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 120. Dies ist nicht nur hinsichtlich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der bevorrechtigten Personen selbst von Interesse, sondern auch für diejenige von dritten Personen. Denn die Feststellung, daß auch bevorrechtigte Personen tatbestandsmäßig und rechtswidrig handeln können, bedeutet, daß sich dritte Personen der Teilnahme an der Tat einer Immunität genießenden Person strafbar machen können (§§ 26 und 27 StGB setzen jeweils eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Haupttat voraus) und ihre Taten gegebenenfalls als in Notwehr begangen gerechtfertigt sein können (Notwehr kann nach § 32 Abs. 2 StGB nur die Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs sein). Vgl. diesbezüglich Bloy, Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 47; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 44. A.A. hinsichtlich der dienstlichen diplomatischen Handlungen aber George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (109, 112 mit Fn. 57). 12 So auch BVerfGE 96, 68 (95) = NJW 1998, 50 (56); BayObLGSt 1973, 191 (192) = NJW 1974, 431 (431); BayObLGSt 1991, 125 (125) = NJW 1992, 641 (641); OLG Schleswig, SchlHA 1981, 161 (162); LG Stuttgart, NZV 1995, 411 (411); LR-StPOBöttcher, § 18 GVG Rn. 6; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 277; Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1042); Fischer, in: Tröndle/Fischer, vor § 3 Rn. 21, vor § 32 Rn. 17a, 19; LK-StGBGribbohm, vor § 3 Rn. 337 ff.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 19 III. 2.; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 3, 18, 19; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 18
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Denn die grundsätzliche Unterworfenheit der bevorrechtigten Personen unter das (Straf-)Recht des Empfangsstaates, also die grundsätzliche Geltung der Strafnormen, wäre auch dann gegeben, wenn man die Exemtionen – und das ist die in der deutschen Strafrechtswissenschaft diskutierte Alternative zur Annahme eines strafprozessualen Verfolgungshindernisses – als materiellrechtliche Strafausschließungs- bzw. Strafaufhebungsgründe begreift.13 Denn auch bei einem Verständnis der völkerrechtlichen Exemtionen als (für gewisse Zeit geltende) materiellrechtliche Strafausschließungs- bzw. Strafaufhebungsgründe wäre das Verhalten der bevorrechtigten Personen gegebenenfalls als tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft zu bewerten, lediglich die hieraus normalerweise ohne weiteres folgende Konsequenz der Strafbarkeit wäre nicht gegeben. Die Vertreter der materiellrechtlichen Theorie kommen zwar zu dem Ergebnis, daß die Taten exemter Personen (zeitweilig) nicht (mehr) strafbar sind, also nicht der materiellen Strafgewalt des Empfangsstaates unterfallen, gehen aber gleichwohl davon aus, daß Verhaltensweisen von bevorrechtigten Personen nach dem auch für sie geltenden Recht des Empfangsstaates tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Taten sein können.14 Zwar vermag – wie in § 22 dargelegt wird – aus verschiedenen Gründen nur die Einordnung völkerrechtlicher Exemtionen als (zeitweiliges) strafprozessuales Verfolgungshindernis zu überzeugen. Doch wäre auch eine Einordnung als materieller Strafaufhebungs- bzw. Strafausschließungsgrund mit dem WÜD – und gleiches gilt auch für das WÜK – vereinbar. Einer solchen Einordnung stünde auch Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD, der in der amtlichen deutschen Übersetzung davon spricht, daß der Diplomat Befreiung von der „Strafgerichtsbarkeit“ des Empfangsstaates genießt, nicht entgegen. Die deutsche Formulierung „Befreiung von der Strafgerichtsbarkeit“ kann zwar nur so verstanden werden, daß lediglich die Verfolgbarkeit (aufgrund eines strafprozessualen Verfolgungshindernisses) ausgeschlossen sein soll. Doch ist die deutsche Sprachfassung gemäß Art. 53 WÜD völkerrechtlich unverbindlich. Die deutsche Fassung, die auch dem vom Bundestag beschlossenen deutschen Zustimmungsgesetz zugrunde liegt, ist damit zwar insofern von Bedeutung, als sie zeigt, wie der deutsche Gesetzgeber die Exemtionen strafrechtsdogmatisch eingeordnet wissen will, so daß hierauf unten in § 22 zurückzukommen sein wird; doch für die hier zunächst allein interessierende Betrachtung des Völkerrechts ist die deutsche Sprachversion ohne Belang. Die maßgebliche englische Fas___________ GVG Rn. 4; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 1; Pfeiffer, Strafprozessordnung, Einl. Rn. 15. So auch schon Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 90 ff., 156, 172 ff. 13 So etwa Bloy, Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 32 ff. (insb. S. 54 ff.); Schönke/Schröder-Eser, vor § 1 Rn. 15, vor § 3 Rn. 44; AKStGB-Lemke, vor § 3 Rn. 39; NK-StGB-Lemke, vor § 3 Rn. 62 f. 14 Und daher gegen Straftaten von Diplomaten Notwehr geübt werden kann sowie eine strafbare Beteiligung an den Taten Immunität genießender Personen möglich ist. Vgl. Bloy, Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 47.
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sung von Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD lautet: “A diplomatic agent shall enjoy immunity from the criminal jurisdiction of the receiving State.” Der Begriff “jurisdiction” aber ist mehrdeutig. Im Sinne einer “jurisdiction to prescribe” umfaßt er die materielle Strafgewalt, also die Befugnis, verbindlich Recht zu setzen und dessen Geltung anzuordnen, im Sinne einer “jurisdiction to enforce” meint er die Strafgerichtsbarkeit als Vollzugsgewalt, also einer Befugnis zur Durchsetzung eines Strafanspruchs.15 Die verbindliche englische Sprachfassung läßt damit auch die Einordnung der diplomatischen Exemtionen als materielle Strafausschließungs- bzw. Strafaufhebungsgründe zu. cc) Die Unverletzlichkeit der Diplomaten nach Art. 29 WÜD Die Person des Diplomaten ist – so Art. 29 Satz 1 WÜD – unverletzlich.16 Die seit jeher anerkannte Unverletzlichkeit hat – wie schon in § 11 I.2.a) erwähnt– eine positive und eine negative Seite. In positiver Hinsicht verlangt Art. 29 WÜD, daß der Empfangsstaat den Diplomaten mit gebührender Achtung behandelt und alle geeigneten Maßnahmen trifft, um jeden Angriff auf seine Person, seine Freiheit und seine Würde zu verhindern. Dies bedeutet, daß der Empfangsstaat verpflichtet ist, Angriffe von seiten privater Personen oder Gruppierungen auf Diplomaten abzuwehren und gegebenenfalls zu beenden.17 Als Verstoß gegen diese Pflicht zur Schutzgewährung hat beispielsweise der IGH im „Teheraner Geiselfall“ die Nichtverhinderung der Besetzung der US-amerikanischen Botschaft durch demonstrierende Studenten und das Nichteinschreiten trotz Aufforderung durch die Vertreter der USA nach Vollendung der Besetzung betrachtet.18 Ergänzend zu Art. 29 WÜD legt die Diplomatenschutzkonvention19 Schutzpflichten des Empfangsstaates fest, indem sie die Staaten verpflichtet, unter anderem Taten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit ___________ Zu den verschiedenen Formen von “jurisdiction” siehe Walther, in: Arnold u.a. (Hrsg.), FS Eser, S. 925 (928 f.). 16 Art. 29 WÜD lautet: „Die Person des Diplomaten ist unverletzlich. Er unterliegt keiner Festnahme oder Haft irgendwelcher Art. Der Empfangsstaat behandelt ihn mit gebührender Achtung und trifft alle geeigneten Maßnahmen, um jeden Angriff auf seine Person, seine Freiheit oder seine Würde zu verhindern.“ 17 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 212 ff.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 492; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 234 ff.; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 107 f. Der Auffassung von Seidenberger, die Schutzpflicht gelte auch gegenüber Eingriffen der Behörden des Empfangsstaates, kann nicht gefolgt werden. Der Empfangsstaat ist durch die negative Unverletzlichkeit (siehe unten) verpflichtet, Eingriffe generell zu unterlassen, ihn trifft insofern eine Unterlassungs-, aber keine Schutzpflicht. Wie hier Polakiewicz, ZaöRV 50 (1990), 761 (773). 18 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (30 ff.) und die Darstellung oben § 12 II.4. 19 Übereinkommen über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtliche geschützte Personen einschließlich Diplomaten (Diplomatenschutzkonvention) vom 14.12.1973, BGBl. 1976 II, S. 1746 = ILM 13 (1974), 41. 15
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von Diplomaten und anderen nach Diplomaten- und Konsularrecht zu schützenden Personen (vgl. Art. 1) unter Strafe zu stellen (vgl. Art. 2) und strafrechtlich zu ahnden (vgl. Art. 3).20 In der hier allein interessierenden negativen Hinsicht verlangt Art. 29 WÜD, daß sich der Empfangsstaat grundsätzlich der Ausübung jeglicher hoheitlicher Zwangsgewalt gegenüber der Person des Diplomaten enthält.21 Für das Strafrecht bedeutet dies, daß alle unmittelbar gegen die Person eines Diplomaten gerichteten strafprozessualen Zwangsmaßnahmen untersagt sind. Art. 29 Satz 2 WÜD betont ausdrücklich, daß der Diplomat keiner Festnahme oder Haft irgendwelcher Art unterliegt. In diesem Verbot einer Verhaftung erschöpft sich die Unverletzlichkeit aber nicht. Verboten sind beispielsweise auch Untersuchungen der Person nach §§ 81a und 81c StPO, die zwangsweise Entnahme von Blutproben, die zwangsweise Entnahme von Speichelproben nach §§ 81e oder 81g StPO zum Zwecke der Durchführung molekulargenetischer Untersuchungen, das Anfertigen von Lichtbildern und Fingerabdrücken sowie Durchsuchungen der Person nach §§ 102 und 103 StPO. Generell sind alle strafprozessualen Maßnahmen verboten, die mit einem zeitweiligen Festhalten des Diplomaten, also mit einer Beschränkung seiner persönlichen Bewegungsfreiheit, verbunden sind.22 Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um Zwangsmaßnahmen im Rahmen eines Strafverfahrens handelt, das gegen den Diplomaten als Beschuldigten geführt wird, oder der Diplomat als Nichtbeschuldigter Adressat von Zwangsmaßnahmen sein soll.23 dd) Die strafrechtliche Immunität der Diplomaten nach Art. 31 Abs. 1 WÜD und ihre Abgrenzung zur Unverletzlichkeit Nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD genießt der Diplomat Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates.24 Diese während der Zeit der dienstlichen Tätigkeit im Empfangsstaat zu gewährende Immunität ist umfassend. Der Diplomat ___________ Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 214 f.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 492; Nahlik, RdC 1990 III, 187 (327 ff.); Shearer, Starke’s International Law, S. 387 ff. 21 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (36, 40); Denza, Diplomatic Law, S. 212, 217 ff.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 35 f.; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 107 ff. 22 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 275; Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1042); dies., Diplomatic Law, S. 218 f.; Hildner, Unterworfenheit des Diplomaten unter die Verwaltungshoheit, S. 115 ff.; Parkhill, ICLR 21 (1998), 565 (574); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 227 f. 23 Unerheblich ist auch, ob es um Maßnahmen wegen einer (vermeintlichen) dienstlichen oder privaten Straftat des Diplomaten geht; vgl. Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 230 f. 24 Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD lautet schlicht: „Der Diplomat genießt Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaats.“ 20
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ist während der Dauer der Immunität der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates vollständig entzogen; gegen ihn darf kein Strafverfahren betrieben werden; eine vor Beginn der Immunität gegen ihn verhängte Strafe darf nicht vollstreckt werden.25 Die Immunität bezieht sich zum einen auf die dienstlichen Handlungen des Diplomaten, also alle in Ausübung seiner dienstlichen Funktionen als Mitglied der diplomatischen Mission vorgenommenen Handlungen. Zum anderen umfaßt sie auch alle in privater Eigenschaft begangene Taten, also solche Handlungen, die der privaten Lebenssphäre des Diplomaten zuzurechnen sind.26 Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD, der nicht zwischen dienstlichen und privaten Taten differenziert, sondern auch im Umkehrschluß aus Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD: Wenn danach die Immunität für alle in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit begangene Taten auch nach Beendigung der dienstlichen Tätigkeit fortbesteht, während sonst nach Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD die Exemtionen entfallen, so muß die Immunität während der Amtszeit umfassend sein.27 Diese Immunität ratione personae, also die der Person des Diplomaten unabhängig von dem Charakter der Tathandlung zukommende personenbezogene Exemtion, schließt gewissermaßen eine Immunität ratione materiae, also eine auf dienstliche Handlungen bezogene Exemtion, in sich ein. Diplomaten genießen mithin als „Teilmenge“ ihrer umfassenden Immunität ratione personae auch Immunität ratione materiae.28 Soweit es um die Frage einer Verfolgbarkeit von amtierenden Diplomaten durch den Empfangsstaat geht, kommt es somit auf die Klassifizierung der vor-
___________ 25 LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 2; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 278; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 43; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (577); Herdegen, Völkerrecht, § 38 Rn. 3; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 501; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 34; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 18 GVG Rn. 2; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 3; Salmon, Manuel de Droit Diplomatique, S. 300 ff.; Schweitzer/Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis, Rn. 1005, 1007; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 136 ff.; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1031, 1034 f.); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (446, 448): Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 36. Vgl. auch IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (37). 26 MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 107; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 278; Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (76 ff.); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (577); Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (976); Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 34; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 75; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (396 f.); Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (400); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 99, 109; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (446); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 36. 27 Vgl. Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (402); Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 34; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 109. 28 So auch BVerfGE 96, 68 (90) = NJW 1998, 50 (54); Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (78 f., 86).
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
geworfenen Tathandlung als „privat“ oder „dienstlich“ nicht an, die schwierige Abgrenzungsproblematik29 spielt hier keine Rolle. Für die während der Dienstzeit zu gewährende strafrechtliche Immunität ist zudem irrelevant, ob die einem Diplomaten vorgeworfene Tat vor Beginn seiner diplomatischen Tätigkeit und damit vor Erlangung des Status als exemte Person begangen wurde (sogenannte mitgebrachte Tat) oder zu einem Zeitpunkt, zu dem ihm bereits Immunität zustand. Ebenso ist irrelevant, ob eine Tat im Staatsgebiet des Empfangsstaates oder – aus dessen Sicht – im Ausland begangen wurde.30 Solange die Immunität besteht, sind vielmehr sämtliche Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit – von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens über die Durchführung einer Hauptverhandlung bis zur Vollstreckung eines Urteils – unzulässig, unabhängig davon, wann und wo die einer bevorrechtigten Person vorgeworfene Tat begangen wurde.31 Anders wäre das Ziel der Exemtionen, den Diplomaten eine von der Hoheitsgewalt des Empfangsstaates vollkommen unbeeinträchtigte Ausübung ihrer Funktionen zu ermöglichen, nicht zu erreichen. Das umfassende Verbot der Ausübung von Strafgerichtsbarkeit gegenüber Diplomaten bedeutet aber nicht nur, daß staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren, gerichtliche (Haupt-)Verfahren und Strafvollstreckungsmaßnahmen unzulässig sind. Zur (untersagten) Strafgerichtsbarkeit gehören vielmehr sämtliche Maßnahmen zur Feststellung und gegebenenfalls Durchsetzung eines staatlichen Strafanspruchs. Auch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen sind Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit. Damit sind Maßnahmen wie beispielsweise eine Verhaftung, eine Durchsuchung nach § 102 StPO, eine Untersuchung eines Diplomaten nach § 81a StPO, eine Blutabnahme bei einem Diplomaten nach § 81a StPO sowie eine Entnahme einer Speichelprobe nach §§ 81e oder 81g StPO zum Zweck der Durchführung molekulargenetischer Untersuchungen nicht nur durch die Unverletzlichkeit nach Art. 29 WÜD, sondern auch durch die Immunität nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD untersagt.32 ___________ Vgl. hierzu unten § 13 II. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 278; Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (976); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 75 Fn. 167. 31 KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 5. 32 Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 18; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 81a Rn. 35a, § 18 GVG Rn. 2; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (409); ders., Internationales Strafrecht, Rn. 529; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 5; KK-StPO-Senge, § 81a Rn. 12; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1034 f.). Ebenso das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. V.A.2. Zwar beziehen sich Maßnahmen nach § 81g StPO nicht auf die Verfolgung einer bestimmten, bereits begangenen Straftat, sondern sollen eine Aufklärung zukünftiger Straftaten ermöglichen (sogenannte Verfolgungsvorsorge), doch da sie anläßlich einer begangenen Straftat oder wegen einer begangenen Straftat ergriffen werden, sind sie 29 30
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Auch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen wie die Einholung von Auskünften über Telekommunikationsverbindungen nach § 100g StPO, eine Telefonüberwachung nach § 100a StPO oder Maßnahmen nach § 100c StPO sind – wie alle strafprozessualen Maßnahmen – durch die Immunität untersagt, soweit der ihnen zugrunde liegende Tatverdacht die Tat eines Diplomaten betrifft und die Maßnahme auf eine Strafverfolgung des Diplomaten abzielt.33 Allerdings verstoßen solche Maßnahmen nicht auch gegen die Unverletzlichkeit, da sie nicht unmittelbar gegen die Person eines Diplomaten gerichtet sind. Jedoch bezieht sich die Immunität nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD nur auf Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit, die gegen den Diplomaten als Beschuldigten gerichtet sind. Die Immunität von der Strafgerichtsbarkeit nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD ist so zu verstehen, daß sie (lediglich) strafprozessuale Maßnahmen zur Ahndung von (vermeintlichen) Taten des Diplomaten ausschließt, sie also ausschließlich auf Verfahren bezogen ist, die gegen den Diplomaten als Beschuldigten geführt werden.34 Eine strafprozessuale Inanspruchnahme eines Diplomaten als Nichtbeschuldigter, etwa durch eine Untersuchung nach § 81c StPO, eine Durchsuchung nach § 103 StPO oder eine Vernehmung als Zeuge nach §§ 48 ff. StPO, wird also nicht schon durch die Immunität des Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD untersagt.35 Man könnte ___________ als Annexmaßnahmen zur Strafverfolgung (eines Diplomaten) zu begreifen und erstreckt sich die Immunität deshalb auch auf sie. 33 Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 18; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 5. 34 A.A. Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 29; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 18 GVG Rn. 2. Doch läßt sich diese Auffassung nicht mit dem WÜD vereinbaren. Würde man aufgrund einer Immunität jegliche strafprozessuale Inanspruchnahme für untersagt halten, dann müßten auch Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals aufgrund ihrer Immunität ein Zeugnisverweigerungsrecht im Hinblick auf ihre dienstliche Tätigkeit besitzen. Ein solches gewährt das WÜD, da Art. 37 Abs. 3 WÜD anders als Art. 37 Abs. 2 WÜD nicht auf Art. 31 Abs. 2 WÜD verweist und auch keine eigenständige Regelung bezüglich eines Zeugnisverweigerungsrechtes trifft, aber gerade nicht. Vgl. unten § 13 I.1.c). 35 Auch Maßnahmen, die zwar den Diplomaten (mittelbar) betreffen, aber nicht gegen ihn gerichtet sind, sind nicht durch die Immunität nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD untersagt. So sind beispielsweise eine Durchsuchung seiner Wohnung oder seines privaten Kraftfahrzeugs, eine Überwachung seines Festnetz-Telefonanschlusses oder seines Mobiltelefons zwar dann durch die Immunität des Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD untersagt, wenn die Maßnahmen im Rahmen eines gegen ihn als Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens durchgeführt werden sollen, da solche Strafverfahren gänzlich unzulässig sind und deshalb auch Ermittlungsmaßnahmen ausscheiden. Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD steht aber solchen Maßnahmen nicht entgegen, wenn sie im Rahmen eines Strafverfahrens durchgeführt werden, das sich gegen eine ganz andere Person richtet. So darf etwa das private Kraftfahrzeug eines Diplomaten durchsucht werden, wenn der Verdacht besteht, daß dieses von einer anderen Person zur Begehung einer Tat benutzt wurde. Auch darf der Mobiltelefonanschluß eines Diplomaten überwacht werden, wenn der Verdacht besteht, daß dieses von einer anderen Person benutzt wird, um Straftaten zu begehen. Durchsuchungen seiner Wohnung sind dagegen durch Art. 30 Abs. 1 WÜD generell untersagt. Diese Vorschrift
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zwar argumentieren, der Begriff „Strafgerichtsbarkeit“, wie er in der deutschen Strafrechtswissenschaft und Strafrechtspraxis verstanden werde, umfasse alle Maßnahmen von Strafverfolgungsorganen, also auch strafprozessuale Maßnahmen, die gegen Nichtbeschuldigte gerichtet seien. Als Maßnahmen in Ausübung von so verstandener Strafgerichtsbarkeit seien daher auch Untersuchungen nach § 81c StPO, Durchsuchungen nach § 103 StPO, Vernehmungen von Zeugen und die Festsetzung von Ordnungsgeldern und Ordnungshaft etwa nach §§ 51 und 70 StPO zu bewerten. Doch liegt dem in Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD verwendeten Begriff „Strafgerichtsbarkeit“ nicht ein solch umfassendes Begriffsverständnis zugrunde. Dies zeigt sich schon daran, daß die Freistellung von der Zeugnispflicht in Art. 31 Abs. 2 WÜD gesondert geregelt ist. Läge dem Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD ein umfassendes Verständnis des Begriffs „Strafgerichtsbarkeit“ zugrunde, so wäre die Befreiung von der Zeugnispflicht in dieser Form unnötig. Im Hinblick auf das Strafrecht liefe Art. 31 Abs. 2 WÜD dann leer.36 Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die strafrechtliche Immunität ratione personae des Diplomaten nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD während ihrer Dauer folgende Bereiche umfaßt: x Schutz vor Strafverfolgungsmaßnahmen wegen Handlungen des Diplomaten, die dieser in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit als im Empfangsstaat akkreditierter Diplomat vorgenommen hat (Amtsimmunität – Immunität ratione materiae), x Schutz vor Strafverfolgungsmaßnahmen wegen während der Amtszeit begangener privater Handlungen des Diplomaten, x Schutz vor Strafverfolgungsmaßnahmen wegen während der Amtszeit begangener (dienstlicher) Handlungen des Diplomaten für seinen Entsendestaat oder einen Drittstaat, die keinen Bezug zur diplomatischen Tätigkeit haben, x Schutz vor Strafverfolgungsmaßnahmen wegen vor der Amtszeit als im Empfangsstaat akkreditierter Diplomat begangener privater Handlungen des Diplomaten, x Schutz vor Strafverfolgungsmaßnahmen wegen vor der Amtszeit als im Empfangsstaat akkreditierter Diplomat begangener dienstlicher Handlungen des Diplomaten im Rahmen eines früheren Dienstverhältnisses, etwa im Rahmen einer früheren Verwendung als Diplomat in einem dritten Staat, x Schutz vor strafprozessualen Zwangsmaßnahmen im Rahmen eines gegen den Diplomaten selbst gerichteten Strafverfahrens.
Zum Verhältnis der negativen strafrechtlichen Unverletzlichkeit nach Art. 29 Satz 1 WÜD zur Immunität von der Strafgerichtsbarkeit nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD ist festzustellen, daß die Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates, da sie umfassend vor strafrechtlichen Maßnahmen zur Verfolgung von Diplomaten wegen (vermeintlich) von ihnen begangener Taten schützt, eine negative strafrechtliche Unverletzlichkeit insofern einschließt, als es um Zwangs___________ verbietet auch die Überwachung eines in der Wohnung befindlichen Festnetz-Telefonanschlusses. Vgl. hierzu unten § 16 II. 36 Vgl. auch KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 5.
§ 13 Reichweite der personenbezogenen Exemtionen im Empfangsstaat
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maßnahmen geht, die gegen den Diplomaten als Beschuldigten gerichtet sind. Eine Festnahme nach §§ 112 ff. StPO, eine Untersuchung nach § 81a StPO und eine Durchsuchung nach § 102 StPO sind also bereits durch die Immunität von der Strafgerichtsbarkeit nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD untersagt. In bezug auf strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, die gegen einen Diplomaten als Beschuldigten gerichtet sind, hat die negative Unverletzlichkeit nach Art. 29 WÜD daher keine eigenständige Bedeutung.37 Doch heißt dies nicht, daß das Gebot der negativen Unverletzlichkeit des Art. 29 WÜD in bezug auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Diplomaten gegenüber dem Empfangsstaat leerläuft.38 Denn strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, die mit einer Beeinträchtigung der persönlichen Bewegungsfreiheit des Diplomaten verbunden, aber nicht gegen ihn als Beschuldigten gerichtet sind, sind nur aufgrund der negativen Unverletzlichkeit des Art. 29 WÜD untersagt. Dies gilt etwa für eine Durchsuchung nach § 103 StPO und eine Untersuchung nach § 81c StPO. Generell ist in bezug auf das Verhältnis von negativer Unverletzlichkeit zu strafrechtlicher Immunität im Diplomaten- und Konsularrecht festzuhalten, daß eine Immunität von der Strafgerichtsbarkeit, soweit sie reicht, bereits eine strafrechtliche Unverletzlichkeit beinhaltet. Soweit sie die Strafgerichtsbarkeit ausschließt, untersagt sie auch die Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen, da auch diese als Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit anzusehen sind. Da aber die Immunitäten des Diplomaten- und Konsularrechts als Befreiungen von der (eng verstandenen) Strafgerichtsbarkeit lediglich einer Strafverfolgung der geschützten Personen entgegenstehen, also nicht auch eine Inanspruchnahme als Nichtbeschuldigte untersagen, hat die Unverletzlichkeit in ihrer negativen Ausprägung dann Bedeutung, wenn es um strafprozessuale Zwangsmaßnahmen gegen Nichtbeschuldigte geht. Zudem hat die Festlegung von Unverletzlichkeit dann eigenständige Relevanz, wenn nur eine sachlich begrenzte oder sogar überhaupt keine Immunität, sondern nur eine Unverletzlichkeit gewährt wird. Wenn etwa lediglich Immunität ratione materiae, also eine Immunität für dienstliche Handlungen besteht, kann davon unabhängig eine weiterreichende Unverletzlichkeit zugestanden werden. So wird im Konsularrecht zum Teil für Privathandlungen zwar keine Immunität gewährt, wohl aber eine Unverletzlichkeit. Damit können zwar Strafverfahren gegen die geschützte Person durchgeführt werden, nicht jedoch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen.
___________ Wie hier auch Lord Slynn of Hadley in seinem Votum zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 419 (422). 38 So aber Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1027), der meint, dem Anspruch auf persönliche Unantastbarkeit (Recht auf Unverletzlichkeit) komme neben der Immunität (…) für Strafverfolgungsmaßnahmen des Empfangsstaates keine eigenständige Bedeutung zu. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. 37
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
ee) Befreiung von den Zeugenpflichten Art. 31 Abs. 2 WÜD39 legt fest, daß der Diplomat nicht verpflichtet ist, als Zeuge auszusagen.40 Bereits die Unverletzlichkeit nach Art. 29 WÜD verbietet es, den Diplomaten mittels gegen seine Person gerichteter Zwangsmaßnahmen zur Zeugenaussage zu zwingen.41 Art. 31 Abs. 2 WÜD entbindet darüber hinaus aber auch von der Pflicht, auszusagen. Dem Diplomaten steht nicht nur ein Auskunftsverweigerungsrecht entsprechend § 55 StPO oder ein auf dienstlich erlangte und dienstbezogene Erkenntnisse beschränktes Zeugnisverweigerungsrecht entsprechend § 53 StPO zu, sondern ein vollständiges Zeugnisverweigerungsrecht auch hinsichtlich privat erlangter Erkenntnisse, also eine Befreiung von der Zeugenpflicht entsprechend § 52 Abs. 1 StPO. Insofern sind die in der StPO normierten Zeugnisverweigerungsrechte nicht abschließend, sondern werden durch die Exemtionen nach dem WÜD ergänzt. Über sein Zeugnisverweigerungsrecht nach dem WÜD braucht der Diplomat allerdings, sollte er zur Gerichtsverhandlung erscheinen, nicht belehrt zu werden. § 52 Abs. 2 StPO kann, da die Diplomaten von der Zeugenpflicht nicht aufgrund eines persönlichen Näheverhältnisses befreit sind, wie dies bei den nach § 52 Abs. 1 StPO befreiten Personen der Fall ist, nicht analog angewandt werden, zumal davon auszugehen ist, daß Diplomaten ähnlich wie die nach § 53 StPO zeugnisverweigerungsberechtigten und ebenfalls nicht zu belehrenden Personen von ihrem Recht Kenntnis haben. Die Entbindung von der Zeugenpflicht nach dem WÜD reicht allerdings noch weiter als die nach §§ 52 f. StPO. Der Diplomat ist nicht einmal verpflichtet, vor Gericht zu erscheinen.42 Damit scheidet bereits eine Ladung als Zeuge aus, weil eine solche stets Befehlscharakter hat.43 Dies läßt sich zwar nicht unmittelbar aus ___________ 39
gen.“
Art. 31 Abs. 2 WÜD lautet: „Der Diplomat ist nicht verpflichtet, als Zeuge auszusa-
LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 7; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 280; Denza, Diplomatic Law, S. 258 ff.; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 29; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 11. Vgl. auch IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (37). Nach dem oben Gesagten (vgl. § 13 I.1.a)dd)) ergibt sich die Befreiung von den Zeugenpflichten nicht bereits aus der Immunität von der Strafgerichtsbarkeit, da sich diese allein auf strafprozessuale Maßnahmen bezieht, die gegen den Diplomaten als Beschuldigten gerichtet sind. 41 Also etwa durch die Verhängung von Ordnungs- oder Erzwingungshaft nach § 51 Abs. 1 und § 70 StPO. 42 Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 29; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 11. 43 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 280; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 398; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1035). A.A. Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 29; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 11; MK-ZPO-Wolf, § 18 GVG Rn. 3. Vgl. in diesem Zusammenhang auch unten Anm. 45. 40
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dem Wortlaut des Art. 31 Abs. 2 WÜD ableiten, der nur davon spricht, daß der Diplomat nicht verpflichtet ist „auszusagen“. Doch ergibt sich diese umfassende Befreiung von allen Zeugenpflichten aus dem Sinn der diplomatischen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Der Diplomat soll umfassend davor geschützt werden, in seiner Funktionsausübung durch Maßnahmen des Empfangsstaates behindert zu werden. Dies wäre aber bei einer rechtlich verbindlichen Aufforderung zum Erscheinen vor Gericht der Fall. Die umfassende Befreiung des Diplomaten von der Pflicht, vor Gericht zu erscheinen und als Zeuge auszusagen, bedeutet natürlich auch, daß Sanktions- und Erzwingungsmaßnahmen bei einem Ausbleiben bzw. einer Zeugnisverweigerung nach §§ 51, 70 StPO unzulässig sind, unabhängig davon, inwieweit sie bereits aufgrund der Unverletzlichkeit des Diplomaten ausscheiden.44 Auch wenn ein Diplomat somit nicht verpflichtet ist, als Zeuge vor Gericht zu erscheinen, er deshalb auch nicht geladen werden darf und er ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht hat, so kann er doch freiwillig erscheinen und auf sein Zeugnisverweigerungsrecht „verzichten“, braucht also von diesem keinen Gebrauch zu machen.45 Bei diesem „Verzicht“ handelt es sich nicht um einen Verzicht im Sinne des Art. 32 Abs. 1 WÜD, der nur vom Entsendestaat erklärt werden
___________ So auch LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 7; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 29; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 11; RRH-OWiG-Herrmann, § 46 Rn. 18; Seitz, in: Göhler, Ordnungwidrigkeitengesetz, vor § 59 Rn. 39, § 59 Rn. 71; KKOWiG-Wache, vor § 53 Rn. 48, § 59 Rn. 73. Soweit Pfeiffer, a.a.O., meint, eine Ahndung von Ungebühr nach § 178 GVG sei möglich, kann dem nicht gefolgt werden. Denn eine solche Sanktion wäre eine repressive Maßnahme in Ausübung von Strafgerichtsbarkeit und verstieße damit gegen die umfassende Immunität der Diplomaten nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD. Allenfalls präventiv-polizeiliche Maßnahmen zur Beendigung einer andauernden Störung können gestattet sein; vgl. hierzu unten § 13 I.1.a)gg). Dies bedeutet, daß Maßnahmen nach § 177 GVG statthaft, solche nach § 178 GVG dagegen nicht erlaubt sind. Fehlgehend daher auch MK-ZPO-Wolf, vor § 18 GVG Rn. 5. Wie hier dagegen LRStPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 7; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 7 sowie Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (79 f.), der zutreffend darauf hinweist, daß die Bereitschaft, als Zeuge auszusagen, keinen Verzicht auf Immunität darstellt und daher Sanktionen gegen Zeugen (nach § 178 GVG) nicht erlaubt sind. 45 Daher scheidet zwar eine (stets mit dem verbindlichen Befehl, zu erscheinen, verbundene) Ladung zur Zeugenaussage nach § 48 StPO aus, nicht aber eine schriftliche Bitte, zu erscheinen und auszusagen. So auch Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 398; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1035). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Nr. 197 I der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV); abgedr. u.a. in Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Anhang Nr. 12. Dort wird zwar von einer „Ladung“ gesprochen, doch betont, es sei eine besondere Vorladung zu fertigen, in der die von der Gerichtsbarkeit befreite Person unter genauer Bezeichnung des Gegenstands und der Art der Verhandlung gebeten werde, zu erklären, ob sie bereit sei, sich zu dem angegebenen Zeitpunkt einzufinden oder ob sie sich statt dessen in ihren Wohn- oder Diensträume vernehmen lassen oder über den Gegenstand der Vernehmung eine schriftliche Äußerung abgeben möchte. 44
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kann.46 Es handelt sich nämlich bei der Befreiung von den Zeugenpflichten nicht wie bei der Freistellung von der Strafgerichtsbarkeit um ein an den Empfangsstaat gerichtetes Verbot, strafrechtlich tätig zu werden, von dem der Entsendestaat einen Dispens erteilen kann, also um ein Verbot, das nur dann eine Ausnahme erfährt, wenn der Entsendestaat sein Einverständnis mit einem strafrechtlichen Tätigwerden des Empfangsstaates in Form eines Verzichts auf die Immunität – und damit der Sache nach in Form einer Aufhebung des Verbots – explizit erklärt. Sondern es handelt sich um ein Recht des Diplomaten, das zwar im Interesse der Funktionsfähigkeit der diplomatischen Beziehungen und damit letztlich im Interesse des Entsendestaates gewährt wird, das aber als Recht nur dann relevant wird, wenn es vom Diplomaten ausdrücklich in Anspruch genommen wird. Insofern kommt es allein darauf an, ob der Diplomat selbst erklärt, erscheinen bzw. aussagen zu wollen.47 Die Strafverfolgungsbehörden müssen also für eine Vernehmung eines Diplomaten als Zeugen nicht eine Verzichtserklärung (sprich: eine Erlaubnis) des Entsendestaates einholen und handeln nicht völkerrechtswidrig, wenn sie die Aussage eines Diplomaten entgegennehmen und verwerten, obwohl der Entsendestaat einer Zeugenaussage nicht zugestimmt oder ihr sogar ausdrücklich widersprochen hat.48 Wenn ein Diplomat aber freiwillig als Zeuge aussagt, ist auch er verpflichtet, wahrheitsgemäß auszusagen; allerdings kann er selbst bestimmen, auf welche Fragen er keine Antwort geben will, denn auf das Zeugnisverweigerungsrecht kann er sich jederzeit, also auch nach Beginn einer Vernehmung und angesichts einer be___________ So auch Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (79) und wohl auch American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 464 Comment f); Denza, Diplomatic Law, S. 260 sowie Nahlik, RdC 1990 III, 187 (263). A.A. Lewis, State and Diplomatic Immunity, S. 140; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 75; Wright, B.U.Int’L.J 5 (1987), 177 (192). Unklar Nascimento E Silva, Diplomacy in International Law, S. 127. Vgl. zur Möglichkeit eines Verzichts auf Exemtionen unten § 13 IV. 47 Vgl. auch die in die gleiche Richtung zielenden Feststellungen von George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (114). Uneinheitlich scheint die Auffassung der ILC im Vorfeld der Wiener Konferenz 1961 gewesen zu sein. So heißt es in dem Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1957, der einen kommentierten Vorentwurf für eine Diplomatenrechtskonvention enthält: “Should the diplomatic agent agree to give written or oral testimony, there is nothing to prevent him from doing so”; YBILC 1957 II, 132 (139) (UN-Dokument A/3623). Ein Jahr später heißt es dann in dem Kommentar zum überarbeiteten Entwurf einer Diplomatenrechtskonvention im Bericht an die UN-Generalversammlung von 1958, YBILC 1958 II, 89 (98) (UN-Dokument A/3859): “Where his immunity is waived, he may give either written or oral testimony.” 48 Es ist deshalb für die Strafverfolgungsbehörden des Empfangsstaates unerheblich, ob es dem Diplomaten im Innenverhältnis zu seinem Staat untersagt ist, als Zeuge auszusagen oder er umgekehrt von diesem angewiesen wurde, sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen. Viele Staaten verlangen von ihren Diplomaten, vor einer Zeugenaussage eine Genehmigung des Außenministeriums ihres Entsendestaates einzuholen; vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 260 f. Ein solches Erfordernis ist aber – wie gesagt – nur für das Innenverhältnis zwischen dem Diplomaten und seinem Entsendestaat von Relevanz. 46
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stimmten Frage, berufen. Auch dann, wenn ein Diplomat entgegen seiner Ankündigung nicht zur Vernehmung erscheint bzw. entgegen einer vorherigen Ankündigung doch nicht auf alle Fragen antwortet, scheiden Straf- und Ordnungsmaßnahmen nach §§ 51 und 70 StPO aus. Denn die Bereitschaft zur Mitwirkung in einem Strafverfahren als Zeuge ist jederzeit frei widerruflich; umgekehrt gesprochen kann von dem Recht, nicht zu erscheinen oder das Zeugnis zu verweigern, auch entgegen einer vorherigen gegenteiligen Ankündigung jederzeit Gebrauch gemacht werden.49 Allerdings spielt die Möglichkeit eines Verzichts des Entsendestaates nach Art. 32 Abs. 1 WÜD auch hinsichtlich der Zeugenpflichten des Diplomaten eine gewisse Rolle.50 Zwar ist kein Verzicht des Entsendestaates erforderlich, damit der Empfangsstaat einen Diplomaten als Zeugen vernehmen kann, denn – wie gesagt – Art. 31 Abs. 2 WÜD ist als ein Recht ausgestaltet, das in Anspruch genommen werden muß, spielt also nur dann eine Rolle, wenn sich der Diplomat auf dieses Recht beruft. Doch kann der Entsendestaat, da die Rechte, nicht zu erscheinen und nicht auszusagen, in seinem Interesse und nicht im persönlichen Interesse des Diplomaten gewährt werden, auf das Vorrecht als solches verzichten. Der Entsendestaat kann also erklären, ein Recht, zu einer Vernehmung als Zeuge nicht zu erscheinen bzw. das Zeugnis zu verweigern, brauche der Empfangsstaat den Diplomaten des Entsendestaates nicht einzuräumen. Dann hat der Diplomat nicht die Möglichkeit, eine Aussage zu verweigern und ist zum Erscheinen und zur Aussage in gleichem Maße wie jede sonstige Person verpflichtet und kann dann auch hierzu mit Ordnungsmitteln nach §§ 51 und 70 StPO angehalten werden.51
___________ Vor der Festsetzung von Ordnungshaft schützt zudem die Unverletzlichkeit des Art. 29 WÜD, die nicht zur Disposition des Diplomaten steht. 50 Siehe ausführlich zu den Regelungen über einen Verzicht auf die Vorrechte und Befreiungen im Diplomaten- und Konsularrecht unten § 13 IV. 51 A.A. jedoch Lewis, State and Diplomatic Immunity, S. 140. Zwar spricht Art. 32 Abs. 1 WÜD lediglich von einem Verzicht auf die Immunität von der Gerichtsbarkeit, so daß man meinen könnte, der Entsendestaat könne nur auf die Immunität von der Strafgerichtsbarkeit nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD verzichten. Doch ist unbestritten, daß die Verzichtsmöglichkeit alle strafrechtlichen Vorrechte und Befreiungen betrifft, da diese alle ausschließlich im Interesse des Entsendestaates und nicht im persönlichen Interesse der Diplomaten oder sonstiger bevorrechtigter Personen gewährt werden. Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 288. Daher kann dieser auch über die Vorrechte und Befreiungen disponieren. So ist unbestritten, daß der Entsendestaat auch auf die Unverletzlichkeit nach Art. 29 Satz 1 WÜD verzichten kann, obwohl der Verzicht auf diese nicht in Art. 32 Abs. 1 WÜD explizit erwähnt ist. Ein Blick auf die vergleichbare Regelung des Verzichts auf Vorrechte und Befreiungen im WÜK (Art. 45 Abs. 1 WÜK) bestätigt diese Feststellung. Art. 45 Abs. 1 WÜK betont ausdrücklich, der Entsendestaat könne auf die vom Konsularrecht gewährte Unverletzlichkeit, die Immunität von der Gerichtsbarkeit und das Zeugnisverweigerungsrecht verzichten. 49
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Der Diplomat ist ferner von einer Pflicht zu einer Mitwirkung in einem Strafverfahren als Sachverständiger befreit.52 Dies ergibt sich zwar für das deutsche Recht bereits aus §§ 75, 76 Abs. 1 StPO, doch darüber hinaus auch aus dem WÜD, so daß die Bundesrepublik auch völkerrechtlich dazu verpflichtet ist, diese Befreiung anzuerkennen. Auch wenn das WÜD explizit nur von der Pflicht befreit, als Zeuge auszusagen, so wird man doch Art. 31 Abs. 2 WÜD analog auf die Mitwirkung in einem Strafverfahren als Sachverständiger beziehen müssen. Denn die Freistellung von der Zeugenpflicht soll verhindern, daß der Diplomat in der Wahrnehmung seiner Funktionen im Empfangsstaat durch die Pflicht zur Mitwirkung in einem gerichtlichen Verfahren behindert wird. Dies wäre aber bei einer Verpflichtung als Sachverständiger in gleichem Maße wie als Zeuge der Fall.53 ff) Sachliche Grenzen der Immunität Es wurde betont, die Immunität der Diplomaten von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates sei umfassend. Doch stellt sich die Frage, ob diese umfassende Exemtion sachliche Grenzen kennt, ob es also bestimmte Taten gibt, bei der die Immunität aufgrund des Charakters des durch die Tat verletzten Rechtsgutes oder aufgrund sonstiger die Tat selbst betreffender Aspekte eine Ausnahme erfährt. Diese Frage wird zur Zeit vor allem in bezug auf völkerrechtliche Verbrechen und schwere Menschenrechtsverletzungen diskutiert. Ob die diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei solchen Taten eine Ausnahme erfahren, soll für alle diplomatischen und konsularischen Exemtionen gemeinsam unten in § 14 erörtert werden. Denn weil es sich bei völkerrechtlichen Verbrechen und sonstigen schweren Menschenrechtsverletzungen um Taten handelt, die entweder direkt nach Völkerrecht strafbar sind oder aber zumindest gegen auch auf völkerrechtlicher Ebene geschützte Menschenrechte verstoßen, an ihrer strafrechtlichen Ahndung die Staatengemeinschaft insgesamt ein Interesse hat und sogar völkerrechtliche Pflichten zu ihrer Verfolgung bestehen, sind für die Beantwortung der Frage, ob die diplomatischen und konsularischen Immunitäten bei solchen Taten ausnahmsweise nicht gelten, besondere Überlegungen anzustellen, die es sinnvoll erscheinen lassen, diesen momentan die Diskussion über die Reichweite völkerrechtlicher Exemtionen bestimmenden Aspekt vorerst zurückzustellen. Hier geht es daher zunächst um zwei andere Gruppen von Taten. Zum einen stellt sich die Frage, ob die Immunitäten auch dann einer Strafverfolgung entgegenstehen, wenn Diplomaten gegen den Empfangsstaat gerichtete Spionage betreiben, Bestrebungen unterstützen, die Regierung des Empfangsstaates zu stürzen, an ___________ Ebenso Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 29; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 11. 53 Für eine völkerrechtliche Befreiung von einer Pflicht zur Mitwirkung an einem Verfahren als Sachverständiger auch Berber, Völkerrecht, Bd. I, S. 286. 52
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hochverräterischen Taten mitwirken, sich in sonstiger Weise unter Verstoß gegen Art. 41 Abs. 1 Satz 3 WÜD intensiv in die inneren Angelegenheiten des Empfangsstaates einmischen oder sich an terroristischen oder geheimdienstlichen Gewaltakten, also gewalttätigen Anschlägen auf Menschen oder Einrichtungen im Empfangsstaat, beteiligen. Kennzeichen solcher Taten ist, daß diese sich unmittelbar gegen die Sicherheit, die Integrität oder die Verfassungsordnung des Empfangsstaates richten bzw. in erheblichem Maße den Rechtsfrieden und die Sicherheit der Menschen im Empfangsstaat beeinträchtigen. Man könnte argumentieren, wenn sich Diplomaten an solchen Taten beteiligten, sei es aus eigenem Antrieb, sei es – wie in der Regel – auf Veranlassung des Entsendestaates hin, würden sie in einer Weise agieren, die sich mit ihrer Funktion nicht mehr vereinbaren lasse und mit den vom Völkerrecht anerkannten Aufgaben von Diplomaten nichts mehr zu tun habe. Solche Taten würden in extremem Maße die Sicherheit und Integrität des Empfangsstaates bzw. die Sicherheit der Bürger bedrohen, so daß die Täter sich nicht mehr auf die diplomatischen Exemtionen berufen könnten. In einem solchen Fall entfalle die Basis für die Gewährung der Vorrechte und Befreiungen, denn diese beruhten auf der Annahme, die empfangenen Diplomaten würden den vom WÜD anerkannten Aufgaben nachgehen und – wie die Präambel des WÜD betont – zur Entwicklung und Förderung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Staaten beitragen. Zudem sei in solchen Fällen ein Vertrauen der Diplomaten bzw. ihrer Entsendestaaten auf den Schutz durch die völkerrechtlichen Exemtionen nicht schutzwürdig. Diese würden sich widersprüchlich verhalten, wenn sie sich in solchen Fällen, in denen sie ihre Pflichten gegenüber dem Empfangsstaat, wie sie im WÜD und übrigen Völkerrecht normiert sind, eklatant verletzen, dennoch auf die völkerrechtlichen Exemtionen beriefen. In solchen Fällen sei eine Verwirkung der diplomatischen Exemtionen anzunehmen.54 Zumindest aber sei eine Strafverfolgung unter Mißachtung der diplomatischen Immunität als völkerrechtliche Repressalie oder mit dem Gedanken eines völkerrechtlichen Notwehrrechts der Staaten ausnahmsweise zu rechtfertigen.55 Zum anderen geht es um Fälle geringfügiger, aber in erheblichem Umfang vorkommender Massendelinquenz, also gewissermaßen um Fälle am anderen Ende der ___________ So etwa Doehring, Völkerrecht, Rn. 684; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (85 ff.); Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 45. Vgl. auch Doehring, in: Böckstiegel u.a. (Hrsg.), FS Seidl-Hohenveldern, S. 51 (54 ff.). Mit dem Begriff „Verwirkung“, der im Völkerrecht noch nicht lange Verwendung findet, wird dabei ein Rechtsverlust aufgrund grober Pflichtverletzung gekennzeichnet; vgl. Kokott, in: Beyerlin u.a. (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 135 (137 f.). Zur Existenz des Rechtsinstituts der Verwirkung im Völkerrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz i.S.d. Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut siehe Kokott, a.a.O., S. 135 (140 ff.). Vgl. auch Wilson, Diplomatic Privileges and Immunities, S. 82 ff., der in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts vor dem Hintergrund des Kalten Krieges die Auffassung vertrat, die Pflicht zur Gewährung diplomatischer Immunitäten sei gegenüber der einer Gewährleistung nationaler Sicherheit nachrangig. 55 Vgl. die Überlegungen von Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 366 ff. 54
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Kriminalitätsskala. In vielen Hauptstädten sind durch Diplomaten begangene Verkehrsdelikte zu einem größeren Problem geworden.56 Mit dem Wissen, nicht strafrechtlich verfolgt werden zu können, sinkt offenbar die Bereitschaft, sich an Geschwindigkeitsbeschränkungen und Parkverbote zu halten. Man könnte bezüglich dieser Fälle argumentieren, daß die Exemtionen gemäß der Funktionstheorie dem Zweck dienten, den Diplomaten eine von der Hoheitsgewalt des Empfangsstaates unbeeinträchtigte Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu ermöglichen und sie, wie auch die Präambel zum WÜD betont, nicht dazu dienten, einzelne zu bevorzugen. Eine Ahndung wegen geringfügiger Verkehrsdelikte unter Verhängung eines Bußgeldes oder Verurteilung zu einer geringen Geldstrafe könne aber die Funktionsausübung nicht beeinträchtigen. Daher seien die Diplomaten durch ihre Immunität nicht vor einer strafrechtlichen Verfolgung wegen Bagatelldelikten wie etwa Verkehrsverstößen geschützt. Solche Versuche, die diplomatischen Exemtionen sachlich einzuschränken, sind aber mit dem geltenden Völkerrecht nicht vereinbar. Dies gilt sowohl hinsichtlich der erstgenannten Fallgruppe schwerer Straftaten, namentlich für Spionagetaten, als auch hinsichtlich der letztgenannten Kategorie geringfügiger Delikte aus dem Bereich der Alltagskriminalität.57 ___________ Vgl. SZ vom 30.10.2003, S. 7, wo berichtet wird, allein die Vertreter Ägyptens bei den USA in Washington und bei den Vereinten Nationen in New York hätten in der Zeit vom 1.4.1997 bis 30.9.2003 knapp 18.000 Strafzettel angesammelt, wobei sich die Gesamtsumme der nicht bezahlten Bußgelder auf 2 Mio. US-$ belaufe. Der US-Senat habe daraufhin im Oktober 2003 beschlossen, die Summe der nicht bezahlten Bußgelder von den Entwicklungshilfezahlungen an die betreffenden Länder abzuziehen. Siehe ferner die Darstellung bei Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (81 ff.) sowie bei Parkhill, ICLR 21 (1998), 565 (580), der berichtet, daß die UN-Botschaft Rußlands bei den Vereinten Nationen in New York im Jahr 1995 über 24.000 “parking tickets” angesammelt habe. 57 Ebenso BVerfGE 96, 68 (82) = NJW 1998, 50 (52); BVerfGE 92, 277 (321) = NJW 1995, 1811 (1813) (bezogen auf Spionage); Blischtschenko/Durdenewski, Diplomaten- und Konsularrecht, S. 395; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 278; Dembinski, Modern Law of Diplomacy, S. 204; Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1043); Doehring, Spionage im Friedensvölkerrecht, S. 307 (322) (bezogen auf Spionage); ders., Völkerrecht, Rn. 497, 678; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 43; Frowein/Wolfrum/Schuster, Gutachten, S. 18 (bezogen auf Spionagetaten); George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (113 f.); Gusy, NZWehrr 1984, 187 (198) (bezogen auf Spionage); Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 63; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 501; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 18; Meyer-Lindenberg/Seidl-Hohenveldern, in: SeidlHohenveldern (Hrsg.), LdR-VR, S. 65 (69); Mössner, NJW 1982, 1196 (1198) (bezogen auf Spionage); Nahlik, RdC 1990 III, 187 (252 ff.); Nascimento E Silva, Diplomacy in International Law, S. 120 ff.; Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (400, 403 ff.); Shebelskie, YJIL 11 (1986), 521 (524 f.) (bezogen auf Spionage); Schuster, ZaöRV 51 (1991), 651 (658) (bezogen auf Spionage); Shaw, International Law, S. 533; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1028; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 136 ff.; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 902; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1031); Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 957 Fn. 1. Vgl. auch Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (82). Dies 56
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Zunächst einmal ist der Wortlaut der Art. 29 und Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD eindeutig. Diese gewähren Unverletzlichkeit und Immunität von der Strafgerichtsbarkeit ohne Einschränkung. Angesichts des klaren und unmißverständlichen Wortlauts sind teleologisch und funktional begründete Reduktionen der Gewährleistungen des WÜD nicht statthaft.58 Eine – derart begründete – Versagung der Immunität für Straßenverkehrsdelikte und andere Taten des Spektrums der geringfügigen Kriminalität scheidet damit aus. Auch kann eine Weiterentwicklung des Völkergewohnheitsrechts dahingehend, daß bestimmte Taten der Alltagskriminalität der diplomatischen Immunität nicht (mehr) unterfallen,59 nicht festgestellt werden. Denn in der Staatenpraxis wird auf die (allzu häufig) vorkommenden Verkehrsdelikte von bevorrechtigten Personen nicht mit deren Bestrafung reagiert. Vielmehr wird auch in solchen Fällen die Immunität anerkannt.60 Als probates Mittel zur Einschränkung von Verkehrsverstößen hat sich in London die bloße Androhung der Erklärung notorischer Verkehrssünder zu personae non gratae erwiesen.61 Zum einen haben die meisten Diplomaten kein ___________ war auch die Auffassung der ILC bei der Ausarbeitung eines Entwurfs für das WÜD; vgl. den Kommentar zum Entwurf einer Diplomatenrechtskonvention im Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung von 1957, YBILC 1957 II, 132 (139) (UN-Dokument A/3623) und den Kommentar zum Entwurf einer Diplomatenrechtskonvention im Bericht an die UN-Generalversammlung von 1958, YBILC 1958 II, 89 (98) (UN-Dokument A/3859). Vgl. aber bezüglich “traffic tickets” die (allerdings nicht völkerrechtskonformen) Ausführungen in American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 464 Reporters’ Note 8. 58 Ebenso Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 95 f. (Barker weist zutreffend darauf hin, daß aus Art. 41 WÜD, der die Pflicht zur Beachtung der Rechtsordnung des Empfangsstaates normiert, keine Beschränkung der Exemtionen abgeleitet werden kann); Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (403 f.). 59 Zur grundsätzlichen Möglichkeit einer Änderung der Exemtionsbestimmungen des WÜD und des WÜK durch neues Völkergewohnheitsrecht siehe oben § 12 II.5. 60 In den USA wurde zwar Diplomaten die Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. ein temporäres Fahrverbot bei schweren oder wiederholten Verkehrsverstößen angedroht und teilweise sind solche Maßnahmen auch ergriffen worden, doch wurde Wert auf die Feststellung gelegt, daß es sich hierbei nicht um punitive Sanktionen handele, sondern um die (zeitweilige) Entziehung eines Privilegs (die Befugnis, Auto zu fahren), auf das kein Anspruch bestehe. Im Jahr 1984 wurden die diplomatischen Missionen in den USA informiert, daß “immunity from jurisdiction does not imply that the receiving state must allow all individuals with such immunity the privileges of operating an automobile, or continue to grant such a privileges if abused”. Vgl. Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (82 f.) und American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 463 Reporters’ Notes 2. Ausdrücklich gegen ein Recht des Empfangsstaates auf Entziehung der Fahrerlaubnis aber Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 65 und das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPOPfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. V.A.2.c. 61 Vgl. Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 149 ff.; Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (83); Denza, Diplomatic Law, S. 70 f., die berichtet, nach dieser Ankündigung habe sich die Zahl unter Berufung auf diplomatische Immunität nicht bezahlter “parking tickets” von 108.000 im Jahr 1984 auf 2.300 im Jahr 1993 reduziert.
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Interesse daran, wegen Verkehrsverstößen ihren Posten zu verlieren und damit auch im Heimatstaat der Kritik ausgesetzt zu sein, zum anderen wollen die Entsendestaaten vielfach eine kritische Stimmung gegen ihre Diplomaten und damit letztlich gegen das eigene Land sowie die „Ausweisung“ ihres Botschaftspersonals vermeiden und halten ihre Vertreter daher zu einer Beachtung der örtlichen Verkehrsregeln an.62 Damit ist festzuhalten, daß auch Taten aus dem Bereich der geringfügigen Kriminalität, vor allem Verkehrsdelikte wie Geschwindigkeitsüberschreitungen und Parkverstöße, von der Immunität der Diplomaten umfaßt sind. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß bei der Ausarbeitung des WÜD eine explizite Aufnahme einer Ausnahme von der Immunität bei Verkehrsverstößen in das WÜD nur hinsichtlich der Freistellung von der Zivilgerichtsbarkeit diskutiert wurde, aber selbst eine solche Ausnahme verworfen wurde.63 Soweit ersichtlich, wurden sachbezogene Ausnahmen von den strafrechtlichen Exemtionen des WÜD weder im Vorfeld der Wiener Konferenz im Rahmen der ILC diskutiert64 noch war die Frage von sachbezogenen Ausnahmen Gegenstand der Verhandlungen auf der Wiener Konferenz 1961. Vielmehr geht aus den Unterlagen der ILC und der Konferenz sowie den Berichten über die Konferenz hervor, daß die strafrechtliche Immunität einhellig als uneingeschränkt verstanden wurde.65 Die Entstehungsgeschichte des WÜD widerspricht daher der Annahme einer impliziten Immunitätsausnahme bei bestimmten Arten von Straftaten. Im Hinblick auf die genannten schweren Straftaten wie geheimdienstliche Gewalttaten, hochverräterische Aktivitäten oder Spionage ließe sich zwar zunächst an eine Verwirkung der Exemtionen oder an eine Rechtfertigung ihrer Mißachtung auf der Basis einer zulässigen Repressalie oder des Gedankens der Notwehr denken. Schließlich kennt das Völkergewohnheitsrecht diese Rechtsinstitute.66 Aber sie sind im Diplomatenrecht – und gleiches gilt für das Konsularrecht – nicht anwendbar. Denn die vom IGH im bereits erläuterten „Teheraner Geiselfall“ vorgenommene Klassifizierung des Diplomatenrechts als ein self-contained regime verbietet es dem Empfangsstaat auch bei schweren Rechtsverstößen von Diplomaten, hierauf ___________ Siehe auch oben Anm. 56. Vgl. Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (397 Fn. 15). Oehler scheint allerdings übersehen zu haben, daß nur über eine Ausnahme von der Zivilgerichtsbarkeit bei Schadensereignissen im Straßenverkehr diskutiert wurde; vgl. zu dieser Diskussion Kerley, AJIL 56 (1962), 88 (120 f.); Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 (420). 64 Vgl. die Protokolle über die Diskussion innerhalb der ILC in YBILC 1957 I, 89 ff.; YBILC 1958 I, 146 f. 65 Vgl. die Berichte der ILC: YBILC 1957 II, 132 (139) (UN-Dokument A/3623); YBILC 1958 II, 89 (98) (UN-Dokument A/3859). Vgl. die Berichte über die Wiener Konferenz 1961: Bindschedler, SchwJIR 18 (1961), 29 (38) Kerley, AJIL 56 (1962), 88 (119 ff.); Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 (419 ff.). 66 Vgl. Kokott, in: Beyerlin u.a. (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 135 (140 ff.). 62 63
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mit anderen Mitteln als den im Diplomatenrecht ausdrücklich vorgesehenen zu reagieren.67 Auf die diesbezüglichen Ausführungen oben bei § 12 II.4. sei an dieser Stelle verwiesen. Im „Teheraner Geiselfall“ hatte der Iran den USA Spionageaktivitäten, Einflußnahme auf die Regierungsbildung im Iran und langjährige Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes, also schwerwiegende Taten wie die hier diskutierten, vorgeworfen. Dennoch hielt der IGH die Mißachtung der Unverletzlichkeit der diplomatischen Mission der USA in Teheran und die der Mitglieder der Mission nicht für gerechtfertigt, sondern betonte: “The Vienna Conventions of 1961 and 1963 contain express provisions to meet the case when members of an embassy staff, under the cover of diplomatic privileges and immunities, engage in such abuses of their functions as espionage or interference on the internal affairs of the receiving State.”68
Als statthafte Reaktionsmöglichkeiten im Rahmen des self-contained regime nennt der IGH in seiner Entscheidung nur die Erklärung einer bevorrechtigten Person zur persona non grata oder nicht genehmen Person sowie die Möglichkeit des Abbruchs diplomatischer Beziehungen.69 Das BVerfG schloß sich 1997 dieser Bewertung an und betonte, die diplomatische Immunität von strafrechtlicher Verfolgung kenne keine Ausnahme für beson___________ Vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (38 ff.) sowie Barnhoorn, NYIL 25 (1994), 39 (46, 56 f., 60, 80). Die Ausführungen von Kokott, in: Beyerlin u.a. (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 135 (142 ff.) sind daher widersprüchlich, wenn sie einerseits einen Rückgriff auf das Rechtsinstitut der Repressalie im Bereich des Diplomatenrechts wegen dessen Charakter als self-contained regime ausschließt (a.a.O., S. 143), andererseits aber die Möglichkeit einer Verwirkung von Exemtionen bejaht (a.a.O., S. 144 ff.). Dagegen geht Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 363 ff. davon aus, daß das Diplomaten- und das Konsularrecht entgegen den Feststellungen des IGH kein self-contained regime seien, da z.B. eine Mißachtung der Exemtionen zur Vornahme von Gefahrenabwehrmaßnahmen zulässig sei (vgl. unten § 13 I.1.a)gg)). Sie kommt deshalb zu dem Ergebnis, daß die Begründung einer Immunitätsausnahme unter Rückgriff auf die Institute der Repressalie und des Verbots des Rechtsmißbrauchs theoretisch möglich ist. Letztlich lehnt sie aber die Zulässigkeit einer Nichtgewährung völkerrechtlicher Exemtionen im Wege der Repressalie doch ab, da eine solche Reaktion gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße (a.a.O., S. 379 ff.). Auch die Versagung von Immunität aufgrund rechtsmißbräuchlicher Inanspruchnahme hält sie für praktisch kaum möglich, da die Geltendmachung von Immunitäten nach Begehung einer schweren Straftat nicht mit dem Ziel erfolgen dürfte, den Empfangsstaat zu schädigen (a.a.O., S. 382 f.). In der Tat dürfte es dem Entsendestaat bei der Geltendmachung völkerrechtlicher Exemtionen nur darum gehen, den Beschuldigten einer Strafverfolgung zu entziehen. Doch ist der Argumentation von Lüke entgegenzuhalten, daß die Zulässigkeit von Gefahrenabwehrmaßnahmen völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist und die auf repressive Maßnahmen beschränkten strafrechtlichen Exemtionen präventiv-polizeiliche Maßnahmen nicht betreffen, also insofern – anders als Lüke meint, gar keine Mißachtung der Exemtionen stattfindet, wenn Gefahrenabwehrmaßnahmen ergriffen werden. 68 IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (38). 69 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (39 f.). 67
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ders gravierende Rechtsverstöße, der Diplomat könne in solchen Fällen nur zur persona non grata erklärt werden.70 Die Staatenpraxis bestätigt diese Gerichtsentscheidungen. Wie oben in § 11 I.2.b) dargelegt wurde, stellte sich schon bald nach der Etablierung ständiger diplomatischer Gesandtschaften einigen Regenten die Frage, ob sie gegen Diplomaten, die ihren Sturz betrieben hatten, strafrechtlich vorgehen dürften. Obwohl dies von seiten einiger Wissenschaftler bejaht wurde, wurde nie eine Strafverfolgung betrieben, sondern lediglich mit einer Ausweisung der betreffenden Personen reagiert.71 Auch heute noch ist die Staatenpraxis völlig einheitlich. Spionageaktivitäten von Diplomaten gehören fast zum Alltag, auch Verwicklungen in geheimdienstliche Gewalttaten kommen hin und wieder vor. Eine Bestrafung der in solche Taten involvierten Diplomaten findet aber nicht statt, vielmehr wird in der Regel mit der Erklärung der beschuldigten Personen zu personae non gratae reagiert.72 Die Annahme einer Weiterentwicklung des Völkergewohnheitsrechts und damit einer Modifizierung der Exemtionsregelungen des WÜD im Sinne einer gewohnheitsrechtlichen Anerkennung einer Ausnahme von den Exemtionen bei Straftaten der hier untersuchten Art verbietet sich damit.73 Auch rechtspolitisch könnte eine Ausnahme von der Immunität bei den hier diskutierten Fallgruppen nicht überzeugen, vor allem nicht bei schweren Straftaten wie Spionage, geheimdienstlichen Gewalttaten und ähnlichen Aktivitäten. Eine entsprechende völkervertragliche Modifizierung des WÜD wäre zwar – wie oben in § 12 II.5. dargelegt wurde – möglich, auch im Rahmen bilateraler Vereinbarungen, doch nicht sinnvoll. Vielmehr ist die Judikatur des IGH und BVerfG, die in solchen Fällen nur die im Diplomatenrecht derzeit vorgesehenen Reaktionsformen für statthaft erachtet, auch rechtspolitisch zu begrüßen. Die Möglichkeiten der Erklärung einzelner Personen zu personae non gratae bzw. „nicht genehmen Personen“ und des Abbruchs diplomatischer Beziehungen haben sich seit Jahrhunderten als ausreichende und effektive Möglichkeiten der Empfangsstaaten zur Reaktion auf Mißbräuche der Vorrechte und Befreiungen bewährt.74 Zwar läßt sich den oben genannten Argumenten gegen eine Exemtion ___________ 70 BVerfGE 96, 68 (82) = NJW 1998, 50 (52). Gegen eine Ausnahme bei Spionagetaten schon BVerfGE 92, 277 (321) = NJW 1995, 1811 (1813). 71 Vgl. Green, AVR 19 (1980/81), S, 1 (3 f.); Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (404) sowie oben § 11 I.2.b). 72 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 63 ff.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 28; Matz, Vienna Convention on Diplomatic Relations (1961), Add. 1999, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1301 (1302); Sen, Diplomat’s Handbook, S. 140. 73 Zur grundsätzlichen Möglichkeit einer solchen völkergewohnheitsrechtlichen Weiterentwicklung der Exemtionsregelungen vgl. oben § 12 II.5. 74 So auch IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (40). Hingewiesen sei auf den bereits oben bei Anm. 61 genannten Umstand, daß die Zahl der Verkehrsverstöße von Diplomaten in Großbritannien nach der Ankündigung der britischen Regierung, notorische Verkehrssün-
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bei schweren Straftaten auf den ersten Blick einiges abgewinnen. Doch verkürzen sie den Blick auf Fälle, in denen die Verwicklung von Diplomaten in solche Taten offenkundig ist. In solchen Fällen kann von einer Schutzwürdigkeit der diplomatischen Beziehungen und der Person des Diplomaten in der Tat keine Rede sein. Zu schützen aber sind die Diplomaten davor, daß der Empfangsstaat eine willkürliche Strafverfolgung aufgrund konstruierter Tatvorwürfe betreibt, um eine dem Empfangsstaat mißliebige dienstliche Tätigkeit eines diplomatischen Vertreters zu unterbinden. Wäre eine Strafverfolgung zulässig, so könnte der Empfangsstaat allein durch die Drohung mit einer Bestrafung auf die Tätigkeit der Diplomaten Einfluß nehmen. Letztlich ist es die Gefahr des Mißbrauchs einer Möglichkeit zur Strafverfolgung durch den Empfangsstaat, die eine sachlich nicht begrenzte Exemtion der Diplomaten rechtfertigt. Die ständigen diplomatischen Beziehungen zwischen Staaten sind von erheblicher Bedeutung für ein friedliches Zusammenleben der Völker und eine friedliche Koexistenz der Staaten. Es ist wichtig, auch mit Staaten, die politisch unstabil sind, von despotischen Herrschern regiert werden und rechtsstaatliche Grundsätze mißachten, diplomatische Beziehungen zu pflegen und dort Diplomaten zu stationieren. Denn der so mögliche Austausch und die so bestehende Kommunikationsmöglichkeit sind ein wesentlicher Garant für den Erhalt des Friedens und damit auch für die Wahrung der Menschenrechte sowie für die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Staaten. Müßten die Diplomaten befürchten, in solchen Empfangsstaaten einer Strafverfolgung wegen angeblicher Spionage oder schwerwiegender Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Empfangsstaates ausgesetzt sein zu können, so wäre es kaum möglich, dort ständige Missionen einzurichten. Dabei ist auch zu bedenken, daß die Abgrenzung zwischen zulässiger diplomatischer Tätigkeit, etwa im Rahmen der Informationsgewinnung oder im Rahmen der Vertretung der Interessen des Entsendestaates, auf der einen Seite und unzulässiger Spionage oder Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Empfangsstaates auf der anderen Seite nicht immer leicht ist.75 Zwar hat die Bedeutung ständiger diplomatischer Missionen im modernen Informationszeitalter stark abgenommen. Politische Kontakte und Entscheidungen können dank verbesserter Reisemöglichkeiten und moderner Kommunikationsmittel vielfach auch ohne die Hilfe von ständigen Missionen aufrechterhalten bzw. getroffen werden. Man könnte daher überlegen, ob es heute noch zeitgemäß ist, Diplomaten umfassend Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates zu gewähren.76 Doch ist auch heute noch der unmittelbare Eindruck, den sich ___________ der zu personae non gratae zu erklären, signifikant und auf ein „normales“ Maß zurückgegangen ist. 75 Aus kriminalpolitischen Erwägungen gegen eine Ausnahme von den diplomatischen Exemtionen auch Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1031). 76 So die Überlegungen von Parkhill, ICLR 21 (1998), 565 (566 ff., 588 ff.), der unter anderem eine Änderung des WÜD dahingehend fordert, den Diplomaten und sonstigen
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Diplomaten im Empfangsstaat verschaffen können, von großer Bedeutung für die Politiken des Entsendestaates. Zudem gibt es nach wie vor Länder, über die wenig frei zugängliche Informationen erhältlich sind; auch bilden vor allem in Zeiten politischer Krisen die Diplomaten das Rückgrat der internationalen Beziehungen. Daher hat auch heute noch die Gewährung umfassender Exemtionen ihre Berechtigung.77 Letztlich ist auch zu berücksichtigen, daß die Zahl der Fälle, in denen bevorrechtigte Personen ihren Status mißbrauchen und im Empfangsstaat schwere Straftaten begehen, verhältnismäßig klein ist.78 Der IGH hat deshalb zu Recht darauf hingewiesen, daß “the obligations laid on States by the two Vienna Conventions are of cardinal importance for the mainte___________ umfassend exemierten Personen nur wie Konsularbeamten Immunität ratione materiae zu gewähren. Wright, B.U.Int’L.J 5 (1987), 177 (184 f.) fordert eine Änderung des WÜD dahingehend, alle vollendeten Taten, die mit Ausübung physischer Gewalt gegenüber Personen oder Sachen verbunden sind (vor allem Tötungs- und Körperverletzungsdelikte), aus dem Schutzbereich der Immunitäten herauszunehmen. 77 Zu berücksichtigen ist auch, daß die Gewährung umfassender Immunität ratione personae noch nicht automatisch zur Straflosigkeit führt. Wie im folgenden noch detailliert erörtert wird, ist zum einen die zeitliche Reichweite der Immunitäten ratione personae beschränkt, diese enden eine gewisse Zeit nach Beendigung der dienstlichen Tätigkeit im Empfangsstaat, so daß dieser, sollte die betreffende Person im Land bleiben, eine Strafverfolgung jedenfalls wegen „privater Straftaten“ dann durchführen kann. Zum anderen befreit die Immunität ratione personae lediglich von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates. Drittstaaten und vor allem auch der Entsendestaat sind durch diplomatische Immunitäten an einer Strafverfolgung nicht gehindert. Es besteht daher keine Notwendigkeit, ein besonderes internationales Gericht zur strafrechtlichen Verfolgung von Straftaten von Personen zu schaffen, die völkerrechtliche Exemtionen genießen, oder aber die Gerichtsbarkeit des IStGH um von solchen Personen begangene Straftaten zu erweitern. Die Schaffung eines „Internationalen Strafgerichtshofs für Diplomaten“ (Permanent International Diplomatic Criminal Court) ist zwar in der Literatur hin und wieder gefordert worden (so vor allem von Wright, B.U.Int’L.J 5 [1987], 177 [185 ff.]). Auch wurde im Vorfeld der Ausarbeitung des Römischen Statuts des IStGH diskutiert, dessen Gerichtsbarkeit auch auf Taten von Personen zu erstrecken, die völkerrechtliche Exemtionen genießen (vgl. Parkhill, ICLR 21 [1998], 565 [592 f.]). Doch haben solche Vorschläge nicht die Zustimmung der Staaten gefunden. Sinnvoller als solche rein theoretischen Überlegungen wäre eine Diskussion darüber, ob die Entsendestaaten völkerrechtlich verpflichtet werden sollten, im Ausland begangene Straftaten ihrer Diplomaten auf jeden Fall zu ahnden. Eine solche – durch Schaffung eines neuen multilateralen Vertrags einzuführende – Verpflichtung wäre zu begrüßen. 78 Vgl. Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 8 ff., 147 ff., der in seiner Analyse britischer und US-amerikanischer Zahlen zu dem Ergebnis kommt, daß “the abuse of diplomatic privileges and immunities is not a major problem” (a.a.O., S. 8) und betont, es gebe “statistical evidence that the problem of abuse of diplomatic privileges and immunites is not large”. (a.a.O., S. 11). Parkhill, ICLR 21 (1998), 565 (577 f.) berichtet unter anderem, daß in den USA 1995 nur 15 Fälle schwerer Straftaten von Mitgliedern diplomatischer Missionen verzeichnet wurden. Bei einer Gesamtzahl von 18.500 solchen Personen in den USA hätten damit weniger als ein Promille eine schwere Straftat begangen.
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nance of good relations between States in the interdependent world of today”.79 Er hat ferner betont: “There is no more fundamental prerequisite for the conduct of relations between States than the inviolability of diplomatic envoys and embassies, so that throughout history nations of all creeds and cultures have observed reciprocal obligations for that purpose. (…) the institution of diplomacy, with its concomitant privileges and immunities, has withstood the test of centuries and proved to be an instrument essential for effective cooperation in the international community, and for enabling States, irrespective of their differing constitutional and social systems, to achieve mutual understanding and to resolve their differences by peaceful means.”80
Zusammenfassend kann damit festgehalten werden, daß die Exemtionen der Diplomaten weder bei geringfügigen Rechtsverstößen noch bei schweren Straftaten im Zusammenhang mit Spionageaktivitäten, geheimdienstlichen Gewalttaten, terroristischen Gewaltakten, hochverräterischen Unternehmungen und ähnlichen Aktivitäten Ausnahmen erfahren. gg) Zulässigkeit von Gefahrenabwehrmaßnahmen Soll aber die umfassende Exemtion der Diplomaten auch bedeuten, daß den Organen des Empfangsstaates die Hände gebunden sind, wenn ein Diplomat im Begriff ist, eine Straftat zu begehen oder gerade dabei ist, eine rechtswidrige Tat zu verüben? Soll die Polizei ohne Möglichkeit eines Eingreifens zusehen müssen, wenn ein erheblich alkoholisierter Diplomat mit einem Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teilnehmen will? Ist die Polizei gehindert, diesen Diplomaten, der bei seiner Autofahrt andere gefährdet, zu stoppen und von einer Weiterfahrt abzuhalten? Muß die Polizei, wenn ein Diplomat mit einer Pistole in einer Menschenmenge wild um sich schießt und mehrere Personen tödlich verletzt, abwarten, bis er von selbst aufgibt? Schon die Fallbeispiele machen deutlich, daß die Unverletzlichkeit und Immunität der Diplomaten doch gewisse Grenzen haben muß. Eine Strafverfolgung scheidet in den genannten Fällen zwar aus. So darf gegen den alkoholisiert autofahrenden Diplomaten kein Strafverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB bzw. Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c StGB eingeleitet werden, seine Fahrerlaubnis darf weder vorläufig nach § 111a StPO noch endgültig nach § 69 StGB entzogen werden.81 Der amoklaufende Diplomat darf nicht wegen Totschlags verurteilt werden. Doch von solchen unzulässigen repressiven, erst nach Beendigung des rechtswidrigen Tuns beginnenden Maßnahmen zu unterscheiden sind präventiv-polizeiliche Abwehrmaßnahmen zur ___________ IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (42). IGH, ICJ-Reports 1979, 7 (19). Vgl. auch IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (42). Dieser Bewertung hat sich das BVerfG angeschlossen; vgl. BVerfGE 96, 68 (82 f.) = NJW 1998, 50 (52). 81 Vgl. aber oben Anm. 60: Eine verwaltungsrechtliche Entziehung der Fahrerlaubnis ist als präventiv-polizeiliche Maßnahme statthaft. 79 80
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Beendigung rechtswidrigen und die öffentliche Sicherheit gefährdenden Verhaltens. Auch gegen Personen, die eine umfassende Immunität ratione personae und eine umfassende Unverletzlichkeit genießen, dürfen präventiv-polizeiliche Abwehrmaßnahmen ergriffen werden, um eine unmittelbar bevorstehende oder andauernde Gefahr abzuwenden. Alkoholisierte Diplomaten dürfen also an einer Autofahrt notfalls auch gewaltsam gehindert werden, ein um sich schießender Diplomat darf überwältigt und so lange festgehalten werden, wie er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Doch handelt es sich bei solchen Abwehrmaßnahmen nicht um ein strafprozessuales Vorgehen, sondern um Maßnahmen, die sich – bezogen auf Deutschland – nach den Bestimmungen der Polizeigesetze zu richten haben.82 Die Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen ergibt sich nicht nur gewissermaßen aus der Natur der Sache, sondern ist seit jeher in der Staatenpraxis anerkannt und von der nationalen und internationalen Rechtsprechung bestätigt worden.83 So hat auch der IGH in seiner Hauptsacheentscheidung zum „Teheraner Geiselfall“ im Rahmen seiner Ausführungen zur Klassifizierung des Diplomatenrechts als ein “self-contained regime” betont: “Naturally, the observance of this principle does not mean (…) that a diplomatic agent caught in the act of committing an assault or other offence may not, on occasion, be briefly arrested by the police of the receiving State in order to prevent the commission of the particular crime.”84
Das BVerfG hat in seiner Grundsatzentscheidung zum Diplomatenrecht von 1997 zwar auf die Diskussion über die Zulässigkeit präventiver Abwehrmaßnahmen hingewiesen, brauchte sich aber insofern nicht festzulegen, als der zu entscheidende Fall lediglich die Zulässigkeit repressiv-strafrechtlichen Vorgehens betraf.85 ___________ 82 Das bedeutet auch, daß eine Verhaftung nach § 127 StPO stets ausscheidet. Eine Ingewahrsamnahme darf nur zum Zweck der Verhinderung der Begehung weiterer rechtswidriger Taten und damit einer weiteren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit erfolgen und auch ausschließlich nach den Vorschriften über den Gewahrsam in den Polizeigesetzen. 83 Zur älteren Staatenpraxis vgl. Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 493 Fn. 1. Zwar ist ein Gefahrenabwehrrecht nicht explizit in das WÜD aufgenommen worden, doch ging die ILC bei der Ausarbeitung des Entwurfs davon aus, daß ein solches Recht existiert. In ihrem Kommentar zum Entwurf des WÜD von 1958 betonte die ILC, die Unverletzlichkeit “does not exclude in respect of the diplomatic agent either measures of self-defense or, in exceptional circumstances, measures to prevent him from committing crimes or offences”; vgl. YBILC 1958 II, 89 (97) (UN-Dokument A/3859). Diese Feststellung findet sich auch schon im ersten Entwurf der ILC von 1957, YBILC 1957 II, 132 (138) (UN-Dokument A/3623). Eine Aufnahme einer Ausnahmeklausel für Gefahrenabwehrmaßnahmen in das WÜD unterblieb nur deshalb, weil sich die Delegierten auf der Wiener Konferenz wegen der befürchteten Gefahr eines Mißbrauchs einer Ausnahme nicht auf eine Formulierung einigen konnten; vgl. Mann, in: Hailbronner u.a. (Hrsg.), FS Doehring, S. 553 (560 Fn. 24). 84 IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (40). 85 BVerfGE 96, 68 (83 f.) = NJW 1998, 50 (52).
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Auch in der Literatur wird die Statthaftigkeit von Maßnahmen zur unmittelbaren Gefahrenabwehr einhellig bejaht.86 Wegen der unangefochtenen Akzeptanz eines solchen Rechts zur Ergreifung von Gefahrenabwehrmaßnahmen durch die Staaten87 ist dieses Teil des das WÜD und das WÜK ergänzenden Völkergewohnheitsrechts.88 Es handelt sich um einen Sonderfall des allgemeinen Rechts der Staaten auf Selbstverteidigung.89 ___________ 86 Siehe etwa MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 134, 144; Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 750; Blischtschenko/Durdenewski, Diplomaten- und Konsularrecht, S. 390; Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (87); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 275 f.; Dembinski, Modern Law of Diplomacy, S. 197 f.; Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1042); dies., Diplomatic Law, S. 211, 219 f.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 497, 676, 684; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (84); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 39 f.; Fischer/Köck, Völkerrecht, Rn. 782; Hardy, Modern Diplomatic Law, S. 51; Herdegen, ZaöRV 46 (1986), 734 (750 ff.); ders., Völkerrecht, § 38 Rn. 5; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 493; Karg, in: Heintschel von Heinegg, Casebook Völkerrecht, Rn. 790 ff.; Kissel/ Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 9; Kokott/Doehring/Buergenthal, Grundzüge des Völkerrechts, Rn. 455; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 362 f.; Mann, in: Hailbronner u.a. (Hrsg.), FS Doehring, S. 553 (560 ff. mit Fn. 24); MeyerLindenberg/Seidl-Hohenveldern, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), LdR-VR, S. 65 (68); Nascimento E Silva, Diplomacy in International Law, S. 93; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (411); ders., Internationales Strafrecht, Rn. 529; Polakiewicz, ZaöRV 50 (1990), 761 (769); Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 65; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 245, 253 ff., 414; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 109 f.; Tölle/Pallek, DÖV 2001, 547 (549); Verdross/ Simma, Völkerrecht, § 908; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1037). Schon Grotius hat in seinem Werk „De Iure Belli ac Pacis“ (1625) ein Recht auf Eingreifen zur unmittelbaren Gefahrenabwehr anerkannt: Grotius, De Iure Belli ac Pacis, II. Buch. Kap. 18, IV. 5.: „Um also der drohenden Gefahr zu begegnen, kann, wenn es keinen anderen Ausweg gibt, der Gesandte festgehalten und vernommen werden. (…) Bereitet der Gesandte ein gewaltsames, durch Waffengewalt zu vollziehendes Unternehmen vor, so kann er selbst getötet werden, nicht zur Strafe, aber im Wege der Notwehr.“ Vgl. auch Young, BYIL 40 (1964), 141 (152). Young, a.a.O., 162 berichtet weiter, daß auch Bynkershoek 1721 in seinem damals grundlegenden Werk „De Foro Legatorum“ ein Recht auf Selbstverteidigung anerkannt hat. Aus der älteren Literatur ferner für ein „Gefahrenabwehrrecht“ z.B. Bluntschli, Das moderne Völkerrecht, §§ 137, 141. 87 Auch die deutsche Bundesregierung geht gemäß dem Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. V.A.2.c) davon aus, daß Gefahrenabwehrmaßnahmen zulässig sein können. Ebenso das USAußenministerium; vgl. den vom Department of State herausgegebenen Text “Guidance for Law Enforcement Officers with Regard to Personals Rights and Immunities of Foreign Diplomatic and Consular Personnel” aus dem Jahr 1988, ILM 27 (1988), 1617 (1631 f.). 88 Zur Ergänzung des WÜD und des WÜK durch völkergewohnheitsrechtliche Regeln siehe allgemein oben § 12 II.2. 89 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 275 f.; Denza, Diplomatic Law, S. 8, 211; Doehring, in: Böckstiegel u.a. (Hrsg.), FS Seidl-Hohenveldern, S. 51 (54); Herdegen, Völkerrecht, § 38 Rn. 5; ders., ZaöRV 46 (1986), 734 (752 ff.); Kokott/Doehring/ Buergenthal, Grundzüge des Völkerrechts, Rn. 455; Mann, in: Hailbronner u.a. (Hrsg.), FS
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In der Wissenschaft ist jedoch umstritten, wie sich die vom IGH bestätigte Vereinbarkeit der Vornahme von präventiven Abwehrmaßnahmen mit der völkerrechtlichen Unverletzlichkeit in das vom IGH in derselben Entscheidung entwickelte self-contained regime einordnen läßt. Kritiker haben dem IGH vorgeworfen, seine Ausführungen seien inkonsistent, wenn er einerseits betone, auf Rechtsverstöße von Diplomaten und Konsularbeamten dürfe nur mit den im Diplomatenrecht vorgesehenen Mitteln, namentlich mit einer Erklärung zur persona non grata bzw. mit einem Abbruch der diplomatischen oder konsularischen Beziehungen, reagiert werden, andererseits aber doch präventive Abwehrmaßnahmen einschließlich der vorübergehenden Ingewahrsamnahme zulasse. Das Diplomaten- und das Konsularrecht seien überhaupt keine geschlossenen Systeme, wenn sie eine im WÜD und im WÜK nicht explizit vorgesehene Ausnahme von der Unverletzlichkeit bei Gefahrenabwehrmaßnahmen zuließen.90 Doch ist fraglich, ob man in diesem Zusammenhang überhaupt von einer Ausnahme vom self-contained regime sprechen kann. Die Annahme einer Ausnahme von der grundsätzlichen Pflicht, auf Rechtsverstöße von Diplomaten und Konsularbeamten nur mit den im Diplomaten- und Konsularrecht vorgesehenen Mitteln zu reagieren, ist zwar theoretisch möglich, doch wäre damit gleichzeitig die Idee eines geschlossenen Systems im Völkerrecht in Frage gestellt. Denn wo es eine Ausnahme geben kann, sind auch weitere denkbar. Denkbar wäre dann auch eine Ausnahme bei schweren Rechtsverstößen – die oben gerade unter Hinweis auf den Charakter des Diplomaten- und des Konsularrechts als self-contained regime verneint wurde. Zwar konnte man argumentieren, die self-contained regimes beschränkten sich auf die Frage der Reaktion auf bereits beendete Rechtsverstöße. Doch wäre dies eine unnötige Einschränkung des Konzepts des self-contained regime. Die Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen fällt nämlich weder von vornherein aus dem Regelungsbereich der self-contained regimes heraus noch stellt sie eine Ausnahme von den geschlossenen Systemen des Diplomaten- und Konsularrechts dar. Sie ist vielmehr Bestandteil dieser Systeme. Diejenigen, die die Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen als Ausnahme von den self-contained regimes begreifen, ___________ Doehring, S. 553 (560 ff. mit Fn. 24); Sen, Diplomat’s Handbook, S. 137. Vgl. auch Young, BYIL 40 (1964), 141 (152, 162), die berichtet, daß schon Grotius in seinem Werk „De Iure Belli ac Pacis“ (1625) sowie Bynkershoek in seinem Werk „De Foro Legatorum“ (1721) ein Gefahrenabwehrrecht als „Selbstverteidigungsrecht“ anerkannt haben. Zu Grotius vgl. das Quellenzitat in Anm. 86. 90 Herdegen, ZaöRV 46 (1986), 734 (745 ff.); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 363 ff.; Simma, NYIL 16 (1985), 111 (120 ff.). Simma meint, “customary international law permits a fallback into another subsystem (…)” (a.a.O., S. 120), und kommt daher zu dem Schluß, die Ausführungen des IGH seien so zu verstehen, daß lediglich einige sonst zulässige Reaktionsmaßnahmen im Diplomatenrecht ausgeschlossen seien, also eine Begrenzung der zur Disposition der Staaten stehenden Reaktionsformen vorliege. Die Annahme eines “self-contained regime” dagegen sei ein “jurisprudential overkill” (a.a.O., S. 121). Siehe auch Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 179 ff.
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schränken diese jeweils auf das WÜD und das WÜK ein. Die Normen des WÜD und des WÜK bildeten – so wird angenommen – in ihrer Gesamtheit jeweils ein self-contained regime. Die (geschriebenen) Normen des WÜD (bzw. WÜK) würden abschließend die Vorrechte und Befreiungen und gleichzeitig abschließend die zulässigen Reaktionsmöglichkeiten festlegen. Da die Zulässigkeit von Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren nicht als Ausnahme von der Unverletzlichkeit im WÜD und WÜK explizit normiert sei, stelle sie eine Ausnahme vom geschlossenen System dar.91 Doch hat der IGH nicht von dem WÜD und dem WÜK als jeweils geschlossene Systeme gesprochen, sondern das Diplomaten- und das Konsularrecht als geschlossene Systeme bezeichnet. Zum Diplomatenrecht gehört aber nicht nur der Normenbestand des WÜD, zum Konsularrecht nicht nur der des WÜK. Vielmehr betonen beide Übereinkommen in ihren Präambeln, daß für nicht geregelte Fragen weiterhin das Völkergewohnheitsrecht gelten soll. Hierauf wurde oben in § 12 II.2. bereits hingewiesen. Die Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen ist aber ein lediglich gewohnheitsrechtlich geregelter Bestandteil des Diplomaten- und des Konsularrechts.92 Da die self-contained regimes das gewohnheitsrechtlich geregelte Diplomaten- und Konsularrecht jeweils mit umfassen, bewegt sich also ein Staat bei der Vornahme von Abwehrmaßnahmen im Rahmen der self-contained regimes.93 Es gilt allerdings zu beachten, daß die self-contained regimes des Diplomatenund Konsularrechts nicht jeweils alle völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtsfolgen bei Völkerrechtsverletzungen einschließen. Dann könnte von einem geschlossenen System nicht die Rede sein und es müßte auch eine Nichtbeachtung der strafrechtlichen Exemtionen und damit eine Bestrafung unter Hinweis auf eine Verwirkung der Exemtionen oder auf eine exzeptionelle Befugnis zur Nichtbeachtung als Repressalie zulässig sein, weil diese beiden Rechtsinstitute Bestandteil des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts sind. Eine Strafverfolgung hat der IGH aber als Reaktion auf einen Mißbrauch der Vorrechte und Befreiungen ausdrücklich ausgeschlossen. Vielmehr ist nur solches (spezielles) Völkergewohnheitsrecht als von den geschlossenen Systemen umfaßt zu betrachten, das direkt dem Bereich des Diplomaten- bzw. des Konsularrechts zuzurechnen ist, wie dies bei der völkergewohnheitsrechtlichen Befugnis zum Ergreifen von Gefahrenabwehrmaßnahmen der Fall ist.94 Aber nicht nur Abwehrmaßnahmen durch staatliche Organe sind gegenüber Diplomaten zur Beendigung einer konkreten Gefahrensituation statthaft. Da auch die nach dem WÜD Exemtionen genießenden Personen – wie oben in § 13 I.1.a)bb) ___________ 91 92 93 94
Vgl. Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 176 ff. So auch Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 247 f., 413. Ebenso Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 183 ff. Ebenso Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 184 ff., 190.
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
dargelegt – der Geltung der materiellen Rechtsnormen des Empfangsstaates unterworfen sind, also auch für sie die materiellen Strafgesetze gelten und sie tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft im Sinne der Strafgesetze handeln können (und zwar unabhängig davon, ob man die Exemtionen als prozessuale Verfolgungshindernisse oder als materiellrechtliche Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründe begreift), dürfen auch Privatpersonen gegen Straftatbestände verstoßende und rechtswidrige Angriffe eines Diplomaten von sich oder einem anderen abwenden. Gegen Diplomaten gerichtete Abwehrmaßnahmen Privater können also als Handlungen in Notwehr im Sinne des § 32 StGB gerechtfertigt sein.95 b) Exemtionen für Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals Als Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals werden nach der Definition des Art. 1 lit. f) WÜD die im Verwaltungs- und technischen Dienst einer Mission beschäftigten Personen bezeichnet. Mit dieser Definition ist allerdings noch nicht viel gewonnen.96 Vor allem muß diese Gruppe von Beschäftigten abgegrenzt werden zu den Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals einer Mission, denen weniger weitreichende Exemtionen zukommen als den Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals. Beiden Gruppen ist gemeinsam, daß es sich um Beschäftigte handelt, die den im diplomatischen Rang stehenden Missionsmitgliedern zuarbeiten und unterstützende Leistungen erbringen. Allgemeines Kennzeichen des Verwaltungs- und technischen Personals und gleichzeitig Abgrenzungskriterium zum dienstlichen Hauspersonal ist die Tatsache, daß die dem Verwaltungs- und technischen Personal zugeordneten Personen in der Regel Kenntnis haben von den dienstlichen diplomatischen Vorgängen sowie – notwendigerweise – in die Pläne und Absichten der Diplomaten und regelmäßig auch in geheimzuhaltende Amtsgeschäfte eingeweiht sind. Zum Verwaltungs- und techni___________ 95 Vgl. Bloy, Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 39, 47; LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 6; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 276; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 44; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 39; Fischer, in: Tröndle/Fischer, vor § 3 Rn. 21; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, vor § 18 GVG Rn. 2; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 8; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (411); KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 7; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1037). Vgl. auch Barnhoorn, NYIL 25 (1994), 39 (57 f.), der (allerdings wenig überzeugend) sogar ein Eingreifen staatlicher Organe zur Gefahrenabwehr mit dem in allen Strafrechtsordnungen anerkannten Nothilferecht Privater begründen will. Doch ist – jedenfalls für Deutschland – daran festzuhalten, daß sich die Staatsorgane nicht auf Rechtfertigungsnormen wie die §§ 32 und 34 StGB stützen können, da ansonsten die Eingriffsbeschränkungen der Polizeigesetze unterlaufen werden könnten (dies ist allerdings durchaus streitig). Aus der Unverletzlichkeit des Art. 29 WÜD in ihrer positiven Ausprägung folgt im übrigen keine den Empfangsstaaten obliegende Pflicht, das gewaltsame Vorgehen einer Privatperson zu verhindern, soweit dieses durch Notwehr gerechtfertigt ist. Denn in einem solchen Fall kann nicht von einem „Angriff“ i.S.d. Art. 29 WÜD gesprochen werden, sondern nur von einer „Verteidigung“. 96 Vgl. Nahlik, RdC 1990 III, 187 (229): “rather tautological”.
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schen Personal werden daher beispielsweise Verwaltungsangestellte (sogenannte Kanzleibeamte) wie Übersetzer, Chiffreure und Schreibkräfte gezählt.97 Gemäß Art. 37 Abs. 2 Satz 1 WÜD kommen den Mitgliedern des Verwaltungsund technischen Personals einer Mission – sofern sie weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind98 – im Hinblick auf die hier allein interessierende Freistellung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit die gleichen Exemtionen zu wie den Diplomaten.99 Art. 37 Abs. 2 Satz 1 WÜD verweist lediglich auf die in Art. 29 und 31 WÜD für Diplomaten geregelte Unverletzlichkeit, Immunität und Befreiung von den Zeugenpflichten.100 Insofern kann an dieser Stelle auf die obigen Ausführungen zur Rechtsstellung von Diplomaten in § 13 I.1.a) verwiesen werden. Diese gelten in gleicher Weise für die Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals. Der Grund dafür, daß diese Personen den Diplomaten hinsichtlich der ihnen zukommenden Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gleichgestellt sind, liegt in der oben erwähnten Tatsache begründet, daß sie von den diplomatischen Vorgängen in gleicher Weise wie die Diplomaten Kenntnis haben, regelmäßig in die dienstlichen Geheimnisse eingeweiht sind und deshalb ebenfalls als besonders schutzwürdig gelten. Es soll verhindert werden, daß der Empfangsstaat die Tätigkeit dieser Personen beeinflußt und sie möglicherweise sogar zur Preisgabe von Geheimnissen veranlaßt, indem er sie wegen vermeintlich strafbarer Handlungen – unabhängig davon, ob diese dienstlicher oder privater Natur sind – verfolgt oder auch nur ihnen mit einer Strafverfolgung droht. Hinzu kommt, daß die Mit___________ Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 15 sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. II.A.3. 98 Vgl. zu der Konstellation, daß ein Mitglied des Verwaltungs- und technischen Personals Angehöriger des Empfangsstaates oder jedenfalls in diesem ständig ansässig ist, unten § 13 I. 1.f)bb). Hier geht es zunächst allein um die Rechtsstellung von Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission, die weder Angehörige des Empfangsstaates noch ständig in diesem ansässig sind. 99 Vgl. LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 2; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 283; Denza, Diplomatic Law, S. 335; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 54; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 511; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (397); KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 3; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 145; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 193 f.; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1031); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (446). Eine solche Gleichstellung der Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals mit den Diplomaten war mit Art. 28 Abs. 1 auch schon im ersten Vorentwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1957 enthalten; vgl. YBILC 1957 II, 132 (140 f.) (UN-Dokument A/3623). Der endgültige Entwurf der ILC von 1958 sah diese Gleichstellung in Art. 36 Abs. 1 ebenfalls vor; vgl. YBILC 1958 II, 89 (101 f.) (UN-Dokument A/3859). 100 Art. 37 Abs. 2 Satz 1 WÜD lautet: „Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals der Mission (…) genießen, wenn sie weder Angehörige des Empfangsstaats noch in demselben ständig ansässig sind, die in den Artikeln 29 bis 35 bezeichneten Vorrechte und Immunitäten (…).“ 97
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glieder des Verwaltungs- und technischen Personals aufgrund ihrer Vertrauensstellung und ihrer besonderen Fachkenntnis häufig nur schwer zu ersetzen sind und ihre Tätigkeit für die Aufgabenerfüllung einer diplomatischen Mission unabdingbar ist.101 c) Exemtionen für Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals Zu den Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals einer Mission, die Art. 1 lit. g) WÜD als die „als Hausbedienstete bei der Mission beschäftigten Mitglieder ihres Personals“ definiert, zählen unter anderem Kraftfahrer, Pförtner, Boten, Gärtner, Köche, Hausmeister und Wachleute.102 Gemeinsam ist diesen Beschäftigten im Gegensatz zu den Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals, daß sie Tätigkeiten verrichten, die mit der Vornahme der eigentlichen diplomatischen Dienstgeschäfte nichts zu tun haben. Sie sind regelmäßig in die diplomatischen Vorgänge nicht eingeweiht und keine Geheimnisträger. Ihre Tätigkeiten betreffen Arbeiten, die in gleicher Weise auch in anderen Verwaltungseinrichtungen anfallen. Die Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals genießen – was die hier allein relevante Freistellung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit anbelangt – gemäß Art. 37 Abs. 3 WÜD – sofern sie weder Angehörige des Empfangsstaates noch in demselben ständig ansässig sind103 – nur Immunität in bezug auf ihre in Ausübung ___________ So auch die Erwägungen der ILC bei der Ausarbeitung eines Entwurfs zum WÜD; vgl. den Kommentar der ILC zum Entwurf einer Diplomatenrechtskonvention im Bericht an die UN-Generalversammlung von 1958, YBILC 1958 II, 89 (102) (UN-Dokument A/3859): “Many of the persons belonging to the services in question perform confidential tasks which, for the purposes of the mission’s function, may be even more important than the tasks entrusted to some members of the diplomatic staff. An ambassador’s secretary or an archivist may be as much the repository of secret or confidential knowledge as members of the diplomatic staff. Such persons equally need protection against possible pressure by the receiving State.” Siehe ferner Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1044); dies., Diplomatic Law, S. 331; Nahlik, RdC 1990 III, 187 (254); Nascimento E Silva, Vienna Convention on Diplomatic Relations (1961), in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1294 (1299); Sen, Diplomat’s Handbook, S. 193 f. 102 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 15, 337 sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. II.A.3. In der Staatenpraxis werden Wachleute allerdings vielfach als Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals eingestuft, damit sie gemäß Art. 37 Abs. 2 WÜD in den Genuß von Immunität ratione personae kommen; vgl. Lee, Consular Law and Practice, S. 476. Sofern der Empfangsstaat dem nicht widerspricht und bei einer Beibehaltung dieser Einstufung durch den Entsendestaat nicht durch eine Erklärung nach Art. 9 WÜD reagiert, ist diese Klassifizierung für die Strafverfolgungsbehörden des Empfangsstaates verbindlich, auch wenn korrekterweise eine Einstufung als Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals hätte erfolgen müssen; vgl. oben § 12 III.2.b)aa). 103 Vgl. zu der Konstellation, daß ein Mitglied des dienstlichen Hauspersonals – wie in der Staatenpraxis häufig der Fall! – Angehöriger des Empfangsstaates oder jedenfalls in diesem ständig ansässig ist, unten § 13 I.1.f)bb). Hier geht es zunächst allein um die 101
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ihrer dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Handlungen.104 Ihnen kommt lediglich Immunität ratione materiae zu. Damit sind sie allein in bezug auf diejenigen Handlungen von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates befreit, die sie in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit als Fahrer, Gärtner, Hausmeister oder Wachmann – um nur einige Funktionen zu nennen – bei einer diplomatischen Mission vorgenommen haben. Nur Maßnahmen zur Strafverfolgung einschließlich strafprozessualer Zwangsmaßnahmen und einer Strafvollstreckung wegen dieser Taten sind untersagt.105 Wegen aller Handlungen, die sie zeitlich vor ihrer Tätigkeit als Mitglied des dienstlichen Hauspersonals vorgenommen haben – seien es private Handlungen, seien es Handlungen im Rahmen eines früheren Dienstverhältnisses –, genießen sie nach dem WÜD als momentanes Mitglied des dienstlichen Hauspersonals keine Exemtion.106 Gleiches gilt für private Taten, die sie während ihrer Zeit als Mitglied einer Mission begehen. Ein bei einer Botschaft beschäftigter Fahrer, Hausmeister oder Gärtner, der in seiner Freizeit einen Diebstahl oder eine Körperverletzung begeht oder in betrunkenem Zustand Auto fährt, kann also wegen einer solchen Tat ohne weiteres strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.107 So wurde 1977 ___________ Rechtsstellung von Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals einer diplomatischen Mission, die weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind. 104 Art. 37 Abs. 3 WÜD lautet: „Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals der Mission, die weder Angehörige des Empfangsstaates noch in demselben ständig ansässig sind, genießen Immunität in bezug auf ihre in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Handlungen (…).“ 105 Vgl. LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 2; Denza, Diplomatic Law, S. 337; Fischer, in: Ipsen, § 35 Rn. 54; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 511; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (397); KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 3; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 146 f.; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 194; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1031); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (446) sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. III.B.6. Eine solche Regelung war auch schon mit Art. 28 Abs. 2 im ersten Vorentwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1957 enthalten; vgl. YBILC 1957 II, 132 (140 f.) (UN-Dokument A/3623). Auch der endgültige Entwurf der ILC von 1958 enthielt mit Art. 36 Abs. 2 eine solche Regelung; vgl. YBILC 1958 II, 89 (101 f.) (UNDokument A/3859). 106 Zur Frage, inwieweit die Staatenimmunität einer Strafverfolgung wegen solcher dienstlicher Taten entgegensteht, die im Rahmen einer früheren Tätigkeit für einen fremden Staat begangen worden sind, vgl. unten § 13 V. Wenn ein Mitglied des dienstlichen Hauspersonals allerdings früher bei einer Mission eines anderen Staates tätig war, etwa der Fahrer der französischen Botschaft früher im selben Empfangsstaat als Fahrer bei der schweizerischen Botschaft tätig war, genießt diese Person für die Handlungen, die sie in Ausübung ihrer damaligen dienstlichen Tätigkeit begangen hatte, nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD i.V.m. Art. 37 Abs. 3 WÜD weiterhin Immunität nach dem WÜD. 107 Vgl. ausführlich zur Abgrenzung der von den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts erfaßten Handlungen zu nicht geschützten Verhaltensweisen unten § 13 II.
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in Brüssel der Fahrer eines Botschafters, der diesen in einer privaten Auseinandersetzung getötet hatte, verurteilt.108 Wegen einer in privater Eigenschaft begangenen Tat sind auch eine Verhaftung und sonstige strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, etwa die zwangsweise Entnahme einer Blutprobe gemäß § 81a StPO nach einer Trunkenheitsfahrt, zulässig. Denn das WÜD gewährt diesen Personen keine über die Immunität hinausreichende (negative) Unverletzlichkeit. Explizit wird den Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals überhaupt keine Unverletzlichkeit gewährt. Eine Unverletzlichkeit im Sinne eines Verbots der Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen ergibt sich für diese Personen damit nur aus ihrer Immunität. Da diese aber auf in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit vorgenommene Handlungen beschränkt ist, genießen sie auch nur insofern Freistellung von strafprozessualer Zwangsgewalt nach dem WÜD.109 Ein bei einer Botschaft angestellter und Exemtionen nach Art. 37 Abs. 3 WÜD genießender Fahrer, der mit dem Dienstwagen der Botschaft, während er den Botschafter zu einem Besprechungstermin in das Außenministerium des Empfangsstaates fährt, wegen überhöhter Geschwindigkeit einen Unfall verursacht, bei dem ein Mensch getötet wird, kann wegen dieser Tat nicht bestraft werden. Sie ist von der Immunität ratione materiae des Art. 37 Abs. 3 WÜD umfaßt. Da diese Immunität die Strafgerichtsbarkeit bei dienstlichen Handlungen vollständig ausschließt, scheiden auch eine Verhaftung und die Entnahme einer Blutprobe aus, so daß man insofern auch von einer Unverletzlichkeit sprechen kann, die auf die in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Handlungen beschränkt ist. Eine Inanspruchnahme von Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals als Nichtbeschuldigte, etwa eine Vernehmung als Zeuge oder eine Untersuchung nach § 81c StPO, ist ohne Einschränkung möglich. Denn weder genießen sie eine Unverletzlichkeit über diejenige hinaus, die sich aus der Immunität ableitet, noch legt das WÜD eine Befreiung von den Zeugenpflichten fest, wie dies nach Art. 31 Abs. 2 WÜD für Diplomaten der Fall ist. Ohne weiteres zulässig ist eine Inanspruchnahme von Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals als Nichtbeschuldigte, soweit es um Vorgänge geht, die ihrem privaten Lebensbereich zuzuordnen sind. So können sie wegen Kenntnissen, die sie als „Privatperson“ erlangt haben, zu einer Zeugenvernehmung geladen und auch mit den in der StPO vorgesehenen Ordnungs- und Zwangsmitteln nach §§ 51 und 70 StPO zum Erscheinen und zur Aussage angehalten werden. Problematisch ist dagegen, ob sie auch hinsichtlich dienstlich erlangter Kenntnisse der Zeugenpflicht unterliegen und auch über dienstliche Vorgänge aussagepflichtig sind. Denn während das WÜD für die Mitglieder des dienstlichen Haus___________ Court of Appeals of Brussels, ILR 77, 410 (411 f.). Zum generellen Verhältnis von Unverletzlichkeit zu Immunität von der Strafgerichtsbarkeit siehe oben § 13 I.1.a)dd). 108 109
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personals kein Zeugnisverweigerungsrecht festlegt, vielmehr überhaupt keine diesbezügliche Regelung existiert, betont Art. 44 Abs. 3 WÜK, daß die Mitglieder einer konsularischen Vertretung nicht verpflichtet sind, Zeugnis über Angelegenheiten zu geben, die mit der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zusammenhängen. Dies gilt auch für Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer konsularischen Vertretung. Doch läßt sich diese Regelung nicht auf das Diplomatenrecht übertragen. Eine analoge Anwendung scheitert daran, daß nicht vom Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden kann. Denn die Frage von Zeugnisverweigerungsrechten ist im WÜD ebenfalls geregelt, wenn auch nur mit Art. 31 Abs. 2 WÜD für Diplomaten und durch Verweis auf diese Vorschrift für andere Personengruppen. Wenn nun für die Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals weder auf Art. 31 Abs. 2 WÜD verwiesen wird noch eine eigenständige – weniger weitreichende – Festlegung eines Zeugnisverweigerungsrechts getroffen wird, so kann dies nur als bewußte Entscheidung dahingehend interpretiert werden, daß die Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer diplomatischen Mission kein Zeugnisverweigerungsrecht genießen sollen, auch nicht in bezug auf dienstbezogene Kenntnisse. Der Fahrer einer Botschaft, der während einer Dienstfahrt ein diplomatische Angelegenheiten betreffendes Gespräch zwischen den chauffierten Diplomaten „belauscht“, kann über die so erlangten Kenntnisse also als Zeuge vernommen werden, während der Fahrer eines Konsulats in einem entsprechenden Fall ein Zeugnisverweigerungsrecht hätte. Dieses Fehlen eines Zeugnisverweigerungsrechts ist hinsichtlich dienstbezogener Kenntnisse rechtspolitisch hinnehmbar, wenngleich nicht glücklich. Denn es besteht für die Diplomaten keine Notwendigkeit, dienstliche Angelegenheiten, deren Kenntnis sie den Organen des Empfangsstaates unbedingt vorenthalten wollen, in Gegenwart von Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals kundzutun. Ihre Gespräche mit diesen Personen oder in Gegenwart dieser sind kaum schutzwürdiger als solche in Gegenwart irgendwelcher dritter Personen, denen von vornherein kein Zeugnisverweigerungsrecht nach dem WÜD zukommen kann.110 ___________ Der genannte Beispielsfall zeigt jedoch, daß eine völlige Vergleichbarkeit der Situationen nicht besteht. So ist es naheliegender, daß ein Diplomat während einer Dienstfahrt in Gegenwart des angestellten Fahrers auch über dienstliche Vorgänge spricht, als daß er dies während einer Taxifahrt tut, bei der ein ihm unbekannter Fahrer zuhören kann. Doch während in Gegenwart von Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals und mit diesen notwendigerweise dienstbezogene Gespräche geführt und diesen dienstbezogene Angelegenheiten zur Kenntnis gebracht werden müssen, diese Personen also zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Mission – wie auch im WÜD durch Verweis auf Art. 31 Abs. 2 in Art. 37 Abs. 2 WÜD vorgesehen – zumindest ein Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich dienstbezogener Kenntnisse haben müssen, sind die Gespräche, die ein Diplomat mit Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals oder in Gegenwart dieser zu führen hat, nicht so schutzwürdig, als daß ein Zeugnisverweigerungsrecht für diese Personen unabdingbar erschiene. Insofern ist es hinnehmbar, daß sich ein Diplomat in Gegen110
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Soweit die Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals Immunität genießen, sind sie in gleicher Weise wie die Diplomaten dem Recht des Empfangsstaates unterworfen und können in gleicher Weise Abwehrmaßnahmen zur Beendigung eines rechtswidrigen Tuns ergriffen werden.111 Die Beschränkung der Immunität des dienstlichen Hauspersonals auf in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit vorgenommene Handlungen hat ihren Grund darin, daß diese Personen, weil ihre Arbeit nicht unmittelbar mit der Erfüllung diplomatischer Aufgaben im Zusammenhang steht, nur in eingeschränktem Maße schutzbedürftig sind.112 Es besteht kaum die Gefahr, daß der Empfangsstaat eine mißbräuchliche Strafverfolgung betreibt, weil er damit auf die Arbeit der diplomatischen Mission keinen Einfluß nehmen könnte. Vielmehr ist hier das Interesse des Empfangsstaates, in seinem Staatsgebiet möglichst umfassend Hoheitsgewalt und damit auch Strafgerichtsbarkeit ausüben zu können, in der Regel vorrangig. Dabei ist auch zu bedenken, daß die Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals in der Regel leicht zu ersetzen sind. Ein Interesse des Entsendestaates an einer Freistellung des dienstlichen Hauspersonals von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gegenüber dem Empfangsstaat kann nur insoweit anerkannt werden, als es um Handlungen geht, die sie im Auftrag und im unmittelbaren Interesse des Entsendestaates vorgenommen haben. Zum einen hat der Entsendestaat ein legitimes Interesse daran, daß der Empfangsstaat nicht durch eine strafrechtliche Verfolgung eines Mitglieds seiner Mission wegen einer dienstlichen Handlung über eine dem Staat unmittelbar zurechenbare Tätigkeit, mithin indirekt über den Entsendestaat selbst judiziert und so den Grundsatz der Gleichheit der Staaten mißachtet. Insofern liegt der Amtsimmunität – wie bereits oben in § 12 VI.2. dargetan– derselbe Rechtsgrund zugrunde wie der Staatenimmunität. Zum anderen hat der Entsendestaat ein berechtigtes Interesse, daß die Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals die ihnen übertragenen dienstlichen Aufgaben ohne Furcht vor einer Strafverfolgung durch den Empfangsstaat ausführen. Insofern dient die Amtsimmunität der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der diplomatischen Mission. d) Exemtionen für Familienmitglieder Nach Art. 37 Abs. 1 WÜD genießen die Familienmitglieder eines Diplomaten, soweit sie zu seinem Haushalt gehören und nicht Staatsangehörige des Empfangsstaates sind, umfassende Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates entsprechend Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD, Befreiung von den Zeugenpflichten ___________ wart von Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals genauso „vorsichtig“ verhalten muß wie in Gegenwart von dritten Personen, die nach dem WÜD keinerlei Vorrechte und Befreiungen genießen. 111 Vgl. hierzu oben § 13 I.1.a)bb) und gg). 112 Vgl. Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1044); Sen, Diplomat’s Handbook, S. 194.
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gemäß Art. 31 Abs. 2 WÜD sowie Unverletzlichkeit nach Art. 29 WÜD.113 Gleiches gilt, allerdings mit der weiteren Einschränkung, daß sie nicht nur keine Staatsangehörigen des Empfangsstaates sein dürfen, sondern auch nicht in demselben ständig ansässig sein dürfen114, nach Art. 37 Abs. 2 Satz 1 WÜD für die Familienmitglieder, die zum Haushalt eines Mitglieds des Verwaltungs- und technischen Personals einer Mission gehören.115 Hinsichtlich des sachlichen Umfangs der diesen Familienmitgliedern zukommenden Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit kann daher auf die oben bei § 13 I.1.a) gemachten Ausführungen zu den Exemtionen der Diplomaten verwiesen werden. Gleiches gilt für die Frage der Unterworfenheit unter das Recht des Empfangsstaates und die Frage der Zulässigkeit von präventiven Abwehrmaßnahmen. Zu klären ist jedoch, welche Personen zum Kreis der Familienmitllieder zu zählen sind, die zum Haushalt eines Diplomaten bzw. Mitglieds des Verwaltungs- und technischen Personals gehören. Der Begriff „Familienmitglied“ ist vieldeutig. Nicht nur zwischen verschiedenen Kulturkreisen, sondern auch zwischen Staaten eines gemeinsamen Kulturkreises und sogar innerhalb eines Staates gibt es in der Regel sehr verschiedene Ansichten hinsichtlich der Frage, welche Personen zu einer Familie gezählt werden können. In der Alltagssprache wird der Begriff „Familie“ mal in einem weiteren, mal in einem engeren Sinne gebraucht. Zudem führen Änderungen in der gesellschaftlichen Akzeptanz bestimmter Lebensformen zu Veränderungen des Familienbegriffs. Es ist daher nicht verwunderlich, daß es bei der Ausarbeitung des WÜD trotz aller Bemühungen nicht gelungen ist, den Begriff „Familienmitglied“ zu präzisieren und sich auf eine Legaldefinition zu einigen.116 ___________ Art. 37 Abs. 1 WÜD lautet: „Die zum Haushalt eines Diplomaten gehörenden Familienmitglieder genießen, wenn sie nicht Angehörige des Empfangsstaats sind, die in den Artikeln 29 bis 36 bezeichneten Vorrechte und Immunitäten.“ 114 Zur Auslegung des Begriffs „ständige Ansässigkeit“ vgl. unten § 13 I.1.f). 115 Art. 37 Abs. 2 Satz 1 WÜD lautet: „Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals der Mission und die zu ihrem Haushalt gehörenden Familienmitglieder genießen, wenn sie weder Angehörige des Empfangsstaats noch in demselben ständig ansässig sind, die in den Artikeln 29 bis 35 bezeichneten Vorrechte und Immunitäten (…).“ Siehe zur Reichweite der Exemtionen für Familienangehörige auch LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 2; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (397); KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 3; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 143, 145; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1031); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (446). 116 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 322; Nascimento E Silva, Vienna Convention on Diplomatic Relations (1961), in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1294 (1297); O’Keefe, ICLQ 25 (1976), 329 (333 ff.); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 139; Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 (423). Auch die ILC hatte in ihren Entwürfen für eine Diplomatenrechtskonvention keine Definition angeboten, sondern in der Kommentie113
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Einigkeit besteht hinsichtlich der Bedeutung des Begriffs im WÜD jedoch darüber, daß zumindest der andersgeschlechtliche Ehepartner, mit dem der Diplomat bzw. die Diplomatin nach dem Recht des Entsendestaates rechtsgültig verheiratet ist, als Familienmitglied einzustufen ist. Gleiches gilt für minderjährige und von dem Diplomaten bzw. der Diplomatin wirtschaftlich abhängige leibliche oder nach dem Recht des Entsendestaates rechtsgültig adoptierte Kinder, wobei allerdings die Altersgrenze bereits umstritten ist.117 Unklar ist beispielsweise, ob ein 25jähriger studierender Sohn eines Diplomaten, der jedes Wochenende im Hause seines Vaters verbringt und von diesem finanziell unterstützt wird, als Familienmitglied im Sinne des WÜD einzustufen ist. Ungeklärt ist auch die Einordnung eines gleichgeschlechtlichen Lebenspartners eines Diplomaten. Den verschiedenen Vorschlägen zur Definition des Begriffs des Familienangehörigen, die bei der Ausarbeitung des WÜD gemacht wurden, kann aber entnommen werden, daß der Kreis der geschützten Personen auf jeden Fall über die Ehepartner und minderjährigen Kinder hinausreichen soll.118 Es verbietet sich, den zur Familie gehörenden Personenkreis nach den im jeweiligen Entsende- oder Empfangsstaat vorherrschenden Auffassungen zu bestimmen.119 Hätten die Vertragsparteien dem jeweiligen Entsende- oder Empfangsstaat ___________ rung zum Entwurf von 1958 – ähnlich wie in der zum Entwurf von 1957 – betont: “The Commission did not feel it desirable to go farther and lay down a criterion for determining who should be regarded as a member of the family, nor did it desire to fix an age limit for children. The spouse and children under age at least, are universally recognized as members of the family, but in some cases other relatives may also be regarded as qualifying as ‘members of the family’ if they are part of the household. In making it a condition that a member of the family wishing to claim privileges and immunities must form part of the household, the Commission intended to make it clear that close ties and special circumstances are necessary qualifications. Such special circumstances might exist where a relative kept house for an ambassador, although she was not closely related to him; or where a distant relative had lived with the family for many years, so as, in effect, to become part of it.” Vgl. YBILC 1958 II, 89 (102) (UN-Dokument A/3859) sowie YBILC 1957 II, 132 (140 f.) (UN-Dokument A/3623). Vgl. auch die Protokolle über die Diskussion innerhalb der ILC in YBILC 1957 I, 134 ff.; YBILC 1958 I, 161 ff. 117 Vgl. American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 464 Comment a); Blischtschenko/Durdenewski, Diplomaten- und Konsularrecht, S. 412 f.; Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (63 ff.); Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1044); dies., Diplomatic Law, S. 321 ff.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 513; Fischer/ Köck, Völkerrecht, Rn. 765; Lee, Consular Law and Practice, S. 31; O’Keefe, ICLQ 25 (1976), 329 (333 ff.); Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 144; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 139 f. Das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12) bezeichnet in Abschn. III.B.4. die Ehefrau, Kinder und Eltern als Familienangehörige. Doch ist das Rundschreiben als Verwaltungsvorschrift des BMI weder für die Staatsanwaltschaften noch (aufgrund Art. 97 Abs. 1 GG) für die Gerichte verbindlich. 118 So O’Keefe, ICLQ 25 (1976), 329 (337). 119 So aber die Auffassung der deutschen Bundesregierung bei der Ratifikation des WÜD durch Deutschland. Vgl. BT-Drucks. 4/1586, S. 84 (89).
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überlassen wollen, den Kreis der bevorrechtigten Familienmitglieder zu bestimmen, so wäre dies sicherlich explizit im WÜD festgelegt worden. Das WÜD verlangt vielmehr eine einheitliche Interpretation. Zudem ist auch in den einzelnen Staaten der Begriff „Familienmitglied“ in der Regel nicht klar definiert. Die Frage, welche Personen als Familienmitglieder besondere Vorrechte und Befreiungen nach dem WÜD genießen, kann nur unter Berücksichtigung des Zwecks der diesen gewährten Exemtionen bestimmt werden.120 Die Beantwortung hat also vom Schutzzweck der Exemtionen auszugehen. Wie bereits oben in § 12 VI.3. ausgeführt, dienen die Exemtionen in erster Linie dazu, die Arbeits- und Funktionsfähigkeit der diplomatischen Missionen zu sichern. Den Familienmitgliedern von Diplomaten und Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals werden die Exemtionen also nicht deshalb verliehen, damit diese eine bestimmte persönliche Vorzugsstellung genießen können, sondern sie sollen lediglich dazu dienen, daß der betreffende Diplomat bzw. das betreffende Mitglied des Verwaltungs- und technischen Personals unbeeinträchtigt von Handlungen des Empfangsstaates seine dienstlichen Aufgaben erfüllen kann; die Familienmitglieder selbst sind nur Nutznießer der Exemtionen.121 Denn nicht nur eine strafrechtliche Verfolgung eines Diplomaten oder Mitglieds des Verwaltungs- und technischen Personals selbst, sondern auch die einer ihm nahestehenden Person kann Einfluß auf die Tätigkeit des Missionsmitglieds haben. Auch hier geht es vor allem darum zu verhindern, daß die Mitglieder einer diplomatischen Mission durch eine rechtsmißbräuchliche Strafverfolgung bzw. durch eine Drohung mit einer solchen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben behindert werden. Im Ergebnis dürfte es häufig nur einen geringen Unterschied machen, ob ein Entsendestaat ein mißliebiges Missionsmitglied selbst verfolgt bzw. ihm selbst mit einer Strafverfolgung droht, oder aber gegen eine ihm besonders nahestehende Person vorgeht oder vorzugehen droht.122 Es geht also darum, solche Personen durch Immunität zu schützen, die einem Diplomaten bzw. einem Mitglied des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission so nahestehen, daß ihre Strafverfolgung auf die Aufgabenerfüllung des Mitglieds der Mission Einfluß haben kann. Damit aber kann es weder auf ein Verwandtschaftsverhältnis noch auf ein bestimmtes Alter oder eine ___________ Denza, Diplomatic Law, S. 323 meint, ungewöhnliche Fälle könnten im Rahmen der Notifikation nach Art. 10 Abs. 1 lit. b) WÜD zwischen den Außenministerien des Entsende- und des Empfangsstaates durch einzelfallbezogene Vereinbarung geklärt werden. Die Regierungsstellen könnten also vereinbaren, eine bestimmte Person als Familienmitglied i.S.d. Art. 37 WÜD zu klassifizieren. Doch scheidet für die Bundesrepublik aufgrund des verfassungsrechtlichen Gewaltenteilungsgrundsatzes eine solche Vereinbarung bundesdeutscher Exekutivstellen mit einem Entsendestaat aus, zumindest hätte eine solche für deutsche Gerichte aufgrund Art. 97 Abs. 1 GG keine verbindliche Wirkung. 121 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 284; O’Keefe, ICLQ 25 (1976), 329 (332 f.). 122 So auch O’Keefe, ICLQ 25 (1976), 329 (333). Vgl. auch Fischer/Köck, Völkerrecht, Rn. 765. 120
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rechtsgültige Ehe ankommen.123 Die Bestimmung des von Art. 37 Abs. 1 WÜD geschützten Personenkreises hat vielmehr überhaupt nicht beim Begriff des Familienmitglieds, sondern bei dem Merkmal der Zugehörigkeit zum Haushalt des Diplomaten oder Mitglieds des Verwaltungs- und technischen Personals anzusetzen.124 Geschützt werden müssen solche Personen, die mit dem Missionsmitglied in einem gemeinsamen Haushalt leben, in einer engen Lebens- und Schutzgemeinschaft mit ihm stehen und den gleichen Lebensmittelpunkt wie das Missionsmitglied haben.125 Auch bei einem Abstellen auf die Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Haushalt, also auf ein gemeinsames Leben in einer räumlichen Einheit und auf das Bestehen einer tatsächlichen Lebens- und Schutzgemeinschaft, kann es natürlich im Einzelfall zu Beurteilungsschwierigkeiten kommen. Doch kann immerhin festgehalten werden, daß die bloße Tatsache eines Verwandtschaftsverhältnisses ebensowenig ausreicht wie die alleinige Tatsache des Verheiratetseins. Daher gehört die von einem Diplomaten getrennt lebende Ehefrau nicht zum Kreis der vom WÜD bevorrechtigten Familienmitglieder.126 Gleiches gilt für dessen Eltern und erwachsene Kinder, soweit diese von ihm räumlich getrennt in einem eigenen Haushalt leben, und zwar selbst dann, wenn sie bei der bevorrechtigten Person zu Besuch weilen.127 Der studierende Sohn eines Diplomaten, der lediglich am Wochenende zu Besuch kommt, genießt daher keine Exemtion, auch wenn er finanziell von ihm abhängig ist. Dagegen ist der mit einem Diplomaten bzw. einem Mitglied des Verwaltungsund technischen Personals zusammenlebende Partner – unabhängig davon, ob beide verheiratet sind oder nicht128 und auch bei einer homosexuellen Partnerschaft – in den Kreis der Exemtion genießenden Familienmitglieder einbezogen. Gleiches gilt für Kinder, solange sie noch bei dem Missionsmitglied wohnen, unabhängig davon, ob sie nun 14 oder bereits 21 Jahre alt sind und ob es sich um leibliche Kin___________ So auch Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (64); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 283 Fn. 5. 124 Vgl. Nahlik, RdC 1990 III, 187 (232). 125 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 283 mit Fn. 5; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 142 f., 411; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 904 Fn. 57. 126 So für das Konsularrecht auch Lee, Consular Law and Practice, S. 32. 127 Für eine Einbeziehung von Familienangehörigen bei einem Besuch in den Kreis der geschützten Familienmitglieder aber Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 143. 128 Für eine Einbeziehung von Lebensgefährten in den Kreis der geschützten Familienmitglieder mit dem zutreffenden Hinweis, es sei vornehmlich auf das Kriterium des „gemeinsamen Haushalts“ abzustellen, auch Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (64); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 142 f.; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 904 Fn. 57. Zur Staatenpraxis vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 323 ff. 123
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der oder beispielsweise Kinder des Ehepartners oder Lebensgefährten handelt.129 Auch Eltern oder Schwiegereltern, die mit im Haushalt des Missionsmitglieds leben, genießen die vom WÜD Familienmitgliedern gewährten Exemtionen.130 Es ist allerdings immer die Einschränkung zu beachten, daß die Familienmitglieder nicht die Staatsangehörigkeit des Empfangsstaates haben dürfen, bzw., soweit es um Familienangehörige von Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals geht, auch nicht im Empfangsstaat ständig ansässig sein dürfen. Hier wird das Interesse des Empfangsstaates an einer Unterworfenheit dieser Personen unter seine Hoheitsgewalt als vorrangig angesehen. Familienangehörige von Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals einer Mission (vgl. Art. 37 Abs. 3 WÜD) und von privaten Hausangestellten (vgl. Art. 37 Abs. 4 WÜD) genießen mangels entsprechender Festlegung überhaupt keine Vorrechte und Befreiungen.131 Es wird davon ausgegangen, daß es bei einer Strafverfolgung solcher Personen zu keiner Beeinträchtigung der Tätigkeit der Mission kommen kann. Die vollständige Unterwerfung dieser Familienmitglieder unter die Hoheitsgewalt des Empfangsstaates ist auch nur folgerichtig, wenn man berücksichtigt, daß den Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals selbst nur Immunität ratione materiae132 und den privaten Hausangestellten133 überhaupt keine Freistellung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zukommt. Wenn nicht einmal bei einer Strafverfolgung dieser Personen selbst eine Exemtion geboten ist, dann kann dies bei einer Strafverfolgung ihrer Familienangehörigen erst recht nicht der Fall sein. e) Exemtionen für private Hausangestellte Als private Hausangestellte werden gemäß Art. 1 lit. h) WÜD Personen bezeichnet, die im häuslichen Dienst eines Mitglieds der Mission beschäftigt und nicht Bedienstete des Entsendestaates sind. Es geht also um Personen, die unmittelbar von einzelnen Mitgliedern der Mission beschäftigt werden zur Wahrnehmung von Aufgaben in ihrem häuslichen und privaten Bereich. Zu privaten Hausangestellten zählen beispielsweise von Diplomaten oder Mitgliedern des Verwaltungs- und ___________ 129 Ebenso Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 142 f. Vgl. auch Denza, Diplomatic Law, S. 323 ff. mit Fn. 6 mit Hinweisen zur Staatenpraxis. 130 Ebenso Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 142. Die Staatenpraxis ist diesbezüglich allerdings nicht einheitlich; vgl. Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (64 ff.); Denza, Diplomatic Law, S. 323 ff.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 513. 131 Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 513; Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. III.B.6. 132 Vgl. oben § 13 I.1.c). 133 Vgl. unten § 13 I.1.e).
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technischen Personals für ihren privaten Bereich angestellte Putzfrauen, Köche, Gärtner, Kindermädchen, Hauslehrer, Hausdiener oder Fahrer.134 Den privaten Hausangestellten stehen nach Art. 37 Abs. 4 WÜD zwar bestimmte Befreiungen von Steuern und sonstigen Abgaben zu. Im übrigen kommen ihnen Vorrechte und Befreiungen aber nur insoweit zu, als diese vom Empfangsstaat ausdrücklich gewährt werden. Nach dem WÜD genießen diese Personen also keine Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit.135 Eine diplomatenrechtliche Befreiung von der Strafgerichtsbarkeit wäre auch nicht zu rechtfertigen. Denn diese Personen stehen der Mission selbst fern, eine Strafverfolgung kann die Funktionsfähigkeit der Mission nicht beeinträchtigen. Da sie selbst keine dienstlichen Handlungen für den Entsendestaat vornehmen, vielmehr nur im privaten Bereich einzelner Missionsmitglieder und in deren privatem Interesse tätig werden, braucht ihnen auch keine Immunität ratione materiae gewährt zu werden. Für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet dies, daß private Hausangestellte von Mitgliedern in der Bundesrepublik errichteter diplomatischer Missionen anderer Staaten in gleicher Weise wie jede andere der bundesdeutschen Strafgewalt unterworfene Person strafrechtlich verfolgt und strafprozessualen Zwangsmaßnahmen unterworfen werden dürfen. Es ist gemäß Art. 37 Abs. 4 Satz 2 WÜD lediglich darauf zu achten, daß die diplomatische Mission des fremden Staates in ihrer Arbeit nicht ungebührlich behindert wird, was aber bei einer Strafverfolgung eines privaten Hausangestellten im Rahmen der rechtsstaatlichen Grundsätze der StPO und des übrigen deutschen Rechts ohnehin nicht der Fall sein dürfte.136
___________ Vgl. das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. II.A.4. 135 Vgl. LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 2; Denza, Diplomatic Law, S. 337; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 54; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 512 mit Nachw. zur älteren Staatenpraxis; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (397); KKStPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 3; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 198 f.; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1031) sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. III.B.7. Schon im ersten Vorentwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1957 war in Art. 28 Abs. 3 vorgesehen, den Mitgliedern des privaten Hauspersonals keine Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu gewähren; vgl. YBILC 1957 II, 132 (140 f.) (UN-Dokument A/3623). Auch der endgültige Entwurf der ILC von 1958 sah in Art. 36 Abs. 3 vor, diesen Personen keine Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu gewähren; vgl. YBILC 1958 II, 89 (101 f.) (UN-Dokument A/3859). 136 Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 148: “This means in practical terms that the local police should not arrest the ambassador’s cook (…) on a day when the ambassador is giving an important dinner party.” 134
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f) Exemtionen für Mitglieder einer diplomatischen Mission, die Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind Das WÜD schließt nicht aus, Staatsangehörige des Empfangsstaates bzw. in diesem ständig ansässige Personen zu Mitgliedern einer diplomatischen Mission zu ernennen. Nach Art. 8 Abs. 1 WÜD sollen allerdings die Mitglieder des diplomatischen Personals grundsätzlich Staatsangehörige des Entsendestaates sein; nach Art. 8 Abs. 2 WÜD ist für die Ernennung von Staatsangehörigen des Empfangsstaates zu Mitgliedern des diplomatischen Personals dessen jederzeit widerrufliche Zustimmung erforderlich. Es ist daher üblich, zu Mitgliedern des diplomatischen Personals nur eigene und für die Aufgabenwahrnehmung entsandte Staatsangehörige zu ernennen. Als Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals dagegen werden üblicherweise ortsansässige Kräfte beschäftigt. Bei Personen, die im Empfangsstaat ständig ansässig sind oder sogar dessen Staatsangehörigkeit besitzen, hat dieser ein besonderes Interesse daran, diese möglichst umfassend seiner Strafgerichtsbarkeit zu unterwerfen; schließlich ist es bei diesen nicht nur der dienstlich veranlaßte, regelmäßig recht kurze Aufenthalt im Gebiet des Empfangsstaates, sondern auch die persönliche Bindung an den Empfangsstaat, die einen Anknüpfungspunkt nicht nur für die Unterwerfung dieser Personen unter die Geltung des Rechts des Empfangsstaates, sondern auch für dessen Durchsetzbarkeit bietet. Läßt sich eine Exemtion für entsandte Angehörige des Entsendestaates oder eines Drittstaates auch noch mit einem Status als fremder und den Sitten, Gebräuchen und Rechtsregeln des Empfangsstaates teilweise fernstehender Gast erklären, so kann eine Vorzugsstellung eines eigenen Staatsbürgers oder im eigenen Staatsgebiet ansässigen Menschen gegenüber anderen Bewohnern des Empfangsstaates lediglich aufgrund der Tatsache, daß dieser bei einer ausländischen diplomatischen Mission beschäftigt ist, häufig kaum mehr vermittelt werden. Auch ist das Interesse des Entsendestaates an einer Exemtion für diejenigen Mitglieder seiner Mission, die Angehörige des Empfangsstaates oder dort ständig ansässig sind, geringer als bezüglich seiner eigenen, entsandten Staatsbürger. Denn es obliegt ihm diesen gegenüber nicht nur eine geringere Schutzpflicht als gegenüber den eigenen Staatsbürgern, sondern er kann auch davon ausgehen, daß die „Ortskräfte“ aufgrund ihrer Verbundenheit mit der Rechts- und Werteordnung des Empfangsstaates keine Schwierigkeiten haben, sich im Rahmen der Gesetze des Empfangsstaates zu bewegen. Andererseits hat der Entsendestaat natürlich auch bezüglich dieser Personen ein Interesse daran, daß die Tätigkeit seiner Mission nicht durch die Ausübung von Hoheitsgewalt des Empfangsstaates beeinträchtigt wird. Vor allem liegt ihm daran, daß die ihm unmittelbar zurechenbaren dienstlichen Handlungen nicht der Jurisdiktion des Empfangsstaates unterworfen werden und auch diejenigen Mitglieder seiner Mission, die Staatsangehörige des Empfangsstaates bzw. ortsansässige Kräfte sind, ihre dienstlichen Aufgaben erfüllen können, ohne deswegen eine Strafverfolgung durch den Empfangsstaat befürchten zu müssen. Der Entsendestaat hat daher ein berechtigtes Interesse an einer Immuni-
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tät ratione materiae, während der Empfangsstaat seine Staatsbürger und die ständigen Bewohner seines Staatsgebietes möglichst weitgehend seiner Hoheitsgewalt unterwerfen will. Bei den Missionsmitgliedern, die Staatsangehörige des Empfangsstaates oder jedenfalls in diesem ständig ansässig sind, liegt damit zwar ebenfalls eine Kollision zwischen den Interessen des Empfangsstaates und denen des Entsendestaates vor, doch werden die Interessen des Empfangsstaates als vorrangig angesehen, weshalb Art. 38 WÜD denjenigen Mitgliedern diplomatischer Missionen, die Staatsgehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, weniger weitreichende Exemtionen gewährt als den in gleicher Funktion tätigen entsandten Staatsangehörigen des Entsendestaates oder eines Drittstaates.137 Während die Frage der Staatszugehörigkeit leicht zu klären ist,138 stellt sich die Frage, wann von einer ständigen Ansässigkeit im Empfangsstaat gesprochen werden kann.139 Nach dem geschilderten Sinn und Zweck des Art. 38 WÜD und den betroffenen Interessen kann von einer ständigen Ansässigkeit nicht schon gesprochen werden, wenn sich ein entsandtes Mitglied einer Mission – wie regelmäßig der Fall – einige Jahre im Empfangsstaat aufhält, sich dort „häuslich niederläßt“ und engere soziale Kontakte mit Staatsangehörigen des Empfangsstaates aufnimmt. Entscheidend ist vielmehr, ob unabhängig von dem durch die Tätigkeit bei der Mission bedingten Aufenthalt im Empfangsstaat eine ständige und dauerhafte Wohnsitznahme im Empfangsstaat angenommen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn die betreffende Person bereits vor Beginn ihrer Tätigkeit als ___________ Sehr kritisch gegenüber der geringen Reichweite der Exemtionen Cahier, IC 571 (1969), 5 (35) mit dem Argument, der Empfangsstaat brauche solche Missionsmitglieder nicht zuzulassen. Wenn er dies aber tue, so sollten diesen im Interesse der Funktionsfähigkeit der diplomatischen Beziehungen Exemtionen in gleichem Umfang wie den Staatsangehörigen des Entsendestaates oder eines Drittstaates gewährt werden. Vgl. auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 195, die ausgehend von der Funktionstheorie die Verkürzung der Exemtionen für unbegründet hält. 138 Vgl. diesbezüglich auch Art. II Fakultativprotokoll über den Erwerb der Staatsangehörigkeit zum WÜD (BGBl. 1964 II, S. 1007; abrufbar im Internet unter:
[31.3.2006]): „Mitglieder der Mission, die nicht Angehörige des Empfangsstaates sind, sowie die zu ihrem Haushalt gehörenden Familienmitglieder erwerben nicht lediglich kraft der Rechtsvorschriften des Empfangsstaates dessen Staatsangehörigkeit.“ Mit dieser Regelung soll sichergestellt werden, daß der Empfangsstaat einem entsandten Missionsmitglied nicht einseitig die eigene Staatsangehörigkeit verleiht, um so die diesem nach dem WÜD zustehenden Exemtionen zu beschränken. Sonst bestünde die Gefahr, daß ein Empfangsstaat eine innerstaatliche gesetzliche Regelung erließe, nach der jeder, der für eine gewisse Zeit im eigenen Staatsgebiet tätig ist, die Staatsangehörigkeit des Empfangsstaates erwirbt. Dann würde auch Mitgliedern einer diplomatischen Mission automatisch und auch gegen ihren Willen die Staatsangehörigkeit des Empfangsstaates verliehen und damit die ihnen nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 und Art. 37 WÜD zustehenden Exemtionen entsprechend Art. 38 WÜD verkürzt werden. Vgl. zu diesem Fakultativprotokoll auch Denza, Diplomatic Law, S. 414 ff. 139 Die Entstehungsgeschichte des WÜD und des WÜK gibt keinen Hinweis auf die „richtige“ Interpretation des Begriffs „ständige Ansässigkeit“; vgl. Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (67). 137
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Mitglied einer Mission längere Zeit im Empfangsstaat gewohnt und gelebt hat und sich dort bereits eine berufliche Existenz aufgebaut hatte.140 Wenn beispielsweise eine Botschaft eine Person als Fahrer, Hausmeister oder Gärtner einstellt, die zwar die eigene Staatsangehörigkeit hat – und damit in der Regel auch die Sprache der entsandten Kräfte spricht, weshalb häufig solche Anstellungsverhältnisse bestehen –, aber schon vor vielen Jahren in den Empfangsstaat ausgewandert ist, kann von einer ständigen Ansässigkeit im Empfangsstaat gesprochen werden. Ein entsandter Diplomat, der nach seinem Dienstbeginn eine Staatsangehörige des Empfangsstaates heiratet, sich dort ein Haus kauft und eine Familie gründet, kann dagegen nicht ohne weiteres als im Empfangsstaat ständig ansässig angesehen werden, da – jedenfalls prima facie – davon ausgegangen werden muß, daß der Aufenthalt im Empfangsstaat vor allem durch die diplomatische Tätigkeit bedingt ist und eine Ausreise bei einer Beendigung der dienstlichen Tätigkeit, etwa der Versetzung durch den Entsendestaat auf einen anderen Posten, erfolgen wird.141 aa) Exemtionen für Diplomaten, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ansässig sind Ein Diplomat, der Staatsangehöriger des Empfangsstaates oder in demselben ständig ansässig ist, genießt nach Art. 38 Abs. 1 WÜD Immunität von der Gerichtsbarkeit und Unverletzlichkeit lediglich in bezug auf seine in Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Amtshandlungen.142 Diesen Diplomaten kommt also anders als den entsandten Staatsangehörigen des Entsendestaates, für die Art. 29 und Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD gilt, keine umfassende Unverletzlichkeit und Immunität ratione personae zu, sondern nur Amtsimmunität, also Immu___________ Vgl. hinsichtlich der Kriterien für die Beurteilung der ständigen Ansässigkeit Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (67 ff.); Denza, Diplomatic Law, S. 343 ff. mit ausführlichen Hinweisen zur Staatenpraxis; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 149 f.; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 147 f. 141 Ebenso Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (69). Vgl. auch Lewis, State and Diplomatic Immunity, S. 144; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 268 f. Die Frage, ob eine ständige Ansässigkeit im Empfangsstaat gegeben ist, kann mithin nur individuell und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls beantwortet werden. Wichtig ist aber, daß die Frage nicht nach der Situation bei Beginn der Tätigkeit als Mitglied einer diplomatischen Mission zu beurteilen ist, sondern nach der gegenwärtigen Situation in dem Moment, in dem die Frage der Reichweite völkerrechtlicher Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu beantworten ist. Durch Veränderung persönlicher Lebensumstände kann auch während der Dienstzeit eine ständige Ansässigkeit entstehen oder enden. Ebenso Brown, a.a.O., S. 67 f., der allerdings berichtet, die Staatenpraxis sei insofern nicht einheitlich. 142 Art. 38 Abs. 1 WÜD lautet: „Soweit der Empfangsstaat nicht zusätzliche Vorrechte und Immunitäten gewährt, genießt ein Diplomat, der Angehöriger dieses Staates oder in demselben ständig ansässig ist, Immunität von der Gerichtsbarkeit und Unverletzlichkeit lediglich in bezug auf seine in Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Amtshandlungen.“ 140
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nität ratione materiae.143 Da auch die strafrechtliche Unverletzlichkeit allein in bezug auf Amtshandlungen gewährt wird, hat diese neben der Amtsimmunität keine eigenständige Bedeutung, denn bereits letztere beinhaltet ein Verbot der Vornahme strafprozessualer Zwangsgewalt, soweit es um die Verfolgbarkeit von Amtshandlungen geht. Auf den ersten Blick könnte man annehmen, die Rechtsstellung der Diplomaten nach Art. 38 Abs. 1 WÜD entspreche derjenigen der Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals nach Art. 37 Abs. 3 WÜD.144 Beide Personengruppen genießen Immunität ratione materiae. Doch ist die leicht unterschiedliche Formulierung in den beiden Artikeln des WÜD zu beachten. Während Art. 37 Abs. 3 von „Immunität in bezug auf ihre in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Handlungen“ spricht, heißt es in Art. 38 Abs. 1: „Immunität (…) in bezug auf seine in Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Amtshandlungen“. Art. 38 Abs. 1 WÜD ist also enger, da dem Wortlaut nach nicht alle in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Handlungen von der Immunität erfaßt werden, sondern nur solche Handlungen, die Amtshandlungen sind.145 Nun könnte man argumentieren, eine solche Differenzierung sei spitzfindig, die leichte sprachliche Abweichung bedeute nicht, daß der sachliche Gehalt beider Regelungen unterschiedlich sei. Handlungen, die von einem Mitglied einer diplomatischen Mission in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit vorgenommen würden, seien stets Amtshandlungen und keine Privathandlungen. Eine dritte Kategorie von Taten neben Amtshandlungen und Privathandlungen gebe es begrifflich nicht. Privathandlungen sind aber ohne Zweifel auch von der Immunität des Art. 37 Abs. 3 WÜD nicht erfaßt. Die Annahme, mit der Verwendung des Begriffs „Amtshandlung“ sollten solche Handlungen von der Immunität ausgenommen werden, die lediglich bei Gelegenheit der Wahrnehmung eines Dienstgeschäfts verübt würden, etwa der private Ladendiebstahl während eines Einkaufs von dienstlich benötigten Gegenständen, würde ebenfalls einen sachlichen Unterschied nicht begründen können. Denn Handlungen, die gelegentlich dienstlicher Tätigkeit verübt werden, wer___________ 143 Vgl. OLG Karlsruhe, Die Justiz 1983, 133 (134); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 283; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 52; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 3; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 91; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (446) sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. III.B.8.a. Eine solche Regelung war auch schon im ersten Vorentwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1957 und im endgültigen Entwurf der ILC von 1958 enthalten; vgl. YBILC 1957 II, 132 (141 f.) (UN-Dokument A/3623); YBILC 1958 II, 89 (102) (UNDokument A/3859). 144 Vgl. zu den Exemtionen von Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals nach Art. 37 Abs. 3 WÜD oben § 13 I.1.c). 145 Diese sprachliche Divergenz findet sich auch in der gemäß Art. 53 WÜD verbindlichen englischen und französischen Fassung.
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den nach einhelliger Auffassung auch von der Immunität ratione materiae des Art. 37 Abs. 3 WÜD nicht erfaßt, was schon die Formulierung „in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit“ anstelle der denkbaren Fassung „während der Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit“ zeigt.146 Doch muß davon ausgegangen werden, daß bei der Ausarbeitung des WÜD mit der unterschiedlichen Formulierung auch ein unterschiedlicher Schutzumfang der Exemtionen festgelegt werden sollte. Bei internationalen Verträgen, die in einem sorgfältigen Verhandlungsprozeß ausgearbeitet werden und bei denen die Bedeutung jeder verwendeten Formulierung vielfach hinterfragt wird, wird dann, wenn in verschiedenen Normen eine vom Umfang her identische Regelung getroffen werden soll, auch eine identische Formulierung benutzt. Die Verwendung des Wortes „Amtshandlung“ anstelle des Wortes „Handlung“ macht also deutlich, daß der Schutzumfang der Exemtion des Art. 38 Abs. 1 WÜD gegenüber dem der in Art. 37 Abs. 3 WÜD normierten Immunität enger ist.147 Da sich das gleiche Interpretationsproblem auch bei den konsularischen Exemtionen stellt, weil auch dort unterschiedliche Formulierungen bei der Festlegung von Immunitäten ratione materiae verwendet werden, soll die schwierige, aber für die (Straf-)Rechtspraxis sehr relevante Frage der Abgrenzung von durch Immunitäten ratione materiae geschützten dienstlichen Handlungen zu nicht von diesen Exemtionen erfaßten Verhaltensweisen zusammen für alle Exemtionen unten bei § 13 II. erörtert werden. ___________ Vgl. hierzu auch unten § 13 II.4. So auch Denza, Diplomatic Law, S. 342; Koster, Immunität internationaler Richter, S. 64; Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 361; Lewis, State and Diplomatic Immunity, S. 145; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 91; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 145, 149; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 113 ff. A.A. aber Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (82 ff.), der meint, alle Immunitäten ratione materiae des Diplomatenrechts seien eng zu verstehen und auf die eigentlichen Amtshandlungen beschränkt. Siehe hierzu auch unten § 13 II.7.a). Der hier aufgezeigte Formulierungsunterschied findet sich bereits in dem ersten Vorentwurf für eine Diplomatenrechtskonvention, den die ILC im Jahr 1957 der UNGeneralversammlung präsentierte. Dort hieß es in Art. 28 Abs. 2: “Members of the service staff of the mission shall enjoy immunity in respect of acts performed in the course of their duties.” In Art. 30 hieß es: “A diplomatic agent who is a national of the receiving State shall enjoy immunity from jurisdiction in respect of official acts performed in the exercise of his functions.”; vgl. YBILC 1957 II, 132 (140 ff.) (UN-Dokument A/3623). Der endgültige Entwurf der ILC aus dem Jahr 1958 hat diese Formulierungen in Art. 36 Abs. 2 und Art. 37 Abs. 1 übernommen; vgl. YBILC 1958 II, 89 (101 f.) (UN-Dokument A/3859). Aus den Kommentierungen dieser Entwürfe geht allerdings nicht hervor, ob bzw. inwieweit mit diesen unterschiedlichen Formulierungen auch ein sachlicher Unterschied der Reichweite der Exemtionen intendiert war; vgl. YBILC 1957 II, 132 (140 ff.) und YBILC 1958 II, 89 (101 f.). Zur Diskussion auf der Wiener Konferenz 1961 vgl. die Protokolle in United Nations Conference on Diplomatic Intercourse and Immunities, Official Records, vol. I, Geneva 1962, vol. II, New York 1962 (UN-Dokument A.CONF.20/14), S. 31 ff., 39 ff., 47 ff., 193 ff., 204 ff. 146 147
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An dieser Stelle sei allerdings festgehalten, daß die im Diplomatenrecht (und gleiches gilt für das Konsularrecht) gewährten Immunitäten ratione materiae nicht stets den gleichen Schutzumfang haben. Vielmehr ist bei jeder Personengruppe die genaue Formulierung der Festlegung von Immunität ratione materiae zu beachten und anhand dieser die sachliche Reichweite der jeweils gewährten funktionalen Immunität individuell zu bestimmen.148 Hinsichtlich der hier erörterten unterschiedlichen Formulierungen kann zudem bereits festgestellt werden, daß die Beschränkung der Exemtion auf „Amtshandlungen“ in Art. 38 Abs. 1 WÜD nur so interpretiert werden kann, daß lediglich Immunität gewährt wird für unmittelbare Amtshandlungen, also allein für Verhaltensweisen, die als solche als unmittelbare Wahrnehmung und Erfüllung einer diplomatischen Aufgabe zu bewerten sind. Handlungen, die zwar einerseits als dienstliche Handlungen zu bewerten sind, weil sie zur Aufgabenerfüllung gehören, die der Diplomat also nicht in privater Eigenschaft, sondern in seiner Eigenschaft als Vertreter des Entsendestaates vornimmt und die dienstlich veranlaßt sind, die aber andererseits lediglich dazu dienen, die von ihnen abgrenzbare eigentliche Amtshandlung vornehmen zu können oder die nicht im Zusammenhang stehen mit einer Handlung, die unmittelbar der Wahrnehmung einer diplomatischen Funktion dient, sind von der (engen) Immunität ratione materiae des Art. 38 Abs. 1 WÜD nicht geschützt.149 Solche Handlungen sind jedoch, weil sie als dienstliche diplomatische Handlungen einzustufen und nicht der privaten Lebenssphäre zuzurechnen sind, von einer (weiten) Immunität ratione materiae umfaßt, die sich – wie die in Art. 37 Abs. 3 WÜD geregelte Exemtion – auf alle in Ausübung der dienstlichen diplomatischen Tätigkeit vorgenommenen Handlungen erstreckt.150 Praktische Relevanz hat diese Differenzierung vor allem bei Straßenverkehrsdelikten. Die Autofahrt eines Diplomaten von der Botschaft zum Außenministerium, wo ein Gesprächstermin mit dem Außenminister wahrgenommen werden soll, stellt zwar eine dienstliche Tätigkeit dar, ist aber nicht Bestandteil der eigentlichen Amtshandlung. Die Amtshandlung selbst ist lediglich das Führen des Gesprächs mit dem Außenminister. Die Autofahrt dient nur dazu, die Amtshandlung an einem anderen Ort vornehmen zu können. Während der Autofahrt begangene Straßenverkehrsdelikte sind daher von der auf die eigentliche Amtshandlung beschränkten
___________ 148 Ebenso Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 114. Vgl. auch Denza, Diplomatic Law, S. 335. 149 Denza, Diplomatic Law, S. 342; Lewis, State and Diplomatic Immunity, S. 144; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 91; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 149; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 116. 150 Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 115.
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Immunität des Art. 38 Abs. 1 WÜD nicht umfaßt.151 Die in Art. 37 Abs. 3 WÜD verwendete Formulierung, nach der alle in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Handlungen geschützt sind, schließt dagegen auch die als Teil der dienstlichen Tätigkeit zu bewertende Autofahrt mit ein.152 Hinsichtlich der Frage der Zeugenpflicht von Diplomaten, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, gilt das oben bei § 13 I.1.c) zur Zeugnispflicht der Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals Gesagte entsprechend.153 Diese Diplomaten genießen also mangels ausdrücklicher Freistellung von den Zeugenpflichten keinerlei Sonderstatus. Sie unterliegen den Zeugenpflichten in gleicher Weise wie jede andere Person auch. Selbst hinsichtlich dienstbezogener Kenntnisse kommt ihnen kein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Diesbezüglich kann ebenfalls nicht von einer durch analoge Anwendung des Art. 44 Abs. 3 WÜK zu schließenden planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden. Denn wenn den Diplomaten, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, kein Zeugnisverweigerungsrecht gewährt wird, obwohl den entsandten Diplomaten mit Staatsangehörigkeit des Entsendestaates oder eines Drittstaates eine umfassende Befreiung von den Zeugenpflichten gewährt wird, kann eine unbeabsichtigte Regelungslücke nicht unterstellt werden. Vielmehr muß die Regelung in Art. 38 Abs. 1 WÜD, die bloß eine auf Amtshandlungen bezogene Unverletzlichkeit und Immunität gewährt, als abschließend angesehen werden. Dieses Fehlen eines Zeugnisverweigerungsrechts hinsichtlich dienstbezogener Kenntnisse vermag allerdings rechtspolitisch nicht zu überzeugen. Denn so kann der Empfangsstaat, wenn er Kenntnis über die diplomatischen Tätigkeiten einer Mission eines fremden Staates erlangen will, diese im Wege einer Vernehmung eines für diesen fremden Staat tätigen Diplomaten erhalten. Das Interesse des Entsendestaates daran, daß seine diplomatischen Tätigkeiten nur insoweit dem Empfangsstaat zur Kenntnis gelangen, als er dies will oder jedenfalls billigt, wird dabei nicht ausreichend berücksichtigt. Es wäre deshalb zu empfehlen, die Exemtionsregelung des Art. 38 Abs. 1 WÜD um ein Zeugnisverweigerungsrecht entsprechend ___________ 151 Ebenso Denza, Diplomatic Law, S. 342; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 91; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 149; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 116. 152 Ebenso Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 115. 153 Art. 31 Abs. 2 WÜD kann, auch wenn dort der Begriff „Diplomat“ ohne Differenzierung verwendet wird, auf Diplomaten, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, nicht angewandt werden. Denn auch Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD spricht ohne Beschränkung davon, daß „der Diplomat“ Befreiung von der Strafgerichtsbarkeit genießt, gilt aber – wie sich eindeutig aus Art. 38 Abs. 1 WÜD ergibt – nicht für Diplomaten, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind. Eine Anwendung des Art. 31 Abs. 2 WÜD auf solche Diplomaten wäre auch nicht sachgerecht. Diese sollen, wie Art. 38 Abs. 1 WÜD zeigt, hinsichtlich ihres privaten Lebensbereichs der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates unterworfen sein. Daher wäre es nicht sachgerecht, diese von der Zeugenpflicht zu befreien, wenn sie als Privatperson Kenntnisse erlangt haben.
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dem in Art. 44 Abs. 3 WÜK normierten zu ergänzen. In der Staatenpraxis scheint das „Fehlen“ eines solchen Zeugnisverweigerungsrechts allerdings keine Bedeutung zu haben, denn ohnehin werden – wie oben gesagt – zu Mitgliedern des diplomatischen Personals ganz regelmäßig nur entsandte Angehörige des Entsendestaates ernannt, die gemäß Art. 31 Abs. 2 WÜD umfassend von Zeugenpflichten befreit sind. Die derzeitige Rechtslage nach dem WÜD aber ist eindeutig: Diplomaten, die Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, genießen lediglich Immunität ratione materiae, die zudem auf die eigentlichen Amtshandlungen beschränkt ist. Auch Unverletzlichkeit wird nur in diesem Umfang gewährt, weshalb die Unverletzlichkeit keine eigenständige Bedeutung hat, da bereits die Immunität von der Strafgerichtsbarkeit für Amtshandlungen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen zur Verfolgung dieser untersagt. Sowohl hinsichtlich während der Amtszeit als im Empfangsstaat akkreditierter Diplomat begangener privater Taten als auch wegen während dieser Zeit begangener dienstlicher Taten, die keine eigentlichen Amtshandlungen darstellen, sowie wegen Taten, die vor Amtsbeginn begangen wurden, unterliegen die Diplomaten, die Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates und mangels über die Immunität hinausreichender Unverletzlichkeit auch strafprozessualen Zwangsmaßnahmen zur Verfolgung dieser Taten.154 Auch eine Inanspruchnahme dieser Diplomaten als Nichtbeschuldigte ist ohne Einschränkung durch Regelungen des WÜD möglich. Dies gilt sowohl für strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, etwa solche nach § 81c StPO, als auch hinsichtlich einer Vernehmung als Zeuge, da – wie erwähnt – das WÜD diesen Diplomaten keinerlei Zeugnisverweigerungsrecht oder sonstige Befreiung von den Zeugenpflichten zubilligt. Gegen diese Diplomaten dürfen, sofern sie den Zeugenpflichten nicht nachkommen, auch Zwangs- und Strafmaßnahmen nach §§ 51 und 70 StPO getroffen werden. ___________ Diese Aussage muß allerdings in einer Hinsicht eingeschränkt werden: Diese Diplomaten genießen zwar für Taten, die nicht als diplomatische Amtshandlungen zu bewerten sind, keine Immunität nach dem WÜD, was im Regelfall bedeutet, daß sie wegen solcher Taten der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates unterliegen. Doch schließt die Tatsache, daß diese Diplomaten für solche Taten keine Exemtion nach dem WÜD genießen, nicht aus, daß bestimmte Taten von einer anderen völkerrechtlichen Exemtion erfaßt sind. Wie unten in § 13 V. ausführlich erörtert wird, stehen die verschiedenen völkerrechtlichen Exemtionen nebeneinander und wird vor allem die Staatenimmunität nicht von den diplomatischen Immunitäten verdrängt. Dies bedeutet, daß eine Strafverfolgung wegen für einen anderen Staat begangener und diesem unmittelbar zurechenbarer Handlungen, die als hoheitlich-dienstliche Handlungen (acta iure imperii) zu bewerten sind, aufgrund der Staatenimmunität ausgeschlossen ist, und zwar unabhängig davon, ob die betreffende Person (auch) diplomatische Immunität für diese Tat genießt oder nicht. Praktische Relevanz kann dieser Tatsache vor allem im Hinblick auf Taten zukommen, die die hier betrachteten Diplomaten im Rahmen eines früheren Dienstverhältnisses vor Beginn ihrer diplomatischen Tätigkeit als im Empfangsstaat akkreditierter Diplomat begangen haben. Vgl. hierzu auch unten Anm. 160 und Anm. 161 sowie die ausführliche Darstellung unten bei § 13 V.2.c). 154
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Die Familienangehörigen von Diplomaten, die Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, genießen keinerlei Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit.155 Dies ergibt sich zwar nicht direkt aus Art. 38 Abs. 1 WÜD und auch nicht unmittelbar aus Art. 37 Abs. 1 WÜD. In Art. 37 Abs. 1 WÜD wird dem Wortlaut nach nicht zwischen Familienangehörigen von Diplomaten, die entsandte Staatsangehörige des Entsendestaates sind, und von solchen, die Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, differenziert. Dort wird ausschließlich darauf abgestellt, ob die Familienangehörigen selbst die Staatsangehörigkeit des Empfangsstaates haben. Damit könnte man meinen, daß die Familienmitglieder eines Diplomaten, der selbst nach Art. 38 Abs. 1 WÜD nur Amtsimmunität genießt, nach Art. 37 Abs. 1 WÜD i.V.m. Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD vollständige Immunität ratione personae genießen. Den Familienangehörigen eine weiterreichende Immunität zu gewähren als den Diplomaten selbst, widerspricht aber offensichtlich Sinn und Zweck der Exemtionsregelungen des WÜD. Es ist deshalb davon auszugehen, daß Art. 37 Abs. 1 WÜD nur Familienangehörige von solchen Diplomaten erfaßt, sie selbst nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD Immunität ratione personae genießen. Familienangehörigen von Diplomaten, die selbst lediglich Immunität nach Art. 38 Abs. 1 WÜD genießen, kommen dagegen keinerlei Vorrechte und Befreiungen zu; denn wenn man Art. 37 Abs. 1 WÜD auf Familienangehörige von Diplomaten im Sinne des Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD beschränkt, wofür im übrigen auch die gesetzessystematische Stellung von Art. 37 Abs. 1 WÜD spricht, dann fehlt es an einer Norm, die eine Exemtion auch für Familienangehörige von Diplomaten begründen könnte, die selbst bloß Exemtionen nach Art. 38 Abs. 1 WÜD genießen.156 bb) Exemtionen für sonstige Personen, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ansässig sind Sonstigen Mitgliedern des Personals einer diplomatischen Mission und privaten Hausangestellten stehen, sofern sie Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, nach Art. 38 Abs. 2 WÜD Vorrechte und Befreiun-
___________ So auch American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 464 Comment g); O’Keefe, ICLQ 25 (1976), 329 (342 f.); Sen, Diplomat’s Handbook, S. 188 f. 156 Ebenso O’Keefe, ICLQ 25 (1976), 329 (342 f.). So hatte auch die ILC ihre Konventionsentwürfe, die in den Berichten an die UN-Generalversammlung 1957 und 1958 enthalten waren und eine entsprechende Regelung wie das WÜD enthielten, verstanden; vgl. YBILC 1957 II, 132 (142) (UN-Dokument A/3623) und YBILC 1958 II, 89 (102 f.) (UNDokument A/3859). Im letztgenannten Dokument heißt es: “The fact that the draft makes no mention of the position of the members of the families of any of the persons specified in the article implies that they enjoy only such privileges and immunities as are granted to them by the receiving State.” 155
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gen nur in dem vom Empfangsstaat zugelassenen Umfang zu.157 Dies bedeutet, daß ihnen direkt nach dem WÜD weder eine Unverletzlichkeit noch eine Immunität von strafrechtlicher Verantwortlichkeit oder ein Zeugnisverweigerungsrecht zukommt.158 Es bleibt dem jeweiligen Empfangsstaat überlassen, ob und in welchem Umfang er den betreffenden Personen Exemtionen von seiner Strafgerichtsbarkeit gewährt. Für die Bundesrepublik, die keine diesbezügliche Regelung getroffen hat, heißt das, daß weder Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals sowie des dienstlichen Hauspersonals noch private Hausangestellte nach Diplomatenrecht Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen, sofern sie Angehörige des Empfangsstaates oder zumindest in diesem ständig ansässig sind. Während das Fehlen einer strafrechtlichen Exemtion hinsichtlich der privaten Hausangestellten nicht überrascht, da diesen – wie gezeigt – nach Art. 37 Abs. 4 WÜD auch dann keine Exemtionen zukommen, es sich um entsandte Staatsangehörige des Entsendestaates handelt, verwundert die Tatsache, daß auch den Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals sowie des dienstlichen Hauspersonals, die Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, keinerlei Exemtionen gewährt werden. Dies gilt vor allem für die Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals, die – sofern es sich um entsandte Staatsangehörige des Entsendestaates oder eines dritten Staates handelt – gemäß Art. 37 Abs. 2 WÜD den Diplomaten gleichgestellt sind. Es hätte daher nahegelegen, die Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals den Diplomaten auch dann (durch Gewährung von Exemtionen nach Art. 38 Abs. 1 WÜD) gleichzustellen, wenn sie Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind. Denn die den Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals nach Art. 37 Abs. 2 WÜD zukommenden Exemtionen werden – wie oben in § 13 ___________ Art. 38 Abs. 2 WÜD lautet: „Anderen Mitgliedern des Personals der Mission [als Diplomaten; der Verf.] und privaten Hausangestellten, die Angehörige des Empfangsstaats oder in demselben ständig ansässig sind, stehen Vorrechte und Immunitäten nur in dem vom Empfangsstaat zugelassenen Umfang zu. Der Empfangsstaat darf jedoch seine Hoheitsgewalt über diese Personen nur so ausüben, daß er die Mission bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nicht ungebührlich behindert.“ 158 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 337, 339 ff.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 55; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 3; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (446) sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. III.B.8.b). Eine solche Regelung war auch schon im ersten Vorentwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1957 sowie im endgültigen Entwurf der ILC von 1958 enthalten; vgl. YBILC 1957 II, 132 (142) (UN-Dokument A/3623) und YBILC 1958 II, 89 (102 f.) (UN-Dokument A/3859). Der generelle Exemtionsausschluß gilt auch für die Familienangehörigen dieser Personen, auch wenn sich Art. 38 Abs. 2 WÜD zu diesen Personen nicht äußert. Denn wie hinsichtlich der Familienangehörigen der Diplomaten, so ist auch hinsichtlich der Familienangehörigen von Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals davon auszugehen, daß sich Art. 37 WÜD, hier Art. 37 Abs. 2, nicht auf Familienangehörige von Mitgliedern diplomatischer Missionen bezieht, deren eigene Vorrechte und Befreiungen sich ausschließlich nach Art. 38 WÜD bestimmen. 157
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I.1.b) dargelegt wurde – im wesentlichen damit begründet, sie seien, da diese Personen mit den diplomatischen Amtsgeschäften der Diplomaten in der Regel vertraut sind, diesen unmittelbar zuarbeiten und auch von geheimzuhaltenden Vorgängen regelmäßig Kenntnis haben, in gleicher Weise schutzwürdig wie die Diplomaten selbst. Auch ihnen hätte damit, soweit sie Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, eigentlich Unverletzlichkeit und Immunität in bezug auf die in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Amtshandlungen nach Art. 38 Abs. 1 WÜD, also Immunität ratione materiae, zugebilligt werden müssen.159 Hinzu kommt folgende Überlegung: Die Immunitäten ratione materiae werden – wie bereits mehrfach erwähnt wurde – auch deshalb gewährt, weil die im Rahmen der dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Handlungen als dem Entsendestaat direkt zuzurechnendes staatliches Handeln zu bewerten sind, ein Staat aber wegen des Grundsatzes der souveränen Gleichheit der Staaten grundsätzlich gehindert ist, über fremde Staatstätigkeit – jedenfalls insoweit, als es um hoheitlich-dienstliches Handeln geht – durch eine persönliche Inanspruchnahme der handelnden Personen zu judizieren. Bei einer Strafverfolgung von Mitgliedern des diplomatischen Personals, des Verwaltungs- und technischen Personals sowie des dienstlichen Hauspersonals wegen ihrer in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen hoheitlichen Handlungen würde genau eine solche Inanspruchnahme stattfinden. Die Immunitäten ratione materiae im Diplomatenrecht, die – wie erwähnt – von den weiterreichenden Immunitäten ratione personae der Diplomaten und des Verwaltungs- und technischen Personals nach Art. 37 Abs. 2 WÜD mit umfaßt sind, werden also – unter anderem – ebenso begründet und auf denselben Rechtsgrund zurückgeführt wie die Staatenimmunität. Bei dieser aber spielt es keine Rolle, wo die handelnde Person ständig ansässig ist oder welche Staatsangehörigkeit sie besitzt. Vielmehr wird bei der Staatenimmunität nur auf den Charakter der Tathandlung als für einen fremden Staat vorgenommene hoheitlich-dienstliche Handlung abgestellt. Auch diese Überlegung führt dazu, daß es sinnvoll gewesen wäre, den Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals und des dienstlichen Hauspersonals, die Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, zwar keine umfassende Immunität ratione personae, wohl aber Immunität ratione materiae wie den Diplomaten nach Art. 38 Abs. 1 WÜD zu gewähren.160 ___________ So auch Van Panhuys, ICLQ 13 (1964), 1193 (1205 f.). Ebenso Van Panhuys, ICLQ 13 (1964), 1193 (1206 f.). Es wäre zwar sinnvoll gewesen, auch diesen Personen Immunität ratione materiae zu gewähren, doch nicht rechtlich zwingend. Denn eine Mißachtung des aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit folgenden Verbots, über fremde Staatstätigkeit durch Inanspruchnahme einzelner staatlicher Funktionsträger zu judizieren, soweit es sich um acta iure imperii handelt, wird bereits durch die gewohnheitsrechtlich geltende Staatenimmunität verhindert. Bereits die Staatenimmunität verbietet, wie oben in § 5 ausführlich dargelegt wurde, eine Strafverfolgung 159 160
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Doch ist die Regelung des Art. 38 Abs. 2 WÜD eindeutig und läßt keinen Raum für solche teleologischen und systematischen Überlegungen. Es ist daher festzuhalten, daß das WÜD gemäß Art. 38 Abs. 2 auch den Mitgliedern des Verwaltungsund technischen Personals sowie des dienstlichen Hauspersonals, die Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, keinerlei Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zubilligt.161 Art. 38 Abs. 2 Satz 2 WÜD bestimmt allerdings, daß der Empfangsstaat seine Hoheitsgewalt über diese Personen nur so ausüben darf, daß er die Mission bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nicht ungebührlich behindert. Doch stellt dies für eine Strafverfolgung, die sich innerhalb der rechtsstaatlichen Schranken der StPO bewegt und das bereits dem deutschen Recht zu entnehmende Gebot der zügigen Durchführung eines Strafverfahrens beachtet, keine zusätzliche Schranke dar. 2. Exemtionen nach dem WÜK für den Bereich der von Berufskonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretungen Hinsichtlich des Umfangs der gewährten Exemtionen differenziert das WÜK zwischen den Mitgliedern einer von einem Berufskonsularbeamten geleiteten kon___________ wegen Taten, die als hoheitlich-dienstliche Handlungen für einen fremden Staat zu bewerten sind. Die Staatenimmunität wird durch die im Diplomatenrecht gewährten bzw. gerade nicht gewährten Immunitäten – wie unten in § 13 V.2.c) ausführlich erörtert wird – nicht verdrängt. Vgl. auch oben Anm. 154 sowie unten Anm. 161. 161 Dies bedeutet allerdings nicht, daß damit eine Strafverfolgung von Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals sowie des dienstlichen Hauspersonals, die Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, stets zulässig ist. Die Tatsache, daß ihnen vom WÜD keine Immunität ratione materiae gewährt wird, bedeutet nicht, daß eine Bestrafung auch wegen im Rahmen der dienstlichen Tätigkeit vorgenommener dienstlicher Handlungen ohne weiteres erlaubt ist. Denn die Staatenimmunität, die generell eine Strafverfolgung wegen hoheitlich-dienstlicher Handlungen untersagt (unabhängig davon, ob es sich um eine diplomatische oder sonstige Diensthandlung handelt), wird durch die speziellen Immunitätsregelungen des Diplomatenrechts nicht verdrängt. Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 342; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 149; van Panhuys, ICLQ 13 (1964), 1193 (1206 ff.); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (447); ders., EJIL 13 (2002), 877 (883 f.) sowie unten § 13 V.2.c). Man könnte zwar argumentieren, mit der expliziten Festlegung, daß bestimmten Personen Vorrechte und Befreiungen nur in dem vom Empfangsstaat zugelassenen Umfang zustünden, sei zugleich eine Anwendbarkeit der Staatenimmunität ausgeschlossen, insofern sei gewissermaßen vom Entsendestaat konkludent ein Verzicht auf die Staatenimmunität ausgesprochen worden bzw. werde die Staatenimmunität durch spezielleres Völkervertrags- und Völkergewohnheitsrecht verdrängt. Doch wäre eine solche Annahme verfehlt. Sie würde in die Normen des WÜD weitaus mehr hineininterpretieren als von den Vertragsstaaten beabsichtigt gewesen ist. Es ist vielmehr im Grundsatz davon auszugehen, daß die verschiedenen, jeweils auf unterschiedlichen Gründen beruhenden Exemtionen unabhängig voneinander sind, also auch die Staatenimmunität und die Exemtionen des Diplomaten- und Konsularrechts unabhängig voneinander sind, und daher eine Person, der nach Diplomatenrecht keine Exemtion zusteht, dennoch eine Befreiung von Strafgerichtsbarkeit aufgrund der Staatenimmunität oder einer anderen Immunität genießen kann. Vgl. auch oben Anm. 160.
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sularischen Vertretung auf der einen Seite (Kapitel II WÜK; vgl. Art. 1 Abs. 2 Satz 2 WÜK)162 und den Mitgliedern einer von einem Wahlkonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretung auf der anderen Seite (Kapitel III WÜK; vgl. Art. 1 Abs. 2 Satz 2 WÜK)163. Ferner ist noch danach zu unterscheiden, ob die Mitglieder einer konsularischen Vertretung – wie dies bei Berufskonsularbeamten der Fall ist – die Staatsangehörigkeit des Entsendestaates haben und von diesem auf Zeit in den Empfangsstaat entsandt werden, oder ob sie – wie dies bei Wahlkonsularbeamten der Fall ist – Staatsangehörige des Empfangsstaates oder zumindest in diesem ständig ansässig sind. a) Exemtionen für Berufskonsularbeamte aa) Der Begriff „Berufskonsularbeamte“ Die Exemtionen von der Strafgerichtsbarkeit für Berufskonsularbeamte bestimmen sich nach Art. 41–44 WÜK. Der dort verwendete Begriff „Konsularbeamter“ umfaßt nach Art. 1 Abs. 1 lit. d) WÜK jede in dieser Eigenschaft mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben betraute Person einschließlich des Leiters einer konsularischen Vertretung. Wie im Diplomatenrecht wird also bei den Exemtionen nicht zwischen dem Leiter einer Vertretung und den übrigen Konsularbeamten differenziert. Kennzeichnend für die Konsularbeamten ist, daß diese unmittelbar die konsularischen Aufgaben wahrnehmen, während die übrigen Mitglieder einer konsularischen Vertretung lediglich unterstützende Tätigkeiten leisten. Die Frage, ob ein Mitglied einer konsularischen Vertretung zur Kategorie der Konsularbeamten zu zählen ist oder nicht, hängt allerdings nicht vom konkreten Einzelfall, also nicht von der Art der konkret zu beurteilenden (strafrechtlich relevanten) Tätigkeit ab, sondern bestimmt sich wie im Diplomatenrecht nach der vom Entsendestaat abstrakt vorgenommenen Einstufung, die sich wiederum nach der beabsichtigten grundsätzlichen Verwendung der betreffenden Person zu richten hat. Eine Person ist danach in der Regel für die gesamte Zeit ihrer Tätigkeit, zumindest aber bis zu einer neuen Statusbestimmung durch den Entsendestaat, einer Kategorie zugeordnet. Selbst wenn eine Bedienstete einer konsularischen Vertretung, deren eigentliche Tätigkeit die einer Sekretärin und Übersetzerin ist und die daher vom Entsendestaat als Mitglied des Verwaltungspersonals ernannt und dem Empfangsstaat entsprechend notifiziert worden ist, ausnahmsweise den Konsul bei einer Veranstaltung vertritt und dort im Namen des Entsendestaates auftritt, also eine originär konsularische Aufgabe wahrnimmt, genießt diese Person während dieser Veranstaltung und auch danach lediglich die einem Mitglied des Verwaltungs- oder techni___________ 162 163
Vgl. hierzu vorliegend § 13 I.2. Vgl. hierzu nachfolgend § 13 I.3.
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schen Personals zukommenden Exemtionen, nicht aber diejenigen, die einem Konsularbeamten gewährt werden.164 Umgekehrt genießt ein Konsularbeamter stets lediglich die Exemtionen, die einer Person mit dem Status des Konsularbeamten nach dem WÜK zukommen, unabhängig davon, welche Aufgaben er konkret wahrnimmt. Selbst wenn er gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 1 WÜK ausnahmsweise mit der Vornahme diplomatischer Amtshandlungen beauftragt ist, weil der Entsendestaat im Empfangsstaat keine diplomatische Mission unterhält und auch nicht durch einen dritten Staat vertreten ist, hat er gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 WÜK keinen Anspruch auf die weitergehenden diplomatischen Vorrechte und Immunitäten.165 Nachfolgend geht es zunächst um die Exemtionen von Berufskonsularbeamten, die weder Staatsangehörige des Empfangsstaates sind noch in diesem ständig ansässig sind.166 Beides ist – wie erwähnt – bei Berufskonsularbeamten nur ausnahmsweise der Fall, bei diesen handelt es sich normalerweise um entsandte, im Auswärtigen Dienst des Entsendestaates stehende Berufsbeamte. bb) Die grundsätzliche Unterworfenheit unter das Recht des Empfangsstaates Die Konsularbeamten sind – nicht anders als die Diplomaten – der Geltung der materiellen Rechtsnormen des Empfangsstaates – von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen – unterworfen. Auch Art. 55 Abs. 1 Satz 1 WÜK wird einhellig so verstanden, daß er die grundsätzliche Geltung des Rechts des Empfangsstaates festlegt und nicht nur eine völkerrechtliche Pflicht enthält, sich den in den Rechtsnormen zum Ausdruck kommenden Ge- und Verboten entsprechend zu ver___________ Unzutreffend daher LG Stuttgart, NZV 1995, 411 (411) und LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 10. In diesem Zusammenhang sei auch auf Art. 15 Abs. 3 S. 2 WÜK hingewiesen: Wenn der Leiter einer konsularischen Vertretung vorübergehend außerstande ist, seine Aufgaben wahrzunehmen, etwa sich auf einer längeren Dienst- oder Urlaubsreise in einem anderen Land befindet, oder aber der Posten des Leiters unbesetzt ist, kann der Entsendestaat interimistisch nach Art. 15 Abs. 1 WÜK eine andere Person zum „amtierenden Leiter“ einer konsularischen Vertretung bestellen. In der Regel wird hierzu ein anderer Konsularbeamter der konsularischen Vertretung oder, sofern es einen solchen nicht gibt, ein Mitglied des Verwaltungs- oder technischen Personals bestellt. Auch in einem solchen Fall genießt die Person, die nicht nur die Funktion eines Leiters der Vertretung wahrnimmt, sondern sogar interimistisch zum amtierenden Leiter bestellt worden ist, nach Art. 15 Abs. 3 Satz 2 WÜK aber lediglich die Exemtionen, die ihr „normalerweise“ zustehen. Ein zum amtierenden Leiter bestelltes Mitglied des Verwaltungs- oder technischen Personals genießt also weiterhin nur die einem Mitglied des Verwaltungs- oder technischen Personals zustehenden Vorrechte und Befreiungen. 165 Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 367. Siehe auch Lee, Consular Law and Practice, S. 593 ff. 166 Vgl. bezüglich der Konsularbeamten, die Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, Art. 71 Abs. 1 WÜK und unten § 13 I. 2.e)aa). 164
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halten.167 Das materielle Strafrecht gilt auch für die nach dem WÜK Exemtionen genießenden Personen; diese sind nicht vom persönlichen Geltungsbereich der Straftatbestände ausgenommen und können tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft handeln. Auch wenn das WÜK – wie das WÜD – eine strafrechtsdogmatische Einordnung der Exemtionen nach deutschem Recht als (materiellrechtliche) Strafausschließungs- bzw. Strafaufhebungsgründe nicht verbietet, so soll doch im Vorgriff und unter Verweis auf die Ausführungen unten in § 22 bereits an dieser Stelle festgehalten werden, daß die nach dem WÜK Exemtionen genießenden Personen – wie diejenigen, denen Exemtionen nach dem WÜD zukommen – der deutschen materiellen Strafgewalt (jurisdiction to prescribe) in gleicher Weise wie jede andere Person unterworfen sind. Die Exemtionen sind nur ein strafprozessuales Verfolgungshindernis und schließen lediglich die Strafgerichtsbarkeit im Sinne einer jurisdiction to adjudicate and to enforce aus.168 cc) Die strafrechtliche Immunität der Berufskonsularbeamten nach Art. 43 Abs. 1 WÜK Berufskonsularbeamte genießen gemäß Art. 43 Abs. 1 WÜK lediglich Immunität ratione materiae.169 Sie unterliegen nur wegen Handlungen, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen worden sind, nicht der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates.170 Wegen solcher Handlungen darf der Empfangsstaat also keinerlei gegen den betreffenden Konsularbeamten gerichtete Strafverfolgungsmaßnahmen durchführen. Wie oben in § 11 II.2.a) gezeigt wurde, hatte sich für Konsularbeamte nie eine gewohnheitsrechtliche umfassende Immunität ratione personae ___________ 167 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 310; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 94 f. A.A. für die dienstlichen Handlungen van Panhuys, ICLQ 13 (1964), 1193 (1207). 168 BayObLGSt 1973, 191 (192) = NJW 1974, 431 (431); BayObLGSt 1991, 125 (125) = NJW 1992, 641 (641); OLG Schleswig, SchlHA 1981, 161 (162); LG Stuttgart, NZV 1995, 411 (411) sowie die weiteren Nachweise oben in Anm. 12. 169 Art. 43 Abs. 1 WÜK lautet: „Konsularbeamte und Bedienstete des Verwaltungsoder technischen Personals unterliegen wegen Handlungen, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen worden sind, weder der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaats noch Eingriffen seiner Verwaltungsbehörden.“ 170 Vgl. BayObLGSt 1973, 191 (192) = NJW 1974, 431 (431); BayObLGSt 1991, 125 (126) = NJW 1992, 641 (641); OLG Düsseldorf, NZV 1997, 92 (93); OLG Hamm, GA 1967, 286 (286 f.); OLG Schleswig, SchlHA 1981, 161 (162); LG Stuttgart, NZV 1995, 411 (411); AG Hannover, NdsRpfl. 1975, 127 (127); LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 2, 4; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 12; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 550; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 35; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 4; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 19 GVG Rn. 3; KK-StPOPfeiffer, § 19 GVG Rn. 3 sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. IV.B.4. Verfehlt Wirth, CLF 12 (2001), 429 (447).
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ausgebildet, da man sie angesichts ihrer eher unpolitischen Tätigkeit stets für weniger schutzwürdig und, da sie „nur“ als Verwaltungsorgane des Entsendestaates, nicht aber als seine unmittelbaren politischen Vertreter angesehen werden, auch stets für weniger ehrwürdig gehalten hat. Bereits bei der Erörterung der vom Diplomatenrecht gewährten Immunitäten ratione materiae wurde darauf aufmerksam gemacht, daß die Reichweite der funktionalen Immunitäten nicht stets identisch ist, sondern für jede Personengruppe, die Immunität ratione materiae genießt, anhand der konkreten Formulierung der einschlägigen Norm individuell zu bestimmen ist, in welchem genauen sachlichen Umfang funktionale Immunität gewährt wird.171 Dies gilt auch für das Konsularrecht.172 Vergleicht man die Formulierung des Art. 43 Abs. 1 WÜK mit der des Art. 71 Abs. 1 WÜK, so ergibt sich, daß auch im Konsularrecht differenziert wird zwischen einer engeren, auf die eigentlichen Amtshandlungen beschränkten Immunität ratione materiae (Art. 71 Abs. 1 WÜK) einerseits und einer umfassenderen funktionalen Immunität andererseits, die alle Handlungen umfaßt, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen werden.173 Eine solche umfassendere Immunität ratione materiae wird nach Art. 43 Abs. 1 WÜK den Berufskonsularbeamten gewährt, die weder Staatsangehörige des Emp___________ Vgl. oben § 13 I.1.f)aa). A.A. aber BayObLGSt 1991, 125 (126) = NJW 1992, 641 (641) sowie die unten in Anm. 316 und Anm. 318 genannte Literatur. 173 Ebenso AG Hannover, NdsRpfl. 1975, 127 (127); LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 5; Economedès, Consuls, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 770 (775); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 90; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (398 Fn. 24); Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 216, 252, 268; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 119 f. Auch das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12) geht in Abschn. IV.B.4. davon aus, daß die Immunität des Art. 71 Abs. 1 WÜK enger ist als die des Art. 43 Abs. 1 WÜK. Ausweislich des Kommentars der ILC zum Entwurf einer Konsularrechtskonvention im Bericht an die UN-Generalversammlung von 1961, YBILC 1961 II, 89 (117, 127 f.) (UN-Dokument A/4843) ging auch die ILC davon aus, daß die Reichweite der Exemtionen des Art. 43 Abs. 1 WÜK weiter ist als die des Art. 71 Abs. 1 WÜK (im Entwurf der ILC Art. 69 Abs. 1). In der Kommentierung zu Art. 69 des Entwurfs heißt es (a.a.O., S. 127): “Since the present article applies to nationals of the receiving State, it uses, unlike article 43, the expression ‘official acts’, the scope of which is more restricted than the expression used in article 43: ‘acts performed in the exercise of consular functions’.” Zur Diskussion über die Unterschiedlichkeit der Formulierungen in der ILC-Kommentierung vgl. die detaillierte Analyse von Dinstein, Consular Immunity, S. 29 ff. Soweit ersichtlich, wurde auf der Wiener Konferenz 1963 über die Konsequenzen aus der Unterschiedlichkeit der Formulierung nicht diskutiert. Vgl. die Protokolle der Diskussionen auf der Wiener Konferenz: United Nations Conference on Consular Relations, Official Records, vol. I, New York 1963 (UN-Dokument A.CONF.25/16), S. 51 ff., 77 f., 373 ff., 452 ff. Siehe aber auch Lee, Convention on Consular Relations, S. 117 f.; ders., Consular Law and Practice, S. 490 ff. Die Erforderlichkeit einer Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Immunitäten ratione materiae von Konsularbeamten wird verkannt von OLG Karlsruhe, NJW 2004, 3273 (3273 f.). 171 172
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fangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind. Diese genießen also nicht nur Immunität für ihre eigentlichen und unmittelbaren konsularischen Amtshandlungen, sondern auch für die sonstigen Handlungen, die sie im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit als Konsularbeamte vorgenommen haben.174 Bedeutsam ist dies vor allem für Straßenverkehrsdelikte, die bei dienstlich veranlaßten Fahrten begangen werden. Eine Autofahrt als solche ist keine unmittelbar konsularische Amtshandlung. Gleichwohl stellt sie, wenn die Fahrt dazu dient, zu dem Ort zu gelangen, an dem eine Diensthandlung vorzunehmen ist, eine der dienstlichen Tätigkeit zuzurechnende Handlung dar und ist daher von der Immunität ratione materiae des Art. 43 Abs. 1 WÜK umfaßt.175 Die Immunität ratione materiae der Konsularbeamten kennt ebenso wie die umfassende Immunität ratione personae der Diplomaten keine sachlichen Ausnahmen für besonders gravierende Straftaten oder für geringfügige Taten der Alltagskriminalität.176 Soweit sich der Tatvorwurf auf eine in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommene Handlung bezieht, ist die Strafgerichtsbarkeit ausgeschlossen, unabhängig davon, ob es sich um eine besonders schwere Straftat oder ein geringfügiges Delikt handelt. So kann eine Strafverfolgung auch nicht damit gerechtfertigt werden, der Konsularbeamte habe Spionageaktivitäten entfaltet. Ebenso wie im Diplomatenrecht steht der Charakter des Konsularrechts als ein selfcontained regime der Annahme einer Verwirkung der Exemtion oder einem Rückgriff auf ähnliche Konstruktionen entgegen. Es bleibt dem Empfangsstaat bei schweren, aber durch Immunität gedeckten Strafrechtsverstößen allein die Möglichkeit, mit den im Konsularrecht vorgesehenen Mitteln zu reagieren.177 Dabei ist vor allem an die Möglichkeit zu denken, einen Konsularbeamten jederzeit auch ohne Angabe von Gründen zur persona non grata zu erklären.178 Wegen Straftaten jedoch, die ein Konsularbeamter in seiner Freizeit oder nur gelegentlich der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben begeht, genießt er nach dem ___________ Vgl. näher zur Abgrenzung der von den Immunitäten ratione materiae erfaßten dienstlichen Handlungen zu nicht geschützten Verhaltensweisen unten § 13 II. 175 Vgl. auch das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPOPfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. IV.B.4., wo es heißt, Immunität im Zusammenhang mit Fahrten mit Kraftfahrzeugen komme nur dann in Betracht, wenn der Gebrauch eines Kraftfahrzeugs in engem sachlichen Zusammenhang mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben stehe. Diese Formulierung, die sich mit der auch hier vertretenen Interpretation des Art. 43 Abs. 1 WÜK deckt, ist von der deutschen Judikatur und Literatur vielfach übernommen worden; vgl. unten Anm. 338. 176 Zur gesondert zu erörternden Frage, ob die konsularischen Exemtionen auch bei völkerrechtlichen Verbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen gelten, vgl. unten § 14. 177 Da die Rechtslage insofern mit der für Diplomaten übereinstimmt, kann auf die Ausführungen oben bei § 13 I.1.a)ff) verwiesen werden. 178 Vgl. diesbezüglich auch BGHSt 36, 396 (401 f.) = NJW 1990, 1799 (1800). 174
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WÜK keine Immunität. Das gleiche gilt in bezug auf Straftaten, die er vor Beginn seiner Funktion als im Empfangsstaat tätiger Konsularbeamter verübt hat.179 Die größte Schwierigkeit für die Strafrechtspraxis besteht heutzutage darin, die von strafrechtlicher Immunität nach dem WÜK umfaßten dienstlichen Handlungen, also die „in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommenen Handlungen“, von denjenigen Handlungen abzugrenzen, die der privaten Lebenssphäre des Konsularbeamten zuzuordnen sind und wegen derer er der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates unterliegt. Da diese Abgrenzungsfrage allerdings auch bei den übrigen nach dem WÜK gewährten Exemtionen von Relevanz ist und zudem im Diplomatenrecht eine – wenn auch wegen der umfassenden Immunität der Diplomaten für die Rechtspraxis nur marginale – Rolle spielt, wird auf sie gesondert unten in § 13 II. eingegangen. dd) Grundsätzliches zur Unverletzlichkeit der Berufskonsularbeamten nach Art. 41 WÜK Da Konsularbeamte nach Art. 43 Abs. 1 WÜK für ihre in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommenen Handlungen Immunität von der Strafgerichtsbarkeit genießen, sind auch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen gegen Konsularbeamte zur Verfolgung solcher Taten unzulässig. Denn auch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen sind Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit. Soweit Konsularbeamte also nach Art. 43 Abs. 1 WÜK Immunität genießen, dürfen sie bereits aufgrund dieser Immunität nicht festgehalten oder verhaftet werden, dürfen sie nicht untersucht bzw. durchsucht werden und darf ihnen keine Blutprobe entnommen werden. Auch sonstige Ermittlungsmaßnahmen wie etwa eine Telefonüberwachung nach § 100a StPO oder Maßnahmen nach § 100c StPO sind untersagt, sofern sie in einem gegen einen Konsularbeamten geführten Strafverfahren durchgeführt werden sollen und auf Handlungen bezogen sind, die der Konsularbeamte in Wahrneh-
___________ Vgl. LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 4; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 5; KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 4. Dies schließt allerdings nicht aus, daß sich ein Konsularbeamter hinsichtlich einer vor Dienstantritt begangenen hoheitlich-dienstlichen Handlung für einen anderen Staat, etwa hinsichtlich einer im Rahmen einer früheren Verwendung als Konsularbeamter in einem dritten Staat verübten Tat, auf die Staatenimmunität berufen kann. Auch wenn er nach dem WÜK für Taten, die er vor Beginn seiner konsularischen Tätigkeit begangen hat, im Empfangsstaat keinerlei Immunität genießt, so bedeutet dies nicht, daß die Anwendbarkeit der Staatenimmunität ausgeschlossen ist. Vielmehr stehen die konsularische Immunität und die Staatenimmunität nebeneinander. Allerdings ist, wie oben in § 5 gezeigt, der Anwendungsbereich der Staatenimmunität recht eng. Sie umfaßt nur acta iure imperii und erfährt zudem etliche sachliche Ausnahmen. Vgl. zum Verhältnis der Staatenimmunität zu den Immunitäten des Diplomaten- und Konsularrechts auch unten § 13 V.2. sowie die Erläuterungen oben in den Anm. 154, 160 und 161. 179
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mung seiner konsularischen Aufgaben vorgenommen hat.180 Wie bereits oben in § 13 I.1.a)dd) erläutert wurde, beinhaltet die Immunität von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, soweit ihr sachlicher Umfang reicht, auch eine negative strafrechtliche Unverletzlichkeit.181 Art. 41 Abs. 1 und 2 WÜK, durch den explizit eine Unverletzlichkeit der Konsularbeamten normiert wird, hat daher nur Bedeutung für strafprozessuale Maßnahmen wegen solcher Taten, die nicht von der Immunität des Art. 43 Abs. 1 WÜK umfaßt sind, also im wesentlichen für eine Strafverfolgung wegen „privater Straftaten“.182 Nach Art. 41 Abs. 1 und 2 WÜK dürfen Konsularbeamte weder festgenommen noch in Untersuchungshaft genommen werden, es sei denn wegen einer schweren strafbaren Handlung und aufgrund einer Entscheidung der zuständigen Justizbehörde oder in Vollstreckung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung. Art. 41 Abs. 1 und 2 WÜK lautet: ___________ So zutreffend BGHSt 36, 396 (400 f.) = NJW 1990, 1799 (1800). Bei Maßnahmen nach §§ 100a und 100c StPO ist aber zu differenzieren zwischen Maßnahmen in Strafverfahren gegen bevorrechtigte Personen und solche, die Anschlüsse oder Räumlichkeiten bevorrechtigter Personen betreffen. Überwachungsmaßnahmen zur strafrechtlichen Verfolgung von Handlungen eines Konsularbeamten, die dieser in Wahrnehmung seiner konsularischen Aufgaben vorgenommen hat, sind durch Art. 43 Abs. 1 WÜK generell ausgeschlossen. Insofern kommt es nicht darauf an, welche Räumlichkeiten oder welche Telekommunikationseinrichtungen überwacht werden sollen. Die Überwachung von Räumlichkeiten oder Telekommunikationseinrichtungen eines Konsularbeamten ist dagegen nicht generell ausgeschlossen. In einem Strafverfahren gegen den Ehepartner oder Kinder eines Konsularbeamten, die selber keine Exemtion genießen, darf – ohne daß Regelungen des WÜK dem entgegenstünden – beispielsweise der private Telefonanschluß eines Konsularbeamten, der von den beschuldigten Personen mitbenutzt wird, überwacht werden. 181 So auch die Kommentierung des Entwurfs einer Konsularrechtskonvention der ILC von 1961, YBILC 1961 II, 89 (117) (UN-Dokument A/4843). Vgl. auch Economedès, Consuls, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 770 (774). Hinsichtlich des positiven Aspekts der Unverletzlichkeit vgl. Art. 40 WÜK, der dem Empfangsstaat gewisse Schutzpflichten gegenüber Konsularbeamten auferlegt, sowie Economedès, a.a.O., 774; Lee, Convention on Consular Relations, S. 82 f. Vgl. ferner die Diplomatenschutzkonvention, die auch für Mitglieder konsularischer Vertretungen gilt. Siehe hierzu oben Anm. 19. 182 Darüber hinaus haben Art. 41 Abs. 1 und 2 WÜK Bedeutung im Hinblick auf eine Strafverfolgung wegen vor Beginn der gegenwärtigen konsularischen Tätigkeit im Rahmen eines früheren Dienstverhältnisses begangener dienstlicher Taten. Da diese Fallkonstellation aber in der Praxis keine Rolle spielt, soll sie im folgenden vernachlässigt werden. Aber auch noch bei einer dritten Fallkonstellation sind Art. 41 Abs. 1 und 2 WÜK einschlägig: Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, die gegen einen Konsularbeamten als Nichtbeschuldigten gerichtet sind, aber mit einer Beschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit verbunden sind – wie etwa Maßnahmen nach §§ 81c und 103 StPO – sind aufgrund der Unverletzlichkeitsregelung des Art. 41 Abs. 1 WÜK unzulässig, und zwar auch, wenn die der Maßnahme zugrunde liegende Tat als solche eine schwere strafbare Handlung i.S.d. Art. 41 Abs. 1 WÜK ist, denn diese Ausnahme von der Unverletzlichkeit bezieht sich nur auf Taten, die von dem Konsularbeamten selbst begangen wurden. 180
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
„(1) Konsularbeamte unterliegen keiner Festnahme oder Untersuchungshaft, es sei denn wegen einer schweren strafbaren Handlung und auf Grund einer Entscheidung der zuständigen Justizbehörde. (2) Außer in dem in Absatz 1 genannten Fall dürfen Konsularbeamte weder inhaftiert noch auf andere Weise in ihrer persönlichen Freiheit beschränkt werden, es sei denn in Vollstreckung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung.“
In der Literatur ist allerdings behauptet worden, die Unverletzlichkeit reiche stets nur so weit wie die Immunität, es bestehe eine Parallelität zwischen Unverletzlichkeit und Immunität. Erstere schütze vor Zwangsmaßnahmen der Exekutive, letztere vor Maßnahmen der Judikative. Da Konsularbeamte nur funktionale Immunität genössen, komme ihnen auch Unverletzlichkeit nur in bezug auf die Handlungen zu, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen werden, denn die begrenzte Immunität zeige, daß die Privatangelegenheiten von Konsularbeamten generell nicht für schutzwürdig gehalten würden. Die von Art. 41 Abs. 1 WÜK gewährte beschränkte Unverletzlichkeit gelte daher nur für in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommene Handlungen, während für private Taten überhaupt keine Unverletzlichkeit gewährt werde.183 Doch kann diese Auffassung nicht überzeugen. Schon die These, die Unverletzlichkeit beziehe sich auf Maßnahmen der Exekutive, die Immunität nur auf solche – nicht mit der Ausübung von Zwangsgewalt verbundene – der Judikative, geht fehl. Zu dem judikativen Bereich der Strafgerichtsbarkeit sind auch die – regelmäßig ja nur aufgrund richterlichen Beschlusses zulässigen – strafprozessualen Zwangsmaßnahmen zu zählen. Schon die Immunität verbietet also – wie gesagt –, soweit sie sachlich reicht, die Vornahme von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen. Die Behauptung, die Unverletzlichkeit nach Art. 41 Abs. 1 WÜK gelte nur in bezug auf solche Handlungen, die von der Immunität ratione materiae umfaßt seien, führt zudem zu einem widersinnigen Ergebnis. Da die Unverletzlichkeit nach Art. 41 Abs. 1 WÜD insofern beschränkt ist, als Zwangsmaßnahmen wegen einer schweren strafbaren Handlung zulässig sind, hieße dies, daß ein Konsularbeamter, der im Zusammenhang mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben eine schwere Straftat begeht, zwar festgenommen und in Untersuchungshaft genommen sowie durchsucht werden dürfte, die Durchführung eines Strafverfahrens und eine Verurteilung aber wegen der Immunität von vornherein ausgeschlossen wäre. Gegen den Beschuldigten gerichtete strafprozessuale Zwangsmaßnahmen sollen aber stets der Vorbereitung und Sicherung eines Strafverfahrens dienen. Wenn ein solches von vornherein ausgeschlossen ist, ergibt die Zulässigkeit von Zwangsmaßnahmen keinen Sinn. Zu sachgerechten Ergebnissen führt allein die oben getroffene Feststellung, daß die funktionale Immunität nach Art. 43 Abs. 1 WÜK umfassend gegen den Konsu___________ 183 Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 232 f., 364 f., 413 f. und wohl auch Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (410 Fn. 115).
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larbeamten als Beschuldigten gerichtete Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit einschließlich der Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen wegen solcher Handlungen ausschließt, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen worden sind, und Art. 41 WÜK nur für den Bereich der nicht von Immunität umfaßten Taten Bedeutung hat.184 Dies heißt, daß eine Strafverfolgung wegen Taten, die der Privatsphäre eines Konsularbeamten zuzurechnen bzw. keine dienstlich-konsularischen Handlungen sind, zwar grundsätzlich zulässig ist, weil Konsularbeamte keine Immunität ratione personae wie die Diplomaten genießen. Allerdings legt Art. 41 WÜK für eine Strafverfolgung wegen solcher Taten, die nicht als dienstlich-konsularische Handlungen eingestuft werden können, gewisse Beschränkungen fest.185 Zudem beschränkt Art. 41 WÜK die Möglichkeit einer strafrechtlichen Inanspruchnahme von Konsularbeamten als Nichtbeschuldigte.186 Damit soll sichergestellt werden, daß die Funktionsfähigkeit der konsularischen Vertretung durch die Strafverfolgung eines Konsularbeamten möglichst wenig bzw. nur dann beeinträchtigt wird, wenn ein besonderes Interesse an einer Vornahme von Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit besteht.187 Es geht also auch hier darum, einen Ausgleich herbeizuführen zwischen dem Interesse des Empfangsstaates, Konsularbeamte wegen Straftaten, die sie „außerdienstlich“ begangen haben, verfolgen zu können auf der einen Seite, und dem Interesse des Entsendestaates, daß die Tätigkeit seiner Vertretung nicht durch ein gegen einen Konsularbeamten betriebenes Strafverfahren beeinträchtigt wird, auf der anderen Seite. Diese Abwägung konfligierender Interessen hat zu der nun zu erläuternden differenzierten Regelung persönlicher Unverletzlichkeit von Konsularbeamten geführt. ___________ 184 Wie hier Economedès, Consuls, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 770 (774); Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 212 (der die hier dargelegte Bedeutung der Unverletzlichkeit zu Recht mit aller Deutlichkeit herausstreicht). Auch die deutsche Bundesregierung geht gemäß dem Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. V.A.4. davon aus, daß die Unverletzlichkeit des Art. 41 WÜK für den „privaten Bereich“ Bedeutung hat. So wurde Art. 41 WÜD auch von den Delegierten auf der Wiener Konferenz 1963 und von der ILC im Rahmen der Ausarbeitung eines Entwurfs für die Wiener Konferenz verstanden; vgl. die Protokolle der Diskussionen auf der Wiener Konferenz: United Nations Conference on Consular Relations, Official Records, vol. I, New York 1963 (UN-Dokument A.CONF.25/16), S. 51 ff., 361 ff. Ein Antrag, die Unverletzlichkeit explizit auf Taten in Ausübung konsularischer Handlungen zu begrenzen, fand daher auf der Wiener Konferenz auch keine Mehrheit; a.a.O., S. 361 ff. 185 So auch die Kommentierung des Entwurfs einer Konsularrechtskonvention der ILC von 1961, YBILC 1961 II, 89 (116) (UN-Dokument A/4843) und Sen, Diplomat’s Handbook, S. 293 f. 186 Vgl. oben Anm. 182 am Ende. 187 So auch die Kommentierung des Entwurfs einer Konsularrechtskonvention der ILC von 1961, YBILC 1961 II, 89 (116) (UN-Dokument A/4843).
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Die persönliche Unverletzlichkeit der Konsularbeamten nach Art. 41 WÜK ist sachlich eng begrenzt. Es sind nicht, wie bei der Unverletzlichkeit der Diplomaten, sämtliche gegen die Person des Konsularbeamten gerichtete Zwangsmaßnahmen ausgeschlossen. Art. 41 Abs. 1 WÜK schließt lediglich eine Festnahme oder Untersuchungshaft grundsätzlich aus. Doch wird das Verbot der Festnahme weit gefaßt. Art. 41 Abs. 2 WÜK, wo von einen grundsätzlichen Verbot der Beschränkung der persönlichen Freiheit gesprochen wird, legt nahe, die Unverletzlichkeit auf alle Maßnahmen zu erstrecken, die die persönliche Bewegungsfreiheit beeinträchtigen. Dies bedeutet, daß Art. 41 Abs. 1 und 2 WÜK alle strafprozessualen Zwangsmaßnahmen grundsätzlich verbietet, die mit einem Festhalten der Person des Konsularbeamten und einer Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit verbunden sind. Neben einer Verhaftung nach §§ 112 ff. StPO sind namentlich auch die zwangsweise Entnahme einer Blutprobe nach § 81a StPO, die zwangsweise Entnahme einer Speichelprobe nach §§ 81e oder 81g StPO zum Zwecke der Durchführung molekulargenetischer Untersuchungen, eine Untersuchung nach § 81a StPO, eine Durchsuchung nach § 102 StPO, die Anfertigung von Lichtbildern und Fingerabdrücken nach § 81b StPO, eine Untersuchung nach § 81c StPO sowie eine Durchsuchung nach § 103 StPO grundsätzlich verboten, da auch diese Maßnahmen ein vorübergehendes Festhalten und eine vorübergehende Beschränkung der Bewegungsfreiheit mit sich bringen.188 Nach Art. 41 Abs. 2 WÜK ist aber eine Inhaftierung zur Vollstreckung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zulässig. Eine gegen einen Konsularbeamten rechtskräftig verhängte Haftstrafe darf also vollstreckt werden.189 Darüber hinaus ist nach Art. 41 Abs. 1 WÜK eine Festnahme sowie die Verhängung von Untersuchungshaft (nach den §§ 112 ff. StPO) dann statthaft, wenn dem Konsularbeamten eine schwere strafbare Handlung zur Last gelegt wird und190 die Festnahme bzw. Verhaftung aufgrund einer Entscheidung der zuständigen Justizbehörde erfolgt.191 Anders als nach einigen älteren Konsularverträgen ist eine Fest___________ Vgl. Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, Rn. 58a, 371; RRH-OWiG-Herrmann, § 46 Rn. 18; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 213; Seitz, in: Göhler, Ordnungwidrigkeitengesetz, vor § 59 Rn. 40. 189 LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 4. 190 Entgegen der Annahme von Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 12 müssen die von Art. 41 Abs. 1 WÜK festgelegten Erfordernisse für eine Ausnahme von der Unverletzlichkeit kumulativ vorliegen. 191 In diesen Fällen, aber auch nur dann, sind auch Maßnahmen nach §§ 81a, 81b und 102 StPO einschließlich der zwangsweisen Entnahme einer Blutprobe zulässig, soweit es um die Verfolgung einer Straftat des Konsularbeamten geht, die nicht als dienstlichkonsularische Handlung zu bewerten ist. Der Tatvorwurf muß sich also auf eine schwere strafbare Handlung i.S.d. Art. 41 Abs. 1 WÜK beziehen, damit solche eine grundsätzlich unzulässige Beschränkung der Bewegungsfreiheit darstellenden strafprozessualen Zwangsmaßnahmen im Rahmen einer Strafverfolgung wegen einer „außerdienstlichen Tat“ gegenüber Konsularbeamten nach Art. 41 Abs. 1 WÜK ausnahmsweise zulässig sind. Vgl. Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, Rn. 58a; RRH-OWiG-Herrmann, § 46 Rn. 18. Fehlge188
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nahme aber nicht schon dann statthaft, wenn der Konsularbeamte auf frischer Tat betroffen wird.192 Das Erfordernis der Entscheidung durch die zuständige Justizbehörde soll eine Inhaftierung lediglich aufgrund einer Verfügung der polizeilichen Sicherheitsorgane verhindern. Andererseits wird eine richterliche Entscheidung nicht gefordert. Für die Bundesrepublik bedeutet dies, daß Festnahmen und Inhaftierungen nicht nur aufgrund richterlicher Urteile und Beschlüsse, sondern auch aufgrund staatsanwaltschaftlicher Verfügungen zulässig sein können.193 Anordnungen durch Polizeibeamte oder sonstige Vollzugsbeamte reichen allerdings nicht aus, und zwar auch dann nicht, wenn sie Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft im Sinne des § 152 GVG sind.194 Dies ist allerdings in Deutschland umstritten.195 Man könnte Anordnungen durch Ermittlungspersonen im Sinne des § 152 GVG mit dem Argument für ausreichend erachten, daß diese, soweit sie in ihrer Eigenschaft und Funktion als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft tätig werden, funktional als Organe der Justiz agieren. Doch will Art. 41 Abs. 1 WÜK generell ein Festhal___________ hend dagegen Hentschel, Straßenverkehrsrecht, Einl. Rn. 28; HK-StVR-Kohlhaas, § 81a StPO Rn. 18; Seitz, in: Göhler, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, vor § 59 Rn. 40. Vgl. auch oben Anm. 182 sowie unten Anm. 223. Es sei im übrigen erneut darauf hingewiesen, daß die hier erläuterte Ausnahme von der Unverletzlichkeit bei schweren Straftaten nicht für dienstliche konsularische Handlungen gilt. Denn bezüglich solcher ist durch die Immunität ratione materiae des Art. 43 Abs. 1 WÜK jegliches strafrechtliche Vorgehen ohne Ausnahme verboten. 192 Eine solche Regelung wurde zwar auf der Wiener Konferenz 1963 erwogen, doch letztlich verworfen; vgl. Lee, Convention on Consular Relations, S. 136 f. 193 Ebenso das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPOPfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. IV.B.2 sowie KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 4. 194 Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 5. Ebenso die Kommentierung des Entwurfs einer Konsularrechtskonvention der ILC von 1961, YBILC 1961 II, 89 (117) (UN-Dokument A/4843). Soweit ersichtlich, wurde auch von den Delegierten auf der Wiener Konferenz 1963 die Auffassung vertreten, eine Anordnung eines Polizeibeamten reiche nicht aus; vgl. die Protokolle der Diskussionen auf der Wiener Konferenz: United Nations Conference on Consular Relations, Official Records, vol. I, New York 1963 (UNDokument A.CONF.25/16), S. 51 ff. So betonte ein französischer Delegierter, ohne daß ihm widersprochen wurde, “(…) it would be inadmissible to allow a mere policeman to judge the gravity of the offence.” (a.a.O. S. 53). Als darüber diskutiert wurde, den Satzteil in Art. 41 Abs. 1 WÜK, der das Erfordernis einer Entscheidung der zuständigen Justizbehörde festlegt, zu streichen, wurde dies mehrheitlich abgelehnt und von dem indischen und dem jugoslawischen Delegierten betont, “the deletion of the words in question would place the consular officer entirely in the hands of the police” (a.a.O. S. 55). Vgl. auch Lee, Consular Law and Practice, S. 480: “Obviously, the majority of Conference Members were concerned not to give the police any pretext for abuse.” 195 Für die Zulässigkeit von Anordnungen durch Ermittlungspersonen (früher: „Hilfsbeamte“) i.S.d. § 152 GVG etwa das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. IV.B.2 sowie KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 4 und wohl auch LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 11.
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ten aufgrund einer eigenständigen Entscheidung der polizeilichen Sicherheitsorgane verhindern. Dieses Verbot darf nicht dadurch umgangen werden, daß man Polizeibeamte und sonstige Vollzugsbedienstete zu Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft erklärt und ihre Tätigkeit damit als Tätigkeit der Justiz begreift. Dieses Verbot eines Festhaltens von Konsularbeamten allein aufgrund einer Anordnung durch Vollzugsbeamte, selbst wenn es sich um Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft handelt, stellt auch keine für die Rechtspraxis inakzeptable Beschränkung dar. Denn zum einen sind präventive Maßnahmen zur Verhinderung einer (weiteren) Gefährdung von Personen oder Sachwerten als gewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Unverletzlichkeit stets zulässig.196 Zum anderen sind zwar strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, die mit einer Beschränkung der persönlichen Freiheit verbunden sind, nur aufgrund richterlicher oder staatsanwaltschaftlicher Anordnung statthaft, doch reicht im Eilfall eine telefonische Anordnung der zuständigen Staatsanwaltschaft aus, die heutzutage per Mobiltelefon von Polizeibeamten schnell und direkt vom Einsatzort aus erbeten werden kann. ee) Zur Interpretation des Begriffs der schweren strafbaren Handlung in Art. 41 Abs. 1 WÜK Die deutschen Gerichte hatten sich bislang mit der Frage, wann eine Tat als „schwere strafbare Handlung“ (grave crime) im Sinne des Art. 41 Abs. 1 WÜK bewertet werden kann, nicht zu befassen.197 In der Literatur wird die Bedeutung dieses Begriffs zumeist überhaupt nicht erörtert. Dies gilt vor allem für die völkerrechtliche Literatur.198 In der deutschen strafrechtlichen Literatur allerdings wird – im Hinblick auf die Frage der Zulässigkeit von Maßnahmen deutscher Strafverfolgungsorgane – zum Teil die These vertreten, es müsse sich um eine Tat handeln, die nach deutschem Strafrecht mit einer Mindestsanktion von drei Jahren Freiheitsstrafe oder mehr bedroht sei.199 Dabei wird eine abstrakte Betrachtungsweise ___________ Vgl. hierzu unten § 13 I.2.a)hh). Vgl. diesbezüglich BGHSt 36, 396 (402) = NJW 1990, 1799 (1800 f.), wo die Frage als nicht entscheidungserheblich offengelassen wird, gleichzeitig aber darauf hingewiesen wird, daß maßgeblich für die Interpretation die bei der Ausarbeitung des WÜK geäußerten Rechtsauffassungen der einzelnen Staaten sein müßten. 198 Hinzuweisen ist an dieser Stelle aber auf section 1 (2) des britischen Consular Relations Act 1968 (abgedr. in Halsbury’s Statutes of England and Wales, 4. Aufl., vol. 10 [2001 Reissue], S. 758), mit dem das WÜK in Großbritannien innerstaatlich umgesetzt wurde. Dort wird – für die britischen Strafverfolgungsberhörden verbindlich – festgelegt: “‘grave crime’ shall be construed as meaning any offence punishable (on a first conviction) with imprisonment for a term that may extend to five years or with a more severe sentence”. 199 So Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 5; KMR-StPO-Paulus, § 81a Rn. 21; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 19 GVG Rn. 3. Vgl. auch LR-StPOSchäfer (24. Aufl. 1996), Bd. 6/1, § 19 GVG Rn. 3. Dagegen meint Janiszewski, Verkehrs196 197
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zugrunde gelegt, also die Zulässigkeit einer Maßnahme nach Art. 41 Abs. 1 WÜK nicht nach der im konkreten Fall zu erwartenden, sondern nach der vom einschlägigen Straftatbestand abstrakt für eine Tat, wie sie einem Konsularbeamten vorgeworfen wird, angedrohten Mindeststrafe bestimmt. Diese Auffassung, die nicht begründet wird, stützt sich offenbar auf eine alte Fassung des Rundschreibens „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ des BMI. In der Fassung von 1975 war nämlich ebenfalls die Auffassung vertreten worden, Konsularbeamte unterlägen einer Festnahme oder Untersuchungshaft nur wegen einer Straftat, die nach deutschem Recht mit einer Freiheitsstrafe mit einem Mindestmaß von drei Jahren oder mehr bedroht ist.200 Doch ist zum einen das Rundschreiben des BMI eine Verwaltungsvorschrift, kein Bundesgesetz. Schon aus diesem Grund kann sein Inhalt für die gemäß Art. 97 Abs. 1 GG nur dem Gesetz unterworfenen Gerichte, die letztlich über die Reichweite des Art. 41 Abs. 1 WÜK zu entscheiden haben, nicht verbindlich sein. Da – wie erwähnt – die Regelungen des WÜK auch völkergewohnheitsrechtlich gelten, also gemäß Art. 25 GG im Rang über einfachen Bundesgesetzen stehen, könnte allerdings auch eine Definition des Begriffs der „schweren strafbaren Handlung“ in einem deutschen Gesetz nicht für die bundesdeutschen Strafverfolgungsorgane verbindlich über den Gehalt des Art. 41 Abs. 1 WÜK entscheiden. Auch für die Staatsanwaltschaften ist eine Feststellung in dem Rundschreiben des BMI nicht verbindlich, da es sich um eine Verwaltungsvorschrift des BMI und damit einer gegenüber den Staatsanwaltschaften nicht weisungsbefugten Behörde handelt. Für die Strafverfolgungsorgane hat das Rundschreiben damit lediglich insofern Bedeutung, als es über die vom BMI vertretene Rechtsauffassung informiert.201 Zum anderen hat sich die Rechtsauffassung des BMI offenbar geändert. In der aktuellen Fassung des Rundschreibens von 1993202 ist nämlich die Nennung einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren nicht mehr enthalten. Allerdings wird keine neue Definition angeboten. Vielmehr beschränkt sich das Rundschreiben in seiner aktuellen Fassung darauf, den Wortlaut des Art. 41 Abs. 1 WÜK wiederzugeben.203 Die alte Definition der „schweren strafbaren Handlung“ im Sinne des Art. 41 Abs. 1 WÜK in dem Rundschreiben von 1975 ist offenbar der Festlegung konsula___________ strafrecht, Rn. 58a, es müsse sich um eine Straftat handeln, die mit einer Höchststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe oder mehr bedroht sei. 200 Abschn. IV.B.2. des Rundschreibens „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ des BMI vom 14.3.1975; GMBl. 1975, 337 (341). Das Rundschreiben von 1975 ist auch abgedr. in LR-StPO-Schäfer (24. Aufl. 1996), Bd. 6/1, § 18 GVG Rn. 8 ff. 201 Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 4 spricht von einer „Anwendungshilfe“. Gegen eine Bindungswirkung auch LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 11. 202 Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12). 203 Vgl. Abschn. IV.B.2. des Rundschreibens von 1993.
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rischer Unverletzlichkeit in älteren, aus der Zeit vor der Ausarbeitung des WÜK stammenden Konsularverträgen entnommen worden. So heißt es in Art. 11 Abs. 2 des (noch heute geltenden) Konsularvertrags zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik von 1929: „Sie [die Konsuln und die Konsularbeamten, die Angehörige des Entsendestaates sind, Abs. 1; der Verf.] dürfen nicht verhaftet werden oder in Untersuchungshaft genommen werden, es sei denn, daß es sich um die Vollstreckung einer gerichtlich erkannten Strafe oder um die Verfolgung einer nach der Landesgesetzgebung mit Gefängnis von mindestens drei Jahren bedrohten Straftat handelt.“204
Doch kann eine Regelung in einem älteren bilateralen Konsularvertrag nicht maßgeblich sein für die Interpretation eines multilateralen Vertrags wie des WÜK. Dieser ist aus sich heraus zu interpretieren. Man könnte allenfalls argumentieren, das WÜK habe mit der Regelung des Art. 41 Abs. 1 WÜK lediglich die Festlegung älterer Verträge übernehmen wollen. Doch setzte eine solche These voraus, daß die Bestimmungen in früheren Konsularverträgen relativ einheitlich gewesen wären, also zumindest ganz überwiegend eine Verhaftung und Inhaftierung nur bei der Verfolgung wegen einer Straftat für zulässig erklärt worden wäre, die im Mindestmaß mit drei Jahren Freiheitsstrafe oder mehr bedroht ist. Dies aber war nicht der Fall.205 Zwar ist in fast allen Konsularverträgen eine Klausel enthalten (gewesen), nach der eine Verhaftung eines Konsularbeamten nur bei gewichtigen Taten zulässig sei, doch wurde die Grenzziehung zwischen Taten, die keine Verhaftung rechtfertigen sollten, und solchen, bei denen auch eine Inhaftierung gestattet sein sollte, sehr unterschiedlich vorgenommen.206 Nicht einmal die Bestimmungen in den von Deutschland mit anderen Staaten geschlossenen Konsularverträgen waren einheitlich. So legt etwa der (ebenfalls noch in Kraft befindliche) Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland von 1956 in Art. 1 Abs. 9 fest, eine „schwere Verfehlung“, bei der gemäß Art. 12 lit. a) eine Inhaftierung statthaft ist, sei „jede straf___________ Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reiche und der Türkischen Republik vom 28.5.1929; RGBl. 1930 II, S. 748 (751). 205 Es scheint vielmehr so, als sei der Begriff „schwere strafbare Handlung“ in Art. 41 Abs. 1 WÜK inspiriert durch die Draft Convention on the Legal Position and Functions of Consuls der Harvard Law School von 1932, abgedr. in AJIL 26 (1932), Suppl., 189 ff., denn dieser Entwurf legte in Art. 20 fest: “A receiving state shall exempt a consul from arrest, except for a serious offense.” (a.a.O., S. 198). Die der Draft Convention beigefügte detaillierte Kommentierung liefert keinen Aufschluß darüber, wie die Verfasser des Entwurfs den Begriff “serious offence” verstanden wissen wollen; vgl. a.a.O., 337 f. (“A more exact definition does not seem possible. […] the distinction between ‘serious’ and other offenses is left to diplomatic discussion or international adjudication […].”) 206 Vgl. die Kommentierung zur Draft Convention on the Legal Position and Functions of Consuls der Harvard Law School von 1932, abgedr. in AJIL 26 (1932), Suppl., 189 (337 f.); den im Rahmen der Ausarbeitung eines Entwurfs einer Konsularrechtskonvention durch die ILC erstellten Bericht des ILC-Sonderberichterstatters Žourek zu konsularischen Exemtionen von 1960; YBILC 1960 II, 2 (13 ff.) (UN-Dokument A/CN.4/131) sowie den kommentierten Entwurf der ILC für eine Konsularrechtskonvention von 1961, YBILC 1961 II, 89 (115 f.) (UN-Dokument A/4843). 204
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bare Handlung, die im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren oder mit einer schwereren Strafe bedroht ist“.207 In dem heute noch im Verhältnis zu den Nachfolgestaaten der Sowjetunion in Kraft befindlichen Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR von 1958 heißt es in Art. 8 Abs. 2, eine Inhaftierung bzw. sonstige Freiheitsbeschränkung sei dann erlaubt, wenn es um die Verfolgung wegen einer Straftat gegen Leben oder persönliche Freiheit gehe und die Ergreifung auf frischer Tat erfolge.208 In dem (hinsichtlich der konsularrechtlichen Normen gleichfalls noch in Kraft befindlichen) Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reich und den Vereinigten Staaten von Amerika von 1923 heißt es in Art. XVIII Abs. 1, Konsularbeamte, die Staatsangehörige des ernennenden Staates seien, dürften nicht in Haft genommen werden, außer wenn sie solcher Verfehlungen beschuldigt seien, welche das Landesgesetz als Verbrechen zur Unterscheidung von Vergehen und Übertretungen bezeichne.209 Eine solche Regelung enthält mit Art. 4 Abs. 1 auch der heute noch für die Bundesrepublik maßgebliche Konsularvertrag zwischen dem Norddeutschen Bund und Spanien von 1870, wonach Berufskonsuln, die Angehörige des Entsendestaates sind, nur „im Falle von Verbrechen verhaftet respektive ins Gefängnis gesetzt“ werden dürfen.210 Auf die in älteren Konsularverträgen enthaltenen Regelungen kann also für die Interpretation des Art. 41 Abs. 1 WÜK ebensowenig abgestellt werden wie auf das Rundschreiben des BMI. Doch sind die Regelungen in den noch für die Bundesrepublik in Kraft befindlichen Konsularverträgen weiterhin maßgeblich für die Frage der Unverletzlichkeit von Mitgliedern der konsularischen Vertretungen von Staaten, mit denen die noch in Kraft befindlichen Konsularverträge geschlossen wurden bzw. für die sie aus sonstigen Gründen in Geltung sind.211 ___________ 207 Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland vom 30.7.1956; BGBl. 1957 II, S. 285 (286). Für eine solche Interpretation auch Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, Rn. 58a. 208 Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 25.4.1958; BGBl. 1959 II, S. 233 (235). 209 Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reiche und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 8.12.1923; RGBl. 1925 II, S. 795 (804). 210 Konsularkonvention zwischen dem Norddeutschen Bunde und Spanien vom 22.2.1870; Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1870, S. 99 (101) 211 Zu den noch in Kraft befindlichen Konsularverträgen und den Staaten, für die sie gelten, vgl. oben § 12 II.3. Bei einem Konsularbeamten einer britischen konsularischen Vertretung ist demnach für die Unbeachtlichkeit der grundsätzlichen Unverletzlichkeit erforderlich, daß die ihm vorgeworfene Straftat im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren oder mehr bedroht ist. Bei einem Konsularbeamten einer USamerikanischen sowie spanischen Vertretung reicht es, wenn die Tat nach deutschem Recht als Verbrechen einzustufen ist. Ein Konsularbeamter einer der Nachfolgestaaten der Sowjetunion darf nur auf frischer Tat und nur dann, wenn die Tat gegen Leben oder persönliche Freiheit gerichtet war, festgehalten bzw. inhaftiert werden. Ein Konsularbeamter eines Konsulats der Türkei darf festgehalten und verhaftet werden, soweit ihm die Bege-
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In einer Beziehung aber stimmen die in der Literatur vertretenen Auffassungen und die Regelungen in den meisten älteren Konsularverträgen überein: Als Kriterium für die Bestimmung der Grenze, ab der ein Festhalten und eine Inhaftierung wegen Taten, die keine konsularischen Diensthandlungen sind, zulässig sind, wird auf die in dem Straftatbestand, dessen Verwirklichung einem Konsularbeamten vorgeworfen wird, abstrakt angedrohte Rechtsfolge abgestellt.212 Wegen dieser Übereinstimmung ist auch für die Interpretation des Art. 41 Abs. 1 WÜK auf das Kriterium der abstrakt angedrohten Strafe zu rekurrieren. Dies war auch die Auffassung der Mehrheit der Staatenvertreter bei der Wiener Konferenz, auf der das WÜK ausgearbeitet wurde.213 Damit scheidet eine Bestimmung, ob eine schwere strafbare Handlung vorliegt, anhand der Art des verletzten Rechtsguts oder anhand der konkret zu erwartenden Strafe aus.214 Es ist wahrscheinlich nicht möglich, einen weltweiten Konsens darüber herzustellen, ab welcher vorgesehenen Sanktionshöhe eine Straftat als „schwer“ zu be___________ hung einer Straftat zur Last gelegt wird, die nach deutschem Recht mit einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren oder mehr bedroht ist. Verfehlt ist die Interpretation der Staatsanwaltschaft Hamburg, wonach es auf die angedrohte Höchststrafe ankomme, also als Höchststrafe mindestens drei Jahre Freiheitsstrafe angedroht sein müsse. Diese im Fall einer Telefonüberwachung des türkischen Generalkonsulats in Hamburg vertretene Auffassung wurde bereits vom OLG Hamburg zurückgewiesen. Dieses lehnte daher den Erlaß von Haftbefehlen ab. Vgl. zu diesem Fall BGHSt 36, 396 = NJW 1990, 1799 und BGHSt 37, 30 = NJW 1990, 1801. Zu den hier geschilderten Auffassungen zur Bedeutung des § 11 Abs. 2 des deutsch-türkischen Konsularvertrags vgl. die Sachverhaltsdarstellung in BGHSt 36, 396 (397 f.) = NJW 1990, 1799 (1799). Im übrigen hat die Staatsanwaltschaft Hamburg in diesem Fall verkannt, daß die den Konsularbeamten vorgeworfenen Handlungen dienstliche Handlungen waren, die von ihrer Immunität ratione materiae nach Art. 10 des Konsularvertrags umfaßt waren, so daß schon daher eine Inhaftierung unzulässig war und es auf Art. 11 Abs. 2 des Vertrags überhaupt nicht ankam. 212 Vgl. den Bericht des ILC-Sonderberichterstatters Žourek zu konsularischen Exemtionen von 1960 (siehe oben Anm. 206); YBILC 1960 II, 2 (13 ff.). 213 Siehe Herndl, AVR 11 (1963/64), 417 (453); Jabloner-Fugger, NJW 1964, 712 (712) sowie die Protokolle der Diskussionen auf der Wiener Konferenz: United Nations Conference on Consular Relations, Official Records, Vol I, New York 1963 (UN-Dokument A.CONF.25/16), S. 51 ff., 360 ff. 214 Eine Abgrenzung anhand des verletzten Rechtsguts hatte der ILC-Sonderberichterstatter Žourek in seinem Entwurf einer Konsularrechtskonvention von 1960 (siehe oben Anm. 206) vorgeschlagen; vgl. YBILC 1960 II, 32 ff. (UN-Dokument A/CN.4/L.86). In seinem Entwurf hieß es in Art. 33 Abs. 1: “Consular officials who are not nationals of the receiving State and do not engage in commerce or any other gainful occupation shall not be liable to arrest or detention pending trial, except when they are caught in flagrante delicto and the act committed constitutes a criminal offence against life or personal freedom.” Doch wurde dieser Vorschlag von der ILC nicht aufgegriffen. In dem Entwurf einer Konsularrechtskonvention, die in dem Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1960 enthalten ist, wurde in Art. 40 die Kennzeichnung von Taten, bei denen die persönliche Unverletzlichkeit nicht gelten soll, anhand der abstrakt angedrohten Strafsanktion vorgenommen. Vgl. YBILC 1960 II, 144 (167 f.) (UN-Dokument A/4425) und unten Anm. 215. Für eine Abgrenzung anhand der konkret zu erwartenden Strafe (konkrete Straferwartung von fünf Jahren Freiheitsstrafe) aber LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 11.
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zeichnen ist. Schon im Rahmen der ILC, die – wie erwähnt – mehrere Entwürfe für eine Konsularrechtskonvention vorgelegt hat, gelang es nicht, eine klare Kennzeichnung derjenigen Taten, bei denen die Unverletzlichkeit nicht gelten soll, zu entwickeln.215 Bei der Ausarbeitung des WÜK auf der Wiener Konferenz konnten die Delegierten ebenfalls keine Einigkeit über eine präzise Definition der Taten erzielen, bei denen Verhaftungen und sonstige gegen die Person eines Konsularbeamten gerichtete strafprozessuale Zwangsmaßnahmen ausnahmsweise zulässig seien sollten, bzw. wollten einige Delegationen im Interesse einer weitreichenden Akzeptanz der Konvention durch die Staaten keine starres Abgrenzungskriterium festlegen, so daß schließlich von einer genauen Definition216 Abstand genommen und der von der ILC vorgeschlagene Terminus „schwere strafbare Handlung“ in das WÜK aufgenommen wurde.217 Wenn daher das WÜK einen Begriff verwendet, über dessen Gehalt auf internationaler Ebene keine Einigkeit zu erzielen ist, so legt schon dies nahe, daß sich die Bestimmung nach der Rechtsordnung des jeweiligen Empfangsstaates zu richten hat. Hinzu kommt folgendes: Bereits die Beantwortung der Frage, wann überhaupt eine „strafbare Handlung“ vorliegt, richtet sich nach der Rechtsordnung des Empfangsstaates. Ob ein bestimmtes Verhalten eines Konsularbeamten überhaupt strafbar ist oder nicht und er daher – soweit es um ein seiner außerdienstlichen Lebenssphäre zuzuordnendes Verhalten geht – bestraft werden darf, richtet sich aus___________ Nachdem die ILC den Vorschlag des ILC-Sonderberichterstatters Žourek verworfen hatte, legte sie in dem ersten vollständigen Entwurf von 1960 einen Konventionstext vor, dessen Art. 40 Abs. 1 lautete: “Consular officials who are not nationals of the receiving State and do not carry on any gainful private activity shall not be liable to arrest or detention pending trial, except in the case of an offence punishable by a maximum of not less than five years‘ imprisonment [Alternatively: ‚except in the case of a grave crime‘].”; vgl. YBILC 1960 II, 144 (167 f.) (UN-Dokument A/4425). Im zweiten und endgültigen Entwurf der ILC von 1961 wurde die erste zur Diskussion gestellte Alternative gestrichen. In Art. 41 dieses Entwurfs wurde dann der Text vorgeschlagen, der sich inhaltlich unverändert in Art. 41 WÜK findet; vgl. YBILC 1961 II, 89 (115 ff.) (UN-Dokument A/4834). Vgl. auch die Kommentierungen der ILC zu diesen Entwürfen; YBILC 1960 II, 144 (167 ff.); YBILC 1961 II, 89 (115 ff.). Als Grund für die Entscheidung für die zweite Alternative gibt die ILC an: “As most of the governments which commented on the draft articles on consular intercourse and immunities preferred the second alternative, the Commission has adopted that alternative.” Vgl. auch die Protokolle der Diskussion innerhalb der ILC; YBILC 1960 I, 70 ff.; YBILC 1961 I, 105 ff. 216 Deutschland hatte gemeinsam mit einigen anderen Staaten die Einfügung folgender Klausel in Art. 41 WÜK vorgeschlagen: “For the purposes of this article the expression ‘grave offense’ means any offence punishable with a maximum penalty of at least five years imprisonment under the law of the receiving State.” (UN-Dokument A/CONF.25/C.2/L.168/Rev.1, abgedr. in United Nations Conference on Consular Relations, Official Records, vol. II, New York 1963 (UN-Dokument A.CONF.25/16/Add.1), S. 92 f. 217 So Jabloner-Fugger, NJW 1964, 712 (712); Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 211. Vgl. auch die Protokolle der Diskussionen auf der Wiener Konferenz: United Nations Conference on Consular Relations, Official Records, vol. I, New York 1963 (UN-Dokument A.CONF.25/16), S. 51 ff., 360 ff. 215
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schließlich nach dem Strafrecht des Empfangsstaates. Insofern hat es der Empfangsstaat selbst in der Hand festzulegen, wegen welcher Verhaltensweisen er einen Konsularbeamten zur strafrechtlichen Verantwortung ziehen kann. Konsularbeamte werden also in verschiedenen Ländern unterschiedlich behandelt, je nach Ausgestaltung der nationalen Strafrechtsordnung. Es ist denkbar, daß ein und dasselbe Verhalten von Konsularbeamten in einem Staat straflos ist, in einem anderen mit einer Geldstrafe sanktioniert wird und in einem dritten eine Freiheitsstrafe verhängt wird. Dies zeigt, daß das WÜK keine einheitliche Behandlung aller Konsularbeamten in den verschiedenen Staaten verlangt. Eine einheitliche Behandlung sichert und beabsichtigt das WÜK nur insofern, als es Konsularbeamte wegen ihrer in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommenen Handlungen der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates gänzlich entzieht. Die Frage, wann eine amtliche Handlung vorliegt, wann also eine Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates zu gewähren ist, bestimmt sich daher allein nach Völkerrecht. Hinsichtlich der Strafverfolgung wegen „außerdienstlicher Taten“ legt das WÜK aber nur gewisse Schranken fest, die der Konkretisierung durch die Rechtsordnung des Empfangsstaates bedürfen. Diese Überlegungen führen zu der Feststellung, daß die Bestimmung, wann eine strafbare Handlung „schwer“ ist, ebenso wie die Frage, wann eine Handlung überhaupt „strafbar“ ist, nach dem Recht des Empfangsstaates vorzunehmen ist, jedoch als Kriterium auf die abstrakt für ein bestimmtes strafbares Verhalten angedrohte Strafe abzustellen ist.218 Allerdings ist diese Freiheit insofern einzuschränken, als man sich bei der Begriffsbestimmung von Sinn und Zweck des Art. 41 Abs. 1 WÜK leiten zu lassen hat. Sinn und Zweck des Art. 41 Abs. 1 WÜK ist es zu verhindern, daß ein Konsularbeamter bereits wegen einer nach der Rechtsordnung des Empfangsstaates nur in geringem Maße strafwürdigen Tat festgehalten und damit an der Wahrnehmung ___________ Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Havana Convention on Consular Agents vom 20.2.1928, AJIL 22 (1928), Suppl., 147, wo es in Art. 14 heißt: “In the absence of a special agreement between two nations, the consular agents who are nationals of the state appointing them, shall neither be arrested nor prosecuted except in the cases when they are accused of committing an act classed as a crime by local legislation.” (Hervorhebung durch den Verf.) Auch von Delegierten auf der Wiener Konferenz 1963 wurde die Auffassung vertreten, der Begriff „schwere strafbare Handlung“ könne nur nach Maßgabe der Rechtsordnung des Empfangsstaates ausgelegt werden. So betonte ein indischer Delegierter, “(…) the Indian delegation believed that it was for the receiving State to decide wether a grave crime had been committed.” Ein sowjetischer Delegierter meinte, der Terminus “grave crime” “(…) would be interpreted by each State according to its own law (…).” Er wandte sich gegen eine starre Definition und betonte, “it would be preferable to leave it to each State to solve that problem”. Ein ghanaischer Delegierter betonte, “(…) the term ‘grave crime’ was open to interpretation in accordance with the municipal law of each State (…).” Andere Delegierte äußerten sich ähnlich. Vgl. die Protokolle der Diskussionen auf der Wiener Konferenz: United Nations Conference on Consular Relations, Official Records, vol. I, New York 1963 (UN-Dokument A.CONF.25/16), S. 51 ff., 364 f. 218
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seiner konsularischen Aufgaben gehindert wird. Ein Festhalten eines Konsularbeamten und die damit verbundene Beeinträchtigung der konsularischen Tätigkeit soll dem Empfangsstaat nur dann erlaubt sein, wenn dem Konsularbeamten die Begehung einer Straftat vorgeworfen wird, die nach der Rechtsordnung des Empfangsstaates als in besonderem Maße strafwürdig angesehen wird. Auch wenn das WÜD die Beurteilung der besonderen Strafwürdigkeit dem Empfangsstaat überläßt, so ist doch von einem Willen der Vertragsstaaten auszugehen, daß zumindest Taten, die nach in den verschiedenen Rechtskreisen vorherrschenden Auffassungen übereinstimmend als Bagatelldelikte eingstuft werden, nicht als schwer angesehen werden dürfen. Die Bestimmung nach dem jeweiligen nationalen Recht darf also nicht offenkundig mißbräuchlich sein. Für die Bundesrepublik kann für die Entscheidung, ob eine Tat als schwer oder nicht zu bewerten ist, im Anschluß an die Regelungen in Art. XVIII Abs. 1 des Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrags mit den USA219 sowie in Art. 4 Abs. 1 des Konsularvertrags zwischen dem Norddeutschen Bund und Spanien220 auf die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung zwischen Vergehen und Verbrechen zurückgegriffen werden. Verbrechen sind nach § 12 Abs. 1 StGB rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind, Vergehen nach § 12 Abs. 2 StGB entsprechend Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Strafe oder Geldstrafe bedroht sind. In dieser Differenzierung kommt eine vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung zum Ausdruck, nach der Vergehen in relativ geringerer Weise strafwürdig sind, Verbrechen in relativ größerem Maße. Verbrechen können daher als nach der bundesdeutschen Rechtsordnung schwere Straftaten im Sinne des Art. 41 Abs. 1 WÜK bezeichnet werden. Die Tatsache, daß der bundesdeutsche Gesetzgeber bei Verbrechen generell auch die versuchte Tatbegehung, die versuchte Anstiftung zur Begehung einer Tat und die bloße Verabredung einer Tatbegehung für strafwürdig erachtet, nicht jedoch bei Vergehen,221 zeigt, daß Verbrechen, nicht aber Vergehen nach der deutschen Rechtsordnung Taten mit höherem Unwertgehalt sind, also nach der Terminologie des Art. 41 Abs. 1 WÜK „schwere strafbare Handlungen“. Ein Abstellen auf eine Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren oder mehr, wie dies in der Literatur vertreten wird,222 liefe dagegen berechtigten Strafverfolgungsinteressen der Bundesrepublik zuwider. Da die gesetzlich vorgesehene Mindeststrafe in der Bundesrepublik bezüglich der allermeisten Straftatbestände bei unter drei Jahren Freiheitsentziehung liegt, wären ein Festhalten und eine Untersuchungshaft im wesentlichen nur bei dem Verdacht eines Totschlags (§ 212 StGB), eines Mordes (§ 211 StGB), einer Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 Abs. 1 StGB), eines ___________ 219 220 221 222
Vgl. oben Anm. 209. Vgl. oben Anm. 210. Vgl. § 23 Abs. 1, § 30 Abs. 1 und 2 StGB. Vgl. oben Anm. 199.
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erpresserischen Menschenraubes (§ 239a StGB), einer Geiselnahme (§ 239b StGB), eines schweren Raubes (§ 250 StGB), eines Raubes mit Todesfolge (§ 251 StGB), raubähnlicher Delikte (§§ 252, 255 StGB) und einer Brandstiftung mit Todesfolge (§ 306c StGB) zulässig. Dies alles sind aber Taten, die nach der deutschen Rechtsordnung und auch nach dem „allgemeinen Rechtsgefühl“ als besonders schwere Taten einzustufen sind. Die hier vertretene Grenzziehung, nach der all diejenigen Straftaten als „schwer“ einzustufen sind, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind, führt dagegen zu sachgerechten Ergebnissen. Sie ermöglicht ein Festhalten und die Verhängung von Untersuchungshaft auch dann, wenn der Tatvorwurf sich beispielsweise bezieht auf sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung (§ 177 StGB), auf eine schwere Körperverletzung (§ 226 StGB), auf Raub (§ 249 Abs. 1 StGB) oder auf schwere und besonders schwere Brandstiftung (§ 306a f. StGB). Hinsichtlich solcher Taten wird man – auch im internationalen Vergleich – nicht davon sprechen können, daß es sich nicht um schwere Straftaten handele. Auch kann man ein Interesse des Entsendestaates an einer Möglichkeit der unbeeinträchtigten Ausübung konsularischer Tätigkeiten durch die betreffende Person bei solchen Taten wohl kaum als gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Empfangsstaates vorrangig bewerten. Dagegen scheiden bei Zugrundelegung der hier vertretenen Auffassung ein Festhalten und eine Verhängung von Untersuchungshaft in den Fällen aus, in denen man möglicherweise zweifeln kann, ob die Tat wirklich als schwer zu bewerten ist. Dies gilt etwa für eine einfache Körperverletzung (§ 223 StGB), einen einfachen Diebstahl (§ 242 StGB) oder einen Betrug (§ 263 StGB), aber auch für die relativ häufig vorkommenden Taten von Konsularbeamten nach §§ 315c und 316 StGB, also auch bei Trunkenheitsfahrten von Konsularbeamten. Als Fazit der Überlegungen ist damit festzuhalten, daß Konsularbeamte nach Art. 41 Abs. 1 WÜK in der Bundesrepublik dann festgehalten und in Untersuchungshaft genommen werden dürfen, wenn der Maßnahme eine Anordnung der Staatsanwaltschaft oder ein gerichtlicher Beschluß bzw. ein gerichtliches Urteil zugrunde liegt und es sich bei der dem Konsularbeamten zur Last gelegten Tat um eine außerdienstliche Straftat handelt, die mit einer Freiheitsstrafe mit einem Mindestmaß von einem Jahr oder mehr bedroht ist. Angesichts seiner besonderen praktischen Relevanz soll auf einen Aspekt besonders hingewiesen werden: Unabhängig davon, welcher der verschiedenen genannten Auffassungen zur Bestimmung des Begriffs „schwere strafbare Handlung“ man folgt, ist die zwangsweise Entnahme einer Blutprobe – die mit einer nach Art. 41 Abs. 1 WÜK grundsätzlich verbotenen Beschränkung der persönlichen Freiheit verbunden ist – bei einem Berufskonsularbeamten, der in alkoholisiertem Zustand ein Kraftfahrzeug geführt hat, auch dann regelmäßig ausgeschlossen, wenn die Fahrt mit dem Kraftfahrzeug als Privathandlung einzustufen ist. Denn die einschlägigen Straftatbestände, die §§ 315c und 316 StGB, sehen eine Mindeststrafe von unter einem Jahr Freiheitsstrafe vor, so daß die Tat nicht als schwere strafbare
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Handlung bewertet werden kann und damit die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulässigkeit eines Festhaltens nach Art. 41 Abs. 1 WÜK nicht erfüllt sind.223 Allerdings scheiden eine Strafverfolgung als solche und, sollte der Nachweis der Erfüllung der Tatbestandsmerkmale auch ohne eine Blutalkoholbestimmung gelingen, auch eine Verurteilung nicht aus, wenn es sich bei der Fahrt um eine private Autofahrt gehandelt hat; denn Konsularbeamte genießen – wie bereits erwähnt – nur Immunität ratione materiae bezüglich ihrer in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommenen Handlungen. ff) Restriktionen bei einer zulässigen Strafverfolgung von Berufskonsularbeamten Soweit nach dem bisher Gesagten eine Strafverfolgung eines Konsularbeamten zulässig ist, sind die in Art. 41 Abs. 3 und Art. 42 WÜK normierten Pflichten hinsichtlich der Durchführung eines Strafverfahrens zu beachten. Nach Art. 41 Abs. 3 Satz 1 WÜK hat der Konsularbeamte vor den zuständigen Behörden zu erscheinen. Er kann also zu Vernehmungen und zu einer Hauptverhandlung geladen werden. Eine Vorführung nach §§ 133 f., 163a Abs. 3, 230 Abs. 2 StPO darf aber nur im Rahmen der Beschränkungen des Art. 41 Abs. 1 und 2 WÜK angeordnet werden, also nur bei einer Verfolgung wegen einer schweren Straftat im oben skizzierten Sinne. Das Verfahren ist nach Art. 41 Abs. 3 Satz 2 WÜK unter Rücksichtnahme auf die Stellung des Konsularbeamten und in einer Weise zu führen, die die Wahrnehmung der konsularischen Aufgaben möglichst wenig beeinträchtigt. Dies bedeutet beispielsweise, daß bei einer Terminierung Rücksicht zu nehmen ist auf die Dienstgeschäfte des Konsularbeamten und eine Absprache erfolgen sollte. Sofern ein Konsularbeamter in Untersuchungshaft genommen wurde, ist das Verfahren in kürzester Frist einzuleiten. Dies bedeutet, daß ein Strafverfahren gegen einen inhaftierten Konsularbeamten vorrangig zu terminieren ist. Art. 42 WÜK legt dem Empfangsstaat die Pflicht auf, die konsularische Vertretung bzw. die diplomatische Mission oder das Außenministerium des Entsendestaates über eine Verhaftung eines Konsularbeamten sofort zu benachrichtigen.224 ___________ Vgl. Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, Rn. 58a, 371 sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. IV. B.4. Fehlgehend und in sich widersprüchlich HK-StVR-Kohlhaas, § 81a StPO Rn. 18; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 81a Rn. 35a. Gleichfalls verfehlt Hentschel, Straßenverkehrsrecht, Einl. Rn. 28. Bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24a StVG scheidet unstreitig die Entnahme einer Blutprobe bei einem Berufskonsularbeamten wegen Art. 41 Abs. 1 WÜK auch dann aus, wenn die Tat als nicht-dienstliche Handlung nicht von der Immunität ratione materiae des Art. 43 Abs. 1 WÜK erfaßt ist; vgl. Hentschel, a.a.O., Einl. Rn. 28; Janiszewski, a.a.O., Rn. 58a, 371; RRH-OWiG-Herrmann, § 46 Rn. 18; Seitz, in: Göhler, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, vor § 59 Rn. 40; KK-OWiG-Wache, vor § 53 Rn. 48 f. 224 Vgl. auch Jabloner-Fugger, NJW 1964, 712 (713); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 5; Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte 223
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gg) Zur Zeugnispflicht von Berufskonsularbeamten Mitglieder einer konsularischen Vertretung, also auch Konsularbeamte, dürfen gemäß Art. 44 Abs. 1 Satz 1 WÜK als Zeugen geladen werden, und zwar sowohl zu einer polizeilichen oder staatsanwaltschaftlichen Vernehmung als auch zu einer richterlichen in oder außerhalb einer Hauptverhandlung. Sie haben auch die Pflicht zu erscheinen.225 Sie sind aber nach Art. 44 Abs. 3 Satz 1 WÜK nicht verpflichtet, Zeugnis über Angelegenheiten zu geben, die mit der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zusammenhängen, oder die darauf bezüglichen amtlichen Korrespondenzen und Schriftstücke vorzulegen.226 Sie haben also ein Zeugnisverweigerungsrecht ähnlich dem des § 53 StPO. Der Katalog der zeugnisverweigerungsberechtigten Personen der §§ 52 ff. StPO ist insofern durch die unmittelbar anwendbare Vorschrift des Art. 44 Abs. 3 Satz 1 WÜK erweitert. Eine Belehrungspflicht über das Zeugnisverweigerungsrecht besteht aber nicht, weil davon ausgegangen werden kann, daß die Mitglieder einer konsularischen Vertretung von diesem Recht Kenntnis haben. Das Zeugnisverweigerungsrecht des Art. 44 Abs. 3 Satz 1 WÜK ist – wie die bereits erörterte Befreiung der Diplomaten von den Zeugenpflichten nach Art. 31 Abs. 2 WÜD227 – als ein Recht ausgestaltet, das erst dann Relevanz erlangt, wenn es von dem Konsularbeamten in Anspruch genommen wird. Anders als bei der Immunität nach Art. 43 Abs. 1 WÜK, die als ein Verbot ausgestaltet ist, das dem Empfangsstaat ein Tätigwerden erst dann erlaubt, wenn der Entsendestaat dieses Verbot im Wege des Ausspruchs eines Verzichts auf die Immunität für den konkreten Fall aufgehoben hat, dürfen die Organe des Empfangsstaates also ohne weiteres einen Konsularbeamten zu einer Zeugenaussage laden und ihn zur Sache vernehmen, solange er sich nicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft. Die Einholung einer Erlaubnis des Entsendestaates in Form eines Verzichts nach Art. 45 Abs. 1 WÜK ist also für die Zulässigkeit einer Vernehmung nicht erforderlich.228 Vielmehr ist ausschließlich das Verhalten des Konsularbeamten entscheidend. Erst wenn und soweit sich dieser auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft, ist eine (weitere) Vernehmung unzulässig. ___________ Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPOPfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. IV.B.3. 225 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 312; Herndl, AVR 11 (1963/64), 417 (452); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 12; KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 8; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 398; MKZPO-Wolf, § 19 GVG Rn. 5. 226 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 312; KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 8; MK-ZPO-Wolf, § 19 GVG Rn. 5 und den kommentierten Entwurf der ILC für eine Konsularrechtskonvention von 1961, YBILC 1961 II, 89 (118) (UN-Dokument A/4843). 227 Es kann daher auch auf die Ausführungen oben bei § 13 I.1.a)ee) verwiesen werden. 228 A.A. Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 223.
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Allerdings heißt es in Art. 45 Abs. 1 WÜK, der Entsendestaat könne auf das in Art. 44 vorgesehene Vorrecht verzichten. Doch erscheint es nur auf den ersten Blick so, als dürfe damit eine Vernehmung nur vorgenommen werden, wenn eine Erlaubnis des Entsendestaates in Form eines Verzichts nach Art. 45 Abs. 1 WÜK vorliegt, und als seien die obigen Ausführungen mit dem Wortlaut des Art. 45 Abs. 1 WÜK unvereinbar. Denn diese Regelung des Verzichts will nicht die Vernehmung in jedem Fall von einer vorherigen Erlaubnis des Entsendestaates abhängig machen. Für einen Verzicht ist insofern auch schon begrifflich kein Raum, da ein Zeugnisverweigerungsrecht geltend gemacht werden muß. Die Möglichkeit des Verzichts nach Art. 45 Abs. 1 WÜK bezieht sich vielmehr auf das Zeugnisverweigerungsrecht als solches. Da dieses wie die Immunitäten und die Unverletzlichkeitsregelungen nur im Interesse der Funktionsfähigkeit der konsularischen Beziehungen und damit letztlich allein im Interesse des Entsendestaates gewährt wird,229 kann dieser auch auf das Vorrecht verzichten, das seinen Konsularbeamten mit dem ihnen zustehenden Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt wird. Dann besteht dieses Verweigerungsrecht insgesamt nicht mehr, der Konsularbeamte ist dann zu einer Aussage wie jeder andere auch verpflichtet. Praktische Bedeutung kann der Verzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht dann haben, wenn ein Konsularbeamter nicht aussagen will, sich also auf sein Recht, das Zeugnis zu verweigern, berufen will, der Entsendestaat dagegen eine Aussage seines Konsularbeamten wünscht. Da aber das Zeugnisverweigerungsrecht als ein vom Konsularbeamten geltend zu machendes Recht und nicht als ein grundsätzliches Verbot ausgestaltet ist, von dem nur dann eine Ausnahme besteht, wenn der Entsendestaat einen Dispens erteilt, darf der Empfangsstaat einen Konsularbeamten auch dann vernehmen, wenn der Entsendestaat hiermit nicht einverstanden ist. Insofern kommt es ausschließlich darauf an, ob der Konsularbeamte sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft.230 Ein Zeugnisverweigerungsrecht, das über das in Art. 44 Abs. 3 WÜK geregelte hinausgeht, also ein Recht, auch über nicht-dienstbezogene Kenntnisse die Aussage zu verweigern, steht Konsularbeamten allerdings nicht zu, auch wenn Art. 44 Abs. 1 Satz 2 WÜD, wonach die Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals und die Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals nur in den in Art. 44 Abs. 3 WÜK genannten Fällen das Zeugnis verweigern dürfen, eine solche These im Umkehrschluß nahelegt. Jedoch heißt es in Art. 44 Abs. 1 Satz 3 WÜK, daß dann, wenn sich ein Konsularbeamter weigert auszusagen, gegen ihn keine ___________ Das Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich dienstbezogener Kenntnisse wird deshalb gewährt, weil dem Entsendestaat legitimerweise daran gelegen ist, daß der Empfangsstaat nicht durch die Vernehmung von Mitgliedern seiner konsularischen Vertretung als Zeuge über konsularische Vorgänge Kenntnis erlangen kann. 230 Den Empfangsstaat hat also nicht zu interessieren, inwieweit der Konsularbeamte im Innenverhältnis zu seinem Staat verpflichtet ist, von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, oder umgekehrt angewiesen wurde, auszusagen. 229
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Zwangs- oder Strafmaßnahme getroffen werden darf. Ihm kommt also hinsichtlich nicht-dienstbezogener Kenntnisse zwar kein Zeugnisverweigerungsrecht zu, doch hat eine Zeugnisverweigerung sanktionslos zu bleiben und darf nicht durch Ordnungsmittel erzwungen werden.231 Maßnahmen nach § 70 StPO scheiden also aus. In der Sache läuft dies natürlich auf dasselbe hinaus. Problematisch ist jedoch, ob nur die Verweigerung der Aussage selbst folgenlos zu bleiben hat, also das Erscheinen zu einer Vernehmung notfalls auch durch Maßnahmen nach § 51 StPO erzwungen werden darf, oder ob das Nichterscheinen zu einem Vernehmungstermin nach Ladung als Verweigerung der Aussage zu interpretieren ist und damit ebenfalls folgenlos zu bleiben hat. Die letztgenannte Interpretationsmöglichkeit ist die überzeugendere. Bedenkt man, daß die Arbeit von Konsularbeamten möglichst wenig durch Aktivitäten des Empfangsstaates beeinträchtigt werden soll und daß Art. 44 Abs. 2 Satz 1 WÜK ausdrücklich festlegt, daß die Vernehmung den Konsularbeamten nicht bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben behindern darf, so kann das Erzwingen des Erscheinens zu einer Vernehmung, bei der der Konsularbeamte sanktionslos seine Aussage verweigern wird – denn als eine solche Entscheidung, nicht aussagen zu wollen, wird man das Ausbleiben zu interpretieren haben – nicht statthaft sein.232 Wenn also ein geladener Konsularbeamter nicht zur Vernehmung erscheint, so ist dies als konkludent erklärte Aussageverweigerung zu interpretieren, die folgenlos zu bleiben hat. Ein Erscheinen dennoch zu erzwingen bzw. das Nichterscheinen zu sanktionieren, könnte nur als Schikanemaßnahme eingestuft werden und würde damit dem Gebot der rücksichtsvollen Behandlung zuwiderlaufen. Das Gebot rücksichtsvoller Behandlung liegt auch der Regelung des Art. 44 Abs. 2 WÜK zugrunde, wonach zum einen – wie bereits gesagt – der Konsularbeamte durch die Vernehmung nicht bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben behindert werden darf – woraus unter anderem die Pflicht folgt, den Vernehmungstermin mit dem Konsularbeamten abzusprechen –, und zum anderen die Aussage, soweit nach dem Recht des Empfangsstaates und den tatsächlichen Gegebenheiten möglich und sinnvoll,233 in der Wohnung des Konsularbeamten oder in der konsularischen Vertretung entgegenzunehmen ist. Auch sollen sich die Behörden des Emp-
___________ Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 12; KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 8; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 221; MK-ZPO-Wolf, § 19 GVG Rn. 5; ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (118) (UN-Dokument A/4843). Würde man Konsularbeamten ein umfassendes Recht zur Zeugnisverweigerung zubilligen, so wäre die Freistellung von Zwangs- und Sanktionsgewalt sinnlos. Schon deshalb kann ein Umkehrschluß aus Art. 44 Abs. 1 Satz 2 WÜK nicht überzeugen. 232 So auch Lee, Consular Law and Practice, S. 533. 233 Vgl. zu diesen Einschränkungen den kommentierten Entwurf der ILC für eine Konsularrechtskonvention von 1961, YBILC 1961 II, 89 (118) (UN-Dokument A/4843). 231
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fangsstaates, soweit dies nach dessen Recht zulässig ist, mit einer schriftlichen Aussage begnügen.234 hh) Die Zulässigkeit von Gefahrenabwehrmaßnahmen Auch wenn eine Strafverfolgung eines Konsularbeamten wegen in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommener Handlungen aufgrund seiner Immunität untersagt ist, so dürfen doch Abwehrmaßnahmen in gleicher Weise wie gegenüber Diplomaten getroffen werden.235 Da auch Konsularbeamte dem materiellen Strafrecht des Empfangsstaates unterworfen sind, mithin tatbestandsmäßig und rechtswidrig handeln können, ist auch die Rechtfertigung von Abwehrmaßnahmen durch Private aufgrund Handelns in Notwehr bzw. Nothilfe nach § 32 StGB möglich. b) Exemtionen für Bedienstete des Verwaltungs- oder technischen Personals Bedienstete des Verwaltungs- oder technischen Personals einer konsularischen Vertretung im Sinne des Art. 1 Abs. 1 lit. e) WÜK sind Beschäftigte, die in gleicher Weise wie die Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission unterstützende Tätigkeiten leisten. Im Gegensatz zu den Personen, die zu den Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals zählen, handelt es sich bei den Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals um Beschäftigte, die unmittelbar an der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben im Sinne des Art. 5 WÜK beteiligt sind, von diesen daher Kenntnis haben und unter der Leitung eines Konsularbeamten wichtige Teile der konsularischen Arbeit erledigen. Als Mitglieder dieser Kategorie werden etwa Verwaltungsangestellte, Sekretärinnen und Übersetzer ernannt.236 Die Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals einer berufskonsularischen Vertretung genießen, soweit sie weder Staatsangehörige des Empfangs-
___________ Vgl. Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 12; Lee, Consular Law and Practice, S. 533 ff.; KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 8 und den ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (118) (UN-Dokument A/4843). 235 Insofern wird an dieser Stelle auf die Ausführungen oben bei § 13 I.1.a)gg) verwiesen. Ausdrücklich für die Zulässigkeit von Gefahrenabwehrmaßnahmen auch gegenüber Konsuln Economedès, Consuls, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 770 (774); Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 213; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 245. 236 Vgl. das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. II.D.1.b). 234
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staates noch in diesem ständig ansässig sind237, nach Art. 43 Abs. 1 WÜK238 in gleicher Weise wie die Konsularbeamten Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates für Handlungen, die sie in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen haben.239 Sie genießen also ebenfalls nur Immunität ratione materiae, allerdings gleichfalls für den gesamten Bereich ihrer dienstlichen Tätigkeiten als Mitglied einer konsularischen Vertretung und nicht nur beschränkt auf die eigentlichen konsularischen Amtshandlungen. Die Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals gelten, da sie unmittelbar an der Erledigung konsularischer Aufgaben mitwirken, in bezug auf diese Tätigkeiten als ebenso schutzwürdig wie die Konsularbeamten. Hinsichtlich des Umfangs der Immunität sowie der grundsätzlichen Rechtsunterworfenheit und der Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen kann daher auf die obigen Ausführungen zur funktionalen Immunität der Konsularbeamten verwiesen werden.240 Auch die Amtsimmunität der Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals schließt strafprozessuale Zwangsmaßnahmen wegen dienstlicher Handlungen aus, da sie generell Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates wegen Handlungen verbietet, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen wurden, beinhaltet also insofern ebenfalls eine negative Unverletzlichkeit.241 Eine darüber hinausgehende Befreiung von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen, wie sie die Berufskonsularbeamten nach Art. 41 Abs. 1 und 2 WÜK für ihre nichtkonsularischen außerdienstlichen Taten genießen, gewährt das WÜK den Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals allerdings nicht.242 ___________ Vgl. bezüglich der Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals, die Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, Art. 71 Abs. 2 WÜK und unten § 13 I.2.e)bb). 238 Vgl. oben Anm. 169. 239 Vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1997, 92 (93); LG Stuttgart, NZV 1995, 411 (411); LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 4 und das Rundschreiben BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. IV.B.4. 240 Zu beachten ist allerdings eine Sondervorschrift: Sofern die Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals, die weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind, also zum entsandten Personal gehören, ausnahmsweise im Empfangsstaat eine private Erwerbstätigkeit ausüben, also „nebenberuflich“ einer auf Gelderwerb ausgerichteten oder damit verbundenen weiteren Tätigkeit nachgehen, genießen sie keinerlei Vorrechte und Befreiungen nach dem WÜK; vgl. Art. 57 Abs. 2 lit. a) WÜK und Verdross/Simma, Völkerrecht, § 928. In diesem Fall gilt aber das unten in Anm. 246 bezüglich des dienstlichen Hauspersonals Gesagte entsprechend. 241 So auch Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 212. 242 Vgl. Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 212 und das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Per237
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Wegen Taten, die ihrem privaten Lebensbereich zuzuordnen sind bzw. vor Beginn ihrer Tätigkeit als Mitglied einer konsularischen Vertretung begangen wurden, unterliegen die Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals ohne Einschränkungen durch das WÜK der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates und dürfen ohne Einschränkung durch das WÜK gegen sie gerichtete strafprozessuale Zwangsmaßnahmen wie eine Verhaftung, eine Durchsuchung oder die Entnahme einer Blutprobe ergriffen werden. Art. 41 Abs. 1 und 2 WÜK, der eine Beschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit bei der Verfolgung privater oder sonstiger nichtkonsularischer Taten grundsätzlich verbietet, gilt ausdrücklich lediglich für Konsularbeamte.243 Auch Art. 41 Abs. 3 WÜK, der den Empfangsstaat verpflichtet, ein Strafverfahren gegen Konsularbeamte unter besonderer Rücksichtnahme und bei einer Verhängung von Untersuchungshaft beschleunigt durchzuführen, gilt für Bedienstete des Verwaltungs- oder technischen Personals nicht. Für diese gilt lediglich, wie für alle Mitglieder des konsularischen Personals, die Benachrichtigungspflicht des Art. 42 WÜK. Gemäß Art. 44 Abs. 1 Satz 1 WÜK unterliegen die Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals einer berufskonsularischen Vertretung der Zeugnispflicht. Sie dürfen als Zeugen geladen werden und sind verpflichtet, zu einer Vernehmung zu erscheinen. Die Festsetzung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft gemäß § 51 StPO in dem Fall, daß sie der Ladung nicht nachkommen, ist zulässig. Ihnen steht aber gemäß Art. 44 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 WÜK ein Zeugnisverweigerungsrecht in bezug auf Angelegenheiten zu, die mit der Wahrnehmung ihrer konsularischen Aufgaben zusammenhängen.244 Über dieses sind sie allerdings nicht zu belehren. Sollten sie aber darüber hinaus eine Aussage verweigern, so können gegen sie – sofern sie hierzu nicht wie jedermann nach den Bestimmungen der StPO befugt sind – Ordnungsgeld oder Ordnungshaft nach § 70 festgesetzt und vollstreckt werden. Denn Art. 44 Abs. 1 Satz 3 WÜK, der ein Verbot von Zwangsund Strafmaßnahmen bei einer Aussageverweigerung normiert, gilt nur für Konsularbeamte. c) Exemtionen für Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals Als zur Kategorie der Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer konsularischen Vertretung gehörend sind vom Entsendestaat diejenigen Beschäftigten zu ernennen, die Arbeiten erledigen, die mit dem eigentlichen konsularischen Aufga___________ sonen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPOPfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. V.A.4. 243 Vgl. aber die auch für die Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals relevanten Ausführungen oben in Anm. 179. 244 Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 12; KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 8; MK-ZPO-Wolf, § 19 GVG Rn. 6. Vgl. auch die allgemeinen Ausführungen zum Zeugnisverweigerungsrecht nach Art. 44 Abs. 3 WÜK oben bei § 13 I.2.a)gg).
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benbereich, also den unmittelbaren konsularischen Tätigkeiten, nichts zu tun haben. Es handelt sich ebenso wie bei den Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals einer diplomatischen Mission um Beschäftigte, die Aufgaben erledigen, wie sie in jeder Verwaltungseinrichtung anfallen. So sind beispielsweise Gärtner, Hausmeister und Fahrer zum dienstlichen Hauspersonal zu zählen.245 Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals genießen keinerlei Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit nach dem WÜK. Ihnen kommt nach dem Konsularrecht nicht einmal Immunität ratione materiae für ihre dienstlichen Handlungen zu.246 Insofern sind sie schlechter gestellt als Personen, die eine identische Tätigkeit bei einer diplomatischen Mission ausüben.247 Auch eine wie auch immer geartete Unverletzlichkeit, also Befreiung von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen, kommt ihnen nicht zu. Sie unterliegen also in gleicher Weise wie jede nicht zu einer konsularischen Vertretung gehörende Person der Strafgewalt des Empfangsstaates. Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals, die weder Angehörige des Empfangsstaates sind noch in diesem ständig ansässig sind, haben allerdings in gleicher Weise wie Mitglieder des Verwaltungs- oder technischen Personals einer berufskonsularischen Vertretung gemäß Art. 44 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 WÜK ein Zeugnisverweigerungsrecht in bezug auf Angelegenheiten, die mit der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zusammenhängen. Insofern kann an dieser Stelle auf die Ausführungen zur Zeugnispflicht oben bei § 13 I.2.b) verwiesen werden. ___________ 245 Vgl. das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. II.D.1.d), sowie MK-ZPO-Wolf, § 19 GVG Rn. 4. 246 Allerdings bedeutet diese Feststellung nicht, daß die Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals damit uneingeschränkt auch wegen aller ihrer für den Entsendestaat vorgenommenen dienstlichen Tätigkeiten der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates unterliegen. Die Tatsache, daß sie nach dem WÜK keine Exemtion genießen, schließt nicht aus, daß sie in den „Genuß“ einer anderen Exemtion kommen können. Dies gilt vor allem für die Staatenimmunität. Wie unten in § 13 V.2. gezeigt wird, ist die Staatenimmunität von den diplomatischen und konsularischen Immunitäten unabhängig. Sie befreit jede Person, unabhängig von ihrem Status, für Handlungen, die als hoheitlich-dienstliche Handlungen für einen fremden Staat einzustufen sind, von der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates. Sofern daher einem Mitglied des dienstlichen Hauspersonals eine Handlung als strafbar vorgeworfen wird, die als hoheitlich-dienstliche Handlung für den Entsendestaat zu bewerten ist, genießt sie zwar nicht nach dem WÜK, wohl aber aufgrund der völkergewohnheitsrechtlichen Staatenimmunität Exemtion von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates. Allerdings ist die Staatenimmunität anders als die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts auf hoheitlich-dienstliche Handlungen beschränkt, umfaßt also Tätigkeiten, wie sie auch jeder Private ausüben kann, nicht. Damit aber wird die „normale“ dienstliche Tätigkeit von Gärtnern, Fahrern und Hausmeistern in aller Regel auch nicht von der Staatenimmunität erfaßt, so daß normalerweise im Ergebnis einer Strafverfolgung wegen dienstlicher Tätigkeiten keine völkerrechtlichen Exemtionen entgegenstehen. 247 Diese genießen gemäß Art. 37 Abs. 3 WÜD Immunität ratione materiae.
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d) Exemtionen für Familienangehörige und Mitglieder des Privatpersonals Den Familienangehörigen von Mitgliedern einer konsularischen Vertretung sowie den Mitgliedern des Privatpersonals eines Mitglieds einer konsularischen Vertretung kommen nach dem WÜK keinerlei Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu. Sie sind der Strafgewalt des Empfangsstaates in gleicher Weise wie jede andere, nicht mit einer konsularischen Vertretung in Beziehung stehende Person unterworfen. Auch ein Zeugnisverweigerungsrecht steht ihnen nicht zu.248 e) Exemtionen für Mitglieder einer berufskonsularischen Vertretung, die Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind Wie im Diplomatenrecht, so bleiben auch im Konsularrecht die Exemtionen von Mitgliedern einer Vertretung, die Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, hinter denen zurück, die den für eine begrenzte Zeit entsandten und aus der Sicht des Empfangsstaates ausländischen Mitgliedern gewährt werden. Der Grund hierfür ist wie im Diplomatenrecht darin zu sehen, daß dem Interesse des Empfangsstaates an einer Ausübung seiner Hoheitsgewalt hinsichtlich dieser Personen ein größeres Gewicht beigemessen wird als in bezug auf die entsandten Kräfte mit Staatsangehörigkeit des Entsendestaates oder eines Drittstaates. Die durch die Staatsangehörigkeit bzw. ständige Ansässigkeit begründete enge Beziehung zur Rechtsordnung des Empfangsstaates rechtfertigt die weniger weitreichenden Exemtionen ebenso wie die Tatsache, daß diese Personen mit den Ge- und Verboten des Empfangsstaates, dessen Kultur und Lebensweise vertrauter sind als entsandte Kräfte und daher weniger schutzbedürftig sind.
___________ 248 Vgl. LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 4; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 212; MK-ZPO-Wolf, § 19 GVG Rn. 4 sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. IV.B.6. und IV.B.7. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um Personen handelt, die weder Staatsangehörige des Empfangsstaates noch dort ständig ansässig sind, oder ob es sich um Personen handelt, die Angehörige des Empfangsstaates oder dort ständig ansässig sind. Vgl. auch Art. 71 Abs. 2 WÜK. A.A. Jabloner-Fugger, NJW 1964, 712 (712), der aus Art. 53 Abs. 2 WÜK ableitet, daß Familienangehörige die gleichen Exemtionen wie Konsularbeamte genießen, dabei jedoch verkennt, daß diese Norm nur die zeitliche Reichweite der Exemtionen regelt.
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aa) Exemtionen für Konsularbeamte, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ansässig sind Konsularbeamte, die Angehörige des Empfangsstaates249 oder in diesem ständig ansässig sind,250 genießen zwar ebenso wie die Konsularbeamten, die vom Entsendestaat auf Zeit in den Empfangsstaat entsandt werden und dessen Staatsangehörigkeit oder die eines dritten Staates haben (vgl. für diese Art. 43 Abs. 1 WÜK), Immunität ratione materiae von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates. Doch ist – wie bereits oben in § 13 I.2.a)cc) erwähnt wurde – ihre Amtsimmunität enger als die der entsandten Berufskonsularbeamten, da ihre Immunität auf die eigentlichen Amthandlungen beschränkt ist.251 Laut Art. 71 Abs. 1 WÜK genießen Konsularbeamte, die Angehörige des Empfangsstaates oder dort ständig ansässig sind, lediglich Immunität von der Gerichtsbarkeit wegen ihrer in Wahrnehmung ihrer Aufgaben vorgenommenen Amtshandlungen.252 Ihre Rechtsstellung ist damit vergleichbar mit der, die nach Art. 38 Abs. 1 WÜD Diplomaten haben, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind.253 Soweit diese Amtsimmunität reicht, sind Konsularbeamte, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates vollständig entzogen. Damit sind schon aufgrund dieser Immunität auch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen wegen Handlungen, die als Amtshandlungen zu bewerten sind, verboten. Dies wird von Art. 71 Abs. 1 WÜK sogar ausdrücklich bestätigt, da von „Immunität von der Gerichtsbarkeit und persönlicher Unverletzlichkeit wegen ihrer in Wahrnehmung ihrer Aufgaben vorgenommenen Amtshandlungen“ gesprochen wird. Die Rechtsstellung der beiden Arten von Berufskonsularbeamten unterscheidet sich aber nicht nur hinsichtlich der unterschiedlichen Reichweite der ihnen zu___________ 249 Entsprechend den Bestimmungen im Diplomatenrecht ist es den Empfangsstaaten nach Art. II Fakultativprotokoll über den Erwerb der Staatsangehörigkeit (BGBl. 1969 II, S. 1674) untersagt, den Mitgliedern einer konsularischen Vertretung allein aufgrund von Rechtsvorschriften des Empfangsstaates dessen Staatsangehörigkeit zu verleihen. Damit soll verhindert werden, daß die Exemtionen, die diesen Personen nach dem WÜK zukommen, durch eine Einbürgerung und mithin durch eine eigenmächtige Entscheidung des Empfangsstaates verkürzt werden. Vgl. zur entsprechenden Norm im Diplomatenrecht oben Anm. 138. 250 Zum Begriff „ständig ansässig“ vgl. die Ausführungen oben bei § 13 I.1.f). 251 Vgl. die Nachweise oben in Anm. 173. Siehe zur Entstehungsgeschichte der unterschiedlichen Formulierungen Dinstein, Consular Immunity, S. 27 ff. 252 Art. 71 Abs. 1 WÜK lautet: „Soweit der Empfangsstaat nicht zusätzliche Erleichterungen, Vorrechte und Immunitäten gewährt, genießen Konsularbeamte, die Angehörige des Empfangsstaats oder dort ständig ansässig sind, lediglich Immunität von der Gerichtsbarkeit und persönliche Unverletzlichkeit wegen ihrer in Wahrnehmung ihrer Aufgaben vorgenommenen Amtshandlungen (…).“ 253 Insofern kann an dieser Stelle auf die Ausführungen oben bei § 13 I.1.f)aa) verwiesen werden.
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kommenden funktionalen Immunität, sondern auch insofern, als die beschränkte persönliche Unverletzlichkeit nach Art. 41 Abs. 1 und 2 WÜK, die der Vornahme von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen auch im Rahmen der (als solchen zulässigen) Verfolgung von außerdienstlichen Straftaten weitgehend entgegensteht, für diejenigen Konsularbeamten, die Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, nicht gilt.254 Zur Verfolgung von außerdienstlichen Straftaten dieser Konsularbeamten können also auch alle zulässigen strafprozessualen Zwangsmaßnahmen ergriffen werden. Auch die Zeugnispflicht dieser Personen reicht weiter. Sie genießen gemäß Art. 71 Abs. 1 WÜK nur ein Zeugnisverweigerungsrecht nach Art. 44 Abs. 3 WÜK. Das Verbot des Ergreifens von Zwangs- oder Strafmaßnahmen bei einer darüber hinausgehenden Aussageverweigerung nach Art. 44 Abs. 1 Satz 3 WÜK gilt für sie nicht. Ihre Rechtsstellung im Hinblick auf die Zeugnispflicht entspricht damit der von Mitgliedern des Verwaltungs- oder technischen Personals, so daß auf die diesbezüglichen Ausführungen oben bei § 13 I.2.b) verwiesen werden kann. bb) Exemtionen für sonstige Mitglieder des Personals einer konsularischen Vertretung, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ansässig sind Den übrigen Mitgliedern einer konsularischen Vertretung, also den Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals und den Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals, stehen, wenn sie Staatsangehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, gemäß Art. 71 Abs. 2 WÜK Erleichterungen, Vorrechte und Immunitäten nur in dem vom Empfangsstaat zugelassenen Umfang zu.255 Sie genießen also nach dem WÜK keinerlei Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit.256 Art. 71 Abs. 2 Satz 3 WÜK legt lediglich fest, daß der Emp___________ Vgl. den kommentierten Entwurf der ILC für eine Konsularrechtskonvention von 1961, YBILC 1961 II, 89 (116 f.) (UN-Dokument A/4843). 255 Art. 71 Abs. 2 WÜK lautet: „Anderen Mitgliedern der konsularischen Vertretung, die Angehörige des Empfangsstaates oder dort ständig ansässig sind, (…) stehen Erleichterungen, Vorrechte und Immunitäten nur in dem vom Empfangsstaat zugelassenen Umfang zu.“ 256 LG Stuttgart, NZV 1995, 411 (411) (vgl. bezüglich dieser Entscheidung aber oben Anm. 164); LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 4; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 8; KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 7; Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. IV.B.8 sowie der ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (128) (UN-Dokument A/4843). Das gleiche gilt für Familienangehörige von Mitgliedern einer konsularischen Vertretung sowie für Mitglieder des privaten Hauspersonals eines Mitglieds einer konsularischen Vertretung, wenn diese selbst Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind oder aber – bei Familienmitgliedern – Familienangehörige eines Mitglieds einer konsularischen Vertretung sind, das seinerseits Angehöriger des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig ist. Vgl. hierzu schon oben Anm. 248. Da diese aber auch dann keinerlei Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen, wenn sie entsandte Personen 254
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fangsstaat seine Hoheitsgewalt über diese Personen nur so ausüben darf, daß er die Wahrnehmung der Aufgaben der konsularischen Vertretung nicht ungebührlich behindert. Bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland bedeutet dies im Ergebnis, daß die hier betrachteten Personen, da in Deutschland keine auf nationalem Recht beruhenden Exemtionen für diese existieren, keinerlei konsularische Vorrechte und Befreiungen genießen.257 Auch ein Zeugnisverweigerungsrecht genießen diese Personen nicht. Art. 44 Abs. 3 WÜK ist auf sie mangels eines Verweises in Art. 71 Abs. 2 WÜK nicht anwendbar. 3. Exemtionen nach dem WÜK für den Bereich der von Wahlkonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretungen a) Exemtionen für Wahlkonsularbeamte Auch bei Wahlkonsularbeamten – synonym wird der Begriff „Honorarkonsularbeamte“ verwendet – ist danach zu differenzieren, ob es sich um Personen handelt, die vom Entsendestaat auf Zeit in den Empfangsstaat entsandt werden und die Staatsangehörigkeit des Entsende- oder eines Drittstaates haben, oder aber es um Personen geht, die Angehörige des Empfangsstaates oder zumindest in diesem ständig ansässig sind. Nur für die erstgenannte Gruppe von Wahlkonsularbeamten gelten die in Art. 58 Abs. 2 WÜK normierten Exemtionsregelungen. Für die zweitgenannte Gruppe gelten lediglich die in Art. 71 Abs. 1 WÜK vorgesehenen Exemtionen.258 Im Regelfall sind Wahlkonsularbeamte zwar – wie von Art. 22 Abs. 1 WÜK auch grundsätzlich vorgesehen – Staatsangehörige des Entsendestaates, allerdings im Hoheitsgebiet des Empfangsstaates ständig ansässig. Denn normalerweise werden solche Personen zu Honorarkonsuln ernannt, die aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit und sonstiger Beziehungen dem Entsendestaat eng verbunden sind, so daß dieser von einer besonderen Loyalität des Honorarkonsuls ihm gegenüber ausgehen kann, die aber gleichzeitig unabhängig von ihrer konsularischen Tätigkeit beruflich im Empfangsstaat tätig sind, zumeist als selbstständige Unternehmer. Insofern macht sich der Entsendestaat ihre Reputation im Empfangsstaat und ihre aus ihrer unternehmerischen Tätigkeit resultierenden Kenntnisse und Kontakte zunutze.259 Lediglich für gewisse Zeit sich im Empfangsstaat aufhaltende Honorarkonsuln, die ___________ mit Staatsangehörigkeit des Entsende- oder eines Drittstaates sind (vgl. oben § 13 I.2.d)), ist dies nur konsequent. 257 Dies bedeutet aber wiederum nicht, daß eine Strafverfolgung stets zulässig ist, daß also auch andere Immunitäten einer Strafverfolgung nicht entgegenstehen können. Vielmehr gelten die oben in Anm. 246 gemachten Ausführungen zum möglichen Verbot einer Strafverfolgung aufgrund der Staatenimmunität auch hier. 258 Diese wichtige Differenzierung verkennen das OLG Karlsruhe, NJW 2004, 3273 (3273) und Schladebach, VR 2002, 298 (301). 259 Vgl. Schladebach, VR 2002, 298 (300).
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weder die Staatsangehörigkeit des Empfangsstaates haben noch in diesem ständig ansässig sind, stellen eine Ausnahme dar. Sofern Konsuln entsandt werden, handelt es sich fast ausnahmslos um Berufskonsularbeamte.260 Wenn hier dennoch zunächst die Exemtionen erläutert werden, die gemäß Art. 58 Abs. 2 WÜK denjenigen Wahlkonsularbeamten zukommen, die auf Zeit in den Empfangsstaat entsandte Personen mit Staatsangehörigkeit des Entsendestaates oder eines dritten Staates sind, während die Exemtionen, die gemäß Art. 71 Abs. 1 WÜK denjenigen Wahlkonsularbeamten zukommen, die ständig im Empfangsstaat ansässig sind oder sogar dessen Staatsangehörigkeit besitzen, erst unten in § 13 I.3.d) erörtert werden, so entspricht diese Reihenfolge der Darstellung also nicht der tatsächlichen Relevanz der verschiedenen Exemtionsbestimmungen. Doch folgt die Darstellung damit der Gliederung und Schwerpunktsetzung des WÜK. Wahlkonsularbeamte, die weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind, genießen gemäß Art. 58 Abs. 2 WÜK Immunität ratione materiae von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates nach Art. 43 Abs. 1 WÜK. Ihnen kommt also Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates in gleichem Umfang zu wie den Berufskonsularbeamten, die auf Zeit in den Empfangsstaat entsandt werden und nicht dessen Staatsangehörigkeit besitzen.261 Hinsichtlich des genauen Umfangs der Immunität kann daher auf die Darstellung oben bei § 13 I.2.a)cc) verwiesen werden. Die sachlich begrenzte persönliche negative Unverletzlichkeit nach Art. 41 Abs. 1 und 2 WÜK, die der Vornahme gegen die Person des Konsularbeamten gerichteter strafprozessualer Zwangsmaßnahmen grundsätzlich auch dann entgegensteht, wenn keine Immunität nach Art. 43 Abs. 1 WÜK besteht, gilt allerdings für die Wahlkonsularbeamten wegen des Fehlens ei___________ Denkbar ist aber beispielsweise, daß ein Staatsangehöriger des Entsendestaates, der in diesem seinen ständigen Wohnsitz hat, aber für eine Entwicklungshilfeorganisation für eine gewisse Zeit in einem anderen Staat tätig ist, mit der Aufgabe betraut wird, neben seiner eigentlichen Entwicklungshilfetätigkeit auch noch ehrenhalber als Konsul für seinen Staat tätig zu werden. Eine solche Person wäre ein Wahlkonsularbeamter, auf den die Vorrechte und Befreiungen des Art. 58 Abs. 2 WÜK anwendbar wären. 261 BayObLGSt 1991, 125 (126) = NJW 1992, 641 (641); OLG Hamm, GA 1967, 286 (286 f.); OLG Schleswig, SchlHA 1981, 161 (162); LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 6; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 12; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (398 Fn. 24); Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 252; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 119 f. Falsch daher Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 7; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 88 f.; KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 6, die behaupten, Wahlkonsularbeamte unterlägen uneingeschränkt der deutschen Gerichtsbarkeit. Diese nicht haltbare Behauptung rührt offensichtlich daher, daß lediglich Art. 63 WÜK ins Blickfeld genommen und Art. 58 Abs. 2 WÜK übersehen wurde (vgl. Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 7; KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 6). Art. 63 WÜK legt aber nur fest, wie ein Strafverfahren zu betreiben ist, sofern es als solches zulässig ist, also keine Immunität ratione materiae einer Strafverfolgung entgegensteht. So auch LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 6. 260
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nes Verweises auf Art. 41 WÜK in Art. 58 Abs. 2 WÜK nicht.262 Allerdings genießen auch die hier betrachteten Wahlkonsularbeamten ein Zeugnisverweigerungsrecht nach Art. 44 Abs. 3 WÜK, jedoch nicht das Vorrecht nach Art. 44 Abs. 1 Satz 3 WÜK.263 Sofern gegen einen Wahlkonsularbeamten ein Strafverfahren zulässigerweise betrieben wird, etwa wegen einer Privathandlung, die nicht von der Immunität ratione materiae des Art. 58 Abs. 2 WÜK i.V.m. Art. 43 Abs. 1 WÜK erfaßt wird, ist das Verfahren gemäß Art. 63 Satz 2 WÜK mit der gebotenen Rücksicht und, sofern der Wahlkonsularbeamte nicht inhaftiert worden ist, in einer Weise zu führen, welche die Wahrnehmung der konsularischen Aufgaben möglichst wenig beeinträchtigt. Dies bedeutet, daß bei einer Terminierung auf die konsularische Tätigkeit Rücksicht zu nehmen ist und eine Absprache zu erfolgen hat. Sofern sich ein Wahlkonsularbeamter wegen der ihm vorgeworfenen Tat in Untersuchungshaft befindet, ist das Verfahren gemäß Art. 63 Satz 3 WÜK in kürzester Frist einzuleiten.264 b) Exemtionen für die übrigen Mitglieder einer von einem Wahlkonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretung In der Regel sind in einer konsularischen Vertretung, die von einem Wahlkonsularbeamten geleitet wird, keine weiteren Konsularbeamten neben dem Leiter der Vertretung tätig. Häufig gibt es in solchen Vertretungen aber neben dem Leiter noch Bedienstete des Verwaltungs- oder technischen Personals sowie Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals. Soweit bereits – wie normalerweise der Fall – der Leiter der Vertretung ein Wahlkonsularbeamter ist, der im Empfangsstaat ständig ansässig ist oder sogar dessen Staatsangehörigkeit hat, sind regelmäßig auch die weiteren Mitglieder der Vertretung „Ortskräfte“. Dies gilt aber überwiegend auch dann, wenn der Leiter der Vertretung ein entsandter Wahlkonsul ist, der weder Angehöriger des Empfangsstaates noch dort ständig ansässig ist. Diese „Ortskräfte“ genießen gemäß Art. 71 Abs. 2 WÜK keinerlei Exemtionen nach dem WÜK.265 Soweit in einer von einem Wahlkonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretung neben dem Leiter doch noch ein oder mehrere weitere Wahlkonsularbeamte tätig sein sollten, so genießen auch diese die den Wahlkonsularbeamten zukommenden Exemtionen; es wird also auch bei wahlkonsularischen Vertretungen nicht zwischen dem Leiter und weiteren Wahlkonsularbeamten differenziert, wenn auch ___________ LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 6; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 12; Jabloner-Fugger, NJW 1964, 712 (712). 263 Jabloner-Fugger, NJW 1964, 712 (712). 264 Vgl. Jabloner-Fugger, NJW 1964, 712 (713); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 7; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 258 f. 265 Vgl. unten § 13 I.3.d). 262
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Art. 58 WÜK offenbar vor dem Hintergrund der Vorstellung formuliert worden ist, daß in einer von einem Wahlkonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretung neben diesem keine weiteren Konsularbeamten tätig sind. Problematisch ist jedoch die Rechtsstellung von entsandten Mitgliedern des Verwaltungs- oder technischen Personals einer wahlkonsularischen Vertretung, die weder im Empfangsstaat ständig ansässig noch dessen Staatsangehörige sind.266 So ist – jedenfalls theoretisch – denkbar, daß ein Staat eine in einem fremden Staat ortsansässige Person zu ihrem Honorarkonsul in diesem Staat bestellt, für die Verwaltung dieses Konsulats aber eine Verwaltungsfachkraft auf Zeit in den anderen Staat entsendet. Würde diese nicht in einer von einem Honorarkonsul geleiteten Vertretung arbeiten, sondern in einer von einem Berufskonsul geleiteten, so stünde ihr nach Art. 43 Abs. 1 WÜK Immunität ratione materiae für alle dienstlichen Handlungen zu. Doch legt Art. 58 Abs. 3 WÜK explizit fest, daß eine solche Person, wenn sie in einer von einem Wahlkonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretung tätig ist, keinerlei Exemtion nach dem WÜK genießt, also einer Ortskraft, für die Art. 71 Abs. 2 WÜK einschlägig ist, gleichgestellt ist.267 Eine wirkliche Regelungslücke enthält das WÜK in bezug auf Berufskonsularbeamte, die vom Entsendestaat beauftragt werden, in einer konsularischen Vertretung tätig zu sein, die von einem Wahlkonsularbeamten geleitet wird. Wenn ein solcher Berufskonsularbeamter Angehöriger des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig ist, ist die Rechtslage eindeutig. Dann kommen ihm die in Art. 71 Abs. 1 WÜK festgelegten Exemtionen zu. Wenn dieser aber weder Angehöriger des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig ist, dann fehlt es an einer anwendbaren Vorschrift im WÜK. Denn die Art. 41 ff. WÜK sind jedenfalls nicht direkt anwendbar. Zwar stehen diese in Abschnitt II Kapitel II WÜK, der überschrieben ist mit den Worten „Erleichterungen, Vorrechte und Immunitäten für Berufskonsularbeamte (…)“, so daß man meinen könnte, auf alle Berufskonsularbeamten, also auch auf die, die in einer von einem Wahlkonsularbeamten geleiteten Vertretung tätig sind, seien die Art. 41 ff. WÜK anwendbar. Doch heißt es in Art. 1 Abs. 2 WÜK explizit und eindeutig, daß Kapitel II WÜK (nur) für die von Berufskonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretungen gilt. ___________ Auf die Rechtsstellung von Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals braucht nicht näher eingegangen zu werden, da diese – unabhängig davon, ob es sich um Ortskräfte oder entsandte Kräfte handelt – nach dem WÜK auf keinen Fall irgendwelche Immunitäten von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen. Allerdings genießen Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer berufskonsularischen Vertretung, die weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind, nach Art. 44 Abs. 3 WÜK ein Zeugnisverweigerungsrecht. Dieses kann, da Art. 44 Abs. 3 WÜK in Kapitel II WÜK steht und damit nur für konsularische Vertretungen gilt, die von einem Berufskonsularbeamten geleitet werden, aber nicht auch für Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer von einem Wahlkonsularbeamten geleiteten Vertretung gelten. Denn in Kapitel III WÜK fehlt es an einer entsprechenden Regelung. 267 Siehe insofern aber auch Anm. 257 i.V.m. Anm. 246. 266
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Die Rechtsstellung von Mitgliedern des Verwaltungs- oder technischen Personals sowie von Konsularbeamten, die in einer von einem Wahlkonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretung tätig sind, aber weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind, also zu den entsandten Berufsbeamten bzw. Angestellten des Auswärtigen Dienstes des Entsendestaates gehören, wird auch von den Staaten zum Teil als unbefriedigend bzw. überhaupt nicht geregelt angesehen. Die Bundesrepublik hat deshalb mit einer an den Generalsekretär der Vereinten Nationen gerichteten Note vom 8. April 1974 mitgeteilt, daß sie Kapitel II WÜK so auslegt und anwendet, daß die darin enthaltenen Bestimmungen für alle Berufsbediensteten konsularischer Vertretungen – also für Konsularbeamte, Bedienstete des Verwaltungs- oder technischen Personals und Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals – einschließlich derjenigen Bediensteten gelten, die einer von einem Honorarkonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretung zugeteilt sind. Dabei hat sie auf eine vergleichbare Erklärung der Regierung des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland Bezug genommen.268 Zwar kann ein Staat den Mitgliedern einer konsularischen Vertretung eines anderen Staates – wie Art. 72 Abs. 2 lit. b) und Art. 73 Abs. 2 WÜK zeigen – völkerrechtlich weitergehende Vorrechte und Befreiungen einräumen, als im WÜK vorgesehen sind. Doch wäre hierfür, damit diese weitergehenden Vorrechte auch innerstaatlich für die bundesdeutschen Strafverfolgungsorgane verbindlich wären, eine bundesgesetzliche Grundlage erforderlich. Eine solche bundesgesetzliche Grundlage wäre beispielsweise ein Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag, mit dem über das WÜK hinausgehende Exemtionen zwischen Deutschland und einem anderen Staat vereinbart würden. Doch handelt es sich bei der genannten Note der Bundesregierung um eine einseitige Erklärung der Bundesregierung, der kein entsprechendes Bundesgesetz zugrunde liegt. Damit kann sie nur als eine – aus innerstaatlicher bundesdeutscher Sicht unverbindliche – Interpretationserklärung verstanden werden. Für die bundesdeutschen Strafverfolgungsorgane stellt die Erklärung damit nicht mehr und nicht weniger als ein Hinweis darauf dar, wie die Bundesregierung 1974 das WÜK interpretiert hat. Da die Gerichte aber gemäß Art. 97 Abs. 1 GG unabhängig und allein dem Gesetz unterworfen sind, ist die Erklärung für sie nur eine unverbindliche Information. Aus dem oben Gesagten geht jedoch bereits hervor, daß diese Interpretationserklärung nur zum Teil zu überzeugen vermag. Hinsichtlich der Mitglieder des Verwaltungs- oder technischen Personals ist die Regelung in Art. 58 Abs. 3 WÜK eindeutig. Art. 58 Abs. 3 WÜK regelt klar und deutlich, daß diesen Personen, auch wenn sie weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig ___________ 268 Bekanntmachung vom 12.6.1974; BGBl. 1974 II, S. 945. Siehe hierzu auch LRStPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 7; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 18 GVG Rn. 1; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 135, 252. Bei Richtsteig, a.a.O., S. 279 ist die Note der Bundesregierung abgedruckt.
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sind (dann gilt nämlich Art. 71 Abs. 2 WÜK), keinerlei Vorrechte und Befreiungen zukommen.269 Nichts anderes kann dann auch für Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals gelten.270 Hinsichtlich der Berufskonsularbeamten, die als entsandte Kräfte in einer von einem Wahlkonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretung tätig sind, besteht dagegen – wie bereits gesagt – eine echte Regelungslücke. Man könnte annehmen, daß diese, da Kapitel III WÜK für sie keinerlei Exemtionen vorsieht und Kapitel II gemäß Art. 1 Abs. 2 WÜK nicht (unmittelbar) anwendbar ist, gar keine Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen.271 Dann aber wären diese Konsularbeamten schlechter gestellt als Wahlkonsularbeamte, die entweder nach Art. 58 Abs. 2 oder nach Art. 71 Abs. 1 WÜK Immunitäten und Vorrechte genießen. Sie wären sogar schlechter gestellt als Berufskonsularbeamte, die im Empfangsstaat ständig ansässig sind oder sogar dessen Staatsangehörigkeit haben; denn für diese gilt ebenfalls Art. 71 Abs. 1 WÜK. Dies aber wäre mit der Systematik des WÜK nicht vereinbar. Insofern muß es als zutreffend angesehen werden, wenn diese Regelungslücke – wie von der Bundesregierung in ihrer Note erklärt worden ist – durch eine analoge Anwendung der Art. 41 ff. WÜK geschlossen wird. Denn zwischen den entsandten Berufskonsularbeamten, die in einer von einem Berufskonsularbeamten geleiteten Vertretung tätig sind, und denjenigen entsandten Berufskonsularbeamten, die in einer von einem Wahlkonsularbeamten geleiteten Vertretung tätig sind, besteht weder hinsichtlich ihrer persönlichen Situation noch ihres Tätigkeitsbereichs ein Unterschied. Die rechtliche Stellung des Leiters der Vertretung kann keine Rolle spielen. Damit kommt zwar den Berufskonsularbeamten bei einer analogen Anwendung der Art. 41 ff. WÜK insofern eine weiterreichende Exemtion zu als dem ihnen vorgesetzten Wahlkonsul, als sie auch die beschränkte persönliche Unverletzlichkeit nach Art. 41 Abs. 1 WÜK genießen, doch ist dies damit zu rechtfertigen, daß sie nicht nur „ehrenhalber“ und nebenberuflich als Konsularbeamte tätig sind, sondern Staatsbedienstete des Entsendestaates und somit „ehrwürdiger“ sind.
___________ Dies ist auch völkerrechtspolitisch hinnehmbar, weil sich diese Personen, soweit sie hoheitlich-dienstliche (konsularische) Amtshandlungen für ihren Staat vornehmen, immer noch auf die Staatenimmunität berufen können; vgl. oben Anm. 246 und unten § 13 V.2.c). 270 Wobei diese, wie gesagt, auch nach Kapitel II WÜK keine Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates genießen, insoweit also zu der von der Bundesregierung in ihrer Note vertretenen Auffassung kein Unterschied besteht. Doch würde ihnen nach der Auffassung der Bundesregierung das Zeugnisverweigerungsrecht nach Art. 44 Abs. 3 WÜK zukommen, welches nach der hier vertretenen Auffassung nicht besteht; vgl. diesbezüglich auch oben Anm. 266. 271 Auch dies wäre aus den oben in Anm. 269 genannten Gründen völkerrechtspolitisch hinnehmbar, wenngleich nicht befriedigend. 269
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c) Exemtionen für Familienangehörige und Mitglieder des Privatpersonals Familienangehörige von Mitgliedern einer konsularischen Vertretung, die von einem Wahlkonsularbeamten geleitet wird, genießen nach dem WÜK keinerlei Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit.272 Das gleiche gilt für Mitglieder des Privatpersonals. Insofern macht das WÜK also keinen Unterschied zwischen konsularischen Vertretungen, die von einem Berufskonsularbeamten geleitet werden, und solchen, deren Leiter ein Wahlkonsularbeamter ist. An dieser Stelle kann daher auf die Ausführungen oben bei § 12 I.2.d) verwiesen werden. d) Exemtionen für Mitglieder einer wahlkonsularischen Vertretung, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind Wahlkonsularbeamte, die – wie es der „Normalfall“ ist – im Empfangsstaat ständig ansässig sind oder die sogar dessen Staatsangehörigkeit besitzen, genießen gemäß Art. 71 Abs. 1 WÜK zwar ebenfalls Immunität ratione materiae, doch lediglich bezogen auf die eigentlichen Amtshandlungen. Eine begrenzte persönliche Unverletzlichkeit entsprechend Art. 41 Abs. 1 und 2 WÜK genießen sie gleichfalls nicht. Es kommt jedoch auch ihnen das Zeugnisverweigerungsrecht nach Art. 44 Abs. 3 WÜK zu. Die Rechtsstellung von Wahlkonsularbeamten, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, ist also identisch mit der von entsprechenden Berufskonsularbeamten, das heißt solchen Berufskonsularbeamten, die ebenfalls Angehörige des Empfangsstaates oder jedenfalls in diesem ständig ansässig sind. Denn Art. 71 Abs. 1 WÜK differenziert, anders als Kapitel II und III WÜK, nicht zwischen Berufs- und Wahlkonsularbeamten.273 Hinsichtlich des genauen Umfangs der den hier betrachteten Wahlkonsularbeamten zukommenden Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit kann daher auf die Ausführungen oben bei § 13 I.2.e)aa) verwiesen werden. Vergleicht man die Vorrechte und Befreiungen der beiden Arten von Wahlkonsularbeamten – also einerseits die Exemtionen der Wahlkonsularbeamten, die weder Staatsangehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind und deren Exemtionen sich nach Art. 58 Abs. 2 WÜK bestimmen, und andererseits die Exemtionen der Wahlkonsularbeamten, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind und deren Exemtionen sich nach Art. 71 Abs. 1 WÜK bestimmen –, so läßt sich folgendes festhalten: Beide Arten von Wahlkonsularbeamten genießen Immunität ratione materiae. Die erstgenannte Gruppe genießt jedoch funktionale Immunität für alle in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommene Handlungen, die zweite nur Immunität für die ei___________ 272 273
Vgl. auch Art. 58 Abs. 3 WÜK. Vgl. auch Art. 1 Abs. 3 WÜK.
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gentlichen Amtshandlungen. Die Immunität ratione materiae der erstgenannten Gruppe von Wahlkonsularbeamten ist also umfassender als die der zweitgenannten Gruppe. Dies ist allerdings auch der einzige Unterschied in der Rechtsstellung der beiden Arten von Wahlkonsularbeamten. Beide genießen ein Zeugnisverweigerungsrecht nach Art. 44 Abs. 3 WÜK. Und beiden kommt keine Unverletzlichkeit nach Art. 41 Abs. 1 und 2 WÜK zu, so daß sie hinsichtlich der Bereiche, die nicht von ihrer Immunität ratione materiae erfaßt werden, ohne Einschränkungen strafprozessualen Zwangsmaßnahmen ausgesetzt sein können. Den übrigen Mitgliedern einer wahlkonsularischen Vertretung, die Angehörige des Empfangsstaates oder zumindest in diesem ständig ansässig sind, stehen gemäß Art. 71 Abs. 2 WÜK nur insoweit Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu, als diese vom Empfangsstaat gewährt werden. Für die Bundesrepublik, die keine zusätzlichen Exemtionen gewährt, bedeutet dies, daß die Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals sowie die Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer wahlkonsularischen Vertretung, die die deutsche Staatsangehörigkeit haben oder jedenfalls in Deutschland ständig ansässig sind, keinerlei konsularische Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen. Da auch bezüglich dieser Personen kein Unterschied gemacht wird zwischen Beschäftigten einer berufskonsularischen und Beschäftigten einer wahlkonsularischen Vertretung, kann auch hinsichtlich der ihnen zukommenden Exemtionen auf die Darstellung oben bei § 13 I.2.e)bb) verwiesen werden.274 4. Exemtionen bei Wahrnehmung konsularischer Aufgaben durch Mitglieder einer diplomatischen Mission Wie bereits erwähnt,275 ist es gemäß Art. 3 Abs. 2 WÜD, Art. 3 Satz 2 und Art. 70 WÜK möglich, daß konsularische Aufgaben von einer diplomatischen Mission und damit auch von ihren Mitgliedern vorgenommen werden. In der Regel ist der diplomatischen Mission eines Landes heutzutage eine Konsularabteilung angeschlossen und errichten Staaten nur dann eigenständige Konsulate in anderen Staaten, wenn die Einrichtung einer konsularischen Vertretung zusätzlich auch an einem anderen Ort im Empfangsstaat für geboten erachtet wird. Es stellt sich daher die Frage, welche Exemtionen die Mitglieder einer diplomatischen Mission genießen, die mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben betraut sind, also funktional als Konsularbeamter oder Mitglied des Verwaltungs- oder technischen Personals einer konsularischen Vertretung tätig sind. Die Antwort, die Art. 70 Abs. 4 WÜK gibt, ist eindeutig: Die Vorrechte und Befreiungen dieser Personen richten sich auch in einem solchen Fall ausschließlich nach den Regeln des Völkerrechts ___________ 274 275
Siehe insofern auch Anm. 257 i.V.m. Anm. 246. Vgl. oben § 12 III.1. und V.1.
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über diplomatische Beziehungen, also nach dem WÜD.276 Es kommt mithin im konkreten Fall darauf an, welcher Kategorie von Mitgliedern einer diplomatischen Vertretung die betreffende Person zugeordnet ist: Danach bestimmt sich die Reichweite der ihr zustehenden Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit.277 Gleiches gilt nach Art. 15 Abs. 4 WÜK für den Fall, daß der Posten des Leiters einer konsularischen Vertretung zeitweilig nicht besetzt ist oder der Leiter wegen längerer Abwesenheit oder Krankheit nicht in der Lage ist, seine Aufgaben wahrzunehmen und der Entsendestaat gemäß Art. 15 Abs. 1 WÜK ein Mitglied seiner diplomatischen Mission im Empfangsstaat mit der Aufgabe betraut, eine konsularische Vertretung interimistisch zu leiten. Die betreffende Person genießt in diesem Fall – sofern der Empfangsstaat nicht widerspricht – weiterhin die ihr nach Diplomatenrecht entsprechend ihrem Status zukommenden Vorrechte und Befreiungen.278 5. Exemtionen für diplomatische und konsularische Kuriere Den diplomatischen Missionen und konsularischen Vertretungen ist nach Art. 27 Abs. 1 WÜD bzw. Art. 35 Abs. 1 WÜK vom Empfangsstaat freier Verkehr für alle amtlichen Zwecke zu gestatten. Für den Verkehr mit den Regierungsstellen des Entsendestaates, anderen Missionen sowie Konsulaten im Empfangsstaat können sich die Vertretungen aller geeigneten Mittel bedienen. Hierzu gehören nicht nur relativ moderne Kommunikationsmittel wie Telefon, E-Mail und Funkverkehr, sondern auch der Einsatz von Personen als Kuriere. Das Diplomaten- und das Konsularrecht schützen nicht nur die amtliche Korrespondenz und das Kuriergepäck als solches – unabhängig davon, wo es sich befindet und auch unabhängig davon, ob es von einem kommerziellen Brief- oder Paketdienst oder einem besonderen diplomatischen Kurier befördert wird.279 Geschützt ist vielmehr auch der Kurier als Person. Dieser genießt bestimmte Exemtionen, damit er die ihm obliegende Aufgabe der Überbringung von Nachrichten und Kuriergepäck ungehindert ausführen kann. Voraussetzung für einen Anspruch auf Exemtion ist allerdings gemäß Art. 27 Abs. 5 Satz 1 WÜD und Art. 35 Abs. 5 Satz 1 WÜK, daß der Kurier ein amtliches ___________ Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 34; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 6; Lee, Convention on Consular Relations, S. 171 ff.; ders., Consular Law and Practice, S. 604; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 977. 277 Dem Entsendestaat obliegt nach Art. 70 Abs. 2 WÜD allerdings die Pflicht, dem Empfangsstaat die Namen derjenigen Mitglieder seiner diplomatischen Mission zu notifizieren, die der Konsularabteilung zugeteilt oder sonst mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben beauftragt sind. 278 Vgl. den kommentierten Entwurf der ILC für eine Konsularrechtskonvention von 1961, YBILC 1961 II, 89 (103) (UN-Dokument A/4843). 279 Vgl. hierzu unten § 16 IV.2. 276
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Schriftstück mit sich führt, aus dem seine Stellung und die Anzahl der Gepäckstükke ersichtlich sind. Das WÜD und das WÜK unterscheiden zwischen zwei Arten von Kurieren. Zum einen gibt es den ständigen diplomatischen bzw. konsularischen Kurier nach Art. 27 Abs. 5 WÜD bzw. Art. 35 Abs. 5 WÜK. Dies ist eine Person, die im Rahmen eines ständigen Dienstverhältnisses permanent als Kurier eingesetzt ist. Eine solche Person genießt nach Art. 27 Abs. 5 Satz 2 WÜD und Art. 35 Abs. 5 Satz 4 WÜK persönliche Unverletzlichkeit und unterliegt keiner Festnahme oder Haft. Ihr kommt also lediglich Unverletzlichkeit in dem Sinne zu, daß sie (solange die Stellung als ständiger Kurier fortbesteht) keiner strafprozessualen Zwangsgewalt unterliegt.280 Der Kurier genießt aber keinerlei Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates.281 Somit dürfen gegen ihn gerichtete Strafverfahren grundsätzlich durchgeführt werden, gegen ihn dürfen lediglich keine strafprozessualen Zwangsmaßnahmen ergriffen werden.282 Zum anderen gibt es den diplomatischen und konsularischen Ad-hoc-Kurier nach Art. 27 Abs. 6 WÜD bzw. Art. 35 Abs. 6 WÜK. Dies ist eine Person, die lediglich für einen konkreten Auftrag zum Kurier ernannt wird. Auch eine solche Person genießt Unverletzlichkeit nach Art. 27 Abs. 5 Satz 2 WÜD respektive Art. 35 Abs. 5 Satz 4 WÜK, allerdings zeitlich begrenzt bis zur Aushändigung des ihm anvertrauten Kuriergepäcks an den Empfänger.283 Nach dem von der ILC 1989 der UN-Generalversammlung vorgelegten, aber von dieser bislang nicht weiter verfolgten Entwurf für eine Konvention zur einheitlichen Regelung des Rechts von Kurieren und von Kuriergepäck mit dem Arbeitstitel Status of the Diplomatic Courier and the Diplomatic Bag not Accompanied by Diplomatic Courier284 sollen Kuriere dagegen weitergehende Exemtionen genie___________ 280 Vgl. das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. VI.3.a); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 77. Art. 35 Abs. 5 Satz 2 WÜK gewährt aber nur einem solchen konsularischen Kurier strafrechtliche Unverletzlichkeit, der weder Angehöriger des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig ist. Art. 27 Abs. 5 WÜD enthält dagegen eine solche Beschränkung nicht. Ein diplomatischer Kurier genießt daher auch dann Unverletzlichkeit, unterliegt also keiner Festnahme oder sonstigen gegen seine Person gerichteten strafprozessualen Zwangsmaßnahmen, wenn er Angehöriger des Empfangsstaates bzw. in diesem ständig ansässig ist. 281 Die Terminologie ist nicht ganz einheitlich. Art. 27 Abs. 6 WÜD spricht nämlich in bezug auf die in Art. 27 Abs. 5 WÜD gewährte Unverletzlichkeit von Immunität. Das gleiche gilt für Art. 35 Abs. 6 WÜK. 282 Dies schließt aber die Vornahme von Abwehrmaßnahmen nicht aus. Insofern gilt das zu Diplomaten Gesagte entsprechend. Vgl. zur Abgrenzung von Immunität zu Unverletzlichkeit auch die Ausführungen oben bei § 13 I.1.a)dd). 283 Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 77. 284 Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1989, YBILC 1989 vol. II/2, S. 14 ff. Vgl. zu diesem Entwurf auch unten § 16 IV.2.g).
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
ßen. Zwar sieht auch Art. 16 des Entwurfs eine Unverletzlichkeit in dem Sinne vor, daß strafprozessuale Zwangsmaßnahmen untersagt sind.285 Doch legt Art. 18 des Entwurfs darüber hinaus eine Immunität ratione materiae fest.286
II. Abgrenzung von durch Immunität ratione materiae geschütztem Handeln zu nicht erfaßten Verhaltensweisen 1. Problemlage Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer diplomatischen Mission genießen – wie gezeigt – gemäß Art. 37 Abs. 3 WÜD lediglich strafrechtliche Immunität in bezug auf ihre „in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Handlungen“. Gleiches gilt gemäß Art. 43 Abs. 1 WÜK für Konsularbeamte und Mitglieder des Verwaltungs- oder technischen Personals einer berufskonsularischen Vertretung sowie gemäß Art. 58 Abs. 2 WÜK für Wahlkonsularbeamte. Art. 43 Abs. 1 WÜK formuliert, daß alle „Handlungen, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen worden sind“, der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates entzogen sind. Diesen Personengruppen kommt also lediglich Immunität ratione materiae zu, und zwar – wie bereits erläutert – eine umfassende funktionale Immunität, die sämtliche dienstliche diplomatische bzw. konsularische Handlungen erfaßt. Diplomaten und Konsularbeamte, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, genießen gemäß Art. 38 Abs. 1 WÜD bzw. Art. 71 Abs. 1 WÜK ebenfalls allein Immunität ratione materiae, wenngleich nicht umfassend für alle dienstlichen diplomatischen oder konsularischen Handlungen, sondern nur für solche, die als Amtshandlungen einzustufen sind. Beide Normen sprechen von Immunität „in bezug auf die in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Amtshandlungen“ bzw. „wegen ihrer in Wahrnehmung ihrer Aufgaben vorgenommenen Amtshandlungen“. Damit stellt sich die Frage der Abgrenzung derjenigen Handlungen, die von einer Immunität ratione materiae umfaßt sind, von denjenigen Verhaltensweisen, die ___________ Vgl. die Kommentierung der ILC zu Art. 16, YBILC 1989 vol. II/2, S. 27. In Art. 18 Abs. 1 heißt es: “The diplomatic courier shall enjoy immunity from the criminal jurisdiction of the receiving State or the transit State in respect of acts performed in the exercise of his functions.”, YBILC 1989 vol. II/2, S. 29 f. Eine funktionelle Notwendigkeit für eine solche Immunität von der Strafgerichtsbarkeit besteht aber nicht. Denn durch die in Art. 16 vorgesehene Unverletzlichkeit ist der Kurier bereits ausreichend vor Maßnahmen des Empfangs- oder Transitstaates geschützt, die seine Funktionsausübung behindern könnten. Eine Immunität von der Strafgerichtsbarkeit zusätzlich zur persönlichen Unverletzlichkeit kann daher nicht befürwortet werden und wird auch von den Staaten, die sich zu dem Entwurf geäußert haben, abgelehnt. Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 207 f. 285 286
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nicht durch eine solche Exemtion geschützt sind. Wann also kann man im Diplomaten- und Konsularrecht von einer „in Ausübung der dienstlichen (diplomatischen oder konsularischen) Tätigkeit“ bzw. von einer „diplomatischen oder konsularischen Amtshandlung“ sprechen? Hinsichtlich der Diplomaten, der Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission sowie ihrer Familienangehörigen scheint sich auf den ersten Blick die Frage einer solchen Abgrenzung zu erübrigen. Denn diese Personen genießen nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD und Art. 37 Abs. 1 und 2 WÜD umfassende Immunität ratione personae. Doch gilt die Immunität ratione personae nur zeitlich begrenzt. Sie erlischt – wie unten in § 13 III.2. näher erläutert wird – bei Dienstbeendigung. Allerdings erlischt sie nicht vollständig, denn gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD bleibt die Immunität dieser Personen für die in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit als Mitglied der Mission vorgenommenen Handlungen weiterhin bestehen.287 Nach Dienstbeendigung genießen also auch diese Personen „nur noch“ eine Immunität ratione materiae (im weiten Sinne) für ihre Diensthandlungen.288 Dann spielt die hier zu erörternde Abgrenzungsfrage auch hinsichtlich dieser Personen eine Rolle.289 2. Ausschluß vor Beginn oder nach Beendigung der Beschäftigung als Mitglied einer Vertretung vorgenommener Handlungen Auf keinen Fall von einer Immunität ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts umfaßt sind Handlungen, die eine durch eine solche Exemtion geschützte Person vor dem Beginn ihrer Beschäftigung als Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung oder nach Beendigung ihrer dienstlichen Tätigkeit vorgenommen hat, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um eine dienstlich veranlaßte Handlung oder eine Amtshandlung im Rahmen eines früheren oder späteren Dienstverhältnisses für den Entsendestaat oder einen Drittstaat handelt. Denn die einschlägigen Artikel des WÜD und des WÜK, die Immunität ratione materiae gewähren, beziehen sich mit der Verwendung der Formulierungen „dienstliche Tätigkeit“, „konsularische Handlungen“ bzw. „Amtshandlungen“ nur auf Handlungen, die in einem Zusammenhang stehen mit der Funktion der betreffenden Person als Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung. Von einer Immunität ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates können also nur solche Taten ___________ 287 Dies betrifft selbstverständlich nicht die Familienangehörigen, da sie keine dienstliche diplomatische Tätigkeit ausüben. 288 Die Immunität ratione materiae der Diplomaten und Mitglieder des Verwaltungsund technischen Personals einer diplomatischen Mission ist während ihrer Dienstzeit von ihrer weiterreichenden Immunität ratione personae mitumfaßt und gewissermaßen eine Teilmenge dieser Immunität. 289 Vgl. Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 109 f.
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erfaßt werden, die während des Zeitraums der Beschäftigung als Mitglied einer im Empfangsstaat errichteten diplomatischen oder konsularischen Vertretung begangen werden. Für vor Beginn einer Beschäftigung als Mitglied einer Vertretung begangene Taten genießen nur die Personen nach Diplomaten- und Konsularrecht Immunität, denen umfassende Immunität ratione personae zukommt, und auch diese nur während ihrer Dienstzeit. Dies bedeutet aber nicht, daß andere Mitglieder diplomatischer oder konsularischer Vertretungen für Taten, die sie vor Dienstbeginn begangen haben, stets vom Empfangsstaat strafrechtlich verfolgt werden können und einer Strafverfolgung wegen Taten, die nach Beendigung der dienstlichen Tätigkeit begangen worden sind, nie eine völkerrechtliche Exemtion entgegenstehen kann. Denn die obigen Feststellungen beziehen sich ausschließlich auf Exemtionen nach Diplomaten- und Konsularrecht. Das Eingreifen anderer völkerrechtlicher Exemtionen ist eigenständig zu beurteilen. So steht einer Strafverfolgung wegen für einen anderen Staat vorgenommener hoheitlich-dienstlicher Handlungen grundsätzlich – unabhängig von den Exemtionen des Diplomaten- und Konsularrechts und unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Vornahme – die Staatenimmunität entgegen.290 Schon diese hier getroffenen Feststellungen zeigen, daß es bei der Frage der Reichweite der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts nicht nur um eine Abgrenzung von (geschützten) dienstlichen Handlungen zu (nicht geschützten) privaten Handlungen geht. Dies wird in der Literatur zwar überwiegend behauptet,291 doch ist eine solche Betrachtung allzu oberflächlich. 3. Unerheblichkeit der Strafbarkeit bzw. Rechtswidrigkeit eines Verhaltens In der Literatur findet man zum Teil folgende Argumentation, die in ähnlicher Weise auch in bezug auf die Staatenimmunität vertreten wird und sobereits diskutiert worden ist:292 Die Begehung von Straftaten bzw. die Vornahme von Handlungen, die nach der Rechtsordnung des Empfangsstaates oder nach Völkerrecht verboten sind, gehöre nicht zu den Aufgaben von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen. Die Begehung einer Straftat bzw. die Vornahme einer rechtswidrigen Handlung könne daher niemals als dienstliche Handlung angesehen ___________ Vgl. unten § 13 V.2.c). So etwa Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 278, 311 f.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 679; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (72); Economedès, Consuls, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 770 (775); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 42; Malanczuk, Introduction to International Law, S. 126; Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (399). 292 Vgl. oben § 5 III.1.b) und c). 290 291
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werden. Strafbare bzw. rechtswidrige Handlungen könnten also generell nicht von einer Immunität ratione materiae, die ja allein für dienstliche Handlungen gelte, erfaßt werden.293 Doch kann dieser Gedankengang auch bezogen auf die diplomatischen und konsularischen Exemtionen nicht überzeugen.294 Zum einen bräuchte man dann überhaupt keine strafrechtliche Immunität ratione materiae zu gewähren. Denn eine Immunität bloß für rechtmäßiges Verhalten zu gewähren, ergäbe keinerlei Sinn.295 Die funktionalen Immunitäten liefen nach dieser Auffassung leer.296 Bereits die Tatsache, daß das WÜD und das WÜK für dienstliche Handlungen Immunitäten von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gewähren, zeigt, daß auch Handlungen, die nach dem Recht des Empfangsstaates strafbar sind, dienstliche Handlungen sein und mithin einer Immunität ratione materiae unterfallen können. Zum anderen simplifiziert diese Auffassung die Rechtswirklichkeit zu sehr. Es ist zwar selbstverständlich richtig, daß die Begehung von Straftaten nicht zu den diplomatischen und konsularischen Aufgaben gehört. Generell ist es nicht Aufgabe eines Staates, Straftaten zu begehen. Aber es wird kein Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung dienstliche Tätigkeiten verrichten allein mit ___________ 293 Cahier, IC 571 (1969), 5 (35); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (449) (bezogen auf Verstöße gegen völkerstrafrechtliche Normen); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 550, wo es allerdings einschränkend heißt “this is certainly likely to be true of serious crimes, although there is more room for doubt where lesser offences are concerned”. Ferner Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (76 f.), der meint, “It is difficult to imagine illegal activities falling within diplomatic functions.” Zudem Vicuna, ICLQ 40 (1991), 34 (47 f.), der diese These zwar nicht im Hinblick auf alle Straftaten, wohl aber im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen vertritt. Siehe auch Lee, Convention on Consular Relations, S. 129 und Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 80 f., die auf zwei Entscheidungen des chilenischen Supreme Court von 1988 verweisen, in denen Klagen wegen behaupteter Begehung von Menschenrechtsverletzungen als zulässig angesehen wurden, obwohl die Beklagten Immunität (ratione materiae) genossen (die Entscheidungen sind wiedergegeben in ILR 89, 45 und ILR 89, 60). Doch sind diese Entscheidungen, die gegen deutsche Auslandsvertreter ergingen, die im Rahmen ihrer diplomatischen bzw. konsularischen Tätigkeit Menschenrechtsverletzungen in der von deutschstämmigen Chilenen geführten „Colonia Dignidad“ untersuchten, zum einen als Teil der politischen Kampagne Chiles einzustufen, die Geschehnisse in der Siedlung zu vertuschen. Zum anderen hat das Gericht nicht, wie Lüke, a.a.O., meint, entschieden, völkerrechtswidrige Menschenrechtsverletzungen seien vom Schutzbereich der Exemtionen ratione materiae ausgenommen, sondern formal argumentiert und behauptet, die chilenische Verfassung lasse Klagen der erhobenen Art zu. Da die in chilenisches Recht transformierten völkerrechtlichen Exemtionsregelungen innerstaatlich nur den Rang einfachen Gesetzesrechts hätten, könnten sie die verfassungsrechtlich garantierte Klagemöglichkeit nicht beschränken. Vgl. zu diesen Entscheidungen auch Vicuna, ICLQ 40 (1991), 34 (36 ff.), der die Argumentation des Gerichts zutreffend analysiert. 294 Siehe zur Kritik an dieser Argumentation in bezug auf die Staatenimmunität oben § 5 III.1.c)dd). 295 So auch BVerfGE 96, 68 (81) = NJW 1998, 50 (52). 296 So auch BVerfGE 96, 68 (82) = NJW 1998, 50 (52); Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (72).
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dem Ziel, eine Straftat zu begehen. Es kann jedoch sein – und für solche Fälle wird Immunität ratione materiae gewährt –, daß mit der Vornahme einer Handlung, die dienstlichen Charakter hat, weil sie der Erfüllung diplomatischer oder konsularischer Aufgaben dient, gleichzeitig eine Straftat begangen wird, sei es, weil die Art und Weise der Durchführung gegen Strafgesetze verstößt, sei es, weil die Handlung als solche unter Strafe gestellt ist. In einem solchen Fall, in dem mit der Handlung die Erfüllung diplomatischer oder konsularischer Aufgaben intendiert ist, kann und muß aber auch dann von einer Diensthandlung gesprochen werden, wenn sich die handelnde Person nach dem Recht des Empfangsstaates strafbar macht. Diese Argumentation gilt ebenso, wenn die Tat zwar nicht strafbar, wohl aber rechtswidrig ist. Zwei Beispiele können dies verdeutlichen: Wenn der Fahrer einer Botschaft den Botschafter zu einem dienstlichen Gespräch mit dem Außenminister des Empfangsstaates von der Mission ins Außenministerium fährt und dabei, weil die Zeit drängt, die zulässige Höchstgeschwindigkeit deutlich überschreitet, rechts überholt und an unübersichtlichen Stellen die Gegenfahrbahn mitbenutzt, wobei er mehrere andere Autofahrer zu riskanten Ausweichmanövern zwingt, so stellt die Art und Weise der Dienstfahrt eine Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB dar. Die Handlung ist also strafbar. Dennoch wäre es verfehlt, die Fahrt wegen ihrer Strafbarkeit nicht als dienstliche Handlung zu bewerten. Ein Konsul, der einen Beamten des Wirtschaftsministeriums des Empfangsstaates dazu verleitet, ihm geheimzuhaltende Daten über die Wirtschaftsentwicklung im Land mitzuteilen, kann sich wegen Anstiftung zur Verletzung des Dienstgeheimnisses nach §§ 353b Abs. 1, 26 StGB strafbar machen. Dennoch hat er seine Handlung im Rahmen der konsularischen Aufgabe der Informationsbeschaffung vorgenommen und ist die Tätigkeit als dienstliche Tätigkeit einzustufen. Der dienstliche Charakter und damit die Möglichkeit einer Erfassung einer Handlung von einer Immunität ratione materiae kann also nicht schon deshalb verneint werden, weil eine Handlung nach dem Recht des Empfangsstaates strafbar ist bzw. gegen die Rechtsordnung des Empfangsstaates oder das Völkerrecht verstößt.297 Dies gilt auch dann, wenn eine besonders schwere Straftat begangen wird, etwa ein Tötungsdelikt oder ein völkerrechtliches Verbrechen. Auch solche Handlungen können dienstliche diplomatische oder konsularische Handlungen sein. ___________ So auch BVerfGE 96, 68 (80 ff.) = NJW 1998, 50 (51 f.); BGHSt 36, 396 (401) = NJW 1990, 1799 (1800); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 133; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 311 f.; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (72); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 42; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 62; Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 63 f.; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 77, 90; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 217; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 759. 297
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4. Ausschluß von Gelegenheitshandlungen Ebenso wie Taten, die vor oder nach der Zeit der Beschäftigung als Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung begangen worden sind, sind auch Handlungen, die lediglich bei Gelegenheit der Ausübung des Dienstes vorgenommen werden, nicht von einer Immunität ratione materiae umfaßt. Ein rein zeitlicher, äußerer Zusammenhang zwischen der Ausübung von Dienstgeschäften und der Begehung einer rechtswidrigen Tat reicht nicht aus. Eine Tathandlung muß vielmehr, um von einer Amtsimmunität erfaßt werden zu können, in einem inneren sachlichen Zusammenhang mit der Vornahme von Dienstgeschäften stehen. Die Tathandlung muß aufgrund der Art und Weise ihrer Vornahme und der mit ihr verfolgten Intention sachlich als Bestandteil eines Dienstgeschäfts zu klassifizieren sein.298 So darf beispielsweise ein Konsularbeamter einer ausländischen Vertretung in Deutschland, der ein Wirtschaftsunternehmen besucht und während eines dienstlichen Rundgangs durch die Produktionsstätten Produkte für eigene Zwecke entwendet, wegen dieses Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) strafrechtlich verfolgt werden. Da die Tat nur aus persönlicher Motivation heraus bei Gelegenheit der Vornahme eines Dienstgeschäfts begangen wird, unterfällt sie nicht seiner Immunität ratione materiae nach Art. 43 Abs. 1 WÜK.299 Wenn ein Konsularbeamter während der Ausstellung eines Visums die Antragstellerin festhält und ihr unsittlich unter die Kleidung faßt, so steht der Verfolgung dieser Tat, die lediglich unter Ausnutzung der sich bei Vornahme des Dienstgeschäfts bietenden Gelegenheit begangen wird, als sexuelle Nötigung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB) die Immunität ratione materiae ebenfalls nicht entgegen.300
___________ 298 So auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 77 f.; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 366; Whomersley, ICLQ 41 (1992), 848 (856). Vgl. auch die Entscheidung des Brüsseler Court of Appeals aus dem Jahr 1977, ILR 77, 410 (411 f.), in der dem Fahrer einer Botschaft, der im Rahmen einer privaten Streitigkeit den Botschafter getötet hatte, keine Immunität zuerkannt wurde. Siehe zu diesem Fall auch Denza, Diplomatic Law, S. 337. 299 Aufgrund der beschränkten persönlichen Unverletzlichkeit des Art. 41 Abs. 1 WÜK scheiden aber eine Festnahme und die Anordnung von Untersuchungshaft aus. Vgl. hierzu oben § 13 I.2.a)dd) und ee). 300 In diesem Fall ist sogar die Verhängung von Untersuchungshaft zulässig, da eine schwere strafbare Handlung i.S.d. Art. 41 Abs. 1 WÜK vorliegt. Vgl. oben § 13 I.2.a)ee). Über einen solchen Sachverhalt hatte der New Zealand Supreme Court 1977 zu entscheiden; er stellte zutreffend fest, der Konsularbeamte habe nicht in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben gehandelt; vgl. ILR 68, 175 (179).
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5. Die Erforderlichkeit der Erfüllung vom WÜD und vom WÜK anerkannter diplomatischer oder konsularischer Aufgaben Das BVerfG und Teile der Literatur vertreten die Auffassung, eine Tat sei schon dann als „in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit“ verübt zu bewerten, wenn sie nur für den Entsendestaat und in der Funktion als staatlicher Bediensteter des Entsendestaates vorgenommen worden sei. Jede im Auftrag, auf Veranlassung oder im Interesse des Entsendestaates begangene Handlung sei eine in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit vorgenommene Handlung. Es sei unerheblich, ob das Verhalten zur Erfüllung einer diplomatischen oder konsularischen Aufgabe im Sinne des Art. 3 WÜD bzw. Art. 5 WÜK gedient habe.301 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Diese Auffassung verkennt den (begrenzten) Sinn und Zweck der funktionalen diplomatischen und konsularischen Exemtionen. Diese sollen nicht die Vertreter des Entsendestaates bei der Vornahme irgendwelcher Handlungen für den Entsendestaat im Empfangsstaat schützen. Ein solch weitreichender Schutz wäre weder völkerrechtlich geboten noch kann vom Empfangsstaat verlangt werden, sämtliche für einen fremden Staat vorgenommene Handlungen, nur weil die handelnde Person Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung ist, ohne Möglichkeit einer strafrechtlichen Reaktion hinnehmen zu müssen. Die diplomatischen und konsularischen Exemtionen sollen der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der diplomatischen und konsularischen Vertretungen dienen. Sie werden gewährt, damit die Mitglieder der Vertretungen ihre diplomatischen und konsularischen Aufgaben wahrnehmen können, für deren Erfüllung allein sich daher die Gewährung von diplomatischen und konsularischen Exemtionen ratione materiae legitimieren läßt. Art. 43 Abs. 1 WÜK macht diese den diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae immanente Beschränkung deutlich, indem allein von Immunität für Handlungen gesprochen wird, die „in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen worden sind“.302 Wenn in Art. 37 Abs. 3, Art. 38 Abs. 1 und Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD bzw. Art. 71 Abs. 1 WÜK von „dienstlicher Tätigkeit“ bzw. „Amtshandlungen“ gesprochen wird, so sind damit nicht irgendwelche dienstlichen Tätigkeiten und irgendwelche Amtshandlungen gemeint, sondern gleichfalls nur solche, die der Wahrnehmung diplomatischer oder konsularischer Aufgaben dienen. ___________ 301 BVerfGE 96, 68 (81) = NJW 1998, 50 (52); Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 62; Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 64. 302 Vgl. Dinstein, Consular Immunity, S. 57 ff. Noch deutlicher ist die Formulierung in Art. 11 Abs. 1 Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland vom 30.7.1956; BGBl. 1957 II, S. 285 (291): „Ein Konsul oder Konsulatsangehöriger kann bei den Gerichten des Empfangsstaats wegen Handlungen, die er in seiner amtlichen Eigenschaft vorgenommen hat und die nach Völkerrecht in den Aufgabenbereich eines Konsuls fallen, (…) nicht belangt werden.“
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Welche Tätigkeiten der Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen zum Kreis der diplomatischen bzw. konsularischen Aufgaben gezählt werden dürfen, können weder der Entsendestaat noch der Empfangsstaat einseitig festlegen. Vielmehr ist der völkerrechtlich anerkannte Aufgabenkreis in Art. 3 WÜD und Art. 5 WÜK definiert.303 Allerdings lassen beide Normen die Erfüllung weiterer Aufgaben zu, jedoch nur, wenn und solange beide Staaten hiermit einverstanden sind.304 Daraus folgt, daß nur solche dienstlichen Handlungen, die der Erfüllung nach Art. 3 WÜD bzw. Art. 5 WÜK zulässiger diplomatischer oder konsularischer Aufgaben dienen, von einer Immunität ratione materiae erfaßt sein können.305 Allerdings legen Art. 3 WÜD und Art. 5 WÜK jeweils einschränkend fest, daß die Interessen des Entsendestaates nur „innerhalb der völkerrechtlich zulässigen Grenzen“ vertreten werden dürfen. Eine solche Grenze stellt das Gebot der Beachtung des Rechts des Empfangsstaates in Art. 41 Abs. 1 WÜD und Art. 55 Abs. 1 WÜK dar. Die Aufgabe, sich über die Verhältnisse im Empfangsstaat zu unterrichten, ist sogar ausdrücklich dahingehend eingeschränkt, daß dies „mit rechtmäßigen Mitteln“ zu erfolgen habe. Dies bedeutet nun aber nicht, daß rechtswidrige Handlungen nicht von Immunitäten ratione materiae erfaßt werden können – diese These wurde bereits zurückgewiesen. Die Feststellung, daß nur solche Handlungen von einer Immunität ratione materiae erfaßt sein können, die zum völkerrechtlich anerkannten Aufgabenkreis der diplomatischen und konsularischen Vertretungen im Sinne der Art. 3 WÜD und Art. 5 WÜK gehören, bezieht sich vielmehr lediglich auf die dort genannten Tätigkeiten als solche, unerheblich davon, ob sie im Einzelfall nach dem Recht des Empfangsstaates rechtmäßig sind oder nicht. Denn die Art. 3 WÜD und Art. 5 WÜK wollen nicht nur die Aufgaben als solche beschreiben (allein auf diese Funktion der Artikel kommt es hier an), sondern zugleich auf___________ Vgl. zu den (zulässigen) diplomatischen und konsularischen Aufgaben oben § 12 V. Für Art. 3 WÜD ergibt sich dies aus der einleitenden Formulierung „unter anderem“ in Abs. 1, für Art. 5 WÜK aus Art. 5 lit. m). 305 Ebenso Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (82, 89); ders., Consular Immunity, S. 54 f., 57 ff.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 14; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 77, 89; Polakiewicz, ZaöRV 50 (1990), 761 (763); Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 217; Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (400); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 111, 410 f.; Shearer, Starke’s International Law, S. 202, 391; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 292 f.; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (449). Das KG Berlin betonte in dem Verfahren, das der oben in Anm. 301 genannten Entscheidung des BVerfG zugrunde lag, es könne immerhin naheliegen, eine dienstliche Tätigkeit dann zu verneinen, wenn die Handlungsweise mit den einem Diplomaten zugewiesenen Aufgaben nach allgemeiner Überzeugung nicht einmal mehr in einem entfernten Zusammenhang stehe; vgl. BVerfGE 96, 68 (73) (Passage in der NJW nicht abgedr.). Der Supreme Court von Chile hat 1988 nur Handlungen i.S.v. Art. 3 WÜD als von diplomatischer Immunität umfaßt angesehen, dabei jedoch verkannt, daß die Immunität des Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD keine Immunität ratione materiae ist. Vgl. ILR 89, 45 und Vicuna, ICLQ 40 (1991), 34 (39) sowie oben Anm. 293. 303 304
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zeigen, in welcher Form die Aufgaben zulässigerweise wahrgenommen werden dürfen. Das Einholen von Informationen beispielsweise ist als solches eine anerkannte Aufgabe. Diese darf jedoch gemäß Art. 3 WÜD und Art. 5 WÜK nur in einer rechtmäßigen Art und Weise wahrgenommen werden. Zu Recht hat der BGH deshalb in einem Fall, in dem es darum ging, daß Konsularbeamte des türkischen Generalkonsulats in Hamburg einen in der Hamburger Untersuchungshaftanstalt beschäftigten türkischen Sozialarbeiter dazu bestimmt hatten, ihnen geheimzuhaltende Informationen über die Namen, die Straftaten und die politischen Einstellungen in der Haftanstalt einsitzender Türken unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften zu übermitteln, dieses Verhalten, das von der Staatsanwaltschaft als geheimdienstliche Agententätigkeit (§ 99 StGB) bewertet wurde, als Tätigkeit „in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben“ (Art. 43 Abs. 1 WÜK) bewertet und den beschuldigten Konsularbeamten Immunität ratione materiae zugesprochen.306 Das Verhalten war zwar rechtswidrig, gleichwohl diente es der Einholung von Informationen über die im Empfangsstaat befindlichen Staatsbürger des Entsendestaates und damit der Erfüllung einer als solcher legitimen konsularischen Aufgabe. Auch Spionagehandlungen können also diplomatischer und konsularischer Immunität ratione materiae unterfallen.307 Der Kreis der dienstlichen Handlungen, die zu den zulässigen Aufgaben diplomatischer und konsularischer Vertretungen gezählt werden können, ist zugegebenermaßen sehr weit, so daß die hier vertretene Beschränkung der Immunitäten ratione materiae nur in den seltensten Fällen eine praktisch relevante Eingrenzung darstellen dürfte. So ging es in dem Strafverfahren, das der eingangs erwähnten Entscheidung des BVerfG zugrunde lag, darum, daß der Leiter der diplomatischen Mission Syriens in der DDR es nicht unterbunden hatte, daß Mitglieder einer terroristischen Gruppierung, die in den Räumlichkeiten der Mission Sprengstoff deponiert hatten, der spä___________ Vgl. BGHSt 36, 396 (400 ff.) = NJW 1990, 1799 (1800). Dieser Auffassung scheint auch das BVerfG zu sein, wenn es in BVerfGE 92, 277 (321) = NJW 1995, 1811 (1813) die konsularischen Exemtionen als Schranke für eine Strafverfolgung wegen Spionagetaten erwähnt. Ebenso Frowein/Wolfrum/Schuster, Gutachten, S. 18. A.A. offenbar ein schweizerisches Gutachten vom 31.1.1979, SchwJIR 36 (1980), 210 ff., wonach einem ehemaligen Diplomaten nach Rückkehr in den Empfangsstaat keine Immunität für während der Dienstzeit begangene Spionagetaten gewährt zu werden brauche. Unter Berufung auf dieses Gutachten gleichfalls gegen eine Immunität ehemaliger Diplomaten für Spionagetaten Herdegen, ZaöRV 47 (1987), 221 (224 f.). Vgl. hierzu auch Albrecht/Kadelbach, NJ 1992, 137 (139). Die Auffassung von Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 368, die Informationsbeschaffung ohne oder gegen den Willen der Betroffenen gehöre nicht zu konsularischen Aufgaben, findet in Art. 5 WÜK und der Staatenpraxis keinen Rückhalt. Abzulehnen ist damit auch die allzu pauschale Behauptung von Sen, Diplomat’s Handbook, S. 292 f., Spionageaktivitäten unterfielen nicht der konsularischen Immunität. Unklar Schuster, ZaöRV 51 (1991), 651 (658), der lediglich die Immunität ratione personae der Diplomaten als völkerrechtliche Schranke für eine Strafverfolgung wegen Spionagetaten erwähnt. 306 307
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ter zur Begehung eines Anschlags in West-Berlin verwendet wurde, diesen danach wieder an sich nahmen.308 Selbst ein solches Verhalten ist noch als dienstliche diplomatische Tätigkeit zu bewerten.309 Denn es darf – wie gesagt – nicht auf die Strafbarkeit des Verhaltens abgestellt werden, sondern nur darauf, daß der Botschafter es erlaubte, Sachen, die in den Räumlichkeiten der Mission zeitweilig deponiert waren, zu entfernen. Eine solche Entscheidung in Ausübung des Hausrechts über die Räumlichkeiten ist aber Teil der dienstlichen diplomatischen Tätigkeit. Zwar ist die Ausübung des Hausrechts in Art. 3 WÜD nicht explizit als Aufgabe genannt, doch sind Tätigkeiten, die eine Wahrnehmung einzelner genannter Aufgaben erst möglich machen, und hierzu gehören auch sämtliche die Nutzung der dienstlichen Räumlichkeiten betreffende Entscheidungen und Handlungen, notwendigerweise zu den vom WÜD erlaubten Aufgaben zu zählen. Allgemein gesprochen erlauben die Art. 3 WÜD und Art. 5 WÜK nicht nur die unmittelbare Wahrnehmung der genannten Aufgaben, sondern auch solche Tätigkeiten, die erforderlich sind, damit die aufgeführten Funktionen überhaupt ausgeübt werden können. Man kann hier in Anlehnung an die Terminologie des Staatsrechts von einer „Annexkompetenz“ oder „Kompetenz kraft Sachzusammenhangs“ sprechen, die sich zwar nicht unmittelbar aus der Kompetenznorm ergibt, aber gegeben sein muß, damit die eigentlichen Funktionen sinnvoll erfüllt werden können. Hierzu gehören beispielsweise neben Handlungen, die die Nutzung der diplomatischen oder konsularischen Räumlichkeiten betreffen, auch Personalentscheidungen und Handlungen im Zusammenhang mit dem Erwerb von für die Aufgabenwahrnehmung benötigten Gegenständen. Als ein Beispiel aus der Staatenpraxis für eine Tätigkeit, die im Namen und im Auftrag des Entsendestaates ausgeübt wurde, damit eine dienstliche Tätigkeit für den Entsendestaat war, aber nichts mit der Erfüllung diplomatischer oder konsularischer Aufgaben zu tun hatte, kann der Fall des „Betreibens eines Reisebüros“ durch neuseeländische Diplomaten in den USA angeführt werden. Die Diplomaten hatten im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit Flugreisen unmittelbar vermittelt. Die USA protestierten hiergegen im Mai 1985 und betonten, die (zulässige) Aufgabe der Förderung des Tourismus in Neuseeland erlaube nicht das Betreiben eines Reisebüros.310 ___________ Vgl. auch die ausführliche Analyse dieser Entscheidung des BVerfG unten in § 13 III.2.c)bb) und in § 15 I.4. 309 So auch BVerfGE 96, 68 (81 f.) = NJW 1998, 50 (52); Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (73). A.A. aber in diesem Verfahren das KG Berlin; vgl. die Ausführungen in BVerfGE 96, 68 (70) (Passage in der NJW nicht abgedr.). 310 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 269; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 486 Fn. 7. Die britische Regierung verkündete daraufhin 1985, daß sie Räumlichkeiten, in denen Entsendestaaten Reisebüros betreiben, nicht (mehr) als geschützte Räumlichkeiten diplomatischer Missionen ansehe; vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 18, 35 f. 308
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Unerheblich für die Frage, ob im Einzelfall eine dienstliche diplomatische oder konsularische Tätigkeit vorliegt oder nicht, ist, ob sich das handelnde Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung im Rahmen des vom Entsendestaat erteilten Auftrags gehalten hat oder nicht. Ein Überschreiten der im Innenverhältnis zum Entsendestaat bestehenden Vollmacht oder ein Verstoß gegen interne Kompetenz- und Zuständigkeitsregeln ist im Außenverhältnis zum Empfangsstaat irrelevant.311 Es kommt also für die Frage, ob einem Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung vom Empfangsstaat Immunität ratione materiae von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu gewähren ist, ausschließlich darauf an, ob die Tat der Erfüllung einer völkerrechtlich legitimierten diplomatischen oder konsularischen Aufgabe dienen sollte. 6. Unerheblichkeit der Differenzierung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis Die Staatenimmunität gilt – wie oben in § 5 III.2. dargelegt – auch in ihrer Ausprägung als Immunität ratione materiae staatlicher Funktionsträger von strafrechtlicher Verantwortlichkeit nur für hoheitlich-dienstliche Handlungen (acta iure imperii), nicht aber für nichthoheitlich-dienstliche Handlungen (acta iure gestionis). Sie ist also eine Immunität ratione materiae für acta iure imperii. Es stellt sich die Frage, ob diese Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von dienstlichen Handlungen – also hoheitlich-dienstlichen Handlungen auf der einen Seite und nichthoheitlich-dienstlichen Handlungen auf der anderen Seite – auch für die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts von Bedeutung ist. Dies ist aber eindeutig zu verneinen.312 Eine Differenzierung zwischen hoheitlich-dienstlichen und nichthoheitlich-dienstlichen Handlungen ist dem Diplomatenund Konsularrecht fremd. Weder ist im WÜD oder im WÜK eine solche Abgrenzung für die von Immunität ratione materiae erfaßten Handlungen zu nicht ge___________ Ebenso Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 77; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 217; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 110 f. 312 Ebenso Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 104 ff.; Seidl-Hohenveldern, in: Conrad (Hrsg.), GedS Peters, S. 913 (920). Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (397 Fn. 12) meint dagegen, die Unterscheidung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis im Recht der Staatenimmunität sei eine ähnliche wie die zwischen unbeschränkter und beschränkter Immunität im Recht der diplomatischen und konsularischen Beziehungen. Doch begründet er seine verfehlte Ansicht nicht näher. Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (72) sprechen zwar von acta iure gestionis, wenn sie Privathandlungen von Diplomaten meinen, und von acta iure imperii, wenn sie von Diensthandlungen sprechen, doch liegt darin keine Gleichsetzung mit den acta iure imperii bzw. gestionis des Rechts der Staatenimmunität, die hoheitlich-dienstliche bzw. nichthoheitlich-dienstliche Handlungen bezeichnen. 311
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schützten Handlungen angelegt noch findet eine solche Abgrenzung in der Staatenpraxis Unterstützung. Denn auch wenn die Staatenimmunität und die Amtsimmunitäten des Diplomaten- und Konsularrechts jeweils bestimmte für einen Staat vorgenommene und damit als dienstlich zu bewertende Handlungen erfassen, so daß beide Arten völkerrechtlicher Exemtionen als „Immunitäten ratione materiae“ bezeichnet werden, ist doch ihr Schutzzweck nicht identisch. Daher können auch ihre Reichweite und die jeweiligen Abgrenzungskriterien nicht identisch sein bzw. ist eine solche Identität nicht zwingend. Die Staatenimmunität soll lediglich dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten Rechnung tragen und verhindern, daß ein Staat „über einen anderen zu Gericht sitzt“, indem er ein Gerichtsverfahren gegen den fremden Staat oder gegen dessen Organe durchführt und sich so eine höherrangige Stellung anmaßt. Durch sie wird allein die staatliche Souveränität vor Eingriffen fremder Staaten geschützt. Den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts liegt zwar – wie oben in § 12 VI.2. und 4. erläutert wurde – ebenfalls diese Überlegung zugrunde, doch erschöpft sich ihr Schutzzweck nicht in der Achtung fremdstaatlicher Souveränität. Denn darüber hinaus sollen die Immunitäten ratione materiae die Funktionsfähigkeit der diplomatischen und konsularischen Vertretungen schützen und sicherstellen, daß die Mitglieder der Vertretungen ihre dienstlichen Aufgaben unbeeinträchtigt von Einflußnahmen oder direkten Eingriffen des Empfangsstaates ausüben können.313 Die Souveränität eines Staates wird dann, wenn dieser wie ein Privater in einem anderen Staat tätig ist, etwa kommerzielle Aktivitäten entfaltet, heutzutage nicht mehr als legitime Schranke für eine Ausübung von Gerichtsbarkeit angesehen. Vielmehr wird es für geboten und mit dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten vereinbar angesehen, wenn sich ein Staat bezüglich solcher Aktivitäten wie jede Privatperson der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates unterwerfen muß, so daß die Staatenimmunität nur noch für acta iure imperii akzeptiert wird. Dagegen ist die Funktionsfähigkeit der diplomatischen und konsularischen Vertretungen nur dann gewährleistet, wenn auch nichthoheitlich-dienstliche Handlungen in den Schutzbereich der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts einbezogen sind. Denn bei den meisten diplomatischen und konsularischen Aktivitäten geht es um Handlungen, die – was die Art und Weise ihrer Vornahme anbelangt – Private ebenso vornehmen können. Man denke nur an das Führen von politischen Gesprächen, an die Sammlung von Informationen, an das Halten von Vorträgen. Solche Aktivitäten, die als acta iure gestionis der Staatenimmunität nicht unterfallen, ma___________ 313
So auch Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 106.
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
chen einen Großteil der Arbeit von Auslandsvertretungen aus. Hoheitlich-dienstliche Handlungen wie das Erteilen von Visa, das Ausstellen von Personaldokumenten für die im Empfangsstaat ansässigen eigenen Staatsangehörigen und die Vornahme von Beglaubigungen bilden jedenfalls nicht den Schwerpunkt der diplomatischen und konsularischen Aktivitäten. Würde man die Immunitäten ratione materiae auf solche hoheitlich-dienstlichen Handlungen beschränken, so würde ein wesentlicher Teil dienstlicher Handlungen nicht durch Exemtionen geschützt und damit die Funktionsfähigkeit der Vertretungen gefährdet sein. Die Irrelevanz der Differenzierung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis für die Reichweite der Immunitäten ratione materiae des Diplomatenund Konsularrechts hat auch das BVerfG in seiner bereits erwähnten Entscheidung zum Fall des syrischen Botschafters betont, der mit der Billigung der Herausgabe von in den Räumlichkeiten seiner Mission in der DDR gelagerten Sprengstoffs an Terroristen die Begehung eines Sprengstoffanschlags in West-Berlin unterstützt hatte. Das BVerfG führte aus: „Staatenimmunität und diplomatische Immunität stellen zwei verschiedene Institute des Völkerrechts mit jeweils eigenen Regeln dar, so daß von etwaigen Beschränkungen in einem Bereich nicht auf den anderen geschlossen werden kann. (…) Einem Schluß von der Staatenimmunität auf die diplomatische Immunität ratione materiae steht das personale Element jeder diplomatischen Immunität entgegen, das nicht den Entsendestaat, sondern den Diplomaten als handelndes Organ persönlich schützt. Wenn etwa der Staat für nicht-hoheitliche Tätigkeit keinen Immunitätsschutz genießt (…), bedeutet dies nicht, daß auch eine dabei als diplomatisches Organ handelnde Person der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates unterläge (…). Die für die Staatenimmunität charakteristische Trennung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis (…) ist vielmehr im Rahmen des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD ebenso unbekannt wie im diplomatischen Immunitätsrecht allgemein.“314
7. Die Unzulässigkeit einer einheitlichen Bestimmung der Reichweite der Immunitäten ratione materiae für alle Personengruppen Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß im Diplomaten- und Konsularrecht zwischen zwei Arten von Immunitäten ratione materiae zu unterscheiden ist. Die (weite) Immunität ratione materiae der Art. 37 Abs. 3 WÜD und Art. 43 Abs. 1 WÜK schließt alle dienstlichen diplomatischen bzw. konsularischen Handlungen ein. Die (enge) Immunität ratione materiae der Art. 38 Abs. 1 WÜD und Art. 71 Abs. 1 WÜK dagegen umfaßt nur die unmittelbaren Amtshandlungen, also solche Handlungen, die für sich genommen unmittelbar der Erfüllung diplomatischer oder konsularischer Aufgaben dienen. Damit sind nicht nur Privathandlungen und Aktivitäten, die nicht der Erfüllung völkerrechtlich anerkannter diplomatischer oder konsularischer Aufgaben dienen, sondern auch etliche dienstliche diplomatische bzw. konsularische Handlungen von der Immunität ausgenommen, nämlich all ___________ 314
BVerfGE 96, 68 (85) = NJW 1998, 50 (53).
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diejenigen Handlungen, die zwar zur Aufgabenerfüllung gehören und die der Diplomat bzw. der Konsularbeamte in seiner Eigenschaft als Vertreter des Entsendestaates vornimmt, die aber andererseits lediglich dazu dienen, die von ihnen abgrenzbare eigentliche Amtshandlung vornehmen zu können, oder die nicht im Zusammenhang stehen mit einer Handlung, die unmittelbar der Wahrnehmung einer diplomatischen oder konsularischen Funktion dient. Wenn daher Immunitäten des Diplomaten- und Konsularrechts, die nur dienstliche Handlungen erfassen, nicht nur als „Immunitäten ratione materiae“ oder „funktionale Immunitäten“, sondern gleichfalls synonym auch als „Amtsimmunitäten“ bezeichnet werden, so muß man sich vor Augen halten, daß mit dem Begriff „Amtsimmunität“ je nach Personenkreis entweder eine (enge) „Amtshandlungsimmunität“ (also eine Immunität für diplomatische oder konsularische Amtshandlungen) oder aber eine (weite) „Amtstätigkeitsimmunität“ (also eine Immunität für diplomatische oder konsularische Diensthandlungen) gemeint sein kann.315 In Teilen der Rechtsprechung und Literatur wird dagegen eine einheitliche Bestimmung der Reichweite aller durch das WÜD und das WÜK gewährten Immunitäten ratione materiae vorgenommen bzw. propagiert. Diejenigen, die eine einheitliche Bestimmung der Reichweite aller Immunitäten ratione materiae befürworten, sind sich aber nicht einig, ob nur für die eigentlichen Amtshandlungen oder aber für alle dienstlichen Handlungen, die mit der Wahrnehmung diplomatischer bzw. konsularischer Aufgaben zusammenhängen, Immunität zu gewähren ist. Diese beiden Auffassungen sind aber, wie bereits oben in § 13 I.1.f)aa) kurz skizziert wurde und im folgenden näher dargelegt werden soll, mit dem WÜD und WÜK nicht zu vereinbaren. a) These der einheitlichen Geltung aller Immunitäten ratione materiae nur für die unmittelbaren Amtshandlungen Zum Teil wird die Auffassung vertreten, alle Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts, also auch die der Art. 37 Abs. 3 WÜD und Art. 43 Abs. 1 WÜK, gälten lediglich für Handlungen, mit denen unmittelbar diplomatische bzw. konsularische Aufgaben erfüllt werden. Damit werden vor allem Handlungen, die zwar zur Aufgabenerfüllung dazugehören, aber selbst nicht direkt Teil der Wahrnehmung einer diplomatischen oder konsularischen Aufgabe sind, vom Schutzbereich der Immunitäten ratione materiae ausgeschlossen.316 ___________ Ähnlich die terminologische Differenzierung von Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 91. 316 Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (76 f.) (der aber einräumen muß, daß diese Beschränkung etwa für Fahrer einer Botschaft, die gemäß Art. 37 Abs. 3 WÜD Exemtion genießen, 315
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Praktisch relevant ist dies vor allem für Straßenverkehrsdelikte von Konsularbeamten und Mitgliedern des Verwaltungs- oder technischen Personals einer konsularischen Vertretung. Wenn Konsularbeamte mit einem Kraftfahrzeug von ihrer konsularischen Vertretung aus zu einem Ort fahren, an dem eine konsularische Handlung vorzunehmen ist, etwa ein Gefangener in einer Haftanstalt zu besuchen oder ein politisches Gespräch zu führen ist, so genießen sie für Straßenverkehrsdelikte, die sie während der Fahrt begehen, nach dieser Auffassung keine Immunität. Die konsularische Amtshandlung, für die allein Immunität gewährt werde, sei lediglich der mit dem Betreten der Haftanstalt beginnende Besuch bzw. das politische Gespräch selbst. Auch wenn es sich bei dieser Fahrt um eine Dienstfahrt handele, da sie während der Dienstzeit vorgenommen werde und bloß dem Zweck diene, von einem Dienstort zum nächsten zu gelangen, so handele es sich doch „nur“ um eine einfache dienstliche Handlung, nicht aber um eine konsularische Amtshandlung.317 Doch kann diese Auffassung zum einen schon deshalb nicht überzeugen, weil mit ihr in unzulässiger Weise die eindeutigen Formulierungsunterschiede in den einschlägigen Artikeln des WÜD und des WÜK nivelliert werden. Diese Auffassung beschränkt die durch Art. 37 Abs. 3 WÜD und Art. 43 Abs. 1 WÜK gewährten Exemtionen auf „Amtshandlungen“, obwohl nur die Art. 38 Abs. 1 WÜD und Art. 71 Abs. 1 WÜD von Amtshandlungen sprechen, während in den Art. 37 Abs. 3 WÜD und Art. 43 Abs. 1 WÜK von „in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Handlungen“ bzw. von „Handlungen, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen worden sind“ die Rede ist. Zur dienstlichen Tätigkeit gehören aber nach allgemeinem Sprachverständnis auch die ausschließlich dienstlich veranlaßten Fahrten vom Dienstsitz zu einem anderen Ort, an dem eine dienstliche Handlung vorzunehmen ist. Auch die Formulierung „in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben“ in Art. 43 Abs. 1 WÜK ist weit zu verstehen. Dies ergibt sich vor allem aus einem Vergleich mit der Formulierung in Art. 71 Abs. 1 WÜK. Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, gelten nach dem WÜD und WÜK generell als weniger schutzwürdig als die entsandten ___________ nicht gelten kann, da die Immunität ansonsten bezüglich dieser Personen [weitestgehend] leerliefe); Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (82 ff.); ders., Consular Immunity, S. 26 f., 42 ff.; Whomersley, ICLQ 41 (1992), 848 (853 f., 856), und wohl auch Kadelbach, Vienna Convention on Consular Relations (1963), Add. 2000, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1289 (1294). 317 Eine derart enge Interpretation des Art. 43 Abs. 1 WÜK wurde auch auf der Wiener Konferenz 1963 von einigen Delegierten vertreten. Vgl. Dinstein, Consular Immunity, S. 42 ff. sowie die Protokolle der Diskussionen auf der Wiener Konferenz: United Nations Conference on Consular Relations, Official Records, vol. I, New York 1963 (UNDokument A.CONF.25/16), S. 374 f. So betonte ein ukrainischer Delegierter, “it was clear from the language of the (…) text that a consular official did not enjoy immunity in the case of a road accident” (a.a.O, S. 374). Ähnlich äußerte sich ein britischer Delegierter (a.a.O., S. 375).
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Kräfte, die nicht Angehörige des Empfangsstaates sind. Wenn also die Konsularbeamten, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, für ihre in Wahrnehmung ihrer Aufgaben vorgenommenen Amtshandlungen Immunität genießen, so muß die Formulierung in Art. 43 Abs. 1 WÜK umfassender sein, also neben den eigentlichen Amtshandlungen auch die sonstigen dienstlichen Handlungen einschließlich der Fahrten zu einem Dienstort umfassen. Zum anderen vernachlässigt diese Auffassung den Schutzzweck der Immunitäten ratione materiae zu sehr. Diese sollen dazu dienen, daß die diplomatischen und konsularischen Aktivitäten ohne Einflußnahme und Störung durch den Empfangsstaat ausgeübt werden können. Eine unbeeinträchtigte Wahrnehmung der Aufgaben ist aber nur dann sichergestellt, wenn auch die notwendigen Vorbereitungshandlungen und insbesondere auch die Handlungen, die dazu dienen, überhaupt erst an den Ort zu kommen, an dem Amtshandlungen vorzunehmen sind, geschützt sind. So muß ein Konsularbeamter nicht nur davor geschützt werden, für die im Rahmen eines Besuchs oder Gesprächs vorgenommenen Handlungen bestraft zu werden, sondern auch davor, daß ihm die Anreise zum Ort des Besuchs oder Gesprächs dadurch unmöglich gemacht oder jedenfalls wesentlich erschwert wird, daß er wegen (vermeintlich) strafbarer Handlungen im Rahmen der Anreise strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird. Ein Konsularbeamter, der befürchten muß, schon für Aktivitäten im Rahmen der Anreise bestraft zu werden, wird genauso gezwungen sein, von einem Besuch oder einem Gespräch Abstand zu nehmen, wie dann, wenn ihm eine Strafverfolgung wegen des Besuchs oder Gesprächs selbst in Aussicht gestellt wird. b) These der einheitlichen Geltung aller Immunitäten ratione materiae für sämtliche Diensthandlungen Nach einer anderen Auffassung sind die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts allesamt weit zu fassen. Sie gälten einheitlich für alle dienstlichen Handlungen, die in einem weiten Sinne zur Aufgabenwahrnehmung dazugehören.318 Diese Auffassung wird auch von Teilen der deutschen strafrechtlichen Judikatur vertreten. In den Fällen, in denen die hier diskutierte Abgrenzungsproblematik eine Rolle spielte, war zumeist zu klären, ob Straßenverkehrsdelikte von Konsularbeam___________ So etwa Brownlie, International Law, S. 352 f.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 42, § 38 Rn. 12; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 4, 8; Lee, Convention on Consular Relations, S. 118 ff.; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 77 ff. (für Exemtionen nach dem WÜD); Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (397 mit Fn. 12, 16); KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 3, 7; Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (398) und wohl auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 283, 311 f.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1037, 1039, 1093; van Panhuys, ICLQ 13 (1964), 1193 (1208 f.); MK-ZPO-Wolf, § 19 GVG Rn. 2 f. 318
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ten – in der Regel Trunkenheitsfahrten – von der Immunität ratione materiae des Art. 43 Abs. 1 WÜK erfaßt waren. Auch wenn es in den Verfahren nur um eine Interpretation des Art. 43 Abs. 1 WÜK ging, so geht doch aus dem Kontext einiger Entscheidungen hervor, daß von einer einheitlichen Reichweite der im WÜK normierten Immunitäten ratione materiae ausgegangen und vor allem zwischen der Immunität des Art. 43 Abs. 1 WÜK und der des Art. 71 Abs. 1 WÜK kein Unterschied gesehen wurde.319 In den Urteilsbegründungen haben die Gerichte fast stereotyp die Formulierung aufgegriffen, mit der im Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ in Abschnitt IV.B.4.320 die Reichweite der Immunität ratione materiae des Art. 43 Abs. 1 WÜK bei Straßenverkehrsdelikten definiert wird: Immunität (nach Art. 43 Abs. 1 WÜK) komme dann in Betracht, wenn der Gebrauch eines Kraftfahrzeugs in engem sachlichem Zusammenhang mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben stehe.321 Die Gerichte sind zwar unter Rekurs auf diese Formulierung in den zu entscheidenden Fällen ganz überwiegend zu Ergebnissen gelangt, die dem Schutzzweck des Art. 43 Abs. 1 WÜK Genüge tun und daher in bezug auf diese Norm als richtig anzusehen sind, doch kann die Formulierung dieses „Leitsatzes“ kaum überzeugen. ___________ Vgl. BayObLGSt 1991, 125 (126) = NJW 1992, 641 (641); OLG Karlsruhe, NJW 2004, 3273 (3273); OLG Schleswig, SchlHA 1981, 161 (162); LG Stuttgart, NZV 1995, 411 (411). In der Entscheidung des LG Stuttgart wird zwar zunächst zutreffend betont, Art. 71 Abs. 1 WÜK enthalte gegenüber Art. 43 Abs. 1 WÜK eine Einschränkung, doch dann festgestellt: „Eine Einschränkung des Begriffes ‚Amtshandlung’ auf bestimmte Tätigkeiten innerhalb der konsularischen Aufgaben (z.B. Erledigung von Rechtshilfeersuchen oder Übermittlung von Urkunden) findet in Art. 5 WÜK keine Grundlage und würde auch zu nicht lösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten führen, welche Tätigkeiten Amtshandlungen sind und welche nur die Wahrnehmung sonstiger konsularischer Aufgaben. Auch der Vergleich mit dem Begriff ‚Handlungen, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen worden sind’, wie er in Art. 43 Abs. 1 WÜK verwendet wird, schränkt den Begriff einer Amtshandlung, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen wurde, nicht ein.“ 320 GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12. 321 BayObLGSt 1973, 191 (192) = NJW 1974, 431 (431); BayObLGSt 1991, 125 (127) = NJW 1992, 641 (642); OLG Düsseldorf, NZV 1997, 92 (93); OLG Hamburg, NJW 1988, 2191 (2191); OLG Karlsruhe, NJW 2004, 3273 (3273); OLG Schleswig, SchlHA 1981, 161 (162); LG Stuttgart, NZV 1995, 411 (412). In der Literatur ebenso MK-StGBAmbos, vor § 3 Rn. 134; LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 10; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 351; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, Einl. Rn. 28; Jagow, in: Janiszewski/ Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, Einführung Rn. 29; Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, Rn. 58a; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 18 GVG Rn. 6; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 4; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 19 GVG Rn. 3; KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 3; Rosenkötter, Ordnungswidrigkeiten, Rn. 292; Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (399); Seitz, in: Göhler, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, vor § 59 Rn. 40; KK-OWiG-Wache, vor § 53 Rn. 49. 319
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Denn wie erwähnt ist bereits die Wendung „Handlungen, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen worden sind“ in Art. 43 Abs. 1 WÜK weit zu verstehen. Diese umfaßt nicht nur die eigentlichen Amtshandlungen, sondern auch solche dienstlichen Handlungen, die als notwendige oder sinnvolle „Vorbereitungsmaßnahmen“ oder „Nebentätigkeiten“ zur Aufgabenerfüllung gehören, die der Konsularbeamte (bzw. das Mitglied des Verwaltungs- oder technischen Personals) also nicht in privater Eigenschaft, sondern in seiner Eigenschaft als konsularischer Vertreter des Entsendestaates vornimmt und die dienstlich veranlaßt sind. Die Taten, die nach Auffassung der Rechtsprechung „in engem sachlichem Zusammenhang“ mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben stehen, sind also in Wahrheit unmittelbar Handlungen in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben.322 Genaugenommen müßte die Rechtsprechung daher formulieren, Immunität nach Art. 43 Abs. 1 WÜK komme dann in Betracht, wenn der Gebrauch eines Kraftfahrzeugs „in engem sachlichem Zusammenhang mit der Vornahme konsularischer Amtshandlungen“ stehe. Dies meinen zwar die Gerichte und das Rundschreiben des BMI mit ihrer oben genannten Formulierung, doch ist diese sprachlich ungenau und provoziert die – in der Sache allerdings unberechtigte – Kritik, die deutsche Rechtsprechung weite die von Art. 43 Abs. 1 WÜK gewährte Exemtion unnötig aus, indem nicht nur Handlungen in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben, sondern auch solche, die mit diesen lediglich in Zusammenhang stünden, erfaßt würden. Läßt man jedoch die Kritik an der verwendeten Terminologie außer Betracht, so ist die Rechtsprechung in bezug auf die Reichweite der Immunität ratione materiae des Art. 43 Abs. 1 WÜK zutreffend. Diese Exemtion ist in der Tat weit zu verstehen. Doch kann diese Interpretation nicht in gleicher Weise auch für die Immunitäten gelten, die durch Art. 71 Abs. 1 WÜK und Art. 38 Abs. 1 WÜD gewährt werden. Denn dort ist nur von „Amtshandlungen“ die Rede. Dieser Formulierungsunterschied darf nicht außer Betracht bleiben, denn er bringt zum Ausdruck, daß die Staaten diejenigen Diplomaten und Konsularbeamten, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, nur hinsichtlich ihrer unmittelbaren Amtshandlungen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gegenüber dem Empfangsstaat freigestellt wissen wollen.323 ___________ 322 Die unten bei Anm. 336 angeführte Formulierung des OLG Hamm, GA 1967, 286 (287) ist präziser und daher vorzugswürdig. Die Problematik der Wendung des Rundschreibens des BMI wird offenbar bei LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 10. Dort heißt es, Amtsimmunität hänge davon ab, ob die Fahrt „in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben“ vorgenommen wurde, was zu bejahen sei, wenn der Gebrauch des Kraftfahrzeugs in engem sachlichem Zusammenhang mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben stehe. Diese Feststellung ist nicht nur inhaltsleer, sondern auch in sich widersprüchlich. 323 Ebenso Koster, Immunität internationaler Richter, S. 64, 70; Lewis, State and Diplomatic Immunity, S. 145; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 90 (bezogen auf Exemtionen nach dem WÜK); Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und
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8. Reichweite der Begriffe „Amtshandlung“ und „Diensthandlung“ Hinsichtlich der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts ist nach dem Ergebnis der vorstehenden Überlegungen also zu differenzieren zwischen den Immunitäten der Art. 37 Abs. 3 WÜD und Art. 43 Abs. 1 WÜK auf der einen Seite, die für alle diplomatischen bzw. konsularischen Diensthandlungen gelten,324 und den Immunitäten der Art. 38 Abs. 1 WÜK und Art. 71 Abs. 1 WÜK auf der anderen Seite, die lediglich diplomatische bzw. konsularische Amtshandlungen erfassen. Damit ist allerdings die Frage, wann genau von einer diplomatischen oder konsularischen Amtshandlung gesprochen werden kann bzw. welche Handlungen als Diensthandlungen einzustufen sind, noch nicht ausreichend beantwortet. Zwar wurde bereits versucht, allgemeine Kriterien für die Eingrenzung der von den beiden Arten von Immunitäten ratione materiae jeweils erfaßten Verhaltensweisen aufzustellen, doch gilt es im folgenden, diese zu präzisieren und vor allem anhand konkreter Beispielsfälle deutlich zu machen, welche Taten von den verschiedenen Immunitäten ratione materiae erfaßt sind. a) Der Begriff „Amtshandlung“ Als diplomatische bzw. konsularische Amtshandlungen sind diejenigen Handlungen einzustufen, die direkt und unmittelbar der Erfüllung einer diplomatischen oder konsularischen Aufgabe im Sinne des Art. 3 WÜD bzw. Art. 5 WÜK dienen. Dabei ist auf die konkrete zu bewertende Handlung abzustellen.325 aa) Hoheitlich-dienstliche diplomatische oder konsularische Amtshandlungen Diplomatische bzw. konsularische Amtshandlungen sind damit zunächst einmal die im Rahmen der Wahrnehmung diplomatischer oder konsularischer Aufgaben vorgenommenen hoheitlich-dienstlichen Handlungen. Dienstliche Handlungen, bei denen von spezifisch öffentlich-rechtlichen Handlungsformen Gebrauch gemacht wird, die also beispielsweise den Erlaß eines Verwaltungsakts im Sinne des § 35 VwVfG betreffen, sind stets Amtshandlungen. Diese acta iure imperii sind damit nicht nur durch die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts geschützt, sondern grundsätzlich auch durch die Staatenimmunität. Zu die___________ konsularische Beziehungen, S. 216, 268; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 113 ff. Vgl. auch die weiteren Nachweise oben in Anm. 173. 324 In diesem weiten, alle diplomatischen bzw. konsularischen Diensthandlungen umfassenden Sinne sind auch die nach Erlöschen der diplomatischen Immunitäten ratione personae als deren Teilmenge fortgeltenden Immunitäten ratione materiae nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD zu verstehen. Vgl. hierzu näher unten § 13 III.2.b)aa). 325 Vgl. Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 116 f., 119 f.
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sen hoheitlich-dienstlichen diplomatischen bzw. konsularischen Handlungen können beispielsweise das Erteilen von Visa, das Ausstellen von Personaldokumenten für die im Empfangsstaat ansässigen eigenen Staatsangehörigen, die Vornahme von Beglaubigungen oder die Erteilung von Importgenehmigungen gezählt werden. Ein Diplomat bzw. Konsularbeamter, der durch das Ausstellen eines Visums einer von den Behörden des Empfangsstaates wegen einer Straftat gesuchten Person die Flucht in das Ausland ermöglicht, darf daher vom Empfangsstaat nicht wegen Strafvereitelung (§ 258 StGB) zur Verantwortung gezogen werden, selbst wenn er Staatsangehöriger des Empfangsstaates ist. bb) Sonstige Amtshandlungen Doch umfaßt der Kreis der diplomatischen bzw. konsularischen Amtshandlungen nicht nur solche spezifisch öffentlich-rechtlichen hoheitlichen Handlungen. Wäre dies der Fall, so wäre die Amtsimmunität der Art. 38 Abs. 1 WÜD und Art. 71 Abs. 1 WÜK mit der Staatenimmunität weitestgehend deckungsgleich. Doch können auch Handlungen, die als acta iure gestionis nicht der Staatenimmunität unterfallen, Amtshandlungen im Sinne der Art. 38 Abs. 1 WÜD und Art. 71 Abs. 1 WÜK sein, wenn mit ihnen nur unmittelbar eine diplomatische bzw. konsularische Aufgabe erfüllt wird. So ist beispielsweise das Führen eines politischen Gesprächs über die Verhältnisse im Empfangsstaat eine Amtshandlung, unabhängig davon, ob das Gespräch in den Räumlichkeiten der Vertretung, in einem Regierungsgebäude des Empfangsstaates oder in einem Restaurant stattfindet. Wenn ein Konsularbeamter einen Staatsbürger des Entsendestaates, der im Empfangsstaat verunglückt ist, zum Flughafen fährt und so seine Heimreise unterstützt, ist diese Handlung zwar eine der Staatenimmunität nicht unterfallende nichthoheitlich-dienstliche Handlung, aber gleichwohl eine Amtshandlung, da schon die Fahrt selbst der Erfüllung der Aufgabe dient, Angehörigen des Entsendestaates Hilfe und Beistand zu leisten (Art. 5 lit. e) WÜK). Auch das Halten eines Vortrags über die Verhältnisse im Entsendestaat bzw. dessen politische Absichten oder die Beteiligung an einer Diskussionsveranstaltung, in der über die Verhältnisse im Entsendestaat gesprochen wird, ist eine Amtshandlung. Da es – wie bereits erwähnt – auf die Vereinbarkeit der Aktivitäten mit dem (Straf-)Recht des Empfangsstaates nicht ankommt, sind auch das illegale Abhören von Funkfrequenzen, die Entgegennahme von geheimen Informationen oder die Betreuung von Spionen als Amtshandlungen zu bewerten, weil damit unmittelbar der Aufgabe der Informationsbeschaffung nachgegangen wird. Wenn daher in den genannten Beispielsfällen der Konsularbeamte auf der Fahrt zum Flughafen zu schnell fährt bzw. alkoholisiert ist (§§ 315c, 316 StGB) oder wenn der Diplomat oder Konsularbeamte, der einen Vortrag hält oder an einer Diskussionsrunde teilnimmt, mit seinem Redebeitrag Personen beleidigt oder den Empfangsstaat verunglimpft (§§ 185, 90a StGB), darf er hierfür vom Empfangs-
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staat nicht bestraft werden. Auch in den genannten Fällen der rechtswidrigen Informationsbeschaffung scheidet ein Strafverfahren des Empfangsstaates, etwa wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit (§ 99 StGB), aus. Dies gilt jeweils selbst dann, wenn die betreffende Person Staatsangehöriger des Entsendestaates oder in diesem ständig ansässig ist. b) Der Begriff „Diensthandlung“ aa) Amtshandlungen als Teilmenge der Diensthandlungen Diensthandlungen sind zunächst einmal alle diejenigen Handlungen, die (auch) Amtshandlungen sind. Der Begriff der diplomatischen bzw. konsularischen Amtshandlungen bezeichnet also eine Teilmenge der diplomatischen bzw. konsularischen Diensthandlungen. bb) Allgemeine Kennzeichen sonstiger Diensthandlungen Darüber hinaus sind aber auch diejenigen Handlungen von der weiten Immunität ratione materiae der Art. 37 Abs. 3 WÜD und Art. 43 Abs. 1 WÜK erfaßt, die – ohne Amtshandlungen zu sein – von einem Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung in seiner dienstlichen Funktion vorgenommen werden, die also bei einer gebotenen wertenden Betrachtungsweise nicht seiner privaten Lebenssphäre zuzurechnen sind und die in einem weiten Sinne zur Erfüllung der Aufgaben der diplomatischen bzw. konsularischen Vertretung im Empfangsstaat beitragen sollen. Es geht somit um solche mit den diplomatischen oder konsularischen Aufgaben in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehende Aktivitäten, die von einem Mitglied einer diplomatischen und konsularischen Vertretung in seiner Eigenschaft als Mitglied der Vertretung und nicht als Privatperson ausgeübt werden.326 Zum Teil wird die Meinung vertreten, angesichts der Schwierigkeit einer Abgrenzung der diplomatischen bzw. konsularischen Diensthandlungen von Handlungen, die nicht von den Immunitäten ratione materiae erfaßt seien, müsse im Zweifel von einer dienstlichen Handlung ausgegangen und Immunität angenommen werden.327 Diese Feststellung ist jedoch zu pauschal. Wenn der strafrechtlich relevante Sachverhalt feststeht und lediglich fraglich ist, ob der festgestellte Zweck einer Handlung eines Mitglieds einer diplomatischen bzw. konsularischen Vertre___________ Vgl. BGHSt 36, 396 (401) = NJW 1990, 1799 (1800); Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 216 (der von „Hilfsfunktionen“ spricht); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 115. 327 MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 133; LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 10; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 18 GVG Rn. 6; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 4; KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 3. 326
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tung deren Einordnung als durch Immunität geschützte Diensthandlung rechtfertigt oder nicht, so darf das Gericht, das über diese Rechtsfrage zu entscheiden hat, nicht von einer Entscheidung Abstand nehmen und sich auf die Feststellung beschränken, im Zweifel sei eine Handlung dieser Art noch als Diensthandlung zu bewerten. Anders ist die Situation jedoch dann, wenn sich nicht genau klären läßt, ob eine Handlung dienstlichen Zwecken diente oder nicht, also der Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt werden kann. Da die diplomatischen und konsularischen Exemtionen nach hier vertretener Auffassung als strafprozessuale Verfahrenshindernisse einzuordnen sind,328 heißt dies, daß in einem solchen Fall nicht geklärt werden kann, ob eine Prozeßvoraussetzung vorliegt oder nicht. Da Strafverfahren aber nur dann betrieben werden dürfen, wenn die Prozeßvoraussetzungen sicher gegeben sind, darf in einem solchen Fall kein Strafverfahren durchgeführt werden. Bei Zweifeln, ob eine Handlung dienstlichen Zwecken diente oder nicht, ist daher zwar nicht in dubio pro reo eine Diensthandlung anzunehmen, wohl aber wirken sich diese Zweifel zu Gunsten der Annahme eines Verfahrenshindernisses und damit (regelmäßig) zu Gunsten des Beschuldigten aus.329 cc) Während der Vornahme von Amtshandlungen verübte Taten Zunächst einmal sind Taten, die selbst keine Amtshandlungen sind, aber während der Vornahme einer Amtshandlung verübt werden und mit der Vornahme der Amtshandlung in einem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang stehen, von den Immunitäten ratione materiae der Art. 37 Abs. 3 WÜD und Art. 43 Abs. 1 WÜK erfaßte Diensthandlungen. Wenn beispielsweise ein Konsularbeamter während einer Diskussionsrunde seinem Sitznachbarn versehentlich heißen Kaffee über den Arm gießt, so scheidet ein Strafverfahren des Empfangsstaates wegen fahrlässiger Körperverletzung aus. dd) Mittelbar der Wahrnehmung diplomatischer bzw. konsularischer Aufgaben dienende Handlungen Zu den von den weiten Immunitäten ratione materiae der Art. 37 Abs. 3 WÜD und Art. 43 Abs. 1 WÜK erfaßten Diensthandlungen zählen weiter Handlungen, mit denen eine Basis geschaffen wird für eine Wahrnehmung der eigentlichen diplomatischen und konsularischen Aufgaben, die jedoch nicht in einem unmittelba___________ Vgl. unten § 22 VI. Zutreffend damit die Ausführungen vom OLG Schleswig, SchlHA 1981, 161 (162); Hentschel, Straßenverkehrsrecht, Einl. Rn. 28; Jagow, in: Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, Einführung Rn. 29; Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, Rn. 58a; Rosenkötter, Ordnungswidrigkeiten, Rn. 292; LR-StPO-Schäfer (24. Aufl. 1996), Bd. 6/1, § 19 GVG Rn. 6; Seitz, in: Göhler, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, vor § 59 Rn. 40. 328 329
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ren Zusammenhang stehen mit der Wahrnehmung konkreter diplomatischer bzw. konsularischer Aufgaben im Sinne des Art. 3 WÜD bzw. Art. 5 WÜK. Als diplomatische und konsularische Diensthandlungen sind deshalb beispielsweise der Kauf von Einrichtungsgegenständen und Büromaterial für eine Vertretung, der Kauf von Kraftfahrzeugen, die Einstellung von Ortskräften, der Abschluß von Verträgen mit Handwerkern zur Renovierung von Räumlichkeiten der Vertretung und die Entscheidung über die Nutzung der Räumlichkeiten einer Botschaft für eine Diskussionsveranstaltung anzusehen.330 Aber auch die Pflege der Gartenanlagen einer diplomatischen Mission gehört zu den Diensthandlungen, so daß ein Gärtner, der Immunität ratione materiae nach Art. 37 Abs. 3 WÜD genießt, vom Empfangsstaat nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden darf, wenn er mit der Heckenschere beim Schneiden der Einfriedung der Mission versehentlich einen Passanten verletzt. Gleiches gilt für die Bewachung von Missionsgebäuden. Eine solche Tätigkeit gehört zu den Diensthandlungen, so daß Wachleute, sofern sie weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind und damit Immunität ratione materiae nach Art. 37 Abs. 3 WÜD genießen, vom Empfangsstaat wegen Immunität ratione materiae nach dem WÜD nicht bestraft werden dürfen, wenn sie einen Eindringling erschießen. ee) Dienstliche Teilnahme an Veranstaltungen Auch die dienstlich veranlaßte Teilnahme an Veranstaltungen, die der allgemeinen Kontaktpflege dienen, gehört in einem weiten Sinne zu den diplomatischen und konsularischen Aufgaben. Bestandteil der Aufgabe, den Entsendestaat zu vertreten, ist auch, an bestimmten Gesellschafts- oder Kulturveranstaltungen teilzunehmen und dort durch bloße Anwesenheit – also ohne selbst eine Amtshandlung vorzunehmen – den eigenen Staat zu repräsentieren. Es kommt auf die Bewertung aller Umstände des Einzelfalls an, ob von einer Teilnahme als Privatperson (die nicht durch Immunitäten ratione materiae geschützt sein kann) oder einer Teilnahme in der Funktion als Mitglied einer Vertretung auszugehen ist (mit der Konsequenz, daß die dort begangenen Taten, sofern sie mit der Repräsentationsaufgabe in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, von der Immunität des Art. 37 Abs. 3 WÜD bzw. Art. 43 Abs. 1 WÜK erfaßt sind). Wenn beispielsweise ein Konsularbeamter, dessen Vertretung im Rahmen der Aufgabe der Kulturförderung die Aufführung eines Theaterstücks mit Bezug zum Entsendestaat finanziell fördert, bei der Premierevorstellung als Zuschauer anwe___________ Vgl. auch BVerfGE 96, 68 (81) = NJW 1998, 50 (52), wo zu Recht die Entscheidung eines Botschafters, ob bestimmte Gegenstände (hier: Sprengstoff, mit dem später ein terroristischer Anschlag verübt wurde) in den Räumlichkeiten der Mission verwahrt werden durften, als dienstliche diplomatische Tätigkeit angesehen wurde. Ebenso Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (73). Vgl. hierzu die Ausführungen oben bei Anm. 308. 330
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send ist, so ist von einer dienstlichen Aktivität auszugehen und steht sein Verhalten unter dem Schutz des Art. 43 Abs. 1 WÜK, so daß er, sollte er im Getümmel der Pause einer Frau auf ihr Abendkleid treten und diese zu Fall bringen, nicht wegen Körperverletzung bestraft werden darf. Wenn ein Konsularbeamter, der Immunität nach Art. 43 Abs. 1 WÜK genießt, auf eine Staatsjagd eingeladen wird, so ist ebenfalls davon auszugehen, daß er in seiner Eigenschaft als Mitglied einer konsularischen Vertretung teilnimmt, so daß er, sollte er versehentlich einen anderen Jagdteilnehmer erschießen, nicht wegen fahrlässiger Tötung bestraft werden darf.331 ff) Aktivitäten in unmittelbarem zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit der Vornahme von Amts- oder Diensthandlungen Zu den Diensthandlungen sind auch Handlungen zu zählen, die für sich genommen nicht als Ausübung einer diplomatischen oder konsularischen Funktion bewertet werden können, die aber in unmittelbarem zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit der Vornahme einer konkreten Amts- oder sonstigen Diensthandlung stehen und erforderlich sind, damit die eigentliche Amts- oder sonstige Diensthandlung erfolgreich vorgenommen werden kann bzw. die als dienstliche Vorbereitungshandlungen angesehen werden können. Insofern geht es auch hier um Handlungen, die mittelbar zur Wahrnehmung diplomatischer bzw. konsularischer Funktionen beitragen. Zu dieser Fallgruppe gehören zum Beispiel Dienstreisen und Dienstfahrten, also Aktivitäten, die dazu dienen, an den Ort zu gelangen, an dem eine diplomatische oder konsularische Aufgabe wahrzunehmen ist, bzw. von diesem Ort wieder an den Sitz der diplomatischen oder konsularischen Vertretung zurückzugelangen.332 Aber auch der Kauf eines Gegenstands, der als Dank für eine Einladung zu einer dienstlichen Veranstaltung als dienstliches Geschenk überreicht werden soll, ist als Diensthandlung zu bewerten. Gerade bei dieser Fallgruppe kommt es für die Beantwortung der Frage, ob eine Handlung als Diensthandlung oder als – nicht von der Immunität ratione materiae des Art. 37 Abs. 3 WÜD bzw. Art. 43 Abs. 1 WÜK erfaßte – Privathandlung ein___________ 331 Der Oberste Gerichtshof Österreichs hat in einer Entscheidung vom 17.2.1982 die Teilnahme an einer „Diplomatenjagd“ als dienstliche diplomatische Handlung angesehen. Der österreichische Botschafter in Jugoslawien hatte bei einer vom jugoslawischen Staatspräsidenten veranstalteten Jagd 1976 seinen französischen Amtskollegen fahrlässig getötet. Das Gericht entschied, daß die Teilnahme des Botschafters „in Erfüllung der ihm obliegenden Dienstpflichten, insbesondere zur Pflege und Vertiefung gutnachbarlicher Beziehungen“ erfolgt sei, die Tat daher als dienstliche Handlung i.S.d. Art. 3 WÜD Österreich völkerrechtlich zuzurechnen und Österreich deshalb den Angehörigen des Opfers schadensersatzpflichtig sei; vgl. ÖZöRV 33 (1982), 314 (314 ff.). 332 Vgl. hierzu detailliert unten § 13 II.8.c).
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zustufen ist, auf eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls an. Während der Kauf eines Blumenstraußes, der als Geschenk der Ehefrau eines Botschafters bei einem dienstlichen Empfang der Vertretung überreicht werden soll, bei der gebotenen wertenden Betrachtung als Diensthandlung aufzufassen ist, gilt dies nicht für den Kauf eines Anzugs, um dort gut gekleidet auftreten zu können. Eine Reise in eine andere Stadt im Empfangsstaat, in der politische Gespräche geführt werden sollen, ist eine Dienstreise und mithin eine Diensthandlung. Der vorherige Einkauf von Reiseproviant und ein Friseurbesuch aus Anlaß der bevorstehenden Reise dagegen gehören zur privaten Lebenssphäre des betreffenden Mitglieds einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung. c) Anmerkungen zu der in der Rechtspraxis besonders relevanten Fallgruppe der Straßenverkehrsdelikte Besondere praktische Relevanz kommt der letztgenannten Fallgruppe von Diensthandlungen bei Fahrten von Konsularbeamten oder Mitgliedern des Verwaltungs- oder technischen Personals einer konsularischen Vertretung mit Kraftfahrzeugen zu. In den veröffentlichten strafrechtlichen Entscheidungen deutscher Gerichte, die sich mit der Frage der Abgrenzung von durch Immunität ratione materiae geschütztem dienstlichem Handeln zu nicht erfaßten Verhaltensweisen zu befassen hatten, ging es fast immer darum, ob eine Strafverfolgung wegen Straßenverkehrsdelikten durch eine Immunität nach Art 43 Abs. 1 WÜK untersagt war oder nicht. Wegen ihrer besonderen praktischen Bedeutung soll auf die Frage, wann Straßenverkehrsdelikte von Immunitäten ratione materiae des Diplomatenoder Konsularrechts erfaßt sind, hier gesondert eingegangen werden. Die Diplomaten und Konsularbeamten, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, die also gemäß Art. 38 Abs. 1 WÜD bzw. Art. 71 Abs. 1 WÜK nur Immunität für ihre Amtshandlungen genießen, unterliegen wegen Straßenverkehrsdelikten, etwa einer Trunkenheitsfahrt, nur dann nicht der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates, wenn die Fahrt selbst als Amthandlung zu bewerten ist. Dies ist – wie bereits mehrfach erwähnt – nur dann der Fall, wenn mit dem Fahren bereits eine diplomatische oder konsularische Aufgabe im Sinne des Art. 3 WÜD bzw. Art. 5 WÜK erfüllt wird. Als Beispiel für eine solche Fahrt wurde der Fall genannt, daß ein Konsularbeamter einen im Empfangsstaat verunglückten Staatsbürger des Entsendestaates zum Flughafen fährt und ihm damit schon durch den Transport selbst Hilfe leistet (vgl. Art. 5 lit. e) WÜK).333 Fahrten, die lediglich dazu dienen, an einen Ort zu gelangen, an dem Dienstgeschäfte zu erledigen sind, oder von diesem wieder zurückzukommen, sind dagegen von den
___________ 333
Vgl. RRH-OWiG-Herrmann, § 46 Rn. 18.
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Immunitäten der Art. 38 Abs. 1 Satz 1 WÜD bzw. Art. 71 Abs. 1 WÜK nicht erfaßt.334 Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer diplomatischen Vertretung, Berufskonsularbeamte, Mitglieder des Verwaltungs- oder technischen Personals einer berufskonsularischen Vertretung sowie Honorarkonsularbeamte genießen, sofern sie weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind, dagegen gemäß Art. 37 Abs. 3 WÜD, Art. 43 Abs. 1 und Art. 58 Abs. 2 WÜK für Straßenverkehrsdelikte auch dann Immunität, wenn zwar die Fahrt nicht als Amtshandlung zu bewerten ist, wohl aber bei der gebotenen wertenden Betrachtungsweise als Diensthandlung einzustufen ist.335 In Anlehnung an eine Formulierung des OLG Hamm ist für die Beantwortung der Frage, ob eine Fahrt als Diensthandlung anzusehen ist, darauf abzustellen, ob zwischen der Zielsetzung und dem Zweck der Fahrt und der diplomatischen oder konsularischen Tätigkeit ein solcher innerer und äußerer Zusammenhang besteht, daß die Fahrt selbst noch dem Bereich der diplomatischen oder konsularischen Tätigkeit zuzurechnen ist.336 Ähnlich – wenngleich, wie bereits oben in § 13 II.7.b) kritisiert, zu unpräzise – formuliert das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993337 in Abschn. III.B.6., Immunität komme dann in Betracht, wenn der Gebrauch eines Kraftfahrzeuges in engem sachlichen Zusammenhang mit der wirksamen Wahrnehmung dienstlicher Aufgaben stehe.338
___________ Ebenso Denza, Diplomatic Law, S. 342; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 216, 269; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 116. 335 Vgl. Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 216; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 115. 336 Vgl. OLG Hamm, GA 1967, 286 (287). Ebenso die Formulierung von LR-StPOBöttcher, § 19 GVG Rn. 10; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 4. 337 GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12. 338 Diese Formulierung ist von Judikatur und Literatur vielfach übernommen worden; vgl. BayObLGSt 1973, 191 (192) = NJW 1974, 431 (431); BayObLGSt 1991, 125 (127) = NJW 1992, 641 (642); OLG Düsseldorf, NZV 1997, 92 (93); OLG Hamburg, NJW 1988, 2191 (2191); OLG Karlsruhe, NJW 2004, 3273 (3273); OLG Schleswig, SchlHA 1981, 161 (162); LG Stuttgart, NZV 1995, 411 (412); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 134; LKStGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 351; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, Einl. Rn. 28; Jagow, in: Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, Einführung Rn. 29; Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, Rn. 58a; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 18 GVG Rn. 6; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 4; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 19 GVG Rn. 3; KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 3; Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (399); Seitz, in: Göhler, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, vor § 59 Rn. 40; KK-OWiG-Wache, vor § 53 Rn. 49. 334
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Die Abgrenzung ist in gleicher Weise vorzunehmen wie im Bereich des deutschen Staatshaftungsrechts, wenn es zu beurteilen gilt, ob eine Haftung aus einem Straßenverkehrsunfall nur den Beamten bzw. Angestellten als Privatperson trifft oder – bei einer Dienstfahrt – gemäß § 839 BGB, Art. 34 GG eine Haftungsüberleitung auf den Hoheitsträger, für den die Fahrt vorgenommen wurde, erfolgt (bei öffentlich-rechtlichem Handeln) bzw. der Hoheitsträger gemäß §§ 31, 89, 823, 831 BGB kumulativ neben dem Amtswalter haftet (bei verwaltungsprivatrechtlichem Handeln).339 Damit fallen – ohne daß die Auflistung abschließend wäre – unter die Immunitäten der Art. 37 Abs. 3 WÜD, Art. 43 Abs. 1 und Art. 58 Abs. 2 WÜK: x Fahrten während der Dienstzeit von den Räumlichkeiten einer diplomatischen bzw. konsularischen Vertretung zu einem Ort, an dem ein Dienstgeschäft vorzunehmen ist, etwa ein politisches Gespräch zu führen oder ein Gefangener zu besuchen ist oder ein dienstlich benötigter Gegenstand erworben werden soll.340 x Fahrten von einem solchen Dienstort zurück zu den Räumlichkeiten der diplomatischen oder konsularischen Vertretung, um dort entweder weiter den Dienst zu verrichten oder dort, etwa nach dem Zurückbringen von Akten, den Dienst sofort zu beenden.341 x Fahrten zu einem Ort, an dem ein Dienstgeschäft vorzunehmen ist, die während der Dienstzeit durchgeführt werden, aber, etwa weil das Dienstgeschäft früh morgens stattfindet und es sich nicht lohnt, vorher noch in den Räumlichkeiten der Vertretung zu arbeiten, vom privaten Wohnsitz des Mitglieds der Vertretung aus angetreten werden. x Fahrten von einem Ort, an dem ein Dienstgeschäft vorgenommen worden ist, direkt zum privaten Wohnsitz des Mitglieds der Vertretung, wenn eine wertende Betrachtung der Umstände des Einzelfalls ergibt, daß die Fahrt selbst noch als Bestandteil einer Dienstreise anzusehen ist und der Dienst als Mitglied einer Vertretung erst beim Eintreffen zu Hause endet.342 Dies wird regelmäßig nur dann der Fall sein, wenn es sich um eine längere Fahrtstrecke handelt, etwa Ort des Dienstgeschäfts eine viele Kilometer vom Dienst- und Wohnort entfernte Stadt war. Dann ist die Rückfahrt in die „eigene“ Stadt noch Bestandteil der Dienstreise und nicht lediglich eine – private – Fahrt nach Hause. In solchen Fällen ist unerheblich, ob der Dienst in den Räumlichkeiten der Vertretung beendet wird oder das Mitglied der Vertretung, etwa bei einem Eintreffen im Heimatort am späten Abend, direkt nach Hause fährt.
___________ 339 Vgl. OLG Hamm, GA 1967, 286 (287); Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (399). Es kann also auf die von der deutschen Rechtsprechung diesbezüglich entwickelten Abgrenzungskriterien Bezug genommen werden. 340 OLG Schleswig, SchlHA 1981, 161 (162); LG Stuttgart, NZV 1995, 411 (412); Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 216. Restriktiver (also gegen Immunität in diesen Fällen) RRH-OWiG-Herrmann, § 46 Rn. 18. 341 LG Stuttgart, NZV 1995, 411 (412). So auch Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (399) unter Verweis auf entsprechende nicht veröffentlichte deutsche Rechtsprechung. 342 LG Stuttgart, NZV 1995, 411 (412), wobei allerdings in diesem Beschluß davon ausgegangen wird, daß generell Rückfahrten von externen Dienstorten immunitätsgeschützt seien.
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Dagegen fallen nicht unter die Immunitäten ratione materiae der Art. 37 Abs. 3 WÜD, Art. 43 Abs. 1 und Art. 58 Abs. 2 WÜK:343 x Fahrten eines Mitglieds einer Vertretung von seinem privaten Wohnsitz zu den Räumlichkeiten der Vertretung zum Zweck des dortigen regulären täglichen Dienstbeginns.344 x Fahrten eines Mitglieds einer Vertretung nach Beendigung des täglichen Dienstes von den Räumlichkeiten der Vertretung nach Hause oder zu einem anderen Ort, an dem eine private Tätigkeit verrichtet werden soll.345 x Fahrten eines Mitglieds einer Vertretung von einem Ort außerhalb der Vertretung, an dem ein Dienstgeschäft wahrgenommen wurde, nach Hause oder an einen sonstigen Ort, an dem eine private Tätigkeit verrichtet werden soll, wenn eine wertende Betrachtung ergibt, daß der Dienst bereits mit Abschluß des Dienstgeschäfts an dem Ort außerhalb der Vertretung geendet hat.346 Dies wird regelmäßig anzunehmen sein, wenn der Ort des Dienstgeschäfts in etwa gleich weit von dem Wohnsitz des Mitglieds der Vertretung entfernt ist wie die Vertretung selbst und es damit der Fall einer Rückfahrt von einem externen Dienstort dem einer Rückfahrt von der Vertretung nach Hause wertungsmäßig gleichzustellen ist.347
Bei der erforderlichen wertenden Betrachtung ist auch zu berücksichtigen, ob eine Fahrt mit einem privaten Fahrzeug oder mit einem Dienstwagen der Vertretung durchgeführt wird. Bei einer Fahrt mit einem Dienstfahrzeug spricht zumindest der erste Anschein dafür, daß es sich um eine Dienstfahrt handelt. Irrelevant ist, ob die Person, die ein Fahrzeug führt, selbst am Zielort ein Dienstgeschäft vornehmen will oder lediglich eine andere Person zu dem Ort eines ___________ Weitere als die hier aufgelisteten Fallkonstellationen werden genannt bei Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (399). 344 So auch LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 10. 345 OLG Düsseldorf, NZV 1997, 92 (93); OLG Hamm, GA 1967, 286 (287); Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 18 GVG Rn. 6; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 4; KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 3; Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (399) (unter Verweis auf entsprechende nicht veröffentlichte deutsche Rechtsprechung); LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 10. Für „zweifelhaft“ hält diese Fallgruppe aber Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 216. 346 A.A. aber LG Stuttgart, NZV 1995, 411 (412). 347 So hat das OLG Hamburg, NJW 1988, 2191 (2191) zutreffend entschieden, die Autofahrt eines Konsularbeamten, der gemeinsam mit Mitgliedern einer Handelsdelegation nach Abschluß des offiziellen Programms noch „Stimmungslokale auf der Reeperbahn“ besucht hatte, von dort zu seinem Wohnsitz sei als private Autofahrt zu bewerten und unterfalle daher nicht der Immunität des Art. 43 Abs. 1 WÜK. Richtigerweise war auch schon der Besuch der „Stimmungslokale“ keine Diensthandlung mehr, sondern hätte als (nicht von Immunität ratione materiae umfaßtes) Privatvergnügen des Konsularbeamten eingestuft werden müssen. Ähnlich die Fallgestaltung und die Entscheidung OLG Düsseldorf, NZV 1997, 92 (93). Wie hier auch Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 18 GVG Rn. 6; RRH-OWiG-Herrmann, § 46 Rn. 18; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 374. A.A. aber Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 4; KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 3, die meinen, Fahrten von und zu geselligen Treffen sollten angesichts der Notwendigkeit vielfältiger Kontaktpflege grundsätzlich der konsularischen Tätigkeit zugerechnet werden. 343
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Dienstgeschäfts chauffiert. Daher gelten die obigen Ausführungen auch für die Fahrer einer Vertretung oder für sonstiges dienstliches Hauspersonal, sofern dieses als Fahrer tätig wird.348 Zu beachten ist jedoch, daß diese Personen in der Regel überhaupt gar keine Immunitäten nach dem WÜD oder WÜK genießen, da sie typischerweise im Empfangsstaat ständig ansässige Ortskräfte sind. Praktische Relevanz in bezug auf Straßenverkehrsdelikte hat daher vor allem die Exemtion des Art. 43 Abs. 1 WÜK in Fällen, in denen Konsularbeamte oder Mitglieder des Verwaltungs- oder technischen Personals selbst ein Fahrzeug geführt haben. 9. Fazit der Überlegungen Von den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts werden nur Handlungen erfaßt, die während des Zeitraums der Beschäftigung der handelnden Person als Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung begangen werden, die in einem inneren sachlichen Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit stehen und die zur Erfüllung diplomatischer oder konsularischer Aufgaben im Sinne des Art. 3 WÜD bzw. Art. 5 WÜK beitragen sollen. Unerheblich ist, ob die zu beurteilende Handlung gegen das (Straf-)Recht des Empfangsstaates verstößt oder nicht. Gleichfalls irrelevant ist, ob die Handlung dem Bereich der hoheitlich-dienstlichen Handlungen (acta iure imperii) oder dem Bereich der acta iure gestionis zuzuordnen ist. Im übrigen ist zu differenzieren: Die Immunitäten ratione materiae der Art. 38 Abs. 1 WÜD und Art. 71 Abs. 1 WÜK erfassen nur die unmittelbaren Amtshandlungen, also Handlungen, die für sich genommen unmittelbar der Erfüllung einer diplomatischen oder konsularischen Aufgabe dienen. Die umfassenderen Immunitäten ratione materiae der Art. 37 Abs. 3 WÜD, Art. 43 Abs. 1 und Art. 58 Abs. 2 WÜK umfassen dagegen alle Handlungen, die bei einer wertenden Betrachtungsweise als diplomatische bzw. konsularische Diensthandlungen aufzufassen sind.
III. Zeitliche Reichweite der Exemtionen Die zeitliche Reichweite der strafrechtlichen Exemtionen von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen deckt sich nicht mit dem Zeitraum ihrer dienstlichen Tätigkeit.349 Zum einen dauern die Immunitäten ratione materiae auch nach Dienstbeendigung unbegrenzt fort, zum anderen beginnen die übrigen Exemtionen vielfach schon vor dem Zeitpunkt des Dienstantritts und enden erst einige Zeit nach Dienstbeendigung. So sind beispielweise die vom Entsendestaat ___________ Bei Chauffeuren ist allerdings zu beachten, daß Fahrten, bei denen sie ein anderes Mitglied einer Vertretung, etwa den Botschafter einer Mission, zu Hause abholen und zur Vertretung fahren bzw. umgekehrt, für sie Dienstfahrten sind. 349 Vgl. zum Zeitraum der dienstlichen Tätigkeit oben § 12 III.2. und 4.; § 12 IV.2. und 4. 348
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für den Zeitraum ihrer dienstlichen Tätigkeit in den Empfangsstaat entsandten Diplomaten und Berufskonsularbeamten, die Angehörige des Entsendestaates sind, bereits vom Zeitpunkt ihrer Einreise an und bis zum Zeitpunkt ihrer Ausreise oder jedenfalls bis zum Ablauf einer hierfür angemessenen Frist durch Exemtionen vor Strafverfolgungsmaßnahmen geschützt, weil sie während des gesamten Zeitraums des ausschließlich dienstlich veranlaßten Aufenthalts im Empfangsstaat im Interesse der Funktionsfähigkeit der diplomatischen und konsularischen Vertretungen schutzbedürftig sind. Bei den Familienmitgliedern kann die Zeitdauer der ihnen zukommenden Exemtionen ohnehin nicht vom Zeitrahmen einer eigenen Tätigkeit abhängig gemacht werden. Im folgenden sollen daher die Bestimmungen des WÜD und des WÜK zur Zeitdauer der Befreiungen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genauer betrachtet werden. 1. Beginn der diplomatischen und konsularischen Exemtionen Hinsichtlich des Beginns der Vorrechte und Befreiungen ist zum einen zu differenzieren zwischen den verschiedenen Arten von Exemtionen, zum anderen zwischen den Personen, die für die Aufnahme ihrer dienstlichen Tätigkeit in den Empfangsstaat einreisen, sowie den Mitgliedern einer Vertretung, die sich unabhängig von ihrer dienstlichen Tätigkeit bereits vorher im Empfangsstaat aufgehalten haben. Die Immunitäten ratione materiae, und zwar sowohl diejenigen, die sämtliche in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit vorgenommene Handlungen betreffen, als auch diejenigen, die auf die eigentlichen Amtshandlungen beschränkt sind, können logischerweise vor Dienstbeginn keine Relevanz haben, da sie lediglich auf dienstliche diplomatische oder konsularische Taten bezogen sind. Hinsichtlich des Beginns der Immunitäten ratione materiae kommt es auf den Zeitpunkt der Vornahme der einzelnen geschützten Handlungen an. Eine Immunität ratione materiae für eine bestimmte Dienst- oder Amtshandlung beginnt in dem Moment, in dem mit der Vornahme der betreffenden Handlung begonnen wird. Der frühestmögliche Zeitpunkt des Beginns einer Immunität ratione materiae ist mithin der des Dienstantritts.350 Allein hinsichtlich der Immunitäten ratione personae, der eigenständigen Unverletzlichkeitsgewährleistungen und der Befreiungen von den Zeugenpflichten kommt überhaupt ein einheitlicher Zeitpunkt des Beginns der Freistellungen in Betracht. Dieser Zeitpunkt kann früher liegen als der des Beginns der dienstlichen
___________ 350 Vgl. bezüglich des (seltenen) Falls, daß zum Zeitpunkt des Beginns der dienstlichen Tätigkeit einer Person ihre Ernennung zum Mitglied einer Vertretung dem Empfangsstaat noch nicht notifiziert worden ist, unten Anm. 361.
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Tätigkeit, regelmäßig ist dies tatsächlich der Fall.351 Lediglich auf den Beginn dieser Exemtionen beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen. Es sind nur verhältnismäßig wenige Personengruppen, die Immunitäten ratione personae, eigenständige Unverletzlichkeitsgewährleistungen für den Bereich außerdienstlicher Handlungen und umfassende Befreiungen von den Zeugenpflichten genießen, für die also die Frage eines vor dem Zeitpunkt des Dienstantritts liegenden bzw. von diesem unabhängigen Beginns ihrer Exemtionen überhaupt Relevanz hat: Es sind dies die Diplomaten und Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Vertretung, soweit sie weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind (Art. 29, 31 und 37 Abs. 2 WÜD), die mit ihnen in einem Haushalt lebenden Familienangehörigen, die nicht Angehörige des Empfangsstaates sind (Art. 37 Abs. 1 und 2 WÜD),352 sowie die Berufskonsularbeamten, die weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind (Art. 41 Abs. 1 und Art. 44 Abs. 1 Satz 3 WÜK). a) Beginn der Exemtionen für die zum Dienstantritt in den Empfangsstaat einreisenden Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen Für die Diplomaten und Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Vertretung sowie die Berufskonsularbeamten, die weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind, beginnen die Exemtionen, soweit sie zum Antritt ihres Postens in den Empfangsstaat einreisen, sich also nicht bereits unabhängig vom Dienstbeginn vorher im Empfangsstaat aufgehalten haben, gemäß Art. 39 Abs. 1 WÜD bzw. Art. 53 Abs. 1 WÜK zu dem Zeitpunkt, in dem sie in das Hoheitsgebiet des Empfangsstaates einreisen.353 Von diesem Zeitpunkt an genießen sie Immunität ratione personae und Unverletzlichkeit bzw. begrenzte persönliche Unverletzlichkeit nach Art. 41 Abs. 1 WÜK sowie Befreiungen von den Zeugenpflichten. Von diesem Zeitpunkt an ist also dem Empfangsstaat die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit bzw. – soweit es um Konsularbe-
___________ Das Zeugnisverweigerungsrecht nach Art. 44 Abs. 3 WÜK kann allerdings, da es auf dienstbezogene Kenntnisse beschränkt ist, wie die Immunitäten ratione materiae frühestens ab Dienstbeginn relevant werden. 352 Die Familienangehörigen der Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals dürfen darüber hinaus auch nicht im Empfangsstaat ständig ansässig sein. 353 Art. 39 Abs. 1 WÜD lautet, soweit hier von Interesse: „Die Vorrechte und Immunitäten stehen den Berechtigten von dem Zeitpunkt an zu, in dem sie in das Hoheitsgebiet des Empfangsstaates einreisen, um dort ihren Posten anzutreten (…).“ Art. 53 Abs. 1 WÜK lautet, soweit hier von Interesse: „Die in diesem Übereinkommen vorgesehenen Vorrechte und Immunitäten stehen den Mitgliedern der konsularischen Vertretung von dem Zeitpunkt an zu, in dem sie in das Hoheitsgebiet des Empfangsstaates einreisen, um dort ihren Posten anzutreten (…).“ 351
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amte geht – die Vornahme von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen außer bei schweren Taten gegenüber den bevorrechtigten Personen untersagt.354 Diese Regelung ist unproblematisch, soweit dem Empfangsstaat die Ernennung der jeweiligen Personen zu Mitgliedern einer Vertretung sowie deren Ankunft im Empfangsstaat vor der Einreise mitgeteilt werden.355 Wenn der Empfangsstaat über die Ernennung einer Person zum Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung und deren Ankunft vorab informiert wird, kann er dafür Sorge tragen, daß seine Staatsorgane die ab dem Zeitpunkt der Einreise geltenden Exemtionen auch tatsächlich gewähren.356 Dies kann etwa durch Ausstellung spezieller Ausweise geschehen, mit denen sich die Exemtionen genießenden Personen gegenüber den Vollzugsorganen des Empfangsstaates als bevorrechtigt zu erkennen geben können,357 oder aber durch Aufnahme der Namen in ein zentrales Register. Problematisch ist die Regelung des Beginns der Exemtionen in Art. 39 Abs. 1 WÜD und Art. 53 Abs. 1 WÜK jedoch dann, wenn dem Empfangsstaat der Zeitpunkt der Ankunft nicht im voraus mitgeteilt wird. Gemäß Art. 10 Abs. 2 WÜD und Art. 24 Abs. 2 WÜK ist die Ankunft nur „nach Möglichkeit“ im voraus zu notifizieren, dies ist also nicht zwingend. Art. 39 Abs. 1 WÜD und Art. 53 Abs. 1 WÜK lassen jedoch dem eindeutigen Wortlaut nach auch dann, wenn dem Empfangsstaat die Ankunft nicht mitgeteilt wurde, ja sogar selbst dann, wenn nicht einmal die Ernennung der betreffenden Person zum Mitglied einer Vertretung notifiziert wurde, die strafrechtlichen Exemtionen mit dem Zeitpunkt der Einreise in den Empfangsstaat beginnen.358 Der Empfangsstaat ist also auch dann völkerrecht___________ Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 275; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 509; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 149. Verfehlt ist es, wenn Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 88 Fn. 228 in diesem Zusammenhang von einer „Vorwirkung“ der Exemtionen spricht. 355 So auch die Einschätzung von Denza, Diplomatic Law, S. 350 f. 356 Alternativ kann der Empfangsstaat die betreffende Person, wenn er sie nicht als Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung akzeptieren möchte, noch vor ihrer Einreise zur persona non grata oder „nicht genehmen Person“ erklären und so (in aller Regel) das Entstehen einer Pflicht zur Exemtionsgewährung verhindern. 357 Vgl. das Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. VIII. 358 So auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 275; Denza, Diplomatic Law, S. 74 f., 351 ff. (mit Hinweisen zur Entstehungsgeschichte dieser Regelung); George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (110); Lewis, State and Diplomatic Immunity, S. 155; Nahlik, RdC 1990 III, 187 (243); Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 240; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 910 mit Fn. 67. Vgl. auch die Entscheidung des US District Court, District of Columbia vom 29.7.1974, AJIL 69 (1975), 181 (181 f.). Dagegen gehen American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 464 Reporters’ Note 1; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 509 und Sen, Diplomat’s Handbook, S. 217 f. davon aus, Immunität müsse nur Personen gewährt werden, die vom Empfangsstaat durch Entgegennahme der Notifizierung ihrer 354
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lich verpflichtet, die Exemtionen zu beachten, wenn er überhaupt keine Kenntnis davon haben kann, daß eine bestimmte Person Exemtionen genießt, also nicht durch Maßnahmen wie die Ausstellung von Ausweisen oder die Aufnahme der betreffenden Personen in ein Register dafür Sorge tragen kann, daß seine Strafverfolgungsorgane die Vorrechte und Befreiungen auch tatsächlich gewähren können.359 Soweit es um die Einleitung und Durchführung eines Ermittlungsverfahrens geht, dürften sich die hieraus resultierenden Schwierigkeiten jedoch in Grenzen halten, da der Entsendestaat spätestens dann, wenn ein solches Verfahren eingeleitet wird, die gebotenen Notifizierungen machen wird und ein Verfahren dann beendet werden kann, ohne daß es zu Beeinträchtigungen für die bevorrechtigte Person kommt. Doch können erhebliche Probleme auftauchen, soweit es um strafprozessuale Zwangsmaßnahmen geht. Wenn etwa ein Diplomat, von dem der Empfangsstaat „noch nichts weiß“, alkoholisiert am Straßenverkehr teilnimmt und in einen Unfall verwickelt wird, so können die Polizeibeamten vor Ort nicht überprüfen, ob die Behauptung des Beschuldigten, er genieße diplomatische oder konsularische Vorrechte, tatsächlich zutrifft. In einem solchen Fall ist die Gewährung der Vorrechte und Befreiungen in der Regel unmöglich. Daher muß es dem Entsendestaat in solchen Fällen versagt sein, sich auf die Exemtionen zu berufen, zumal ihm die Unmöglichkeit der Immunitätsgewährung selbst zuzuschreiben ist. Der Empfangsstaat, der in einem solchen Fall die Exemtionen nicht gewährt, weil er hierzu gar nicht in der Lage ist, kann vom Entsendestaat nicht wegen Mißachtung von Exemtionen völkerrechtlich verantwortlich gemacht werden.360 ___________ Ernennung akzeptiert worden seien. Vgl. auch Brownlie, International Law, S. 346 und Denza, a.a.O., S. 74 f., 353 ff., die erwähnen, daß in der britischen Rechtsprechung lange die Auffassung vertreten worden sei, Immunität könne stets erst nach erfolgter Notifizierung beansprucht werden. Doch ist diese Rechtsauffassung mittlerweile in Großbritannien ausdrücklich als mit Art. 39 Abs. 1 WÜD unvereinbar aufgegeben worden; vgl. die Entscheidung ex parte Bagga des Court of Appeal vom 11.4.1990, ILR 88, 404 (409 ff.) sowie Denza, a.a.O., S. 75, 355 und Shaw, International Law, S. 355. Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 (411 f.) weist darauf hin, daß bei der Ausarbeitung des WÜD auf der Wiener Konferenz 1961 erwogen worden sei, der Eintragung in eine vom Empfangsstaat zu führende Diplomatenliste konstitutive Wirkung für die Begründung des Diplomatenstatus zukommen zu lassen, solche Anträge aber keine Mehrheit gefunden hätten. Die ILC betonte in ihrem kommentierten Entwurf für eine Konsularrechtskonvention von 1961, YBILC 1961 II, 89 (101) (UN-Dokument A/4843) sogar: “It should be noted that the enjoyment of consular privileges and immunities is not conditional on notification, except in the case of persons who were in the territory of the receiving State at the time of their appointment or at the time when they entered the household of a member of the consulate (…).” 359 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 351 f. 360 Anzumerken ist in diesem Zusammenhang noch folgendes: Die Regelung, daß der Empfangsstaat verpflichtet ist, Mitgliedern fremder diplomatischer Missionen sofort nach Einreise in den Empfangsstaat (bzw. Notifikation ihrer Ernennung, falls sie sich bereits zuvor im Empfangsstaat aufgehalten haben, siehe unten § 13 III.1.b)) Exemtionen zu gewähren, er also auch solchen Personen Exemtionen gewähren muß, die er nicht ausdrück-
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Festzuhalten ist mithin: Die hier untersuchten Exemtionen stehen den geschützten Personen zwar gemäß Art. 39 Abs. 1 WÜD bzw. Art. 53 Abs. 1 WÜK ab dem Zeitpunkt ihrer Einreise in den Empfangsstaat zu. Der Entsendestaat und die bevorrechtigten Personen dürfen sich aber nur dann auf die Vorrechte und Befreiungen berufen bzw. für den Empfangsstaat ergeben sich nur dann völkerrechtliche Konsequenzen aus einer Nicht-Beachtung der Exemtionen, wenn der Empfangsstaat durch eine Notifikation der Ernennung einer Person zum Mitglied einer Vertretung und des Zeitpunkts ihrer Ankunft im Empfangsstaat gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. a) WÜD bzw. Art. 24 Abs. 1 lit. a) WÜK in die Lage versetzt worden ist, die Exemtionen zu gewähren.361 Die Exemtionen für Familienmitglieder, die mit einem Diplomaten oder einem Mitglied des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission in einem Haushalt leben und nicht Angehörige des Empfangsstaates sind, die also gemäß Art. 37 Abs. 1 und 2 WÜD Immunität ratione personae und weitere ___________ lich akzeptiert hat, gibt dem Entsendestaat die Möglichkeit, seine eigenen Staatsangehörigen mißbräuchlich vor einer Strafverfolgung im Empfangsstaat zu schützen: Wenn beispielsweise ein Angehöriger des Staates A während seines Urlaubs im Staat B dort eine Straftat begeht, so braucht der Staat A, wenn er ihn schützen will, nur dem Staat B mitzuteilen, er habe ihn zum Mitglied seiner diplomatischen Vertretung mit diplomatischem Rang ernannt. Der Staat B muß diese Mitteilung zunächst akzeptieren und der betreffenden Person Immunität ratione personae gewähren, da die Wirksamkeit der Ernennung nicht von seiner Zustimmung abhängig ist. Der Staat B hat ein Strafverfahren gegen die betreffende Person einzustellen und diese, sofern sie verhaftet wurde, freizulassen. Er kann die betreffende Person zwar gemäß Art. 9 Abs. 1 WÜD umgehend zur persona non grata erklären, aber damit enden die Exemtionen nicht sofort. Vielmehr ist – wie unten gezeigt wird – dem Entsendestaat A zunächst gemäß Art. 9 Abs. 2 WÜD eine angemessene Frist zur Umsetzung des Abberufungsverlangens einzuräumen. Auch nach der Abberufung enden die Exemtionen nicht sofort, sondern dann ist der betreffenden Person gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD noch eine (weitere) Frist für eine Ausreise aus dem Empfangsstaat B zu gewähren. Erst nach Ablauf dieser Frist wird eine Strafverfolgung wieder zulässig. Dann aber dürfte die betreffende Person längst das Gebiet des Staates B verlassen haben. Vgl. Cahier, IC 571 (1969), 5 (15 f.); Denza, Diplomatic Law, S. 351 f.; Lee, Convention on Consular Relations, S. 157 (im Konsularrecht besteht aufgrund der Regelungen in Art. 53 Abs. 1 Alt. 2 und Art. 19 Abs. 2 WÜK sowie der Tatsache, daß lediglich Immunitäten ratione materiae gewährt werden, die hier geschilderte Mißbrauchsmöglichkeit allerdings kaum.); McClanahan, Diplomatic Immunity, S. 127 f. Der Vorschlag von Denza, a.a.O., S. 356, in einem solchen Fall das Wort „normalerweise“ in Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD so zu verstehen, daß die Exemtionen mit Beendigung der dienstlichen Tätigkeit sofort enden, verkennt die Intention dieser Formulierung und würde zudem ohnehin nicht helfen, da der betreffenden Person noch die Frist des Art. 9 Abs. 2 WÜD zugute käme. 361 Dies gilt entsprechend auch für die Immunitäten ratione materiae. Auch diese kann der Empfangsstaat naturgemäß erst gewähren, wenn er durch eine Notifikation seitens des Entsendestaates gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. a)–d) WÜD bzw. Art. 24 Abs. 1 lit. a)– d) WÜK darüber informiert wurde, daß eine bestimmte Person Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung ist. Vgl. auch die Regelung für bevorrechtigte Personen, die sich bereits im Hoheitsgebiet des Empfangsstaates befinden (dies sind in erster Linie die ortsansässigen Kräfte), in Art. 39 Abs. 1 WÜD: Deren Exemtionen (auch deren Immunitäten ratione materiae) beginnen ausdrücklich (frühestens) mit dem Zeitpunkt der Notifikation ihrer Ernennung.
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Exemtionen genießen, beginnen ebenfalls mit dem Zeitpunkt der Einreise des Familienmitglieds in den Empfangsstaat.362 Sofern eine Person aber erst nach der Ankunft eines Diplomaten oder Mitglieds des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission dessen Familienangehöriger im Sinne des Art. 37 Abs. 1 und 2 WÜD wird, beginnen selbstverständlich erst zu dem Zeitpunkt, in dem der Status eines Familienangehörigen begründet wird, die ihr zustehenden Vorrechte und Befreiungen. Auch hier gilt, daß eine Nichtbeachtung der Exemtionen für den Empfangsstaat nur dann völkerrechtliche Konsequenzen hat, wenn er durch den Entsendestaat gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. b) WÜD über die Ankunft eines Familienmitglieds bzw. die Tatsache, daß eine Person Familienangehöriger eines Mitglieds einer Mission geworden ist, informiert wurde. b) Beginn der Exemtionen für Personen, die sich bereits vor Aufnahme ihrer dienstlichen Tätigkeit im Empfangsstaat aufgehalten haben Der Zeitpunkt des Beginns der Exemtionen für Personen, die sich bereits vor Aufnahme ihrer dienstlichen Tätigkeit und unabhängig von dieser im Hoheitsgebiet des Empfangsstaates aufhalten, etwa dort ansässig sind oder vor Dienstbeginn einen Urlaub verbringen, kann nicht der Zeitpunkt ihrer Einreise sein. Art. 39 Abs. 1 WÜD bestimmt für diesen Fall, daß die Exemtionen zu dem Zeitpunkt beginnen, in dem die Ernennung der betreffenden Person dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten oder dem anderen in gegenseitigem Einvernehmen bestimmten Ministerium notifiziert wird.363 Diese Regelung, die allgemein für Personen gilt, die sich bereits im Hoheitsgebiet des Empfangsstaates aufhalten, ist in erster Linie für die ortsansässigen Mitglieder einer diplomatischen Vertretung gedacht, etwa für die im Empfangsstaat ständig ansässigen Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer Mission wie Fahrer, Gärtner oder Hausmeister. Bei ihnen könnte überhaupt nicht auf den Zeitpunkt einer Einreise in den Empfangsstaat abgestellt werden. Doch ist Art. 39 Abs. 1 WÜD hinsichtlich der Befreiungen von ___________ Art. 39 Abs. 1 WÜD ist zwar für Familienmitglieder nicht unmittelbar anwendbar, da er von einer Einreise, „um dort ihren Posten anzutreten“, spricht, sich also auf die Mitglieder einer diplomatischen Mission bezieht. Doch muß diese Vorschrift ihrem Sinn und Zweck nach auf Familienmitglieder entsprechend angewandt werden. Das WÜD weist bezüglich der Familienmitglieder eine unbeabsichtigte Regelungslücke auf, die durch eine analoge Anwendung des Art. 39 Abs. 1 WÜD zu schließen ist. Vgl. auch Art. 53 Abs. 2 WÜK, der für die (allerdings keine Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießenden) Familienangehörigen von Mitgliedern einer konsularischen Vertretung eine spezielle, aber sehr ähnliche Regelung trifft. Wie hier auch Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 150 ff. 363 Vgl. LG Heidelberg, NJW 1970, 1514 (1515). Art. 39 Abs. 1 WÜD lautet, soweit hier von Interesse: „Die Vorrechte und Immunitäten stehen den Berechtigten (…) von dem Zeitpunkt an [zu], in dem ihre Ernennung dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten oder dem anderen in gegenseitigem Einvernehmen bestimmten Ministerium notifiziert wird.“ 362
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strafrechtlicher Verantwortlichkeit, die den im Empfangsstaat ständig ansässigen Personen zukommen, nahezu irrelevant, da diese Personen nur Immunität ratione materiae genießen, die aber – wie gesagt – für jede einzelne immunitätsgeschützte Handlung jeweils erst zum Zeitpunkt ihrer Vornahme beginnt.364 Leicht differierend ist die entsprechende Bestimmung des WÜK. Art. 53 Abs. 1 WÜK stellt bezüglich des Exemtionsbeginns für die Personen, die sich bereits im Hoheitsgebiet des Empfangsstaates aufhalten, nicht auf den Zeitpunkt der Notifizierung, sondern auf den der Aufnahme der dienstlichen Tätigkeit in der konsularischen Vertretung ab.365 Hier stellt sich die Frage, inwieweit der Empfangsstaat zur Exemtionsgewährung verpflichtet ist, wenn ihm zum Zeitpunkt des Beginns der konsularischen Tätigkeit die Bestellung der betreffenden Person zum Mitglied der konsularischen Vertretung noch nicht gemäß Art. 24 Abs. 1 lit. a) WÜK notifiziert worden ist. Da es dem Empfangsstaat in diesem Fall nicht möglich ist, für die Gewährung der Exemtionen Sorge zu tragen, wird man die Frage dahingehend zu beantworten haben, daß sich der Entsendestaat nicht auf die Vorrechte und Befreiungen berufen kann, solange er seiner Notifizierungsverpflichtung nicht nachgekommen ist.366 2. Ende der diplomatischen und konsularischen Exemtionen a) Erlöschen der Immunitäten ratione personae, der Unverletzlichkeiten und der Befreiungen von Zeugenpflichten bei Dienstbeendigung Mit Ausnahme der Immunitäten ratione materiae erlöschen gemäß Art. 39 Abs. 1 Satz 1 WÜD und Art. 53 Abs. 3 WÜK alle Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit bei Beendigung der dienstlichen Tätigkeit, so daß dann strafrechtliche Maßnahmen grundsätzlich (wieder) zulässig werden.367 ___________ Von Bedeutung ist diese Bestimmung für den Beginn der Immunitäten ratione materiae allerdings dann, wenn dem Empfangsstaat bei Dienstbeginn einer Person deren Ernennung zum Mitglied der Mission noch nicht notifiziert worden war. Dann erstreckt sich deren Immunität ratione materiae nur auf diejenigen Dienst- bzw. Amtshandlungen, die nach der Notifizierung vorgenommen werden. Vgl. auch oben Anm. 361. 365 Vgl. Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 149. Art. 53 Abs. 1 WÜK lautet, soweit hier von Interesse: „Die in diesem Übereinkommen vorgesehenen Vorrechte und Immunitäten stehen den Mitgliedern der konsularischen Vertretung (…), wenn sie sich bereits in seinem Hoheitsgebiet befinden, von dem Zeitpunkt an [zu], in dem sie ihre dienstliche Tätigkeit in der konsularischen Vertretung aufnehmen.“ 366 Vgl. auch oben Anm. 361. 367 Vgl. BVerfGE 96, 68 (80, 89) = NJW 1998, 50 (51, 54); OLG Düsseldorf NJW 1986, 2204 (2204); OVG Münster, AVR 36 (1998), 345 (348); LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 8, § 19 GVG Rn. 12; Cassese, International Law, S. 116; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 278, 296; Denza, Diplomatic Law, S. 357 ff.; Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (78); Doehring, Völkerrecht, Rn. 679; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (71); Donoghue, CJTL 27 (1989), 615 (617 ff., mit ausführlicher Darstellung 364
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Dies wurde von den USA in der sogenannten Abisinito-Affäre deutlich herausgestellt. Der Botschafter Papua-Neuguineas, Kiatro Abisinito, hatte im Februar 1987 in Washington bei einer privaten Autofahrt in betrunkenem Zustand einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem fünf Fahrzeuge beschädigt und zwei US-Bürger verletzt worden waren. Nachdem Abisinito die USA verlassen hatte, kündigte ein US-Staatsanwalt an, Anklage gegen den ehemaligen Botschafter zu erheben. Auf den hiergegen von Papua-Neuguinea erhobenen Protest antwortete das USAußenministerium mit einer Note, in der es unter anderem hieß: “Except for actions or prosecutions arising in connection with the exercise of their functions, all jurisdictional immunities that such persons previously enjoyed expire at the completion of this period. The concept of total exoneration or pardon for acts committed while in a status affording the individual criminal immunity is unknown in international law.”368
Wann die dienstliche Tätigkeit eines Mitglieds einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung endet, wurde bereits oben in § 12 IV.2. und 4. erörtert: erstens bei einem Abbruch der diplomatischen oder konsularischen Beziehungen, zweitens bei einem Untergang eines der beiden Staaten, drittens bei einer Abberufung oder Entlassung eines Mitglieds einer Vertretung durch den Entsendestaat sowie viertens dann, wenn der Entsendestaat einem durch eine Erklärung einer Person als non grata oder „nicht genehm“ geäußerten Abberufungs- bzw. Entlassungsverlangen des Empfangsstaates nicht innerhalb einer angemessenen Frist nachkommt und der Empfangsstaat daraufhin dem Entsendestaat gemäß Art. 9 Abs. 2 WÜD bzw. Art. 9 Abs. 2 WÜK notifiziert, er lehne es ab, eine Person weiterhin als Mitglied einer Vertretung anzuerkennen. Der entscheidende Zeitpunkt für die Beendigung der dienstlichen Tätigkeit bei der dritten und vierten Konstellation ist nach Art. 43 WÜD bzw. Art. 25 WÜK der der Notifikation der maßgeblichen Entscheidung. ___________ der historischen Entwicklung dieser Regel); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 42; Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (977); George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (112, 116, 128); LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 340; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 19; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (412 f.); KK-StPOPfeiffer, § 18 GVG Rn. 6; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 231; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1038); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (447); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 38. A.A. Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 44; AK-StGB-Lemke, vor § 3 Rn. 39; NK-StGB-Lemke, vor § 3 Rn. 62, die aber das Erfordernis einer Differenzierung zwischen den Immunitäten ratione materiae und den übrigen Exemtionen verkennen. 368 Teilweiser Abdruck der Note in AJIL 81 (1987), 937 (938). Die hier zitierte Textpassage ist auch wiedergegeben bei Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 42 und Matz, Vienna Convention on Diplomatic Relations (1961), Add. 1999, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1301 (1303). Vgl. zu diesem Vorfall auch McClanahan, Diplomatic Immunity, S. 132 ff.; Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 7, 159 ff.; Shaw, International Law, S. 535; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 224.
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Die diplomatischen und konsularischen Exemtionen entfallen aber nicht nur bei einer Beendigung der dienstlichen Tätigkeit der betreffenden Person, sondern auch bei einem Verzicht auf die Exemtionen durch den Entsendestaat. Auf die mit einem Verzicht auf die Exemtionen zusammenhängenden Fragen wird unten in § 13 IV. gesondert eingegangen. Nachfolgend geht es nur um die Frage des Erlöschens von Exemtionen bei einer Beendigung der dienstlichen Tätigkeit der bevorrechtigten Person. Zunächst wird auf den „Normalfall“ einer Dienstbeendigung durch den Entsendestaat eingegangen; die Besonderheiten bei einer Dienstbeendigung durch den Empfangsstaat werden anschließend aufgegriffen. aa) Erlöschen der Exemtionen bei einer durch den Entsendestaat veranlaßten Beendigung der dienstlichen Tätigkeit Zwar erlöschen – mit Ausnahme der Immunitäten ratione materiae – die Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, die Mitglieder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung genießen, bei Beendigung der dienstlichen Tätigkeit der betreffenden Person. Doch fällt das zeitliche Ende der Exemtionen nicht genau mit dem Zeitpunkt der Beendigung der dienstlichen Tätigkeit zusammen. Vielmehr werden die Mitglieder einer Vertretung auch noch für eine gewisse Zeit über das Ende ihrer dienstlichen Tätigkeit hinaus als schutzwürdig angesehen. Denn wenn die Exemtionen für Privathandlungen bzw. vor Beginn der dienstlichen Tätigkeit begangene Handlungen bereits unmittelbar mit der Beendigung der dienstlichen Tätigkeit entfielen, dürfte der Empfangsstaat eine bevorrechtigte Person verhaften und einer Strafverfolgung wegen einer (angeblichen) Tat unterwerfen, bevor sie die Chance gehabt hätte, den Empfangsstaat zu verlassen. Dies aber wäre mit dem Schutzzweck der Exemtionen, den bevorrechtigten Personen ein „risikoloses“ Tätigwerden im Empfangsstaat zu ermöglichen, unvereinbar. Das WÜD und WÜK legen daher fest, daß die Exemtionen so lange über den Zeitpunkt der Dienstbeendigung hinaus fortdauern, bis die geschützte Person aus dem Empfangsstaat ausgereist ist369 oder aber eine für eine Ausreise angemessene Frist verstrichen ist, je nachdem, welcher Zeitpunkt früher liegt. Wenn die geschützte Person aber den für eine Ausreise angemessenen Zeitraum verstreichen ___________ 369 Vgl. auch Denza, Diplomatic Law, S. 358 und Parkhill, ICLR 21 (1998), 565 (580 f.), die berichten, daß in Kanada 1984 umstritten war, ob ein Diplomat, der nach Beendigung seiner dienstlichen Tätigkeit am 12.7.1983 vom 16. bis 23.7.1983 in die USA gereist und dann nach Kanada, wo seine Familie verblieben war, zurückgekehrt war, nach seiner Rückkehr noch Exemtionen im Rahmen der Schutzfrist des Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD genoß. In diesem Fall ging es also um die Frage, ob mit jeder Ausreise aus dem Empfangsstaat vor Ablauf der Schutzfrist die Exemtionen enden oder diese erst im Zeitpunkt einer endgültigen Ausreise erlöschen. Der Ontario Court of Appeal, ILR 101, 306 (314 f.), hat – zutreffend – entschieden, Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD stelle auf die endgültige Ausreise ab.
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läßt oder später in den Empfangsstaat zurückkehrt, so setzt sie sich eigenverantwortlich dem Risiko einer Strafverfolgung aus und ist nicht mehr schutzwürdig.370 Die zeitlich begrenzte Fortdauer der Exemtionen über den Zeitpunkt der Dienstbeendigung hinaus, die schon lange im völkergewohnheitsrechtlichen Diplomatenrecht verankert ist,371 ist für die diplomatischen Exemtionen in Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD geregelt, wo es heißt: „Die Vorrechte und Immunitäten einer Person, deren dienstliche Tätigkeit beendet ist, werden normalerweise372 im Zeitpunkt der Ausreise oder aber des Ablaufs einer hierfür gewährten angemessenen Frist hinfällig; bis zu diesem Zeitpunkt bleiben sie bestehen, und zwar auch im Fall eines bewaffneten Konflikts.“
Art. 39 Abs. 3 WÜD bestimmt für Familienangehörige: „Stirbt ein Mitglied der Mission, so genießen seine Familienangehörigen bis zum Ablauf einer angemessenen Frist für ihre Ausreise weiterhin die ihnen zustehenden Vorrechte und Immunitäten.“
Art. 53 Abs. 3 WÜK formuliert für die konsularischen Exemtionen: „Ist die dienstliche Tätigkeit eines Mitglieds einer konsularischen Vertretung beendet, so werden seine Vorrechte und Immunitäten sowie diejenigen der mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen (…) normalerweise im Zeitpunkt der Ausreise des Betreffenden aus dem Empfangsstaat oder nach Ablauf einer hierfür gewährten angemessenen Frist hinfällig, je nachdem, welcher Zeitpunkt früher liegt; bis zu diesem Zeitpunkt bleiben sie bestehen, und zwar auch im Fall eines bewaffneten Konflikts. Die Vorrechte und Immunitäten der in Abs. 2 bezeichneten Personen [u.a. Familienangehörige, der Verf.] werden beim Ausscheiden aus dem Haushalt (…) eines Mitglieds der konsularischen Vertretung hinfällig; beabsichtigen sie jedoch, innerhalb einer angemessenen Frist aus dem Empfangsstaat auszureisen, so bleiben ihre Vorrechte und Immunitäten bis zu ihrer Ausreise bestehen.“
Diese begrenzte Weitergeltung der Immunitäten ratione personae, der Unverletzlichkeitsgewährleistungen für private Taten sowie der Befreiungen von den Zeugenpflichten für einen gewissen, vom Zeitpunkt der Beendigung der dienstlichen Tätig___________ Vgl. OVG Münster, AVR 36 (1998), 345 (348 f.); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 296; Donoghue, CJTL 27 (1989), 615 (629 f.); George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (112, 128) sowie den kommentierten Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (103) (UN-Dokument A/3859). Young, BYIL 40 (1964), 141 (162) berichtet, diese Auffassung habe schon Bynkershoek 1721 in seinem damals grundlegenden Werk De Foro Legatorum vertreten. 371 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 357 und Cassese, International Law, S. 118 f., der berichtet, der US-Außenminister habe im Jahr 1908 dem brasilianischen Botschafter in den USA mitgeteilt, “the diplomatic immunity inherent in the persons of diplomatic agents extends for a reasonable time after the cessation of diplomatic functions in order that they may complete their arrangements to leave the country”. 372 Das Wort „normalerweise“ (normally) ist hier i.S.v. „grundsätzlich“ zu verstehen und soll deutlich machen, daß es mit Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD eine Ausnahme vom Erlöschen der Exemtionen für Dienst- bzw. Amtshandlungen gibt. Dieses Wort ist nicht so zu verstehen, daß in Fällen besonders schwerer Straftaten die Schutzfrist ausnahmsweise nicht gilt. So aber Denza, Diplomatic Law, S. 356. 370
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keit an zu bemessenden Zeitraum betrifft zunächst die Diplomaten und die Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Vertretung, soweit sie weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind (Art. 29, 31 und 37 Abs. 2 WÜD), sowie die Berufskonsularbeamten, die weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind (Art. 41 Abs. 1 und Art. 44 Abs. 1 Satz 3 WÜK). Die übrigen nach Diplomaten- und Konsularrecht geschützten Mitglieder diplomatischer oder konsularischer Vertretungen, vor allem diejenigen, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, genießen lediglich Immunitäten ratione materiae, die – wie unten erläutert wird – zeitlich unbegrenzt fortdauern.373 Auch die Exemtionen der Familienangehörigen von Diplomaten und Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission, die bei einer Funktionsbeendigung desjenigen Mitglieds einer diplomatischen Mission erlöschen, dessen Angehöriger die betreffende Person ist, bzw. die im Fall einer Auflösung der Lebensgemeinschaft mit einem Mitglied einer diplomatischen Mission erlöschen, gelten für eine begrenzte Zeit weiter. Denn auch diese Personen bedürfen einer gewissen Schutzfrist, um gegebenenfalls aus dem Empfangsstaat ausreisen zu können. Allerdings muß bei ihnen der Beginn dieser Schutzfrist anders bestimmt werden, schließlich sind sie nicht dienstlich bei einer Vertretung tätig. Bei einem Familienangehörigen läuft die Schutzfrist normalerweise ab dem Zeitpunkt der Beendigung der dienstlichen Tätigkeit desjenigen Mitglieds einer Vertretung, dessen Angehöriger die betreffende Person ist. Sofern jedoch der Status einer Person als nach Art. 37 Abs. 1 und 2 WÜD geschützter Familienangehöriger dadurch erlischt, daß der gemeinsame Haushalt aufgelöst wird – beispielsweise wenn sich ein Ehepartner von einem Missionsmitglied trennt, ein Kind dauerhaft auszieht oder das betreffende Mitglied der diplomatischen Mission verstirbt374 –, ist die Schutzfrist, während der die Exemtionen weitergelten, von dem Zeitpunkt an zu bemessen, zu dem die bevorrechtigte Person ihren Status als Familienmitglied durch die tatsächliche Auflösung der Lebensgemeinschaft verliert. Allerdings trifft das WÜD – anders als das WÜK – keine explizite Regelung hinsichtlich der Beendigung der Exemtionen von Familienangehörigen für den Fall, daß die Haushaltsgemeinschaft mit einem Mitglied einer diplomatischen Mission anders als durch dessen Tot endet oder die dienstliche Tätigkeit des betreffenden Mitglieds einer diplomatischen Mission endet.375 Es wäre aber offensichtlich sinn___________ 373 Eine Besonderheit gilt aber hinsichtlich des Zeugnisverweigerungsrechts nach Art. 44 Abs. 3 WÜK. Dieses wird neben Berufskonsularbeamten auch weiteren Mitgliedern konsularischer Vertretungen gewährt und erlischt ebenfalls erst nach Ablauf der Schutzfrist. 374 Vgl. O’Keefe, ICLQ 25 (1976), 329 (350). 375 Vgl. Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 151 ff.
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widrig, wenn in solchen Fällen die Exemtionen sofort endeten.376 Vielmehr zeigt ein Blick auf Art. 39 Abs. 3 WÜD und auf den präziser und sorgfältiger formulierten Art. 53 Abs. 3 WÜK, mit dem der Sache nach das gleiche zum Ausdruck gebracht werden sollte wie mit Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD, daß das Fehlen einer umfassenden Regelung zum Exemtionsende für Familienmitglieder im WÜD unbeabsichtigt ist. Diese Regelungslücke ist deshalb durch eine analoge Anwendung des Art. 53 Abs. 3 WÜK zu schließen.377 Zu beachten ist, daß vom Empfangsstaat keine explizite Fristsetzung vorzunehmen ist, also die Schutzfrist nicht nur nach einer Fristsetzung durch den Empfangsstaat zu laufen beginnt. Sie beginnt vielmehr automatisch mit Beendigung der dienstlichen Tätigkeit des betreffenden Mitglieds einer Vertretung bzw. bei Familienangehörigen mit dem Verlust des Status des Familienangehörigen. Die Bezeichnung „gewährte Frist“ in den beiden relevanten Normen ist also im Sinne einer vom Empfangsstaat „zu beachtenden Frist“ zu interpretieren.378 Es bleibt nun allerdings noch die für die Rechtspraxis wichtige Frage zu klären, wie der unbestimmte Rechtsbegriff der angemessenen Frist für eine Ausreise zu verstehen ist. Welche Frist angemessen ist, läßt sich nicht pauschal und abstrakt für alle Fälle einheitlich nach Tagen oder Wochen festlegen. Wäre eine starre Frist beabsichtigt gewesen, so wäre eine solche sicherlich im WÜD und im WÜK festgelegt worden. Die Frist ist vielmehr auf den konkreten Einzelfall bezogen individuell zu bemessen.379 Sie wird für einen alleinstehenden Diplomaten, dessen Heimatstaat verkehrsgünstig zu erreichen ist und nur eine Tagesreise entfernt liegt, weitaus kürzer zu bemessen sein als für einen Diplomaten, der mitsamt seinem Ehepartner und schulpflichtigen Kindern in einem weit von der Heimat entfernten Staat tätig ist. Auch ist die Dauer einer angemessenen Frist bei einem Mitglied einer Vertretung, das wegen eines besonders schwerwiegenden Verbrechens zur persona non grata erklärt worden ist, kürzer als bei einem Missionsmitglied, das auf ___________ Dies müßte man, stellte man ausschließlich auf den Wortlaut des WÜD ab, wohl annehmen, da nach Art. 37 Abs. 1 und 2 nur zum Haushalt eines Diplomaten bzw. Mitglieds des Verwaltungs- und technischen Personals gehörende Familienmitglieder Exemtionen genießen und die Eigenschaft als Diplomat oder Mitglied des Verwaltungs- und technischen Personals bei Dienstbeendigung ebenso verlorengeht wie die „zum Haushalt zu gehören“ bei Auflösung der Haushaltsgemeinschaft. 377 A.A. aber Denza, Diplomatic Law, S. 361 und Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 153. 378 Denn in der verbindlichen englischen Sprachfassung der Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD und Art. 53 Abs. 3 Satz 1 WÜK (vgl. Art. 53 WÜD, Art. 79 WÜK) ist nicht von einer „gewährten Frist“ die Rede, sondern dort heißt es “on expiry of a reasonable period in which to do so”. Zu Recht äußert daher das OVG Münster, AVR 36 (1998), 345 (348) „Zweifel“ an der Übereinstimmung der amtlichen deutschen Übersetzung des Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD mit den verbindlichen Wortlauten. 379 Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1043); dies., Diplomatic Law, S. 359 f.; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 154 f.; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 200 f. 376
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Wunsch des Entsendestaates seinen Dienst beendet hat. Mindestens einige Tage wird die Frist allerdings in jedem Fall lang sein müssen, denn sie soll die ordnungsgemäße Ausreise ermöglichen.380 Es muß also jedenfalls soviel Zeit gewährt werden, daß die betreffende Person nicht nur die Ausreise der eigenen Person organisieren, sondern auch für die Mitnahme ihres beweglichen Eigentums Sorge tragen kann. Die Bestimmung der Angemessenheit der Frist im konkreten Einzelfall obliegt nicht einseitig dem Empfangsstaat – auch wenn in der Staatenpraxis der Empfangsstaat, wenn er ein Mitglied einer Vertretung zur persona non grata oder „nicht genehmen Person“ erklärt, häufig einen Zeitpunkt nennt, bis zu dem eine Ausreise zu erfolgen hat. Auch der Entsendestaat kann nicht eigenständig die Fristdauer festlegen. Die Dauer der Angemessenheit einer Schutzfrist ist vielmehr objektiv zu bestimmen, einseitige Erklärungen des Empfangs- oder Entsendestaates sind nicht mehr als die Kundgabe der jeweiligen Rechtsauffassung.381 Abschließend ist noch festzustellen, daß die hier geschilderten Bestimmungen der Fortgeltung der Exemtionen von Personen, deren dienstliche Tätigkeit beendet worden ist, bis zum Zeitpunkt ihrer Ausreise oder dem Ablauf einer angemessenen Frist zur Ausreise nicht nur dann gelten, wenn der Entsendestaat von sich aus die Tätigkeit einzelner Mitglieder einer Vertretung beendet, sondern auch dann, wenn die Tätigkeit aller Mitglieder einer Vertretung endet, weil die diplomatischen oder konsularischen Beziehungen abgebrochen wurden (wobei irrelevant ist, welcher Staat den Abbruch der Beziehungen erklärt hat)382 oder weil der Entsendestaat oder der Empfangsstaat als Völkerrechtssubjekt untergegangen ist.383 ___________ 380 Als Großbritannien im Jahr 1984, nachdem aus dem Gebäude der Botschaft Libyens in London Schüsse abgegeben worden waren und eine Polizistin tödlich getroffen worden war, die diplomatischen Beziehungen zu Libyen abbrach, wurde den Mitgliedern der Mission eine Frist von sieben Tagen für eine Ausreise gesetzt. Vgl. Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1043); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 38. 381 In der Staatenpraxis ergeben sich wegen der Reziprozität der diplomatischen und konsularischen Beziehungen hieraus kaum Probleme. Ein Staat, der einseitig eine sehr kurze Frist für die Ausreise eines von ihm zur persona non grata oder „nicht genehmen Person“ erklärten Mitglieds einer Vertretung „setzt“, muß nämlich damit rechnen, daß der Entsendestaat nun seinerseits Mitglieder der Mission des eigenen Staates im Entsendestaat unter Setzung einer ebenso kurzen Frist gleichfalls „ausweist“. In der Praxis werden daher regelmäßig Fristen „gesetzt“, die auch bei neutraler Betrachtung als angemessen anzusehen sind. Daher werden solche Fristen auch regelmäßig vom anderen Staat beachtet. 382 Als einziger Unterschied zur Situation einer Abberufung einzelner Personen durch den Entsendestaat ist zu beachten, daß die dienstliche Tätigkeit der Mitglieder der betroffenen Vertretungen nicht erst im Zeitpunkt einer Notifikation des Entsendestaates gemäß Art. 43 lit. a) WÜD bzw. Art. 25 lit. a) WÜK endet, sondern unmittelbar mit Empfang der Erklärung des Abbruchs der Beziehungen durch den anderen Staat. 383 Insofern unproblematisch ist der Fall des Untergangs des Entsendestaates. In einem solchen Fall sind Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD bzw. Art. 53 Abs. 3 WÜK ohne weiteres anwendbar. Nach dem Untergang der DDR infolge ihres Beitritts zur Bundesrepublik ge-
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bb) Erlöschen der Exemtionen bei einer durch den Empfangsstaat veranlaßten Beendigung der dienstlichen Tätigkeit Wie oben in § 12 IV.2. und § 12 IV.4. erwähnt, kann die dienstliche Tätigkeit eines Mitglieds einer diplomatischen oder konsularischen Mission gemäß Art. 43 lit. b) WÜD und Art. 25 lit. b) und c) WÜK auch dadurch enden, daß der Empfangsstaat dem Entsendestaat notifiziert, er lehne es ab, eine Person weiterhin als Mitglied einer Vertretung zu betrachten. Eine solche Notifikation ist nach Art. 9 Abs. 2 WÜD und Art. 23 Abs. 2 WÜK möglich, wenn der Empfangsstaat gemäß Art. 9 Abs. 1 WÜD bzw. Art. 23 Abs. 1 WÜK ein Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung zur persona non grata bzw. zur „nicht genehmen Person“ erklärt hat, der Entsendestaat sich aber weigert, die betreffende Person abzuberufen bzw. zu entlassen oder zumindest dies innerhalb einer angemessenen Frist unterläßt. ___________ nossen somit die (früheren) Auslandsvertreter der DDR gegenüber ihrem jeweiligen Empfangsstaat die Schutzfristen des Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD bzw. Art. 53 Abs. 3 WÜK. Schwieriger zu beurteilen ist die Konstellation des Erlöschens des Empfangsstaates. Denn die Pflicht zur Gewährung einer Schutzfrist nach Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD bzw. Art. 53 Abs. 3 WÜK trifft nur den Empfangsstaat, dieser kann ihr aber im Fall seines Erlöschens nicht mehr nachkommen. Doch ist zu bedenken, daß auch dann die betroffenen Personen schutzwürdig sind und ein legitimes Interesse haben, ungehindert durch Strafverfolgungsaktivitäten des Gebietsnachfolgestaates in das Hoheitsgebiet ihres Entsendestaates zurückkehren zu können. Sinn und Zweck von Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD und Art. 53 Abs. 3 WÜK verlangen daher, daß die Verpflichtung, den ehemaligen Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen bis zu ihrer Ausreise aus dem Gebiet des Empfangsstaates oder bis zum Ablauf einer hierfür angemessenen Frist weiterhin Exemtionen zu gewähren, nicht nur den Empfangsstaat trifft und mithin bei dessen Untergang erlischt, sondern dem jeweiligen Gebietshoheitsträger obliegt und daher im Fall einer Staatensukzession auf den Gebietsnachfolger übergeht. Die Richtigkeit dieser Feststellung wird durch Art. 40 Abs. 4 WÜD und Art. 54 Abs. 4 WÜK untermauert. Nach diesen Bestimmungen hat ein Drittstaat, in dessen Gebiet Mitglieder einer in einem anderen Staat errichteten diplomatischen oder konsularischen Vertretung aufgrund höherer Gewalt, etwa aufgrund einer Entführung oder Notlandung eines Flugzeugs, gelangen, diesen zwar keine Immunität, wohl aber eine Freistellung von seiner strafprozessualen Zwangsgewalt so lange zu gewähren, bis sie wieder ausreisen oder bis eine für eine Ausreise angemessene Frist verstrichen ist. Die Situation, die Art. 40 Abs. 4 WÜD und Art. 54 Abs. 4 WÜK zu regeln bezwecken, ist vergleichbar mit der einer Dienstbeendigung durch Untergang des Empfangsstaates. Aus Sicht der Mitglieder in diesem Staat errichteter diplomatischer und konsularischer Vertretungen finden diese sich bei einer Staatensukzession ebenfalls „aufgrund höherer Gewalt“ plötzlich im Hoheitsgebiet eines anderen Staates wieder, gegenüber dessen Strafgewalt sie eigentlich keine Exemtion genießen. Die Bundesrepublik hatte daher den in der DDR tätig gewesenen Auslandsvertretern anderer Staaten nach Beendigung ihrer dienstlichen Tätigkeit aufgrund des Erlöschens der DDR mit Beginn des 3.10.1990 gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD und Art. 53 Abs. 3 WÜK die Exemtionen, die sich in der DDR genossen, zeitlich begrenzt bis zum Zeitpunkt ihrer Ausreise aus dem (erweiterten) Gebiet der DDR bzw. bis zum Ablauf einer hierfür angemessenen Frist als Rechtsnachfolgerin der DDR zu gewähren. So wurde von der Bundesrepublik auch tatsächlich verfahren. Laut einer Rundnote des Auswärtigen Amtes vom 24.8.1990 war man bereit, die Vorrechte und Befreiungen für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten nach Wirksamwerden des Beitritts der DDR fortgelten zu lassen; vgl. BVerfGE 96, 68 (75 f.) (Passage in der NJW nicht abgedr.).
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Im Fall einer solchen Beendigung der dienstlichen Tätigkeit eines Mitglieds einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung durch den Empfangsstaat besteht zwar hinsichtlich des Erlöschens der Exemtionen kein sachlicher Unterschied zu dem „Normalfall“ der Beendigung der dienstlichen Tätigkeit durch den Entsendestaat. Auch in diesem Fall enden die Exemtionen nicht sofort zum Zeitpunkt der Notifikation, sondern beginnt mit der Notifikation nach Art. 43 lit. b) WÜD bzw. Art. 25 lit. b) und c) WÜK die Schutzfrist des Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD bzw. Art. 53 Abs. 3 Satz 1 WÜK. Auch in diesem Fall enden die Exemtionen im Zeitpunkt der tatsächlichen Ausreise oder aber nach Ablauf der Schutzfrist, je nachdem, welcher Zeitpunkt früher liegt. Doch ist bei einer Dienstbeendigung durch den Empfangsstaat das Zusammenspiel der verschiedenen Fristen besonders zu beachten, weshalb es sinnvoll erscheint, diesen Vorgang in seinem chronologischen Ablauf darzustellen. Vorab ist aber darauf hinzuweisen, daß der Empfangsstaat wegen seiner Verpflichtung zur Gewährung einer Schutzfrist zur Ermöglichung einer Ausreise mit einer Erklärung einer bestimmten Person zur persona non grata oder „nicht genehmen Person“ in der Regel nur erreichen kann, daß diese sein Hoheitsgebiet verläßt; die Möglichkeit einer Strafverfolgung kann er sich dadurch normalerweise nicht verschaffen. Hinsichtlich der dem Bereich der dienstlichen Tätigkeiten zuzurechnenden und von Immunität ratione materiae erfaßten Taten darf er ohnehin selbst dann keine Strafverfolgungsmaßnahmen durchführen, wenn die betreffende Person nach der Beendigung ihrer dienstlichen Tätigkeit im Empfangsstaat verbleibt. Lediglich wegen außerdienstlich begangener und wegen vor Dienstbeginn verübter Taten wird nach Ablauf der Schutzfrist eine Strafverfolgung möglich (sofern nicht eine andere Immunität, etwa die Staatenimmunität, einschlägig ist). Da es aber die betroffene Person zumindest im Fall des Vorwurfs einer schweren Tat in solchen Fällen vorziehen dürfte, rechtzeitig auszureisen, ist auch dies eine eher theoretische Möglichkeit.384 Wenn der Empfangsstaat ein Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung gemäß Art. 9 Abs. 1 WÜD bzw. Art. 23 Abs. 1 WÜK zur persona non grata bzw. „nicht genehmen Person“ erklärt, so ist der Entsendestaat verpflichtet, diese Person entweder abzuberufen oder ihre dienstliche Tätigkeit zu beenden. Wenn er dies – wie das in der Staatenpraxis in der Regel der Fall ist – tut, so besteht zwischen dieser Beendigung der dienstlichen Tätigkeit und einer Beendigung auf eigene Initiative des Entsendestaates hin kein Unterschied. Es gelten dann die ___________ Vgl. Donoghue, CJTL 27 (1989), 615 (627). Daher gibt es auch kaum Fälle aus der Staatenpraxis, in denen es zu einer Verfolgung von ehemaligen Angehörigen einer diplomatischen Mission wegen während ihrer Dienstzeit begangener „privater“ Straftaten gekommen ist. Aus diesem Befund darf aber nicht der Schluß gezogen werden, auch die Immunitäten ratione personae dauerten nach Funktionsbeendigung zeitlich unbegrenzt fort. So zu Recht Donoghue, a.a.O., S. 626 f. 384
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oben bei § 13 III.2.a)aa) geschilderten Bestimmungen hinsichtlich des Endes der Exemtionen. Wenn der Entsendestaat sich aber weigert, dem Abberufungs- bzw. Entlassungsverlangen nachzukommen oder innerhalb einer angemessenen (Reaktions-)Frist schlicht untätig bleibt, also die Abberufung oder Entlassung nicht vornimmt, so kann der Empfangsstaat bei einer ausdrücklichen Weigerung unmittelbar, im Fall eines Untätigbleibens nach Ablauf der angemessenen Reaktionsfrist durch eine zweite, ebenfalls notifikationsbedürftige Erklärung nach Art. 9 Abs. 2 WÜD bzw. Art. 23 Abs. 2 WÜK nun von sich aus die dienstliche Tätigkeit der betreffenden Person beenden.385 Die Reaktionsfrist ist von der Schutzfrist, in der die Exemtionen fortdauern, klar zu trennen. Die Reaktionsfrist, die der Empfangsstaat nach seiner Erklärung einer Person zur persona non grata bzw. „nicht genehmen Person“ verstreichen lassen muß, bevor er von sich aus die dienstliche Tätigkeit der betreffenden Person durch eine zweite Erklärung beenden kann, dient nur dazu, dem Entsendestaat die erforderliche Zeit für die Umsetzung des Abberufungs- bzw. Entlassungsverlangens zu gewähren. Die Dauer dieser Frist bemißt sich daher allein nach der im Einzelfall erforderlichen und angemessenen Zeit zur verwaltungstechnischen Umsetzung des Verlangens des Empfangsstaates. Wenn nun diese erste Frist abgelaufen ist, ohne daß sich der Entsendestaat gerührt hat, und der Empfangsstaat dem Entsendestaat daraufhin gemäß Art. 9 Abs. 2 WÜD bzw. Art. 23 Abs. 2 WÜK notifiziert hat, er betrachte die betreffende Person ab jetzt nicht mehr als Mitglied der diplomatischen bzw. konsularischen Vertretung, so beginnt ab dem Zeitpunkt dieser Notifikation nach Art. 43 lit. b) WÜD oder Art. 25 lit. b) bzw. c) WÜK die Schutzfrist nach Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD bzw. Art. 53 Abs. 2 Satz 1 WÜK. Die Exemtionen mit Ausnahme der Immunitäten ratione materiae enden erst nach Ablauf dieser zweiten Frist, bzw., sofern die Ausreise der betreffenden Person früher erfolgt, mit dieser. Die Reaktionsfrist und die Schutzfrist müssen nicht notwendigerweise unmittelbar aneinander anschließen; vielmehr kann der Empfangsstaat die Erklärung, er betrachte ein Mitglied einer Vertretung nicht mehr als solches, auch noch längere Zeit nach Verstreichen der Reaktionsfrist des Art. 9 Abs. 2 WÜD oder Art. 23 Abs. 2 WÜK abgeben. Die Schutzfrist der Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD und Art. 53 Abs. 3 Satz 1 WÜD beginnt stets erst mit dem Zeitpunkt der Notifikation der Erklärung, eine Person nicht mehr als Mitglied einer Vertretung zu betrachten. Umgekehrt können sich diese Fristen aber auch nicht überschneiden.
___________ 385
Vgl. LG Heidelberg, NJW 1970, 1514 (1515).
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b) Unbegrenzte Fortdauer der Immunitäten ratione materiae aa) Die Regelungen des WÜD und des WÜK Die Immunitäten ratione materiae, also die Exemtionen für Taten, die als diplomatische oder konsularische Diensthandlungen bzw. Amtshandlungen zu klassifizieren sind, dauern – wie bereits mehrfach erwähnt wurde – auch nach Dienstbeendigung zeitlich unbegrenzt fort.386 Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD formuliert: „In bezug auf die von der betreffenden Person in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit als Mitglied der Mission vorgenommenen Handlungen bleibt jedoch die Immunität auch weiterhin bestehen.“
In Art. 53 Abs. 4 WÜK heißt es: „In bezug auf die von einem Konsularbeamten oder einem Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals in Wahrnehmung seiner Aufgaben vorgenommenen Handlungen bleibt jedoch die Immunität von der Gerichtsbarkeit auf unbegrenzte Zeit bestehen.“387
___________ Vgl. BVerfGE 96, 68 (80, 89) = NJW 1998, 50 (51, 54); OLG Düsseldorf NJW 1986, 2204 (2204); OVG Münster, AVR 36 (1998), 345 (348); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 108; LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 8, § 19 GVG Rn. 12; Cassese, International Law, S. 116, 118; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 278, 296, 311, 315; Denza, Diplomatic Law, S. 361 ff.; Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (78); ders., Consular Immunity, S. 78 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 679; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (71); Donoghue, CJTL 27 (1989), 615 (617 ff.); Economedès, Consuls, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 770 (774); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 42; Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (977); George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (112, 128); LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 340; Herdegen, Völkerrecht, § 38 Rn. 4; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 34 f.; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 18 GVG Rn. 1; Kissel/Mayer, GVG, § 18 Rn. 19; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 75 f.; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (413); ders., Internationales Strafrecht, Rn. 527; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 6; Schweitzer/Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis, Rn. 1005; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1038); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (447); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 38. 387 Art. 53 WÜK gilt zwar, da er in Kapitel II des WÜK steht, das allein für die von Berufskonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretungen einschlägig ist, unmittelbar nur für solche Konsularbeamte und Mitglieder des Verwaltungs- oder technischen Personals, die in einer berufskonsularischen Vertretung tätig waren und während ihrer Dienstzeit weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig waren. Doch erklärt Art. 58 Abs. 2 WÜK den Art. 53 WÜK für die Mitglieder einer von einem Wahlkonsularbeamten geleiteten Vertretung für ebenfalls anwendbar. Hinsichtlich der Mitglieder einer konsularischen Vertretung, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, trifft Art. 71 WÜK zwar überhaupt keine Regelung hinsichtlich des Endes bzw. der Fortdauer der Exemtionen. Doch ist für diese Personen Art. 53 WÜK gleichfalls anwendbar, da Art. 71 WÜK lediglich eine Spezialregelung in bezug auf den sachlichen Umfang der zu gewährenden Exemtionen ratione materiae enthält, nicht aber die Normen des WÜK verdrängen will, die sonstige Aspekte der Exemtionen regeln. 386
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In der Literatur wird in diesem Zusammenhang zum Teil von einer „Fortwirkung“ der Immunitäten ratione materiae gesprochen.388 Doch ist diese Terminologie bedenklich. Denn der Begriff „Fortwirkung“ weckt die Assoziation, daß bloß die Wirkung der Immunitäten ratione materiae, sprich das Verbot einer Strafverfolgung, andauert, während die Immunitäten selbst erlöschen. Dies ist aber nicht der Fall. Vielmehr gelten die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts ohne qualitative Veränderung zeitlich unbegrenzt weiter, sie werden durch die Beendigung der dienstlichen Tätigkeit der betreffenden Person überhaupt nicht berührt.389 Daher sind beispielsweise auch die Bestimmungen über einen Verzicht auf die Exemtionen weiterhin ohne Einschränkung anwendbar. Es sollte daher korrekterweise von einer „Fortgeltung“, einer „Fortdauer“ oder einem „Fortbestehen“ der Immunitäten ratione materiae gesprochen werden. Oben in § 13 I. und II. wurde gezeigt, daß die Immunitäten ratione materiae, die verschiedenen Gruppen von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen gewährt werden, nicht stets dieselbe Reichweite haben. Vielmehr gibt es – wie dargelegt – zwei Arten von Immunitäten ratione materiae im Diplomaten- und Konsularrecht: zum einen die (weite) Immunität ratione materiae, die alle Handlungen umfaßt, die in Ausübung der dienstlichen diplomatischen bzw. konsularischen Tätigkeit vorgenommen werden, zum anderen die (enge) Immunität ratione materiae, die auf die eigentlichen Amtshandlungen beschränkt ist. Die Formulierung in Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD und Art. 53 Abs. 4 WÜK entspricht im wesentlichen derjenigen, mit der im WÜD und im WÜK die weite Immunität ratione materiae bezeichnet wird, die alle in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit vorgenommene diplomatische bzw. konsularische Handlungen erfaßt. Dies bedeutet, daß die weiten Immunitäten ratione materiae, die Art. 37 Abs. 3 WÜD den Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals einer diplomatischen Mission, Art. 43 Abs. 1 WÜK den Berufskonsularbeamten und den Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals einer berufskonsularischen Vertretung sowie Art. 58 Abs. 2 WÜK den Wahlkonsularbeamten gewähren, ohne Veränderung ihres Umfangs fortdauern. Der leichte Differenz in den Formulierungen zwischen Art. 37 Abs. 3 WÜD und Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD einerseits und Art. 43 Abs. 1 WÜK und Art. 53 Abs. 4 WÜK andererseits kann einen sachlichen Unterschied nicht begründen.390 Es wäre verfehlt anzunehmen, Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD schränke mit den Worten „in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit als Mitglied der Mission vorgenommene Handlungen“ den Umfang der Immunität ratione materiae, die nach Dienstbeendigung fortgilt, gegenüber der während der Dienst___________ 388 So etwa Doehring, Völkerrecht, Rn. 679. Siehe auch MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 108; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 107 („Nachwirkung“). 389 Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (78 f.). Insofern gilt für die zeitliche Reichweite der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts das gleiche wie für die zeitliche Reichweite der Staatenimmunität; siehe diesbezüglich oben § 5 V. 390 A.A. Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 117 f.
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zeit geltenden Immunität ratione materiae ein, die gemäß Art. 37 Abs. 3 WÜD für „in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit vorgenommene Handlungen“ gilt, die also die Einschränkung „als Mitglied der Mission“ nicht enthält. Dienstliche Handlungen eines Mitglieds des dienstlichen Hauspersonals einer Mission im Sinne des Art. 37 Abs. 3 WÜD können nur dienstliche Handlungen als Mitglied der Mission sein. Im Rahmen irgendeines anderen Dienstverhältnisses begangene Taten werden auch durch Art. 37 Abs. 3 WÜD nicht geschützt. Sämtliche diplomatische und konsularische Immunitäten ratione materiae umfassen nur solche dienstlichen Handlungen, die im Rahmen der Erfüllung diplomatischer bzw. konsularischer Aufgaben im Sinne des Art. 3 WÜD bzw. Art. 5 WÜK vorgenommen werden. Andererseits darf aber aus der Formulierung in Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD und Art. 53 Abs. 4 WÜK nicht geschlossen werden, daß diejenigen Mitglieder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung, denen gemäß Art. 38 Abs. 1 WÜD bzw. Art. 71 Abs. 1 WÜK während ihrer Dienstzeit lediglich eine (enge) Immunität ratione materiae für ihre unmittelbaren Amtshandlungen zusteht, nach Dienstbeendigung auf einmal Immunität in einem größeren Umfang genießen. Dies wäre offensichtlich sinnwidrig. Schon die Formulierungen in Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD und Art. 53 Abs. 4 WÜK, wo jeweils davon die Rede ist, daß die Immunität „bestehen bleibt“, machen deutlich, daß die Immunitäten ratione materiae (allein) in dem Umfang nach Dienstbeendigung fortgelten, in dem sie während der Dienstzeit zu gewähren waren. Für die Diplomaten und Konsularbeamten, die nach Art. 38 Abs. 1 WÜD und Art. 71 Abs. 1 WÜK während ihrer Dienstzeit Immunität ratione materiae beschränkt auf ihre eigentlichen Amtshandlungen genießen, gilt daher auch nur die auf Amtshandlungen beschränkte Immunität fort. Die Fortgeltung der Immunitäten ratione materiae betrifft nicht nur diejenigen Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen, die während ihrer Dienstzeit bloß Immunität ratione materiae genießen. Vielmehr ist die Fortgeltung der Immunitäten ratione materiae auch für die Diplomaten und Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission von Relevanz, die gemäß Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD bzw. Art. 37 Abs. 2 WÜD während ihrer Dienstzeit umfassende Immunität ratione personae genießen.391 Denn wie oben in § 13 I.1.a)dd) und § 13 I.1.b) erläutert wurde, gelten die Immunitäten ratione personae dieser Personen für alle Taten, unabhängig davon, ob es sich um private oder dienstliche Taten handelt. Die Immunitäten ratione personae beinhalten damit auch eine Immunität für Diensthandlungen. Insofern kann man sagen, ___________ Zwar genießen gemäß Art. 37 Abs. 1 und 2 WÜD auch Familienangehörige von Diplomaten und Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Vertretung während der Zeit, in der sie mit dem Mitglied der Vertretung in einem Haushalt leben und die dienstliche Tätigkeit des Missionsmitglieds andauert, Immunität ratione personae, doch verrichten die Familienangehörigen keine dienstlichen Tätigkeiten für die Mission, so daß für sie eine Fortgeltung ihrer Immunität hinsichtlich dienstlicher Handlungen nicht in Betracht kommt. 391
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daß auch Diplomaten und Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission während ihrer Amtszeit Immunität ratione materiae genießen, und zwar als Teilimmunität ihrer umfassenden Immunität ratione personae. Die Immunität ratione materiae ist mithin eine Teilmenge der Immunität ratione personae. Während die umfassende Immunität ratione personae bei Dienstbeendigung erlischt, gilt die in der Immunität ratione personae enthaltene Immunität ratione materiae gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD zeitlich unbegrenzt fort. Insofern wäre es verfehlt, hinsichtlich der Diplomaten und Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer Mission, die während ihrer Amtszeit Immunität ratione personae genießen, davon zu sprechen, die Immunität ratione personae erlösche mit Dienstbeendigung, während gleichzeitig eine Immunität ratione materiae für ihre dienstlichen Handlungen neu entstehe. Vielmehr liegt auch hier der Fall einer echten Fortgeltung vor, und zwar die Fortgeltung eines Teils der Immunität ratione personae.392 Aufgrund der weitgefaßten Formulierung des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD, die – wie erwähnt – nicht im Sinne einer (engen) nur auf die unmittelbaren Amtshandlungen beschränkten Immunität ratione materiae zu verstehen ist, sondern die alle Diensthandlungen erfaßt, genießen die Diplomaten und Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission nach Dienstbeendigung für alle in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen diplomatischen Handlungen weiterhin Immunität, also für alle diplomatischen Diensthandlungen und nicht nur für die unmittelbaren Amtshandlungen. In zwei Ausnahmefällen allerdings hat der Empfangsstaat die Befugnis, ein ehemaliges Mitglied einer diplomatischen bzw. konsularischen Vertretung auch wegen einer durch eine Immunität ratione materiae geschützten Tat strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Zum einen ist eine Strafverfolgung statthaft, wenn der Entsendestaat auf die Immunität ratione materiae verzichtet. Zum anderen erlöschen ausnahmsweise auch die Immunitäten ratione materiae, wenn der Entsendestaat – wie das bei der DDR infolge ihres Beitritts zur Bundesrepublik Deutschland der Fall war – als Völkerrechtssubjekt nicht mehr besteht.393 ___________ So auch Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (79). So auch MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 106; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 340. Der Grund für das Erlöschen auch der diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae im Fall eines Untergangs des Entsendestaates liegt darin, daß in diesem Fall das Schutzobjekt der Exemtionen wegfällt. Insofern gilt das gleiche wie für die Staatenimmunität, die ebenfalls erlischt, wenn der Staat, für den gehandelt wurde, als Völkerrechtssubjekt untergeht. Daher kann an dieser Stelle auf die Ausführungen oben in § 8 verwiesen werden, und zwar auch in bezug auf die dortige Abgrenzung eines Untergangs des exemtionsberechtigten Staates von Veränderungen unter Beibehaltung seiner Völkerrechtssubjektivität, die für die Geltung der ihm zukommenden Exemtionen generell irrelevant sind. Nur soviel sei an dieser Stelle gesagt: Veränderungen des politischen Systems des Entsendestaates oder des Umfangs seines Staatsgebiets berühren die diplomatischen und konsularischen Beziehungen dieses Staates einschließlich der seinen diplomatischen 392 393
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Im übrigen hat auch der „umgekehrte Fall“ eines Staatsuntergangs Konsequenzen für die diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae: Die diplomatischen und konsularischen Exemtionen (einschließlich der Immunitäten ratione materiae), die ein Staat als Empfangsstaat den Mitgliedern der in seinem Hoheitsgebiet errichteten diplomatischen und konsularischen Vertretungen anderer Staaten zu gewähren hat, erlöschen, wenn der Empfangsstaat untergeht. Denn die diplomatischen und konsularischen Exemtionen gelten nur gegenüber dem jeweiligen Empfangsstaat. Dieser aber kann, wenn er nicht mehr existiert, die Exemtionen nicht mehr gewähren. Zu überlegen ist allein, ob die Immunitäten ratione materiae, die ja grundsätzlich die Beendigung diplomatischer bzw. konsularischer Beziehungen überdauern, nunmehr vom Gebietsnachfolger zu gewähren sind, also die Pflicht zur Immunitätsgewährung im Zuge der Staatensukzession auf den oder die Gebietsnachfolgestaaten übergeht. Daß diese Überlegung nicht rein theoretischer Natur ist, zeigte sich nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Das BVerfG hatte die Frage eines Übergangs der Rechtspflicht zur Gewährung von Immunität ratione materiae von der DDR auf die Bundesrepublik als Gebietsnachfolger der DDR 1997 im Rahmen eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens zu beantworten.394 Gegen den ehemaligen Botschafter Syriens in der DDR, Fajssal Sammak, war von der Bundesrepublik 1995 ein Haftbefehl erlassen worden. Ihm wurde vorgeworfen, dazu beigetragen zu haben, daß 1983 ein Sprengstoffanschlag auf ein Kulturzentrum in West-Berlin verübt wurde, indem er es als Botschafter Syriens in der DDR geduldet habe, daß der Sprengstoff zuvor in den Räumlichkeiten der Botschaft in Ost-Berlin gelagert und von dort von einem Mitglied der Terrorgruppe „Carlos“, die den Anschlag verübte, später wieder abgeholt worden sei. Diese Duldung sei im Auftrag der Regierung Syriens geschehen, die angeordnet habe, der Terrorgruppe Unterstützung zu gewähren.395 Gegenüber der DDR als Empfangsstaat konnte sich der Botschafter während seiner Dienstzeit auf seine Immunität ratione personae des Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD berufen. Auch nach Ende seiner Dienstzeit in der DDR im Jahr 1989 schied eine Strafverfolgung durch die DDR weiterhin aus, da die Handlung als Diensthandlung einzustufen war, mithin von der fortgeltenden Immunität ratione materiae (eine Teilmenge der während der Amtszeit bestehenden Immunität ratione personae) des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD erfaßt war. Hätte die DDR fortbestanden, so hätte diese die Immunität gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD zeitlich unbegrenzt beachten müssen. Mit ihrem Untergang aber konnte die DDR diese ___________ und konsularischen Vertretern zu gewährenden Exemtionen nicht, solange nicht der Entsende- oder der Empfangsstaat den Abbruch der Beziehungen erklärt. Siehe diesbezüglich auch Beemelmans, NJ 1998, 243 (243). 394 BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50. 395 Vgl. ausführlich zu diesem Fall und der für das Diplomaten- und Konsularrecht sehr wichtigen Entscheidung des BVerfG unten § 15 I.4.
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Pflicht nicht mehr erfüllen. Bis zum Beitritt der DDR war dagegen die Bundesrepublik nicht durch eine völkerrechtliche Immunität gehindert, den Botschafter wegen der Tat, deren Tatort gemäß § 9 StGB auch in der Bundesrepublik lag,396 strafrechtlich zu verfolgen, denn die Immunitäten des Diplomaten- und Konsularrechts gelten schließlich nur gegenüber dem jeweiligen Empfangsstaat. Wäre der Botschafter kurz nach der Tat, etwa 1984, in die BRD gekommen, so wäre es zulässig gewesen, ihn dort zu verhaften und dort ein Strafverfahren gegen ihn durchzuführen.397 Gegenüber dem 1995 erlassenen Haftbefehl erhob der ehemalige Botschafter jedoch – gestützt auf Gutachten der Völkerrechtler Doehring und Ress – den Einwand, die Pflicht der DDR als früherer Empfangsstaat, ihm Immunität ratione materiae gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD für im Rahmen der diplomatischen Tätigkeiten begangene dienstliche Handlungen zu gewähren, sei im Zuge des Beitritts auf die BRD übergegangen. Die BRD habe daher als Rechtsnachfolgerin der DDR deren Pflicht aus Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD zu erfüllen und dürfe ihn deshalb für die Tat nicht verfolgen.398 Diese These hat das BVerfG jedoch zu Recht zurückgewiesen.399 Die Pflicht eines Staates, als Empfangsstaat früheren Mitgliedern der bei ihm errichteten diplomatischen und konsularischen Vertretungen für ihre dienstlichen Handlungen zeitlich unbegrenzt Immunität von ihrer Strafgerichtsbarkeit zu gewähren (Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD und Art. 53 Abs. 4 WÜK), geht im Fall des Untergangs eines Staates nicht auf den oder die Rechtsnachfolger über. Denn wie das BVerfG festgestellt hat, enthält das Völkergewohnheitsrecht keine Bestimmung zur Frage einer Rechtsnachfolge in Pflichten zur Gewährung fortgeltender Immunitäten ratione materiae.400 Damit aber folgt aus der allgemeinen Regel, daß ein Übergang völkerrechtlicher Pflichten bei einer Staatennachfolge nur stattfindet, wenn ein solcher positiv geregelt ist,401 daß die Pflicht eines Staates, ehemaligen Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen weiterhin Immunität ratione materiae zu gewähren, nicht auf den oder die Nachfolgestaaten übergeht.
___________ BVerfGE 96, 68 (68) = NJW 1998, 50 (76). Vgl. unten § 15 I.4.d) und e). 398 Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (78 ff.). Bestandteil dieses Aufsatzes sind die zwei Gutachten, die die Verfasser in dem Verfahren erstellt haben. 399 BVerfGE 96, 68 (91 ff.) = NJW 1998, 50 (54 ff.). Gegen einen Übergang der Pflicht zur Immunitätsgewährung auf Nachfolgestaaten auch Beemelmans, NJ 1998, 243 (243 ff.); LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 3; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1030. 400 BVerfGE 96, 68 (93) = NJW 1998, 50 (55). So auch Beemelmans, NJ 1998, 243 (243). 401 Vgl. hierzu oben § 8 I.2. 396 397
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bb) Der Rechtsgrund für die Fortgeltung der Immunitäten ratione materiae Zur Begründung der Fortgeltung der Immunitäten ratione materiae wird in der Literatur angeführt, die in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen diplomatischen bzw. konsularischen Handlungen seien Handlungen für den Entsendestaat. Die handelnden Personen seien als Organe des Entsendestaates tätig, ihre Taten seien dem Entsendestaat zuzurechnen. Die (fortgeltende) Immunität ratione materiae sei daher keine Immunität des Mitglieds der diplomatischen oder konsularischen Vertretung, sondern nur eine solche des Entsendestaates. Der Rechtsgrund für die Gewährung der Immunitäten ratione materiae sei derselbe, der auch der Staatenimmunität zugrunde liege: Es solle sichergestellt werden, daß der Empfangsstaat nicht durch eine Inanspruchnahme der für den Entsendestaat agierenden Funktionsträger wegen ihres dem Entsendestaat zuzurechnenden Handelns mittelbar Hoheitsgewalt über den Entsendestaat ausübe und damit den Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten mißachte.402 Da auch dann mittelbar der Entsendestaat der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates unterworfen würde, also der Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten mißachtet würde, wenn die handelnde Person zum Zeitpunkt der Strafverfolgung nicht mehr Mitglied einer Vertretung des Entsendestaates im Empfangsstaat sei, müßten die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts ebenso wie die Staatenimmunität unabhängig sein von der Dauer der dienstlichen Tätigkeit der handelnden Person.403 Doch greift diese Argumentation heutzutage zu kurz; und zwar ganz abgesehen davon, daß sämtliche Exemtionen des Diplomaten- und Konsularrechts „Exemtionen des Entsendestaates“ sind, also lediglich im Interesse des Entsendestaates gewährt werden und allein diesem zustehen, die bevorrechtigte Person also niemals ein subjektives, ihr persönlich zustehendes Recht auf Exemtion erwirbt, sondern stets nur von den Wirkungen der Exemtionen profitiert. Denn wie oben in § 4 II.2. und § 5 III.2. gezeigt, gilt die Staatenimmunität – auch in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit – heutzutage lediglich für hoheitlich-dienstliche Handlungen (acta iure imperii), nicht aber für nichthoheitlich-dienstliche Handlungen (acta iure gestionis). Für die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts folgt daraus, daß diese insoweit, als sie diplomatische bzw. konsularische Diensthandlungen erfassen, die gleichzeitig als hoheitlich-dienstliche Handlungen für den Entsendestaat im Sinne der Staatenimmunität zu klassifizieren sind, in der Tat deshalb ___________ Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 277 f.; Dinstein, Consular Immunity, S. 78 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 679 mit Fn. 34; Donoghue, CJTL 27 (1989), 615 (619, 630); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 42 sowie unten § 13 V.2.a). 403 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 679 mit Fn. 34; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 42. 402
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zeitlich unbegrenzt zu gewähren sind, weil sie ebenso wie die Staatenimmunität verhindern sollen, daß fremdstaatliche Souveränitätsrechte verletzt werden. Die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts, vor allem diejenigen, die sämtliche in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit vorgenommene diplomatische bzw. konsularische Handlungen und nicht nur die eigentlichen Amtshandlungen umfassen, gelten jedoch – wie oben in § 13 II.6. gezeigt – auch für nichthoheitlich-dienstliche Handlungen. Wie die völkergewohnheitsrechtliche Beschränkung der Staatenimmunität auf acta iure imperii zeigt, gilt es jedoch heute nicht mehr als Verstoß gegen den Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten, wenn ein Staat Personen wegen nichthoheitlich-dienstlicher Handlungen für einen anderen Staat strafrechtlich verfolgt. Damit aber läßt sich die Fortgeltung der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts insofern, also sie auch nichthoheitlich-dienstliche Handlungen erfassen, heute nicht schon mit der modernen Variante der Repräsentationstheorie404 begründen, also nicht schon damit legitimieren, daß der völkerrechtlich gebotene Schutz fremdstaatlicher Souveränität zu gewährleisten sei. Die nicht auf acta iure imperii beschränkte Fortgeltung der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD und Art. 53 Abs. 4 WÜK läßt sich aber historisch erklären: Als in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts das WÜD und das WÜK ausgearbeitet wurden, war die Beschränkung der Staatenimmunität auf acta iure imperii noch nicht von allen Staaten akzeptiert worden. Vielmehr hielten etliche Staaten noch an der überkommenen Auffassung fest, der Grundsatz der Gleichheit der Staaten verbiete es gemäß dem Prinzip par in parem non habet imperium den Staaten generell, fremde Staaten der eigenen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen, und stehe damit generell einer Strafverfolgung staatlicher Funktionsträger wegen für einen anderen Staat begangener Taten entgegen.405 Zudem läßt sich die umfassende Fortgeltung der Immunitäten ratione materiae über den Bereich hoheitlich-dienstlicher Handlungen hinaus heutzutage – wenn auch nur mit geringer Überzeugungskraft – mit der Funktionstheorie legitimieren: Zwar kann eine Strafverfolgung wegen dienstlicher Taten nach Beendigung der dienstlichen Tätigkeit die gegenwärtige Arbeit einer Vertretung nicht beeinträchtigen, schließlich ist die betreffende Person für diese nicht mehr tätig. Doch kann die Möglichkeit, nach Dienstbeendigung für die für den Entsendestaat vorgenommenen Handlungen vom Empfangsstaat strafrechtlich verfolgt zu werden, bereits während ___________ Vgl. oben § 12 VI.2. Vgl. insofern oben § 4 II.2.a). Allerdings wurde schon damals für diejenigen Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen, die Angehörige des Entsendestaates oder in diesem ständig ansässig sind, die Immunität ratione materiae auf die eigentlichen Amtshandlungen beschränkt, also schon damals eine umfassende Immunitätsgewährung für alle dem Entsendestaat zurechenbaren Handlungen nicht für geboten erachtet. 404 405
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der Dienstzeit zu einer Beeinträchtigung der dienstlichen Tätigkeit führen. Bereits die „Furcht“, zwar nicht momentan, wohl aber nach Beendigung der dienstlichen Tätigkeit wegen einer dienstlichen Handlung möglicherweise strafrechtlich belangt zu werden, kann sich negativ auf die Bereitschaft zur Wahrnehmung „problematischer“ Dienstgeschäfte auswirken.406 Aber unabhängig davon, daß es heutzutage schwerfällt, die uneingeschränkte Fortgeltung der diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae auch über den Bereich der hoheitlich-dienstlichen diplomatischen bzw. konsularischen Handlungen hinaus zu rechtfertigen, ist die momentane Rechtslage doch eindeutig: Taten, die von einer Immunität ratione materiae umfaßt sind, dürfen auch nach Beendigung der dienstlichen Tätigkeit der geschützten Person vom Empfangsstaat nicht strafrechtlich geahndet werden. c) Vereinbarkeit des Erlöschens diplomatischer und konsularischer Exemtionen mit dem Rückwirkungsverbot Abschließend ist noch zu überlegen, ob das in Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD und Art. 53 Abs. 3 WÜK festgelegte Erlöschen der Exemtionen bei Beendigung der dienstlichen Tätigkeit und die so bewirkte Zulässigkeit einer Strafverfolgung überhaupt mit dem Rückwirkungsverbot vereinbar sind. Verbietet das verfassungsrechtlich garantierte Rückwirkungsverbot den deutschen Strafverfolgungsbehörden, von der durch das WÜD und das WÜK dem Empfangsstaat gewährten Möglichkeit einer Strafverfolgung nach Erlöschen der Exemtionen Gebrauch zu machen? Es ließe sich wie folgt argumentieren: Mit dem Erlöschen von Exemtionen nach Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD bzw. Art. 53 Abs. 3 WÜK werde eine Strafverfolgung möglich, die – soweit die Tat zu einem Zeitpunkt begangen wurde, als die betreffende Person Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung war – zur Tatzeit nicht zulässig war. Soweit durch den Wegfall von Exemtionen eine Strafverfolgung wegen Taten wieder möglich werde, die vor Beginn des Status als Mitglied einer Vertretung begangen wurden, sei jedenfalls zwischenzeitlich eine Bestrafung aufgrund der Exemtionen unzulässig gewesen. Auf jeden Fall werde bei ___________ 406 Dieses Argument hat deshalb nur geringe Überzeugungskraft, weil die (zeitlich begrenzte) Fortgeltung der Exemtionen nach Dienstbeendigung während einer Schutzfrist für die Ausreise gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD und Art. 53 Abs. 3 Satz 1 WÜD den Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen eine hinreichende Möglichkeit bietet, dessen Strafgerichtsbarkeit – durch eine Ausreise aus dem Empfangsstaat – zu entgehen. Außerdem könnte man mit demselben Argument auch für eine zeitlich unbegrenzte Fortgeltung der Immunitäten ratione personae plädieren, denn diese sollen – wie erwähnt – unter anderem verhindern, daß der Empfangsstaat durch eine Drohung mit einer Strafverfolgung wegen einer angeblichen privaten Straftat die diplomatische Tätigkeit beeinträchtigt. Eine solche Beeinträchtigung der Dienstausübung kann aber auch dadurch bewirkt werden, daß der Empfangsstaat mit einer späteren Strafverfolgung wegen einer (angeblichen) privaten Tat nach Dienstbeendigung droht.
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Beendigung der Exemtionen eine Bestrafung möglich, die vorher nicht statthaft war. Dies verstoße gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG. Da die Regelungen des WÜD und des WÜK gegenüber dem verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot nachrangig sind – als über die deutschen Zustimmungsgesetze nach Art. 59 Abs. 2 GG in bundesdeutsches Recht überführte völkerrechtliche Verträge haben das WÜD und das WÜK innerstaatlich den Rang einfachen Bundesrechts, in ihrer Geltung als Völkergewohnheitsrecht stehen die Regelungen gemäß Art. 25 GG im Rang zwischen einfachem Bundesrecht und dem Grundgesetz –,407 verbiete das Rückwirkungsverbot, die Regelungen des WÜD und des WÜK über eine Beendigung der Exemtionen innerstaatlich anzuwenden. Für die Bundesrepublik gelte damit zwar nicht aufgrund einer völkerrechtlichen Regel, wohl aber aufgrund deutschen Verfassungsrechts, daß die einmal gewährten Exemtionen allesamt zeitlich unbegrenzt zu gewähren seien. Einer solchen Argumentation könnte jedoch nicht gefolgt werden. Zunächst einmal ist festzuhalten, daß sich das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, wie schon die Verwendung des Begriffs „Strafbarkeit“ zeigt, auf das materielle Recht beschränkt.408 Als elementares Gebot des Vertrauensschutzes soll das Rückwirkungsverbot sicherstellen, daß eine Person nur dann und nur insoweit für ein bestimmtes Verhalten bestraft wird, als ihr Verhalten schon zum Tatzeitpunkt mit Strafe bedroht war.409 Art. 103 Abs. 2 GG betrifft, wie das BVerfG und der BGH betonen, das Ob und das Wie der Strafbarkeit.410 Die diplomatischen und konsularischen Exemtionen gehören aber nach richtiger Auffassung – wie bereits oben in § 13 I.1.a)bb) erwähnt und unten in § 22 im einzelnen dargelegt wird – nicht zum materiellen Strafrecht, sondern sind in Deutschland straf___________ Vgl. oben § 2 III. und IV. Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 103 Rn. 59, 72; LKStGB-Gribbohm, § 1 Rn. 90, § 2 Rn. 6; NK-StGB-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 60; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 103, Rn. 42; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, Art. 103 II Rn. 22, 43 409 Damit kann das Entfallen von Exemtionen insoweit, als sie für Taten gewährt werden, die bereits vor Beginn der Tätigkeit der geschützten Person als Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung begangen wurden, die also zum Tatzeitpunkt strafbar und verfolgbar waren und lediglich zwischenzeitlich während der Zeit der Tätigkeit der Person als Mitglied einer Vertretung nicht bestraft werden durften, von vornherein nicht mit dem Rückwirkungsverbot kollidieren. Denn das Rückwirkungsverbot stellt ausschließlich auf den Tatzeitpunkt ab. Die Außerachtlassung eines zwischenzeitlichen Bestrafungsverbots wird nicht vom Rückwirkungsverbot, sondern lediglich durch § 2 Abs. 3 StGB untersagt, der die Anwendbarkeit des mildesten Gesetzes verlangt, wenn die Rechtslage zwischen Tatbeendigung und Entscheidung geändert wurde. Als einfaches Bundesrecht kann das StGB aber abweichende Regelungen des WÜD und des WÜK, zumal diese auch über Art. 25 GG als vorrangiges Völkergewohnheitsrecht gelten, nicht verdrängen. 410 Vgl. (bezogen auf die Einordnung des Rechtsinstituts der Verjährung) BVerfGE 25, 269 (286) = NJW 1969, 1059 (1061); BVerfGE 81, 132 (135) = NJW 1990, 1103 (1103); BVerfG NJW 1995, 1145 (1145); BVerfG NJW 1998, 2587 (2588); BVerfG NJW 2000, 1554 (1555); BGHSt 40, 113 (118) = NJW 1994, 2240 (2241). 407 408
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rechtsdogmatisch als prozessuale Strafverfolgungshindernisse einzuordnen. Strafverfolgungshindernisse sind aber vom Rückwirkungsverbot nicht umfaßt, sie sind nur dann beachtlich, wenn sie bei Beginn eines Strafverfahrens (noch) bestehen oder während des Verfahrens neu entstehen. Diese Argumentation greift jedoch für sich genommen zu kurz. Denn es wäre unzulässig, ein Rechtsinstitut schlicht dadurch, daß man es nicht als Institut des materiellen Strafrechts, sondern als Institut des Verfahrensrechts klassifiziert, dem Schutzbereich des Rückwirkungsverbots zu entziehen. Die Zuordnung eines Rechtsinstituts zum materiellen oder formellen Recht ist nicht immer klar zu treffen. Dies gilt insbesondere auch für die völkerrechtlichen Exemtionen. Diese können nämlich auch als materiellrechtliche Strafausschließungs- bzw. Strafaufhebungsgründe begriffen werden. Eine solche Einordnung wird in der deutschen Strafrechtswissenschaft in der Tat zum Teil vertreten.411 Die Einordnung der völkerrechtlichen Exemtionen als (lediglich) formelle Strafverfolgungshindernisse kann daher nur dann erlaubt sein, wenn damit der Schutzbereich des Rückwirkungsverbots des Art. 103 Abs. 2 GG nicht unzulässig verkürzt wird.412 Entscheidend ist also, ob der Schutzzweck des Rückwirkungsverbots verlangt, daß dieses auch auf die völkerrechtlichen Exemtionen erstreckt wird.413 Dabei geht es in diesem Zusammenhang um den Zweck des Rückwirkungsverbots, schutzwürdiges Vertrauen des Beschuldigten auf Straflosigkeit abzusichern. Doch fällt es bereits schwer zu begründen, worauf sich ein Vertrauen auf dauerhafte Straflosigkeit stützen könnte. Die Exemtionsregelungen des WÜD und des WÜK lassen es kaum möglich erscheinen, daß eine Situation eintritt, in der bevorrechtigte Personen auf eine dauerhafte Straflosigkeit aufgrund ihnen zustehender Exemtionen vertrauen, jedenfalls aber wäre ein solcher Vertrauenstatbestand nicht schutzwürdig. Denn das WÜD und das WÜK, also die Verträge, durch die die Exemtionen überhaupt erst gewährt werden, legen gleichzeitig explizit fest, daß die ___________ 411 So etwa von Bloy, Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 32 ff. (insb. S. 54 ff.); Schönke/Schröder-Eser, vor § 1 Rn. 15, vor § 3 Rn. 44; AKStGB-Lemke, vor § 3 Rn. 39; NK-StGB-Lemke, vor § 3 Rn. 62 f. 412 Alternativ wäre auch denkbar, die Einordnung der Exemtionen als materiellrechtliche Strafbefreiungsgründe oder als verfahrensrechtliche Strafverfolgungshindernisse unabhängig vom Rückwirkungsverbot vorzunehmen, dann aber die Geltung des Rückwirkungsverbots, soweit vom Schutzzweck her erforderlich, auch auf Rechtsinstitute des Verfahrensrechts zu erstrecken. Doch wäre ein solcher Weg mit der eindeutigen Beschränkung des Art. 103 Abs. 2 GG auf die „Strafbarkeit“, also auf das materielle Recht, kaum vereinbar. Es ist deshalb überzeugender, mit der deutschen Rechtsprechung den Geltungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG auf das materielle Recht zu beschränken; dann muß jedoch verlangt werden, daß nur solche Rechtsinstitute zum Verfahrensrecht gezählt werden, bei denen der Schutzzweck des Rückwirkungsverbots einer solchen Klassifizierung nicht entgegensteht. 413 Vgl. Schönke/Schröder-Eser, § 2 Rn. 7, der zu Recht die Reichweite des Rückwirkungsverbots nach dessen Schutzzweck bestimmt.
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Zeitdauer der Exemtionen – mit Ausnahme der Immunitäten ratione materiae – begrenzt ist und die durch die Exemtionen bewirkte Freistellung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit nur bis zur Beendigung der dienstlichen Tätigkeit andauert. Insofern ist jedem Begünstigten von vornherein klar oder es kann es ihm jedenfalls klar sein, daß die Freistellung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zeitlich begrenzt ist. Entsprechendes gilt für den Fall der Zulässigkeit einer Strafverfolgung nach einem Verzicht des Entsendestaates auf eine Exemtion. Denn auch eine Beendigung der Exemtionen durch einen Verzicht des Entsendestaates ist im WÜD und im WÜK ausdrücklich vorgesehen. Bereits die eindeutigen Regelungen im WÜD und im WÜK verhindern, daß ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand entstehen kann. Hinzu kommt, daß die Exemtionen überhaupt nicht im Interesse der Begünstigten gewährt werden. Es wurde bereits oben in § 12 IV.5. erläutert, daß die diplomatischen und konsularischen Exemtionen lediglich im Interesse des Entsendestaates gewährt werden, unabhängig davon, ob man sie mit der Repräsentations- oder der Funktionstheorie begründet. Die bevorrechtigten Personen profitieren lediglich von den Exemtionen insofern, als diese eine zeitweilige Freistellung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit bewirken. Doch soll ihnen in keiner Weise ein ihnen persönlich zustehendes Vorrecht verliehen werden, das sie gegenüber dem Empfangsstaat selbständig geltend machen könnten. Dies betonen die Präambeln von WÜD und WÜK auch ausdrücklich. Ein Vertrauen der bevorrechtigten Personen darauf, daß die Freiheit von strafrechtlicher Verantwortlichkeit unbegrenzt fortdauert, ist auch deshalb in keiner Weise schutzwürdig. Sie können sich also gewissermaßen glücklich schätzen, während ihrer Dienstzeit (bzw. so lange, wie der Entsendestaat keinen Verzicht ausspricht) durch Exemtionen vor Strafverfolgungsmaßnahmen seitens des Empfangsstaates geschützt zu sein, doch erwerben sie durch die Exemtionen kein subjektives Recht auf (dauerhafte) Freistellung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. In den Schutzbereich des Rückwirkungsverbots des Art. 103 Abs. 2 GG wird also, weil der Schutz berechtigten Vertrauens auf Straflosigkeit nicht tangiert wird, durch ein Erlöschen diplomatischer und konsularischer Exemtionen nicht eingegriffen. Daher erlaubt Art. 103 Abs. 2 GG eine Einordnung der Exemtionen als verfahrensrechtliche Strafverfolgungshindernisse und steht er einer Strafverfolgung nach Erlöschen der Exemtionen – und damit einer innerstaatlichen Anwendbarkeit von Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD und Art. 53 Abs. 3 WÜK – nicht entgegen.414 Im übrigen folgt aus der Feststellung, daß der Schutzbereich des Rückwirkungsverbots durch ein Entfallen von Exemtionen nicht tangiert wird, daß selbst dann, ___________ 414 Ebenso Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1038). Dies gilt im übrigen nicht nur für den Fall eines Erlöschens der Exemtionen bei Funktionsbeendigung, sondern auch bei einem Verzicht durch den Entsendestaat.
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wenn man die völkerrechtlichen Exemtionen als materiellrechtliche Strafaufhebungs- bzw. Strafausschließungsgründe einordnete,415 das Rückwirkungsverbot ausnahmsweise nicht einschlägig wäre, also auch dann eine Strafverfolgung bei Entfallen der Exemtionen durch (Neu-)Begründung einer Strafbarkeit (wieder) zulässig werden könnte, ohne daß das Rückwirkungsverbot dem entgegenstünde.416
IV. Die Möglichkeit eines Verzichts auf die Exemtionen 1. Grundsätzliches zum Verzicht auf diplomatische und konsularische Exemtionen Auf die von WÜD und WÜK gewährten Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit kann der Entsendestaat verzichten.417 Art. 32 WÜD legt fest: „(1) Auf die Immunität von der Gerichtsbarkeit, die einem Diplomaten oder nach Maßgabe des Art. 37 WÜD einer anderen Person zusteht, kann der Entsendestaat verzichten. (2) Der Verzicht muß stets ausdrücklich erklärt werden.“
In Art. 45 Abs. 1 WÜK heißt es: „(1) Der Entsendestaat kann hinsichtlich eines Mitglieds der konsularischen Vertretung auf die in den Artikeln 41, 43 und 44 WÜK vorgesehenen Vorrechte und Immunitäten verzichten. (2) Der Verzicht muß (…) stets ausdrücklich erklärt und dem Empfangsstaat schriftlich mitgeteilt werden.“
In der Staatenpraxis wird allerdings auf die Exemtionen von der Strafgerichtsbarkeit nur sehr selten verzichtet.418 Als Ausnahme wird daher in der Literatur der ___________ Vgl. die Nachweise oben in Anm. 411. Davon geht ganz offensichtlich auch Bloy, Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 47 ff. aus. 417 Vgl. MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 111; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 280 f., 312; Denza, Diplomatic Law, S. 273 ff.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 49 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1041 ff. 418 Vgl. McClanahan, Diplomatic Immunity, S. 137; Parkhill, ICLR 21 (1998), 565 (566); Shaw, International Law, S. 536; Simbeye, Immunity and International Criminal Law, S. 137. Eine Pflicht des Entsendestaates, unter bestimmten Umständen auf Exemtionen zu verzichten, besteht nicht; vgl. Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 203 f.; George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (115); Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (412 f.). Insofern unterscheidet sich das Diplomaten- und Konsularrecht vom Recht der Internationalen Organisationen. So legt z.B. das Übereinkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Vereinten Nationen vom 13.2.1946 (BGBl. 1980 II, S. 943) in Art. 5 Abschn. 20 dem UN-Generalsekretär eine Pflicht zum Verzicht auf die Exemtionen von UN-Bediensteten in den Fällen auf, in denen die Exemtionen – nach Ansicht des Generalsekretärs – verhindern würden, daß „der Gerechtigkeit Genüge geschieht“. Doch ist bei den Exemtionen von Bediensteten internationaler Organisationen zu bedenken, daß hier ohne einen Verzicht von den Exemtionen erfaßte Straftaten vielfach überhaupt nicht geahndet werden könnten, da die Exem415 416
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Fall des georgischen Diplomaten Gueorgui Makkaradze bezeichnet, der im Januar 1997 in Washington in betrunkenem Zustand einen Verkehrsunfall verursachte, bei dem ein 16jähriges Mädchen getötet wurde. Der georgische Präsident verzichtete auf die Immunität des Diplomaten, dieser wurde daraufhin zu einer Gefängnisstrafe von 21 Jahren verurteilt.419 a) Der mögliche Gegenstand eines Verzichts Die unterschiedlichen Formulierungen der Verzichtsregelungen des WÜD und des WÜK werfen zunächst die Frage auf, auf welche Exemtionen überhaupt verzichtet werden kann. Die Regelung des Art. 45 Abs. 1 WÜK ist dem ersten Anschein nach umfassender als die entsprechende Bestimmung des Art. 32 Abs. 1 WÜD. Nach Art. 45 Abs. 1 WÜK kann der Entsendestaat erstens auf die von Art. 43 Abs. 1 WÜK gewährte Immunität ratione materiae von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates verzichten. Zweitens kann er davon unabhängig auf die beschränkte persönliche Unverletzlichkeit nach Art. 41 Abs. 1 und 2 WÜK sowie auf die in Art. 41 Abs. 3 WÜK normierten Restriktionen für eine Strafverfolgung verzichten. Und drittens ist auch ein Verzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht des Art. 44 Abs. 3 WÜK sowie auf die Befreiung von der Sanktionsgewalt bei unberechtigter Zeugnisverweigerung nach Art. 44 Abs. 1 Satz 3 WÜK möglich.420 Zwar betrifft Art. 45 WÜK, da die Norm zu Kapitel II WÜK gehört, unmittelbar nur die Exemtionen der Mitglieder konsularischer Vertretungen, die von einem Berufskon___________ tionen im Bereich internationaler Organisationen nicht nur gegenüber einem „Empfangsstaat“ gelten, sondern alle Mitgliedsstaaten – auch den Heimatstaat eines Bediensteten – an einer Ausübung von Strafgerichtsbarkeit hindern. Daher sind die Exemtionsregelungen nicht vergleichbar. 419 Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 49; Parkhill, ICLR 21 (1998), 565 (565). Allerdings übten die USA großen Druck auf Georgien aus, denn der Verzicht wurde erst erklärt, nachdem die USA bekundet hatten, Hilfszahlungen an Georgien in Höhe von 30 Mio. Dollar zurückzuhalten; vgl. Parkhill, a.a.O., S. 565. Einen weiteren Fall, der 1987 in Großbritannien großes Aufsehen erregte, nennt McClanahan, Diplomatic Immunity, S. 156 f.: Nachdem sich herausgestellt hatte, daß ein in Großbritannien akkreditierter Diplomat Sambias in großem Stil mit Heroin gehandelt hatte, verzichtete der sambische Präsident auf dessen Immunität. Siehe zu diesen „Sonderfällen“ eines Immunitätsverzichts auch Simbeye, Immunity and International Criminal Law, S. 137. 420 Zur Frage eines Verzichts auf das Zeugnisverweigerungsrecht siehe auch oben § 13 I.1.a)ee) und gg). An dieser Stelle sei noch einmal betont, daß das Zeugnisverweigerungsrecht als ein Recht ausgestaltet ist, das von der bevorrechtigten Person aktiv in Anspruch genommen werden muß. Es handelt sich also nicht um ein Verbot einer Zeugenvernehmung, das solange gilt, bis ein Verzicht des Entsendestaates, sprich eine Erlaubnis zur Vernehmung, vorliegt. Der Verzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht, den Art. 45 Abs. 1 WÜK mit dem Verweis auf Art. 44 WÜK meint, betrifft vielmehr explizit das Zeugnisverweigerungsrecht. Der Entsendestaat kann auf das Vorrecht als solches verzichten, so daß dann die bevorrechtigte Person nicht mehr die Möglichkeit hat, ein Zeugnisverweigerungsrecht geltend zu machen.
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sularbeamten geleitet werden.421 Doch gilt die Verzichtsregelung, da Art. 58 Abs. 2 WÜK den Art. 45 WÜK pauschal auch für die in Kapitel III WÜK geregelten Exemtionen der Mitglieder einer von einem Wahlkonsularbeamten geleiteten Vertretung für maßgeblich erklärt, aufgrund dieses Verweises auch für die Exemtionen der Mitglieder einer solchen Vertretung. Zwar ist in Art. 71 WÜK, der die Exemtionen derjenigen Mitglieder einer konsularischen Vertretung betrifft, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, ein Verweis auf Art. 45 WÜK nicht enthalten. Aber dennoch ist Art. 45 Abs. 1 WÜK auch auf die in Art. 71 WÜK normierten Exemtionen anwendbar. Denn Art. 71 WÜK will nur den sachlichen Umfang der Vorrechte und Befreiungen des von ihm erfaßten Personenkreises gegenüber den in den Kapiteln II und III WÜK normierten Exemtionen einschränken. Zusammenfassend kann damit gesagt werden, daß der Entsendestaat nach Art. 45 Abs. 1 WÜK auf alle den verschiedenen Mitgliedern einer konsularischen Vertretung gewährten Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit verzichten kann, also auf die Immunitäten, die Unverletzlichkeitsgewährungen, die Zeugnisverweigerungsrechte und die sonstigen Restriktionen für eine Strafverfolgung. Art. 32 Abs. 1 WÜD ermöglicht dagegen dem Wortlaut nach lediglich einen Verzicht auf die in Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD normierte Immunität ratione personae der Diplomaten sowie auf die in Art. 37 geregelten Immunitäten. Ein Verzicht auf die negative Unverletzlichkeit, also auf das Verbot der Vornahme gegen die geschützte Person gerichteter strafprozessualer Zwangsmaßnahmen, scheint nach Art. 32 Abs. 1 WÜD ebensowenig möglich zu sein wie ein Verzicht auf die Befreiung von den Zeugenpflichten nach Art. 31 Abs. 2 WÜD und auf die Exemtionen, die nach Art. 38 WÜD denjenigen Mitgliedern einer diplomatischen Mission gewährt werden, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind. Doch ergibt eine teleologische Auslegung des Art. 32 Abs. 1 WÜD und der Vergleich mit der entsprechenden Regelung im WÜK, daß Art. 32 Abs. 1 WÜD über den Wortlaut hinaus umfassend zu interpretieren ist.422 Denn alle Exemtionen werden ausschließlich im Interesse des Entsendestaates gewährt. Damit aber muß es diesem auch möglich sein, über sämtliche Exemtionen zu disponieren. Aus diesem Grund muß auch ein Verzicht auf die neben den Immunitäten gewährten Vorrechte und Befreiungen möglich sein. Auch für das WÜD gilt deshalb, daß der Entsendestaat gemäß Art. 32 Abs. 1 WÜD auf alle den verschiedenen Mitgliedern einer diplomatischen Mission sowie deren Familienangehörigen gewährten Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit verzichten kann, also sowohl auf die Immunitäten als auch auf die Unverletzlichkeitsgewährungen und die Befreiungen von den Zeugenpflichten. ___________ Vgl. Art. 1 Abs. 2 Satz 2 WÜK. Ebenso Denza, Diplomatic Law, S. 288; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 244. 421 422
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
b) Die mögliche Reichweite eines Verzichts Ein Verzicht wird in der Regel nicht pauschal ausgesprochen. Vielmehr wird die Verzichtserklärung in der Staatenpraxis regelmäßig genau konkretisiert. Da die Erklärung eines Verzichts im freien Ermessen des Entsendestaates steht, kann dieser den Umfang des erklärten Verzichts selbst bestimmen. Zum einen wird ein Verzicht normalerweise nur bezogen auf einen bestimmten Lebenssachverhalt – also auf einen konkreten Tatvorwurf – ausgesprochen. Damit werden Strafverfolgungsmaßnahmen nur insoweit zulässig, als sie der strafrechtlichen Ahndung der konkreten Tat dienen sollen, auf die der Verzicht bezogen ist.423 Zum anderen kann ein Verzicht auf bestimmte Exemtionen beschränkt werden und sogar hinsichtlich einer bestimmten Exemtion nur eingeschränkt ausgesprochen werden. So ist beispielsweise denkbar, daß ein Entsendestaat, um die Strafverfolgung eines Diplomaten wegen einer bestimmten ihm vorgeworfenen Tat zu ermöglichen, bezogen auf diese Tat zwar auf die Immunität von der Strafgerichtsbarkeit nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD verzichtet, aber – um sicherzustellen, daß der Diplomat weiterhin für die Mission tätig sein kann – ausdrücklich nicht auf die Unverletzlichkeit nach Art. 29 Satz 1 WÜD. Dies hätte zur Konsequenz, daß zwar eine Strafverfolgung möglich wird, aber unter Ausschluß gegen die Person des Diplomaten gerichteter strafprozessualer Zwangsmaßnahmen. Es dürfte dann zwar ein Strafverfahren durchgeführt und eine Verurteilung ausgesprochen werden, aber der Diplomat dürfte weder in Untersuchungshaft noch in Strafhaft genommen werden. Sofern allerdings bezogen auf einen konkreten Lebenssachverhalt ohne weitere Präzisierung und Einschränkung auf „die Immunität“ verzichtet wird, ist dies so zu verstehen, daß damit auch auf die von ihr mitumfaßte Unverletzlichkeit verzichtet wird, also sämtliche Maßnahmen zur Strafverfolgung einschließlich gegen die geschützte Person gerichteter strafprozessualer Zwangsmaßnahmen zulässig werden. Der Umfang eines Verzichts ist also einzelfallabhängig. Für die Strafverfolgungsbehörden bedeutet dies, daß einerseits bei einem Ersuchen um einen Verzicht genau zu spezifizieren ist, auf welche Strafverfolgungsmaßnahmen sich der Verzicht beziehen soll. Andererseits ist bei der Vornahme von strafprozessualen Maßnahmen sehr genau darauf zu achten, ob sie vom erklärten Verzicht gedeckt sind, ob also der Entsendestaat die konkrete Strafverfolgungsmaßnahme erlaubt hat.
___________ Ein solchermaßen in bezug auf einen bestimmten Lebenssachverhalt ausgesprochener Verzicht gilt im übrigen nicht nur für die diplomatischen und konsularischen Exemtionen, sondern gleichzeitig auch für sonstige Exemtionen, die einer Strafverfolgung einer Person in einem konkreten Fall entgegenstehen und der Disposition des Entsendestaates unterliegen. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die Staatenimmunität. 423
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2. Erklärung eines Verzichts a) Berechtigung zur Erklärung eines Verzichts Zur Erklärung eines Verzichts auf Vorrechte und Befreiungen ist, wie Art. 32 Abs. 1 WÜD und Art. 45 Abs. 1 WÜK ausdrücklich festhalten, nur der Entsendestaat befugt.424 Da die Exemtionen alle ausschließlich im Interesse des Entsendestaates gewährt werden und die einzelne bevorrechtigte Person lediglich Nutznießerin der Vorrechte und Befreiungen ist, ist es nur konsequent, daß allein der Entsendestaat darüber zu befinden hat, ob und inwieweit auf eine Exemtion verzichtet werden soll. Da persönliche Interessen der privilegierten Personen bei der Exemtionsgewährung irrelevant sind und die Exemtionen kein subjektives Vorrecht der privilegierten Person sind, ist eine Zustimmung der betreffenden Person zu einem Immunitätsverzicht durch den Entsendestaat nicht erforderlich, der Verzicht kann sogar gegen den ausdrücklichen Willen des Betroffenen erklärt werden.425 In der strafrechtlichen Literatur wird allerdings ohne Begründung zum Teil die Auffassung vertreten, bezüglich einzelner Ermittlungsmaßnahmen könne auch die bevorrechtigte Person selbst auf die ihr zukommenden Exemtionen verzichten.426 ___________ So auch MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 106, 111; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 280, 284; Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1043); dies., Diplomatic Law, S. 273 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 681; Economedès, Consuls, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 770 (775); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 49; George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (114 f., 129); Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 61; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 363; Lewis, State and Diplomatic Immunity, S. 154 f.; Malanczuk, Introduction to International Law, S. 128; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (412); RRH-OWiG-Herrmann, § 46 Rn. 18; Shaw, International Law, S. 536 f.; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 106, 163 f.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1041 f.; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 162; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 906; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1039). Dieser Auffassung war auch die deutsche Bundesregierung bei der Ratifikation des WÜD durch Deutschland; vgl. BT-Drucks. 4/1586, S. 84 (89). Vgl. auch den Kommentar der ILC zum Entwurf einer Diplomatenrechtskonvention im Bericht an die UN-Generalversammlung von 1958, YBILC 1958 II, 89 (99) (UN-Dokument A/3859) sowie den Kommentar der ILC zum Entwurf einer Konsularrechtskonvention im Bericht an die UN-Generalversammlung von 1961, YBILC 1961 II, 89 (118) (UN-Dokument A/4843). 425 So auch Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 503; Malanczuk, Introduction to International Law, S. 128; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1042; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 162; Shearer, Starke’s International Law, S. 200. 426 So etwa LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 6, § 19 GVG Rn. 8; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, vor § 18 GVG Rn. 2; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 21; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 18 GVG Rn. 5; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 4. Für verwaltungsrechtliche Maßnahmen ebenso Hildner, Unterworfenheit des Diplomaten unter die Verwaltungshoheit, S. 156 f. Vgl. auch Nr. 193 I der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV); abgedr. u.a. in Meyer-Goßner, 424
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Dem kann aber angesichts des eindeutigen Wortlauts der Art. 32 Abs. 1 WÜD und Art. 45 Abs. 1 WÜK sowie im Hinblick auf die Tatsache, daß die Exemtionen ausschließlich im Interesse des Entsendestaates gewährt werden, nicht gefolgt worden. Die bevorrechtigte Person würde, wenn sie selbst auf eine ihr zukommende Exemtion verzichtete, und sei es auch nur insofern, als sie einzelne Ermittlungsmaßnahmen erlaubte, über ein ihr nicht zustehendes Recht verfügen. Eine solche Verzichtserklärung wäre daher unwirksam.427 Es darf im übrigen auch nicht vergessen werden, daß die bevorrechtigte Person, könnte sie selbst einen (begrenzten) Verzicht erklären, anfällig wäre gegenüber unlauteren Einflußnahmen oder sogar Bedrohungen. Möglicherweise beruht die Annahme, eine bevorrechtigte Person könne selbst einen Verzicht erklären, auf einem Mißverständnis bzw. auf einer Vermengung von zwei zu unterscheidenden Aspekten. Von der Frage, von wem der Verzicht rechtlich stammen und wem er juristisch zuzurechnen sein muß, wer ihn also im juristischen Sinne zu erklären hat, ist nämlich die zweite Frage, wer den Verzicht tatsächlich aussprechen kann, scharf zu trennen.428 Nur zur ersten Frage verhalten sich das WÜD und das WÜK. Sie ist klar und einfach zu beantworten: Der Verzicht muß ein Verzicht des Entsendestaates sein. Dieser muß den Verzicht „erklären“, von ihm muß er rechtlich stammen, ihm muß er zuzurechnen sein. Doch kann der Entsendestaat als juristische Person den Verzicht nicht selbst aussprechen, dies können lediglich seine Organe als seine Vertreter. Eine Regelung dahingehend, welches Organ des Entsendestaates für diesen einen Verzicht aussprechen kann, enthält weder das WÜD noch das WÜK.429 ___________ Strafprozessordnung, Anhang Nr. 12. Widersprüchlich Schweitzer/Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis, Rn. 1007, 1017. 427 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 280; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 906. 428 So zutreffend Denza, Diplomatic Law, S. 273. 429 Anders dagegen die Draft Convention on Diplomatic Privileges and Immunities der Harvard Law School aus dem Jahr1932, auf die das WÜD in vielerlei Hinsicht zurückgeführt werden kann; abgedr. in AJIL 26 (1932), Suppl., S. 15 ff. Dort heißt es in Art. 26: “A sending state may renounce or waive any of the privileges or immunities provided for in this convention: the renunciation or waiver may be made only by the government of the sending state if it concerns the privileges or immunities of the chief of mission; in other cases, the renunciation or waiver may be made either by the government of the sending state or by the chief of the mission.” Im ersten Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1957 war mit Art. 25 Abs. 2 ebenfalls noch eine Festlegung, wer einen Verzicht aussprechen kann, enthalten. Diese lautete: “In criminal proceedings, waiver must always be effected expressly by the Government of the sending State.”; vgl. YBILC 1957 II, 132 (139) (UN-Dokument A/3623). Im zweiten Entwurf von 1958 (Art. 30 Abs. 2) hieß es dann nur noch: “In criminal proceedings, waiver must always be express.” YBILC 1958 II, 89 (99) (UN-Dokument A/3859). Zu den Gründen für die Streichung vgl. den Kommentar der ILC zum zweiten Entwurf einer Diplomatenrechtskonven-
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Ohne Zweifel kann ein Verzicht von den völkerrechtlich im Außenverhältnis zu anderen Staaten vertretungsbefugten Zentralorganen des Entsendestaates ausgesprochen werden. Zu diesen sind neben dem Staatsoberhaupt auch der Regierungschef und der Außenminister zu zählen.430 Diese Personen können sich ihrerseits durch Mitarbeiter ihres Amtes vertreten lassen. Aber auch der Chef einer diplomatischen Mission und der Leiter einer konsularischen Vertretung sind befugt, bezüglich der Mitglieder der jeweiligen Vertretung sowie ihren Familienangehörigen einen Verzicht des Entsendestaates in dessen Namen auszusprechen. Denn sie vertreten in ihrem Aufgabenbereich den Entsendestaat im Empfangsstaat. Und zu diesen Vertretungsaufgaben ist auch die Erklärung eines Verzichts auf Exemtionen zu zählen.431 Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob auch die übrigen Diplomaten bzw. Konsularbeamten einer Vertretung als befugt angesehen werden dürfen, einen Ver___________ tion, YBILC 1958 II, 89 (99) (UN-Dokument A/3859). Zur kontroversen Diskussion in der ILC darüber, wer für den Entsendestaat einen Verzicht aussprechen darf, vgl. YBILC 1957 I, 110 ff.; YBILC 1958 I, 154 ff. 430 Insofern kann auf Art. 7 Nr. 2 lit. a) WVRK rekurriert werden, wonach Kraft ihres Amtes als Vertreter ihres Staates Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister angesehen werden. 431 Section 2 (3) des britischen Diplomatic Privileges Act von 1964 (abgedr. in Halsbury’s Statutes of England and Wales, 4. Aufl., vol. 10 [2001 Reissue], S. 746), mit dem das WÜD in Großbritannien innerstaatlich umgesetzt wurde, legt explizit die Befugnis des Missionschefs zur Erklärung eines Verzichts fest: “For the purposes of Article 32 a waiver by the head of the mission (…) shall be deemed to be a waiver by that State.” Bezogen auf den Leiter einer diplomatischen Mission wie hier American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 464 Reporters‘ Note 15; Blischtschenko/ Durdenewski, Diplomaten- und Konsularrecht, S. 402; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 280, 284, 312; Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1043); dies., Diplomatic Law, S. 275; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 503; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 61; Lewis, State and Diplomatic Immunity, S. 154; Nascimento E Silva, Diplomacy in International Law, S. 128 f.; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 128 f.; Shearer, Starke’s International Law, S. 200; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 163, 308. Auch insofern bietet sich ein Rekurs auf das WVRK an: Nach Art. 7 Nr. 2 lit. b) WVRK sind die Chefs diplomatischer Missionen – bezogen auf die Annahme eines Vertragstextes – ebenfalls als Vertreter ihres Staates anzusehen. Im Kommentar der ILC zum Entwurf einer Diplomatenrechtskonvention im Bericht an die UN-Generalversammlung 1958, YBILC 1958 II, 89 (99) (UN-Dokument A/3859) heißt es “(…) the head of the mission is the representative of his Government, and when he communicates a waiver of immunity the courts of the receiving State must accept it as a declaration of the Government of the sending State.” Vgl. auch den Kommentar der ILC zum Entwurf einer Konsularrechtskonvention im Bericht an die UN-Generalversammlung von 1961, YBILC 1961 II, 89 (118) (UN-Dokument A/4843). Dort heißt es zu Art. 45 des WÜK-Entwurfs: “If the head of the consular post is the object of the measure in question, the waiver should presumably be made in a statement communicated through the diplomatic channel. If the waiver relates to another member of the consulate, the statement my be made by the head of the consular post concerned.” Gegen ein Recht des Leiters einer Vertretung, einen Verzicht auszusprechen, aber Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 120 ff.
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zicht im Namen des Entsendestaates auszusprechen. Man könnte argumentieren, daß auch diese im Außenverhältnis zum Empfangsstaat zur selbständigen Wahrnehmung diplomatischer bzw. konsularischer Aufgaben befugt seien, weshalb auch ein von ihnen im Namen des Entsendestaates ausgesprochener Verzicht als Verzicht des Entsendestaates angesehen werden dürfe.432 Doch wird in der Literatur zu Recht überwiegend davon ausgegangen, daß nur der Leiter einer Vertretung zur Erklärung eines Verzichts im Namen des Entsendestaates berechtigt ist.433 Denn zum einen ist dieser auch im Verhältnis zum Empfangsstaat der „eigentliche“ Vertreter des Entsendestaates, während die übrigen Diplomaten bzw. Konsularbeamten ihn „nur“ bei der Wahrnehmung der Vertretungsaufgabe unterstützen. Zum anderen bestünde, würde man eine Verzichtserklärung durch einen Diplomaten oder Konsularbeamten für statthaft erachten, die Gefahr, daß der Empfangsstaat diese rechtsmißbräuchlich nötigen könnte, eine Verzichtserklärung im Namen des Entsendestaates auszusprechen. Auch die Mißbrauchsgefahr spricht mithin für eine alleinige Befugnis der Leiter diplomatischer und konsularischer Vertretungen zur Erklärung eines Verzichts des Entsendestaates. Ein Verzicht kann also vom Staatsoberhaupt, dem Regierungschef und dem Außenminister des Entsendestaates als dessen Zentralvertreter sowie von den Leitern diplomatischer und konsularischer Vertretungen für den Bereich „ihrer“ Vertretung als dezentrale Organe ausgesprochen werden. Dabei ist es wichtig, zwischen dem Außenverhältnis, also der Beziehung von Entsende- und Empfangsstaat, und dem Innenverhältnis, also den Beziehungen zwischen den genannten Personen zu ihrem Entsendestaat, zu differenzieren. Im Außenverhältnis zum Empfangsstaat sind die genannten Personen als befugt anzusehen, einen Verzicht auszusprechen. Der Empfangsstaat kann sich, wenn diese Personen erklären, für den Entsendestaat einen ___________ So Blischtschenko/Durdenewski, Diplomaten- und Konsularrecht, S. 402 und wohl auch Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 49 und Denza, Diplomatic Law, S. 274, die meint “(…) the question is one to be determined under the national law of each receiving State Party.” Unklar Sen, Diplomat’s Handbook, S. 162 ff. Da die übrigen Mitglieder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung lediglich unterstützende Funktionen ausüben, können diese auf keinen Fall als befugt angesehen werden, einen Verzicht auszusprechen. Vgl. auch die Auffassung des britischen Gesetzgebers: In Section 2 (3) des britischen Diplomatic Privileges Act von 1964 (abgedr. in Halsbury’s Statutes of England and Wales, 4. Aufl., vol. 10 [2001 Reissue], S. 746) heißt es: “For the purposes of Article 32 a waiver by the head of the mission of any State or any person for the time being performing his functions shall be deemed to be a waiver by that State.” 433 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 284; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 503; Nüsslein, Gesandtschaftsrecht, in: Strupp/ Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 1, 666 (672); Shearer, Starke’s International Law, S. 200. Soweit ersichtlich, wurde in der ILC bei der Ausarbeitung von Vorentwürfen für eine Diplomatenrechtskonvention nur darüber diskutiert, ob eine Erklärung des Chefs einer Vertretung ausreichen kann. Die Frage, ob auch ein sonstiger Diplomat einen Verzicht erklären kann, wurde nicht diskutiert, so daß davon auszugehen ist, daß die ILC dies nicht für zulässig hielt. Vgl. die Protokolle über die Diskussion innerhalb der ILC in YBILC 1957 I, 110 ff.; YBILC 1958 I, 154 ff. 432
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Verzicht auszusprechen, auf diese Erklärung verlassen. Für die Rechtswirksamkeit dieser Erklärung ist aber unerheblich, ob die betreffende Person im Innenverhältnis nach dem nationalen Recht des Entsendestaates befugt war, den Verzicht auszusprechen. Die Erklärung der genannten Personen ist dem Entsendestaat in jedem Fall zuzurechnen. Das Risiko, daß ein Vertreter des Entsendestaates seine ihm nach innerstaatlichem Recht zukommende Entscheidungs- und Erklärungskompetenz überschreitet, ist der Risikosphäre des Entsendestaates zuzurechnen und von ihm zu tragen.434 Zur Vermeidung von Unsicherheiten sollte allerdings nicht auf eine Erklärung abgestellt werden, die die vom Immunitätsverzicht betroffene Person selbst abgegeben hat. Es ist also ratsam, dann, wenn es um eine Exemtion des Chefs einer diplomatischen Mission oder des Leiters einer konsularischen Vertretung geht, einen von einem Zentralorgan des Entsendestaates ausgesprochenen Verzicht zu erbitten. Ein Verzicht muß nach Art. 32 Abs. 2 WÜD und Art. 45 Abs. 2 WÜK stets ausdrücklich erklärt werden.435 Es ist nicht statthaft, ein bestimmtes Verhalten als konkludente Verzichtserklärung zu interpretieren. Wenn beispielsweise Strafverfolgungsorgane des Empfangsstaates ein Strafverfahren gegen einen in diesem Staat akkreditierten Diplomaten durchführen und sich der Chef der diplomatischen Mission, dem der Diplomat angehört, hierzu nicht äußerst, obwohl er von dem Vorgehen des Empfangsstaates Kenntnis hat, so kann dieses Schweigen nicht als Einverständnis des Entsendestaates mit einer Strafverfolgung und nicht als rechtswirksamer Verzicht gewertet werden. Selbst wenn der Missionschef ausdrücklich betont, er halte die Strafverfolgung für richtig und angemessen, darf eine solche Erklärung nicht als Verzicht interpretiert werden, da als Verzicht nur solche Erklärungen ausreichen, die entweder ausdrücklich von einem Verzicht auf eine Exemtion bzw. der Zulässigkeit bestimmter Maßnahmen sprechen oder aber eine Maßnahme erbitten, die nur unter der Voraussetzung eines Verzichts durchgeführt werden darf.436 ___________ 434 So auch Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1043). 435 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 280; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 49. Fehlgehend daher Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 21. Eine interne Dienstanweisung des Entsendestaates an den Leiter der betreffenden Vertretung, keine Exemtion geltend zu machen oder im Namen des Entsendestaates einen Verzicht zu erklären, ist deshalb keine ausreichende Grundlage für den Empfangsstaat zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit; vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O., S. 280. Entscheidend ist allein, ob im Außenverhältnis zum Empfangsstaat ausdrücklich ein Verzicht erklärt wurde. 436 So beinhaltet das an den Empfangsstaat gerichtete ausdrückliche Ersuchen des Entsendestaates, ein Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung des Entsendestaates an diesen auszuliefern, einen Exemtionsverzicht. Vgl. Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 153.
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Während nach Art. 45 Abs. 2 WÜK eine Verzichtserklärung nur schriftlich erteilt werden kann, enthält das WÜD eine solche Restriktion nicht. Doch empfiehlt es sich für den Empfangsstaat, stets nur aufgrund einer schriftlichen Verzichtserklärung Strafverfolgungsmaßnahmen durchzuführen, die ohne Verzicht unzulässig wären. Denn wenn es zwischen Entsende- und Empfangsstaat zu einem Streit darüber kommt, ob Strafverfolgungsmaßnahmen zulässig sind oder der Empfangsstaat völkerrechtswidrig Vorrechte und Befreiungen mißachtet hat, dann obliegt es dem Empfangsstaat nachzuweisen, daß ein wirksamer Verzicht erteilt wurde. Er trägt gewissermaßen die „Beweislast“ und ist völkerrechtlich verantwortlich, wenn sich nicht klären läßt, ob eine Strafverfolgungsmaßnahme aufgrund eines Verzichts erlaubt war oder nicht. b) Zulässigkeit eines antizipierten Verzichts Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß in der Staatenpraxis ein Verzicht – wenn überhaupt – nur bezogen auf einen konkreten Lebenssachverhalt, also nur bezogen auf eine bestimmte einer bevorrechtigten Person vorgeworfene Tat erklärt wird und so nur eine Strafverfolgung wegen eines konkreten Tatvorwurfs erlaubt wird. Zulässig ist es aber auch, einen pauschalen Verzicht hinsichtlich aller oder bestimmter Arten von Taten auszusprechen, die einer oder mehreren Personen vorgeworfen werden.437 Darüber hinaus muß es ferner als statthaft angesehen werden, wenn ein Entsendestaat eine antizipierte Verzichtserklärung abgibt, also unabhängig von konkreten Tatvorwürfen einen (auch) zukünftige Taten erfassenden Verzicht erklärt. Ob ein Entsendestaat auch „im voraus“ für bestimmte Delikte oder bestimmte Personen einen Verzicht erklären kann, ist zwar im WÜD und im WÜK nicht geregelt, doch ist dies zu bejahen, weil die Exemtionen nur im Interesse des Entsendestaates gewährt werden und deshalb kein Grund besteht, ihn in seiner Dispositionsfreiheit einzuschränken.438 So könnte beispielsweise ein Entsendestaat pauschal und antizipiert einen Immunitätsverzicht für Verfahren wegen Verkehrsdelikten erklären und so disziplinierend auf die Mitglieder seiner diplomatischen Mission einwirken.
___________ 437 Ebenso Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1043). So könnte ein Entsendestaat, wenn sich herausstellt, daß „seine“ Diplomaten in der Vergangenheit häufig Verkehrsverstöße begangen haben, pauschal einen Verzicht auf die Immunität für alle in der Vergangenheit begangenen Verkehrsdelikte aussprechen. Ein Entsendestaat könnte aber beispielsweise auch einen Verzicht auf die Immunität eines Diplomaten bezogen auf alle Taten aussprechen, die dieser vor Beginn seiner dienstlichen Tätigkeit begangen hat. 438 So auch Denza, Diplomatic Law, S. 279 ff. Gegen die Zulässigkeit eines antizipierten Verzichts aber George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (115).
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3. Zur Geltung eines Verzichts auf die Immunität für Strafvollstreckungsmaßnahmen Wie erläutert wurde, ist die Reichweite eines Verzichts von ihrem konkret erklärten Umfang abhängig. Es liegt im Ermessen des Entsendestaates, inwieweit er mit einem Verzicht ein Tätigwerden der Strafverfolgungsorgane des Empfangsstaates erlauben will. Ausschlaggebend für den Umfang des Verzichts ist der Wortlaut der Erklärung. Doch stellt sich die Frage, wie ein Verzicht zu interpretieren ist, mit dem der Entsendestaat erklärt, in bezug auf eine konkrete Person und eine konkrete ihr vorgeworfene Tat auf die dieser Person zustehende Immunität von der Strafgerichtsbarkeit zu verzichten. Einigkeit besteht darüber, daß ein solcher Verzicht die Durchführung eines Erkenntnisverfahrens, eine Verurteilung oder eine sonstige Art der Verfahrensbeendigung erlaubt, der Verzicht nicht nur für die erste Gerichtsinstanz, sondern auch für Berufungs- und Revisionsverfahren gilt und zudem auch – solange nicht explizit Gegenteiliges erklärt wird – strafprozessuale Zwangsmaßnahmen im Rahmen der Verfolgung der Tat gestattet werden. Umstritten ist jedoch, ob ein solcher Immunitätsverzicht auch die sich an eine Verurteilung anschließende Strafvollstreckung erlaubt. In der Literatur wird teilweise behauptet, ein solcher Verzicht gelte zunächst nur für das Erkenntnisverfahren. Für die Vollstreckung eines Strafurteils sei ein gesonderter Verzicht erforderlich.439 Offenbar wird auch angenommen, der für die Vollstreckung eines Urteils erforderliche Verzicht könne nicht zugleich mit dem Verzicht auf die Immunität für das Erkenntnisverfahren erteilt werden, sondern stets erst nach Verkündung einer Entscheidung und nur bezogen auf konkret anstehende Vollstreckungsmaßnahmen. Es sei also immer ein neuer, zweiter Verzicht erforderlich, um ein Urteil (oder einen Strafbefehl) vollstrecken zu können. Art. 32 Abs. 4 WÜD und Art. 45 Abs. 4 WÜK legen wortgleich fest: „Der Verzicht auf die Immunität von der Gerichtsbarkeit in einem Zivil- oder Verwaltungsgerichtsverfahren gilt nicht als Verzicht auf die Immunität von der Urteilsvollstreckung; hierfür ist ein besonderer Verzicht erforderlich.“
Für den Bereich der Zivilgerichtsbarkeit ist das Erfordernis eines besonderen Verzichts naheliegend. Denn bei einer Zwangsvollstreckung kann in Gegenstände vollstreckt werden, die in keinerlei sachlichem Zusammenhang mit dem Prozeßgegenstand stehen und unter Umständen auch für Dritte, etwa für die Mission selbst, von Bedeutung sind. ___________ Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 280; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 50; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 503; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, vor § 18 GVG Rn. 2; Meyer-Lindenberg/SeidlHohenveldern, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), LdR-VR, S. 65 (68); Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 75; Seidl-Hohenveldern/ Stein, Völkerrecht, Rn. 1044; Shearer, Starke’s International Law, S. 200; Verdross/ Simma, Völkerrecht, § 906 und wohl auch MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 111. 439
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In Art. 32 Abs. 4 WÜD und Art. 45 Abs. 4 WÜK geht es aber ausdrücklich nur um Zivil- oder Verwaltungsgerichtsverfahren. Von einem Erfordernis eines gesonderten Verzichts auf die Immunität von der Urteilsvollstreckung auch für den Bereich des Strafrechts ist nicht die Rede, was dafür spricht, daß hier ein zweiter Verzicht speziell für die Strafvollstreckung nicht erforderlich ist. In der Literatur wird allerdings behauptet, die fehlende Erwähnung von Strafverfahren beruhe wohl auf einem Redaktionsversehen.440 Doch kann zum einen kaum angenommen werden, daß ein so offensichtliches Fehlen einer Einbeziehung der Strafgerichtsbarkeit in die Formulierung auf einem Versehen beruht, zum anderen wäre das Erfordernis eines gesonderten zweiten Verzichts für die Vollstreckbarkeit eines Strafurteils auch nicht sachgerecht. Anders als in einem Zivilverfahren wird ein Strafverfahren von vornherein mit dem Ziel betrieben, eine festgesetzte Strafe auch zu vollstrecken, also eine Freiheitsstrafe zu vollziehen oder eine Geldstrafe einzutreiben. Eine Vollstreckung findet hier nicht in Gegenstände statt, die mit dem Verfahren in keinem Zusammenhang stehen. Vielmehr ist die Art der Sanktion stets voraussehbar und trifft, auch bei der Geldstrafe, stets den Verurteilten persönlich. Auch ist zu bedenken, daß eine strafrechtliche Verurteilung – jedenfalls im Normalfall – nur dann Sinn macht, wenn eine verhängte Strafe auch vollstreckt wird, während eine zivilrechtliche Verurteilung im Idealfall keine Zwangsvollstreckung nach sich zieht.441 Daher ist einer wortlautgetreuen Auslegung der Art. 32 Abs. 4 WÜD und Art. 45 Abs. 4 WÜK der Vorzug zu geben. Ein zweiter, gesonderter und erst nach Abschluß des Erkenntnisverfahrens erklärbarer Verzicht auf die Immunität von der Strafvollstreckung ist damit für die Zulässigkeit einer Strafvollstreckung nicht erforderlich. Vielmehr kann eine einzige Verzichtserklärung vor Beginn eines Strafverfahrens ausreichend sein. Eine Verzichtserklärung, mit der ein Verzicht auf die Immunität von der Strafgerichtsbarkeit ausgesprochen wird, ist daher im Zweifel so zu interpretieren, daß auch auf die Immunität von der Strafvollstreckung verzichtet wird.442 4. Zulässigkeit einer Rücknahme eines Verzichts Umstritten ist ferner, ob ein einmal erklärter Verzicht endgültig ist oder vom Entsendestaat jederzeit zurückgenommen werden kann. Da der Entsendestaat nicht nur frei entscheiden kann, ob er einen Verzicht erklärt oder nicht, sondern auch ___________ Denza, Diplomatic Law, S. 284 f.; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 75. 441 Vgl. auch die Ausführungen bei Denza, Diplomatic Law, S. 285. 442 Wie hier Fischer/Köck, Völkerrecht, Rn. 756. 440
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über den Umfang eines Verzichts auf die Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit frei befinden kann, wird man – gewissermaßen als qualitatives Minus zu einem unwiderruflichen Verzicht – auch einen Verzicht unter dem Vorbehalt der späteren Rücknahme für zulässig erachten müssen. Problematisch ist lediglich, ob eine Rücknahme nur dann möglich ist, wenn der Entsendestaat sich diese Option bereits bei der Erklärung des Verzichts vorbehalten hat, oder ob ein Verzicht auf jeden Fall zurücknehmbar ist, also quasi jedem Verzicht die Widerruflichkeit immanent ist.443 Der Empfangsstaat kann nur dann sinnvoll entscheiden, ob sich der Aufwand, der mit einer Strafverfolgung verbunden ist, „lohnt“ oder eine andere Form der Reaktion auf die der bevorrechtigten Person vorgeworfene Tat vorzugswürdig ist, etwa eine Erklärung zur persona non grata, wenn Klarheit darüber besteht, wie weit der erteilte Verzicht reicht. Er hat also ein berechtigtes Interesse daran, daß ein Verzicht nur dann zurückgenommen werden kann, wenn sich der Entsendestaat die Widerruflichkeit bei Verzichtserklärung ausdrücklich vorbehält. Durch ein solches Erfordernis wird der Entsendestaat auch nicht ungebührlich benachteiligt; denn wenn er glaubt, die Folgen eines Verzichts nicht abschätzen zu können, kann er den Verzicht unter Vorbehalt erklären. Hieraus folgt, daß ein einmal erklärter Verzicht zwar zurückgenommen werden kann, aber nur dann, wenn sich der Entsendestaat die Rücknahme bei Verzichtserklärung ausdrücklich vorbehalten hat. 5. Vereinbarkeit eines Verzichts mit dem Rückwirkungsverbot Bei einem Verzicht auf völkerrechtliche Exemtionen wird eine Strafverfolgung möglich, die zuvor nicht statthaft war. Dennoch ist eine Strafverfolgung nach einer Verzichtserklärung mit dem Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar, und zwar aus denselben Gründen, aus denen auch eine Strafverfolgung nach dem Erlöschen von Exemtionen bei Dienstbeendigung nicht mit dem Rückwir-
___________ Innerhalb der ILC scheint man davon ausgegangen zu sein, daß ein Verzicht nicht zurücknehmbar ist. Denn im kommentierten Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (99) (UN-Dokument A/3859) heißt es: “It goes without saying that proceedings, in whatever court or courts, are regarded as a invisible whole, and that immunity cannot be invoked on appeal if an (…) waiver was given in the court of the first instance.” Im ILC-Entwurf zur Konsularrechtskonvention von 1961, YBILC 1961 II, 89 (119) (UN-Dokument A/4843) wird betont: “It should be noted that once the immunity has been waived, it cannot be pleaded at a later stage of the proceedings (for example, on appeal).” Generell gegen eine Rücknehmbarkeit Denza, Diplomatic Law, S. 279; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 164. Laut MKZPO-Wolf, vor § 18 GVG Rn. 8 ist ein Verzicht eine „unwiderrufliche prozessuale Willenserklärung“. Unklar im Hinblick auf die Strafgerichtsbarkeit Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 281. Dort heißt es, der Verzicht sei grundsätzlich zurücknehmbar, aber nur so lange, wie sich die bevorrechtigte Person nicht auf das Verfahren eingelassen hat. 443
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kungsverbot kollidiert. Insofern kann an dieser Stelle auf die Ausführungen oben in § 13 III.2.c) verwiesen werden.444
V. Abgrenzung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen zu anderen völkerrechtlichen Exemtionen 1. Grundsatz der Eigenständigkeit der verschiedenen völkerrechtlichen Exemtionen Die verschiedenen völkerrechtlichen Exemtionen sind grundsätzlich eigenständig. Sie lassen sich auf unterschiedliche Rechtsgründe zurückführen und haben jeweils andere Schutzzwecke. Auch wenn die einzelnen Exemtionen aufgrund dieser Unterschiede regelmäßig für verschiedene, voneinander abgegrenzte Personenkreise gelten, etwa die diplomatischen und konsularischen Exemtionen nur für Mitglieder diplomatischer oder konsularischer Vertretungen und die Exemtionen für Militärangehörige allein für Soldaten, so daß sich die meisten Exemtionen nicht überschneiden, so ist doch nicht ausgeschlossen, daß eine Person wegen einer Handlung gleichzeitig aufgrund verschiedener völkerrechtlicher Exemtionen der Strafgerichtsbarkeit eines Staates entzogen ist. Wenn sich beispielsweise ein deutscher Diplomat, der in der deutschen Botschaft in Paris tätig ist, anläßlich eines Besuchs deutscher Kriegsschiffe in einem französischen Hafen an Bord eines der Schiffe aufhält, so darf er dort nicht nur wegen seiner Unverletzlichkeit und Immunität als Diplomat nach Art. 29, Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD nicht festgenommen werden, sondern steht gleichzeitig auch die Immunität des Kriegsschiffs einem Tätigwerden französischer Staatsorgane an Bord des Schiffs entgegen.445 Für die Strafrechtspraxis bedeutet dies auf der einen Seite, daß dann, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Exemtion vorliegen und damit aufgrund ___________ Man könnte allenfalls argumentieren, bei einem Ende der Exemtionen aufgrund Beendigung der dienstlichen Tätigkeit bleibe der betroffenen Person nach Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD bzw. Art. 53 Abs. 3 WÜK die Möglichkeit, einer Strafverfolgung durch rechtzeitige Ausreise aus dem Empfangsstaat zu entgehen, da die Exemtionen nicht unmittelbar mit Beendigung der dienstlichen Tätigkeit, sondern erst nach Ablauf einer für eine Ausreise angemessenen Schutzfrist enden. Bei einem Verzicht, der auch gegen oder jedenfalls unabhängig vom Willen der bevorrechtigten Person erklärt werden kann, habe die betroffene Person diese Chance nicht. Zudem sei ein Verzicht, anders als eine Beendigung der dienstlichen Tätigkeit, in der Regel für den Betroffenen nicht voraussehbar. Die Exemtionen genießenden Personen seien daher im Fall eines Verzichts schutzwürdiger. Doch vermag ein solcher Gedankengang nicht zu überzeugen, da die Exemtionen überhaupt nicht im persönlichen Interesse der einzelnen exemtionsberechtigten Personen gewährt werden und daher ein individuelles Vertrauen der Betroffenen auf Straflosigkeit nicht schutzwürdig ist. 445 Zur Immunität der Staatsschiffe vgl. unten § 21 I. 444
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dieser Exemtion feststeht, daß eine Ausübung von Strafgerichtsbarkeit unzulässig ist, offengelassen werden kann, ob auch noch andere Exemtionen im konkreten Fall einer Strafverfolgung entgegenstehen. Aber auf der anderen Seite darf dann, wenn sich herausstellt, daß eine – etwa vom Beschuldigten für sich in Anspruch genommene – Exemtion in einem bestimmten Fall nicht einschlägig ist, nicht auf eine Prüfung der Voraussetzungen anderer völkerrechtlicher Exemtionen verzichtet werden. 2. Abgrenzung und Verhältnis der diplomatischen und konsularischen Exemtionen zur Staatenimmunität Erhebliche Unsicherheit besteht in der völker- und strafrechtlichen Literatur sowie in der Rechtsprechung jedoch hinsichtlich der Abgrenzung und des Verhältnisses der diplomatischen und konsularischen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zur Staatenimmunität. Wenig problematisch sind in diesem Kontext die Immunitäten ratione personae der Diplomaten, der Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission sowie ihrer Familienangehörigen nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 und Art. 37 Abs. 1 und 2 WÜD. Da diese Personen während ihrer Amtszeit der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates vollständig entzogen sind, spielen Abgrenzungsfragen in bezug auf die Zulässigkeit einer Strafverfolgung durch den Empfangsstaat während ihrer Dienstzeit keine Rolle. Zumindest aufgrund ihrer diplomatischen Immunität ratione personae sind diese Personen der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates vollumfänglich entzogen. Dagegen kommt der Frage des Verhältnisses der diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae zur Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit – wie nachfolgend gezeigt werden wird – erhebliche praktische Bedeutung zu. Und gerade dieses Verhältnis wird in der Literatur und Rechtsprechung häufig unzutreffend bewertet. a) These der Identität von Staatenimmunität und diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae In der Literatur wird vielfach die These vertreten, die diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae – sowohl die der Art. 37 Abs. 3, 38 Abs. 1 WÜD und Art. 43 Abs. 1, 71 Abs. 1 WÜK als auch die fortgeltenden Immunitäten der Diplomaten und Angehörigen des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD als Teilmenge der ihnen zukommenden Immunitäten ratione personae – seien Unterfälle bzw. spezialgesetzlich geregelte Anwendungsfälle der Staatenimmunität. Die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts und die Staatenimmunität, die ja auch eine Immunität ratione materiae ist, seien identisch. Es handele sich bei
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den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts um die für diesen Bereich völkervertraglich normierte, ansonsten völkergewohnheitsrechtlich geltende Staatenimmunität des Entsendestaates.446 Die Bestimmungen über Immunitäten ratione materiae im WÜD und im WÜK haben nach dieser Auffassung lediglich deklaratorischen Charakter, da sie die Beachtlichkeit der ohnehin gewohnheitsrechtlich geltenden Staatenimmunität anordnen. Ausgehend von dieser Meinung wurde in jüngster Zeit in Deutschland die Auffassung vertreten, die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts gälten nicht nur im Empfangsstaat, sondern auch in Drittstaaten. Da die Staatenimmunität als Ausprägung des Grundsatzes der souveränen Gleichheit der Staaten von jedem Staat zu beachten sei, müsse dies auch für die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts gelten, die die Staatenimmunität für den Bereich des Diplomaten- und Konsularrechts deklaratorisch festschrieben.447 Auf diese These wird unten in § 15 I.4. zurückzukommen sein.
___________ Lord Browne-Wilkinson in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 61 (68); Lord Millett in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (98); Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 86; Brownlie, International Law, S. 343, 355; Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (862 ff.); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 277, 311; Dembinski, Modern Law of Diplomacy, S. 202 f.; Denza, Diplomatic Law, S. 361; Doehring, Völkerrecht, Rn. 679 mit Fn. 34; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (70, 74 f., 96 f. m.w.N. in Fn. 24 ff. und Fn. 95 ff.); Faßbender, NStZ 1998, 144 (145); ders., AJIL 92 (1998), 74 (77); Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (975 f.); dies., JICJ 1 (2003), 186 (188); Kelsen, Principles of International Law, S. 230; Koster, Immunität internationaler Richter, S. 68 f.; Kunz, AJIL 41 (1947), 828 (838) (Kelsen und Kunz gehen sogar so weit, daß sie die Existenz eigenständiger diplomatischer Immunitäten ratione materiae abstreiten und davon ausgehen, Exemtionen im Diplomatenrecht gebe es nur für private Handlungen); Polakiewicz, ZaöRV 50 (1990), 761 (766); Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 131; van Panhuys, ICLQ 13 (1964), 1193 (1207); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 448 ff.; Wirth, Jura 2000, 70 (71 Fn. 31). Ebenso die Draft Convention on Diplomatic Privileges and Immunities der Harvard Law School von 1932, AJIL 26 (1932), Suppl., 15 (99); ILC-Sonderberichterstatter Zourek in seinen Berichten an die ILC über eine Konsularrechtskonvention von 1957 und 1960; vgl. YBILC 1957 II, 71 (99) und YBILC 1960 II, 2 (10 f.) sowie die Kommentierung des Entwurfs einer Konsularrechtskonvention der ILC von 1961, YBILC 1961 II, 89 (117, 127 f.) (UN-Dokument A/4843). Zudem scheint diese These vertreten zu werden von Cassese, International Law, S. 114; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 42; Freudenberg, Konsularrecht, in: Strupp/ Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 2, 281 (287); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 509 Fn. 11; Verdross, Völkerrecht, S. 332 f.; Verosta, Exterritorialität, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 1, 499 (501, 503); Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 952 f., 960. 447 Doehring, Völkerrecht, Rn. 679 f. mit Fn. 34; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (75 ff., 95 ff.); Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (975 f.). Ebenso wohl auch Cassese, International Law, S. 114 ff. Vgl. zudem Faßbender, NStZ 1998, 144 (145); ders., AJIL 92 (1998), 74 (76 f.). 446
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b) These des abschließenden Charakters der diplomatischen und konsularischen Exemtionen Das BVerfG hat die These aufgestellt, für den Bereich der diplomatischen und konsularischen Beziehungen regelten das WÜD und das WÜK abschließend, welchen Personen wann völkerrechtliche Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zukämen. Neben den im WÜD und im WÜK explizit normierten Exemtionen des Diplomaten- und Konsularrechts scheide ein Rückgriff auf die Staatenimmunität aus. Diese sei im Bereich des Diplomaten- und Konsularrechts nicht anwendbar, sondern werde von den speziellen Exemtionen verdrängt.448 Die Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen und die sonstigen vom WÜD und vom WÜK erwähnten Personen genießen nach dieser Auffassung nur dann und nur insoweit Immunität von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, wenn und soweit eine Exemtion im WÜD oder WÜK explizit festgeschrieben ist. Dies gelte sowohl gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates als auch gegenüber der von Drittstaaten. c) Unterschiedlichkeit und Eigenständigkeit der Exemtionen Diese beiden Thesen müssen aber mit aller Deutlichkeit zurückgewiesen werden. Schon aus den bisherigen Erläuterungen der Reichweite der diplomatischen und konsularischen Exemtionen, vor allem aus den Ausführungen bei § 13 II.6., wird deutlich, daß weder der Zweck noch die Reichweite der Staatenimmunität und der diplomatischen bzw. konsularischen Immunitäten ratione materiae identisch sind.449 Auch sind die diplomatischen und konsularischen Exemtionen keinesfalls abschließend. Sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen der Staatenimmunität vorliegen, sind Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit eines anderen Staates als demjenigen, dem die von der Staatenimmunität erfaßte hoheitlich-dienstliche Handlung zuzurechnen ist, stets ausgeschlossen, unabhängig davon, ob die handelnde Person für ihr Verhalten auch aufgrund einer diplomatischen oder konsularischen Exemtion von fremder Strafgerichtsbarkeit befreit ist oder nicht. Es können auch Personen, die vom WÜD und vom WÜK erwähnt werden, denen aber keine diplomatische oder konsularische Immunität zuerkannt wird, in den Genuß der Staatenimmunität ___________ 448 BVerfGE 96, 68 (91) = NJW 1998, 50 (54). Dem BVerfG zustimmend Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 149 Fn. 462. Vgl. auch die näheren Ausführungen zu dieser These des BVerfG unten bei § 15 I.4.e). 449 So auch BVerfGE 96, 68 (85) = NJW 1998, 50 (53) (vgl. den oben bei Anm. 314 wiedergegebenen Auszug aus dem Urteil des BVerfG); Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (87 f.); ders., Consular Immunity, S. 49 ff.; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 102, 104 ff.; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (447); ders., EJIL 13 (2002), 877 (883 f.). Siehe ferner Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 362.
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kommen. Ferner ist nicht von vornherein ausgeschlossen, daß Personen, die nach dem WÜD oder dem WÜK Immunität genießen, wegen eines Verhaltens, das von ihrer diplomatischen oder konsularischen Immunität nicht erfaßt wird, aufgrund der Staatenimmunität von strafrechtlicher Verantwortlichkeit exemt sind.450 Auch hierauf wurde bereits an mehreren Stellen in dieser Untersuchung hingewiesen. Im folgenden sollen zum einen die Unterschiede zwischen der Staatenimmunität und den diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae zusammenfassend skizziert werden, zum anderen soll anhand von Beispielsfällen dargelegt werden, warum die These des BVerfG, im Bereich des Diplomaten- und Konsularrechts scheide ein Rückgriff auf die Staatenimmunität aus, nicht richtig sein kann. aa) Unterschiede zwischen den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts und der Staatenimmunität Die Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit und die strafrechtlichen Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts weisen etliche Unterschiede auf, weshalb von einer Identität nicht die Rede sein kann: x Die Schutzzwecke der Staatenimmunität und der diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae sind nicht identisch.451 Die Staatenimmunität soll ausschließlich dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten (Art. 2 Nr. 1 UN-Charta) Rechnung tragen und verhindern, daß ein Staat „über einen anderen zu Gericht sitzt“. Da durch die Strafverfolgung einer Person wegen einer Handlung, die diese für einen fremden Staat vorgenommen hat, mittelbar auch dieser Staat der Gerichtsbarkeit des strafverfolgenden Staates unterworfen würde und der strafverfolgende Staat sich so unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Staaten eine höherrangige Stellung anmaßen würde, steht die Staatenimmunität einer Strafverfolgung staatlicher Funktionsträger wegen hoheitlich-dienstlicher Handlungen für einen fremden Staat entgegen. Den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts liegt zwar auch diese Überlegung zugrunde, so daß man von einer Teilidentität der Gründe für beide Arten von Immunitäten sprechen kann, doch sollen die Immunitäten ratione materiae darüber hinaus die Funktionsfähigkeit der diplomatischen und konsularischen Vertretungen schützen und sicherstellen, daß die Mitglieder der Vertretungen ihre dienstlichen Aufgaben unbeeinträchtigt von Einflußnahmen oder direkten Eingriffen des Empfangsstaates ausüben können.
___________ 450 Ebenso MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 107 f.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 107; Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 86; Denza, Diplomatic Law, S. 342; Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (89); ders., Consular Immunity, S. 55; Doehring/ Ress, AVR 37 (1999), 68 (76); Faßbender, NStZ 1998, 144 (145 f.); Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 149; van Panhuys, ICLQ 13 (1964), 1193 (1206 ff.); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (447); ders., EJIL 13 (2002), 877 (883 f.). 451 Vgl. hierzu bereits oben § 13 II.6. sowie Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 106.
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x Die Staatenimmunität gilt nur für acta iure imperii, während die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts auch sonstige Diensthandlungen erfassen.452 Im Lauf des letzten Jahrhunderts ist die gewohnheitsrechtliche Staatenimmunität dahingehend eingeschränkt worden, daß sie nur noch hoheitliche Staatstätigkeit erfaßt. Entsprechend sind staatliche Funktionsträger nur noch für ihr hoheitlich-dienstliches Handeln für einen Staat der Strafgerichtsbarkeit eines anderen Staates aufgrund der Staatenimmunität entzogen. Die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts dagegen erfassen nicht nur die hoheitlich-dienstlichen diplomatischen bzw. konsularischen Handlungen, sondern reichen darüber hinaus. Zum Teil erfassen sie sämtliche dienstliche Handlungen, die von Mitgliedern diplomatischer oder konsularischer Vertretungen in ihrer Eigenschaft als Mitglied einer Vertretung vorgenommen werden, zum Teil zwar lediglich die unmittelbaren Amtshandlungen, aber auch solche, bei denen nicht von öffentlich-rechtlichen Handlungsformen Gebrauch gemacht wird.
x Die Staatenimmunität gilt bei bestimmten Arten von Straftaten nicht, während die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts solche sachlichen Ausnahmen nicht kennen.453 Wie oben in § 6 und § 7 gezeigt wurde, steht die Staatenimmunität heutzutage einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen, wegen gegen völkerrechtliches ius cogens verstoßender Menschenrechtsverletzungen, wegen geheimdienstlicher Gewalttaten, wegen Spionagetaten und wegen sonstiger gegen die Sicherheit und Integrität eines Staates gerichteter Straftaten nicht mehr entgegen. Die Staatenimmunität hat entsprechende völkergewohnheitsrechtliche Einschränkungen erfahren. Diese Einschränkungen gelten – wie unten in § 14 dargelegt werden wird – für die diplomatischen und konsularischen Immunitäten nicht. Selbst bei schwersten Straftaten gibt es keine gewohnheitsrechtlichen Ausnahmen. Ein Rückgriff auf Rechtsinstitute des Völkerrechts wie die Verwirkung oder eine ausnahmsweise Rechtfertigung einer Nichtbeachtung von Exemtionen als Repressalie scheitern daran, daß sowohl das Diplomaten- als auch das Konsularrecht ein self-contained regime sind.
___________ Vgl. hierzu bereits oben § 13 II.6. sowie BVerfGE 96, 68 (85) = NJW 1998, 50 (53) und Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 104 ff. 453 Darauf hat schon Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (87 f.) hingewiesen und unter Verweis auf diesen Unterschied die Auffassung widerlegt, die Immunitäten ratione materiae des Diplomatenrechts seien mit der Staatenimmunität für staatliche Funktionsträger identisch: “Obviously, had the general act of State doctrine [diesen Begriff benutzt Dinstein als Synonym für den Begriff der Staatenimmunität; der Verf.] been recognised and accepted in international law in the broad terms used and advocated by Kelsen et al., there would have been no reason to refer to a separate immunity enjoyed by diplomats in regard to acts of State. But international theory and practice are in unison in their rejection of the doctrine in its all-embracing form, covering every act of State in any circumstances. We cannot explore this complicated problem fully within the purview of the present paper. Suffice it, then, to adduce the important judgments rendered in Nuremberg and recently in the Eichmann trial, to demonstrate that not every act of State commands immunity from jurisdiction. In view of the fact that the act of State doctrine does not legitimately exempt every such act from jurisdiction, we can – and must – admit the existence of an independent and separate immunity that, irrespective of the limits of that doctrine, spreads over those acts of State that are specifically and exclusively performed by diplomats.” Ebenso Dinstein, Consular Immunity, S. 51 f. für die konsularischen Exemtionen ratione materiae. Vgl. hierzu auch oben § 13 I.1.a)ff) und unten § 14. 452
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
x Die Staatenimmunität erfaßt hoheitlich-dienstliche Handlungen für einen fremden Staat unabhängig vom Zeitpunkt der Tathandlung und vom Status des Beschuldigten, während die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts nur Diensthandlungen erfassen, die von einem Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung während der Dienstzeit für den Entsendestaat vorgenommen werden.454 Die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts gelten, da sie sich auf dienstliche Handlungen beziehen, die Mitglieder diplomatischer bzw. konsularischer Vertretungen in ihrer Funktion als Mitglied einer Vertretung vornehmen, nur für Taten, die in einem inneren und äußeren Zusammenhang stehen mit der Wahrnehmung diplomatischer bzw. konsularischer Aufgaben. Handlungen für den Entsendestaat, die vor Beginn der dienstlichen Tätigkeit als Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung vorgenommen worden sind oder erst nach Abschluß der Dienstzeit vorgenommen werden, können genausowenig von den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts erfaßt werden wie hoheitlich-dienstliche Handlungen für einen anderen als den Entsendestaat. Für die Geltung der Staatenimmunität ist dagegen irrelevant, ob die handelnde Person zum Tatzeitpunkt bzw. davor oder danach in einem Dienstverhältnis für den Staat stand, für den gehandelt wurde. Bei der Staatenimmunität ist allein entscheidend, ob die konkrete Handlung, die einer Person als strafbare Tat vorgeworfen wird, eine hoheitlich-dienstliche Handlung für einen fremden Staat war.
x Die Staatenimmunität erfaßt hoheitlich-dienstliche Handlungen unabhängig davon, ob sie zum Kreis der diplomatischen bzw. konsularischen Aufgaben gehören, während die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts nur für Handlungen gelten, mit denen diplomatische oder konsularische Aufgaben im Sinne des Art. 3 WÜD bzw. Art. 5 WÜK erfüllt werden sollen.455 x Die Staatenimmunität verbietet es jedem anderen Staat als dem, für den eine hoheitlich-dienstliche Handlung vorgenommen wurde, Strafgerichtsbarkeit wegen dieser Tat auszuüben, während die Immunitäten ratione materiae des Diplomatenund Konsularrechts nur einer Ausübung von Strafgerichtsbarkeit durch den Empfangsstaat entgegenstehen.456 Die Staatenimmunität wirkt – wie oben in § 5 IV.1. gezeigt – erga omnes. Die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts gelten dagegen nur im jeweiligen Empfangsstaat. Denn da sie in erster Linie die Funktionsfähigkeit der diplomatischen und konsularischen Vertretungen schützen sollen, mithin den Mitgliedern der diplomatischen und konsularischen Vertretungen die unbeeinträchtigte Wahrnehmung ihrer diplomatischen bzw. konsularischen Aufgaben ermöglichen sollen, läßt sich eine Geltung der gegenüber der Staatenimmunität vielfach umfassenderen Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts in Drittstaaten nicht legitimieren. Denn die diplomatischen und konsularischen Aufgaben sind lediglich im Empfangsstaat wahrzunehmen. Der Grundsatz der Gleichheit der Staaten wird bereits dadurch gewahrt, daß hoheitlichdienstliche diplomatische bzw. konsularische Handlungen nach dem Grundsatz der Staatenimmunität der Strafgerichtsbarkeit von Drittstaaten nicht unterfallen. Für eine Gewäh-
___________ 454 455 456
Vgl. hierzu bereits oben § 13 II.2. Vgl. hierzu bereits oben § 13 II.5. Vgl. hierzu unten § 15 I.4.
§ 13 Reichweite der personenbezogenen Exemtionen im Empfangsstaat
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rung von weiterreichender Immunität durch Drittstaaten auch für sonstige diplomatische bzw. konsularische Diensthandlungen durch eine Erstreckung der Geltung diplomatischer und konsularischer Amtsimmunitäten auf Drittstaaten besteht kein Anlaß. Die Staatenpraxis hat eine Geltung in Drittstaaten daher auch nie akzeptiert. Sofern Mitglieder diplomatischer bzw. konsularischer Vertretungen in Drittstaaten als schutzwürdig angesehen werden, etwa während ihrer Durchreise durch einen Drittstaat auf dem Weg in den Empfangs- bzw. Entsendestaat, wird ihnen vom WÜD und WÜK eine besondere Unverletzlichkeit zuerkannt (vgl. Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK).
Andererseits besteht jedoch zwischen der Staatenimmunität und den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts eine Teilidentität. Denn Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen sind vor einer Strafverfolgung wegen diplomatischer bzw. konsularischer Diensthandlungen, die hoheitlich-dienstlichen Charakter haben, etwa der Ausstellung von Visa, der Vornahme von Beglaubigungen, der Ausstellung von Personaldokumenten für Staatsbürger des Entsendestaates oder der Erteilung von Importgenehmigungen in den Entsendestaat, im Empfangsstaat nicht nur durch die diplomatischen bzw. konsularischen Amtsimmunitäten geschützt, sondern gleichzeitig auch durch die Staatenimmunität. Das Verhältnis der Staatenimmunität zu den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts kann daher bildlich durch die Figur zweier sich teilweise überschneidender Kreise dargestellt werden. bb) Eigenständigkeit der Exemtionen Die Staatenimmunität verbietet eine Ausübung fremdstaatlicher Strafgerichtsbarkeit allein deshalb, weil es sich bei der einer Person vorgeworfenen Tat um eine hoheitlich-dienstliche Handlung für einen Staat handelt. Auf den Status der handelnden Person kommt es nicht an. Deshalb kann es keine Bedeutung haben, ob die handelnde Person Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung ist oder ob sie für die betreffende Handlung nach dem WÜD bzw. WÜK diplomatische bzw. konsularische Immunität genießt oder nicht. Daher scheidet entgegen der Auffassung des BVerfG ein Rückgriff auf die Staatenimmunität bei Personen, deren Rechtsstellung (auch) vom WÜD bzw. WÜK geregelt ist, nicht von vornherein aus. Es läßt sich dem Völkergewohnheitsrecht keine Regel dahingehend entnehmen, daß die grundsätzlich jeder Person zukommende Staatenimmunität für Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen ausnahmsweise nicht gelten soll.457
___________ Ebenso MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 107 f.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 107; Denza, Diplomatic Law, S. 342; Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (89); ders., Consular Immunity, S. 55; Faßbender, NStZ 1998, 144 (145 f.); Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 149; van Panhuys, ICLQ 13 (1964), 1193 (1206 ff.); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (447); ders., EJIL 13 (2002), 877 (883 f.). 457
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Es läßt sich auch nicht argumentieren, wenn das WÜD und das WÜK bestimmten Personen in bestimmtem Umfang Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zuerkennen würden, dann folge hieraus im Umkehrschluß, daß diese Personen keine weiteren Exemtionen genießen sollten, also auch die Staatenimmunität durch die völkervertraglich und völkergewohnheitsrechtlich geltenden Regelungen des WÜD und des WÜK implizit ausgeschlossen sei.458 Zwar ist der Schutz der Staatenimmunität abdingbar, so daß die Staaten, deren Souveränität durch die Staatenimmunität geschützt werden soll, auf diese verzichten können. Es ist daher theoretisch denkbar, daß die Staaten mit den Immunitätsregelungen des WÜD und des WÜK nicht nur positiv bestimmte diplomatische und konsularische Immunitäten vereinbart haben, sondern gleichzeitig für den vom WÜD und WÜK erfaßten Personenkreis negativ die Geltung der Staatenimmunität ausgeschlossen haben, also auf die Staatenimmunität zugunsten einer abschließenden Regelung der bestimmten Personen zukommenden Exemtionen im WÜD und im WÜK verzichtet haben. Doch wäre eine solche Interpretation verfehlt. Der Wille der Staaten bei der Ausarbeitung bzw. Ratifizierung des WÜD und des WÜK ging allein dahin, die diplomatischen und konsularischen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit abschließend zu regeln. Insofern gibt es keine weitergehenden diplomatischen und konsularischen Exemtionen als die im WÜD und im WÜK gewährten. Doch ging der Wille der Staaten nicht dahin, gleichzeitig andere völkerrechtliche Exemtionen, die auf einem anderen Rechtsgrund beruhen, die einen anderen Schutzzweck und – wie oben gezeigt – eine ganz andere Reichweite haben, konkludent auszuschließen und auf deren Schutz zu verzichten. Eine solche Annahme würde nämlich – wie die unten angeführten Fallbeispiele deutlich machen – bedeuten, daß Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen zum Teil weniger Exemtionen genössen, also eine schlechtere Rechtsposition hätten, als Privatpersonen. Dies aber wäre offensichtlich widersinnig. Die Regelungen des WÜD und des WÜK sollen die Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen lediglich in Teilen besserstellen als Privatpersonen, es ist aber nicht ihr Ziel, sie gegenüber sonstigen Personen schlechterzustellen lediglich deshalb, weil sie Mitglieder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung sind. Wenn daher Personen, die nicht Mitglieder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung sind, sich für bestimmte Verhaltensweisen auf die Staatenimmunität berufen können, so muß dies für die Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen ebenfalls gelten. Auch wenn im WÜD und im WÜK für einige Kategorien von Mitgliedern diplomatischer bzw. konsularischer Vertretungen ausdrücklich festgehalten wird, diesen stünden „Vorrechte und Immunitäten nur in dem vom Empfangsstaat zuge___________ 458
So aber die Annahme des BVerfG; vgl. BVerfGE 96, 68 (91) = NJW 1998, 50 (54).
§ 13 Reichweite der personenbezogenen Exemtionen im Empfangsstaat
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lassenen Umfang“ zu (so Art. 37 Abs. 4, Art. 38 Abs. 2 WÜD, Art. 71 Abs. 2 WÜK), so beziehen sich diese Feststellungen doch allein auf die diplomatischen und konsularischen Vorrechte und Immunitäten.459 Das BVerfG führt nur ein einziges Argument für seine Behauptung ins Feld, neben den im WÜD explizit normierten Exemtionen des Diplomatenrechts scheide ein Rückgriff auf die Staatenimmunität aus: Bei einem solchen Rückgriff – so das BVerfG – würden die bestehenden Beschränkungen der diplomatischen Immunität sinnlos.460 Doch ist dies nicht der Fall. Die These des BVerfG wäre nur dann zutreffend, wenn die Immunitäten (ratione materiae) des Diplomatenrechts mit der Staatenimmunität identisch wären. Dann könnte man in der Tat sagen, daß die Entscheidung, bestimmten Personen diplomatische Immunitäten nur in bestimmtem Umfang bzw. gar keine diplomatischen Immunitäten zuzuerkennen, nicht dadurch umgangen werden dürfe, daß man ihnen solche Exemtionen unter der Bezeichnung „Staatenimmunität“ doch gewähre. Aber eine solche Identität besteht – wie oben gezeigt – gerade nicht. Wenn daher bestimmten Personen, etwa Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals einer diplomatischen Mission, die im Empfangsstaat ständig ansässig sind, gemäß Art. 38 Abs. 2 WÜD keine diplomatischen Exemtionen (etwa Immunität ratione materiae für alle Diensthandlungen entsprechend Art. 37 Abs. 3 WÜD) gewährt werden, so heißt dies nur, daß kein Grund gesehen wurde, diese Personen für alle dienstlichen Handlungen, also auch für dienstliche acta iure gestionis, von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates freizustellen. Das bedeutet aber nicht, daß sie sich nicht für acta iure imperii auf die Staatenimmunität sollen berufen können.461 Bei Personen, die diplomatische oder konsularische Exemtionen genießen, ist allerdings ein Rückgriff auf die Staatenimmunität in aller Regel nicht erforderlich. Die Immunitäten ratione personae des Diplomatenrechts sind ohnehin auf die geschützten Personen bezogen und stellen diese unabhängig davon, um was für eine Art von Handlung es geht, von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gegenüber dem Empfangsstaat frei. Und die Immunitäten ratione materiae erfassen in aller Regel ebenfalls ein Verhalten, das von der Staatenimmunität geschützt ist. Die Exemtionsregelungen des WÜD und des WÜK überlagern also vielfach die Staatenimmunität, so daß sich eine Freistellung von der Strafgerichtsbarkeit bereits aus den diplomatischen und konsularischen Exemtionen ergibt. Umgekehrt gilt für die Taten, die von den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts nicht erfaßt werden, in aller Regel auch die Staatenimmunität nicht. So ist hinsichtlich derjenigen Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen, ___________ So auch Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 149. Vgl. BVerfGE 96, 68 (91) = NJW 1998, 50 (54). 461 So auch Denza, Diplomatic Law, S. 342; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 149. 459 460
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denen das WÜD und das WÜK keinerlei Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zubilligen, festzuhalten, daß diese im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit typischerweise keine hoheitlich-dienstlichen Handlungen vornehmen und damit ihre Tätigkeit normalerweise auch nicht von der Staatenimmunität erfaßt wird. Für die Rechtspraxis spielt daher die Frage, ob neben den diplomatischen und konsularischen Exemtionsregelungen ein Rückgriff auf die Staatenimmunität zulässig ist, keine nennenswerte Rolle. Soweit ersichtlich, war das Verhältnis von diplomatischen und konsularischen Immunitäten zur Staatenimmunität für die Zulässigkeit einer Strafverfolgung in der Bundesrepublik bislang nur in dem vom BVerfG entschiedenen und bereits erwähnten Fall der Strafverfolgung des ehemaligen syrischen Botschafters in der DDR wegen der Unterstützung eines Terroranschlags in West-Berlin von Bedeutung. Da es in diesem Fall um die Frage der Verfolgbarkeit eines Diplomaten durch die Bundesrepublik als einem Drittstaat ging, soll auf den Fall erst im Zusammenhang mit der Darstellung der Geltung diplomatischer und konsularischer Exemtionen gegenüber Drittstaaten unten in § 15 I.4. näher eingegangen werden. Theoretisch aber lassen sich einige Fälle bilden, bei denen erst ein Rückgriff auf die Staatenimmunität zu sachgerechten Ergebnissen führt. Diese fiktiven Fälle machen zugleich deutlich, daß die These des BVerfG von der Unzulässigkeit eines Rekurses auf die Staatenimmunität bei einer Strafverfolgung von Personen, deren Status durch das WÜD bzw. das WÜK geregelt ist, nicht überzeugen kann. x Ein Rückgriff auf die Staatenimmunität ist immer dann erforderlich, wenn es um eine hoheitlich-dienstliche Handlung eines Mitglieds einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung geht, die diese vor Ernennung zum Mitglied einer Vertretung begangen hat und die Person keine Immunität ratione personae genießt: Wenn ein Konsularbeamter vor seiner Ernennung zum Konsul im Entsendestaat als Strafrichter tätig war und im Zuge dieser beruflichen Tätigkeit einen Staatsbürger des Empfangsstaates zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt hat, so schützt ihn seine Immunität ratione materiae nach Art. 43 Abs. 1 WÜK nicht vor einer Strafverfolgung wegen (vermeintlicher) Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung durch den Empfangsstaat. Denn wie alle Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts bezieht sich auch Art. 43 Abs. 1 WÜK nur auf Diensthandlungen im Rahmen der konsularischen Tätigkeit, erfaßt also Handlungen, die vor Dienstbeginn vorgenommen wurden, nicht. Einer Ausübung von Strafgerichtsbarkeit durch den Empfangsstaat (und jeden anderen Staat außer dem Entsendestaat) steht aber in diesem Fall die Staatenimmunität entgegen. Denn die Verurteilung war eine hoheitlich-dienstliche Handlung für den Entsendestaat. Auch die ehemaligen Richterkollegen des Konsularbeamten, die das Urteil der Kammer gleichfalls zu verantworten haben und weiterhin als Richter im Entsendestaat beruflich tätig sind, sind – etwa bei einem Urlaubsaufenthalt im Empfangsstaat – vor einer Strafverfolgung durch den Empfangsstaat aufgrund der Staatenimmunität dauerhaft geschützt. Folgte man dagegen der Auffassung des BVerfG und nähme man einen abschließenden Charakter der Regelungen des WÜK hinsichtlich der den dort erwähnten Personen zustehenden Exemtionen an, so hieße dies, daß der Konsularbeamte im Gegensatz zu seinen Richterkollegen im Empfangsstaat verfolgt werden dürfte. Er würde damit nur deshalb, weil er Konsularbeamter ist, weniger Schutz vor der Strafjustiz des Empfangsstaates genießen als seine Richterkollegen. Dies wäre offensichtlich nicht im Sinne des WÜK.
§ 13 Reichweite der personenbezogenen Exemtionen im Empfangsstaat
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x Ein Rückgriff auf die Staatenimmunität ist dann erforderlich, wenn es um dienstliche Handlungen eines Immunität ratione materiae genießenden Mitglieds einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung geht, die zwar während der Zeit der Beschäftigung als Mitglied einer Auslandsvertretung vorgenommen werden, aber keinerlei Bezug zu den diplomatischen oder konsularischen Aufgaben haben: Wie oben in § 13 II.5. gezeigt, sind von den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts nur solche Diensthandlungen erfaßt, die zur Wahrnehmung diplomatischer oder konsularischer Aufgaben beitragen sollen. Wenn daher beispielsweise ein Konsularbeamter, der Mitglied einer freiwilligen Feuerwehr seiner Heimatstadt im Entsendestaat ist, während eines Urlaubsaufenthalts in seiner Heimat zu einem Feuerwehreinsatz gerufen wird und als Fahrer des Löschfahrzeugs bei einer Einsatzfahrt einen Unfall verursacht, bei dem ein Staatsbürger des Empfangsstaates verletzt wird, so steht seine konsularische Immunität ratione materiae nach Art. 43 Abs. 1 WÜK einer Strafverfolgung im Empfangsstaat wegen fahrlässiger Körperverletzung nicht entgegen. Er darf aber, da die Einsatzfahrt als hoheitlich-dienstliche Handlung für den Entsendestaat zu beurteilen ist, aufgrund der Staatenimmunität vom Empfangsstaat nicht zur Verantwortung gezogen werden. Verneinte man dagegen eine Geltung der Staatenimmunität für Personen, deren Status (in welcher Form auch immer) im WÜD oder im WÜK geregelt ist, und verträte man – wie das BVerfG – die These einer Exklusivität der Exemtionsregelungen des WÜD und des WÜK, so hieße dies, daß der Konsularbeamte im Empfangsstaat verfolgt werden dürfte, während ein anderer Feuerwehrkamerad, der nicht Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung ist, im Empfangsstaat nicht verfolgt werden darf. Auch dies bedeutete eine Schlechterstellung der Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen gegenüber Privatpersonen, die vom WÜD und vom WÜK nicht gewollt sein kann.
x Ein Rückgriff auf die Staatenimmunität kann auch dann erforderlich werden, wenn es um dienstliche Taten von Mitgliedern einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung geht, die nach dem WÜD bzw. dem WÜK keinerlei (diplomatische bzw. konsularische) Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen: Bei den Personen, die nach dem WÜD oder dem WÜK keinerlei Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen, handelt es sich in der Praxis in der Regel um Mitglieder des dienstlichen oder privaten Hauspersonals, die typischerweise Ortskräfte sind (vgl. nur Art. 37 Abs. 4 WÜD bezüglich des privaten Hauspersonals und Art. 38 Abs. 2 WÜD hinsichtlich des dienstlichen Hauspersonals, sofern diese Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind). Diese Personen üben normalerweise keine hoheitlich-dienstlichen Tätigkeiten für eine diplomatische bzw. konsularische Vertretung aus, so daß ein Rückgriff auf die Staatenimmunität in der Regel nicht erforderlich ist. Doch kann ein solcher Rückgriff dann geboten sein, wenn es um sonstige hoheitlichdienstliche Handlungen dieser Personen für einen fremden Staat geht. Wenn beispielsweise der im Empfangsstaat ständig ansässige Fahrer einer Botschaft, der seinen Urlaub im Entsendestaat verbringt und dort mit seinem Motorboot kleinere Touren macht, angesichts eines Seenotfalls von der örtlichen Polizei verpflichtet wird, mit seinem Boot bei einem Rettungseinsatz zu helfen und dabei ein so heftiges Manöver steuert, daß eine der geretteten Personen, die zufällig Angehöriger des Empfangsstaates ist, über Bord fällt und ertrinkt, so steht das WÜD einer Strafverfolgung wegen fahrlässiger Tötung im Empfangsstaat nicht entgegen. Denn gemäß Art. 71 Abs. 2 WÜD genießt der Fahrer als ortsansässiges Mitglied des dienstlichen Hauspersonals keinerlei Exemtion nach dem WÜD. Er darf aber, da der Rettungseinsatz eine hoheitlich-dienstliche Handlung für den Entsendestaat war, aufgrund der Staatenimmunität von keinem anderen Staat als dem Ent-
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sendestaat und damit auch nicht vom Empfangsstaat strafrechtlich verfolgt werden. Würde man dagegen die Regelung des Art. 71 Abs. 2 WÜD dahingehend für abschließend halten, daß der Fahrer überhaupt keine völkerrechtliche Exemtion genießt, so dürfte er allein deshalb vom Empfangsstaat verfolgt werden, weil er als Fahrer bei einer fremden Botschaft arbeitet. Ein anderer Staatsangehöriger des Empfangsstaates, der etwa als Fahrer bei einem Privatunternehmen beschäftigt ist, also sachlich eine identische berufliche Tätigkeit ausübt, genießt dagegen bezüglich eines solchen Verhaltens auf jeden Fall Staatenimmunität. Mit der Regelung des Art. 38 Abs. 2 WÜD ist aber sicherlich nicht intendiert, Personen deshalb eine ihnen normalerweise aufgrund der völkerrechtlichen Staatenimmunität zukommende Befreiung vorzuenthalten, weil sie als Fahrer bei einer Botschaft (und nicht bei einem Privatunternehmen) tätig sind. Hinsichtlich solcher Personen kann ein Rückgriff auf die Staatenimmunität sogar dann in Betracht kommen, wenn die zu beurteilende Handlung eine diplomatische oder konsularische Amtshandlung ist. So genießen Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, gemäß Art. 38 Abs. 2 WÜD und Art. 71 Abs. 2 WÜK keinerlei Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit nach dem WÜD oder dem WÜK. Wenn nun eine solche Person von einem Botschafter oder einem Konsularbeamten gebeten wird, in seinem Auftrag einer Person ein Visum zu erteilen, so nimmt dieses Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung eine hoheitlichdienstliche Handlung für den Entsendestaat vor. Gleichwohl genießt sie nach dem WÜD bzw. dem WÜK keine Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit für diese Handlung. Würde man der Auffassung des Verbots eines Rückgriffs auf die Staatenimmunität folgen, so könnte diese Person, sofern sie wußte, daß die Ausstellung des Visums dazu dienen sollte, einer vom Empfangsstaat wegen einer Straftat gesuchten Person die Flucht ins Ausland zu ermöglichen, gegebenenfalls wegen Beihilfe zur Strafvereitelung (§ 258 Abs. 1, § 27 Abs. 1 StGB) vom Empfangsstaat verurteilt werden. Damit aber müßte sich nicht nur diese Person selbst, sondern mittelbar auch der Entsendestaat vor einem Gericht des Empfangsstaates für eine unmittelbare konsularische Amtshandlung verantworten. Es kann nicht angenommen werden, daß die Staaten es mit den Regelungen in Art. 38 Abs. 2 WÜD und Art. 71 Abs. 2 WÜK den Empfangsstaaten erlauben wollten, über solche hoheitlichen Staatstätigkeiten durch eine strafrechtliche Verfolgung des handelnden Organs zu judizieren. Nach richtiger Auffassung kommt daher auch in diesem Fall ein Rückgriff auf die Staatenimmunität in Betracht und verhindert diese eine Strafverfolgung. Aber auch dann, wenn die hoheitlich-dienstliche Handlung für den Entsendestaat eine schlichte Diensthandlung ist, kann ein Rückgriff auf die Staatenimmunität zur Wahrung des Grundsatzes der souveränen Gleichheit der Staaten erforderlich sein. Wenn beispielsweise Demonstranten gewaltsam in die Räumlichkeiten einer diplomatischen Mission eindringen und von einem Mitglied des Wachpersonals (also des dienstlichen Hauspersonals), der im Empfangsstaat ständig ansässig ist, unter Einsatz von Schußwaffen aus dem Gebäude herausgedrängt werden, wobei ein Demonstrant getötet wird, so genießt diese Person gemäß Art. 38 Abs. 2 WÜD nach Diplomatenrecht keinerlei Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gegenüber dem Empfangsstaat. Da die Handlung aber eine hoheitlichdienstliche Handlung für den Entsendestaat war, ist sie diesem zuzurechnen und steht die Staatenimmunität einer Strafverfolgung entgegen. Würde man dagegen einen Rückgriff auf die Staatenimmunität aufgrund der Annahme, Art. 38 Abs. 2 WÜD lege abschließend fest, daß die dort genannten Personen keinerlei Exemtion genießen sollen, verneinen, so wäre das Mitglied des Wachpersonals in diesem Fall schlechtergestellt als eine Privatperson. Hätte ein sich zufällig in der Botschaft aufhaltender Besucher auf Bitten des Botschafters bei der Räumung der Botschaft geholfen, so hätte er sich nämlich auf die Staatenimmunität berufen können.
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x In Ausnahmefällen kann ein Rückgriff auf die Staatenimmunität sogar bei dienstlichen diplomatischen bzw. konsularischen Handlungen von Personen erforderlich sein, die nach dem WÜD oder dem WÜK diplomatische oder konsularische Exemtionen genießen: Wenn in dem gerade geschilderten Fall, in dem Demonstranten in die Räumlichkeiten einer diplomatischen Mission eindringen, ein Diplomat, der im Empfangsstaat ständig ansässig ist, sich an der Räumung beteiligt und einen der Demonstranten verletzt, so genießt er für diese Tat keine Immunität nach Art. 38 Abs. 1 WÜD. Zwar handelt es sich um eine Diensthandlung, nicht aber um eine Amtshandlung im Sinne des Art. 38 Abs. 1 WÜD. Da es sich aber bei der gewaltsamen Räumung des Missionsgebäudes um eine hoheitlichdienstliche Tätigkeit für den Empfangsstaat handelt, steht einer Strafverfolgung wegen Körperverletzung durch den Empfangsstaat die Staatenimmunität entgegen.
Auch für das Verhältnis der diplomatischen und konsularischen Exemtionen zur Staatenimmunität gilt also der Grundsatz der Eigenständigkeit der verschiedenen völkerrechtlichen Exemtionen. Die positiven oder negativen Exemtionsregelungen des WÜD und des WÜK beziehen sich ausschließlich auf die diplomatischen und konsularischen Exemtionen. Ob bestimmte Personen für bestimmte Handlungen aufgrund der Staatenimmunität fremder Strafgerichtsbarkeit entzogen sind, ist nicht Regelungsgegenstand von WÜD und WÜK, sondern bestimmt sich unabhängig davon allein nach den völkergewohnheitsrechtlich geltenden Normen der Staatenimmunität. Die Staatenimmunität wird durch die Bestimmungen des WÜD und des WÜK nicht verdrängt; WÜD und WÜK sind im Verhältnis zur Staatenimmunität keine leges speciales.462
___________ 462 Genau dies wird aber vom BVerfG behauptet; vgl. BVerfGE 96, 68 (91) = NJW 1998, 50 (54).
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§ 14 Geltung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen I. Geltung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen Völkerrechtliche Verbrechen sind, wie die Präambel des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs1 formuliert, die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren. Daher ist heute weithin anerkannt, daß jeder Staat seine nationale Strafgewalt nach dem Weltrechtsprinzip auf völkerrechtliche Verbrechen erstrecken darf, also völkerrechtliche Verbrechen unabhängig davon ahnden darf, wo und von wem sie begangen wurden.2 Hiervon ___________ BGBl. 2000 II, S. 1393 und BT-Drucks. 14/2682, S. 9. Deutsche Fassung auch in der Sammlung „Sartorius II“ unter Nr. 35. Internetquelle: (31.3.2006). 2 Siehe nur Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 96; Cassese, International Criminal Law, S. 293 f.; Eser, in: Eser u.a. (Hrsg.), FS Meyer-Goßner, S. 3 (14, in bezug auf Völkermord); ders., in: Donatsch u.a. (Hrsg.), FS Trechsel, S. 219 (228 ff.); Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 252 f.; Kreß, Vom Nutzen eines deutschen Völkerstrafgesetzbuchs, S. 26 f.; ders., NStZ 2000, 617 (624 f.); Satzger, NStZ 2002, 125 (131); ders., ICLR 2002, 261 (279 f.); ders., Internationales und Europäisches Strafrecht, § 4 Rn. 3, 13 f.; Weigend, in: Triffterer (Hrsg.), GedS Vogler, S. 197 (208); ders., in: Arnold u.a. (Hrsg.), FS Eser, S. 955 (962 ff.); Werle, ZStW 109 (1997), 808 (824); ders., JZ 1999, 1181 (1183); ders., JZ 2000, 755 (759); ders., Völkerstrafrecht, Rn. 173 ff.; Werle/Jeßberger, JZ 2002, 725 (733). Kritisch aber Hoyer, GA 2004, 321 (323, 332 ff.); Walther, in: Arnold u.a. (Hrsg.), FS Eser, S. 925 (951 f.). Umstritten – hier jedoch nicht weiter von Relevanz – ist, ob eine Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen nach dem (uneingeschränkten) Weltrechtsprinzip auch dann statthaft ist, wenn sich der (ausländische) Beschuldigte nicht im Gebiet des strafverfolgenden Staates aufhält. Vgl. Kreicker, a.a.O., S. 253 ff. m.w.N. Richtigerweise wird man aber auch in einem solchen Fall eine Strafverfolgung nach dem Weltrechtsprinzip nicht für völkerrechtlich unzulässig halten dürfen, wenngleich es in solchen Fällen regelmäßig nicht sinnvoll sein dürfte, Strafverfolgungsaktivitäten zu entfalten. So auch – neben vielen anderen – MK-StGB-Ambos, § 6 Rn. 4 ff.; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 8, § 6 Rn. 1; Eser, in: Roxin/Widmaier (Hrsg.), FS BGH IV, S. 3 (26 ff.); ders., in: Eser u.a. (Hrsg.), FS Meyer-Goßner, S. 3 (8 ff.); ders., in: Donatsch u.a. (Hrsg.), FS Trechsel, S. 219 (228 ff.); ders., in: Grafl/Medigovic (Hrsg.), FS Burgstaller, S. 355 (371 f.); Kreß, NStZ 2000, 617 (624 f.); ders., ZStW 114 (2002), 818 (833 ff.); ders., in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, vor III 26, Rn. 375; Lagodny/NillTheobald, JR 2000, 205 (205 f.); Satzger, NStZ 2002, 125 (131); ders., ICLR 2002, 261 (280); Schultz, ZaöRV 62 (2002), 703 (727 ff.); Weigend, a.a.O., S. 969 f.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 173 mit Fn. 330. Weitere Nachw. bei Kreicker, a.a.O., S. 254. A.A. – also eine Strafverfolgung nach dem Weltrechtsprinzip nur bei Aufenthalt des Beschuldigten im Gebiet des strafverfolgenden Staates für zulässig erachtend – aber beispielsweise Cassese, JICJ 1 (2003), 437 (452); Griesbaum, in: Geiß u.a. (Hrsg.), 50 Jahre BGH, S. 663 (668); Oehler, NStZ 1994, 485 (485). Von einer Zulässigkeit einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen nach dem uneingeschränkten Weltrechtsprinzip geht auch das deutsche Recht aus, denn § 153f StPO erlaubt zwar in den Fällen, in denen sich ein ausländischer Beschuldigter, dem eine Auslandstat vorgeworfen wird, nicht in Deutschland aufhält 1
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geht auch das deutsche Recht aus, das in § 1 VStGB für die vom VStGB erfaßten Verbrechen die Geltung des Weltrechtsprinzips festlegt.3 Die Präambel des Römischen Statuts betont ferner, es sei die Pflicht eines jeden Staates, seine Strafgerichtsbarkeit über die für internationale Verbrechen Verantwortlichen auszuüben. Dementsprechend ist davon auszugehen, daß die Staaten nach Völkergewohnheitsrecht zu einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen immer dann verpflichtet sind, wenn es um Taten geht, die von eigenen Staatsangehörigen oder im eigenen Staatsgebiet begangen wurden,4 oder aber sich der Beschuldigte im eigenen Staatsgebiet aufhält.5 Es zeigt sich mithin, daß die strafrechtliche Ahndung völkerrechtlicher Verbrechen, also die Verhinderung von Straflosigkeit der für Völkerstraftaten Verantwortlichen ein ganz wichtiges Anliegen des Völkerrechts geworden ist. Daher stellt sich bei sämtlichen völkerrechtlichen Exemtionen die Fragen, ob sie auch bei völkerrechtlichen Verbrechen gelten. Wie oben in § 6 II.1. gezeigt, erfährt die Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen eine seit langem völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme. An dieser Stelle gilt es nun zu klären, ob auch die diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei Völkerstraftaten ausnahmsweise nicht gelten, also das völkerrechtliche Gebot der Ahndung völkerrechtlicher Verbrechen Vorrang hat vor dem völkerrechtlichen Gebot der Gewährung diplomatischer und konsularischer Exemtionen.6 Hier geht es allerdings zunächst allein darum, ob und inwieweit der Empfangsstaat diplomatische und konsularische Exemtionen auch dann zu beachten hat, wenn es um eine Ahndung von Völkerstraftaten geht. Auf die Frage, ob Drittstaaten und supranationale Gerichte wie der IStGH aufgrund diplomatischer oder konsularischer Exemtionen an einer Ausübung ihrer Strafgerichtsbarkeit wegen völkerrechtlicher Verbrechen gehindert sein können, wird dann unten in § 15 erörtert. ___________ und voraussichtlich auch nicht nach Deutschland kommen wird, ein Absehen von der Strafverfolgung, verbietet eine solche aber nicht; vgl. Kreicker, a.a.O., S. 258 ff. 3 Vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 14; Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 250 ff. m.w.N. 4 So auch Jarasch/Kreß, in: Kreß/Lattanzi (Hrsg.), Rome Statute and Domestic Legal Orders, vol. I, S. 91 (108); Tomuschat, in: Cremer u.a. (Hrsg.), FS Steinberger, S. 315 (332, 337 ff.); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 181; Werle/Jeßberger, JZ 2002, 725 (727 Fn. 27, 733). 5 Letzteres ist umstritten. Für eine solche Verfolgungspflicht nach dem (eingeschränkten) Weltrechtsprinzip etwa Bungenberg, AVR 39 (2001), 170 (197 ff.); Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 440 ff.; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 235; Triffterer, in: Kreß/Lattanzi (Hrsg.), Rome Statute and Domestic Legal Orders, vol. I, S. 1 (6, 18 f.). A.A. aber z.B. Tomuschat, in: Cremer u.a. (Hrsg.), FS Steinberger, S. 315 (338 f., 348 f.); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 186 ff.; Werle/Jeßberger, JZ 2002, 725 (733). 6 Zum Begriff des „völkerrechtlichen Verbrechens“ und seinem Synonym „Völkerstraftat“ vgl. oben § 6 II.1.a).
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Bevor aber der Frage der Beachtlichkeit diplomatischer und konsularischer Exemtionen durch den Empfangsstaat bei Völkerstraftaten im einzelnen nachgegangen wird, ist zu erörtern, inwieweit sich diese Exemtionen überhaupt auf völkerrechtliche Verbrechen erstrecken können. Denn eine Ausnahme bei völkerrechtlichen Verbrechen kann nur insofern eine Rolle spielen, als solche Taten grundsätzlich vom Schutzbereich der diplomatischen und konsularischen Exemtionen erfaßt werden. Es wäre müßig, in einem konkreten Fall über Exemtionsausnahmen zu diskutieren, wenn die in Betracht kommende Exemtion aufgrund einer begrenzten Reichweite, etwa weil sie nur für bestimmte Tätigkeitsbereiche der geschützten Person gilt, ohnehin das dieser Person vorgeworfene völkerrechtliche Verbrechen nicht erfaßt. Die Frage, inwieweit die diplomatischen und konsularischen Exemtionen überhaupt grundsätzlich geeignet sind, eine Ahndung völkerrechtlicher Verbrechen zu verhindern, ist zudem relevant für die Überlegung, ob eine Ausnahme von diesen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen rechtspolitisch geboten ist. 1. Erfassung völkerrechtlicher Verbrechen vom Schutzbereich der diplomatischen und konsularischen Exemtionen a) Zur Erfassung vom Schutzbereich der Immunitäten ratione materiae Den meisten Kategorien von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen kommen – wie in § 13 I. gezeigt – lediglich Immunitäten ratione materiae zu. Dies gilt für Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer diplomatischen Mission (Art. 37 Abs. 3 WÜD), für Diplomaten, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind (Art. 38 Abs. 1 WÜD), für Berufskonsularbeamte und Mitglieder des Verwaltungs- oder technischen Personals einer berufskonsularischen Vertretung (Art. 43 Abs. 1 WÜK), für Wahlkonsularbeamte (Art. 58 Abs. 2 WÜK) sowie für Konsularbeamte, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind (Art. 71 Abs. 1 WÜK). Diejenigen Personen, die während ihrer Dienstzeit Immunität ratione personae genießen – Diplomaten, Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission sowie die Familienangehörigen dieser Personen – kommen nur während ihrer Amtszeit in den Genuß der umfassenden Immunität ratione personae. Nach Dienstbeendigung kommt ihnen – wie den anderen hier aufgeführten Personen – gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD ebenfalls lediglich Immunität ratione materiae zu. Die Immunitäten ratione materiae gelten – unabhängig davon, ob sie alle dienstlichen Handlungen erfassen oder nur die unmittelbaren Amtshandlungen7 – nicht für Taten, die vor Beginn der dienstlichen Tätigkeit einer Person als Mitglied einer ___________ 7
Vgl. hierzu oben § 13 I.1.f)aa); § 13 II.1. und 8.
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im Empfangsstaat errichteten diplomatischen oder konsularischen Vertretung oder nach deren Beendigung begangen worden sind.8 Dies bedeutet, daß alle völkerrechtlichen Verbrechen, die eine Person zeitlich vor Beginn ihrer Tätigkeit als Mitglied einer im Empfangsstaat errichteten Vertretung oder nach deren Beendigung verübt hat, von vornherein nicht durch Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts geschützt sein können, die oben genannten Personen, die (bzw. wenn sie) lediglich Immunität ratione materiae genießen, also vom Empfangsstaat wegen solcher völkerrechtlicher Verbrechen ohne Einschränkung durch das Völkerrecht verfolgt werden dürfen. Bedenkt man, daß Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen während ihrer Dienstzeit im Empfangsstaat in der Regel gar nicht die Möglichkeit haben, ein völkerrechtliches Verbrechen zu begehen, dürfte es sich in den meisten Fällen, in denen die Zulässigkeit einer Strafverfolgung momentaner oder ehemaliger Mitglieder im Empfangsstaat errichteter Vertretungen durch Strafverfolgungsorgane des Empfangsstaates in Frage steht, um Taten gehen, die vor oder nach der Dienstzeit als Mitglied einer Vertretung begangen wurden und die damit von vornherein nicht durch eine Exemtion ratione materiae des Diplomaten- oder Konsularrechts geschützt sein können. Dies kann an zwei fiktiven Fallbeispielen verdeutlicht werden: Einem Konsularbeamten des russischen Generalkonsulats in München wird vorgeworfen, vor seiner Dienstzeit als Konsularbeamter als Angehöriger der russischen Streitkräfte in Tschetschenien an Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein. Die Generalbundesanwaltschaft überlegt, ob sie ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Begehung von Taten nach §§ 7 ff. VStGB i.V.m. § 1 VStGB einleiten darf oder hieran durch die konsularische Immunität nach § 19 GVG i.V.m. Art. 8 des Konsularvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR9 gehindert ist. Der Konsularbeamte genießt gemäß Art. 8 Abs. 1 des Konsularvertrags lediglich Immunität für sein amtliches Handeln als Konsularbeamter. Seine dienstlichen Handlungen als Soldat werden dagegen von seiner konsularischen Immunität nicht erfaßt. Damit stehen konsularische Immunitäten einer Strafverfolgung nicht entgegen. Da die Staatenimmunität ebenfalls keine Schranke für eine Strafverfolgung bildet, steht einem Strafverfahren in der Bundesrepublik keine völkerrechtliche Exemtion entgegen.10 Einem irakischen Staatsbürger, der während der Herrschaft Saddam Husseins als in diplomatischem Rang stehendes Mitglied der irakischen Botschaft in Berlin tätig war und nach dem Sturz Husseins im Frühjahr 2003 und dem damit verbundenen Ende seiner dienstlichen Tätigkeit als Diplomat in der Bundesrepublik verblieben ist, wird vorgeworfen, vor seiner Tätigkeit als Diplomat in der irakischen Botschaft im Irak an Maßnahmen zur Vernichtung der im Nordirak ansässigen kurdischen Bevölkerung beteiligt gewesen zu sein. Da der Diplomat nach Dienstbeendigung gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD nur noch
___________ Vgl. oben § 13 II.2. Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 25.4.1958; BGBl. 1959 II, S. 233. Dieser gilt für die Nachfolgestaaten der UdSSR und damit auch für die Russische Föderation fort; vgl. BGBl. 1992 II, S. 1016. Die Exemtionsnormen dieses Vertrages haben gemäß Art. 73 Abs. 1 WÜK Vorrang vor denen des WÜK. 10 Gemäß Art. 153f StPO muß die Generalbundesanwaltschaft sogar ein Ermittlungsverfahren durchführen (es sei denn, Rußland selbst betreibt bereits eine Strafverfolgung). 8 9
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Immunität ratione materiae für seine in Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit als Mitglied der Botschaft vorgenommenen Handlungen genießt, steht seiner Strafverfolgung wegen des Vorwurfs der Strafbarkeit nach § 6 i.V.m. § 1 VStGB durch die Bundesrepublik keine völkerrechtliche Exemtion entgegen.
Zudem sind von den Immunitäten ratione materiae, auch von denen, die umfassend für sämtliche dienstliche Handlungen gelten, nicht alle während der Zeit der dienstlichen Tätigkeit als Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung begangene Taten erfaßt, die als Diensthandlungen in einem weiten Sinne aufgefaßt werden müssen, also als Handlungen für den Entsendestaat oder für ein anderes Land eingestuft werden müssen. Die Immunitäten ratione materiae gelten nicht nur für Privathandlungen nicht, sondern auch für diejenigen dienstlichen Handlungen nicht, die keinen Bezug zur Tätigkeit als Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung haben.11 Wie oben in § 13 II.5. gezeigt, erfassen die diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae vielmehr nur Handlungen, die der Erfüllung diplomatischer bzw. konsularischer Aufgaben im Sinne des Art. 3 WÜD bzw. Art. 5 WÜK dienen sollen. Ist es ohnehin schon schwer vorstellbar, daß Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen während ihrer Dienstzeit völkerrechtliche Verbrechen begehen, so sind aufgrund dieser Beschränkung kaum noch Fälle völkerrechtlicher Verbrechen denkbar, die überhaupt von einer Immunität ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts erfaßt sein können.12 Dies gilt vor allem für eine Strafverfolgung durch die Bundesrepublik als Empfangsstaat. Es ist zwar nicht völlig auszuschließen, daß ein Mitglied einer Vertretung während eines Urlaubs oder dienstlich veranlaßten Aufenthalts im Entsendestaat in einem Drittstaat ein völkerrechtliches Verbrechen begeht, doch wäre eine solche Tat keine dienstliche Tat im Rahmen der Wahrnehmung diplomatischer oder konsularischer Aufgaben und daher von vornherein nicht von einer Immunität ratione materiae des Diplomaten- oder Konsularrechts erfaßt. Völlig unmöglich ist es aber andererseits nicht, daß sich ein Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung im Rahmen der Wahrnehmung diplomatischer oder konsularischer Aufgaben eines völkerrechtlichen Verbrechens schuldig macht; es lassen sich auch solche Fälle konstruieren: Wenn sich ein Konsularbeamter auf Anordnung seines Entsendestaates an einer vom Empfangsstaat organisierten und im Rahmen eines systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung durchgeführten Vertreibung von Menschen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe beteiligt, indem er als Vertreter des Entsendestaates Daten zu der Bevölkerungsgruppe oder Soldaten des Entsendestaates zwecks Mithilfe an den Säuberungsaktionen zur Verfügung stellt, so macht er sich der Begehung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig. Wenn diese Handlungen vorgenommen werden, weil sie auch
___________ Es wurde bereits oben in § 13 II.3. deutlich gemacht, daß es verfehlt wäre anzunehmen, die Begehung völkerrechtlicher Verbrechen könne generell nicht als dienstliches Handeln bewertet werden. 12 Ähnlich wie hier auch Wirth, CLF 12 (2001), 429 (449). 11
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dem Entsendestaat dienen, etwa, weil auch dieser als Nachbarstaat die im gemeinsamen Grenzgebiet lebende unliebsame Bevölkerungsgruppe liquidieren möchte, so sind sie konsularische Handlungen, da sie dem Schutz der Interessen des Entsendestaates (Art. 5 lit. a) WÜK) dienen sollen. Diese Verhaltensweisen sind damit von der sachlichen Reichweite der Immunität ratione materiae des Konsularbeamten erfaßt. Wenn ein Diplomat im Namen und auf Anordnung seines Entsendestaates mit Unternehmen im Empfangsstaat die Lieferung von Anlagen zur Herstellung chemischer Waffen vereinbart, die – wie von vornherein geplant und wie der Diplomat wußte – in einem bewaffneten Konflikt des Entsendestaates mit einem seiner Nachbarstaaten eingesetzt werden, so macht sich der Diplomat der Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen schuldig. Eine solche Handlung ist als dienstliche diplomatische Handlung einzustufen (Art. 3 lit. a) WÜD) und damit grundsätzlich nicht nur während der Amtszeit vom sachlichen Schutzbereich der Immunität ratione personae erfaßt, sondern auch noch danach zeitlich unbegrenzt von dem der fortgeltenden Immunität ratione materiae (Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD).
Im erstgenannten Fall steht eine Immunität ratione materiae des Konsularrechts (Art. 43 Abs. 1, Art. 58 Abs. 2, Art. 71 Abs. 1 WÜK) einer Strafverfolgung des Beschuldigten dauerhaft entgegen, wenn man nicht eine Ausnahme von den konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen begründen kann. Im zweitgenannten Fall ist es die Immunität ratione materiae des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD, die dazu führt, daß auch nach Dienstbeendigung eine Strafverfolgung des Diplomaten dauerhaft ausgeschlossen ist, es sei denn, man kann eine Ausnahme von den diplomatischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen begründen. Hingewiesen sei an dieser Stelle noch darauf, daß die beschränkte persönliche Unverletzlichkeit, die Konsularbeamte nach Art. 41 Abs. 1 und 2 WÜK genießen, für eine Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen irrelevant ist, also keine Schranke darstellt, da Völkerstraftaten „schwere strafbare Handlungen“ im Sinne des Art. 41 Abs. 1 WÜK sind.13 b) Zur Erfassung vom Schutzbereich der Immunitäten ratione personae Die Immunitäten ratione personae, die Diplomaten und Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission sowie ihre Familienangehörigen nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 und Art. 37 Abs. 1 und 2 WÜD genießen, gelten – wie schon die Bezeichnung „ratione personae“ deutlich macht – nicht nur für bestimmte Taten, sondern sind auf die geschützte Person bezogen und befreien sie vollständig von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates, unabhängig davon, wann, wo oder mit welchem Ziel eine Tat begangen wurde. Damit sind auch sämtliche völkerrechtliche Verbrechen, die einer Immunität ratione personae genießenden Person vorgeworfen werden, vom Schutzbereich der Exemtion erfaßt. Es sind somit vor allem die Immunitäten ratione personae, die einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen entgegenstehen können und bei denen ___________ 13
Zum Begriff „schwere strafbare Handlung“ vgl. oben § 13 I.2.a)ee).
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
die Frage einer Exemtionsausnahme bei völkerrechtlichen Verbrechen praktische Relevanz gewinnt. Zwei fiktive Fälle können dies verdeutlichen: Ein Ruander, der als Diplomat bei der ruandischen Botschaft in Deutschland tätig ist und damit in Deutschland Immunität nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD genießt, wird beschuldigt, bei dem Genozid in Ruanda im Jahr 1994 mitgewirkt und selbst etliche Personen getötet zu haben. Einer Strafverfolgung in der Bundesrepublik nach § 220a a.F. StGB14 steht jedoch seine diplomatische Immunität entgegen, wenn sich keine Ausnahme bei völkerrechtlichen Verbrechen begründen läßt. Ein Diplomat bei der Botschaft des Staates A in Deutschland nutzt auf Aufforderung der Regierung von A seine guten Kontakte zu Firmen in den USA für den Erwerb von Anlagen, die zur Chemiewaffenherstellung benötigt werden, wohl wissend, daß diese im Rahmen eines Angriffs auf einen anderen Staat genutzt werden sollen, was schließlich auch geschieht. Die Tat ist zwar keine Diensthandlung und daher nicht von einer Immunität ratione materiae des Diplomatenrechts geschützt, so daß einer Strafverfolgung des Diplomaten nach Beendigung seiner Tätigkeit als in Deutschland akkreditierter Diplomat nach § 12 Abs. 1 i.V.m. § 2 VStGB i.V.m. § 27 Abs. 1 StGB keine völkerrechtliche Schranke entgegenstünde. Doch dürfte diese Möglichkeit rein theoretisch bleiben, da er nach Beendigung seiner dienstlichen Tätigkeit rechtzeitig (vgl. Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD) aus der BRD ausreisen wird. Eine erfolgversprechendere Strafverfolgung während seines dienstlichen Aufenthalts als in Deutschland akkreditierter Diplomat scheitert jedoch an seiner umfassenden Immunität ratione personae, wenn sich keine Ausnahme bei völkerrechtlichen Verbrechen begründen läßt.
Als Fazit der bislang angestellten Überlegungen ist festzuhalten, daß eine strafrechtliche Verfolgung von Immunität ratione personae genießenden Personen wegen völkerrechtlicher Verbrechen durch den Empfangsstaat generell ausgeschlossen ist, wenn sich keine Ausnahme von den Exemtionen begründen läßt. Einer strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen, die bloß Immunitäten ratione materiae genießen,15 wegen völkerrechtlicher Verbrechen durch den Empfangsstaat steht dagegen in der Regel von vornherein keine Exemtion des Diplomaten- oder Konsularrechts entgegenstehen. 2. Zur Frage einer Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen Rechtstheoretisch bestehen mehrere Möglichkeiten, eine Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen zu begründen. Eine solche Ausnahme läßt sich möglicherweise aus den Normen des WÜD und des WÜK bzw. aus anderen völkervertraglichen Bestimmungen ablei___________ 14 Da das VStGB, das Völkermord in § 6 unter Strafe stellt, erst am 30.6.2002 in Kraft getreten ist, muß gemäß § 2 Abs. 1 StGB auf den zur Tatzeit geltenden Straftatbestand zurückgegriffen werden. 1994 war Völkermord durch § 220a StGB geregelt, der – von kleineren redaktionellen Unterschieden abgesehen – mit § 6 VStGB übereinstimmt. 15 Dazu gehören nach Beendigung ihrer dienstlichen Tätigkeit gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD auch diejenigen Diplomaten und Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission, die während ihrer Dienstzeit umfassende Immunität ratione personae genossen.
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ten, sie kann bei einer Anerkennung und Anwendung durch die Staaten Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts geworden sein oder aber möglicherweise unter Heranziehung allgemeiner völkerrechtlicher Rechtsinstitute wie das der Verwirkung oder der Repressalie begründet werden. a) Ableitbarkeit einer Ausnahme aus den Normen des WÜD und des WÜK oder anderer völkerrechtlicher Verträge aa) Der Wortlaut der Exemtionsregelungen des WÜD und des WÜK Dem Wortlaut der einzelnen Normen des WÜD und des WÜK läßt sich an keiner Stelle ein Anhaltspunkt dafür entnehmen, daß die diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen nicht gelten sollen. Vielmehr legt eine wortlautorientierte Auslegung der Exemtionsregelungen umgekehrt nahe, daß Ausnahmen für bestimmte Arten von Straftaten nicht mit dem WÜD und dem WÜK vereinbar wären.16 Man könnte allenfalls argumentieren, wenn sich Mitglieder diplomatischer oder konsularischer Vertretungen an völkerrechtlichen Verbrechen beteiligten, sei es aus eigenem Antrieb, sei es – wie in der Regel – auf Veranlassung des Entsendestaates hin, würden sie in einer Weise agieren, die sich mit ihrer Funktion nicht mehr vereinbaren lasse und mit den vom Völkerrecht anerkannten diplomatischen bzw. konsularischen Aufgaben nichts mehr zu tun habe. Solche Taten würden in extremem Maße die Interessen der Völkerrechtsgemeinschaft verletzen, so daß sich die Täter nicht mehr auf diplomatische oder konsularische Exemtionen berufen könnten. In einem solchen Fall entfalle die Basis für die Gewährung der Vorrechte und Befreiungen, denn diese beruhten auf der Annahme, die empfangenen Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen würden den von WÜD und von WÜK anerkannten Aufgaben nachgehen und – wie die Präambeln des WÜD und des WÜK betonen – zur Entwicklung und Förderung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Staaten beitragen. Jedenfalls für völkerrechtliche Verbrechen, die während der Zeit der Beschäftigung als Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung begangen werden, könne daher keine Exemtion gewährt werden, dem widerspreche die Funktionsbezogenheit der diplomatischen oder konsularischen Exemtionen, die in der Präambel zum WÜD und zum WÜK festgelegt sei. Die Funktionalität wirke als immanente Schranke für einzelne Exemtionen.17 Dem ist jedoch der Wortlaut der einzelnen Exemtionsregelungen des WÜD und des WÜK entgegenzuhalten. Dort ist nämlich keine Ausnahme von den Exemtio___________ Vgl. in diesem Zusammenhang Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (404). 17 Vgl. zu diesen Überlegungen Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (403). 16
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
nen bei völkerrechtlichen Verbrechen normiert. Dieser klare Wortlaut kann somit nicht durch aus der Präambel abgeleitete funktional begründete Reduktionen der Gewährleistungen überwunden werden.18 Wäre bei der Schaffung des WÜD und des WÜK eine Ausnahme von der Geltung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen beabsichtigt gewesen, so hätte man eine solche vermutlich auch explizit dann aufgenommen. Es läßt sich auch nicht argumentieren, bei Schaffung des WÜD und des WÜK Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts habe es noch kein allgemein anerkanntes Völkerstrafrecht gegeben und sei eine Verankerung der Tatbestände des Völkerstrafrechts im Völkergewohnheitsrecht überwiegend verneint worden, so daß keine Notwendigkeit bestanden habe, die Nichtgeltung diplomatischer und konsularischer Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen explizit festzuschreiben. Denn zumindest Kriegsverbrechen und Völkermord wurden ganz überwiegend auch schon zuvor als nach Völkergewohnheitsrecht strafbar angesehen. Zudem war unabhängig von der Verankerung völkerrechtlicher Straftatbestände im Völkergewohnheitsrecht schon vor Schaffung des WÜD und des WÜK anerkannt, daß einzelne Staaten Völkerstraftaten auf der Basis des eigenen Strafrechts bestrafen dürfen, also nach nationalem Strafrecht für strafbar erklären und verfolgen dürfen, und hierzu zum Teil sogar völkervertraglich verpflichtet sind. So verpflichten – wie oben in § 6 I. erwähnt – die vier Genfer Konventionen von 1949 die Staaten dazu, Kriegsverbrechen zu ahnden, und die Völkermordkonvention von 1948 die Tatortstaaten dazu, die für Völkermord Verantwortlichen zu bestrafen. Auch die Problematik des Verhältnisses völkerrechtlicher Exemtionen zu den Befugnissen bzw. Pflichten der Staaten zur Ahndung völkerrechtlicher Verbrechen war bei der Ausarbeitung des WÜD und des WÜK nicht unbekannt. Vielmehr wurde hierauf sowohl in Art. 7 Statut des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg19 als auch in Art. IV Völkermordkonvention insofern eingegangen, als festgelegt wurde, daß der Status als staatlicher Funktionsträger kein Verfolgungshindernis darstellen sollte bzw. soll. Zudem ergingen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sogar vereinzelt Gerichtsentscheidungen, in denen zum Ausdruck gebracht wurde, diplomatische Immunitäten könnten einer strafrechtlichen Verfolgung ehemaliger Nazi-Funktionäre nicht entgegengehalten werden. Im Urteil des „Wilhelmstraßen-Prozesses“, dem elften der insgesamt zwölf sogenannten Nürnberger Nachfolgeverfahren vor USamerikanischen Militärgerichten, in dem es um die Verantwortlichkeit von deutschen Diplomaten des in der Wilhelmstraße in Berlin ansässigen Auswärtigen Am___________ Ebenso Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (403 f.). Internationaler Militärgerichtshof, Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, Bd. 1, Nürnberg 1947, S. 10 (12) = UNTS 82 (1951), 284 (288). 18 19
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tes für NS-Verbrechen ging,20 wies der Gerichtshof den Einwand des Angeklagten Veesenmayer, er dürfe wegen diplomatischer Immunität als ehemaliger Gesandter Deutschlands in Ungarn nicht verurteilt werden, zurück und zitierte zur Begründung zustimmend aus einem Urteil, in dem die Auffassung vertreten wurde, daß sich diplomatische Immunitäten nicht auf völkerrechtliche Verbrechen erstreckten.21 In dem Verfahren In re Best and Others vor dänischen Gerichten22 versuchte der Angeklagte Best – der die ihm vorgeworfenen Kriegsverbrechen begangen hatte, während er von der deutschen Regierung beauftragt war, im besetzten Dänemark diplomatische Beziehungen zwischen Dänemark und dem Deutschen Reich aufzubauen –, sich auf diplomatische Immunität zu berufen. Während das erstinstanzliche Gericht diesen Einwand 1949 noch damit zurückgewiesen hatte, daß aufgrund der Besetzung Dänemarks keine diplomatischen Beziehungen zu Deutschland bestanden hätten und daher auch keine Basis für diplomatische Immunität gegeben sei,23 stellte das Oberste Gericht Dänemarks in seiner Entscheidung vom 17. März 1950 darauf ab, diplomatische Immunitäten könnten bei einer Strafverfolgung wegen der vorgeworfenen Taten keine Schranke setzen.24 Ähnlich urteilte die französische Cour de Cassation im Verfahren gegen Abetz am 28. Juli 1950.25 Der deutsche Angeklagte hatte Rechtsmittel gegen seine Verurteilung wegen Kriegsverbrechen eingelegt und behauptet, er genieße, da er zur Tatzeit deutscher Botschafter beim Vichy-Regime gewesen sei, diplomatische Immunität. Das
___________ Vgl. Blasius, in: Ueberschär (Hrsg.), Nationalsozialismus vor Gericht, S. 187 ff. Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, vol. XIV, S. 308 (660 ff.). Siehe auch Heinze/Schilling, Rechtsprechung der Nürnberger Militärtribunale, S. 66. 22 ILR 17, 434 (434 ff.). 23 “Best did not enjoy diplomatic immunity in Denmark. Denmark had no government independent of Germany; such government is the prerequisite of representation by persons of diplomatic status.” Zitiert nach ILR 17, 434 (435). 24 “Statute No. 395 of July, 1946 [das einschlägige dänische Gesetz, der Verf.] must, according to its wording, as well as its purpose, be considered as including all foreigners in German service, irrespective of whether or not they enjoyed diplomatic immunity at the time when they committed the offences referred to in the statute. Hence it follows that the rules of international law governing immunity cannot be relied upon for the benefit of any to the accused.” Zitiert nach ILR 17, 434 (437). Aus der Entscheidung geht allerdings nicht hervor, ob das Gericht das dänische Gesetz ungeachtet entgegenstehender völkerrechtlicher Exemtionen für vorrangig erachtete oder annahm, auch auf völkerrechtlicher Ebene erführen die diplomatischen Immunitäten bei völkerrechtlichen Verbrechen eine Ausnahme. Der Wortlaut der Entscheidung bietet jedenfalls keine Grundlage für die Annahme, das Gericht habe entschieden, diplomatische Exemtionen erführen bei völkerrechtlichen Verbrechen generell eine Ausnahme. Vgl. zu diesem Fall auch Nahlik, RdC 1990 III, 187 (253) und Wilson, Diplomatic Privileges and Immunities, S. 85. 25 ILR 17, 279 (279). 20 21
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Gericht wies diesen Einwand ebenfalls mit der Begründung zurück, die diplomatische Immunität könne kein Strafverfolgungshindernis sein.26 Wenn daher in den Text des WÜD und des WÜK keine Ausnahmeklausel für völkerrechtliche Verbrechen aufgenommen wurde, so kann dies nur so interpretiert werden, daß die Normierung einer solchen Ausnahme nicht beabsichtigt war, vielmehr die diplomatischen und konsularischen Exemtionen unabhängig von der Art der Straftat, mithin auch bei völkerrechtlichen Verbrechen gelten sollen.27 Soweit ersichtlich, wurde weder im Rahmen der ILC, die im Vorfeld der Wiener Konferenzen, auf denen das WÜD und das WÜK ausgearbeitet wurde, sorgfältig kommentierte Entwürfe vorlegte, über Ausnahmen von den Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen diskutiert28 noch war diese Frage Gegenstand der Staatenkonferenzen.29 Vielmehr wurde offenbar ohne weiteres stets davon ausgegangen, daß die Exemtionen ohne Ausnahmen bei bestimmten Arten von Straftaten gelten sollen. Auch die Entstehungsgeschichte von WÜD und WÜK spricht daher gegen die Annahme einer Ausnahme von den Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen. ___________ “(…) the ordinance of 28 August 1944 concerning the punishment of war crimes excludes by its very object the application of a rule of municipal or of international law the effect of which would be to make a prosecution subject to preliminary authorization of the Government of the country to which the accused belongs.” Zitiert nach ILR 17, 279 (279). Auch aus dieser Entscheidung wird nicht deutlich, ob das Gericht ausschließlich anhand der nationalen Rechtsvorschriften entschieden hat oder davon ausging, die diplomatischen Exemtionen könnten auch auf völkerrechtlicher Ebene ausnahmsweise bei völkerrechtlichen Verbrechen nicht gelten. Also kann auch diese Entscheidung nicht als Beleg dafür herangezogen werden, daß diplomatische Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen generell eine Ausnahme erfahren. Vgl. zu diesem Fall auch Nahlik, RdC 1990 III, 187 (253 f.) und Wilson, Diplomatic Privileges and Immunities, S. 85 f. 27 So auch Nahlik, RdC 1990 III, 187 (254). 28 Bei der Ausarbeitung eines Entwurfs für das WÜD ging die ILC hinsichtlich der diplomatischen Immunität davon aus, das “the exemption from criminal jurisdiction is complete”. Ausnahmen bei völkerrechtlichen Verbrechen oder anderen schweren Straftaten sind in den vorbereitenden Arbeiten der ILC nirgendwo erwähnt. Vgl. den Kommentar zum Entwurf einer Diplomatenrechtskonvention im Bericht der ILC an die UNGeneralversammlung von 1957, YBILC 1957 II, 132 (139) (UN-Dokument A/3623) und den Kommentar zum Entwurf einer Diplomatenrechtskonvention im Bericht an die UNGeneralversammlung von 1958, YBILC 1958 II, 89 (98) (UN-Dokument A/3859). Auch in den vorbereitenden Arbeiten der ILC zum WÜK ist nirgendwo eine Ausnahme von den Exemtionsregelungen bei völkerrechtlichen Verbrechen erwähnt. Vgl. etwa die Kommentierung der ILC zum Entwurf einer Konsularrechtskonvention im Bericht an die UNGeneralversammlung von 1961, YBILC 1961 II, 89 (117, 127 f.) (UN-Dokument A/4843). 29 Vgl. die Berichte über die Staatenkonferenzen von Bindschedler, SchwJIR 18 (1961, 29 (38); Herndl, AVR 11 (1963/64), 417 (450 ff.); Kerley, AJIL 56 (1962), 88 (119 ff.); Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 (419 ff.). Vgl. ferner die Protokolle über die Debatten auf den Wiener Konferenzen, United Nations Conference on Diplomatic Intercourse and Immunities, Official Records, vol. I, Geneva 1962 (UN-Dokument A.CONF.20/14), S. 18 ff., 165 ff. und United Nations Conference on Consular Relations, Official Records, vol. I, New York 1963 (UN-Dokument A.CONF.25/16), S. 55 ff., 373 ff. 26
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bb) Relevanz der Verwandtschaft der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts mit der Staatenimmunität Es steht außer Frage, daß die Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen nicht gilt. Man könnte überlegen, ob sich diese Ausnahme auf die Exemtionen des Diplomaten- und Konsularrechts übertragen läßt. Dies gilt vor allem für die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts, knüpfen diese doch wie die Staatenimmunität, die ebenfalls eine Immunität ratione materiae ist, nicht an den Status der geschützten Person, sondern an bestimmte Handlungen an. Wenn daher eine Handlung, die strafrechtlich als völkerrechtliches Verbrechen zu bewerten ist, nicht von der Staatenimmunität erfaßt wird, so könnte man argumentieren, werde sie auch von den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts nicht erfaßt, diesen sei eine immanente Ausnahme bei völkerrechtlichen Verbrechen eigen. Es würden zwar die umfassenden Immunitäten ratione personae auch bei völkerrechtlichen Verbrechen gelten, nicht aber die Immunitäten ratione materiae. Damit dürften diejenigen Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen wegen völkerrechtlicher Verbrechen vom Empfangsstaat verfolgt werden, die nur Immunität ratione materiae genießen, nicht jedoch diejenigen, denen Immunität ratione personae zukommt. Doch wären diese nur so lange einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen durch den Empfangsstaat entzogen, bis ihre dienstliche Tätigkeit beendet ist. Danach könnten auch diese Personen vom Empfangsstaat strafrechtlich in Anspruch genommen werden. Diesem Gedankengang liegt die Vorstellung einer Identität der Staatenimmunität und der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts zu Grunde. Würde diese Prämisse, die – wie in § 13 V.2.a) gezeigt – in Teilen der völkerrechtlichen Literatur vertreten wird, stimmen, wenn also die diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae tatsächlich nur (deklaratorisch) völkervertraglich im WÜD und im WÜK geregelte Anwendungsfälle der Staatenimmunität wären, so müßte man in der Tat zu dem Ergebnis kommen, daß diese nicht weiter reichen können als die Staatenimmunität, also ebenfalls bei völkerrechtlichen Verbrechen nicht gelten.30 Doch konnte bereits oben in § 13 V.2.c)aa) nachgewiesen werden, daß von einer Identität der diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae mit der Staatenimmunität nicht die Rede sein kann. Zwar lassen sich beide Arten von Exemtionen insofern auf denselben Rechtsgrund zurückführen, als sie verhindern sollen, daß der Entsendestaat durch die strafrechtliche Verfolgung eines staatlichen Funktionsträgers wegen hoheitlich-dienstlicher Handlungen für einen anderen Staat ___________ So (folgerichtig) Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (864 ff.); ders., International Criminal Law, S. 23 f., 267 ff.; ders., JICJ 1 (2003), 437 (445 ff.); ders., International Law, S. 113, 119, 450 f.; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (83 f); Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (975 ff.); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 451 ff. Siehe auch Wirth, CLF 12 (2001), 429 (448 f.). 30
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diesen indirekt seiner Gerichtsbarkeit unterwirft, was mit dem Grundsatz der Gleichheit der Staaten nicht vereinbar wäre. Doch sollen die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts darüber hinaus die Funktionsfähigkeit der diplomatischen und konsularischen Beziehungen schützen und erfassen daher nicht nur hoheitlich-dienstliche Handlungen für den Entsendestaat, sondern haben – wie bereits ausführlich bei § 13 V.2.c)aa) erörtert – einen sehr viel weiteren Schutzbereich. Deshalb scheidet ein Schluß von der Staatenimmunität auf die diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae aus.31 Zutreffend formulierte das BVerfG in dem 1997 ergangenen Beschluß, in dem es über die Zulässigkeit eines Haftbefehls gegen einen ehemals in der DDR akkreditierten Botschafter Syriens wegen Unterstützung eines 1993 in West-Berlin verübten Terroranschlags zu befinden hatte:32 „Art. 7 der Charta des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg (…) und ihm folgend Art. 7 Abs. 2 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs für Jugoslawien (…) sowie Art. 6 Abs. 2 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs für Ruanda (…) bestimmen, daß die offizielle Stellung von Angeklagten, ob als Staatsoberhäupter oder verantwortliche Beamten in Ministerien, sie nicht von der Verantwortlichkeit freistelle oder strafmindernd wirke. In Anlehnung an diese Regelung werden Ausnahmen von der Immunität für Fälle von Kriegsverbrechen, völkerrechtlichen Verbrechen und Verstöße gegen völkerrechtliches ius cogens diskutiert (…). Wie bereits der Wortlaut von Art. 7 der Charta des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg deutlich macht, geht es dabei aber für das geltende Recht nur um die Staatenimmunität und die unmittelbar aus ihr fließende Immunität von staatlichen Organen, insbesondere von Regierungsmitgliedern, nicht um die diplomatische Immunität. Staatenimmunität und diplomatische Immunität stellen zwei verschiedene Institute des Völkerrechts mit jeweils eigenen Regeln dar, so daß von etwaigen Beschränkungen in einem Bereich nicht auf den anderen geschlossen werden kann (…). Einem Schluß von der Staatenimmunität auf die diplomatische Immunität ratione materiae steht das personale Element jeder diplomatischen Immunität entgegen, das nicht den Entsendestaat, sondern den Diplomaten als handelndes Organ persönlich schützt.“
Die These einer immanenten Beschränkung der diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae kann daher nicht überzeugen.
___________ 31 Vgl. Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (87 f.); ders., Consular Immunity, S. 51 f., der schon 1966 die These einer Identität der Staatenimmunität mit den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts widerlegte und zutreffend darauf hinwies, die Unterschiedlichkeit ergebe sich schon daraus, daß die Staatenimmunität – wie die Nürnberger Urteile und das Eichmann-Verfahren zeigten – sachliche Ausnahmen kenne, während solche für die Immunitäten ratione materiae des Diplomatenrechts nicht anerkannt seien. 32 BVerfGE 96, 68 (84 f.) = NJW 1998, 50 (52 f.).
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cc) Verhältnis der Exemtionen des Diplomaten- und Konsularrechts bei völkerrechtlichen Verbrechen zu völkerrechtlichen Bestrafungspflichten Wie oben in § 6 I. dargelegt, verpflichten die UN-Völkermordkonvention und die Genfer Abkommen und deren erstes Zusatzprotokoll die Signatarstaaten dazu, völkerrechtliche Verbrechen zu verfolgen. Es gibt eine Vielzahl weiterer völkerrechtlicher Verträge, die Pönalisierungs- und Bestrafungspflichten normieren, jedoch nicht ausdrücklich auf völkerrechtliche Verbrechen abstellen. Sofern eine von diesen Verträgen erfaßte Tat im Einzelfall zugleich ein völkerrechtliches Verbrechen darstellt, begründen jedoch auch diese Verträge eine Bestrafungspflicht. In diesem Zusammenhang wird regelmäßig auf die UN-Folterkonvention verwiesen.33 Zudem legt – wie zu Beginn des vorliegenden Kapitels erwähnt wurde – mittlerweile auch das Völkergewohnheitsrecht den Staaten eine Verfolgungspflicht bei völkerrechtlichen Verbrechen auf. Die Völkermordkonvention betont in Art. IV sogar ausdrücklich, daß Personen, die Völkermord begehen, zu bestrafen sind, „gleichviel ob sie regierende Personen, öffentliche Beamte oder private Einzelpersonen sind“. In der Literatur wird daher zum Teil die These vertreten, diese Bestrafungspflichten seien gegenüber den Exemtionsregelungen im WÜD und im WÜK vorrangig.34 Diese Auffassung kann aber nicht überzeugen. Wäre ein solchermaßen bewirkter Immunitätsausschluß von den Staaten beabsichtigt gewesen, so wäre sicherlich eine explizite Regelung in das WÜD und das WÜK bzw. in die Verträge, die Verfolgungspflichten normieren, aufgenommen worden. Es ist vielmehr umgekehrt davon auszugehen, daß für den Bereich des Diplomaten- und Konsularrechts die Regelungen im WÜD und im WÜK vorrangig sind, also das WÜD und das WÜK leges speciales gegenüber den Bestimmungen in anderen völkerrechtlichen Verträgen und im Völkergewohnheitsrecht sind, die Bestrafungspflichten bei völkerrechtlichen Verbrechen normieren.35 Eine solche Annahme ist nicht nur im Hinblick auf das Ziel der diplomatischen und konsularischen Exemtionen geboten,36 sondern folgt auch daraus, daß man, würde man einen Vorrang der auf völkerrechtliche Verbrechen bezogenen Bestrafungsverpflichtungen annehmen, dies konsequenterweise ebenso hinsichtlich aller anderen völkervertraglichen Bestrafungspflichten tun müßte. Bedenkt man, daß es eine kaum mehr überschaubare Zahl völkerrechtlicher Verträge gibt, die die Vertragsstaaten verpflichten, bestimmte Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen und ___________ Siehe zur UN-Folterkonvention oben § 6 I.3. Wirth, CLF 12 (2001), 429 (448). Bezüglich aller Exemtionen für einen Vorrang völkerrechtlicher Bestrafungspflichten Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 138 f. und Burchards, Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen durch Drittstaaten, S. 30. 35 So für die Genfer Abkommen auch Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 157 Fn. 495. 36 Vgl. hierzu unten § 14 I.3. 33 34
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strafrechtlich zu ahnden,37 so würde die These des Vorrangs völkerrechtlicher Bestrafungspflichten im Ergebnis zu einer weitgehenden Entwertung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen führen. Auch in der Judikatur – vor allem von der für die Interpretation des Völkerrechts letztlich maßgeblichen Rechtsprechung des IGH – wird ein Vorrang völkerrechtlicher Bestrafungspflichten vor Exemtionsbestimmungen abgelehnt. In seiner im Februar 2002 ergangenen Entscheidung zur Frage, ob Belgien befugt war, den amtierenden Außenminister der Demokratischen Republik Kongo wegen völkerrechtlicher Verbrechen strafrechtlich zu verfolgen,38 betonte der IGH:39 “It should further be noted that the rules governing the jurisdiction of national courts must be carefully distinguished from those governing jurisdictional immunities: jurisdiction does not imply absence of immunity, while absence of immunity does not imply jurisdiction. Thus, although various international conventions on the prevention and punishment of certain serious crimes impose on States obligations of prosecution or extradition, thereby requiring them to extend their criminal jurisdiction, such extension of jurisdiction in no way affects immunities under customary law (…). These remain opposable before the courts of a foreign State, even where those courts exercise such a jurisdiction under these conventions.”
Auch im dritten Urteil des britischen House of Lords im Fall Pinochet40 wurde der Charakter von WÜD und WÜK als leges speciales gegenüber völkerrechtlichen Bestrafungspflichten betont. Lord Goff of Chieveley führte in seinem Votum bezüglich einer Strafverfolgungspflicht nach Art. 5 UN-Folterkonvention aus: “(…) in the Handbook on the Torture Convention by Burgers and Denelius, it is recognised that the obligation of a state party, under Article 5 (1) of the Convention, to establish jurisdiction over offences of torture committed within its territory, is subject to an exception in the case of those benefiting from special immunities, including foreign diplomats. It is true that this statement could in theory be read as limited to immunity ratione personae; but in the absence of explanation it should be read in the ordinary way as applicable both to immunity ratione personae and its concomitant immunity ratione materiae, and in any event the total silence in this passage on the subject of waiver makes it highly improbable that there was any intention that immunity ratione materiae should be regarded as having been implicitly excluded by the Convention.”41
Als Ergebnis ist damit festzuhalten, daß völkerrechtliche Bestrafungspflichten, unabhängig davon, ob sich diese aus Völkervertrags- oder Völkergewohnheitsrecht ergeben, die Verpflichtungen zur Gewährung diplomatischer und konsularischer ___________ Ein Überblick über solche völkerrechtlichen Verträge findet sich bei LK-StGBGribbohm, vor § 3 Rn. 7 ff. 38 Vgl. oben § 5 I.1.c)bb). 39 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien, para. 59; ILM 41 (2002), 536 (551). 40 Vgl. oben § 5 I.1.c)aa). 41 Lord Goff of Chieveley in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 69 (76). 37
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Exemtionen nicht verdrängen, sondern diesen gegenüber nachrangig sind. Dies gilt sogar für die Bestrafungspflichten nach der Völkermordkonvention, obwohl diese mit Art. IV die Eigenschaft als „regierende Person“ oder „öffentlicher Beamter“ für irrelevant erklärt. Diese Klausel ist zwar so zu verstehen, daß sie – deklaratorisch – eine Berufung auf die für alle staatlichen Funktionsträger geltende, gewohnheitsrechtlich verankerte Staatenimmunität ausschließt, doch kann ihr kein Ausschluß der spezielleren diplomatischen und konsularischen Exemtionen entnommen werden. Wäre auch ein solcher Ausschluß gewollt gewesen, so wäre eine ausdrückliche Erwähnung diplomatischer und konsularischer Vertreter erforderlich gewesen. Auch gegenüber der Völkermordkonvention sind die Exemtionsregelungen des WÜD und des WÜK daher leges speciales.42 b) Zur Frage einer völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung einer Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen Oben in § 12 II.5. wurde dargelegt, daß die Bestimmungen des WÜD und des WÜK theoretisch durch nachfolgendes Völkergewohnheitsrecht modifiziert werden können, und zwar nicht nur insofern, als die Exemtionen ausgeweitet werden, sondern auch mit der Folge einer Einschränkung der von WÜD und WÜK gewährten Vorrechte und Befreiungen. Es ist daher denkbar, daß sich mittlerweile Völkergewohnheitsrecht dahingehend gebildet hat, daß die diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen nicht gelten.43 Doch läßt sich derartiges Völkergewohnheitsrecht nicht nachweisen. Es fehlt nicht nur an einer Staatenpraxis, die die Annahme einer derartigen Ausnahme stützen könnte, sondern es ist auch keine entsprechende Rechtsüberzeugung der Staaten erkennbar. In der Literatur dagegen wird die gewohnheitsrechtliche Anerkennung einer Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen damit begründet, in den Statuten supranationaler Strafgerichtshöfe sei stets ein genereller Ausschluß völkerrechtlicher Exemtionen festgelegt worden. So erklärten Art. 7 Statut des Nürnberger Militärgerichtshofs,44 Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut,45 Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut46 sowie Art. 27 Abs. 2 IStGH-
___________ A.A. aber Wirth, CLF 12 (2001), 429 (448). So etwa Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 81 ff. und Wilson, Diplomatic Privileges and Immunities, S. 85 f. (bezogen auf Kriegsverbrechen). 44 Internationaler Militärgerichtshof, Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, Bd. 1, Nürnberg 1947, S. 10 (12) = UNTS 82 (1951), 284 (288). 45 ILM 32 (1993), 1192 (1194) = BT-Drucks. 13/57, S. 14 (16, 24). 46 ILM 33 (1994), 1602 (1604) = BT-Drucks. 13/7953, 18 (20). 42 43
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Statut47 übereinstimmend eine “official position” bzw. “official capacity” einer Person und damit auch eine Funktion als diplomatischer oder konsularischer Vertreter für irrelevant. Gleiches gelte auch für Art. IV Völkermordkonvention48 und Art. II Nr. 4a KRG Nr. 1049. Diesen Bekundungen der Staaten sei die Überzeugung zu entnehmen, daß diplomatische Bedienstete im völkerstrafrechtlichen Bereich nicht privilegiert werden dürften.50 Dieser Auffassung kann aber nicht gefolgt werden. Denn wie bereits oben in § 14 I.2.a)aa) erwähnt, läßt der klare Wortlaut des WÜD und des WÜK die Annahme einer Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen nicht zu. Es wurde darauf hingewiesen, daß zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen die im Statut des Nürnberger Gerichtshofs, im KRG Nr. 10 und der Völkermordkonvention enthaltenen Immunitätsausnahmen bereits existierten und allgemein bekannt waren. Es muß deshalb angenommen werden, daß die Staaten, hätten sie eine Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen gewollt und den Empfangsstaaten erlauben wollen, in solchen Fällen auch gegenüber Personen, die nach dem WÜD bzw. WÜK Exemtionen genießen, Strafgerichtsbarkeit auszuüben, eine solche Ausnahme explizit in das WÜD und das WÜK aufgenommen hätten. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Staaten in ihrer Mehrheit ihre damalige Rechtsauffassung aufgegeben haben. Zwar ist richtig, daß die in den Statuten supranationaler Strafgerichtshöfe enthaltenen Immunitätsausschlußklauseln auch diplomatische und konsularische Exemtionen erfassen, also auch diese gegenüber den supranationalen Strafgerichtsbarkeiten nicht gelten. Doch darf man nicht den Fehler machen, von Immunitätsausnahmen für supranationale Gerichte unmittelbar auf ebensolche gegenüber nationalen Strafgerichtsbarkeiten zu schließen.51 Die Tatsache, daß eine generelle Immunitätsausnahme in den Statuten supranationaler Strafgerichtshöfe enthalten ist, die auch für diplomatische und konsularische Exemtionen gilt, beruht nämlich nicht auf der Annahme, die diplomatischen und konsularischen Exemtionen würden bei völkerrechtlichen Verbrechen generell nicht gelten bzw. auf einem Willen der Staaten, eine solche Ausnahme allgemein auch für nationale Strafverfolgungen einzuführen. Zwar haben die Signatarstaaten des Römischen Statuts mit Art. 27 IStGH-Statut sämtliche völkerrechtliche Exemtionen für den Gerichtshof für unbeachtlich erklärt ___________ ILM 37 (1998), 999 (1017) = BGBl. 2000 II, S. 1393 (1414) = BT-Drucks. 14/2682, S. 9 (29). 48 BGBl. 1954 II, S. 730 (731). 49 Kontrollratsamtsblatt Nr. 3 vom 31.1.1946, S. 50 (52). 50 Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 82 f. 51 Dies anerkennt auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 241, allerdings in einem anderen Zusammenhang. 47
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und in gewisser Weise auf diese „verzichtet“.52 Doch ist dieser Verzicht auch vor dem Hintergrund der Tatsache zu sehen, daß der IStGH hinreichend Gewähr für eine unabhängige und rechtsstaatlichen Ansprüchen genügende Strafverfolgung bietet und daher die Entscheidung zugunsten eines Exemtionsverzichts relativ leicht fällt. Hinsichtlich nationaler Gerichte kann man jedoch leider nicht ohne weiteres von einer unabhängigen und rechtsstaatlichen Strafverfolgung ausgehen, so daß nicht angenommen werden darf, daß die Staaten in gleicher Weise auch mit einer Aufgabe des durch völkerrechtliche Exemtionen vermittelten Schutzes gegenüber den nationalen Gerichten einzelner Staaten einverstanden sind.53 Die Staaten, die das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ratifiziert haben bzw. sich als UN-Mitglieder Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates unterworfen haben,54 haben damit lediglich insoweit einen „Verzicht“ auf die ihnen als Entsendestaaten zukommenden diplomatischen bzw. konsularischen Exemtionen ihrer Auslandsvertreter erklärt und erklären wollen, als es um Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit des IStGH bzw. von UN-Strafgerichtshöfen geht.55 Der IStGH darf zwar auch Gerichtsbarkeit über diplomatische und konsularische Vertreter von Entsendestaaten ausüben, die das Römische Statut nicht ratifiziert und damit kein „Einverständnis“ mit einer Irrelevanz diplomatischer und konsularischer Exemtionen erteilt haben.56 Doch auch in solchen Fällen beruht die Zulässigkeit des Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut und damit die Unbeachtlichkeit diplomatischer und konsularischer Exemtionen für den IStGH nicht auf einer gewohnheitsrechtlich anerkannten generellen Ausnahme von diesen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen.57 Vielmehr gelten die diplomatischen und konsularischen Exemtionen – wie unten in § 15 I. im einzelnen dargelegt wird – nur gegenüber dem jeweiligen Empfangsstaat. Sie können daher – wie unten in § 15 II.1.b)bb) gezeigt wird – von vornherein gegenüber supranationalen Instanzen genausowenig wie gegenüber der Strafgerichtsbarkeit von Drittstaaten einschlägig sein. Die Zulässigkeit des generellen Immunitätsausschlusses in Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut auch in bezug auf diplomatische und konsularische Vertreter von Nichtvertragsstaaten folgt also allein ___________ Vgl. hierzu schon oben § 9 II.2.b)aa). So auch Maierhöfer, EuGRZ 2003, 545 (552). 54 Siehe zum „Verzicht“ auf Exemtionen gegenüber der Gerichtsbarkeit der UN-Strafgerichtshöfe bereits oben § 9 I.2.b)aa). 55 Vgl. hierzu näher unten § 15 II.1.b)aa) und II.2.b). 56 Für die Ausübung von Gerichtsbarkeit durch den IStGH reicht es gemäß Art. 12 Abs. 2 a) IStGH-Statut aus, wenn die Tat im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates begangen wurde. 57 Verfehlt wäre es, sich mit der Feststellung zu begnügen, Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut normiere ausdrücklich einen Exemtionsausschluß auch für diplomatische und konsularische Exemtionen ohne Rücksicht darauf, ob der Entsendestaat des Beschuldigten Vertragsstaat des Römischen Statuts ist oder nicht. Denn gegenüber Nichtvertragsstaaten könnte Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut eine gemäß Art. 34 WVRK unzulässige und insofern nichtige Vertragsbestimmung zu Lasten Dritter sein. 52 53
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daraus, daß diplomatische und konsularische Exemtionen generell nur gegenüber den jeweiligen Empfangsstaaten und damit nicht gegenüber supranationalen Gerichten gelten.58 Auch die oben in § 14 I.2.a)aa) erwähnten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ergangenen Urteile des US-amerikanischen Militärgerichts im „Wilhelmstraßen-Prozeß“ sowie dänischer und französischer Gerichte, also nationaler Gerichte, in denen die Verurteilung von Nazi-Funktionären wegen völkerrechtlicher Verbrechen, die sich auf diplomatische Immunität berufen hatten, mit dem Argument gebilligt wurde, diese Immunität sei irrelevant, können die These einer völkergewohnheitsrechtlichen Ausnahme nicht stützen, und zwar schon deshalb nicht, weil diese Entscheidungen vereinzelt geblieben sind.59 Zudem wurde im „Wilhelmstraßen-Urteil“ letztlich darauf abgestellt, daß der angeklagte frühere Diplomat in Ungarn akkreditiert gewesen sei, das Verfahren aber ein US-amerikanisches sei.60 Und die dänischen und französischen Gerichte rekurrierten ausschließlich auf die einschlägigen nationalen Strafnormen und betonten, diese seien angesichts ihres eindeutigen Wortlauts ungeachtet eventueller diplomatischer Exemtionen anwendbar. Ob die Gerichte zudem davon ausgingen, daß die diplomatischen Exemtionen auch auf völkerrechtlicher Ebene bei völkerrechtlichen Verbrechen eine Ausnahme erfahren würden, läßt sich den Entscheidungen nicht entnehmen.61 Zutreffend stellt Nahlik im Anschluß an eine Erwähnung dieser Gerichtsentscheidungen fest: “It seems to this writer, however, that only the abnormal situation caused by the atrocities of the Nazi occupation could partly explain the above-presented stand. The principle remains in force that international law does not provide for exceptions from criminal immunity.”62
___________ 58 Mit dieser Argumentation läßt sich auch der Immunitätsausschluß in Art. 7 Statut des Nürnberger Militärgerichtshofs begründen. Was den Immunitätsausschluß in Art. IV der Völkermordkonvention anbelangt, so wurde schon oben in § 14 I.2.a)cc) dargelegt, daß dieser sich nicht auf diplomatische und konsularische Exemtionen bezieht, sondern insofern die (gleichrangigen) Wiener Übereinkommen Vorrang haben. Auch Art. II Nr. 4a KRG Nr. 10 stützt die Annahme einer anerkannten Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen nicht. Denn das KRG Nr. 10 sollte eine Bestrafung von Beschuldigten ermöglichen, die für Deutschland tätig gewesen waren. Da die Alliierten, die das KRG Nr. 10 erließen, als Siegermächte des Zweiten Weltkrieges die Hoheitsgewalt über Deutschland übernommen hatten, konnten sie über Deutschland zukommende völkerrechtliche Exemtionen verfügen, d.h. sie in diesem Fall für unbeachtlich erklären, ohne sich auf eine völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme von den Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen stützen zu müssen. Vgl. hierzu schon oben § 6 II.1.c)bb). 59 So aber Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 82 und Wilson, Diplomatic Privileges and Immunities, S. 85 f. (bezogen auf Kriegsverbrechen). 60 Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, vol. XIV, S. 308 (662). Siehe auch Heinze/Schilling, Rechtsprechung der Nürnberger Militärtribunale, S. 66. 61 Vgl. oben Anm. 22 ff. 62 Nahlik, RdC 1990 III, 187 (254).
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Es kann vielmehr umgekehrt aus Gerichtsurteilen, völkerrechtlichen Verträgen und nationalen Gesetzen abgeleitet werden, daß eine Rechtsüberzeugung dahingehend besteht, daß die diplomatischen und konsularischen Exemtionen auch bei völkerrechtlichen Verbrechen gelten. An dieser Stelle kann zunächst auf die oben zitierte Passage des Urteils des IGH im Verfahren Demokratische Republik Kongo gegen Belgien verwiesen werden.63 Wäre das Gericht von einer gewohnheitsrechtlichen Ausnahme ausgegangen, so wäre dies sicherlich in dem Urteil an dieser Stelle erwähnt worden. Das BVerfG stellte in dem bereits erwähnten Beschluß von 1997 fest: „Die diplomatische Immunität von strafrechtlicher Verfolgung kennt grundsätzlich keine Ausnahmen für besonders gravierende Rechtsverstöße; der Diplomat kann in solchen Fällen nur zur persona non grata erklärt werden.“64
Von Relevanz ist im vorliegenden Zusammenhang auch Art. 98 Abs. 1 IStGHStatut. Dort heißt es im Zusammenhang mit der Verpflichtung der Vertragsstaaten, mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenzuarbeiten und ihm Rechtshilfe zu leisten: „Der Gerichtshof darf kein Überstellungs- oder Rechtshilfeersuchen stellen, das vom ersuchten Staat verlangen würde, in bezug auf die Staatenimmunität oder die diplomatische Immunität einer Person oder des Eigentums eines Drittstaats entgegen seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen zu handeln, sofern der Gerichtshof nicht zuvor die Zusammenarbeit des Drittstaats im Hinblick auf den Verzicht auf Immunität erreichen kann [Hervorhebung durch den Verf.].“65
Diese Vorschrift soll sicherstellen, daß ein Staat nicht vom IStGH gezwungen wird, diesem Rechtshilfe zu leisten, also Maßnahmen zu ergreifen, die sich als Ausübung seiner Strafgerichtsbarkeit darstellen, obwohl er anderen Staaten gegenüber durch völkerrechtliche Exemtionen an einer Ausübung seiner Strafgerichtsbarkeit gehindert ist.66 Würde jedoch bei völkerrechtlichen Verbrechen eine gewohnheitsrechtliche Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Immunitäten bestehen, so wäre die Erwähnung der diplomatischen Immunität in Art. 98 Abs. 1 IStGH-Statut überflüssig. Denn da der Gerichtshof nur Gerichtsbarkeit über völkerrechtliche Verbrechen hat, müssen zwangsläufig alle Ersuchen um Zusammenarbeit völkerrechtliche Verbrechen betreffen, so daß, gäbe es diesbezüg___________ Vgl. oben Anm. 39. BVerfGE 96, 68 (82) = NJW 1998, 50 (52). 65 ILM 37 (1998), 999 (1059) = BGBl. 2000 II, S. 1393 (1470) = BT-Drucks. 14/2682, S. 9 (85). Die verbindliche englische Fassung von Art. 98 Abs. 1 IStGH-Statut lautet: “The Court may not proceed with a request for surrender or assistance which would require the requested State to act inconsistently with its obligations under international law with respect to the State or diplomatic immunity of a person or property of a third State, unless the Court can first obtain the cooperation of that third State for the waiver of the immunity.” 66 Vgl. Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (992 ff.); Prost/Schlunck, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 98 Rn. 1 ff. 63 64
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
lich eine Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen, ein Staat von vornherein nicht entgegen seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen aufgrund einer diplomatischen Immunität handeln könnte, würde er einem Ersuchen um Rechtshilfe nachkommen. Auch Art. 98 Abs. 1 IStGH-Statut ist also ein Beleg dafür, daß die Signatarstaaten des Römischen Statuts nicht von einer Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen ausgehen.67 Man könnte allenfalls überlegen, ob die Tatsache, daß in der Entscheidung des BVerfG und in Art. 98 Abs. 1 IStGH-Statut nur von „diplomatischer Immunität“, nicht aber auch von Immunitäten des Konsularrechts die Rede ist, so zu interpretieren ist, daß lediglich die Immunitäten ratione personae, nicht aber die Immunitäten ratione materiae auch bei völkerrechtlichen Verbrechen gelten. Denn zum Teil wird der Begriff „diplomatische Immunität“ auch als Synonym für Immunitäten ratione personae gebraucht.68 Doch betrifft die Entscheidung des BVerfG allein die fortgeltende Immunität eines ehemaligen Diplomaten nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD, bezieht sich also gerade auf eine Immunität ratione materiae. Der Begriff diplomatische Immunität, wie ihn das BVerfG in seiner Entscheidung verwendet, bezieht sich demnach allgemein auf die Immunitäten des Diplomatenrechts. Da es in dem zur Entscheidung anstehenden Fall lediglich um Exemtionen nach dem WÜD ging, hatte das BVerfG keinen Anlaß, die Bemerkung ausdrücklich auch auf die Immunitäten des Konsularrechts zu beziehen. Da aber zwischen den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und des Konsularrechts kein für eine Differenzierung hinsichtlich ihrer Geltung bei völkerrechtlichen Verbrechen relevanter Unterschied besteht, muß die Aussage des BVerfG bei Immunitäten des Konsularrechts in gleicher Weise gelten. Was die Formulierung in Art. 98 Abs. 1 IStGH-Statut anbelangt, so ging es den Staaten bei der Ausarbeitung des Statuts darum, allgemein sicherzustellen, daß sie nicht in die Situation geraten können, einerseits anderen Staaten gegenüber Verpflichtungen des Diplomatenrechts einhalten zu müssen, andererseits dem IStGH gegenüber einer Rechtspflicht zur Zusammenarbeit nachkommen zu müssen. Um eine solche Pflichtenkollision zu vermeiden, wurde festgelegt, daß der IStGH keine Rechtshilfeersuchen stellen darf, die den Staaten gebietet, gegen Verpflichtungen nach dem Diplomatenrecht anderen Staaten gegenüber zu verstoßen. Es ist dabei nicht nur an die Immunitäten ratione personae des Diplomatenrechts gedacht worden, sondern auch an sonstige Pflichten des Diplomatenrechts, etwa an den Fall, ___________ Auch Prost/Schlunck, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 98 Rn. 3 f. scheinen davon auszugehen, daß diplomatische Immunitäten von den Empfangsstaaten selbst dann zu beachten sind, wenn es um eine Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen geht. 68 Vgl. oben § 1 IV.2.c)cc). 67
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daß ein Staat vom IStGH gebeten wird, Beweismittel in den Räumlichkeiten einer diplomatischen Mission zu beschlagnahmen (vgl. Art. 93 Abs. 1 lit. h) IStGHStatut).69 In einem solchen Fall ginge es nicht um eine Immunität ratione personae, sondern lediglich um eine Unverletzlichkeit von Räumlichkeiten nach Art. 22 WÜD. Die Verwendung des Begriffs „diplomatische Immunität“ in Art. 98 Abs. 1 IStGH-Statut bezieht sich also zumindest auf alle Pflichten zur Gewährung von Vorrechten und Befreiungen nach dem WÜD; mithin sind auch die Immunitäten ratione materiae des WÜD von dieser Formulierung erfaßt.70 Da kein Grund ersichtlich ist, warum zwischen der Pflicht der Staaten, Vorrechte und Befreiungen nach dem WÜD zu gewähren, und der, die entsprechenden Vorrechte und Befreiungen nach dem WÜK im Rahmen konsularischer Beziehungen zu gewähren, differenziert werden sollte, muß sich Art. 98 Abs. 1 IStGH-Statut zudem auch auf die Vorrechte und Befreiungen des Konsularrechts beziehen. Der – unglückliche – Begriff „diplomatische Immunität“ in Art. 98 Abs. 1 IStGH-Statut schließt daher auch die Pflichten der Staaten nach dem Konsularrecht ein. Ähnlich wie im deutschen Sprachgebrauch der Begriff „Diplomatenrecht“ zum Teil unter Einschluß des Rechts der konsularischen Beziehungen umfassend als Bezeichnung der Rechtsnormen verwandt wird, die sich mit der Rechtsstellung von Auslandsvertretern befassen,71 so ist auch hier der Begriff „diplomatische Immunität“ in einem weiten Sinne zu verstehen, so daß Art. 98 Abs. 1 IStGH-Statut als Beleg dafür dienen kann, daß sämtliche Vorrechte und Befreiungen des Diplomaten- und Konsularrechts auch bei völkerrechtlichen Verbrechen gelten. Auch der deutsche Gesetzgeber geht davon aus, daß die diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen keine Ausnahme erfahren. In der Begründung zum VStGB heißt es, die §§ 18–20 GVG stünden dem Römischen Statut nicht im Wege, da Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut Deutschland nicht verpflichte, ausländische Täter, die unter diese Bestimmungen fielen, gegebenenfalls selbst zu verfolgen.72 Diese Feststellung kann nur so verstanden werden, daß der deutsche Gesetzgeber davon ausgeht, daß die §§ 18–20 GVG einer Strafverfolgung der nach Diplomaten- und Konsularrecht geschützten Personen wegen Taten ___________ 69 So ausdrücklich Prost/Schlunck, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 98 Rn. 1. 70 A.A. aber Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (992 Fn. 49), die aus dem Begriff „diplomatische Immunität“ ableitet, daß sich Art. 98 Abs. 1 IStGH-Statut nur auf die Immunitäten ratione personae bezieht. Aus ihrer Sicht ist diese Auffassung folgerichtig, da sie aufgrund einer – allerdings verfehlten – Gleichsetzung der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts mit der Staatenimmunität zu dem Ergebnis kommt, die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts würden bei völkerrechtlichen Verbrechen von vornherein nicht gelten. Vgl. hierzu oben § 14 I.2.a)bb). 71 Vgl. Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 356. 72 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches vom 13.3.2002; BT-Drucks. 14/8524, S. 17.
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nach dem VStGB entgegenstehen können, also die deutschen Strafverfolgungsbehörden auch dann, wenn es um Taten nach dem VStGB geht, die Immunitäten des Diplomaten- und Konsularrechts zu beachten haben. Es kann somit festgehalten werden, daß eine völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen nicht besteht. c) Zur Zulässigkeit eines Rückgriffs auf die völkerrechtlichen Rechtsinstitute der Verwirkung oder Repressalie Die oben in § 14 I.1.a) und b) angestellten Überlegungen machen deutlich, daß problematisch vor allem die Fälle sind, in denen völkerrechtliche Verbrechen während der Dienstzeit im Empfangsstaat begangen werden, da solche Taten von den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts erfaßt sein können, die zeitlich unbegrenzt gelten. Völkerrechtliche Verbrechen dagegen, die vor Beginn einer Tätigkeit als Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung begangen wurden bzw. in keinerlei Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit als Mitglied einer Vertretung stehen, sind allein von Immunitäten ratione personae umfaßt, die aber nur bis zum Ende der dienstlichen Tätigkeit gelten. Da der Empfangsstaat durch eine Erklärung einer Person zur persona non grata bzw. „nicht genehmen Person“ selbst ein Ende der dienstlichen Tätigkeit herbeiführen kann, kann er auch ein Ende der Immunitäten ratione personae und damit ein Entfallen des mit diesen verbundenen Verbots einer Strafverfolgung bewirken. Bei völkerrechtlichen Verbrechen dagegen, die von den Immunitäten ratione materiae erfaßt werden, hat der Empfangsstaat keine Möglichkeit, eine Aufhebung des Verbots der Ausübung von Strafgerichtsbarkeit zu bewirken. Gerade in solchen Fällen, in denen der Schutz der diplomatischen oder konsularischen Immunitäten ratione materiae gewissermaßen mißbraucht wird zur Begehung völkerrechtlicher Verbrechen, ist zu überlegen, ob eine Verwirkung der Exemtionen möglich ist oder ob ausnahmsweise eine Mißachtung der Exemtionen als völkerrechtliche Repressalie gerechtfertigt sein kann. Denn oben in § 6 II.2.b)cc) wurde mit dem Argument der Verwirkung die Beachtlichkeit der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen verneint und aufgezeigt, daß in der Literatur zum Teil eine Nichtbeachtung der Staatenimmunität mit dem Rechtsgedanken der Repressalie legitimiert wird, so daß man geneigt sein könnte, diese Argumentationen auf die diplomatischen und konsularischen Exemtionen zu übertragen. Man könnte wie folgt argumentieren: Ein Staat, der die Begehung völkerrechtlicher Verbrechen durch seine Funktionsträger anordne, unterstütze oder auch nur dulde, handele in extremer Weise völkerrechtswidrig. Da völkerrechtliche Verbrechen die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren und aufgrund ihrer erga omnes-Wirkung jeden Staat in eigenen Rechten verletzen, begehe ein Staat, der die
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Verübung solcher Taten anordne, unterstütze oder dulde, jedem anderen Staat gegenüber ein völkerrechtliches Delikt. Ein Staat, der in so extremer Weise Rechtsregeln der Völkergemeinschaft mißachte, könne für sich nicht mehr beanspruchen, daß die ihm zustehenden Rechte von anderen Staaten beachtet werden. Er verwirke durch sein völkerrechtswidriges Verhalten sein Recht, von anderen Staaten die Einhaltung der im zustehenden diplomatischen und konsularischen Exemtionen verlangen zu können.73 Zumindest aber – so könnte man meinen – müsse es den Staaten, die sich aufgrund der erga omnes-Wirkung der Völkerrechtsverletzung jeweils auch selbst als verletzt ansehen können, möglich sein, auf diese Rechtsverletzung zu reagieren. Als völkerrechtliche Repressalie sei die – prinzipiell rechtswidrige – Mißachtung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen ausnahmsweise gerechtfertigt. Es muß an dieser Stelle nicht diskutiert werden, wie überzeugend diese Überlegungen sind.74 Denn ein derartiger Rückgriff auf allgemeine Rechtsinstitute des Völkerrechts scheidet für den Bereich des Diplomaten- und Konsularrechts von vornherein aus. Dem steht die Klassifizierung des Diplomaten- und Konsularrechts als self-contained regime entgegen, die vom IGH in seiner Hauptsacheentscheidung zum „Teheraner Geiselfall“ entwickelt und 1997 vom BVerfG bestätigt wurde. Hierauf wurde bereits ausführlich oben in § 12 II.4. und in § 13 I.1.a)ff) eingegangen, so daß an dieser Stelle unter Verweis auf die obigen Ausführungen eine Wiedergabe der Kernpassagen der Judikate des IGH und des BVerfG ausreicht. Der IGH formulierte: “The rules of diplomatic law, in short, constitute a self-contained-regime which, on the one hand, lays down the receiving State’s obligations regarding the facilities, privileges and immunities to be accorded to diplomatic missions and, on the other, foresees their possible abuse by members of the mission and specifies the means at the disposal of the receiving State to counter any such abuse.”75
___________ 73 So Doehring, Völkerrecht, Rn. 684; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (85 ff.). Vgl. auch Doehring, in: Böckstiegel u.a. (Hrsg.), FS Seidl-Hohenveldern, S. 51 (54 ff.) und Kokott, in: Beyerlin u.a. (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 135 (140 ff.). 74 Vgl. diesbezüglich Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (404), der zu Recht darauf hinweist, daß die Staatenpraxis die Möglichkeit einer Verwirkung nie anerkannt habe und zudem zutreffend anmerkt, daß die Möglichkeit einer Verwirkung wegen der ihr innewohnenden Gefahr eines Mißbrauchs durch die Empfangsstaaten die Gelegenheit zur Manipulation eröffnen und dem Zweck der Exemtionen widerstreiten würde. 75 IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (40). Daher ist es widersprüchlich, wenn Kokott, in: Beyerlin u.a. (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 135 (142 ff.) einerseits einen Rückgriff auf das Rechtsinstitut der Repressalie wegen des Charakters des Diplomaten- und Konsularrechts als selfcontained regime für ausgeschlossen hält (a.a.O., S. 143), andererseits aber die Möglichkeit einer Verwirkung der Unverletzlichkeit von Räumlichkeiten diplomatischer Vertretungen bejaht (a.a.O., S. 144 ff.).
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Er stellte darüber hinaus fest: “(…) diplomatic law itself provides the necessary means of defence against, and sanction for, illicit activities by members of diplomatic or consular missions.”76
Das BVerfG betonte: „Die diplomatische Immunität von strafrechtlicher Verfolgung kennt grundsätzlich keine Ausnahmen für besonders gravierende Rechtsverstöße; der Diplomat kann in solchen Fällen nur zur persona non grata (Art. 9 WÜD) erklärt werden (…). Daneben besteht die Möglichkeit, auf völkerrechtlicher Ebene gegen den Entsendestaat vorzugehen. Dürfte der Empfangsstaat auch mit anderen als den vom Diplomatenrecht vorgesehenen Mitteln gegen den Diplomaten vorgehen, so würden die Grundlagen der diplomatischen Beziehungen erschüttert, die ein Zusammenleben der Staaten erst ermöglichen. (…) Die Regeln des Diplomatenrechts stellen deshalb eine in sich geschlossene Ordnung, ein sogenanntes self-contained regime dar, das die möglichen Reaktionen auf Mißbräuche der diplomatischen Vorrechte und Befreiungen abschließend umschreibt.“77
d) Fazit: Keine Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen Als Fazit ist festzuhalten, daß zwar grundsätzlich jeder Staat berechtigt ist, völkerrechtliche Verbrechen ungeachtet der Person des Täters und des Ortes der Tatbegehung seiner eigenen Strafgewalt nach dem Weltrechtsprinzip zu unterstellen und seine Strafgerichtsbarkeit über solche Taten auszuüben, daß teilweise sogar eine Pflicht zur strafrechtlichen Ahndung besteht, daß aber diese Befugnis und diese Pflicht durch die diplomatischen und konsularischen Exemtionen begrenzt werden. Die diplomatischen und konsularischen Exemtionen gelten auch bei völkerrechtlichen Verbrechen. Eine Ausnahme läßt sich de lege lata nicht begründen.78 Die Geltung der Exemtionen auch bei völkerrechtlichen Verbrechen bezieht sich nicht nur auf die Immunitäten ratione personae, sondern auch auf die Immunitäten ratione materiae und auf sonstige Befreiungen, etwa auf eine Befreiung von den Zeugenpflichten und die Gewährung von Unverletzlichkeit. Für die in der Literatur teilweise vertretene These einer alleinigen Geltung der Immunitäten ratione personae bei völkerrechtlichen Verbrechen finden sich im Völkerrecht keinerlei Anhaltspunkte. ___________ IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (38). BVerfGE 96, 68 (82 f.) = NJW 1998, 50 (52). 78 Ebenso BVerfGE 96, 68 (82 ff.) = NJW 1998, 50 (52 f.); Blischtschenko/Durdenewski, Diplomaten- und Konsularrecht, S. 395; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 278; Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1043); Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 62, 64; Nahlik, RdC 1990 III, 187 (252, 254); Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (404 f.); Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1031). Widersprüchlich Doehring, Völkerrecht, Rn. 678 einerseits, Rn. 684 andererseits. Für eine Ausnahme von den diplomatischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen dagegen Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 43; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 81 ff., 91; Salmon, Manuel de Droit Diplomatique, S. 304 f.; Wilson, Diplomatic Privileges and Immunities, S. 85 f. (bezogen auf Kriegsverbrechen). 76 77
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Personen, die Immunitäten ratione personae des Diplomatenrechts genießen, dürfen daher während ihrer Dienstzeit vom Empfangsstaat auch dann nicht strafrechtlich verfolgt werden, wenn der Tatvorwurf die Begehung eines völkerrechtlichen Verbrechens betrifft. Personen, die bloß Immunitäten ratione materiae genießen – und hierzu zählen nach Dienstbeendigung auch diejenigen, die während ihrer Dienstzeit Immunität ratione personae genossen haben –, dürfen dagegen nur dann nicht vom Empfangsstaat wegen völkerrechtlicher Verbrechen verfolgt werden, wenn diese als Diensthandlung einzustufen sind. Da dies aber in aller Regel nicht der Fall sein wird, stehen Immunitäten ratione materiae in den meisten Fällen einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen durch den Empfangsstaat nicht entgegen. Für die Bundesrepublik Deutschland (als Empfangsstaat) bedeutet dies, daß eine Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen nach den §§ 6 ff. VStGB generell untersagt ist, wenn die oder der Beschuldigte ein in Deutschland akkreditierter Diplomat im Sinne des Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD, ein Mitglied des Verwaltungsund technischen Personals einer in Deutschland errichteten diplomatischen Mission im Sinne des Art. 37 Abs. 2 WÜD oder ein Familienmitglied einer der vorgenannten Personen im Sinne der Art. 37 Abs. 1 und 2 WÜD ist. Dieses umfassende Verbot einer Strafverfolgung ist aber gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD zeitlich beschränkt, es gilt im wesentlichen nur für die Zeit der dienstlichen Tätigkeit.79 Hinsichtlich der übrigen Mitglieder in Deutschland errichteter diplomatischer oder konsularischer Vertretungen und hinsichtlich früherer Mitglieder, die bloß Immunität ratione materiae genießen, ist zu differenzieren. Sofern die Handlung, auf die sich der Vorwurf der Begehung einer Tat nach §§ 6 ff. VStGB bezieht, eine diplomatische oder konsularische Dienst- oder Amtshandlung ist, scheidet eine Strafverfolgung durch deutsche Strafverfolgungsorgane aufgrund ihrer Immunität dauerhaft aus. In aller Regel aber wird die Begehung eines völkerrechtlichen Verbrechens nicht als Dienst- oder Amtshandlung zur Erfüllung diplomatischer oder konsularischer Aufgaben im Sinne des Art. 3 WÜD bzw. Art. 5 WÜK bewertet werden können. Dann steht einer Strafverfolgung einer lediglich Immunität ratione materiae genießenden Person kein völkerrechtliches Verbot entgegen. 3. Zur Gebotenheit einer Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen Wenn man angesichts dieses Fazits über die Gebotenheit einer Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen de lege ferenda nachdenkt, so muß man sich zunächst in Erinnerung rufen, daß die Gewährung von diplomatischen und konsularischen Exemtionen auch bei ___________ 79 Zur Frage des genauen Beginns und Endes diplomatischer Exemtionen ratione personae vgl. oben § 13 III.
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solch schweren Straftaten noch keine Straflosigkeit bedeutet, die Zahl der durch diplomatische und konsularische Exemtionen geschützten Personen klein ist und diese zudem nicht zum typischen Täterkreis völkerrechtlicher Verbrechen gezählt werden können. Die diplomatischen und konsularischen Exemtionen verpflichten lediglich den jeweiligen Empfangsstaat. Im Vorgriff und unter Verweis auf die Erläuterungen unten in § 15 ist darauf hinzuweisen, daß Drittstaaten und supranationale Strafgerichtshöfe daher durch die diplomatischen und konsularischen Exemtionen von vornherein nicht an einer Strafverfolgung von Personen wegen völkerrechtlicher Verbrechen gehindert sind. Bedenkt man, daß jeder (Dritt-)Staat berechtigt ist, völkerrechtliche Verbrechen ohne Rücksicht auf die Person des Täters und den Ort der Tat nach dem Weltrechtsprinzip strafrechtlich zu sanktionieren, so muß man feststellen, daß diplomatische und konsularische Exemtionen nicht zwangsläufig zu einer Straflosigkeit führen. Wenn der Empfangsstaat an einer Strafverfolgung aufgrund diplomatischer oder konsularischer Exemtion gehindert ist, so können immer noch der Entsendestaat, alle Drittstaaten und supranationale Gerichtshöfe eine Strafverfolgung betreiben. Zudem kann sich der Empfangsstaat in den meisten Fällen dagegen wehren, diplomatische oder konsularische Exemtionen gewähren und damit auf eine Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen verzichten zu müssen. In der Rechtspraxis dürften die meisten völkerrechtlichen Verbrechen, die Mitgliedern diplomatischer bzw. konsularischer Vertretungen vorgeworfen werden, vor Beginn der dienstlichen Tätigkeit begangen worden sein (womit sie ohnehin nur von Immunitäten ratione personae erfaßt sein können). Sollte jemand, der im Verdacht steht, ein völkerrechtliches Verbrechen begangen zu haben, vom Entsendestaat zum Mitglied seiner diplomatischen Mission ernannt werden bzw. Familienangehöriger einer solchen Person sein, so kann der Empfangsstaat sich der Pflicht, Immunität ratione personae zu gewähren und damit von einer Strafverfolgung Abstand zu nehmen, dadurch entledigen, daß er das betreffende Mitglied der diplomatischen Mission zur persona non grata bzw. „nicht genehmen Person“ erklärt. Erfolgt eine solche Erklärung bereits vor Einreise der betreffenden Person, so entstehen von vornherein keine diplomatischen Exemtionen, so daß die Person vom Empfangsstaat strafrechtlich verfolgt werden könnte, sollte sie dennoch einreisen. Erfolgt eine solche Erklärung später, etwa, weil erst zu einem späteren Zeitpunkt bekannt wird, daß die Person für ein völkerrechtliches Verbrechen verantwortlich ist oder sein könnte, so erlischt die Immunität ratione personae mit der durch die Erklärung bewirkten Beendigung der dienstlichen Tätigkeit und wird damit, sofern die betreffende Person nicht rechtzeitig aus dem Empfangsstaat ausreist, eine Strafverfolgung möglich. Aber auch dann, wenn ein Mitglied einer diplomatischen Vertretung, die Immunität ratione personae genießt, während der Zeit als Auslandsvertreter, aber ohne Bezug zum diplomatischen Aufgabenfeld ein völkerrechtliches Verbrechen begeht, kann der Empfangsstaat die auch solche Taten umfas-
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sende Immunität ratione personae durch eine Erklärung zur persona non grata bzw. „nicht genehmen Person“ beenden und damit das Verbot einer Strafverfolgung zum Erlöschen bringen. Lediglich in den (wohl eher theoretischen) Fällen, in denen die Begehung eines völkerrechtlichen Verbrechens als Handlung in Wahrnehmung diplomatischer oder konsularischer Aufgaben bewertet werden muß und daher von einer Immunität ratione materiae des Diplomaten- bzw. Konsularrechts erfaßt wird, ist der Empfangsstaat dauerhaft an einer Strafverfolgung gehindert. Es besteht damit keine praktische Notwendigkeit für eine Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen. In der Literatur wird dennoch zum Teil für eine entsprechende Modifizierung des WÜD und des WÜK plädiert.80 Eine Ergänzung der Exemtionsregelungen des WÜD und des WÜK – die, wie in § 12 II.5. gezeigt wurde, theoretisch möglich ist, und zwar nicht nur durch eine Änderung der Wiener Übereinkommen, sondern auch durch vertragliche Vereinbarungen zwischen zwei oder mehr Staaten außerhalb der Konventionen – wäre jedoch rechtspolitisch verfehlt. Es gilt abzuwägen zwischen einerseits dem (berechtigten) Interesse, gerade schwerste Straftaten wie völkerrechtliche Verbrechen nicht straflos zu lassen, und andererseits dem Interesse der einzelnen Staaten an der Wahrung ihrer Souveränität und dem Interesse der Staaten, aber auch der gesamten internationalen Gemeinschaft, an einer Sicherung der Funktionsfähigkeit der internationalen Beziehungen. Die Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg geht zu Recht in die Richtung, dem internationalen Menschenrechtsschutz einen hohen Stellenwert einzuräumen und die Souveränitätsansprüche einzelner Staaten hinter der internationalen Aufgabe des Menschenrechtsschutzes zurücktreten zu lassen. Es ist daher überaus richtig, von der für alle staatlichen Funktionsträger geltenden Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen und (sonstigen) schweren Menschenrechtsverletzungen eine Ausnahme zu machen, so wie dies nach heutigem Völkergewohnheitsrecht auch der Fall ist. Das staatliche Souveränitätsinteresse muß hier zurücktreten. Bei den diplomatischen und konsularischen Vorrechten und Befreiungen geht es aber nur nachrangig um die Wahrung fremdstaatlicher Souveränität. In erster Linie soll die Funktionsfähigkeit der diplomatischen und konsularischen Beziehungen gesichert werden. Für ein friedliches Zusammenleben der Staaten und einen möglichst freien Austausch von Informationen, von Wirtschafts- und von Kulturleistungen sind die zwischenstaatlichen Kontakte, deren Rückgrat die ständigen diplomatischen und konsularischen Vertretungen bilden, unabdingbar. Ein solcher Austausch und eine solche Kontaktpflege dienen letztlich auch dem Menschen___________ 80 Ausdrücklich für eine Einfügung einer Ausnahmeklausel für schwere Menschenrechtsverletzungen Vicuna, ICLQ 40 (1991), 34 (48).
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rechtsschutz. Gerade in Zeiten, die von politischen Spannungen zwischen Staaten oder Staatengruppen geprägt sind, bilden die diplomatischen und konsularischen Beziehungen die Basis für einen dennoch bestehenden Kontakt. Vielfach werden in Krisenzeiten der private und durch unternehmerisches Engagement bedingte Reiseverkehr und Austausch stark eingeschränkt oder sogar aufgegeben, Dienstreisen von Regierungsmitgliedern werden zur Ausnahme. Regelmäßig bleiben die diplomatischen und konsularischen Beziehungen aber bestehen. Diese sind daher von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Gerade die weitreichenden Exemtionen schützen die Funktionsfähigkeit der Beziehungen, denn sie sind unabdingbare Voraussetzung dafür, auch in Staaten, deren Strafjustiz rechtsstaatlichen Ansprüchen nicht genügt, in denen despotische Diktatoren herrschen bzw. die geprägt sind von einem anderen Gesellschaftssystem und einem anderen Menschenbild, ständige diplomatische und konsularische Vertretungen errichten zu können. Zwar läßt sich argumentieren, daß Mitgliedern diplomatischer oder konsularischer Vertretungen, die völkerrechtliche Verbrechen begangen haben, eine sinnvolle Dienstausübung nicht möglich ist und damit ein Schutz der betreffenden Person der Sicherung der Funktionsfähigkeit der internationalen Beziehungen nicht dienen kann. Doch gilt dies nur für den Fall der eindeutig feststehenden Tat. In der Praxis besteht jedoch die Gefahr, daß ein Staat mißliebigen Mitgliedern diplomatischer bzw. konsularischer Vertretungen die Begehung völkerrechtlicher Verbrechen ohne ausreichende Anhaltspunkte vorwirft bzw. bei einer Strafverfolgung kein rechtsstaatlichen Maßstäben entsprechendes Strafverfahren gewährleistet. Es besteht die Gefahr, daß Staaten sich zurückhalten, ständige Auslandsvertretungen zu errichten, wenn sie befürchten müssen, die Auslandsvertreter könnten zum Spielball politischer Interessen werden und unter dem Vorwurf der Begehung völkerrechtlicher Verbrechen an ihrer diplomatischen bzw. konsularischen Tätigkeit gehindert werden.81 Diese Erwägungen lassen es sinnvoll erscheinen, eine Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen nicht einzuführen.82 ___________ Vgl. auch die bereits oben in § 13 I.1.a)ff) zitierten Feststellungen des IGH im „Teheraner Geiselfall“, die gleichfalls die Notwendigkeit umfassender diplomatischer und konsularischer Exemtionen betonen: “There is no more fundamental prerequisite for the conduct of relations between States than the inviolability of diplomatic envoys and embassies, so that throughout history nations of all creeds and cultures have observed reciprocal obligations for that purpose. (…) the institution of diplomacy, with its concomitant privileges and immunities, has withstood the test of centuries and proved to be an instrument essential for effective co-operation in the international community, and for enabling States, irrespective of their differing constitutional and social systems, to achieve mutual understanding and to resolve their differences by peaceful means.” (IGH, ICJ-Reports 1979, 7 [19]). Ebenso BVerfGE 96, 68 (82 f.) = NJW 1998, 50 (52). 82 Ebenso Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1031 f.). 81
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II. Geltung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen Die Staatenimmunität erfährt – wie oben in § 6 II.2. dargelegt – nicht nur bei völkerrechtlichen Verbrechen, sondern auch bei (sonstigen) schweren Menschenrechtsverletzungen, und zwar bei solchen, die gegen völkerrechtliches ius cogens verstoßen, eine Ausnahme. Doch ebensowenig wie sich die Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen auf die diplomatischen und konsularischen Exemtionen übertragen läßt, gilt dies für die Ausnahme bei (sonstigen) schweren Menschenrechtsverletzungen.83 Wenn die diplomatischen und konsularischen Exemtionen schon bei völkerrechtlichen Verbrechen, also den nach allgemeiner Bewertung schwerwiegendsten Taten, keine Ausnahme erfahren, so muß diese für (sonstige) schwere Menschenrechtsverletzungen erst recht gelten.84 Die Argumente, die oben in § 14 I. gegen eine Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen angeführt wurden, gelten in gleicher Weise in bezug auf eine Ausnahme bei schweren Menschenrechtsverletzungen: Eine solche Ausnahme läßt sich weder aus dem WÜD noch aus dem WÜK ableiten. Da deren Exemtionsregelungen leges speciales gegenüber völkerrechtlichen Normen sind, die zu einer Ahndung schwerer Menschenrechtsverletzungen berechtigen oder sogar verpflichten – man denke etwa an Art. 5 UN-Folterkonvention –, läßt sich eine Immunitätsausnahme auch nicht aus sonstigen völkerrechtlichen Verträgen deduzieren. Der Versuch, eine Ausnahme als Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts nachzuweisen, scheitert ebenso wie ein Rückgriff auf allgemeine völkerrechtliche Rechtsinstitute wie das der Verwirkung von Rechtspositionen. Einer Anwendung solcher Rechtsinstitute steht der Charakter des Diplomaten- und Konsularrechts als self-contained regime entgegen. Die Staatenpraxis bestätigt dieses Ergebnis: Im März 2000 ließen die USA einen peruanischen Staatsbürger, Tomás Ricardo Anderson Kohatsu, ausreisen, obwohl ihm vorgeworfen wurde, 1997 in Peru Folterungen begangen zu haben, für die er nach der UN-Folterkonvention von den USA eigentlich zu bestrafen gewesen wäre.
___________ A.A. Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 80 f.; 90 f. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es um eine diplomatische bzw. konsularische Immunität ratione materiae oder um eine Immunität ratione personae geht. Beide Arten von Exemtionen erfahren bei schweren Menschenrechtsverletzungen keine Ausnahme. Lediglich dann, wenn man annähme, die Immunitäten ratione materiae des Diplomatenund Konsularrechts seien identisch mit der Staatenimmunität, könnte man zu dem Ergebnis kommen, daß die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts ebenso wie die Staatenimmunität bei schweren, gegen völkerrechtliches ius cogens verstoßenden Menschenrechtsverletzungen nicht gelten. Doch besteht eine solche Identität, wie gezeigt wurde, nicht. Vgl. hierzu bereits oben § 13 V.2.c) und § 14 I.2.a)bb). 83 84
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Doch wurde betont, Kohatsu genieße diplomatische Immunität und dürfe daher nicht strafrechtlich verfolgt werden.85 Auf eine Überlegung, die bereits im Kontext der Analyse von Ausnahmen von der Staatenimmunität bei schweren Menschenrechtsverletzungen angestellt wurde,86 ist aber auch an dieser Stelle noch einzugehen: Die Pflicht zur Achtung grundlegender Menschenrechte, vor allem des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit, ist Bestandteil des völkerrechtlichen ius cogens. Völkervertragliche Bestimmungen, die mit ius cogens unvereinbar sind, sind nichtig, gleiches gilt für den Bereich des Völkergewohnheitsrechts. Ius cogens-Normen des Völkerrechts haben also gegenüber sonstigen (dispositiven) Völkerrechtsnormen einen (faktisch) höheren Rang.87 Hiervon ausgehend wird in der Literatur die Auffassung vertreten, der ius cogens-Charakter grundlegender Menschenrechte führe dazu, daß die diplomatischen und konsularischen Exemtionen, die nicht Bestandteil des völkerrechtlichen ius cogens sind, als „nachrangige“ Normen einer Strafverfolgung wegen Taten, die gegen ius cogens verstoßen, keine Schranke setzen können.88 Diese als “normative hierarchy theory” bezeichnete Argumentation wurde bereits für die Staatenimmunität als verfehlt zurückgewiesen.89 Da die dortigen Ausführungen in gleicher Weise auch für die diplomatischen und konsularischen Exemtionen gelten, kann auf diese hier verwiesen werden und sollen hier folgende Feststellungen genügen: Aus dem ius cogens-Charakter grundlegender Menschenrechte folgt zunächst nur die Pflicht der einzelnen Staaten, diese Menschenrechte unter allen Umständen zu achten. Eine Überwindung diplomatischer und konsularischer Exemtionen aufgrund des ius cogens-Charakters grundlegender Menschen___________ Vgl. AJIL 94 (2000), 535 (535 f.); Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (983 f. mit Fn. 31). Siehe aber auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 80 f., die auf zwei Entscheidungen des chilenischen Supreme Court von 1988 verweist, mit denen Klagen wegen angeblicher Begehung von Menschenrechtsverletzungen als zulässig angesehen wurden, obwohl die Beklagten Immunität nach dem WÜD bzw. WÜK genossen (die Entscheidungen sind wiedergegeben in ILR 89, 45 und ILR 89, 60). Doch entschied das Gericht in den Urteilen, die gegen einen deutschen Diplomaten und einen deutschen Konsul ergingen, die im Rahmen ihrer diplomatischen bzw. konsularischen Tätigkeit Menschenrechtsverletzungen in der von deutschstämmigen Chilenen geführten „Colonia Dignidad“ untersucht hatten, nicht, wie Lüke, a.a.O., meint, völkerrechtswidrige Menschenrechtsverletzungen seien vom Schutzbereich der Exemtionen ratione materiae ausgenommen. Vielmehr hat das Gericht formal argumentiert und behauptet, die chilenische Verfassung lasse Klagen der erhobenen Art zu. Da die in chilenisches Recht transformierten völkerrechtlichen Exemtionsregelungen innerstaatlich nur den Rang einfachen Gesetzesrechts hätten, könnten sie die verfassungsrechtlich garantierte Klagemöglichkeit nicht beschränken. Vgl. zu diesen Entscheidungen auch Vicuna, ICLQ 40 (1991), 34 (36 ff.), der die Argumentation des Gerichts zutreffend analysiert. 86 Siehe oben § 6 II.2.b). 87 Siehe näher hierzu oben § 4 II.5.b)aa). 88 So Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (84). 89 Siehe oben § 4 II.5.b)cc) und § 6 II.2.b)bb). 85
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rechte setzte dagegen erstens voraus, daß die einzelnen Staaten auch eine Pflicht haben, solche Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zu ahnden – und zwar auch dann, wenn der Beschuldigte Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung ist –, und diese Pflicht zweitens ihrerseits Bestandteil des ius cogens ist. Es gibt aber keine Bestrafungspflichten bei schweren Menschenrechtsverletzungen, die ius cogens-Charakter haben und für alle Arten von Beschuldigten, also auch für Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen, gelten.90 Es wurde vielmehr bereits dargelegt, daß die anerkannten (völkervertraglichen) Bestrafungspflichten ihrerseits gegenüber den diplomatischen und konsularischen Exemtionen nachrangig sind. Damit kann aus der Tatsache, daß grundlegende Menschenrechte zum ius cogens gehören, eine Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen nicht abgeleitet werden.91 Eine Ausnahme von den diplomatischen und konsularischen Exemtionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen wäre rechtspolitisch ebensowenig zu legitimieren wie bei völkerrechtlichen Verbrechen.92 In sogar noch stärkerem Maße als bei völkerrechtlichen Verbrechen bestünde bei einer solchen Ausnahme die Gefahr, daß ein Empfangsstaat eine mißbräuchliche Strafverfolgung wegen angeblich begangener Taten durchführte oder mit einer solchen droht, um mißliebige Auslandsvertreter anderer Staaten an ihrer Arbeit im Empfangsstaat zu hindern oder diese durch Drohung oder Einschüchterung zu beeinflussen.93 Dabei ist auch für den vorliegenden Zusammenhang zu berücksichtigen, daß die diplomatischen und konsularischen Exemtionen allein den jeweiligen Empfangsstaat verpflichten, also einer Strafverfolgung durch den Entsendestaat, durch Drittstaaten und durch internationale Strafgerichtshöfe nicht entgegenstehen. Die Gewährung von Immunitäten bedeutet daher nicht zwangsläufig auch Straflosigkeit – immunity is not impunity.
___________ Vgl. auch die allgemein in bezug auf Immunitäten ratione personae angestellten ähnlichen Überlegungen von Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (986). 91 Diese Überlegungen gelten natürlich in gleicher Weise auch für die Frage einer Geltung diplomatischer und konsularischer Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen. 92 Für eine Aufnahme einer entsprechenden Ausnahmeklausel in das WÜD und WÜK aber Vicuna, ICLQ 40 (1991), 34 (48 mit Fn. 76). 93 Daß eine mißbräuchliche Verfolgung von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen keine abwegige Befürchtung ist, zeigen die oben in Anm. 85 erwähnten und von Vicuna, ICLQ 40 (1991), 34 (37 ff.) analysierten Entscheidungen des chilenischen Supreme Court. 90
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
§ 15 Geltung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen gegenüber Drittstaaten und internationalen Strafgerichtshöfen I. Geltung der Exemtionen gegenüber Drittstaaten 1. Die grundsätzliche Geltungsbeschränkung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen auf den jeweiligen Empfangsstaat Die Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen verrichten ihre dienstlichen Tätigkeiten, die ihnen gemäß Art. 3 WÜD bzw. Art. 5 WÜK obliegen, im jeweiligen Empfangsstaat. Eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Vertretungen, die zu verhindern das primäre Ziel der diplomatischen und konsularischen Exemtionen ist, droht mithin vor allem durch Aktivitäten des Empfangsstaates. Es ist daher erforderlich, den Mitgliedern dieser Vertretungen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gegenüber dem Empfangsstaat einzuräumen. Eine ebensolche Befreiung von der Strafgerichtsbarkeit von Drittstaaten – also anderen Staaten als dem Entsende- und dem Empfangsstaat – ist dagegen nicht geboten. In Drittstaaten sind die Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen grundsätzlich nicht schutzwürdig, da sie dort keine Dienstgeschäfte zu verrichten haben. Wenn sich beispielsweise ein Diplomat im Rahmen einer Urlaubsreise in einem Drittstaat aufhält, so ist kein Grund ersichtlich, ihm eine Befreiung gegenüber der Strafgerichtsbarkeit dieses Staates allein aufgrund seines Status als in einem anderen Staat akkreditierter Diplomat zu gewähren. Es könnte Drittstaaten auch nicht zugemutet werden, den in anderen Staaten tätigen Mitgliedern diplomatischer oder konsularischer Vertretungen in gleicher Weise wie der Empfangsstaat Exemtionen zuerkennen zu müssen. Denn ein Drittstaat ist an den bilateralen diplomatischen oder konsularischen Beziehungen nicht beteiligt. Er hat der Aufnahme der Beziehungen, in deren Rahmen die Ernennung bestimmter Personen zu Mitgliedern diplomatischer oder konsularischer Vertretungen erfolgt ist, nicht zugestimmt.1 Er hat keine Möglichkeit, eine Beendigung der dienstlichen Tätigkeit einer Person durch eine Erklärung zur persona non grata oder ___________ 1 Vgl. BVerfGE 96, 68 (87) = NJW 1998, 50 (53). Soweit das BVerfG im Zusammenhang mit der Feststellung, daß von einem Drittstaat nicht verlangt werden könne, die diplomatischen und konsularischen Immunitäten zu achten, die Mitgliedern diplomatischer bzw. konsularischer Vertretungen im Empfangsstaat zustehen, anführt, der Drittstaat habe der Ernennung bestimmter einzelner Personen (anders als der Empfangsstaat) nicht zugestimmt (BVerfGE 96, 68 [88] = NJW 1998, 50 [54]), greift dieses Argument freilich zu kurz. Denn eine ausdrückliche Zustimmung ist nur bezüglich der Person des Missionschefs nach Art. 4 WÜD oder des Leiters einer konsularischen Vertretung nach Art. 12 WÜK sowie bestimmter Diplomaten nach Art. 7 Satz 2 WÜD erforderlich. Ansonsten darf der Entsendestaat die Mitglieder seiner Vertretungen gemäß Art. 7 Satz 1 WÜD und Art. 19 Abs. 1 WÜK auch ohne (vorherige) Zustimmung des Empfangsstaates ernennen. Vgl. diesbezüglich oben § 12 III.2.b)aa) und § 12 III.4.b)aa).
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„nicht genehmen Person“ nach Art. 9 WÜD bzw. Art. 23 WÜK zu erzwingen, da diese Normen ausdrücklich nur den Empfangsstaat berechtigen, und kann auch nicht durch den Abbruch der diplomatischen oder konsularischen Beziehungen auf Rechtsverstöße reagieren.2 Zutreffend betont das BVerfG, diese Reaktionsmöglichkeiten seien unverzichtbarer Bestandteil des self-contained regime, innerhalb dessen die diplomatische – und gleiches gilt für die konsularische – Immunität erst gewährt werde. Das Diplomaten- und Konsularrecht sei mit seinen integrierten Schutz- und Reaktionsmöglichkeiten grundsätzlich nur auf die Stellung von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen im jeweiligen Empfangsstaat, nicht aber auf das Verhältnis dieser Personen zu Drittstaaten zugeschnitten.3 Aus einzelnen Normen des WÜD und des WÜK geht eindeutig hervor, daß die diplomatischen und konsularischen Exemtionen grundsätzlich nur im Empfangsstaat gelten. So spricht Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD von einer „Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates“.4 Art. 43 Abs. 1 WÜK beschränkt sich ebenfalls darauf, eine Befreiung von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates anzuordnen. Die Regelungen der Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK, die in eng begrenztem Umfang auch Drittstaaten verpflichten, Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit einzuräumen, ergäben keinen Sinn, wenn die im Empfangsstaat geltenden diplomatischen und konsularischen Exemtionen ohnehin auch in Drittstaaten gälten, also eine erga omnes-Wirkung hätten.5 Die Exemtionen des Diplomaten- und Konsularrechts gelten daher – soweit nicht im WÜD oder im WÜK explizit Gegenteiliges normiert ist, nur im jeweiligen Empfangsstaat.6 ___________ 2 Vgl. BVerfGE 96, 68 (88) = NJW 1998, 50 (54). Fehlgehend Doehring, Völkerrecht, Rn. 680. 3 Vgl. BVerfGE 96, 68 (88) = NJW 1998, 50 (54). 4 Es wäre verfehlt, aus Art. 31 Abs. 4 WÜD, wo es heißt, die Immunität des Diplomaten von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates befreie ihn nicht von der Gerichtsbarkeit des Entsendestaates, im Umkehrschluß zu folgern, damit sei er auch von der Gerichtsbarkeit von Drittstaaten befreit (so aber Faßbender, NStZ 1998, 144 [145]). Denn Art. 31 Abs. 4 WÜD will lediglich deutlich machen, daß die Immunität von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates keine Straflosigkeit zur Folge zu haben braucht, sondern der Entsendestaat berechtigt ist, seinerseits Diplomaten für Straftaten, die der Empfangsstaat nicht ahnden darf, zu bestrafen. Dem Empfangsstaat wird mit Art. 31 Abs. 4 WÜD gestattet, seine eigene materielle Strafgewalt auf Auslandstaten zu erstrecken, die einer seiner Diplomaten begangen hat, auch wenn ein sonstiger Anknüpfungspunkt für eine extraterritoriale Erstreckung eigener Strafgewalt nicht besteht. Die Frage einer Strafverfolgungskompetenz von Drittstaaten wird von Art. 31 Abs. 4 WÜD weder positiv noch negativ beantwortet. 5 So auch BVerfGE 96, 68 (88) = NJW 1998, 50 (53 f.). 6 So für das Diplomatenrecht auch BVerfGE 96, 68 (87 ff.) = NJW 1998, 50 (53 f.) m.w.N.; BGH NStZ 2004, 402 (402); Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 107; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 25 Rn. 39; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 39; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 34 f., 42, 44; Hailbronner, in: Graf Vitzthum
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
2. Die begrenzte Notwendigkeit eines Schutzes der Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen in Drittstaaten Der Empfangs- und der Entsendestaat sind in der Regel keine unmittelbaren Nachbarstaaten oder lediglich durch gebietshoheitsfreie Teile der Erdoberfläche wie die Hohe See voneinander getrennt. Um in den Empfangsstaat zu gelangen bzw. von diesem wieder in den Entsendestaat zurückzukehren, ist daher in den meisten Fällen die Durchreise durch andere Staaten erforderlich. Die diplomatischen und konsularischen Aufgaben im Empfangsstaat können also nur wahrgenommen werden, sofern die Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen durch das Hoheitsgebiet anderer Staaten reisen. Während einer solchen durch die dienstliche Tätigkeit veranlaßten Durchreise durch einen Drittstaat sind die Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen daher im Interesse der Funktionsfähigkeit der diplomatischen bzw. konsularischen Beziehungen ausnahmsweise doch schutzwürdig. 3. Die Unverletzlichkeit von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen während einer Durchreise durch Drittstaaten Der Grundsatz, daß die Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit des Diplomaten- und Konsularrechts nur in den jeweiligen Empfangsstaaten gelten, erfährt daher durch Spezialregelungen des WÜD und des WÜK für den Fall einer dienstlich veranlaßten Durchreise durch Drittstaaten eine Ausnahme. a) Der Grund für die Beachtlichkeit von Exemtionen für Drittstaaten Zunächst ist die Frage zu klären, warum Drittstaaten überhaupt völkerrechtlich verpflichtet sein können, durch Gewährung von Befreiungen von der eigenen Strafgerichtsbarkeit für Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen, die von einem anderen Staat entsandt und in einem anderen Staat tätig sind, die diplomatischen Beziehungen zwischen diesen beiden anderen Staaten zu unterstützen. Auf den ersten Blick könnte man meinen, wenn ein Drittstaat dadurch, daß zwei andere Staaten miteinander die Aufnahme diplomatischer oder konsularischer Beziehungen und den Austausch von Vertretern vereinbaren, verpflichtet werde, den jeweiligen Vertretern gewisse Exemtionen von seiner Strafgerichtsbarkeit zu gewähren, so liege ein „Vertrag zu Lasten Dritter“ vor. Völkerrechtliche Vereinba___________ (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 65; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 15; Shaw, International Law, S. 535; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1030, 1045; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1029). Vgl. auch Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (404 Fn. 29), der berichtet, das AG Berlin-Tiergarten habe 1978 einen in der DDR akkreditierten Botschaftsangehörigen verurteilt, weil dieser „nur“ in der DDR akkreditiert gewesen sei und ein Fall der Durchreise durch die BRD i.S.d. Art. 40 Abs. 1 Satz 1 WÜD nicht vorgelegen habe.
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rungen zwischen Staaten zu Lasten dritter Staaten sind aber gemäß Art. 34 WVRK, der Völkergewohnheitsrecht widerspiegelt, unzulässig. Doch ergeben sich die Pflichten von Drittstaaten überhaupt nicht aus der Vereinbarung zwischen zwei Staaten über die Aufnahme diplomatischer oder konsularischer Beziehungen, sondern unmittelbar aus dem WÜD und WÜK bzw. dem parallelen Völkergewohnheitsrecht. Die Staaten, die das WÜD bzw. das WÜK ratifiziert haben, haben sich damit nicht nur verpflichtet, als Empfangsstaat den Mitgliedern der im eigenen Staat errichteten diplomatischen oder konsularischen Vertretungen bestimmte Exemtionen zu gewähren, sondern zugleich dazu, als Drittstaat auch den Mitgliedern anderer diplomatischer und konsularischer Vertretungen bestimmte Befreiungen von ihrer Hoheitsgewalt bei einer dienstlich veranlaßten Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet zu gewähren. Da diese Verpflichtung auch Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts ist, ist sie auch für die Staaten bindend, die nicht Mitglieder des WÜD bzw. WÜK sind.7 Die Bestimmungen, die Drittstaaten zur Exemtionsgewährung verpflichten, gelten in der Bundesrepublik in gleicher Weise wie die Exemtionen, die die Bundesrepublik als Empfangsstaat zu gewähren hat, über Art. 59 Abs. 2 GG als einfaches Bundesrecht sowie über Art. 25 GG als gegenüber dem einfachen Bundesrecht vorrangigem Recht und sind für die Strafverfolgungsorgane der Bundesrepublik unmittelbar beachtlich. b) Die Normen des WÜD und des WÜK über die Unverletzlichkeit von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen in Drittstaaten Die gebotenen Exemtionen für Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen von der Strafgerichtsbarkeit eines Drittstaates während einer mit der dienstlichen Tätigkeit in Zusammenhang stehenden Durchreise durch diesen sind in Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK normiert. Art. 40 WÜD lautet, soweit er im vorliegenden Zusammenhang von Interesse ist: „(1) Reist ein Diplomat, um sein Amt anzutreten oder um auf seinen Posten oder in seinen Heimatstaat zurückzukehren, durch das Hoheitsgebiet eines dritten Staates oder befindet er sich im Hoheitsgebiet dieses Staates, der erforderlichenfalls seinen Paß mit einem Sichtvermerk versehen hat, so gewährt ihm dieser Staat Unverletzlichkeit und alle sonstigen für seine sichere Durchreise oder Rückkehr erforderlichen Immunitäten. Das gleiche gilt, wenn Familienangehörige des Diplomaten, denen Vorrechte und Immunitäten zustehen, ihn begleiten oder wenn sie getrennt von ihm reisen, um sich zu ihm zu begeben oder in ihren Heimatstaat zurückzukehren.
___________ Vgl. auch Denza, Diplomatic Law, S. 370, die darauf hinweist, es komme nicht darauf an, ob der Transitstaat zum Empfangs- oder zum Entsendestaat diplomatische Beziehungen unterhalte, doch sei erforderlich, daß der Transitstaat den Entsendestaat als Staat völkerrechtlich anerkannt habe. Der These des Erfordernisses einer Anerkennung kann aber nicht gefolgt werden, da nach heutigem Völkerrecht einer Anerkennung keine konstitutive Wirkung zukommt und ein Staat daher auch im Verhältnis zu solchen Staaten an das Völker(gewohnheits)recht gebunden ist, die er – aus welchen Gründen auch immer – nicht als Staaten anerkennt. 7
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(2) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 dürfen dritte Staaten auch die Reise von Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals und des dienstlichen Hauspersonals einer Mission sowie ihrer Familienangehörigen durch ihr Hoheitsgebiet nicht behindern. (3) (…) Diplomatischen Kurieren, deren Paß erforderlichenfalls mit einem Sichtvermerk versehen wurde, (…) gewähren sie die gleiche Unverletzlichkeit und den gleichen Schutz, die der Empfangsstaat zu gewähren verpflichtet ist. (4) Die Verpflichtungen dritter Staaten auf Grund der Absätze 1, 2 und 3 gelten gegenüber den in jenen Absätzen bezeichneten Personen (…) auch dann, wenn diese sich infolge höherer Gewalt im Hoheitsgebiet des dritten Staates befinden.“
Art. 54 Abs. 1 WÜK lautet: „(1) Reist ein Konsularbeamter, um sein Amt anzutreten oder um auf seinen Posten oder in seinen Heimatstaat zurückzukehren, durch das Hoheitsgebiet eines dritten Staates oder befindet er sich aus einem der genannten Gründe im Hoheitsgebiet dieses Staates, der ihm erforderlichenfalls einen Sichtvermerk erteilt hat, so gewährt ihm dieser Staat alle in den anderen Artikeln dieses Übereinkommens vorgesehnen Immunitäten, soweit sie für seine sichere Durchreise oder Rückkehr erforderlich sind. Das gleiche gilt, wenn im gemeinsamen Haushalt mit dem Konsularbeamten lebende Familienangehörige des Diplomaten, denen Vorrechte und Immunitäten zustehen, ihn begleiten oder wenn sie getrennt von ihm reisen, um sich zu ihm zu begeben oder in den Entsendestaat zurückzukehren. (2) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 dürfen dritte Staaten auch die Reise anderer Mitgliedern der konsularischen Vertretung oder der mit ihnen im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen durch ihr Hoheitsgebiet nicht behindern.“
Art. 54 Abs. 3 Satz 2 WÜK und Art. 54 Abs. 4 WÜK entsprechen den Regelungen in Art. 40 Abs. 3 Satz 2 WÜD und Art. 54 Abs. 4 WÜD. c) Durch Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK geschützte Personen Durch Art. 40 Abs. 1 WÜD werden zum einen Diplomaten geschützt, also die Chefs diplomatischer Missionen und die im diplomatischen Rang stehenden Mitglieder einer Mission. Zum anderen werden ihre Familienangehörigen geschützt, allerdings nur dann, wenn ihnen im Empfangsstaat Vorrechte und Immunitäten zustehen, also gemäß Art. 37 Abs. 1 WÜD nur dann, wenn sie keine Angehörigen des Empfangsstaates sind und mit dem Diplomaten in einem gemeinsamen Haushalt leben.8 Gemäß Art. 40 Abs. 2 WÜD genießen auch die Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals sowie die Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer diplomatischen Mission Exemtionen bei einer Durchreise durch ___________ Sofern ein Diplomat zum Dienstantritt in den Empfangsstaat reist, wird er zumeist seinen bisherigen Haushalt aufgelöst und noch keinen neuen im Empfangsstaat eingerichtet haben. Seine Familienangehörigen, die mit ihm reisen oder ihm nachfolgen, leben damit im Moment ihrer Reise strenggenommen nicht in einem gemeinsamen Haushalt mit ihm. Doch ist in solchen Fällen auf die bisherige Situation abzustellen, da Art. 40 Abs. 1 Satz 2 WÜD diejenigen Familienmitglieder schützen will, die mit dem Diplomaten in Form einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft zusammenleben. 8
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Drittstaaten. Gleiches gilt unter den Voraussetzungen des Art. 37 Abs. 2 WÜD auch für die Familienangehörigen von Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals.9 Art. 40 Abs. 3 Satz 2 WÜD schützt diplomatische Kuriere bei ihren Reisen durch Drittstaaten.10 Durch Art. 54 Abs. 1 Satz 1 WÜK sind Berufskonsularbeamte geschützt, während Honorarkonsularbeamte, weil Art. 58 WÜK nicht auf Art. 54 Abs. 1 WÜK verweist, keine Exemtion von der Strafgerichtsbarkeit von Drittstaaten bei Reisen durch deren Hoheitsgebiet genießen. Familienangehörige von Konsularbeamten genießen ebenfalls keine strafrechtliche Exemtion in Drittstaaten, da Art. 54 Abs. 1 Satz 2 WÜK die Gewährung von Exemtionen an Familienangehörige davon abhängig macht, daß diese im Empfangsstaat Befreiungen genießen. Dies ist aber, wie oben in § 13 I.2.d) gezeigt wurde, nicht der Fall. Sonstige Mitglieder konsularischer Vertretungen sowie deren Familienangehörige genießen gemäß Art. 54 Abs. 2 WÜK nur dann und maximal insoweit Exemtionen in Drittstaaten, wenn und als sie auch im Empfangsstaat Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen. Das ergibt sich durch den Verweis auf Art. 54 Abs. 1 WÜK. Dies bedeutet, daß neben den Berufskonsularbeamten lediglich noch die Mitglieder des Verwaltungs- oder technischen Personals, die weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind, in Drittstaaten Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen, da den übrigen Mitgliedern konsularischer Vertretungen und Familienangehörigen generell im Empfangsstaat keine konsularischen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zukommen. Durch Art. 54 Abs. 3 Satz 2 WÜK sind zudem konsularische Kuriere in gleicher Weise wie diplomatische Kuriere während einer Durchreise durch Drittstaaten deren Strafgerichtsbarkeit entzogen. d) Nichtgewährung eines Rechts auf Durchreise durch Drittstaaten Vor Schaffung des WÜD und des WÜK war in der Literatur umstritten, ob Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen einen Anspruch darauf haben, durch (bestimmte) Drittstaaten reisen zu dürfen, um an ihren Dienstort oder ___________ Da Art. 40 Abs. 2 WÜD auf Art. 40 Abs. 1 WÜD verweist und danach Familienangehörige nur dann in Drittstaaten bei einer Durchreise Exemtionen genießen, wenn ihnen im Empfangsstaat Vorrechte und Immunitäten zustehen, genießen Familienangehörige von Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals in Drittstaaten keine Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Denn im Empfangsstaat kommen ihnen gemäß Art. 37 Abs. 3 WÜD keine strafrechtlichen Exemtionen zu. 10 Diplomatische Kuriere sind zwar gemäß Art. 1 lit. b) WÜD keine Mitglieder diplomatischer Vertretungen, doch bietet es sich an, deren Rechtsstellung in Drittstaaten in diesem Abschnitt der Untersuchung ebenfalls zu erläutern. Das gleiche gilt für konsularische Kuriere; vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. g) WÜK. Soweit im folgenden der Einfachheit halber allgemein von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen die Rede ist, sollen mit dieser Bezeichnung auch die diplomatischen und konsularischen Kuriere gemeint sein, wohl wissend, daß dies terminologisch nicht korrekt ist. 9
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zurück in den Entsendestaat zu gelangen. Die Staaten haben aber ein solches Recht nie anerkannt. Heute ist einhellige Auffassung, daß die Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK kein Recht auf eine Durchreise durch einen (bestimmten) Drittstaat normieren, sondern Drittstaaten nur verpflichten, denjenigen Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen Unverletzlichkeit zu gewähren, denen sie zuvor eine Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet gestattet haben.11 Dies wird aus dem Hinweis auf einen erforderlichenfalls erteilten Sichtvermerk in Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK geschlossen, denn diese Formulierung wurde in das WÜD und das WÜK aufgenommen, um deutlich zu machen, daß ein Recht auf Durchreise nicht besteht. Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen und diplomatische und konsularische Kuriere bedürfen – wie im übrigen nach Völkergewohnheitsrecht auch jede andere Person – einer Gestattung, um durch das Hoheitsgebiet eines Drittstaates reisen zu dürfen, und genießen Unverletzlichkeit nur dann, wenn ihnen die Einreise gestattet worden ist. Eine solche Zulassung kann ausdrücklich ausgesprochen werden; dies geschieht mit der Erteilung eines Visums. Die Zulassung kann aber auch durch eine an der Grenze bei der Einreisekontrolle mündlich ausgesprochene Einreiseerlaubnis erteilt werden. Selbst eine konkludente Zulassung reicht aus, etwa ein bloßes „Durchwinken“ der betreffenden Person an der Grenze. Dabei ist unerheblich, ob der Grenzbeamte bei der ausdrücklichen oder konkludenten Gestattung der Einreise wußte, daß es sich bei einer Person um ein Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung handelt, das auf der Durchreise ist und damit aufgrund der Gestattung besondere Vorrechte im Drittstaat genießt. Denn Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK machen die Gewährung von Unver___________ 11 Vgl. nur BVerfGE 96, 68 (88) = NJW 1998, 50 (54); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 285; Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1045); dies., Diplomatic Law, S. 369; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 79; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 244; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 122, 411; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1049, 1053; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 208 f. Im kommentierten Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (103) (UN-Dokument A/3859) heißt es: “The first question is whether the third State is under a duty to grant free passage. The view has been expressed that it was in the interest of all States (…) that diplomatic relations between the various States should proceed in a normal manner, and that in generel, therefore, the third State should grant free passage to the member of the mission and to the diplomatic courier. It was pointed out on the other hand, that a State was entitled to regulate access of foreigners to its territory. The Commission did not think it necessary to go further into this matter.” Vgl. auch Art. 4 und Art. 14 des 1989 von der ILC vorgelegten Entwurfs für eine Konvention zur einheitlichen Regelung des Rechts von Kurieren und von Kuriergepäck mit dem Arbeitstitel Status of the Diplomatic Courier and the Diplomatic Bag not Accompanied by Diplomatic Courier; YBILC 1989 II/2, S. 14 ff. Nach diesem von den UN allerdings bislang nicht weiter verfolgten Entwurf wird den Kurieren ein Recht auf Durchreise durch Drittstaaten gewährt; vgl. a.a.O., S. 18 f., 26.
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letzlichkeit allein davon abhängig, daß der Aufenthalt als solcher vom Drittstaat erlaubt worden ist. Es reicht also die Tatsache aus, daß ein Grenzbeamter die betreffende Person zugelassen hat. Allerdings ist von dieser Feststellung dann eine Ausnahme zu machen, wenn der betreffenden Person zuvor vom Drittstaat ausdrücklich ein Einreiseverbot erteilt wurde. In einem solchen Fall kann ein bloßes Durchwinken an der Grenze ein vorher erteiltes Verbot nicht verdrängen, da eine mündliche oder konkludente Zulassung an der Grenze ohne Kontrolle der Identität der Person stets als unter dem Vorbehalt stehend anzusehen ist, daß kein vorher ausgesprochenes Einreiseverbot existiert. Ein Staat kann aber auch seine Grenzen generell für den Personenverkehr öffnen und von Einreisekontrollen völlig absehen. Auch eine solche „generelle Zulassung“ reicht für Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK aus und verpflichtet den Drittstaat zur Gewährung von Unverletzlichkeit. e) Reichweite der Exemtion in Drittstaaten aa) Sachliche Reichweite Diplomaten und ihre Familienangehörigen genießen Unverletzlichkeit und alle sonstigen für eine sichere Durchreise erforderlichen Immunitäten. Die Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals, ihre Familienangehörigen sowie die Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer diplomatischen Mission dürfen dagegen lediglich „nicht behindert“ werden. Berufskonsularbeamte genießen zum einen nur die Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, die sie auch im Empfangsstaat genießen, zum anderen auch diese nur insoweit, als die Gewährung für eine sichere Durchreise erforderlich ist. Etwas unklar formuliert ist die Exemtion der Mitglieder des Verwaltungs- oder technischen Personals einer berufskonsularischen Vertretung. Einerseits darf deren Reise nicht behindert werden, andererseits wird auf die Regelung für Konsularbeamte in Art. 54 Abs. 1 WÜK verwiesen. Da nicht davon ausgegangen werden kann, daß Art. 54 Abs. 2 WÜK den Mitgliedern des Verwaltungs- oder technischen Personals einer berufskonsularischen Vertretung in Drittstaaten weiterreichende Exemtionen gewähren will als den Konsularbeamten, wird man auch diesen maximal in dem Umfang Exemtionen in Drittstaaten zuerkennen können, in dem sie auch im Empfangsstaat Vorrechte und Befreiungen genießen. Mitglieder des Verwaltungsoder technischen Personals einer konsularischen Vertretung genießen also in Drittstaaten – nicht anders als im Empfangsstaat – Exemtion lediglich wegen ihrer Diensthandlungen, da auch Art. 43 Abs. 1 WÜK nur eine eingeschränkte Immuni-
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tät ratione materiae gewährt.12 Konsularbeamte, die weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind, genießen darüber hinaus in Drittstaaten auch die beschränkte persönliche Unverletzlichkeit des Art. 41 Abs. 1 und 2 WÜK für die nicht von Immunität ratione materiae erfaßten Taten, nach der sie nur wegen einer schweren strafbaren Handlung festgehalten und in Haft genommen werden dürfen.13 Sofern Konsularbeamte aber Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, genießen sie in Drittstaaten gemäß Art. 54 Abs. 1 Satz 1 WÜK i.V.m. Art. 71 Abs. 1 WÜK lediglich eine Exemtion hinsichtlich ihrer unmittelbaren Amtshandlungen. Sämtliche Pflichten zur Gewährung von Exemtionen in Drittstaaten stehen jedoch unter dem Vorbehalt, daß die Exemtionen für die sichere Durchreise erforderlich sind. Eine Freistellung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit wird also nur insoweit gewährt, als sie für die Sicherstellung einer ungehinderten Durchreise erforderlich ist. Dies bedeutet, daß lediglich Maßnahmen untersagt sind, die zu einer Beeinträchtigung der Durchreise führen können, nicht aber sonstige hoheitliche Handlungen des Drittstaates, die zwar die durchreisende Person betreffen, aber ihre Durchreise nicht behindern. So ist auch die Formulierung in Art. 40 Abs. 2 WÜD und Art. 54 Abs. 2 WÜK zu verstehen, die ein Verbot der Behinderung der Reise festlegen. Für den hier allein interessierenden Bereich der strafrechtlichen Maßnahmen heißt dies, daß von Art. 40 Abs. 1 WÜD nur strafprozessuale Zwangsmaßnahmen untersagt sind, die gegen die Person eines durchreisenden Diplomaten bzw. eines Familienangehörigen eines Diplomaten sowie gegen von ihnen mitgeführte Gegenstände gerichtet sind. Es wird also von Art. 40 Abs. 1 WÜD bezogen auf das Strafrecht lediglich eine (negative) Unverletzlichkeit gewährt.14
___________ 12 Da Art. 43 Abs. 1 WÜK nur für Personen gilt, die weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind (vgl. Art. 71 Abs. 2 WÜK), heißt dies zudem, daß in Drittstaaten nur solche Mitglieder des Verwaltungs- oder technischen Personals einer berufskonsularischen Vertretung Exemtionen genießen, die weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind. 13 Vgl. hierzu oben § 13 I.2.a)dd). 14 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 285; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 79; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 125; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 208 f. Ebenso mutatis mutandis für das Zivilrecht Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, Rn. 799. Verfehlt dagegen Doehring, Völkerrecht, Rn. 680, der die These vertritt, ein Diplomat genieße während einer Durchreise durch Drittstaaten in diesen in gleichem Umfang wie im Empfangsstaat Exemtionen. Ihm folgend Koster, Immunität internationaler Richter, S. 68. Gleichfalls verfehlt Doehring/ Ress, AVR 37 (1999), 68 (92), wo die Meinung vertreten wird, Diplomaten genössen aufgrund Art. 40 Abs. 1 WÜD in Drittstaaten Immunität ratione personae.
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Strafprozessuale Handlungen, die die Bewegungsfreiheit der durchreisenden Person nicht behindern, sind dagegen statthaft.15 So darf ein Strafverfahren gegen eine durchreisende Person eingeleitet und weiterbetrieben werden, muß also nicht für die Zeit der Durchreise vorläufig eingestellt werden, und dürfen Zeugen in einem gegen die durchreisende Person gerichteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren auch während dessen Aufenthalt im Staatsgebiet des Drittstaates vernommen werden. Das gleiche gilt auch für die gemäß Art. 40 Abs. 2 WÜD geschützten Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals, ihre Familienangehörigen sowie die Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer diplomatischen Mission. Denn das Gebot, die Durchreise nicht zu behindern, bedeutet für das Strafrecht ebenfalls, daß (nur) gegen die Person und die von ihnen bei der Reise mitgeführten Gegenstände gerichtete strafprozessuale Zwangsmaßnahmen untersagt sind.16 Diplomaten, Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals, ihre Familienangehörigen sowie die Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer diplomatischen Mission genießen, da Art. 40 Abs. 1 und 2 WÜD diese Unverletzlichkeit nicht auf bestimmte Taten beschränkt, Unverletzlichkeit unabhängig davon, ob es sich bei einer Tat, die ihnen vorgeworfen wird, um eine Privathandlung oder eine Diensthandlung handelt und gleichfalls unabhängig davon, ob die Tat während der Durchreise im Staatsgebiet des Drittstaates begangen wurde oder nicht. Diese Personen dürfen also in keinem Fall während ihrer Durchreise strafprozessualer Zwangsgewalt ausgesetzt werden. Sofern sich solche Personen berechtigt im Staatsgebiet der Bundesrepublik zum Zweck einer Durchreise aufhalten, dürfen sie weder verhaftet noch durchsucht oder untersucht werden. Ferner dürfen die von ihnen mitgeführten Sachen, die sie am Körper tragen oder als Gepäckstücke mit sich führen, nicht durchsucht und nicht beschlagnahmt werden. Auch die ausschließlich von ihnen genutzten Beförderungsmittel, beispielsweise der private PKW eines Diplomaten, mit dem dieser die Reise durchführt, unterliegen keiner Durchsuchung oder Beschlagnahme. Denn auch eine solche Exemtion ist für die sichere Durchreise erforderlich bzw. auch solche Maßnahmen würden die Reise behindern.17 Diese Befreiungen gelten selbst ___________ So auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 285; Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1045); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 125 f. Vgl. auch Denza, Diplomatic Law, S. 369. 16 A.A. aber Denza, Diplomatic Law, S. 370: “probably there is no obligation to grant them inviolability or other immunities from jurisdiction”. Ebenso wohl auch Sen, Diplomat’s Handbook, S. 210 f. 17 Beförderungsmittel, in denen eine durchreisende Person lediglich als einer von mehreren Passagieren mitfährt bzw. mitfliegt, dürfen dagegen durchsucht und beschlagnahmt werden. Denn hier ist der Bezug dieser Gegenstände zu der geschützten Person zu gering, als daß eine Exemtion gewährt werden könnte. Maßnahmen gegen solche Gegenstände behindern die Durchreise nur mittelbar, nicht anders als etwa eine Straßensperrung nach 15
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
dann, wenn ein Begünstigter während seiner Durchreise im Drittstaat eine schwere Straftat begeht, etwa einen anderen Menschen tötet. Für Berufskonsularbeamte und Mitglieder des Verwaltungs- oder technischen Personals einer berufskonsularischen Vertretung gilt gleichfalls, daß Maßnahmen, die zwar gegen sie als Beschuldigte gerichtet sind, aber ihre Durchreise durch den Drittstaat nicht beeinträchtigten, zulässig sind. Auch diesen Personen kommt also lediglich negative Unverletzlichkeit zu. Doch ist der sachliche Umfang dieser Unverletzlichkeit stark eingeschränkt, da – wie erwähnt – nach Art. 54 Abs. 1 und 2 WÜK der Umfang der Befreiungen in Drittstaaten nicht über den Umfang der Exemtionen hinausreichen kann, die diese Personen im Empfangsstaat genießen. Dies bedeutet, daß Mitglieder des Verwaltungs- oder technischen Personals einer berufskonsularischen Vertretung lediglich wegen Handlungen, die als konsularische Diensthandlungen zu bewerten sind, im Drittstaat negative strafrechtliche Unverletzlichkeit genießen. Denn die Immunität ratione materiae des Art. 43 Abs. 1 WÜK verbietet im Empfangsstaat sämtliche Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit wegen dienstlicher Handlungen, schließt also auch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen zur Verfolgung solcher Taten aus und beinhaltet insofern eine negative Unverletzlichkeit. Da die Immunität im Drittstaat gemäß Art. 54 Abs. 1 und 2 WÜK nur insofern gewährt wird, als dies für die sichere Durchreise erforderlich ist, ist lediglich die in der Immunität ratione materiae enthaltene Unverletzlichkeit vom Drittstaat zu beachten. Diese Unverletzlichkeit schließt nur gegen die Person gerichtete strafprozessuale Zwangsmaßnahmen aus. Die von einem Mitglied des Verwaltungs- oder technischen Personals einer konsularischen Vertretung während der Durchreise mitgeführten Sachen unterliegen also keiner Unverletzlichkeit. Für die Bundesrepublik heißt das, daß bei Mitgliedern des Verwaltungs- oder technischen Personals einer konsularischen Vertretung während ihrer gestatteten Durchreise durch Deutschland lediglich eine Verhaftung und Durch- bzw. Untersuchung ihrer Person wegen einer Handlung, die als Diensthandlung für die konsularische Vertretung zu bewerten ist, verboten ist. Wegen einer privaten Straftat, die sie vor oder während der Durchreise begangen haben, etwa wegen eines während der Durchreise begangenen Diebstahls- oder gar Tötungsdelikts, dürfen gegen sie strafprozessuale Zwangsmaßnahmen ergriffen werden. Bei Straßenverkehrsdelikten, die während der Durchreise begangen werden, ist nach dem Zweck der Durchreise zu differenzieren: Wenn die Durchreise erfolgt, um einen privaten Urlaub im Entsendestaat zu verbringen oder nach einem Urlaub wieder in den Empfangsstaat ___________ einem Unfall oder einer Überschwemmung. Gegen solche Unbill, die eine geschützte Person in gleicher Weise treffen wie alle anderen Reisenden, muß bzw. kann er nicht geschützt werden. Auch die von einer durchreisenden Person zeitweilig genutzten Räumlichkeiten, etwa ein Hotelzimmer, in dem die Person übernachtet, genießen keine Unverletzlichkeit und dürfen mithin durchsucht werden.
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zurückzukehren, dann ist die Reise der Privatsphäre zuzurechnen, so daß Art. 54 Abs. 2 WÜK strafprozessualen Zwangsmaßnahmen, etwa der Entnahme einer Blutprobe bei Verdacht einer Trunkenheitsfahrt, nicht entgegensteht. Erfolgt die Reise aber ausschließlich aus dienstlichen Gründen, etwa weil die Person zu einer Dienstbesprechung in den Entsendestaat zurückbeordert wurde, dann ist die Reise eine Dienstreise, so daß sie von der Immunität ratione materiae des Art. 43 Abs. 1 WÜK erfaßt ist und der Drittstaat gegen die geschützte Person gerichtete strafprozessuale Zwangsmaßnahmen während der Durchreise nicht ergreifen, also bei einer Trunkenheitsfahrt keine Blutentnahme nach § 81a StPO anordnen und durchführen darf.18 Für Berufskonsularbeamte, die weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ständig ansässig sind, also im Empfangsstaat Immunität ratione materiae für ihre Diensthandlungen genießen, gilt wie für die Mitglieder des Verwaltungsoder technischen Personals einer konsularischen Vertretung, daß im Drittstaat während einer Durchreise dann keine gegen ihre Person gerichteten strafprozessualen Zwangsmaßnahmen ergriffen werden dürfen, wenn der Tatvorwurf eine Handlung betrifft, die als konsularische Diensthandlung zu bewerten ist. Auch für sie gilt, daß sie dann, wenn die Durchreise selbst als Dienstreise einzustufen ist, wegen Straßenverkehrsdelikten, die sie während der Durchreise begehen, keiner strafprozessualen Zwangsgewalt des Drittstaates ausgesetzt werden dürfen. Darüber hinaus dürfen solche Berufskonsularbeamte aufgrund ihrer beschränkten persönlichen Unverletzlichkeit nach Art. 41 Abs. 1 und 2 WÜK (die – wie oben in § 13 I.2.a)dd) gezeigt – nur für Taten von Relevanz ist, die nicht von der Immunität ratione materiae des Art. 43 Abs. 1 WÜK erfaßt sind, also keine konsularischen Diensthandlungen sind) wegen sonstiger Taten im Drittstaat während ihrer Durchreise nur dann strafprozessualer Zwangsgewalt ausgesetzt werden, wenn es sich um eine schwere strafbare Handlung handelt. Hierunter sind in Deutschland Taten zu fassen, die mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe oder mehr bedroht sind.19 Einem Berufskonsularbeamten, der auf einer Durchreise durch Deutschland ist, um einen Urlaub im Entsendestaat zu verbringen, darf deshalb, obwohl die Reise selbst als Privathandlung einzustufen ist, nicht zwangsweise eine Blutprobe entnommen werden, wenn er die Reise in betrunkenem Zustand als Fahrer eines PKW zurücklegt. Berufkonsularbeamte, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, dürfen in Drittstaaten während einer Durchreise dagegen nur wegen solcher Taten keiner strafprozessualen Zwangsgewalt ausgesetzt werden, die als unmittelbare konsularische Amtshandlungen einzustufen sind. ___________ Präventiv-polizeiliche Abwehrmaßnahmen darf ein Drittstaat aber in gleicher Weise wie der Empfangsstaat vornehmen, so daß eine betrunken als Fahrer eines PKW auf der Durchreise befindliche Person selbstverständlich an einer Weiterfahrt gehindert werden darf. 19 Vgl. oben § 13 I.2.a)ee). 18
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Diplomatischen und konsularischen Kurieren, die gemäß Art. 40 Abs. 3 Satz 2 WÜD und Art. 54 Abs. 3 Satz 2 WÜK in Drittstaaten die Exemtionen genießen, die ihnen (auch) im Empfangsstaat zukommen, kommt nach Art. 27 Abs. 5 und 6 WÜD bzw. Art. 35 Abs. 5 und 6 WÜK während einer Durchreise durch einen Drittstaat nur insofern Unverletzlichkeit zu, als gegen ihre Person gerichtete strafprozessuale Zwangsmaßnahmen verboten sind. Dabei sind alle Kuriere geschützt, wenn die Durchreise zum Zwecke des Transports von Kuriergut erfolgt. Ständige Kuriere sind anders als Ad-hoc-Kuriere zudem auch dann geschützt, wenn es sich um eine Durchreise aus sonstigen dienstlichen Gründen handelt.20 Bezogen auf das Strafrecht kann zusammenfassend gesagt werden, daß alle Personen, denen nach Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK Exemtionen in Drittstaaten zukommen, Unverletzlichkeit in dem Sinne genießen, daß strafprozessuale Zwangsmaßnahmen untersagt sind. Allerdings ist der Umfang dieser Unverletzlichkeit nicht für alle Personen gleich. Während die Personen, deren Unverletzlichkeit in Drittstaaten sich nach Art. 40 WÜD bestimmt, sowie konsularische Kuriere generell während ihrer geschützten Durchreise keiner strafprozessualen Zwangsgewalt unterworfen werden dürfen und auch ihr Gepäck geschützt ist, genießen Mitglieder des Verwaltungs- oder technischen Personals einer berufskonsularischen Vertretung nur personenbezogene Unverletzlichkeit, und auch dies nur dann, wenn es um die Verfolgung einer Tat geht, die als Diensthandlung zu bewerten ist. Berufskonsularbeamte genießen während ihrer Durchreise in einem Drittstaat darüber hinaus auch wegen sonstiger Taten eine Befreiung von strafprozessualer Zwangsgewalt, es sei denn, die sonstige Tat ist eine schwere strafbare Handlung. Sofern der Konsularbeamte aber Angehöriger des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig ist, genießt er personenbezogene Unverletzlichkeit nur dann, wenn es um die Verfolgung einer Tat geht, die als Amtshandlung zu bewerten ist.
___________ Zur Rechtsstellung von Kurieren vgl. auch § 13 I.5. Nach dem von der ILC vorgelegten Entwurf für eine Konvention zur einheitlichen Regelung des Rechts von Kurieren und von Kuriergepäck mit dem Arbeitstitel Status of the Diplomatic Courier and the Diplomatic Bag not Accompanied by Diplomatic Courier; YBILC 1989 II/2, S. 14 ff. sollen Kuriere beim Transit durch Drittstaaten dagegen weitergehende Exemtionen genießen. Zwar sieht Art. 16 des Entwurfs eine Unverletzlichkeit in dem Sinne vor, daß strafprozessuale Zwangsmaßnahmen untersagt sind; vgl. die Kommentierung der ILC zu Art. 16, a.a.O., S. 27. Doch legt Art. 18 des Entwurfs darüber hinaus eine Immunität ratione materiae fest. In Art. 18 Abs. 1 heißt es: “The diplomatic courier shall enjoy immunity from the criminal jurisdiction of the receiving State or the transit State in respect of acts performed in the exercise of his functions.”, a.a.O., S. 29 f. Darüber hinaus ist in Art. 17 eine beschränkte Unverletzlichkeit der von einem Kurier genutzten Räumlichkeiten, etwa von Hotelzimmern, vorgesehen; vgl. a.a.O., S. 27 f. 20
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bb) Das Erfordernis einer „Durchreise“ und die zeitliche Beschränkung der Unverletzlichkeit auf die Dauer der Durchreise Da die Exemtionen der Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK lediglich dazu dienen sollen, den geschützten Personen einen sicheren und von Eingriffen des Drittstaates ungestörten Transit durch den Drittstaat zu ermöglichen, ist die Unverletzlichkeit nicht bei jedem Aufenthalt im Drittstaat, sondern nur bei und während einer Durchreise zu gewähren. Es muß daher noch geklärt werden, wann ein Aufenthalt in einem Drittstaat als „Durchreise“ zu gelten hat. Art. 40 Abs. 1 WÜD und Art. 54 Abs. 1 WÜK schützen lediglich Reisen durch das Hoheitsgebiet von Drittstaaten, die dazu dienen, das Amt anzutreten oder auf den Posten oder in den Heimatstaat zurückzukehren. Geschützt sind also Reisen in den Empfangsstaat, und zwar sowohl die erste Reise zur Aufnahme der dienstlichen Tätigkeit im Empfangsstaat als auch Reisen während der Zeit der Beschäftigung im Empfangsstaat, etwa die Rückkehr auf den Posten nach einem Urlaub oder einem dienstlichen Aufenthalt im Entsendestaat. Umgekehrt sind alle Reisen vom Empfangsstaat zurück in den Entsendestaat geschützt, und zwar sowohl Reisen während der Zeit der Beschäftigung als auch die endgültige Abreise aus dem Empfangsstaat nach Dienstbeendigung. Geschützt sind jedoch nur Reisen vom Entsende- in den Empfangsstaat und umgekehrt. Dies geht zwar für Reisen vom Entsende- in den Empfangsstaat nicht unmittelbar aus Art. 40 Abs. 1 WÜD und Art. 54 Abs. 1 WÜK hervor, doch besteht kein Grund, auch sonstige Reisen, etwa eine Reise eines Diplomaten von seinem Urlaubsort in einem Drittstaat durch einen anderen Drittstaat zurück in den Empfangsstaat, zu schützen.21 Geschützt sind also nur Reisen durch einen Drittstaat, deren Zweck ausschließlich der eines Transits zum Zweck des Erreichens des Empfangs- oder Entsendestaates ist. Ein privater Urlaubsaufenthalt in einem Drittstaat ist nicht geschützt.22 Aus welchem Anlaß die Reise vom Entsende- in den Empfangsstaat oder umgekehrt erfolgt, ist aber irrelevant. So ist der Transit nicht nur dann geschützt, wenn ein Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung in den Entsendestaat (und später zurück in den Empfangsstaat) reist, um dort Dienstgeschäfte zu verrichten, etwa um im Außenministerium persönlich über die Verhältnisse im Empfangsstaat zu berichten, sondern auch dann, wenn im Entsendestaat lediglich
___________ Vgl. Nahlik, RdC 1990 III, 187 (241). A.A. aber Denza, Diplomatic Law, S. 370 ff. Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (62); Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1045); dies., Diplomatic Law, S. 371; Nahlik, RdC 1990 III, 187 (241 f.); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 124; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 209 f. 21 22
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Verwandte und Freunde besucht werden sollen, die Reise also privaten Charakter hat.23 Da nur Reisen zum Zweck des Erreichens des Empfangs- oder Entsendestaates schutzwürdig sind, besteht die Unverletzlichkeit und damit die Befreiung von strafprozessualer Zwangsgewalt des Drittstaates aufgrund diplomatischer bzw. konsularischer Exemtionen nur für einen Zeitraum, der für eine unverzügliche Durchreise erforderlich ist, sowie lediglich dann, wenn die Reise tatsächlich nur durchgeführt wird, um unverzüglich den Zielstaat zu erreichen. Wenn beispielsweise die Reise für mehrere Tage unterbrochen wird, um Freunde zu besuchen, so entfällt der Schutz, den die Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK gewähren.24 Dies bedeutet aber nicht, daß stets die kürzeste oder schnellste Reiseroute bzw. das schnellste Verkehrsmittel gewählt werden müßte. Aber die Reiseroute, die Reiseart und die Reisedauer müssen doch so gewählt sein, daß man bei einer wertenden Betrachtungsweise noch von einer Reise mit dem alleinigen Zweck des Erreichens des Zielstaates sprechen kann. Zwangspausen aufgrund höherer Gewalt führen jedoch nicht dazu, daß die Exemtion gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Durchreisestaates entfällt. Wenn beispielsweise ein Diplomat auf der Durchreise durch einen Drittstaat einen Unfall erleidet und in ein Krankenhaus gebracht werden muß, so genießt er so lange Unverletzlichkeit, bis eine Weiterreise möglich ist. f) Die Unverletzlichkeit bei einem Aufenthalt in einem Drittstaat aufgrund höherer Gewalt Einen besonderen Fall eines Aufenthalts in einem Drittstaat regeln Art. 40 Abs. 4 WÜD und Art. 54 Abs. 4 WÜK. Wenn Personen, die bei einer erlaubten Durchreise durch einen Drittstaat dort vor strafprozessualen Zwangsmaßnahmen geschützt wären, aufgrund höherer Gewalt in einen Drittstaat gelangen, so genießen sie dort ___________ Anders aber Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (62 f.); Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1045); Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 96, 243. Während beide Arten von Durchreisen grundsätzlich von Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK geschützt sind, hat die Differenzierung zwischen Dienstreisen und Privatreisen bei Personen, die in Drittstaaten Schutz nach Art. 54 Abs. 1 und 2 WÜK genießen, insofern Bedeutung, als diese in der Regel lediglich von strafprozessualer Zwangsgewalt befreit sind, wenn es um die Strafverfolgung wegen einer Diensthandlung geht. Sie genießen in bezug auf Taten, die sie im Zuge der Durchreise begehen, etwa Straßenverkehrsdelikte, nur dann Befreiung von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen des Drittstaates, wenn die Reise eine Dienstreise ist. Vgl. hierzu schon oben § 15 I.3.e)aa). 24 Ebenso Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 285 f.; Denza, Diplomatic Law, S. 371; Doehring, Völkerrecht, Rn. 498; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 96 f., 243; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 124. 23
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den gleichen Schutz, den sie genössen, wenn sie sich auf einer erlaubten Durchreise durch diesen Staat befänden. Es geht also bei Art. 40 Abs. 4 WÜD und Art. 54 Abs. 4 WÜK nicht um Fälle einer erlaubten Durchreise, bei denen aufgrund höherer Gewalt eine Weiterreise nicht möglich ist, sondern um Fälle, in denen sich Personen, die bei einer erlaubten Durchreise durch einen Drittstaat geschützt wären, aufgrund höherer Gewalt und ohne daß dies zum Zweck einer Durchreise beabsichtigt war, plötzlich in einem Drittstaat wiederfinden. Geschaffen wurde diese Norm für Fälle wie die Notlandung eines Flugzeugs, das Einlaufen eines Schiffs in einen Hafen nach einem Seenotfall oder die Entführung eines Passagierflugzeugs. 4. Zur Sicherstellung der Exemtionierung wegen hoheitlich-dienstlicher Handlungen in bezug auf Drittstaaten im Diplomaten- und Konsularrecht a) Problemlage Wie oben in § 5 dargelegt, untersagt es die Staatenimmunität den Staaten grundsätzlich, Personen wegen hoheitlich-dienstlicher Handlungen für einen fremden Staat der eigenen Strafgerichtsbarkeit zu unterwerfen. Hoheitlich-dienstliche Handlungen für einen fremden Staat werden auch von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen im Rahmen der Wahrnehmung diplomatischer bzw. konsularischer Aufgaben vorgenommen. Im Hinblick auf eine Strafverfolgung von Mitgliedern diplomatischer oder konsularischer Vertretungen wegen hoheitlichdienstlicher diplomatischer bzw. konsularischer Handlungen durch die Empfangsstaaten spielt die Staatenimmunität aber (praktisch) keine Rolle. Denn insofern stehen (in aller Regel) bereits die diplomatischen und konsularischen Exemtionen einer Strafverfolgung entgegen.25 Da die im Rahmen der Wahrnehmung diplomatischer und konsularischer Aufgaben vorgenommenen hoheitlich-dienstlichen Handlungen diplomatische oder konsularische Amtshandlungen sind, sind sie (von Ausnahmefällen abgesehen) nämlich von den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts umfaßt. Betrachtet man allein die Kompetenz des Empfangsstaates zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern diplomatischer oder konsularischer Vertretungen, so läßt sich mithin feststellen, daß die Beachtung des Verbots, Personen wegen hoheitlich-dienstlicher Handlungen für einen anderen Staat strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, hinsichtlich der hoheitlich-dienstlichen diplomatischen oder konsularischen Handlungen bereits (weitestgehend) durch die diplomatischen und konsularischen Immunitäten sichergestellt wird, und zwar durch die Immunitäten ratione materiae. ___________ 25 Zu Ausnahmefällen hoheitlich-dienstlicher diplomatischer oder konsularischer Handlungen, die nicht von den Exemtionen des WÜD bzw. WÜK erfaßt werden und in denen ein Rückgriff auf die Staatenimmunität erforderlich ist, vgl. oben § 13 V.2.c)bb).
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Wenn aber, wie in § 15 I.1. dargelegt, die diplomatischen und konsularischen Exemtionen nur im Empfangsstaat gelten, so stellt sich die Frage, durch welche völkerrechtlichen Rechtsnormen sichergestellt wird, daß auch Drittstaaten das Gebot beachten, keine Strafverfolgung wegen für einen anderen Staat vorgenommener hoheitlich-dienstlicher Handlungen zu betreiben, soweit es um diplomatische und konsularische Handlungen geht. Gelten deshalb – entgegen den oben genannten Feststellungen – zwar nicht alle diplomatischen und konsularischen Exemtionen, aber doch immerhin die diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae auch in Drittstaaten? Müssen die vorstehenden Feststellungen also modifiziert werden? Oder aber bedeutet die Feststellung, daß die diplomatischen und konsularischen Exemtionen lediglich im Empfangsstaat gelten, also keine erga omnes-Wirkung haben, daß ein Drittstaat Mitglieder von Auslandsvertretungen wegen hoheitlichdienstlicher diplomatischer oder konsularischer Handlungen strafrechtlich verfolgen darf? Gilt also das Gebot, keine Strafverfolgung wegen für einen anderen Staat vorgenommener hoheitlich-dienstlicher Handlungen zu betreiben, für Drittstaaten hinsichtlich diplomatischer oder konsularischer Handlungen ausnahmsweise nicht, weil das WÜD und das WÜK eine Geltung der diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae in Drittstaaten nicht anordnen? Eine dritte Möglichkeit wäre aber auch, daß zwar die diplomatischen und konsularischen Exemtionen – von den Spezialregelungen in Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK abgesehen – tatsächlich allesamt nur im Empfangsstaat gelten, in Drittstaaten aber die Staatenimmunität einer Strafverfolgung wegen für einen anderen Staat vorgenommener hoheitlich-dienstlicher diplomatischer oder konsularischer Handlungen entgegensteht. b) Der Fall der Strafverfolgung des ehemaligen syrischen Botschafters in der DDR durch die Bundesrepublik Diese Fragen waren die Kernfragen, über die das BVerfG im Jahr 1997 in einer Grundsatzentscheidung zum Diplomatenrecht und zum Verhältnis des Diplomatenrechts zum Recht der Staatenimmunität zu befinden hatte, die in dem bereits mehrfach erwähnten Fall des ehemaligen syrischen Botschafters in der DDR erging, dem die Unterstützung eines Sprengstoffanschlags in West-Berlin vorgeworfen wurde und der Verfassungsbeschwerde gegen einen gegen ihn erlassenen Haftbefehl eingelegt hatte.26 Der Entscheidung des BVerfG lag folgender Sachverhalt zugrunde: Dem Syrer Fajssal Sammak, der von 1981–1989 Botschafter Syriens in der DDR war, wurde von der Berliner Staatsanwaltschaft im Jahr 1995 vorgeworfen, er sei an einem Sprengstoffanschlag in West-Berlin 1983 beteiligt gewesen. Nach den Ermittlungen der
___________ 26
BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50.
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Staatsanwaltschaft hatte ein Mitglied der Terroristengruppe „Carlos“ im August 1983 in der Botschaft in Ost-Berlin vorgesprochen und den Dritten Sekretär der Mission gebeten, eine Tasche mit Sprengstoff in den Räumlichkeiten der Mission zu verwahren. Dies habe der Sekretär gestattet, da die Botschaft zuvor von der Regierung Syriens angewiesen worden war, der Gruppe Unterstützung zu gewähren. Das spätere Ansinnen des Mitglieds der Terroristengruppe, ein Mitglied der Botschaft möge die Tasche nach West-Berlin bringen, sei von dem Sekretär in Absprache mit dem Botschafter jedoch abgelehnt worden. Daraufhin habe das Mitglied der Terroristengruppe die Tasche wieder an sich genommen und die Botschaft verlassen. Mit den in der Tasche enthaltenen 24 Kilogramm Sprengstoff wurde wenige Stunden später ein Anschlag auf das Kulturzentrum „Maison de France“ in WestBerlin verübt, bei dem ein Mensch starb und 23 weitere zum Teil schwer verletzt wurden. 1995 wurde gegen den Botschafter, der sich mittlerweile an einem unbekannten Ort im Ausland, vermutlich in Syrien, befand, wegen Beihilfe zum Mord und zur Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion (§§ 211, 311, 27 StGB) Haftbefehl erlassen. Ihm wurde zur Last gelegt, er habe nichts unternommen, um die Herausgabe des Sprengstoffs zu unterbinden. Eine entsprechende Handlungspflicht habe sich aus seiner dienstlichen Verantwortlichkeit als Missionsleiter für die in den Räumlichkeiten der Mission aufbewahrten Gegenstände ergeben. Der Haftbefehl des Amtsgerichts wurde zwar zunächst vom Landgericht Berlin aufgehoben, doch vom Kammergericht wieder in Kraft gesetzt. Sammak erhob daraufhin Verfassungsbeschwerde und führte zur Begründung aus, er genieße nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD und nach universellem Völkerrecht auch in der Bundesrepublik für sein amtliches Handeln Immunität.27
Dem BVerfG stellten sich zwei Fragen. Zum einen war zu klären, ob die Bundesrepublik unabhängig von der Tatsache, daß die DDR 1990 der Bundesrepublik beigetreten war, als Drittstaat (und damit ebenso wie beispielsweise Frankreich) verpflichtet war, dem Botschafter für das ihm vorgeworfene Verhalten Immunität von ihrer Strafgerichtsbarkeit zu gewähren. Denn wenn die Bundesrepublik schon seit der Tatbegehung im Jahr 1983 und unabhängig vom Beitritt der DDR zur Ge___________ Gerügt wurde mit der Verfassungsbeschwerde allerdings nicht unmittelbar eine Nichtbeachtung einer völkerrechtlichen Immunität durch die Strafgerichte. Zwar ist auch die Nichtbeachtung einer gemäß Art. 25 GG die Strafgerichte unmittelbar verpflichtenden völkergewohnheitsrechtlichen Immunität als Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG im Wege einer Verfassungsbeschwerde rügefähig (vgl. diesbezüglich BVerfGE 46, 342 [363] = NJW 1978, 485 [486]; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 23 und Art. 25 Rn. 13). Doch rügte der Beschwerdeführer in diesem Verfahren eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG). Die Fachgerichte hätten, da objektive Zweifel über eine Drittwirkung von diplomatischen Immunitäten und über einen Übergang der die DDR treffenden Pflichten zur Immunitätsgewährung im Wege der Rechtsnachfolge auf die BRD existierten, diese Fragen dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 2 GG zur Entscheidung vorlegen müssen (vgl. BVerfGE 96, 68 [76] = NJW 1998, 50 [50]). Das BVerfG bejahte zwar zu Recht eine Vorlagepflicht und betonte, daß der Beschwerdeführer durch die Nichtvorlage seinem gesetzlichen Richter entzogen worden sei; doch wies es – wie nachfolgend näher erläutert wird – die Verfassungsbeschwerde gleichwohl als unbegründet zurück, da das Gericht zu dem Ergebnis gekommen war, daß die BRD weder als Drittstaat noch als Rechtsnachfolgerin der DDR zur Immunitätsgewährung verpflichtet war und somit das BVerfG, wären ihm – wie geboten – die Fragen von den Fachgerichten zur Entscheidung vorgelegt worden, im Ergebnis so wie die Fachgerichte entschieden hätte. Die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter habe sich daher auf die Beschlüsse der Fachgerichte (die Haftbefehle) nicht ausgewirkt (vgl. BVerfGE 96, 68 [76 ff., 86] = NJW 1998, 50 [50 f., 53]). 27
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währung von Immunität verpflichtet war, so konnte sich hieran durch den Beitritt der DDR nichts geändert haben. Zum anderen war – sollte eine originäre Verpflichtung Deutschlands zur Gewährung von Immunität als Drittstaat zu verneinen sein – zu klären, ob eine Verpflichtung der DDR, dem Botschafter Immunität zu gewähren, mit dem Beitritt der DDR auf die BRD als Rechtsnachfolgerin übergegangen war, Deutschland also aufgrund einer von der DDR übernommenen Verpflichtung Immunität zu gewähren hatte.28 Das BVerfG stellte zunächst zutreffend fest, bei dem Verhalten, das dem Botschafter vorgeworfen wurde, nämlich dem Nicht-Unterbinden einer Verbringung des Sprengstoffs aus den Räumlichkeiten der Mission, habe es sich um eine dienstliche Handlung in Ausübung der Funktion als Botschafter gehandelt. Die DDR als Empfangsstaat war daher nicht nur während der Amtszeit des Botschafters aufgrund der ihm zukommenden Immunität ratione personae (Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD) gehindert, ihn wegen dieser Handlung strafrechtlich zu verfolgen, sondern durfte auch nach der Beendigung der dienstlichen Tätigkeit des Botschafters 1989 eine Strafverfolgung nicht durchführen und dürfte dies, wäre sie nicht 1990 mit dem Beitritt zur BRD als Völkerrechtssubjekt untergegangen, auch heute nicht tun.29 Denn die Tat wurde als eine in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit als Mitglied der Mission begangene Handlung von der fortgeltenden Immunität ratione materiae des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD erfaßt. Zwar erfassen die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts – wie oben in § 13 III.5. erläutert – nicht alle dienstlichen Handlungen, sondern nur solche, die der Wahrnehmung vom WÜD bzw. vom WÜK anerkannter diplomatischer oder konsularischer Aufgaben dienen. Doch war auch diese Voraussetzung erfüllt. Denn zu den anerkannten Aufgaben eines Botschafters gehört es auch, über die Verwendung von Gegenständen zu befinden, die in den Missionsgebäuden verwahrt werden, also das Hausrecht über die Räumlichkeiten der Mission auszuüben.30 Doch war damit noch nicht entschieden, ob auch die Bundesrepublik als Drittstaat völkerrechtlich verpflichtet war, dem ehemaligen Botschafter für das ihm vorgeworfene Verhalten Immunität von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu gewähren, sei es aufgrund einer Geltung des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD auch für Drittstaaten, sei es aufgrund Völkergewohnheitsrechts.
___________ 28 Dieser zweite Aspekt des Falls wurde bereits oben in § 13 III.2.b)aa) besprochen. Im folgenden ist daher lediglich die erstgenannte Frage einer originären Geltung diplomatischer (und konsularischer) Immunitäten ratione materiae in Drittstaaten zu erörtern. 29 So auch Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (73). 30 Vgl. Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (73). Das BVerfG ging allerdings (fälschlicherweise) davon aus, für die Einordnung einer Tat als dienstliche Handlung sei es unerheblich, ob die Tathandlung der Erfüllung diplomatischer Aufgaben diene oder nicht. Vgl. zu diesem Aspekt des Falls auch die Ausführungen oben bei § 13 II.5.
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c) Die These der Geltung der diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae auch in Drittstaaten In Teilen der Wissenschaft, unter anderem von den Völkerrechtlern Doehring und Ress, die für den Beschwerdeführer zwei Gutachten verfaßten,31 wird die Auffassung vertreten, die diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae, also auch die des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD, gälten auch in Drittstaaten. Wie jeder andere Staat, so sei auch die Bundesrepublik verpflichtet, die dem ehemaligen Botschafter für sein dienstliches Handeln zukommende und auch nach Dienstbeendigung fortgeltende Immunität ratione materiae des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD zu beachten.32 Die gegen ihn gerichtete Strafverfolgung durch die Bundesrepublik, namentlich der gegen ihn erlassene Haftbefehl, sei daher unzulässig. Dieser These liegt die bereits oben in § 13 V.2. erörterte Annahme zugrunde, die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts verböten eine Strafverfolgung von Mitgliedern diplomatischer bzw. konsularischer Vertretungen wegen dienstlicher Handlungen allein deshalb, weil diese Handlungen dem Entsendestaat zuzurechnen seien und daher bei einer Strafverfolgung wegen solcher Taten indirekt der Entsendestaat der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates unterworfen würde, was gegen den Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten verstoße. Die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts seien daher mit der Staatenimmunität identisch, sie seien lediglich Unterfälle bzw. spezialgesetzlich geregelte Anwendungsfälle der Staatenimmunität. Es handele sich bei den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts um die für diesen Bereich (mit bloß deklaratorischer Wirkung) völkervertraglich normierte, ansonsten völkergewohnheitsrechtlich geltende Staatenimmunität des Entsendestaates.33 ___________ Die Gutachten sind Bestandteil des Aufsatzes Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68. Doehring, Völkerrecht, Rn. 679 f. mit Fn. 34.; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (75 ff., 95 ff.); Faßbender, NStZ 1998, 144 (145); ders., AJIL 92 (1998), 74 (76 f.); Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (975 f.). Die nach Dienstbeendigung fortgeltende Immunität für dienstliches diplomatisches Handeln entsteht nicht erst nach Dienstbeendigung, sondern ist bereits während der Dienstzeit in der umfassenden Immunität ratione personae, die für sämtliche Taten gilt, gewissermaßen als Teilmenge enthalten; vgl. Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (79). 33 Diese Auffassung ist weit verbreitet, sie wird u.a. vertreten von Lord BrowneWilkinson in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 61 (68); Lord Millett in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (98); Brownlie, International Law, S. 343, 355; Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (862 ff.); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 277, 311; Dembinski, Modern Law of Diplomacy, S. 202 f.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 679 mit. Fn. 34; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (70, 74 f., 96 f. m.w.N. in Fn. 24 ff. und Fn. 95 ff.); Faßbender, NStZ 1998, 144 (145); Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (975 f.); dies., JICJ 1 (2003), 186 (188); Kelsen, Principles of International Law, S. 230; Koster, Immunität internationaler Richter, S. 68 f.; Kunz, AJIL 41 (1947), 828 (838) (Kelsen und Kunz gehen so gar so weit, daß sie die Existenz eigenständiger di31 32
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Die Staatenimmunität ist von jedem Staat zu beachten, sie wirkt erga omnes. Denn der Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten und damit die Souveränität des Staates, für den eine Handlung vorgenommen wurde, würde durch eine Strafverfolgung einer Person wegen einer für einen anderen Staat vorgenommenen hoheitlich-dienstlichen Handlung unabhängig davon verletzt, um welchen Staat es sich bei dem strafverfolgenden Staat handelt. Wenn – so die Argumentation – also die Staatenimmunität von jedem Staat zu beachten sei, so seien auch die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts als spezialgesetzliche Ausprägungen der Staatenimmunität von Drittstaaten zu beachten.34 Unklar ist allerdings, ob damit eine direkte Geltung der im WÜD und im WÜK normierten Immunitäten ratione materiae auch in Drittstaaten propagiert oder lediglich davon ausgegangen wird, der Regelungsinhalt dieser unmittelbar nur für die Empfangsstaaten verbindlichen Exemtionen gelte in Drittstaaten völkergewohnheitsrechtlich als Ausprägung der Staatenimmunität. d) Bewertung dieser These Schon die Ausgangsüberlegung derjenigen, die für eine Beachtlichkeit der diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae auch für Drittstaaten argumentieren, ist verfehlt. Denn die angenommene Identität der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts mit der Staatenimmunität besteht nicht.35 ___________ plomatischer Immunitäten ratione materiae abstreiten und behaupten, Immunität aufgrund des Diplomatenrechts gebe es nur für private Handlungen); Polakiewicz, ZaöRV 50 (1990), 761 (766); Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 131; van Panhuys, ICLQ 13 (1964), 1193 (1207); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 448 ff.; Wirth, Jura 2000, 70 (71 Fn. 31). Ebenso die Draft Convention on Diplomatic Privileges and Immunities der Harvard Law School von 1932, AJIL 26 (1932), Supplement, 15 (99); ILC-Sonderberichterstatter Zourek in seinen Berichten an die ILC über eine Konsularrechtskonvention von 1957 und 1960; vgl. YBILC 1957 II, 71 (99) und YBILC 1960 II, 2 (10 f.) sowie die Kommentierung des Entwurfs einer Konsularrechtskonvention der ILC von 1961, YBILC 1961 II, 89 (117, 127 f.) (UN-Dokument A/4843). Diese These scheint zudem vertreten zu werden von Cassese, International Law, S. 114 ff.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 42; Freudenberg, Konsularrecht, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 2, 281 (287); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 509 Fn. 11; Verdross, Völkerrecht, S. 332 f.; Verosta, Exterritorialität, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 1, 499 (501, 503); Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 952 f., 960. 34 Doehring, Völkerrecht, Rn. 679 f. mit Fn. 34; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (75 ff., 95 ff.); Faßbender, NStZ 1998, 144 (145); Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (975 f.). Ebenso wohl auch Cassese, International Law, S. 114 ff. 35 So auch BVerfGE 96, 68 (85) = NJW 1998, 50 (53); Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (87 f.); ders., Consular Immunity, S. 49 ff.; Seidenberger, Diplomatische und konsulari-
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Dies wurde bereits oben in § 13 V.2.c)aa) ausführlich erörtert, so daß an dieser Stelle einige kurze Hinweise genügen: Zwar erfassen beide Arten völkerrechtlicher Immunitäten für einen fremden Staat vorgenommene dienstliche Handlungen, so daß auch die Staatenimmunität eine „funktionale Immunität“ bzw. „Immunität ratione materiae“ ist; doch ist schon die Ratio der Immunitäten unterschiedlich. Während die Staatenimmunität ausschließlich die Souveränität des Staates, für den gehandelt wurde, schützen will, sollen die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts darüber hinaus die Funktionsfähigkeit der diplomatischen bzw. konsularischen Vertretungen schützen. Daher ist auch die sachliche Reichweite der Immunitäten unterschiedlich. Während die Staatenimmunität lediglich hoheitlich-dienstliche Handlungen für einen fremden Staat (acta iure imperii) erfaßt und zudem bei bestimmten Arten von Straftaten, etwa Taten, die gegen die Sicherheit und Integrität fremder Staaten gerichtet sind, Ausnahmen erfährt, erfassen die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts nicht nur die hoheitlich-dienstlichen diplomatischen bzw. konsularischen Handlungen, sondern reichen darüber hinaus. Zum Teil erfassen sie sämtliche dienstliche Handlungen, die von Mitgliedern diplomatischer oder konsularischer Vertretungen in ihrer Eigenschaft als Mitglied einer Vertretung vorgenommen werden und zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben beitragen sollen (so die Art. 37 Abs. 3, Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD und Art. 43 Abs. 1 WÜK), zum Teil zwar lediglich die unmittelbaren Amtshandlungen, jedoch auch solche, bei denen nicht von öffentlich-rechtlichen Handlungsformen Gebrauch gemacht wird (so Art. 38 Abs. 1 WÜD und Art. 71 Abs. 1 WÜK). Ausnahmen bei bestimmten Arten von Straftaten erfahren die diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae nicht. Ganz zu Recht hat das BVerfG daher in seinem Beschluß formuliert: „Staatenimmunität und diplomatische Immunität stellen zwei verschiedene Institute des Völkerrechts mit jeweils eigenen Regeln dar, so daß von etwaigen Beschränkungen in einem Bereich nicht auf den anderen geschlossen werden kann. (…) Einem Schluß von der Staatenimmunität auf die diplomatische Immunität ratione materiae steht das personale Element jeder diplomatischen Immunität entgegen, das nicht den Entsendestaat, sondern den Diplomaten als handelndes Organ persönlich schützt.“36
Die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts reichen also im Interesse der Sicherung der Funktionsfähigkeit der diplomatischen bzw. konsularischen Vertretungen in weiten Bereichen über die Staatenimmunität hinaus. Wäre die These der Identität der Immunitäten ratione materiae des Diplomatenund Konsularrechts mit der Staatenimmunität allerdings richtig, so wäre auch die Behauptung, die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts gälten auch in Drittstaaten, (folge-)richtig. Denn die Staatenimmunität ist – ___________ sche Immunitäten, S. 102, 104 ff.; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (447); ders., EJIL 13 (2002), 877 (883 f.). 36 BVerfGE 96, 68 (85) = NJW 1998, 50 (53).
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wie gesagt – für alle Staaten beachtlich. Wären die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts nicht mehr als deklaratorische im WÜD und im WÜK normierte Teilbereiche der Staatenimmunität, so würde sich die Beachtlichkeit der Regelungsinhalte der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts für Drittstaaten bereits aus der für sie verbindlichen Staatenimmunität ergeben. Die Staatenimmunität verpflichtete Drittstaaten dann in demselben Umfang, in dem die Empfangsstaaten durch die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts völkervertraglich bzw. völkergewohnheitsrechtlich verpflichtet wären. Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts als solche allein für die Empfangsstaaten gelten, wäre ihr Regelungsinhalt über die für alle Staaten völkergewohnheitsrechtlich geltende Staatenimmunität auch für Drittstaaten beachtlich, so daß man jedenfalls in der Sache von einer Geltung der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts auch in Drittstaaten sprechen könnte. Mit der Feststellung, daß die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts mit der Staatenimmunität nicht identisch sind, fällt jedoch dieses Gedankengebäude in sich zusammen. Eine Geltung der gegenüber der Staatenimmunität in vielen Aspekten weiterreichenden Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts auch gegenüber Drittstaaten läßt sich weder legitimieren noch de lege lata völkerrechtlich begründen.37 Eine Freistellung der Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit wegen aller diplomatischer bzw. konsularischer Diensthandlungen oder jedenfalls wegen aller Amtshandlungen, wie sie von Art. 37 Abs. 3, Art. 38 Abs. 1 und Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD sowie den Art. 43 Abs. 1 und Art. 71 Abs. 1 WÜK gewährt wird, ist nur gegenüber dem Empfangsstaat geboten. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der diplomatischen und konsularischen Beziehungen ist – wie bereits in § 15 I.1. dargelegt – eine Erstreckung der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts auch auf Drittstaaten nicht erforderlich. Als Personen besonders schutzwürdig sind die Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen in Drittstaaten nur im Falle einer Durchreise; hierfür aber reicht der Schutz durch die von Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK gewährte Unverletzlichkeit aus. Und um dem aus Art. 2 Nr. 1 UN___________ Gegen eine Geltung der Immunitäten ratione materiae in Drittstaaten auch BVerfGE 96, 68 (86 ff.) = NJW 1998, 50 (53 f.); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 107; Schönke/ Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 39; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 34; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 65; Herdegen, Völkerrecht, § 38 Rn. 4; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 18 GVG Rn. 1; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 15; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1030, 1045; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1029); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (447); ders., EJIL 13 (2002), 877 (883 f.). Vgl. auch die Angaben oben in Anm. 6. 37
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Charta resultierenden Verbot einer Strafverfolgung wegen hoheitlich-dienstlicher Handlungen für einen anderen Staat Rechnung zu tragen, ist eine Freistellung der Mitglieder diplomatischer und konsularischer Exemtionen in Drittstaaten lediglich hinsichtlich ihrer hoheitlich-dienstlichen diplomatischen und konsularischen Handlungen erforderlich. Würde man also eine pauschale Verbindlichkeit der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts für Drittstaaten annehmen, so würden die Drittstaaten in einem Maße an der Ausübung ihrer Strafgerichtsbarkeit gehindert, wie es weder zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der diplomatischen Beziehungen noch zur Wahrung fremdstaatlicher Souveränität erforderlich ist und damit Drittstaaten nicht zumutbar wäre. Aber nicht nur aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen des WÜD und des WÜK geht hervor, daß eine Geltung der Immunitäten ratione materiae in Drittstaaten nicht in Betracht kommt. Vielmehr ergibt sich dies auch aus dem Wortlaut einzelner Normen. So spricht Art. 43 Abs. 1 WÜK, der eine Immunität ratione materiae betrifft, nur von einer Immunität gegenüber der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates. Und wenn Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD ohne Differenzierung Diplomaten eine umfassende Immunität ratione personae bloß gegenüber dem Empfangsstaat einräumt, so kann diese räumliche Begrenzung nur so verstanden werden, daß sie auch für die als Teilmenge in der Immunität ratione personae enthaltene Immunität ratione materiae der Diplomaten gelten soll. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch die Formulierung des Art. 54 Abs. 1 WÜK. Wenn dort Konsularbeamten, die nach Art. 43 Abs. 1 WÜK lediglich Immunität ratione materiae genießen, in Drittstaaten, die sie durchreisen, ebenfalls diese Immunität ratione materiae zuerkannt wird, allerdings nur insoweit, als dies für eine sichere Durchreise erforderlich ist, so folgt hieraus, daß die Immunität ratione materiae nicht schon unabhängig von Art. 54 Abs. 1 WÜK und damit ohne die von dieser Vorschrift festgelegten Einschränkung in Drittstaaten gilt. Sonst liefe Art. 54 Abs. 1 WÜK nämlich nicht nur leer, sondern würde auch die von dieser Norm beabsichtigte Beschränkung der Immunität ratione materiae während einer Durchreise durch Drittstaaten unterlaufen. Zu Recht kam das BVerfG deshalb in dem hier betrachteten Fall zu dem Ergebnis, daß eine Geltung der diplomatischen Immunitäten ratione materiae – und gleiches muß für die entsprechenden konsularischen Immunitäten gelten – in Drittstaaten nicht zu begründen ist.38 Das BVerfG wies auch darauf hin, daß die These einer ___________ Vgl. oben Anm. 37. Soweit das BVerfG allerdings als Argument gegen die These einer Geltung der Immunität ratione materiae des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD auch in Drittstaaten anführt, damit würde ein Diplomat nach Dienstbeendigung Immunitäten in größerem Umfang genießen als während seiner Amtszeit, in der ihm Immunität ratione personae nach Art. 31 Abs. 1 WÜD zukomme (vgl. BVerfGE 96, 68 [89 f.] = NJW 1998, 50 [54]), verkennt das Gericht, daß sich die These der Geltung der Immunitäten ratione materiae auch in Drittstaaten nicht nur auf die fortgeltende Immunität des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 38
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Geltung der Immunitäten ratione materiae in Drittstaaten zuvor weder in der Literatur behauptet worden war noch in der Staatenpraxis Unterstützung gefunden hatte. Allerdings erkannte das BVerfG den eigentlichen Kern der von den Gutachtern Doehring und Ress vorgetragenen These, die diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae gälten auch in Drittstaaten, offenbar nicht. Denn das BVerfG ging nicht auf die Überlegung ein, die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts seien mit der Staatenimmunität identisch, so daß ihr Regelungsinhalt als Inhalt der völkergewohnheitsrechtlich für alle Staaten verbindlichen Staatenimmunität für Drittstaaten gelte. Aus den hier angestellten Überlegungen folgt, daß der im zu entscheidenden Fall des ehemaligen syrischen Botschafters einschlägige Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD zwar einer Strafverfolgung durch die DDR entgegenstand, nicht aber für die Bundesrepublik als Drittstaat galt und – mangels Identität dieser Norm mit der Staatenimmunität – ihr Regelungsinhalt auch nicht als Inhalt der als Völkergewohnheitsrecht für die Bundesrepublik verbindlichen Staatenimmunität einer Strafverfolgung durch die Bundesrepublik entgegenstand. Mit diesem Ergebnis steht aber noch nicht fest, daß eine Strafverfolgung des ehemaligen syrischen Botschafters in der Bundesrepublik völkerrechtlich statthaft und die gegen den Haftbefehl eingelegte Verfassungsbeschwerde unbegründet war. Das BVerfG hatte im Anschluß an die Feststellung, daß die Bundesrepublik als Drittstaat nicht verpflichtet war, eine Immunität nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD zu beachten, noch zu untersuchen, ob die der DDR als Empfangsstaat obliegende Pflicht, dem Botschafter für seine als Diensthandlung zu bewertende Handlung auch nach Dienstbeendigung weiterhin Immunität nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD zu gewähren, im Zuge des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik auf die BRD als Rechtsnachfolgerin der DDR übergegangen war, Deutschland also als Rechtsnachfolgerin der DDR völkerrechtlich verpflichtet war, Immunität nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD als eine der DDR obliegende und von ihr übernommene Pflicht zu gewähren. Dies wurde aber zutreffend verneint.39 Die diesbezüglichen Ausführungen des BVerfG wurden bereits oben in § 13 III.2.b)aa) analysiert. Auf die dortigen Ausführungen kann daher an dieser Stelle verwiesen werden. Das BVerfG kam mithin zu dem Ergebnis, daß die Bundesrepublik weder als Drittstaat verpflichtet war, die Immunität des Botschafters nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD zu beachten, da diese fortgeltende Immunität ratione materiae lediglich die ___________ WÜD, sondern auf alle Immunitäten ratione materiae bezieht, also auch auf die, die in der Immunität ratione personae des Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD als Teilmenge enthalten ist. Nach dieser These genoß der beschuldigte syrische Diplomat also nicht erst nach Dienstbeendigung, sondern auch schon während seiner Zeit als Botschafter in der DDR in Drittstaaten Immunität ratione materiae. 39 Vgl. BVerfGE 96, 68 (91 ff.) = NJW 1998, 50 (54 ff.). Ebenso Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 25 Rn. 39. A.A. aber Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (78 ff.).
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DDR verpflichtete, noch die Pflicht der DDR, dem Botschafter nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD Immunität zu gewähren, im Zuge der Staatensukzession übernommen hatte. Hieraus folgte für das BVerfG, daß einer Strafverfolgung des ehemaligen Botschafters wegen der Unterstützung des Sprengstoffanschlags in West-Berlin keine völkerrechtliche Exemtion entgegenstand. Die Verfassungsbeschwerde wurde daher als unbegründet zurückgewiesen.40 Auch wenn die beiden Feststellungen des BVerfG zur Relevanz des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD Unterstützung verdienen, so kann doch der Schlußfolgerung, weil Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD für die Bundesrepublik weder als Drittstaat noch als Rechtsnachfolgerin der DDR beachtlich sei, sei eine Strafverfolgung des ehemaligen Botschafters durch die Bundesrepublik völkerrechtlich zulässig, nicht zugestimmt werden. Denn mit dieser Argumentation verkannte das BVerfG die Bedeutung der Staatenimmunität.41 Es ist zwar richtig, daß eine Exemtion des Diplomatenrechts einer Strafverfolgung durch die BRD in diesem Fall nicht entgegenstand, doch folgte hieraus entgegen der Auffassung des BVerfG noch nicht automatisch, daß damit auch ein Strafverfolgungsverbot aufgrund der Staatenimmunität nicht in Betracht kommen konnte. Es stellt sich nämlich die Frage, ob sich Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen in gleicher Weise wie andere staatliche Funktionsträger gegenüber Drittstaaten auf die Staatenimmunität berufen können und eine Strafverfolgung durch Drittstaaten wegen hoheitlich-dienstlicher diplomatischer bzw. konsularischer Handlungen in gleicher Weise wie wegen anderer hoheitlich-dienstlicher Handlungen aufgrund der Staatenimmunität ausgeschlossen ist. e) Das Verbot einer Verfolgung wegen hoheitlich-dienstlicher diplomatischer oder konsularischer Handlungen durch Drittstaaten aufgrund der Staatenimmunität Es wurde bereits oben in § 13 V.2.b) dargelegt, daß das BVerfG die Auffassung vertritt, im Bereich des Diplomatenrechts und hinsichtlich der Frage der Verfolgbarkeit von Personen, deren Rechtsstellung vom WÜD geregelt ist, scheide ein Rückgriff auf die Staatenimmunität aus. Das BVerfG stellt in seinem hier erörterten Beschluß zunächst fest, die Staatenimmunität greife nur ein, wenn der Staat als solcher Partei eines gerichtlichen Ver___________ Da sich der Beschuldigte aber – wie in der Sachverhaltsschilderung erwähnt – nicht in der Bundesrepublik befand, sondern sich für die deutschen Strafverfolgungsbehörden unerreichbar im Ausland, vermutlich in seinem Heimatstaat Syrien, aufhielt und wohl auch immer noch aufhält, konnte der Haftbefehl bis heute nicht vollstreckt und das Strafverfahren bis heute nicht weiter betrieben werden. 41 So auch Faßbender, NStZ 1998, 144 (145 f.). Kritisch auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 304 Fn. 987. 40
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fahrens sei. Sei hingegen der Diplomat als natürliche Person Partei, so komme nur die diplomatische Immunität in Betracht.42 Liest man diese Sätze, so ist man spontan geneigt zu behaupten, das BVerfG habe übersehen, daß die Staatenimmunität – wie in der Staatenpraxis und in der völkerrechtlichen Literatur anerkannt – nicht nur Verfahren gegen einen fremden Staat als solche wegen seiner hoheitlichen Handlungen untersagt, sondern auch einer Strafverfolgung seiner Organe wegen hoheitlich-dienstlicher Handlungen entgegensteht. Doch zeigt sich, daß ein solches Fehlverständnis nicht vorliegt, sondern das BVerfG lediglich terminologisch differenziert zwischen der Immunität des Staates selbst (die allein als Staatenimmunität bezeichnet wird) und der aus dieser folgenden Immunität der Staatsorgane für ihr hoheitlich-dienstliches Handeln. Diese Staatenimmunität für die Staatsorgane wird vom BVerfG als „Immunität als Staatsorgan“ bezeichnet.43 Das BVerfG führt nämlich weiter aus, der Beschwerdeführer könne sich auch nicht auf eine Immunität als Staatsorgan berufen, die nicht von der Anerkennung durch einen Empfangsstaat abhänge und deshalb erga omnes wirken könnte. Denn neben dem Recht der diplomatischen Immunität sei für Diplomaten ein Rückgriff auf die allgemeine Organimmunität nicht möglich. Das self-contained regime der diplomatischen Immunität gehe als lex specialis der allgemeinen Organimmunität vor.44 Diese These kann jedoch nicht überzeugen.45 Sie wurde schon oben in § 13 V.2.c)bb) ausführlich erörtert und zurückgewiesen. Auf die dort gemachten Ausführungen kann an dieser Stelle verwiesen werden. Wie dort bereits festgestellt, kann man zu sachgerechten Ergebnissen nur dann gelangen, wenn man einen Rückgriff auf die Staatenimmunität auch bei Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen sowie bei diplomatischen und konsularischen hoheitlichdienstlichen Handlungen zuläßt. Dies kann anhand von zwei weiteren fiktiven Fallbeispielen, in denen die „Drittstaatenproblematik“ aufgegriffen wird, nochmals verdeutlicht werden: Zwei an der deutsch-polnischen Grenze tätige Beamte der Bundespolizei werden bei der Kontrolle eines Fahrzeugs, in dem ein polnischer und ein südafrikanischer Staatsbürger sitzen, von diesen mit Waffen bedroht. Sie erschießen daraufhin beide Personen. In Deutschland wird kein Strafverfahren durchgeführt, da die Ermittlungen ergeben, daß die
___________ BVerfGE 96, 68 (90) = NJW 1998, 50 (54). BVerfGE 96, 68 (91) = NJW 1998, 50 (54). 44 BVerfGE 96, 68 (91) = NJW 1998, 50 (54). 45 Wie hier auch MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 107 f.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 107; Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 86; Dinstein, ICLQ 15 (1966), 76 (89); ders., Consular Immunity, S. 55; Doehring/Ress, AVR 37 (1999), 68 (76): Faßbender, NStZ 1998, 144 (145 f.); van Panhuys, ICLQ 13 (1964), 1193 (1206 ff.); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (447); ders., EJIL 13 (2002), 877 (883 f.). Siehe auch Denza, Diplomatic Law, S. 342. 42 43
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Beamten gerechtfertigt von der Schußwaffe Gebrauch gemacht haben. Später wird einer der Beamten versetzt und ist nun mit dem Status eines Mitglieds des dienstlichen Hauspersonals einer diplomatischen Mission als Wachmann bei der deutschen Botschaft in Südafrika tätig. Die polnischen sowie die südafrikanischen Strafverfolgungsbehörden möchten beide Beamte wegen Totschlags anklagen und einen Haftbefehl erlassen. Eine Strafverfolgung des Beamten, der weiterhin in der Bundesrepublik tätig ist, scheitert an der ihm zukommenden Staatenimmunität. Denn die Tat ist als hoheitlich-dienstliche Handlung für die Bundesrepublik zu bewerten. Würde man der Auffassung des BVerfG von der Exklusivität der diplomatischen Exemtionen folgen, so dürfte der mittlerweile als Wachmann an der Botschaft in Südafrika tätige Beamte dagegen sowohl in Südafrika als auch in Polen strafrechtlich verfolgt werden. Denn ihm steht eine Exemtion nach dem WÜD im Empfangsstaat Südafrika nicht zu. Die Immunität ratione materiae des Art. 37 Abs. 3 WÜD, die ihm zukommt, gilt nur für dienstliche Handlungen im Rahmen der Tätigkeit bei der Botschaft, nicht für zeitlich vorher begangene dienstliche Handlungen. Und hinsichtlich einer Strafverfolgung durch Polen folgte bereits aus der Tatsache, daß es sich bei dem Beamten um ein Mitglied einer diplomatischen Vertretung handelt, die Rechtsstellung solcher Personen ausschließlich vom WÜD bestimmt wird und dieses keine Exemtionen in Drittstaaten vorsieht, daß die Strafverfolgung völkerrechtlich zulässig wäre. Dies bedeutete, daß der mittlerweile bei der Botschaft eingesetzte Bundespolizeibeamte allein deshalb verfolgt werden dürfte, weil er Mitglied einer diplomatischen Vertretung geworden ist. Eine solche Schlechterstellung des Beamten und der Bundesrepublik als Schutzobjekt der Staatenimmunität kann nicht gewollt sein. Der Beamte, der mittlerweile als Wachmann bei der deutschen Botschaft in Südafrika tätig ist, wird dort von seinem ehemaligen Kollegen, der weiterhin an der deutschpolnischen Grenze stationiert ist, im Rahmen einer privaten Urlaubsreise besucht. Als der Wachmann ihm gerade die Räumlichkeiten der Botschaft zeigt, wird diese von usamerikanischen Demonstranten gestürmt. Als ausgebildeter Polizeibeamter wird der als Privatmann anwesende Kollege vom Botschafter gebeten, bei der Räumung der Botschaft mitzuhelfen. Gemeinsam mit dem Wachmann bringt er die Demonstranten unter Anwendung körperlicher Gewalt nach draußen, dabei wird einer der US-Bürger verletzt. Überlegt man nun, ob us-amerikanische Strafverfolgungsbehörden ein Strafverfahren gegen die beiden Bundespolizeibeamten einleiten dürfen, so ist festzustellen, daß ein Verfahren gegen den als Privatmann mithelfenden Beamten ausscheidet; dieser kommt in den Genuß der Staatenimmunität der Bundesrepublik Deutschland, da sein Verhalten ein der Bundesrepublik zuzurechnendes hoheitlich-dienstliches Handeln war. Folgte man der Auffassung des BVerfG, so könnte sein als Wachmann bei der Botschaft tätiger Kollege dagegen von den USA strafrechtlich verfolgt werden. Er genießt für sein Verhalten zwar gegenüber der Strafgerichtsbarkeit Südafrikas nach Art. 37 Abs. 3 WÜD Immunität, doch gilt diese nicht in den USA als Drittstaat. Damit würde er wiederum gegenüber seinem Kollegen allein deshalb schlechter gestellt, weil er Mitglied einer diplomatischen Vertretung ist. Auch hier führt nur ein Rückgriff auf die Staatenimmunität zu dem sachgerechten Ergebnis einer Unzulässigkeit einer Strafverfolgung durch die USA hinsichtlich beider Beamter.
Während Doehring und Ress fälschlicherweise von einer Identität der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts mit der Staatenimmunität ausgehen und so zu dem unzutreffenden Ergebnis kommen, daß Drittstaaten Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen in dem gleichen Umfang Immunität ratione materiae gewähren müßten wie die Empfangsstaaten, also den Umfang der von Drittstaaten zu gewährenden Immunität zu weit bemessen, macht das BVerfG den Fehler, von einer Exklusivität der diplomatischen und konsulari-
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schen Exemtionen auszugehen und damit den Umfang der von Drittstaaten zu gewährenden Immunität zu gering zu bemessen. Richtigerweise gelten die diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae – von den Spezialregelungen für eine Durchreise in Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK abgesehen – nur im Empfangsstaat, während in Drittstaaten für die Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen in gleicher Weise wie für jedes andere Staatsorgan die Staatenimmunität gilt.46 Das BVerfG hätte in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren des ehemaligen syrischen Botschafters also noch prüfen müssen, ob die für die Bundesrepublik in gleicher Weise wie für jeden anderen Staat beachtliche Staatenimmunität einer Strafverfolgung des Botschafters wegen des Syrien zuzurechenden Verhaltens entgegenstand. Gegen die hier vertretene Auffassung kann nicht vorgebracht werden, durch die Geltung der Staatenimmunität für Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen in Drittstaaten werde im Ergebnis doch eine Drittwirkung der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts erzielt. Denn der Regelungsumfang beider Arten völkerrechtlicher Immunitäten ratione materiae ist unterschiedlich: Die Staatenimmunität ist durch die Beschränkung auf acta iure imperii und durch die Ausnahmen für bestimmte Arten von Straftaten enger als die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts.47 Dies zeigt sich gerade auch an dem hier betrachteten Fall des syrischen Botschafters. Die DDR durfte – wie gezeigt – gegen den Botschafter auch nach Beendigung seiner dienstlichen Tätigkeit kein Strafverfahren durchführen; dem stand die fortgeltende Immunität ratione materiae des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD entgegen. In der Bundesrepublik als Drittstaat konnte und kann sich der Botschafter aber lediglich auf die Staatenimmunität berufen. Das dem Botschafter vorgeworfene Verhalten – die Billigung einer Entfernung des Sprengstoffs aus den Räumlichkeiten der Mission und damit die Unterstützung eines Sprengstoffanschlags einer Terroristengruppe in West-Berlin – ist zwar als hoheitlich-dienstliche Handlung für den Staat Syrien zu bewerten. Der Botschafter war durch ein Telegramm der syrischen Botschaft ausdrücklich aufgefordert worden, die Terroristengruppe zu unterstützten. Dies erfolgte durch die Verwahrung des Sprengstoffs und das spätere Zulassen einer Entfernung der Tasche mit dem Sprengstoff aus den Räumlichkeiten der Mission. Aber dennoch stand die Staatenimmunität einer Strafverfolgung durch die Bundesrepublik nicht entgegen. Denn wie oben in § 7 III. gezeigt, erfährt die ___________ So auch MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 107 f.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 107; Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 86. 47 Daher kann auch das vom BVerfG angeführte Argument, ein Rückgriff auf die „Organimmunität“ bei Nichteingreifen der diplomatischen Immunität würde die bestehenden Beschränkungen der diplomatischen Immunität sinnlos machen (BVerfGE 96, 68 (91) = NJW 1998, 50 (54), nicht überzeugen. 46
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Staatenimmunität bei geheimdienstlichen Gewalttaten eine völkerrechtlich anerkannte Ausnahme. Und dieser Ausnahme unterfallen auch terroristische Gewaltakte, die in staatlichem Auftrag bzw. mit staatlicher Unterstützung verübt werden. Die Entscheidung des BVerfG ist also im Ergebnis zutreffend. Die Bundesrepublik Deutschland war und ist, da die Staatenimmunität ausnahmsweise nicht gilt, völkerrechtlich nicht an einer Strafverfolgung des ehemaligen syrischen Botschafters gehindert. Der Haftbefehl wurde völkerrechtskonform erlassen. Die Verfassungsbeschwerde war unbegründet. 5. Fazit der Überlegungen zur Geltung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen gegenüber Drittstaaten Die diplomatischen und konsularischen Exemtionen gelten, sofern nicht im WÜD und WÜK explizit Ausnahmen vorgesehen sind, nur im jeweiligen Empfangsstaat und setzen allein einer Strafverfolgung durch den jeweiligen Empfangsstaat Schranken. Auch die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts gelten nicht in Drittstaaten. Als Ausnahme ist im WÜD und im WÜK lediglich die Pflicht für Drittstaaten normiert, bestimmten Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen im Fall einer ihnen erlaubten Durchreise durch das eigene Hoheitsgebiet eine beschränkte Unverletzlichkeit zu gewähren. Allerdings müssen auch Drittstaaten das aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten folgende Verbot beachten, Personen wegen hoheitlichdienstlicher Handlungen für einen anderen Staat der eigenen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen. Die Staatenimmunität gilt erga omnes und unabhängig vom Status der handelnden Person – von gewissen Ausnahmen für bestimmte Straftaten abgesehen – für sämtliche hoheitlich-dienstliche Handlungen, die für einen anderen Staat vorgenommen werden. Eine Strafverfolgung von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen durch Drittstaaten scheidet daher aufgrund der Staatenimmunität aus, sofern die ihnen vorgeworfene Tathandlung als eine von der Staatenimmunität geschützte hoheitlich-dienstliche Handlung für einen anderen Staat einzustufen ist, und zwar auch dann, wenn die Handlung gleichzeitig als diplomatische oder konsularische Diensthandlung für den Entsendestaat zu klassifizieren ist. Die Feststellung, daß Drittstaaten zwar nicht an die diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione materiae gebunden sind, wohl aber Mitglieder in anderen Staaten errichteter diplomatischer und konsularischer Vertretungen wegen ihrer hoheitlich-dienstlichen (diplomatischen oder konsularischen) Handlungen aufgrund der Staatenimmunität nicht verfolgen dürfen, ist von besonderem Interesse für die Frage der Zulässigkeit einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen und (sonstiger) schwerer Menschenrechtsverletzungen. Wie oben in § 14 gezeigt, schützen die diplomatischen und konsularischen Exemtionen auch vor
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einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen und schwerer Menschenrechtsverletzungen. Die diplomatischen und konsularischen Exemtionen hindern den Empfangsstaat also selbst dann an einer Strafverfolgung von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen, wenn es um den Vorwurf der Begehung völkerrechtlicher Verbrechen geht. Die Staatenimmunität dagegen erfährt unter anderem bei völkerrechtlichen Verbrechen und (sonstigen) schweren Menschenrechtsverletzungen eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme.48 Drittstaaten, die gegenüber Mitgliedern in anderen Staaten errichteter diplomatischer und konsularischer Vertretungen nur an die Staatenimmunität gebunden sind, dürfen diese Personen daher wegen völkerrechtlicher Verbrechen und (sonstiger) schwerer Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zu Verantwortung ziehen, auch soweit es sich – wie das typischerweise bei solchen Taten der Fall ist – um in staatlichem Auftrag begangene Taten und damit um hoheitlich-dienstliches Verhalten handelt.
II. Bedeutung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen für internationale Strafgerichtshöfe Bislang ging es in diesem Teil der Untersuchung ausschließlich um die Frage, inwieweit diplomatische und konsularische Exemtionen einer Strafverfolgung durch den Empfangsstaat und durch Drittstaaten, also durch nationale Strafgerichtsbarkeiten, entgegenstehen. Nunmehr ist zu klären, ob bzw. inwieweit die diplomatischen und konsularischen Exemtionen den Kompetenzen internationaler Strafgerichtshöfe Schranken setzen. Wie schon bei der Analyse der Relevanz der Staatenimmunität für supranationale Gerichte oben in § 9 geht es auch hier konkret zum einen um die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs nach dem Römischen Statut und zum anderen um die Gerichtsbarkeit der UN-Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda. Da den diplomatischen und konsularischen Exemtionen aber für die UN-Strafgerichtshöfe wegen der sachlich, zeitlich und örtlich beschränkten Zuständigkeit dieser Gerichte aller Voraussicht nach keine praktische Relevanz zukommen wird, soll schwerpunktmäßig die Bedeutung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen für den IStGH analysiert werden. 1. Bedeutung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen für den Internationalen Strafgerichtshof Die Strafgewalt des IStGH erstreckt sich nach Art. 5 IStGH-Statut auf Völkermord (Art. 6), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7) und Kriegsverbrechen ___________ 48
Vgl. oben § 6.
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(Art. 8) sowie vorbehaltlich einer Einigung der Vertragsstaaten über die Definition der „Aggression“ auch auf dieses Verbrechen. Die Zuständigkeit des IStGH ist also beschränkt auf völkerrechtliche Verbrechen. Damit ist es eher unwahrscheinlich, daß die diplomatischen und konsularischen Exemtionen für den IStGH eine Rolle spielen werden. Denn wie oben in § 13 I. gezeigt, genießen die meisten Personen, denen von WÜD und WÜK Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zuerkannt werden, lediglich Immunität ratione materiae. Deren Schutzbereich erstreckt sich aber nicht auf jegliches dienstliches Handeln, sondern nur auf solches, das während der Zeit der dienstlichen Tätigkeit als Mitglied einer Vertretung vorgenommen wird und der Erfüllung diplomatischer oder konsularischer Aufgaben im Sinne des Art. 3 WÜD bzw. Art. 5 WÜK dienen soll.49 Es ist mithin kaum eine Konstellation vorstellbar, bei der die Begehung eines völkerrechtlichen Verbrechens in den Schutzbereich einer Immunität ratione materiae des Diplomaten- oder Konsularrechts fällt.50 Den Diplomaten, den Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission und ihren Familienangehörigen kommt zwar gemäß Art. 31 Abs. 1 Satz 1 und Art. 37 Abs. 1 und 2 WÜD während ihrer Amtszeit umfassende Immunität ratione personae zu, unabhängig davon, ob es sich bei dem ihnen als strafbar vorgeworfenen Verhalten um eine diplomatische Diensthandlung, eine sonstige Aktivität für einen fremden Staat oder eine private Tätigkeit handelt und unabhängig davon, ob die Handlung vor oder während der Dienstzeit als Mitglied einer Vertretung bzw. vor Erlangung oder während des Innehabens des Status als Familienangehöriger begangen wurde. Doch gelten, wie oben in § 13 III. gezeigt wurde, die Immunitäten ratione personae nur während der Zeit der dienstlichen Tätigkeit eines Diplomaten oder Mitglieds des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission. Allein bei einer Strafverfolgung eines amtierenden Diplomaten oder Mitglieds des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission bzw. eines Familienangehörigen einer solchen Person dürfte mithin die Frage einer Geltung diplomatischer und konsularischer Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen praktische Relevanz erlangen können. Für den Bereich der Strafverfolgung durch nationale Gerichte wurde diese Frage beantwortet: Der Empfangsstaat ist durch die Exemtionen an einer Strafverfolgung gehindert, da diese keine Ausnahme für besonders schwere Taten bzw. völkerrechtliche Verbrechen kennen.51 Drittstaaten dagegen dürfen eine diplomatische oder konsularische Exemtionen genießende Person wegen völkerrechtlicher Verbrechen strafrechtlich verfolgen, da sie generell durch die diplomatischen und konsularischen Exemtionen nicht verpflich___________ 49 50 51
Vgl. hierzu oben § 13 II. Vgl. hierzu schon oben § 14 I.1.a). Vgl. oben § 14 I.2.
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tet werden.52 Doch wie ist diese Frage bezüglich der Gerichtsbarkeit des IStGH zu beantworten? a) Der generelle Exemtionsausschluß durch Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut Das Römische Statut gibt auf die hier aufgeworfene Frage eine klare und eindeutige Antwort. Wie schon bei der Erörterung der Relevanz der Staatenimmunität für den IStGH oben in § 9 II.2.a) dargelegt wurde, ist nach Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut jegliche amtliche Eigenschaft oder Immunität für den Gerichtshof unerheblich; dies gilt auch für sämtliche diplomatische und konsularische Exemtionen.53 Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut lautet in der amtlichen deutschen Übersetzung: „Immunitäten oder besondere Verfahrensregeln, die nach innerstaatlichem Recht oder nach dem Völkerrecht mit der amtlichen Eigenschaft einer Person verbunden sind, hindern den Gerichtshof nicht an der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit über eine solche Person.“54
Doch wäre es ebenso wie in bezug auf die Staatenimmunität auch im Hinblick auf die diplomatischen und konsularischen Exemtionen verfehlt, sich mit der Feststellung zu begnügen, daß Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut völkerrechtliche Exemtionen generell nicht anerkennt.55 Denn es gilt zu fragen, ob ein solcher genereller Ausschluß diplomatischer und konsularischer Exemtionen überhaupt völkerrechtlich zulässig und damit rechtswirksam ist. b) Völkerrechtliche Zulässigkeit des Ausschlusses diplomatischer und konsularischer Exemtionen durch Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut Bezüglich der Zulässigkeit eines Ausschlusses diplomatischer und konsularischer Exemtionen durch Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut gilt es zu differenzieren zwischen einerseits der Fallkonstellation, daß der Entsendestaat, also der Staat, um dessen gegenwärtige oder ehemalige Auslandsvertreter es geht und in dessen Interesse bzw. als dessen Recht die diplomatischen und konsularischen Exemtionen gewährt werden, Vertragsstaat des Römischen Statuts ist, und andererseits der Fallkonstellation, daß Strafgerichtsbarkeit über eine Person ausgeübt werden soll, ___________ Vgl. oben § 15 I.5. Vgl. Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (978, 990 ff.); Triffterer, in: ders. (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 27 Rn. 11 ff., 22. 54 ILM 37 (1998), 999 (1017) = BGBl. 2000 II, S. 1393 (1414) = BT-Drucks. 14/2682, S. 9 (29). Die verbindliche englische Fassung lautet: “Immunities or special procedural rules which may attach to the official capacity of a person, whether under national or international law, shall not bar the Court from exercising its jurisdiction over such a person.” Internetquelle: (31.3.2006). 55 So aber Triffterer, in: ders. (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 27 Rn. 11 ff., 20 ff. (insb. Rn. 22). 52 53
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deren Entsendestaat das Römische Statut nicht ratifiziert hat, also an dieses nicht völkervertraglich gebunden ist. aa) Erste Fallgruppe: Der Entsendestaat ist Vertragsstaat des Römischen Statuts Diese Fallkonstellation ist unproblematisch. Wenn der Entsendestaat eines aktiven oder ehemaligen Auslandsvertreters, der vom IStGH verfolgt werden soll, Vertragsstaat ist, dann bereitet es keine Schwierigkeiten, die Völkerrechtskonformität und Anwendbarkeit des Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut zu bejahen, also die Irrelevanz diplomatischer und konsularischer Exemtionen festzustellen. Denn ein (Entsende-)Staat, der das Statut ratifiziert, erkennt damit dessen Normen als für sich verbindlich an und erklärt sich daher auch mit Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut einverstanden. Er bringt durch die Ratifikation konkludent zum Ausdruck, daß die ihm zustehenden und seiner Disposition unterliegenden (diplomatischen und konsularischen) Exemtionen seiner Auslandsvertreter für die Gerichtsbarkeit des IStGH keine Rolle spielen sollen. Man kann insofern von einem „Verzicht“ des Entsendestaates sprechen.56 bb) Zweite Fallgruppe: Der Entsendestaat ist nicht Vertragsstaat des Römischen Statuts Die Art. 12 f. IStGH-Statut lassen es zu, daß der IStGH Personen verfolgt, die gegenwärtige oder ehemalige diplomatische oder konsularische Vertreter von Staaten sind, die das Statut nicht ratifiziert haben. So reicht es nach Art. 12 lit. a) IStGH-Statut für die Gerichtsbarkeit des IStGH aus, wenn das einer Person vorgeworfene völkerrechtliche Verbrechen im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates begangen wurde. Es ist also beispielsweise denkbar, daß der Gerichtshof ein Verfahren gegen einen Diplomaten eines Nichtvertragsstaates betreibt, dem vorgeworfen wird, in einem Vertragsstaat vor der Zeit seiner dienstlichen Tätigkeit als Diplomat im Rahmen seiner früheren Tätigkeit als Soldat ein Kriegsverbrechen begangen zu haben. Könnte sich demgegenüber der Entsendestaat mit Erfolg darauf berufen, ein Strafverfahren sei wegen der diplomatischen Immunität ratione personae des Beschuldigten unzulässig, denn er (der Entsendestaat) habe dem Exemtionsausschluß des Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut nicht zugestimmt? Nach dem Wortlaut des Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut kann dieser Einwand keine Rolle spielen, da diese Norm nicht zwischen Exemtionen von Funktionsträgern von Vertragsstaaten und solchen von Nichtvertragsstaaten differenziert. Doch könnte ___________ 56 Siehe zu dieser „Verzichtsargumentation“, die für alle völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit in gleicher Weise gilt, bereits oben § 9 II.2.b)aa). Vgl. allgemein zur Möglichkeit des Entsendestaates, auf die diplomatischen und konsularischen Exemtionen zu verzichten, oben § 13 IV.
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Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut insoweit, als er auch Exemtionen von Auslandsvertretern von Nichtvertragsstaaten für unbeachtlich erklärt, als nach Art. 34 WVRK unzulässige Vertragsklausel zu Lasten dritter Staaten unwirksam sein. Bei der Erörterung der Frage, ob die Staatenimmunität einer Strafverfolgung von Beschuldigten durch den IStGH entgegensteht, die das ihnen vorgeworfene völkerrechtliche Verbrechen im Auftrag eines Nichtvertragsstaates bzw. diesem zurechenbar verübt haben, konnte argumentiert werden, daß die Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen, also solchen Taten, die der Gerichtsbarkeit des IStGH unterfallen, eine Ausnahme erfährt, mithin von vornherein nicht gilt und damit auch nicht durch Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut Drittstaaten gegenüber völkerrechtswidrig mißachtet werden kann.57 Eine solche Ausnahme gibt es bezüglich der diplomatischen und konsularischen Exemtionen jedoch – wie oben in § 14 I. gezeigt wurde – nicht. Auf den ersten Blick erscheint es dennoch einfach, die Beachtlichkeit diplomatischer und konsularischer Exemtionen für den IStGH auch in Fällen zu verneinen, in denen es um Beschuldigte geht, deren Entsendestaat nicht Vertragsstaat des IStGH ist. Man könnte argumentieren, die Exemtionsregelungen des WÜD und WÜK sowie des parallelen Völkergewohnheitsrechts richteten sich lediglich an Staaten; nur Staaten – nämlich der jeweilige Empfangsstaat und für den Fall einer Durchreise von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen durch Drittstaaten auch diese – würden durch die Exemtionsregelungen des Diplomatenund Konsularrechts verpflichtet.58 Der IStGH ist jedoch kein staatliches, sondern ein supranationales Gericht. Einer Strafverfolgung durch den IStGH könnten daher die an Staaten adressierten Immunitätsregelungen des Diplomaten- und Konsularrechts von vornherein keine Schranke setzen.59 Doch greift diese Argumentation deutlich zu kurz. Dieser Gedankengang wurde schon oben in § 9 II.2.b) bezogen auf die Staatenimmunität zurückgewiesen; die dortigen Ausführungen gelten für die diplomatischen und konsularischen Exemtionen entsprechend: Der Internationale Strafgerichtshof ist zwar ein supranationales Gericht, jedoch ein solches, das durch einzelne Staaten, die das Statut ratifiziert haben, gegründet worden ist und von diesen einzelnen Staaten getragen wird. Damit muß sich aber auch die Kompetenz des IStGH auf die völkerrechtlichen Kom___________ Vgl. oben § 9 II.2.b)bb). Vgl. oben § 15 I. 59 So wohl der Gedankengang von Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 44 und Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (991). Im Hinblick auf die Staatenimmunität (und zum Teil auch in bezug auf sonstige Immunitäten ratione materiae) argumentieren ebenso Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1018, 1129; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 39; Gaeta, JICJ 1 (2003), 186 (194); Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 14 III. 3.; Jones/Powles, International Criminal Practice, 6.2.66; König, Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 400; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 455 Fn. 415. 57 58
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petenzen der Vertragsstaaten zurückführen bzw. aus deren Kompetenzen ableiten lassen. Der IStGH kann nur so viele Kompetenzen haben, wie die einzelnen Vertragsstaaten zusammen besitzen. Die Vertragsstaaten können einem von ihnen gegründeten bzw. getragenen Gericht nur die Strafverfolgungskompetenzen verleihen, die sie selbst haben. Die maximale Strafverfolgungskompetenz eines durch völkerrechtlichen Vertrag gegründeten Gerichts kann also die Summe der Kompetenzen der Vertragsstaaten nicht überschreiten. Wenn daher mehrere Staaten, die alle wegen einer von ihnen zu beachtenden völkerrechtlichen Exemtion an einer Strafverfolgung eines Beschuldigten durch eigene staatliche Gerichte gehindert sind, gemeinsam ein supranationales Gericht gründen, so können sie diesem keine Kompetenz zur Verfolgung dieser Person zusprechen und ist mithin auch dieses internationale Gericht wegen der Exemtion an einer Strafverfolgung gehindert, selbst wenn die Exemtion ausdrücklich nur Staaten und nicht supranationale Instanzen verpflichtet. Aber selbst dann, wenn nur einer der Vertragsstaaten eines supranationalen Gerichts aufgrund einer völkerrechtlichen Exemtion an einer Strafverfolgung einer bestimmten Person gehindert ist, die anderen Vertragsstaaten jedoch aus sonstigen Gründen eine Strafverfolgung nicht durchführen dürfen, etwa weil die Tat aus ihrer Sicht eine Auslandstat ist, die mangels eines legitimen Anknüpfungspunkts für die Ausübung von Strafgewalt und damit mangels völkerrechtlicher Erlaubnis zu einer entsprechenden extraterritorialen Erstreckung der eigenen Strafgewalt nicht ihrer eigenen Strafkompetenz unterfällt, darf ein von diesen Staaten getragenes supranationales Gericht keine Strafverfolgung durchführen. Denn ein Vertragsstaat ist aufgrund der Exemtion an einer Strafverfolgung gehindert, die anderen aufgrund fehlender völkerrechtlicher Befugnis zur Erfassung der Tat von der eigenen Strafgewalt, so daß keiner der Vertragsstaaten eine Strafverfolgungskompetenz dem internationalen Gerichtshof „übertragen“ kann. In diesen Feststellungen liegt aber zugleich der Schlüssel für die Erkenntnis, daß die diplomatischen und konsularischen Exemtionen einer Strafverfolgung durch den IStGH auch dann nicht entgegenstehen, wenn der Entsendestaat des Beschuldigten nicht Vertragsstaat des Statuts ist. Denn wie oben in § 15 I. erörtert, verpflichten die diplomatischen und konsularischen Exemtionen nur einen Staat, nämlich den jeweiligen Empfangsstaat.60 Die diplomatischen und konsularischen Exemtionen, auch die Immunitäten ratione materiae, wirken nicht erga omnes, sondern sind für Drittstaaten – von der hier nicht interessierenden Pflicht, durchreisenden Auslandsvertretern beschränkte Unverletzlichkeit zu gewähren, abgesehen – irrelevant. Dies heißt, daß nur der jewei___________ 60 Allenfalls kann ein weiterer Staat, nämlich der Staat, in dem sich eine vom WÜD bzw. vom WÜK geschützte Person während einer Durchreise aufhält, an strafprozessualen Zwangsmaßnahmen aufgrund diplomatischer bzw. konsularischer Exemtionen gehindert sein.
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lige Empfangsstaat aufgrund diplomatischer oder konsularischer Exemtionen gehindert sein kann, dem IStGH eine Strafverfolgungskompetenz zu verleihen und der IStGH seine Ahndungskompetenz nicht auf eine von diesem Staat (der selbst an einer Verfolgung des konkreten Beschuldigten gehindert ist) an ihn delegierte Strafverfolgungskompetenz stützen kann. Völkerrechtliche Verbrechen können jedoch – wie oben in § 14 I. ausgeführt – unabhängig vom Tatort und der Staatsangehörigkeit des Täters grundsätzlich von jedem Staat nach dem Weltrechtsprinzip geahndet werden.61 Wenn aber grundsätzlich jeder Staat jedes völkerrechtliche Verbrechen strafrechtlich ahnden darf, so haben dann, wenn der Empfangsstaat durch eine diplomatische oder konsularische Exemtion an einer Strafverfolgung wegen eines bestimmten völkerrechtlichen Verbrechens gehindert ist, stets noch alle anderen Staaten eine Strafverfolgungskompetenz. Da der IStGH von vielen Staaten getragen wird, nämlich von all denen, die sein Statut ratifiziert haben, kann der IStGH seine Strafkompetenzen aus den Kompetenzen einer Vielzahl von Staaten ableiten. Wenn daher allenfalls einer der Vertragsstaaten, nämlich der Empfangsstaat, in einem konkreten Fall aufgrund diplomatischer und konsularischer Exemtionen an einer Strafverfolgung gehindert sein kann, so kann der IStGH seine Strafverfolgungskompetenz und die Zulässigkeit einer Ausübung seiner Gerichtsbarkeit in diesem Fall immer noch auf die parallelen Strafverfolgungskompetenzen aller übrigen Vertragsstaaten stützen. Wenn der IStGH ein Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung eines Staates, der nicht Vertragsstaat des Gerichtshof-Statuts ist, gemäß Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut ohne Rücksicht auf diplomatische oder konsularische Exemtionen verfolgt, so übt er also lediglich eine Strafgerichtsbarkeit aus, die – mit der möglichen Ausnahme eines Staates, nämlich des Empfangsstaates – auch die (anderen) Vertragsstaaten selbst in völkerrechtlich legaler Weise ausüben könnten. Allenfalls ein Staat – der Empfangsstaat des diplomatischen oder konsularischen Auslandsvertreters – kann an einer eigenen Strafverfolgung gehindert sein. Doch in diesem Fall reicht die Strafverfolgungskompetenz der übrigen Vertragsstaaten aus, damit auch der IStGH in völkerrechtlich legaler Weise Strafgerichtsbarkeit ausüben darf. Damit stellt die Regelung des Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut bezogen auf die von ihr festgelegte Irrelevanz diplomatischer und konsularischer Exemtionen hinsichtlich diplomatischer und konsularischer Vertreter aus Nichtvertragsstaaten keine unzulässige Vertragsbestimmung zu Lasten dritter Staaten dar. Es kann also auch für den Fall, daß der Entsendestaat eines gegenwärtigen oder früheren Mitglieds einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung, deren Strafverfolgung durch den IStGH in Frage steht, nicht Vertragsstaat des Statuts ist, festgehalten werden, daß die Regelung des Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut unproble___________ 61 Siehe zur Ahndungskompetenz der Staaten bei völkerrechtlichen Verbrechen Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 252 ff.
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matisch ist und mithin auch bei dieser Fallkonstellation diplomatische und konsularische Exemtionen keine Rolle spielen können.62 c) Fazit: Irrelevanz diplomatischer und konsularischer Exemtionen für den IStGH Als Ergebnis ist festzustellen, daß die diplomatischen und konsularischen Exemtionen generell einer Strafverfolgung durch den IStGH nicht entgegenstehen; und zwar unabhängig davon, ob die beschuldigte Person Auslandsvertreter eines Mitgliedstaates des Römischen Statuts oder aber eines Staates ist, der das Statut nicht ratifiziert hat. Diplomatische und konsularische Exemtionen sind für den IStGH irrelevant.63 Doch gilt diese Feststellung nur insoweit, als es um Strafverfolgungsmaßnahmen des IStGH selbst geht, also um die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit durch den IStGH. Da die diplomatischen und konsularischen Exemtionen den jeweiligen Empfangsstaat auch dann binden, wenn es um völkerrechtliche Verbrechen geht, sind sie im Zusammenhang mit Strafverfolgungen durch den IStGH dann (doch) von Relevanz, wenn es um Maßnahmen von Empfangsstaaten zur Unterstützung der Tätigkeit des IStGH geht, also um Rechtshilfemaßnahmen für den IStGH durch Empfangsstaaten nach Teil 9 des IStGH-Statuts.64 ___________ So auch schon Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 365 sowie in Ansätzen Wirth, CLF 12 (2001), 429 (448 f.). Die Behauptung von Wirth, a.a.O., S. 453, diplomatische Immunitäten ratione personae von Diplomaten aus Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts seien auch für den IStGH beachtlich und Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut sei insofern einschränkend zu interpretieren, geht allerdings nach dem hier Gesagten fehl. Denn auch die diplomatischen Immunitäten ratione personae verpflichten Drittstaaten nicht und hindern daher diese nicht, eine ihnen bei völkerrechtlichen Verbrechen nach dem Weltrechtsprinzip zukommende Strafverfolgungskompetenz auf den IStGH zu übertragen. Siehe hierzu schon Kreicker, a.a.O., S. 365 mit Fn. 1586. Die hier entwickelte Begründung der Irrelevanz diplomatischer und konsularischer Exemtionen für die Gerichtsbarkeit des IStGH ist natürlich auch einschlägig bei einer Strafverfolgung von diplomatischen bzw. konsularischen Vertretern von Vertragsstaaten des Statuts. Hinsichtlich dieser Vertreter läßt sich die Zulässigkeit einer Strafverfolgung also sowohl mit dem Argument eines „Einverständnisses“ des Entsendestaates aufgrund der Ratifikation des Statuts als auch mit dem hier entwickelten Argument begründen. Für den Fall, daß der IStGH seine Gerichtsbarkeit gemäß Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ausübt, läßt sich die Irrelevanz diplomatischer und konsularischer Exemtionen sogar noch mit einer dritten Argumentationslinie begründen. Vgl. hierzu unten Anm. 71. 63 So auch Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (990 ff.); Triffterer, in: ders. (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 27 Rn. 11 ff., 20 ff. (insb. Rn. 22). Generell für eine Irrelevanz diplomatischer Exemtionen für internationale Gerichte Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 44. 64 Vgl. Triffterer, in: ders. (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 27 Rn. 24, 26, der darauf hinweist, daß die aufgrund völkerrechtlicher Exemtionen fehlende Kompetenz einzelner Staaten zur Festnahme und Überstellung von Beschuldigten oder zur Erbringung sonstiger Rechtshilfeleistungen in der Praxis dazu führen kann, daß der IStGH 62
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Die Empfangsstaaten dürfen wegen der für sie beachtlichen diplomatischen und konsularischen Exemtionen Rechtshilfemaßnahmen, die ja auch Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit sind, nur ergreifen, wenn der Beschuldigte keine diplomatische oder konsularische Exemtion für die Tat genießt, wegen der die Rechtshilfemaßnahmen durchgeführt werden sollen (also nur dann, wenn der Empfangsstaat, wollte er eine eigene Strafverfolgung durchführen, hieran nicht durch diplomatische und konsularische Exemtionen gehindert wäre). Daher sieht Art. 98 Abs. 1 IStGH-Statut vor, daß der Gerichtshof kein Überstellungs- oder Rechtshilfeersuchen stellen darf, das von dem ersuchten Staat verlangen würde, in bezug auf Immunitäten entgegen seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen zu handeln.65 Auf diesen Aspekt wird unten in § 23 VI.2.b) im Zusammenhang mit der Erörterung der Auswirkungen völkerrechtlicher Exemtionen auf die Zulässigkeit von Rechtshilfemaßnahmen detailliert eingegangen.66 Hingewiesen sei abschließend noch darauf, daß dann, wenn der Empfangsstaat aufgrund einer diplomatischen oder konsularischen Exemtion an der Ausübung eigener Strafgerichtsbarkeit wegen eines völkerrechtlichen Verbrechens gehindert ist, die Voraussetzungen des Komplementaritätsprinzips des Art. 17 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut vorliegen und damit der IStGH tätig werden darf. Denn der Empfangsstaat ist in einem solchen Fall aufgrund der diplomatischen bzw. konsularischen Exemtion „unvermögend“, selbst eine Strafverfolgung durchzuführen.67
___________ seine Gerichtsbarkeit über Personen nicht ausüben kann, die völkerrechtliche Exemtionen genießen. Doch liegt dies dann nicht daran, daß der IStGH an einer Ausübung seiner Gerichtsbarkeit aufgrund der Exemtionen gehindert wäre, sondern daran, daß einzelne Staaten für ein Verfahren unabdingbare Rechtshilfeleistungen nicht erbringen können. 65 Vgl. Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (992 ff.). 66 In diesem Zusammenhang sei zudem darauf hingewiesen, daß einige Staaten mit den USA sogenannte Nichtüberstellungsabkommen geschlossen haben, in denen sich die betreffenden Staaten verpflichtet haben, US-Bürger nicht an den IStGH zu überstellen. Auch diese Abkommen können im Einzelfall trotz Irrelevanz diplomatischer und konsularischer Exemtionen für den IStGH einer Strafverfolgung von Mitgliedern diplomatischer oder konsularischer Vertretungen durch den Gerichtshof entgegenstehen. Da diese Abkommen in erster Linie auf einen Schutz US-amerikanischer Soldaten abzielen, soll auf sie näher erst unten in § 20 VI.3.a)bb) eingegangen werden; auf die dortigen Ausführungen wird verwiesen. 67 Ebenso Triffterer, in: ders. (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 27 Rn. 25. Vgl. auch Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (991).
§ 15 Geltung gegenüber Drittstaaten und internationalen Strafgerichten
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2. Bedeutung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen für die UN-Strafgerichtshöfe a) Der generelle Exemtionsausschluß durch Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut Die Statuten der UN-Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda sehen ebenso wie das Römische Statut vor, daß sämtliche völkerrechtliche Exemtionen, also auch die diplomatischen und konsularischen Exemtionen, für eine Strafverfolgung durch die UN-Strafgerichtshöfe ohne Bedeutung sind. Wie schon oben in § 9 II.1.a) ausgeführt, legen Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut wortgleich fest: „Die amtliche Stellung eines Beschuldigten, sei er Staats- oder Regierungschef oder hoher Regierungsbeamter, enthebt den Betreffenden nicht seiner strafrechtlichen Verantwortung und mindert auch seine Strafe nicht.“68
b) Die völkerrechtliche Zulässigkeit des Exemtionsausschlusses Der durch Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut festgelegte Exemtionsausschluß ist auch insofern völkerrechtlich statthaft, als er sich auf diplomatische und konsularische Exemtionen bezieht;69 er greift nicht in völkerrechtlich unzulässiger Weise in die Rechtspositionen von Entsendestaaten ein. Begründet werden kann die Völkerrechtskonformität der Festlegung der Irrelevanz der diplomatischen und konsularischen Exemtionen für den ICTY und ICTR mit den gleichen Argumenten, mit denen oben in § 9 I.2.b)aa) die Völkerrechtskonformität des Exemtionsausschlusses in bezug auf die Staatenimmunität bejaht wurde: Die UN-Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda wurden nicht wie der IStGH auf der Basis eines von einzelnen Staaten geschlossenen und ratifizierten völkerrechtlichen Vertrags errichtet, sondern auf der Basis von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates gemäß Kapitel VII UN-Charta. Dem System und den Befugnissen der Vereinten Nationen aber haben sich durch Ratifikation der UN-Charta nahezu alle Staaten der Welt unterworfen.70 Gemäß Art. 24 Abs. 1 ___________ Dt. Übers. in BT-Drucks. 13/57, S. 16 (24) bzw. BT-Drucks. 13/7953, S. 18 (20). Die verbindliche englische Fassung lautet: “The official position of any accused person, whether as Head of State or Government or as a responsible Government official, shall not relieve such person of criminal responsibility nor mitigate punishment.” Vgl. ILM 32 (1993), 1192 (1194) = BT-Drucks. 13/57, S. 14 (16) bzw. ILM 33 (1994), 1602 (1604) = BT-Drucks. 13/7953, 18 (20). Internetquellen: bzw. (31.3.2006). 69 Zur Völkerrechtskonformität des Ausschlusses der Staatenimmunität durch Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut siehe oben § 9 I.2.b). 70 Die einzigen Staaten, die nicht Mitglieder der UN sind, sind die Demokratische Arabische Republik Westsahara, die Republik China (Taiwan) und Vatikanstadt. Im September 2002 ist auch die Schweiz UN-Mitglied geworden. Vgl. zum Ratifizierungsstand im Internet (31.3.2006). 68
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
UN-Charta haben die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen dem Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit übertragen und anerkannt, daß der Sicherheitsrat bei der Wahrnehmung der sich aus dieser Verantwortung ergebenden Pflichten in ihrem Namen handelt. Nach Art. 25 UN-Charta sind die UN-Mitgliedstaaten verpflichtet, die Beschlüsse des Sicherheitsrates im Einklang mit dieser Charta anzunehmen und durchzuführen. Die Staaten haben sich damit sozusagen antizipiert den Maßnahmen des Sicherheitsrates unterworfen und akzeptiert, daß durch diese gegebenenfalls in eigene Rechtspositionen eingegriffen wird. Daher konnte der UN-Sicherheitsrat in den Statuten die Unbeachtlichkeit diplomatischer und konsularischer Exemtionen festschreiben.71 Problematisch ist diese Argumentation lediglich in bezug auf die wenigen Staaten, die nicht Mitglieder der Vereinten Nationen sind. Aus deren Sicht handelt es sich bei den Vereinten Nationen um eine durch einen völkerrechtlichen Vertrag einzelner Staaten gegründete internationale Organisation, die genauso wenig wie einzelne Staaten über die ihnen als Nichtvertragsstaaten zustehenden völkerrechtlichen Rechtspositionen verfügen kann. Doch gilt insofern die Argumentation, die oben in § 15 II.1.b)bb) in bezug auf den IStGH entwickelt worden ist, für die UNStrafgerichtshöfe entsprechend. c) Fazit: Irrelevanz diplomatischer und konsularischer Exemtionen für die UN-Strafgerichtshöfe Als Ergebnis kann festgehalten werden, daß die diplomatischen und konsularischen Exemtionen auch einer Strafverfolgung durch die UN-Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda nicht entgegenstehen. ___________ So auch Akande, AJIL 98 (2004), 407 (417); Gaeta, JICJ 1 (2003), 186 (192); Klingberg, GYIL 46 (2003), 537 (546); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 242 f. Fn. 752; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (442). Die Feststellung, daß die diplomatischen und konsularischen Exemtionen deshalb gegenüber Maßnahmen der Vereinten Nationen keine Relevanz haben (es sei denn, es handelt sich um diplomatische bzw. konsularische Vertreter aus einem der drei Staaten, die nicht Mitglieder der UN sind), weil sich die Staaten verpflichtet haben, Eingriffe in ihre völkerrechtlichen Rechtspositionen aufgrund von UNMaßnahmen zuzulassen, hat auch für die Zulässigkeit einer Strafverfolgung durch den IStGH Bedeutung: Nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut hat der IStGH auch dann Gerichtsbarkeit über völkerrechtliche Verbrechen, wenn „die Situation“ dem Ankläger vom UNSicherheitsrat durch eine Resolution nach Kapitel VII UN-Charta unterbreitet wurde. In einem solchen Fall ist eine Strafverfolgung durch den IStGH vom UN-Sicherheitsrat legitimiert und findet gewissermaßen in dessen Auftrag statt. Dann kann als Begründung für die Irrelevanz diplomatischer und konsularischer Exemtionen für die Gerichtsbarkeit des IStGH zusätzlich zu den oben in § 15 II.1.b) entwickelten Argumenten angeführt werden, daß sich die Entsendestaaten, sofern sie UN-Mitglieder sind, allen Maßnahmen der UN – mithin auch einer Delegation einer Strafverfolgung an den IStGH – antizipiert unterworfen haben und sie deshalb eine Nichtbeachtung der ihnen zustehenden diplomatischen und konsularischen Exemtionen ihrer Auslandsvertreter durch den im Auftrag der UN handelnden IStGH ebenso akzeptieren müssen wie eine Nichtbeachtung unmittelbar durch UN-Organe, sprich durch die UN-Strafgerichtshöfe. 71
§ 16 Sachbezogene Exemtionen
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§ 16 Sachbezogene diplomatische und konsularische Exemtionen Die bisherigen Ausführungen zu den diplomatischen und konsularischen Exemtionen haben sich ausschließlich mit den strafrechtlich relevanten Vorrechten und Befreiungen befaßt, die Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen sowie gewissen Familienangehörigen als Person zukommen, also sie persönlich von einer strafrechtlichen Inanspruchnahme freistellen. Neben diesen personenbezogenen Exemtionen normieren das Diplomaten- und Konsularrecht noch strafrechtlich relevante Befreiungen, die einen rein sachlichen Bezug haben. Denn das Ziel der Exemtionen, den diplomatischen und konsularischen Vertretungen eine von hoheitlichen Maßnahmen des Empfangsstaates unbeeinträchtigte Tätigkeit zu ermöglichen, kann nicht allein durch die personenbezogenen Exemtionen erreicht werden. Die Funktionsfähigkeit diplomatischer und konsularischer Vertretungen wäre nicht nur bei einer strafrechtlichen Verfolgung ihrer Mitglieder, sondern – vielfach sogar in noch stärkerem Maße – auch dann gefährdet, wenn der Empfangsstaat ohne Einverständnis des Entsendestaates die Räumlichkeiten einer Vertretung durchsuchte, Einrichtungsgegenstände oder amtliche Schriftstücke beschlagnahmte, sich vom Inhalt der Korrespondenz und der Akten Kenntnis verschaffte oder das Kuriergepäck kontrollierte. Ihre völkerrechtlich legitimierten Aufgaben können die Vertretungen nur dann erfüllen, wenn der Entsendestaat sicher sein kann, daß der Empfangsstaat nicht im Wege der Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen die Tätigkeit einer Vertretung beeinträchtigt oder sogar beeinflußt bzw. von der Arbeit als solcher Kenntnis erlangt. Diesem Ziel dienen die Regeln über die Unverletzlichkeit von Räumlichkeiten, Archiven, Schriftstücken und amtlicher Korrespondenz sowie des Kuriergepäcks. Diese nachfolgend zu betrachtenden Bestimmungen des WÜD und des WÜK untersagen jeweils die Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen, stehen also beispielsweise einer Durchsuchung und einer Beschlagnahme von geschützten Räumlichkeiten und beweglichen Sachen entgegen. Doch sind bei der Festlegung und vor allem der Interpretation von Exemtionen mit sachlichem Bezug auch die Interessen des Empfangsstaates im Auge zu behalten. Dieser hat ein berechtigtes Interesse daran, daß in den Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen keine Aktivitäten entfaltet werden, die die Sicherheit des Empfangsstaates und seiner Bürger gefährden. So besteht ein legitimes Interesse des Empfangsstaates zu verhindern, daß der Schutz solcher Räumlichkeiten mißbraucht wird, um dort Spionagetätigkeiten zu entfalten oder terroristische Gruppierungen zu unterstützen, etwa durch Bereitstellung von Räumen für konspirative Treffen oder zur Lagerung von Waffen und Sprengstoffen. Hinsichtlich des Kuriergepäcks besteht ein grundsätzlich legitimes Interesse des Empfangsstaates, durch Kontrollmaßnahmen zu verhindern, daß diese Möglichkeit des Warenverkehrs genutzt wird, um rechtswidrig Gegenstände ein- oder auszufüh-
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
ren oder sicherheitsgefährdende Waren zu verschicken. Ähnlich wie bei den personenbezogenen Exemtionen gilt es also, die zum Teil konfligierenden, aber jeweils dem Grunde nach berechtigten Interessen der beteiligten Staaten in einen sinnvollen Ausgleich zu bringen.
I. Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen 1. Die Differenzierung zwischen positiver und negativer Unverletzlichkeit Die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen hat ebenso wie die persönliche Unverletzlichkeit von Mitgliedern einer Vertretung einen positiven und einen negativen Aspekt. Die positive Unverletzlichkeit gebietet dem Empfangsstaat, die Räumlichkeiten, das heißt das Gelände und die Gebäude von diplomatischen und konsularischen Vertretungen,1 vor Beeinträchtigungen durch private Dritte zu schützen. In Art. 22 Abs. 2 WÜD heißt es, der Empfangsstaat habe die besondere Pflicht, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Räumlichkeiten der Mission vor jedem Eindringen und jeder Beschädigung zu schützen und zu verhindern, daß der Friede der Mission gestört oder ihre Würde beeinträchtigt wird.2 Art. 31 Abs. 3 und Art. 59 ___________ 1 Für die diplomatischen Missionen enthält Art. 1 lit. i) WÜD eine Legaldefinition des Begriffs „Räumlichkeiten“. Der Ausdruck „Räumlichkeiten der Mission“ bezeichnet danach ungeachtet der Eigentumsverhältnisse die Gebäude oder Gebäudeteile und das dazugehörige Gelände, die für die Zwecke der Mission verwendet werden, einschließlich der Residenz des Missionschefs. Es werden also von diesem Begriff zum einen das Grundstück, auf dem sich die Mission befindet, zum anderen die Verwaltungsgebäude und die Residenz (das Gebäude bzw. der Gebäudeteil, in dem sich die Repräsentationsräume und die privaten Wohnräume des Missionschefs befinden), umfaßt, allerdings nur insoweit, als das Grundstück und die Gebäude tatsächlich für die Zwecke der Mission genutzt werden. Wenn also für eine Mission lediglich eine Etage in einem Bürohochhaus genutzt wird, ist nur diese Etage die „Räumlichkeit der Mission“. Unerheblich ist, ob die Räumlichkeiten im Eigentum des Entsendestaates stehen oder von diesem lediglich angemietet sind. Vgl. auch Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 494 Fn. 4 und den Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (95) (UNDokument A/3859). Der Begriff „konsularische Räumlichkeiten“ ist demgegenüber enger; er wird in Art. 1 Abs. 1 lit. j) WÜK legaldefiniert. Der Ausdruck „konsularische Räumlichkeiten“ bezeichnet danach ungeachtet der Eigentumsverhältnisse die Gebäude oder Gebäudeteile und das dazugehörende Gelände, die ausschließlich für die Zwecke der konsularischen Vertretung genutzt werden. 2 Vgl. den kommentierten Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (95) (UN-Dokument A/3859), den ILC-Entwurf für eine Konsularrechtskonvention von 1961, YBILC 1961 II, 89 (109) (UN-Dokument A/4843) sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. III.A.1.
§ 16 Sachbezogene Exemtionen
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WÜK legen dem Empfangsstaat die gleiche Pflicht für konsularische Vertretungen auf, und zwar sowohl für Berufs- als auch für Honorarkonsulate.3 Zwar folgt aus diesen Schutzgeboten nicht, daß der Empfangsstaat jegliche politische Demonstration vor einem Botschafts- oder Konsulatsgebäude zu verbieten und gegebenenfalls aufzulösen hat. Doch hat er dafür Sorge zu tragen, daß Demonstranten nicht auf das Gelände der Vertretung und in deren Gebäude eindringen oder diese in irgendeiner Form beschädigen. Ebenso hat er Zugangsblockaden zu verhindern bzw. aufzulösen und sicherzustellen, daß nicht durch Transparente oder auf sonstige Weise beleidigende oder unsachliche Kritik zum Ausdruck gebracht wird bzw. die Mitglieder der Vertretung nicht durch Lautsprecher oder ähnliches bei der Verrichtung ihrer Tätigkeit behindert werden.4 Auch gegen Angriffe von Einzelpersonen sind die Vertretungen zu schützen. Dies kann unter Umständen bestimmte bauliche Sicherheitsmaßnahmen oder die Bewachung der Umgebung durch Sicherheitspersonal verlangen. Auf diese Schutzpflicht des Empfangsstaates braucht aber im Rahmen dieser Untersuchung nicht weiter eingegangen zu werden. Hier ist lediglich der negative Aspekt der Unverletzlichkeit von Interesse, der gegen die Räumlichkeiten einer Vertretung gerichtete oder in diesen stattfindende hoheitliche Maßnahmen, vor allem die Vornahme von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen, verbietet.
___________ 3 Vgl. auch IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (30 f.); Denza, Diplomatic Law, S. 135 ff.; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 268 ff. Es ist in der Vergangenheit mehrfach vorgekommen, daß geschützte Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen in Deutschland von Demonstranten besetzt wurden und die Polizei – auf Bitten des Leiters der betroffenen Vertretung – die besetzten Vertretungen gewaltsam geräumt hat. Vgl. etwa die Sachverhaltsdarstellung zu OLG Köln, NJW 1982, 2740 (2740). Das OLG Köln billigte die Verurteilung eines der Besetzer wegen Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) und betonte, bei den Räumen einer ausländischen Mission oder eines Konsulats handele es sich, soweit diese nicht als Wohnung dienten, um Geschäftsräume i.S.d. § 123 StGB. Hiergegen aber Bernsmann, StV 1982, 578 (578 ff.). 4 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 289; Denza, Diplomatic Law, S. 140 ff.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 62; Higgins, AJIL 79 (1985), 641 (650 f.); Lee, Consular Law and Practice, S. 406 ff.; Lewis, State and Diplomatic Immunity, S. 147 f.; Murswiek, JuS 1997, 153 (156); Polakiewicz, ZaöRV 50 (1990), 761 (771); Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 48, 148 f.; Selbmann, DÖV 2004, 947 (948 ff.); Tölle/Pallek, DÖV 2001, 547 (550, 553). Demonstrationen und Kundgebungen, bei denen in sachlicher Form und ohne die Arbeitsfähigkeit einer Vertretung zu beeinträchtigen (etwa durch Mahnwachen und Transparente) auf Menschenrechtsverletzungen oder schwere Umweltzerstörungen im betreffenden Staat aufmerksam gemacht wird, verletzen die Unverletzlichkeit der Vertretung nicht, zumal sich der betroffene Staat insoweit nicht (mehr) darauf berufen kann, es werde der Bereich seiner inneren Angelegenheiten berührt. Insofern besteht auch keine Schutzpflicht des Empfangsstaates, solche Versammlungen zu unterbinden. Ähnlich Selbmann, DÖV 2004, 947 (948 f.).
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2. Die negative Unverletzlichkeit a) Zugehörigkeit der geschützten Räumlichkeiten zum Staatsgebiet des Empfangsstaates und Geltung des Rechts des Empfangsstaates Nach heute nahezu einhellig vertretener und zutreffender Auffassung sind und bleiben die im Empfangsstaat gelegenen Grundstücke und Gebäude diplomatischer und konsularischer Vertretungen Teil des Staatsgebiets des Empfangsstaates, sind also aus dessen Sicht „Inland“ und nicht etwa ein Teil des Staatsgebiets des Entsendestaates. Sie sind auch nicht im Wege einer Fiktion als Teil des Staatsgebiets des Entsendestaates zu betrachten.5 Die gegenteilige Auffassung wurde zwar früher als sogenannte „Exterritorialitätstheorie“ vertreten, weil man glaubte, nur durch die Annahme, die Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen seien Bestandteil des Staatsgebiets des Entsendestaates oder zumindest im Wege einer Fiktion als solcher zu bewerten, erklären zu können, warum der Empfangsstaat dort seine Hoheitsgewalt nicht ausüben dürfe. Da staatliches Handeln in fremdem Staatgebiet ohne Einwilligung des betroffenen Staates gegen dessen Gebietshoheit verstoße und deshalb völkerrechtswidrig sei,6 sei – so der Gedankengang – auch die Ausübung von Hoheitsgewalt in den Räumlichkeiten fremder Vertretungen unzulässig.7 Doch wurde die Exterritorialitätstheorie bereits im 19. Jahrhundert als zu weitgehend kritisiert. Denn sie würde nicht nur dazu führen, daß dem Empfangsstaat die Ausübung von Hoheitsgewalt in den Räumlichkeiten, also die “jurisdiction to enforce”, untersagt wäre, sondern seine territorial bezogenen Rechtsnormen könnten dort keine materielle Geltung entfalten, der Empfangsstaat hätte nicht einmal ___________ RGSt 3, 70 (71); RGSt 69, 54 (55 f.); OLG Köln, NJW 1982, 2740 (2740); OLG Köln, NStZ 2000, 39 (40); MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 10; Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 15; American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 466 Comment a); Berber, Völkerrecht, Bd. I, S. 288 f.; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 288, 320, 385; Doehring, Völkerrecht, Rn. 676; Schönke-Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 31; Fischer, in: Tröndle/Fischer, vor § 3 Rn. 19; LK-StGBGribbohm, vor § 3 Rn. 292; Herdegen, Völkerrecht, § 38 Rn. 1; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 181; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, vor § 18 GVG Rn. 1; KK-OWiG-Rogall, § 5 Rn. 19; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 282; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1016; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 736; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 895; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1040). Ebenso auch schon Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 156 ff. 178 ff.; Binding, Handbuch des Strafrechts, 1. Bd., S. 407. A.A. aber AK-StGBLemke, vor § 3 Rn. 31; NK-StGB-Lemke, vor § 3 Rn. 56, der die im Ausland gelegenen Dienst- und Wohngebäude deutscher Diplomaten als Inland betrachtet. 6 Vgl. hierzu Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 217, 318, 326; Doehring, Völkerrecht, Rn. 88 f.; Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 69; Schönke/ Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 1; Herdegen, Völkerrecht, § 23 Rn. 2 f.; Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Abschn. Rn. 6, 16. 7 Vgl. hierzu oben § 11 I.2.b) und § 12 VI.1. 5
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eine territorial bezogene “jurisdiction to prescribe” (Rechtssetzungsgewalt). Für das Strafrecht hieße dies, daß die materiellen Strafnormen in den inmitten des Staatsgebiets des Empfangsstaates gelegenen Räumlichkeiten nicht nach dem Territorialitätsprinzip gelten würden, also dort begangene Taten nur dann und insoweit nach dem Recht des Empfangsstaates strafbar wären, wenn und soweit dieses die Taten auch als Auslandstaten der Geltung des eigenen Strafrechts unterwirft. Eine derart weitgehende Freistellung der Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen von der Jurisdiktionsgewalt des Empfangsstaates kann aber nicht gerechtfertigt werden. Die oben beschriebenen mit den sachlichen Befreiungen verfolgten Zwecke lassen sich bereits dadurch erreichen, daß die Räumlichkeiten von der Ausübung von Staatsgewalt, also der “jurisdiction to enforce” (Vollzugsgewalt), freigestellt werden.8 Die materielle Strafgewalt (jurisdiction to prescribe) des Empfangsstaates ist daher in bezug auf Taten, die auf dem Gelände und in den Gebäuden diplomatischer und konsularischer Vertretungen begangen werden, durch die Unverletzlichkeitsregelungen des WÜD und des WÜK in keiner Weise beschränkt.9 Für das Strafrecht und auf Deutschland bezogen bedeutet dies, daß Taten, die in den geschützten Räumlichkeiten in Deutschland errichteter diplomatischer und konsularischer Vertretungen begangen werden, im deutschen Staatsgebiet verübt werden und damit im „Inland“ im Sinne des § 3 StGB. Für alle auf dem Gelände und in den Gebäuden dieser Vertretungen begangenen Taten gilt also das deutsche Strafrecht nach dem Territorialitätsprinzip des § 3 StGB.10 Daraus folgt beispielsweise, daß eine Person, die innerhalb eines Botschaftsgebäudes eine Tat verübt, etwa einen Diebstahl oder ein Tötungsdelikt, sich nach deutschem Strafrecht strafbar macht und außerhalb der geschützten Räumlichkeiten – soweit sie nicht durch eine personenbezogene Exemtion geschützt ist – verfolgt werden darf, ferner, daß außerhalb der geschützten Räumlichkeiten sämtliche Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit einschließlich einer Verhaftung vorgenommen werden dürfen. Wenn daher auch heute noch von der „Exterritorialität“ der Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen gesprochen wird, so darf dieser Begriff nicht zu falschen Schlußfolgerungen verleiten. Heutzutage steht der Begriff der Exterritorialität von Räumlichkeiten weder für eine (fiktive) Nichtzugehörigkeit von ___________ So auch schon Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 161. Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 288; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 60; George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (118); Herdegen, Völkerrecht, § 38 Rn. 1; SeidlHohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1016. 10 RGSt 3, 70 (71); RGSt 69, 54 (55); OLG Köln, NJW 1982, 2740 (2740); LR-StPOBöttcher, § 18 GVG Rn. 7; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 288; LKStGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 292, 342; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 18; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 5; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1016; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 895; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1040). So auch schon Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 178. 8 9
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Grundstücken und Gebäuden zum Staatsgebiet des Staates, in dem sie sich befinden, noch für eine Freistellung vom Geltungsbereich der gesamten Rechtsordnung und damit auch der materiellen Strafgewalt. Mit dem Begriff „Exterritorialität“ werden heutzutage lediglich Räumlichkeiten gekennzeichnet, in denen dem Territorialstaat die Ausübung von Hoheitsgewalt und damit auch von Strafgerichtsbarkeit einschließlich der Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen untersagt ist. b) Unzulässigkeit der Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen Auch wenn die geschützten Grundstücke und Gebäude diplomatischer und konsularischer Vertretungen Bestandteil des Staatsgebiets des Empfangsstaates sind und dort die Rechtsnormen Empfangsstaates gelten, so untersagen das WÜD und das WÜK diesem doch die Ausübung von Hoheitsgewalt einschließlich von Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit (jurisdiction to enforce) – und damit auch die Vornahme von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen – in den geschützten Räumlichkeiten. Allerdings sind nicht alle diplomatischen und konsularischen Räumlichkeiten in gleichem Umfang geschützt. Es ist vielmehr zu differenzieren zwischen den Räumlichkeiten diplomatischer Missionen, denen von Berufskonsulaten und denen von Wahlkonsulaten. aa) Unverletzlichkeit von Räumlichkeiten diplomatischer Missionen Die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten diplomatischer Missionen ist in Art. 22 WÜD geregelt. In Art. 22 Abs. 1 heißt es: „Die Räumlichkeiten der Mission sind unverletzlich. Vertreter des Empfangsstaates dürfen sie nur mit Zustimmung des Missionschefs betreten.“
Weiter heißt es in Art. 22 Abs. 3 WÜD: „Die Räumlichkeiten der Mission, ihre Einrichtung und die sonstigen darin befindlichen Gegenstände sowie die Beförderungsmittel der Mission genießen Immunität von jeder Durchsuchung, Beschlagnahme, Pfändung oder Vollstreckung.“
Bezogen auf die hier interessierende Ausübung von Strafgerichtsbarkeit ist festzuhalten, daß zunächst einmal sämtliche Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit, die mit einem Betreten der Räumlichkeiten verbunden sind, untersagt sind.11 Zu den ___________ IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (36, 40); BVerfGE 15, 25 (35) = NJW 1963, 435 (437); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 289; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 60; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 494; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 18; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (414 f.); ders., Internationales Strafrecht, Rn. 531; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 111; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 736; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1040 f.). Vgl. auch den Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (95) (UN11
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von Art. 22 WÜD geschützten Räumlichkeiten gehören dabei gemäß Art. 1 lit. i) WÜD das Grundstück der Mission, das oder die Verwaltungsgebäude sowie die Residenz des Missionschefs, also seine Privat- und Repräsentationsräume.12 In diesen Räumlichkeiten dürfen keinerlei strafprozessuale Maßnahmen vorgenommen werden; vielmehr ist bereits ein Betreten zur Vornahme von strafprozessualen Maßnahmen ohne Einwilligung des Entsendestaates untersagt. Die Räumlichkeiten selbst und die darin befindlichen Gegenstände dürfen nicht (nach §§ 102 f. StPO) durchsucht oder (nach § 94 StPO) beschlagnahmt werden.13 Auch die Installation von Aufzeichnungsgeräten, Mikrophonen und sogenannten „Wanzen“ nach § 100c Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO ist untersagt.14 Es dürfen auch keinerlei strafprozessuale Maßnahmen gegen Personen ergriffen werden, die sich in den Räumlichkeiten aufhalten, unabhängig davon, ob es sich um Mitglieder der Mission oder um Besucher oder sonstige Personen handelt. Solange sich Personen in den Räumlichkeiten befinden, dürfen sie beispielsweise weder (nach §§ 81a, 81c oder §§ 102 f. StPO) durchsucht oder untersucht noch (nach §§ 112 ff. StPO) verhaftet werden.15 So darf die Polizei des Empfangsstaates beispielsweise eine Person, die während einer Verfolgung auf das Gelände einer Botschaft flüchtet, dort ___________ Dokument A/3859); das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPOPfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. III.A.2 und Abschn. V.A.1. sowie Nr. 199 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV); abgedr. u.a. in MeyerGoßner, Strafprozessordnung, Anhang Nr. 12. 12 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 16 ff. sowie den ILC-Entwurf von 1958, YBILC 1958 II, 89 (95) (UN-Dokument A/3859). Die privaten Wohnräume von sonstigen Mitgliedern diplomatischer Missionen sind damit nicht durch Art. 22 WÜD vor strafprozessualen Zwangsmaßnahmen geschützt. Vgl. aber für die Privaträume von Diplomaten unten § 16 II. 13 Siehe LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 7; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 342; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 18; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 5; den Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (95) (UN-Dokument A/3859), das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. III.A.2., V.A.1. sowie Nr. 199 II der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV); abgedr. u.a. in Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Anhang Nr. 12. 14 Denza, Diplomatic Law, S. 145, 179 ff.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 60; Hildner, Unterworfenheit des Diplomaten unter die Verwaltungshoheit, S. 129; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 494 Fn. 14; Polakiewicz, ZaöRV 50 (1990), 761 (772, 787); Salmon, Manuel de Droit Diplomatique, S. 197. Malanczuk, Introduction to International Law, S. 126 meint dagegen, solche Maßnahmen seien “contrary to the spirit of the Convention, but (…) probably too widespread to be regarded as illegal”. 15 Vgl. das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. III.A.2; Nr. 199 II der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV); abgedr. u.a. in Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Anhang Nr. 12, sowie LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 7; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 342; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 18; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 5.
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
nicht weiter verfolgen und festnehmen. Die Polizeibeamten dürfen das Grundstück ohne Einwilligung des Entsendestaates nicht einmal betreten.16 Allerdings genießen Personen allein aufgrund der Tatsache ihres Aufenthalts in den geschützten Räumlichkeiten keine eigenständige Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Sie partizipieren lediglich an der Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten. Daher genießen sie die Freiheit von strafprozessualer Zwangsgewalt aufgrund der Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten auch nur so lange, wie sie sich in diesen aufhalten. Wenn und sobald die in dem genannten Beispielsfall auf das Botschaftsgelände geflüchtete Person das Gelände wieder verläßt, sei es freiwillig, sei es zwangsweise aufgrund von Maßnahmen von Mitgliedern der Mission, etwa nach einer Festnahme durch deren Wachleute, darf sie außerhalb des Geländes jederzeit von Organen des Empfangsstaates verhaftet werden. Die negative Unverletzlichkeit des Art. 22 Abs. 1 Satz 1 WÜD beschränkt sich nicht in einem Betretungsverbot und einem Verbot der Vornahme von Durchsuchungen, Untersuchungen, Beschlagnahmen und Verhaftungen in den Räumlichkeiten. Die Auflistungen in Art. 22 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 WÜD haben lediglich Beispielscharakter. Bedenkt man den oben geschilderten Zweck der sachbezogenen Exemtionen, so müssen alle solchen strafprozessualen Maßnahmen durch die Unverletzlichkeit des Art. 22 Abs. 1 Satz 1 WÜD verboten sein, die – auch wenn zu ihrer Vornahme die Räumlichkeiten nicht betreten werden – dazu führen können, daß der Empfangsstaat unmittelbar Kenntnis erlangt von dem, was in den Räumlichkeiten vor sich geht. Untersagt sind Maßnahmen, die aufgrund einer Einwirkung auf die Räumlichkeiten dem Empfangsstaat (möglicherweise) Aufschluß geben über die Inhalte der in den Räumlichkeiten der Mission verrichteten diplomatischen Tätigkeiten. Dies bedeutet, daß auch eine Überwachung der Telefonverbindungen der Mission nach § 100a StPO unzulässig ist, da hierdurch die in den Missionsgebäuden gesprochenen Worte abgehört werden können. Auch Maßnahmen nach § 100c StPO sind, soweit das Innere der Räumlichkeiten einer Mission betroffen wird, verboten.17 Es dürfen also nicht nur in den Räumlichkeiten keine Abhöreinrichtungen installiert werden, sondern es dürfen auch in diesen geführte Gespräche nicht durch Einsatz von Richtmikrophonen oder durch eine Überwachung der Telefonanschlüsse von außerhalb abgehört und aufgezeichnet werden. Generell sind durch die Unverletzlichkeit alle technischen Maßnahmen verboten, die eine akustische oder vi-
___________ Vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (36); Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1042 f.) sowie den ILC-Entwurf von 1958, YBILC 1958 II, 89 (95) (UN-Dokument A/3859). 17 Hildner, Unterworfenheit des Diplomaten unter die Verwaltungshoheit, S. 129. A.A. Polakiewicz, ZaöRV 50 (1990), 761 (772). 16
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suelle Wahrnehmung des Geschehens innerhalb der geschützten Räumlichkeiten ermöglichen.18 Ein Verbot der Überwachung der Telefonanschlüsse diplomatischer Missionen ergibt sich unabhängig von der Unvereinbarkeit solcher Maßnahmen mit Art. 22 Abs. 1 Satz 1 zudem auch aus Art. 27 Abs. 1 Satz 1 WÜD. Diese Norm verpflichtet den Empfangsstaat, den freien Verkehr der Mission mit Regierungsstellen des Entsendestaates sowie mit anderen diplomatischen Missionen und konsularischen Vertretungen des Entsendestaates – unabhängig davon, ob diese sich innerhalb oder außerhalb des Empfangsstaates befinden – zu gewährleisten und zu schützen. Die „Freiheit der Verkehrs“ schützt alle Formen der Kommunikation mit den genannten Stellen zu amtlichen Zwecken, also alle Arten der Kommunikation im Rahmen der Wahrnehmung diplomatischer Aufgaben. Die Gewährleistung eines freien Verkehrs verlangt vom Empfangsstaat aber nicht nur, daß er der Mission die Nutzung von Telefon-, Telefax- oder Internetverbindungen nicht untersagt bzw. diese nicht beeinträchtigt, sondern verbietet auch die Kontrolle der Kommunikationsmittel.19 Denn Sinn der Kommunikationsfreiheit des Art. 27 Abs. 1 Satz 1 WÜD ist es vor allem, der Mission die Möglichkeit zu geben, die Aufgaben im Empfangsstaat ohne Beeinträchtigung durch den Empfangsstaat wahrnehmen zu können. Eine sinnvolle
___________ 18 Untersagt sind allerdings nur solche Maßnahmen, die durch den Einsatz besonderer technischer Mittel eine Wahrnehmung ermöglichen, die ohne diese nicht möglich wäre. Die bloße Aufzeichnung von Wahrnehmungen, die auch ohne technische Mittel gemacht werden können, also beispielsweise das Fotografieren eines Raumes durch eine Scheibe von außen oder die Aufnahme von Stimmen, die durch ein geöffnetes Fenster einer Mission nach außen dringen, wird nicht durch Art. 22 Abs. 1 Satz 1 WÜD untersagt. Vgl. aber auch Doehring, Völkerrecht, Rn. 496. 19 Ebenso Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 273; Denza, Diplomatic Law, S. 179 ff.; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 336 ff. A.A. Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 498 Fn. 3; Polakiewicz, ZaöRV 50 (1990), 761 (774 f.). Wie hier für die parallelen Regelungen des WÜK auch Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 15. Zwar ist die Überwachung der Kommunikation diplomatischer Missionen durch Behörden des Empfangsstaates in der Staatenpraxis nicht unüblich, doch wäre es verfehlt, daraus den Schluß zu ziehen, damit sei eine solche statthaft und sei Art. 27 Abs. 1. Satz 1 WÜD, wenn man dieser Norm ein Überwachungsverbot entnehmen wollte, durch nachfolgendes Völkergewohnheitsrecht derogiert worden. Denn auch wenn in der Praxis Überwachungen stattfinden, so läßt sich doch nicht behaupten, die Staaten täten dies mit einer Überzeugung völkerrechtlicher Statthaftigkeit solcher Maßnahmen. So auch Denza, a.a.O., S. 180 ff.; Seidenberger, a.a.O., S. 341. A.A. aber Polakiewicz, a.a.O., S. 775 ff.; dessen Argumentation, mit der Möglichkeit der Versendung von Kuriergepäck werde dem Bedürfnis nach vertraulicher Kommunikation hinreichend Rechnung getragen, kann jedenfalls heutzutage nicht mehr überzeugen. Dies hieße, diplomatische Missionen im Computerzeitalter auf antiquierte Kommunikationsformen zu verweisen und so den heutigen Gegebenheiten entsprechende Arbeitsformen (E-Mail etc.) schutzlos zu stellen.
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Wahrnehmung diplomatischer Aufgaben wäre aber nicht möglich, wenn eine Überwachung der Kommunikation erfolgte.20 Kontrollen des Telefaxverkehrs und der Internetverbindungen sind zwar nicht durch Art. 22 Abs. 1 Satz 1 WÜD untersagt, weil diese Maßnahmen nicht die Räumlichkeiten der Mission betreffen, wohl aber aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit dem „Gebot der Gewährleistung der Freiheit der Kommunikation“ unstatthaft.21 Auch wenn die Beförderungsmittel einer diplomatischen Mission nicht zu den Räumlichkeiten der Mission gezählt werden können, so gewährt Art. 22 Abs. 3 WÜD doch auch diesen Unverletzlichkeit, weshalb an dieser Stelle auch auf die Fahrzeuge der Missionen ein kurzer Blick geworfen werden soll. Nach Art. 22 Abs. 3 WÜD dürfen die Beförderungsmittel einer Mission nicht durchsucht (§§ 102 f. StPO) oder beschlagnahmt (§ 94 StPO) werden, unabhängig davon, an welchem Ort im Empfangsstaat sie sich befinden.22 Der Begriff „Beförderungsmittel“ ist weit zu fassen. Ihm unterfallen nicht nur Autos, sondern gegebenenfalls auch Motorräder, Fahrräder, Boote und Schiffe sowie Luftfahrzeuge.23 Es muß sich allerdings um Fahrzeuge handeln, die dienstlichen Beförderungszwecken dienen und deren Halter die Mission selbst ist. Privatfahrzeuge von Missionsmitgliedern sind also nicht erfaßt, auch wenn sie im Einzelfall zu dienstlichen Zwecken verwendet werden. Nur eine Abgrenzung nach dem formalen Kriterium der Haltereigenschaft bietet die Möglichkeit, die Gegenstände, die der Hoheitsgewalt des Empfangsstaates entzogen sind, klar zu definieren. Ansonsten hätte es jedes Mitglied einer Mission in der Hand, ein Fahrzeug durch die Behauptung, es zu dienstlichen ___________ 20 Ebenso Denza, Diplomatic Law, S. 173 ff.; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 336. 21 Zutreffend stellt Polakiewicz, ZaöRV 50 (1990), 761 (780 ff., 788) fest, daß eine Rechtfertigung eines Verstoßes gegen Exemtionsnormen im Rahmen nachrichtendienstlicher Maßnahmen des Empfangsstaates mit Hilfe der Rechtsinstitute der Repressalie, des Notstands oder des Selbstverteidigungsrechts aufgrund der Klassifizierung des Diplomaten- und Konsularrechts als self-contained regime in der Praxis nicht in Betracht kommt und man allenfalls in extremen Gefahrensituationen eine Rechtfertigung auf ein Recht zur Notwehr bzw. Nothilfe stützten könne. Vgl. hierzu unten § 16 I.2.f.). 22 Wie die anderen diplomatischen und konsularischen Exemtionen gilt auch Art. 22 Abs. 3 WÜD lediglich im Empfangsstaat. Drittstaaten sind nur insoweit (zur Beachtung einer negativen Unverletzlichkeit von Beförderungsmitteln) verpflichtet, als das WÜD und das WÜK ausdrücklich Verpflichtungen für Drittstaaten festlegen. Dies geschieht ausschließlich durch Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK. Vgl. hierzu oben § 15 I.3.e)aa). Verbotswidrig abgestellte und zudem andere gefährdende Fahrzeuge dürfen aber im Rahmen präventiv-polizeilicher Maßnahmen abgeschleppt werden. So auch Denza, Diplomatic Law, S. 135; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 72. Ein Bußgeld kommt aber nur insofern in Betracht, als der Fahrer keine personenbezogene Exemtion genießt. Das Festhalten von verbotswidrig geparkten Fahrzeugen mit Hilfe von „Parkkrallen“ ist untersagt, da solche Maßnahmen nicht der Gefahrenabwehr dienen, sondern ausschließlich der Durchsetzung eines Strafanspruchs; vgl. Denza, a.a.O., S. 134. 23 Vgl. Sen, Diplomat’s Handbook, S. 117.
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Beförderungszwecken einzusetzen, der Hoheitsgewalt des Empfangsstaates zu entziehen. bb) Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten berufskonsularischer Vertretungen Die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten von Berufskonsulaten ist in Art. 31 WÜK geregelt.24 In Art. 31 Abs. 2 Satz 1 WÜK heißt es: „Die Behörden des Empfangsstaates dürfen den Teil der konsularischen Räumlichkeiten, den die konsularische Vertretung ausschließlich für ihre Zwecke benutzt, nur mit Zustimmung des Leiters der konsularischen Vertretung oder einer von ihm bestimmten Person oder des Chefs der diplomatischen Mission des Entsendestaates betreten.“
Der Schutz konsularischer Räumlichkeiten ist gegenüber dem diplomatischer Grundstücke und Gebäude deutlich geringer. Denn die von der Unverletzlichkeit erfaßten Objekte sind enger definiert. So sind bereits aufgrund der Legaldefinition der konsularischen Räumlichkeiten in Art. 1 Abs. 1 lit. j) WÜK nur solche Räumlichkeiten geschützt, die ausschließlich für konsularische Zwecke genutzt werden. Art. 31 Abs. 2 Satz 1 WÜK wiederholt diese Beschränkung,25 indem bestimmt wird, daß nur die Teile der Räumlichkeiten, die ausschließlich für dienstliche Zwecke genutzt werden, einem grundsätzlichen Betretungsverbot unterfallen.26 Der private Wohnraum des Leiters einer konsularischen Vertretung ist anders als die Residenz des Chefs einer diplomatischen Mission nicht geschützt.27 Der Grund für diese Beschränkung liegt darin, daß es konsularische Vertretungen gibt, die kein eigenes Gebäude oder jedenfalls keinen eigenen abgegrenzten Gebäudeteil nutzen, sondern mehr oder weniger integriert sind in die Räumlichkeiten anderer Einrichtungen. Das WÜK will mit der Einschränkung der geschützten Räumlichkeiten sicherstellen, daß das Verbot der Vornahme von Hoheitsgewalt sich nicht auch auf Räume bezieht, die mit den konsularischen Tätigkeiten nichts zu tun haben und die ___________ Vgl. aber die gemäß Art. 73 Abs. 1 WÜK vorrangigen Regelungen in Art. 8 Abs. 3 Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland vom 30.7.1956; BGBl. 1957 II, S. 285 (289); Art. 14 Abs. 2 Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 25.4.1958, BGBl. 1959 II, S. 233 (236); Art. XX Abs. 2 Freundschafts-, Handels- und Konsularvertras zwischen dem Deutschen Reiche und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 8.12.1923, RGBl. 1925 II, S. 795 (805) und Art. 6 Abs. 2 Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reiche und der Türkischen Republik vom 28.5.1929; RGBl. 1930 II, S. 748 (750). 25 Lewis, State and Diplomatic Immunity, S. 158: “tautological”. 26 Vgl. LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 9; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 313; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 13 sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. IV.A.2., V.A.2.c. 27 Vgl. Lee, Convention on Consular Relations, S. 92 f.; ders., Consular Law and Practice, S. 394; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 134 f., 183. 24
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deshalb nicht schutzwürdig sind. Auch soll verhindert werden, daß Räumlichkeiten, die von einer konsularischen Vertretung lediglich mitbenutzt werden, etwa ein Konferenzsaal in einem von verschiedenen Einrichtungen genutzten Bürokomplex, der Hoheitsgewalt des Empfangsstaates dadurch entzogen wird, das sie auch von einer konsularischen Vertretung mitbenutzt werden. Problematisch ist, ob auch der sachliche Umfang des Verbots der Vornahme von Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit gegenüber den Räumlichkeiten diplomatischer Missionen beschränkt ist. Eine solche Vermutung legt auf den ersten Blick Art. 31 Abs. 4 Satz 1 WÜK nahe. Dort heißt es: „Die konsularischen Räumlichkeiten, ihre Einrichtung, das Vermögen der konsularischen Vertretung und deren Beförderungsmittel genießen Immunität von jeder Beschlagnahme für Zwecke der Landesverteidigung oder des öffentlichen Wohls.“
Strafprozessuale Beschlagnahmen scheinen damit – so ein naheliegender Umkehrschluß – ebenso wie andere strafprozessuale Zwangsmaßnahmen erlaubt zu sein.28 Doch ist zu beachten, daß Art. 31 Abs. 2 Satz 1 WÜK ein Betretungsverbot für die Teile der konsularischen Räumlichkeiten festlegt, die ausschließlich für dienstliche Zwecke benutzt werden. Schon aus diesem Betretungsverbot folgt, daß in diesen Räumlichkeiten die Vornahme von Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit generell untersagt ist. Denn wenn bereits das Betreten untersagt ist, so können strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, für deren Durchführung ein Betreten erforderlich ist, ebenfalls nicht gestattet sein. In den geschützten Räumlichkeiten ist die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit damit in gleicher Weise untersagt wie in den nach Art. 22 Abs. 1 Satz 1 WÜD geschützten Räumlichkeiten diplomatischer Missionen. Die geschützten konsularischen Räumlichkeiten und dort befindliche Gegenstände dürfen also nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden. Die Installation von „Wanzen“ in den Räumlichkeiten ist verboten. Ein Festhalten, eine Durchsuchung oder Untersuchung sowie eine Festnahme von Personen, die sich in den geschützten Teilen konsularischer Räumlichkeiten aufhalten, ist gleichfalls untersagt.29 Umstritten ist jedoch, ob auch strafprozessuale Maßnahmen, die die geschützten Räumlichkeiten zwar tangieren, aber nicht mit ihrem Betreten verbunden sind, nach dem WÜK untersagt sind. In bezug auf die Räumlichkeiten diplomatischer Missionen wurde betont, daß auch die Überwachung von Telefonanschlüssen nach ___________ Davon scheint Lee, Consular Law and Practice, S. 397, auszugehen. Ebenso BGHSt 36, 396 (399) = NJW 1990, 1799 (1800); LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 9; Polakiewicz, ZaöRV 50 (1990), 761 (772); KK-StPO-Pfeiffer, § 19 GVG Rn. 5, der ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (109) (UN-Dokument A/4843) sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. V.A.3. Vgl. auch Nr. 199 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV); abgedr. u.a. in Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Anhang Nr. 12. 28 29
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§ 100a StPO und die Vornahme von Maßnahmen nach § 100c Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO untersagt sind. Doch konnte dies mit einer teleologischen Auslegung der generellen Festlegung von Unverletzlichkeit durch Art. 22 Abs. 1 Satz 1 WÜD begründet werden. Das WÜK normiert aber mit Art. 31 Abs. 2 WÜK lediglich ein Betretungsverbot.30 Eine streng am Wortlaut orientierte Auslegung muß daher zu dem Schluß kommen, daß Maßnahmen nach §§ 100a und 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO, mit denen Kenntnis erlangt werden kann von Gesprächen, die innerhalb der geschützten konsularischen Räumlichkeiten geführt werden, nicht durch Art. 31 Abs. 2 WÜK untersagt sind.31 Doch vernachlässigt eine solche Interpretation den Schutzzweck der Unverletzlichkeit zu sehr. Wie in den einleitenden Bemerkungen zum vorliegenden Kapitel dargelegt wurde, kann die konsularische Arbeit, vor allem im Bereich der Sammlung und Bewertung von Informationen und im Bereich der Betreuung eigener Staatsbürger, nur dann erfolgversprechend und sinnvoll wahrgenommen werden, wenn der Entsendestaat davon ausgehen kann, daß der Empfangsstaat seine konsularische Tätigkeit nicht überwacht und von ihrem Inhalt ohne Einverständnis des Entsendestaates keine Kenntnis erlangen kann. Berücksichtigt man dies, so darf sich die Unverletzlichkeit nicht auf ein Verbot beschränken, die konsularischen Räumlichkeiten zu betreten und zu durchsuchen sowie dort Gegenstände zu beschlagnahmen und Personen zu durchsuchen, zu untersuchen oder zu verhaften. Der BGH hat es deshalb ganz zu Recht als „naheliegend“ bezeichnet, daß die Überwachung eines Telefonanschlusses eines Konsulats – in diesem Fall des türkischen Generalkonsulats in Hamburg – sachlich einem Betreten der konsularischen Räumlichkeiten gleichzustellen und deshalb wegen Verstoßes gegen Art. 31 Abs. 2 Satz 1 WÜK völkerrechtswidrig sei.32 Das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz hatte einen Telefonanschluß des türkischen Generalkonsulats in Hamburg überwacht. Diese Überwachung ergab, daß türkische Konsularbeamte von einem – ebenfalls türkischen – Sozialhelfer, der in der Hamburger Untersuchungshaftanstalt tätig war, in konspirativer Weise Informationen über die persönlichen Verhältnisse, die politischen Einstellungen und die Straftaten von in der
___________ Art. 31 Abs. 4 WÜK ist in dieser Hinsicht offensichtlich ohne Relevanz. So Polakiewicz, ZaöRV 50 (1990), 761 (771 f., 787); Schroeder, JZ 1990, 1034 (1034); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 325 f. Die These von Seidenberger, eine Telefonüberwachung sei dennoch völkerrechtswidrig, da sie gegen die Schutzpflicht des Empfangsstaates aus Art. 31 Abs. 3 WÜK verstoße (a.a.O., S. 326 ff.), kann nicht überzeugen. Denn die Schutzpflicht gebietet lediglich, Störungen durch Privatpersonen zu verhindern. Eine Unterlassungspflicht für den Empfangsstaat normiert sie nicht. Eine solche folgt nur aus der Unverletzlichkeit des Art. 31 Abs. 2 WÜK. Wie Seidenberger auch MK-ZPO-Wolf, § 19 GVG Rn. 7. Wie hier dagegen Polakiewicz, a.a.O., S. 773. 32 Vgl. BGHSt 36, 396 (397 ff.) = NJW 1990, 1799 (1799 ff.); BGHSt 37, 30 (30 ff.) = NJW 1990, 1801 (1801 f.). 30 31
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Haftanstalt einsitzenden türkischen Staatsbürgern erlangt hatten.33 Die Staatsanwaltschaft wertete dieses Verhalten als geheimdienstliche Agententätigkeit (§ 99 StGB) und beantragte Haftbefehle gegen die Konsularbeamten. Der BGH verwarf die Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung des OLG Hamburg und begründete dies damit, es liege kein dringender Tatverdacht vor. Die Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung seien nämlich in einem Strafverfahren gegen die Konsularbeamten nicht verwertbar, da die Telefonüberwachung unzulässig gewesen sei. Es sei naheliegend, daß die Überwachung eines Telefonanschlusses eines Konsulats mit der Unverletzlichkeit der konsularischen Räumlichkeiten unvereinbar sei, mithin gegen Art. 31 Abs. 2 Satz 1 WÜK verstoße. Denn wenn Durchsuchungen und Beschlagnahmen in den Diensträumen des Konsulats verboten seien, liege es nahe, auch die heimliche Überwachung und Aufzeichnung der dort geführten Telefongespräche durch Behörden des Empfangsstaates als unzulässig anzusehen.34 Der BGH entschied diese Frage jedoch nicht abschließend, da er festgestellte, daß bereits die Immunität ratione materiae der Konsularbeamten nach Art. 43 Abs. 1 WÜK der Vornahme von Zwangsmaßnahmen entgegenstand, die – wie im zu entscheidenden Fall – der Ermittlung und Verfolgung einer in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit begangenen Handlung dienen sollten. Die Überwachung des Telefonanschlusses sei daher schon wegen Verstoßes gegen die Immunität ratione materiae des Art. 43 Abs. 1 WÜK völkerrechtswidrig gewesen.35
___________ Zum Verfahren gegen den türkischen Sozialhelfer vgl. BGHSt 37, 30 (30 ff.) = NJW 1990, 1801 (1801 f.). In diesem Verfahren ging es um die Frage, ob die bei einer Überwachung des Telefonanschlusses eines Konsulats gewonnenen Beweise in einem Strafverfahren gegen eine Person, die selbst nicht Mitglied der Vertretung ist, verwertet werden dürfen. Vgl. hierzu unten § 16 I.2e)bb). 34 BGHSt 36, 396 (400) = NJW 1990, 1799 (1800). 35 BGHSt 36, 396 (400 f.) = NJW 1990, 1799 (1800). Diese Argumentation des BGH ist allerdings bezogen auf den der Entscheidung zugrunde liegenden Fall verfehlt, da das Verfahren nicht nur gegen die Konsularbeamten gerichtet gewesen war (wäre dies der Fall gewesen, so hätte – da es sich bei den Handlungen, die den Konsularbeamten vorgeworfen wurden, um Taten handelte, die von ihrer Immunität ratione materiae umfaßt waren – tatsächlich bereits Art. 43 Abs. 1 WÜK der Vornahme jeglicher Ermittlungsmaßnahmen und damit auch der Telefonüberwachung entgegengestanden; a.A. aber Polakiewicz, ZaöRV 50 [1990], 761 [766]). Die Telefonüberwachung war vielmehr auch gegen den Sozialhelfer bzw. als Maßnahme des Verfassungsschutzes überhaupt nicht gegen bestimmte Personen gerichtet. Soweit die Telefonüberwachung auch zur Tatsachenermittlung im Verfahren gegen den Sozialhelfer diente, war sie nicht bereits durch eine Immunität ratione materiae untersagt, da der Sozialhelfer keine Exemtion genoß. Soweit sie als Maßnahme des Verfassungsschutzes überhaupt nicht gegen individuelle Personen gerichtet war, konnte gleichfalls eine personenbezogene Exemtion ein Verbot nicht begründen. Eine generelle Unzulässigkeit der Telefonüberwachung selbst hätte daher aus Art. 43 Abs. 1 WÜK nicht abgeleitet werden dürfen. Die aufgeworfene Rechtsfrage der Vereinbarkeit einer Telefonüberwachung mit der Unverletzlichkeit konsularischer Räumlichkeiten nach Art. 31 Abs. 2 WÜD hätte also nicht mit Hinweis auf die Unzulässigkeit der Telefonüberwachung wegen Verstoßes gegen Art. 43 Abs. 1 WÜK offengelassen werden dürfen. Sie brauchte aber dennoch nicht abschließend entschieden zu werden, weil sich die Unzulässigkeit der beantragten Haftbefehle bereits aus der Immunität der beschuldigten Konsularbeamten nach Art. 43 Abs. 1 WÜD ergab. Insofern hätte sich der BGH die gesamten Erörterungen zur Zulässigkeit der Telefonüberwachung ersparen können. Was nun diese selbst anbelangt, so hätte der BGH ihre Unzulässigkeit auch mit Verweis auf Art. 35 Abs. 1 WÜK begründen können. Denn die dort normierte Pflicht zur Gewährleistung freier Kommunikationsmöglichkeit verbietet eine Kontrolle aller Kommunikationseinrichtungen, die von einer konsularischen Vertretung (auch) für dienstliche Zwecke benutzt werden, und steht damit gene33
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Eine sachliche Gleichstellung mit einem verbotenen Betreten muß zumindest für Abhörmaßnahmen nach § 100c StPO gelten.36 Es wäre in der Tat sinnwidrig, die Kenntniserlangung über die Arbeit eines Konsulats im Wege einer Durchsuchung ihrer Räumlichkeiten oder durch Anbringung von Abhöreinrichtungen in den Räumlichkeiten, also durch Maßnahmen, die mit einem Betreten verbunden sind, zu verbieten, moderne Formen der Überwachung wie den von außen betriebenen Einsatz von Richtmikrophonen, mit denen gleichfalls eine unmittelbare akustische Kenntniserlangung über die Vorgänge in einem Konsulat möglich sind, dagegen zuzulassen. Art. 31 Abs. 2 Satz 1 WÜK ist deshalb bei solchen Maßnahmen analog anzuwenden: Diese sind sachlich einem Betreten gleichzustellen und deshalb verboten.37 Während eine analoge Anwendung des Art. 31 Abs. 2 Satz 1 WÜK erforderlich ist, um das teleologisch gebotene Verbot von Maßnahmen nach Art. 100c StPO (wie dem Einsatz von Richtmikrophonen) begründen zu können, läßt sich die Unzulässigkeit einer Überwachung von Telefonanschlüssen (auch) aus Art. 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 WÜK ableiten.38 Denn diese Norm gewährleistet – wie Art. 27 Abs. 1 WÜD für den Bereich diplomatischer Vertretungen – den konsularischen Vertretungen die Freiheit der Kommunikation mit Regierungsstellen sowie anderen diplomatischen und konsularischen Vertretungen des Entsendestaates. Auch bezüglich der konsularischen Vertretungen erschöpft sich die Freiheit der Kommunikation nicht in einem an den Empfangsstaat gerichteten Gebot, die Nutzung von Telefon-, Telefax- und Internetverbindungen zuzulassen, sondern enthält ein generelles Verbot für den Empfangsstaat, die Kommunikationseinrichtungen zu überwachen.39 Eine Unverletzlichkeit der Beförderungsmittel einer konsularischen Vertretung legt das WÜK anders als Art. 22 Abs. 3 WÜD nicht fest. Das Beschlagnahmever___________ rell auch einer Überwachung von Telefonanschlüssen einer konsularischen Vertretung entgegen. 36 Für eine generelle Gleichstellung Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 15. 37 So auch Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 183. 38 Ebenso Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 15. 39 Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 336 ff. A.A. Polakiewicz, ZaöRV 50 (1990), 761 (774 f.). Es wurde aber schon oben in Anm. 19 darauf hingewiesen, daß der Argumentation von Polakiewicz, dem Bedürfnis nach Vertraulichkeit der Kommunikation werde durch die Möglichkeit der Versendung von Kuriergepäck hinreichend Rechnung getragen, ein antiquiertes Verständnis diplomatischer und konsularischer Arbeitsformen zugrunde liegt. Zwar ist nur die Kommunikation für amtliche Zwecke gewährleistet, so daß man meinen könnte, eine Überwachung von Gesprächen oder Internetnutzungen, die privaten Charakter haben, sei gestattet. Doch läßt sich die Nutzungsart von Kommunikationseinrichtungen nicht im voraus durch den Überwachenden erkennen, so daß nur ein generelles Überwachungsverbot den nötigen Schutz des freien Verkehrs gewährleisten kann. Schroeder, JZ 1990, 1034 (1035) meint, ein Verbot der Überwachung von Telekommunikationseinrichtungen ergebe sich aus Art. 35 Abs. 2 WÜK, da die Vertraulichkeit eines Briefes der von sonstiger Kommunikation gleichzustellen sei.
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bot des Art. 31 Abs. 4 Satz 1 WÜK bezieht sich nicht auf strafprozessuale Maßnahmen. cc) Zum Schutz der Räumlichkeiten wahlkonsularischer Vertretungen Eine Unverletzlichkeit von Räumlichkeiten von Wahlkonsulaten legt das WÜK nicht fest. Art. 58 Abs. 1 verweist zwar für die Räumlichkeiten der von einem Wahlkonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretung auf viele Bestimmungen, die im Kapitel II. WÜK enthalten sind und damit für Berufskonsulate gelten, erklärt diese also auch für Wahlkonsulate für anwendbar, doch gilt dies für Art. 31 Abs. 2 WÜK gerade nicht. Die Räumlichkeiten dürfen daher betreten und durchsucht werden. In ihnen sind strafprozessuale Zwangsmaßnahmen im Rahmen der StPO zulässig.40 Art. 59 WÜK normiert lediglich eine positive Unverletzlichkeit, indem er den Empfangsstaat in gleicher Weise wie bei berufskonsularischen Vertretungen verpflichtet, die konsularischen Räumlichkeiten vor Störungen durch private Dritte zu schützen.41 Eine Festlegung von Unverletzlichkeit auch für die Räumlichkeiten einer von einem Wahlkonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretung wäre auch nicht zu rechtfertigen. Denn die Wahlkonsularbeamten üben ihre Tätigkeit nebenberuflich und letztlich ehrenhalber aus. In der Regel handelt es sich bei den Honorarkonsuln um Kaufleute oder Gewerbetreibende, die die Einrichtung und die Räumlichkeiten ihres privaten Unternehmens auch für die Wahrnehmung ihrer konsularischen Aufgaben nutzen. Die Räume und Einrichtungsgegenstände dienen also regelmäßig sowohl der konsularischen als auch der privaten unternehmerischen Tätigkeit des Honorarkonsuls. Da eine Trennung zwischen konsularisch und unternehmerisch genutzten Räumlichkeiten und Einrichtungsgegenständen vielfach nicht möglich ist, müßte eine Unverletzlichkeit zwangläufig auch die privat genutzten Räume und Gegenstände betreffen. Damit aber würde dem Honorarkonsul eine privilegierte Stellung zuerkannt, die für die Wahrnehmung konsularischer Aufgaben nicht zwingend geboten wäre, vor allem aber dem Empfangsstaat nicht zugemutet werden könnte. Dieser hat ein berechtigtes Interesse, unter anderem zur Verfolgung von Straftaten, die mit der unternehmerischen Tätigkeit des Honorarkonsuls zusammenhängen, die Geschäftsräume des Konsuls durchsuchen und Gegenstände beschlagnahmen zu dürfen. Schutzwürdig sind lediglich die Akten und Schriftstücke eines Honorarkonsuls, die die konsularische Tätigkeit betreffen. Diese aber sind, worauf unten in § 16 III. zurückzukommen ist, durch Art. 61 WÜK ausreichend geschützt. ___________ Lee, Consular Law and Practice, S. 414; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 254. 41 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 313. 40
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dd) Keine Ausnahme von der Unverletzlichkeit bei schweren Straftaten Die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten diplomatischer und berufskonsularischer Vertretungen kennt auch keine Ausnahmen bei besonders schweren Straftaten. Auch zur Vornahme von strafprozessualen Maßnahmen im Rahmen der Verfolgung schwerster Straftaten darf die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten nicht mißachtet werden. Selbst wenn eine Person, die mehrere Menschen getötet hat, in den Räumlichkeiten einer Botschaft Zuflucht gefunden hat, darf sie dort ohne Zustimmung des Missionschefs nicht verhaftet werden. Selbst eine Person, der die Begehung von völkerrechtlichen Verbrechen vorgeworfen wird und die sich in den geschützten Räumlichkeiten aufhält, ist dort vor einem Zugriff der Strafverfolgungsorgane des Empfangsstaates sicher. Es bleibt diesem in solchen und ähnlichen Fällen nur die Möglichkeit, den Missionschef um eine Zustimmung zur Vornahme von strafprozessualen Maßnahmen in den Räumlichkeiten zu bitten.42 Zum Teil wird behauptet, eine Botschaft oder ein Konsulat, dessen Mitglieder solchen Personen Zuflucht gewährten oder in deren Räumlichkeiten selbst schwerste Straftaten begangen würden, sei nicht mehr schutzwürdig. Mit den Aufgaben, die nach Art. 3 WÜD bzw. Art. 5 WÜK diplomatische und konsularische Vertretungen erfüllen dürfen und für deren Wahrnehmung die Exemtionen gewährt werden, hätten solche Aktivitäten nichts zu tun. Daher gebe es in solchen Fällen keine Basis für die Gewährung von Unverletzlichkeit; der Anspruch auf Unverletzlichkeit werde verwirkt.43 Diese Argumentation kann aber nicht überzeugen. Denn sie geht nur von Fällen aus, in denen klar ist, daß schwerste Straftaten begangen wurden, für die eine Rechtfertigung nicht in Betracht kommt und die nach einer strafrechtlichen Ahndung verlangen. In der Rechtspraxis sind jedoch solche eindeutigen Fälle die Ausnahme. Wenn der Chef einer diplomatischen Mission oder der Leiter einer konsularischen Vertretung den Organen des Empfangsstaates keine Erlaubnis zum Betreten
___________ So auch Denza, Diplomatic Law, S. 126; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 61; Murswiek, JuS 1997, 153 (156 f.); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 298 ff., 416; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1021; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 742. Vgl. auch Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (415 f.). 43 So Doehring, in: Böckstiegel u.a. (Hrsg.), FS Seidl-Hohenveldern, S. 51 (54 ff.): „Das Eingreifen des Empfangsstaates könnte daher deswegen gerechtfertigt sein, weil die Botschaft durch das Verhalten ihrer Angehörigen ihren Status als solchen verwirkt. Eine Botschaft, in deren Räumen gemordet und gefoltert wird, kann nicht mehr als die Vertretung eines fremden Staates angesehen werden, denn ihr deliktisches Verhalten ist in diesem Fall derartig weit entfernt von irgendwelchen diplomatischen Aufgaben, steht mit diesen nicht mehr in Zusammenhang und bildet zu ihnen einen so extremen Widerspruch, daß die Botschaft ihre Rechtsnatur einbüßt.“ (a.a.O., S. 55). Ebenso Kokott, in: Beyerlin u.a. (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 135 (142 ff.). 42
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der geschützten Räumlichkeiten erteilt,44 so wird dies in der Regel daran liegen, daß er die Auffassung des Empfangsstaates über das Vorliegen einer schweren Straftat nicht teilt. Auch ist an Fälle zu denken, in denen zu befürchten ist, daß strafprozessuale Maßnahmen in den geschützten Räumlichkeiten, etwa eine Festnahme einer auf das Gelände einer Vertretung geflüchteten Person, eine rechtsstaatswidrige Strafverfolgung zur Folge haben. Bei solchen Konstellationen läßt sich nicht mehr argumentieren, es gebe keine Basis für einen Schutz diplomatischer oder konsularischer Räumlichkeiten. Auch darf die Gefahr des Mißbrauchs einer Ausnahmeregel von der Unverletzlichkeit nicht unterschätzt werden. Es bestünde stets die Gefahr, daß ein Empfangsstaat mit der bloßen (wahrheitswidrigen) Behauptung, zur Verfolgung einer schweren Straftat sei ein Eingreifen erforderlich, eine Mißachtung der Unverletzlichkeit zu rechtfertigen versuchen könnte. Die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten diplomatischer und berufskonsularischer Vertretungen würde daher durch eine Ausnahme für die Verfolgung schwerer Straftaten wesentlich entwertet. Im Interesse der Funktionsfähigkeit der diplomatischen Beziehungen, die schließlich auch einen erheblichen Beitrag zur Sicherung des Friedens und zur Wahrung der Menschenrechte leisten können, ist es deshalb geboten, die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten ohne eine Ausnahme für strafrechtliche Maßnahmen zur Verfolgung schwerster Taten zu gewähren. Auch das als solches legitime Ziel, völkerrechtliche Verbrechen umfassend zu ahnden, kann wegen der Gefahr eines Mißbrauchs einer Ausnahmeklausel eine solche nicht rechtfertigen. Eine exzeptionelle Zulässigkeit der Vornahme von strafprozessualen Maßnahmen wäre aber nicht nur mit einer nicht zu rechtfertigenden Gefährdung der Arbeit diplomatischer und konsularischer Vertretungen verbunden und daher nicht nur rechtspolitisch verfehlt, sondern kann auch de lege lata nicht begründet werden.45 Eine Ausnahme von der Unverletzlichkeit gibt es – wie unten in § 16 I.2.f) gezeigt wird – lediglich für Maßnahmen zur unmittelbaren Gefahrenabwehr, nicht aber zur Durchführung von strafprozessualen Maßnahmen. Denn weder enthalten das WÜD und das WÜK eine explizite Einschränkung des Rechts der Unverletzlichkeit für Maßnahmen zur Verfolgung schwerster Straftaten in Form einer Ausnahmeklausel noch ist eine solche Ausnahme im Völkergewohnheitsrecht anerkannt. Man kann auch nicht argumentieren, es gebe im Völkerrecht Bestrafungspflichten bei schweren Menschenrechtsverletzungen und bei völkerrechtlichen Verbre___________ Nur in diesen Fällen wird die Frage einer Ausnahme von der Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten relevant. Zur Möglichkeit eines Verzichts auf die Unverletzlichkeit siehe unten § 16 I.2.d). 45 Vgl. die Nachweise oben in Anm. 42 sowie Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 494 Fn. 30. 44
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chen, die den Empfangsstaat zur Durchführung von Strafverfolgungsmaßnahmen verpflichteten und daher die völkerrechtlichen Unverletzlichkeitsgarantien verdrängten. Denn wie bereits in § 14 I.2.a)cc) in bezug auf die personenbezogenen Exemtionen ausgeführt wurde, sind die Regeln des Diplomaten- und Konsularrechts leges speciales, die nicht durch völkerrechtliche Bestrafungsverpflichtungen verdrängt werden. Zudem verpflichten die völkerrechtlichen Bestrafungsgebote ohnehin nur zur Durchführung von Strafverfolgungsmaßnahmen im Rahmen und unter Beachtung der allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts, sind also von vornherein durch die Pflicht zur Beachtung des universellen Völkergewohnheitsrechts beschränkt. So kann beispielsweise kein Staat eine militärische Intervention auf fremdem Staatsgebiet, also eine Verletzung des Rechts der territorialen Unversehrtheit eines anderen Staates (vgl. Art. 2 Nr. 4 UN-Charta), mit dem Argument rechtfertigen, er wolle dort eine Person, die der Begehung völkerrechtlicher Verbrechen beschuldigt werde, festnehmen, wozu er aufgrund einer völkerrechtlichen Bestrafungspflicht berechtigt und verpflichtet sei. Entsprechendes gilt auch für die geschützten Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen, deren Unverletzlichkeit ebenso Bestandteil des universellen Völkergewohnheitsrechts ist. Auch die Annahme einer Verwirkung des Rechts auf Unverletzlichkeit46 oder die Rechtfertigung einer Mißachtung der Unverletzlichkeit als Repressalie sind nicht möglich. Ein Rückgriff auf die völkergewohnheitsrechtlichen Regeln der Verwirkung oder der Repressalie scheitert nämlich an der Klassifizierung des Diplomatenund Konsularrechts als self-contained regime, die vom IGH in seiner bereits oben in § 12 II.4. erläuterten Hauptsacheentscheidung zum „Teheraner Geiselfall“ entwickelt und vom BVerfG bestätigt wurde.47 c) Zeitliche Reichweite der Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen Eine Festlegung der zeitlichen Reichweite der Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Räumlichkeiten treffen das WÜD und das WÜK nicht. Art. 39 Abs. 1 und 2 WÜD bzw. Art. 53 Abs. 1 und 3 WÜK können für die Bestimmung des Beginns und Endes dieser Unverletzlichkeit nicht herangezogen werden, da sie nur für die personenbezogenen Exemtionen gelten. ___________ Vgl. hierzu die Nachweise oben in Anm. 43. So auch Denza, Diplomatic Law, S. 126. Insofern ist es widersprüchlich, wenn Kokott, in: Beyerlin u.a. (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 135 (142 ff.) einerseits einen Rückgriff auf das Rechtsinstitut der Repressalie wegen des Charakters des Diplomaten- und Konsularrechts als self-contained regime für ausgeschlossen hält (a.a.O., S. 143), andererseits aber die Möglichkeit einer Verwirkung der Unverletzlichkeit von Räumlichkeiten diplomatischer Vertretungen bejaht (a.a.O., S. 144 ff.). 46 47
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Aus Sinn und Zweck der Unverletzlichkeitsgewährleistungen folgt jedoch, daß die Unverletzlichkeit jedenfalls vom Zeitpunkt des Beginns der Nutzung von Räumlichkeiten für die Zwecke einer diplomatischen oder berufskonsularischen Vertretung an gelten muß. Man wird sogar noch etwas weiter gehen und auf den Zeitpunkt des Beginns derjenigen Arbeiten abstellen müssen, die der Nutzungsvorbereitung dienen.48 Bei einem Neubau eines Gebäudes für eine Vertretung wird man daher den Baubeginn als Zeitpunkt des Beginns der Unverletzlichkeit ansehen müssen. Denn bereits zu einem solch frühen Zeitpunkt sind die Räumlichkeiten schutzwürdig. So hat beispielsweise der Entsendestaat, der im Empfangsstaat ein Botschaftsgebäude errichtet, ein berechtigtes Interesse zu verhindern, daß Organe des Empfangsstaates Abhöreinrichtungen im Zuge der Baumaßnahmen gleich „mitinstallieren“.49 Die Unverletzlichkeit endet normalerweise, wenn die Räumlichkeiten nicht mehr für die Zwecke der diplomatischen bzw. konsularischen Vertretung verwendet werden.50 Dies wird in der Regel dann der Fall sein, wenn sich der Entsendestaat aus eigener Initiative oder etwa, weil ein Mietverhältnis vom Vermieter beendet wird, entschließt, in neue Räumlichkeiten umzuziehen. Dabei wird man konkret auf den Zeitpunkt der Beendigung des Auszugs abzustellen haben.51 Für den Fall des Abbruchs der diplomatischen bzw. konsularischen Beziehungen sowie für den Fall einer vorübergehenden oder endgültigen Abberufung einer diplomatischen Mission52 bzw. der vorübergehenden oder endgültigen Schließung ___________ So auch Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 112. Lee, Consular Law and Practice, S. 416 stellt dagegen auf den Zeitpunkt der Notifikation der Nutzungsabsicht durch den Entsendestaat an den Empfangsstaat ab. Zwar ist die Notifikation nach hier vertretener Ansicht nicht konstitutiv, doch kann der Entsendestaat in der Tat erst dann von den Behörden des Empfangsstaates verlangen, daß sie die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten beachten, wenn sie über die Nutzung informiert worden sind. Der bloße Erwerb eines Gebäudes genügt als solcher aber noch nicht, solange nicht mit den Nutzungsvorbereitungen begonnen worden ist. So auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 289; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 895. Zur Diskussion innerhalb der ILC bei der Ausarbeitung eines Konventionsentwurfs vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 146. 49 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 181; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 319, 321 f. 50 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 289; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 895. 51 Vgl. Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1041); Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (416). Lee, Consular Law and Practice, S. 416 stellt wiederum primär auf den Zeitpunkt einer Notifikation der Nutzungsaufgabe ab. 52 Von einer „Abberufung der Mission“ spricht man, wenn die ständige diplomatische Vertretung im Empfangsstaat geschlossen wird, ohne daß die diplomatischen Beziehungen beendet werden. Zu einer dauerhaften Abberufung kommt es beispielsweise, wenn ein Staat aus Kostengründen im Empfangsstaat keine ständige Vertretung mehr unterhalten will, sondern die Vertretung gemäß Art. 5 WÜD von der Mission in einem Nachbarstaat mitübernommen werden soll. Eine vorübergehende Abberufung, sprich Schließung, ist denkbar, wenn es dem Entsendestaat wegen eines bewaffneten Konflikts oder aus sonsti48
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einer konsularischen Vertretung legen Art. 45 lit. a) WÜD und Art. 27 Abs. 1 lit. a) und Abs. 2 Satz 1 WÜK allerdings ausdrücklich fest, daß der Empfangsstaat (auch im Falle eines bewaffneten Konflikts) die Räumlichkeiten, das Vermögen und die Archive weiterhin zu achten und zu schützen hat. Der Entsendestaat kann gemäß Art. 45 lit. b) WÜD und Art. 27 Abs. 1 lit. b) und Abs. 2 lit. a) und b) WÜK zudem einem dem Empfangsstaat genehmen dritten Staat bzw., soweit es sich um die Schließung einer konsularischen Vertretung handelt, auch seiner diplomatischen Mission oder einer anderen konsularischen Vertretung die Obhut über die Räumlichkeiten, das Vermögen und die Archive übertragen. In einem solchen Fall endet also die Unverletzlichkeit nicht.53 Sie ist weder an das zeitliche Ende der diplomatischen bzw. konsularischen Beziehungen geknüpft noch an die vorübergehende oder endgültige Schließung einer Vertretung. Damit soll sichergestellt werden, daß solange, wie sich in den Räumlichkeiten noch Gegenstände befinden, die dem Entsendestaat gehören bzw. einen Bezug zu der diplomatischen oder konsularischen Tätigkeit haben, diese dort vor einem Zugriff des Empfangsstaates geschützt sind. Erst dann, wenn der Entsendestaat die Räumlichkeiten endgültig geräumt hat bzw. – ausdrücklich oder konkludent – erklärt, an diesen und an den dort befindlichen Gegenstände kein Interesse mehr zu haben, erlischt die Unverletzlichkeit.54 d) Möglichkeit eines Verzichts auf die Unverletzlichkeit Da die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten diplomatischer Missionen und berufskonsularischer Vertretungen nach Art. 22 Abs. 1 und 3 WÜD bzw. Art. 31 Abs. 2 WÜK ausschließlich im Interesse des Entsendestaates gewährt wird, kann dieser auf die Unverletzlichkeit verzichten.55 Dies läßt sich auch der Formulierung ___________ gen Gründen momentan nicht sinnvoll bzw. zu gefährlich erscheint, im Empfangsstaat eine ständige Mission zu unterhalten. 53 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (40); Doehring, Völkerrecht, Rn. 494 f.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 12; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 494; Lee, Convention on Consular Relations, S. 97; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (416); Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 182; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1066 f., 1102 f. A.A. aber Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1041); dies., Diplomatic Law, S. 396 f.; Shaw, International Law, S. 527, die unter Berufung auf britische Regierungsstellen meinen, das Gebot der Achtung der Räumlichkeiten nach einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen (Art. 45 lit. a) WÜD) sei weniger weitreichend als die Unverletzlichkeit nach Art. 22 Abs. 1 Satz 1 WÜD und verbiete den Organen des Empfangsstaates ein Betreten der Räumlichkeiten nicht. 54 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 146 f.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 494 Fn. 7, wo betont wird, bei langjähriger Nichtnutzung, die zum Ausdruck bringe, daß an den Räumlichkeiten kein Interesse mehr bestehe, entfalle die Unverletzlichkeit. Vgl. diesbezüglich auch Verdross/Simma, Völkerrecht, § 895 mit Fn. 38. Siehe auch die Entscheidungen des Obersten Rückerstattungsgerichts für Berlin vom 10.7.1959, AJIL 54 (1960), 165 = ILR 28, 369; AJIL 54 (1960), 178 = ILR 28, 396. 55 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 288.
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in Art. 22 Abs. 1 Satz 2 WÜD und Art. 31 Abs. 2 WÜK entnehmen, wonach mit Zustimmung der dort genannten Personen den Organen des Empfangsstaates ein Betreten der Räumlichkeiten gestattet ist. In gleicher Weise kann auch die Vornahme strafprozessualer Ermittlungs- und Zwangsmaßnahmen in den Räumlichkeiten gestattet werden. Zu beachten ist jedoch, daß sowohl das WÜD als auch das WÜK die Personen, die eine Gestattung aussprechen können, abschließend benennen. Die Erlaubnis zum Betreten und gegebenenfalls zur Vornahme strafprozessualer Maßnahmen kann bezüglich der Räumlichkeiten einer diplomatischen Mission nur der Missionschef erteilen (vgl. Art. 22 Abs. 1 Satz 2 WÜD); bezüglich der Räumlichkeiten berufskonsularischer Vertretungen kann gemäß Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜK neben dem Leiter der Vertretung auch eine von ihm bestimmte Person sowie der Leiter der im Empfangsstaat errichteten diplomatischen Mission des Entsendestaates die Zustimmung geben.56 Gegebenenfalls kann der Empfangsstaat bei einem Verzicht sogar verpflichtet sein, in den Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen Hoheitsgewalt auszuüben. Dies hat der IGH im „Teheraner Geiselfall“ deutlich gemacht. Wie oben in § 12 II.4. geschildert, waren studentische Demonstranten im November 1979 in die Räumlichkeiten der Botschaft der USA und ihrer Konsularabteilung in Teheran eingedrungen, hatten diese besetzt und die dort befindlichen Personen als Geiseln genommen. Die Mitglieder der Mission hatten die iranischen Sicherheitskräfte ausdrücklich um Hilfe gebeten, diese hatten jedoch nichts unternommen, um die Besetzung und die Festhaltung der Personen zu beenden. Der IGH wertete diese Unterlassung des Irans als Verstoß gegen Art. 22 WÜD und Art. 31 WÜK. Da die iranischen Sicherheitskräfte ausdrücklich durch die Mission um ein Einschreiten gebeten worden waren, lag ein Verzicht auf die negative Unverletzlichkeit, also das Betretensverbot der Räumlichkeiten, vor. Aufgrund der positiven Unverletzlichkeit des Art. 22 Abs. 2 WÜD und Art. 31 Abs. 3 WÜK waren die iranischen Behörden nach Ansicht des IGH jetzt sogar verpflichtet, die Besetzer aus den Räumlichkeiten zu entfernen und die Verfügungsgewalt der Missionsmitglieder über die Räumlichkeiten wiederherzustellen.57
___________ Das WÜD und das WÜK verlangen zwar keine schriftliche Zustimmung, doch dürfen die deutschen Strafverfolgungsbehörden gemäß Nr. 199 IV der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV; abgedr. u.a. in Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Anhang Nr. 12) nur dann Amtshandlungen in den geschützten Räumlichkeiten vornehmen, wenn die Zustimmung schriftlich vorliegt. Nr. 199 IV RiStBV ist für die deutschen Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaften und Polizeien) als Verwaltungsvorschrift verbindlich. Damit schränkt die Bundesrepublik die Befugnisse ihrer Strafverfolgungsorgane gegenüber dem völkerrechtlich Gebotenen zusätzlich ein. Im Außenverhältnis zu den Entsendestaaten ist diese interne Einschränkung durch die Verwaltungsvorschrift aber irrelevant, so daß die Entsendestaaten aus dem Erfordernis der Schriftlichkeit keine eigenen Rechte ableiten können. 57 IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (30 ff.). 56
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e) Strafrechtlich relevante Rechtsfolgen einer Mißachtung der Unverletzlichkeit Bislang wurde dargestellt, welche Maßnahmen den Strafverfolgungsbehörden des Empfangsstaates aufgrund der Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten diplomatischer und berufskonsularischer Vertretungen untersagt sind. Es stellt sich aber darüber hinaus die Frage, welche Rechtsfolgen eine Mißachtung der Unverletzlichkeit auslöst. Im vorliegenden Zusammenhang sind allerdings nur die strafrechtlich relevanten Rechtsfolgen zu betrachten. Welche Konsequenzen hat es also, wenn Strafverfolgungsorgane des Empfangsstaates ohne Zustimmung des Leiters einer Vertretung deren Räumlichkeiten durchsucht, dort befindliche Gegenstände beschlagnahmt und dort Personen festgenommen haben? aa) Pflicht zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands Der Empfangsstaat ist als Völkerrechtssubjekt, dem das völkerrechtswidrige Handeln seiner Strafverfolgungsorgane zuzurechnen ist, dem Entsendestaat als dem durch die Unverletzlichkeit geschützten Staat verantwortlich.58 Er ist gemäß dem auch im Völkerrecht geltenden Grundsatz der Naturalrestitution primär verpflichtet, – soweit möglich – den Zustand, der vor der Rechtsverletzung bestand, wiederherzustellen.59 Weitergehende Ansprüche des Entsendestaates, etwa auf Zahlung von Schadensersatz, brauchen hier nicht untersucht zu werden. Das Gebot der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands aber hat für das Strafrecht unmittelbare Bedeutung. Denn es verpflichtet den Empfangsstaat und damit seine Strafverfolgungsorgane, die Wirkungen der völkerrechtswidrig durchgeführten strafprozessualen Maßnahmen zu beenden und ihre Folgen rückgängig zu machen. Dies bedeutet, daß Beschlagnahmen aufzuheben und einbehaltene Gegenstände, auch wenn sie für die Durchführung eines Strafverfahrens große Bedeutung haben, zurückzugeben sind. Festgenommene Personen sind freizulassen und in die geschützten Räumlichkeiten zurückzubringen.60 Da die völkerrechtlichen Regeln über die Folgen völkerrechtlichen Unrechts gewohnheitsrechtlich gelten und damit in der Bundesrepublik gemäß Art. 25 GG Vorrang vor einfachem Bundesrecht haben, gehen sie den Bestimmungen der StPO vor. Daher haben die Strafverfolgungsbe___________ Vgl. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, vor § 39 Rn. 2, § 39 Rn. 1 ff.; Seidl-Hohenveldern/ Stein, Völkerrecht, Rn. 1658 ff. 59 Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1685. 60 A.A. aber der norwegische Supreme Court im 1973 entschiedenen Fall Dorf; ILR 71, 552 (556 ff.). Doch verkannte das Gericht in diesem Fall die Reichweite der Unverletzlichkeit. Siehe zu diesem Fall auch Denza, Diplomatic Law, S. 223. Das „Freilassungsgebot“ schließt nicht aus, völkerrechtswidrig festgenommene Personen dann, wenn sie freiwillig oder auf Veranlassung des Entsendestaates die geschützten Räumlichkeiten verlassen, außerhalb dieser sofort erneut zu verhaften; es sei denn, es handelt sich um Personen, die aufgrund einer ihnen zukommenden personenbezogenen Exemtion der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates entzogen sind. 58
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hörden, die die Regeln gemäß Art. 25 GG unmittelbar zu beachten und anzuwenden haben, die gebotene „Folgenbeseitigung“ gegebenenfalls auch entgegen den Bestimmungen der StPO, namentlich der §§ 111k und 120 StPO, durchzuführen. Staatliche Strafverfolgungsinteressen und private Ansprüche Dritter können einer Freilassung festgehaltener Personen und einer Rückgabe beschlagnahmter Gegenstände nicht entgegengehalten werden; sie sind gegenüber der Pflicht zur Restitution nachrangig. bb) Zur Frage eines strafprozessualen Verwertungsverbots Unabhängig von der Verpflichtung zur Rückgängigmachung der unmittelbaren Folgen einer Mißachtung der Unverletzlichkeit stellt sich die Frage, ob Erkenntnisse, die im Rahmen von Ermittlungsmaßnahmen gewonnen wurden, deren Durchführung gegen die Unverletzlichkeit diplomatischer oder konsularischer Räumlichkeiten verstoßen hat, in Strafverfahren einem Verwertungsverbot unterliegen oder nicht. Eine Verwertung so erlangter Erkenntnisse ist vielfach unabhängig von der oben geschilderten Pflicht zur Beseitigung der unmittelbaren Unrechtsfolgen möglich. So können beispielsweise Erkenntnisse über Gegenstände, die in den Räumlichkeiten vorgefunden wurden, auch durch eine Vernehmung der Personen, die eine Durchsuchung bzw. Beschlagnahme durchgeführt haben, verwertet werden, also auch dann, wenn die verbotenerweise beschlagnahmten Gegenstände bereits zurückgegeben wurden. Entsprechendes gilt für den Inhalt von beschlagnahmten Schriftstücken. Dieser kann etwa durch Verlesung von Kopien oder Abschriften auch dann in ein Verfahren eingebracht werden, wenn das Schriftstück selbst zurückgegeben wurde. Zudem ist an Ermittlungsmaßnahmen zu denken, bei denen eine unmittelbare Wiedergutmachung der Unrechtsfolgen ihrer Natur nach ausscheidet. Hierzu gehören Fälle der völkerrechtswidrigen Überwachung der Telekommunikation oder völkerrechtswidrige Maßnahmen nach § 100c StPO. Gerade bei diesen Maßnahmen stellt sich die Frage, ob die durch eine Telefonüberwachung oder einen „Lauschangriff“ gewonnenen Erkenntnisse in einem späteren Strafverfahren verwertet werden dürfen.61 Ob ein Verstoß gegen eine (völkerrechtliche) Rechtsvorschrift ein Beweisverwertungsverbot zur Folge hat, richtet sich zum einen danach, ob die verletzte Vorschrift dem Schutz der beschuldigten Person zu dienen bestimmt ist, ob sie also seine Rechtssphäre betrifft. Wenn eine Norm im Interesse des Beschuldigten bestimmte Strafverfolgungsmaßnahmen untersagt, dürfen Erkenntnisse, die unter Verletzung dieser Norm gewonnen wurden, in dem gegen den Beschuldigten be___________ Zur Frage der Verwertbarkeit unter Mißachtung der Unverletzlichkeit geschützter Räumlichkeiten erlangter Beweise gibt es bezogen auf Deutschland nur zwei veröffentlichte Entscheidungen: BGHSt 36, 396 = NJW 1990, 1799 und BGHSt 37, 30 = NJW 1990, 1801. In beiden Beschlüssen ging es um den oben in § 16 I.2.b)bb) geschilderten Fall der Überwachung eines Telefonanschlusses des türkischen Generalkonsulats in Hamburg. 61
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triebenen Strafverfahren nicht verwertet werden. Darüber hinaus ist zum anderen dann ein Verwertungsverbot anzunehmen, wenn die Verwertung eines rechtswidrig erlangten Beweismittels unmittelbar rechtlich schutzwürdige Interessen einer anderen Person tangieren würde, zu deren Gunsten die bei der Beweiserlangung verletzte Vorschrift wirken soll. Entscheidend sind also der Schutzbereich und der Schutzzweck der mißachteten Norm.62 Die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten diplomatischer und berufskonsularischer Vertretungen wird – wie alle diplomatischen und konsularischen Exemtionen – ausschließlich im Interesse des Entsendestaates gewährt. Es ist nicht ihr Ziel, einzelnen Personen bestimmte subjektive Vorrechte zu verschaffen oder sie ihrer Person wegen zu schützen.63 Daraus folgt: Jedenfalls in Strafverfahren gegen Privatpersonen, also gegen Personen, die nicht Mitglied der betreffenden diplomatischen oder konsularischen Vertretung sind, dürfen grundsätzlich auch solche Beweise verwertet werden, die unter Mißachtung der Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten der Vertretung erlangt wurden. Insofern besteht grundsätzlich kein Beweisverwertungsverbot.64 Denn weder dient die Unverletzlichkeit dem persönlichen Schutz von Privatpersonen65 ___________ 62 Vgl. BGHSt 37, 30 (32) = NJW 1990, 1801 (1801); BGHSt 46, 189 (195) = NJW 2001, 528 (529); Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 457 f.; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Einl. Rn. 55; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 18 ff. Eine allgemeingültige und abstrakte Kennzeichnung derjenigen Rechtsverstöße bei der Beweisgewinnung, die ein Verwertungsverbot zur Folge haben, ist nicht möglich. Es muß vielmehr stets auf den Schutzzweck der konkret verletzten Norm abgestellt und gefragt werden, ob dieser eine Verwertung im Einzelfall verbietet. 63 Vgl. zum Schutzzweck der Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten diplomatischer und berufskonsularischer Vertretungen auch die Ausführungen in den Vorbemerkungen zu diesem Kapitel. 64 Ebenso Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 18 GVG Rn. 7; KK-StPOPfeiffer, § 18 GVG Rn. 7, § 19 GVG Rn. 5. A.A. LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 6. 65 Eine Privatperson, die in den Räumlichkeiten einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung oder in einem Telefongespräch mit Mitgliedern einer Vertretung strafrechtlich relevante Informationen mitteilt bzw. als Beweismittel relevante Gegenstände in den Räumlichkeiten deponiert oder dort hinterläßt, ist in keiner Weise besonders schutzwürdig. Juristisch gesehen macht es keinen Unterschied, ob eine Person mit einer diplomatischen bzw. konsularischen Vertretung oder mit einem Privatunternehmen bzw. einer sonstigen Einrichtung in Kontakt tritt. Einen Rechtsanspruch, auch unter Verstoß gegen Strafrechtsnormen des Empfangsstaates mit einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung in Kontakt treten zu dürfen, gibt es nämlich nicht. Privatpersonen wird vom WÜD und vom WÜK kein Recht eingeräumt, ohne die Gefahr einer Kenntniserlangung durch den Empfangsstaat und damit ohne die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung durch diesen vertrauliche Informationen übermitteln zu können, vertrauliche Gespräche führen oder Gegenstände überbringen zu können, von denen der Empfangsstaat nichts wissen soll. Vielmehr sind Privatpersonen verpflichtet, sich auch im Verkehr mit diplomatischen oder konsularischen Vertretungen an die Rechtsnormen des Empfangsstaates zu halten. Zwar sind auch die durch Exemtionen geschützten Mitglieder von diplomatischen oder konsularischen Vertretungen verpflichtet, die Rechtsvorschriften des Empfangsstaates zu beachten, doch lassen sich Exemtionen für diese – anders als für Privatpersonen – damit
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noch hat der Entsendestaat ein legitimes Interesse daran, daß rechtswidrig erlangte Beweise – jedenfalls solche, die nicht unmittelbar die diplomatische bzw. konsularische Arbeit betreffen – nicht gegen eine Privatperson, also zum Beweis einer von ihr begangenen Straftat, verwendet werden dürfen.66 Wenn also beispielsweise eine Privatperson einen befreundeten Diplomaten gebeten hat, illegal erworbene Gegenstände oder Akten, die Aufschluß über illegale Vermögensgeschäfte geben, in den Räumlichkeiten einer Botschaft zu verwahren, um sie dem Zugriff der Strafverfolgungsorgane des Empfangsstaates zu entziehen, so dürfen diese die Sachen zwar gemäß Art. 22 Abs. 1 und 3 WÜD ohne Zustimmung des Missionschefs in den Räumlichkeiten der Mission nicht suchen und nicht beschlagnahmen. Wenn sie dies aber dennoch getan haben, so steht ihrer Verwertung in einem gegen die Privatperson geführten Strafverfahren nichts entgegen. Wenn im Zuge einer – völkerrechtswidrigen – Überwachung eines Telefonanschlusses einer Botschaft ein privates Gespräch eines Diplomaten mit einem Bekannten abgehört wird, in dem der Bekannte des Diplomaten diesem über illegale Aktivitäten, etwa über einen von ihm begangenen Diebstahl, berichtet, so dürfen diese rechtswidrig erlangten Kenntnisse in einem gegen den Bekannten durchgeführten Strafverfahren verwertet werden. Ein Beweisverwertungsverbot ist aber – unabhängig davon, gegen wen ein Strafverfahren gerichtet ist – dann anzunehmen, wenn durch die Verwertung eines unter Mißachtung der Unverletzlichkeit diplomatischer oder konsularischer Räumlichkeiten erlangten Beweises erneut in eine schützenswerte Rechtsposition des Entsendestaates eingegriffen würde. So soll die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten – wie auch die Unverletzlichkeit der Archive, Schriftstücke und Korrespondenzen – unter anderem verhindern, daß sich der Empfangsstaat über den Inhalt der Arbeit ___________ rechtfertigen, daß ihre ungehinderte Arbeit im Empfangsstaat nur dann auch unter schwierigen Umständen möglich ist, wenn sie durch eine Freistellung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit geschützt sind, vor allem vor einer unlauteren und mißbräuchlichen Inanspruchnahme. 66 Man könnte zwar überlegen, ob ein Beweisverwertungsverbot in Strafverfahren gegen Privatpersonen insofern mittelbar im Interesse des Entsendestaates liegt, als manche wichtige Informationen nur erlangt werden können, wenn die privaten Informanten davon ausgehen können, daß in den Räumlichkeiten einer diplomatischen Mission oder konsularischen Vertretung ihre Informationen, ihre dort getätigten Äußerungen und ihre dort hinterlassenen Gegenstände vor einem Zugriff bzw. einer Kenntniserlangung durch den Empfangsstaat sicher sind und nicht in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden können. Insofern kann ein Verwertungsverbot in Verfahren gegen Privatpersonen im Interesse der Funktionsfähigkeit der diplomatischen und konsularischen Beziehungen und damit im mittelbaren Interesse des Entsendestaates liegen. Aber eine solch extensive Schutzbereichsausdehnung ginge zu weit. Denn Art. 3 Abs. 1 lit. d) WÜD und Art. 5 lit. c) WÜK gestatten den Vertretungen nur, sich mit rechtmäßigen Mitteln zu unterrichten. Eine Informationsgewinnung auf eine Art und Weise, die nach der Rechtsordnung des Empfangsstaates strafbar ist, ist nicht gestattet und mithin nicht schutzwürdig. Ein Interesse des Entsendestaates daran, daß Informanten nicht mit Hilfe von Beweisen überführt werden, die unter Mißachtung der Unverletzlichkeit diplomatischer oder konsularischer Räumlichkeiten erlangt wurden, kann daher ein Verwertungsverbot nicht begründen.
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einer Vertretung Kenntnis verschaffen und über diese Informationen verfügen kann. Die Unverletzlichkeitsregelungen sollen also sicherstellen, daß die Mitglieder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung selbst entscheiden können, welche Inhalte ihrer Arbeit wann welchen Personen zur Kenntnis gelangen. Wenn nun in einem Gerichtsverfahren solche Kenntnisse, die völkerrechtswidrig erlangt wurden, verwertet würden, etwa durch Verlesung des Inhalts von erlangten Schriftstücken oder von Abhörprotokollen, so würde die Rechtsverletzung wiederholt bzw. dadurch, daß die Kenntnisse weiteren Personen, unter Umständen sogar der Öffentlichkeit, bekannt gemacht würden, sogar verstärkt. Daher scheidet die Verwertung von Beweisen, die unter Verstoß gegen die Unverletzlichkeit erlangt wurden, dann aus, wenn sie sich auf den Inhalt der diplomatischen oder konsularischen Arbeit beziehen. Allerdings ist diesbezüglich eine Einschränkung zu machen. Schutzwürdig sind nämlich nicht alle Informationen und Daten, die die diplomatische oder konsularische Tätigkeit betreffen. Ein Recht darauf, daß der Empfangsstaat rechtswidrig erlangte dienstbezogene Kenntnisse nicht durch eine Verwertung als Beweismittel in einem Strafverfahren weiter verbreitet, kann nur insoweit anerkannt werden, als die Informationen und Daten im Rahmen rechtmäßiger diplomatischer oder konsularischer Tätigkeiten erlangt wurden und völkerrechtlich anerkannte und rechtmäßige Aktivitäten der Vertretung betreffen. Denn die diplomatischen und konsularischen Vertretungen dürfen nur solche Aktivitäten entfalten, die nach Art. 3 WÜD und Art. 5 WÜK zu den völkerrechtlich anerkannten diplomatischen und konsularischen Aufgaben gehören, und sie müssen sich zudem bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben gemäß Art. 41 Abs. 1 Satz 1 WÜD und Art. 55 Abs. 1 Satz 1 WÜK an die Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften des Empfangsstaates halten. Informationen und Daten über Aktivitäten, die nicht zum völkerrechtlich anerkannten Aufgabenbereich einer Vertretung gezählt werden können oder nach dem Recht des Empfangsstaates untersagt sind, sind nicht schutzwürdig. Dies bedeutet zum Beispiel, daß Informationen darüber, welche Personen bei einer konsularischen Vertretung einen Antrag auf eine Genehmigung für einen Aufenthalt im Entsendestaat oder für die Einfuhr bestimmter Güter in den Entsendestaat gestellt haben, auch in Verfahren gegen Privatpersonen, etwa zum Nachweis illegaler Exporte in den Entsendestaat oder verbotener wirtschaftlicher Aktivitäten im Entsendestaat, nicht verwertet werden dürfen. Wenn dagegen in einer Botschaft Schriftstücke beschlagnahmt wurden, aus denen hervorgeht, daß die diplomatische Mission bestimmte Privatpersonen als Spione beschäftigt oder terroristische Gruppierungen im Empfangsstaat mit Waffen und Sprengstoffen versorgt, so dürfen solche Erkenntnisse, auch wenn sie sich auf die dienstliche Tätigkeiten beziehen und trotz ihrer illegalen
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Erlangung in einem Strafverfahren gegen Personen, denen keine personenbezogene Immunität zukommt, verwertet werden.67 In dem bereits oben in § 16 I.2.b)bb) erwähnten Fall der Überwachung eines Telefonanschlusses des türkischen Generalkonsulats in Hamburg bejahte der BGH die Verwertbarkeit von Erkenntnissen, die durch das Abhören von Telefongesprächen erlangt worden waren, in einem Strafverfahren gegen den türkischen Sozialarbeiter, der als Informant der Konsularbeamten tätig war und dem ebenso wie den Konsularbeamten geheimdienstliche Agententätigkeit nach § 99 Abs. 1 StGB zur Last gelegt wurde. Der BGH gelangte also zu einer Bewertung, die der hier entwickelten entspricht:68 Der BGH betonte, das Beweisverwertungsverbot, das einer Verwertung der aus der völkerrechtswidrigen Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse in einem Strafverfahren gegen die Konsularbeamten entgegenstehe, wirke nicht zugunsten des Beschuldigten. Eine gesetzliche Verbotsregelung, die ihm zugute kommen könne, fehle. Er stehe der Völkerrechtsverletzung fern; sie berühre nicht seine rechtlich geschützte Sphäre. Er gehöre auch – anders als die türkischen Attachés – nicht zum konsularischen Dienst, dessen Wahrnehmung durch den Grundsatz der Unverletzlichkeit der konsularischen Räumlichkeiten (Art. 31 WÜK) vor Beeinträchtigungen geschützt werden solle. Durch die Benutzung der Telefongesprächsaufzeichnungen in dem Ermittlungs- und Strafverfahren gegen den Beschuldigten würden weder die völkerrechtlich geschützte Unverletzlichkeit der Räumlichkeit noch die Immunität der Beamten des Generalkonsulats erneut beeinträchtigt.
Bislang wurde lediglich erörtert, ob Beweise, die unter Mißachtung der Unverletzlichkeit diplomatischer oder berufskonsularischer Räumlichkeiten erlangt wurden, in Strafverfahren gegen Privatpersonen einem Beweisverwertungsverbot unterliegen. Dies wurde grundsätzlich verneint. Es bleibt aber noch zu klären, ob eine Verwertung so erlangter Beweismittel auch in Strafverfahren zulässig ist, die gegen Mitglieder diplomatischer oder konsularischer Vertretungen betrieben werden. Die bislang angestellten Überlegungen können auf den Fall einer Strafverfolgung von Mitgliedern einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung, deren räumliche Unverletzlichkeit mißachtet wurde, nicht ohne weiteres übertragen werden, da diese Personen nach dem WÜD und dem WÜK durch Exemtionen besonders ge___________ Die Frage der Verwertbarkeit von unter Mißachtung der Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Missionen erlangten dienstbezogenen Beweisen ist klar zu unterscheiden von der Frage, ob die an den Aktivitäten beteiligten Mitglieder der Vertretung strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden dürfen. Die Reichweite der ihnen zukommenden Exemtionen ist nach anderen Gesichtspunkten zu bestimmen. So genießen Diplomaten und Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission umfassende Immunität ratione personae. Diese erfaßt auch Aktivitäten, die gegen Rechtsvorschriften des Empfangsstaates verstoßen, etwa als Spionage unter Strafe gestellt sind. Dagegen besteht für Akten, die solche Aktivitäten betreffen, kein Verwertungsverbot. Auch die Immunitäten ratione materiae, etwa die der Konsularbeamten, können Handlungen erfassen, die nach der Rechtsordnung des Empfangsstaates verboten sind (vgl. hierzu oben § 13 II.3.), während für Schriftstücke des Konsulats, die sich auf solche Handlungen beziehen, kein Beweisverwertungsverbot begründet werden kann. 68 BGHSt 37, 30 (32 f.) = NJW 1990, 1801 (1801 f.). 67
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schützt sind. Hier gilt es zu beachten, daß das WÜD und das WÜK die Möglichkeit einer Strafverfolgung der meisten dieser Personen durch den Entsendestaat zumindest stark einschränken. Man könnte argumentieren, die Unverletzlichkeit der diplomatischen und konsularischen Räumlichkeiten solle nicht nur dazu dienen, daß die Mitglieder der diplomatischen bzw. konsularischen Vertretungen dort unbeeinträchtigt von Störungen und Einflußnahmen durch den Empfangsstaat ihrer dienstlichen Tätigkeit nachgehen könnten und daß der Empfangsstaat sich keinen Einblick in die diplomatische oder konsularische Tätigkeit verschaffen könne, sondern solle – im Interesse des Entsendestaates – auch die Mitglieder der Vertretungen schützen, indem dort keine Beweise erlangt werden dürften, die später in einem gegen sie gerichteten Strafverfahren Verwendung finden könnten. Die Unverletzlichkeit solle den Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen einen Freiraum schaffen, in dem sie agieren könnten, ohne befürchten zu müssen, daß ihre dort geführten Gespräche und die dort befindlichen Schriftstücke und sonstigen Gegenstände jemals in einem gegen sie geführten Strafverfahren Verwendung finden könnten. Da das aus der Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten folgende Beweisgewinnungsverbot daher auch ihrem Schutz diene (allerdings nicht in ihrem persönlichen Interesse, sondern im Interesse des Entsendestaates), unterlägen die unter Verstoß gegen die Unverletzlichkeit gewonnenen Beweise in Strafverfahren gegen Mitglieder diplomatischer bzw. berufskonsularischer Vertretungen einem Beweisverwertungsverbot. In seiner ersten Entscheidung zum Fall der Überwachung eines Telefonanschlusses des Hamburger Generalkonsulats vertrat der BGH – wie bereits erwähnt – diese Auffassung und kam zu dem Ergebnis, daß die aus dem Abhören des Anschlusses erlangten Beweise nicht in einem Strafverfahren gegen Konsularbeamte verwertet werden dürften.69 Doch greift diese Argumentation zu kurz. Denn die Frage, inwieweit die Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen vor Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates geschützt werden sollen, wird bereits durch die ihnen zukommenden personenbezogenen Exemtionen entschieden. Die durch diese Exemtionen gewährten Vorrechte sind in bezug auf das Diplomaten- und Konsularrecht als abschließend anzusehen und auch ausreichend. Soweit das WÜD und das WÜK einen Schutz bestimmter Kategorien von Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen für geboten erachtet, wird diesen als Person Immunität bzw. Unverletzlichkeit zuerkannt. Soweit dagegen eine besondere Freistellung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit aufgrund des Status als Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung nicht gerechtfertigt erscheint, ge___________ 69 BGHSt 36, 396 (398 ff.) = NJW 1990, 1799 (1800). Ebenso LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 343; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 18 GVG Rn. 7; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 19 GVG Rn. 4; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 7.
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nießen sie keine Vorrechte und Befreiungen, sondern werden wie jede andere Person behandelt. Dann ist ein besonderes Beweisverwertungsverbot nicht zu rechtfertigen. Dies bedeutet im einzelnen: Diplomaten und die Mitglieder des Verwaltungsund technischen Personals einer diplomatischen Mission sowie ihre Familienangehörigen genießen nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD und Art. 37 Abs. 1 und 2 WÜD während ihrer Amtszeit umfassende Immunität ratione personae. Sie sind der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates vollständig entzogen. Damit aber hat ein Beweisverwertungsverbot für sie keinerlei Bedeutung. Wenn überhaupt kein Strafverfahren betrieben werden darf, kommt es auf ein Verbot der Verwertung einzelner Beweise nicht an. Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer diplomatischen Mission sowie Diplomaten, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, genießen nach Art. 37 Abs. 3 WÜD und Art. 38 Abs. 1 WÜD lediglich Immunität ratione materiae. Gleiches gilt gemäß Art. 43 Abs. 1 WÜK für Berufskonsularbeamte und in berufskonsularischen Vertretungen tätige Mitglieder des Verwaltungs- oder technischen Personals sowie gemäß Art. 71 Abs. 1 WÜK für Konsularbeamte, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind. Soweit es um Handlungen dieser Personen geht, die von einer Immunität ratione materiae umfaßt sind, kommt es ebenfalls auf ein Beweisverwertungsverbot nicht an, da bereits ein Strafverfahren als solches gegen diese Personen untersagt ist. Dies hat der BGH in seinem ersten Beschluß zum Fall der Überwachung eines Telefonanschlusses des türkischen Generalkonsulats in Hamburg übersehen. Die den Konsularbeamten vorgeworfenen Handlungen waren nach Art. 43 Abs. 1 WÜK von der ihnen zukommenden Immunität ratione materiae umfaßt, so daß eine Strafverfolgung von vornherein ausgeschlossen war.70 Sofern es aber um Strafverfahren gegen Mitglieder diplomatischer oder konsularischer Vertretungen geht, die keine personenbezogene Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen, oder aber um Handlungen, die nicht von einer allein gewährten Immunität ratione materiae umfaßt sind, sollen diese Personen nach der Bewertung des WÜD und des WÜK der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates in gleicher Weise unterliegen wie jede andere Person auch. In diesem Fall kann von einer besonderen Schutzwürdigkeit nicht die Rede sein. Dann aber wäre ein besonderer Schutz durch ein Beweisverwertungsverbot verfehlt. Wenn beispielsweise ein Konsularbeamter in den Räumen einer berufskonsularischen Vertretung Dokumente verwahrt, die seine (private) Mitwirkung an einer Bande beweisen, die Autos stiehlt und ins Ausland verschiebt, so darf zwar im Rahmen eines diesbezüglichen Ermittlungsverfahrens das Konsulat nicht durchsucht werden und dürfen die dort befindlichen Dokumente nicht beschlagnahmt ___________ 70
Vgl. oben Anm. 35.
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werden. Dem steht die Unverletzlichkeit der Vertretung nach Art. 31 Abs. 2 Satz 1 WÜK entgegen. Sofern aber völkerrechtswidrig eine Durchsuchung und Beschlagnahme dieser Dokumente stattgefunden hat, besteht kein Anlaß für ein Beweisverwertungsverbot, da legitime Interessen des Entsendestaates nicht berührt sein können. Eine Strafverfolgung des Konsularbeamten ist nämlich, da dieser gemäß Art. 43 Abs. 1 WÜK bloß Immunität ratione materiae genießt, nach dem WÜK gestattet. Ein Interesse des Entsendestaates daran, daß eine Verfolgung unterbleibt – und mithin auch ein Interesse daran, daß die unter Mißachtung der Unverletzlichkeit der konsularischen Räumlichkeiten gewonnenen Beweise nicht verwertet werden dürfen – erkennt das WÜK nicht an. Dies ist auch sachgerecht. Als Ergebnis ist damit festzuhalten, daß grundsätzlich auch in Strafverfahren gegen Mitglieder diplomatischer oder konsularischer Vertretungen Beweise verwertet werden dürfen, die unter Mißachtung der Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten der Vertretung erlangt wurden. Sofern nämlich sachlich ein Beweisverwertungsverbot zu legitimieren wäre, ist es überflüssig, da in diesen Fällen bereits eine personenbezogene Exemtion der Mitglieder konsularischer und diplomatischer Vertretungen einer Strafverfolgung umfassend entgegensteht, es also auf ein Beweisverwertungsverbot nicht mehr ankommen kann. f) Zulässigkeit von präventiv-polizeilichen Abwehrmaßnahmen Auch wenn die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten diplomatischer Missionen und berufskonsularischer Vertretungen die Vornahme von strafprozessualen Maßnahmen ohne Ausnahme untersagt, so bedeutet dies nicht, daß die Organe des Empfangsstaates stets von einem Betreten der Grundstücke und Gebäude absehen müssen. Es kann einem Empfangsstaat nicht zugemutet werden, auch dann noch die Unverletzlichkeit achten zu müssen, wenn beispielsweise in einer Botschaft ein Feuer ausgebrochen ist und auf benachbarte Gebäude überzugreifen droht, wenn aus dem Gebäude einer Mission Schüsse auf Passanten abgegeben werden, in diesem Menschen gefangengehalten werden oder wenn in den Räumen Sprengstoffe oder radioaktive Materialien gelagert werden, die jederzeit explodieren bzw. die Umgebung verstrahlen können. Ebenso wie die personenbezogenen Exemtionen Gefahrenabwehrmaßnahmen nicht entgegenstehen,71 so schließt auch die Unverletzlichkeit diplomatischer und konsularischer Räumlichkeiten ein Ergreifen präventiv-polizeilicher Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nicht aus.72 ___________ Vgl. hierzu oben § 13 I.1.a)gg). Wie hier Berber, Völkerrecht, Bd. I, S. 289; Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (87); Kokott/ Doehring/Buergenthal, Grundzüge des Völkerrechts, Rn. 455; Cameron, ICLQ 34 (1985), 610 (612); Denza, Diplomatic Law, S. 126; Doehring, Spionage im Friedensvölkerrecht, S. 307 (322 ff.); ders., in: Böckstiegel u.a. (Hrsg.), FS Seidl-Hohenveldern, S. 51 (54); 71 72
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Voraussetzung für die Zulässigkeit des Betretens der Räumlichkeiten zur Vornahme von Gefahrenabwehrmaßnahmen ist aber, daß eine unmittelbare Gefahr für Personen oder Gegenstände außerhalb der geschützten Grundstücke und Gebäude bzw. für Personen, die nicht Mitglieder der Vertretung sind, besteht.73 Eine Gefahr, die nur für das Grundstück oder die Gebäude einer Vertretung bzw. die Mitglieder der Vertretung droht, berechtigt ebensowenig zum Eingreifen wie ein bloßer Gefahrenverdacht, etwa der, daß in einer Botschaft Waffen gelagert werden. Während daher beispielsweise die Feuerwehr des Empfangsstaates bei einem Brand in einer Botschaft, der auf benachbarte Häuser von Privatpersonen überzugreifen droht, selbst dann das Gelände und das Gebäude der Botschaft betreten darf, wenn ein Einverständnis des Chefs der Mission nicht vorliegt, gilt dies bei einem Brand in einem freistehenden Botschaftsgebäude, der allenfalls dieses Gebäude zerstören kann, nicht.74 Auch wird man, um der Gefahr eines Mißbrauchs entgegenzuwirken, ___________ ders., Völkerrecht, Rn. 676, 682; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 58; Herdegen, ZaöRV 46 (1986), 734 (749 ff.); ders., Völkerrecht, § 38 Rn. 5; Kokott, in: Beyerlin u.a. (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 135 (142 ff.); Mann, in: Hailbronner u.a. (Hrsg.), FS Doehring, S. 553 (560 ff. mit Fn. 24); Nascimento E Silva, Diplomacy in International Law, S. 96; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 532 f.; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 47, 182 (mit der Einschränkung, daß ein Recht zum Betreten von Räumlichkeiten diplomatischer Missionen nur zur Abwehr von Gefahren für menschliches Leben angenommen wird); Tölle/Pallek, DÖV 2001, 547 (551 ff.); Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1041 f.). Ebenso auch die Draft Convention on Diplomatic Privileges and Immunities der Harvard Law School von 1932 zum Diplomatenrecht, AJIL 26 (1932), Supplement, 15 (52 f.): “The draft does not undertake to provide for well known exceptions in practice, as when the premises are on fire or where there is imminent danger that a crime or violence is about to be perpetrated upon the premises. In such case it would be absurd to wait for the consent of a chief of mission in order to obtain entry upon the premises. Like acts of God and force majeure these are necessarily implied as exceptions to the specific requirement of prior consent for entry. (…) Other ill-defined exceptions (…) based on the right to self defense or conservation, must be admitted.” Gegen ein Recht zum Betreten hinsichtlich Räumlichkeiten diplomatischer Missionen aber Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 72; Blischtschenko, Diplomatenrecht, S. 33; Cahier, IC 571 (1969), 5 (21); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 288; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 61; Higgins, AJIL 79 (1985), 641 (646 f.); Matz, Vienna Convention on Diplomatic Relations (1961), Addendum 1999, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1301 (1302); Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 110; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 302 ff., 417; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1017, 1089 ff.; Shearer, Starke’s International Law, S. 201. Gegen ein „Gefahrenabwehrrecht“ im Hinblick auf konsularische Räumlichkeiten auch Kadelbach, Vienna Convention on Consular Relations (1963), Addendum 2000, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1289 (1294). 73 Zu beachten ist, daß der Empfangsstaat, der sich auf ein Recht zur Gefahrenabwehr beruft, die „Beweislast“ für das Vorliegen einer Gefahrensituation trägt, in der ein Einschreiten ausnahmsweise gestattet ist. Wenn sich herausstellt, daß bei einer ex anteBetrachtung aus der Sicht der handelnden Organe die Voraussetzungen für ein Einschreiten nicht gegeben waren, so ist der Empfangsstaat dem Entsendestaat völkerrechtlich verantwortlich. Ebenso Kokott, in: Beyerlin u.a. (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 135 (146); Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1042). 74 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 676. Zur Sonderregelung des Art. 31 Abs. 2 Satz 2 WÜK für die Räumlichkeiten konsularischer Vertretungen siehe unten.
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für die Zulässigkeit eines Eingreifens eine konkrete und unmittelbare Gefahr zu fordern haben und ein Eingreifen nur bei einer Gefahr für Individualrechtsgüter für statthaft erachten dürfen. Wenn also beispielsweise der Empfangsstaat Kenntnis darüber erlangt, daß in den Räumlichkeiten einer Botschaft gegen ihn gerichtete Spionage betrieben wird, darf er nicht zur Unterbindung dieser – auch völkerrechtlich verbotenen – Aktivitäten einschreiten. Die Zulässigkeit von solchen präventiv-polizeilichen Abwehrmaßnahmen ist zwar weder im WÜD noch im WÜK explizit geregelt.75 Sie ergibt sich jedoch aus dem Völkergewohnheitsrecht. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß das WÜD und das WÜK in ihren Präambeln jeweils ausdrücklich darauf hinweisen, daß für die in den Abkommen nicht geregelten Fragen weiterhin das Völkergewohnheitsrecht anwendbar sein soll. Aus der Tatsache, daß das WÜD und das WÜK keine explizite Erlaubnis für Gefahrenabwehrmaßnahmen enthalten, darf daher nicht der Schluß gezogen werden, die Unverletzlichkeit stehe auch solchen Maßnahmen stets entgegen.76 Zur Begründung eines solchen Gefahrenabwehrrechts kann auf das staatliche Selbstverteidigungsrecht verwiesen werden: Die Staaten haben in Extremfällen immer das Recht für sich in Anspruch genommen, drohende Gefahren für Menschen und Sachwerte in ihrem Land abzuwehren. Die Regelung des Selbstverteidigungsrechtes in Art. 51 UN-Charta, das als „naturgegeben“ bezeichnet wird, ist nur ein Beispiel für ein solches allgemeines, nicht nur völkergewohnheitsrechtlich, sondern – wie Art. 51 UN-Charta bestätigt – sogar vorpositiv naturrechtlich geltendes staatliches Notwehr- und Nothilferecht.77 Art. 51 UN-Charta zeigt, daß sogar ___________ 75 Vgl. aber die gemäß Art. 73 Abs. 1 WÜK vorrangige Regelung in Art. 8 Abs. 3 Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland vom 30.7.1956; BGBl. 1957 II, S. 285 (289). Dort ist eine Betretenserlaubnis in Gefahrensituationen durch eine unwiderlegbare Zustimmungsfiktion normiert. Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 291 f., 416 meint, eine Betretenserlaubnis bei Unglücksfällen folge aus der positiven Schutzpflicht des Empfangsstaates; so unter Verweis auf Seidenberger auch Tölle/Pallek, DÖV 2001, 547 (551, 554). Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Die Schutzpflicht gebietet dem Empfangsstaat nur, Angriffe von außen auf die geschützten Räumlichkeiten zu unterbinden. Keinesfalls berechtigt sie dazu, gegen oder ohne den Willen des Entsendestaates die Räumlichkeiten bei einem Unglücksfall zu betreten. 76 Auch unter den Mitgliedern der ILC, die einen Entwurf für eine Diplomatenrechtskonvention erarbeitete, wurde die Auffassung vertreten, daß sich ein Recht auf Einschreiten zur Abwehr von Gefahren aus dem neben dem WÜD weitergeltenden Völkergewohnheitsrecht ergebe. Vor allem Verdross vertrat diese Meinung. Die Mehrheit der Kommissionsmitglieder entschied sich aber dafür, die umstrittene Frage nicht in der Konvention zu regeln, sondern der Staatenpraxis zu überlassen. Vgl. die Darstellung bei Herdegen, ZaöRV 46 (1986), 734 (739 f.) sowie die Protokolle über die Diskussion innerhalb der ILC in YBILC 1957 I, 54 ff.; YBILC 1958 I, 127 ff. 77 Auch der IGH scheint in seiner Hauptsacheentscheidung zum „Teheraner Geiselfall“ von einem naturgegebenen Gefahrenabwehrrecht auszugehen, wenn er betont: “Naturally, the observance of this principle does not mean (…) that a diplomatic agent caught in the
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das Gewaltverbot in Notsituationen überwunden werden kann. Dann muß dies für andere Verbote ebenso gelten. Art. 51 UN-Charta regelt keinesfalls abschließend die Fälle, in denen sich Staaten auf ein Selbstverteidigungsrecht berufen können.78 Vielmehr wird nur für den Fall eines bewaffneten Angriffs die naturgegebene Existenz eines staatlichen Notwehrrechts (und Nothilferechts) besonders herausgehoben. Das gewohnheitsrechtlich bzw. sogar vorpositiv geltende Selbstverteidigungsrecht ist auch Bestandteil des gewohnheitsrechtlich geltenden Diplomaten- und Konsularrechts, das gemäß den Präambeln zu WÜD und WÜK deren Exemtionsregelungen ergänzt.79 Zwar ist die Staatenpraxis hinsichtlich eines Rechts auf ein Eingreifen zur Vornahme von Gefahrenabwehrmaßnahmen recht dürftig.80 Doch darf daraus nicht der Schluß gezogen werden, ein solches Recht gebe es nicht.81 Es zeigt sich lediglich, ___________ act of committing an assault or other offence may not, on occasion, be briefly arrested by the police of the receiving State in order to prevent the commission of the particular crime.” (IGH, ICJ-Reports 1980, 3 [40]). 78 So aber Kokott, in: Beyerlin u.a. (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 135 (143 f.). Wie hier dagegen Herdegen, ZaöRV 46 (1986), 734 (750 ff.). Vgl. zur Interpretation des Art. 51 UNCharta auch Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rn. 18. 79 Brown, ICLQ 37 (1988), 53 (87); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 275 f.; Denza, Diplomatic Law, S. 126; Doehring, in: Böckstiegel u.a. (Hrsg.), FS SeidlHohenveldern, S. 51 (54); Herdegen, ZaöRV 46 (1986), 734 (750 ff.); ders., Völkerrecht, § 38 Rn. 5; Mann, in: Hailbronner u.a. (Hrsg.), FS Doehring, S. 553 (560 ff. mit Fn. 24). A.A. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 61; Higgins, AJIL 79 (1985), 641 (646 f.); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 304 ff. Verfehlt ist die Behauptung von Doehring, a.a.O., S. 51 (54), es sei „aus dogmatischer Sicht gleichgültig“, ob man mit der Figur des Selbstverteidigungsrechts oder dem Rechtsinstitut der Verwirkung argumentiere. Denn ein Selbstverteidigungsrecht berechtigt nur zur Vornahme von Gefahrenabwehrmaßnahmen, also nicht zu Eingriffen nach Beseitigung der Gefahr. Würde man dagegen bei rechtswidrigem Handeln in den Räumen einer Vertretung eine Verwirkung der Unverletzlichkeit annehmen, so bedeutete dies einen Rechtsverlust und mithin auch die Zulässigkeit repressiven strafrechtlichen Vorgehens. Ein solches aber ist vom Völkerrecht nicht gedeckt (vgl. oben § 16 I.2.b)). Deshalb kann auch der Auffassung von Kokott, in: Beyerlin u.a. (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 135 (142 ff.), die die Zulässigkeit von Gefahrenabwehrmaßnahmen mit dem Institut der Verwirkung begründen will, nicht gefolgt werden. 80 Einige Fälle werden genannt bei Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 494 Fn. 30 und Fischer/Köck, Völkerrecht, Rn. 847. Als ein Fall aus der Staatenpraxis, in der ein Eingriffsrecht zur Gefahrenabwehr bejaht wurde, kann wohl auch die Beendigung der Geiselnahme in der japanischen Botschaft in Peru angeführt werden. Im Dezember 1996 drangen Mitglieder einer Guerillagruppe in die Residenz des japanischen Botschafters in Peru ein und nahmen die sich dort anläßlich eines Empfangs aufhaltenden 480 Personen als Geiseln. Im April 1997 stürmten militärische Einheiten von Peru die Residenz und befreiten die Geiseln gewaltsam. Soweit ersichtlich, hatte Japan im Vorfeld der Aktion keinen Verzicht auf die Unverletzlichkeit der Residenz erteilt, doch zeigte man sich im nachhinein einverstanden mit dem peruanischen Vorgehen. Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 137; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 60; Matz, Vienna Convention on Diplomatic Relations (1961), Addendum 1999, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1301 (1302). 81 So aber Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 61.
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daß zum einen die erforderliche Gefahrenschwelle hoch angesetzt ist, also nur bei unmittelbar bevorstehenden Gefahren für besonders wichtige Rechtsgüter die Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen nach der Rechtsüberzeugung der Staaten bejaht werden kann, zum anderen, daß es recht wenige Fälle gibt, in denen Gefahrenabwehrmaßnahmen tatsächlich ergriffen werden müssen. Denn in aller Regel verhalten sich die Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen den ihnen auferlegten Pflichten entsprechend. Allerdings wird in der Literatur immer wieder darauf verwiesen, das WÜK enthalte doch eine – abschließende – Bestimmung über die Zulässigkeit von Gefahrenabwehrmaßnahmen. Denn in Art. 31 Abs. 2 Satz 2 WÜK heißt es im Anschluß an die Feststellung, daß die Räumlichkeiten einer berufskonsularischen Vertretung nur mit Zustimmung bestimmter Vertreter des Entsendestaates betreten werden dürften: „Jedoch kann bei Feuer oder einem anderen Unglück, wenn sofortige Schutzmaßnahmen erforderlich sind, die Zustimmung des Leiters der konsularischen Vertretung vermutet werden.“
Aus dieser Norm – so wird argumentiert – folge, daß bei Feuer und anderen Unglücksfällen das Einverständnis mit einem Betreten der geschützten Räumlichkeiten vermutet werden dürfe und die Sicherheitskräfte des Empfangsstaates zur Vornahme von Gefahrenabwehrmaßnahmen das Gelände und die Gebäude betreten dürften. Doch gelte diese Vermutung nur solange, bis von seiten der Vertreter des Entsendestaates eine eindeutige Erklärung abgegeben werde. Wenn beispielsweise der Leiter einer Vertretung explizit erkläre, er gestatte das Betreten trotz des Brandes oder trotz anderer Gefahrensituationen nicht, sei die Vermutung widerlegt und ein Einschreiten unzulässig. In bezug auf die Räumlichkeiten diplomatischer Missionen wird angenommen, daß deshalb, weil das WÜD eine entsprechende Regelung nicht enthalte, eine solche Vermutung zugunsten einer Betretungserlaubnis nicht existiere, hier also stets ein von zuständigen Vertretern des Entsendestaates erklärter Verzicht auf die Unverletzlichkeit erforderlich sei.82 ___________ So etwa Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 288; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 61. Verdross/Simma, Völkerrecht, § 895 meinen jedoch, es dürfe in Ausnahmefällen auch hinsichtlich diplomatischer Räumlichkeiten von einer Zustimmung des Missionschefs zur Vornahme von Gefahrenabwehrmaßnahmen ausgegangen werden. Ebenso George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (118) und Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 46. Doch hilft diese Interpretation nur in Fällen, in denen ein Eingreifen im (objektiven) Interesse der Mission liegt, etwa beim Ausbruch eines Feuers im Missionsgebäude. In der Staatspraxis ging es jedoch stets um Fälle, in denen sich die Mission geweigert hatte, ein Betreten zuzulassen. Dann kann nicht mit der Figur einer Zustimmungsvermutung argumentiert werden, sondern führt nur die Annahme der Existenz einer gewohnheitsrechtlichen Ausnahmeklausel von der Unverletzlichkeit zu sachgerechten Ergebnissen. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1041), der zutreffend darauf verweist, daß ein ausdrücklicher Widerspruch gegen ein Betreten von seiten der Organe des Entsendestaates nicht durch eine Zustimmungsvermutung 82
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Doch vermag diese Argumentation nicht zu überzeugen. Sie vernachlässigt die berechtigten Interessen des Empfangsstaates zu sehr. In den Fällen, in denen eine Gefahrensituation über den Bereich der geschützten Räumlichkeiten hinausreicht, also eine Gefahr auch für Personen oder Sachen außerhalb der geschützten Räumlichkeiten besteht, kann es nicht von der Entscheidung des Entsendestaates abhängig gemacht werden, ob der Empfangsstaat seiner Aufgabe, für Sicherheit in seinem Hoheitsgebiet zu sorgen, nachkommen darf oder nicht. Die Tatsache, daß im WÜD keine Erlaubnisregelung für die Vornahme von Gefahrenabwehrmaßnahmen enthalten ist, beruht zudem nicht auf einem Willen der an der Vertragsausarbeitung beteiligten Staaten, solche Maßnahmen in keinem Fall zu gestatten, sondern darauf, daß man sich – angesichts der in der Tat nicht zu unterschätzenden Mißbrauchsgefahr – nicht auf eine Formulierung einer entsprechenden Ausnahmeklausel einigen konnte und diesen Aspekt des Diplomatenrechts daher bewußt weiterhin nur durch das – flexiblere – Völkergewohnheitsrecht geregelt wissen wollte.83 Was nun die gesetzliche Vermutung einer Erlaubnis des Betretens in Art. 31 Abs. 2 Satz 2 WÜK anbelangt, so berücksichtigt die Auffassung, die hierin eine für den Bereich berufskonsularischer Vertretungen abschließende Regelung erblickt, mithin ein Betreten bei einem explizit erklärten Widerspruch in jedem Fall für verboten hält, nicht hinreichend, daß einerseits zwischen Maßnahmen zur Abwehr einer Gefahr, die (auch) für Personen und Sachen außerhalb der Vertretung droht und andererseits Maßnahmen zur Abwehr einer Gefahr, die lediglich für die geschützten Räumlichkeiten droht, zu differenzieren ist.84 Art. 31 Abs. 2 Satz 2 WÜK stellt nämlich die Vermutung eines Einverständnisses (auch) für den Fall auf, daß eine Gefahr bloß für die geschützten Räumlichkeiten droht, also beispielsweise in dem Gebäude einer freistehenden berufskonsularischen Vertretung ein Feuer ausgebrochen ist, das nur dieses Gebäude zu zerstören geeignet ist oder beispielsweise bei einem Sturm ein Baum auf das Gebäude zu fallen droht. In solchen Fällen kann, wenn der Leiter der Vertretung oder eine andere zuständige Person nicht zu erreichen ist, die Feuerwehr von einem „mutmaßlichen Einverständnis“ mit dem ___________ überwunden werden könne, da es im Völkerrecht eine dem § 679 BGB entsprechende Regelung nicht gebe. A.A. aber Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (415 Fn. 152). 83 Vgl. Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 (415 f.), der berichtet, daß Irland, Japan, Mexiko und Spanien Anträge auf Aufnahme einer Gefahrenabwehrklausel auf der Wiener Konferenz 1961 eingebracht hätten, diese aber keine Mehrheit fanden. Vgl. Herdegen, ZaöRV 46 (1986), 734 (739 ff.), der feststellt, daß die ILC in ihren Entwurf für eine Diplomatenrechtskonvention zwar entgegen dem Vorschlag des Sonderberichterstatters Sandström keine Ausnahmeklausel zur Gefahrenabwehr aufgenommen habe, aber dennoch die Mehrheit der Mitglieder der ILC der Auffassung gewesen sei, die Unverletzlichkeit von Missionsgebäuden kenne gewisse Ausnahmen. Vgl. ferner Kerley, AJIL 56 (1962), 88 (102 f.) sowie die Nachweise oben in Anm. 76. 84 Die Unterscheidung von Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1041 f.) entspricht wohl der hier entwickelten Differenzierung.
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Betreten ausgehen und – wie es in Art. 31 Abs. 2 Satz 2 WÜK heißt – Schutzmaßnahmen ergreifen.85 Die oben geschilderte gewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Unverletzlichkeit dagegen betrifft nur Fälle, in denen eine Gefahr droht für Personen oder Sachen außerhalb der geschützten Räumlichkeiten bzw. für Personen, die nicht Mitglieder der betreffenden Vertretung sind. In einem solchen Fall erlaubt die gewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Unverletzlichkeit also kein Eingreifen der Feuerwehr. Nur für diese Fälle hat Art. 31 Abs. 2 Satz 2 WÜK Bedeutung. Diese Bestimmung verdrängt daher auch nicht die hier erläuterte gewohnheitsrechtliche Ausnahmevorschrift für Gefahrensituationen, die über die geschützten Räumlichkeiten hinausreichen bzw. Personen betreffen, die nicht Mitglieder der Vertretung sind.86
II. Unverletzlichkeit der privaten Räumlichkeiten und Vermögenswerte von Mitgliedern diplomatischer Missionen Nach Art. 30 Abs. 1 WÜD genießt die Privatwohnung des Diplomaten dieselbe Unverletzlichkeit und denselben Schutz wie die Räumlichkeiten der Mission. Gemäß Art. 30 Abs. 2 WÜD ist sein Vermögen ebenfalls unverletzlich.87 Auch diese Unverletzlichkeit wird lediglich gewährt, um die Funktionsfähigkeit der diplomatischen Mission sicherzustellen. Der Diplomat soll, um seine Tätigkeit im Empfangsstaat ungestört und unbeeinflußt vom Empfangsstaat ausüben zu können, keinen hoheitlichen Maßnahmen des Empfangsstaates unterworfen sein. Er genießt deshalb umfassende Immunität ratione personae und persönliche Unverletzlichkeit. Aber auch durch Maßnahmen wie beispielsweise eine Durchsuchung seiner Privaträume und eine Beschlagnahme von Gegenständen, die sich dort befinden oder die in seinem Eigentum oder Besitz stehen, könnte die Arbeitsfähigkeit des Diplomaten beeinträchtigt und vor allem Einfluß auf ihn und seine Tätigkeit ausgeübt werden. Es bestünde sogar die Gefahr, daß schon durch die bloße Drohung mit solchen Maßnahmen auf die Arbeit eines Diplomaten Einfluß genommen werden könnte. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der diplomatischen Bezie___________ Vgl. zur “fire-exception clause” auch Lee, Consular Law and Practice, S. 393. Allerdings bedeutet das Fehlen einer dem Art. 31 Abs. 2 Satz 2 WÜK vergleichbaren Regelung im WÜD, daß ein Eingreifen zur Abwehr von Gefahren, die ausschließlich den Räumlichkeiten einer diplomatischen Mission oder den in diesen befindlichen Mitgliedern der Mission drohen, nur mit ausdrücklicher Zustimmung von Vertretern des Entsendestaates statthaft ist. Hier kann also eine Zustimmung nicht vermutet werden. Anders aber Verdross/ Simma, Völkerrecht, § 895. 87 Art. 30 WÜD lautet: „(1) Die Privatwohnung des Diplomaten genießt dieselbe Unverletzlichkeit und denselben Schutz wie die Räumlichkeiten der Mission. (2) Seine Papiere, seine Korrespondenz und (…) sein Vermögen sind ebenfalls unverletzlich.“ 85 86
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hungen ist deshalb neben der persönlichen Immunität und Unverletzlichkeit des Diplomaten auch die Festlegung einer Unverletzlichkeit seiner Privatwohnung und seines Vermögens geboten. Der Begriff „Privatwohnung“ umfaßt nicht nur die Räume, die unmittelbar dem Wohnen dienen, sondern auch Nebenräume einschließlich der Kellerräume und einer einem Wohnhaus angeschlossenen Garage. Zur Privatwohnung ist auch ein auf demselben Grundstück wie die Wohnräume gelegener privater Hausgarten zu zählen. Wenn ein Diplomat also im Empfangsstaat ein Wohnhaus mit angeschlossenem Garten gekauft oder gemietet hat, dann sind das gesamte Haus und das gesamte Grundstück von der Unverletzlichkeit des Art. 30 Abs. 1 WÜD erfaßt.88 Neben dem eigentlichen Wohnsitz des Diplomaten sind auch weitere private Räumlichkeiten des Diplomaten im Empfangsstaat geschützt, etwa eine Ferienwohnung oder ein Wochenendhaus, sofern diese Räumlichkeiten nicht nur vorübergehend von dem Diplomaten genutzt werden.89 Während eine nur für die Zeit eines Urlaubs gemietete Ferienwohnung also nicht dem Schutz des Art. 30 Abs. 1 WÜD unterfällt, ist eine Ferienwohnung, die der Diplomat ständig unterhält, geschützt.90 Nicht geschützt sind ferner Räumlichkeiten, die nur für sehr kurze Zeit zur Übernachtung genutzt werden, etwa Hotelzimmer während einer Reise.91 Auf die Eigentumsverhältnisse kommt es nicht an, so daß auch Räumlichkeiten, die von dem Entsendestaat angemietet und dem Diplomaten zu Wohnzwecken zur Verfügung gestellt werden, als „Privatwohnung“ im Sinne des Art. 30 Abs. 1 WÜD zu gelten haben.92 Der pauschale Verweis auf die Regelungen für die Räumlichkeiten der Mission bedeutet, daß auch die Unverletzlichkeit des Art. 30 Abs. 1 WÜD einen positiven und einen negativen Aspekt enthält. Der Empfangsstaat ist zum einen verpflichtet, ___________ 88 Zu beachten ist, daß die privaten Räumlichkeiten des Chefs einer diplomatischen Mission, sofern sie Bestandteil seiner „Residenz“ sind, bereits durch Art. 22 Abs. 1 Satz 1 WÜD i.V.m. Art. 1 lit. i) WÜD Unverletzlichkeit genießen, Art. 30 Abs. 1 WÜD bezogen auf den Missionschef also redundant ist. So auch Lewis, State and Diplomatic Immunity, S. 136. 89 Vgl. Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 494 Fn. 6. 90 Ebenso das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPOPfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. III.B.2. 91 Vgl. diesbezüglich auch Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 125. A.A. aber Blischtschenko, Diplomatenrecht, S. 37; Blischtschenko/ Durdenewski, Diplomaten- und Konsularrecht, S. 394; Denza, Diplomatic Law, S. 222. Unklar der Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (98) (UN-Dokument A/3859): “Because this inviolability arises from that attaching to the person of the diplomatic agent, the expression ‘the private residence of a diplomatic agent’ necessarily includes even a temporary residence of the diplomatic agent.” 92 So auch Denza, Diplomatic Law, S. 222; Hildner, Unterworfenheit des Diplomaten unter die Verwaltungshoheit, S. 127.
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die Privatwohnung vor Übergriffen privater Dritter zu schützen. Zum anderen darf er die geschützten Räumlichkeiten nicht betreten und daher dort auch keine strafprozessualen Zwangsmaßnahmen wie Durchsuchungen, Beschlagnahmen oder Verhaftungen durchführen. Aber auch Maßnahmen wie eine Überwachung des Telefonanschlusses nach § 100a StPO oder der Einsatz von Richtmikrophonen zum Abhören des in der Wohnung gesprochenen Worts nach § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO sind durch die Unverletzlichkeit der Privatwohnung untersagt. Irrelevant ist, ob die Maßnahmen im Rahmen eines gegen den Diplomaten gerichteten Strafverfahrens oder im Rahmen eines gegen einen Dritten gerichteten Verfahrens durchgeführt werden.93 Da sich der sachliche Umfang der negativen Unverletzlichkeit der Privatwohnung mit der der Räumlichkeiten der Mission selbst deckt, kann wegen der Einzelheiten auf die obigen Ausführungen bei § 16 I.2.b)bb) zu Art. 22 WÜD verwiesen werden. Ebenso wie die Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen sind aber auch die Wohnräume von Diplomaten Bestandteil des Staatsgebiets des Empfangsstaates und können daher inländischer Tatort sein, so daß bezogen auf Deutschland eine in einer solchen Räumlichkeit begangene Tat nach § 3 StGB der deutschen materiellen Strafgewalt unterfällt.94 Die Unverletzlichkeit des Vermögens eines Diplomaten nach Art. 30 Abs. 2 WÜD umfaßt nicht nur die in seinem Eigentum stehenden Gegenstände, sondern auch die lediglich in seinem rechtmäßigen Besitz befindlichen.95 Diese dürfen nicht ___________ Vgl. LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 7; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 342; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 18; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 5. Siehe ferner Nr. 199 II der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV); abgedr. u.a. in Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Anhang Nr. 12. 94 RGSt 3, 70 (71); RGSt 69, 54 (55 f.); Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 15; LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 7; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 31; Fischer, in: Tröndle/Fischer, vor § 3 Rn. 19; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 292; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 18; KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 5; KK-OWiGRogall, § 5 Rn. 19; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1040). Vgl. auch die Nachweise oben in Anm. 10. A.A. aber AK-StGB-Lemke, vor § 3 Rn. 31; NK-StGB-Lemke, vor § 3 Rn. 56, der die im Ausland gelegenen Dienst- und Wohngebäude deutscher Diplomaten als Inland betrachtet. 95 Blischtschenko/Durdenewski, Diplomaten- und Konsularrecht, S. 395; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 275; Denza, Diplomatic Law, S. 226 f.; Lewis, State and Diplomatic Immunity, S. 136; Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. V.A.2.c. Denza, a.a.O. weist zu Recht darauf hin, daß nur der Besitz geschützt ist, der rechtmäßig ist. Zumindest Gegenstände, auf deren Besitz kein Rechtsanspruch besteht und die durch verbotene Eigenmacht erlangt wurden, sind nicht geschützt. Denza, a.a.O., formuliert: “A diplomat, or a member of the family of a diplomat caught in the act of shoplifting could hardly expect to depart with the stolen goods even if on establishment his entitlement to immunity he himself was released.” Im Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (98) (UN-Dokument A/3859) heißt es: “So far as movable property is concerned, (…) the inviolability primarily refers to goods in the diplomatic agent’s private residence; but it also covers other property such as his motor car, his bank account, and goods which are intended for his personal use or essential to his livelihood.” 93
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durchsucht oder beschlagnahmt werden.96 Die Strafverfolgungsbehörden des Empfangsstaates dürfen daher beispielsweise den privaten PKW eines Diplomaten, unabhängig davon, ob dieser sich im Eigentum des Diplomaten befindet oder von ihm lediglich gemietet worden ist, nicht durchsuchen oder beschlagnahmen, und zwar auch dann nicht, wenn diese Maßnahmen im Rahmen eines gegen eine dritte Person gerichteten Strafverfahrens durchgeführt werden sollen, etwa in dem Fahrzeug Beweismittel vermutet werden.97 Die zeitliche Reichweite der Unverletzlichkeit der Privatwohnung und des Vermögens der Diplomaten wird vom WÜD nicht explizit geregelt. Art. 39 Abs. 1 und 2 WÜD kann für die Bestimmung des Beginns und Endes dieser Unverletzlichkeit jedenfalls nicht unmittelbar herangezogen werden, da diese Norm von „Vorrechten und Immunitäten einer Person“ bzw. des „Berechtigten“ spricht, mithin – wie bereits erwähnt – allein für die personenbezogenen Exemtionen gilt. Der Beginn und das Ende der Unverletzlichkeit müssen daher auch für die Diplomatenwohnung aus Art. 30 Abs. 1 WÜD heraus und unter Berücksichtigung teleologischer Gesichtspunkte bestimmt werden. Als Moment des Beginns der Unverletzlichkeit kann daher nur der Zeitpunkt gelten, zu dem bestimmte Räumlichkeiten durch ihre tatsächliche Verwendung als Wohnung eines Diplomaten den Status als Diplomatenwohnung erlangen. Abzustellen ist also auf den tatsächlichen Nutzungsbeginn als Wohnung für einen Diplomaten. Diese Nutzung beginnt mit den ersten Einzugsvorbereitungen. Dementsprechend endet die Unverletzlichkeit in dem Moment, in dem die Räumlichkeiten nicht mehr als Wohnung eines Diplomaten genutzt werden. Dies ist regelmäßig mit Beendigung des Auszugs der Fall.98 Während der Fall, daß ein Diplomat während seiner Dienstzeit die Wohnung wechselt, unproblematisch ist, stellt sich die Frage, wann die Wohnungseigenschaft bei einer Beendigung der dienstlichen Tätigkeit des Diplomaten endet. Streng genommen müßte die Unverletzlichkeit in dem Moment enden, in dem die dienstliche Tätigkeit eines Diplomaten endet, denn dann ist die betreffende Person (für den Empfangsstaat) nicht mehr Diplomat, also die Wohnung nicht mehr die eines Diplomaten. Ein Diplomat, der nach Beendigung seiner dienstlichen Tätigkeit noch einige Zeit im Empfangsstaat verbleibt, würde damit nicht mehr den Schutz der Unverletzlichkeit seiner Wohnräume genießen. Seine personenbezogenen Vorrech___________ Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 275. Vgl. zum privaten PKW American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 464 Comment d); Denza, Diplomatic Law, S. 228; Hildner, Unterworfenheit des Diplomaten unter die Verwaltungshoheit, S. 145; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 67 f. Die Auffassung von Richtsteig, a.a.O., S. 68, Rauschgift, das im PKW eines Diplomaten gefunden werde, dürfe beschlagnahmt werden, ist mit dem WÜD unvereinbar. 98 Denza, Diplomatic Law, S. 223. Eine bloße längere Abwesenheit unter Beibehaltung der Räumlichkeiten, etwa aufgrund eines längeren Urlaubs, beendet dagegen die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten nicht. So auch Denza, a.a.O., S. 222. 96 97
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te und Befreiungen dauern allerdings gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD bis zum Zeitpunkt seiner Ausreise oder dem Ablauf einer hierfür angemessenen Frist fort. Eine solche Differenzierung der zeitlichen Dauer der Exemtionen wäre aber ersichtlich nicht sachgerecht. Sinn und Zweck der Unverletzlichkeit der Privatwohnung verlangen, daß diese ebenfalls bis zum Zeitpunkt des tatsächlichen Auszugs im Zuge der Ausreise aus dem Empfangsstaat oder bis zum Ablauf einer hierfür angemessenen Frist fortdauert. Für die Bestimmung des Endzeitpunkts der Unverletzlichkeit der Diplomatenwohnung kann daher die Regelung des Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD entsprechend herangezogen werden. Hinsichtlich der Zeitdauer des Schutzes des privaten Vermögens kann ebenfalls auf die Regelung in Art. 39 WÜD abgestellt werden. Der Schutz des Vermögens beginnt also in entsprechender Anwendung des Art. 39 Abs. 1 WÜD im Zeitpunkt der Einreise bzw. der Notifikation der Ernennung und endet gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD nicht unmittelbar mit Beendigung der dienstlichen Funktion, sondern erst im Zeitpunkt der Ausreise aus dem Empfangsstaat bzw. nach Ablauf einer hierfür angemessenen Frist.99 Das WÜD enthält auch keine Bestimmung über einen Verzicht auf die Unverletzlichkeit der Diplomatenwohnung und des Privatvermögens. Da aber diese Unverletzlichkeit wie alle Exemtionen des Diplomatenrechts lediglich im Interesse der Funktionsfähigkeit der diplomatischen Mission und damit nur im Interesse des Entsendestaates gewährt werden, kann dieser auch über diese Unverletzlichkeit disponieren, also auf sie gegebenenfalls verzichten.100 Zwar betrifft die Unverletzlichkeit des Art. 30 Abs. 1 WÜD die privaten Wohnräume bzw. Vermögenswerte des Diplomaten, also die von ihm privat gekauften oder gemieteten Räumlichkeiten und Gegenstände. Dies bedeutet aber nicht, daß er selbst damit auf die Unverletzlichkeit verzichten kann.101 Wenn Vollzugsorgane des Empfangsstaates das Privatgrundstück und die Privatwohnung eines Diplomaten betreten wollen, so reicht es daher nicht aus, wenn der Diplomat erklärt, er selbst (als Privatperson) erlaube dies. Den Verzicht kann, da die Exemtion allein ein Recht des Entsendestaates ist, nur dieser erklären.102 Insofern gilt das gleiche wie für einen Verzicht auf die einem Diplomaten als Person zukommenden Exemtionen.103 ___________ Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 275. Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 288. 101 Vgl. aber Verdross/Simma, Völkerrecht, § 901 Fn. 52. 102 Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 67. A.A. LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 6. 103 Es kann deshalb wegen der Einzelheiten der Verzichtserklärung auf die Ausführungen oben bei § 13 IV.2.a) verwiesen werden. Dies gilt auch für die Frage, wer für den Entsendestaat den Verzicht aussprechen kann. Dies können nicht nur die Zentralorgane des Entsendestaates, also dessen Staatsoberhaupt, dessen Regierungschef und dessen Außenminister, sondern auch der Chef der diplomatischen Mission. Der Diplomat selbst ist dagegen nicht befugt, „im Namen des Entsendestaates“ für diesen einen Verzicht zu erklären. 99
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Allerdings erfährt die Unverletzlichkeit der Privatwohnung und der Vermögensgegenstände eines Diplomaten in gleicher Weise wie die der diplomatischen Mission selbst eine gewohnheitsrechtlich geltende Ausnahme, wenn ein Betreten bzw. ein sonstiges Einschreiten zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für das Eigentum oder die körperliche Unversehrtheit von dritten Personen erforderlich ist.104 Auch bezüglich der strafrechtlich relevanten Rechtsfolgen einer Mißachtung der Unverletzlichkeit der Diplomatenwohnung und des Privatvermögens durch Organe des Empfangsstaates gilt das für die Unverletzlichkeit der diplomatischen Mission Gesagte entsprechend.105 Erkenntnisse, die durch eine völkerrechtswidrige Durchsuchung, Beschlagnahme oder sonstige Maßnahme erlangt wurden, unterliegen grundsätzlich keinem Beweisverwertungsverbot. Dies gilt nicht nur für Strafverfahren gegen Personen, die vom WÜD nicht erfaßt sind, sondern auch für Verfahren, die gegen Mitglieder der diplomatischen Mission geführt werden. Denn obwohl die Unverletzlichkeit zum Schutz der Diplomaten und ihrer Familienangehörigen gewährt wird, bedarf es keines besonderen Beweisverwertungsverbots. Denn diese Personen genießen nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD und Art. 37 Abs. 1 WÜD – soweit das Diplomatenrecht sie für schutzwürdig erachtet – umfassende Immunität ratione personae, so daß die Einleitung und Durchführung eines Strafverfahrens generell verboten ist, sie also eines Beweisverwertungsverbots nicht bedürfen.106 Die privaten Räumlichkeiten und Vermögensgegenstände der Familienangehörigen von Diplomaten im Sinne des Art. 37 Abs. 1 und der Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer diplomatischen Mission sowie ihrer Familienangehöriger, die weder Angehörige des Empfangsstaates noch in demselben ständig ansässig sind, genießen ebenfalls Unverletzlichkeit in dem hier beschriebenen Sinne, da Art. 37 Abs. 1 und 2 auch auf Art. 30 WÜD verweisen.107 Die privaten Räumlichkeiten und Vermögenswerte der übrigen Mitglieder diplomatischer Missionen und die von Mitgliedern konsularischer Vertretungen genießen mangels entsprechender Regelungen im WÜD und WÜK dagegen keine Unverletzlich___________ 104 Es kann diesbezüglich auf die Ausführungen oben bei § 16 I.2.f) verwiesen werden. Vgl. insbesondere auch Denza, Diplomatic Law, S. 228 und Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 67 f., die zutreffend darauf hinweisen, daß zur Abwehr von Gefahren ein Abschleppen eines PKW eines Diplomaten zulässig sein kann, etwa dann, wenn das Fahrzeug eine Krankenhauszufahrt versperrt. 105 Vgl. oben § 16 I.2.e)bb). 106 Zwar endet die persönliche Immunität bei Beendigung der dienstlichen Tätigkeit sowie mit einem Verzicht des Entsendestaates, so daß in diesen Fällen eine Strafverfolgung möglich wird (im Fall der Beendigung der dienstlichen Tätigkeit allerdings nur für Taten, die nicht die dienstliche Tätigkeit betreffen). Doch soweit dies der Fall ist, sind die Diplomaten und ihre Familienangehörigen nicht schutzwürdiger als „normale“ Privatpersonen, so daß auch dann ein besonderes Beweisverwertungsverbot nicht zu legitimieren wäre. 107 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 335.
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keit.108 Hier räumen das WÜD und das WÜK dem Interesse des Empfangsstaates, möglichst umfassend in seinem Staatsgebiet Hoheitsgewalt ausüben zu können, Vorrang ein.
III. Unverletzlichkeit von Archiven, Schriftstücken und amtlicher Korrespondenz Nach Art. 24 WÜD sind die Archive und Schriftstücke einer diplomatischen Mission jederzeit unverletzlich, wo immer sie sich befinden. Art. 33 WÜK bestimmt das gleiche für die Archive und Schriftstücke einer berufskonsularischen Vertretung. Art. 27 Abs. 2 Satz 1 WÜD erklärt die amtliche Korrespondenz einer diplomatischen Mission, worunter nach Art. 27 Abs. 2 Satz 2 WÜD die gesamte Korrespondenz verstanden wird, welche die Mission und ihre Aufgaben betrifft, gleichfalls für unverletzlich. Entsprechendes gilt nach Art. 35 Abs. 2 WÜK für die Korrespondenz einer berufskonsularischen Vertretung.109 Der Schutz der Archive und Schriftstücke einer von einem Wahlkonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretung ist in Art. 61 WÜK gesondert geregelt. Denn ähnlich wie hinsichtlich der Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten stellt sich hier das Problem, daß Honorarkonsuln ihre konsularischen Aufgaben in der Regel neben einer privaten unternehmerischen Tätigkeit wahrnehmen und die Einrichtungsgegenstände ihres Unternehmens vielfach für die konsularischen Aufgaben mitbenutzen. So kann es beispielsweise sein, daß auf der Festplatte eines Computers sowohl das Unternehmen betreffende Dateien als auch die konsularische Tätigkeit betreffende Daten gespeichert sind. Es kann dem Empfangsstaat aber nicht zugemutet werden, aus diesem Grund in einem die unternehmerische Tätigkeit betreffenden Strafverfahren auf eine Beschlagnahme des Computers verzichten zu müssen. Nach Art. 61 WÜK sind die konsularischen Archive und Schriftstücke einer von einem Wahlkonsularbeamten geleiteten konsularischen Vertretung deshalb zwar jederzeit unverletzlich, wo immer sie sich befinden; Voraussetzung ist aber, daß sie von anderen Papieren und Schriftstücken getrennt gehalten werden, insbesondere von der Privatkorrespondenz des Leiters der konsularischen Vertre___________ 108 Vgl. Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (413) und Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 213. 109 Solange die geschützten Archive, Schriftstücke und Korrespondenzen sich innerhalb der geschützten Räumlichkeiten diplomatischer oder konsularischer Vertretungen befinden, partizipieren sie natürlich auch an der Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten und können schon aufgrund der Unverletzlichkeit nach Art. 22 WÜD, Art. 31, 59 WÜK nicht strafprozessualen Zwangsmaßnahmen unterworfen werden. Eigenständige Bedeutung haben die hier untersuchten Artikel daher nur für Archive, Schriftstücke und Korrespondenzen, die sich außerhalb der Räumlichkeiten der Vertretungen befinden, etwa auf einem Transport als Postgut, während eines Umzugs etc.; vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 157.
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tung und seiner Mitarbeiter, sowie von den Gegenständen, Büchern und Schriftstücken, die sich auf ihren Beruf oder ihr Gewerbe beziehen.110 Nach Art. 30 Abs. 2 WÜD sind sogar die privaten Papiere und die private Korrespondenz eines Diplomaten unverletzlich.111 Hieran zeigt sich einmal mehr, daß der Diplomat umfassend von der Ausübung jeglicher Hoheitsgewalt des Empfangsstaates freigestellt werden soll, damit seine Tätigkeit in keiner Weise durch den Empfangsstaat beeinträchtigt werden kann.112 Diese Unverletzlichkeit gilt auch für die privaten Papiere und die private Korrespondenz von Familienangehörigen von Diplomaten im Sinne des Art. 37 Abs. 1 WÜD und von Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals sowie deren Familienangehörigen im Sinne des Art. 37 Abs. 2 WÜD, da Art. 37 Abs. 1 und 2 WÜD auf Art. 30 Abs. 2 WÜD verweisen. Fraglich ist jedoch, welche Gegenstände als Archive, Schriftstücke oder Korrespondenz zu gelten haben. Ohne Schwierigkeiten können hierzu Akten, Briefe, Schriftsätze, Vermerke oder ähnliches gezählt werden, die Papierform haben. Doch wäre heutzutage eine Beschränkung auf papierene Gegenstände verfehlt. Auf die Form der „Speicherung“ des Inhalts kann es nicht ankommen. Daher sind auch Computerdateien auf Festplatten, CDs und sonstigen Speichermedien, Filme und Tonbänder geschützt.113 Bei Computerdateien kommt es auch nicht darauf an, wo diese gespeichert sind. Solange beispielsweise die E-Mail-Korrespondenz einer Vertretung auf dem Server des Providers gespeichert ist, ist sie auch dort unverletzlich. Für die „konsularischen Archive“ enthält Art. 1 Abs. 1 lit. k) WÜK eine Legaldefinition, die in gleicher Weise auch für die diplomatischen Archive gelten kann.114 Danach umfaßt der Ausdruck „konsularische Archive“ alle Papiere, Schriftstücke, Korrespondenzen, Bücher, Filme, Tonbänder und Register der konsularischen Vertretung sowie die Schlüsselmittel und Chiffriergeräte, die Karteien und die zum Schutz oder zur Aufbewahrung derselben bestimmten Einrichtungs___________ Vgl. den Entwurf der ILC für eine Konsularrechtskonvention von 1961, YBILC 1961 II, 89 (125 f.) (UN-Dokument A/4843); LR-StPO-Böttcher, § 19 GVG Rn. 9; Lee, Consular Law and Practice, S. 425 ff.; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 257. 111 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 224 f.; Lewis, State and Diplomatic Immunity, S. 136; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 118 f. 112 Die privaten Papiere und die private Korrespondenz anderer Mitglieder einer diplomatischen Mission und der Mitglieder konsularischer Vertretungen sind dagegen durch das WÜD und das WÜK nicht besonders geschützt. 113 Ebenso Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1041); dies., Diplomatic Law, S. 162; Lewis, State and Diplomatic Immunity, S. 151; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 116. 114 So auch Denza, Diplomatic Law, S. 162. 110
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gegenstände.115 Doch ist diese Auflistung nicht abschließend. Sie spiegelt den Stand der technischen Entwicklung Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts wider. So müssen heute, wie gesagt, auch Computerdateien hinzugezählt werden. Wichtig ist die Legaldefinition jedoch insoweit, als sie deutlich macht, daß zu den Archiven nicht nur die Schriftstücke, Filme, Tonbänder, Datenträger und Dateien selbst zu zählen sind, sondern auch die zu ihrer Aufbewahrung bestimmten Gegenstände, also etwa Aktenschränke und Computer, sowie die zu ihrer Nutzung erforderlichen Geräte wie Chiffriergeräte oder wiederum Computer. Mit Ausnahme der von Art. 30 Abs. 2 WÜD geschützten Gegenstände ist aber erforderlich, daß es sich um Schriftstücke, Archive oder Korrespondenzen handelt, die solche „der Vertretung“ sind, also den diplomatischen oder konsularischen Tätigkeitsbereich betreffen. Ein privater Brief, den eine Sekretärin einer Botschaft auf dem Briefpapier der Vertretung schreibt und in einem Briefumschlag verschickt, auf dem die Anschrift der Mission aufgedruckt ist, ist damit noch kein durch Art. 24 WÜD geschütztes Schriftstück. Auch Briefe oder andere Gegenstände, die an eine Vertretung gerichtet sind, sind so lange, wie sie nicht von der Vertretung in Empfang genommen worden sind, keine Schriftstücke, Archive und Korrespondenzen „der Vertretung“ und damit nicht vor strafprozessualer Inanspruchnahme geschützt. Allerdings müssen Schriftstücke und Korrespondenzen, die von anderen Auslandsvertretungen oder von Regierungsstellen des Entsendestaates an eine Vertretung des Entsendestaates gerichtet sind, dem Schutz des Art. 27 Abs. 2 WÜD bzw. Art. 35 Abs. 2 WÜK unterstellt werden. Dies ergibt eine teleologische Auslegung der beiden Normen.116 Eine besondere Kennzeichnung, die die Gegenstände als solche der Vertretung kenntlich macht, ist – anders als für das Kuriergepäck – keine Voraussetzung für deren Unverletzlichkeit.117 Die Unverletzlichkeit der Schriftstücke, der Archive und der Korrespondenz gilt ohne Ausnahme. Auch das Ziel der Aufklärung schwerster Straftaten kann eine Beschlagnahme nicht rechtfertigen, und zwar selbst dann nicht, wenn die Mission oder ein Missionsmitglied an einer solchen Straftat beteiligt sein soll. Denn weder das WÜD noch das WÜK normieren Ausnahmen von der Unverletzlichkeit. Und der Charakter des Diplomaten- und Konsularrechts als self-contained regime verbietet – wie bereits mehrfach erwähnt – eine Rechtfertigung durch Rückgriff auf völkerrechtliche Rechtsinstitute wie die Verwirkung oder die Repressalie. Auf die ___________ Vgl. auch den ILC-Entwurf von 1961, YBILC 1961 II, 89 (93) (UN-Dokument A/4843). 116 Vgl. hierzu Denza, Diplomatic Law, S. 183. 117 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 160, 162. 115
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Unverletzlichkeit kann jedoch der Entsendestaat verzichten, allerdings auch nur dieser.118 Die durch die genannten Normen festgelegte Unverletzlichkeit bedeutet für das Strafrecht, daß die geschützten Sachen im Empfangsstaat keiner Durchsuchung oder Beschlagnahme unterliegen, wo auch immer in dessen Hoheitsgebiet sie sich befinden. Auch dann, wenn sie sich in den Händen Dritter befinden, die selbst keinerlei persönliche Vorrechte und Befreiungen genießen – also etwa ein Schriftstück, das in einem Brief verschickt wurde, gerade im Besitz des Postunternehmens ist –, ist ihre Beschlagnahme untersagt.119 Die geschützten Archive, Schriftstücke und Korrespondenzen dürfen also unabhängig von dem Ort, an dem sie sich befinden, nicht Gegenstand von Maßnahmen nach den §§ 94, 99 und 102 f. StPO sein. Der Katalog der einer Beschlagnahme nicht unterliegenden Gegenstände des § 97 StPO wird durch die genannten Normen des WÜD und WÜK unmittelbar erweitert. Hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Mißachtung der Unverletzlichkeit gilt im wesentlichen das oben in § 16 I.2.e)bb) für die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten einer Mission Gesagte entsprechend. Völkerrechtswidrig beschlagnahmte oder sonstwie in den Besitz der Strafverfolgungsbehörden des Empfangsstaates gelangte Gegenstände sind auf jeden Fall zurückzugeben, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 111k StPO erfüllt sind.120 Ein generelles Beweisverwertungsverbot in Strafverfahren läßt sich nicht mit einer Schutzbedürftigkeit von Beschuldigten begründen. Dies gilt sowohl für Verfahren gegen private Dritte als auch für Strafverfahren gegen Mitglieder der betreffenden diplomatischen oder konsularischen Vertretung. Denn die Unverletzlichkeitsgewährleistungen für Archive, Schriftstücke und Korrespondenzen dienen nicht dem Schutz von Privatpersonen. Und soweit die Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen vom WÜD und WÜK als schutzwürdig angese___________ 118 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 288. Dies gilt auch für die durch Art. 30 Abs. 2 WÜD geschützten privaten Papiere und die private Korrespondenz der Diplomaten. Da auch deren Unverletzlichkeit ausschließlich im Interesse des Entsendestaates gewährt wird, steht nur diesem das Recht eines Verzichts zu. 119 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1980, 3 (36); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 288; Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1041 f.); dies., Diplomatic Law, S. 157 ff., 183 f., 224 f.; George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (119); Lewis, State and Diplomatic Immunity, S. 151; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 52 f.; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 115 f.; Sen, Diplomat’s Handbook, S. 117 f. sowie den Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (96 f.) (UNDokument A/3859) und den ILC-Entwurf für eine Konsularrechtskonvention von 1961, YBILC 1961 II, 89 (110 ff.) (UN-Dokument A/4843). 120 Denza, Diplomatic Law, S. 160.
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hen werden, genießen sie Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates, so daß sie überhaupt nicht verfolgt werden dürfen und eines Beweisverwertungsverbots nicht bedürfen. Da aber die Archive und Schriftstücke sowie die amtliche Korrespondenz nach Art. 24 WÜD und Art. 33 WÜK unverletzlich sind, „wo immer sie sich befinden“, dürfen sie schon deshalb nicht unmittelbar in einem Strafverfahren verwertet werden, etwa durch Betrachtung als Augenscheinsobjekt oder durch Verlesung ihres Inhalts. Denn die Unverletzlichkeit verbietet nicht nur die Beschlagnahme, sondern jegliche Erfassung des Inhalts der geschützten Gegenstände. Durch eine unmittelbare Verwertung in einem Gerichtsverfahren würde aber (erneut) direkt von dem Inhalt der Archive, Schriftstücke und Korrespondenzen Kenntnis genommen und dieser sogar dritten Personen zur Kenntnis gebracht. Eine unmittelbare Verwertung der geschützten Gegenstände im Wege der Verlesung von Schriftstücken oder ihrer Betrachtung als Augenscheinsobjekt verstößt also direkt gegen Art. 24 WÜD bzw. Art. 33 WÜK.121 Nun kann aber der Inhalt von Archiven, Schriftstücken und Korrespondenzen, deren Unverletzlichkeit mißachtet wurde, auch dadurch in ein Strafverfahren eingebracht werden, daß die Personen, die früher – etwa im Rahmen der Beschlagnahme der Gegenstände – von ihrem Inhalt Kenntnis erlangt haben, als Zeugen vernommen werden. Auch eine Betrachtung von Fotos oder eine Verlesung von Abschriften bzw. Kopien von Schriftstücken ist denkbar. Solche indirekten Beweisverwertungsformen mißachten nicht mehr unmittelbar die Unverletzlichkeit der geschützten Gegenstände, da auf diese selbst nicht zurückgegriffen wird. Doch wurde bereits oben im Zusammenhang mit der Verwertbarkeit von Erkenntnissen, die unter Mißachtung der Unverletzlichkeit von diplomatischen oder konsularischen Räumlichkeiten erlangt wurden, darauf hingewiesen, daß auch solche Beweisverwertungen – unabhängig davon, gegen wen ein Strafverfahren gerichtet ist – dann unzulässig sind, wenn erneut in eine schützenswerte Rechtsposition des Entsendestaates eingegriffen würde. Die Unverletzlichkeit der Archive, Schriftstücke und Korrespondenzen soll unter anderem verhindern, daß sich der Empfangsstaat über den Inhalt der Arbeit einer Vertretung Kenntnis verschaffen und über diese Informationen verfügen kann. Die Unverletzlichkeitsregelungen sollen also sicherstellen, daß die Mitglieder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung selbst entscheiden können, welche Inhalte ihrer Arbeit wann welchen Personen zur Kenntnis gelangen. Wenn nun in einem Gerichtsverfahren solche Kenntnisse, die völkerrechtswidrig erlangt wurden, verwertet würden, etwa durch die Vernehmung von Ermittlungsbeamten als Zeugen, so würde die Rechtsverletzung wiederholt bzw. dadurch, daß die Kenntnisse weiteren Personen, unter Umständen sogar der Öffentlichkeit, bekannt gemacht würden, sogar verstärkt. ___________ 121
Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 183 f.
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
Daher scheidet die Verwertung von Beweisen, die unter Verstoß gegen die Unverletzlichkeit der Archive, Schriftstücke und Korrespondenzen erlangt wurden, in indirekter Form dann aus, wenn sich die Beweise auf den Inhalt der diplomatischen oder konsularischen Arbeit beziehen. Allerdings ist diesbezüglich wiederum eine Einschränkung zu machen. Schutzwürdig sind nämlich – wie erwähnt – nicht alle Informationen und Daten, die die diplomatische oder konsularische Tätigkeit betreffen. Ein Recht darauf, daß der Empfangsstaat rechtswidrig erlangte dienstbezogene Kenntnisse nicht durch eine Verwertung als Beweismittel in einem Strafverfahren weiterverbreitet, kann nur insoweit anerkannt werden, als die Informationen und Daten im Rahmen völkerrechtlich anerkannter und nach der Rechtsordnung des Empfangsstaates legaler diplomatischer bzw. konsularischer Aktivitäten der Vertretung erlangt wurden. Denn die diplomatischen und konsularischen Vertretungen dürfen nur solche Aktivitäten entfalten, die nach Art. 3 WÜD und Art. 5 WÜK zum völkerrechtlich anerkannten diplomatischen und konsularischen Aufgabenkreis gehören, und müssen sich zudem bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben gemäß Art. 41 Abs. 1 Satz 1 WÜD und Art. 55 Abs. 1 Satz 1 WÜK an die Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften des Empfangsstaates halten. Informationen und Daten über Aktivitäten, die nicht zum völkerrechtlich anerkannten Aufgabenbereich eine Vertretung gezählt werden können oder nach dem Recht des Empfangsstaates untersagt sind, sind daher nicht schutzwürdig. Ihre indirekte Verwertung ist damit zulässig.122 Eine direkte Verwertung durch (erneuten) unmittelbaren Zugriff auf Archive, Schriftstücke oder Korrespondenzen ist allerdings auch bezüglich solcher Informationen und Daten untersagt, weil dies gegen Art. 24 WÜD bzw. Art. 33 WÜK verstieße. Eine zeitliche Begrenzung kennt die Unverletzlichkeit der Archive, Schriftstücke und Korrespondenzen nicht. Sie ist gemäß Art. 45 lit. a) WÜD bzw. Art. 27 Abs. 1 lit. a) und Abs. 2 Satz 1 WÜK auch dann noch vom Empfangsstaat zu achten, wenn die diplomatischen bzw. konsularischen Beziehungen abgebrochen wurden oder eine diplomatische Mission vorübergehend oder endgültig abberufen bzw. eine konsularische Vertretung vorübergehend oder endgültig geschlossen wurde. Die hier erläuterten Regeln gelten nur im Empfangsstaat, allein dieser wird durch die genannten Normen über die Unverletzlichkeit der Archive, Schriftstücke und amtlichen Korrespondenzen verpflichtet. Doch werden Schriftstücke und die amtliche Korrespondenz einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung, die für Regierungsstellen im Entsendestaat bestimmt sind, häufig notwendigerweise auch durch das Gebiet von Drittstaaten transportiert werden müssen, um den Entsendestaat zu erreichen. Gleiches gilt für Schriftstücke und Briefe, die von Regie___________ 122 So auch die Staatenpraxis; vgl. die Nachweise bei Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 497 Fn. 3. Für eine Verwertbarkeit auch Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1056. Vgl. diesbezüglich auch die Darstellung oben bei § 16 I.2.e)bb).
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rungsstellen im Entsendestaat an eine Auslandsvertretung gesandt werden. Es stellt sich daher die Frage, ob Archive, Schriftstücke und die amtliche Korrespondenz auch in Drittstaaten Unverletzlichkeit genießen. Da in der Praxis der Versand von schutzwürdigen dienstbezogenen Schriftstücken und amtlicher Korrespondenz über Staatsgrenzen hinweg als Kuriergepäck vorgenommen wird, soll die Rechtsstellung von Gegenständen während ihres Transports durch Drittstaaten unten in § 16 IV.2.f) für alle geschützten Sachen gemeinsam erörtert werden.
IV. Die Freiheit der Kommunikation und des Verkehrs sowie die Unverletzlichkeit des Kuriergepäcks 1. Schutz des freien Verkehrs diplomatischer und konsularischer Vertretungen Für die sinnvolle Wahrnehmung der Aufgaben diplomatischer und konsularischer Vertretungen ist es unabdingbar, daß die Vertretungen frei kommunizieren können, und zwar sowohl mit Regierungsstellen als auch mit anderen diplomatischen Missionen und konsularischen Vertretungen des Entsendestaates, sei es mit solchen in dritten Staaten, sei es mit anderen Vertretungen im Empfangsstaat. Die wichtigsten Funktionen von Auslandsvertretungen – das Führen von Verhandlungen mit Regierungsstellen des Empfangsstaates und die Sammlung und Bewertung von Informationen über das politische und wirtschaftliche Geschehen im Empfangsstaat – können nur wahrgenommen werden, wenn zum einen überhaupt die Möglichkeit des (ständigen) Kontakts mit den genannten Stellen besteht, und zum anderen die Vertraulichkeit der Kommunikation gewährleistet ist.123 Aber nicht nur die Freiheit der Kommunikation im Sinne eines Austauschs von Informationen ist sicherzustellen, sondern auch die Möglichkeit, die für die Wahrnehmung dienstlicher Aufgaben benötigten Gegenstände ohne Gefahr eines Zugriffs durch den Empfangsstaat zu versenden und zu erhalten. Auch die Vertraulichkeit dieses Verkehrs gilt es zu gewährleisten. Das WÜD und das WÜK gebieten deshalb dem Empfangsstaat die Gewährleistung freien Verkehrs. Art. 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 WÜD lauten: „Der Empfangsstaat gestattet und schützt den freien Verkehr der Mission für alle amtlichen Zwecke. Die Mission kann sich im Verkehr mit der Regierung, den anderen Missionen und den Konsulaten des Empfangsstaates, wo immer sie sich befinden, aller geeigneten Mittel einschließlich diplomatischer Kuriere und verschlüsselter Nachrichten bedienen.“
___________ 123
Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 173.
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Art. 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 WÜK bestimmt mit nahezu identischen Formulierungen das gleiche für konsularische Vertretungen.124 Die „Freiheit des Verkehrs“ betrifft alle Arten des dienstbezogenen Waren- und Informationsaustausches. Sie gilt für Telefon- und Telefaxverbindungen im Festnetz und in Mobilfunknetzen, für Internetverbindungen, für eigene Funkanlagen125 sowie für sämtliche Formen des Transports von Gegenständen einschließlich des Einsatzes von Kurieren.126 Das an den Empfangsstaat gerichtete Gebot der Gewährleistung freien Verkehrs verpflichtet diese nicht dazu, Kommunikationsmittel bereitzustellen oder gar eine kostenlose Nutzung zu ermöglichen. Dem Empfangsstaat werden keine Pflichten zur aktiven Unterstützung des freien Verkehrs auferlegt, sondern es wird ihm lediglich verboten, diesen Verkehr durch Eingriffe zu stören.127 Bezogen auf den hier interessierenden Bereich des Strafrechts folgt aus der Freiheit des Verkehrs, daß sämtliche strafprozessuale Maßnahmen, die in den dienstbezogenen Informations- und Warenverkehr eingreifen, untersagt sind. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Art. 27 Abs. 1 WÜD und Art. 35 Abs. 1 WÜK einer Überwachung sämtlicher Telekommunikationseinrichtungen diplomatischer und konsularischer Vertretungen nach § 100a StPO entgegenstehen.128 Eine Überwa___________ 124 Aufgrund eines Verweises auf Art. 35 WÜK in Art. 58 Abs. 1 WÜK gelten sämtliche Regelungen des Art. 35 WÜK auch für konsularische Vertretungen, die von einem Honorarkonsul geleitet werden, so daß sich eine Differenzierung zwischen berufs- und wahlkonsularischen Vertretungen im folgenden erübrigt. 125 Funkanlagen dürfen jedoch gemäß Art. 27 Abs. 1 Satz 3 WÜD und Art. 35 Abs. 1 Satz 3 WÜK nur mit Zustimmung des Empfangsstaates errichtet und betrieben werden. Sofern aber eine solche Zustimmung vorliegt, genießt der Funkverkehr denselben Schutz wie andere Formen der Kommunikation. Dieses Zustimmungserfordernis, das auf Drängen ressourcenarmer Staaten in das WÜD und WÜK aufgenommen wurde, die befürchteten, selber keine solchen Verbindungen betreiben zu können, so daß die Reziprozität der Beziehungen gefährdet sein könnte (vgl. zur Entstehungsgeschichte Denza, Diplomatic Law, S. 175 ff.; Kerley, AJIL 56 (1962), 88 [111 ff.]), spielt in der Praxis aber keine Rolle und wird so regelmäßig nicht beachtet, daß man wohl schon von einer gewohnheitsrechtlichen Derogation dieser Restriktion sprechen kann. 126 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 175, die darauf hinweist, der Begriff „aller geeigneten Mittel“ in Art. 27 Abs. 1 WÜD sei offen genug, um moderne Kommunikationsmittel wie E-Mail zu erfassen. 127 Denza, Diplomatic Law, S. 179; Hildner, Unterworfenheit des Diplomaten unter die Verwaltungshoheit, S.129 ff. Hildner, a.a.O., weist aber zu Recht darauf hin, daß bestehende Anschlüsse privater oder öffentlicher Betreiber von diesen unterbrochen werden dürfen, wenn das Entgelt nicht bezahlt wird. Denn ein Anspruch auf kostenlose Nutzung besteht nicht. Zu den Verpflichtungen von Drittstaaten, die vor allem im Hinblick auf das Kuriergepäck von Interesse sind, vgl. die Darstellung unten in § 16 IV.2.f). 128 Vgl. oben § 16 I.2.b) und insbesondere auch Anm. 19 und Anm. 39. Wie hier Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 273; Denza, Diplomatic Law, S. 179 ff.; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 336 ff. A.A. aber Jennings/ Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 498 Fn. 3; Polakiewicz, ZaöRV 50 (1990), 761 (773 ff.).
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chung von Festnetzanschlüssen der Vertretungen, seien es Telefon- oder Telefaxverbindungen, seien es Internetverbindungen, ist unzulässig. Auch eine Überwachung von dienstlich genutzten Mobiltelefonen ist unstatthaft. Auf dienstbezogene Daten, die auf elektronischem Wege versandt werden, etwa per E-Mail, darf nicht zugegriffen werden, und zwar auch dann nicht, wenn diese auf einem Server eines Internetproviders gespeichert sind. Dienstbezogene Gegenstände, die mit „normaler“ Brief- oder Paketpost, also durch ein staatliches oder und privates Postunternehmen versandt werden, unterliegen auch dann, wenn sie sich im Besitz des Transporteurs befinden, keiner Beschlagnahme und keinem sonstigem Zugriff von Strafverfolgungsbehörden.129 Die Schutzbereiche von Art. 24 WÜD und Art. 33 WÜK auf der einen und Art. 27 WÜD und Art. 35 WÜK auf der anderen Seite überschneiden sich damit insofern teilweise, als Schriftstücke und Archive auch durch die erstgenannten Vorschriften für unverletzlich erklärt werden, gleichviel wo sie sich befinden, also auch dann und insoweit, als sie der Kommunikation dienen. Auf die obigen Ausführungen zur Unverletzlichkeit der Archive, Schriftstücke und Korrespondenzen kann daher an dieser Stelle verwiesen werden.130 2. Unverletzlichkeit des Kuriergepäcks Einen besonderen Stellenwert und einen besonderen Schutz genießt das diplomatische und konsularische Kuriergepäck. Dieses ist insofern besonders geschützt, als dem Empfangsstaat und seinen Vertretungen die Möglichkeit gegeben wird, dienst___________ Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 273 f. (siehe insb. die dortigen Ausführungen zur Zulässigkeit von Gefahrenabwehrmaßnahmen) und den Entwurf der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (97) (UNDokument A/3859). Als „normale Post“ versandte Schriftstücke und Gegenstände genießen aber nicht den besonderen Schutz, der dem diplomatischen und konsularischen Kuriergepäck (siehe hierzu unten) zukommt. Wenn allerdings auch die als „normale Post“ versandten Schriftstücke, Gegenstände und amtlichen Korrespondenzen aufgrund der ihnen zukommenden Unverletzlichkeit keinem Zugriff der Behörden des Empfangsstaates unterliegen, so fragt sich natürlich, warum dann überhaupt ein besonderer Schutz für Kuriergepäck erforderlich ist. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Kuriergepäck und den Schriftstücken und sonstigen Gegenständen, die per „normaler Post“ versandt werden, ist jedoch, daß das Kuriergepäck nicht geöffnet werden darf, während die Schriftstücke einer Vertretung und deren amtliche Korrespondenz nur als solche Unverletzlichkeit genießen. Dies bedeutet, daß es nicht schon untersagt ist, einen Brief, der in einem Briefumschlag versandt wird, auf dem Name und Anschrift der Mission aufgedruckt sind, zu öffnen; untersagt ist es lediglich, ein darin enthaltenes Schriftstück, das sich als solches der Vertretung erweist, zur Kenntnis zu nehmen und zu beschlagnahmen. Auch Pakete, deren Absender eine diplomatische Mission ist, genießen während eines „normalen“ Transports keine Befreiung von einer Kontrolle daraufhin, ob ihr Inhalt wirklich aus Schriftstücken oder die dienstliche Tätigkeit betreffenden Gegenständen einer Vertretung besteht. Vgl. diesbezüglich auch den unten in § 16 IV.2.d) geschilderten „Fall Dikko“ sowie Denza, Diplomatic Law, S. 184; Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 (416). 130 Vgl. oben § 16 III. 129
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Teil 3: Diplomatische und konsularische Exemtionen
bezogene Gegenstände in Behältnissen zu versenden, die von Behörden des Empfangsstaates nicht geöffnet werden dürfen. Beim Kuriergepäck genießt also schon das Behältnis selbst einen besonderen Schutz. Den Behörden des Empfangsstaates ist es – wie nachfolgend gezeigt wird – untersagt, vom Inhalt des Behältnisses ohne Einverständnis des Entsendestaates durch Öffnung oder sonstige Einwirkung auf das Behältnis Kenntnis zu nehmen.131 a) Der Begriff „Kuriergepäck“ Unter Kuriergepäck werden Behältnisse verstanden, die von diplomatischen oder konsularischen Vertretungen zum Versand von Gegenständen benutzt werden und denen nach dem WÜD und WÜK ein besonderer Schutz zukommt. Wesentliches und zugleich einziges konstitutives Merkmal des Kuriergepäcks ist seine äußere Kennzeichnung als solches. Nach Art. 27 Abs. 4 WÜD132 und Art. 35 Abs. 4 WÜK133 müssen Gepäckstücke, die das diplomatische oder konsularische Kuriergepäck bilden, äußerlich sichtbar als solches gekennzeichnet sein. Dies setzt voraus, daß jedes einzelne Behältnis eine deutlich erkennbare Aufschrift enthält, die den Gegenstand als Kuriergepäck bezeichnet, bzw. daß ein entsprechendes Schriftstück mit dem Gepäckstück fest verbunden ist. Ferner müssen als Absender und Adressat eine Vertretung bzw. eine Regierungsstelle des Entsendestaates angegeben sein. Ein Gepäckstück, das eine solche Kennzeichnung nicht enthält, ist kein Kuriergepäck und genießt nicht dessen Schutz.134 Darüber hinaus legen Art. 27 Abs. 4 WÜD und Art. 35 Abs. 4 WÜK fest, daß die Gepäckstücke, die das Kuriergepäck bilden, nur die amtliche Korrespondenz sowie ausschließlich für den amtlichen Gebrauch bestimmte Schriftstücke und Gegenstände enthalten dürfen. Dem Entsendestaat wird also nur die Möglichkeit gegeben, solche Gegenstände als Kuriergepäck zu transportieren, die er für seine dienstliche ___________ Einem solchen Schutz unterliegen die in sonstiger Weise, etwa per normaler Briefoder Paketpost versandten dienstbezogenen Gegenstände nicht. Diese Gegenstände genießen zwar nach Art. 24, Art. 27 Abs. 1 und 2 WÜD sowie Art. 33, Art. 35 Abs. 1 und 2 WÜK die Freiheit des Verkehrs, doch ist dadurch nur die Unverletzlichkeit der dienstbezogenen Gegenstände – etwa von amtlichen Schriftstücken – selbst geschützt, nicht auch die der Behältnisse, so daß deren Öffnung zur Kontrolle, ob sie (die Briefumschläge, die Pakete und Kisten) wirklich geschützte Gegenstände enthalten, nicht untersagt ist. Vgl. hierzu schon oben Anm. 129. 132 Art. 27 Abs. 4 WÜD lautet: „Gepäckstücke, die das diplomatische Kuriergepäck bilden, müssen äußerlich sichtbar als solches gekennzeichnet sein; sie dürfen nur diplomatische Schriftstücke oder für den amtlichen Gebrauch bestimmte Gegenstände enthalten.“ 133 Art. 35 Abs. 4 WÜK lautet: „Gepäckstücke, die das konsularische Kuriergepäck bilden, müssen äußerlich sichtbar als solches gekennzeichnet sein; sie dürfen nur die amtliche Korrespondenz sowie ausschließlich für den amtlichen Gebrauch bestimmte Schriftstücke oder Gegenstände enthalten.“ 134 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 191 f. 131
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Tätigkeit im Empfangsstaat benötigt. Andere Gegenstände sind nicht schutzwürdig, da Ziel der Verkehrsfreiheit lediglich ist, dem Entsendestaat die diplomatische bzw. konsularische Tätigkeit im Empfangsstaat zu ermöglichen und den Empfangsstaat zu hindern, von dem Inhalt der diplomatischen oder konsularischen Tätigkeit Kenntnis zu nehmen.135 Gegenstände, die Teil des privaten Hausrats bzw. des privaten Reisegepäcks einzelner Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen sind, dürfen also nicht als Kuriergepäck deklariert versandt werden.136 Allerdings genießt auch das persönliche Gepäck der Diplomaten und ihrer Familienangehörigen im Sinne des Art. 37 Abs. 1 WÜD einen gewissen Schutz. Gemäß Art. 36 Abs. 2 WÜD darf dieses bei der Ein- bzw. Ausreise in den Empfangsstaat nicht kontrolliert werden, es sei denn, es liegen triftige Gründe für die Annahme vor, daß es Gegenstände enthält, deren Einfuhr nach Art. 36 Abs. 1 WÜD oder dem nationalen Recht des Empfangsstaates untersagt ist.137 Eine Beschreibung der Gegenstände, die als „für den dienstlichen Gebrauch bestimmt“ angesehen werden können, enthalten das WÜD und das WÜK nicht. Es kommt nur auf die Verwendungsabsicht an, so daß nahezu jeder Gegenstand im Einzelfall in Betracht kommen kann. Exemplarisch können genannt werden Büromaterial, Bücher, Computer, Büromöbel, aber unter Umständen auch Lebensmittel, Medikamente und Fernseher.138 Sogar Baumaterialien können Bestandteil von Kuriergepäck sein, etwa wenn der Entsendestaat befürchten muß, daß Bauelemente, die er sich im Entsendestaat kauft, bereits von dessen Geheimdienst mit „Wanzen“ ausgestattet worden sind.139 Da sich die Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen gemäß Art. 41 Abs. 1 Satz 1 WÜD bzw. Art. 55 Abs. 1 Satz 1 WÜK an die Rechtsvorschriften des Empfangsstaates zu halten haben, müssen Gegenstände, um als Ku___________ Vgl. Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 191 f. Vgl. diesbezüglich Puppe, Jura 1986, 527 (528). 137 Vgl. Lewis, State and Diplomatic Immunity, S. 143; Nahlik, RdC 1990 III, 187 (268); Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 83 f. sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPOPfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. V.A.2.c. Für das persönliche Gepäck sonstiger Mitglieder diplomatischer Missionen und für das von Mitgliedern konsularischer Vertretungen gilt dieser Schutz nicht. Art. 50 Abs. 3 WÜK betrifft nur eine Freistellung von der Zollkontrolle, bezieht sich also nicht auf strafprozessuale Kontrollen. Diese sind zulässig. A.A. jedoch Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 233 f. Nahlik, a.a.O., wiederum meint, auch Art. 36 Abs. 2 WÜD betreffe nur Zollkontrollen. 138 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 189, 192 ff. 139 Diese Erfahrung machten beispielsweise die USA 1985 beim Neubau ihrer Botschaft in Moskau. Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 181; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 60; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 319. 135 136
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riergepäck verschickt werden zu dürfen, aber nicht nur zum amtlichen Gebrauch bestimmt sein, sondern müssen darüber hinaus auch nach den Rechtsvorschriften des Empfangsstaates zulässigerweise eingeführt und im Empfangsstaat verwendet werden dürfen. Nach den Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften des Empfangsstaates „illegale“ Gegenstände dürfen also nicht Bestandteil des Kuriergepäcks sein. Insofern kann die Frage der Zulässigkeit bestimmter Gegenstände nicht einheitlich beantwortet werden. So können beispielsweise Waffen, die prophylaktisch zur Verteidigung der Räumlichkeiten angeschafft werden sollen, in einem Land zulässiges Kuriergepäck sein, in einem anderen Staat dagegen nicht. Die Eigenschaft als Kuriergepäck verliert ein Behältnis aber nicht bereits dadurch, daß es nach Art. 27 Abs. 4 WÜD bzw. Art. 35 Abs. 4 WÜK unzulässige Gegenstände enthält. Den Schutz als Kuriergepäck genießt ein Gepäckstück also auch dann, wenn es andere als den dienstlichen Zwecken der Vertretung dienende Gegenstände enthält. Denn die Frage, ob ein Behältnis zulässige Gegenstände enthält, kann nur im Rahmen einer Kontrolle des Inhalts bestimmt werden, eine solche ist aber gerade ausgeschlossen, denn nach Art. 27 Abs. 3 WÜD und Art. 35 Abs. 3 WÜK darf das Kuriergepäck nicht geöffnet werden. Insofern kann der Schutz nicht vom Inhalt abhängig gemacht werden.140 Für die im vorliegenden Zusammenhang interessierende Frage der Zulässigkeit von strafprozessualen Maßnahmen folgt hieraus, daß es irrelevant ist, welchen Inhalt ein als Kuriergepäck deklariertes Behältnis tatsächlich hat. Ein Behältnis genießt den ihm nach dem WÜD und dem WÜK zukommenden Schutz stets dann, wenn es ordnungsgemäß als Kuriergepäck gekennzeichnet ist.141 Einen bestimmten Maximalumfang oder ein Maximalgewicht gibt es für Kuriergepäck nicht. Bedenkt man, daß auch Möbel und sogar Baumaterialien Bestandteil des Kuriergepäcks sein dürfen, so können auch ganze Container als Kuriergepäck deklariert und damit als solches einem Zugriff der Behörden des Empfangsstaates entzogen werden.142 Als allerdings die Sowjetunion 1985 einen Lastwagen, der neun Tonnen Güter geladen hatte, als Kuriergepäck nach Deutschland verbringen wollte, akzeptierte die Bundesrepublik dies nicht und bestand darauf, die Ladung zu inspizieren. Die einzelnen geladenen Kisten wurden dann allerdings nicht geöffnet, sondern jeweils als Kuriergepäck akzeptiert.143 Dies war zulässig, denn die ___________ Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 191 f. Ausnahmen kann es dann geben, wenn der Inhalt von außen deutlich sichtbar ist, etwa als Verpackung bloß eine Schnur oder eine durchsichtige Plastikfolie verwendet wurde. Wenn eine Sichtkontrolle von außen in solchen Fällen eindeutig ergibt, daß es sich um einen Gegenstand handelt, der nicht als Kuriergepäck verschickt werden darf, so braucht die Ware nicht als Kuriergepäck akzeptiert zu werden. 142 Ebenso Denza, Diplomatic Law, S. 189; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 498. 143 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 273; Denza, Diplomatic Law, S. 189 f.; Puppe, Jura 1986, 527 (527). 140 141
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Transportfahrzeuge können schon begrifflich kein „Gepäckstück“ sein, dies können nur die vom Fahrzeug transportierten Behältnisse sein. Beim Kuriergepäck wird zwischen begleitetem und unbegleitetem Gepäck differenziert. Unter begleitetem Kuriergepäck versteht man solches, das ständig von einer bestimmten Person – einem Kurier – transportiert oder jedenfalls überwacht wird, das also einer Person anvertraut ist, die das Gepäckstück während des Transports vom Absender bis zum Empfänger nicht „aus der Hand gibt“. Ein solcher diplomatischer oder konsularischer Kurier genießt – wie oben in § 13 I.5. erläutert wurde – persönliche Unverletzlichkeit nach Art 27 Abs. 5 und 6 WÜD bzw. Art. 35 Abs. 5 und 6 WÜK. Kuriergepäck kann aber auch als unbegleitetes Gepäck versandt werden. Dies ist der Fall, wenn es einem Unternehmer, etwa einer Postgesellschaft oder einem Paketdienst, zum Transport übergeben und von diesem im Rahmen einer Logistikkette unter Einsatz verschiedener, zumindest aber nicht individuell ausgewählter Personen transportiert wird.144 Gewissermaßen eine Zwischenstellung zwischen dem begleiteten und dem unbegleiteten Kuriergepäck nimmt das Kuriergepäck ein, das gemäß Art. 27 Abs. 7 WÜD bzw. Art. 35 Abs. 7 WÜK einem Luftfahrzeugkommandanten oder dem Kapitän eines Seeschiffes zum Transport persönlich anvertraut wurde.145 Da diese Personen keine personenbezogene Exemtion genießen, ihnen das WÜD und WÜK vielmehr explizit die Stellung eines Kuriers versagt, braucht auf diese Transportvariante nicht näher eingegangen zu werden. Denn unabhängig davon, ob das Kuriergepäck als begleitetes oder unbegleitetes Gepäck versandt wird oder ob es einem Luftfahrzeugkommandanten oder Kapitän anvertraut worden ist, genießt es stets Exemtion von strafrechtlicher Inanspruchnahme in identischem Umfang. Diesen Schutz gilt es im folgenden zu erörtern. b) Schutz des Kuriergepäcks Nach Art. 27 Abs. 3 WÜD146 und Art. 35 Abs. 3 Satz 1 WÜK147 darf das diplomatische und konsularische Kuriergepäck weder geöffnet noch zurückgehalten werden.148 ___________ Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 77. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 77. Zwar sieht lediglich Art. 35 Abs. 7 WÜK, nicht aber Art. 27 Abs. 7 WÜD die Möglichkeit vor, das Kuriergepäck dem Kapitän eines Seeschiffes anzuvertrauen, doch wird Art. 27 Abs. 7 WÜD als auf Schiffskapitäne analog anwendbar angesehen. Vgl. das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. VI.3.b) und c). 146 Art. 27 Abs. 3 WÜD lautet: „Das diplomatische Kuriergepäck darf weder geöffnet noch zurückgehalten werden.“ 144 145
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Für den Bereich des Strafrechts bedeutet dies, daß die Organe des Empfangsstaates die ordnungsgemäß als Kuriergepäck deklarierten Behältnisse nicht durchsuchen und weder diese selbst noch deren Inhalt beschlagnahmen dürfen. Umstritten ist, ob auch solche Untersuchungsmaßnahmen des Empfangsstaates, die nicht mit einem Öffnen des Behältnisses verbunden sind, untersagt sind. So kann eine Kontrolle des Gepäcks auch dadurch vorgenommen werden, daß dieses – wie generell bei Gepäckstücken auf Flughäfen üblich – durchleuchtet, geröntgt oder auf sonstige technische Weise gescannt wird. Die Staatenpraxis ist uneinheitlich. Von einigen Staaten wird die Auffassung vertreten, das WÜD und das WÜK verböten ausdrücklich nur das Öffnen. Maßnahmen, die nicht mit einem Öffnen des Behältnisses verbunden seien, seien zulässig und aus Sicherheitsgründen auch geboten.149 Doch kann eine solche Auffassung nicht überzeugen. Die Interpretation der Art. 27 Abs. 3 WÜD und Art. 35 Abs. 3 Satz 1 WÜK muß vom Telos der Normen ausgehen. Das Verbot des Öffnens soll sicherstellen, daß die Organe des Empfangsstaates vom Inhalt der Kuriergepäckstücke keine Kenntnis erlangen können. Die Möglichkeit, daß sich der Empfangsstaat über den Inhalt des Kuriergepäcks durch Einsatz besonderer technischer Mittel auch ohne ein Öffnen Kenntnis verschaffen kann, wurde bei der Ausarbeitung des WÜD und des WÜK in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts nicht bedacht und war angesichts des damaligen technischen Entwicklungsstands auch fernliegend. Die an der Ausarbeitung der Konventionen beteiligten Staatenvertreter wollten vielmehr der Sache nach eine generelle Unverletzlichkeit des Kuriergepäcks normieren. Eine an Sinn und Zweck des Schutzes des Kuriergepäcks orientierte Auslegung der Art. 27 Abs. 3 WÜD und Art. 35 Abs. 3 Satz 1 WÜK muß deshalb zu dem Ergebnis kommen, daß sämtliche Maßnahmen, mit denen sich der Empfangsstaat vom Inhalt des Gepäcks Kenntnis verschaffen oder auf diesen einwirken kann, untersagt sind. Hinsichtlich der Zulässigkeit von Untersuchungsmaßnahmen, die nicht mit einem Öffnen des Behältnisses verbunden sind, ist daher zu differenzieren: ___________ 147 Art. 35 Abs. 3 S. 1 WÜK lautet: „Das konsularische Kuriergepäck darf weder geöffnet noch zurückgehalten werden.“ 148 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 273. 149 Vgl. Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 146; Dahm/ Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 273 Fn. 14; Denza, Diplomatic Law, S. 195 f.; Shaw, International Law, S. 531. Für die Zulässigkeit einer Durchleuchtung in der Literatur etwa Lee, Consular Law and Practice, S. 453 f.; Meyer-Lindenberg/SeidlHohenveldern, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), LdR-VR, S. 65 (68); Puppe, Jura 1986, 527 (529); Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 117. Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1042) meint, “screening is probably not contrary to Art. 27, since it involves neither search nor detention of the bag”, doch hat sie diese Auffassung mittlerweile aufgegeben, vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 196 f. Vgl. zum Streitstand auch Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 201 ff.
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Technische Maßnahmen wie ein Röntgen, eine Durchleuchtung oder ein Scannen des Gepäcks sind dem Empfangsstaat verboten.150 Denn solche Maßnahmen wirken ähnlich wie ein manuelles Öffnen und Durchsuchen des Gepäcks in dieses hinein. Mit ihnen kann Kenntnis vom Inhalt des Kuriergepäcks erworben und damit dessen Vertraulichkeit gefährdet werden. Die modernen Technologien zur Kontrolle von Gepäckstücken ermöglichen eine ins Detail gehende Feststellung einzelner Gegenstände, die mit dem Schutzzweck der Unverletzlichkeit des Kuriergepäcks nicht vereinbar ist. Auch die Erfassung des Textes von Schriftstücken ist technisch machbar, womit die Vertraulichkeit von Dokumenten gefährdet ist. Zudem besteht bei solchen Maßnahmen, vor allem beim Einsatz von Röntgenstrahlung, die Gefahr der Beschädigung des Inhalts des Kuriergepäcks, etwa der Zerstörung von Filmen oder Datenträgern. Schon an dieser Stelle sei erwähnt, daß der bislang nicht weiterverfolgte Entwurf einer Convention on the Status of the Diplomatic Courier and the Diplomatic Bag not Accompanied by Diplomatic Courier, deren Ziel es ist, die in den verschiedenen Verträgen enthaltenen Bestimmungen zum diplomatischen und konsularischen Kuriergepäck zu vereinheitlichen und den heutigen Bedürfnissen anzupassen, in Art. 28 Abs. 1 ausdrücklich ein Verbot des Scannens oder des sonstigen Einwirkens auf den Inhalt des Kuriergepäcks mit technischen Mitteln vorsieht.151 Maßnahmen, die nicht unmittelbar in das Behältnis hineinwirken, sondern lediglich der (besseren) Wahrnehmung dessen dienen, was außerhalb des Kuriergepäckstücks erkennbar ist, sind dagegen durch Art. 27 Abs. 3 WÜD und Art. 35 Abs. 3 Satz 1 WÜD nicht untersagt. Dies betrifft Wahrnehmungen von nach außen dringenden Geräuschen und Gerüchen. Der Einsatz von Spürhunden, etwa Drogenhunden, ist daher zulässig.152 Soweit nach dem Gesagten strafprozessuale Maßnahmen unzulässig sind, gilt dies ohne Ausnahme. Auch dann, wenn der dringende Verdacht oder sogar die Gewißheit besteht, daß das Kuriergepäck zur Begehung schwerer Straftaten mißbraucht wird, etwa zur (nach dem Recht des Empfangsstaates verbotenen) Einoder Ausfuhr von Drogen oder Waffen, scheiden strafprozessuale Maßnahmen wie eine Beschlagnahme oder Durchsuchung des Gepäcks nach §§ 94, 102 f. StPO aus. Ebensowenig wie die übrigen (personen- oder sachbezogenen) Exemtionen bei ___________ Ebenso Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 754; Denza, Diplomatic Law, S. 196 f.; Richtsteig, Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, S. 60, 196 und wohl auch Higgins, AJIL 79 (1985), 641 (647 f.). Dies war auch die Auffassung der ILC bei der Ausarbeitung einer einheitlichen Konvention zur Rechtsstellung von Kuriergepäck; vgl. unten Anm. 171. 151 Vgl. näher zu den Bestrebungen einer Modifikation des Rechts des Kuriergepäcks unten § 16 IV.2.g) 152 Denza, Diplomatic Law, S. 197; Matz, Vienna Convention on Diplomatic Relations (1961), Addendum 1999, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1301 (1303) meint, “the legality of using dogs to search for drugs in the diplomatic bag is not questioned”. 150
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schweren Straftaten verwirkt werden können oder im Rahmen einer Repressalie mißachtet werden dürfen, ist dies hinsichtlich der Exemtion des Kuriergepäcks möglich. Dem steht die Klassifizierung des Diplomaten- und Konsularrechts als self-contained regime entgegen.153 c) Zurückweisung von Kuriergepäck Es stellt sich aber die Frage, ob dem Empfangsstaat Reaktionsmöglichkeiten außerhalb des Strafrechts zur Verfügung stehen, wenn etwa durch Aussagen von Informanten oder durch zulässige Kontrollmaßnahmen – wie den Einsatz von Spürhunden – sichere Kenntnis erlangt oder der dringende Verdacht begründet wurde, daß bestimmtes Kuriergepäck Gegenstände enthält, die nicht den dienstlichen Zwecken einer Vertretung dienen oder nach dem Recht des Empfangsstaates unzulässig sind. Muß der Empfangsstaat beispielsweise ohne Eingriffsmöglichkeit die Ein- oder Ausfuhr von Kuriergepäck akzeptieren, wenn er weiß oder einen dringenden Verdacht hat, daß bestimmte Kuriergepäckstücke Waffen oder Drogen enthalten? Auch in diesem Fall scheiden, wie erwähnt, strafprozessuale Maßnahmen wie eine Durchsuchung nach §§ 102 f. StPO aus; und zwar selbst dann, wenn als (Mit-) Täter einer Straftat Personen verdächtigt werden, die nicht Mitglieder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung sind, wenn etwa der Verdacht besteht, daß ein Diplomat zusammen mit dritten Personen die Möglichkeit des Kuriergepäcks nutzt, um illegal Rauschgift in den Empfangsstaat einzuführen. Doch ist zu überlegen, ob der Empfangsstaat nicht zumindest die Ein- oder Ausfuhr bzw. den Transport eines bestimmten als Kuriergepäck deklarierten Behältnisses verhindern kann, wenn er den Verdacht des Mißbrauchs hat. Es stellt sich also die Frage, ob der Empfangsstaat ein „Zurückweisungsrecht“ hat. Diese Frage ist von großem praktischem Interesse, da es immer wieder vorkommt, daß die Behörden von Empfangsstaaten den begründeten Verdacht hegen, daß Kuriergepäck mißbraucht wird, namentlich zum Transfer von Drogen, Waffen oder für die Waffenproduktion benötigter Güter. Der Empfangsstaat hat ein legitimes Interesse daran, daß keine Sachen in sein Land gebracht oder dort transportiert werden, die eine ___________ 153 So auch Higgins, AJIL 79 (1985), 641 (647); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 198. Die ILC betonte in ihrem Entwurf für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958, YBILC 1958 II, 89 (97) (UN-Dokument A/3859): “The Commission has noted that the diplomatic bag has on occasion been opened with the permission of the Ministry of Foreign Affairs of the receiving State, and in the presence of a representative of the mission concerned. While recognizing that States have been led to take such measures in exceptional cases where there were serious grounds for suspecting that the diplomatic bag was being used in a manner contrary to (…) the article, and with detriment to the interests of the receiving State, the Commission wishes nevertheless to emphasize the overriding importance which it attaches to the observance of the principle of the inviolability of the diplomatic bag.”
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Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten können und nicht für die völkerrechtlich anerkannte Arbeit einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung bestimmt sind. Eine solche Zurückweisungsmöglichkeit sieht das WÜK für das konsularische Kuriergepäck ausdrücklich vor. Art. 35 Abs. 3 Satz 2 und 3 WÜK bestimmen: „Haben jedoch die zuständigen Behörden des Empfangsstaates triftige Gründe für die Annahme, daß das Gepäck etwas anderes als Korrespondenz, Schriftstücke und Gegenstände im Sinne von Absatz 4 enthält [also andere Sachen als amtliche Korrespondenz und ausschließlich für den amtlichen Gebrauch bestimmte Schriftstücke oder Gegenstände, der Verf.], so können sie verlangen, daß ein ermächtigter Vertreter des Entsendestaates es in ihrer Gegenwart öffnet. Lehnen die Behörden des Entsendestaates dieses Verlangen ab, so wird das Gepäck an seinen Ursprungsort zurückbefördert.“
Der Empfangsstaat darf also auch bei einem dringenden Mißbrauchsverdacht das Gepäck nicht selbst öffnen. Er darf aber in einem solchen Fall verlangen, daß das Gepäck von einem Vertreter des Entsendestaates geöffnet wird, und kann, wenn diesem Verlangen nicht entsprochen wird, das Gepäck zurückweisen. Wenn also der Entsendestaat nicht bereit ist, den Verdacht durch ein Öffnen des Behältnisses auszuräumen, darf der Empfangsstaat die Ein- oder Ausfuhr bzw. den innerstaatlichen Transfer ablehnen.154 Auch wenn dies nicht ausdrücklich geregelt ist, ist es eine logische Konsequenz dieses Zurückweisungsrechts, daß der Empfangsstaat das Gepäck auch dann zurückweisen darf, wenn die Öffnung durch Vertreter des Entsendestaates den Verdacht eines Mißbrauchs bestätigt hat. Dann darf er sogar die Gegenstände, die nicht als solche durch Art. 24 und 27 Abs. 1 WÜD bzw. Art. 33 und Art. 35 Abs. 1 WÜK geschützt sind, etwa Drogen oder Waffen, die bei der Öffnung entdeckt worden sind, nach § 94 oder § 108 StPO beschlagnahmen. Diese Regelung stellt für das konsularische Kuriergepäck einen weithin akzeptierten und auch akzeptablen Kompromiß dar zwischen den zum Teil gegenläufigen Interessen der beteiligten Staaten. Das Interesse des Entsendestaates daran, daß dienstlich benötigte Gegenstände und die amtliche Korrespondenz ungehindert von einer Einflußnahme und vor allem geschützt vor einer Kenntnisnahme durch den Empfangsstaat transportiert werden können, wird dadurch gewahrt, daß der Empfangsstaat nicht von sich aus auf den Inhalt des als Kuriergepäck deklarierten Behältnisses zugreifen darf. Dem ebenfalls berechtigten Interesse des Empfangsstaates daran, daß die Möglichkeit der Versendung von Gegenständen als Kuriergepäck nicht mißbraucht wird, wird dadurch Rechnung getragen, daß er Gepäck zurückweisen kann, wenn der Entsendestaat sich weigert, es „zu zeigen“.
___________ Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 38 Rn. 15; Lee, Consular Law and Practice, S. 445 f.; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 192 sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. VI.2. 154
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Vor Schaffung des WÜD war anerkanntes Völkergewohnheitsrecht, daß diese (eingeschränkte) Zurückweisungsmöglichkeit auch für diplomatisches Kuriergepäck gilt.155 Das WÜD enthält eine derartige Regelung dagegen nicht. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Zurückweisungsregelung des Art. 35 Abs. 3 Satz 2 und 3 WÜK auf diplomatisches Kuriergepäck analog angewandt werden darf. Denn in Kenntnis des früheren Gewohnheitsrechts ist bei der Ausarbeitung des WÜD ein solches Zurückweisungsrecht ausdrücklich abgelehnt worden.156 Es fehlt also an einer planwidrigen Regelungslücke.157 Und es lassen sich gegen ein solches Zurückweisungsrecht für diplomatisches Kuriergepäck auch gute Argumente anführen: Ein Zurückweisungsrecht, wie es Art. 35 Abs. 3 Satz 2 und 3 WÜK normieren, gibt dem Empfangsstaat letztlich die Möglichkeit, jedes Kuriergepäckstück, das sein Land verläßt, in dieses hineingebracht oder in diesem transportiert wird, zu überprüfen. Denn er kann mit der bloßen Behauptung, er habe den Verdacht eines Mißbrauchs, die Öffnung jedes Gepäckstücks verlangen, das seine Staatsgrenze passiert bzw. innerhalb des Landes transportiert wird, und so vom Inhalt sämtlichen Kuriergepäcks Kenntnis erlangen. Der Entsendestaat kann sich zwar weigern, das Kuriergepäck zu öffnen, doch kann der Empfangsstaat dann die Ein- oder Ausfuhr bzw. den innerstaatlichen Transfer unterbinden. Wenn ein Entsendestaat also Kuriergepäck versenden will, muß er sich auf die Bedingung der Öffnung einlassen. Damit aber besteht die Gefahr, daß ein freier Verkehr nicht mehr möglich ist und der Empfangsstaat die Arbeit diplomatischer und konsularischer Vertretungen in seinem Land kontrollieren kann. Eine sinnvolle Arbeit der Vertretungen wäre dann kaum mehr möglich.158 Für das diplomatische Kuriergepäck gilt damit, daß der Empfangsstaat mangels Zurückweisungsrecht dieses auch dann akzeptieren muß, also dessen Transport in ___________ Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1042); dies., Diplomatic Law, S. 3, 185; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 197 f. 156 Vgl. Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 90 ff.; Denza, Diplomatic Law, S. 185 ff.; Kerley, AJIL 56 (1962), 88 (116 ff.); Zemanek, AVR 9 (1961/62), 398 (418). Bereits die Entwürfe der ILC für eine Diplomatenrechtskonvention enthielten kein Zurückweisungsrecht. Vgl. YBILC 1957 II, 137 f.; YBILC 1958 II, 96 f. Vgl. auch die Protokolle über die Diskussion innerhalb der ILC in YBILC 1957 I, 74 ff.; YBILC 1958 I, 138 f. 157 Gegen ein Zurückweisungsrecht bei diplomatischem Kuriergepäck auch MeyerLindenberg/Seidl-Hohenveldern, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), LdR-VR, S. 65 (68); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 199 f. Verdross/Simma, Völkerrecht, § 926 Fn. 88 halten eine entsprechende Anwendbarkeit der Regelungen über das Zurückweisungsrecht auf diplomatisches Kuriergepäck für „zweifelhaft“. Bei der Ratifikation des WÜD brachten einige Staaten (Kuwait, Syrien, Libyen) einen Vorbehalt dahingehend an, daß sie weiterhin ein Zurückweisungsrecht in Anspruch nehmen werden; vgl. Shaw, International Law, S. 530. 158 Für zweckmäßig auch in bezug auf diplomatisches Kuriergepäck wird ein Zurückweisungsrecht dagegen angesehen von Verdross/Simma, Völkerrecht, § 926 Fn. 88. 155
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bzw. aus seinem Land oder innerhalb seines Landes ohne jegliche Möglichkeit des Eingreifens auch dann dulden muß, wenn er einen dringenden Verdacht oder sogar die sichere Kenntnis hat, daß das Kuriergepäck mißbraucht wird, etwa dem Transport von Drogen oder Waffen dient. Er muß also gewissermaßen „sehenden Auges“ den Mißbrauch hinnehmen. Dies ist zwar für den Empfangsstaat unbefriedigend, doch vom WÜD – aus durchaus einleuchtenden Gründen – eindeutig gewollt. Anders als hinsichtlich des konsularischen Kuriergepäcks ist beim diplomatischen Kuriergepäck bewußt eine Regelung getroffen worden, die dem Schutz der Interessen des Entsendestaates besonderes Gewicht beimißt. Die einzige Möglichkeit, die der Empfangsstaat hat, um auf die Begehung von Straftaten oder auf zumindest rechtswidrige Verhaltensweisen zu reagieren, ist die, die Personen, denen er den Mißbrauch zuschreibt, zu personae non gratae bzw. „nicht genehmen Personen“ zu erklären, oder aber – im Extremfall – die diplomatischen bzw. konsularischen Beziehungen zum Entsendestaat abzubrechen. d) Abwehr von unmittelbaren Gefahren Die Feststellung, daß der Empfangsstaat diplomatisches Kuriergepäck ohne jede Zugriffs- oder Zurückweisungsmöglichkeit akzeptieren muß und ihm bei konsularischem Kuriergepäck lediglich die Möglichkeit einer Zurückweisung bleibt, wenn der Entsendestaat einer gemeinsamen Öffnung nicht zustimmt, daß mithin ein eigenmächtiges Öffnen stets ausscheidet, ist jedoch in einer Hinsicht einzuschränken. Wie schon bezüglich der personenbezogenen Exemtionen und der bislang geschilderten sachbezogenen Exemtionen, so gilt auch für die Exemtion des Kuriergepäcks, daß die Freistellung von der Ausübung von Hoheitsgewalt des Empfangsstaates dann eine Ausnahme erfährt, wenn es um die Abwehr einer akuten, unmittelbaren Gefahr für Leib oder Leben bzw. bedeutende Sachwerte geht.159 Wenn beispielsweise die Behörden des Empfangsstaates bemerken, daß aus einem als Diplomatengepäck deklarierten Behältnis gesundheitsgefährdende Gase entweichen, wenn sich herausstellt, daß ein solches Behältnis radioaktive Strahlung absondert oder wenn durch das Anschlagen eines auf Sprengstoff trainierten Spürhundes deutlich wird, das sich Explosivstoffe, die jederzeit ein Inferno verursachen können, in dem geschützten Behältnis befinden, dann dürfen die Organe des Empfangsstaates zur Beseitigung dieser Gefahr einschreiten und dazu auch das Behält___________ Für eine Zulässigkeit von Gefahrenabwehrmaßnahmen auch Cahier, IC 571 (1969), 5 (23); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 274; Denza, Diplomatic Law, S. 198 f.; Doehring, Spionage im Friedensvölkerrecht, S. 307 (322 ff.); Shaw, International Law, S. 530. A.A. aber Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 205 f.; Higgins, AJIL 79 (1985), 641 (647 f.) und Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 753. Vgl. auch Herdegen, ZaöRV 46 (1986), 734 (742), der einem Recht auf Öffnung und Durchsuchung sehr skeptisch gegenübersteht und meint, “it is very difficult to argue against the clear wording of the Convention”. 159
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nis öffnen. Gleiches gilt, wenn aus einem Kuriergepäckstück ein Stöhnen zu vernehmen ist oder sonstige Tatsachen – etwa Luftlöcher, denen Chloroformgeruch entströmt – den Verdacht nahelegen, daß mit einem als Kuriergepäck deklarierten Behältnis entführte Personen außer Landes gebracht werden sollen. Solche Fälle scheinen abstrus zu sein, doch haben sie sich – wie die unten dargestellten Fälle aus der Staatenpraxis zeigen – tatsächlich ereignet. Diese Ausnahme ist Bestandteil des gewohnheitsrechtlichen Diplomaten- und Konsularrechts, das gemäß den Präambeln zu WÜD und WÜK deren Bestimmungen ergänzt. Insofern kann auf die Ausführungen oben bei § 16 I.2.f) verwiesen werden. Die völkergewohnheitsrechtliche Verankerung des „Gefahrenabwehrrechts“ manifestiert sich in den nachfolgend geschilderten Fällen aus der Staatenpraxis: Am 5. Juli 1984 wurde in London Umaru Dikko, ein früherer Verkehrsminister Nigerias, entführt. Da man befürchtete, er solle außer Landes gebracht werden, wurden die Grenzbehörden zu erhöhter Wachsamkeit aufgefordert. Kurze Zeit später fiel Beamten auf dem Flughafen Stansted eine große Kiste auf, die Luftlöcher enthielt, aus denen Chloroformgeruch entströmte, und die mit einem Flugzeug der Nigeria Airways nach Nigeria geflogen werden sollte. Sie war adressiert an das Außenministerium Nigerias, als Absender war die nigerianische High Commission in Großbritannien angegeben. Die Beamten öffneten die Kiste in Anwesenheit von Vertretern der nigerianischen High Commission und fanden in dieser tatsächlich den betäubten Dikko, zusammen mit einem Arzt und zwei weiteren Personen. Allerdings war die Befugnis zum Öffnen der Kiste in diesem Fall unzweifelhaft, da das Behältnis nicht ausdrücklich als Kuriergepäck deklariert war und somit das konstitutive Merkmal des Art. 27 Abs. 4 WÜD nicht erfüllte. Das britische Foreign and Commonwealth Office stellte deshalb ganz zu Recht fest, daß es sich bei der Kiste nicht um Kuriergepäck im Sinne des Art. 27 Abs. 3 und 4 WÜD handelte.160 Doch wurde von seiten des britischen Außenministers und der britischen Regierung im Anschluß an diesen Vorfall deutlich gemacht, daß man sich auch dann für befugt gehalten hätte, die Kiste eigenmächtig zu öffnen, wenn sie ordnungsgemäß als Kuriergepäck deklariert gewesen wäre. Der Außenminister sprach von einer “overriding duty to protect human life”, die Regierung ließ verlauten, daß “where the evidence is good that the contents of a bag might endanger national security or the personal safety of the public or of individuals, the Government will not hesitate to take the necessary action on the basis of the overriding right of self-defence or the duty to protect human rights”.161 Im Jahr 1964 bemerkten italienische Zollbeamte, daß aus einer als Diplomatengepäck deklarierten Kiste, die an das ägyptische Außenministerium in Kairo adressiert war, ein Stöhnen zu vernehmen waren. Daraufhin wurde das Behältnis geöffnet und in ihr der gefesselte israelische Staatsbürger Mordechai Louk entdeckt, der entführt worden war und nach Ägypten verbracht werden sollte, um ihn dort wegen Spionagetaten anzuklagen. Die
___________ Vgl. zu diesem Fall Akinsanya, ICLQ 1985, 602 (602 ff.); Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 4 f.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 273 Fn. 15; Cameron, ICLQ 34 (1985), 610 (614 f.); Denza, Diplomatic Law, S. 190 f.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 75; Puppe, Jura 1986, 527 (527); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 193. 161 Zitiert nach Denza, Diplomatic Law, S. 198 f. Vgl. auch Herdegen, ZaöRV 46 (1986), 734 (738). 160
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italienischen Behörden hielten sich also für befugt, das Kuriergepäck zu öffnen.162 Allerdings hatte Italien zu diesem Zeitpunkt das WÜD noch nicht ratifiziert. Doch war auch schon nach früherem Gewohnheitsrecht ein Öffnen von Kuriergepäck grundsätzlich untersagt.
e) Kontrolle von Kuriergepäck durch Transportunternehmen Art. 27 Abs. 3 WÜD und Art. 35 Abs. 3 Satz 1 WÜK verleihen dem Entsendestaat nur einen Anspruch darauf, daß die Behörden des Empfangsstaates das Kuriergepäck nicht öffnen, nicht im Wege der Durchleuchtung, des Röntgens oder durch ähnliche technische Methoden den Inhalt des Kuriergepäcks überprüfen und das Gepäck nicht zurückhalten. Ein Transportanspruch wird nicht gewährt, und zwar weder gegenüber privaten Frachtführern noch gegenüber staatlichen Transportgesellschaften oder solchen, an denen der Empfangsstaat Anteile hält. Die Transportunternehmen können daher frei entscheiden, ob sie Kuriergepäck transportieren wollen oder nicht. Damit können sie aber den Abschluß eines Transportvertrags auch abhängig machen von einer Kontrollerlaubnis, also davon, daß sich der Entsendestaat (freiwillig) bereiterklärt, das Gepäck überprüfen zu lassen.163 Ein solcher Verzicht auf den Schutz der Art. 27 Abs. 3 WÜD und Art. 35 Abs. 3 Satz 1 WÜK ist stets möglich. Heutzutage wird wohl kaum eine Fluglinie bereit sein, Kuriergepäck an Bord zu nehmen, das nicht zuvor ebenso wie „normale“ Gepäckstükke überprüft wurde. Der Empfangsstaat darf sogar die in seinem Land tätigen Transportunternehmen, vor allem die Fluggesellschaften, im Interesse der Sicherheit in der Luft und am Boden gesetzlich anweisen, nur solche Gepäckstücke zu transportieren, die vorher auf Sprengstoffe, Waffen oder sonstige verbotene Güter hin untersucht wurden. Dann dürfen diese Frachtführer Kuriergepäck, mit dessen Kontrolle sich der Entsendestaat nicht einverstanden erklärt hat, nicht transportieren. Zwar bewirkt eine solche gesetzliche Regelung indirekt das gleiche wie das oben geschilderte Zurückweisungsrecht, das zwar das WÜK, nicht aber das WÜD festlegt. Aber dennoch ist eine solche Regelung statthaft, weil eben kein Transportanspruch besteht. Die Transporteure können daher auch verpflichtet werden, die Bereitschaft, Kuriergepäck zu transportieren, von der Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen des Empfangsstaates abhängig zu machen. Wenn der Entsendestaat allerdings nicht auf gewerbliche Transportunternehmer zurückgreift, sondern das Kuriergepäck mit einem eigenen Fahrzeug, etwa einem eigenen Flugzeug, transportiert, darf der Empfangsstaat nicht durch gesetzliche Regelungen den Transport reglementieren. Er darf in solchen Fällen auch nicht ___________ Vgl. zu diesem Fall Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 273 Fn. 15; Denza, Diplomatic Law, S. 198; Lee, Convention on Consular Relations, S. 100 Fn. 11; ders., Consular Law and Practice, S. 445 Fn. 31; Puppe, Jura 1986, 527 (527). 163 Vgl. Denza, Diplomatic Law, S. 197; Puppe, Jura 1986, 527 (529). 162
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indirekt ein Zurückweisungsrecht für sich in Anspruch nehmen, indem er die Benutzung seiner Infrastruktureinrichtungen abhängig macht von einer Kontrolle des Kuriergepäcks, also etwa eine Lande- oder Starterlaubnis auf seinen Flughäfen nur erteilt, wenn die transportierten Güter vorher überprüft wurden. Eine solche Regelung würde einem Zurückweisungsrecht gleichkommen, das das WÜD aber gerade verneint. Der Empfangsstaat ist vielmehr verpflichtet, seine Infrastruktureinrichtungen zum Transport von Kuriergepäck zur Verfügung zu stellen bzw. deren Nutzung zu dulden, denn ansonsten liefe der Rechtsanspruch auf freien Verkehr leer. Sofern also der Entsendestaat das Kuriergepäck mit einem eigenen Flugzeug oder LKW ein- oder ausführt, besteht für den Empfangsstaat keine Möglichkeit der Kontrolle.164 f) Rechtsstellung von diplomatischem und konsularischem Kuriergepäck in Drittstaaten Da es sich bei dem Entsendestaat, der Kuriergepäck an eine Auslandsvertretung im Empfangsstaat schicken oder umgekehrt von seiner Auslandsvertretung im Empfangsstaat Kuriergepäck erhalten möchte, in der Regel nicht um den unmittelbaren Nachbarstaat des Empfangsstaates handelt und vielfach direkte Transportrouten, die das Hoheitsgebiet von dritten Staaten nicht berühren, nicht existieren, stellt sich die Frage nach der Rechtsstellung von Kuriergepäck in Drittstaaten. Genau genommen stellen sich zwei Fragen: Zum einen ist zu klären, ob Drittstaaten den Durchgangsverkehr von Kuriergepäck zu gestatten haben, zum anderen, welchen Schutz Kuriergepäck genießt, während es durch das Hoheitsgebiet eines Drittstaates transportiert wird. Eine Verpflichtung für einen Drittstaat, den Durchgangsverkehr von Kuriergepäck zuzulassen und diesem Unverletzlichkeit zu gewähren, kann sich nicht aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem Entsende- und dem Empfangsstaat über die Modalitäten des Kurierverkehrs ergeben, denn eine solche Vereinbarung wäre ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter (vgl. Art. 34 WVRK). Wohl aber kann sich eine Verpflichtung von Drittstaaten aus dem WÜD und WÜK ergeben, denn auch Drittstaaten sind entweder dadurch, daß sie Vertragsstaaten des WÜD bzw. WÜK sind, oder aber aufgrund der gewohnheitsrechtlichen Geltung der Regelungen des WÜD und des WÜK, an deren Normen gebunden. Der Geltungsbereich von WÜD und WÜK ist – wie schon oben in § 15 I.3. dargelegt – nicht auf Staaten ___________ Die „normalen“ gesetzlichen Restriktionen für die Nutzung staatlicher Infrastruktureinrichtungen wie die Straßenverkehrsbestimmungen der StPO (Tonnagebeschränkungen, Geschwindigkeitsbeschränkungen) gelten aber selbstverständlich auch für einen Transport von Kuriergepäck. Soweit die transportierenden Personen jedoch personenbezogene Exemtionen genießen, scheidet eine Bestrafung bei Mißachtung dieser Vorschriften aus. Wenn etwa der Fahrer einer Botschaft, der Immunität ratione materiae nach Art. 37 Abs. 3 WÜD genießt, mit überhöhter Geschwindigkeit Kuriergepäck zum Flughafen fährt, scheidet ein Straf- oder Bußgeldverfahren wegen seiner Immunität aus. 164
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in ihrer Funktion als Entsende- oder Empfangsstaat beschränkt. Vielmehr enthalten die Konventionen auch Regelungen für Drittstaaten. Art. 40 Abs. 3 WÜD bestimmt bezüglich der hier interessierenden Fragen: „Dritte Staaten gewähren in bezug auf die amtliche Korrespondenz und sonstige amtliche Mitteilungen im Durchgangsverkehr, einschließlich verschlüsselter Nachrichten, die gleiche Freiheit und den gleichen Schutz wie der Empfangsstaat. Diplomatischen Kurieren, deren Paß erforderlichenfalls mit einem Sichtvermerk versehen wurde, und dem diplomatischen Kuriergepäck im Durchgangsverkehr gewähren sie die gleiche Unverletzlichkeit und den gleichen Schutz, die der Empfangsstaat zu gewähren verpflichtet ist.“
Der für das Konsularrecht einschlägige Art. 54 Abs. 3 WÜK ist – bis auf einen unerheblichen Formulierungsunterschied – mit Art. 40 Abs. 3 WÜD identisch. Eine Antwort auf die Frage, ob Drittstaaten verpflichtet sind, den Durchgangsverkehr von amtlicher Korrespondenz, von amtlichen Mitteilungen und von Kuriergepäck zu dulden, also umgekehrt gesprochen der Entsendestaat gegenüber Drittstaaten einen Anspruch hat, amtliche Mitteilungen, amtliche Korrespondenz und Kuriergepäck durch deren Hoheitsgebiet transportieren zu dürfen, läßt sich Art. 40 Abs. 3 WÜD und Art. 54 Abs. 3 WÜK nicht entnehmen. Es ist allerdings anerkannt, daß Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK den Mitgliedern diplomatischer bzw. konsularischer Vertretungen und ihren Familienangehörigen sowie den Kurieren keinen Anspruch auf Durchreise durch Drittstaaten einräumt, sondern jeder Drittstaat frei entscheiden kann, ob er diesen Personen die Einreise in sein Staatsgebiet gestattet. Lediglich dann, wenn er diesen Personen die Einreise gestattet hat, genießen sie im Drittstaat während ihrer Durchreise die in Art. 40 WÜD bzw. Art. 54 WÜK festgelegten Exemtionen. Wenn aber Drittstaaten frei entscheiden dürfen, ob sie den Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen und ihren Familienangehörigen sowie Kurieren die Einreise gestattet, so muß dies für den Transport von Gegenständen ebenfalls gelten. Wenn schon für die Personen kein Anspruch auf Durchreise besteht, vor allem auch ein Kurier als Person keinen Anspruch auf Durchreise hat, dann kann ein eigenständiger Anspruch für dienstbezogene Schriftstücke, amtliche Korrespondenz und Kuriergepäck erst recht nicht bestehen, denn ansonsten käme man zu dem widersinnigen Ergebnis, daß das Gepäck einer Person einen Anspruch auf Durchreise hat, nicht aber diese selbst. Damit ist in Beantwortung der ersten hier aufgeworfenen Frage festzustellen, daß der Entsendestaat gegenüber Drittstaaten keinen völkerrechtlichen Anspruch hat, Kuriergepäck oder sonstige Gegenstände durch deren Hoheitsgebiet hindurch zu transportieren. Wenn aber ein Drittstaat den Transport von Kuriergepäck und sonstigen die diplomatische bzw. konsularische Tätigkeit betreffenden Gegenständen durch sein Hoheitsgebiet zuläßt (aber auch nur dann), so ist er verpflichtet, die von Art. 40 Abs. 3 WÜD und Art. 54 Abs. 3 WÜK normierten Exemtionen zu gewähren.
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Eine solche Zulassung braucht nicht explizit erteilt zu werden. Wenn Zollbeamte die Einfuhr von Kuriergepäckstücken akzeptieren, und sei es auch nur insofern, als sie Fahrzeuge an der Grenze „durchwinken“, so liegt hierin eine ausreichende Gestattung des Transports. Es ist also nicht erforderlich, daß die Beamten, die eine Einfuhr mit einem „Durchwinken“ von Fahrzeugen zulassen, wissen, daß das betreffende Fahrzeug Kuriergepäck (oder amtliche Korrespondenz bzw. amtliche Mitteilungen) befördert. An den EU-Binnengrenzen, an denen überhaupt keine Kontrolle des grenzüberschreitenden Warenverkehrs erfolgt, ist schon in der Tatsache, daß sämtliche Waren ungehindert die Grenze passieren dürfen, die implizite Zulassung von Kuriergepäck zu erblicken. Von dieser Möglichkeit konkludenter Zulassung sind jedoch zwei Ausnahmen zu machen. Zum einen kann eine konkludente Zulassung durch bloßes „Durchwinken“ von Fahrzeugen oder durch eine generelle Öffnung von Grenzen dann nicht angenommen werden, wenn die Kuriergepäckstücke versteckt eingeführt werden, also Vorkehrungen mit dem Ziel getroffen wurden, daß das Gepäck bei einer Kontrolle nicht entdeckt werden kann, bzw. die Einfuhr an Orten erfolgt, an denen ein Grenzübertritt nicht gestattet ist. Zum anderen scheidet eine konkludente Zulassung aus, wenn der betreffende Drittstaat dem Entsendestaat ausdrücklich mitgeteilt hat, daß er Kuriergepäck dieses Staates in seinem Hoheitsgebiet nicht zulasse. Ein solches ausdrückliches Verbot wird durch ein tatsächliches, unkontrolliertes Durchlassen von Fahrzeugen oder Waren an der Grenze nicht überwunden; das Durchlassen steht hier vielmehr unter dem unausgesprochenen Vorbehalt, daß der Drittstaat kein ausdrückliches Verbot für Kuriergepäck erteilt hat. Die Exemtionen, die amtliche Mitteilungen, amtliche Korrespondenz und Kuriergepäckstücke in einem Drittstaat genießen, sind allerdings gemäß Art. 40 Abs. 3 WÜD und Art. 54 Abs. 3 WÜK beschränkt auf den „Durchgangsverkehr“. Nur dann, wenn die Gegenstände lediglich durch das Hoheitsgebiet eines Drittstaates hindurchtransportiert werden bzw. dort umgeschlagen werden, genießen sie die Exemtionen. Auch zeitlich sind diese begrenzt, denn sie gelten nur solange, wie für einen direkten und zügigen Transit der Gegenstände erforderlich ist. Für die deutschen Strafverfolgungsbehörden bedeutet dies, daß Kuriergepäck, das durch die Bundesrepublik als Drittstaat hindurchtransportiert wird, grundsätzlich den Schutz der durch Art. 40 Abs. 3 WÜD und Art. 54 Abs. 3 WÜK gewährten Exemtionen genießt. Eine Prüfung, ob eine Zulassung des Transittransports vorliegt, erübrigt sich im Regelfall; es ist im Zweifel davon auszugehen, daß das Kuriergepäck die deutsche Grenze ungehindert und ordnungsgemäß passiert hat. Nur dann, wenn sich herausstellt, daß das Kuriergepäckstück trotz eines ausdrücklich ausgesprochenen Verbots oder auf eine Art und Weise eingeführt wurde, die generell untersagt ist, etwa nachweislich an einer Stelle über die Grenze gebracht wurde, an der ein Grenzübertritt nicht gestattet war, so fehlt es an einer (konkludenten) Zulassung und steht das Kuriergepäck in der Bundesrepublik als Drittstaat nicht unter dem Schutz der Art. 40 Abs. 3 WÜD und Art. 54 Abs. 3 WÜK. Ferner
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müssen die deutschen Strafverfolgungsbehörden die Exemtionen von Kuriergepäck dann nicht (mehr) beachten, wenn sich herausstellt, daß dieses nicht auf einem direkten Weg durch die Bundesrepublik hindurchtransportiert, sondern sich bereits so lange Zeit in Deutschland befindet, daß von einem bloßen Transit nicht mehr die Rede sein kann. Wenn sich amtliche Mitteilungen, amtliche Korrespondenz bzw. diplomatisches oder konsularisches Kuriergepäck mit Zulassung durch einen Drittstaat zum Zweck des Transits in dessen Hoheitsgebiet befinden, so hat dieser Drittstaat den Gegenständen die gleiche Unverletzlichkeit zu gewähren wie der Empfangsstaat. Für die deutschen Strafverfolgungsbehörden bedeutet dies, daß diese Gegenstände nicht nach §§ 102 f. StPO durchsucht und nicht nach §§ 94, 99 StPO beschlagnahmt werden dürfen. Wegen der Einzelheiten des strafrechtlich relevanten Schutzumfanges kann auf die Ausführungen oben bei § 16 III. und IV.2.b) verwiesen werden. g) Bestrebungen zur Reform der Rechtsstellung von Kuriergepäck Die Rechtsstellung von Kuriergepäck ist in den verschiedenen multilateralen Konventionen, die sich mit Fragen diplomatischer Beziehungen im weiten Sinne befassen, also mit dem Entsenden von Personen zur Wahrnehmung außenpolitischer Aufgaben, jeweils einzeln und zum Teil unterschiedlich geregelt. Das betrifft nicht nur das WÜD und das WÜK, sondern auch zwei weitere Konventionen, nämlich die Convention on Special Missions vom 8. Dezember 1969165 und die (noch) nicht in Kraft getretene) Vienna Convention on the Representation of States in Their Relations with International Organizations of a Universal Character vom 14. März 1975166. Diese Tatsache und die Erfahrung, daß die Möglichkeit der Versendung von Kuriergepäck in vielen Fällen mißbraucht wurde, veranlaßte die UN-Generalversammlung, die ILC mit einer Resolution vom 13. Dezember 1976 aufzufordern, einen Vorschlag zur Vereinheitlichung und Ergänzung der bisherigen Regelungen zu machen. Die ILC legte schließlich, nachdem der von ihr ernannte Sonderberichterstatter Alexander Yankov mehrere Berichte und Entwürfe präsentiert hatte und verschiedene Staaten ihre Vorstellungen zum Ausdruck gebracht hatten,167 1989 einen Vertragsentwurf mit dem Titel Status of the Diplomatic Courier and the Diplomatic Bag not Accompanied by Diplomatic Courier vor.168 Dieser enthält nicht nur Rege___________ UNTS 1400, 231. Abgedruckt auch in AVR 16 (1974/75), 60 (60 ff.). Zum Status des Kuriergepäcks vgl. Art. 28 der Konvention. Siehe auch unten § 18 III. 166 Abgedruckt in AJIL 69 (1975), 730 (730 ff.). Zum Status des Kuriergepäcks vgl. Art. 57 des Konventionstextes. 167 Vgl. zur Arbeit der ILC und des Sonderberichterstatters den Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1989, YBILC 1989 II/2, S. 8 f. m.w.N. 168 Der Entwurf ist zusammen mit einer ausführlichen Kommentierung durch die ILC abgedruckt im Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1989, YBILC 1989 II/2, 165
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lungen zum Status des Kuriergepäcks, sondern auch zur Rechtsstellung des Kuriers als Person.169 Es gelang der ILC jedoch nicht, einen Vorschlag zur Modifikation der bisherigen Regelungen zum Kuriergepäck vorzulegen, da die Interessenlage der Staaten zu unterschiedlich war. Man beschränkte sich schließlich bewußt auf eine Zusammenführung und präzisere Formulierung der existierenden Bestimmungen in einem einheitlichen Vertragswerk.170 Der Vertragsentwurf ist daher in zweierlei Hinsicht von Interesse. Zum einen macht er deutlich, daß eine einheitliche Überzeugung dahingehend, daß bzw. mit welchem Ziel bestimmte bisherige Regelungen zu reformieren sind, nicht besteht. Zum anderen zeigt er durch Formulierungen, die auf die technologische Entwicklung Rücksicht nehmen, auf, wie die Bestimmungen zum Kuriergepäck im WÜD und im WÜK nach Ansicht der Mitglieder der ILC heute zu interpretieren sind. Der im vorliegenden Zusammenhang relevante Art. 28 des Konventionsentwurfs lautet: “(1) The diplomatic bag shall be inviolable wherever it may be; it shall not be opened or detained and shall be exempt from examination directly or through electronic or other technical devices. (2) Nevertheless, if the competent authorities of the receiving State or the transit State have serious reason to believe that the consular bag contains something other than the correspondence, documents or articles referred to in paragraph 1 of article 25, they may request that the bag be opened in their presence by an authorized representative of the sending State. If this request is refused by the authorities of the sending State, the bag shall be returned to its place of origin.”
Dieser Artikel bestätigt die obigen Darlegungen zur Zulässigkeit von Kontrollmaßnahmen, die nicht mit einem Öffnen des Behältnisses, in dem sich das Kuriergut befindet, einhergehen. Wie bereits erläutert, sind Maßnahmen wie Durchleuchten, Röntgen oder Scannen nicht zulässig, da diese in das geschützte Behältnis hineinwirken.171 Der Entwurf stellt zudem klar, daß das Kuriergepäck überall unverletz___________ S. 14 ff. Vgl. zu diesem Entwurf und den Vorarbeiten auch Denza, Diplomatic Law, S. 199 ff.; Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 162 ff.; Lee, Consular Law and Practice, S. 448 ff.; Puppe, Jura 1986, 527 (529 f.); Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 209 ff. Internetquelle: (31.3.2006). 169 Auf die Bestimmungen dieses Entwurfs, die die personenbezogenen Vorrechte und Befreiungen des Kuriers betreffen, ist schon oben in § 13 I.5. und § 15 I.3. eingegangen worden. 170 Vgl. in diesem Zusammenhang die Kritik an der Arbeit der ILC von Denza, Diplomatic Law, S. 201 f. 171 Im Kommentar der ILC zu Art 28 heißt es: “The view prevailed in the Commission that the inclusion of this phrase was necessary as the evolution of technology had created very sophisticated means of examination which might result in the violation of the confidentiality of the bag (…).”; YBILC 1989 II/2, S. 43. Die ILC stellt in ihrem Kommentar zu Art. 28 des Entwurfs andererseits aber auch fest, daß nur solche Maßnahmen ausgeschlossen seien, die mit einem Eindringen in das Behältnis verbunden seien. Auf das Äußere – vor allem auch die Kennzeichnung – bezogene Kontrollen seien ebenso zulässig wie der Einsatz von Spürhunden; vgl. YBILC 1989 II/2, S. 43. Dies entspricht der oben in
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lich ist, nicht nur beim Passieren der Staatsgrenzen. Darüber hinaus zeigt er auf, daß die Staaten offenbar in ihrer Mehrheit weiterhin bloß für das konsularische Kuriergepäck ein Zurückweisungsrecht akzeptieren wollen, wie es in Art. 35 Abs. 3 Satz 2 und 3 WÜK normiert ist.172 Die ILC konsultierte im Zuge der Ausarbeitung des Entwurfes die einzelnen Staaten. Wäre eine klare Mehrheit der Staaten für eine Schaffung eines Zurückweisungsrechts auch für diplomatisches Kuriergepäck deutlich geworden, so wäre eine solche Regelung sicherlich in den Konventionsentwurf aufgenommen worden. In der Literatur dagegen wurde an dem Konventionsentwurf vor allem das Fehlen eines Zurückweisungsrechts für diplomatisches Kuriergepäck heftig kritisiert.173 Doch ist erneut darauf hinzuweisen, daß es auch gute Argumente gegen die Festlegung einer dem Art. 35 Abs. 3 Satz 2 und 3 WÜK entsprechenden Regelung für diplomatisches Kuriergepäck gibt. Die ILC stellte fest, daß es den Staaten, die für eine solche Regelung plädierten, unbenommen sei, im Rahmen bilateraler Vereinbarungen für die diplomatischen Beziehungen untereinander eine entsprechende Modifikation des WÜD zu vereinbaren.174 Da ein Inkrafttreten des Konventionsentwurfs keine sachliche Änderung der derzeitigen Rechtslage für Kuriergepäck herbeiführen würde, verwundert es nicht, daß der an die UN-Generalversammlung gerichtete Vorschlag der ILC, eine Staatenkonferenz einzuberufen, auf der auf der Basis des Entwurfes der ILC eine Konvention verabschiedet werden könnte, bislang nicht aufgegriffen wurde und in absehbarer Zeit nicht mit einer Verabschiedung einer multilateralen Konvention über Kuriergepäck zu rechnen ist.175
___________ § 16 IV.2.b) entwickelten Differenzierung für die Interpretation von Art. 27 Abs. 3 WÜD und Art. 35 Abs. 3 Satz 1 WÜK. 172 Vgl. zur Auseinandersetzung innerhalb der ILC über die Frage, ob ein einheitliches Zurückweisungsrecht entsprechend Art. 35 Abs. 3 Satz 2 und 3 WÜK für alle Arten von Kuriergepäck in die Konvention aufgenommen werden sollte, Barker, Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities, S. 176 ff. und Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 212 f. 173 So etwa Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 214 f., 421 f. 174 Vgl. den Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1989, YBILC 1989 II/2, S. 44. Die Möglichkeit einer derartigen bilateralen Modifikation des multilateralen WÜD wird allerdings in der Literatur bestritten. So etwa Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 217 ff. Doch kann dem nicht gefolgt werden. Die ILC geht zu Recht von einer Vereinbarkeit einer bilateralen Änderung des WÜD mit Art. 41 WVRK aus. Es wurde schon oben in § 12 II.5. dargelegt, daß Art. 41 WVRK einer Einschränkung der vom WÜD und vom WÜK gewährten Vorrechte und Befreiungen durch neue Verträge zwischen einzelnen Vertragsstaaten nicht entgegensteht. Auf diese Ausführungen kann hier verwiesen werden. 175 Vgl. diesbezüglich Denza, Diplomatic Law, S. 202, 208 und Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 78.
Teil 4
Sonstige völkerrechtliche Exemtionen Nachdem in den beiden vorhergehenden Teilen mit der Staatenimmunität die fundamentale völkerrechtliche Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit und mit den diplomatischen und konsularischen Exemtionen die für die Strafrechtspraxis – rein quantitativ betrachtet – bedeutsamsten Exemtionen analysiert worden sind, sollen nunmehr aufbauend auf den bisher gewonnenen Erkenntnissen in Teil 4 (§§ 17–21) die übrigen völkerrechtlichen Exemtionen auf ihre strafrechtliche Relevanz hin untersucht werden. Dieser Teil beginnt mit den Befreiungen, die amtierende und ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder genießen (§ 17). Diese Exemtionen stehen – nicht zuletzt durch die Entscheidungen des britischen House of Lords im Fall Pinochet aus den Jahren 1998/99 und das Urteil des IGH im Rechtsstreit zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Belgien aus dem Jahr 2002 – momentan im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Trotz, zum Teil aber auch gerade wegen dieser bedeutsamen Entscheidungen ist die Reichweite der Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder noch nicht endgültig geklärt. Es soll daher versucht werden, unter maßgeblicher Berücksichtigung der jüngsten Staatenpraxis den gegenwärtigen Stand des Völkergewohnheitsrechts im Bereich dieser Exemtionen festzustellen. Dabei gilt es, die verschiedenen Einzelregelungen zu systematisieren, sie zu den bisher erläuterten Exemtionen, namentlich zur Staatenimmunität, in Beziehung zu setzen und so ein weiteres Teil in das Puzzle der verschiedenen völkerrechtlichen Exemtionen einzufügen – mit dem Ziel, daß als Ergebnis der vorliegenden Untersuchung zumindest Ansätze eines in sich kohärenten Systems der völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit erkennbar werden. Im Anschluß an die Betrachtung der völkerrechtlichen Befreiungen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder werden die Exemtionen für Sondermissionen (§ 18) und die Befreiungen im Bereich internationaler Organisationen (§ 19) untersucht, die jeweils in enger Beziehung zu den bereits dargestellten diplomatischen und konsularischen Exemtionen stehen und maßgeblich auf diesen aufbauen. Sodann gilt es, die Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte (§ 20) sowie abschließend die Exemtionen von Besatzungsmitgliedern und Passagieren von Staatsschiffen und Staatsluftfahrzeugen (§ 21) in bezug auf ihre Auswirkungen auf das Strafrecht zu untersuchen.
§ 17 Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder
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§ 17 Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder Neben den Angehörigen diplomatischer und konsularischer Vertretungen genießen auch Staatsoberhäupter und die Mitglieder der zentralen Regierungen der Staaten besondere völkerrechtliche Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, die über die für jeden staatlichen Funktionsträger geltende Staatenimmunität hinausreichen (I.). Diese völkerrechtlichen Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder, also für hochrangige Repräsentanten der Staaten, werden in der Bundesrepublik Deutschland durch eine nationale Regelung ergänzt, die allgemein eingeladene hochrangige Repräsentanten fremder Staaten während ihres Aufenthalts in Deutschland von der deutschen Strafgerichtsbarkeit befreit. Auf diese nationale Bestimmung ist wegen ihres engen Zusammenhangs mit den völkerrechtlichen Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder am Schluß dieses Kapitels einzugehen (II.). Andere staatliche Funktionsträger als Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder sowie Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen genießen dagegen von Völkerrechts wegen nur dann besondere Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, wenn sie entweder als Angehörige einer sogenannten Spezialmission in einen anderen Staat reisen oder aber ihren Staat bei einer internationalen Organisation vertreten.1
I. Völkerrechtliche Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder fremder Staaten Die Exemtionen für Staatsoberhäupter, die erst in jüngster Zeit im deutschsprachigen Raum Gegenstand mehrerer wissenschaftlicher Abhandlungen waren,2 sowie die Befreiungen für Regierungsmitglieder stehen nicht ohne Grund im Zentrum des derzeitigen wissenschaftlichen Interesses an den völkerrechtlichen Exemtionen und sind auch nicht zufällig vor kurzem Gegenstand wichtiger Gerichtsentscheidungen3 geworden. Die – glücklicherweise – gewachsene Sensibilität für staatliche ___________ Diese völkerrechtlichen Exemtionen werden unten in § 18 und § 19 näher erläutert. Gornig, in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 ff.; Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern. 3 Vgl. neben den Pinochet-Entscheidungen des britischen House of Lords vom 25.11.1998 und 25.3.1999 (hierzu oben § 5 III.1.c)aa)) sowie dem Urteil des IGH im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien vom 14.2.2002 (hierzu oben § 5 III. 1.c)bb)) den Beschluß des OLG Köln in Fall Saddam Hussein vom 16.5.2000, NStZ 2000, 667; die Entscheidung der französischen Cour de Cassation im Fall Gaddafi (siehe unten Anm. 42) vom 13.3.2001 sowie die Entscheidung der belgischen Cour de Cassation im Fall Sharon vom 12.2.2003 (siehe unten Anm. 98). 1 2
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
Menschenrechtsverletzungen in aller Welt hat dazu geführt, daß eine Straflosigkeit der für völkerrechtliche Verbrechen und sonstige Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen überwiegend für inakzeptabel und eine Strafverfolgung auch durch Drittstaaten und supranationale Instanzen regelmäßig für geboten erachtet wird. Sichtbarer Ausdruck dieses Bewußtseinswandels sind die Errichtung der UNStrafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda sowie des ständigen Internationalen Strafgerichtshofs, aber auch eine verstärkte nationale Strafverfolgung der für makrokriminelle Taten Verantwortlichen durch Gerichte von Drittstaaten. An der Spitze der Verantwortlichkeit für makrokriminelle Taten, namentlich für völkerrechtliche Verbrechen, stehen regelmäßig Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder diktatorischer Staaten. Im Interesse eines effektiven Menschenrechtsschutzes ist eine Strafverfolgung gerade dieser Personen in besonderem Maße geboten. Dies spricht gegen völkerrechtliche Exemtionen für höchste staatliche Funktionsträger. Auf der anderen Seite ist es aber – gerade auch zum Schutz des Friedens und der Menschenrechte – wichtig, daß die Staaten miteinander in engem und permanentem Kontakt stehen und vor allem durch ihre obersten Entscheidungsträger miteinander kommunizieren. Dies gilt auch im Verhältnis zu menschenrechtsfeindlichen Regimes. Gerade der internationale Kontakt mit diesen kann bedeutsam sein, wenn es gilt, einen weltweiten effektiven Menschenrechtsschutz zu etablieren und sicherzustellen. Solche engen internationalen Beziehungen, in deren Rahmen Reisen der obersten Funktionsträger unentbehrlich sind, können aber nur funktionieren, wenn die Akteure sicher sein können, vor fremdstaatlicher Strafverfolgung hinreichend geschützt zu sein und so ihre Aufgaben ungehindert wahrnehmen zu können. Diesem Ziel dienen die völkerrechtlichen Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder. Der das Recht der völkerrechtlichen Exemtionen gegenwärtig prägende Konflikt zwischen der Gewährleistung eines effektiven Menschenrechtsschutzes durch eine Strafverfolgung der für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen einerseits und der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der internationalen Beziehungen und dem Schutz nationalstaatlicher Souveränität durch Exemtionen andererseits kulminiert im Bereich der Exemtionen von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern. Eine völkerrechtskonforme und interessengerechte Lösung dieses schwierigen Konflikts wird dadurch erschwert, daß die völkerrechtlichen Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder nur im Völkergewohnheitsrecht normiert sind. Dessen Stand ist gerade dann, wenn – wie hier – verschiedene rechtliche Interessen aufeinanderprallen, nur sehr schwer feststellbar; einander widersprechende oder zumindest nicht in eine klare Richtung weisende Gerichtsentscheidungen und wissenschaftliche Lehrmeinungen sind da fast schon vorprogrammiert. Die nicht nur im Detail divergierenden Voten der englischen Lordrichter im Fall Pinochet und der IGH-Richter im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien sind signifikante Beispiele für die Schwierigkeit, hin-
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sichtlich des Standes des Völkerrechts zu klaren Aussagen zu gelangen. Hinzu kommt, daß es sich bei dem aufgezeigten Konflikt primär um einen politischen Konflikt handelt, bei dem divergierende Auffassungen über den im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt einzuschlagenden Weg des Umgangs mit Unrechtsregimes einander gegenüberstehen. So werden Rechtsauffassungen einzelner Richter, aber auch die offiziellen Auffassungen einzelner Staaten und Organisationen maßgeblich mitbestimmt von den jeweils eigenen Vorstellungen über den politisch opportunen Umgang mit den (ehemaligen) Repräsentanten menschenrechtsverachtender Systeme. Trotz all dieser Schwierigkeiten soll im folgenden versucht werden, die für die (deutschen) Strafverfolgungsbehörden beachtlichen völkerrechtlichen Regeln über die Freistellungen von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern von strafrechtlicher Verantwortlichkeit aufzuzeigen, ohne aber die politische Dimension der Fragestellung aus den Augen zu verlieren. Die gefundenen Ergebnisse müssen deshalb stets daraufhin hinterfragt werden, ob sie auch völkerrechtspolitisch zu überzeugen vermögen. 1. Die Begriffe „Staatsoberhaupt“ und „Regierungsmitglied“ Bevor aber die Reichweite der völkerrechtlichen Exemtionen im einzelnen analysiert werden kann, gilt es zu fragen, welche Personen überhaupt als Staatsoberhäupter bzw. Regierungsmitglieder anzusehen sind und damit zum Kreis derjenigen Personen gehören, denen die Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder zukommen. a) Der Begriff „Staatsoberhaupt“ Das Völkerrecht geht – wie Art. 7 Abs. 2 lit. a) WVRK4 zeigt – davon aus, daß jeder Staat über ein höchstes Organ verfügt, das diesen als Staatsoberhaupt in seinen internationalen Beziehungen repräsentiert. Dem entspricht die Staatenpraxis. In jedem Staat gibt es ein an der Spitze der politischen Organisation stehendes Organ, das den Staat in seiner Gesamtheit zu repräsentieren und im völkerrechtlichen Verkehr zu vertreten bestimmt ist.5 Wie dieses Organ beschaffen ist, wie es ernannt wird und welche innerstaatlichen Kompetenzen ihm zukommen, wird jedoch nicht vom Völkerrecht, sondern ausschließlich vom jeweiligen nationalen Recht geregelt. Das Völkerrecht akzeptiert denjenigen als Staatsoberhaupt, der nach dem tat___________ Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.5.1969; BGBl. 1985 II, S. 926. 5 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 482; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 89 f. 4
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sächlich gelebten Verfassungsrecht eines Staates an dessen Spitze steht und damit als dessen Staatsoberhaupt fungiert.6 Typischerweise hat eine Einzelperson die Funktion des Staatsoberhaupts inne. Zwingend ist dies aber, wie das Beispiel des schweizerischen Bundesrates zeigt, nicht. Auch ein Kollegialorgan kann Staatsoberhaupt sein.7 Nicht ausgeschlossen ist, daß eine Person Staatsoberhaupt mehrerer Staaten ist – so ist etwa die britische Königin auch Staatsoberhaupt von Australien und Kanada sowie einigen anderen Commonwealth-Staaten.8 Völkerrechtlich unerheblich ist heutzutage, ob das Staatsoberhaupt ein Monarch oder ein Präsident ist.9 Gleichfalls völkerrechtlich irrelevant ist die innerstaatliche Legitimität des Staatsoberhaupts. Einem demokratisch gewählten Präsidenten eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens kommt die gleiche völkerrechtliche Stellung zu wie einem Monarchen einer Erbdynastie oder einem durch einen gewaltsamen Putsch an die Macht gelangten Militärdiktator.10 Auch im Hinblick auf die hier interessierenden völkerrechtlichen Exemtionen der Staatsoberhäupter wird insofern kein Unterschied gemacht. Gleichfalls ohne Belang für das Völkerrecht ist die Frage, welche innerstaatlichen Regierungs- und Gestaltungskompetenzen ein Staatsoberhaupt hat. Ein Staatsoberhaupt, dem nach dem politischen System seines Staates vornehmlich repräsentative Aufgaben zukommen – wie dies etwa in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist –, ist völkerrecht___________ 6 Doehring, Völkerrecht, Rn. 482, 670; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 48; Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 26 f., 61; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 445; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 93; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 42 f. Das Abstellen auf die Faktizität der Inhaberschaft der tatsächlich höchsten Staatsmacht hatte im 20. Jahrhundert gewisse Bedeutung in bezug auf die sozialistischen Staaten, an deren Spitze praktisch der Vorsitzende der kommunistischen Partei stand. Im Völkerrechtsverkehr wurde diese Person als, zumindest aber wie ein Staatsoberhaupt behandelt; vgl. Hokema, a.a.O., S. 26 ff. Siehe in diesem Zusammenhang aber auch die Entscheidung des US District Court, Southern District of Florida im Fall des panamaischen Generals Noriega vom 8.6.1990 (746 F.Supp. 1506 = ILR 99, 145), der in den USA wegen Drogenhandels verurteilt wurde. Seinen Einwand, er genieße als ehemaliges Staatsoberhaupt Panamas Immunität, wies das Gericht mit dem Argument zurück, er könne nach der panamaischen Verfassung nicht als ehemaliges Staatsoberhaupt gelten, zudem hätten die USA ihn nicht als Staatsoberhaupt Panamas anerkannt. Vgl. zu dieser Entscheidung auch Hailbronner, a.a.O., 3. Abschn. Rn. 48 und Tangermann, a.a.O., S. 61 ff. 7 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 249 f.; Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 25; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 445, 449; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 104 f.; Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (21); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 41. 8 Vgl. Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 25; Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (21); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 41. 9 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 250; Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 61 ff.; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 94 f., 105; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 42. Teilweise a.A. Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 449 f. 10 Doehring, Völkerrecht, Rn. 482; Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 64 ff.; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 107 f.
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lich einem Staatsoberhaupt gleichgestellt, dem zugleich die Funktion des Regierungschefs zukommt – wie dies etwa beim US-amerikanischen Präsidenten der Fall ist.11 b) Der Begriff „Regierungsmitglied“ Jeder Staat verfügt – wovon, wie wiederum Art. 7 Abs. 2 lit. a) WVRK zeigt, auch das Völkerrecht ausgeht – über eine (zentrale) Regierung, also ein Organ, das an der Spitze der Exekutive steht und die politischen Geschicke des Staates bestimmt. Der Begriff „Regierung“ wird in einem engeren und in einem weiteren Sinne gebraucht. Im engeren Sinne setzt sich die Regierung eines Staates als Kollegialorgan aus der Person des Regierungschefs und den einzelnen Fachministern wie etwa einem Außenminister, einem Innen- und einem Finanzminister zusammen. In einem weiteren Sinne können auch nachgeordnete, aber gleichwohl hochrangige staatliche Funktionsträger wie Staatssekretäre, persönliche Referenten und Abteilungsleiter der Ministerien zur Regierung gezählt werden. Wenn im folgenden von Regierungsmitgliedern die Rede ist, werden hierunter allerdings nur – im engeren Sinne – der Regierungschef und die verschiedenen Fachminister verstanden. Denn auch wenn die Reichweite der völkerrechtlichen Exemtionen dieser Regierungsmitglieder im engeren Sinne noch nicht jenseits aller Zweifel geklärt ist, so steht doch außer Frage, daß Regierungsbeamten, die keinen Ministerstatus haben, nach Völkerrecht keine Exemtionen aufgrund ihres Status als Regierungsmitglied (im weitgefaßten Sinne) zukommen.12 Auch diese Personen genießen zwar unter Umständen völkerrechtliche Exemtionen. Wie jeder staatliche Funktionsträger sind sie in bezug auf ihre hoheitlich-dienstlichen Handlungen durch die Staatenimmunität vor fremdstaatlicher Strafverfolgung geschützt. Und sofern sie für ihren Staat im Rahmen eines besonderen Verhandlungsauftrags in einen anderen Staat reisen oder ihren Staat in den Organen einer internationalen Organisation vertreten, sind ihnen die besonderen Exemtionen zu gewähren, die nach Völkerrecht den Mitgliedern von Spezialmissionen bzw. Staatenvertretern bei internationalen Organisationen zustehen. Doch eine spezielle Exemtion allein wegen ihres Status als Regierungsmitglied kommt diesen Personen nicht zu. Gleiches gilt auch für die Mitglieder von Landes- und Bezirksregierungen in föderal strukturierten Staaten. Auch diese kommen nicht in den Genuß der hier zu erörternden Exemtionen. Sofern das Völkerrecht Regierungsmitgliedern besondere ___________ Doehring, Völkerrecht, Rn. 482; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 445; Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (26); Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 91. 12 So wohl auch Cassese, International Criminal Law, S. 264, wenn er von “senior members of cabinet” spricht. 11
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Exemtionen zuerkennt, geht es also lediglich um Vorrechte und Befreiungen des Regierungschefs und der Fachminister einer Zentralregierung. Auch für die diesen Regierungsmitgliedern von Völkerrechts wegen zukommenden Exemtionen ist irrelevant, auf welche Weise die betreffenden Personen ihren innerstaatlichen Status als Regierungschef oder Fachminister erlangt haben und ob dieser demokratisch legitimiert ist. Der vom Parlament eines demokratischen Gemeinwesens gewählte Regierungschef genießt in gleichem Umfang völkerrechtliche Exemtionen als Regierungsmitglied wie ein Militärdiktator.13 2. Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder gegenüber der nationalen Strafgerichtsbarkeit fremder Staaten Hinsichtlich des Umfangs der Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern zukommenden völkerrechtlichen Exemtionen ist gleich mehrfach zu differenzieren. Zum einen ist zu unterscheiden zwischen den Exemtionen, die solchen Personen gegenüber der nationalen Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten zukommen, und den Befreiungen, die sie gegenüber internationalen Strafgerichtshöfen genießen. Zum anderen ist jeweils zwischen den Exemtionen für (noch) amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder sowie den Exemtionen für ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder zu trennen. Im folgenden werden zunächst die Freistellungen von fremdstaatlicher nationaler Strafgerichtsbarkeit betrachtet, die Exemtionen gegenüber internationalen Strafgerichtshöfen werden dann im Anschluß analysiert. a) Exemtionen für amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder aa) Rechtsgrundlagen Eine universell geltende völkervertragliche Regelung haben die Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder bislang nicht erfahren.14 Allerdings heißt es in Art. 21 der nachfolgend in § 18 III. näher zu betrachtenden Convention ___________ Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 256. Vgl. IGH, Urteil im Verfahren Democratic Republic of the Congo ./. Belgium vom 14.2.2002, para. 52, ILM 41 (2002), 536; Doehring, Völkerrecht, Rn. 672; Gornig, in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (460 ff.); Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 49; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 49; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 92; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 43; Zeichen/Hebenstreit, AVR 41 (2003), 182 (188). Es gibt allerdings einschlägiges regionales Völkervertragsrecht: Art. 297 des in etlichen mittel- und südamerikanischen Staaten geltenden Bustamente Code von 1928 (LNTS 86, 246) legt eine vollständige Exemtion fremder Staatsoberhäupter bei einem Aufenthalt in einem anderen Vertragsstaat fest. Vgl. Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 157. 13 14
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on Special Missions (CSM) vom 8. Dezember 196915, die den Status von Mitgliedern sogenannter Spezialmissionen regelt, die zur Erledigung eines besonderen zeitlich begrenzten Verhandlungsauftrags in einen anderen Staat reisen: “(1) The Head of the sending State, when he leads a special mission, shall enjoy in the receiving State or in a third State the facilities, privileges and immunities accorded by international law to Heads of State on an official visit. (2) The Head of the Government, the Minister of Foreign Affairs and other persons of high rank, when they take part in a special mission of the sending State, shall enjoy in the receiving State or in a third State, in addition to what is granted by the present Convention, the facilities, privileges and immunities accorded by international law.”
Doch legt Art. 21 CSM keine Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder als solche fest, sondern verweist lediglich auf die diesen Personen nach sonstigem Völkerrecht, insbesondere nach Völkergewohnheitsrecht, zukommenden Exemtionen und bestimmt, daß diese Personen der Exemtionen, die sie als Staatsoberhaupt bzw. Regierungsmitglied genießen, nicht verlustig gehen, wenn sie an einer Spezialmission im Sinne der CSM teilnehmen.16 Dennoch ist Art. 21 CSM für den vorliegenden Zusammenhang nicht vollkommen irrelevant. Denn zum einen bringt der Artikel zum Ausdruck, daß Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder, namentlich Regierungschefs und Außenminister, nach sonstigem Völkerrecht Exemtionen genießen, und zwar sogar weiterreichende als nach der CSM.17 Sofern in der Literatur behauptet wird, Regierungsmitglieder genössen keine besonderen völkerrechtlichen Exemtionen,18 muß diese These also schon wegen ihrer Unvereinbarkeit mit Art. 21 CSM auf Widerspruch stoßen. Zum anderen ist bemerkenswert, daß Art. 21 Abs. 2 Regierungsmitgliedern die in der CSM vorgesehenen Exemtionen ausdrücklich zusätzlich zu den ihnen ansonsten (nach Völkergewohnheitsrecht) zukommenden Befreiungen gewährt, während nach Art. 21 Abs. 1 Staatsoberhäupter auch dann, wenn sie einer Spezialmission vorstehen, nur ihre „normalen“ (völkergewohnheitsrechtlichen) Exemtionen genießen sollen.19 Nun kann aber nicht angenommen werden, daß Staatsoberhäupter als Leiter einer Spezialmission weniger weitreichende Exemtionen genießen sollen als sonstige Mitglieder von Spezialmissionen nach der CSM. Insofern läßt sich Art. 21 CSM entnehmen, daß die Vertragsstaaten davon ausgehen, daß Staatsoberhäupter nach Völkergewohnheitsrecht zumindest im gleichen Umfang Exemtionen genießen wie Leiter von Spezialmissionen nach der CSM20 – und diesen kommt nach Art. 29 und ___________ Res. der UN-Generalversammlung 2530 (XXIV); UNTS 1400, 213 = ILM 9 (1970), 127 = AVR 16 (1975/76), 60. Deutschsprachige Übers. in ÖBGBl. 1985 II, S. 2975. 16 Vgl. Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 31 f. 17 So auch Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (103 f.). 18 Vgl. unten Anm. 59. 19 Vgl. hierzu Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (39). 20 Ähnlich auch Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (39 Fn. 41). 15
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Art. 31 Abs. 1 CSM umfängliche Unverletzlichkeit und Immunität ratione personae wie Diplomaten nach dem WÜD zu.21 Doch auch wenn der CSM Anhaltspunkte für den Umfang der Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern zustehenden Exemtionen entnommen werden können, so ist Rechtsgrundlage dieser Befreiungen doch ausschließlich das Völkergewohnheitsrecht. Insofern kommt es nachfolgend nur darauf an, welche Exemtionen sich als Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts nachweisen lassen, sich also in einer von einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung der Staaten getragenen Staatenpraxis manifestieren.22 bb) Sachliche Reichweite der Exemtionen für Staatsoberhäupter In der völker- und strafrechtlichen Literatur besteht Einigkeit darüber, daß amtierende Staatsoberhäupter nach Völkergewohnheitsrecht ebenso wie Diplomaten nach dem WÜD23 umfassende Immunität ratione personae, persönliche Unverletzlichkeit und Befreiung von den Zeugenpflichten genießen.24 Wegen dieser Gleich___________ Vgl. zum Exemtionsumfang nach der CSM näher unten § 18 III.4.b). Vgl. Cassese, International Criminal Law, S. 264; Doehring, Völkerrecht, Rn. 672; Fox, State Immunity, S. 426; Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 33 ff.; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 92. Diese völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen sind für die bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden über Art. 25 GG und § 20 Abs. 2 GVG unmittelbar beachtlich; vgl. OLG Köln, NStZ 2000, 667 (667). 23 Die Gleichstellung von Staatsoberhäuptern mit Diplomaten in exemtionsrechtlicher Hinsicht kommt auch in mehreren nationalen Gesetzen zum Ausdruck, so z.B. in section 36 des australischen Foreign States Immunity Act (FSIA) (ILM 25 [1986], 716) und in section 20 des britischen State Immunity Act (SIA) (ILM 17 [1978], 1123). Zu Unrecht meint Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 92 f. Fn. 254, diese Normen beträfen nur zivilrechtliche Exemtionen. Das Gegenteil ergibt sich für Großbritannien im Umkehrschluß aus section 16(4) SIA; so auch Lord Goff of Chieveley in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 69 (71). 24 Siehe nur Akande, AJIL 98 (2004), 407 (409); Ambos, JZ 1999, 16 (19 f.); MKStGB-Ambos, vor § 3 Rn. 106; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 106; Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (264); LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 1, 4; Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 73 f.; Bröhmer, LJIL 12 (1999), 361 (367 f.); Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (864); ders., International Criminal Law, S. 264 ff.; ders., JICJ 1 (2003), 437 (440); ders., International Law, S. 117, 451; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 251 ff.; Deen-Racsmány, LJIL 18 (2005), 299 (313); Doehring, Völkerrecht, Rn. 671 f.; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (205); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 35; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 39; Fastenrath, FAZ vom 18.1.1999, S. 14; ders., in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (386); Fischer-Lescano, KJ 2005, 72 (81); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (577); Frulli, JICJ 2 (2004), 1118 (1125 f.); Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. 2. a); Gornig, NJ 1992, 4 (13); ders., in: Ipsen/ Schmidt-Jortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (460 ff.); Gummer, Zöller Zivilprozessordnung, § 20 GVG Rn. 4; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 49; Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 10; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 348 f.; Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 28 ff.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 451; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 19 III. 1. b); Jones, in: Yee/Tieya (Hrsg.), International Law in the Post-Cold War World, S. 254 (255 f.); 21 22
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stellung amtierender Staatsoberhäupter mit Diplomaten kann in bezug auf die sachliche Reichweite der ihnen zukommenden Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit auf die die Diplomaten betreffenden Ausführungen im 3. Teil dieser Untersuchung verwiesen werden. Aufgrund der Immunität ratione personae ist nicht nur eine Strafverfolgung durch fremde Staaten wegen dienstlicher Handlungen untersagt, sondern gleichfalls eine solche wegen in privater Eigenschaft begangener Taten. Auch wegen Straftaten, die Staatsoberhäupter vor Beginn ihrer Amtszeit verübt haben, dürfen sie während der Amtsdauer von für sie fremden Staaten nicht verfolgt werden. Insofern kommt es auf eine Differenzierung zwischen privaten und dienstlichen Handlungen bzw. zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis bei amtierenden Staatsoberhäuptern nicht an; ihre Befreiung von fremdstaatlicher Strafgerichtsbarkeit ist als Immunität ratione personae umfassend und verbietet jegliche strafprozessuale Inanspruchnahme als Beschuldigter. Bereits die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen amtierende Staatsoberhäupter fremder Staaten ist untersagt.25 Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die betreffende Person im Hoheitsgebiet des strafverfolgenden Staates aufhält oder nicht. Die Immunität ratione ___________ Khan/Landwehr, Jura 2004, 485 (490 f.); Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 32 f., 36, 58; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 20 Rn. 2; Kimminich, AVR 26 (1988), 129 (160 f.); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 11; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 92 ff.; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 20 GVG Rn. 4; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (398); Ruffert, NILR 2001, 171 (178 f.); Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 9 f.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 611; Schweitzer/Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis, Rn. 960; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1497; Simbeye, Immunity and International Criminal Law, S. 109 ff.; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 723; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 25 Rn. 55a; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 116 ff., 207 f.; Vest, ZStR 121 (2003), 46 (68); Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (51 ff.); Weiß, JZ 2002, 696 (701); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 449, 456; Wirth, Jura 2000, 70 (72); ders., NStZ 2001, 665 (666); ders., CLF 12 (2001), 429 (432); ders., EJIL 13 (2002), 877 (883 ff.); MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 9; Zappalà, EJIL 12 (2001), 595 (598 f.); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 34, 41 ff. (insb. S. 45 f.), 156. Wie die vorstehende Literatur auch Art. 1 f. der Resolution Immunities from Jurisdiction and Execution of Heads of State and Heads of Government in International Law des Institut de Droit International vom 26.8.2001, abrufbar unter (31.3.2006); vgl. diesbezüglich auch Fox, ICLQ 51 (2002), 119 (120). Für “somewhat uncertain” hält die Rechtslage Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (976 f. Fn. 4). Ausführliche Nachweise zur älteren Literatur bei Hokema, a.a.O., S. 71 f. Anders als zum Teil in der Literatur behauptet wird (siehe etwa Herdegen, a.a.O., § 37 Rn. 3, 10; Schultz, ZaöRV 62 [2002], 703 [735]), ist die Exemtion amtierender Staatsoberhäupter keine Ausprägung der Staatenimmunität, sondern eine eigenständige Exemtion. So auch Jennings/Watts, a.a.O., vol. I, § 447 Fn. 2; Karl, a.a.O., S. 33. Denn als Ausprägung der Staatenimmunität müßte sie auf amtliche Handlungen beschränkt sein; dies aber ist unstreitig nicht der Fall. Zur Rechtsnatur der Exemtionen ehemaliger Staatsoberhäupter siehe unten § 17 I.2.b)aa). Zur historischen Entwicklung der Exemtionen von Staatsoberhäuptern siehe Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 129 ff. 25 BGHSt 33, 97 (98) = NJW 1985, 639 (639); OLG Köln, NStZ 2000, 667 (667). A.A. aber Fischer-Lescano, KJ 2005, 72 (80).
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personae gilt nicht nur bei – dienstlichen oder privaten – Aufenthalten im Gebiet des strafverfolgungswilligen Staates, sondern generell.26 Neben einer Immunität ratione personae kommt amtierenden Staatsoberhäuptern persönliche Unverletzlichkeit zu, die die Vornahme jeglicher strafprozessualer Zwangsmaßnahmen verbietet, und zwar selbst dann, wenn ein Staatsoberhaupt als Nichtbeschuldigter in Anspruch genommen werden soll. Lediglich präventivpolizeiliche Maßnahmen zur Abwehr einer konkreten Gefahr dürfen auch gegenüber fremden Staatsoberhäuptern ergriffen werden, so daß einem fremden Staatsoberhaupt, das nach einem feucht-fröhlichen Empfang in erheblich angetrunkenem Zustand seine Limousine eigenhändig steuert, zwar nicht wegen Verdachts der Trunkenheit im Verkehr nach § 81a StPO eine Blutprobe entnommen werden darf und auch ein Straf- oder Bußgeldverfahren nicht eingeleitet werden darf, wohl aber die Polizei – notfalls auch durch Einsatz körperlicher Gewalt – die (weitere) Durchführung der Trunkenheitsfahrt unterbinden darf.27 Bei Reisen im Gebiet fremder Staaten kommt Unverletzlichkeit nicht nur der Person des Staatsoberhaupts selbst zu, sondern auch den von ihm mitgeführten Gegenständen und Fahrzeugen sowie den Räumlichkeiten, in denen er sich aufhält. Strafprozessuale Durchsuchungen und Beschlagnahmen dieser Gegenstände und Räumlichkeiten sind unzulässig.28 Die Befreiung von den Zeugenpflichten bedeutet, daß ein Staatsoberhaupt nicht nur ein vollständiges Zeugnisverweigerungsrecht hat, sondern nicht einmal als Zeuge geladen werden darf. In der völkerrechtlichen Literatur, vornehmlich in der bereits älteren, werden allerdings einige Restriktionen der Exemtionen propagiert. So wird behauptet, die Exemtionen gälten nur, wenn zwischen den beiden betreffenden Staaten kein Kriegszustand herrsche und wenn der strafverfolgungswillige Staat die betreffende Person als Staatsoberhaupt sowie dessen Staat als Völkerrechtssubjekt anerkannt habe.29 Doch finden sich für diese Einschränkungen keinerlei Anhaltspunkte in der jüngeren Staatenpraxis; sie sind daher mit dem geltenden Völkergewohnheitsrecht ___________ 26 So auch Lord Slynn of Hadley in seinem Votum zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 419 (422); BGHSt 33, 97 (97 f.) = NJW 1985, 639 (639); OLG Köln, NStZ 2000, 667 (667); Fox, State Immunity, S. 439; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 36; Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (53). A.A. Cassese, International Law, S. 117 und wohl auch Doehring, Völkerrecht, Rn. 671. Für unsicher in bezug auf private Auslandsreisen halten die Völkerrechtslage Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 454. 27 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 253; Doehring, Völkerrecht, Rn. 671; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 116 f. 28 Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 451 und Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (51). 29 Vgl. Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 66 ff.; Simbeye, Immunity and International Criminal Law, S. 113 ff. und Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 118 f.
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nicht vereinbar.30 Gleiches gilt im Prinzip auch für die These, ein Staatsoberhaupt, das inkognito reise und seine Position nicht offenlege, habe keinen Anspruch auf Gewährung völkerrechtlicher Exemtionen.31 Wenn schon die Exemtionen unabhängig vom Aufenthaltsort eines Staatsoberhaupts zu gewähren sind – also nicht nur bei Reisen im Gebiet des Forumstaates –, dann kann es keine Rolle spielen, ob sich ein Staatsoberhaupt mit oder ohne Kenntnis der Behörden des Forumstaates in diesem aufhält. Allerdings ist folgendes zu beachten: Wenn sich ein Staatsoberhaupt inkognito in einem anderen Staat aufhält und möglicherweise sogar ein Pseudonym benutzt, dann haben die (Polizei-)Behörden des Aufenthaltsstaates keine Möglichkeit, den besonderen völkerrechtlichen Status des Staatsoberhaupts zu erkennen und dementsprechend von strafprozessualen Maßnahmen Abstand zu nehmen. In einem solchen Fall hat es sich das Staatsoberhaupt selbst zuzuschreiben, daß die ihm zukommenden Exemtionen nicht beachtet werden. Es ist ihm daher in einem solchen Fall untersagt, sich gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen zu wehren und nachträglich die Völkerrechtswidrigkeit des fremdstaatlichen Handelns geltend zu machen.32 Sobald er aber seinen Status offenlegt und dieser geklärt ist, haben weitere Strafverfolgungsmaßnahmen zu unterbleiben.33 Die vollständige Exemtion amtierender Staatsoberhäupter von fremdstaatlicher Strafgerichtsbarkeit kommt in einer seit langem gefestigten Staatenpraxis zum Ausdruck, so daß an ihrer völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung nicht gezweifelt werden kann. An erster Stelle zu nennen sind die oben in § 5 III.1.c)aa) vorgestellten Urteile des britischen House of Lords im Fall Pinochet. Zwar war Pinochet zum Zeitpunkt der Entscheidungen des House of Lords 1998/99 nicht mehr amtierendes Staatsoberhaupt Chiles, so daß die Lordrichter lediglich über die Frage einer Immunität Pinochets als ehemaligem Staatsoberhaupt zu befinden hatten, doch läßt sich den Voten etlicher Richter entnehmen, daß diese von der Existenz einer uneingeschränkten Immunität amtierender Staatsoberhäupter ausgingen und zur Versagung einer Exemtion für Pinochet nur deshalb bereit waren, weil er nicht mehr amtieren-
___________ 30 So in bezug auf die Frage der Anerkennung auch Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 108 f. 31 So Cassese, International Law, S. 117; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 253; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 455; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 92. Nachweise zur älteren Literatur bei Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 68 ff. 32 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 254 gehen von einen konkludenten Verzicht auf die Exemtionen aus. Siehe auch Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (75). 33 Siehe Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 455; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 10; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 45; Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (75); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 49 f. mit Beispielen aus der älteren Staatenpraxis.
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des Staatsoberhaupt war.34 Angesichts der großen Aufmerksamkeit, die die Pinochet-Entscheidungen des House of Lords nach wie vor erfahren, erscheint es sachgerecht, die einschlägigen Passagen der Voten dieser Richter im Wortlaut wiederzugeben. So stellte Lord Nicholls of Birkenhead fest: “(…) there can be no doubt that if Senator Pinochet had still been head of the Chilean State, he would have been entitled to immunity. (…) I have no doubt that a current head of state is immune from criminal process under customary international law.”35
Lord Steyn führte aus: “It is common ground that a Head of State while in office has an absolute immunity against civil or criminal proceedings in the English courts. If General Pinochet had still been Head of State of Chile, he would be immune from the present extradition proceedings.”36
Bei Lord Browne-Wilkinson heißt es: “(…) personal immunity of the head of state persists to the present day. (…) This immunity enjoyed by a head of state in power (…) is a complete immunity attaching to the person of the head of state (…) and rendering him immune from all actions and prosecutions whether or not they relate to matters done for the benefit of the state. Such immunity is said to be granted ratione personae.”37
Lord Saville of Newdigate betonte: “In general, under customary international law serving heads of state enjoy immunity from criminal proceedings in other countries by virtue of holding that office. This form of immunity is known as immunity ratione personae. It covers all conduct of the head of state while the person concerned holds that office and thus draws no distinction between what the head of state does in his official capacity (…) and what he does in his private capacity.”38
Lord Millett formulierte die Reichweite der Immunität amtierender Staatsoberhäupter wie folgt: “Immunity ratione personae is a status immunity. An individual who enjoys its protection does so because of his official status. (…) he enjoys absolute immunity from the civil and criminal jurisdiction of the national courts of foreign states. But it is only nar-
___________ 34 Vgl. Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (983 mit Fn. 30); Ruffert, NILR 2001, 171 (179); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (434). 35 Lord Nicholls of Birkenhead in seinem Votum zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 436 (438 f.). 36 Lord Steyn in seinem Votum zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 439 (440). 37 Lord Browne-Wilkinson in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 61 (67). 38 Lord Saville of Newdigate in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 96 (96).
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rowly available. It is confined to serving heads of state (…). His person is inviolable; he is not liable to be arrested or detained on any ground whatever.”39
Schließlich betonte Lord Phillips of Worth Matravers: “If Senator Pinochet were still the head of state of Chile, he and Chile would be in a position to complain that the entire extradition process was a violation of the duties owed under international law to a person of his status. A head of state on a visit to another country is inviolable. He cannot be arrested or detained, let alone removed against his will to another country, and he is not subject to the judicial process, whether civil or criminal, of the courts of the state he is visiting. But Senator Pinochet is no longer head of state of Chile (…).”40
In ihrer Zusammenschau sind diese Voten eine eindrucksvolle Bestätigung der vollständigen Immunität ratione personae und Unverletzlichkeit amtierender Staatsoberhäupter. Hinzu kommt, daß sich die einschlägige jüngere Staatenpraxis keineswegs auf die Pinochet-Entscheidungen beschränkt. In England lehnte der Bow Street Magistrates’ Court am 14. Januar 2004 einen Antrag auf Erlaß eines Haftbefehls gegen den Präsidenten von Simbabwe, Robert Mugabe, wegen Foltertaten ab und bestätigte damit gleichfalls die Immunität amtierender Staatsoberhäupter.41 Mit einer Entscheidung vom 13. März 2001 verneinte die französische Cour de Cassation die Zulässigkeit eines Strafverfahrens gegen den libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi mit dem Argument, Gaddafi genieße als amtierendes Staatsoberhaupt uneingeschränkte Immunität gegenüber der französischen Gerichtsbarkeit.42 Gaddafi war vorgeworfen worden, verantwortlich zu sein für einen im September 1989 verübten Bombenanschlag gegen ein französisches Flugzeug über der Ténéré-Wüste im westafrikanischen Staat Niger, bei dem 170 Menschen, darunter etliche französische Staatsbürger, ums Leben gekommen waren.43 ___________ 39 Lord Millett in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (97 f.). 40 Lord Phillips of Worth Matravers in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 102 (103). 41 Rabenstein/Bahrenberg, in: Eser/Sieber/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 6: England/Wales, S. 261 (302 Fn. 230); Warbrick, ICLQ 53 (2004), 769 (769 f. [mit wörtlicher Wiedergabe der Gerichtsentscheidung]). 42 Die Entscheidung Nr. 1414 vom 13.3.2001 ist im Internet abrufbar unter (31.3.2006). Anders noch die Vorentscheidung, die eine Immunität amtierender Staatsoberhäupter bei völkerrechtlichen Verbrechen verneint hatte. Die Entscheidungen sind in englischer Sprache wiedergegeben in ILR 125, 490 ff. Siehe zu diesem Verfahren auch MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 141 mit Fn. 780; Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 178 f.; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (213); Lelieur-Fischer, in: Eser/Sieber/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 4: Frankreich, S. 225 (293); Ruffert, NILR 2001, 171 (173 f.); Zappalà, EJIL 12 (2001), 595 (595 ff.); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 146 f. sowie FAZ vom 21.10.2000, S. 7. 43 Libyen hat seine Verantwortlichkeit für den Anschlag mittlerweile anerkannt und die Opfer entschädigt. Vgl. SZ vom 10.1.2004, S. 6.
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Das OLG Köln entschied am 16. Mai 2000 im Rahmen eines Klageerzwingungsverfahrens durch Beschluß nach § 174 StPO, daß die Durchführung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den damals als Staatsoberhaupt amtierenden irakischen Diktator Saddam Hussein nicht in Betracht komme, da dieser als Staatsoberhaupt nach dem für die deutschen Strafverfolgungsbehörden über Art. 25 GG und § 20 Abs. 2 GG unmittelbar beachtlichen Völkergewohnheitsrecht uneingeschränkte Immunität ratione personae genieße.44 Mit einer Entscheidung vom 4. März 1999 befand die spanische Audiencia National, daß in Spanien kein Strafverfahren gegen das kubanische Staatsoberhaupt Fidel Castro eingeleitet werden dürfe, da dieser umfassende Immunität genieße.45 Im Jahr 1998 lehnte es die Staatsanwaltschaft von Paris ab, Ermittlungen gegen den mittlerweile ermordeten damaligen Staatschef der Demokratischen Republik Kongo, Laurent Désiré Kabila, aufzunehmen, dem Menschenrechtsorganisationen schwerste Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt hatten. Begründet wurde die Ablehnung mit der uneingeschränkten Immunität Kabilas als Staatsoberhaupt.46 Mit einem Beschluß vom 14. Dezember 1984 lehnte es der BGH ab, nach § 13a StPO ein für ein Strafverfahren gegen den damaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker zuständiges Gericht zu bestimmen, da Honecker in der Bundesrepublik als Staatsoberhaupt der DDR umfassende Immunität ratione personae genieße.47 Es gibt noch eine Vielzahl weiterer Gerichtsentscheidungen vornehmlich älteren Datums, in denen die umfassenden Exemtionen amtierender Staatsoberhäupter anerkannt wurden. Da diese Entscheidungen erst in jüngster Zeit in der Literatur zusammengestellt wurden, soll hier auf eine Auflistung verzichtet und statt dessen auf diese Literatur verwiesen werden.48 Erinnert sei aber noch daran, daß sich die USA gegen Ende des Ersten Weltkrieges vehement gegen eine strafrechtliche Verfolgung des deutschen Kaisers ausgesprochen hatten, da sie von einer diesem zu-
___________ OLG Köln, NStZ 2000, 667 (667 f.) mit Anm. von Wirth in NStZ 2001, 665 (665 ff.). Siehe Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (860, 866); ders., International Criminal Law, S. 272 mit Fn. 20; Gil Gil, in: Eser/Sieber/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 4: España, S. 99 (193). 46 Vgl. FAZ vom 30.11.1998, S. 4; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 100; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 213; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 146. 47 BGHSt 33, 97 (97 f.) = NJW 1985, 639 (639). Siehe hierzu auch Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 53 f.; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 46 f. und unten § 17 II.1. 48 Siehe Gornig, in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (468 ff.); Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 40 ff., 162 ff. und Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 42 ff. 44 45
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kommenden umfassenden völkerrechtlichen Immunität ausgingen.49 Zudem ist darauf hinzuweisen, daß einige Staaten in ihrem nationalen Recht – getragen von dem Willen, Völkerrecht innerstaatlich anwendbar zu machen – eine umfassende Exemtion fremder Staatsoberhäupter festgelegt haben. Zu nennen sind etwa Art. 20 des britischen SIA50 und Art. 36 des australischen FSIA51.52 Diese nationalen Regelungen können gleichfalls als Beleg für die Anerkennung einer umfassenden völkerrechtlichen Exemtion amtierender Staatsoberhäupter von fremdstaatlicher Gerichtsbarkeit gelten. Zwar sind auch Fälle nachweisbar, in denen fremde Staatsoberhäupter verurteilt wurden, doch waren die betreffenden Personen zum Zeitpunkt des Verfahrens zumeist nicht mehr im Amt. Zudem handelt ist sich vornehmlich um sehr weit zurückliegende Fälle – zum Teil solche aus dem Mittelalter –, bei denen es weniger um eine Ahndung strafrechtlichen Fehlverhaltens im heutigen Sinne als vornehmlich um die „Beseitigung“ politischer Gegner ging (man denke nur an den Prozeß gegen Maria Stuart im Jahr 1586 – die allerdings zum Zeitpunkt des Verfahrens keine amtierende Regentin Schottlands mehr war). Auch wurde regelmäßig mit besonderem Aufwand begründet, warum ausnahmsweise eine Verurteilung statthaft sei – und damit indirekt der Grundsatz der Exemtion fremder Staatsoberhäupter bestätigt.53 Die – jedenfalls im Grundsatz – unbestrittene Exemtion von Staatsoberhäuptern wird auf verschiedene Erwägungsgründe gestützt, hat also eine gleich mehrfache Legitimationsbasis. Auch heute noch personifiziert ein Staatsoberhaupt in seiner Repräsentativfunktion gewissermaßen „seinen“ Staat. Ihm als Person eine ehrenvolle und bevorzugte Behandlung – unter anderem durch Gewährung von Exemtionen – angedeihen zu lassen, bedeutet deshalb letztlich, dem von ihm vertretenen Staat Achtung und Anerkennung zu zollen. Insofern dienen die weitreichenden Exemtionen für amtierende Staatsoberhäupter zum einen dem Schutz der Würde der Staaten und zum ande___________ Siehe hierzu schon oben § 6 II.1.c)aa) sowie Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 199 f. mit auszugsweiser wörtlicher Wiedergabe des einschlägigen Memorandums der USA in Fn. 234. Zwar protestierte Deutschland heftig gegen das geplante Verfahren gegen den (ehemaligen) deutschen Kaiser, doch machte das Deutsche Reich interessanterweise keine Immunitätseinwände geltend; vgl. Tangermann, a.a.O., S. 200 f. mit Fn. 241. 50 Siehe oben Anm. 23. 51 Siehe oben Anm. 23. 52 Vgl. Gornig, in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (467 f.). 53 Auf diese Fälle soll hier nicht im einzelnen eingegangen werden, da auch sie erst in jüngster Zeit in der Literatur detailliert dargestellt wurden. Es wird verwiesen auf die sorgfältige Analyse von Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 26 ff., 163 ff. Siehe ferner Gornig, NJ 1992, 4 (5). 49
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ren der Achtung ihrer Souveränität.54 Die Würde fremder Staaten und ihre Souveränität durch Gewährung von Exemtionen für ihre Staatsoberhäupter zu achten und zu schützen, ist aber kein Selbstzweck. Da das wesentliche Strukturprinzip der Völkergemeinschaft auch heute noch die souveräne Gleichheit einzelner Staaten ist, dient die Gewährung von Exemtionen für Staatsoberhäupter im Ergebnis einer friedlichen Koexistenz der Staaten. Damit stehen die zwei genannten Legitimationsgründe der Exemtionen für Staatsoberhäupter in unmittelbarer Verbindung mit dem dritten in der Literatur angeführten Grund für die Vorrechte und Befreiungen: Die Exemtionen dienen dem Schutz der Funktionsfähigkeit der internationalen Beziehungen.55 In unserer eng vernetzten und sich durch moderne Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten zu einem „globalen Dorf“ wandelnden Welt ist es im Interesse der Sicherung des Friedens, der Menschenrechte, der ökonomischen Prosperität und des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen unabdingbar, daß die Staaten in einem ständigen Kontakt miteinander stehen und stets in der Lage sind, nicht nur durch ihre Diplomaten, sondern auch in Form von Besuchen der obersten Akteure – namentlich der Staatsoberhäupter – miteinander zu kommunizieren. Solche direkten Kontakte sind aber – wie schon gesagt – nur dann möglich, wenn die Akteure sich sicher sein können, vor fremdstaatlicher Strafverfolgung in gleicher Weise wie die Diplomaten nach dem WÜD umfassend geschützt zu sein. Nun könnte man zwar einwenden, daß etliche Staatsoberhäupter aufgrund ihrer innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Stellung gar nicht aktiv Außenpolitik betreiben und damit gar keine aktive Rolle bei der Gestaltung der internationalen Beziehungen einnehmen dürften, mithin ihre fremdstaatliche Strafverfolgung gar keine nennenswerten negativen Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der internationalen Beziehungen haben könne. Doch wenn man dies berücksichtigen wollte, müßte man einem strafverfolgungswilligen Staat die Kompetenz zuerkennen, zwischen „wichtigen“ und „unwichtigen“ Staatsoberhäuptern zu differenzieren und selbst zu entscheiden, ob ein Staatsoberhaupt nach der (gelebten) Verfas___________ Lord Millett in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (98); Doehring, Völkerrecht, Rn. 657; Gornig, in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (460); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 156. Zur früher zu Zeiten einer Gleichsetzung der Staaten mit der Person ihres Staatsoberhaupts („l’État, c’est moi“) entscheidenden, heute aber nicht mehr maßgeblichen Begründung der Exemtionen fremder Staatsoberhäupter mit dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten und der Maxime par in parem imperium vgl. oben § 4 I. sowie Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 58 f.; Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (52); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 44 f. Schon Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 125 f. wandte sich gegen eine Ableitung der Exemtionen für Staatsoberhäupter aus der „Paritätstheorie“. 55 BGHSt 33, 97 (98) = NJW 1985, 639 (639); Cassese, International Criminal Law, S. 265; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 33; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 198 f.; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (432); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 44, 156. 54
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sungsordnung seines Staates einen gewichtigen Beitrag zu dessen Außenpolitik leistet. Dies aber wäre mit dem völkerrechtlichen Fundamentalprinzip der souveränen Gleichheit der Staaten unvereinbar, so daß eine völkerrechtliche Gleichbehandlung aller Staatsoberhäupter – ungeachtet ihrer innerstaatlichen Kompetenzen und ihrer demokratischen Legitimation – geboten ist.56 Als Ergebnis ist damit festzuhalten, daß die umfassenden Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, die Staatsoberhäupter genießen, im Interesse des Schutzes der Funktionsfähigkeit der internationalen Beziehungen und der friedlichen Koexistenz der Staaten und damit letztlich im Interesse der einzelnen Menschen zu legitimieren sind.57 cc) Sachliche und personale Reichweite der Exemtionen für Regierungsmitglieder In Ermangelung einschlägiger gerichtlicher Staatenpraxis galt lange als ungeklärt, ob auch Regierungschefs, Außenminister und eventuell sogar sonstige Fachminister nach Völkergewohnheitsrecht Immunität ratione personae und weitere Exemtionen genießen. Zum Teil wurden solche Exemtionen bejaht,58 zum Teil aber auch unter Hinweis darauf, daß es keine Gerichtsentscheidungen gebe, in denen Regierungsmitgliedern Immunität ratione personae zuerkannt worden sei, ausdrücklich verneint.59 ___________ Vgl. die Nachweise oben in Anm. 11. Zu bedenken ist bei dieser Bewertung auch, daß der Kreis der exemten Staatsoberhäupter zwar besonders exponierte und mit besonderer Verantwortlichkeit ausgestattete Funktionsträger erfaßt, jedoch mit 500–700 Personen (vgl. die Angaben bei Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 24 und Watts, RdC 247 [1994 III], S. 9 [19]) relativ klein ist. 58 So etwa Barberis, Representatives of States, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, S. 195 (197 f.); Gries, HuV-I 2001, 19 (24); Simma/Paulus, NZZ vom 27.11.1998, S. 7; Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (105 ff.); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (432) sowie das USamerikanische State Department. Dieses betonte in einer Stellungnahme aus dem Jahr 1964 (AJIL [58] 1964, 186 f.): “Under customary rules of international law (…) the head of a foreign government, its foreign minister, and those designated by him as members of his official party are immune from the jurisdiction of the United States federal and state courts.” Im 1988 entschiedenen Verfahren Saltany ./. Reagan (ILR 80, 19) stellte das State Department in einer Stellungnahme fest, nach Völkergewohnheitsrecht genössen Regierungschefs Immunität (vgl. ILR 80, 19 [21]). 59 So etwa Lord Millett in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (98); Bantekas/Nash/Mackarel, International Criminal Law, S. 39; Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (264); Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (577); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 104 ff.; Ruffert, NILR 2001, 171 (180 f.); Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 159; Schweitzer/Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis, Rn. 956; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 57. Zweifelnd Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (399 Fn. 30). Siehe auch den Report des ILC-Berichterstatters Sucharitkul in YBILC 1989 II/2, 102 f., in dem ebenfalls erhebliche Zweifel hinsichtlich der Existenz einer völkergewohnheitsrechtlichen Exemtion für Regierungsmitglieder geäußert werden. Differenzierend Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 257 f. (Regierungs56 57
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Angesichts dieser (bislang) unsicheren Rechtslage kommt dem Urteil des IGH im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien vom 14. Februar 200260 große Bedeutung zu. Der IGH hat entschieden, daß ein amtierender Außenminister nach Völkergewohnheitsrecht vollständige Immunität ratione personae und Unverletzlichkeit genießt: “54. The Court (…) concludes that the functions of a Minister for Foreign Affairs are such that, throughout the duration of his or her office, he or she when abroad enjoys full immunity from criminal jurisdiction and inviolability. That immunity and inviolability protect the individual concerned against any act of authority of another State which would hinder him or her in the performance of his or her duties. 55. In this respect, no distinction can be drawn between acts performed by a Minister of Foreign Affairs in an ‘official’ capacity, and those claimed to have been performed in a ‘private capacity’, or, for that matter, between acts performed before such person concerned assumed office as Minister of Foreign Affairs and acts committed during the period of office. Thus, if a Minister of Foreign Affairs is arrested in another State on a criminal charge, he or she is clearly thereby prevented from exercising the functions of his or her office. The consequences of such impediment to the exercise of those official functions are equally serious, regardless of whether the Minister of Foreign Affairs was, at the time of arrest, present in the territory of the arresting State on an ‘official’ visit or a ‘private’ visit, regardless of whether the arrest relates to acts allegedly performed before the person became the Minister for Foreign Affairs or to acts performed while in office, and regardless of whether the arrest relates to alleged acts performed in an ‘official’ capacity or a ‘private’ capacity. Furthermore, even the mere risk that, by travelling to or transiting another State a Minister of Foreign Affairs might be exposing himself or herself to legal proceedings could deter the Minister from travelling internationally when required to do so for the purposes of the performance of his or her official functions.”61
___________ mitgliedern komme wie jedem staatlichen Funktionsträger funktionale Staatenimmunität zu, darüber hinaus aber bei dienstlichen Aufenthalten in fremdem Staatsgebiet auch noch eine umfassende Unverletzlichkeit). 60 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien vom 14.2.2002, ILM 41 (2002), 536. Internetquelle: (31.3.2006). Dt. Übers. in EuGRZ 2003, 563. 61 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 60), para. 54 f. Unter Berufung auf den IGH wie dieser Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 106; Benzing, Max Planck UNYB 8 (2004), 181 (201); Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (855); ders., JICJ 1 (2003), 437 (440); Dörr, AVR 41 (2003), 201 (205); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 36; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 38; Kreß, GA 2003, 25 (32 f.); Oellers-Frahm, VN 2002, 121 (121); Paulus, EJIL 14 (2003), 843 (857); Weiß, JZ 2002, 696 (701); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 449, 456; Wirth, EJIL 13 (2002), 877 (889). Gegen eine völkerrechtliche Exemtion amtierender Außenminister die belgische Ad-hoc-Richterin (vgl. Art. 31 IGH-Statut) Van den Wyngaert in ihrem abweichenden Sondervotum zum IGH-Urteil, para. 1, 10 ff. Für zweifelhaft und (völkerrechtspolitisch) zu weitgehend hält die Exemtionserstreckung auf Außenminister MK-StGBAmbos, vor § 3 Rn. 106, 137, 142; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 110. Gänzlich ablehnend Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 74 f.; Schultz, ZaöRV 62 (2002), 703 (739 f.). Unklar die Ausführungen der Richter Higgins (Großbritannien), Kooijmans (Niederlande) und Buergenthal (USA) in ihrem gemeinsamen Sondervotum zum IGH-Urteil, para. 83 f. Differenzierend Richter Al-Khasawneh aus Jordanien in sei-
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Da der IGH entscheidend darauf abstellt, die Exemtionen sollten amtierende Außenminister vor einer Beeinträchtigung ihrer dienstlichen Tätigkeit schützen,62 geht wohl die Annahme nicht fehl, daß amtierende Außenminister neben der vom IGH explizit erwähnten Immunität ratione personae, die jegliche Inanspruchnahme als Beschuldigter in einem Strafverfahren verbietet, unabhängig davon, ob sich der Tatvorwurf auf eine dienstliche oder private bzw. während der Amtszeit oder zuvor begangene Tat bezieht, und neben der ebenfalls erwähnten Unverletzlichkeit, die der Vornahme jeglicher strafprozessualer Zwangsgewalt entgegensteht, drittens auch noch eine Befreiung von den Zeugenpflichten genießen. Auch diese Exemtionen gelten, wie sich schon aus der dem IGH-Urteil zugrundeliegenden Fallgestaltung ergibt, unabhängig davon, ob sich eine geschützte Person im Staatsgebiet des strafverfolgungswilligen Staat aufhält oder nicht. Der Exemtionsschutz erstreckt sich also nicht nur auf den Zeitraum eines amtlichen Aufenthalts eines Regierungsmitglieds im Gebiet eines fremden strafverfolgungswilligen Staates.63 ___________ nem abweichenden Sondervotum zum IGH-Urteil: Amtierende Außenminister genössen keine umfassende Immunität, sondern nur Unverletzlichkeit. Denn eine solche reiche aus, um eine ungestörte Funktionsausübung zu gewährleisten (Sondervotum para. 4): “A Minister for Foreign Affairs is entitled to immunity from enforcement when on official mission for the unhindered conduct of diplomacy would suffer if the case was otherwise, but the opening of criminal investigations against him can hardly be said by any objective criteria to constitute interference with the conduct of diplomacy. A faint-hearted or ultra-sensitive Minister may restrict his private travels or feel discomfort but this is a substantive element that must be discarded.” Ähnlich wie Richter Al-Khasawneh auch Kreß, GA 2003, 25 (33) und Wouters, LJIL 16 (2003), 253 (258 f.). Dieser Einwand hat einiges für sich. Wie noch zu zeigen sein wird, spielt er im Bereich der Exemtionen für Angehörige von Spezialmissionen tatsächlich eine Rolle. In bezug auf die Exemtionen von amtierenden Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern ist aber zu bedenken, daß bereits die Einleitung eines Strafverfahrens ohne direkten Zugriff auf die geschützte Person negative Auswirkungen auf die politischen Beziehungen haben kann. Die Exemtionen sollen nicht nur die physische Handlungs- und Bewegungsfreiheit der betroffenen Personen sichern, sondern ihnen eine Wahrnehmung ihrer internationalen Aufgaben ohne das „politische Handikap“ eines gegen sie betriebenen fremdstaatlichen Strafverfahrens ermöglichen. So auch Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (855). 62 Vgl. IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 60), para. 53 ff. 63 A.A. aber Richter Al-Khasawneh in seinem Sondervotum zum IGH-Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (vgl. oben Anm. 61); LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 4; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 350; Gummer, Zöller Zivilprozessordnung, § 20 GVG Rn. 4; Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 3; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 20 Rn. 2; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 11; MeyerGoßner, Strafprozessordnung, § 20 GVG Rn. 4; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (399); KKStPO-Pfeiffer, § 20 GVG Rn. 2; MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 9 sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. II.A.1.b). Bei den hier genannten Autoren wird allerdings zumeist nicht deutlich, ob sie sich bei ihrer Feststellung, Regierungsmitglieder genössen bei einem amtlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Befreiung von deutscher Gerichtsbarkeit, auf eine völkerrechtliche oder eine auf § 20 Abs. 1 GVG beruhende Exemtion beziehen. Siehe im übrigen auch Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (109).
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Wenn aber Außenministern solche Exemtionen zukommen, so kann die Rechtslage für Regierungschefs und Staatsoberhäupter nicht anders sein – das Urteil des IGH klärt damit nicht nur den Status von amtierenden Außenministern, sondern auch den von Regierungschefs und bestätigt die Exemtionen von Staatsoberhäuptern.64 Bemerkenswert ist die – zum Teil kritisierte – Methode der Rechtsfindung durch den IGH.65 Grundsätzlich ist bekanntlich für den Nachweis von Völkergewohnheitsrecht gemäß Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut das Aufzeigen einer der in Frage stehenden Norm entsprechenden und von einer Rechtsüberzeugung getragenen Staatenpraxis erforderlich. Wie erwähnt, gibt es aber keine Gerichtsentscheidungen oder sonstige Staatenpraxis, durch die explizit kundgetan wird, daß amtierende Außenminister fremder Strafgerichtsbarkeit entzogen sind.66 Doch tut der IGH gut daran, nicht schon deshalb das Bestehen völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionen zu verneinen. Denn das Fehlen von Gerichtsentscheidungen und sonstiger klarer Praxisbefunde kann ebensogut darauf zurückzuführen sein, daß Exemtionen allgemein akzeptiert werden und daher bereits von der Einleitung von Strafverfahren abgesehen wird. Der Befund kann also umgekehrt gerade das Bestehen weitreichender Exemtionen bestätigen.67 Hinzu kommt, daß die Personen, die hohe Staatsämter innehaben, sich in aller Regel rechtskonform verhalten, so daß gar kein Anlaß zur Anwendung von Exemtionsregelungen besteht. Daher muß es als völkerrechtlich zulässig angesehen werden, wenn der IGH in den oben zitierten Urteilspassagen teleologisch argumentiert und darauf abstellt, amtierende Außenminister bedürften einer umfassenden Immunität ratione personae und Unverletzlichkeit, um ihren Aufgaben im Interesse ihres Staates effektiv nachkommen zu können.68 Die Methode der Rechtsfindung durch den IGH zeigt erneut den Wandel im Bereich der Normentstehung und Normerkenntnis im Völkerrecht. Spezielle völkerrechtliche Regeln werden nicht mehr nur ausschließlich Verträgen entnommen oder ___________ Wie hier auch Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 36; Knoops, Law of International Criminal Tribunals, S. 69; Weiß, JZ 2002, 696 (698); Wickremasinghe, in: Evans (Hrsg.), International Law, S. 387 (401). Siehe auch IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (oben Anm. 60), para. 51. 65 Zur Kritik an der Methode des IGH vgl. das ablehnende Sondervotum zum IGHUrteil von Ad-hoc-Richterin Van den Wyngaert (Belgien), para. 11 ff. sowie Kreß, GA 2003, 25 (31 f.); Wouters, LJIL 16 (2003), 253 (256 ff.); Zeichen/Hebenstreit, AVR 41 (2003), 182 (188 f.). Zustimmend aber Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (855). 66 Vgl. aber in bezug auf die Exemtionen amtierender Regierungschefs nunmehr die Entscheidung der belgischen Cour de Cassation im Fall Sharon vom 12.2.2003 (siehe unten Anm. 98 und dazugehörigen Text). 67 Hiervon gehen auch Weiß, JZ 2002, 696 (701 Fn. 62) sowie – in bezug auf Staatsoberhäupter – Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 92 ff. Fn. 254 a.E. aus. 68 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 60), para. 53 ff. 64
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aus einer einmütigen Staatenpraxis abgeleitet; vielmehr wird ihre Existenz angesichts des erreichten Differenzierungsgrades der Völkerrechtsordnung auch aus allgemeinen völkerrechtlichen Rechtsprinzipien abgeleitet69 oder – wie hier – sogar rein teleologisch damit begründet, sie seien notwendige Bedingungen für das Funktionieren der Völkerrechtsordnung. Damit aber stellt sich die Frage, ob neben Außenministern und Regierungschefs auch andere Fachminister besondere völkergewohnheitsrechtliche Exemtionen, namentlich Immunität ratione personae und Unverletzlichkeit, genießen. Diese Frage kann jedoch auch nach Ergehen der hier betrachteten Entscheidung des IGH nicht mit letzter Sicherheit beantwortet werden. Der IGH beschränkte sich – dies gebot schon der Klagegegenstand – auf Aussagen zur Immunität von Außenministern. Aufschlußreich ist jedoch eine Feststellung des IGH zu Beginn seiner Erörterungen zur Immunitätsproblematik: “51. The Court would observe at the outset that in international law it is firmly established that, as also diplomatic and consular agents, certain holders of high-ranking office in a State, such as the Head of State, Head of Government and Minister for Foreign Affairs, enjoy immunities from jurisdiction in other States, both civil and criminal. For the purposes of the present case, it is only the immunity from criminal jurisdiction and the inviolability of an incumbent Minister for Foreign Affairs that fall for the Court to consider.”70
Der IGH geht also offenbar davon aus, daß neben Staatsoberhäuptern, Regierungschefs und Außenministern sowie Diplomaten und Konsuln auch noch weitere high-ranking officials völkerrechtliche Exemtionen genießen, zumindest aber wird dies nicht ausgeschlossen.71 Gegen eine Einbeziehung auch anderer Fachminister als dem Außenminister in den Kreis der exemtionsberechtigten high-ranking officials wird in der Literatur vor allem angeführt, daß Außenministern im völkerrechtlichen Verkehr eine gegenüber anderen Fachministern hervorgehobene Stellung zukomme.72 So werden gemäß Art. 7 Abs. 2 lit. a) WVRK, der Völkergewohnheitsrecht widerspiegelt, Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister „ohne eine Vollmacht vorlegen zu müssen, als Vertreter ihres Staates angesehen“ – nicht aber sonstige Fachminister.73 Doch ist mehr als fraglich, ob eine solche Beschränkung von Vorrechten und Befreiungen auf Außenminister und damit deren Besserstellung gegenüber anderen ___________ Vgl. hierzu schon oben § 4 II.5. Siehe auch IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 60), para. 51. 71 So auch Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (386 f.). 72 Kreß, GA 2003, 25 (32 f.); Orakhelashvili, AJIL 96 (2002), 677 (681). 73 Siehe Doehring, Völkerrecht, Rn. 486. Auf diese besondere Kompetenz eines Außenministers stellt allerdings auch der IGH ab; vgl. IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 60), para. 53. 69 70
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Fachministern noch mit der heutigen Realität der durch eine „Reisediplomatie“ gekennzeichneten internationalen Beziehungen vereinbar ist. Als Folge der „Globalisierung“ und „Technisierung“ sind heute in allen Politikbereichen Konsultationen und Vereinbarungen mit anderen Staaten unabdingbar und an der Tagesordnung. Die „Außenpolitik“ im weiten Sinne liegt schon lange nicht mehr allein in den Händen des Außenministers und des Regierungschefs. Vielmehr stehen auch die Fachminister in unmittelbarem Kontakt mit ihren Kollegen in anderen Ländern und reisen persönlich in andere Staaten, um ihren Fachbereich betreffende Politiken zu erörtern und diesbezügliche Vereinbarungen vorzubereiten.74 Damit aber sind heutzutage die Fachminister nicht weniger schutzwürdig als die Außenminister. Ihr Agieren im zwischenstaatlichen Bereich ist gleichfalls von besonderer Bedeutung für das Funktionieren der internationalen Beziehungen und damit ebenfalls im Interesse des Völkerrechts.75 Wenn man daher die teleologische Methode des IGH zur der Begründung der Geltung völkerrechtlicher Exemtionen akzeptiert, so muß man neben den Außenministern auch sonstige Fachminister in den Kreis der geschützten Personen einbeziehen.76 Es ist deshalb davon auszugehen, daß neben Außenministern und in gleicher Weise wie diese auch andere Fachminister von Völkerrechts wegen Immunität ratione personae, Unverletzlichkeit und Befreiung von den Zeugenpflichten genießen.77 Diese Rechtsauffassung hat auch Bestätigung durch eine englische Gerichtsentscheidung gefunden: Der Bow Street Magistrates’ Court lehnte am 12. Februar 2004 einen Antrag auf Erlaß eines Haftbefehls gegen den israelischen Verteidigungsminister Shaul Mofaz wegen des Verdachts der Verantwortlichkeit für
___________ Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 257. Ebenso Akande, AJIL 98 (2004), 407 (412). 76 So auch die belgische Ad-hoc-Richterin Van den Wyngaert in ihrem abweichenden Sondervotum zum IGH-Urteil (vgl. oben Anm. 60), para. 87. 77 So auch Köck, in: Neuhold u.a. (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. 1, Rn. 1765, und wohl auch Cassese, International Criminal Law, S. 264 f., wenn er allgemein von “senior members of cabinet” spricht. Auch Simma/Paulus, NZZ vom 27.11.1998, S. 7, und Vogel, in: Vogel/Grotz, Perspektiven des internationalen Strafprozessrechts, S. 1 (31 f.) anerkennen ohne Differenzierung eine Immunität ratione personae amtierender Regierungsmitglieder. A.A. aber Kreß, GA 2003, 25 (32 f.) und Orakhelashvili, AJIL 96 (2002), 677 (681). Für noch ungeklärt halten die Völkerrechtslage Akande, AJIL 98 (2004), 407 (412); Fox, State Immunity, S. 423 (“It remains to be seen whether other ministers (…) will also be recognized as enjoying such a privileged status.”); Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (386 f., 394) und Wickremasinghe, in: Evans (Hrsg.), International Law, S. 387 (401). Siehe zu dieser Frage schon Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 356 f. 74 75
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Kriegsverbrechen mit dem Argument ab, auch Regierungsmitglieder genössen Immunität.78 Auch der schon vorgestellte Art. 21 Abs. 2 CSM spricht für dieses Ergebnis. Denn dort werden neben dem “Head of the Government” und dem “Minister of Foreign Affairs” auch “other persons of high rank” als Personen genannt, denen als Teilnehmer an einer Spezialmission zusätzlich zu den Exemtionen nach der CSM auch die ihnen nach (sonstigem) Völkerrecht zukommenden Vorrechte und Befreiungen zustehen sollen. Allerdings genießt den hier erörterten Exemtionsschutz nicht schon jede Person, der nach innerstaatlichem Recht die Amtsbezeichnung „Minister“ zuerkannt wird. Der Begriff des Fachministers im immunitätsrechtlichen Sinn ist allein völkerrechtlich zu bestimmen. Immunitätsschutz als Minister genießen daher nur die highranking officials, die als Leiter eines Ministeriums an dessen Spitze stehen und in dieser Funktion der Zentralregierung eines Staates angehören. Als Ergebnis kann festgehalten werden, daß nach Völkergewohnheitsrecht ebenso wie amtierende Staatsoberhäupter auch amtierende Regierungschefs, Außenminister und sonstige Fachminister einer Zentralregierung Immunität ratione personae, Unverletzlichkeit und Befreiung von den Zeugenpflichten genießen. dd) Geltung der Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen und sonstigen schweren Menschenrechtsverletzungen Klarheit hat die Entscheidung des IGH im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien auch im Hinblick auf die Frage gebracht, ob die Exemtionen für amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder Ausnahmen erfahren bei völkerrechtlichen Verbrechen und (sonstigen) schweren Menschenrechtsverletzungen. In der wissenschaftlichen Literatur wurden hierzu bislang unterschiedliche Auffassungen vertreten. Zum Teil wurde und wird angenommen, ebenso wie die Staatenimmunität könnten auch die Immunitäten ratione personae für amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder einer Strafverfolgung durch fremde Staaten wegen völkerrechtlicher Verbrechen und (sonstiger) schwerer Menschenrechtsverletzungen nicht entgegenstehen.79 Begründet wird diese Auffassung im wesentlichen damit, der in ___________ 78 Rabenstein/Bahrenberg, in: Eser/Sieber/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 6: England/Wales, S. 261 (302 Fn. 230); Warbrick, ICLQ 53 (2004), 769 (771 ff. [mit wörtlicher Wiedergabe der Gerichtsentscheidung]). 79 Bantekas/Nash/Mackarel, International Criminal Law, S. 41; Bianchi, EJIL 10 (1999), 237 (259 ff.); Fastenrath, FAZ vom 23.11.1996, S. 2; ders., FAZ vom 11.12.1999, S. 2; Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 129 f., 265 f.; Kittichaisaree, International Criminal Law, S. 260; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 102 f.; NillTheobald, „Defences“ bei Kriegsverbrechen, S. 372 ff.; Orakhelashvili, GYIL 45 (2002),
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
den Statuten internationaler Strafgerichtshöfe – vom Nürnberger Militärgerichtshof bis zum IStGH – ausnahmslos normierte Exemtionsausschluß80 beziehe sich auch auf höchste staatliche Funktionsträger; zumeist sei die Nichtgeltung völkerrechtlicher Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder sogar explizit erwähnt. Der in Art. IV UN-Völkermordkonvention81 festgelegte Exemtionsausschluß beziehe sich auch auf amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder. Daher sei von einer generellen Nichtgeltung völkerrechtlicher Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder bei völkerrechtlichen Verbrechen (auch) im Fall einer Strafverfolgung durch fremde Staaten auszugehen.82 Überwiegend wurde und wird in der Literatur jedoch angenommen, amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder, namentlich Außenminister, genössen – ebenso wie Diplomaten83 – gegenüber der Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten auch dann Immunität und Unverletzlichkeit, wenn sich der Tatvorwurf auf völkerrechtliche Verbrechen oder (sonstige) schwere Menschenrechtsverletzungen beziehe. Anders als die Staatenimmunität84 gälten die Immunitäten ratione personae, die nicht nur Diplomaten nach Art. 31 Abs. 1 WÜD, sondern auch Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern zukämen, ohne Ausnahme.85 ___________ 227 (250); Ruffert, NILR 2001, 171 (184 f.); Schultz, ZaöRV 62 (2002), 703 (705); Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (84, 111 ff.); Wouters, LJIL 16 (2003), 253 (259 ff.) sowie beschränkt auf Genozid Neuner, in: ders. (Hrsg.), National Legislation Incorporating International Crimes, S. 105 (109 f.). Unklar LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 5. 80 Vgl. hierzu die Ausführungen oben in § 6 II.1.c). 81 Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords vom 9.12.1948, BGBl. 1954 II, S. 730. 82 Vgl. nur Bianchi, EJIL 10 (1999), 237 (259 ff.); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 102 f.; Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (82 f.). 83 Vgl. zu diesen oben § 14 I.2. 84 Siehe zur Frage der Geltung der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen und (sonstigen) schweren Menschenrechtsverletzungen oben § 6. 85 Akande, JICJ 1 (2003), 618 (641); ders., AJIL 98 (2004), 407 (410 f.); Ambos, JZ 1999, 16 (23); Barker, ICLQ 48 (1999), 937 (944 f.); Brinkmeier, Menschenrechtsverletzer vor nationalen Strafgerichten?, S. 35; Bröhmer, LJIL 12 (1999), 361 (369); Buffard, in: Karl (Hrsg.), Völker- und Europarecht, S. 35 (38 ff.); Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (865 ff.); ders., International Criminal Law, S. 267, 271 f.; ders., JICJ 1 (2003), 437 (441 ff.); ders., International Law, S. 119, 451; Fastenrath, FAZ vom 18.1.1999, S. 14; Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (985 ff.); Gornig, NJ 1992, 4 (13 Fn. 189); ders., in: Ipsen u.a. (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (480 ff.); Hübner, Das Verbrechen des Völkermordes, S. 259 f.; Kleffner, JICJ 1 (2003), 86 (104); Kreß, GA 2003, 25 (33); MK-StGB-Kreß, § 220a/§ 6 VStGB, Rn. 117; Maierhöfer, EuGRZ 2003, 545 (551 f.); Nouwen, LJIL 18 (2005), 645 (658 ff.); OellersFrahm, VN 2002, 121 (121); Pilitu, JICJ 1 (2003), 453 (457 f.); Rau, HuV-I 2003, 92 (98); Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 25 Rn. 55a; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 213; Vest, ZStR 121 (2003), 46 (70 Fn. 76); Weiß, JZ 2002, 696 (702 f.); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 450, 456, 461; Wirth, Jura 2000, 70 (72); ders., NStZ 2001, 665 (667); ders., CLF 12 (2001), 429 (445 f., 457); ders., EJIL 13 (2002), 877 (883, 888 f.); Wirth/Harder, ZRP 2000, 144 (147); Zappalà, EJIL 12 (2001), 595 (600, 607, 611); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 156 ff. Wie die vor-
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Diese Auffassung ist vom IGH bestätigt worden: “58. The Court has carefully examined State practice, including national legislation and those few decisions of national higher courts, such as the House of Lords or the French Court of Cassation. It has been unable to deduce from this practice that there exists under customary international law any form of exception to the rule according immunity from criminal jurisdiction in inviolability to incumbent Ministers of Foreign Affairs, where they are suspected of having committed war crimes or crimes against humanity.”86
Die Entscheidung des IGH, daß die völkergewohnheitsrechtliche Immunität ratione personae und Unverletzlichkeit amtierender Außenminister – und damit a minore ad maius auch die amtierender Staatsoberhäupter und Regierungschefs87 sowie bei teleologischer Betrachtung auch die sonstiger Regierungsmitglieder – gegenüber fremden Staaten absolut ist und selbst bei völkerrechtlichen Verbrechen keine Ausnahme erfährt, findet – wie der IGH zutreffend feststellt – Rückhalt in einer klaren Staatenpraxis, die eine uneingeschränkte Immunität für höchste staatliche Funktionsträger gegenüber fremdstaatlicher nationaler Gerichtsbarkeit bestätigt. Der Entscheidung des IGH ist daher beizupflichten.88 Zu nennen sind zuvörderst wiederum die Entscheidungen des englischen House of Lords im Fall Pinochet, auf die sich auch der IGH bezieht. Den Voten der Richter, die die Existenz einer umfassenden Immunität amtierender Staatsoberhäupter ___________ stehende Literatur auch Art. 2 der Resolution Immunities from Jurisdiction and Execution of Heads of State and Heads of Government in International Law des Institut de Droit International vom 26.8.2001, abrufbar unter: (31.3.2006); vgl. diesbezüglich auch Fox, ICLQ 51 (2002), 119 (120). Zweifelnd Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 349. Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 111 will die Frage, ob Immunität zu gewähren sei, von einer im jeweiligen Einzelfall zu treffenden Entscheidung darüber abhängig machen, ob durch eine Strafverfolgung die internationale Ordnung gefährdet werde (dann Immunität) oder nicht (dann Strafverfolgung zulässig). Doch ganz abgesehen davon, daß sich dem Völkergewohnheitsrecht keine Ansatzpunkte für eine solche Einzelfallabwägung entnehmen lassen, wäre ein solches Vorgehen in Ermangelung einer neutralen Instanz, die eine solche Feststellung treffen könnte, praktisch nicht durchführbar. Die Entscheidung dem strafverfolgungswilligen Staat zu überlassen hieße letztlich, die Immunitätsgewährung in das politische Ermessen des zur Immunitätsgewährung verpflichteten Staates zu legen und die immunitätsberechtigten Personen schutzlos zu stellen. 86 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 60), para. 58. A.A. (keine Immunität amtierender Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder bei Völkerstraftaten) der jordanische Richter Al-Khasawneh in seinem abweichenden Sondervotum, para. 7 f., und die belgische Ad-hoc-Richterin Van den Wyngaert in ihrem abweichenden Sondervotum, para. 1, 10, 25 ff. Den abweichenden Sondervoten zustimmend Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (250); Schultz, ZaöRV 62 (2002), 703 (705); ihnen zuneigend Zeichen/Hebenstreit, AVR 41 (2003), 182 (194 ff.). 87 Vgl. Weiß, JZ 2002, 696 (698); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 148 Fn. 901. 88 Dem IGH zustimmend neben anderen auch Cassese, International Criminal Law, S. 271 f.; Kreß, GA 2003, 25 (32 f.); Rau, HuV-I 2003, 92 (98); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 461.
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
herausstellten,89 läßt sich entnehmen, daß sie von einer Geltung dieser Immunität selbst bei schwersten Verbrechen ausgingen.90 Die zweite Entscheidung, auf die sich der IGH bezieht, ist das schon erwähnte Urteil der französischen Cour de Cassation im Fall Gaddafi aus dem Jahr 2001, das – anders als noch das Urteil der Vorinstanz – gleichfalls von einer selbst schwerste Verbrechen erfassenden Immunität amtierender Staatsoberhäupter ausging, die Existenz einer Exemtionsausnahme bei völkerrechtlichen Verbrechen also verneinte.91 Von besonderer Bedeutung sind auch der Fall Sharon92 und die mit ihm sowie dem IGH-Urteil in Zusammenhang stehende Änderung der nationalen völkerstrafrechtlichen Normen Belgiens im Jahr 2003. Im Juni 2001 wurde von einigen Palästinensern in Brüssel Anklage unter anderem gegen den damals amtierenden Ministerpräsidenten von Israel, Ariel Sharon, auf der Basis des schon erwähnten belgischen Völkerstrafgesetzes von 1993/9993 wegen Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen erhoben.94 Sharon wurde vorgeworfen, als damaliger israelischer Verteidigungsminister für die im Jahr 1982 in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila im Südlibanon begangenen Massaker verantwortlich zu sein. Damals wurden innerhalb weniger Tage mehrere tausend Flüchtlinge von libanesischen Truppen, die mit den Israelis kooperierten, umgebracht. Sharon selbst soll den Befehl gegeben haben, die Lager nach Terroristen zu durchsuchen und „zu säubern“.95 Zum Zeitpunkt der Anklageerhebung hatte das belgische Völkerstrafgesetz ausdrücklich festgelegt, sämtliche völ-
___________ Vgl. oben Anm. 34 ff. So auch Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (983 mit Fn. 30); Kreß, IYHR 30 (2000), 103 (158); ders., GA 2003, 25 (34). 91 Vgl. oben Anm. 42 und dazugehörigen Text. Siehe auch Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 178 ff.; Kreß, GA 2003, 25 (33) und Ruffert, NILR 2001, 171 (174). 92 Ausführlich zum Fall Sharon Cassese, JICJ 1 (2003), 437 (437 ff.) und Rau, HuV-I 2003, 92 (93 ff.). Siehe zudem Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 181 ff. 93 Loi du 16 juin 1993 relative à la répression des infractions graves aux Conventions internationales de Genève du 12 août 1949 et aux Protocoles I et II du 8 juin 1977, additionnels à ces conventions (Moniteur Belge, 5.8.1993) in der durch die Loi relative à la répression des violations graves du droit international humanitaire (Moniteur Belge, 23.8.1999) geänderten Fassung. Eine englische Übersetzung dieses Gesetzes in seiner 1999 modifizierten Fassung ist abgedruckt in ILM 38 (1999), 918. Vgl. ausführlich zu diesem Gesetz Winants, LJIL 16 (2003), 491 (492 ff.). 94 Vgl. Cassese, JICJ 1 (2003), 437 (437 f.); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 148 sowie FAZ vom 7.7.2001, S. 12. 95 Vgl. Cassese, JICJ 1 (2003), 437 (437 f.); Rau, HuV-I 2003, 92 (93); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 148. 89 90
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kerrechtliche Exemtionen seien bei Strafverfolgungen wegen der erfaßten völkerrechtlichen Verbrechen unbeachtlich.96 Art. 5 Abs. 3 lautete damals: „L’immunité attachée à la qualité officielle d’une personne n’empêche pas l’application de la présente loi.“
Am 26. Juni 2002 entschied jedoch das Appellationsgericht in Brüssel, daß ein Verfahren gegen Sharon unzulässig sei.97 Diese Entscheidung wurde von der belgischen Cour de Cassation am 12. Februar 2003 bestätigt.98 Die Cour de Cassation betonte, solange Sharon Regierungschef Israels sei, sei ein Strafverfahren in Belgien wegen der ihm zukommenden Immunität unzulässig; völkergewohnheitsrechtliche Exemtionen seien (trotz Art. 5 Abs. 3 des belgischen Völkerstrafgesetzes) zu beachten.99 Im April 2003 wurde dann – nicht zuletzt auf erheblichen Druck der USA hin, nachdem Strafverfahren gegen den amtierenden US-Präsidenten George W. Bush und andere hochrangige Repräsentanten der USA wegen angeblich begangener Völkerstraftaten initiiert worden waren – das belgische Völkerstrafgesetz in wesentlichen Teilen geändert.100 Es wurde nicht nur die Möglichkeit von Tatopfern, Verfahren zu initiieren, drastisch eingeschränkt,101 sondern es wurde auch der zuvor festgelegte generelle Exemtionsausschluß durch eine Regel dahingehend ersetzt, daß völkerrechtliche Exemtionen in dem Umfang, in dem sie völkerrechtlich gelten, auch innerstaatlich für die Strafgerichte beachtlich sind. Damit wurde die Entscheidung der Cour de Cassation im Fall Sharon umgesetzt bzw. bestätigt.102 Art. 5 Abs. 3 lautete nach dieser Änderung: ___________ Vgl. Reydams, JICJ 1 (2003), 679 (680); Vandermeersch, JICJ 2 (2004), 133 (143). Vgl. Cassese, JICJ 1 (2003), 437 (438); Ratner, AJIL 97 (2003), 888 (890); Rau, HuV-I 2003, 92 (94); Schultz, ZaöRV 62 (2002), 703 (752); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 148; SZ vom 27.6.2002, S. 7; FAZ vom 27.6.2002, S. 6. 98 Die Entscheidung ist abrufbar unter (31.3.2006). 99 Vgl. Cassese, JICJ 1 (2003), 437 (438 ff.); Dörr, AVR 41 (2003), 201 (212); Ratner, AJIL 97 (2003), 888 (890); Rau, HuV-I 2003, 92 (93, 95); Reydams, JICJ 1 (2003), 679 (680 f.); SZ vom 14.2.2003, S. 9. Während die Vorinstanz in ihrer Entscheidung vom 26.6.2002 die Unzulässigkeit des Verfahrens nicht mit einer Immunität Sharons begründet hatte, sondern damit, daß ein Strafverfahren nach dem Universalitätsprinzip in Abwesenheit des Angeklagten unzulässig sei, bejahte die Cour de Cassation umgekehrt die belgische Strafverfolgungskompetenz nach dem (uneingeschränkten) Weltrechtsprinzip, erachtete das Verfahren gegen Sharon aber wegen dessen Immunität für unzulässig. 100 Loi modifiant la loi du 16 juin 1993 relative à la répression des violations graves du droit international humanitaire et l’article 144ter du Code judiciaire vom 23.4.2003 (Moniteur Belge, 7.5.3003). Englische Übersetzung in ILM 42 (2003), 749. Vgl. zu dieser Novelle Bremer, HuV-I 2000, 4; Ratner, AJIL 97 (2003), 888 (890 f.); Rau, HuV-I 2003, 92 (99 f.); Smis/van der Borght, ILM 42 (2003), 740 (740 ff.); Vandermeersch, JICJ 3 (2005), 400 (402). 101 Siehe hierzu Ratner, AJIL 97 (2003), 888 (890 f.); Vandermeersch, JICJ 3 (2005), 400 (408 ff.). 102 Vgl. Reydams, JICJ 1 (2003), 679 (681). 96 97
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
„L’immunité internationale attachée à la qualité officielle d’une personne n’empêche pas l’application de la présente loi que les limites établies par le droit international.“
Wenn man bedenkt, daß diese Modifikation des Art. 5 Abs. 3 unmittelbar durch die Entscheidung des IGH im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien motiviert worden war,103 ist sie als „Eingeständnis“ Belgiens dahingehend zu interpretieren, daß der zuvor festgelegte Exemtionsausschluß, soweit er sich auch auf amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder bezog, völkerrechtswidrig war. Das im April 2003 novellierte (genauer: signifikant eingeschränkte) belgische Völkerstrafgesetz hatte jedoch nur kurz Bestand. Wegen nicht enden wollender heftiger internationaler Kritik – vor allem weiterhin von seiten der USA, die mit einem Abzug des NATO-Hauptquartiers aus Brüssel gedroht hatten – wurde das mittlerweile gar nicht mehr progressive, sondern hinter den völkerstrafrechtlichen Regeln anderer Staaten, etwa dem deutschen VStGB, zurückbleibende belgische Völkerstrafgesetz schließlich mit Gesetz vom 5. August 2003104 gänzlich abgeschafft; die materiellen völkerstrafrechtlichen Straftatbestände wurden in das belgische Strafgesetzbuch überführt, die extraterritoriale Strafgewalterstreckung Belgiens bei völkerrechtlichen Verbrechen wurde nunmehr in der Strafprozeßordnung geregelt und erneut eingeschränkt.105 Auch in bezug auf die hier allein interessierenden Exemtionsregelungen brachte die (formale) Abschaffung des belgischen Völkerstrafgesetzes weitere Neuerungen. So verweist der durch das belgische Gesetz vom 5. August 2003 neu geschaffene Art. 1bis der Einleitung der belgischen Strafprozeßordnung nun hinsichtlich der für die Strafverfolgungsbehörden beachtlichen Exemtionen nicht mehr bloß auf das Völkerrecht – womit die Gefahr einer fehlerhaften gerichtlichen Bewertung der Völkerrechtslage verbunden war –, sondern es wird jetzt die Reichweite wichtiger völkerrechtlicher Exemtionen präzise und für die Gerichte verbindlich klargestellt. Strafverfahren gegen amtierende Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister fremder Staaten sind nun explizit untersagt; in bezug auf Exemtionen für andere Funktionsträger wird allerdings weiterhin pauschal auf das Völkerrecht einschließlich der für Belgien verbindlichen völkerrechtlichen Verträge verwiesen (Art. 1bis § 1). Darüber hinaus werden fremdstaatliche Funktionsträger, die sich zu dienstlichen Zwecken und auf Einladung entweder der belgischen Regierung oder einer in Belgien ansässigen internationalen Organisation in Belgien aufhalten, für unverletzlich erklärt, so daß gegen sie keine strafprozessualen Zwangsmaßnahmen ___________ So Vandermeersch, JICJ 2 (2004), 133 (144). Loi relative aux violations graves du droit international humanitaire (Moniteur Belge, 7.8.2003). 105 Vgl. Ratner, AJIL 97 (2003), 888 (891); Rau, HuV-I 2003, 212 (212 ff.); Reydams, JICJ 1 (2003), 679 (679 ff.). Siehe ferner FAZ vom 31.7.2003, S. 4; SZ vom 24.6.2003, S. 7. 103 104
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ergriffen werden dürfen (Art. 1bis § 2).106 Art. 1bis der Einleitung der belgischen Strafprozeßordnung lautet: „§ 1er. Conformément au droit international, les poursuites sont exclues à l’égard: – des chefs d’Etat, chefs de gouvernement et ministres des Affaires étrangères étrangers, pendant la période où ils exercent leur fonction, ainsi que des autres personnes dont l’immunité est reconnue par le droit international; – des personnes qui disposent d’une immunité, totale ou partielle, fondée sur un traité qui lie la Belgique. § 2. Conformément au droit international, nul acte de contrainte relatif à l’encontre de toute personne ayant été officiellement invitée à séjourner sur le territoire du Royaume par les autorités belges ou par une organisation internationale établie en Belgique et avec laquelle la Belgique a conclu un accord de siège.“107
Die neue belgische Rechtslage bestätigt somit die umfassenden, auch bei völkerrechtlichen Verbrechen geltenden Exemtionen von amtierenden Staatsoberhäuptern, Regierungschefs und Außenministern.108 Der gegenwärtigen belgischen Regelung sehr ähnlich ist die Exemtionsklausel im neuen niederländischen Völkerstrafgesetz vom 19. Juni 2003.109 Das niederländische Völkerstrafgesetz, das wie das deutsche VStGB ein Spezialgesetz zur Erfassung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ist sowie darüber hinaus Folterhandlungen als solche pönalisiert, bestätigt in § 4 Art. 16 gleichfalls die Geltung der Immunitäten amtierender Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister selbst bei völkerrechtlichen Verbrechen.110 In der vom Europarat vorgelegten englischen Übersetzung lautet § 4 Art. 16 des niederländischen Völkerstrafgesetzes: “Criminal prosecution for one of the crimes referred to in this Act is excluded with respect to
___________ Vgl. Ratner, AJIL 97 (2003), 888 (891). Eine englische Übersetzung findet sich bei Reydams, JICJ 1 (2003), 679 (685). 108 Verfehlt wäre es, aus der Beschränkung der Auflistung geschützter Personen auf amtierende Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister darauf zu schließen, daß nach belgischer Rechtsauffassung andere Fachminister nach Völkergewohnheitsrecht keine Exemtionen genießen. Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister sind deshalb explizit genannt, weil deren Exemtionen nach dem IGH-Urteil nicht mehr zweifelhaft sein können, während die Rechtsstellung sonstiger Fachminister – wie gezeigt wurde – noch nicht abschließend geklärt ist. Hinsichtlich sonstiger Fachminister kommt – nach hier vertretener Auffassung – der Pauschalverweis auf das Völkerrecht in Art. 1bis § 1 der belgischen StPO zum Tragen. 109 Eine englische Übersetzung des Gesetzes ist abrufbar unter (31.3.2006). Siehe allgemein zum niederländischen Völkerstrafgesetz auch Sluiter, JICJ 2 (2004), 158 (173 ff.). 110 Vgl. Sluiter, JICJ 2 (2004), 158 (177 f.). Die auf das belgische Recht bezogenen Feststellungen oben in Anm. 108 gelten mutatis mutandis auch für die niederländische Regelung. 106 107
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
a) foreign heads of state, heads of government and ministers of foreign affairs, as long as they are in office, and other persons in so far as their immunity is recognised under customary international law; b) persons who have immunity under any Convention applicable within the Kingdom of the Netherlands.”
Das OLG Köln betonte in seinem schon erwähnten Beschluß vom 16. Mai 2000, mit dem es die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den damaligen irakischen Staatspräsidenten Saddam Hussein für unzulässig erklärt hat, selbst wenn die Hussein vom Anzeigeerstatter vorgeworfenen Taten nach Völkergewohnheitsrecht als Völkerstraftaten zu klassifizieren seien, entfalle die Immunität als Staatsoberhaupt nicht.111 Angeführt werden können hier ferner die bereits erwähnten Entscheidungen der spanischen Audiencia National im Fall Fidel Castro112 und der französischen Staatsanwaltschaft im Fall Kabila113 sowie letztlich auch der Beschluß des BGH aus dem Jahr 1984, der eine Strafverfolgung Honeckers wegen dessen Immunität als Staatsoberhaupt der DDR für unzulässig erklärte.114 Die für eine Immunitätsausnahme bei völkerrechtlichen Verbrechen und (sonstigen) schweren Menschenrechtsverletzungen ins Feld geführten Argumente vermögen dagegen nicht zu überzeugen. Soweit (zutreffend) darauf hingewiesen wird, Art. 7 Statut des Nürnberger Militärgerichtshofs habe explizit eine Nichtgeltung der Exemtionen für Staatsoberhäupter festgelegt,115 ist dem zum einen entgegenzuhalten, daß bereits bei Verabschiedung dieses Statuts klar war, daß es angesichts des Ziels der Alliierten, das Deutsche Reich vollständig niederzuwerfen und die deutsche Hoheitsgewalt vollständig zu übernehmen, allenfalls gegen ehemalige Staatsoberhäupter zur Anwendung gebracht werden würde.116 Zum anderen konnten – wie oben in § 6 II.1.c)bb) dargelegt – völkerrechtliche Exemtionen von vornherein der Strafgewalt des Nürnberger Gerichtshofs keine Schranken setzen, da es sich um ein Gericht der Alliierten handelte, diese aber als Inhaber der deutschen Hoheitsgewalt nicht an dem Deutschen Reich zukommende Exemtionen gebunden waren. Art. 7 IMT-Statut kann daher nicht als Beleg für eine völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme der ___________ OLG Köln, NStZ 2000, 667 (667 f.). Siehe auch Kreß, GA 2003, 25 (33 f.). Vgl. oben Anm. 45 und dazugehörigen Text. 113 Vgl. oben Anm. 46 und dazugehörigen Text. 114 Vgl. oben Anm. 47 und dazugehörigen Text. 115 Art. 7 IMT-Statut lautete: „Die amtliche Stellung eines Angeklagten, sei es als Oberhaupt eines Staates oder als verantwortlicher Beamter in einer Regierungsabteilung, soll weder als Strafausschließungsgrund noch als Strafmilderungsgrund gelten.“ Vgl. hierzu näher oben § 6 II.1.c)bb). 116 So auch Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (865) und Ruffert, NILR 2001, 171 (181). 111 112
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Immunität für amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder bei völkerrechtlichen Verbrechen angeführt werden. Interessanterweise enthielt Art. 6 Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für den Fernen Osten keine ausdrückliche Immunitätsausnahme für Staatsoberhäupter.117 Der japanische Kaiser, der Tenno, war auch nach der Kapitulation Japans im Amt geblieben. Allerdings ist fraglich, ob diese Abweichung des Art. 6 IMTFEStatut von seinem „Vorbild“, dem Art. 7 IMT-Statut, darauf zurückzuführen ist, daß die Alliierten eine Strafverfolgung des amtierenden Staatsoberhaupts Japans für völkerrechtlich unzulässig hielten. Vieles spricht dafür, daß eine Strafverfolgung des Kaisers – vor allem von den tonangebenden USA – jedenfalls primär für politisch inopportun erachtet wurde.118 So protestierten denn auch einige der „kleineren“ Alliierten, namentlich Australien, heftig gegen die Nichtverfolgung des Tenno und vertraten die Auffassung, Art. 6 IMTFE schließe eine Verfolgung des Kaisers nicht aus.119 Doch kann andererseits die Diskrepanz zwischen Art. 7 IMTStatut und Art. 6 IMTFE-Statut nicht unbeachtet bleiben. Zusammen mit der (politischen) Entscheidung, den amtierenden Kaiser unbehelligt zu lassen, kann sie als Indiz für eine Geltung völkerrechtlicher Exemtionen für amtierende Staatsoberhäupter selbst bei völkerrechtlichen Verbrechen gelten; zumindest aber kann auch das „Tokioter Recht“ nicht als Beleg für die völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung einer Exemtionsausnahme bei völkerrechtlichen Verbrechen dienen. Zwar bestätigte die UN-Generalversammlung 1946 durch Resolution 95 (I) die „Nürnberger Prinzipien“120 und zählte die ILC im Jahr 1950 zu diesen Prinzipien auch die Regel, daß Staatsoberhäupter nicht von einer Verantwortlichkeit für Völkerstraftaten befreit seien,121 doch kann angesichts der insofern überaus beschränkten Aussagekraft des IMT-Statuts und des IMTFE-Statuts diesbezüglich nicht von einem nach Nürnberg und Tokio völkergewohnheitsrechtlich allgemein anerkann___________ 117 Art. 6 IMTFE-Statut lautete: “Responsibility of the Accused. Neither the official position, at any time, of an accused, nor the fact that an accused acted pursuant to an order of his government or of a superior shall, of itself, be sufficient to free such accused from responsibility for any crime with which he is charged, but such circumstance may be considered in mitigation of punishment if the Tribunal determines that justice so requires.” Vgl. hierzu näher oben § 6 II.1.c)cc). 118 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 255 f.; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 114 Fn. 696. 119 Vgl. Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 155 f., der gleichfalls die Auffassung vertritt, auch der japanische Kaiser sei als eine Person mit “official position” zu klassifizieren und damit vom Exemtionsausschluß des Art. 6 IMTFE-Statut erfaßt gewesen. 120 Resolution 95 (I) vom 11.12.1946; UNYB 1946/47, S. 254. Vgl. hierzu schon oben § 6 II.1.c)bb) am Ende. 121 Als drittes Prinzip formulierte die ILC folgenden Satz: “The fact that a person who committed an act which constitutes a crime under international law acted as Head of State or responsible Government official does not relieve him from responsibility under international law.” Vgl. YBILC 1950 II, 192, 374 f.
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
tem Prinzip gesprochen werden. Die Resolution 95 (I) selbst konnte einem solchen Prinzip der generellen Nichtgeltung völkerrechtlicher Exemtionen für Staatsoberhäupter bei völkerrechtlichen Verbrechen keine normative Wirkung verschaffen, da die UN-Generalversammlung nicht zur völkerrechtlichen Normsetzung befugt ist. Zwar können grundsätzlich auch Resolutionen der UN-Generalversammlung Ausdruck einer Rechtsüberzeugung sein und insofern zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht beitragen. Doch reicht die Resolution 95 (I) allein nicht aus, eine völkergewohnheitsrechtliche Exemtionsausnahme zu begründen, zumal die von der ILC 1950 ausformulierten Prinzipien nie die Bestätigung der UN-Generalversammlung fanden.122 Allerdings legen auch Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut123 und der wortgleiche Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut124 eine generelle Nichtgeltung der Exemtionen von (amtierenden) Staatsoberhäuptern fest.125 Gleiches gilt für Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut.126 Doch ist insofern zu beachten, daß die Statuten des ICTY und ICTR vom UNSicherheitsrat erlassen wurden. Die UN-Mitgliedstaaten aber sind gemäß Art. 25 UN-Charta verpflichtet, dessen Maßnahmen zu akzeptieren, so daß man – wie bereits oben in § 9 I.2.b) dargelegt wurde – von einem antizipierten Verzicht der UNMitgliedstaaten auf ihnen zukommende Exemtionen bei Strafverfolgungsmaßnahmen durch die UN-Strafgerichtshöfe sprechen kann. In bezug auf das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs haben die Vertragsstaaten durch ihre Ratifikation des Statuts und damit durch ihr Einverständnis mit Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut gleichfalls auf ihnen zukommende Exemtionen verzichtet, soweit es um Strafverfolgungsmaßnahmen durch den IStGH geht. Ein solcher Verzicht ist aber beschränkt auf ein Einverständnis mit Maßnahmen dieser internationalen Strafgerichtshöfe. Es wäre unzulässig, aus Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut, Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut und Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut auf ein generelles Einverständnis der
___________ Siehe zur unterbliebenen Akzeptanz der von der ILC formulierten Prinzipien durch die UN-Generalversammlung oben § 6 II.1.c)bb). 123 Abgedruckt in ILM 32 (1993), 1192 und in BT-Drucks. 13/57 (dort auch dt. Übersetzung). Internetquelle: (31.3.2006). 124 Abgedruckt in ILM 33 (1994), 1602 und in BT-Drucks. 13/7953 (dort auch dt. Übersetzung). Internetquelle: (31.3.2006). 125 Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut lauten: “The official position of any accused person, whether as Head of State or Government or as a responsible Government official, shall not relieve such person of criminal responsibility nor mitigate punishment.” 126 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17.7.1998, BGBl. 2000 II, S. 1393. Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut formuliert pauschal: “Immunities or special procedural rules which may attach to the official capacity of a person, whether under national or international law, shall not bar the Court from exercising its jurisdiction over such a person.” 122
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Staaten auch mit einer Strafverfolgung ihrer Staatsoberhäupter durch nationale Gerichte anderer Staaten zu schließen.127 Zwar wurde bereits darauf hingewiesen, daß sich sowohl die Gerichtsbarkeit der UN-Strafgerichtshöfe als auch die des IStGH auch auf Funktionsträger von NichtUN-Staaten bzw. Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts erstrecken und die generellen Exemtionsausschlüsse auch bei einer Strafverfolgung solcher Personen Geltung beanspruchen. In solchen Fällen kann die Verzichtsargumentation nicht herangezogen werden; vielmehr ist eine Nichtbeachtung völkerrechtlicher Exemtionen von Funktionsträgern von Nicht-UN-Staaten bzw. Nichtvertragsstaaten lediglich dann legitimiert, wenn eine allgemeine völkergewohnheitsrechtliche Exemtionsausnahme anerkannt ist.128 Doch selbst wenn – was hier zunächst offengelassen werden kann – die Tatsache, daß sich die Exemtionsausschlüsse in den Statuten der Internationalen Strafgerichtshöfe auch auf Funktionsträger von NichtUN-Staaten bzw. Nichtvertragsstaaten erstrecken, eine völkergewohnheitsrechtliche Exemtionsausnahme begründen könnte, so wäre eine solche völkergewohnheitsrechtliche Exemtionsausnahme doch auf Strafverfolgungen durch internationale Strafgerichtshöfe beschränkt. Möglicherweise hat sich also durch die Akzeptanz, die Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut, Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut und Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut weltweit gefunden haben, eine völkergewohnheitsrechtliche Regel dahingehend gebildet, daß bei Strafverfolgungen durch diese Gerichte völkerrechtliche Exemtionen, auch solche von amtierenden Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern, generell nicht gelten.129 Doch könnte hieraus nicht auf eine ebensolche gewohnheitsrechtliche Ausnahme bei einer Strafverfolgung durch fremde Staaten, also auf nationaler Ebene, geschlossen werden.130 Allein um die Frage ___________ 127 So auch Lord Goff of Chieveley in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 69 (72); Cassese, JICJ 1 (2003), 437 (441 f.); Paulus, EJIL 14 (2003), 843 (858); Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 228; Weiß, JZ 2002, 696 (701). Vgl. in bezug auf die diplomatischen und konsularischen Exemtionen bereits oben § 14 I.2.b). Siehe auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1018 sowie IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 60), para. 58: “(…) The Court has also examined the rules concerning the immunity or criminal responsibility of persons having an official capacity contained in the legal instruments creating international criminal tribunals, and which are specifically applicable to the latter (…). It finds that these rules likewise do not enable it to conclude that any such an exception exists in customary international law in regard to national courts.” A.A. aber die belgische Ad-hoc-Richterin Van den Wyngaert in ihrem abweichenden Sondervotum zum IGH-Urteil, para. 29 ff. sowie Kleffner, JICJ 1 (2003), 86 (106) und Wouters, LJIL 16 (2003), 253 (261), die annehmen, mit der Zustimmung zu Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut hätten die Vertragsstaaten angesichts der bloß subsidiären Funktion des IStGH zugleich implizit einen Immunitätsverzicht in bezug auf vorrangige nationale Strafverfolgungen ausgesprochen. Für einen solchen impliziten Verzicht gibt es aber keinerlei Anhaltspunkte. 128 Vgl. hierzu näher unten § 17 I.3.a). 129 Siehe hierzu unten § 17 I.3.a). 130 So auch Lord Goff of Chieveley in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 69 (72); Buffard, in: Karl (Hrsg.), Völker- und Europarecht, S. 35
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einer Ausnahme von den Exemtionen amtierender Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder bei einer solchen nationalen Strafverfolgung geht es aber hier. Eine Nichtgeltung der Exemtionen für amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder kann grundsätzlich auch nicht mit einem Vorrang völkervertraglicher Bestrafungspflichten bei völkerrechtlichen Verbrechen und (sonstigen) schweren Menschenrechtsverletzungen begründet werden. Zwar verdrängen die Bestrafungspflichten nach den Genfer Abkommen von 1949131 und deren Zusatzprotokoll I von 1977132, der UN-Folterkonvention133 sowie der Apartheidkonvention134 – wie oben in § 6 I. gezeigt – die Staatenimmunität. Dies wurde damit begründet, daß die Bestrafungspflichten ansonsten weitgehend leerliefen. Doch können mit diesem Argument nicht eine (implizit angeordnete) Nichtgeltung der Immunitäten ratione personae und Unverletzlichkeiten von amtierenden Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern begründet werden. Bei der Erörterung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen wurde bereits dargelegt, daß diese nicht durch völkervertragliche Bestrafungspflichten verdrängt werden, sondern vielmehr umgekehrt die Bestrafungspflichten durch die als leges speciales zu begreifenden Exemtionsregelungen verdrängt werden, letztere also vorrangig sind.135 Dies gilt auch für die – in ihrer Reichweite mit den Exemtionen für Diplomaten deckungsgleichen – Immunitäten ratione personae und Unverletzlichkeitsgewährleistungen für amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder. Diese Exemtionen können also nicht unter Hinweis auf völkerrechtliche Bestrafungspflich-
___________ (47); Cassese, JICJ 1 (2003), 437 (441 f.); Häußler, in: Hasse u.a. (Hrsg.), Menschenrechte, S. 562 (571, 587); Ruud, Pinochet Case, S. 26. 131 I. Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde vom 12.8.1949 (BGBl. 1954 II, S. 783); II. Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See vom 12.8.1949 (BGBl. 1954 II, S. 813); III. Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 12.8.1949 (BGBl. 1954 II, S. 838); IV. Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12.8.1949 (BGBl. 1954 II, S. 917). 132 Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) vom 8.6.1977 (BGBl. 1990 II, S. 1551). 133 Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984; BGBl. 1990 II, S. 246. 134 International Convention on the Suppression and Punishment of the Crime of Apartheid vom 30.11.1973; UNTS 1015, 243 = ILM 13 (1974), 51. 135 Siehe oben § 14 I.2.a)cc). Für die Annahme eines solchen Vorrangs braucht man – anders als in der Literatur zum Teil behauptet wird, vgl. etwa Orakhelashvili, AJIL 96 (2002), 677 (681 ff.); ders., GYIL 45 (2002), 227 (255 ff.) – das Konzept des ius cogens nicht zu bemühen. Die (richtige) Feststellung, daß völkerrechtliche Exemtionen nicht den Charakter von ius cogens haben, spricht daher nicht gegen die hier aufgezeigte Vorrangregel. Allerdings könnte diese Vorrangregel nicht gelten, wenn die Bestrafungspflichten ihrerseits ius cogens-Charakter hätten. Doch ist dies – entgegen einer unter anderem von Orakhelashvili, a.a.O., vertretenen Auffassung – nicht der Fall.
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ten überwunden werden.136 Das hat der IGH – wie bereits oben in § 14 I.2.a)cc) erwähnt wurde – in seiner Entscheidung im Fall Demokratische Republik Kongo ./. Belgien mit aller Deutlichkeit bestätigt: “59. It should further be noted that the rules governing the jurisdiction of national courts must be carefully distinguished from those governing jurisdictional immunities: jurisdiction does not imply absence of immunity, while absence of immunity does not imply jurisdiction. Thus, although various international conventions on the prevention and punishment of certain serious crimes impose on States obligations of prosecution or extradition, thereby requiring them to extend their criminal jurisdiction, such extension of jurisdiction in no way affects immunities under customary law, including those of Ministers of Foreign Affairs. These remain opposable before the courts of a foreign State, even where those courts exercise such a jurisdiction under these conventions.”137
Doch auch diese Vorrangregel gilt nicht ohne Ausnahme: Dann, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag, der eine Bestrafungspflicht normiert, explizit bestimmt, daß bestimmte Exemtionen einer Bestrafung nicht entgegengehalten werden dürfen, ist ausnahmsweise umgekehrt von einem Vorrang der Bestrafungspflicht, also von einer vertraglichen Derogation dieser Exemtionen, auszugehen. Eine solche Bestimmung aber trifft lediglich138 die UN-Völkermordkonvention139 mit ihrem Art. IV, in dem es heißt: „Personen, die Völkermord oder eine der sonstigen in Artikel III aufgeführten Handlungen begehen, sind zu bestrafen, gleichviel ob sie regierende Personen, öffentliche Beamte oder private Einzelpersonen sind.“
Zwar umfaßt dieser vertragliche Exemtionsausschluß auch amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder,140 doch ist er – wie schon oben in § 6 I.1. ___________ So auch Lord Phillips of Worth Matravers in seinem Votum zum dritten PinochetUrteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 102 (107) sowie bezogen auf die UN-Folterkonvention in ihren Voten zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999 Lord Goff of Chieveley, HRLJ 1999, 69 (75) und Lord Millett, HRLJ 1999, 97 (101); ferner Buffard, in: Karl (Hrsg.), Völker- und Europarecht, S. 35 (48 ff.) und Rensmann, IPRax 1999, 268 (272). Buffard, a.a.O. weist zu Recht darauf hin, daß in der UN-Folterkonvention (anders als etwa in der Völkermordkonvention) kein expliziter Ausschluß der Immunität für höchste staatliche Funktionsträger normiert ist. 137 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 60), para. 59. 138 A.A. Cassese, International Criminal Law, S. 272; Fox, ICLQ 48 (1999), 687 (700); Orakhelashvili, GYIL 45 (2002), 227 (252 f.); Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 159, 210 Fn. 293. Wie hier dagegen Buffard, in: Karl (Hrsg.), Völker- und Europarecht, S. 35 (48 f.) in ihrer zutreffenden Auslegung der UN-Folterkonvention. 139 Vgl. oben Anm. 81. 140 Lord Phillips of Worth Matravers in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 102 (107); Cassese, International Criminal Law, S. 272; Häußler, in: Hasse u.a. (Hrsg.), Menschenrechte, S. 562 (569); Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 359 Fn. 1558; Schabas, Genozid im Völkerrecht, S. 418 ff.; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 159, 210 Fn. 293; Weiß, JZ 2002, 696 (701); Wirth, NStZ 2001, 665 (667); ders., CLF 12 (2001), 429 (445 Fn. 76). Siehe aber auch Robinson, Genocide Convention, S. 70 f. und Schabas, a.a.O., S. 421 f., die berichten, in einem Entwurf des Art. IV 136
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
dargelegt – in gleich zweifacher Hinsicht beschränkt. Zum einen kann er nur im Verhältnis der Vertragsstaaten der Konvention untereinander gelten, also nur dann, wenn sowohl der strafverfolgungswillige Staat als auch der Staat, dessen Staatsoberhaupt bzw. Regierungsmitglied die beschuldigte Person ist, die Konvention ratifiziert hat. Zum anderen ist Art. IV UN-Völkermordkonvention im Zusammenhang mit Art. VI der Konvention zu sehen, der – neben einem internationalen Strafgericht – nur den Tatortstaat zu einer Strafverfolgung anhält. Der durch Art. IV festgelegte Exemtionsausschluß gilt mithin lediglich bei Strafverfolgungen durch den Tatortstaat.141 Damit aber dürfte ihm kaum praktische Relevanz zukommen. Die Gewährung uneingeschränkter Immunität ratione personae und Unverletzlichkeit für amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder ist auch völkerrechtspolitisch richtig.142 Zwar ist es geboten, der verbreiteten Straflosigkeit der für völkerrechtliche Verbrechen Verantwortlichen entgegenzuwirken. Insofern ist es richtig und völkerrechtlich grundsätzlich statthaft, wenn auch Drittstaaten nach dem Weltrechtsprinzip gegen die Täter vorgehen.143 Grundsätzlich ist es auch geboten, an der Staatsspitze stehende Personen bei von ihnen zu verantwortenden schwersten Staatsverbrechen nicht straffrei zu lassen, schließlich sind diese Perso___________ der Konvention sei noch von “Heads of State” die Rede gewesen, dieser Begriff sei aber auf Drängen Schwedens durch “constitutionally responsible rulers” („regierende Personen“) ersetzt worden, um Monarchen von der Exemtionsausnahme auszuschließen. Daher erfasse Art. IV UN-Völkermordkonvention Monarchen nicht, wohl aber andere Staatsoberhäupter (wie Präsidenten). Diese Differenzierung kann aber heutzutage angesichts der völkerrechtlichen Gleichstellung sämtlicher Staatsoberhäupter keine Geltung mehr beanspruchen; sie zielte ohnehin allein darauf ab, nationale Exemtionen von Monarchen zu achten, zu deren Einhaltung sich einige Staaten von Verfassungs wegen verpflichtet sahen, nicht aber darauf, Monarchen anders als etwa Präsidenten einen Schutz durch besondere völkerrechtliche Exemtionen zu belassen. Ähnlich wie hier auch MK-StGB-Kreß, § 220a/§ 6 VStGB, Rn. 116, der eine Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Staatsoberhäuptern angesichts der Weiterentwicklung des Völkergewohnheitsrechts gleichfalls für überholt hält. 141 So auch Lord Slynn of Hadley in seinem Votum zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 419 (424); Jescheck, ZStrR 72 (1957), 217 (241) und die belgische Cour de Cassation im Urteil vom 12.2.2003 zum Fall Sharon; vgl. Cassese, JICJ 1 (2003), 437 (439); Rau, HuV-I 2003, 92 (96). Der Cour de cassation zustimmend Cassese, a.a.O., S. 441; ihre Entscheidung ablehnend Rau, HuV-I 2003, 92 (98 f.). Zu ungenau Wirth, NStZ 2001, 665 (667). Siehe auch Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 359 Fn. 1558. 142 So auch MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 142; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 1019; Fastenrath, FAZ vom 18.1.1999, S. 14; Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (985 ff.); Maierhöfer, EuGRZ 2003, 545 (552 f.); Simma/Paulus, AJIL 93 (1999), 302 (314 f.); Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 228 Fn. 27; Zappalà, EJIL 12 (2001), 595 (607). A.A. Eser, IYHR 24 (1995), 201 (219 f.); ders., in: Schmoller (Hrsg.), FS Triffterer, S. 755 (772 f.); Zeichen/Hebenstreit, AVR 41 (2003), 182 (198). 143 Siehe hierzu Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 252 ff. m.w.N.
§ 17 Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder
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nen in aller Regel in besonderem Maße für solche Taten verantwortlich, weil sie einerseits nicht „nur“ ausführende Organe sind, sondern solche Taten regelmäßig initiieren und steuern, andererseits aber in der Lage wären, diesen Verbrechen Einhalt zu gebieten. Doch ist es im Interesse eines effektiven Menschenrechtsschutzes angezeigt, auch mit Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern, denen völkerrechtliche Verbrechen zur Last gelegt werden, zu kommunizieren und sie nicht von den internationalen Beziehungen auszuschließen, schon allein deshalb, um auf ihre Politiken Einfluß nehmen zu können. Dies ist aber nur möglich, wenn ihnen während ihrer Amtszeit, also solange, wie sie als Ansprechpartner und Vertreter ihres Staates im Rahmen der internationalen Beziehungen fungieren, umfassender Schutz vor fremdstaatlicher Strafverfolgung zukommt.144 Als Fazit ist damit festzuhalten: Die Exemtionen amtierender Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder gegenüber der Strafgerichtsbarkeit fremder Staaten gelten absolut. Sie stehen auch dann einer Strafverfolgung entgegen, wenn sich der Tatvorwurf auf völkerrechtliche Verbrechen oder (sonstige) schwere Menschenrechtsverletzungen bezieht. Lediglich Art. IV UN-Völkermordkonvention trifft eine völkervertraglich normierte Sonderregelung, die in ihrem überaus engen Anwendungsbereich diese völkergewohnheitsrechtliche Exemtion verdrängt. Es muß allerdings nachdrücklich betont werden, daß sich diese Feststellung zum einen allein auf die Exemtionen für amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder bezieht und zum anderen zunächst lediglich die Geltung der Exemtionen bei einer nationalen Strafverfolgung durch fremde Staaten untersucht wurde. Ob auch ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen bzw. schweren Menschenrechtsverletzungen genießen und ob die Exemtionen auch einer supranationalen Strafverfolgung durch internationale Strafgerichtshöfe entgegenstehen, ist damit noch nicht entschieden.145 ee) Räumliche Reichweite der Exemtionen Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß ein Staatsoberhaupt oder Regierungsmitglied nicht nur gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Staates Exemtionen ge___________ 144 Diesen Grund für eine Immunitätsgewährung berücksichtigt Eser, IYHR 24 (1995), 201 (219 f.); ders., in: Schmoller (Hrsg.), FS Triffterer, S. 755 (772 f.) nicht hinreichend, wenn er ausgehend von der richtigen Feststellung, „einfache“ Funktionsträger genössen bei Kriegsverbrechen keine (Staaten-)Immunität, betont, dann sollten auch amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder keine Exemtionen genießen. 145 Zur Frage, ob ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder durch völkerrechtliche Exemtionen vor einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger schwerer Menschenrechtsverletzungen geschützt sind, vgl. unten § 17 I.2.b)bb). Zur Frage, ob die Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder der Strafgerichtsbarkeit supranationaler Gerichtshöfe Schranken setzen, vgl. unten § 17 I.3.
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
nießt, in dessen Gebiet er sich gerade aufhält, sondern – wie der Entscheidung des IGH im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien zu entnehmen ist – auch dann der Strafgewalt anderer Staaten entzogen ist, wenn er sich in seinem Heimatstaat aufhält. Die Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder wirken damit erga omnes.146 Da die hier betrachteten Exemtionsregelungen zum universellen Völkergewohnheitsrecht gehören, ist es jedem Staat untersagt, gegen fremde Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder Strafverfolgungsaktivitäten zu entfalten. Dies gilt unabhängig vom gegenwärtigen Aufenthaltsort der betreffenden Person und auch unabhängig davon, ob eine Einreise in den strafverfolgungswilligen Staat geplant ist oder nicht. Anders als die sachliche Reichweite der Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder differiert deren räumliche Reichweite damit deutlich von der Reichweite der Exemtionen für Diplomaten nach dem WÜD.147 Denn wie gezeigt wurde, genießen Diplomaten ihre Exemtionen nach Art. 29, 31 WÜD nur im jeweiligen Empfangsstaat.148 ff) Zeitliche Reichweite der Exemtionen und Möglichkeit eines Verzichts Die Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder beginnen in dem Moment, in dem die betreffenden Personen nach der Verfassungsordnung ihres Staates das Amt des Staatsoberhaupts oder Regierungsmitglieds tatsächlich antreten. Angesichts der skizzierten Gründe für die Gewährung umfassender Immunität ratione personae, persönlicher Unverletzlichkeit und einer Befreiung von den Zeugenpflichten ist es ohne weiteres einsichtig, daß diese Exemtionen mit Funktionsbeendigung, also zu dem Zeitpunkt, zu dem nach der Verfassungsordnung des betreffenden Staates das Amt als Staatsoberhaupt bzw. Regierungsmitglied endet, erlöschen. Die Immunität ratione personae, die Unverletzlichkeit und die Befreiung von den Zeugenpflichten überdauern die Amtszeit der geschützten Person nicht.149 Denn nach dem Amtsverlust stellt eine Strafverfolgung des ehemaligen ___________ Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 36; Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (53); Zappalà, EJIL 12 (2001), 595 (598 ff.); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 46, 59 Fn. 323. 147 Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 36; Zappalà, EJIL 12 (2001), 595 (598 Fn. 20); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 46. 148 Siehe oben § 15 I. 149 Lord Browne-Wilkinson in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 61 (68); Lord Goff of Chieveley in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 69 (71); Lord Saville of Newdigate in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 96 (96); Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 106; Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (864); ders., International Criminal Law, S. 264, 266, 273; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 254; Deen-Racsmány, LJIL 18 (2005), 299 (313); Doehring, Völkerrecht, Rn. 672; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (205); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 35; Fischer-Lescano, KJ 2005, 72 (81); Frulli, JICJ 2 (2004), 1118 (1126); Gaeta, JICJ 1 (2003), 186 (187); Gornig, 146
§ 17 Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder
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Amtsinhabers keine Beeinträchtigung der Würde oder Souveränität „seines“ Staates mehr dar und kann auch keine negativen Auswirkungen mehr auf die Interaktionsfähigkeit der politischen Funktionsträger der Staaten haben. Die Exemtionen von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern können zudem durch einen Verzicht erlöschen. Wie sämtliche andere völkerrechtliche Exemtionen sind auch die für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder verzichtbar.150 Da auch diese Exemtionen nicht im persönlichen Interesse des jeweiligen Funktionsträgers, sondern allein im Interesse des betreffenden Staates zu gewähren sind, der jeweilige Funktionsträger also nur von den ihm zukommenden Exemtionen profitiert, ohne einen subjektiven Rechtsanspruch auf deren Gewährung zu besitzen, ist aber nur der Staat, dessen Oberhaupt bzw. Regierungsmitglied eine Person ist, zum Verzicht auf die dieser Person zukommenden Exemtionen berechtigt.151 Auf ein persönliches Einverständnis des betreffenden Staatsoberhaupts oder Regierungsmitglieds kommt es nicht an, ein persönlicher Widerspruch ist unerheblich.152
___________ NJ 1992, 4 (13); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 456; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 36; Khan/Landwehr, Jura 2004, 485 (491); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 11; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 95; Schweitzer/Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis, Rn. 960; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1497; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 119, 208; Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (88, 112); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 449, 457; Wirth, Jura 2000, 70 (72); ders., CLF 12 (2001), 429 (432, 446, 457); ders., NStZ 2001, 665 (666); ders., EJIL 13 (2002), 877 (883); Zappalà, EJIL 12 (2001), 595 (600); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 50, 152. Fälle aus der Staatenpraxis, in denen ehemalige Staatsoberhäupter von fremden Staaten strafrechtlich verfolgt wurden, bestätigen den Wegfall der Exemtionen bei Funktionsbeendigung. Vgl. zu diesen Fällen (sowie zur älteren Literatur) Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 87 f. und Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 40 ff., 162 ff. Wie die vorstehende Literatur auch Art. 13 Resolution Immunities from Jurisdiction and Execution of Heads of State and Heads of Government in International Law des Institut de Droit International vom 26.8.2001, abrufbar unter (31.3.2006). A.A. aber Black-Branch, in: Woodhouse (Hrsg.), Pinochet Case, S. 93 (105). 150 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 60), para. 61; Lord Saville of Newdigate in seinem Votum zum dritten PinochetUrteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 96 (96); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 106; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 254; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 35; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 209 f.; Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (67); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 55. Wie die vorstehende Literatur auch Art. 7 Abs. 1 der Resolution Immunities from Jurisdiction and Execution of Heads of State and Heads of Government in International Law des Institut de Droit International vom 26.8.2001, abrufbar unter (31.3.2006). 151 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 60), para. 61; MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 106; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 210. A.A. Bröhmer, LJIL 12 (1999), 361 (367). 152 So auch Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 203 Fn. 256.
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
Insofern gilt nichts anderes als für die diplomatischen und konsularischen Exemtionen.153 Während die Feststellung, daß ein Verzicht rechtlich von dem hinter der geschützten Person stehenden Staat stammen muß, keine Schwierigkeiten bereitet, ist die Frage, wer für diesen Staat einen Verzicht aussprechen kann, nicht so einfach zu beantworten. Befugt, für den betreffenden Staat einen Verzicht auszusprechen, sind die Personen, die den Staat im Völkerrechtsverkehr vertreten können. Insofern erscheint es sachgerecht, auf Art. 7 Abs. 2 lit. a) WVRK154 zu rekurrieren. Auch ohne besondere Vollmacht vertretungsbefugt sind danach das Staatsoberhaupt, der Regierungschef und der Außenminister eines Staates. Diese Regelung gilt nicht nur für den Bereich des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge, sondern ist verallgemeinerungsfähig. Daher können das Staatsoberhaupt, der Regierungschef und der Außenminister einen – auch sie selbst betreffenden – Verzicht zwar nicht als Privatpersonen für sich, wohl aber für „ihren“ Staat erklären.155 Bei der Erklärung eines Verzichts einer solchen Person auf eine ihr selbst zukommende Exemtion ist davon auszugehen, daß sie diese Erklärung nicht als Privatperson abgibt, sondern in ihrer amtlichen Funktion als – völkerrechtlich betrachtet – vertretungsbefugtes Organ ihres Staates.156 Da nach Völkerrecht die völkerrechtliche Vertretungsbefugnis eines Regierungschefs und Außenministers unbeschränkt ist und vor allem unabhängig ist von eventuellen Restriktionen nach innerstaatlichem Recht des jeweiligen Staates, ist auch ein Verzicht eines Regierungschefs und Außenministers auf die „ihrem“ Staatsoberhaupt zukommenden Exemtionen völkerrechtlich wirksam,157 und zwar unabhängig davon, ob das betreffende Staatsoberhaupt eine protokollarisch höhere Stellung einnimmt und ohne Rücksicht darauf, ob nach innerstaatlichem Recht der Regierungschef oder Außenminister für bestimmte rechtswirksame Handlungen die Genehmigung des Staatsoberhaupts benötigt.158
___________ Siehe diesbezüglich oben § 13 IV. Siehe oben Anm. 4. 155 Der Verzicht muß nicht explizit erklärt werden, sondern kann auch konkludent, etwa durch Auslieferung der betreffenden Person an einen anderen Staat zum Zwecke ihrer strafrechtlichen Verfolgung, erteilt werden. Vgl. Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 209. 156 Siehe auch Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (67 f.); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 55 f. 157 So auch Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (67 f.). 158 So liegt beispielsweise in Deutschland nach dem Grundgesetz (Art. 59 Abs. 1 Satz 1 GG) die völkerrechtliche Vertretungsmacht ausschließlich beim Bundespräsidenten. 153 154
§ 17 Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder
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b) Exemtionen für ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder Auch wenn die Immunitäten ratione personae, die Unverletzlichkeitsgewährleistungen und die Befreiungen von den Zeugenpflichten mit Funktionsbeendigung – wie dargelegt – erlöschen, so heißt dies doch nicht, daß ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder gar keine völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit mehr genießen. In der Rechtsprechung und völkerrechtlichen Literatur wird vielmehr immer wieder darauf hingewiesen, daß ehemalige Staatsoberhäupter zwar wegen vor ihrer Amtszeit begangener Taten sowie wegen während ihrer Amtszeit begangener privater Straftaten fremdstaatlicher Strafgerichtsbarkeit in gleicher Weise wie andere Personen unterlägen, daß aber ihre während der Amtszeit vorgenommenen dienstlichen Handlungen zeitlich unbegrenzt der Hoheitsgewalt und damit auch Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten entzogen seien.159 aa) Die fortgeltende Immunität ratione materiae als Anwendungsfall der Staatenimmunität Begründet wird die zeitlich unbegrenzte Fortdauer einer (während der Amtszeit von der umfassenden Immunität ratione personae überdeckten160) Immunität ___________ So in ihren Voten zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998 Lord Slynn of Hadley, HRLJ 1998, 419 (423 ff.), Lord Lloyd of Berwick, HRLJ 1998, 428 (430 ff.) und Lord Steyn, HRLJ 1998, 439 (441); in ihren Voten zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999 Lord Browne-Wilkinson, HRLJ 1999, 61 (68), Lord Goff of Chieveley, HRLJ 1999, 69 (71), Lord Hutton, HRLJ 1999, 89 (90) und Lord Saville of Newdigate, HRLJ 1999, 96 (96); zudem OLG Köln, NStZ 2000, 667 (667); Bröhmer, LJIL 12 (1999), 361 (367 f.); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 254; Doehring, Völkerrecht, Rn. 672; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (205 f.); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 35; Gornig, NJ 1992, 4 (13); ders., in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (484); Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 51; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 451, 456; Khan/Landwehr, Jura 2004, 485 (491); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 11; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 95; Schweitzer/Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis, Rn. 960; SeidlHohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1497; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 208; Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (89, 112); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 449; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 50 f.; Zeichen/Hebenstreit, AVR 41 (2003), 182 (191 f.). Wie die vorstehende Literatur auch Art. 13 der Resolution “Immunities from Jurisdiction and Execution of Heads of State and Heads of Government in International Law” des Institut de Droit International vom 26.8.2001, abrufbar unter (31.3.2006). A.A. aber Lord Phillips of Worth Matravers in seinem Votum zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 102 (104). 160 Die Immunität ratione materiae ehemaliger Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder entsteht nicht nach Funktionsbeendigung neu, sie löst also nicht die Immunität ratione personae ab, sondern sie existiert von der Vornahme der durch sie geschützten Handlung an und wird während der Amtszeit der betreffenden Person lediglich von der umfassenden Immunität ratione personae überdeckt. Vgl. Barker, ICLQ 48 (1999), 937 (940). 159
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ratione materiae für die als Staatsoberhaupt bzw. Regierungsmitglied vorgenommenen Diensthandlungen damit, diese seien dem Staat, für den gehandelt wurde, als Staatshandlungen zuzurechnen. Nähme man ein ehemaliges Staatsoberhaupt oder Regierungsmitglied wegen solcher Diensthandlungen strafrechtlich in Anspruch, so säße man indirekt über den fremden Staat, für den gehandelt wurde, zu Gericht und unterwerfe diesen – unter Mißachtung von dessen Souveränität – eigener Hoheitsgewalt.161 Schon diese Begründung zeigt, daß es sich bei der fortdauernden Immunität ratione materiae nicht um eine eigenständige, besondere völkerrechtliche Exemtion für ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder handelt, sondern man hier lediglich einem Anwendungsfall der allgemeinen Staatenimmunität in ihrer Ausprägung als Exemtion (ehemaliger) staatlicher Funktionsträger von strafrechtlicher Verantwortlichkeit begegnet. Nach Beendigung ihrer Funktion genießen (ehemalige) Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder also keine besondere Immunität mehr. Sie können sich jedoch für ihr hoheitlich-dienstliches, „ihrem“ Staat zuzurechnendes Handeln – wie jeder andere (ehemalige) staatliche Funktionsträger auch – auf die Staatenimmunität berufen.162 ___________ Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 254; Gornig, in: Ipsen/SchmidtJortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (484); Khan/Landwehr, Jura 2004, 485 (491); Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (89, 112); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 50 f. 162 So auch das Votum von Lord Slynn of Hadley zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 419 (421, 423) (Lord Slynn of Hadley betont, die Immunität von Staatsoberhäuptern sei abgeleitet von der Staatenimmunität); Votum von Lord Millett zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999, HRLJ 1999, 97 (98) (Lord Millett geht von einer Identität der Immunität ehemaliger Staatsoberhäupter und der Staatenimmunität und mithin von einem identischen Exemtionsumfang aus); OLG Köln, NStZ 2000, 667 (667); Buffard, in: Karl (Hrsg.), Völker- und Europarecht, S. 35 (36); Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (862 ff.); ders., International Criminal Law, S. 266 f.; ders., International Law, S. 113, 118 f., 451; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 254 f.; Dörr, AVR 41 (2003), 201 (205); Fastenrath, FAZ vom 23.11.1996, S. 2; ders., FAZ vom 10.11.1998, S. 6; ders., FAZ vom 18.1.1999, S. 14; Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (975 ff., insb. 982); dies., JICJ 1 (2003), 186 (187 f.); Gornig, in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (484); Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 263, 265; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 451, 456; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 69; Klingberg, GYIL 46 (2003), 537 (552); Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 357 f.; Kriebaum, in: Karl (Hrsg.), Völker- und Europarecht, S. 51 (53); Paulus, NJW 1999, 2644 (2645); Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 10; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 449; Wirth, Jura 2000, 70 (72); ders., NStZ 2001, 665 (666 f.); ders., CLF 12 (2001), 429 (432 ff., 457); ders., EJIL 13 (2002), 877 (883, 888 ff.); Zappalà, EJIL 12 (2001), 595 (598 ff.); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 50 f., 152. Kritisch bezüglich der Annahme einer Identität der Immunität ehemaliger Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder mit der Staatenimmunität aber Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 152 Fn. 477. 161
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bb) Ausnahmen vom fortgeltenden Immunitätsschutz bei völkerrechtlichen Verbrechen, schweren Menschenrechtsverletzungen und in weiteren Fällen Aus der Feststellung, daß ehemaligen Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern keine besondere Exemtion mehr zukommt, sie aber in bezug auf ihr früheres dienstliches Handeln Immunität ratione materiae aufgrund der allgemeinen Staatenimmunität genießen, folgt ohne weiteres, daß ihrer Strafverfolgung durch einen fremden Staat dann keine völkerrechtliche Exemtion (mehr) entgegensteht, wenn eine der Fallkonstellationen gegeben ist, bei denen die Staatenimmunität eine völkervertraglich vereinbarte, eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte oder eine aus allgemeinen völkerrechtlichen Strukturprinzipien ableitbare Ausnahme erfährt. Wie oben in § 5 III.2. gezeigt, gilt die Staatenimmunität heutzutage nicht mehr für alle dienstlichen Handlungen staatlicher Funktionsträger, sondern nur noch für solche hoheitlichen Charakters (acta iure imperii). Dies bedeutet, daß auch ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder fremdstaatlicher Strafgerichtsbarkeit wegen solcher dienstlicher Handlungen unterworfen sind, die als acta iure gestionis zu klassifizieren sind. Von besonderer Bedeutung aber ist, daß – wie oben in § 6 ausführlich dargelegt wurde – die Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen und bei gegen völkerrechtliches ius cogens verstoßenden Menschenrechtsverletzungen eine zum Teil völkervertraglich, im übrigen aber völkergewohnheitsrechtlich normierte oder aus allgemeinen völkerrechtlichen Rechtsüberlegungen ableitbare Ausnahme erfährt. Wie die Entscheidungen des englischen House of Lords im Fall Pinochet163 und die gegen Pinochet von etlichen anderen Staaten eingeleiteten Strafverfahren164 eindrucksvoll bestätigt haben, dürfen aufgrund dieser Ausnahme von der Staatenimmunität ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder wegen völkerrechtlicher Verbrechen und sonstiger schwerer gegen ius cogens verstoßender Menschenrechtsverletzungen auch von Drittstaaten strafrechtlich verfolgt werden. Dies gilt auch und sogar gerade in bezug auf solche Taten, die – wie das bei ehemaligen staatlichen Spitzenfunktionären vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen fast ausnahmslos der Fall ist – während der Amtszeit in amtlicher Funktion begangen wurden, also in bezug auf makrokriminelle Staatsverbrechen.165 Dieses ___________ Vgl. die Voten zum dritten Pinochet-Urteil vom 24.3.1999 von Lord Hutton, HRLJ 1999, 89 (93 f.), Lord Millett, HRLJ 1999, 97 (98 ff.) und Lord Phillips of Worth Matravers, HRLJ 1999, 102 (106). 164 Vgl. Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 99; Wirth, NStZ 2001, 665 (667 Fn. 26). Ein weiterer Beleg ist die Verurteilung des ehemaligen Staatsoberhaupts von Surinam, Bouterse, in den Niederlanden. Vgl. das Urteil des Gerechtshof Amsterdam vom 20.11.2000, engl. Übers. in YIHL 3 (2000), 677 ff. 165 So (zumindest im Ergebnis) neben den in Anm. 163 genannten Voten der englischen Lordrichter im Fall Pinochet auch die Richter Higgins (Großbritannien), Kooijmans (Niederlande) und Buergenthal (USA) in ihrem gemeinsamen Sondervotum zum IGH-Urteil 163
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Ergebnis ist auch sachgerecht. Während amtierenden Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern absolute Immunität zu gewähren ist, damit sie im Interesse des friedlichen Zusammenlebens der Völker ihre Funktionen als Akteure im Bereich der internationalen Beziehungen wahrnehmen können, gibt es bei ehemaligen Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern keinen solchen Grund mehr, sie von strafrechtlicher Verantwortlichkeit freizustellen. Im Gegenteil: Nun ist es geboten, sie auch für die während ihrer Amtszeit in amtlicher Eigenschaft begangenen völkerrechtlichen Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen.166 Auch die übrigen – oben in § 7 analysierten – Ausnahmen von der Staatenimmunität sind bei einer Strafverfolgung ehemaliger Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder einschlägig. Mithin ist auch eine Strafverfolgung durch Drittstaaten wegen in amtlicher Funktion als Staatsoberhaupt oder Regierungsmitglied zu verantwortender Spionageaktivitäten und geheimdienstlicher Gewaltakte nach einem Ausscheiden aus dem Amt völkerrechtlich zulässig. Die Regeln über einen Verzicht auf die Staatenimmunität167 finden gleichfalls auf ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder Anwendung.168 ___________ im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (vgl. oben Anm. 60), para. 74 ff.; Ambos, JZ 1999, 16 (21 ff.); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 142 f.; Bassiouni, Introduction to International Criminal Law, S. 81; LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 5; Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (865 ff.); ders., International Criminal Law, S. 267, 273; ders., International Law, S. 119; Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (982); dies., JICJ 1 (2003), 186 (188 ff.); Gornig, in: Ipsen u.a. (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (480 ff.); Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 10; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 349; Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 357 ff.; Kreß, NStZ 2000, 617 (622); ders., GA 2003, 25 (35); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 101; Oellers-Frahm, in: Riedel (Hrsg.), Stocktaking in German Public Law, S. 62 (77 f.); Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 25 Rn. 55a; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 451 ff.; Wirth, NStZ 2001, 665 (667); ders., CLF 12 (2001), 429 (445 f., 457); ders., EJIL 13 (2002), 877 (888 ff.); Zappalà, EJIL 12 (2001), 595 (599 ff.); Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 152 ff. sowie (bezogen auf “crime[s] under international law”) Art. 13 Abs. 2 der Resolution Immunities from Jurisdiction and Execution of Heads of State and Heads of Government in International Law des Institut de Droit International vom 26.8.2001, abrufbar unter (31.3.2006) (vgl. diesbezüglich auch Fox, ICLQ 51 [2002], 119 [120 f.]). A.A. Black-Branch, in: Woodhouse (Hrsg.), Pinochet Case, S. 93 (106, 109); Gornig, NJ 1992, 4 (13 f.); Maierhöfer, EuGRZ 2003, 545 (553). 166 So auch die Einschätzung der Richter Higgins (Großbritannien), Kooijmans (Niederlande) und Buergenthal (USA) in ihrem gemeinsamen Sondervotum zum IGH-Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (vgl. oben Anm. 60), para. 74 ff. sowie von Gaeta, JICJ 1 (2003), 186 (190 f.). Siehe auch Maierhöfer, EuGRZ 2003, 545 (553). 167 Vgl. oben § 5 VI. 168 Mit dem Argument, die Philippinen hätten auf die (Staaten-)Immunität des ehemaligen Präsidenten Marcos verzichtet, wurde 1988 in den USA eine Strafverfolgung des in die USA geflohenen ehemaligen Machthabers für zulässig erachtet. Vgl. Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 50 und Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 53.
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Im übrigen folgt aus der Tatsache, daß die fortgeltende Immunität ratione materiae für ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder lediglich ein Anwendungsfall der Staatenimmunität ist, daß – wie das BVerfG und der BGH bestätigt haben169 und auch in der völkerrechtlichen Literatur festgestellt wird170 – dieser Immunitätsschutz dann vollständig entfällt, wenn der „eigene“ Staat untergeht. Denn wie oben in § 8 gezeigt, erlischt die Staatenimmunität bei einem Untergang des Staates, für den agiert worden ist. Schon aus diesem Grund stand einer Strafverfolgung der früheren Staatsoberhäupter der DDR Willi Stoph, Erich Honecker und Egon Krenz sowie weiterer ehemaliger Regierungsmitglieder der DDR nach deren Beitritt zur Bundesrepublik durch die bundesdeutsche Strafjustiz keine völkerrechtliche Immunität entgegen. Ganz zu Recht haben die bundesdeutschen Gerichte daher Stoph, Honecker, Krenz und weiteren ehemaligen Mitgliedern von Verfassungsorganen der DDR nach der „Wiedervereinigung“ keinen Immunitätsschutz zugebilligt und kein entsprechendes Strafverfolgungshindernis anerkannt.171 cc) Vereinbarkeit der postulierten Ausnahmen vom Immunitätsschutz mit dem Urteil des IGH im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien Das Postulat, daß ehemaligen Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern nur der Schutz der Immunität ratione materiae der allgemeinen Staatenimmunität zu___________ BVerfG DtZ 1992, 216 (216): „Das KG hat seine Auffassung, wonach der Beschwerdeführer keine Immunität genieße, darauf gestützt, daß die Immunität eines Staatsoberhaupts die Existenz des Staates, den er repräsentiert, nicht überdauern könne (…). Diese Auffassung des KG steht im Einklang mit dem Sinn und Zweck der völkerrechtlichen Immunität, durch die die Souveränität eines Staates und seiner Staatsorgane geschützt werden soll. Mit dem Ende eines Staates entfällt gleichzeitig der tragende Grund für die Gewährung der Immunität. Daß in einem solchen Fall eine Strafverfolgung wieder möglich ist, entspricht der im völkerrechtlichen Schrifttum durchgängig vertretenen Auffassung.“ Ebenso BVerfGE 95, 96 (129) = NJW 1997, 929 (930) und BGHSt 39, 1 (6) = NJW 1993, 141 (142). 170 MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 106, 112; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 254; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 35; Gornig, NJ 1992, 4 (13); ders., in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (484); Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 266 f. A.A. aber Doehring, Völkerrecht, Rn. 672; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 220 ff. 171 Vgl. zum Verfahren gegen Stoph BVerfG DtZ 1992, 215; zum Verfahren gegen Honecker Berliner Verfassungsgerichtshof, NJW 1993, 515; zum Verfahren gegen Krenz BGHSt 45, 270 = NJW 2000, 443; BVerfG NJW 2000, 1480; EGMR NJ 2001, 261. Die Verfahren gegen Stoph und Honecker wurden jedoch wegen des schlechten Gesundheitszustands der Angeklagten eingestellt. Krenz dagegen wurde 1997 zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Siehe allgemein zu diesen Strafverfolgungsaktivitäten Kreicker, in: Eser/Arnold (Hrsg.), Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht, Bd. 1: Deutschland, S. 49 ff.; ders., Art. 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze, S. 1 ff. Wie bereits erwähnt, hatte der BGH dagegen im Jahr 1984 – also als die DDR noch als Staat i.S.d. Völkerrechts existierte – Honecker als damals amtierendem Staatsoberhaupt vollständige Immunität ratione personae von bundesdeutscher Strafgerichtsbarkeit zuerkannt. 169
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kommt und sie aufgrund der völkerrechtlich anerkannten Ausnahmen von der Staatenimmunität nach Funktionsbeendigung nicht nur wegen vor der Amtszeit begangener Taten und während der Amtszeit vorgenommener privater Handlungen der Strafgerichtsbarkeit fremder Staaten unterfallen können, sondern auch wegen solcher in amtlicher Funktion als Staatsoberhaupt oder Regierungsmitglied begangener dienstlicher Taten, die als völkerrechtliche Verbrechen, als gegen ius cogens verstoßende Menschenrechtsverletzungen, als Spionagehandlungen oder als geheimdienstliche Gewalttaten zu klassifizieren sind, ist allerdings auf den ersten Blick unvereinbar mit Ausführungen des IGH im Urteil zum Rechtsstreit Demokratische Republik Kongo ./. Belgien vom 14. Februar 2002. Im Anschluß an die Feststellung, daß amtierende Außenminister vollständige Immunität ratione personae genießen, die auch bei völkerrechtlichen Verbrechen keine Ausnahme erfährt, hält der IGH den Hinweis für geboten, daß eine solche Immunität nicht automatisch auch Straflosigkeit bedeutet (“immunity […] does not mean […] impunity”172). In einem obiter dictum führt er vier Fallgestaltungen an, bei denen eine Strafverfolgung trotz der Immunität für amtierende Außenminister zulässig sei: “61. Accordingly, the immunities enjoyed under international law by an incumbent or former Minister of Foreign Affairs do not represent a bar to criminal prosecution in certain circumstances. First, such persons enjoy no criminal immunity under international law in their own countries, and may thus be tried by those countries’ courts in accordance with the relevant rules of domestic law. Secondly, they will cease to enjoy immunity from foreign jurisdiction if the State which they represent or have represented decides to waive that immunity. Thirdly, after a person ceases to hold the office of Minister of Foreign Affairs, he or she will no longer enjoy all of the immunities accorded by international law in other States. Provided that it has jurisdiction under international law, a court of one State may try a former Minister of Foreign Affairs of another State in respect of acts committed prior or subsequent to his or her period of office, as well as in respect of acts committed during that period of office in a private capacity. Fourthly, an incumbent or former Minister of Foreign Affairs may be subject to criminal proceedings before certain international criminal courts, where they have jurisdiction (…).”173
Nach Ansicht des IGH darf also ein ehemaliger Außenminister (für ehemalige Staatsoberhäupter und andere ehemalige Regierungsmitglieder kann dann nichts anderes gelten) wegen während der Amtszeit begangener Taten dann von anderen Staaten verfolgt werden, wenn es sich um in privater Eigenschaft begangene Taten handelt: “(…) in respect of acts committed during that period of office in a private capacity.” Im Umkehrschluß heißt dies – so scheint es – , daß eine Strafverfolgung ___________ IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 60), para. 60. 173 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 60), para. 61. 172
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ehemaliger Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder wegen sämtlicher während der Amtszeit begangener dienstlicher Handlungen durch Drittstaaten dauerhaft ausgeschlossen ist.174 Diese – in der Sache unnötige – Passage des Urteils ist in der Literatur auf heftigen Widerspruch gestoßen; sie ist die umstrittenste Passage der gesamten Entscheidung.175 Denn wenn man den IGH beim Wort nähme und seine Ausführungen für abschließend erachtete, so hieße dies, daß eine Strafverfolgung ehemaliger Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder wegen während ihrer Amtszeit in amtlicher Eigenschaft begangener völkerrechtlicher Verbrechen und (sonstiger) schwerer Menschenrechtsverletzungen durch Drittstaaten nicht möglich wäre – also die Pinochet-Rechtsprechung des englischen House of Lords revidiert wäre.176 Nun handelt es sich aber bei völkerrechtlichen Verbrechen und sonstigen schweren Menschenrechtsverletzungen, die solche Personen während ihrer Amtszeit begehen, wohl ausnahmslos um solche, die in der Funktion als Staatsoberhaupt oder Regierungsmitglied, nicht aber als Privatperson begangen werden. Die Vorstellung, Pinochet, Saddam Hussein oder auch Hitler hätten die ihnen vorgeworfenen Verbrechen als Privatpersonen begangen, ist absurd. Da aber eine – vom IGH zutreffenderweise für stets statthaft erachtete – Strafverfolgung ehemaliger Diktatoren durch die Justiz ihres eigenen Staates in aller Regel nicht stattfindet, wäre, nähme man den IGH beim Wort, doch in der Regel “impunity” die Folge von “immunity”. Der IGH scheint mit seinen Feststellungen die – wie oben in § 6 und § 7 gezeigt – völkergewohnheitsrechtlich ohne Zweifel anerkannten Ausnahmen von der Staatenimmunität, namentlich die Ausnahme bei völkerrechtlichen Verbrechen, zu negieren. In der Völkerrechtswissenschaft ist dem IGH daher – auch von überaus sachverständigen Autoren – mit gewisser Berechtigung vorgehalten worden, seine Feststellungen seien völkerrechtswidrig.177 Der ehemalige Präsident des ICTY und nam___________ So in der Tat die Schlußfolgerung von Schultz, ZaöRV 62 (2002), 703 (749 f.). Ablehnend MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 143; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 110; Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (867 ff.); ders., JICJ 1 (2003), 437 (444 ff.); ders., International Law, S. 120; Frulli, German Law Journal , 3 (2002) No. 3; Gaeta, JICJ 1 (2003), 186 (187 ff.); Kreß, GA 2003, 25 (35 ff.); McLachlan, ICLQ 51 (2002), 959 (961); Spinedi, EJIL 13 (2002), 895 (896 ff.); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 455 Fn. 416; Winants, LJIL 16 (2003), 491 (498 f.); Wirth, EJIL 13 (2002), 877 (881 ff.); Wouters, LJIL 16 (2003), 253 (262); Zegfeld, NYIL 32 (2001), 97 (114). 176 Vgl. McLachlan, ICLQ 51 (2002), 959 (959); Wouters, LJIL 16 (2003), 253 (262). 177 MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 143; Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (866 ff.); ders., JICJ 1 (2003), 437 (445 ff.); Frulli, German Law Journal , 3 (2002) No. 3; dies., JICJ 2 (2004), 1118 (1127); Gaeta, JICJ 1 (2003), 186 (189 ff.); Wirth, EJIL 13 (2002), 877 (888 ff.); Wouters, LJIL 16 (2003), 253 (262). Siehe ferner Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 358 f. Fn. 1557 und Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 455 Fn. 416. 174 175
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hafte italienische Völkerrechtsprofessor Antonio Cassese hat in einer Urteilsanmerkung gesprochen von “the Court’s failure to distinguish between immunities inuring to state officials with respect to acts they perform in their official capacity (so-called functional of ratione materiae immunities) and immunities from which some categories of state officials benefit not only for their private life but also, more generally, for any act and transaction while in office (so-called personal immunities)”.178 Er hat weiter festgestellt: “(…) the Court failed to apply, or at least to refer to, the customary rule lifting functional immunities for international crimes allegedly committed by state agents, a rule that becomes operational as soon as the rules on personal immunities are no longer applicable (or in other words, as soon as state agents enjoying personal immunities are no longer in office).”179
In der Literatur ist – wie bereits oben in § 5 III.1.c) dargelegt – der Versuch gemacht worden, die hier erörterten Feststellungen des IGH mit dem geltenden Völkergewohnheitsrecht – und damit mit der Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen – dadurch in Übereinstimmung zu bringen, daß die These aufgestellt wurde, dann müsse man völkerrechtliche Verbrechen und sonstige schwere Menschenrechtsverletzungen eben als generell private Handlungen klassifizieren. So kommt Kreß in seiner Urteilsbesprechung zu folgendem Fazit: „(…) das obiter dictum des IGH lässt Raum für die Verneinung von Immunität ratione materiae bei Völkerstraftaten. Eingeschränkt wird nur der Weg der Begründung. Auf der Grundlage des obiter dictums kann man die Immunität ratione materiae bei Völkerstraftatverdacht nur unter Hinweis darauf verneinen, dass die Begehung einer Völkerstraftat per se aus dem Bereich des dienstlichen Handelns i.S. des Immunitätsrechts herausfällt (hier sog. Tatbestandslösung).“180
Diese Auffassung haben auch schon die Richter Higgins (Großbritannien), Kooijmans (Niederlande) und Buergenthal (USA) in ihrem gemeinsamen (zustimmenden) Sondervotum zum IGH-Urteil vertreten.181 Jedoch vermag diese das Tatunrecht in gefährlicher Weise relativierende und als juristische Spitzfindigkeit kaum vermittelbare „Privatisierung“ völkerrechtlicher Verbrechen – wie bereits oben in § 5 III.1.c)dd) detailliert ausgeführt – nicht zu überzeugen; auf die obigen Ausführungen kann an dieser Stelle verwiesen werden. Aus der richtigen Erkenntnis, daß die Immunität ratione materiae der allgemeinen Staatenimmunität – wie durch eine umfangreiche Staatenpraxis belegt wird – einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen nicht entgegensteht,182 sollte nicht der verfehlte Schluß auf „privates Handeln“ gezogen. Es sollte vielmehr festgehalten werden, daß das Völkergewohnheitsrecht mittlerweile eine Ausnahme von ___________ Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (855). Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (867). 180 Kreß, GA 2003, 25 (36). 181 Sondervotum der Richter Higgins, Kooijmans und Buergenthal zum IGH-Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (vgl. oben Anm. 60), para. 85. 182 Vgl. hierzu die ausführliche Analyse oben in § 6 II.1. 178 179
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der – auch für ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder geltenden – Staatenimmunität macht, sofern sich der Tatvorwurf auf völkerrechtliche Verbrechen oder sonstige schwere Menschenrechtsverletzungen bezieht. Insofern ist es konsequent und im Grundsatz richtig, wenn Cassese und andere Wissenschaftler nicht auf die „Tatbestandslösung“183 zurückweichen, sondern dem IGH entgegenhalten, das geltende Völkergewohnheitsrecht verkannt zu haben.184 Doch ist fraglich, ob man ein so drastisches Verdikt über das obiter dictum des IGH wirklich fällen muß. Es spricht alles dafür, daß der IGH die vier von ihm genannten Beispiele, bei denen eine Strafverfolgung trotz Immunität für amtierende Außenminister möglich sei, nicht als abschließende Aufzählung verstanden wissen wollte. Es ist eher davon auszugehen, daß der IGH lediglich vier bedeutende Fallkonstellationen anführen wollte, bei denen die Immunität für amtierende Außenminister nicht als Strafverfolgungshindernis wirkt, also “immunity” nicht zu “impunity” führt. Keine der Feststellungen des IGH in para. 61 des Urteils ist falsch – selbstverständlich hat der IGH recht, wenn er feststellt, daß nach Funktionsbeendigung eine Strafverfolgung durch andere Staaten statthaft sei “in respect of acts committed during that period of office in a private capacity”. Es wäre lediglich verfehlt, die Feststellungen des IGH als abschließend zu betrachten und aus ihnen im Umkehrschluß zu folgern, daß hinsichtlich aller während der Dienstzeit begangener amtlicher Handlungen eine spätere Drittstaatenverfolgung unzulässig sei. Der IGH hat es lediglich unterlassen, als gewissermaßen fünftes Beispiel für zulässige Strafverfolgungen den Fall anzuführen, daß eine amtliche Handlung von einer der völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Ausnahmen von der Staatenimmunität erfaßt wird.185 Diese Interpretation des obiter dictum als (wenig durchdachte) nicht abschließende beispielhafte Aufzählung von völkerrechtskonformen Strafverfolgungsmöglichkeiten wird durch folgende Überlegung bestätigt: Wie oben in § 17 I.2.a)ff) dargelegt, ist von der Rechtsprechung und Literatur anerkannt, daß die Immunitäten ratione materiae entfallen, also kein Strafverfolgungshindernis mehr darstellen, wenn der Staat, für den agiert wurde, erlischt. Auch diese Fallkonstellation ist aber im obiter dictum nicht erwähnt. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß der damalige IGH-Präsident Gilbert Guillaume in einer Presseerklärung zum Urteil die Aufzählung in para. 61 aus-
___________ Dieser Begriff stammt, soweit ersichtlich, von Bank, ZaöRV 59 (1999), 677 (689). Vgl. oben Anm. 177. 185 So schon Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 358 f. Fn. 1557. Vgl. auch Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (391 f.); Nouwen, LJIL 18 (2005), 645 (663 Fn. 91). A.A. aber Spinedi, EJIL 13 (2002), 895 (896). 183 184
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drücklich als eine beispielhafte bezeichnet (by way of example) hat186 und auch die Richter Higgins (Großbritannien), Kooijmans (Niederlande) und Buergenthal (USA) in ihrem gemeinsamen Sondervotum die Auffassung vertreten, der Gerichtshof habe in para. 61 seines Urteils lediglich Beispiele für eine zulässige Strafverfolgung gegeben.187 Insofern bleibt es also bei der Feststellung, daß ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder zwar als Ausfluß der Staatenimmunität Immunität ratione materiae in bezug auf ihre (hoheitlich-dienstlichen) Amtshandlungen genießen, diese Immunität ratione materiae aber eine Ausnahme erfährt bei völkerrechtlichen Verbrechen, sonstigen gegen ius cogens verstoßenden Menschenrechtsverletzungen, Spionageaktivitäten und geheimdienstlichen Gewaltakten. c) Exemtionen für Angehörige von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern Angehörige – etwa Ehepartner oder Kinder – von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern genießen grundsätzlich keine Exemtionen von fremdstaatlicher Strafgerichtsbarkeit. Eine dem Art. 37 Abs. 1 WÜD entsprechende Regel188 kennt das Völkergewohnheitsrecht für Angehörige von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern nicht.189 Dies ist auch ohne weiteres einleuchtend: Diplomaten ___________ 186 Presseerklärung von Gerichtspräsident Guillaume vom 14.2.2002, abrufbar im Internet unter (31.3.2006): “By way of example, the Court emphasized that Ministers of Foreign Affairs do not enjoy any immunity from criminal jurisdiction under international law in their own countries”. Auf diesen Umstand weisen auch Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (867 Fn. 40) und Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 455 Fn. 416 hin. Andererseits aber heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts (Press Release 2002/04 vom 14.2.2002; gleichfalls unter der genannten Internetadresse abrufbar): “The Court then spells out the circumstances in which the immunities enjoyed under international law by an incumbent or former Minister for Foreign Affairs do not represent a bar to criminal prosecution.” Dieser Satz spricht für eine Bewertung der Aufzählung als abschließend. Doch ist die offizielle Zusammenfassung des Urteils (Press Release 2002/04bis vom 14.2.2002; gleichfalls unter der genannten Internetadresse abrufbar) sehr viel offener gehalten. 187 Sondervotum der Richter Higgins, Kooijmans und Buergenthal zum IGH-Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (vgl. oben Anm. 60), para. 78. 188 Vgl. diesbezüglich oben § 13 I.1.d). 189 MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 131; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 453 (dort wird darauf hingewiesen, daß die Schweizer Behörden nach einem Skiunfall des britischen Thronfolgers Prinz Charles im März 1988, bei dem eine Person ums Leben gekommen war, eine strafrechtliche Untersuchung durchführten, ohne daß die Frage des Bestehens einer völkerrechtlichen Immunität gestellt wurde); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 11; KK-StPO-Pfeiffer, § 20 GVG Rn. 2; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 219 f. Diese Auffassung wurde auch in der älteren Literatur vertreten; vgl. die Nachweise bei Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 88 ff. Wie die vorstehende Literatur auch Art. 5 der Resolution Immunities from Jurisdiction and Execution of Heads of State and Heads of Government in International Law des Institut de Droit International vom 26.8.2001, abrufbar unter (31.3.2006). A.A. aber wohl Schönke/Schröder-Eser,
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werden regelmäßig für einen längeren Zeitraum in den Empfangsstaat entsandt, begründen dort ihren zeitweiligen Lebensmittelpunkt und haben daher ein legitimes Interesse, ihre Familienmitglieder „mitzunehmen“ und diese gleichfalls durch Exemtionen im Empfangsstaat geschützt zu wissen. Eine solche Situation ist bezüglich der Angehörigen von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern nicht gegeben, diese benötigen keinen vergleichbaren Schutz durch Exemtionen. Insofern wird in dem bereits mehrfach erwähnten Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern zutreffend festgestellt, der in der Bundesrepublik Deutschland studierende Sohn eines Staatspräsidenten genieße keine Vorrechte, Immunitäten und Befreiungen.190 Auch soweit Angehörige eines Staatsoberhaupts diesen offiziell bei einer Auslandsreise vertreten, wie das zum Teil designierte Thronfolger monarchischer Staaten tun, kommen diesen nicht die dem Staatsoberhaupt zustehenden Exemtionen zu; sie werden aber in einem solchen Fall als Mitglieder einer Spezialmission einzustufen sein und genießen als solche die unten in § 18 zu erläuternden Exemtionen.191 Allerdings wird in der Literatur immer wieder ein „Ausnahmefall“ genannt, in dem Angehörige von Staatsoberhäuptern (und für Angehörige von Regierungsmitgliedern kann nichts anderes gelten) doch völkerrechtliche Exemtionen genössen: Wenn Angehörige eines Staatsoberhaupts oder Regierungsmitglieds diesen bei einem offiziellen Staats- oder Regierungsbesuch begleiteten, dann seien sie ebenfalls der Strafgerichtsbarkeit des Gaststaates für die Zeitdauer des Besuches entzogen. Die Ehefrau eines Staatspräsidenten, die diesen bei einem Staatsbesuch begleite, genieße also gleichfalls Exemtionen.192 ___________ vor § 3 Rn. 39. Vgl. auch Watts, RdC 247 (1994 III), S. 9 (75 ff., 110 f.), der die Völkerrechtslage für unklar hält. Soweit einige nationale Rechtsvorschriften, beispielsweise section 36 des australischen Foreign States Immunity Act (ILM 25 [1986], 716) und in section 20 des britischen State Immunity Act (ILM 17 [1978], 1123), Familienangehörige von Staatsoberhäuptern denen von Diplomaten gleichstellen, also Art. 37 Abs. 1 WÜD für anwendbar erklären, gewähren sie damit weiterreichende Exemtionen als völkerrechtlich geboten. 190 Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. II.A.1.a). 191 Siehe diesbezüglich die Entscheidung des US District Court for the Northern District of Ohio, Eastern Division im Verfahren Kilroy ./. Windsor, Prince of Wales vom 7.12.1978, ILR 81, 605; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 453; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 48 sowie unten Anm. 233. 192 MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 131; LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 4; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 253; Doehring, Völkerrecht, Rn. 671; Gummer, in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 20 GVG Rn. 4; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 452 f.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 19 III. 1. b); Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 20 Rn. 2; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 11; MeyerGoßner, Strafprozessordnung, § 20 GVG Rn. 4; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (398 f.); KK-StPO-Pfeiffer, § 20 GVG Rn. 2; MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 9; Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993,
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Ebenso wie bezüglich der Exemtionen von Regierungsmitgliedern fällt es schwer, eine entsprechende Regel des Völkergewohnheitsrechts auszumachen, denn einschlägige Staatenpraxis – etwa Gerichtsentscheidungen, in denen eine solche Exemtion akzeptiert wurde – gibt es nicht. Doch ist auch hier darauf hinzuweisen, daß das Fehlen von „Präzedenzfällen“ nicht als Argument gegen das Bestehen einer völkergewohnheitsrechtlichen Exemtion ins Feld geführt werden kann. Denn zum einen dürfte es kaum Fälle gegeben haben, in denen eine Strafverfolgung eines Angehörigen eines Staatsoberhaupts oder Regierungsmitglieds überhaupt zur Debatte stand, zum anderen kann gerade die Tatsache, daß es – soweit ersichtlich – nie zu strafrechtlichen Maßnahmen gegen einen begleitenden Angehörigen eines Staatsoberhaupts oder Regierungsmitglieds gekommen ist und schon deshalb keine Gerichtsentscheidungen zu verzeichnen sind, für die universelle Anerkennung und Einhaltung einer solchen Exemtion sprechen. Im übrigen läßt sich eine solche eng begrenzte Exemtion für Angehörige im Fall eines Staats- oder Regierungsbesuchs auch mit dem Gedanken des Verbots des venire contra factum proprium begründen: Wenn ein Staat ein fremdes Staatsoberhaupt oder ein Mitglied der Regierung eines anderen Staates einlädt und akzeptiert oder sogar erbittet, daß dieser durch Angehörige begleitet wird, so kann diese Akzeptanz (oder sogar „Miteinladung“) als konkludente Zusicherung verstanden werden, nicht während des Besuchs gegen die Angehörigen strafrechtliche Maßnahmen zu ergreifen. Dies dann dennoch zu tun, hieße sich völkerrechtswidrig zum eigenen vorherigen Verhalten in Widerspruch zu setzen. Daher ist mit den genannten Stimmen in der Literatur davon auszugehen, daß Angehörige von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern ausnahmsweise dann völkerrechtliche Exemtionen genießen, wenn sie die geschützte Person bei einem amtlichen Besuch begleiten. Zum Umfang dieser Angehörigen-Exemtion finden sich in der Literatur allerdings keine Feststellungen. Wenn man jedoch den Schutzzweck dieser Exemtion betrachtet – die Angehörigen sollen während eines Besuchs von Strafverfolgungsmaßnahmen verschont bleiben und sicher sein können, den Besuch durchführen und in den eigenen Staat zurückreisen zu können –, wird man den Angehörigen keine umfassende Immunität ratione personae zuerkennen dürfen, sondern davon auszugehen haben, daß sie bloß Unverletzlichkeit (entsprechend der in Art. 29 WÜD geregelten) genießen. Dies bedeutet, daß ihnen gegenüber sämtliche strafprozessuale Zwangsmaßnahmen während des Besuchs untersagt sind.
___________ S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. II.A.1.
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3. Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder gegenüber internationalen Strafgerichtshöfen Da amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder gegenüber der Gerichtsbarkeit sämtlicher fremder Staaten Immunität ratione personae und Unverletzlichkeit genießen, die selbst bei völkerrechtlichen Verbrechen vor einer Strafverfolgung schützt, kommt der nun zu untersuchenden Frage, ob Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder Exemtionen auch gegenüber internationalen Strafgerichtshöfen genießen, besondere Relevanz zu. Wie schon die Erörterung der Bedeutung diplomatischer und konsularischer Exemtionen gegenüber internationalen Strafgerichtshöfen, so beschränkt sich auch die nachfolgende Analyse darauf, konkret nach der Geltung von Exemtionen gegenüber der Strafgewalt der beiden UNStrafgerichtshöfe – also des ICTY und des ICTR – sowie des ständigen Internationalen Strafgerichtshofs nach dem Römischen Statut zu fragen. Die Untersuchung hat wiederum zu unterscheiden zwischen einerseits (noch) amtierenden und andererseits ehemaligen Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern. a) Exemtionen für amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder Die Statuten der UN-Strafgerichtshöfe (Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut) erklären ebenso wie das Römische Statut (Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut) auch völkerrechtliche Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder für irrelevant.193 Doch ebenso wie in bezug auf die Staatenimmunität und die diplomatischen und konsularischen Exemtionen wäre es auch hinsichtlich der Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder verfehlt, sich mit der Feststellung zu begnügen, es sei ein Exemtionsausschluß normiert.194 Vielmehr ist wiederum zu fragen, ob die Exemtionsausschlüsse völkerrechtskonform und damit wirksam sind. ___________ So auch Cassese, International Criminal Law, S. 272; Kreß, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, III 27 Rn. 18; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 211, 228; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 113. Vgl. bezüglich des Wortlauts von Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut oben Anm. 125; bezüglich des Wortlauts von Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut vgl. oben Anm. 126. 194 So aber Black-Branch, in: Woodhouse (Hrsg.), Pinochet Case, S. 93 (110 f.); Gornig, in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 457 (484); Ruud, Pinochet Case, S. 8; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 113 f., 156 f. und wohl auch IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 60), para. 61 (der IGH schränkt seine Feststellung, gegenüber internationalen Gerichten bestünden keine Exemtionen, durch eine unklaren Nebensatz ein: “[…] an incumbent or former Minister for Foreign Affairs may be subject to criminal proceedings before certain international criminal courts, where they have jurisdiction.” – Hervorhebung durch den Verf.). Vgl. zu diesen Ausführungen des IGH Kreß, GA 2003, 25 (38). 193
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Für die Beantwortung dieser Frage in bezug auf die Exemtionen für amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder ist danach zu differenzieren, welche völkervertraglichen Bindungen „ihr“ Staat eingegangen ist. Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern von Staaten, die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sind – und das sind derzeit alle Staaten bis auf die Demokratische Arabische Republik Westsahara, die Republik China (Taiwan) und die Vatikanstadt – kommt gegenüber der Gerichtsbarkeit des ICTY und des ICTR ohne Zweifel kein Exemtionsschutz zu. Insofern kann die Völkerrechtskonformität der Ausschlußklauseln des Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut unproblematisch bejaht werden, und zwar mit Hilfe der bereits mehrfach bemühten „Verzichtsargumentation“: Die UN-Mitgliedstaaten haben sich durch die Ratifikation der UN-Charta gemäß Art. 25 UN-Charta verpflichtet, Maßnahmen des UNSicherheitsrates anzunehmen. Insofern haben sie sich antizipiert mit Einschränkungen ihrer Souveränitätsrechte einverstanden erklärt. Von diesem antizipierten Souveränitätsverzicht sind auch die Souveränitätseinbußen erfaßt, die mit den vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Statuten des ICTY und ICTR und dem in ihnen normierten Exemtionsausschluß verbunden sind.195 Für den IStGH gilt im Prinzip das gleiche: Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder aus den Vertragsstaaten des Römischen Statuts – das sind gegenwärtig 100 Staaten196 – können gegenüber dem IStGH keine Exemtionen geltend machen, weil ihr Staat durch die Ratifikation des Statuts sein Einverständnis mit Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut zum Ausdruck gebracht und insofern auf die seinen Funktionsträgern zukommenden Exemtionen vorab und pauschal verzichtet hat.197 In bezug auf Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder aus Vertragsstaaten des Statuts ist Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut also ohne Zweifel als völkerrechtskonform zu bewerten. Problematisch ist dagegen, ob auch die Exemtionen für amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder von Nicht-UN-Staaten bzw. Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts hinsichtlich der Gerichtsbarkeit der UN-Strafgerichtshöfe bzw. des IStGH eine Ausnahme erfahren. Diese Frage ist nach wie vor weitgehend ungeklärt;198 jede diesbezügliche Feststellung ist mit erheblichen Unsicherheiten behaftet und kann allenfalls eine Momentaufnahme sein, die durch zukünftige Gerichtsentscheidungen und auf diese zurückzuführende Wandlungen des Völkergewohnheitsrechts schnell überholt sein kann.
___________ Vgl. hierzu schon oben § 9 I.2.b)aa) und § 15 II.2.b). Zum Ratifizierungsstand siehe (31.3.2006). 197 Vgl. hierzu Frulli, JICJ 2 (2004), 1118 (1128); Kreß, GA 2003, 25 (38) sowie oben § 9 II.2.b)aa) und § 15 II.1.b)aa). 198 So auch Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 458 Fn. 421. 195 196
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Wegen des auch im Völkerrecht geltenden Grundsatzes der Unwirksamkeit von Verträgen zu Lasten Dritter (Art. 34 WVRK) können – jedenfalls nach vorherrschender Meinung – Nicht-UN-Staaten nicht durch die UN-Charta und damit auch nicht durch Resolutionen des UN-Sicherheitsrates gebunden sein. Ihnen gegenüber können damit auch die Exemtionsausschlüsse in Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut keine konstitutive Wirkung haben. Aus dem gleichen Grunde können auch die den Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern von Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts zukommenden Exemtionen nicht mit konstitutiver Wirkung durch Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut ausgeschlossen werden.199 Gegenüber amtierenden Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern von Nicht-UN-Staaten bzw. Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts dürfen der ICTY und der ICTR bzw. der IStGH daher nur dann ungeachtet der diesen Personen zukommenden Exemtionen Gerichtsbarkeit ausüben und sind Art. 7 Abs. 2 ICTY und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut bzw. Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut nur dann völkerrechtskonform, wenn sich eine völkergewohnheitsrechtliche Regel des Inhalts nachweisen läßt, daß die Exemtionen für amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder bei Strafverfolgungen durch internationale Strafgerichtshöfe wegen völkerrechtlicher Verbrechen eine Ausnahme erfahren.200 Denn an das (universelle) Völkergewohnheitsrecht sind auch Nicht-UN-Staaten bzw. Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts gebunden. Die Frage lautet also: Gibt es eine völkergewohnheitsrechtliche Regel dahingehend, daß die Exemtionen amtierender Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder bei Strafverfolgungen wegen völkerrechtlicher Verbrechen durch internationale Gerichte nicht gelten? Diese Frage kann man nicht schon mit einem Hinweis darauf verneinen, daß oben in § 17 I.2.a)dd) gezeigt wurde, daß die Exemtionen für amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder selbst bei völkerrechtlichen Verbrechen keine Ausnahme erfahren, sondern ohne Einschränkung gelten. Denn die obigen Feststellungen bezogen sich ausschließlich auf die Geltung dieser Exemtionen gegenüber fremdstaatlicher nationaler Gerichtsbarkeit. Es ist durchaus naheliegend, daß die Exemtionen zwar gegenüber der nationalen Gerichtsbarkeit fremder Staaten ohne Ausnahme gelten, jedoch gegenüber der supranationalen Gerichtsbarkeit (bestimmter) internationaler Gerichte eine Ausnahme bei völkerrechtlichen Verbrechen völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung gefunden hat. Denn ein Verfahren vor einem internationalen Gericht wie den UN-Strafgerichtshöfen oder dem IStGH, die in besonderem Maße Gewähr für ein faires und rechtsstaatliches Verfahren bieten und unter den Augen der gesamten Weltöffentlichkeit agieren, ___________ Siehe in diesem Zusammenhang auch Akande, AJIL 98 (2004), 407 (418 f., 421); Frulli, JICJ 2 (2004), 1118 (1128). 200 So auch Kreß, GA 2003, 25 (39 f.); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 458. 199
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dürfte in höherem Maße für den betroffenen Staat akzeptabel sein als ein Verfahren vor irgendeinem fremdstaatlichen Gericht, zumal wenn der strafverfolgende Staat einem anderen Kultur- und Rechtskreis angehört. Immerhin kann man auf Präzedenzfälle verweisen, die das Bestehen einer solchen völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionsausnahme gegenüber internationalen Gerichten nahelegen: Der ICTY erhob am 24. Mai 1999 Anklage gegen den damals amtierenden Staatspräsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien (heute: Serbien und Montenegro) Slobodan Miloseviü und erließ am 27. Mai 1999 einen Haftbefehl gegen ihn.201 Zu diesem Zeitpunkt aber war die Bundesrepublik Jugoslawien nicht Mitglied der Vereinten Nationen.202 Nach überwiegender Auffassung war die Bundesrepublik Jugoslawien damit zum damaligen Zeitpunkt nicht an die UN-Charta gebunden. Eine Verbindlichkeit der Regeln des ICTY-Statuts – und damit von Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut – über Art. 25 UN-Charta schied also aus, so daß die Nichtbeachtung der Immunität Miloseviüs durch den ICTY (wohl) nur mit einer völkergewohnheitsrechtlichen Ausnahme gerechtfertigt werden konnte.203 Ferner ___________ 201 Vgl. ICTY, Verfahren gegen Milotinovic et al., IT-99-37. Siehe auch Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 147; SZ vom 28.5.1999, S. 1; FAZ vom 28.5.1999, S. 3. Nach dem überraschenden Tod von Miloseviü im Haager Untersuchungsgefängnis des ICTY am 11.3.2006 (vgl. hierzu SZ vom 13.3.2006, S. 1 f.) wurde das gegen ihn gerichtete Verfahren vom ICTY ohne Urteil eingestellt. 202 Vgl. hierzu oben § 9 I.2.b)aa). 203 Wenn an dieser Stelle besonders vorsichtig formuliert wird, dann liegt dies daran, daß die Überstellung von Miloseviü an den ICTY im Ergebnis mit Zustimmung der serbischen Regierung erfolgte (Miloseviü wurde – nachdem vor allem die USA die Regierung Restjugoslawiens unter erheblichen Druck gesetzt hatten – am 1.4.2001 von serbischen Sicherheitskräften verhaftet und schließlich nach heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen mit dem Argument, die Bundesrepublik Jugoslawien sei als UN-Mitglied an die UN-Charta gebunden und müsse daher dem Auslieferungsersuchen des ICTY Folge leisten, am 28.6.2001 an den ICTY überstellt; vgl. Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 164 ff.; FAZ vom 12.3.2001, S. 6; FAZ vom 2.4.2001, S. 1 f.; FAZ vom 3.4.2001, S. 1 ff.; FAZ vom 29.6.2001, S. 1; FAZ vom 30.6.2001, S. 1 ff.; SZ vom 30.6.2001, S. 1 ff.) und man daher auch ein nachträgliches Einverständnis mit dem Vorgehen des ICTY und damit eine Heilung eines zunächst erfolgten Völkerrechtsverstoßes annehmen kann. Jedoch ist gegen eine solche Überlegung einzuwenden, daß die Überstellung nur durch die Teilrepublik Serbien, nicht aber durch den damaligen (Gesamt-)Staat Bundesrepublik Jugoslawien erfolgte. Daher lehnt Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 209 Fn. 292, das Argument eines konkludenten Verzichts explizit ab. Ferner kann gegen eine Präzedenzwirkung des Falls Miloseviü vorgebracht werden, daß die Bundesrepublik Jugoslawien die Auffassung vertrat, mit der früheren Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien – die UN-Mitglied war – subjektidentisch gewesen und daher sehr wohl Mitglied der Vereinten Nationen (und damit auch an die UN-Charta gebunden) gewesen zu sein (siehe oben § 9 I.2.b)aa)). Wenn aber die Bundesrepublik Jugoslawien diese Auffassung vertrat, so spricht vieles dafür, daß sie nicht gleichzeitig eine Immunität von Miloseviü geltend machen konnte, sondern sich entgegenhalten lassen mußte, auch an das ICTY-Statut gebunden zu sein, so daß Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut der Geltendmachung einer Immunität Miloseviüs entgegenstand (mit genau diesem Argument versuchte der im März 2003 ermordete serbische Ministerpräsident Zoran Djindjiü, die Überstellung von Miloseviü an
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erklärte der Sondergerichtshof für Sierra Leone am 31. Mai 2004 die Erhebung einer Anklage und den Erlaß eines Haftbefehls gegen den zum Zeitpunkt der Anklageerhebung und des Erlasses des Haftbefehls noch amtierenden Staatspräsidenten von Liberia, Charles Taylor, mit dem Argument für rechtmäßig, amtierende Staatsoberhäupter genössen keine Immunität gegenüber (bestimmten Anforderungen genügenden) internationalen Strafgerichtshöfen – und als ein solcher sei der Sondergerichtshof für Sierra Leone zu klassifizieren.204 Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß der IGH in dem Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien von einer Zulässigkeit einer Strafverfolgung amtierender Außenminister durch zumindest bestimmte internationale Strafgerichtshöfe ausgegangen ist: “(…) an incumbent or former Minister for Foreign Affairs may be subject to criminal proceedings before certain international criminal courts, where they have jurisdiction.”205 Von den Befürwortern der hier diskutierten völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionsausnahme wird zudem ganz zu Recht auf eine umfassende völkerrechtliche Verbalpraxis verwiesen. So sei eine Ausnahme von der Immunität ratione personae amtierender Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder bei einer Strafverfolgung durch internationale Gerichte in Art. 7 IMT-Statut,206 in den von der ILC 1950 ausformulierten Nürnberger Prinzipien,207 in Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut,208 in Art. 27 IStGH-Statut209 sowie in Art. IV der UNVölkermordkonvention210 normiert.211 Eine Zusammenschau der völkerrechtlichen Verbalpraxis mit dem Fall Miloseviü, der Rechtsprechung des Sondergerichtshofs für Sierra Leone im Fall Taylor sowie dem Urteil des IGH im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien ergibt eine hinreichende Staatenpraxis, um von einer völkergewohnheitsrechtlichen Regel sprechen zu können. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß gegen die Ein___________ den ICTY trotz fehlender innerstaatlicher Rechtsgrundlage zu legitimieren. Vgl. FAZ vom 29.6.2001, S. 1 und Hokema, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 166). 204 Decision on Immunity from Jurisdiction vom 31.5.2004 im Verfahren Nr. SCSL2003-01-I, para. 34 ff.; abrufbar unter (31.3.2006). Vgl. zu dieser Entscheidung Deen-Racsmány, LJIL 18 (2005), 299 (299 ff.); Frulli, JICJ 2 (2004), 1118 (1118 ff.); Nouwen, LJIL 18 (2005), 645 (645 ff.). Näher zum Sondergerichtshof für Sierra Leone oben § 9 III. 205 Siehe IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 60), para. 61. 206 Vgl. oben Anm. 115. 207 Vgl. oben Anm. 121. 208 Vgl. oben Anm. 125. 209 Vgl. oben Anm. 126. 210 Vgl. oben Anm. 81. 211 Hinzuweisen ist ferner auf Art. 6 Abs. 2 des Statuts des Sondergerichtshofs für Sierra Leone (abrufbar unter [31.3.2006]), bei dem es sich zumindest nach eigener Einschätzung des Gerichtshofs (vgl. die oben in Anm. 204 genannte Entscheidung) gleichfalls um ein internationales Strafgericht handelt.
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leitung des Verfahrens gegen Miloseviü – soweit ersichtlich – kein Staat wegen angeblicher Mißachtung völkerrechtlicher Exemtionen Protest erhoben hat, so daß man von einer nahezu universellen Billigung des Vorgehens des ICTY sprechen kann.212 Zu weit ginge man jedoch, würde man pauschal auf eine völkergewohnheitsrechtliche Exemtionsausnahme zugunsten aller Arten internationaler Strafgerichtshöfe schließen.213 Auch der IGH geht nicht von einer Exemtionsausnahme zugunsten aller internationaler Strafgerichtshöfe aus, denn er spricht in seinem Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien von der Zulässigkeit einer Strafverfolgung amtierender Außenminister durch „bestimmte internationale Strafgerichtshöfe“ (“[…] an incumbent or former Minister for Foreign Affairs may be subject to criminal proceedings before certain international criminal courts, where they have jurisdiction.”214).215 Die Ausnahme kann vielmehr nur für UN-Straf___________ 212 Für eine solche völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme auch Lord Slynn of Hadley in seinem Votum zum ersten Pinochet-Urteil vom 25.11.1998, HRLJ 1998, 419 (425); Alebeek, LJIL 13 (2000), 485 (489); Ambos, JZ 1999, 16 (20); ders., Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 109; Bassiouni, Introduction to International Criminal Law, S. 73, 81 f.; Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 123; Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (865 f.); Frulli, JICJ 2 (2004), 1118 (1127 f.); Gries, HuV-I 2001, 19 (25); Kreß, NJW 1999, 3077 (3080); ders., HuV-I 1999, 4 (8); ders., IYHR 30 (2000), 103 (161); Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 724; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 458, 462. Kreß ist hinsichtlich der These einer völkergewohnheitsrechtlichen Ausnahme neuerdings allerdings – gerade im Vergleich zu seinen vorgenannten Beiträgen – sehr zurückhaltend und formuliert nunmehr sehr vorsichtig und abwägend; vgl. Kreß, GA 2003, 25 (39 ff.); ders., in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, vor III 26 Rn. 245 (hier spricht er in bezug auf die Annahme einer „amtierende höchste Amtsträger von Nichtvertragsstaaten einschließenden Immunitätsausnahme zum Zweck eines internationalen Strafverfahrens“ sogar von „kühnster Sicht“). Von einer solchen völkergewohnheitsrechtlichen Ausnahme ist auch der ICTY selbst ausgegangen; vgl. die Decision on Preliminary Motions des ICTY im Verfahren gegen Miloseviü vom 8.11.2001 (IT-02-54), para. 26 ff. (abrufbar im Internet unter [31.3.2006]). A.A. – also gegen eine völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Exemtion amtierender Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder bei Strafverfolgungen durch die UN-Strafgerichtshöfe und den IStGH – aber Akande, AJIL 98 (2004), 407 (418 f.); Deen-Racsmány, LJIL 18 (2005), 299 (318); Nouwen, LJIL 18 (2005), 645 (658 ff.); Schabas, Introduction to the International Criminal Court, S. 92; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 228; Wirth, CLF 12 (2001), 429 (453); ders., EJIL 13 (2002), 877 (889 Fn. 75) sowie Kreicker, in: Eser/ Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 357 Fn. 1553. 213 So aber wohl Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 109; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 458. Wie hier dagegen Deen-Racsmány, LJIL 18 (2005), 299 (317); Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (395) sowie in Ansätzen auch Nouwen, LJIL 18 (2005), 645 (655 ff.). Kreß, GA 2003, 25 (39 ff.), der einer völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionsausnahme zumindest zuneigt, beschränkt seine Ausführungen auf „den Fall eines universellen bzw. auf Universalität angelegten internationalen Strafgerichtshofs“. 214 Hervorhebung durch den Verf. 215 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 60), para. 61. Die hier vertretene Auffassung wird zudem gestützt durch die Decision
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gerichtshöfe wie den ICTY und den ICTR sowie für den IStGH gelten, denn nur bei ihnen handelt es sich um Gerichte, die ohne Übertreibung als „Gerichte der Völkergemeinschaft“ bezeichnet werden können.216 Die UN-Strafgerichtshöfe erfahren eine besondere Legitimität als Gerichte der Völkergemeinschaft aus der Tatsache, daß sie vom UN-Sicherheitsrat in seiner Funktion als Vertreter nahezu aller Staaten der Welt auf der Basis von Resolutionen nach Kapitel VII UN-Charta als dessen Hilfsorgane kreiert wurden.217 Und der IStGH kann als ein Gericht der Völkergemeinschaft klassifiziert werden, weil sein Statut von 120 und damit von fast zwei Drittel der Staaten der Welt verabschiedet wurde, er angesichts der Zahl von mittlerweile 100 Vertragsstaaten von einer deutlichen Mehrheit der Staaten getragen wird und zudem eng an die Vereinten Nationen, die seine Errichtung maßgeblich unterstützt haben, angebunden ist. Über eine solche Legitimationsbasis verfügt aber nicht jedes internationale Gericht. Nachdem ein Gericht schon dann als „international“ zu gelten hat, wenn es durch eine völkerrechtliche Vereinbarung als Institution des Völkerrechts gegründet wurde,218 könnten bereits einige wenige Staaten durch Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrags ein internationales Strafgericht gründen. Würde man von einer generellen Exemtionsausnahme bei Strafverfolgungen wegen völkerrechtlicher Verbrechen durch internationale Gerichte ausgehen, während eine solche – wie gezeigt – bei einer nationalen Strafverfolgung durch einen einzelnen Staat nicht gilt, so könnten zwei Staaten allein dadurch, daß sie sich zusammentun und durch ___________ on Immunity from Jurisdiction des Sondergerichtshofs von Sierra Leone vom 31.5.2004 im Verfahren Nr. SCSL-2003-01-I, para. 34 ff.; abrufbar unter (31.3.2006). Denn der Gerichtshof stellt entscheidend nicht bloß auf den Charakter des Sondergerichtshofs als internationale Organisation ab, sondern auch darauf, daß der Gerichtshof von den Vereinten Nationen auf der Basis von Kap. VII UN-Charta und damit letztlich von der Gemeinschaft aller Staaten errichtet worden sei. 216 So zu Recht Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (395 f.). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Gaeta, JICJ 1 (2003), 186 (194). Auch der IGH erwähnt im Anschluß an seine Feststellung, daß Immunitäten ratione personae einer Strafverfolgung vor bestimmten internationalen Strafgerichtshöfen nicht entgegenstehen, lediglich den ICTY, den ICTR sowie den IStGH, wenngleich er allerdings insofern von “examples” spricht; vgl. IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien (siehe oben Anm. 60), para. 61. 217 Hierauf stellt entscheidend auch Deen-Racsmány, LJIL 18 (2005), 299 (317) ab. Die bloße Tatsache der Schaffung eines Gerichts als eigenständige internationale Organisation unter Mitwirkung der Vereinten Nationen – wie im Fall des Sondergerichtshofs für Sierra Leone – vermag dagegen noch nicht auszureichen, um eine Irrelevanz völkerrechtlicher Exemtionen für ein solches Gericht anzunehmen (anders jedoch der Sondergerichtshof für Sierra Leone in seiner oben in Anm. 213 erwähnten Entscheidung). Gleichwohl sind aber völkerrechtliche Exemtionen (von Funktionsträgern von UN-Staaten) für diesen Gerichtshof unbeachtlich, weil nämlich der UN-Sicherheitsrat dies implizit in seiner Res. 1315 (2000) so für alle UN-Staaten verbindlich angeordnet hat. Vgl. näher zu dieser Argumentation oben § 9 III. am Ende. 218 Dahm, Problematik des Völkerstrafrechts, S. 17 f.; Nouwen, LJIL 18 (2005), 645 (656); Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 153 Fn. 483.
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einen völkerrechtlichen Vertrag ein internationales Strafgericht gründen, diesem zu Strafverfolgungskompetenzen verhelfen, die sie selbst als Einzelstaaten nicht haben. Es darf vermutet werden, daß die Mehrheit der Staaten eine solche Konsequenz nicht zu akzeptieren bereit wäre.219 Als Fazit der hier angestellten Überlegungen kann festgehalten werden: Amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder genießen keinerlei Exemtionen gegenüber der Strafgerichtsbarkeit von UN-Strafgerichtshöfen wie dem ICTY und dem ICTR sowie dem IStGH. b) Exemtionen für ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder Ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder genießen – wie oben in § 17 I.2.b) dargelegt – keine besondere völkerrechtliche Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit mehr, können sich aber wie jeder (frühere) staatliche Funktionsträger auf die Immunität ratione materiae der Staatenimmunität berufen. Hinsichtlich der Exemtionen ehemaliger Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder gegenüber der Strafgerichtsbarkeit internationaler Strafgerichtshöfe kann daher vollumfänglich auf die Ausführungen oben in § 9 verwiesen werden. An dieser Stelle genügen folgende zusammenfassende Feststellungen: Gegenüber der Gerichtsbarkeit der UN-Strafgerichtshöfe genießen ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder von UN-Mitgliedstaaten schon deshalb keinerlei Exemtionen, weil diese Staaten sich durch Ratifikation der UN-Charta generell mit Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates und damit auch mit der Gründung der Gerichte und der Reichweite ihrer Gerichtsbarkeit antizipiert einverstanden erklärt und insofern auf ihnen zukommende Exemtionen verzichtet haben.220 Gegenüber der Gerichtsbarkeit des IStGH genießen ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder von Vertragsstaaten des Statuts schon deshalb keinerlei Exemtionen, weil diese Staaten durch Ratifikation des Statuts und damit durch Zustimmung zu Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut auf ihnen zukommende Exemtionen verzichtet haben. Insofern besteht also kein Unterschied zwischen amtierenden und ehemaligen Staatsoberhäuptern bzw. Regierungsmitgliedern. Aber auch ehemalige Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder aus NichtUN-Staaten bzw. Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts genießen gegenüber den UN-Strafgerichtshöfen und dem IStGH keine Exemtionen. Zwar kann insofern kein Exemtionsverzicht angenommen werden, wohl aber kommt jetzt zum Tragen, ___________ Ähnlich wie hier auch Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (395). 220 Schon deshalb stand der Verurteilung des ehemaligen ruandischen Ministerpräsidenten Jean Kambanda durch den ICTR (Verfahren Nr. ICTR 97-23, Urteil vom 4.9.1998; das Urteil ist abrufbar unter [31.3.2006]) keine völkerrechtliche Exemtion entgegen. Vgl. zu diesem Verfahren Lüder, HuV-I 1998, 109 (109 ff.). 219
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daß die Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen – nur solche Taten fallen in die Zuständigkeit der genannten internationalen Strafgerichtshöfe – eine generelle völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme erfährt. Da die Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen generell nicht gilt, vermag sie auch der Tätigkeit internationaler Gerichte keine Schranke zu setzen.221 Als Fazit kann festgehalten werden: Ehemaligen Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern kommen keine Exemtionen gegenüber der Strafgerichtsbarkeit der UN-Strafgerichtshöfe und des IStGH zu. c) Exemtionen für Angehörige von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern Angehörige von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern genießen als solche keinerlei Exemtionen gegenüber der Gerichtsbarkeit internationaler Strafgerichtshöfe. Es gibt weder eine entsprechende völkergewohnheitsrechtliche Regel noch können die Gründe, die für eine partielle Exemtion gegenüber der Strafgerichtsbarkeit von Gaststaaten bei einer Begleitung im Rahmen von Staats- oder Regierungsbesuchen sprechen,222 für eine Exemtion gegenüber internationalen Strafgerichtshöfen geltend gemacht werden.
II. Exemtionen für Repräsentanten fremder Staaten aufgrund bundesdeutschen Rechts 1. Die Entstehungsgeschichte und Intention des § 20 Abs. 1 GVG In unmittelbarem Zusammenhang mit den völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder steht § 20 Abs. 1 GVG. Diese autonome bundesdeutsche Exemtionsregelung ist in Ergänzung der über Art. 25 Satz 1 GG bzw. § 20 Abs. 2 GVG innerstaatlich geltenden völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen für hochrangige Repräsentanten fremder Staaten geschaffen worden und lautet: „Die deutsche Gerichtsbarkeit erstreckt sich auch nicht auf Repräsentanten anderer Staaten und deren Begleitung, die sich auf amtliche Einladung der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten.“
Wie bereits oben in § 3 II.2.b) dargelegt wurde, verdankt diese vielfach als „lex Honecker“ titulierte nationale Vorschrift ihre Aufnahme in das GVG im Jahr
___________ So auch Gaeta, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 975 (982). Ähnlich Kreß, GA 2003, 25 (39). 222 Vgl. hierzu die Darstellung oben in § 17 I.2.c). 221
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1984223 einem damals geplanten und 1987 schließlich erfolgten Besuch des DDRStaatsratsvorsitzenden Erich Honecker in der Bundesrepublik.224 Die Bundesregierung wollte sicherstellen, daß der Staatsbesuch nicht durch Strafverfolgungsaktivitäten aufgrund von Strafanzeigen gegen Honecker gestört werden könnte, befürchtete aber, daß Honecker wegen der Besonderheiten der deutsch-deutschen Beziehungen von den Strafverfolgungsbehörden nicht als für die Bundesrepublik fremdes Staatsoberhaupt angesehen und ihm daher keine völkergewohnheitsrechtliche Immunität ratione personae zuerkannt werden würde. Diese Befürchtungen erwiesen sich allerdings als verfehlt, denn – wie erwähnt – entschied der BGH – ganz zu Recht – im Dezember 1984, daß Honecker völkerrechtlich betrachtet Staatsoberhaupt der DDR sei und ihm die Bundesrepublik daher die ihm von Völkergewohnheitsrechts wegen zustehende Immunität ratione personae zu gewähren habe. Der BGH lehnte daher eine vom Generalbundesanwalt beantragte Gerichtsstandsbestimmung nach § 13a StPO ab, ohne auf § 20 Abs. 1 GVG einzugehen.225 Auch wenn seit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik im Jahr 1990 das besondere staats- und völkerrechtliche Verhältnis zwischen DDR und BRD nur noch von rechtshistorischem Interesse ist, so ist die Regelung des § 20 Abs. 1 GVG doch – wie schon festgestellt wurde – nicht gegenstandslos geworden.226 Daher soll ihr Gehalt an dieser Stelle erläutert werden. 2. Reichweite der von § 20 Abs. 1 GVG gewährten Exemtionen § 20 Abs. 1 GVG gewährt – unabhängig von und in Ergänzung zu völkerrechtlichen Exemtionen227 – Repräsentanten fremder Staaten und deren Begleitern, die ___________ Änderung des GVG durch Art. 4 Zweites Gesetz zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes (2. BZRÄndG) vom 17.7.1984; BGBl. 1984 I, S. 990 (993 f.). Die Regelung ist am 1.8.1984 in Kraft getreten. Siehe auch BT-Drucks. 10/1447. 224 Zum Besuch Honeckers in der BRD im Jahr 1987 und seiner langen und wechselvollen Vorgeschichte vgl. Rexin, APUZ 1997, Heft B 40-41, S. 3 ff. 225 Vgl. BGHSt 33, 97 (97 f.) = NJW 1985, 639 (639). Gegen den BGH Baumann/ Weber/Mitsch, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 7 Rn. 15 Fn. 10; Blumenwitz, JZ 1985, 614 (614 ff.); LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 1. Kritisch (allerdings vor dem Hintergrund eines zu engen Verständnisses der völkerrechtlichen Exemtionen von Staatsoberhäuptern) auch Silagi, ROW 1985, 166 (167 f.). Dem BGH zustimmend und die Kritik von Blumenwitz zurückweisend jedoch Rosenau, Tödliche Schüsse in staatlichem Auftrag, S. 87; Truckenbrodt, DRiZ 1985, 423 (423 ff.). Nach der Wiedervereinigung hat das BVerfG dem BGH gewissermaßen „Recht gegeben“ und festgestellt, die DDR sei unabhängig von ihrer Anerkennung durch die Bundesrepublik Deutschland ein Staat i.S.d. Völkerrechts gewesen, so daß im Verhältnis zur DDR die allgemeinen Regeln des Völkerrechts herangezogen werden könnten; vgl. BVerfGE 95, 96 (129) = NJW 1997, 929 (929). Siehe auch unten Anm. 246. 226 A.A. Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 87. 227 Vgl. BL-ZPO-Albers, § 20 GVG Rn. 1; MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 112; LRStPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 1; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 39; MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 1. 223
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sich auf amtliche Einladung Deutschlands im Bundesgebiet aufhalten, vollständige Befreiung von deutscher Gerichtsbarkeit, also Immunität ratione personae, umfassende Unverletzlichkeit und Befreiung von den Zeugenpflichten.228 Repräsentanten fremder Staaten sind Funktionsträger, die ihren Staat gewissermaßen in seiner Gesamtheit vertreten.229 Hierzu zählen in erster Linie Staatsoberhäupter und Mitglieder der (zentralen) Regierung.230 Insofern ergänzt § 20 Abs. 1 GVG die oben skizzierten völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder.231 Für die deutschen Strafverfolgungsbehörden dürfte die erörterte Streitfrage, ob neben Regierungschefs und Außenministern auch sonstige Fachminister der Regierung eines fremden Staates völkergewohnheitsrechtliche Immunität genießen, daher in aller Regel ohne praktische Bedeutung sein. Denn auch einzelne Fachminister fremder Staaten sind, wenn sie auf amtliche Einladung der Bundesregierung nach Deutschland kommen, als Repräsentanten ihres Staates einzustufen. Sie genießen in einem solchen Fall also zumindest aufgrund nationalen deutschen Rechts Immunität und Unverletzlichkeit.232 Aber auch sonstige staatliche Funktionsträger können im Einzelfall als Repräsentanten eines fremden Staates in den Genuß der durch § 20 Abs. 1 GVG gewährten Exemtionen kommen.233 Schon im Gesetzgebungsverfahren wurde darauf hinge___________ Vgl. BL-ZPO-Albers, § 20 GVG Rn. 1; MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 112; LRStPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 2; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 39 f.; KK-StPO-Pfeiffer, § 20 GVG Rn. 1; MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 2 ff. 229 BL-ZPO-Albers, § 20 GVG Rn. 1 und MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 2. 230 LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 2; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 40; Meyer-Goßner, Strafprozessrecht, § 20 GVG Rn. 1; MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 2. 231 Bezüglich Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern beschränkt sich, sofern man wie hier davon ausgeht, daß sämtliche Regierungsmitglieder nach Völkergewohnheitsrecht Immunität ratione personae genießen, die „Ergänzungsfunktion“ des § 20 Abs. 1 GVG allerdings darauf, daß die diesen Personen zukommenden Exemtionen auf eine zusätzliche nationale Rechtsbasis gestellt werden. Eine gegenständliche Ausweitung des Exemtionsumfangs ist damit nach hier vertretener Auffassung für diese Personen nicht verbunden. 232 MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 2. Die Streitfrage, ob andere Fachminister als Außenminister nach Völkergewohnheitsrecht Immunität genießen, ist also für die deutschen Strafverfolgungsbehörden nur relevant, wenn Strafverfolgungsaktivitäten gegen im Ausland weilende Personen betrieben werden sollen (dies ist etwa bei Taten nach dem VStGB nach § 1 VStGB i.V.m. § 153f StPO ohne weiteres statthaft, wenngleich in der Regel nicht vom Legalitätsprinzip geboten) oder die betreffende Person sich zwar in Deutschland aufhält, aber nicht i.S.d. § 20 Abs. 1 GVG amtlich eingeladen wurde. 233 So auch BL-ZPO-Albers, § 20 GVG Rn. 1; LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 2; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 40; Meyer-Goßner, Strafprozessrecht, § 20 GVG Rn. 1; MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 2. Auf die Staatsangehörigkeit der betreffenden Person kommt es nicht an, so daß gegebenenfalls auch Deutsche als Repräsentanten eines anderen Staates nach § 20 Abs. 1 GVG Exemtionen genießen können; so zu Recht BL-ZPO-Albers, § 20 GVG Rn. 1; LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 2; Gummer, in: Zöl228
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wiesen, daß die Regelung nicht auf Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder beschränkt sei; in der parlamentarischen Debatte wurden beispielhaft KSZEManöverbeobachter als geschützte Personen bezeichnet.234 Auch Personen, die ihren Staat kraft einer Sonderermächtigung lediglich im Rahmen einer sachlich eng begrenzten Funktion repräsentieren, fallen also unter § 20 Abs. 1 GVG.235 Praktische Bedeutung kommt der Regelung daher vornehmlich für Mitglieder sogenannter Spezialmissionen zu,236 weshalb auf sie unten in § 18 V. noch einmal zurückzukommen sein wird.237 Dagegen können Personen, die zwar staatliche Funktionsträger sind, jedoch nicht für „ihren“ Staat in seiner Gesamtheit sprechen können, etwa Bürgermeister einzelner Städte, Mitglieder einer Bezirksregierung in föderal strukturierten Staaten und Funktionäre staatlicher Unternehmen, nicht als Repräsentanten im Sinne des § 20 Abs. 1 GVG klassifiziert werden.238 Gleiches gilt für Parlamentsabgeordnete, es sei denn, sie sind mit einem besonderen Vertretungsauftrag versehen.239 Neben den Repräsentanten selbst genießen auch die sie begleitenden Personen nach § 20 Abs. 1 GVG Befreiung von deutscher Gerichtsbarkeit. Damit sind diejenigen Personen gemeint, die in der von Deutschland akzeptierten amtlichen Dele___________ ler, Zivilprozessordnung, § 20 GVG Rn. 1; MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 4. Eine gewisse praktische Relevanz kann dieser Norm insofern zukommen, als monarchische Staatsoberhäupter sich zum Teil im Ausland offiziell durch Familienangehörige, etwa designierte Thronfolger, vertreten lassen. Vgl. zu einem solchen Fall die Entscheidung des US District Court for the Northern District of Ohio, Eastern Division im Verfahren Kilroy ./. Windsor, Prince of Wales vom 7.12.1978, ILR 81, 605. 234 Vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Stenographische Berichte, 10. Wahlperiode, 74. Sitzung, S. 5386D; LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 2; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 40. 235 BL-ZPO-Albers, § 20 GVG Rn. 1. 236 Vgl. hierzu schon Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 350 Fn. 1528, S. 370 Fn. 1604. 237 Hingewiesen werden soll an dieser Stelle darauf, daß bereits im Jahr 1966 zur Ermöglichung eines „SED-SPD-Redneraustausches“ – zu dem es allerdings nie kam, da die SED Angst vor der eigenen Courage bekommen hatte – eine bundesgesetzliche Exemtionsregelung für DDR-Repräsentanten geschaffen worden war (Gesetz über die befristete Freistellung von deutscher Gerichtsbarkeit vom 29.7.1966; BGBl. 1966 I, S. 453). Dessen Art. 1 lautete: „Die Bundesregierung kann Deutsche, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes haben, von der deutschen Gerichtsbarkeit freistellen, wenn sie es bei Abwägung aller Umstände zur Förderung wichtiger öffentlicher Interessen für geboten hält.“ Art. 2 legte den Umfang der Exemtion fest: „Für die Dauer der Freistellung von der deutschen Gerichtsbarkeit unterbleiben alle Entscheidungen, Verfügungen und Maßnahmen der Gerichte, Strafverfolgungs- und anderen Behörden, die gegen die Person, der die Freistellung gewährt ist, ihre Unterkunft oder in ihrem Eigentum oder ihrer Verfügungsgewalt befindliche Gegenstände gerichtet sind.“ Dieses Gesetz wurde aber im Jahr 1970 wieder aufgehoben (BGBl. 1970 I, S. 493). Vgl. Knuth, JZ 1970, 539 (539). 238 So auch BL-ZPO-Albers, § 20 GVG Rn. 1 und MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 2. 239 Gummer, in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 20 GVG Rn. 1 und MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 2.
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gationsliste aufgeführt sind.240 Hierunter können Familienmitglieder, Fahrer, Personenschützer, aber auch Pressevertreter fallen.241 Wie weit der Kreis des Begleitpersonals im Einzelfall gezogen ist, hängt ausschließlich von der im Ermessen der Bundesregierung liegenden Akzeptanz der Delegationsliste ab. Alle Personen, die auf der im Vorfeld einer Einladung übermittelten und von der Bundesregierung gebilligten Liste aufgeführt sind, kommen in den Genuß der Exemtionen. Eine Exemtion für fremdstaatliche Repräsentanten und deren Begleitung besteht aber nur dann, wenn diese sich auf amtliche – also offizielle, förmliche und eindeutige – Einladung der Bundesrepublik in Deutschland aufhalten.242 Entscheidend ist allein, daß zu dem Zeitpunkt, zu dem eine strafprozessuale Maßnahme vorgenommen werden soll, eine solche Einladung vorliegt. In aller Regel wird die Einladung vor Einreise der betreffenden Personen in das Bundesgebiet ausgesprochen, zwingend ist dies aber nicht.243 Unerheblich ist zudem, zu welchem Zweck eine Einladung ausgesprochen wird. Zwar werden Einladungen an fremdstaatliche Repräsentanten in aller Regel für dienstliche Aufenthalte der betreffenden Personen, etwa zum Zweck von Regierungskonsultationen ausgesprochen, doch wäre auch eine Einladung im privaten Interesse ausreichend, etwa eine Einladung an einen Minister eines fremden Staates, sich in Deutschland einer medizinischen Behandlung zu unterziehen.244 Umstritten ist, welche Stellen in Deutschland befugt sind, eine Einladung im Sinne des § 20 Abs. 1 GVG zu erteilen. Da § 20 Abs. 1 GVG von einer Einladung „der Bundesrepublik Deutschland“ spricht, wird man nur solche Stellen für „einladungsbefugt“ halten dürfen, die Deutschland als Ganzes vertreten dürfen. Erforderlich ist daher eine Einladung durch die Bundesregierung, den Bundespräsidenten oder ein anderes oberstes Verfassungsorgan des Bundes, während eine Einladung durch eine Landesregierung, eine Kommune, eine Universität, eine Behörde – etwa den Bundesnachrichtendienst oder das Bundeskriminalamt – oder ein in staat___________ BT-Drucks. 10/1447, S. 14; Gummer, in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 20 GVG Rn. 1; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 20 Rn. 1; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 40; Meyer-Goßner, Strafprozessrecht, § 20 GVG Rn. 1; KKStPO-Pfeiffer, § 20 GVG Rn. 1; MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 5. 241 Vgl. auch die Aufstellung bei Gummer, in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 20 GVG Rn. 1 und MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 5. 242 BT-Drucks. 10/1447, S. 14; LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 2; Gummer, in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 20 GVG Rn. 1; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 40; Meyer-Goßner, Strafprozessrecht, § 20 GVG Rn. 2; MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 3. Auf das Erfordernis einer amtlichen Einladung wurde im Gesetzgebungsverfahren besonders hingewiesen; vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Stenographische Berichte, 10. Wahlperiode, 74. Sitzung, S. 5384C. 243 Blumenwitz, JZ 1985, 614 (615): „Der Zeitpunkt, zu dem die Einladung ausgesprochen wurde, ist nicht maßgeblich.“ 244 Vgl. Gummer, in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 20 GVG Rn. 1 und MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 3. 240
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lichem Eigentum befindliches Unternehmen – etwa der Deutschen Bahn – nicht ausreicht, selbst wenn sie mit Einverständnis und in Absprache mit der Bundesregierung ausgesprochen wird.245 Zeitlich gilt die Exemtion nur während der Dauer eines durch die Einladung gedeckten Aufenthalts in der Bundesrepublik.246 Die Befreiung gilt weder vor der tatsächlichen Einreise nach Deutschland noch wirkt sie über den Zeitpunkt der Ausreise fort. Auch bei einem Aufenthalt in Deutschland, der über den in der Einladung bezeichneten Zeitraum hinausreicht, bewirkt § 20 Abs. 1 GVG keine Exemtion. Auf den Umfang der von den deutschen Strafverfolgungsbehörden den geschützten Personen zu gewährenden Exemtionen wurde bereits hingewiesen: Die betreffenden Personen genießen zum einen umfassende Immunität ratione personae, sie dürfen also in keiner Weise als Beschuldigte in einem Strafverfahren in Anspruch genommen werden.247 Zum anderen kommt ihnen Unverletzlichkeit zu, so daß auch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, die gegen sie als Nichtbeschuldigte gerichtet sind (etwa Maßnahmen nach § 103 StPO), unstatthaft sind. Darüber hinaus sind sie von den strafprozessualen Zeugenpflichten eximiert. Die Immunität ratione personae erfährt auch bei völkerrechtlichen Verbrechen oder sonstigen schweren Straftaten keine Ausnahme. Damit hat es die Bundesregierung in der Hand, durch Erteilung einer Einladung auch Personen, denen die Begehung schwerster Verbrechen vorgeworfen wird, bei einem Aufenthalt in Deutschland vor einer Strafverfolgung (etwa nach dem VStGB) zu schützen.248 Diese Konsequenz erscheint auf den ersten Blick als kaum akzeptabel, ja sogar als mit dem geltenden Recht unvereinbar. Schließlich hat der bundesdeutsche Gesetzgeber durch Schaffung des VStGB und Einfügung des § 153f in die StPO unmißverständlich kundgetan, daß die deutschen Strafverfolgungsbehörden nach dem Weltrechtsprinzip gegen alle sich in Deutschland aufhaltenden Personen strafrechtlich vorgehen müssen, denen völkerrechtliche Verbrechen nach den §§ 6 ff. VStGB zur Last gelegt werden. Doch hat § 20 Abs. 1 GVG – ebenso wie völkervertragliche Exemtionsregelungen – als lex specialis Vorrang ___________ 245 So auch BL-ZPO-Albers, § 20 GVG Rn. 1; LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 2; Gummer, in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 20 GVG Rn. 1; Meyer-Goßner, Strafprozessrecht, § 20 GVG Rn. 2. Für eine „Einladungsbefugnis“ der Landesregierungen jedoch Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 20 Rn. 1 und MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 3. 246 Vgl. Blumenwitz, JZ 1985, 614 (615); Silagi, ROW 1985, 166 (168). Schon aus diesem Grunde konnte der BGH in der oben in § 17 II.1. genannten Entscheidung nicht auf Art. 20 Abs. 1 GVG rekurrieren. Denn zu dem Zeitpunkt, als die Gerichtsstandsbestimmung anstand, befand sich Honecker nicht in der Bundesrepublik. Art. 20 Abs. 1 GVG war also im Fall Honecker irrelevant. So auch Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 54 Fn. 204. 247 BL-ZPO-Albers, § 20 GVG Rn. 1 und MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 112. 248 Vgl. hierzu schon Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 350 Fn. 1528.
§ 17 Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder
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vor den durch das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO) und dessen Spezialregelungen (wie § 153f StPO) festgelegten Strafverfolgungspflichten.249 Dieser Vorrang der durch § 20 Abs. 1 GVG der Bundesregierung eingeräumten Möglichkeit, Personen durch amtliche Einladung gewissermaßen dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden zu entziehen, ist auch sachgerecht. Insofern gilt nichts anderes als in bezug auf die Immunitäten ratione personae des Völkerrechts für Diplomaten sowie amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder. Auch wenn es dringend geboten ist, die für völkerrechtliche Verbrechen und sonstige schwerste Straftaten Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, so kann es doch Situationen geben, in denen im Interesse eines effektiven Menschenrechtsschutzes die Verhandlung und Kommunikation mit solchen Personen Vorrang vor einer Strafverfolgung haben muß. Ob eine solche Situation gegeben ist, kann – nicht nur faktisch, sondern auch nach der grundgesetzlichen Verteilung der auswärtigen Kompetenzen – allein die Bundesregierung entscheiden.
___________ 249 Bei völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen ergibt sich deren Vorrang vor innerstaatlichen, auf der StPO oder sonstigen Bundesgesetzen beruhenden Verfolgungspflichten bereits daraus, daß sie gemäß Art. 25 Satz 2 GG gegenüber einfachem Bundesrecht höherrangig sind.
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
§ 18 Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen Bis zum Ausgang des Mittelalters beschränkten sich – wie oben in § 11 I.1. dargelegt – die diplomatischen Beziehungen zwischen den Staaten auf die anlaßbezogene und temporäre Entsendung von Emissären. Mit der Entwicklung der Institution der ständigen diplomatischen Gesandtschaften im Zeitalter der Renaissance kam der uralte Brauch der Entsendung von „Ad-hoc-Botschaftern“ jedoch im wesentlichen zum Erliegen. Die Beschwerlichkeit des Reisens und die sehr begrenzten Kommunikationsmöglichkeiten hatten zur Folge, daß der zwischenstaatliche Verkehr – von seltenen Ausnahmen direkter Kontakte zwischen Regierungsvertretern abgesehen – allein den Diplomaten der ständigen Gesandtschaften oblag. Diese Situation änderte sich erst Mitte des 20. Jahrhunderts. Seither ist eine rapide Zunahme der unmittelbaren Kontakte zwischen im Heimatstaat ansässigen Funktionsträgern verschiedener Staaten zu verzeichnen, man spricht nicht zu Unrecht vom „Zeitalter der Reisediplomatie“. Von den vielen Gründen für diese Entwicklung sollen nur einige genannt werden: Die zunehmende internationale Verflechtung und die Komplexität der internationalen Beziehungen machen in vielen Bereichen den Einsatz von Spezialisten erforderlich. Internationale Krisen können heute nur noch durch direkte Kontakte zwischen hochrangigen Entscheidungsträgern bewältigt werden. Und die verbesserten Reisemöglichkeiten erlauben es, innerhalb weniger Stunden die meisten Entscheidungszentren der Welt zu erreichen. Die „Ad-hoc-Gesandten“ früherer Zeiten genossen – wie in § 11 I.2. skizziert – persönliche Unverletzlichkeit und waren damit der strafrechtlichen Zwangsgewalt des Empfangsstaates entzogen. Es stellt sich daher die Frage, ob bzw. inwieweit auch den Akteuren der modernen Reisediplomatie besondere Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zukommen.
I. Der Begriff „Spezialmission“ Die Formen der modernen Reisediplomatie sind vielfältig: Staatsoberhäupter und Regierungschefs besuchen sich gegenseitig zum Zweck politischer Konsultationen. Regierungsvertreter kommen auf multilateralen internationalen Konferenzen zusammen. Zur Erörterung wichtiger politischer Themen werden als „Sonderbotschafter“ bezeichnete hochrangige Vertreter ins Ausland geschickt. Für Gespräche und Verhandlungen über Spezialfragen reisen Beamte der Fachministerien zu ihren Kollegen in anderen Staaten. Die Reisediplomatie beschränkt sich aber nicht auf die Ebene der „hohen Politik“. Auch im administrativ-technischen Bereich ist heutzutage der direkte Kontakt zwischen staatlichen Funktionsträgern eine alltägliche Erscheinung. Lokalpolitiker reisen im Zuge direkter grenznachbarschaftlicher Kontakte zu Gesprächen mit Vertretern von Kommunen und Kreisen des Nachbarstaates in diesen. Beamte der Straßenbauverwaltungen verschiedener Staaten erörtern
§ 18 Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen
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gemeinsam den Bau grenzüberschreitender neuer Verkehrswege und Polizeibeamte benachbarter Staaten treffen sich zu Konsultationen über Wege transnationaler Verbrechensbekämpfung. All diese verschiedenen Formen zwischenstaatlicher Kontakte staatlicher Funktionsträger werden im Völkerrecht als „Spezialmissionen“ (special missions) oder synonym als „Sondermissionen“ bezeichnet.1 Bei hochrangigen politischen Spezialmissionen werden die Akteure von den Staaten vielfach als „Sonderbotschafter“ bzw. „Sondergesandte“ tituliert. Die Bezeichnung als „spezielle“ Mission bzw. „besonderer“ Vertreter dient dabei lediglich der Abgrenzung dieser Formen internationaler Diplomatie von den ständigen diplomatischen Vertretungen und deren Mitgliedern. Unter einer Spezialmission wird im Völkerrecht also jede zwischen zwei oder mehreren Staaten vereinbarte temporäre Entsendung von Staatenvertretern zur Erfüllung bestimmter staatlicher Aufgaben verstanden.2 Für das Vorliegen einer Spezialmission im völkerrechtlichen Sinne sind demgemäß vier Elemente konstitutiv: (1.) Es handelt sich um die Entsendung von staatlichen Vertretern; (2.) die Entsendung wird einvernehmlich zwischen Staaten vereinbart; (3.) die Entsendung ist zeitlich beschränkt; (4.) sie dient der Wahrnehmung einer bestimmten zwischen den Staaten vereinbarten staatlichen Aufgabe.3 Damit können bereits an dieser Stelle bestimmte Sachverhalte als für den vorliegenden Zusammenhang irrelevant ausgeschieden werden: Zum einen fällt die Entsendung von Staatenvertretern zu internationalen Organisationen sowie zu Konferenzen, die von internationalen Organisationen veranstaltet werden, nicht unter den Begriff „Spezialmission“.4 Zum anderen sind (Geschäfts-)Reisen von Vertretern von Unternehmen – selbst wenn sich deren Anteile in staatlicher Hand befinden – und private Reisen von staatlichen Funktionsträgern einschließlich Reisen von Staatsoberhäuptern und Regierungsvertretern, die keinen staatlichen Zwecken dienen – etwa eine Reise zur Entgegennahme einer Auszeichnung durch eine private ___________ Aus dieser Sammelbezeichnung folgt aber nicht, daß die Mitglieder aller Arten von Spezialmissionen in bezug auf völkerrechtliche Exemtionen gleichbehandelt werden müssen! 2 Über diese Definition besteht Einigkeit. Vgl. nur Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 297; Doehring, Völkerrecht, Rn. 515; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rn. 2; Herdegen, Special Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 574 (574); ders., Völkerrecht, § 38 Rn. 6; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 108 f.; Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 3. Unklar allerdings Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 72. 3 Vgl. hinsichtlich der konstitutiven Elemente einer Spezialmission auch OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160 (161); LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 159 (159). 4 So auch Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (265). Inwieweit Staatenvertreter bei internationalen Organisationen sowie Staatenvertreter bei einer Teilnahme an Konferenzen internationaler Organisationen von der Strafgewalt des Sitzstaates bzw. Tagungsorts befreit sind, wird daher nicht an dieser Stelle, sondern erst nachfolgend in § 19 erörtert. 1
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
Einrichtung oder zum Zweck der Vorstellung eines Buches –, keine Spezialmissionen.5 Die Teilnehmer an solchen Reisen können damit von vornherein nicht in den Genuß der nachfolgend zu erörternden besonderen völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit kommen.6
II. Zur Schwierigkeit der Feststellung der Existenz und Reichweite völkerrechtlicher Normen über Spezialmissionen Trotz der immensen Bedeutung der Reisediplomatie für die internationalen Beziehungen der Staaten bereitet es Schwierigkeiten, die Völkerrechtslage in bezug auf Mitglieder von Spezialmissionen festzustellen. Zwar wurde im Jahr 1969 eine im Rahmen der Vereinten Nationen in enger Anlehnung an das WÜD erarbeitete Konvention über Spezialmissionen (Convention on Special Missions – CSM)7 verabschiedet, doch hat diese bis heute nur marginale Bedeutung erlangt. Die Bundesrepublik Deutschland hat – wie die meisten anderen europäischen Staaten – die CSM nicht ratifiziert.8 Sofern nicht im Einzelfall ausnahmsweise individuelle vertragliche Abreden zwischen den beteiligten Staaten getroffen werden,9 bestimmt sich die Frage, inwieweit Mitglieder von Spezialmissionen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen, für die Strafgerichtsbarkeit Deutschlands und der allermei___________ So auch Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (265); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rn. 2; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 110 f. mit Fn. 313; Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 4. 6 Auch Wirtschaftsvertreter, die – wie das heutzutage vielfach üblich ist – zusammen mit Regierungsvertretern fremde Staaten bereisen, sind keine (privilegierten) Teilnehmer einer Spezialmission, da das Völkerrecht nur Personen, die eine staatliche Funktion ausüben, als Mitglieder einer Spezialmission anerkennt. Unerheblich ist allerdings, ob ein Gesandter beim Entsendestaat als Beamter oder Angestellter beschäftigt ist oder sonstwie in ständigen Diensten des Entsendestaates steht. Auch eine Privatperson kann Mitglied einer Spezialmission sein, wenn sie beauftragt worden ist, eine staatliche Funktion auszuüben; vgl. Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (265). Wenn Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder zu privaten Zwecken ins Ausland reisen bzw. Wirtschaftsvertreter diese Personen bei Dienstreisen begleiten, so kommen sie zwar nicht in den Genuß der Vorrechte und Befreiungen für Mitglieder von Spezialmissionen, sind aber gegebenenfalls aufgrund der oben in § 17 geschilderten Exemtionen von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates befreit. Insofern ist auch hier zu beachten, daß die verschiedenen völkerrechtlichen Exemtionen unabhängig voneinander sind. 7 Convention on Special Missions vom 8.12.1969, Res. der UN-Generalversammlung 2530 (XXIV); UNTS 1400, 213 = ILM 9 (1970), 127 = AVR 16 (1975/76), 60. Deutschsprachige Übers. in ÖBGBl. 1985 II, S. 2975. 8 Zu den Gründen für die verbreitete Ablehnung der CSM vgl. unten § 18 IV.3.a). 9 Zur Frage, inwieweit die Bundesregierung mit Bindungswirkung für die deutschen Strafverfolgungsbehörden individuelle Exemtionsvereinbarungen für Mitglieder von Spezialmissionen treffen kann, vgl. die Ausführungen unten bei § 18 IV.7. und 8. 5
§ 18 Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen
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sten anderen Staaten damit ausschließlich nach Völkergewohnheitsrecht. Dessen Stand im Hinblick auf Spezialmissionen ist aber sehr umstritten. Vor allem ist umstritten, inwieweit die Regelungen der CSM – wie die des WÜD – geltendes Völkergewohnheitsrecht widerspiegeln und damit auch für die Nichtvertragsstaaten der CSM verbindlich sind. Die völkerrechtliche Literatur hat sich mit der Rechtsstellung von Spezialmissionen verhältnismäßig wenig befaßt,10 sie ist zudem durch eine besondere Meinungsvielfalt gekennzeichnet.11 In der Rechtspraxis spielt die Frage völkerrechtlicher Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen nur eine äußerst geringe Rolle, neuere einschlägige Judikate gibt es kaum.12 Jede Aussage über den Stand des Völkergewohnheitsrechts ist daher mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Für die vorliegende Untersuchung heißt dies, daß eine besondere Zurückhaltung im Hinblick auf die Feststellung völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionen und ihrer Reichweite zu üben ist. Da die völkerrechtlichen Exemtionsregelungen grundsätzlich Ausnahmecharakter haben, weil sie Beschränkungen für eine ansonsten zulässige Ausübung von Strafgerichtsbarkeit festlegen, ist zu klären, inwieweit von einer allgemeinen Rechtsüberzeugung der Staaten getragene und in einer einheitlichen Staatenpraxis zum Ausdruck kommende Exemtionsregelungen existieren. Nur diese, nicht aber bloß wünschenswerten, allein in der CSM normierten, lediglich in der Literatur behaupteten oder nur vereinzelt von der Strafrechtspraxis akzeptierten Exemtionen sind für die (deutschen) Strafverfolgungsbehörden als unmittelbar anwendbares Völkergewohnheitsrecht verbindlich. Die Analyse des Völkerrechts erfolgt in drei Schritten. Zunächst wird ein Blick auf die Konvention über Spezialmissionen und die in ihr normierten Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit geworfen (§ 18 III.). Darauf aufbauend gilt es zu fragen, inwieweit Mitglieder von Spezialmissionen aufgrund des Völkergewohnheitsrechts von strafrechtlicher Verantwortlichkeit befreit sind (§ 18 IV.). Abschließend soll dann drittens erneut § 20 Abs. 1 GVG betrachtet werden. Diese nationale deutsche Rechtsvorschrift legt in Ergänzung zu den völkerrechtlichen Normen unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Befreiung von Mitgliedern von Spezialmissionen von deutscher Strafgerichtsbarkeit fest (§ 18 V.).
___________ Ryan, CanYBIL 16 (1978), 157 (179): “The subject of agents on special mission has rarely received more than cursory treatment from legal scholars.” 11 Vgl. die Ausführungen unten bei § 18 IV.2. 12 Vgl. die Ausführungen unten bei § 18 IV.3.b). 10
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
III. Die Konvention über Spezialmissionen 1. Entstehungsgeschichte und Ratifizierungsstand Die International Law Commission (ILC) hatte – wie oben in § 12 I.1. geschildert – im Auftrag der UN-Generalversammlung in den Jahren 1954 bis 1958 einen Entwurf für eine Diplomatenrechtskonvention ausgearbeitet. Dabei hatte sie sich darauf beschränkt, ein Regelungswerk für die ständigen diplomatischen Gesandtschaften zu entwerfen, obgleich der Auftrag der UN-Generalversammlung eine solche Beschränkung nicht enthalten hatte. Im unmittelbaren Anschluß an die Arbeiten der ILC zur Diplomatenrechtskonvention wurde der Sonderberichterstatter Sandström dann jedoch 1958 von der ILC gebeten, ein gesondertes Vertragswerk für Spezialmissionen zu konzipieren.13 Sandström präsentierte bereits 1960 einen Bericht, der innerhalb der ILC zwar diskutiert, aber aus Zeitgründen nicht abschließend beraten wurde.14 Die ILC legte der UN-Generalversammlung im Jahr 1960 daher einen ausdrücklich als preliminary survey bezeichneten Entwurf vor und plädierte dafür, daß über den Text auf der für 1961 in Wien geplanten Conference on Diplomatic Intercourse and Immunities weiterberaten werden sollte.15 Auf der Staatenkonferenz wurde jedoch schnell beschlossen, sich auf eine Regelung des Rechts der ständigen diplomatischen Gesandtschaften zu beschränken. Demgemäß wurde lediglich das WÜD beraten und schließlich verabschiedet.16 Die UN-Generalversammlung beauftragte die ILC daher im Anschluß an die Wiener Konferenz im Dezember 1961, sich erneut der Erarbeitung einer Konvention über Spezialmissionen zuzuwenden.17 Die ILC ernannte daraufhin den jugoslawischen Völkerrechtler Milan Bartoš zum „Special Rapporteur“.18 Bartoš präsentierte der ILC im Jahr 1964 einen ersten Bericht und Konventionsentwurf19 ___________ Vgl. YBILC 1958 II, 78 (89) (Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung von 1958, UN-Dokument A/3859); Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 38. 14 YBILC 1960 II, 108 (UN-Dokument A/CN.4/129); YBILC 1960 II, 117 (UN-Dokument A/CN.4/L.89). Vgl. auch Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 39. 15 Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1960, YBILC 1960 II, 142 (179) (UN-Dokument A/4425). Vgl. auch Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 39, 41. 16 Vgl. die Resolution der Konferenz vom 10.4.1961 (UN-Dokument A/CONF.20/10/ Add. 1); abgedr. in United Nations Conference on Diplomatic Intercourse and Immunities, Official Records, vol. II, New York 1962 (UN-Dokument A.CONF.20/ 14/Add.1), S. 89. Siehe auch YBILC 1962 II, 155 (UN-Dokument A/CN.4/147). Vgl. zu der Wiener Konferenz 1961 die Ausführungen oben in § 12 I.1. und die dort aufgeführte Literatur. 17 Res. der UN-Generalversammlung 1687 (XVI) vom 8.12.1961; abgedr. in YBILC 1962 II, 156. Vgl. auch das “working paper” des UN-Sekretariats von 1963, YBILC 1963 II, 151 (UN-Dokument A/CN.4/155). 18 Vgl. den Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1963, YBILC 1963 II, 187 (225) (UN-Dokument A/5509); Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 42. 19 YBILC 1964 II, 67 mit kommentiertem Text eines Konventionsentwurfs auf S. 89 ff. (UN-Dokument A/CN.4/166). 13
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sowie im darauffolgenden Jahr einen weiteren Bericht mit einer überarbeiteten Fassung derjenigen Entwurfsartikel, die sich auf die zu gewährenden Vorrechte und Befreiungen bezogen.20 Weil der von der ILC 1965 auf der Basis des von Bartoš vorgelegten Textes verabschiedete Entwurf21 jedoch bei den Staaten, die zu einer Stellungnahme aufgefordert worden waren, auf scharfe Kritik stieß,22 modifizierte die ILC ihren Vertragsentwurf im Jahr 1967.23 Der nun vorgelegte endgültige Entwurf24 der ILC wurde – anders als der Entwurf für das WÜD – nicht von einer eigens einberufenen Staatenkonferenz, sondern von der UN-Generalversammlung während der Sitzungsperiode im Jahr 1969 erörtert und – mit leichten redaktionellen Veränderungen – am 8. Dezember 1969 als Convention on Special Missions (CSM) verabschiedet und den Staaten zur Ratifikation vorgelegt.25 Die CSM fand jedoch bei den Staaten so wenig Anklang, daß die nach Art. 53 CSM für ein Inkrafttreten erforderliche Zahl von 22 Ratifikationen erst im Jahr 1985 erreicht wurde. Die CSM ist zwar am 21. Juni 1985 in Kraft getreten,26 doch liegt die Zahl der Vertragsstaaten auch heute, mehr als 20 Jahre später, bei nur 37.27 2. Konzeption der Konvention über Spezialmissionen Die CSM lehnt sich sehr eng an das WÜD an. Die Struktur der Konvention stimmt mit der des WÜD überein. Viele Regelungen des WÜD finden sich auch in der CSM. Etliche Artikel der CSM, vor allem die im vorliegenden Zusammenhang relevanten Normen zu Exemtionen, sind sogar nahezu wortlautidentisch mit den entsprechenden Normen des WÜD.28 Diese Übereinstimmungen sind natürlich nicht zufällig. Ziel der ILC war es, eine weitgehende Identität der Rechtsstellung der Mitglieder ständiger diplomatischer ___________ YBILC 1965 II, 109 mit kommentiertem Text des überarbeiteten Teilentwurfs auf S. 122 ff. (UN-Dokument A/CN.4/179). 21 Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1965, YBILC 1965 II, 155 (163) (UN-Dokument A/6009). 22 Vgl. die in YBILC 1967 II, 371 ff. (UN-Dokument A/6709/Rev.1/Annex) wiedergegebenen Stellungnahmen sowie Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 47 f. 23 Im Zuge dieser Arbeiten legte Bartoš einen dritten und vierten Bericht vor; vgl. YBILC 1966 II, 125 (UN-Dokument A/CN.4./189); YBILC 1967 II, 1 (UN-Dokument A/CN.4/194). 24 Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1967, YBILC 1967 II, 343 (347) (UN-Dokument A/6709/REV.1). 25 Res. der UN-Generalversammlung 2530 (XXIV) vom 8.12.1969. Vgl. oben Anm. 7. 26 Vgl. Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 71; Hobe/ Kimminich, Völkerrecht, S. 365. 27 Vgl. die Auflistung der Mitgliedstaaten im Internet unter (31.3.2006). 28 Vgl. die Aufstellung bei Verdross/Simma, Völkerrecht, § 916. 20
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Missionen und der der Mitglieder von Spezialmissionen erreichen. Man kann daher feststellen, daß die CSM die Regelungen des WÜD übernimmt und nur dort Abweichungen normiert, wo dies angesichts des temporären Charakters von Spezialmissionen erforderlich zu sein schien. Die CSM ist vor dem gedanklichen Hintergrund von Spezialmissionen formuliert worden, die nicht nur sachlich identische Aufgaben wie die ständigen diplomatischen Missionen wahrnehmen, sondern auch im Hinblick auf ihren Umfang und ihre Personalstruktur den diplomatischen Missionen entsprechen. Die CSM ist also in erster Linie ausgerichtet auf Spezialmissionen, die sich von den ständigen diplomatischen Missionen lediglich dadurch unterscheiden, daß ihr Aufenthalt im Empfangsstaat allein zum Zweck der Erledigung einer bestimmten Aufgabe erfolgt und demgemäß zeitlich begrenzt ist.29 Diese Konzeption der CSM ist einer der Gründe dafür, warum sie nur von wenigen Staaten ratifiziert worden ist.30 Denn die meisten in der Staatenpraxis eingesetzten Spezialmissionen bestehen aus ganz wenigen Personen, die ohne Unterstützungspersonal in den Empfangsstaat reisen, sich dort allenfalls einige Tage aufhalten, bei mehrtägigen Aufenthalten in einem Hotel wohnen und gegebenenfalls auf die Infrastruktureinrichtungen der ständigen diplomatischen Vertretung ihres Heimatstaates zurückgreifen. Zwar erfaßt die CSM auch diese Arten von Sondermissionen, so daß Exemtionsregelungen auch für die Mitglieder solcher Spezialmissionen gelten. Doch ist augenfällig, daß viele Vorschriften der CSM – etwa diejenigen über Vorrechte und Befreiungen von Familienmitgliedern und dienstlichem Hauspersonal (Art. 38 f.), über Befreiungen der Mitglieder der Mission von persönlichen Dienstleistungspflichten (Art. 34) und über Befreiungen der genutzten Räumlichkeiten von Steuern und Abgaben (Art. 24) –, die sich mit weitgehend identischer Formulierung auch im WÜD finden, auf die meisten Arten von Spezialmissionen von vornherein nicht anwendbar sind. Aus der engen Anlehnung der Bestimmungen der CSM an die Normen des WÜD und der gewollten Übereinstimmung der Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen mit denen für Mitglieder ständiger diplomatischer Missionen folgt für die nachfolgende Betrachtung, daß die Vorschriften der CSM in Übereinstimmung mit den entsprechenden Normen des WÜD zu interpretieren sind und daher in der Regel auf die Erörterungen der (wortlautidentischen) Normen des WÜD in den §§ 12–16 verwiesen werden kann. Besonders hinzuweisen ist darauf, daß die Exemtionsregelungen der CSM – auch insofern besteht Übereinstimmung mit den Regelungen des WÜD – auf der Funk-
___________ Vgl. den Bericht über die Diskussion innerhalb der ILC in YBILC 1967 I, 211 sowie Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 49 f. 30 Vgl. ausführlich zu den Gründen für die ablehnende Haltung der Staaten unten § 18 IV.3. 29
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tionstheorie basieren.31 Die Exemtionen, die die CSM den Mitgliedern von Spezialmissionen verleiht, sollen allein dem Zweck dienen, diesen die Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu ermöglichen. Dies kommt in Abs. 6 der Präambel der CSM zum Ausdruck, wo es heißt: “Realizing that the purpose of privileges and immunities relating to special missions is not to benefit individuals, but to ensure the efficient performance of the functions of special missions as missions representing the state.”32
Auch an dieser Funktionsgebundenheit muß sich die (demgemäß vornehmlich teleologische) Auslegung der einzelnen Exemtionsregelungen orientieren. 3. Konstitutive Elemente einer Spezialmission nach der Konvention Art. 1 lit. a) enthält eine Legaldefinition der von der CSM erfaßten Spezialmissionen: “a ‘special mission’ is a temporary mission, representing the State, which is sent by one State to another State with the consent of the latter for the purpose of dealing with it in specific questions or of performing in relation to it a specific task;”
Die oben im Zusammenhang mit der allgemeinen Definition einer Spezialmission genannten konstitutiven Elemente finden sich auch in dieser Legaldefinition: Es geht um die zwischen zwei oder mehr Staaten einvernehmlich vereinbarte Entsendung von Staatsvertretern, die zeitlich begrenzt ist und der Wahrnehmung einer bestimmten konkreten Aufgabe dienen soll.33 Doch grenzt die Legaldefinition der CSM den Begriff „Spezialmission“ noch weiter ein, so daß nicht alle Arten von Spezialmissionen im völkerrechtlichen Sinne von der Konvention erfaßt werden. Zum einen erfaßt die CSM nur Missionen, die von einem Staat zu einem anderen Staat entsandt werden. Damit sind Delegationen zu internationalen Konferenzen nicht in den Regelungsbereich einbezogen.34 ___________ Vgl. den Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1967, YBILC 1967 II, 343 (358) (UN-Dokument A/6709/REV.1); Herdegen, Special Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 574 (575); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 533; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 199; Przetacznik, RDI 59 (1981), 109 (137 ff.). 32 Da die Bundesrepublik die CSM nicht ratifiziert hat und es daher keine maßgebliche amtliche deutsche Übersetzung gibt, wird die CSM hier in ihrer verbindlichen englischen Sprachfassung (vgl. Art. 55 CSM) zitiert. 33 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 297; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rn. 2 ff.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 533; Przetacznik, RDI 59 (1981), 109 (111 f.). 34 Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 532; Ryan, CanYBIL 16 (1978), 157 (159 f.); Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 5. Dagegen sind von der oben in § 18 I.1. genannten Definition nicht alle Delegationen zu internationalen Konferenzen ausgenommen, sondern nur Delegationen zu solchen internationalen Konferenzen, die von internationalen Organisationen veranstaltet werden. Nach Völkergewohnheitsrecht gelten also – anders als nach der CSM – Staatenvertreter, die zu internationalen Konferenzen reisen, die von dem Gaststaat (und gegebenenfalls weiteren Staaten) veranstaltet wer31
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
Zum anderen gilt die CSM nur für solche Spezialmissionen, die „den Entsendestaat repräsentieren“ (representing the state). Diese Einschränkung wurde von der ILC in bewußter Anlehnung an die Formulierung in Art. 3 Abs. 1 lit. a) WÜD in ihren Entwurf von 1967 aufgenommen, um angesichts der von den Staaten an den bisherigen Entwürfen geübten heftigen Kritik die Geltung der CSM auf Missionen solcher Personen zu beschränken, die von ihrem Status und ihrer Aufgabe her als politische Repräsentanten des Entsendestaates in seiner Gesamtheit angesehen werden können.35 Wenngleich der Wortlaut der CSM dies nicht eindeutig zum Ausdruck bringt, so kann man doch unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte nur solche Spezialmissionen als von der Konvention erfaßt ansehen, die von hochrangigen Regierungsvertretern angeführt werden und Aufgaben wahrnehmen, wie sie nach Art. 3 Abs. 1 WÜD auch den Diplomaten der ständigen Gesandtschaften obliegen.36 Damit fallen administrativ-technische Spezialmissionen, namentlich Missionen von Personen, die von staatlichen Behörden außerhalb des unmittelbaren Regierungsapparates entsandt werden und die technische oder administrative Spezialfragen zu erörtern haben – etwa Reisen von Beamten einer staatlichen Eisenbahnbehörde ins benachbarte Ausland, um mit Vertretern des Verkehrsministeriums des Nachbarstaates den Fahrplan grenzüberschreitender Züge abzustimmen –, nicht in den Regelungsbereich der CSM.37 Nach Art. 2 CSM setzt die Entsendung einer Spezialmission das vorherige Einverständnis des Empfangsstaates voraus, für das allerdings keine besondere Form vorgesehen ist: “A State may send a special mission to another State with the consent of the latter, previously obtained through the diplomatic or another agreed or mutually acceptable channel.”
___________ den, als Mitglieder einer Spezialmission. So auch Herdegen, Special Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 574 (574); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 127. Vgl. diesbezüglich auch die Ausführungen unten bei § 18 IV.5.a)cc). 35 Vgl. den Bericht über die Diskussion innerhalb der ILC in YBILC 1967 I, 211, sowie Hardy, Modern Diplomatic Law, S. 92; Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 49 f., 53; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 158. Siehe auch die Ausführungen unten bei § 18 IV.3.a). 36 So auch Hardy, Modern Diplomatic Law, S. 92; Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 53; Satow, Satow’s guide to diplomatic practice, S. 158. Der Begriff „hochrangige Vertreter“ ist aber nicht dahingehend zu verstehen, daß die entsandten Personen im unmittelbaren Regierungsbereich tätige Staatsbeamte sein müssen. Wie bereits erwähnt, können auch Privatpersonen mit einer Spezialmission beauftragt werden. Entscheidend für den Status eines „hochrangigen Vertreters“ ist vielmehr, daß die entsendende Stelle dem unmittelbaren Regierungsapparat des Entsendestaates zuzurechnen ist. 37 So auch der englische High Court im Fall Teja. Siehe hierzu unten § 18 IV.3.b). A.A. aber Ryan, CanYBIL 16 (1978), 157 (186).
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Die Mitglieder einer Spezialmission können sich also nur und erst dann auf die Exemtionsregelungen der CSM berufen, wenn ein Einverständnis des Empfangsstaates zu der Mission vorliegt.38 Allerdings ist nicht erforderlich, daß das Einverständnis vor der Einreise der Mitglieder einer Spezialmission in das Gebiet des Empfangsstaates erteilt wird. Vielmehr können auch Personen, die sich bereits im Empfangsstaat aufhalten, zu Mitgliedern einer Spezialmission ernannt werden. Auch diese genießen aber erst ab dem Zeitpunkt der Vereinbarung der Spezialmission und ihrer nachfolgenden Ernennung die in der CSM normierten Exemtionen. Die (politische) Aufgabe, die eine Spezialmission im Sinne des Art. 1 lit. a) CSM wahrnehmen soll, muß zwischen den Staaten vereinbart werden. Die CSM macht insofern keine inhaltlichen Vorgaben, sondern bestimmt in Art. 3 lediglich: “The functions of a special mission shall be determined by the mutual consent of the sending and the receiving State.”
Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß eine Vereinbarung über eine spezifische Aufgabe zwingend erforderlich ist, damit überhaupt von einer Spezialmission gesprochen werden kann und die Exemtionsregelungen der CSM Anwendung finden können. Eine bloße Vereinbarung zwischen zwei Staaten, eine bestimmte Person als „Sonderbotschafter“ anzusehen, begründet also nach der CSM keinerlei völkerrechtliche Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Eine Exemtion ad personam kennt die CSM nicht; die Gewährung von Exemtion von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates ist vielmehr – auch in ihrer zeitlichen Reichweite – zwingend abhängig von der Vereinbarung und Wahrnehmung einer spezifischen politischen Aufgabe. Dies ergibt sich auch aus der der CSM zugrundeliegenden Funktionstheorie.39 Die Existenz vorheriger diplomatischer Beziehungen zwischen dem Entsendestaat und dem Empfangsstaat ist dagegen nicht Voraussetzung für das Zustandekommen einer Spezialmission.40 Dies stellt Art. 7 CSM (deklaratorisch) fest: “The existence of diplomatic or consular relations is not necessary for the sending or reception of a special mission.”
Gerade für die internationalen Beziehungen zwischen Staaten, die keine diplomatischen Beziehungen unterhalten, ist die Entsendung von Spezialmissionen von Bedeutung, vielfach dient eine solche Entsendung auch der Vorbereitung der Aufnahme diplomatischer Beziehungen. ___________ 38 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 297; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rn. 4; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 533; Przetacznik, RDI 59 (1981), 109 (112 f.). 39 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 297; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rn. 6 sowie die Erörterungen zum Fall Tabatabai unten in § 18 IV.5.a)aa). 40 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 298; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rn. 7; Przetacznik, RDI 59 (1981), 109 (118 f.); Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 969.
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4. Rechtsstellung der Mitglieder einer Spezialmission a) Allgemeine Normen über die Rechtsstellung der Mitglieder von Spezialmissionen Die Vorschriften über die Ernennung der einzelnen Mitglieder einer Spezialmission entsprechen im wesentlichen den Vorschriften der Art. 7 f. WÜD über die Ernennung der Mitglieder einer diplomatischen Mission.41 Gemäß Art. 8 CSM darf der Entsendestaat die Mitglieder einer Spezialmission grundsätzlich frei ernennen.42 Er muß allerdings vor einer Ernennung einzelner Personen dem Empfangsstaat zwingend die Namen der designierten Mitglieder übermitteln.43 Insofern weicht die CSM vom WÜD ab.44 In Art. 8 CSM heißt es: “(…) the sending State may freely appoint the members of the special mission after having given to the receiving State all necessary information concerning the size and composition of the special mission, and in particular the names and designations of the persons it intends to appoint. The receiving State may decline to accept a special mission of a size that is not considered by it to be reasonable, having regard to circumstances and conditions in the receiving State and to the needs of the particular mission. It may also, without giving reasons, decline to accept any person as a member of the special mission.”
In weitgehender Übereinstimmung mit den Bestimmungen des WÜD teilt das CSM die Mitglieder einer Spezialmission in verschiedene Kategorien ein bzw. ermöglicht die Ernennung von Personen mit unterschiedlichem, von ihrer speziellen Aufgabe abhängigem Status. An der Spitze einer Spezialmission steht nach Art. 1 lit. d) CSM ein head of the special mission. Diejenigen Mitglieder einer Spezialmission, die unmittelbar mit der Wahrnehmung der politischen Aufgabe der Mission betraut sind, werden entweder als representative of the sending State in the special mission (Art. 1 lit. e) CSM) oder, ohne daß damit ein Unterschied im Umfang der diesen Personen zukommenden Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit verbunden ist, als members of the diplomatic staff (Art. 1 lit. h) CSM) ernannt. Die Differenzierung beim nachgeordneten Personal entspricht der Einteilung des WÜD. Ebenso wie das WÜD differenziert die CSM zwischen Mitgliedern des ___________ 41 Vgl. bezüglich der Ernennung von Mitgliedern einer diplomatischen Mission die Ausführungen oben bei § 12 III.2.b)aa). 42 Nach Art. 10 CSM dürfen jedoch Angehörige des Empfangsstaates nur mit dessen Zustimmung zu Mitgliedern einer Spezialmission ernannt werden. Art. 10 CSM entspricht Art. 8 WÜD. 43 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 298; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rn. 7; Przetacznik, RDI 59 (1981), 109 (120 ff.). 44 Die oben in § 13 III.1.a) diskutierte und umstrittene Frage, ob auch solche Mitglieder einer Mission Exemtionen im Empfangsstaat genießen, die der Empfangsstaat nicht akzeptiert hat bzw. von deren Tätigkeit bei einer Mission des Entsendestaates er noch gar nicht informiert wurde, stellt sich also aufgrund der von Art. 7 WÜD abweichenden Bestimmung des Art. 8 CSM bei Mitgliedern von Spezialmissionen nicht. Vgl. diesbezüglich auch unten § 18 IV.5.a)bb).
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Verwaltungs- und technischen Personals (members of the administrative and technical staff, Art. 1 lit. i) CSM), den Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals (members of the service staff, Art. 1 lit. j) CSM) und den privaten Hausangestellten (private staff, Art. 1 lit. k) CSM). Wie im Diplomatenrecht hat der Empfangsstaat gemäß Art. 12 CSM das Recht, jederzeit und ohne Angabe von Gründen ein Mitglied einer Spezialmission zur persona non grata bzw. (beim nachgeordneten Personal) zur „nicht genehmen Person“ zu erklären.45 Der Entsendestaat hat die betreffende Person dann abzuberufen oder ihre Tätigkeit zu beenden. Wenn der Entsendestaat dies innerhalb angemessener Frist nicht tut, kann der Empfangsstaat erklären, die betreffende Person nicht mehr als Mitglied der Spezialmission zu akzeptieren. In beiden Fällen erlischt die Zugehörigkeit der betreffenden Person zur Spezialmission mit der Folge, daß dann auch die der Person zukommenden Exemtionen (jedenfalls teilweise) erlöschen.46 Die Regelung des Art. 12 CSM ist identisch mit der des Art. 9 WÜD, so daß auf die auf Art. 9 WÜD bezogenen Ausführungen oben in § 12 und § 13 verwiesen werden kann. Der Status einer Person als Mitglied einer Spezialmission endet spätestens dann, wenn die Spezialmission als solche beendet wird. Die Dauer der Existenz einer Spezialmission ist abhängig von der ihr zugrundeliegenden Vereinbarung, die allerdings jederzeit einvernehmlich geändert werden kann. Zudem kann jeder der beteiligten Staaten jederzeit einseitig durch entsprechende Notifikation die Tätigkeit und völkerrechtliche Existenz einer Spezialmission beenden. Da konstitutives Element einer Spezialmission die Wahrnehmung einer spezifischen Aufgabe ist, wird eine Spezialmission automatisch auch dann beendet, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt hat.47 Die Beendigungsgründe sind in Art. 20 Abs. 1 CSM aufgeführt: “The functions of a special mission shall come to an end, inter alia, upon a) the agreement of the States concerned; b) the completion of the task of the special mission; c) the expiry of the duration assigned for the special mission, unless it is expressly extended; d) notification by the sending State that it is terminating or recalling the special mission; e) notification by the receiving State that it considers the special mission terminated.”
___________ 45 Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rn. 7; Przetacznik, RDI 59 (1981), 109 (134). 46 Siehe im einzelnen zur zeitlichen Reichweite der Exemtionen nach der CSM die Darstellung unten bei § 18 III.4.b). 47 Vgl. auch Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 533; Przetacznik, RDI 59 (1981), 109 (133 f.).
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b) Die Regeln über Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Rechtsstellung der Mitglieder von Spezialmissionen nach der CSM derjenigen der Mitglieder diplomatischer Missionen nach dem WÜD entspricht. Demgemäß sind die Exemtionsregelungen der CSM und des WÜD deckungsgleich.48 In gleicher Weise wie das WÜD differenziert die CSM zwischen den verschiedenen Kategorien von Mitgliedern einer Spezialmission und sieht ferner Sonderregelungen für den Fall vor, daß es sich bei einem Mitglied einer Spezialmission ausnahmsweise um eine Person handelt, die Staatsangehöriger des Empfangsstaates bzw. in diesem ständig ansässig ist. aa) Personale und sachliche Reichweite der Exemtionen von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates Der Status der “representatives” und der “members of the diplomatic staff” einer Spezialmission, also derjenigen Personen, die mit der unmittelbaren Wahrnehmung der Aufgabe der Mission betraut sind, entspricht dem der Diplomaten nach dem WÜD. So verleiht Art. 29 CSM, dessen Regelungsgehalt mit Art. 29 WÜD übereinstimmt, diesen Mitgliedern einer Spezialmission persönliche Unverletzlichkeit: “The persons of the representatives of the sending State in the special mission and of the members of its diplomatic staff shall be inviolable. They shall not be liable to any form of arrest or detention. The receiving State shall treat them with due respect and shall take all appropriate steps to prevent any attack on their persons, freedom or dignity.”
Diese Unverletzlichkeit bedeutet wie im Diplomatenrecht, daß sämtliche strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, die unmittelbar gegen die geschützte Person gerichtet sind, unabhängig davon, ob die betreffende Person als Beschuldigter in Anspruch genommen wird oder nicht, untersagt sind. Verhaftungen, Durchsuchungen, Untersuchungen und sonstige mit einer Beschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit verbundene strafprozessuale Maßnahmen sind durch Art. 29 CSM verboten.49 Wegen der Einzelheiten des Umfangs der Unverletzlichkeit kann auf die Ausführungen oben bei § 13 I.1.a)cc) verwiesen werden. Ferner genießen die “representatives” und die “members of the diplomatic staff” einer Spezialmission nach Art. 31 Abs. 1 CSM umfassende Immunität ratione personae von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates, also Immunität sowohl in bezug auf ihre dienstlichen Handlungen (unabhängig davon, ob diese acta iure imperii oder acta iure gestionis sind) als auch Immunität in bezug auf private Straftaten: “The representatives of the sending State in the special mission and the members of its diplomatic staff shall enjoy immunity from the criminal jurisdiction of the receiving State.”
___________ 48 49
Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 298. Vgl. auch Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 533.
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Die Immunität, die derjenigen der Diplomaten nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD entspricht (der Wortlaut des operativen Teils beider Normen ist identisch), unterscheidet auch nicht danach, ob es sich um Taten handelt, die vor der Zeit als Mitglied einer Spezialmission oder während der Zeit als Angehöriger der Mission begangen worden sind. Vielmehr scheidet solange, wie die betreffende Person Mitglied einer Spezialmission ist, jede Ausübung von Strafgerichtsbarkeit wegen von der geschützten Person vermeintlich begangener Taten aus. Im einzelnen wird auf die Ausführungen zu Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD in § 13 I.1.a)dd) verwiesen.50 Ferner sind die “representatives” und die “members of the diplomatic staff” einer Spezialmission nach Art. 31 Abs. 3 CSM, der Art. 31 Abs. 2 WÜD entspricht, von den Zeugenpflichten befreit.51 Die strafrechtlichen Exemtionen der Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals und der Angehörigen des dienstlichen Hauspersonals einer Spezialmission sind deckungsgleich mit denen, die die entsprechenden Mitglieder diplomatischer Missionen genießen: Während die Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals Unverletzlichkeit, Immunität ratione personae sowie Befreiung von den Zeugenpflichten genießen (vgl. Art. 36 CSM, der Art. 37 Abs. 2 WÜD entspricht), kommt den Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals nur Immunität ratione materiae für alle ihre dienstlichen Handlungen als Mitglieder der Spezialmission zu (vgl. Art. 37 CSM, der Art. 37 Abs. 3 WÜD entspricht).52 Familienangehörige von “representatives” und “members of the diplomatic staff” sowie der Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals einer Spezialmission genießen nach Art. 39 CSM wie diese selbst Unverletzlichkeit, Immunität ratione personae von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates und Befreiung von den Zeugenpflichten, vorausgesetzt, sie sind weder Staatsangehörige des Entsendestaates noch in diesem ständig ansässig.53 Privaten Hausangestellten von Mitgliedern einer Spezialmission kommen dagegen nach Art. 38 CSM keine besonderen Exemtionen zu.54 ___________ Vgl. zudem Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 533; Przetacznik, IJIL 11 (1971), 593 (597). 51 Zum strafrechtlich relevanten Umfang der Befreiung vgl. die Ausführungen oben bei § 13 I.1.a)ee). 52 Vgl. Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 533; Przetacznik, IJIL 11 (1971), 593 (606). Wegen der Einzelheiten des Exemtionsumfangs kann auf die Ausführungen oben in § 13 I.1.b) und c) verwiesen werden. 53 Vgl. Przetacznik, IJIL 11 (1971), 593 (607). Die Regelung über Exemtionen für Familienangehörige in der CSM entspricht damit weitgehend derjenigen in Art. 37 Abs. 1 und Abs. 2 WÜD, so daß auch diesbezüglich wieder auf die obigen Ausführungen zum WÜD verwiesen werden kann (§ 13 I.1.d)). 54 Vgl. Przetacznik, IJIL 11 (1971), 593 (606 f.). Auch insofern entspricht die Rechtslage nach der CSM derjenigen nach dem WÜD; vgl. den sachlich identischen Art. 37 Abs. 4 WÜD und die diesbezüglichen Ausführungen oben in § 13 I.1.e). 50
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Wenn Mitglieder einer Spezialmission Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, genießen sie nur sehr eingeschränkte bzw. überhaupt keine Exemtionen nach der CSM. Art. 40 CSM, der sachlich mit Art. 38 WÜD identisch ist, legt in Abs. 1 fest, daß die “representatives” und die “members of the diplomatic staff” einer Spezialmission, sofern sie Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, lediglich Immunität ratione materiae für ihre unmittelbaren Amtshandlungen genießen.55 Andere Mitglieder einer Spezialmission, die Angehörige des Empfangsstaates oder in diesem ständig ansässig sind, genießen nach Art. 40 Abs. 2 CSM gar keine besonderen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit.56 Sofern aber bestimmte Mitglieder einer Spezialmission nach der CSM – deren Anwendbarkeit auf einen konkreten Fall einmal unterstellt – keinerlei Exemtionen genießen, so heißt dies nicht, daß sie uneingeschränkt der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates unterworfen sind. Vielmehr gilt auch hier – ebenso wie hinsichtlich der diplomatischen und konsularischen Exemtionen – daß die Staatenimmunität von den Bestimmungen der CSM nicht verdrängt wird. Wegen hoheitlichdienstlicher Handlungen für ihren Entsendestaat dürfen Mitglieder einer Spezialmission aufgrund der Staatenimmunität vom Empfangsstaat strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden, unabhängig davon, ob die CSM ihnen besondere Exemtionen von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates zuspricht oder nicht. Insofern kann an dieser Stelle auf die Ausführungen oben in § 13 V.2. verwiesen werden. Die dort getroffenen Feststellungen zum Verhältnis der Staatenimmunität zu den Immunitäten des Diplomaten- und Konsularrechts gelten in gleicher Weise für das Verhältnis der Staatenimmunität zu den Exemtionen nach der CSM. bb) Zur Möglichkeit eines Verzichts auf die Exemtionen Ebenso wie im Diplomaten- und Konsularrecht kann der Entsendestaat – aber auch nur dieser und nicht die betroffene bevorrechtigte Person – auf die in der CSM normierten Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit verzichten.57 Art. 41 CSM legt diese Verzichtsmöglichkeit in sachlicher Übereinstimmung mit der Regelung des Art. 32 WÜD fest.58
___________ Vgl. Przetacznik, IJIL 11 (1971), 593 (607). Siehe bezüglich des genauen Umfangs der Exemtion die Ausführungen zu Art. 38 Abs. 1 WÜD oben in § 13 I.1.f)aa). 56 Vgl. Przetacznik, IJIL 11 (1971), 593 (607). Siehe bezüglich des genauen Umfangs der Exemtion die Ausführungen zu Art. 38 Abs. 2 WÜD oben in § 13 I.1.f)bb). 57 Vgl. Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 533. 58 Insofern kann auf die Erläuterungen zu Art. 32 WÜD oben in § 13 IV. Bezug genommen werden. 55
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cc) Zeitliche Reichweite der Exemtionen Die Regeln hinsichtlich des Beginns und Endes der Exemtionen in Art. 43 CSM entsprechen denen in Art. 39 WÜD.59 Die Exemtionen beginnen also mit der Einreise in den Empfangsstaat bzw. in dem Fall, daß sich ein Mitglied einer Spezialmission bereits aus anderen Gründen im Empfangsstaat aufhält, sobald im Anschluß an die Vereinbarung der Spezialmission dem Empfangsstaat die Ernennung der betreffenden Person zum Mitglied der Mission notifiziert wurde. Die Exemtionen enden grundsätzlich mit der Ausreise der geschützten Person aus dem Empfangsstaat bzw. in dem Fall, daß eine Ausreise – aus welchen Gründen auch immer – unterbleibt, nach Ablauf einer für eine Ausreise angemessenen Frist nach Beendigung des dienstlichen Status als Mitglied einer Spezialmission.60 Die Immunitäten für Diensthandlungen bleiben aber – solange der Entsendestaat keinen Verzicht ausspricht – gemäß Art. 43 Abs. 2 Satz 2 CSM auf unbegrenzte Zeit bestehen: “However, in respect of acts performed (…) in the exercise of his functions, immunity shall continue to subsist.”61
dd) Verhältnis der Exemtionen nach der Konvention zu den Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder sowie Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen Auch Reisen von Staatsoberhäuptern, Regierungschefs und Fachministern einer Regierung, die der Wahrnehmung einer politischen Aufgabe dienen (also als Dienstreisen einzustufen sind), sind Spezialmissionen im Sinne des Völkerrechts. Auch die CSM erfaßt die Dienstreisen solcher Personen als Spezialmissionen. Wie oben in § 17 I.2.a) dargelegt, genießen amtierende Staatsoberhäupter, Regierungschefs, Außenminister und sonstige Fachminister nach Völkergewohnheitsrecht umfassende Immunität ratione personae von der Strafgewalt anderer Staaten. Diese Immunität ratione personae ist unabhängig davon, ob sich die betreffenden Perso___________ 59 Die oben in § 13 III. detailliert erläuterten Bestimmungen hinsichtlich des Beginns und Endes der diplomatischen und konsularischen Exemtionen gelten daher mutatis mutandis auch für die Exemtionen nach der CSM. 60 Der dienstliche Status einer Person als Mitglied einer Spezialmission endet, wenn die Mission selbst erlischt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Aufgabe der Spezialmission erledigt worden ist. Vgl. Art. 20 Abs. 1 CSM und oben § 18 III.4.a). Der dienstliche Status einer Person als Mitglied einer Spezialmission endet ferner durch ihre Abberufung durch den Entsendestaat oder durch eine Erklärung des Empfangsstaates nach Art. 12 Abs. 2 CSM, das von ihm zur persona non grata erklärte Mitglied, dessen Abberufung der Entsendestaat pflichtwidrig unterlassen hat, nicht mehr als Mitglied einer Mission zu betrachten. 61 Vgl. bezüglich der zeitlichen Reichweite auch Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 533; Przetacznik, IJIL 11 (1971), 593 (607 f.); ders., RDI 59 (1981), 109 (171 f.).
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nen im Gebiet eines anderen Staates aufhalten oder nicht bzw. ob sie sich auf einer Dienstreise oder einer privaten Auslandsreise befinden. Damit kommen diese Personen bereits aufgrund ihres persönlichen Status und unabhängig von ihrer Teilnahme an einer Spezialmission in den Genuß einer vollständigen Freistellung von jeglicher fremdstaatlicher Strafgewalt. Diese Befreiungen gehen selbstverständlich bei einer Teilnahme an einer Spezialmission nicht verloren, vielmehr kommen diese Personen gemäß Art. 21 CSM in einem solchen Fall zusätzlich in den Genuß der Exemtionen, die die CSM für Mitglieder einer Spezialmission normiert, soweit diese weiterreichend sind als die Exemtionen nach Völkergewohnheitsrecht.62 Der bereits oben in § 17 I.2.a)aa) vorgestellte Art. 21 CSM lautet: “(1) The Head of the sending State, when he leads a special mission, shall enjoy in the receiving State or in a third State the facilities, privileges and immunities accorded by international law to Heads of State on an official visit. (2) The Head of the Government, the Minister of Foreign Affairs and other persons of high rank, when they take part in a special mission of the sending State, shall enjoy in the receiving State or in a third State, in addition to what is granted by the present Convention, the facilities, privileges and immunities accorded by international law.”
Möglich ist nach der CSM auch, Personen, die Mitglieder der im Empfangsstaat errichteten diplomatischen oder konsularischen Vertretungen des Entsendestaates sind, für eine bestimmte Aufgabe (zusätzlich) zu Mitgliedern einer Spezialmission zu ernennen. Diese Personen kommen dann sowohl in den Genuß der ihnen nach dem WÜD bzw. WÜK zustehenden Vorrechte und Befreiungen als auch in den Genuß derjenigen Exemtionen, die Mitgliedern von Spezialmissionen nach dem CSM zu gewähren sind. Art. 9 Abs. 2 formuliert: “When members of a permanent diplomatic mission or of a consular post in the receiving State are included in a special mission, they shall retain their privileges and immunities as members of their permanent diplomatic mission or consular post in addition to the privileges and immunities accorded by the present convention.”
ee) Exemtionen von der Strafgerichtsbarkeit von Drittstaaten Art. 42 CSM sieht vor, daß die Mitglieder einer Spezialmission bei der Durchreise durch einen Drittstaat auf dem Weg zu oder von dem Staat, in dem die Aufgabe der Spezialmission wahrzunehmen ist, Unverletzlichkeit gegenüber der Strafge___________ 62 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 298; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 533; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 917. In bezug auf Staatsoberhäupter bestimmt Art. 21 Abs. 1 CSM zwar, daß diese (allein) die ihnen nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht zukommenden Exemtionen genießen, ohne daß ausdrücklich die zusätzliche Geltung der Exemtionen der CSM angeordnet wird. Doch beruht dies darauf, daß die Konvention davon ausgeht, daß Staatsoberhäupter nach Völkergewohnheitsrecht auf jeden Fall weiterreichende Exemtionen als die von der CSM normierten genießen, also eine zusätzliche Geltung der Exemtionen der CSM den Umfang der ihnen zukommenden Vorrechte und Befreiungen nicht vergrößern würde. Vgl. hierzu schon oben § 17 I.2.a)aa).
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richtsbarkeit des Drittstaates genießen.63 Die Regelung des Art. 42 CSM entspricht der des Art. 40 WÜD, wenngleich Art. 42 Abs. 3 CSM in Ergänzung und Klarstellung des Art. 40 WÜD ausdrücklich betont, daß ein Drittstaat nur dann zur Gewährung von Exemtionen verpflichtet ist, wenn ihm die Durchreise vorher angezeigt worden ist und er keine Einwendungen erhoben hat.64 Da völkerrechtliche Verträge keine Verpflichtungen zu Lasten dritter Staaten, also zu Lasten von Nichtvertragsstaaten, festlegen können (vgl. Art. 34 WVRK), werden durch Art. 42 aber nur solche Transitstaaten verpflichtet, die ihrerseits die CSM ratifiziert haben. Für die Bundesrepublik als Nichtvertragsstaat der CSM bedeutet dies, daß Art. 42 CSM als völkervertragliche Vorschrift keine Einschränkung deutscher Strafgerichtsbarkeit bewirkt.65 5. Sonstige strafrechtlich relevante Exemtionsbestimmungen der Konvention Neben den geschilderten personenbezogenen Exemtionen für die einzelnen Mitglieder einer Spezialmission normiert die CSM, wiederum in enger Anlehnung an das WÜD, auch bestimmte sachbezogene Exemtionen, die, soweit sie von strafrechtlicher Relevanz sind, an dieser Stelle kurz erwähnt werden sollen. Gemäß Art. 25 CSM sind die von einer Spezialmission genutzten Räumlichkeiten unverletzlich: “(1) The premises where the special mission is established in accordance with the present Convention shall be inviolable. The agents of the receiving State may not enter the said premises, except with the consent of the head of the special mission or, if appropriate, of the head of the permanent diplomatic mission of the sending State accredited to the receiving State. Such consent my be assumed in case of fire or other disaster that seriously endangers public safety, and only in the event that it has not been possible to obtain the express consent of the head of the special mission or, where appropriate, of the head of the permanent mission. (…).
___________ Art. 42 CSM spricht zwar in Abs. 1 von “inviolability and such other immunities as may be required to ensure his transit or return” bzw. in Abs. 2 allein von “shall not hinder the transit”, aber oben in § 15 I.3. wurde in bezug auf den gleichlautenden Art. 40 WÜD bereits dargelegt, daß diese Formulierungen im Hinblick auf Exemtionen von der Strafgerichtsbarkeit nur und einheitlich im Sinne einer Unverletzlichkeit, also einer Freistellung von strafprozessualer Zwangsgewalt, zu verstehen sind. 64 Wie oben in § 15 I.3.d) dargelegt, gilt diese Einschränkung aber auch für Art. 40 WÜD bzw. Art. 54 WÜK, wenngleich dies aus diesen Vorschriften nicht so eindeutig hervorgeht. Art. 42 CSM kann insofern als Bestätigung der oben vorgenommenen Interpretation der Art. 40 WÜD und Art. 54 WÜK gelten. 65 Fraglich kann nur sein, ob Art. 42 CSM lediglich eine völkergewohnheitsrechtlich geltende Regelung kodifiziert und die deutschen Strafverfolgungsbehörden daher über Art. 25 GG aufgrund einer gleichlautenden völkergewohnheitsrechtlichen Norm zur Gewährung von Unverletzlichkeit für durchreisende Mitglieder von Sondermissionen verpflichtet ist. Auf die Frage, ob alle oder jedenfalls einige der Exemtionsregelungen der CSM auch völkergewohnheitsrechtlich gelten und damit auch für Nichtvertragsstaaten der CSM verbindlich sind, wird unten bei § 18 IV. eingegangen. 63
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
(3) The premises of the special mission, their furnishings, other property used in the operation of the special mission and its means of transport shall be immune from search, requisition, attachment or execution.”
Auffallend ist, daß sich Art. 25 CSM einerseits insofern eng an Art. 22 WÜD anlehnt, als die Räumlichkeiten ohne Rücksicht darauf, ob sie tatsächlich für dienstliche Zweck genutzt werden, für unverletzlich erklärt werden, andererseits aber Art. 25 CSM ebenso wie der für konsularische Räumlichkeiten geltende Art. 31 Abs. 2 Satz 1 WÜK eine “fire exception clause” enthält. Hinsichtlich der Relevanz der Unverletzlichkeitsregelung für die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit kann daher auf die Ausführungen zu Art. 22 WÜD oben in § 16 III.1. Bezug genommen werden, während hinsichtlich der Zulässigkeit einer Vornahme von Gefahrenabwehrmaßnahmen auf die Ausführungen zu Art. 31 Abs. 2 WÜK oben in § 16 III.1.b)ff) verwiesen wird.66 Unverletzlichkeit kommt gemäß Art. 30 CSM auch den privat genutzten Räumlichkeiten der “representatives of the sending State” und der “members of the diplomatic staff” zu. Gleiches gilt für die privaten Papiere, Korrespondenzen und Vermögensgegenstände dieser Personen.67 Art. 30 CSM entspricht insofern Art. 30 WÜD, so daß die Ausführungen zu Art. 30 WÜD (vgl. oben § 16 II.2. und III.3.) mutatis mutandis auch für die representatives und Mitglieder des diplomatic staff einer Spezialmission maßgeblich sind. Allerdings wird man die hinsichtlich der Diplomaten zu verneinende Frage, ob auch zeitweilig genutzte Räumlichkeiten wie Hotelzimmer Unverletzlichkeit genießen, bezüglich der Mitglieder von Spezialmissionen zu bejahen haben. Denn der temporäre Charakter einer Spezialmission bringt es notwendigerweise mit sich, daß private Räumlichkeiten nur für kurze Zeit genutzt werden, weshalb es sich bei diesen Räumlichkeiten typischerweise um Hotelzimmer handelt.68 Zudem sind nach Art. 26 und 28 Abs. 2 CSM die Archive, die Schriftstücke und die amtliche Korrespondenz einer Spezialmission unverletzlich.69 Diese Normen ___________ Vgl. zudem Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 533; Przetacznik, RDI 59 (1981), 109 (139 ff.). 67 Vgl. Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 533. 68 Auch der ILC-Sonderberichterstatter Bartoš wollte die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten so verstanden wissen, daß sie Hotelzimmer einschließt. Seine Entwürfe sahen daher ausdrücklich vor, daß sich die Unverletzlichkeit auch auf Hotelzimmer erstreckt. Vgl. YBILC 1964 II, 67 (107 f., 111) (UN-Dokument A/CN.4/166); YBILC 1965 II, 109 (127 f., 132) (UN-Dokument A/CN.4/179). Zwar enthielt schon der ILC-Entwurf von 1965 keinen ausdrücklichen Hinweis auf Hotelräumlichkeiten mehr (YBILC 1965 II, 155 [182, 184] [UN-Dokument A/6009]), doch heißt es in der Kommentierung des endgültigen ILCEntwurfs von 1967 zu Art. 30: “it applies equally to rooms in hotels and rooms in other buildings open to the public, to private houses and to rented apartments”; vgl. Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1967, YBILC 1967 II, 343 (362) (UN-Dokument A/6709/REV.1). 69 Vgl. Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 533. 66
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entsprechen den Art. 24 und 27 Abs. 2 WÜD, so daß auf die diesbezüglichen Ausführungen oben in § 16 III.3. verwiesen werden kann. Ferner enthält Art. 28 CSM Regelungen zum Kurierverkehr und normiert eine Unverletzlichkeit von Kuriergepäck. Da Art. 28 CSM mit Art. 27 WÜD im wesentlichen übereinstimmt, kann hinsichtlich der Stellung des Kuriergepäcks, aber auch hinsichtlich der persönlichen Vorrechte und Befreiungen eines Kuriers im Sinne des Art. 28 CSM, auf die Ausführungen oben in § 13 I.5. sowie § 16 III.4. verwiesen werden.
IV. Völkergewohnheitsrechtliche Regeln über den Status von Mitgliedern von Spezialmissionen Die Bundesrepublik Deutschland hat ebenso wie die meisten anderen Staaten – wie bereits erwähnt – die CSM nicht ratifiziert, so daß eine völkervertragliche Bindung an die soeben skizzierten Exemtionsbestimmungen für Deutschland und die anderen Nichtvertragsstaaten nicht besteht. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden sind an die erläuterten Beschränkungen für eine Ausübung von Strafgerichtsbarkeit damit mangels einer deutschen Ratifikation und mangels eines die Bestimmungen der CSM transformierenden deutschen Zustimmungsgesetzes derzeit zumindest nicht über Art. 59 Abs. 2 GG gebunden. Somit ist für Deutschland und die meisten anderen Staaten allein entscheidend, inwieweit das Völkergewohnheitsrecht Exemtionsbestimmungen für Mitglieder von Spezialmissionen enthält. Daher stellt sich nun die Frage, ob die Exemtionsbestimmungen der CSM auch völkergewohnheitsrechtlich anerkannt sind oder zumindest einige der Vorrechte und Befreiungen Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts sind. Spiegelt die CSM lediglich die ohnehin für alle Staaten geltenden Regeln des universellen Völkergewohnheitsrechts wider, hatte sie also von Anfang an lediglich deklaratorischen Charakter? Oder können die Exemtionsregelungen der CSM zumindest heutzutage aufgrund einer sich in einer einheitlichen Staatenpraxis manifestierenden allgemeinen Rechtsüberzeugung der Staaten als auch völkergewohnheitsrechtlich anerkannt angesehen werden? Sind vielleicht nicht alle, wohl aber einige der skizzierten Exemtionsregelungen aufgrund einer völkergewohnheitsrechtlichen Verankerung auch für die Nichtvertragsstaaten der Konvention verbindlich? Oder existieren keinerlei völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen, so daß diese – sofern nicht individuelle vertragliche Abreden getroffen werden – in den Nichtvertragsstaaten der CSM der örtlichen Strafgewalt ohne besondere Einschränkungen unterworfen sind?
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1. Der Fall Tabatabai als strafrechtlicher “leading case” in Deutschland Die deutsche Strafjustiz hatte sich – soweit ersichtlich – erst ein einziges Mal mit der Rechtsstellung von Mitgliedern von Spezialmissionen und damit mit den eben aufgeworfenen Fragen zu befassen: Der Fall des iranischen „Sonderbotschafters“ Tabatabai beschäftigte in den Jahren 1983–1986 intensiv die deutsche Justiz. Da die Gerichtsentscheidungen zu diesem Fall die hier interessierenden Fragen ansprechen, die deutsche Literatur zur Rechtsstellung von Spezialmissionen fast ausnahmslos aus Anmerkungen zu den Entscheidungen im Fall Tabatabai besteht und die vorliegende Arbeit völkerrechtliche Exemtionen primär hinsichtlich ihrer Relevanz für die deutsche Strafgerichtsbarkeit untersucht, ist es angezeigt, die Frage nach völkergewohnheitsrechtlich geltenden Exemtionsregelungen für Mitglieder von Spezialmissionen unter besonderer Berücksichtigung dieses Falls zu erörtern und ihn hier vorab zu skizzieren. Der dem Fall Tabatabai zugrunde liegende Sachverhalt und die gerichtliche Auseinandersetzung kann wie folgt zusammengefaßt werden:70 Der iranische Staatsbürger Sadegh Tabatabai hatte in Deutschland studiert und promoviert. Er hatte bereits vor der „islamischen Revolution“ zum engsten Beraterkreis des im Pariser Exil lebenden Ajatollah Chomeini gehört und nach dem Sturz des Schahs im Iran hohe Regierungsfunktionen innegehabt. Er war stellvertretener Innenminister, Regierungssprecher und zeitweilig sogar kommissarischer Regierungschef gewesen. Mehrfach war Tabatabai, der nicht nur in Teheran, sondern auch in Düsseldorf einen Wohnsitz hatte, von der iranischen Regierung beauftragt worden, mit europäischen Regierungen, auch mit der Bundesregierung, politische Verhandlungen zu führen. Am 5. Januar 1983 erhielt Tabatabai von der deutschen Botschaft im Iran ein Visum für eine Geschäftsreise, zwei Tage später traf er sich mit dem ihm bekannten deutschen Botschafter in Teheran zu einem Gespräch, in dem er von seiner geplanten Reise nach Deutschland und einer in West-Europa, nicht aber in Deutschland, im Auftrag des Iran wahrzunehmenden Mission berichtete. Er bat den Botschafter darum, ihm bei der Herstellung von Kontakten zu französischen Regierungsstellen behilflich zu sein. Da auch der deutsche Botschafter beabsichtigte, nach Deutschland zu reisen, vereinbarte man, sich noch einmal in Deutschland zu treffen. Über dieses Gespräch unterrichtete der deutsche Botschafter das Auswärtige Amt während seiner Deutschlandreise am 14. Januar 1983.71 Der damals 39 Jahre alte Tabatabai reiste am 8. Januar 1983 nach Deutschland. Bei der Kontrolle seines Gepäcks auf dem Düsseldorfer Flughafen fanden Zollbeamte über 1.700 Gramm offenbar zum privaten Gebrauch bestimmtes Rauchopium. Tabatabai wurde festgenommen; das Amtsgericht Düsseldorf erließ einen Haftbefehl, dessen Vollzug zwar zunächst gegen Sicherheitsleistung ausgesetzt wurde, der aber am 17. Januar 1983 auf Beschluß des Landgerichts Düsseldorf vollstreckt wurde.72 Das Auswärtige Amt hatte auf Nachfrage der deutschen Justiz zunächst mehrfach erklärt, von einer etwaigen Spezialmis-
___________ 70 Vgl. auch die Zusammenfassungen von Bockslaff/Koch, GYIL 25 (1982), 539 (539 ff.); Gärditz, in: Menzel u.a. (Hrsg.), Völkerrechtsprechung, S. 417 ff.; Murswiek, JuS 1984, 139 (139 f.) und JuS 1985, 474 (474 f.). 71 Vgl. OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160 (160); LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (440 ff.). 72 Vgl. OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160 (160); LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (440 ff.).
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sion Tabatabais sei nichts bekannt; er befinde sich nicht zum Zweck politischer Konsultationen in Deutschland und genieße deshalb keine Immunität.73 In den folgenden Tagen entwickelte sich der Fall jedoch zu einer ernsthaften politischen Krise, da die iranische Regierung zugunsten Tabatabais intervenierte. Sie verwies darauf, daß dieser im Auftrag der iranischen Regierung in Europa Verhandlungen mit hochrangigen Regierungsvertretern führen sollte, verlangte daher seine Freilassung und drohte, daß seine weitere Inhaftierung ernsthafte Konsequenzen für die deutsch-iranischen Beziehungen haben könnte. Da die Bundesregierung ein großes Interesse an einer weiteren Kooperation mit der iranischen Regierung hatte, engagierte sich das Auswärtige Amt nunmehr für eine Freilassung Tabatabais. Der iranische Außenminister Velajati sandte am 31. Januar 1983 an seinen deutschen Amtskollegen Genscher einen Brief, dessen Text vorher mit dem Auswärtigen Amt abgesprochen worden war.74 In diesem hieß es unter anderem, die iranische Regierung habe Tabatabai auf eine Sondermission nach Europa gesandt, damit er dort in seiner Eigenschaft als Botschafter für besondere Aufgaben in mehreren Ländern Verhandlungen mit hochrangigen Vertretern der Regierungen dieser Länder über wichtige politische Fragen führe. Der vertrauliche Charakter der Gespräche habe Anlaß gegeben, von einer vorherigen Notifizierung der Mission abzusehen. Aufgrund der Inhaftierung Tabatabais sei die Mitteilung nunmehr jedoch dringlich. „Es wird deshalb darum gebeten, Herrn Dr. Tabatabai in der Bundesrepublik Deutschland alle Vorrechte und Befreiungen zu gewähren, die einem Botschafter in besonderer Mission in diesen Fällen nach den einschlägigen Regeln des Völkerrechts gewährt werden.“75 Das Auswärtige Amt akzeptierte die in diesem Schreiben enthaltene Erklärung und stimmte der Entsendung Tabatabais in die Bundesrepublik zur Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe im Sinne der Konvention über Spezialmissionen gegenüber dem iranischen Botschafter in Deutschland am 3. Februar 1983 zu. Hiervon unterrichtete die Bundesregierung die zuständigen deutschen Justizbehörden sowie den Botschafter Irans, wobei das Auswärtige Amt darauf verwies, seiner Auffassung nach sei Tabatabai im Hinblick auf seinen amtlichen Auftrag und seine Stellung als Sonderbotschafter von der deutschen Strafgerichtsbarkeit befreit.76 Dieser Auffassung folgte das LG Düsseldorf jedoch nicht und wies am 9. Februar 1983 eine Beschwerde Tabatabais gegen den Haftbefehl zurück.77 Das OLG Düsseldorf dagegen hob auf die daraufhin eingelegte weitere Beschwerde am 22. Februar 1983 den Haftbefehl auf.78 Das LG Düsseldorf, das mittlerweile eine Hauptverhandlung gegen Tabatabai wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz durchführte, erließ am 24. Februar 1983 jedoch einen neuen Haftbefehl.79 Doch auch dieser wurde mit Beschluß vom 7. März 1983 vom OLG Düsseldorf umgehend wieder aufgehoben.80 Während das LG Düsseldorf die Existenz einer Spezialmission im Sinne des Völkerrechts und schon deshalb eine Befreiung Tabatabais von der deutschen Strafgerichtsbarkeit verneinte, war das OLG Düsseldorf der Auffassung, es sei rechtswirksam eine Sondermission Tabatabais vereinbart
___________ Vgl. LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (443). Vgl. LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (444). 75 Das Schreiben ist im vollen Wortlaut in BGHSt 32, 275 (277 f.) = EuGRZ 1984, 273 (274), im Beschluß des OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160 (160), sowie im Urteil des LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (444), wiedergegeben. 76 Vgl. OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160 (161). 77 Diese Entscheidung des LG Düsseldorf ist nicht veröffentlicht worden. 78 Diese Entscheidung des OLG Düsseldorf (Az. 1 Ws 108/83) ist nicht veröffentlicht worden. 79 LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 159. 80 OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160. 73 74
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worden, weshalb diesem nach Völkergewohnheitsrecht Immunität von deutscher Gerichtsbarkeit zustehe. Zwar wurde Tabatabai nun endgültig aus der Untersuchungshaft entlassen, doch betrieb das LG Düsseldorf, noch immer von dem Fehlen einer Immunität überzeugt, das Strafverfahren weiter. Tabatabai selbst nahm zu Beginn der Hauptverhandlung sogar an dieser teil, verließ aber, da die Bundesregierung angekündigt hatte, ihn zur persona non grata erklären zu wollen, am 9. März 1983 Deutschland.81 Das LG Düsseldorf verurteilte ihn daraufhin am 10. März 1983 in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren.82 Gegen dieses Urteil legte die Verteidigung Tabatabais jedoch Revision ein. Auf diese entschied der BGH am 27. Februar 1984, im Ergebnis der Auffassung des OLG Düsseldorf folgend, daß das Verfahren nicht hätte betrieben werden dürfen, da eine Spezialmission wirksam vereinbart worden sei und Tabatabai Immunität genossen habe. Der BGH stellte das Verfahren daher ein.83 Damit war der Fall aber noch immer nicht abgeschlossen. Denn ein Jahr später leitete die Staatsanwaltschaft Düsseldorf erneut ein Ermittlungsverfahren ein, das Amtsgericht Düsseldorf erließ einen neuen Haftbefehl. Dieser wurde sowohl vom LG Düsseldorf als nunmehr auch vom OLG Düsseldorf bestätigt, da – so das OLG Düsseldorf – die Sondermission Tabatabais mit dessen Ausreise aus Deutschland beendet worden sei und seine Immunität, da die Tat nicht als dienstliche Handlung zu bewerten sei, damit erloschen sei. Einem erneuten Strafverfahren stehe daher keine Exemtion mehr entgegen.84 Tabatabai kehrte jedoch nicht nach Deutschland zurück, so daß der Haftbefehl nicht vollstreckt und das neue Strafverfahren nicht weiter betrieben werden konnte.
2. Zur Vielfältigkeit der in der Literatur vertretenen Auffassungen über den Status der Mitglieder von Spezialmissionen Eine Durchsicht der wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Fall Tabatabai sowie der weiteren – spärlichen – völkerrechtlichen Literatur über Spezialmissionen zeigt, daß die Auffassungen über den völkergewohnheitsrechtlichen Status der Mitglieder von Spezialmissionen stark divergieren. So wird darauf verwiesen, daß der Nachweis einer wie auch immer gearteten Staatenpraxis bei Spezialmissionen schwerfalle. Es sei trotz der großen Zahl von Sondermissionen kaum nachprüfbar, ob die Staaten sich im Einzelfall an der Konvention orientiert oder ob sie auf bilaterale, inhaltlich anders geartete Verträge zurückgegriffen hätten. Bilaterale Vereinbarungen, die Hinweise auf eine Adaption der Regeln der CSM geben könnten, seien in den wenigsten Fällen zugänglich und schieden daher für eine Verwertung aus. Angesichts dieses Sachstands könne nicht von einer gewohnheitsrechtlichen Geltung der Konvention ausgegangen werden.85 Noch weitergehend wird sogar behauptet, es existierten gar keine völkergewohnheitsrechtlichen Regeln über den Status von Mitgliedern von Spezialmis___________ Vgl. LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (441). LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440. 83 BGHSt 32, 275 = NJW 1984, 2048 (Auszüge) = EuGRZ 1984, 273 (vollständig). 84 OLG Düsseldorf, NJW 1986, 2204. 85 So Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rn. 9 und Koster, Immunität internationaler Richter, S. 72. Im Ergebnis ebenso Herdegen, Völkerrecht, § 38 Rn. 6. 81 82
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sionen.86 Sicherlich nicht zu Unrecht wird darauf hingewiesen, daß man die Tatsache, daß es kaum Gerichtsentscheidungen zum Status von Mitgliedern von Spezialmissionen gibt, nicht als Beleg für die Anerkennung einer umfassenden Immunität werten dürfe,87 sondern dieses Faktum darauf zurückgeführt werden könne, daß die Mitglieder von Spezialmissionen, anders als Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen, angesichts ihres regelmäßig sehr kurzen Aufenthalts im Empfangsstaat kaum Gelegenheit hätten, dort straffällig zu werden.88 Auf der anderen Seite findet sich in der Literatur aber auch die Feststellung, die Exemtionsregelungen der CSM seien – zumindest mittlerweile – völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, wenngleich die Autoren den Nachweis einer entsprechenden einheitlichen Staatenpraxis schuldig bleiben.89 ___________ 86 So Brownlie, International Law, S. 357; Dahm, Völkerrecht, Bd. I, S. 376; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rn. 1; Hardy, Modern Diplomatic Law, S. 91; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 531, 533; Ryan, CanYBIL 16 (1978), 157 (161, 195 f.) (wenngleich sehr vorsichtig formulierend; siehe auch a.a.O, S. 188); Waters, The Ad Hoc Diplomat, S. 119 ff., 152 ff. (Waters plädiert aber de lege ferenda für umfassende Exemtionen, a.a.O., S. 168); Wilson, Diplomatic Privileges and Immunities, S. 224; Wolf, EuGRZ 1983, 401 (403). Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 20 Rn. 8, hält den Status von Sonderbotschaftern für „noch weitgehend ungeklärt“. Auch der ILC-Sonderberichterstatter Bartoš ging bei der Vorbereitung der CSM davon aus, daß es keine gesicherten Regeln des Völkergewohnheitsrechts über den Status der Mitglieder von Spezialmissionen gibt; vgl. YBILC 1967 II, 1 (15 ff.) (“no firm foundation in law”). 87 So aber Bockslaff/Koch, GYIL 25 (1982), 539 (545 f.): “In view of the widespread use of special missions in today’s diplomacy, the absence of court cases therefore rather indicates that immunity of special envoys is a part of state practice (‘no news is good news’).” Ebenso Knuth, JZ 1970, 539 (541). 88 Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 67 f. 89 Für eine völkergewohnheitsrechtliche Geltung der Exemtionsregelungen der CSM etwa Engel, JZ 1983, 627 (628); Knuth, JZ 1970, 539 (541); Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (401) (wobei dessen Verweis auf das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ [aktuelle Fassung vom 17.8.1993 in GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12] als Beleg für eine entsprechende deutsche Praxis aber fehlgeht, da weder in der damaligen noch in der aktuellen Fassung des Rundschreibens von Mitgliedern von Spezialmissionen die Rede ist); Przetacznik, IJIL 11 (1971), 593 (598 f., 602 f., 607 ff.); ders., RDI 59 (1981), 109 (142 ff.); Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 960 mit Fn. 2 (jeodch bleibt bei Wengler unklar, ob er im Hinblick auf Privathandlungen lediglich Unverletzlichkeit oder auch Immunität annimmt) sowie Doehring, Völkerrecht, Rn. 492, 513 f., 673. Doehring hatte allerdings in seinem Gutachten, das er im Jahr 1983 im Auftrag des LG Düsseldorf im Fall Tabatabai erstellt hatte, eine völkergewohnheitsrechtliche Exemtion noch abgelehnt; vgl. LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (445); Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 72. Auch die im Fall Tabatabai im Auftrag der Verteidigung als Gutachter tätig gewordenen Professoren für Völkerrecht Michael Bothe, Jost Delbrück und Rüdiger Wolfrum sprachen sich ausweislich der Rechtsprechung und Literatur zum Fall Tabatabai in ihren unveröffentlichten Gutachten für eine völkergewohnheitsrechtliche Geltung der Exemtionsbestimmungen der CSM aus; vgl. BGHSt 32, 275 (286 f.) = NJW 1984, 2048 (2049); Quarch, a.a.O., S. 72 ff. Zum Teil wird in der deutschen Literatur lediglich allgemein davon gesprochen, Ad-hocDiplomaten genössen Immunität. So etwa BL-ZPO-Albers, § 20 GVG Rn. 5; MK-ZPOWolf, § 20 GVG Rn. 9. Von einer gewohnheitsrechtlichen Geltung zumindest des Art. 31
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Neben diesen „extremen“ Auffassungen finden sich in der Literatur auch Stimmen, die zwar nicht pauschal von einer völkergewohnheitsrechtlichen Geltung aller Exemtionsregelungen der CSM ausgehen, jedoch annehmen, daß gewisse Exemtionen bzw. Exemtionen für bestimmte Mitglieder von bestimmten Spezialmissionen Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts sind. Darüber, welche Exemtionen gewohnheitsrechtlich anerkannt sind bzw. welche Personengruppen qua Völkergewohnheitsrecht Vorrechte und Befreiungen von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates genießen, besteht allerdings keine Übereinstimmung. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, lediglich solche Mitglieder einer Spezialmission, die vom Entsendestaat durch einen formalen Akt zu Diplomaten ernannt worden seien – zumeist durch Verleihung des Titels eines „Sonderbotschafters“ – und vom Empfangsstaat als solche explizit anerkannt und empfangen worden seien, genössen nach Völkergewohnheitsrecht Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, und zwar umfassende Immunität ratione personae sowie persönliche Unverletzlichkeit, also Exemtionen in gleichem Umfang wie die Mitglieder des diplomatischen Personals einer ständigen diplomatischen Mission.90 Andere Autoren differenzieren nicht danach, ob ein Mitglied einer Spezialmission vom Entsendestaat zu einem Diplomaten ernannt und vom Empfangsstaat als solcher akzeptiert worden ist, stellen also nicht auf ein rein formales Kriterium ab, sondern meinen, die Mitglieder derjenigen Spezialmissionen, die diplomatische Aufgaben wahrnehmen, genössen Immunität, nicht aber Staatenvertreter, die Verhandlungen oder Konsultationen über administrativ-technische Fragen zu führen hätten. Diese Auffassung differenziert also anhand materieller Kriterien.91 Nur Mitglieder von Spezialmissionen, die über wichtige politische Fragestellungen verhandeln und (jedenfalls in der Regel) von hochrangigen Regierungsvertretern geführt werden, sind nach dieser Auffassung aufgrund Völkergewohnheitsrechts von der Strafgerichtsbarkeit des jeweiligen Empfangsstaates befreit.92 ___________ CSM scheinen auch Bröhmer, LJIL 12 (1999), 361 (367) und Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (577) auszugehen. 90 So etwa Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 298; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 363; Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 34, 78 f., 98. Diese Auffassung wurde zum Teil auch in der älteren deutschen völkerrechtlichen Literatur vertreten; vgl. Bluntschli, Völkerrecht, § 180, 243. Vgl. aber auch Heffter, Völkerrecht, §§ 201, 204 f., der auf die Funktion der entsandten Person abstellte. von Liszt/Fleischmann, Völkerrecht, S. 185 f., gingen sogar von einer strafrechtlichen Unverletzlichkeit aller Gesandten, auch solcher, die mit einer administrativ-technischen Mission betraut waren, aus. Somit war auch in der älteren deutschen völkerrechtlichen Literatur die Rechtsauffassung nicht einheitlich. 91 Ryan, CanYBIL 16 (1978), 157 (160) spricht bezüglich der ersten Gruppe von “political agents”, hinsichtlich der zweiten von “commissioners”. 92 Bockslaff/Koch, GYIL 25 (1982), 539 (544 ff., insb. 549 f.); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 115, 117 f., 122; Oppenheim, International Law, vol. I (8. Aufl. 1955), §§ 453, 456. Dieser Auffassung scheint auch Herdegen, Special Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 574 (575) zuzuneigen, wenn er schreibt: “A survey of State prac-
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Zudem findet sich in der Literatur die Auffassung, daß Mitglieder von Spezialmissionen zwar nach Völkergewohnheitsrecht nicht – wie von der CSM vorgesehen – umfassende Immunität ratione personae, wohl aber einzelne begrenzte Exemtionen genießen. Insofern wird nicht der Kreis der geschützten Personen auf Mitglieder bestimmter Spezialmissionen reduziert, sondern der sachliche Gehalt der gewohnheitsrechtlichen Exemtionsregelungen als gegenüber der CSM begrenzter erachtet. Welche Exemtionen nun aber gewohnheitsrechtlich anerkannt seien, geht aus den Ausführungen nicht eindeutig hervor. So meint Bothe: „Einigkeit scheint jedoch insofern zu bestehen, als solchen Emissären, seien es Regierungsmitglieder in offizieller Mission, seien es subalterne Beamte, die sich zur Besprechung von technischen Detailfragen in ein anderes Land begeben, diejenige Immunität zu gewähren sei, die sie zur Erfüllung ihrer Funktionen benötigen.“93
Zu den zur Erfüllung der Aufgaben benötigten Exemtionen gehöre nach allgemeiner Auffassung eine „weitgehende persönliche Unverletzlichkeit“.94 Eine über eine persönliche Unverletzlichkeit im Sinne einer Freistellung von strafprozessualer Zwangsgewalt hinausgehende Immunität ratione personae lehnt Bothe jedoch ausdrücklich ab: „Es kann jedoch nicht mit Sicherheit gesagt werden, daß für solche Emissäre stets volle Immunität von der Strafgerichtsbarkeit gewährt werden muß. Die Regelung des Abkommens über special missions ist in diesem Sinn, aber es kann nicht gesagt werden, daß es insofern Gewohnheitsrecht kodifiziert.“95
Der sowjetische Völkerrechtler Blischtschenko meinte 1972 lapidar, einer Spezialmission komme diejenige Immunität zu, derer sie zur effektiven Wahrnehmung ihrer Funktionen bedürfe.96 Der deutsche Strafrechtler Vogler betonte 1979, es bestehe lediglich Immunität für die in Ausübung des Dienstes vorgenommenen Handlungen.97 Nun sind selbstverständlich in der wissenschaftlichen Literatur vertretene Auffassungen keine Rechtsquellen des Völkerrechts. Sie dienen aber, wie es in Art. 38 ___________ tice seems to support the conclusion that special agents, with the possible exemption of members of government and other envoys on a high political level, are not (yet) entitled to immunities and privileges similar to those accorded to permanent diplomatic agents under customary international law.” Weiter heißt es bei Herdegen auf S. 576: “With respect to missions charged with negotiations on a high political level, the Convention may be regarded as an expression of the prevailing opinio iuris.” 93 Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (264). Ihm folgend Gornig, NJ 1992, 4 (13). 94 Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (265). Allerdings vertrat Bothe als Gutachter im Fall Tabatabai zwölf Jahre nach Erscheinen dieses Beitrags offenbar die Auffassung, die Exemtionsregelungen der CSM gälten allesamt völkergewohnheitsrechtlich. Vgl. oben Anm. 89. 95 Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (264). 96 Blischtschenko, Diplomatenrecht, S. 100. 97 Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1034). Vogler, a.a.O, stellt weiter fest: „Mehr als eine funktionelle Immunität erscheint insoweit weder notwendig noch kriminalpolitisch vertretbar.“
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Abs. 1 lit. d) IGH-Statut heißt, als „Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormen“, sind also Rechtserkenntnisquellen. Bewertet man hiervon ausgehend die skizzierten Auffassungen in der völkerrechtlichen Literatur, so sind zwei Schlußfolgerungen statthaft: Wären die in der Literatur geäußerten Auffassungen im wesentlichen deckungsgleich, so könnte man – davon ausgehend, daß die in der Literatur vertretenen Meinungen ihrerseits auf einer Betrachtung der Staatenpraxis und der sich in dieser manifestierenden Rechtsüberzeugung der Staaten beruhen – relativ sicher die völkergewohnheitsrechtliche Geltung einer der Literaturauffassung entsprechenden Rechtsregel annehmen. Die hier skizzierte Vielfältigkeit der Literaturauffassungen zeigt dagegen an, daß die Völkerrechtslage gerade nicht als gesichert gelten kann. Zum zweiten ist festzuhalten, daß es verfehlt wäre, wenn sich die Strafrechtspraxis auf einzelne Äußerungen in der Literatur stützen und diese vorbehaltlos übernehmen würde. 3. Analyse der Gründe für die Ablehnung der Konvention über Spezialmissionen und der Staatenpraxis Für die vorliegende Untersuchung ergibt sich aus der Vielfältigkeit der in der Literatur geäußerten Auffassungen, daß eine Besinnung auf die konstitutiven Elemente von Völkergewohnheitsrecht erforderlich ist. Von einer Regel des Völkergewohnheitsrechts kann dann gesprochen werden, wenn zum einen eine einheitliche Staatenpraxis zu verzeichnen ist, die entsprechend der (vermeintlichen) Regel verfährt, und zum anderen diese Staatenpraxis von einer Rechtsüberzeugung der Staaten getragen ist, zu einem Handeln entsprechend der Staatenpraxis rechtlich verpflichtet zu sein.98 Zur Staatenpraxis, in der sich zugleich eine Rechtsüberzeugung manifestiert, gehören aber nicht nur – nachfolgend zu betrachtende – Gerichtsentscheidungen und offizielle Äußerungen von Regierungsvertretern, sondern gehört auch der Umgang der Staaten mit der CSM und die offizielle Bewertung der Konvention durch einzelne Staaten.99 Insofern ist es lohnend, den Blick zunächst noch einmal auf die CSM zu richten. a) Gründe für die Ablehnung der Konvention über Spezialmissionen Schon allein aus der Tatsache, daß die CSM bislang nur von 32 und damit von nur knapp über 15 % der Staaten der Welt ratifiziert worden ist, läßt sich ableiten, daß eine völkergewohnheitsrechtliche Geltung der Konvention insgesamt und da___________ Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rn. 2 ff.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 237 ff. Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut definiert Völkergewohnheitsrecht als „Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung“. 99 Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rn. 6, 17 f.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 243, 257 98
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mit aller Exemtionsregelungen nicht angenommen werden darf.100 Die überwältigende Zahl von Ratifikationen des WÜD und des WÜK zeigt, daß die Staaten, wenn sie die Regelungen einer für den diplomatischen völkerrechtlichen Verkehr bedeutsamen multilateralen Konvention akzeptieren, diese auch ratifizieren, da auf der Basis vertraglicher Vereinbarungen eine weitaus größere Rechtssicherheit im Sinne einer Berechenbarkeit staatlichen – namentlich gerichtlichen – Handelns erreicht werden kann als auf der Basis des Völkergewohnheitsrechts. Wenn nun die CSM von der großen Mehrheit der Staaten und vor allem von den Staaten, die in besonderer Weise am diplomatischen Verkehr beteiligt sind und in großem Umfang Spezialmissionen einsetzen, nicht ratifiziert worden ist,101 so heißt dies, daß eine einheitliche Überzeugung über die Rechtsverbindlichkeit der in der CSM normierten Regeln nicht besteht und die Konventionsregeln jedenfalls nicht in toto als auch völkergewohnheitsrechtlich geltend angesehen werden können. Doch sind möglicherweise – wie dies in der Literatur behauptet wird102 – Exemtionen für einzelne Mitglieder von bestimmten Spezialmissionen doch Bestandteil auch des Völkergewohnheitsrechts. Um dies herauszufinden, erscheint es sinnvoll, nach den Gründen für die Ablehnung der CSM zu fragen und dafür noch einmal einen Blick auf die Entstehungsgeschichte der Konvention zu werfen. Der Sonderberichterstatter Sandström hatte in seinem 1960 präsentierten ersten Bericht103 zwar vorgesehen, den Mitgliedern einer Spezialmission die gleichen Exemtionen wie den Mitgliedern ständiger diplomatischer Missionen zu gewähren, also denjenigen Personen, die nicht lediglich zum Unterstützungspersonal gehören, vollständige Immunität ratione personae von der Strafgerichtsbarkeit und allen anderen Gerichtsbarkeiten des Empfangsstaates zuzubilligen. Doch sollte sich die Konvention über Spezialmissionen seiner Meinung nach auf Missionen diplomatischen Charakters beschränken, also lediglich Missionen erfassen, die in gleicher Weise wie die ständigen diplomatischen Missionen mit der Wahrnehmung diplomatischer Aufgaben betraut sind und sich von den ständigen diplomatischen Missionen nur durch ihren temporären Charakter unterscheiden.104 Sandström schlug folgende Definition einer Spezialmission im Sinne der Konvention vor: “The expression ‘special mission’ means a mission sent by one State to another to carry out a special diplomatic task (…).”105
___________ So auch Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rn. 9; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 109, 117. 101 Keiner der großen bzw. politisch mächtigen Staaten ist Vertragsstaat der Konvention. Vor allem sind die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats (China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und USA) nicht Mitglieder der Konvention. Vgl. die Aufstellung oben in Anm. 27. 102 Vgl. oben Anm. 90 ff. 103 YBILC 1960 II, 108 (UN-Dokument A/CN.4/129); YBILC 1960 II, 117 (UNDokument A/CN.4/L.89). 104 YBILC 1960 II, 108 (109 f.) (UN-Dokument A/CN.4/129). Vgl. auch Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 39 f. 105 YBILC 1960 II, 117 (UN-Dokument A/CN.4/L.89). 100
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Die ILC verwarf jedoch mehrheitlich die Konzeption einer Erfassung lediglich politisch-diplomatischer Spezialmissionen bei Gewährung umfassender Immunität (Quarch spricht von einem Konzept der „unbeschränkten Immunität für bestimmte Sondermissionen“106) und beschloß nach einer nur kurzen Diskussion unter den ILC-Mitgliedern107 einen Entwurf, der unter Beibehaltung umfassender Immunitätsgewährung alle Arten von Spezialmissionen erfassen sollte (Quarch spricht von einem Konzept der „unbeschränkten Immunität für alle Sondermissionen“108). Der Entwurf der ILC von 1960109 enthielt folgende Definition für die erfaßten Spezialmissionen: “The expression ‘special mission’ means an official mission of State representatives sent by one State to another in order to carry out a special task.”110
Die Einfügung der Worte “State representatives” sollte lediglich deutlich machen, daß die Mitglieder einer Spezialmission ihrerseits Funktionäre des entsendenden Staates sein müßten.111 Es zeigt sich mithin, daß schon zu Beginn der Arbeiten an der CSM umstritten war, ob alle Arten von Spezialmissionen in den Regelungsbereich der Konvention einbezogen werden sollten und die Mitglieder aller Spezialmissionen in den Genuß umfassender Exemtionen kommen sollten. Wie oben in § 18 III.1. bereits erwähnt, beauftragte die UN-Generalversammlung, nachdem sich die Wiener Konferenz von 1961 der Problematik der Spezialmissionen nicht angenommen hatte, die ILC im Jahr 1961 erneut, Vorschläge für eine Konvention auszuarbeiten. Der neu ernannte Berichterstatter Bartoš ging von der These aus, das damalige Völkergewohnheitsrecht habe überhaupt keine Regeln über Spezialmissionen enthalten, so daß die ILC – anders als bei der Vorbereitung des WÜD – rechtsschöpferisch tätig werden müsse.112 Er sah die Aufgabe der ILC ausdrücklich nicht darin, geltendes Völkergewohnheitsrecht zu kodifizieren, sondern neue zweckmäßige Regeln zu entwerfen. Bartoš schlug gewissermaßen ein drittes Regelungskonzept vor. Wie schon der ILC-Entwurf von 1960 und insofern anders als der Entwurf von Sandström sollte nach Auffassung von Bartoš die Konvention alle Arten von Sondermissionen von Staaten zu Staaten erfassen113 und ___________ Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 41. Vgl. den Bericht über die Diskussion innerhalb der ILC in YBILC 1960 I, 327 f. 108 Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 41. 109 Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1960, YBILC 1960 II, 142 (179) (UN-Dokument A/4425). Vgl. auch Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 40 f. 110 Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1960, YBILC 1960 II, 142 (179) (UN-Dokument A/4425). 111 Vgl. den Bericht über die Diskussion innerhalb der ILC in YBILC 1960 I, 327 f. und Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 40. 112 Vgl. YBILC 1964 II, 67 (71 f., 75 ff., 103 ff.) (UN-Dokument A/CN.4/166); YBILC 1967 II, 1 (15 f.) (UN-Dokument A/CN.4/194). 113 Vgl. YBILC 1964 II, 67 (81, 89) (UN-Dokument A/CN.4/166). Siehe auch Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 43. 106 107
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allen Arten von Spezialmissionen in gleichem Umfang Exemtionen gewähren.114 Aber in Abweichung von den bisherigen Entwürfen schlug Bartoš sachlich begrenzte Exemtionsregelungen vor. So meinte er, daß grundsätzlich eine Immunität ratione materiae für Diensthandlungen ausreichend sei. Doch machte er hinsichtlich der hier interessierenden strafrechtlichen Verantwortlichkeit eine Ausnahme. Auch sein Entwurf sah eine uneingeschränkte Immunität aller Mitglieder von Spezialmissionen von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates sowie eine uneingeschränkte Unverletzlichkeit vor.115 Dagegen sollte nach seinem Entwurf anders als nach dem ILC-Entwurf von 1960 und anders als nach dem Vorschlag von Sandström im Bereich der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit nur Immunität für Diensthandlungen gewährt werden.116 Quarch spricht in diesem Zusammenhang von einem Konzept der „eingeschränkten Immunität für alle Sondermissionen“.117 Bartoš begründete seine Konzeption damit, daß eine weite Definition der Spezialmission einhergehen müsse mit einer Beschränkung des Umfangs der Exemtionen. Die eingeschränkte Exemtionsgewährung verstand er als Korrektiv für die Erfassung aller Arten von Spezialmissionen von der Konvention.118 Hier wird ein Zusammenhang deutlich, der auch für die Bewertung der ILC-Entwürfe durch die Staaten sowie innerhalb der ILC von großer Bedeutung war: Die Frage, ob die Exemtionsregelungen in einem Entwurf Unterstützung fanden, hing vielfach unmittelbar damit zusammen, ob der jeweilige Entwurf alle Arten von Spezialmissionen oder nur solche mit diplomatischen Aufgaben erfaßte. Der Entwurf von Bartoš fand innerhalb der ILC insoweit Unterstützung, als er alle Arten von Spezialmissionen erfaßte. Eine Differenzierung zwischen politischdiplomatischen Spezialmissionen einerseits und administrativ-technischen Missionen andererseits wurde als nicht zweckmäßig, zum Teil sogar als praktisch undurchführbar abgelehnt.119 Aber hinsichtlich des vorgesehenen Exemtionsumfangs fand der Entwurf von Bartoš innerhalb der ILC keine Mehrheit. Die Mitglieder der ILC plädierten mehrheitlich für eine umfassende und uneingeschränkte Immunität
___________ Vgl. YBILC 1964 II, 67 (111) (UN-Dokument A/CN.4/166). Vgl. YBILC 1964 II, 67 (110 f.) (UN-Dokument A/CN.4/166); YBILC 1965 II, 109 (132 f.) (UN-Dokument A/CN.4/179). 116 Vgl. YBILC 1965 II, 109 (132 f.) (UN-Dokument A/CN.4/179) sowie die generellen Anmerkungen von Bartoš zum gebotenen Schutz der Mitglieder von Spezialmissionen durch Exemtionen in YBILC 1964 II, 67 (103 ff.) (UN-Dokument A/CN.4/166) und in YBILC 1965 II, 109 (122 ff.) (UN-Dokument A/CN.4/179). 117 Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 44. 118 Vgl. YBILC 1965 II, 109 (132 f.) (UN-Dokument A/CN.4/179). 119 Vgl. den Bericht über die Diskussion innerhalb der ILC in YBILC 1964 I, 2 ff., den Bericht von Special Rapporteur Bartoš in YBILC 1965 II, 109 (115 f.) sowie Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 45. 114 115
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ratione personae für die Mitglieder aller Spezialmissionen.120 Die ILC kehrte damit zum Konzept der „unbeschränkten Immunität für alle Sondermissionen“ zurück121 und verabschiedete 1965 einen entsprechenden Konventionsentwurf.122 Art. 1 Abs. 1 des ILC-Entwurfs von 1965 benannte die notwendigen Elemente einer Spezialmission: “For the performance of specific tasks, States may send temporary special missions with the consent of the State to which they are to be sent.”123
Die entscheidenden Exemtionsregelungen des ILC-Entwurfs von 1965 lauteten: Art. 24: “The person of the head and members of the special mission and of the members of its diplomatic staff shall be inviolable. They shall not be liable to any form of arrest of detention (…).”124 Art. 26: “(1) The head and members of the special mission and the members of its diplomatic staff shall enjoy immunity from the criminal jurisdiction of the receiving State. (2) Unless otherwise agreed, they shall also enjoy immunity from the civil and administrative jurisdiction of the receiving State, except in the case of (…).”125
Eine Betrachtung der Arbeiten der ILC unter der Federführung von Bartoš zeigt, daß auch diesmal über die Grundkonzeption der Konvention keine Einigkeit innerhalb der ILC bestand, dennoch aber kein Entwurf auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners verabschiedet wurde, sondern wiederum ein „Maximalentwurf“, der – wie schon der ILC-Entwurf von 1960 – alle Arten von Spezialmissionen erfaßte und den Mitgliedern aller Spezialmissionen nahezu uneingeschränkte Immunität zuerkannte. Diese Festlegung der Mehrheit der Mitglieder der ILC ist wohl der entscheidende Grund für die äußerst geringe Akzeptanz der CSM durch die Staatengemeinschaft; man kann insofern von einem „Geburtsfehler“ der Konvention sprechen. Denn als der von der ILC 1965 beschlossene Entwurf von der UN-Generalversammlung den Staaten zur Stellungnahme vorgelegt wurde, war das Echo vernichtend. Lediglich 34 Staaten äußerten sich überhaupt, und diese fast alle ablehnend. Die Staaten kritisierten fast ausnahmslos den weiten (personalen und sachlichen) Umfang der Exemtionen, der zum einen durch die Erfassung aller Ar___________ Vgl. den Bericht über die Diskussion innerhalb der ILC in YBILC 1965 I, 227 ff., 291 f.; den Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1965 in YBILC 1965 II, 155 (184 f.) (UN-Dokument A/6009) sowie Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 45 f. 121 So Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 46. 122 Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1965, YBILC 1965 II, 155 (163) (UN-Dokument A/6009). 123 YBILC 1965 II, 155 (165) (UN-Dokument A/6009). In der Kommentierung der ILC wird ausdrücklich vermerkt, daß diese Definition auch administrativ-technische Spezialmissionen einschließt: “In the Commision’s view, the specified task of a special mission should be to represent the sending State in political or technical matters.” (a.a.O.). 124 YBILC 1965 II, 155 (184) (UN-Dokument A/6009). 125 YBILC 1965 II, 155 (184 f.) (UN-Dokument A/6009). Als explizit genannte Ausnahmen von der Immunität waren die in Art. 31 Abs. 1 Satz 2 WÜD normierten Ausnahmen vorgesehen. 120
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ten von Spezialmissionen und zum anderen durch die Gewährung umfassender Exemtionen bewirkt wurde.126 Die Änderungsvorschläge zielten deshalb zum Teil darauf ab, den Kreis der von der Konvention erfaßten Spezialmissionen zu begrenzen. Kanada schlug vor, lediglich high-level missions zu erfassen,127 Ähnlich plädierten Australien, die Tschechoslowakei und Finnland128 für eine Differenzierung zwischen – durch umfassende Immunität zu schützenden – politischen Missionen einerseits und Missionen administrativ-technischen Charakters andererseits.129 Die USA wiederum wollten nur solche Spezialmissionen erfaßt wissen, deren Leiter diplomatischen Rang haben, im übrigen aber die Staaten auf bilaterale Ad-hoc-Vereinbarungen verweisen.130 Diese Staaten wollten also übereinstimmend den Kreis der erfaßten Spezialmissionen enger gezogen wissen, als dies nach dem ILC-Entwurf der Fall war. Etliche Staaten, darunter Großbritannien,131 Kanada,132 Belgien,133 die Niederlande134 und Österreich135, schlugen vor, zur Begrenzung der Konvention bei der Reichweite der Exemtionen anzusetzen und plädierten mehrheitlich nur für die Gewährung von Immunität ratione materiae. Dies sei ausreichend, wenn man bedenke, daß die Exemtionen lediglich im Sinne der Funktionstheorie die Arbeitsfähigkeit von Spezialmissionen sicherstellen sollten.136 Für die hier interessierende Frage, ob bzw. inwieweit es völkergewohnheitsrechtliche Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit für Mitglieder von Spezialmissionen gibt, ist eine Feststellung wichtig: Von den Staaten, die sich im Rahmen der Ausarbeitung der Konvention äußerten, lehnte keiner generell und pauschal Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen ab. Vielmehr richtete sich die Kritik stets nur gegen die als zu weitgehend empfundene Reichweite der Vorrechte und Befreiungen.137 ___________ Vgl. die in YBILC 1967 II, 371 ff. (UN-Dokument A/6709/Rev.1/Annex) wiedergegebenen Stellungnahmen sowie Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 47 f. 127 Vgl. YBILC 1967 II, 371 (377). 128 Vgl. YBILC 1967 II, 371 (381). 129 Vgl. YBILC 1967 II, 371 (372, 380). 130 Vgl. YBILC 1967 II, 371 (398 f.). 131 Vgl. YBILC 1967 II, 371 (397). 132 Vgl. YBILC 1967 II, 371 (376). 133 Vgl. YBILC 1967 II, 371 (377 f.). 134 Vgl. YBILC 1967 II, 371 (391 f.). 135 Vgl. YBILC 1967 II, 371 (373). 136 Vgl. auch die Darstellung der Auffassungen verschiedener Staaten bei Przetacznik, IJIL 11 (1971), 593 (594); ders., RDI 59 (1981), 109 (136 f.). 137 Vgl. die Stellungnahmen der Staaten zum ILC-Entwurf (siehe oben Anm. 126) sowie Bockslaff/Koch, GYIL 25 (1982), 539 (547) und Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 112 ff. m.w.N. zu den Auffassungen einzelner Staaten. 126
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Während ihrer Sitzungsperiode 1967 reagierte die ILC auf die heftige Kritik der Staaten und beschloß, der geforderten Begrenzung der Reichweite der Vorrechte und Befreiungen durch eine restriktivere Definition der Spezialmission nachzukommen.138 Man einigte sich auf die Erfassung lediglich solcher Spezialmissionen durch die Konvention, die einen representative character haben.139 Diese Charakterisierung, die schließlich mit den Worten “temporary mission, representing the State” Eingang fand in die Legaldefinition der Spezialmission in Art. 1 lit. a) CSM, wurde – wie bereits erwähnt – in bewußter Anlehnung an die in Art. 3 Abs. 1 lit. a) WÜD enthaltene Aufgabenbeschreibung für ständige diplomatische Missionen formuliert. Nach Meinung der ILC sollte die Konvention damit nur solche Spezialmissionen erfassen, die in bezug auf ihre Aufgabe und ihre personelle Zusammensetzung mit den ständigen diplomatischen Vertretungen vergleichbar sind. Eine Spezialmission nach dem neuen Entwurf, so die ILC, unterscheide sich lediglich in zweierlei Hinsicht von einer ständigen diplomatischen Mission, nämlich dadurch, daß sie einen temporären Charakter aufweise und eine einzelne, spezifische Aufgabe zu erfüllen habe.140 Damit kehrte die ILC nach etlichen Jahren Arbeit genau zu dem Konzept zurück, das der frühere Sonderberichterstatter Sandström in seinem ersten Bericht an die ILC 1960 vorgeschlagen hatte: Einerseits wurde die Reichweite der Konvention begrenzt auf high-level missions von Staatenvertretern, die diplomatische Aufgaben wahrnehmen und ihren Staat in seiner Gesamtheit vertreten, andererseits wurde eine Identität der Rechtsstellung der Mitglieder solcher Spezialmissionen mit derjenigen der Mitglieder ständiger diplomatischer Missionen nach dem WÜD festgelegt.141 Es verwundert daher nicht, daß Ende der sechziger Jahre die Kritik erhoben wurde, die ILC hätte sich die langwierige Arbeit sparen können, da man nun wieder am Ausgangspunkt der Überlegungen zu einer Konvention über Spezialmissionen angelangt sei.142 ___________ In Vorbereitung dieser Revisionsarbeiten legte Bartoš einen dritten Bericht vor; vgl. YBILC 1966 II, 125 (UN-Dokument A/CN.4./189). 139 Vgl. den Bericht über die Diskussion innerhalb der ILC in YBILC 1967 I, 121 ff., 210 ff. sowie Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 48 ff. Siehe aber auch den vierten Bericht von Bartoš, YBILC 1967 II, 1 (6 ff., 23). 140 Vgl. den Bericht über die Diskussion innerhalb der ILC in YBILC 1967 I, 211 sowie Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 49 f. 141 Die ILC ging offenbar davon aus, daß die Reichweite der im nunmehr vorgelegten Entwurf enthaltenen Exemtionen dem Völkergewohnheitsrecht entsprach. Denn es heißt im Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1967, YBILC 1967 II, 343 (358) (UN-Dokument A/6709/REV.1): “It is now generally recognized that States are under an obligation to accord the facilities, privileges and immunities in question to special missions and their members.” Allerdings ist zu bedenken, daß diese Feststellungen im Kontext der Erörterung der Frage stehen, ob die Staaten Exemtionsregeln für Spezialmissionen als Rechtsregeln oder lediglich als Gebote der Courtoisie betrachten. 142 Vgl. Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 53. 138
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Der auf dieser neuen und gleichzeitig ursprünglichen Konzeption beruhende ILC-Entwurf143 wurde von der UN-Generalversammlung angenommen und – wie bereits erläutert – den Staaten zur Ratifizierung vorgelegt.144 Nun hätte man erwarten können, daß die Staaten dem endgültigen Konventionsentwurf zustimmen würden, wurde doch den vorgetragenen Bedenken durch die Begrenzung der Reichweite der Konvention auf Spezialmissionen, die wie eine ständige diplomatische Vertretung den Entsendestaat vertreten, weitgehend Rechnung getragen. Doch ist festzustellen, daß die von der ILC letztlich gewollte Restriktion in den Worten “representing the State” nicht hinreichend klar zum Ausdruck kommt. Nur wenn man die Entstehungsgeschichte der Konvention kennt, kann man die Intention dieser Formulierung erfassen. Eine rein am Wortlaut orientierte Auslegung von Art. 1 lit. a) CSM dagegen könnte auch zu dem Ergebnis kommen, daß Spezialmissionen administrativ-technischen Charakters von der CSM erfaßt sind.145 Denn auch ein Beamter des Verkehrsministeriums eines Staates, der – mit entsprechender Verhandlungsvollmacht ausgestattet – in den Nachbarstaat reist, um dort über die Trassenführung grenzüberschreitender Straßenverbindungen zu verhandeln, kann ohne weiteres als Repräsentant und als Vertreter seines Staates angesehen werden, wenngleich er diesen lediglich in bezug auf einen administrativ-technischen Einzelaspekt vertritt und damit nicht als ein einem Diplomaten gleichzuachtender Vertreter des (gesamten) Entsendestaates angesehen werden kann. Hinzu kommt folgendes: Es wurde darauf hingewiesen, daß bereits der Entwurf der ILC von 1960 Spezialmissionen definierte als “an official mission of State representatives”. Damals aber wollte die ILC diese dem Art. 1 lit. a) CSM sehr ähnliche Formulierung nicht so verstanden wissen, daß sie die Reichweite der Konvention auf high-level missions begrenze. Die Formulierung von 1960 sollte lediglich deutlich machen, daß die Emissäre Vertreter eines Staates sein müssen.146 Warum die nahezu identische Formulierung im Entwurf von 1967 dann eine Begrenzung auf high-level missions bedeuten sollte, konnte nicht überzeugend dargelegt werden. Die Ablehnung der CSM durch die Staaten beruht mithin zu wesentlichen Teilen darauf, daß im Konventionstext die von der ILC letztlich intendierte Beschränkung auf high-level missions nicht (hinreichend) zum Ausdruck kommt.147 Eine Konvention, die vom Wortlaut her unter Gewährung weitreichender Exemtionen alle Arten von Spezialmissionen erfaßt und damit mit dem „Risiko“ behaftet ist, in der Staa___________ Bericht der ILC an die UN-Generalversammlung 1967, YBILC 1967 II, 343 (347) (UN-Dokument A/6709/REV.1). 144 Vgl. oben Anm. 7 sowie Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 50. 145 In der Literatur wird diese Auffassung tatsächlich vertreten: Ryan, CanYBIL 16 (1978), 157 (186). 146 Vgl. oben Anm. 111. 147 So auch die Einschätzung von Ryan, CanYBIL 16 (1978), 157 (186). 143
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tenpraxis, namentlich durch Gerichte, in diesem Sinne verstanden zu werden, war aber nach wie vor für die große Mehrheit der Staaten inakzeptabel. Als Fazit der Analyse der Gründe für die Ablehnung der CSM durch die große Mehrheit der Staaten kann damit festgehalten werden, daß die CSM nicht etwa deshalb so geringen Zuspruch gefunden hat, weil die Staaten generell völkerrechtliche Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen ablehnen, sondern weil sie der Auffassung sind, daß die Konvention einem zu großen Personenkreis zu weitreichende Exemtionen einräumt.148 Betrachtet man die an den Konventionsentwürfen und an der CSM geäußerte Kritik, so wird man annehmen dürfen, daß ein Konventionsentwurf, der unter Verwendung eindeutiger und klarer Formulierungen einerseits nur hochrangige politische Spezialmissionen erfaßt hätte und andererseits nur die für eine Sicherung der Arbeitsfähigkeit dieser Spezialmissionen unbedingt notwendigen Exemtionen vorgesehen hätte, wohl auf deutlich größere Zustimmung gestoßen wäre. Eine solche Regelung scheint der kleinste gemeinsame Nenner der unterschiedlichen Auffassungen der Staaten zu sein.149 b) Wichtige Gerichtsentscheidungen zur Rechtsstellung der Mitglieder von Spezialmissionen Wie schon erwähnt, gibt es nur wenige Gerichtsentscheidungen zur Rechtsstellung von Mitgliedern von Spezialmissionen, die zudem überwiegend schon älteren Datums sind. Wenn man aber diese Gerichtsentscheidungen im Hinblick auf ihre Aussagen zur Reichweite völkerrechtlicher Exemtionen analysiert und wieder den Versuch macht, die Aussagen auf ihren kleinsten gemeinsamen Nenner zurückzuführen, so kommt man zu dem Ergebnis, daß die Gerichte zumindest bereit waren, den Mitgliedern hochrangiger politischer Spezialmissionen die zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe unabdingbaren Exemtionen zu gewähren.150 Dagegen lehnten es die Gerichte fast ausnahmslos ab, Mitgliedern von Spezialmissionen, die lediglich ad___________ 148 So auch das Fazit von Bockslaff/Koch, GYIL 25 (1982), 539 (547) und Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 115. 149 So auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 115: „Als kleinster gemeinsamer Nenner kann herausgefiltert werden, daß Sondergesandten bei Missionen mit hoheitsfunktionsbezogenem Auftrag Immunitätsschutz insoweit zustehen soll, als es die Wahrnehmung der sondergesandtschaftlichen Funktionen erfordert.“ 150 Bockslaff/Koch, GYIL 25 (1982), 539 (544), meinen allerdings, ältere Entscheidungen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg könnten heutzutage per se nicht mehr zur Feststellung des Standes des Völkergewohnheitsrechts herangezogen werden, da zur damaligen Zeit Spezialmissionen absoluten Ausnahmecharakter gehabt hätten und die internationalen Beziehungen nahezu ausschließlich durch die ständigen diplomatischen Vertretungen wahrgenommen worden seien. Daher habe – so scheint der Gedankengang zu sein – anders als heute nicht die Notwendigkeit eines besonderen Schutzes von Mitgliedern von Spezialmissionen bestanden.
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ministrativ-technischen Charakter hatten, Exemtionen zuzubilligen. Dieses Ergebnis stimmt interessanterweise überein mit dem Fazit, das soeben bei der Analyse der Gründe für die Ablehnung der CSM in bezug auf die verschiedenen von den Staaten geäußerten Auffassungen gezogen werden konnte. In der Literatur wird auf drei sogenannte Ausstellungsentscheidungen von Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts verwiesen. Dabei ging es jeweils um die Frage, ob Personen, die einen anderen Staat auf einer der damals in großem Stil durchgeführten internationalen Ausstellungen vertraten, von der örtlichen Gerichtsbarkeit befreit waren. Die französische Cour de Bordeaux verneinte dies im Jahr 1883 in einer Entscheidung, in der es um einen Vertreter Spaniens auf der „Exposition industrielle française“ in Bordeaux ging,151 ebenso wie die belgische Cour de Cassation im Jahr 1898. Das belgische Gericht verneinte eine Immunität der Vertreterin der Niederlande auf der Weltausstellung in Brüssel 1897 mit dem Argument, die Vertreterin der Niederlande habe auf der Ausstellung lediglich administrative Aufgaben zu erledigen gehabt, ihr habe jeglicher caractère diplomatique gefehlt.152 Als dritte Entscheidung wird die eines argentinischen Gerichts aus dem Jahr 1911 genannt, in der einem Vertreter Deutschlands auf einer internationalen Kunstausstellung in Buenos Aires zwar Immunität zugesprochen wurde, diese jedoch nur damit begründet wurde, daß aufgrund einer Vereinbarung zwischen Deutschland und Argentinien die betroffene Person der deutschen Gesandtschaft in Buenos Aires zugeordnet war.153 Diesen drei Entscheidungen ist gemeinsam, daß Staatenvertretern, deren Missionen administrativ-technischen Charakter hatten, keine Exemtion von der örtlichen Gerichtsbarkeit aufgrund ihres Status als temporärer Emissär eines fremden Staates zuerkannt wurde. Im Jahr 1918 lehnte ein Pariser Gericht im Fall Gravenhoff eine Immunität des Delegierten des russischen Wirtschaftsministeriums Dimitri Gravenhoff von der französischen Strafgerichtsbarkeit mit dem Argument ab, dieser könne als einfacher Delegierter des russischen Wirtschaftsministeriums nicht einem Diplomaten gleichgestellt werden. Seine Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe wegen Mißachtung einer früheren Ausweisungsverfügung wurde bestätigt. Das Gericht stellte also entscheidend darauf ab, daß Gravenhoff kein Diplomat war bzw. aufgrund des Charakters seiner Aufgabe nicht einem Diplomaten gleichgestellt werden könne.154
___________ Vgl. Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 13 f. Vgl. Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 14, 17 f.; Ryan, CanYBIL 16 (1978), 157 (164); Waters, The Ad Hoc Diplomat, S. 128. 153 Vgl. Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 14 f. 154 Clunet (Journal du Droit International) 45 (1918), 1183 (1183 f.). Vgl. zu diesem Fall auch Freudenberg, Schnaebelé-Fall, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 212 (213); Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 15 f.; Ryan, CanYBIL 16 (1978), 157 (164); Waters, The Ad Hoc Diplomat, S. 128 f. 151 152
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Der englische Court of Appeal befand 1921, daß dem im Rahmen eines britischsowjetischen Handelsabkommens als sowjetischer “chief official agent” nach Großbritannien entsandten Leonid Krassin keine Immunität zukam. Dieser hatte sich darauf berufen, er habe mit Vertretern des britischen Außenministeriums wichtige politische Gespräche geführt. Die britische Regierung habe ihn in diplomatischen Angelegenheiten empfangen. Er genieße daher die einem Diplomaten zukommenden Exemtionen. Doch stützte sich das Gericht allein auf den englischen Diplomatic Privileges Act aus dem Jahr 1708, nach dem lediglich vom Entsendestaat formal zu Diplomaten ernannte und von England als solche offiziell empfangene Gesandte – unabhängig davon, ob es sich um ständige Gesandte oder Ad-hocEmissäre handelte – Immunität von der englischen Gerichtsbarkeit genossen.155 Allerdings begründete einer der Richter, Lord Justice Scrutton, die Ablehnung der Immunität Krassins damit, aus dem britisch-sowjetischen Handelsabkommen gehe hervor, daß den sowjetischen Vertretern keine Immunität zukommen sollte. In einem obiter dictum führte er aus, daß er wohl anders entschieden hätte, wenn das Handelsabkommen keinen Immunitätsausschluß festgelegt hätte: “(…) so long as our Government negotiates with a person as representing a recognized foreign State about matters of concern between nation and nation, without further definition of his position, I am inclined to think that such representative may be entitled to immunity though not accredited to or received by the King.”156
Während sich die Mehrheit der Richter an den englischen Diplomatic Privileges Act gebunden fühlte und demgemäß formal differenzierte zwischen zu Diplomaten ernannten und als solche empfangenen Personen einerseits und sonstigen Staatenvertretern andererseits, stellte Lord Justice Scrutton mit einer materiellen Betrachtungsweise darauf ab, ob diplomatische Aufgaben wahrgenommen werden oder nicht und zeigte sich geneigt, im ersten Fall Immunität zuzuerkennen. Von Bedeutung für die Frage völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit für Mitglieder von Spezialmissionen ist ferner die sogenannte „Commission des biens français-Affaire“ zwischen Frankreich und Ägypten bzw. der Vereinigten Arabischen Republik, dem Zusammenschluß von Ägypten und Syrien, der zwischen 1958 und 1961 bestand: Nachdem infolge der Suez-Krise 1956 Frankreich und Ägypten ihre diplomatischen Beziehungen abgebrochen hatten, einigten sich Frankreich und die Vereinigte Arabische Republik 1960 auf die Entsendung einer ausdrücklich als „temporaire“ bezeichneten französischen Kommission, deren Aufgabe es sein sollte, französische Staatsbürger bei ihrem Kontakt mit ägyptischen Behörden zur Seite zu stehen. Die Kommission stellte damit eine Spezialmission im völkerrechtlichen Sinne dar. Drei Mitglieder der Kommission wurden im November 1961 in Kairo verhaftet, man warf ihnen vor, an der Vorbereitung eines Staatsstreichs gegen den ägyptischen Präsidenten Nasser beteiligt gewesen zu sein. Da den
___________ Vgl. hierzu Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 16 f.; Ryan, CanYBIL 16 (1978), 157 (167 f.). 156 Zitiert nach Ryan, CanYBIL 16 (1978), 157 (167) und Waters, The Ad Hoc Diplomat, S. 129. 155
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Mitgliedern der Kommission in der ihrer Tätigkeit zugrundeliegenden Vereinbarung zwischen Frankreich und der Vereinigten Arabischen Republik keine Exemtionen zugesprochen worden waren, entbrannte zwischen Frankreich und Ägypten ein Streit darüber, ob die Kommissionsmitglieder als Angehörige einer Spezialmission qua Völkergewohnheitsrecht von der ägyptischen Strafgerichtsbarkeit befreit waren. Frankreich bejahte eine völkergewohnheitsrechtliche Immunität der Kommissionsmitglieder und begründete diese Auffassung vor dem Kairoer Staatssicherheitstribunal damit, daß Aufgabe der Kommission der Schutz der Interessen französischer Staatsbürger sei; die Kommission nehme daher eine klassische diplomatische Aufgabe wahr. Mitglieder einer staatlichen Delegation, die mit Einvernehmen des Empfangsstaates zur Wahrnehmung einer diplomatischen Aufgabe in diesen entsandt werden, genössen nach Völkergewohnheitsrecht Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates. Die Anklagevertreter hielten dem entgegen, daß zwar auch Nichtdiplomaten, also Personen ohne förmlichen Diplomatenstatus, wenn sie im Rahmen einer Sondermission tätig seien, die eine politische Aufgabe zu erfüllen habe, nach Völkergewohnheitsrecht von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates befreit seien. Aber die in Frage stehende Spezialmission habe keinen politischen Charakter, sondern sei ausschließlich wirtschaftlicher und kultureller Art. Deshalb bestehe keine Exemtion von ägyptischer Strafgerichtsbarkeit. Der Streit zwischen Frankreich und Ägypten wurde jedoch in der Sache nicht endgültig entschieden, da eine diplomatische Lösung gefunden, der Prozeß schließlich im April 1962 aus Gründen der Staatsräson eingestellt und die Angeklagten freigelassen wurden.157
Für den vorliegenden Zusammenhang ist die Feststellung wichtig, daß sich Frankreich und Ägypten insofern einig waren, als beide Staaten davon ausgingen, daß Mitglieder einer Spezialmission, die politische bzw. diplomatische Aufgaben wahrzunehmen hat, von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates befreit seien, und zwar selbst dann, wenn die Mitglieder nicht formal vom Entsendestaat als Diplomaten tituliert worden und vom Empfangsstaat nicht als solche akzeptiert worden sind, während das Völkergewohnheitsrecht Mitgliedern administrativtechnischer Spezialmissionen keine Exemtionen zubillige.158 Die Auseinandersetzung über die Existenz einer völkergewohnheitsrechtlichen Exemtion bezog sich daher ausschließlich auf die Frage, welcher Art von Spezialmission die Commission des biens français zuzurechnen war. Eine weitere für den vorliegenden Zusammenhang relevante Gerichtsentscheidung betrifft den Fall Teja. Der Inder Jayanti Dharma Teja war 1970 in London aufgrund eines Auslieferungshaftbefehls inhaftiert worden. Er berief sich auf eine Exemtion von britischer Strafgerichtsbarkeit und präsentierte ein Schreiben des Außenministers von Costa Rica, laut dem er als „Economic Adviser“ auf eine Spezialmission zu verschiedenen europäischen Staaten gesandt worden sei, um Finanzierungsmöglichkeiten für eine Expansion der Stahlindustrie Costa Ricas auszuloten. Der englische High Court verneinte jedoch im Januar 1971 eine Immunität Tejas unter Hinweis darauf, eine Anfrage beim Außenministerium habe ergeben, ___________ Vgl. ILR 34, 175 sowie die ausführliche Analyse dieses Falls von Watts, ICLQ 12 (1963), 1383 (1384 ff., insbes. 1396 f.). Siehe ferner Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 120 f.; Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 26 ff.; Ryan, CanYBIL 16 (1978), 157 (175 ff.); Wilson, Diplomatic Privileges and Immunities, S. 231 ff. 158 Diese Feststellung trifft auch Ryan, CanYBIL 16 (1978), 157 (178). 157
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daß dort von einer Sondermission Tejas nichts bekannt sei. Konstitutives Element einer Spezialmission sei aber eine Zustimmung des Empfangsstaates mit der Mission.159 Der Richter betonte in einem obiter dictum ferner, daß die CSM zwar noch kein geltendes Recht sei, aber selbst wenn man eine Geltung der CSM unterstellte, genösse Teja keine Immunität. Denn wer sich nur mit Finanzierungsmöglichkeiten für Industrieprojekte zu beschäftigen habe, vertrete seinen Entsendestaat nicht wie ein Diplomat. Dies aber scheint der Richter als Voraussetzung für eine Spezialmission im Sinne des Art. 1 lit. a) CSM angesehen zu haben.160 Von besonderer Bedeutung sind die Entscheidungen des LG Düsseldorf161 und des OLG Düsseldorf162 im bereits geschilderten Fall Tabatabai, während die Revisionsentscheidung des BGH zwar ein Strafverfolgungshindernis bejahte, aber dieses nicht mit einer völkergewohnheitsrechtlichen Exemtion Tabatabais als „Sonderbotschafter“ begründete.163 Das LG Düsseldorf ging davon aus, daß nur Mitglieder solcher Spezialmissionen, die Aufgaben im politischen Bereich wahrzunehmen haben, in den Genuß einer Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit kommen können. In der Haftentscheidung des LG Düsseldorf vom 24. Februar 1983 heißt es: „Voraussetzung für die Errichtung einer Spezialmission mit Immunität für den Sonderbotschafter ist unter anderem, daß der Sonderbotschafter eine bestimmte Aufgabe im politischen Raum zu erfüllen hat.“164
Die Frage, ob Tabatabai vom Iran formal zu einem „Sonderbotschafter“, also einer Person mit Diplomatenstatus, ernannt und von Deutschland als Diplomat empfangen wurde, spielte für das Gericht dagegen keine Rolle. Zwar sprach das LG Düsseldorf von Tabatabai als einem „Sonderbotschafter“, doch wollte das Landgericht damit nicht zum Ausdruck bringen, daß lediglich Personen mit Botschafter-, sprich Diplomatenstatus, Exemtionen genießen können. Denn in der Entscheidung ist an anderer Stelle auch von der „Errichtung einer Spezialmission mit Immunitätswirkung für den Beauftragten“165 die Rede. Allerdings spielte die Frage, inwieweit Mitglieder von Spezialmissionen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen, für das LG Düsseldorf für ___________ ILR 52, 368 = (1971) 2 All ER 11. ILR 52, 368 (374) = (1971) 2 All ER 11 (17 f.). Damit machte sich der High Court die von der ILC intendierte (vgl. oben § 18 IV.3.a)) und auch hier vertretene (vgl. oben § 18 III.3.) Interpretation des Art. 1 lit. a) CSM zu eigen. Vgl. zu diesem Fall auch Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 62 f. 161 LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 159; LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440. 162 OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160. 163 BGHSt 32, 275 (287 ff.) = NJW 1984, 2048 (2049). Zur Argumentation des BGH siehe die Ausführungen unten bei § 18 IV. 7. 164 LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 159 (159). Hervorhebung durch den Verf. 165 LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 159 (160). 159 160
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den konkreten Fall gar keine Rolle, da das Landgericht bereits das Vorliegen einer Spezialmission im völkerrechtlichen Sinne verneinte. Während das LG Düsseldorf es daher bei diesen allgemeinen, lediglich die Existenz einer völkergewohnheitsrechtlichen Exemtion bejahenden Feststellungen belassen konnte,166 mußte das OLG Düsseldorf im Anschluß an die Bejahung des Vorliegens einer Spezialmission konkret zur Reichweite völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionen Stellung beziehen. In dem Beschluß des OLG vom 7. März 1983 heißt es: „Nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage hält der Senat an seiner (…) Auffassung fest, daß der Beschwerdeführer nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit ist (§§ 20, 18 GVG). (…) Unbestritten ist des weiteren, daß einem anerkannten Sonderbotschafter zur Erfüllung und zum Schutz seiner Mission vom Empfängerstaat Immunität, zumindest Schutz der persönlichen Unverletzlichkeit einschließlich seiner Freiheit zu gewährleisten ist.“167
Auch das OLG Düsseldorf sprach sich also für die Existenz einer völkergewohnheitsrechtlichen Exemtion für Mitglieder von Spezialmissionen aus, erachtete den Umfang der Exemtion allerdings (wohl) für begrenzt.168 Aus den Ausführungen wird jedoch nicht deutlich, ob das OLG der Frage, ob es im Fall Tabatabai um eine politische oder aber eine administrativ-technische Mission ging, irgendeine Bedeutung beimaß. Allerdings läßt sich der Beschlußbegründung entnehmen, daß auch das OLG Düsseldorf nicht darauf abstellte, daß Tabatabai vom Iran explizit als „Sonderbotschafter“ bezeichnet worden war. Denn der Begriff „Sonderbotschafter“ wird vom Gericht ausschließlich auf die Funktion, nicht auf den formellen Status eines Staatenvertreters bezogen: „Neben den ständigen Vertretern der Staaten im Ausland geschieht die Pflege der internationalen Beziehungen der Staaten zueinander durch Staatenvertreter mit besonderen Aufträgen, sog. Ad-hoc-Diplomaten oder Sonderbotschaftern.“169
c) Sonstige Staatenpraxis Zutreffend wird in der Literatur darauf hingewiesen, daß zwar in der Staatenpraxis die Rechtsstellung von Spezialmissionen zum Teil durch bilaterale, auf kon___________ 166 Im Urteil vom 10.3.1983 (EuGRZ 1983, 440 [445]) war das LG Düsseldorf sogar noch zurückhaltender und betonte in bezug auf eine Exemtion Tabatabais: „Ob diese bisher noch nicht in Kraft getretene Konvention [die CSM; der Verf.] ganz oder teilweise völkergewohnheitsrechtlich (…) gilt, ist unter Lehrern des Völkerrechts umstritten. (…) Diese Streitfrage kann indes auf sich beruhen.“ 167 OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160 (161). 168 Vgl. auch die ebenfalls den Fall Tabatabai betreffende Entscheidung OLG Düsseldorf, NJW 1986, 2204 (2204), in der es heißt: „Die in den §§ 18 bis 20 GVG ausgesprochene Befreiung bestimmter Personen von der deutschen Gerichtsbarkeit, wozu nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts auch die Sonderbotschafter fremder Staaten zählen, ist Ausprägung einer gewohnheitsmäßig entstandenen Völkerrechtsnorm.“ 169 OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160 (161).
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krete einzelne Missionen bezogene völkervertragliche Vereinbarungen geregelt werde, daß diese Vereinbarungen aber zum einen nicht öffentlich zugänglich seien und damit für eine Verwertung ausschieden, zum anderen derart uneinheitlich seien, daß jeder Versuch einer Verallgemeinerung scheitern müsse.170 Zugänglich und verallgemeinerungsfähig sind jedoch einige regierungsamtliche Äußerungen zum Stand des Völkergewohnheitsrechts sowie internationale und nationale Rechtsakte, die sich auf den Status von Mitgliedern von Spezialmissionen beziehen. Hingewiesen werden soll an dieser Stelle zunächst auf den bereits oben in § 7 I. 2.b)bb) angeführten Fall Schnaebelé: Der französische Polizeibeamte Schnaebelé hatte sich im Auftrag des französischen Kriegsministeriums an Spionagehandlungen gegen das Deutsche Reich beteiligt, wobei er vor allem als Kontaktperson für deutsche Informanten fungiert hatte. Als Schnaebelé am 20. April 1887 einer Einladung eines deutschen Polizeikommissars folgend zu einer Routinebesprechung über gemeinsame grenzpolizeiliche Anliegen nach Deutschland reiste, wurde er unter dem Vorwurf der Spionage verhaftet. Frankreich protestierte gegen die Verhaftung und verwies darauf, Schnaebelé sei in eine Falle gelockt worden; er sei nur deshalb eingeladen worden, um ihn verhaften zu können. Der dienstliche Verkehr zwischen Beamten benachbarter Staaten dürfe nicht zur Ermöglichung einer Verhaftung mißbraucht werden. Deutschland war bemüht, den Konflikt ohne größeres Aufsehen aus der Welt zu schaffen. Schnaebelé wurde auf Anordnung des deutschen Kaisers freigelassen.171 In einer an den französischen Botschafter in Berlin gerichteten Botschaft betonte Staatssekretär Herbert von Bismarck, bei seiner an den Deutschen Kaiser gerichteten Bitte um Freilassung Schnaebelés sei er „von der völkerrechtlichen Auffassung geleitet worden, daß Grenzüberschreitungen, welche auf Grund dienstlicher Verabredungen zwischen Beamten benachbarter Staaten erfolgen, jederzeit als unter der stillschweigenden Zusicherung des freien Geleites stehend anzusehen seien. (…) Wenn die Grenzbeamten bei derartigen Gelegenheiten der Gefahr ausgesetzt wären, auf Grund von Ansprüchen, welche die Gerichte des Nachbarstaates an sie machen, verhaftet zu werden, so würde in der dadurch für sie gebotenen Vorsicht eine Erschwerung der laufenden Grenzgeschäfte liegen, welche mit dem Geiste und den Traditionen der heutigen internationalen Beziehungen nicht im Einklang steht“.172
___________ Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rn. 9; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 116 f.; Ryan, CanYBIL 16 (1978), 157 (178 f.). Der ILC-Sonderberichterstatter Bartoš bewertete die von ihm untersuchten Verträge als “offering nothing that may be regarded as evidence of any uniform international practice and, accordingly, useless as sources of international law except as concerns relations between the contracting parties. In these circumstances, where there are no general conventions and where bilateral conventions are sporadic and differ not only as between different States but also as between the same States at different periods and under different circumstances, there can hardly be said to be any conventional sources of international law on this subject capable of supporting certain broader conclusions.”; YBILC 1967 II, 1 (17) (UN-Dokument A/CN.4/194). 171 Vgl. Freudenberg, Schnaebelé-Fall, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 212 (212 f.); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 119; Ryan, CanYBIL 16 (1978), 157 (162 f.). 172 Zitiert nach Freudenberg, Schnaebelé-Fall, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 212 (212), der die Entscheidung Deutschlands sowie die völkerrechtliche Begründung in der Note Bismarcks begrüßt. 170
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Wenngleich hier die Konstruktion eines „konkludent zugesicherten freien Geleits“ bemüht wurde, so kann doch von einer Staatenpraxis gesprochen werden, in der zum Ausdruck gekommen ist, daß Mitglieder von Spezialmissionen – auch bei Nichtvorliegen eines Diplomatenstatus – der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates entzogen sind. Dieser Fall ist, soweit ersichtlich, der einzige Fall, in dem einem Beauftragten einer – verwendet man die moderne völkerrechtliche Terminologie – lediglich administrativ-technischen Spezialmission eine besondere Exemtion (über die der Staatenimmunität hinaus) zuerkannt wurde.173 Bedeutsam für den vorliegenden Zusammenhang ist auch die bereits oben in § 11 I.2.c) erwähnte Convention on Diplomatic Officers, die am 20. Februar 1928 in Havanna von 14 lateinamerikanischen Staaten unterzeichnet wurde und sich auf die südamerikanische Region beschränkt.174 Diese differenziert nicht zwischen Diplomaten ständiger diplomatischer Missionen und Diplomaten, die lediglich im Rahmen einer temporären Mission in den Empfangsstaat reisen. In Art. 2 der Konvention heißt es: “Diplomatic Officers are classed as ordinary and extraordinary. (…) Those entrusted with a special mission (…) are extraordinary.”
Art. 9 der Konvention führt dann weiter aus: “Extraordinary diplomatic officers enjoy the same prerogatives and immunities as ordinary ones.”
Nach der Konvention genießen also diejenigen Mitglieder von Spezialmissionen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, und zwar umfassende Immunität ratione personae und negative persönliche Unverletzlichkeit, die formal als Diplomaten entsandt und vom Empfangsstaat als solche empfangen wurden. Damit liegt der Convention on Diplomatic Officers das auch in Teilen der Literatur und von einigen Gerichten vertretene Kriterium einer formalen Differenzierung zwischen Diplomaten und Nichtdiplomaten zugrunde.175
___________ 173 Oppenheim, International Law, vol. I (8. Aufl. 1955), § 456 führt zwar diesen Fall als Beleg für eine Staatenpraxis an, die Mitgliedern administrativ-technischer Spezialmissionen Immunität zuerkennt, verneint aber die Existenz einer entsprechenden völkergewohnheitsrechtlichen Regel. 174 LNTS, 155, 259 = AJIL 22 (1928), Suppl., 142 ff. Hinsichtlich der in der Konvention festgelegten Exemtionen ist an dieser Stelle auf folgende Normen hinzuweisen: Art. 14: “Diplomatic officers shall be inviolate as to their persons, their residence, private or official, and their property. This inviolability covers: (a) All classes of diplomatic officers; (b) the entire official personnel of the diplomatic mission; (c) The members of the respective families living under the same roof; (d) The papers, archives and correspondence of the mission.” Art. 19: “Diplomatic officers are exempt from all civil or criminal jurisdiction of the state to which they are accredited; they may not, except in the case when duly authorized by their government they waive immunity, be prosecuted or tried unless it be by the courts of their own country.” 175 So auch die Bewertung von Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 19.
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Allerdings haben mit Chile, Kuba, Mexiko und Uruguay einige der Staaten, die Vertragsstaaten der Convention on Diplomatic Officers sind, auch die CSM ratifiziert. Diese stellt, wie erwähnt, nicht auf das formale Kriterium der Diplomateneigenschaft ab, sondern differenziert danach, ob eine Spezialmission diplomatische Aufgaben wahrnimmt und die Mitglieder der Mission ihren Entsendestaat gleich einem Diplomaten in seiner Gesamtheit vertreten oder aber lediglich eine administrativ-technische Mission vorliegt. Da die CSM im Verhältnis der ratifizierenden Staaten untereinander nach dem Grundsatz lex posterior derogat legi priori Vorrang vor der Convention on Diplomatic Officers hat (vgl. Art. 30 Abs. 4 WVRK), zeigt sich, daß die Konvention von 1928 in bezug auf Spezialmissionen jedenfalls nicht mehr für die Verhältnisse aller Vertragsstaaten untereinander verbindlich ist und nicht mehr von allen Vertragsstaaten für zeitgemäß erachtet wird.176 In Großbritannien und in den USA gab es bis 1964 bzw. 1978 nationale Diplomatic Privileges Acts, die ohne Differenzierung zwischen ständigen und temporären Staatenvertretern all denjenigen Emissären Exemtionen von der Gerichtsbarkeit Großbritanniens bzw. der USA gewährten, die vom Entsendestaat formal als Diplomaten entsandt und von Großbritannien respektive den USA als Diplomaten empfangen wurden. Damit wurde auch in diesen beiden Ländern ursprünglich allein auf das formale Kriterium der Diplomateneigenschaft abgestellt. Mitglieder von Spezialmissionen waren also nur dann, wenn sie einen solchen Diplomatenstatus hatten, von der Strafgerichtsbarkeit Englands bzw. der USA befreit.177 In den USA brachten zwar Regierungsvertreter während der Geltung dieser gesetzlichen Bestimmungen wiederholt zum Ausdruck, daß diese Regelungen als abschließend betrachtet wurden, also Mitgliedern von Spezialmissionen nur dann Exemtionen von der Gerichtsbarkeit der USA zukamen, sofern sie als Diplomaten empfangen worden waren.178 Doch machten die USA Ausnahmen von dieser Regel in Fällen, in denen es sich um hochrangige Vertreter aus fremden Staaten handelte, bei denen außer Frage stand, daß ihre Mission politischen und nicht lediglich administrativ-technischen Charakter hatte.179 So entschied das US-Außenministerium im Jahr 1929, daß der ehemalige Präsident Mexikos, Calles, der wegen des Verdachts seiner Beteiligung an zwei Tö___________ So auch die Einschätzung von Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 56. Vgl. Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 12 f.; Ryan, CanYBIL 16 (1978), 157 (164 f.) sowie die oben in § 18 IV.3.b) erwähnte Entscheidung im Fall Krassin. 178 Vgl. die Nachweise bei Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 20 f. 179 Vgl. Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 22 sowie Ryan, CanYBIL 16 (1978), 157 (170 ff.), der unter Anführung mehrerer Gerichtsentscheidungen die Auffassung vertritt, die USA hätten schon immer die diplomatische Funktion als entscheidend für die Gewährung von Exemtionen angesehen und der formale Status als Diplomat habe nur als äußere Manifestation dieser Funktion und damit nur als Indiz für eine Exemtionsberechtigung Bedeutung gehabt. Diese Auffassung wird jedoch von Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 23 f., scharf zurückgewiesen. 176 177
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tungsdelikten bei seiner Einreise nach Texas verhaftet worden war, Immunität von der Strafgerichtsbarkeit der USA genieße, weil er zu diplomatischen Gesprächen mit hochrangigen Regierungsvertretern in Washington in die USA gereist sei und mithin als Diplomat mit entsprechenden Vorrechten und Befreiungen anzusehen sei.180 Im Jahr 1963 bestätigte das US-Außenministerium auf Anfrage eines Gerichts, daß eine Zivilklage gegen den südkoreanischen Außenminister Kim Yong Shik, die während eines offiziellen Besuchs des Koreaners in den USA erhoben worden war, wegen dessen Immunität abgewiesen werden müsse.181 Dabei stellte die USRegierung nicht etwa auf eine persönliche Exemtion des Koreaners aufgrund seiner Eigenschaft als amtierender Außenminister ab, sondern auf seine Eigenschaft als Sondergesandter. In dem Schreiben der US-Regierung an das zuständige Gericht hieß es: “The records of the Department of State do not indicate that any steps were taken to formally recognize him in a diplomatic capacity; however, no such steps are usually taken with respect to high officials who travel to Washington on special missions.”182
Der Diplomatic Relations Act der USA von 1978183, durch den der alte Diplomatic Privileges Act aufgehoben wurde, enthält keinerlei eigenständigen Regelungen für Spezialmissionen mehr, sondern stellt in bezug auf Gesandte fremder Staaten, die nicht unter das WÜD fallen, lediglich fest, daß diese im Rahmen des geltenden Völkerrechts von der US-amerikanischen Gerichtsbarkeit befreit seien.184 Damit ist die frühere gesetzliche Differenzierung zwischen Gesandten, die formal zu Diplomaten ernannt und als solche empfangen wurden, und sonstigen Ad-hoc-Vertretern von den USA explizit aufgegeben worden. Auch Großbritannien scheint mittlerweile von der Auffassung, nur formal zu Diplomaten ernannte und als solche akzeptierte Gesandte würden Exemtionen genießen, abgerückt zu sein und in Anlehnung an die der CSM zugrundeliegenden materiellen Differenzierungen bereit zu sein, Mitgliedern von high-level missions mit politischen Aufgaben unabhängig von einer formalen Diplomateneigenschaft Exemtionen zuzuerkennen.185 Zumindest enthält der Diplomatic Privileges Act von 1964186 – anders als der frühere Diplomatic Privileges Act von 1708 – keinen Hin___________ Vgl. die Darstellung des Falls bei Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 21 f. Vgl. Whiteman, Digest of International Law, vol. 7 (1970), S. 41 sowie Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 22. 182 Zitiert nach Whiteman, Digest of International Law, vol. 7 (1970), S. 41. 183 Diplomatic Relations Act, Pub. L. No. 95-393, 92 Stat. 808 (1978). 184 Vgl. Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 61 f. 185 Hiervon geht jedenfalls Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 57 f. aufgrund eines Schreibens der britischen Botschaft in Deutschland aus, das er in Antwort auf eine von ihm betriebene Staatenumfrage erhielt. 186 Abgedr. in Halsbury’s Statutes of England and Wales, 4. Aufl., vol. 10 (2001 Reissue), S. 746. 180 181
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weis mehr auf die Notwendigkeit einer formellen Diplomateneigenschaft für Exemtionen von Mitgliedern von Spezialmissionen. Der US-amerikanische Völkerrechtler Waters richtete 1958 eine Anfrage an verschiedene Staaten, um zu erfahren, ob persönliche Beauftragte des US-Präsidenten gegenüber der Gerichtsbarkeit anderer Staaten Exemtionen genießen. Hintergrund dieser Umfrage war die Tatsache, daß die US-Präsidenten für den diplomatischen Verkehr vermehrt auf solche Sonderbeauftragte zurückgriffen, da sie nach der USVerfassung für die Ernennung solcher Beauftragter, anders als für die Ernennung von Diplomaten, keine Zustimmung des Senats benötigen.187 Zwar beantworteten etliche Staaten die Anfrage dahingehend, daß solchen Sonderbeauftragten ihrer Auffassung nach keine völkergewohnheitsrechtliche Exemtion zukomme.188 Doch wurde dabei ganz offensichtlich angenommen, diese Beauftragten reisten als private Vertreter des Präsidenten189 und nicht als staatliche Funktionsträger.190 Deutlich wird dies aus der Antwort des bundesdeutschen Justizministeriums: „Eine allgemeine Regel des Völkerrechts, die den privaten Sonderbeauftragten eines fremden Staatsoberhauptes schlechthin diplomatische Vorrechte gewährt, dürfte nicht bestehen. Jedoch wird ein solcher Sonderbeauftragter nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen als Exterritorialer anzusehen sein, wenn besondere Voraussetzungen vorliegen, so wenn er im Gefolge des Staatsoberhauptes reist oder wenn er als Vertreter des fremden Staates bei Ministerbesuchen oder Staatsbesprechungen auftritt.“191
Diese Antwort zeigt, daß man dort im Jahr 1958 davon ausging, daß zumindest Personen, die im Auftrag eines anderen Staates entsandt werden und in hochrangige politische Gespräche involviert sind, nach Völkergewohnheitsrecht Exemtionen von deutscher Gerichtsbarkeit genießen. Im Bundesjustizministerium wurde also jedenfalls damals die Auffassung vertreten, hochrangige Vertreter politischer Spezialmissionen genössen nach Völkergewohnheitsrecht Befreiungen von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates. In Vorbereitung seiner Untersuchung aus dem Jahr 1991, die sich mit der Immunität von Spezialmissionen befaßt, führte Quarch 1987 eine Staatenumfrage durch, deren Ergebnis zwar angesichts einer sehr geringen Zahl von Staaten, die antworteten, keinen eigenständigen Aussagewert zum Stand des Völkergewohnheitsrechts hat, aber doch insofern von Interesse ist, als deutlich wird, daß die Staaten, die begründet haben, weshalb sie die CSM nicht ratifiziert haben, die gleichen Argumente ___________ Vgl. Wriston, Foreign Affairs 38 (1959/60), 219 (219 f.). Waters, The Ad Hoc Diplomat, S. 121 ff. Vgl. auch Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 24 ff. 189 Vgl. bezüglich des Status der „Special Envoys“ der US-Präsidenten auch Wriston, Foreign Affairs 38 (1959/60), 219 (220 f.). 190 Vgl. auch Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 116 Fn. 324, die gleichfalls zu dem Ergebnis kommt, die Antworten der Staaten auf die Umfrage von Waters könnten nicht ohne weiteres als Beleg dafür gelten, daß die Staaten Exemtionen für Sondergesandte schlechthin ablehnten. 191 Zitiert nach Waters, The Ad Hoc Diplomat, S. 122. 187 188
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gegen die Konvention anführten, die schon in den sechziger Jahren von den Staaten vorgetragen wurden.192 So stellte die norwegische Botschaft in Deutschland in ihrer Antwort fest, die Ablehnung der CSM durch Norwegen stehe zum Teil damit in Zusammenhang, daß man sowohl den Umfang der Privilegien- und Immunitätsbestimmungen der Konvention als auch den Kreis der Personen, die davon berührt werden, als zu weitgehend ansehe.193 In der Antwort der belgischen Botschaft wird festgestellt, Belgien sei mit der CSM nicht einverstanden, da der Text von der Betrachtung der besonderen Missionen als reisende Botschaften ausgehe und nur die Exemtionen gewährt werden sollten, die unbedingt notwendig seien zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit einer Spezialmission.194 Ähnlich äußerte sich auch das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland. Zwar gebe es keine offizielle Begründung dafür, weshalb die Bundesrepublik die CSM nicht ratifiziert habe, doch wies der Verfasser des Schreibens darauf hin, daß die CSM fast ein Spiegelbild des WÜD mit sehr weitgehenden Vorschriften sei, die dem lediglich vorübergehenden Charakter der Sondermission nicht ganz Rechnung trügen.195 Erneut zeigt sich, daß nicht generell Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen abgelehnt werden, sondern nur der Umfang der von der CSM festgelegten Exemtionen als zu weitreichend angesehen wird. Aus den Äußerungen des Auswärtigen Amtes im Fall Tabatabai geht hervor, daß das deutsche Außenministerium von der Existenz einer völkergewohnheitsrechtlichen Exemtion jedenfalls für die Verhandlungsführer einer politischen Spezialmission ausgeht, wenngleich nicht klar zu erkennen ist, ob das Auswärtige Amt der formalen Stellung Tabatabais als Sonderbotschafter – also als Diplomat – Bedeutung zumaß. Die Urteile des BGH vom 27. Februar 1984 und des LG Düsseldorf vom 10. März 1983 geben übereinstimmend den Wortlaut eines Schreibens des Bundesjustizministers vom 3. Februar 1983 wieder, in dem es heißt: „Das Auswärtige Amt ist der Ansicht, daß Herr Dr. Tabatabai im Hinblick auf seinen amtlichen Auftrag und seine Stellung als Sonderbotschafter zu dem Personenkreis zu rechnen ist, der nach § 20 GVG aufgrund allgemeinen Völkerrechts von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit ist.“196
___________ Vgl. Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 57 ff. Vgl. Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 60. 194 Vgl. Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 60. 195 Vgl. Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 60. 196 Vgl. BGHSt 32, 275 (278) = EuGRZ 1984, 273 (274); LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (444). 192 193
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4. Zwischenfazit: Die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen verschiedenen Kategorien von Spezialmissionen Versucht man, nach der Analyse der Gründe für die Ablehnung der CSM und der Betrachtung einschlägiger Gerichtsentscheidungen und sonstiger Staatenpraxis nun ein Fazit zum Stand des Völkergewohnheitsrechts zu ziehen, so muß man zum einen erneut festhalten, daß die Exemtionsbestimmungen und sonstigen Normen der CSM auf keinen Fall in toto als Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts angesehen werden können. Zum anderen hat sich deutlich gezeigt, daß die Staaten zwar einerseits nicht bereit sind, den Mitgliedern aller Arten von Spezialmissionen in gleicher Weise Exemtionen zuzubilligen, andererseits aber auch nicht generell die Existenz völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen verneint wird. Erforderlich ist also eine Differenzierung zwischen verschiedenen Kategorien von Spezialmissionen. Die Frage ist jedoch, anhand welcher Kriterien zu differenzieren ist. Die vorstehenden Ausführungen haben deutlich gemacht, daß in der Staatenpraxis und in der Literatur zwei verschiedene Ansätze propagiert werden. Auf der einen Seite wird danach differenziert, ob die betreffende Person, um deren Rechtsstellung es geht, vom Entsendestaat zum Diplomaten ernannt worden ist und vom Empfangsstaat als solcher akzeptiert worden ist – dann soll sie Exemtionen genießen – oder ob sie diesen Status nicht besitzt. Diese Differenzierung erfolgt allein anhand eines formalen Kriteriums. Auf der anderen Seite steht die Differenzierung anhand des materiellen Kriteriums, ob die Mission eine politische Aufgabe wahrzunehmen hat und von ihrer Funktion und dem Status ihrer Verhandlungsführer her vergleichbar ist mit einer ständigen diplomatischen Vertretung, ob es sich also um eine high-level political mission handelt (dann sollen ihren Mitgliedern Exemtionen zukommen), oder aber ob es sich lediglich um eine Mission mit Aufgaben im administrativ-technischen Bereich handelt. Letztlich aber ist die Intention, die hinter beiden Differenzierungen steht, die gleiche: Auch die Anhänger der formalen Differenzierung wollen in der Sache den Vertretern solcher Missionen, die keine wichtigen politischen Aufgaben wahrnehmen, keine besondere Vorzugsstellung zukommen lassen. Ihr liegt nur die Annahme zugrunde, daß die Staaten den Mitgliedern solcher administrativ-technischer Missionen keinen Diplomatenstatus verleihen, während dies bei hochrangigen politischen Spezialmissionen der Fall sei. Hält man sich die Ergebnisse der oben in § 18 IV.3 vorgenommenen Analyse vor Augen, so kann heutzutage nur die Differenzierung anhand materieller Kriterien als völkergewohnheitsrechtlich anerkannt angesehen werden. Hierfür spricht zwar nicht unbedingt, daß auch der CSM dieses Differenzierungskriterium zugrunde
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liegt und auch diese – wie bereits erwähnt – nur Spezialmissionen mit einer diplomatisch-politischen Aufgabe erfaßt, denn die CSM spiegelt ja gerade nicht lediglich das Völkergewohnheitsrecht wider. Aber in der Mehrzahl der betrachteten Gerichtsverfahren wurde die These einer materiellen Differenzierung vertreten. Dies gilt für die sogenannten Ausstellungsentscheidungen, für die Entscheidung im Fall Gravenhoff, für die (insofern übereinstimmenden) Standpunkte Frankreichs und Ägyptens in der „Commission des biens français-Affaire“ sowie für die Entscheidungen des LG Düsseldorf und OLG Düsseldorf im Fall Tabatabai. Auch die sonstige Staatenpraxis spricht für diese Differenzierung. Zwar wurde in Großbritannien und in den USA lange Zeit eine formale Differenzierung zwischen Diplomaten und Nichtdiplomaten vorgenommen, so etwa im Fall Krassin, doch hat zum einen die US-amerikanische Staatenpraxis von dieser Differenzierung schon früh eine Ausnahme gemacht bei eindeutig hochrangigen politischen Missionen von Nichtdiplomaten, zum anderen beruhte die Haltung Großbritanniens und der USA auf nationalen Gesetzen, die zu einer solchen Differenzierung verpflichteten. Diese Gesetze wurden aber schon vor geraumer Zeit aufgehoben, so daß die frühere USamerikanische und englische Staatenpraxis heute nicht mehr von Relevanz ist. Im Fall Schnaebelé wurde zwar einem Beauftragten einer Mission im lediglich administrativ-technischen Bereich Befreiung von deutscher Strafgerichtsbarkeit zuerkannt, doch blieb diese Äußerung aus der Staatenpraxis, soweit ersichtlich, vereinzelt und ist die deutsche Haltung offenbar auch darauf zurückzuführen, daß Schnaebelé bloß deshalb eingeladen worden war, um ihn verhaften zu können.197 Dieser Fall kann daher nicht als ausreichender Beleg für Völkergewohnheitsrecht dahingehend gelten, daß auch Mitglieder administrativ-technischer Spezialmissionen nach Völkergewohnheitsrecht Exemtionen genießen. Zu bedenken ist auch, daß Exemtionen für bestimmte staatliche Funktionsträger heutzutage fast ausnahmslos funktional begründet werden, also damit legitimiert werden, daß sie erforderlich seien, damit die geschützten Funktionsträger ihre Aufgaben erledigen können. Ziel der Exemtionen ist es mithin nicht, bestimmte Personen als solche zu schützen, sondern ausschließlich sicherzustellen, daß die Funktionsausübung nicht durch Interventionen eines anderen Staates behindert wird.198 Die heute nahezu einhellig vertretene und von den Staaten akzeptierte Funktionstheorie legitimiert aber nicht nur die Exemtionen, sondern muß auch maßgeblich sein für die Bestimmung ihrer Reichweite. Dann aber kann eine Differenzierung zwischen Diplomaten und Nichtdiplomaten, also eine Unterscheidung allein nach dem persönlichen Status ohne Rücksicht auf die zu erledigende Aufgabe, nicht ___________ Vgl. Freudenberg, Schnaebelé-Fall, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 212 (213). 198 Vgl. für den Bereich von Spezialmissionen BGHSt 32, 275 (287 f.) = NJW 1984, 2048 (2049); Bockslaff/Koch, NJW 1984, 2742 (2742); Przetacznik, IJIL 11 (1971), 593 (595 f.); Wolf, EuGRZ 1983, 401 (401 f.). 197
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überzeugen, sondern ist lediglich die Abgrenzung danach legitim, ob eine Mission eine politisch-diplomatische Aufgabe wahrzunehmen hat oder nicht. Für die internationalen Beziehungen der Staaten und letztlich für die Sicherung des Friedens und die Förderung des Wohls der Menschen sind zwischenstaatliche Kontakte durch Spezialmissionen auf politischer Ebene von ungemein großer Bedeutung. Es ist wichtig sicherzustellen, daß die Mitglieder solcher Missionen ihre Aufgabe ohne Furcht vor Beeinträchtigungen durch den Empfangsstaat wahrnehmen können. Könnten sich die Mitglieder solcher Spezialmissionen nicht sicher sein, durch das Völkerrecht geschützt zu sein, so wären Missionen zu Staaten, deren Rechtsordnungen rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügen, Missionen in Krisenregionen sowie zwischen Staaten, die „verfeindet“ sind, nur noch sehr begrenzt möglich. Gerade solche Missionen sind aber im Interesse eines friedlichen Zusammenlebens der Staaten schutzwürdig. Insofern sind Einschränkungen der Strafgerichtsbarkeit der Staaten im Interesse des Schutzes der internationalen Beziehungen hinzunehmen und hinnehmbar. Dies gilt aber nicht, sofern es um Mitglieder lediglich administrativ-technischer Spezialmissionen geht. Diese Missionen sind zum einen weniger schutzwürdig, da ihre Aufgaben jedenfalls nicht unmittelbar die internationalen Beziehungen der Staaten betreffen und die einzelnen Mitglieder solcher Missionen regelmäßig leicht zu ersetzen sind. Zum anderen besteht bei diesen Missionen weitaus weniger als bei hochrangigen politischen Missionen die Gefahr einer politisch motivierten Intervention seitens des Empfangsstaates. Hinsichtlich der Mitglieder administrativtechnischer Spezialmissionen muß das Interesse des Empfangsstaates an einer Ausübung seiner Strafgewalt Vorrang haben vor eventuellen Interessen des Entsendestaates an einem Schutz seiner Funktionsträger. Eine völkerrechtliche Vorzugsstellung von Mitgliedern administrativ-technischer Spezialmissionen wäre daher nicht zu legitimieren. Sie dürfte im übrigen auch von den meisten Mitgliedern administrativ-technischer Spezialmissionen überhaupt nicht erwartet werden und liefe dem allgemeinen Rechtsempfinden zuwider. Wenn ein Beamter des Regierungspräsidiums eines grenznahen deutschen Regierungsbezirks zu Verhandlungen über den Bau einer gemeinsamen Brücke über einen Grenzfluß in das Nachbarland fährt, so wird dieser selbst es wohl kaum für geboten halten, in besonderer Weise von der Strafgewalt des Nachbarstaates befreit zu werden; im Entsendestaat dürften Forderungen nach einer Befreiung von der Strafgewalt des Nachbarstaates kaum ernsthafte Befürworter finden. Damit gilt: Lediglich Mitglieder von hochrangigen politischen Spezialmissionen, deren Aufgaben vergleichbar sind mit denen der ständigen diplomatischen Missionen, genießen nach Völkergewohnheitsrecht besondere Vorrechte und Befreiungen, nicht dagegen Mitglieder von Spezialmissionen lediglich administrativ-technischen Charakters. Darauf, ob die Person, um deren strafrechtliche Verantwortlichkeit es
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geht, formal zum Diplomaten ernannt und vom Empfangsstaat also solcher akzeptiert wurde, kommt es dagegen nicht an.199 Insofern ist die Aussage zulässig, daß Art. 1 lit. a) CSM eine dem Stand des Völkergewohnheitsrechts entsprechende Definition derjenigen Spezialmissionen enthält, deren Mitglieder überhaupt in den Genuß besonderer Exemtionen kommen können.200 Zuzugeben ist, daß die Differenzierung zwischen hochrangigen politischen Spezialmissionen einerseits und administrativ-technischen Missionen andererseits nicht immer einfach ist. Doch kann mit diesem Einwand die Differenzierung nicht verworfen werden. Denn sie hat nun einmal in der Staatenpraxis Anerkennung gefunden. Dies gilt es zu akzeptieren. Hinzu kommt, daß in den meisten Fällen die Zuordnung leicht fallen wird, man den Blick also nicht zu sehr auf die „pathologischen“ Fallkonstellationen richten darf. Sicherlich ist es so, daß eine Aufgabe, die für sich genommen administrativtechnischen Charakter hat – etwa die Festlegung des Ortes einer einen Grenzfluß überquerenden Brücke oder der Route einer grenzüberschreitenden Fluglinie – im Einzelfall politischen Charakter bekommen kann, etwa dann, wenn die Planungen zwischen den beteiligten Staaten sehr umstritten sind oder bei der Bevölkerung auf großen Widerstand stoßen und daher auf beiden Seiten hochrangige politische Entscheidungsträger mit den Verhandlungen betraut werden. Ohne Zweifel politischen Charakter haben auch solche Verhandlungen über an sich technische Fragen, die von Regierungsvertretern mit dem Ziel des Abschlusses eines völkerrechtlichen Vertrags geführt werden. Insofern wäre es verfehlt, die Differenzierung zwischen einer politischen und einer administrativ-technischen Mission ausschließlich anhand des Charakters des Verhandlungsgegenstands vorzunehmen. Entscheidend ist vielmehr der Charakter der Mission. Dieser wird zwar wesentlich von der zu erledigenden Aufgabe bestimmt, aber doch auch dadurch, welche Personen die Verhandlungen führen, welche Stelle die Mission entsandt hat und mit welchen Regierungsstellen im Empfangsstaat Verhandlungen geführt werden. Erforderlich für die Klassifizierung einer Spezialmission ist also eine wertende Gesamtbetrachtung. ___________ So auch Bockslaff/Koch, GYIL 25 (1982), 539 (544 ff., insb. 549 f.); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 115, 117 f., 122; Oppenheim, International Law, vol. I (8. Aufl. 1955), §§ 453, 456 sowie unter Verwendung vorsichtiger Formulierungen Herdegen, Special Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 574 (575). 200 So auch Bockslaff/Koch, GYIL 25 (1982), 539 (551) und Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 109 f. Auch diejenigen Stimmen in der Literatur, die der Auffassung sind, die Normen der CSM gälten auch völkergewohnheitsrechtlich (vgl. oben Anm. 89), müssen damit der hier vertretenen Ansicht sein, daß lediglich Mitglieder hochrangiger politischer Spezialmissionen in den Genuß besonderer völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit kommen können. Vgl. zur Interpretation des Art. 1 lit. a) CSM auch die Ausführungen oben bei § 18 III.3. 199
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Missionen von Personen, die von staatlichen Behörden außerhalb des unmittelbaren Regierungsapparats entsandt werden – etwa von organisatorisch selbständigen Behörden, von Regionalverwaltungen oder von Kommunen – sind schon aufgrund der begrenzten Verhandlungskompetenzen der betreffenden Personen als – nicht durch besondere völkerrechtliche Exemtionen geschützte – administrativtechnische Missionen zu klassifizieren. Als besonders geschützte politische Missionen können nur solche Spezialmissionen angesehen werden, die von unmittelbaren Regierungsstellen des Entsendestaates entsandt werden, also als „hochrangig“ zu bezeichnen sind.201 Daher wird vorliegend als Bezeichnung derjenigen Spezialmissionen, die durch Exemtionen geschützt sind, auch von „hochrangigen politischen Spezialmissionen“ gesprochen. Spezialmissionen, die von unmittelbaren Regierungsstellen entsandt werden, also von Staatspräsidenten, Regierungschefs oder Ministern, sind in aller Regel „hochrangige politische Spezialmissionen“. Schon der hohe Rang der entsendenden Stelle hat eine Indizwirkung für den politischen Charakter der zu erledigenden Aufgabe. Wenn daher Staatsoberhäupter, Regierungschefs oder Minister, von diesen ernannte Beauftragte oder Staatssekretäre bzw. hochrangige Ministerialbeamte zu dienstlichen Gesprächen in einen anderen Staat reisen, so wird man in aller Regel keine Probleme haben, von einer politischen Mission zu sprechen. Wenn umgekehrt Fachbeamte aus einem Fachministerium wie dem Verkehrsministerium oder aus nachgeordneten Behörden zur Erörterung technischer Detailfragen ins Ausland reisen, dürfte es nicht schwerfallen, von einer (nichtprivilegierten) administrativtechnischen Mission zu sprechen. Auch im Fall Tabatabai fällt die Antwort auf die Frage, welcher Kategorie die Mission, ihre Eigenschaft als Spezialmission im völkergewohnheitsrechtlichen Sinne202 einmal unterstellt, zuzuordnen war, nicht schwer. Angesichts der hervorragenden Stellung Tabatabais im Iran, seiner Ernennung zum „Sonderbotschafter“ durch den iranischen Außenminister und der vom Iran behaupteten Aufgabe, mit den Regierungen europäischer Staaten wichtige politische Fragen zu erörtern, kam nur das Vorliegen einer hochrangigen politischen Spezialmissionen in Betracht. Mit der Feststellung, daß nur die Mitglieder hochrangiger politischer Spezialmissionen nach Völkergewohnheitsrecht besondere Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gegenüber der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates genießen, ___________ 201 Die Bezeichnung eines Beauftragten als „hochrangiger Vertreter“ oder einer Mission als high-level mission darf – worauf schon oben in Anm. 36 hingewiesen wurde – nicht davon abhängig gemacht werden, welchen persönlichen Status die entsandte Person hat. Entscheidend für die Klassifizierung eines Beauftragten oder einer Mission als „hochrangig“ ist vielmehr, auf welcher Ebene im Gefüge der Staatsorganisation die entsendende Stelle angesiedelt ist. 202 Zu den konstitutiven Elementen einer Spezialmission nach Völkergewohnheitsrecht vgl. die Ausführungen oben bei § 18 I. Zur Frage, ob diese Voraussetzungen im Fall Tabatabai erfüllt waren, vgl. die Ausführungen unten bei § 18 IV.5.a)aa).
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ist aber noch nicht die Frage nach dem genauen Umfang dieser Exemtionen beantwortet. Denn die oben erwähnten Äußerungen einzelner Staaten haben deutlich gemacht, daß zwar Einigkeit darüber besteht, daß die Mitglieder hochrangiger politischer Missionen besondere Exemtionen genießen, doch wurde und wird die in der CSM normierte umfassende Immunität von vielen Staaten abgelehnt, so daß noch gesondert nach dem Umfang der Exemtionen zu fragen ist. 5. Rechtsstellung der Mitglieder hochrangiger politischer Spezialmissionen a) Notwendigkeit der Vereinbarung einer politischen Aufgabe und weitere Voraussetzungen für die Erlangung völkerrechtlicher Exemtionen aa) Erfordernis der Vereinbarung einer konkreten temporären politischen Aufgabe Unbestritten ist, daß man überhaupt nur dann von einer Spezialmission sprechen kann, wenn die beteiligten Staaten sich nicht nur darüber geeinigt haben, daß Vertreter des Entsendestaates in den Empfangsstaat entsandt werden, sondern auch darüber eine Übereinkunft erzielt haben, welche temporäre Aufgabe die Mission wahrnehmen soll.203 Die für eine Spezialmission konstitutive Einigung über eine bestimmte zeitlich begrenzte Funktion der Mission ist auch für den Umfang der Exemtionen von unmittelbarer Bedeutung. Denn zum einen genießen – wie dargelegt wurde – nur Mitglieder solcher Spezialmissionen völkergewohnheitsrechtliche Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, die eine politische Aufgabe wahrzunehmen haben, zum anderen gelten die Exemtionen – wie sogleich gezeigt wird – nur so lange, wie die Mitglieder der Spezialmission im Empfangsstaat ihrer vereinbarten Arbeit nachgehen.204 Zutreffend stellt Fischer daher fest: „Die inhaltliche Funktion muß insoweit hinreichend bestimmt sein oder durch Ergänzungen wie den Zeitrahmen, den Ort oder den bezeichneten Personenkreis der Gesprächspartner eingegrenzt werden, so daß eine Bestimmung der zu gewährenden Immunität und ihrer Fortdauer noch möglich bleibt.“205
Für die Strafrechtspraxis heißt dies, daß zunächst festzustellen ist, ob die beteiligten Staaten eine – hinreichend klare – Vereinbarung über die Aufgabe getroffen haben, die der (angeblichen) Spezialmission zukommt, und was Gegenstand der ___________ Vgl. OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160 (161); LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 159 (159); LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (445); Bockslaff/Koch, NJW 1984, 2742 (2742); Doehring, Völkerrecht, Rn. 515; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rn. 4 ff.; Herdegen, Special Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 574 (576); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 533; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 916; Wolf, EuGRZ 1983, 401 (402). 204 Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rn. 6. 205 Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rn. 6. In der Sache ebenso Herdegen, Special Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 574 (576). 203
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vereinbarten Aufgabe ist. Erst auf der Basis dieser Feststellungen kann geklärt werden, ob überhaupt eine Spezialmission mit Anspruch auf Exemtionen vorliegt und welche (zeitliche) Reichweite eine zu gewährende Exemtion hat. Über die Frage des Vorliegens einer (exemtionsberechtigten) Spezialmission, nicht jedoch über die Frage des Vorliegens einer Exemtion bzw. des Umfangs einer Exemtion, wurde im Fall Tabatabai heftig gestritten. Und nur diesbezüglich bestand ein offener Dissens zwischen dem LG Düsseldorf einerseits und dem OLG Düsseldorf und dem BGH andererseits. Das LG Düsseldorf verneinte – wie bereits erwähnt – schon das Vorliegen einer Spezialmission und befaßte sich daher – konsequenterweise – mit der Frage, inwieweit ein Mitglied einer hochrangigen politischen Spezialmission Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießt, nicht im einzelnen. Es argumentierte, an der Vereinbarung einer besonderen Aufgabe im politischen Raum, zu deren Erfüllung Tabatabai Immunität zukommen könne, habe es gefehlt.206 Das LG Düsseldorf stellte fest, daß Tabatabai, nachdem der deutsche Botschafter, mit dem er sich habe treffen wollen, am 22. Januar 1983 in den Iran zurückgereist sei, die Durchführung seines Plans, sich mit dem Botschafter in Bonn zu treffen, nicht mehr möglich gewesen sei. Durch das Schreiben des iranischen Außenministers vom 31. Januar 1983 und dessen Akzeptanz durch das Auswärtige Amt sei daher eine Spezialmission nicht vereinbart worden:207 „Es ging deshalb bei der im Einverständnis mit der deutschen Regierung geäußerten Bitte des iranischen Außenministers vom 31.1. nicht mehr darum, einen Sonderbotschafter für die Erfüllung seiner speziellen Aufgabe zu schützen und ihm Immunität zu gewähren, sondern lediglich darum, was die iranische Seite betrifft, den Angeklagten als Person und nicht für eine bestimmte Aufgabe zu schützen. Der deutschen Seite ging es bei der Entgegennahme der Bitte darum, die außenpolitischen Beziehungen zum Iran nicht zu verschlechtern.“208
Bei der zustimmenden Entgegennahme der Bitte des iranischen Außenministers habe nach Aussage des Leiters der politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes irgendeine oder die in dem iranischen Schreiben erwähnte besondere Aufgabe des ___________ 206 LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 159 (159); LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (445 ff.). Dem LG Düsseldorf zustimmend Wolf, EuGRZ 1983, 401 (403 f.). 207 Dem zustimmend Wolf, EuGRZ 1983, 401 (404). Festzuhalten ist, daß es irrelevant ist, daß die Vereinbarung zeitlich nach Begehung der Straftat getroffen wurde, da für das Strafrecht allein die Frage entscheidend ist, ob zum Zeitpunkt der Vornahme strafprozessualer Verfolgungsmaßnahmen eine Exemtion von deutscher Gerichtsbarkeit besteht. Eine Exemtion kann frühestens mit Abschluß der sie begründenden Vereinbarung beginnen, erfaßt dann aber auch früher begangene Taten insofern, als strafprozessuale Maßnahmen (auch solche zur Verfolgung früherer Taten) ab Beginn der Exemtion untersagt sind. Insofern ist es unzutreffend, wenn Herdegen, Special Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 574 (576), davon spricht, eine Vereinbarung über eine Spezialmission “may operate retroactively”. Wie Herdegen und daher gleichfalls verfehlt auch Bockslaff/Koch, GYIL 25 (1982), 539 (556). 208 LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 159 (159).
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Angeklagten keine Rolle gespielt. Die Zustimmung sei ad personam im Hinblick auf die schwierigen Beziehungen zum Iran erteilt worden, das Auswärtige Amt habe bei der Zustimmung eine besondere Aufgabe des Angeklagten nicht im Blick gehabt. Eine solche Zustimmung erzeuge keine Immunität.209 Zwar sei es nach allgemeinen Regeln des Völkerrechts auch möglich, eine Spezialmission zu errichten, wenn sich der Beauftragte schon im Empfangsstaat aufhalte, doch sei auch dann eine Einigung über die besondere Aufgabe unabdingbare Voraussetzung für die Errichtung einer Spezialmission mit Immunitätswirkung für den Beauftragten.210 Diese Feststellungen im Beschluß vom 24. Februar 1983 wiederholte das LG Düsseldorf im Urteil vom 10. März 1983 in der Sache.211 Im Urteil wird im Rahmen der Bewertung der Aussage des Leiters der politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes ausgeführt: „Daß die iranische Regierung die Note vom 31. Januar 1983 aus dem Grunde übermittelt habe, um die Person des Angeklagten zu schützen und ihm wieder zur Freiheit zu verhelfen, sei – so der Zeuge Gorenflos abschließend – ‚für uns schon ersichtlich gewesen’. Diese Bekundungen des Zeugen Gorenflos können nur so verstanden werden, daß eine von dem Angeklagten (…) im Einvernehmen mit der Bundesregierung in der Bundesrepublik wahrzunehmende Aufgabe zwischen der deutschen und iranischen Regierung nicht nur nicht vereinbart worden, sondern nicht einmal beabsichtigt gewesen ist.“212
Das OLG Düsseldorf und der BGH erblickten dagegen in der Akzeptanz des iranischen Schreibens vom 31. Januar 1983 und der damit verbundenen Zustimmung der Bundesrepublik mit der Entsendung Tabatabais die wirksame Vereinbarung einer Spezialmission im völkerrechtlichen Sinne.213
___________ 209 LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 159 (159), wobei sich das Gericht bei dieser Feststellung eigenem Bekunden nach auf Ausführungen der als Gutachter tätig gewesenen Völkerrechtsprofessoren Karl Doehring und Rüdiger Wolfrum stützte. 210 LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 159 (159 f.). Diese Feststellung ist ohne Zweifel richtig und wurde im Fall Tabatabai auch nicht bestritten, der BGH hat sie sogar ausdrücklich wiederholt; vgl. BGHSt 32, 275 (289) = NJW 1984, 2048 (2049). 211 Vgl. LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (445 ff.). In diesem Urteil wird zudem ausgeführt, daß auch bei dem Treffen zwischen Tabatabai und dem deutschen Botschafter in Teheran am 5.1.1983 keine Sondermission vereinbart worden sei und daß die Tatsache, daß Tabatabai von der deutschen Botschaft in Teheran einen „diplomatischen Sichtvermerk“ erhalten habe, ohne Relevanz für die Frage einer Exemtion von deutscher Strafgerichtsbarkeit sei; vgl. LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (445 ff.). Vgl. zu der Frage, inwieweit möglicherweise bereits vor dem iranischen Schreiben vom 31.1.1983 eine Spezialmission vereinbart worden war, auch Bockslaff/Koch, GYIL 25 (1982), 539 (552 ff.). 212 LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (446). 213 Vgl. OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160 (161); BGHSt 32, 275 (281 ff.) = EuGRZ 1984, 273 (275 ff.). Ebenso Bockslaff/Koch, GYIL 25 (1982), 539 (558); Oehler, JR 1985, 79 (80); Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 86 ff.
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Das OLG erachtete es als ausreichend, daß als Aufgabe der Mission Tabatabais vom Iran das Führen von Verhandlungen mit hochrangigen Regierungsvertretern mehrerer europäischer Länder genannt worden sei und Deutschland diese Aufgabenzuweisung akzeptiert habe.214 Das Gericht führte zur Begründung seiner Auffassung aus: „Die Vereinbarung bezüglich der erforderlichen besonderen Aufgabe der Sondermission dient allein der Abgrenzung der speziellen Aufgabe der Sondermission von derjenigen der ständigen Vertretungen des Entsenderstaates. Bestimmte Anforderungen an den Inhalt dieser besonderen Aufgabe werden nach den Regeln des Völkerrechts nicht gestellt, da es den einzelnen Staaten überlassen ist, welche Aufgaben sie im Einzelfall zum Gegenstand einer Sondermission machen wollen und machen. Insbesondere ist deshalb auch keine vorherige detaillierte Beschreibung der Aufgabe der Sondermission erforderlich (…). Überdies sind als Aufgaben von Sondermissionen Fragen von solcher Geheimhaltungsbedürftigkeit denkbar, daß bereits aus diesem Grunde das wohlverstandene Interesse der beteiligten Staaten eine nähere Beschreibung der Aufgabe nicht angezeigt sein läßt. Aus dem Umstand, daß (…) dessen [Tabatabais; der Verf.] Aufgabe seitens der Islamischen Republik Iran nur unscharf und allenfalls in Umrissen bekanntgegeben worden ist, kann deshalb (…) nicht gefolgert werden, daß eine (…) Aufgabe in Wahrheit nicht vereinbart worden sei.“215
Dieser Schlußfolgerung des OLG Düsseldorf ist zuzustimmen.216 Eine ins einzelne gehende, offen bekanntgegebene Aufgabenvereinbarung kann in der Tat nicht verlangt werden. Angesichts der vielfachen Notwendigkeit vertraulicher Kontakte muß es von den Gerichten, die – jedenfalls in Deutschland – das Vorliegen einer Spezialmission selbständig zu prüfen und zu bewerten haben und dabei nicht an Feststellungen der Bundesregierung gebunden sind,217 als ausreichend angesehen werden, wenn als Aufgabe das Führen vertraulicher Gespräche mit Regierungsvertretern genannt wird.218 Aber dennoch verneinte das LG Düsseldorf zu Recht das Vorliegen einer Spezialmission. Denn im Fall Tabatabai ergab sich aus den Umständen des Falls und ___________ Vgl. OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160 (161). Eine solche Vereinbarung hält auch Engel, JZ 1983, 627 (628 f.), für grundsätzlich ausreichend. Er verneint allerdings dennoch eine Immunität Tabatabais, da er den Abschluß der Vereinbarung zwischen Deutschland und dem Iran als rechtsmißbräuchlich bewertet. 215 OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160 (162). 216 Anders aber Wolf, EuGRZ 1983, 401 (404), der eine recht detaillierte, den Gerichten offenzulegende Aufgabenvereinbarung für das Zustandekommen einer Spezialmission verlangt. 217 Vgl. BGHSt 32, 275 (276) = NJW 1984, 2048 (2049): „Ungeachtet der Kompetenz des Auswärtigen Amtes für die Gestaltung der Beziehungen der Bundesrepublik mit dem Ausland haben die Gerichte in eigener Zuständigkeit zu prüfen, ob im Einzelfall Immunität besteht (…).“ Ebenso Bockslaff/Koch, GYIL 25 (1982), 539 (559 ff.); Engel, JZ 1983, 627 (627). Siehe hierzu auch unten § 23 I.1. 218 Dieser Auffassung waren auch die in dem Verfahren als Gutachter angehörten Völkerrechtsprofessoren Michael Bothe, Jost Delbrück und Rüdiger Wolfrum. Vgl. OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160 (162). Noch weitergehend sogar Engel, JZ 1983, 627 (628 f.). 214
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den Äußerungen von Vertretern des Auswärtigen Amtes, daß Gespräche Tabatabais mit Vertretern der Bundesregierung zum Zeitpunkt der Entgegennahme des iranischen Schreibens gar nicht (mehr) geplant waren. Vielmehr sollte die Vereinbarung lediglich dazu dienen, eine Freilassung Tabatabais zu erreichen. Das Auswärtige Amt hatte auch angekündigt, Tabatabai im Falle seiner Freilassung sofort zur persona non grata zu erklären und so für seine umgehende Ausreise aus Deutschland zu sorgen.219 Wenn sich aber, wie im Fall Tabatabai, aus den Umständen des Falls und aus den Äußerungen der beteiligten Staatenvertreter unzweifelhaft ergibt, daß in Wirklichkeit keinerlei Verhandlungen beabsichtigt waren, sondern die Vereinbarung der beteiligten Staaten die Absicht von Verhandlungen lediglich behauptet, um eine Freilassung einer bestimmten Person zu erreichen (das LG Düsseldorf spricht davon, daß „die Errichtung einer Mission fingiert werden sollte“220), so ist ein mit der Sache befaßtes Gericht gehalten, das Vorliegen einer Spezialmission zu verneinen.221 Anders als das OLG Düsseldorf annahm,222 waren die der Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und dem Iran zugrunde liegenden Motive und Erwägungen einer gerichtlichen Nachprüfung nicht entzogen. Zwar wäre es unstatthaft, wenn ein Gericht über die Gründe für die Durchführung einer Spezialmission oder über deren Zweckmäßigkeit befände. Dies sind Fragen politischer Natur, die einer gerichtlichen Beurteilung entzogen sind.223 Aber im vorliegenden Fall ging es nicht um das Motiv für die rechtswirksame Vereinbarung einer Spezialmission, sondern um das Motiv für die Abgabe der Erklärungen des Irans und der Bundesrepublik. Es ging allein um die juristische Beurteilung, ob Verhandlungen zwischen Tabatabai und deutschen Regierungsvertretern tatsächlich geplant und vereinbart worden waren oder nicht. Da eine ernstgemeinte Verhandlungsvereinbarung eine konstitutive Voraussetzung für die Existenz einer Spezialmission und damit letztlich Voraussetzung für das Vorliegen einer Exemtion ist, müssen die Gerichte selbständig und unabhängig von der Bewertung durch das Auswärtige Amt die Existenz einer solchen Vereinbarung prüfen und anhand dieser über das Vorliegen einer Spezialmission befinden.224 Im Zweifel ist allerdings vom Vorliegen einer ernstgemeinten Verhand___________ Vgl. LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (445). LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (448). 221 In Anlehnung an die zivilrechtliche Terminologie (vgl. § 117 BGB) kann man von einer „Scheinvereinbarung“ sprechen. Wie lediglich zum Schein abgegebene Willenserklärungen nach § 117 BGB nichtig sind, können auch Scheinvereinbarungen zwischen Deutschland und anderen Staaten keine Spezialmissionen mit der Folge einer für deutsche Gerichte nach Art. 25 GG beachtlichen Exemtion einzelner Personen begründen. 222 Vgl. OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160 (162). 223 So auch LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (448). 224 Vgl. die oben in Anm. 217 wiedergegebenen Feststellungen des BGH sowie Wolf, EuGRZ 1983, 401 (405). 219 220
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lungsvereinbarung und damit einer Spezialmission auszugehen. Denn eine solche Prüfung findet im Strafverfahren im Rahmen der Prüfung der Prozeßvoraussetzungen statt. Ist das Vorliegen einer Prozeßhindernisses – und als solche ist die Existenz einer exemtionsbegründenden Spezialmission anzusehen225 – zweifelhaft, so gebietet es das Rechtsstaatsprinzip, ein Prozeßhindernis anzunehmen.226 Im Fall Tabatabai aber gab es solche Zweifel nicht. Hinzu kommt im Fall Tabatabai folgendes: Selbst die iranische Regierung hatte zunächst nicht behauptet, daß dieser zu Verhandlungen mit Vertretern der Bundesregierung nach Deutschland gekommen sei, sondern in ihrem Schreiben vom 31. Januar 1983 von Verhandlungen mit hochrangigen Vertretern der Regierungen mehrerer europäischer Länder gesprochen.227 Voraussetzung für eine Position Deutschlands als Empfangsstaat einer Spezialmission und damit für eine Pflicht Deutschlands, als Empfangsstaat Exemtionen zu gewähren, wäre aber ein Verhandlungsauftrag Tabatabais mit deutschen Regierungsstellen gewesen. Wenn – wofür einiges spricht – Tabatabai Verhandlungen mit Regierungsvertretern anderer europäischer Staaten im Auftrag des Iran führen sollte,228 so konnte dadurch eine Verpflichtung der Bundesrepublik zur Exemtionsgewährung als Empfangsstaat unter keinen Umständen begründet werden.229 Allerdings bejahte auch der BGH das Vorliegen einer zwischen dem Iran und der Bundesrepublik wirksam vereinbarten Spezialmission, wenngleich er die Argumentation des OLG Düsseldorf, eine Überprüfung der Motive für die auf dem iranischen Schreiben vom 31. Januar 1983 beruhende Vereinbarung sei nicht statthaft, ___________ Zur strafrechtsdogmatischen Einordnung völkerrechtlicher Exemtionen als Prozeßhindernisse vgl. die Ausführungen unten bei § 22. 226 Vgl. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 206a Rn. 7, § 261 Rn. 34 sowie ausführlich unten § 23 I.5.b). 227 Eine solche Behauptung wurde erst in einem Schreiben des Irans vom 28.2.1983 (wiedergegeben in BGHSt 32, 275 [280 f.] = EuGRZ 1984, 273 [275]) äußerst halbherzig aufgestellt, war aber nicht Gegenstand der „Vereinbarung“ mit dem Auswärtigen Amt und wurde von diesem auch nie bestätigt. Das LG Düsseldorf bezeichnete diese Behauptung schlicht als „frei erfunden“; vgl. LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (449). 228 Nahlik, RdC 1990 III, 187 (346), spricht von Verhandlungen über Waffenkäufe. 229 Es stellt sich damit jedoch die Frage, ob Deutschland als Drittstaat zur Gewährung von Unverletzlichkeit verpflichtet war, schließlich sieht Art. 42 CSM in Anlehnung an Art. 40 WÜD eine Pflicht für Drittstaaten vor, durchreisenden Gesandten einer zwischen anderen Staaten vereinbarten Spezialmission Exemtionen zu gewähren. Während das OLG Düsseldorf die Frage einer Pflicht der Bundesrepublik zur Gewährung von Exemtionen als Drittstaat merkwürdigerweise überhaupt nicht erörterte, stellte das LG Düsseldorf – zutreffend – fest, schon die Voraussetzungen des Art. 42 CSM (seine gewohnheitsrechtliche Geltung einmal unterstellt) hätten nicht vorgelegen, da Tabatabai nicht nur unverzüglich durch Deutschland habe reisen wollen, sondern ein längerer Aufenthalt an seinem Wohnsitz in Düsseldorf geplant gewesen sei; vgl. LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (447). Siehe zur Frage völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen in Drittstaaten auch die Ausführungen unten in § 18 IV.5.b)cc). 225
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verwarf.230 Der BGH hielt sich wie das LG Düsseldorf für befugt, eine eigenständige Prüfung und Bewertung der Vereinbarung zwischen dem Iran und der Bundesrepublik vorzunehmen, vertrat jedoch die Ansicht, bei der Akzeptanz des iranischen Schreibens durch das Auswärtige Amt sei dieses entgegen der Auffassung des LG Düsseldorf sehr wohl von einer von Tabatabai noch wahrzunehmenden politischen Aufgabe in Deutschland ausgegangen. Doch vermag die Argumentation des BGH nicht zu überzeugen. Soweit der BGH darauf verwies, dem Auswärtigen Amt sei bei der Zustimmung zum iranischen Schreiben vom 31. Januar 1983 die Absicht Tabatabais bekannt gewesen, sich in Deutschland mit dem im Iran akkreditierten deutschen Botschafter zu treffen,231 ließ er außer acht, daß ein solches Treffen zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Rückreise des Botschafters in den Iran gar nicht mehr möglich war. Zwar stellte der BGH an späterer Stelle seines Urteils selbst fest, daß ein Treffen mit dem deutschen Botschafter nicht mehr stattfinden konnte, doch hielt er dies für unerheblich, da der Angeklagte auch auf andere Weise hätte versuchen können, beim Auswärtigen Amt Unterstützung zur Vorbereitung von Kontakten in Frankreich zu erlangen.232 Zwar mag diese Möglichkeit theoretisch bestanden haben, doch gab es keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß solche Kontakte geplant waren. Das Auswärtige Amt behauptete zu keinem Zeitpunkt die Existenz einer entsprechenden Vereinbarung. Gewagt war auch die Einschätzung des BGH, allein aus der Tatsache, daß das iranische Schreiben vom 31. Januar 1983 an die deutsche Regierung gerichtet gewesen sei, folge, daß Tabatabai in Deutschland politische Aufgaben wahrnehmen sollte.233 Es steht zu vermuten, daß sich lediglich das LG Düsseldorf nur von völkerrechtlichen Überlegungen leiten ließ, während das OLG Düsseldorf und der BGH wohl bei ihrer Entscheidungsfindung vor allem die politischen Konsequenzen einer weiteren Inhaftierung bzw. einer Verurteilung Tabatabais, also die drohende Verschlechterung der ohnehin problematischen deutsch-iranischen Beziehungen vor Augen hatten.234 ___________ Vgl. die oben in Anm. 217 wiedergegebenen Feststellungen des BGH. Vgl. BGHSt 32, 275 (281 f.) = EuGRZ 1984, 273 (275). Hierauf stellt entscheidend auch Oehler, JR 1985, 79 (80) in seiner zustimmenden Anmerkung zum Beschluß des BGH ab. Soweit Oehler, a.a.O., darüber hinaus die wirksame Aufgabenvereinbarung mit den in anderen europäischen Ländern geplanten Konsultationen begründet, verkennt er, daß diese Konsultationspläne allenfalls das Vorliegen einer Spezialmission zwischen dem Iran und dem jeweiligen anderen Land hätten begründen können, nicht aber einer Mission zwischen dem Iran und der Bundesrepublik. 232 Vgl. BGHSt 32, 275 (289 f.) = EuGRZ 1984, 273 (277). 233 Vgl. BGHSt 32, 275 (282) = EuGRZ 1984, 273 (275). 234 Vor allem die Argumentation des BGH ist durch den Versuch gekennzeichnet, den Sachverhalt unter Auslassung wichtiger tatsächlicher Feststellungen des LG Düsseldorf zugunsten einer wirksamen Vereinbarung einer Spezialmission zu interpretieren. Vgl. BGHSt 32, 275 (281 ff.) = EuGRZ 1984, 273 (275 ff.). 230 231
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Als Ergebnis ist festzuhalten, daß Tabatabai keine Exemtion von deutscher Strafgerichtsbarkeit zukam und das LG Düsseldorf zu Recht eine Aufhebung des Haftbefehls ablehnte und Tabatabai verurteilte. Auch wenn das OLG Düsseldorf insofern recht hatte, als auch äußerst vage Aufgabenvereinbarungen von den Gerichten als ausreichend für eine rechtswirksame Vereinbarung einer Spezialmission zu akzeptieren sind, sofern aus ihnen das Vorliegen einer hochrangigen politischen Spezialmission hervorgeht und die zeitliche Dauer der Mission bestimmt werden kann, so bestand doch im Fall Tabatabai kein Zweifel daran, daß in Wirklichkeit eine Aufgabe Tabatabais, mit deutschen Regierungsstellen Gespräche zu führen, überhaupt nicht vereinbart worden war und mithin keine Spezialmission existierte. bb) Erfordernis eines Einverständnisses des Empfangsstaates mit den einzelnen Mitgliedern einer Spezialmission Aber nicht nur ein Einverständnis des Empfangsstaates mit der Spezialmission als solcher und eine ernstgemeinte Vereinbarung einer bestimmten politischen Aufgabe der Mission sind Voraussetzung für die Entstehung völkerrechtlicher Exemtionen für die Mitglieder der Mission. Erforderlich ist darüber hinaus, daß sich der Empfangsstaat auch mit den einzelnen Mitgliedern der Mission einverstanden erklärt hat. Nur diejenigen Mitglieder einer (politischen) Spezialmission können Exemtionen gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates genießen, die der Empfangsstaat akzeptiert hat.235 Zwar genießen nach dem WÜD zunächst auch diejenigen Mitglieder einer ständigen diplomatischen Mission Exemtionen von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates, die dieser nicht ausdrücklich akzeptiert hat.236 Nach Art. 7 WÜD kann der Entsendestaat die Mitglieder des Personals frei ernennen. Eine Notifizierung der Namen der ernannten Mitglieder vor Ankunft im Empfangsstaat hat nach Art. 10 Abs. 2 WÜD nur „nach Möglichkeit“ zu erfolgen. Und die Exemtionen beginnen gemäß Art. 39 Abs. 1 WÜD zum Zeitpunkt der Einreise in den Empfangsstaat. Doch kann diese Regelung des WÜD nicht auf die völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen übertragen werden. Denn zum einen wird diese Bestimmung von etlichen Staaten kritisiert, zum Teil wird entgegen dem Wortlaut der genannten Normen des WÜD sogar die Auffassung vertreten, eine solche Regelung gebe es gar nicht.237 Zum anderen sieht Art. 8 CSM – insofern von den Regelungen des WÜD abweichend – ausdrücklich vor, daß der ___________ Vgl. auch Waters, The Ad hoc Diplomat, S. 114 ff. Der Empfangsstaat hat allerdings nach Art. 9 WÜD die Möglichkeit, jederzeit ein Mitglied einer diplomatischen Mission zur persona non grata bzw. „nicht genehmen Person“ zu erklären. 237 Vgl. die Ausführungen oben bei § 13 III.1.a). 235 236
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Entsendestaat nur solche Personen zu Mitgliedern einer Spezialmission ernennen darf, deren Namen er zuvor dem Empfangsstaat mitgeteilt hat, und daß letzterer einzelne Personen ablehnen kann.238 Wenn damit aber schon die von den Staaten mehrheitlich mit dem Argument, sie gewähre zu weitreichende Exemtionen, abgelehnte CSM restriktiver ist als das WÜD, so muß das für das Völkergewohnheitsrecht erst recht gelten. Daraus folgt, daß der Entsendestaat im Vorfeld der Entsendung einer Spezialmission dem Empfangsstaat die Namen der designierten Mitglieder zu notifizieren hat. Sofern der Empfangsstaat einzelne Personen ablehnt, können diese nicht zum Mitglied der Mission ernannt werden; sollten sie dennoch in das Gebiet des Empfangsstaates einreisen bzw. für den Entsendestaat tätig werden, genießen sie keine Exemtionen als Mitglied einer Spezialmission. Allerdings wird man keine explizite Zustimmung des Empfangsstaates als Voraussetzung für das Entstehen einer Exemtion verlangen dürfen. Auch Art. 8 CSM gibt dem Empfangsstaat lediglich die Möglichkeit, von sich aus aktiv zu werden und einzelne Personen abzulehnen. Sofern also der Entsendestaat seiner Pflicht zur Notifizierung der designierten Mitglieder nachgekommen ist und der Empfangsstaat keine Einwände erhoben hat, kann dieses „Schweigen“ als Akzeptanz der betreffenden Personen interpretiert werden und genießen diese Exemtionen im Empfangsstaat.239 cc) Der Fall der Entsendung von Staatenvertretern zu internationalen Konferenzen Schon aus der völkergewohnheitsrechtlich akzeptierten Definition einer Spezialmission folgt – wie schon oben in § 18 I. erwähnt – daß Delegationen zu Konferenzen internationaler Organisationen keine Spezialmissionen im völkerrechtlichen Sinne sind. Anders ist die Völkerrechtslage aber in bezug auf multilaterale Konferenzen, die von einem Staat oder mehreren Staaten im Hoheitsgebiet eines der Veranstalterstaaten durchgeführt werden. Personen, die von Staaten als Delegierte zu einer solchen Konferenz entsandt werden, gelten als zu dem (mit-)veranstaltenden Gaststaat entsandte Mitglieder einer Spezialmission240 und genießen in gleicher Weise Exemtionen von der Strafgewalt des Gaststaates wie Staatenvertreter, die nicht zu einer vom Gaststaat (mit-)veranstalteten internationalen Konferenz, sondern direkt zu dessen Regierung entsandt werden.241
___________ Vgl. die Ausführungen zu Art. 8 CSM oben bei § 18 III.4.a). Man kann also sagen, daß die Regelung des Art. 8 CSM auch Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts ist. 240 Herdegen, Special Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 574 (574) und Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 127. 241 Vgl. auch Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 532 und Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 127. 238 239
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b) Umfang der völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit aa) Umfang der Exemtionen von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates Die Analyse der Staatenpraxis oben in § 18 IV.3. hat gezeigt, daß die Staaten zwar überwiegend bereit sind, Mitgliedern hochrangiger politischer Spezialmissionen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zuzubilligen, daß sie aber einen möglichst geringen Umfang der Exemtionen befürworten, also lediglich insoweit Exemtionen zu akzeptieren bereit sind, als diese für eine sinnvolle Aufgabenwahrnehmung unbedingt erforderlich sind. Damit können ausschließlich diejenigen Exemtionen, die erforderlich sind für eine erfolgreiche Durchführung einer Spezialmission, mit hinreichender Sicherheit als Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts angesehen werden.242 Die für das Funktionieren einer Spezialmission unverzichtbaren Exemtionen – aber auch nur diese – können im übrigen auch noch mit dem Gedanken des Verbots eines venire contra factum proprium begründet werden und sind insofern „doppelt abgesichert“: „Jedem Staat ist es unbenommen, zu entscheiden, ob er Sondermissionen empfangen will, entschließt er sich aber dazu, so hat er – unter dem Grundsatz des venire contra factum proprium – auch die Voraussetzungen für das Tätigwerden zu schaffen.“243
Für die hier allein interessierende Frage der Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit heißt dies zunächst, daß nur die Mitglieder einer Spezialmission, die unmittelbar mit der Wahrnehmung der politischen Aufgabe der Mission befaßt sind, besondere Exemtionen nach Völkergewohnheitsrecht genießen, nicht aber die Personen, die lediglich unterstützende Tätigkeiten ausüben, die also nicht unmittelbar mit dem Auftrag der Mission zu tun haben. Eine solche Differenzierung zwischen verschiedenen Kategorien von Mitgliedern einer Spezialmission liegt – wie oben in § 18 III.4.b) gezeigt – auch der CSM zugrunde. Es bietet sich an, die Abgrenzung von geschützten und nicht geschützten Personen in Anlehnung an die Kategorisierung verschiedener Personengruppen durch die CSM vorzunehmen, nicht zuletzt deshalb, weil sich die CSM ihrerseits an der von der Staatengemeinschaft weithin akzeptierten Einteilung des WÜD orientiert. ___________ 242 Die Analyse folgt damit streng der – im Hinblick auf Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen unbestrittenen (vgl. BGHSt 32, 275 [287 f.] = NJW 1984, 2048 [2049]) und auch der CSM zugrunde liegenden – „Funktionstheorie“. Siehe in diesem Zusammenhang auch Bockslaff/Koch, NJW 1984, 2742 (2742); Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 199; Przetacznik, IJIL 11 (1971), 593 (595 f.) und Wolf, EuGRZ 1983, 401 (401 f.), die gleichfalls von einer strengen Funktionsgebundenheit der Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen ausgehen. 243 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 298. Im Ergebnis ebenso Dahm, Völkerrecht, Bd. I, S. 377.
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Damit genießen zum einen die Mitglieder einer Spezialmission besondere Exemtionen von der Strafgewalt des Empfangsstaates, die unmittelbar die politischen Verhandlungen bzw. Gespräche mit Vertretern des Empfangsstaates führen, also diejenigen, die von der CSM als “head of the special mission”, als “representatives” bzw. als “members of the diplomatic staff” bezeichnet werden (vgl. Art. 1 lit. d), e) und h) sowie Art. 31 Abs. 1 CSM). Zum anderen wird man, wenn man sich streng an der Frage orientiert, welche Exemtionen unabdingbar für ein Funktionieren einer Mission sind, auch denjenigen Mitgliedern, die von der CSM als “members of the administrative and technical staff” bezeichnet werden (vgl. Art. 1 lit. i) sowie Art. 36 CSM), Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zuerkennen müssen. Wie im Diplomatenrecht handelt es sich bei dieser Gruppe um Personen, die zwar einerseits lediglich unterstützende Tätigkeiten ausüben, andererseits aber unmittelbar in die Verhandlungen und in die aufgabenbezogene Tätigkeit der Mission einbezogen, mit dem Verhandlungsgegenstand vertraut und insofern besonders schutzwürdig sind. Zu diesem Personenkreis gehören vor allem Dolmetscher und persönliche Assistenten der Verhandlungsführer. Anders, als Art. 40 CSM dies vorsieht, kann es aber keine Bedeutung haben, wenn das betreffende Mitglied einer Spezialmission Angehöriger des Empfangsstaates bzw. im Empfangsstaat ständig ansässig ist. Zwar hat ein Empfangsstaat ein besonderes Interesse daran, eigene Staatsangehörige sowie in seinem Staatsgebiet ansässige Personen vollumfänglich seiner Strafgerichtsbarkeit zu unterstellen, doch bleibt es einem Empfangsstaat unbenommen, eine solche Person als Mitglied einer Spezialmission abzulehnen. Wenn er jedoch die Ernennung einer solchen Person zu einem Mitglied einer Spezialmission akzeptiert (eine derartige Entscheidung eines Entsendestaates kann unter Umständen durch besondere Sprach- und Landeskenntnisse einer Person motiviert sein), so wird er auch den Personen die Exemtionen von seiner Strafgerichtsbarkeit gewähren müssen, die für das Funktionieren der Spezialmission unabdingbar sind. Personen, die zwar zum Unterstützungspersonal einer Spezialmission zu zählen sind, aber den eigentlichen Aufgaben der Mission fernstehen, etwa Kraftfahrer oder Piloten, Personen also, die nach der Terminologie der CSM und des WÜD zu den “members of the service staff” zu zählen sind (vgl. Art. 37 CSM), sind nicht in besonderem Maße schutzwürdig. Sie sind in der Regel leicht zu ersetzen und laufen anders als die mit dem Verhandlungsgegenstand der Mission vertrauten Mitglieder kaum Gefahr, einer unlauteren Einflußnahme durch den Empfangsstaat ausgesetzt zu werden. Es ist daher davon auszugehen, daß diese Personen nach Völkergewohnheitsrecht keine besonderen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen, zumal auch die CSM diesen Personen anders als den vorgenannten Personengruppen lediglich Immunität ratione materiae für ihre Diensthandlungen, nicht aber umfassende Immunität ratione personae zubilligt. Auch privates Dienstpersonal einzelner Mitglieder einer Spezialmission (vgl. Art. 38 CSM) genießt aus
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den genannten Gründen keine besonderen Exemtionen nach Völkergewohnheitsrecht. Für Exemtionen für Familienangehörige, wie sie Art. 39 CSM gewährt, besteht gleichfalls keine unbedingte Notwendigkeit, so daß eine Exemtion für Familienangehörige nicht als Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts angesehen werden kann. Schon der temporäre Charakter einer Spezialmission läßt es als zumutbar erscheinen, daß Familienangehörige die Mitglieder einer Spezialmission entweder nicht begleiten oder aber sich wie jeder andere auch der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates unterwerfen. Die hier vorgenommene Differenzierung hinsichtlich des personalen Schutzbereichs der Exemtionen wird im übrigen auch unterstützt durch die Tatsache, daß es in den oben erwähnten Fällen aus der Staatenpraxis, in denen Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen bejaht wurden, allein um Personen ging, die unmittelbar mit der Erledigung der politischen Aufgabe einer Spezialmission betraut waren, also nur Exemtionen für solche Personen in der Staatenpraxis explizit anerkannt worden sind. Aber nicht nur der personale, sondern auch der sachliche Umfang der völkergewohnheitsrechtlich mit hinreichender Sicherheit anerkannten Exemtionen ist begrenzt. Die CSM gewährt – insofern mit dem WÜD übereinstimmend – denjenigen Personen, die nach dem hier Gesagten überhaupt in den Genuß besonderer völkerrechtlicher Exemtionen kommen – wie oben in § 18 III.4.b)aa) gezeigt – zum einen Unverletzlichkeit (vgl. Art. 29 und 36 CSM), zum anderen Immunität ratione personae von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates (vgl. Art. 31 Abs. 1 und Art. 36 CSM). Darüber hinaus ist noch eine Befreiung von den Zeugenpflichten normiert (vgl. Art. 31 Abs. 3 CSM). Die Funktionsfähigkeit einer Spezialmission ist dann ausreichend geschützt, wenn die mit der politischen Aufgabe unmittelbar befaßten Mitglieder in ihrer Arbeits- und Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt werden (dürfen). Zum notwendigen Schutz gehört damit ein Verbot der Beschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit. Damit ist eine persönliche Unverletzlichkeit im Sinne eines Verbots der Vornahme gegen eine geschützte Person gerichteter strafprozessualer Zwangsmaßnahmen (etwa Verhaftungen, Untersuchungen und Durchsuchungen der Person), wie sie Art. 29 CSM normiert, notwendig. Eine darüber hinausgehende Befreiung von der Strafgerichtsbarkeit im Sinne einer Immunität ratione personae ist dagegen nicht geboten. Eine solche Immunität würde bedeuten, daß sämtliche mit der Durchführung eines Strafverfahrens gegen die geschützte Person verbundenen Maßnahmen untersagt wären. Es ist aber nicht erkennbar, daß schon die bloße Aufnahme oder Weiterführung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsmaßnahmen – von der der Betroffene unter Umständen gar nichts
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mitbekommt – die Funktionsfähigkeit einer Spezialmission tangieren könnte. Erst durch Vornahme von Zwangsmaßnahmen gegenüber einem Mitglied einer Mission im Rahmen eines Strafverfahrens würde die Arbeitsfähigkeit der Mission beeinträchtigt werden. Vor solchen Maßnahmen schützt aber bereits eine Unverletzlichkeit im Sinne des Art. 29 CSM. Auch eine Befreiung von den Zeugenpflichten ist nicht zwingend erforderlich. Denn die bloße Pflicht, als Zeuge vor einer zuständigen Stelle zu erscheinen und auszusagen, beeinträchtigt die Arbeitsfähigkeit einer Spezialmission nicht, erst die zwangsweise Durchsetzung dieser Pflicht würde die Funktionsfähigkeit tangieren. Vor einer solchen Maßnahme schützt aber wiederum eine Unverletzlichkeit. Aus diesen Überlegungen folgt: Zum Bestand der völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen gehört eine Unverletzlichkeit, wie sie Art. 29 CSM normiert, nicht aber eine Immunität ratione personae und eine Befreiung von den Zeugenpflichten, wie sie Art. 31 Abs. 1 und 3 CSM festlegen. Völkergewohnheitsrechtliche Geltung kommt damit Art. 29 CSM zu, nicht aber Art. 31 Abs. 1 und 3 CSM.244 Fraglich ist jedoch, ob eine Immunität ratione materiae, also eine Immunität für Diensthandlungen, zum Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts zu zählen ist. Denn eine solche Immunität, die sowohl die CSM als auch das WÜD und das WÜK selbst für nachgeordnetes Personal normieren, soll nicht bloß der Sicherung der Funktionsfähigkeit einer Spezialmission bzw. ständigen diplomatischen Mission dienen, sondern soll auch sicherstellen, daß der Empfangsstaat nicht über Handlungen judiziert, die dem Entsendestaat völkerrechtlich zurechenbar sind, und damit den Grundsatz der Gleichheit der Staaten (par in parem non habet imperium) verletzt. Doch reicht zum Schutz des Grundsatzes der Gleichheit der Staaten die Staatenimmunität vollständig aus. Wie bereits mehrfach erwähnt, sind die verschiedenen völkerrechtlichen Exemtionen voneinander unabhängig. Mitglieder einer Spezialmission – und zwar alle ___________ Von einem solchen völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionsumfang ging offenbar auch der ILC-Sonderberichterstatter Bartoš aus. Denn er vertrat die These, besondere gewohnheitsrechtliche Regeln über Spezialmissionen gebe es nicht, weshalb die ILC bei der Ausarbeitung eines Konventionsentwurfs rechtsschöpferisch tätig werden müsse (vgl. oben Anm. 112). In dem Kommentar zu dem von ihm 1965 vorgelegten Konventionsentwurf, der in Art. 25 eine Unverletzlichkeit aller Mitglieder einer Spezialmission vorsah (“The head and members of the special mission and the members of its staff shall enjoy inviolability. They shall not be liable to arrest or detention in any form.”) heißt es jedoch: “The principle of the inviolability of the head and members of the special mission and the members of its staff is respected in practice. This was also the view taken by the International Law Commission in 1960.”; YBILC 1965 II, 109 (132) (UN-Dokument A/CN.4/179). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 258, die davon ausgehen, daß Regierungsmitglieder, die mit einem speziellen Auftrag in einen anderen Staat reisen, „zumindest solche Vorrechte beanspruchen dürfen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig sind“. Daher kämen sie in den Genuß einer „gewissen Immunität“, die dahin gehe, daß „ihre Person der Festnahme und jedem sonstigen Zwang (…) entzogen“ sei. 244
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Mitglieder ohne Rücksicht auf ihre Funktion – können sich daher wie jeder andere staatliche Funktionsträger auf die Staatenimmunität berufen. Sie dürfen aufgrund der Staatenimmunität wegen ihrer hoheitlich-dienstlichen Handlungen vom Empfangsstaat (und jedem Drittstaat) nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.245 Hinsichtlich des sachlichen Umfangs der besonderen Exemtionen für Mitglieder von hochrangigen politischen Spezialmissionen ist damit festzuhalten, daß die geschützten Personen nach Völkergewohnheitsrecht lediglich Unverletzlichkeit im Sinne des Art. 29 CSM genießen, darüber hinaus aber durch die Staatenimmunität vor einer strafrechtlichen Inanspruchnahme wegen ihrer hoheitlich-dienstlichen Handlungen geschützt sind. Die hier entwickelte These einer Beschränkung der Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit auf eine Unverletzlichkeit findet nicht nur Unterstützung in der wissenschaftlichen Literatur,246 sondern auch durch die Rechtsprechung im Fall Tabatabai. Während das LG Düsseldorf zur Frage des Umfangs einer Exemtion aufgrund der Verneinung des Vorliegens einer Spezialmission keine Stellung zu beziehen brauchte, traf das OLG Düsseldorf folgende – bereits in anderem Zusammenhang referierte – Feststellungen: „Nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage hält der Senat an seiner (…) Auffassung fest, daß der Beschwerdeführer nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit ist (§§ 20, 18 GVG).“247
Diese Ausführungen lassen zwar vermuten, daß das OLG von einer Immunität ratione personae für Mitglieder von Spezialmissionen im Sinne des Art. 31 Abs. 1 CSM, also von einer umfassenden Befreiung von der deutschen Strafgerichtsbarkeit, ausging. Doch heißt es an anderer Stelle des Beschlusses: „Unbestritten ist des weiteren, daß einem anerkannten Sonderbotschafter zur Erfüllung und zum Schutz seiner Mission vom Empfängerstaat Immunität, zumindest Schutz der persönlichen Unverletzlichkeit einschließlich seiner Freiheit zu gewährleisten ist.“248
Als völkergewohnheitsrechtlich sicher anerkannt betrachtet also auch das OLG Düsseldorf lediglich eine Unverletzlichkeit (i.S.d. Art. 29 CSM), nicht aber eine Immunität ratione personae.249 ___________ 245 So auch Brownlie, International Law, S. 357; Dahm, Völkerrecht, Bd. I, S. 377; Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 35 f. Vgl. auch Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (250 f.). Es sei aber daran erinnert, daß die Staatenimmunität lediglich Diensthandlungen hoheitlichen Charakters erfaßt. Die Staatenimmunität ist also eine auf acta iure imperii beschränkte Immunität ratione materiae. 246 Vgl. die Nachweise oben in Anm. 93 ff. 247 OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160 (161). 248 OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160 (161). 249 Das Auswärtige Amt hatte im Zuge der Auseinandersetzungen über den Status von Tabatabai allerdings verlauten lassen, es betrachte Art. 31 Abs. 1 CSM als allgemeine Regel des Völkerrechts; vgl. LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (444). Das Auswärtige
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Hinsichtlich der zeitlichen Reichweite der Unverletzlichkeit kann die Regelung des Art. 43 Abs. 1 CSM (Beginn) und Art. 43 Abs. 2 Satz 1 CSM (Ende) als völkergewohnheitsrechtlich anerkannt angesehen werden, da sie aus dem Sinn und Zweck der Exemtion zwangsläufig folgt.250 Es kann daher insofern auf die Ausführungen oben bei § 18 III.4.b)cc) verwiesen werden. Die oben in § 18 III.4.a) erwähnte Regelung des Art. 12 CSM über die Befugnis des Empfangsstaates, einzelne Personen einer Spezialmission zur persona non grata bzw. „nicht genehmen Person“ zu erklären, wird man gleichfalls als völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ansehen müssen, da die Befugnis von Empfangsstaaten, auf aus ihrer Sicht inakzeptabel gewordene Gesandte in dieser Form zu reagieren, seit jeher von den Staaten für alle Arten von Gesandten geltend gemacht wird und im WÜD, im WÜK und in der CSM übereinstimmend normiert ist.251 Auch die in § 18 III.4.b)bb) skizzierte Regelung des Art. 41 CSM über einen Verzicht auf die Exemtion ist hinsichtlich der Unverletzlichkeit als Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts anzusehen.252 Zu erinnern ist jedoch daran, daß die Unverletzlichkeit ausschließlich im Interesse der Funktionsfähigkeit der Spezialmission und nicht im Interesse des jeweiligen Mitglieds einer Spezialmission gewährt wird. Sie wird damit letztlich ausschließlich im Interesse des Entsendestaates gewährt, so daß die geschützte Person zwar von der Exemtion profitiert, über sie aber nicht disponieren kann. Ein Einverständnis der geschützten Person mit der Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen ist daher irrelevant; verzichtsberechtigt ist nur der Entsendestaat.253 Hinsichtlich der Frage des Umfangs der Exemtionen ist abschließend noch zu klären, inwieweit auch sachbezogene Exemtionen als völkergewohnheitsrechtlich anerkannt betrachtet werden können. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß für die Funktionsfähigkeit einer Spezialmission eine Unverletzlichkeit der Archive, Dokumente und Korrespondenzen der Mission sowie eine Unverletzlichkeit der von der Mission genutzten Räumlichkeiten unabdingbar ist. Daher wird man davon ausgehen dürfen, daß die Regelungen der Art. 25, 26 und Art. 28 Abs. 1 und 2 CSM auch völkergewohnheitsrechtlich gelten.254 Dies bedeutetet unter anderem, ___________ Amt ging damit von einer umfassenden Immunität ratione personae als Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts aus. 250 Zu bedenken ist aber, daß die von der Unverletzlichkeit als Mitglied einer Spezialmission unabhängige Staatenimmunität zeitlich nicht begrenzt ist, eine Strafverfolgung eines Mitglieds einer Spezialmission wegen von ihm vorgenommener hoheitlich-dienstlicher Handlungen also – vorbehaltlich eines Verzichts des Entsendestaates – zeitlich unbegrenzt ausgeschlossen ist. 251 So auch Doehring, Völkerrecht, Rn. 516. Vgl. auch Waters, The Ad hoc Diplomat, S. 116. 252 So (wohl) auch Przetacznik, IJIL 11 (1971), 593 (604 f.). 253 Vgl. auch Przetacznik, IJIL 11 (1971), 593 (604 f.). 254 So auch Doehring, Völkerrecht, Rn. 516.
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daß die Schriftstücke und Dokumente einer Spezialmission nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen und die von der Mission genutzten Räumlichkeiten – auch Hotelzimmer – von den Strafverfolgungsbehörden des Empfangsstaates nicht betreten, mithin auch nicht durchsucht werden dürfen. Auch Abhörmaßnahmen dürften gegen diese Unverletzlichkeit verstoßen. bb) Zur Frage nach Ausnahmen von der Exemtion bei bestimmten Arten von Taten Die Staatenimmunität erfährt – wie oben in § 6 und § 7 gezeigt – unter anderem bei völkerrechtlichen Verbrechen (Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord) sowie bei Spionagetaten und geheimdienstlichen Gewaltakten eine Ausnahme. Es stellt sich deshalb bezüglich der Unverletzlichkeit von Mitgliedern von Spezialmissionen die Frage, ob auch diese Ausnahmen bei solchen Straftaten kennt, also den Empfangsstaaten die Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen gegenüber Mitgliedern von hochrangigen politischen Spezialmissionen im Rahmen der Ahndung solcher Taten gestattet ist. Diese Frage ist aber zu verneinen.255 Weder aus den skizzierten Gerichtsentscheidungen noch aus der sonstigen Staatenpraxis lassen sich Anhaltspunkte für eine solche Ausnahme von der völkergewohnheitsrechtlichen Exemtion für Mitglieder von Spezialmissionen entnehmen. Man könnte jedoch überlegen, ob es nicht mittlerweile eine völkergewohnheitsrechtliche Regel dahingehend gibt, daß bei den genannten Taten, vor allem bei völkerrechtlichen Verbrechen, generell völkerrechtliche Exemtionen einer Strafverfolgung keine Schranke setzen können; eine solche Regel würde dann auch für die Exemtion für Mitglieder von Spezialmissionen gelten, unabhängig davon, ob es eine speziell auf diese Exemtion bezogene Staatenpraxis gibt, die eine solche Ausnahme stützt. Doch hat die Betrachtung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen sowie der Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder gezeigt, daß es eine solche Regel nicht gibt. Die diplomatischen und konsularischen Exemtionen erfahren – wie oben in § 13 I.1.a)ff) und § 14 I.2. dargelegt – auch bei völkerrechtlichen Verbrechen, bei Spionagetaten und geheimdienstlichen Gewaltakten keine Ausnahme; gleiches gilt – siehe oben § 17 I.2.a)dd) – für die Exemtionen von amtierenden Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern. Bedeutsam ist vor allem, daß die diplomatischen Exemtionen eine solche Ausnahme nicht kennen. Denn die Funktionen der Mitglieder von hochrangigen politischen Spezialmissionen und von Mitgliedern diplomatischer Vertretungen sind einander sehr ähnlich. ___________ 255 A.A. Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 125 f. Doehring, Völkerrecht, Rn. 673 spricht vorsichtig davon, „es mag wieder die Einschränkung im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen gelten“.
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Wenn daher die diplomatischen Exemtionen auch einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen, Spionagetaten und geheimdienstlicher Gewaltakte entgegenstehen, so kann, solange nicht eine klare gegenteilige, von einer entsprechenden Rechtsüberzeugung getragene Staatenpraxis nachweisbar ist, die Existenz einer Ausnahme bei der Exemtion für Mitglieder von Spezialmissionen nicht angenommen werden. Man kann auch nicht argumentieren, ein für die Empfangsstaaten maßgeblicher Exemtionsausschluß bei völkerrechtlichen Verbrechen folge aus Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut, Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut.256 Denn diese Normen, deren Bedeutung für eine Strafverfolgung von Mitgliedern von Spezialmissionen durch die Gerichte, für die diese Statuten gelten, unten in § 18 IV.5.b)dd) noch erläutert werden soll, beziehen sich nur auf die Gerichtsbarkeit des IStGH, des ICTY sowie des ICTR. Aus ihnen kann nicht auf Exemtionsausnahmen für nationale Strafverfolgungsbehörden einzelner Staaten geschlossen werden.257 Zwar werden die Staaten sowohl durch das Völkervertragsrecht als auch durch das Völkergewohnheitsrecht zu einer Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen verpflichtet.258 Doch sind diese völkerrechtlichen Verfolgungspflichten, ebenso wie sonstige völkervertragliche Strafverfolgungspflichten, nicht absolut. Es wurde bereits oben in § 14 I.2.a)cc) im Zusammenhang mit den diplomatischen und konsularischen Exemtionen aufgezeigt, daß die völkerrechtlichen Exemtionen gegenüber den völkerrechtlichen Verfolgungspflichten vorrangig sind. Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, daß dieser Vorrang der Exemtionen zwar hinsichtlich der diplomatischen Exemtionen, nicht aber hinsichtlich der Exemtion für Mitglieder von Spezialmissionen gilt. Zudem hat der IGH in seiner bereits ausführlich erörterten Entscheidung Demokratische Republik Kongo ./. Belgien vom 14. Februar 2002 ohne Differenzierung zwischen verschiedenen Arten völkerrechtlicher Exemtionen betont: “Thus, although various international conventions on the prevention and punishment of certain serious crimes impose on States obligations of prosecution or extradition, thereby requiring them to extend their criminal jurisdiction, such extension of jurisdiction in no way affects immunities under customary law (…).”259
___________ So aber Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 126, die zudem meint, in diesen und weiteren Rechtsnormen des Völkerstrafrechts komme eine derart eindeutige Rechtsüberzeugung zum Ausdruck, daß die Tatsache fehlender Staatenpraxis als weiteres konstitutives Element von Völkergewohnheitsrecht kompensiert werde. 257 Insofern sei auf die ausführlich begründete Zurückweisung dieser auch in bezug auf die diplomatischen und konsularischen Exemtionen vorgetragenen Argumentation oben bei § 14 I.2.b) verwiesen. 258 Vgl. Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 436 ff. 259 IGH, Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien vom 14.2.2002, para. 59; ILM 41 (2002), 536 (551). 256
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Auch völkerrechtspolitisch wären Ausnahmen von der Exemtion für Mitglieder von Spezialmissionen bei völkerrechtlichen Verbrechen und weiteren Taten verfehlt. Die Argumente, die für eine absolute Geltung der diplomatischen und konsularischen Exemtionen oben bei § 14.I.3. angeführt wurden, gelten in gleicher Weise auch bezüglich der Exemtion für Mitglieder von Spezialmissionen. An dieser Stelle sollen daher nur einige wenige Anmerkungen gemacht werden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß eine Geltung der Exemtion für Mitglieder von hochrangigen politischen Spezialmissionen auch bei völkerrechtlichen Verbrechen und den weiteren hier diskutierten Taten nicht automatisch Straflosigkeit zur Folge hat. Denn wie sogleich gezeigt wird, gilt die Exemtion nur gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des jeweiligen Empfangsstaates, nicht aber gegenüber der von Drittstaaten und supranationalen Instanzen wie dem IStGH.260 Auch wird ein Empfangsstaat nicht gegen seinen Willen gezwungen, von der Ausübung strafprozessualer Zwangsgewalt gegenüber einer von ihm strafrechtlich verfolgten Person innerhalb seines Staatsgebiets abzusehen. Denn damit eine Person überhaupt den Status eines (durch Exemtion geschützten) Mitglieds einer Spezialmission erlangen kann, ist das Einverständnis des Empfangsstaates mit der Mission selbst und ihren Mitgliedern erforderlich.261 Ein Staat, der ein Strafverfahren gegen eine bestimmte Person betreibt oder den Verdacht hegt, diese habe eine von ihm verfolgbare Straftat begangen, kann seiner Pflicht zur Exemtionsgewährung also schon dadurch entgehen, daß er seine Zustimmung zur Entsendung der Mission bzw. zur Entsendung der betreffenden Person versagt. Zudem ist die Exemtion zeitlich eng begrenzt. Da lediglich eine Unverletzlichkeit gewährt wird, erlischt die Exemtion mit der Ausreise aus dem Empfangsstaat bzw. sofern eine Ausreise nach Beendigung der Tätigkeit der Spezialmission unterbleibt, nach Ablauf einer angemessenen Frist für eine Ausreise. Eine besondere Immunität ratione materiae, die die Dauer der Mission überdauern könnte (vgl. Art. 43 Abs. 2 Satz 2 CSM), gewährt das Gewohnheitsrecht nicht. Nach Funktionsbeendigung kann lediglich die Staatenimmunität einer Strafverfolgung ehemaliger Mitglieder einer Spezialmission Grenzen setzen. Diese gilt aber bei den hier diskutierten Fallkonstellationen gerade nicht, so daß ehemalige Mitglieder einer Spezialmission wegen der hier erörterten Taten ohne weiteres bestraft werden dürfen. cc) Zur Frage der Geltung der Exemtion in Drittstaaten Art. 42 CSM gewährt – wie bereits gezeigt262 – den Mitgliedern von Spezialmissionen gewisse Exemtionen auch gegenüber der Strafgerichtsbarkeit von Drittstaa___________ 260 261 262
Vgl. unten § 18 IV.5.b)cc) und dd). Vgl. die Ausführungen oben bei § 18 IV.5.a)bb). Vgl. oben § 18 III.4.b)ee).
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ten, sofern sie diese auf Reisen zwischen dem Entsende- und dem Empfangsstaat durchqueren. Es stellt sich die Frage, ob auch das Völkergewohnheitsrecht den Mitgliedern von Spezialmissionen Exemtionen gegenüber der Strafgerichtsbarkeit von Drittstaaten zuerkennt, also die Mitglieder hochrangiger politischer Spezialmissionen bei einer dienstlich bedingten Durchreise durch Drittstaaten in diesen Unverletzlichkeit und damit Freistellung von strafprozessualer Zwangsgewalt genießen. Diese Frage muß aber verneint werden. Auch wenn ein Drittstaat von der Funktion einer Person als Mitglied einer zwischen anderen Staaten vereinbarten politischen Spezialmission weiß und in dieser Kenntnis eine Reise durch sein Staatsgebiet gestattet, so folgt daraus keine Befreiung von seiner strafprozessualen Zwangsgewalt. Selbst in einem solchen Fall sind die durchreisenden Mitglieder einer Spezialmission der Strafgerichtsbarkeit des Transitstaates in gleichem Maße wie jede andere Person unterworfen. Denn für die Annahme einer völkergewohnheitsrechtlichen Exemtion auch gegenüber der Strafgewalt von Drittstaaten liefert die Staatenpraxis keinerlei Anhaltspunkte, eine entsprechende Rechtsüberzeugung der Staaten ist nicht erkennbar. Im Gegenteil kann aus den Entscheidungen des OLG Düsseldorf263 und des BGH264 im Fall Tabatabai gefolgert werden, daß eine völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung von Drittstaaten verneint wird. Die iranische Regierung hatte sich darauf berufen, Tabatabai sei zu Erörterungen mit den Regierungen mehrerer Länder nach Europa geschickt worden; die Behauptung, es gebe auch einen Verhandlungsauftrag mit der deutschen Regierung, hat die iranische Regierung erst lange nach der „Vereinbarung“ mit dem Auswärtigen Amt in einem gesonderten Schreiben „nachgeschoben“, eine entsprechende Übereinkunft wurde von diesem jedoch nicht bestätigt.265 Das OLG Düsseldorf und der BGH befaßten sich dennoch allein mit der Frage, ob zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Iran eine Spezialmission im völkerrechtlichen Sinne wirksam vereinbart worden war und die Bundesrepublik als Empfangsstaat zur Gewährung von Exemtionen verpflichtet war bzw. ob eine anderweitige immunitätsbegründende Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und dem Iran geschlossen worden war. Auf die an sich naheliegende Frage, ob zwar möglicherweise nicht zwischen der Bundesrepublik und dem Iran, wohl aber zwischen einem anderen europäischen Staat und dem Iran eine Spezialmission Tabatabais vereinbart worden war und die Bundesrepublik als Drittstaat gehindert war, gegen Tabatabai strafrechtlich vorzugehen, wurde überhaupt nicht eingegangen. Die Möglichkeit einer völkergewohnheitsrechtlichen Verpflichtung von Transitstaaten, durchreisenden Mitgliedern von Spezialmissionen zwischen anderen Staaten Exemtionen von der eigenen Strafgerichtsbarkeit zu gewähren, wurde offensichtlich als absolut fernliegend angesehen. Das gleiche gilt ___________ 263 264 265
OLG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 160. BGHSt 32, 275 = NJW 1984, 2048. Vgl. LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (443 ff., 448 f.).
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für die Literatur. Nirgendwo im Schrifttum wird – soweit ersichtlich – die Frage einer völkergewohnheitsrechtlichen Pflicht von Drittstaaten zur Gewährung von Exemtionen erörtert. Nur das LG Düsseldorf hat in seinem Urteil gegen Tabatabai die Frage einer Exemtion Tabatabais von der deutschen Gerichtsbarkeit aufgrund einer Durchreise durch Deutschland auf dem Weg zu einem anderen Staat, in dem eine Funktion als Beauftragter der iranischen Regierung ausgeübt werden sollte, aufgegriffen. Doch wurde nicht erörtert, ob Transitstaaten überhaupt eine Pflicht zur Exemtionsgewährung haben. Das LG Düsseldorf verneinte nämlich schon den Tatbestand einer Durchreise im Sinne des Art. 42 CSM, da Tabatabai einen längeren Aufenthalt an seinem Wohnsitz in Düsseldorf geplant gehabt habe.266 dd) Zur Frage der Geltung der Exemtion gegenüber internationalen Strafgerichtshöfen Für die Strafgerichtsbarkeit des IStGH stellt die Exemtion für Mitglieder von hochrangigen politischen Spezialmissionen kein Strafverfolgungshindernis dar. Soweit es um Mitglieder von Spezialmissionen geht, deren Entsendestaat Vertragsstaat des IStGH-Statuts ist, ist Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut267, der eine generelle Irrelevanz völkerrechtlicher Exemtionen für den IStGH festlegt,268 unproblematisch, hat sich doch der Entsendestaat, zu dessen Gunsten die Exemtion für Mitglieder von Spezialmissionen besteht, durch Ratifikation des Römischen Statuts auch mit dessen Art. 27 einverstanden erklärt. Problematisch ist lediglich, ob auch der Ausschluß der Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen aus Staaten, die nicht Vertragsstaaten des Römischen Statuts sind, völkerrechtskonform ist. Doch ist Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut insofern keine (unwirksame) Vertragsbestimmung zu Lasten dritter Staaten, und zwar aus denselben Gründen, aus denen oben in § 15 II.1.b)bb) bezüglich der diplomatischen und konsularischen Exemtionen der Exemtionsausschluß durch Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut für völkerrechtskonform erachtet werden konnte. Es kann daher an dieser Stelle auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden. Auch der Gerichtsbarkeit des ICTY und des ICTR setzt die Exemtion für Mitglieder von hochrangigen politischen Spezialmissionen keine Grenze. Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut ordnen ebenso wie Art. 27 Abs. 2
___________ LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (447). BGBl. 2000 II, S. 1393 (1414) = BT-Drucks. 14/2682, S. 9 (29) = ILM 37 (1998), 999 (1017). 268 Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut lautet: „Immunitäten oder besondere Verfahrensregeln, die nach innerstaatlichem Recht oder nach dem Völkerrecht mit der amtlichen Eigenschaft einer Person verbunden sind, hindern den Gerichtshof nicht an der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit über eine solche Person.“ 266 267
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IStGH-Statut die Unbeachtlichkeit sämtlicher völkerrechtlicher Exemtionen an.269 Da sich die Staaten (jedenfalls die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen) mit der Ratifikation der UN-Charta gemäß Art. 24 f. UN-Charta bereiterklärt haben, Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats zu akzeptieren und umzusetzen, wird durch die vom UN-Sicherheitsrat auf der Basis von Kapitel VII der UN-Charta erlassenen Statute des ICTY und ICTR und damit auch durch den in ihnen verfügten Ausschluß sämtlicher Exemtionen nicht in unzulässiger Weise in die Rechtspositionen einzelner Staaten eingegriffen.270 c) Zur Rechtsstellung von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern als Angehörige von Spezialmissionen Amtierende Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Minister genießen – wie oben in § 17 I.2.a) gezeigt – nach Völkergewohnheitsrecht umfassende Immunität ratione personae und Unverletzlichkeit von der Strafgerichtsbarkeit aller Staaten außer ihrem Heimatstaat, unabhängig davon, ob sie in offizieller oder privater Eigenschaft in einen anderen Staat reisen; sie sind sogar der Strafgerichtsbarkeit der Staaten entzogen, in denen sie sich nicht aufhalten, so daß auch die Durchführung eines Strafverfahrens in Abwesenheit einen Verstoß gegen die umfassende Exemtion darstellt. Da die verschiedenen völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit unabhängig voneinander sind, weil sie jeweils auf anderen Rechtsgründen beruhen, genießen Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Minister diese umfassenden Exemtionen auch dann, wenn sie als Mitglied einer Spezialmission in ein fremdes Land reisen. Die auf eine Unverletzlichkeit beschränkte völkergewohnheitsrechtliche Exemtion für Mitglieder politischer Spezialmissionen hat also in diesem Fall nicht etwa Vorrang vor sonstigen Exemtionen mit der Folge, daß die weiterreichenden Exemtionen für Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Minister verdrängt würden.271 6. Rechtsstellung der Mitglieder sonstiger Spezialmissionen Den Mitgliedern von Spezialmissionen, die nicht als hochrangige politische Spezialmissionen eingestuft werden können, also nach der hier verwendeten Terminologie als „administrativ-technische Spezialmissionen“ klassifiziert werden müssen, ___________ 269 Vgl. ILM 32 (1993), 1192 (1194) = BT-Drucks. 13/57, S. 14 (16) bzw. ILM 33 (1994), 1602 (1604) = BT-Drucks. 13/7953, 18 (20) sowie oben § 15 II.2.a). 270 Vgl. hierzu im einzelnen die Ausführungen bezüglich der diplomatischen und konsularischen Exemtionen oben bei § 15 II.2.b), die in gleicher Weise auch für die Exemtion für Mitglieder von Spezialmissionen maßgeblich sind. 271 Insofern entspricht auch die Regelung des Art. 21 CSM dem Völkergewohnheitsrecht. Vgl. auch Doehring, Völkerrecht, Rn. 673.
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kommen zwar nach Völkergewohnheitsrecht keine besonderen Vorrechte und Befreiungen allein aufgrund ihrer Eigenschaft und Funktion als Mitglied einer Spezialmission zu. Doch bedeutet dies nicht, daß sie ohne jegliche exemtionsbedingte Einschränkung der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates oder eines Transitstaates unterworfen sind. Die Regeln der Staatenimmunität sind nämlich auch auf die Mitglieder einer solchen Spezialmission anwendbar. Aus der Tatsache, daß das Völkergewohnheitsrecht diesen Personen keine besondere Exemtion zuerkennt, kann nicht gefolgert werden, daß die auf einem völlig anderen Rechtsgrund als die Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen beruhende Staatenimmunität für diese Personen nicht gilt. Die Mitglieder von administrativ-technischen Spezialmissionen dürfen also – ebenso wie jeder andere staatliche Funktionsträger – wegen hoheitlich-dienstlicher Handlungen vom Empfangsstaat oder einem Drittstaat nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Weitergehende Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen sie jedoch nicht. 7. Zur These des BGH von der Möglichkeit der Verleihung von Immunität unabhängig von den Regeln über Spezialmissionen Der BGH bejahte im Fall Tabatabai zwar – wie oben in § 18 IV.5.a)aa) dargelegt – das Vorliegen einer Spezialmission und eine Befreiung Tabatabais von der deutschen Strafgerichtsbarkeit, doch begründete er die Immunität nicht mit einer völkergewohnheitsrechtlichen Exemtion für Mitglieder von Spezialmissionen. Er hielt die völkergewohnheitsrechtliche Geltung der Regelungen der CSM für „zweifelhaft“, meinte jedoch, auf die Frage einer gewohnheitsrechtlichen Anerkennung einer besonderen Exemtion für Mitglieder von Spezialmissionen komme es im Fall Tabatabai gar nicht an.272 Der BGH führte aus: „Auf die nach alledem zweifelhafte Frage der gewohnheitsrechtlichen Geltung der Konvention kommt es indes nicht entscheidend an (…). Denn es steht fest, daß es jedenfalls – unabhängig von dem Konventionsentwurf – eine von der Staatenpraxis mit Rechtsüberzeugung getragene gewohnheitsrechtliche Regel gibt, wonach es möglich ist, von dem Entsendestaat mit einer besonderen politischen Aufgabe ausgestatteten Ad-hocBotschaftern durch Einzelabsprache mit dem Empfangsstaat über diese Aufgabe und über ihren Status Immunität zu verleihen und sie auf diese Weise insoweit den – völkervertragsrechtlich geschützten – Mitgliedern der ständigen Missionen der Staaten gleichzustellen.“273
Diese Argumentation begegnet Bedenken in gleich mehrfacher Hinsicht. Der BGH meint nämlich nicht, daß Mitglieder einer Spezialmission, die auf einer Vereinbarung zweier Staaten beruht, nach Völkergewohnheitsrecht Immunität genießen und eine solche Immunität nach Art. 25 GG von den deutschen Strafverfol___________ BGHSt 32, 275 (287) = NJW 1984, 2048 (2049). BGHSt 32, 275 (287) = NJW 1984, 2048 (2049). Dem BGH folgend LR-StPOBöttcher, § 20 GVG Rn. 6; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 17; KKStPO-Pfeiffer, § 20 GVG Rn. 2. 272 273
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gungsbehörden zu beachten ist,274 sondern er geht davon aus, daß das Völkergewohnheitsrecht den Staaten erlaube, eine Ad-hoc-Vereinbarung über eine Spezialmission zu treffen, die als solche Immunität vorsieht. Nach Auffassung des BGH beruht die Immunität dann nicht auf einer Regel des Völkergewohnheitsrechts, sondern unmittelbar auf der Vereinbarung der Staaten.275 Es ist aber verfehlt, für eine Befugnis zum Abschluß einer solchen Vereinbarung das Völkergewohnheitsrecht zu bemühen. Schon aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit folgt, daß zwei oder mehr Staaten untereinander völkerrechtliche Vereinbarungen, also völkerrechtliche Verträge grundsätzlich jeden Inhalts schließen können.276 Die Staaten können damit auch eine Vereinbarung treffen, durch die sich ein Staat zur Immunitätsgewährung verpflichtet. Die Akzeptanz des iranischen Schreibens vom 31. Januar 1983 durch das Auswärtige Amt kann zwar möglicherweise als Ad-hoc-Vereinbarung zwischen dem deutschen Außenminister und dem Außenminister des Iran und damit als ein im Außenverhältnis beider Staaten zueinander rechtswirksamer völkerrechtlicher Vertrag angesehen werden, durch den die Bundesrepublik dem Iran gegenüber völkerrechtlich verpflichtet wurde, eine strafrechtliche Verfolgung Tabatabais zu unterlassen.277 Doch war diese Vereinbarung – wenn man einmal unterstellt, daß sie eine unmittelbare Verpflichtung Deutschlands zur Immunitätsgewährung enthielt278 – für die deutschen Strafverfolgungsbehörden irrelevant.279 Denn wie oben in § 2 II. gezeigt, begründet ein völkerrechtlicher Vertrag nicht ohne weiteres innerstaatlich Rechte und Pflichten; er wird nicht unmittelbar Bestandteil der nationalen Rechtsordnung.280 Nur das nationale deutsche Recht einschließlich des wirksam in die deutsche Rechtsordnung überführten Völkerrechts ist aber nach Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG für die deutschen Gerichte ___________ Dann hätte er eine zumindest teilweise völkergewohnheitsrechtliche Geltung der CSM bejahen müssen. 275 So auch die Einschätzung von Murswiek, JuS 1985, 474 (475). A.A. aber Bockslaff/ Koch, NJW 1984, 2742 (2742). 276 Eine Grenze der Vertragsfreiheit wird lediglich durch das ius cogens gesetzt. Normen mit ius cogens-Charakter können, wie Art. 53 WVRK (deklaratorisch) feststellt, durch vertragliche Vereinbarungen nicht überwunden werden. Dem ius cogens widersprechende Vereinbarungen sind nichtig. Vgl. hierzu näher oben § 4 II.5.b)aa). 277 Außenminister gelten nach Art. 7 Abs. 2 lit. a) WVRK, der Völkergewohnheitsrecht widerspiegelt, als befugt, Verträge mit Wirkung für ihren Staat abzuschließen. Ob ein Außenminister innerstaatlich nach dem (Verfassungs-)Recht seines Staates zu einem solchen Vertragsabschluß befugt ist, ist für die völkerrechtliche Bindungswirkung grundsätzlich irrelevant und braucht deshalb den jeweils anderen Staat in der Regel nicht zu interessieren (vgl. Art. 27, 46 WVRK). 278 Ganz zu Recht haben Bockslaff/Koch, NJW 1984, 2742 (2742) insofern Zweifel. 279 So auch LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 159 (160). 280 Vgl. Koenig, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 25 Rn. 1 f., 32 ff.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 24 ff., 418 ff. 274
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maßgeblich.281 Der Vereinbarung zwischen dem Iran und der Bundesrepublik hätte daher, damit sie als immunitätsgewährende Vereinbarung für die Gerichte beachtlich gewesen wäre, vom Bundesgesetzgeber in Form eines Gesetzes nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zugestimmt werden müssen.282 Eine solche gesetzliche Zustimmung lag aber nicht vor. Auch aus § 20 Abs. 2 GVG läßt sich eine unmittelbare innerstaatliche Verbindlichkeit eines immunitätsbegründenden Vertrags (und damit auch der iranischdeutschen Vereinbarung) für die deutschen Strafverfolgungsbehörden nicht ableiten.283 Soweit dort ausgeführt wird, die deutsche Gerichtsbarkeit erstrecke sich nicht auf Personen, soweit sie „aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen von ihr befreit sind“, so sind damit – wie schon oben in § 3 II.2.c) dargelegt – nur völkerrechtliche Verträge gemeint, die ordnungsgemäß nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG die erforderliche parlamentarische Zustimmung gefunden haben. Zwar kann die Bundesregierung zum Teil Vereinbarungen über die Gewährung von Exemtionen einseitig durch Erlaß einer Rechtsverordnung innerstaatlich umsetzen,284 doch gilt dies nicht für den Bereich von Spezialmissionen. Die Verordnungsermächtigung des Art. 3 des deutschen Zustimmungsgesetzes zum Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen285 betrifft ausschließlich den Bereich internationaler Organisationen, nicht aber die Entsendung von Sonderbeauftragten eines Staates zu einem anderen Staat. Soweit dort sowie in Art. 3 Abs. 1 des Zustimmungsgesetzes zum Übereinkommen vom 13. Februar 1946 über die Vorrechte und Befreiungen der Vereinten Nationen286 auch von „Vertretern der Mitglieder“ die Rede ist, beziehen sich diese Verordnungsermächtigungen nur auf Vertreter der Mitgliedstaaten internationaler Organisationen, die den Mitgliedstaat gegenüber der Organisation vertreten. Keinesfalls können diese Verordnungsermächtigungen so verstanden werden, daß die Bundesregierung generell Vertretern von Staaten, die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen oder einer anderen internationalen Organisation sind, durch Erlaß einer Rechtsverordnung Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gewähren ___________ Vgl. Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 20 Rn. 262 ff.; 285. 282 So auch Engel, JZ 1983, 627 (628); Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 92. 283 Murswiek, JuS 1985, 474 (475) meint, der BGH sei, wenngleich dies in dem Beschluß nicht explizit zum Ausdruck komme, davon ausgegangen, daß § 20 Abs. 2 GVG auch (nicht nach Art. 59 Abs. 2 GG transformierte) Spezialabreden über die Gewährung von Immunität erfasse. 284 Vgl. oben § 2 IV.2. 285 Zustimmungsgesetz vom 22.6.1954, BGBl. 1954 II, S. 639. Geändert durch Gesetz vom 28.2.1964, BGBl. 1964 II, S. 187 und neugefaßt durch Art. 4 des Zustimmungsgesetzes zum Übereinkommen vom 13. Februar 1946 über die Vorrechte und Befreiungen der Vereinten Nationen vom 16.8.1980, BGBl. 1980 II, S. 941 (942). 286 Vgl. oben Anm. 285. 281
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kann, also auch dann, wenn diese ihren Staat nicht gegenüber einer internationalen Organisation, sondern gegenüber der Bundesrepublik vertreten.287 Auch der völkergewohnheitsrechtlich geltende Grundsatz pacta sunt servanda (Art. 26 WVRK) führt nicht – über den „Umweg“ des Art. 25 GG – dazu, daß die deutschen Gerichte auch solche völkerrechtlichen Verträge, die nicht nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in das Bundesrecht inkorporiert wurden, zu beachten und anzuwenden haben. Denn dann würde Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG leerlaufen. Art. 25 GG darf daher nicht so interpretiert werden, daß er dem allgemeinen Rechtsprinzip pacta sunt servanda Eingang in die deutsche Rechtsordnung verschafft mit der Folge einer unmittelbaren Beachtlichkeit völkerrechtlicher Vereinbarungen für die Gerichte und andere staatliche Institutionen unabhängig von einer parlamentarischen Zustimmung. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG verdrängt vielmehr Art. 25 GG für den Bereich völkerrechtlicher Verträge als lex specialis.288 Zudem sind Adressaten des völkerrechtlichen Grundsatzes pacta sunt servanda allein die Staaten als Vertragspartner und Völkerrechtssubjekte, nicht aber unmittelbar einzelne Staatsorgane. Das Völkerrecht überläßt es vielmehr den Staaten, wie sie dafür sorgen, daß die den Staat als Völkerrechtssubjekt treffenden völkervertraglichen Pflichten von seinen Staatsorganen beachtet bzw. umgesetzt werden. Der Grundsatz pacta sunt servanda zielt also schon von Völkerrechts wegen gar nicht darauf ab, einzelne Staatsorgane zu einem bestimmten Verhalten anzuhalten und kann auch deshalb nicht über Art. 25 GG eine unmittelbare innerstaatliche Maßgeblichkeit nicht transformierter völkerrechtlicher Verträge bewirken. Das Völkerrecht beschränkt sich darauf, ein völkervertragswidriges Verhalten einzelner staatlicher Gerichte oder anderer Staatsorgane dadurch zu sanktionieren, indem es den betreffenden Staat, dem das völkerrechtswidrige Verhalten zuzurechnen ist, völkerrechtlich haftbar macht. 8. Zur Frage einer Verpflichtung deutscher Gerichte zur Anerkennung von Exemtionen aufgrund des völkerrechtlichen Prinzips „estoppel“ In der deutschen völkerrechtlichen Literatur wurde die Frage aufgeworfen, ob die deutschen Strafverfolgungsbehörden unter Umständen aufgrund des völkergewohnheitsrechtlichen Prinzips „estoppel“ zur Anerkennung einer Exemtion bestimmter Personen von der deutschen Strafgerichtsbarkeit verpflichtet sein könnten.289 Da diese Überlegungen insbesondere im Zusammenhang mit dem Fall Tabatabai angestellt wurden, vor allem für Mitglieder von temporären Delegationen ___________ Vgl. auch BT-Drucks. 8/3232, S. 6 ff. So im Ergebnis auch BVerfGE 6, 309 (362 f.); BVerfGE 31, 145 (178); Bockslaff/ Koch, NJW 1984, 2742 (2743); Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (267 f.); Koenig, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 25 Rn. 14, 18; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 76; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 25 Rn. 29 f. 287 288
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fremder Staaten praktische Relevanz erlangen können und juristisch eng mit der soeben angesprochenen Frage einer Relevanz der Maxime pacta sunt servanda zusammenhängen, soll auf die bereits oben in § 2 V. kurz erörterte Frage einer Pflicht zur Immunitätsgewährung aufgrund des Prinzips „estoppel“ an dieser Stelle etwas ausführlicher eingegangen werden. Das Prinzip „estoppel“ besagt, daß ein Völkerrechtssubjekt, das im völkerrechtlichen Verkehr einen bestimmten schutzwürdigen Vertrauenstatbestand setzt, verpflichtet ist, sich diesem entsprechend zu verhalten. Wenn ein Staat explizit oder konkludent kundtut, sich zukünftig in einer bestimmten Art und Weise verhalten zu wollen, und die Modalitäten und der Inhalt der Kundgabe so sind, daß andere Völkerrechtssubjekte legitimerweise darauf vertrauen dürfen, daß sich der Staat tatsächlich in der geäußerten Art und Weise verhalten wird, so ist der betreffende Staat völkerrechtlich verpflichtet, sich seiner Ankündigung entsprechend zu verhalten. Tut er dies nicht, so enttäuscht er berechtigtes Vertrauen anderer Völkerrechtssubjekte in sein zukünftiges Verhalten und ist den anderen Staaten für den Schaden verantwortlich, der diesen durch Dispositionen, die sie im Vertrauen auf das zu erwartende Verhalten getätigt haben, entstanden ist. Auch die deutsche Rechtsordnung kennt dieses Prinzip, in der deutschen verfassungsrechtlichen Terminologie wird vom „Prinzip des Vertrauensschutzes“ als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips gesprochen. Die negative Kehrseite des Prinzips „estoppel“ ist das Verbot des venire contra factum proprium.290 Das mit dem Fall Tabatabai befaßte LG Düsseldorf lehnte einen für das Gericht beachtlichen und aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgenden Anspruch des Irans auf Gewährung von Immunität bereits mit dem Argument ab, der Iran habe die Vereinbarung mit der Bundesrepublik lediglich aufgrund der Verhaftung Tabatabais geschlossen. Es bedürfe daher keines Vertrauensschutzes.291 Das LG Düsseldorf ging offensichtlich davon aus, daß ein berechtigtes Vertrauen des Iran durch Versagung von Immunität nicht habe enttäuscht werden können, weil der Iran Tabatabai ohne Rücksicht auf eine bestimmte Aufgabe der deutschen Strafgerichtsbarkeit entziehen wollte. Diese Argumentation des LG Düsseldorf ist zutreffend, denn eine Immunität ad personam, die keine besondere Aufgabe schützen soll, ist von Völkerrechts wegen nicht schutzwürdig. Zwar mag der Iran auf die ___________ Vgl. Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (266 ff.); Herdegen, Special Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 574 (576); Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 91 ff.; Zuck, EuGRZ 1983, 163 (163). 290 Vgl. zum Prinzip „estoppel“ IGH, ICJ-Reports 1962, 6 (143 f.) (Sondervotum Judge Spender); Brownlie, International Law, S. 615 f.; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 18 Rn. 7; Müller/Cottier, Estoppel, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 116 (116 ff.). Die Bezeichnung „estoppel“ ist der englischen Wendung “to be estopped” im Sinne eines „präkludiert sein“ entlehnt (dem Staat, der einen Vertrauenstatbestand gesetzt hat, ist die Befugnis abgeschnitten, sich entgegen seiner Ankündigung zu verhalten). 291 Vgl. LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (449). 289
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immunitätsbegründende Wirkung der Vereinbarung vertraut haben, doch war dieses Vertrauen nicht schutzwürdig. Hier allerdings gilt es, die grundsätzliche Frage zu klären, ob das Prinzip „estoppel“ überhaupt zu einer unmittelbaren Verpflichtung der deutschen Strafverfolgungsbehörden führen kann, bestimmten Personen Exemtionen von deutscher Strafgerichtsbarkeit zuzuerkennen. Das Prinzip „estoppel“ kann in bezug auf völkerrechtliche Exemtionen bei zwei verschiedenen Fallkonstellationen von Relevanz sein. Zum einen ist der Fall denkbar, daß völkerrechtlich vertretungsbefugte Organe der Bundesrepublik mit einem anderen Staat eine als völkerrechtlichen Vertrag zu bewertende Vereinbarung schließen, in der sich Deutschland verpflichtet, bestimmten Personen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu gewähren.292 Hier stellt sich die Frage, ob das völkergewohnheitsrechtliche Prinzip „estoppel“ über Art. 25 GG für die deutschen Strafverfolgungsbehörden unmittelbar beachtlich ist und dazu führt, daß die Strafverfolgungsbehörden als Teil der deutschen Staatsorganisation aufgrund des durch den Vertrag gesetzten Vertrauenstatbestands verpflichtet sind, die vereinbarten Exemtionen auch dann zu gewähren, wenn der Vertrag nicht in grundgesetzkonformer Weise nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in das deutsche Recht überführt wurde. Bei dieser Konstellation geht es – wie unschwer zu erkennen ist – in identischer Weise um die Frage des Schutzes berechtigten Vertrauens wie bei der oben diskutierten Frage der Relevanz des Grundsatzes pacta sunt servanda. Insofern sind die Schutzgehalte des Prinzips „estoppel“ und des Grundsatzes pacta sunt servanda identisch. Damit aber muß aus denselben Gründen, aus denen oben eine Pflicht der deutschen Strafverfolgungsbehörden zur Gewährung von Exemtionen aufgrund des Grundsatzes pacta sunt servanda verneint wurde, auch hier eine solche Pflicht verneint werden. Weil Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ansonsten leerliefe und der in dieser Norm zum Ausdruck gebrachte Grundsatz der Gewaltenteilung mißachtet würde, kann Art. 25 GG nicht so verstanden werden, daß durch diese Norm das völkergewohnheitsrechtliche Prinzip „estoppel“ mit der hier geschilderten Folge einer Beachtlichkeit völkervertraglich vereinbarter Exemtionen für deutsche Strafverfolgungsbehörden trotz unterbliebener parlamentarischer Zustimmung nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG Eingang in die deutsche Rechtsordnung findet.293 Bezogen auf den Fall Tabatabai folgt aus diesen Feststellungen, daß die deutsch-iranische Über-
___________ Durch ein Handeln von Staatsorganen, die das Völkerrecht nicht als ohne weiteres vertretungsbefugt ansieht (vgl. Art. 7 WVRK), kann von vornherein kein nach Völkerrecht schutzwürdiger Vertrauenstatbestand begründet werden. 293 So auch Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (267 f.) und Rojahn, in: von Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, Art. 25 Rn. 11. 292
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einkunft für die deutschen Gerichte auch nicht über das Prinzip „estoppel“ beachtlich war.294 Zum anderen ist die Fallkonstellation denkbar, daß Funktionsträger der Bundesrepublik Deutschland gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten zwar nicht durch einen (verfassungswidrigen) Abschluß einer exemtionsbegründenden völkervertraglichen Vereinbarung einen völkerrechtlich relevanten Vertrauenstatbestand setzen, wohl aber durch einseitige explizite oder konkludente Erklärungen. In einem solchen Fall steht der auf völkerrechtliche Verträge bezogene Art. 59 Abs. 2. Satz 1 GG jedenfalls nicht unmittelbar einer Beachtlichkeit einer solchen Erklärung für die deutschen Strafverfolgungsbehörden aufgrund des (über Art. 25 GG als Bestandteil des Bundesrechts geltenden) Prinzips „estoppel“ entgegen. Müssen – konkret gefragt – die deutschen Strafverfolgungsbehörden aufgrund des Prinzips „estoppel“ der Person X Exemtion von deutscher Strafgerichtsbarkeit gewähren, wenn der deutsche Außenminister bei einem Besuch im Heimatstaat A-Land des X dem Außenminister von A-Land mündlich versichert, X werde, wenn er in die Bundesrepublik reise, „nichts passieren“, er als Außenminister werde dafür sorgen, daß X in Deutschland nicht verhaftet und dort kein Strafverfolgung gegen ihn betrieben werde? In der Literatur wird diese Frage zum Teil bejaht. So ist Bothe der Auffassung, wenn ein Staat einem anderen gegenüber signalisiere, eine Strafverfolgung einer Person nicht durchzuführen, sollte sich dieser in seinen Machtbereich begeben, so werde hierdurch ein rechtsverbindlicher Vertrauenstatbestand geschaffen, der eine dennoch durchgeführte Strafverfolgung unzulässig mache.295 Es gilt jedoch zu differenzieren zwischen der völkerrechtlichen Rechtslage einerseits und der innerstaatlichen deutschen Rechtslage andererseits. Im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und dem A-Land entfaltet die Erklärung des deutschen Außenministers völkerrechtliche Bindungswirkung über das Prinzip „estoppel“. Mit seiner Erklärung setzt der Außenminister einen Vertrauenstatbestand, auf den A-Land legitimerweise vertrauen darf. A-Land darf aufgrund der Erklärung davon ausgehen, daß X, wenn er in die Bundesrepublik reist, dort strafrechtlich nicht behelligt wird. Sollte X dennoch in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden, so ist Deutschland als Völkerrechtssubjekt dem A-Land gegenüber für das insofern völkerrechtswidrige Verhalten verantwortlich. Aber dennoch ist die Erklärung für die deutschen Strafverfolgungsbehörden nicht über Art. 25 GG in Verbindung mit dem Prinzip „estoppel“ verbindlich. Für ___________ So im Ergebnis auch LG Düsseldorf, EuGRZ 1983, 440 (449) und Quarch, Immunität der Sondermissionen, S. 93. A.A. aber offenbar Herdegen, Special Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 574 (576). 295 Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (266, 268 f.). Ebenso wohl auch Herdegen, Special Missions, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 574 (576). 294
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die deutschen Strafverfolgungsbehörden ist eine solche Erklärung vielmehr unbeachtlich. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Auf der Ebene des nationalen deutschen Rechts steht zwar der Maßgeblichkeit solcher Erklärungen Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht direkt entgegen.296 Doch heißt dies noch nicht, daß damit die Annahme, Art. 25 GG verschaffe dem völkergewohnheitsrechtlichen Prinzip „estoppel“ mit der Folge Eingang in die deutsche Rechtsordnung, daß die deutschen Strafgerichte eine von der deutschen Exekutive anderen Völkerrechtssubjekten gegenüber abgegebene einseitige Exemtionszusage zu beachten hätten, verfassungsrechtlich statthaft ist.297 Diese Annahme ist nämlich mit dem unter anderem in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Gewaltenteilung unvereinbar.298 Die deutschen Gerichte sind nach Art. 97 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG nur an „Gesetz und Recht“ gebunden. Damit wird einer Bindung an autonome Entscheidungen der Exekutive eine Absage erteilt. Der Grundsatz der Gewaltenteilung als ein Fundamentalprinzip des Grundgesetzes besagt, daß die Exekutive nicht bzw. nicht ohne ausdrückliche Gestattung durch die Legislative für die Judikative verbindliches Recht setzen kann.299 Wenn man aber annähme, das Prinzip „estoppel“ verpflichte über Art. 25 GG die deutschen Gerichte, sich entsprechend den von der Exekutive im völkerrechtlichen Verkehr getätigten einseitigen Erklärungen zu verhalten, so würde dies im Ergebnis eine Bindung der Judikative an autonome Entscheidungen der Exekutive und eine Möglichkeit der Exekutive, ohne Rücksicht auf Art. 80 Abs. 1 GG Recht zu setzen, bedeuten. Die Bundesregierung als Exekutive könnte zwar nicht direkt die deutschen Strafgerichte verpflichten, in einer bestimmten Weise tätig zu werden, vor allem, in einem bestimmten Fall von einer Strafverfolgung abzusehen, wohl aber könnte sie dies indirekt tun, indem sie gegenüber einem anderen Völkerrechtssubjekt erklärte, Deutschland werde sich in einer bestimmten Art und Weise verhalten. Damit aber wäre der Grundsatz der Gewaltenteilung aufgehoben.300 ___________ Vgl. BVerfGE 68, 1 (84 ff.) = NJW 1985, 603 (604 f.). So aber Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (268) und Rojahn, in: von Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, Art. 25 Rn. 11. 298 Im Ergebnis wie hier Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 10 und Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 59 Rn. 43 f., die allerdings nicht auf den Grundsatz der Gewaltenteilung abstellen, sondern Art. 59 Abs. 2 GG analog anwenden wollen. Gegen eine analoge Anwendung des Art. 59 Abs. 2 GG auf einseitige Akte der Exekutive aber BVerfGE 68, 1 (84 ff.) = NJW 1985, 603 (604 f.). 299 Vgl. Detterbeck, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 97 Rn. 13. 300 Gegen diese Feststellungen kann nicht der Einwand erhoben werden, wenn man im völkerrechtlichen Verkehr abgegebene Erklärungen der Bundesregierung nicht innerstaatlich (über das Prinzip „estoppel“) anerkenne, werde dadurch in die ebenfalls verfassungsrechtlich gewährleistete außenpolitische Dispositionsbefugnis der Exekutive eingegriffen. So aber Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (268). Denn diese außenpolitische Dispositionsbefugnis besteht nur im Rahmen der Verfassungsordnung und der Gesetze der Bundesrepu296 297
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Als Fazit ist damit – wie schon oben in § 2 V. – festzuhalten, daß sich aus dem völkergewohnheitsrechtlichen Prinzip „estoppel“ zwar eine völkerrechtliche Bindung Deutschlands als Völkerrechtssubjekt ergeben kann, dieses Prinzip aber der Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit keine Schranken zu setzen vermag.301 9. Fazit der Untersuchung zur Reichweite völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen Als Fazit der Analyse des Völkergewohnheitsrechts kann folgendes festgehalten werden: Lediglich Mitglieder hochrangiger politischer Spezialmissionen genießen besondere Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Diese Freistellung von der Strafgewalt ist zudem eng begrenzt. Erstens beschränkt sie sich auf eine Unverletzlichkeit. Eine Befreiung von der Strafgerichtsbarkeit insgesamt wird nicht gewährt. Damit ist lediglich während der Dauer der Mission die Vornahme gegen die geschützte Person gerichteter freiheitsbeschränkender strafprozessualer Zwangsmaßnahmen untersagt, nicht aber schon die Durchführung eines Strafverfahrens als solches. Zweitens genießen nur diejenigen Mitglieder einer Spezialmission Unverletzlichkeit, die mit der Wahrnehmung der eigentlichen Aufgaben der Mission betraut sind, wobei es allerdings nicht darauf ankommt, ob die betreffende Person einen Diplomatenstatus besitzt oder nicht. “Members of the service staff”, mitreisende Familienangehörige und Privatbedienstete einzelner Mitglieder einer Spezialmission genießen keine besonderen Befreiungen. Und drittens ist allein der jeweilige Empfangsstaat zur Gewährung von Unverletzlichkeit verpflichtet, nicht aber ein Drittstaat, etwa ein Staat, dessen Gebiet auf der Reise zum oder vom Empfangsstaat zurück in den Heimatstaat durchquert wird. Auch der Strafgerichtsbar___________ blik. Sie bedeutet nicht, wie auch Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zeigt, daß die Exekutive zur Verwirklichung ihrer außenpolitischen Ziele mit innerstaatlicher Verbindlichkeit Recht setzen kann. 301 A.A. Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (269) und Rojahn, in: von Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, Art. 25 Rn. 11. Dieses Ergebnis scheint nur auf den ersten Blick widersprüchlich zu sein. Die Möglichkeit einer Diskrepanz zwischen einer völkerrechtlichen Verpflichtung eines Staates und einer Bindung seiner Staatsorgane ist dem Völkerrecht nicht fremd, sie folgt daraus, daß das Völkerrecht und das nationale Recht der einzelnen Staaten nicht Teile einer einheitlichen Rechtsordnung, sondern zwei verschiedene Rechtsordnungen sind, wobei das Völkerrecht nicht automatisch ihm widersprechendes nationales Recht derogiert oder ergänzt, sondern es Aufgabe des nationalen Rechts ist, ein völkerrechtskonformes Verhalten der Organe des eigenen Staates und der Rechtsunterworfenen sicherzustellen. Vgl. Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 24 ff. Eine solche Diskrepanz zwischen völkerrechtlicher Verpflichtung und nationaler, für die Gerichte maßgeblicher Rechtslage kann vor allem dann entstehen, wenn ein Staat einen völkerrechtlichen Vertrag ratifiziert, damit im Außenverhältnis an den Vertrag gebunden ist, aber die nach nationalem Recht für eine innerstaatliche Verbindlichkeit der vertraglichen Regelungen erforderliche parlamentarische Zustimmung nicht zustande kommt. In der Praxis wird eine solche Situation jedoch dadurch verhindert, daß Verträge stets erst nach erfolgter parlamentarischer Zustimmung ratifiziert werden, sofern eine solche vom nationalen Recht für eine innerstaatliche Verbindlichkeit der vertraglichen Regelungen verlangt wird.
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keit internationaler Strafgerichtshöfe, namentlich der Gerichtsbarkeit des IStGH, setzt die Exemtion keine Schranke. Allerdings können sich Mitglieder von Spezialmissionen – wie jeder staatliche Funktionsträger – auf die Staatenimmunität berufen. Eine Strafverfolgung wegen hoheitlich-dienstlicher Handlungen für den Entsendestaat ist also auf jeden Fall ausgeschlossen. In den Genuß dieser Exemtion, nicht aber weitergehender Befreiungen, kommen auch die Mitglieder administrativ-technischer Spezialmissionen. Sofern Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Minister selbst an einer Spezialmission teilnehmen, kommen sie zusätzlich in den Genuß der ihnen aufgrund ihrer Eigenschaft als Staatsoberhaupt, Regierungschef bzw. Minister zu gewährenden umfassenden Immunität ratione personae.
V. Exemtionen für Mitglieder von Spezialmissionen aufgrund nationaler deutscher Rechtsnormen Wenngleich sich die vorliegende Untersuchung ausschließlich mit völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit befaßt, so soll doch aufgrund des engen Sachzusammenhangs mit den völkerrechtlichen Exemtionen auch an dieser Stelle noch einmal auf § 20 Abs. 1 GVG hingewiesen werden.302 Auch aus dieser Vorschrift des nationalen deutschen Rechts kann sich nämlich im Einzelfall – unabhängig vom Völkerrecht – eine Exemtion für Mitglieder von Spezialmissionen von deutscher Strafgerichtsbarkeit ergeben.303 Allerdings werden auch von § 20 Abs. 1 GVG nur Mitglieder hochrangiger politischer Spezialmissionen erfaßt, nicht auch Mitglieder administrativ-technischer Missionen. Denn die Beschränkung der Exemtion auf „Repräsentanten anderer Staaten“ bringt zum Ausdruck, daß nicht sämtliche eingeladene Funktionsträger eines anderen Staates, sondern nur solche, die gewissermaßen einen fremden Staat in seiner Gesamtheit vertreten, erfaßt werden sollen.304 Insofern ist § 20 Abs. 1 GVG im gleichen Sinne zu interpretieren wie Art. 1 lit. a) CSM. Besonders hinzuweisen ist im vorliegenden Zusammenhang darauf, daß § 20 Abs. 1 GVG – anders als das Völkergewohnheitsrecht – den Mitgliedern hochrangiger politischer Spezialmissionen, die sich auf amtliche Einladung der Bundesrepublik in Deutschland aufhalten, vollständige Befreiung von der deutschen Gerichtsbarkeit, also eine Immunität ratione personae, einräumt. Für die deutsche Strafrechtspraxis bedeutet dies, daß in den meisten Fällen Mitglieder hochrangiger politischer Spezialmissionen fremder Staaten bei einem Aufenthalt in Deutschland zwar nach Völkergewohnheitsrecht nur Unverletzlich___________ Siehe zu § 20 Abs. 1 GVG schon oben § 3 II.2.b) und § 17 II. Vgl. hierzu schon Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 350 Fn. 1528, S. 370 Fn. 1604. 304 So auch BL-ZPO-Albers, § 20 GVG Rn. 1; MK-ZPO-Wolf, § 20 GVG Rn. 2. 302 303
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keit und damit eine Freistellung von strafprozessualer Zwangsgewalt genießen, ihnen aber – insofern über das völkerrechtlich Gebotene hinausgehend – aufgrund § 20 Abs. 1 GVG, also aufgrund nationalen deutschen Rechts, umfassende Immunität zukommt, so daß über das Verbot der Ausübung strafprozessualer Zwangsgewalt hinaus alle strafrechtlichen Maßnahmen zur Ahndung einer der geschützten Person vorgeworfenen strafbaren Tat untersagt sind. Für den Fall Tabatabai allerdings spielte § 20 Abs. 1 GVG keine Rolle. Denn zum einen wurde diese Norm erst durch ein Gesetz vom 17. Juli 1984 geschaffen,305 zum anderen fehlte es im Fall Tabatabai an einer amtlichen Einladung Tabatabais durch die Bundesrepublik Deutschland.
___________ 305 Art. 4 Zweites Gesetz zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes vom 17.7.1984, BGBl. 1984 I, S. 990 (993). Die Regelung ist am 1.8.1984 in Kraft getreten.
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§ 19 Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen Der Kreis der Akteure auf völkerrechtlicher Ebene beschränkte sich – von einigen wenigen traditionellen Völkerrechtssubjekten wie dem Heiligen Stuhl abgesehen – bis weit in das 19. Jahrhundert hinein auf Staaten.1 Wesentliches Kennzeichen des modernen Völkerrechts ist dagegen die institutionalisierte Zusammenarbeit der Staaten im Rahmen von ihnen getragener internationaler Organisationen, die neben den Staaten als weitere Völkerrechtssubjekte, also als weitere Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten, in Erscheinung treten.2 Nachfolgend gilt es deshalb, diejenigen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu betrachten, die im Bereich internationaler Organisationen gewährt werden. Die Darstellung differenziert nach einer Einleitung (I.) zwischen Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen3 (II. und III.), Exemtionen für Staatenvertreter bei internationalen Organisationen (IV. und V.), Exemtionen für Beteiligte an Verfahren internationaler Gerichte (VI.) sowie sachbezogenen Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen (VII.). Weltweit gibt es zur Zeit etwa 400 internationale Organisationen.4 Für jede Organisation gelten andere Exemtionsregelungen.5 Die vorliegende Untersuchung kann daher lediglich übereinstimmende Grundstrukturen der Exemtionsbestimmungen skizzieren sowie exemplarisch die Exemtionsregelungen für einige wenige Organisationen darstellen. Näher betrachtet werden zum einen die Exemtionsregelungen für den Bereich der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen. Denn die Exemtionsregelungen dieser besonders wichtigen universellen Organisationen haben „Vorbildcharakter“. Die Regelungen für andere Organisationen orientieren sich häufig an den Bestimmungen für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen, vielfach werden diese sogar mutatis mutandis übernommen. ___________ 1 Vgl. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 31 Rn. 2 ff.; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 1 ff.; Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rn. 16 ff. 2 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 212 ff.; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 31 Rn. 3 f.; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 1 ff. 3 Der Begriff „Funktionsträger einer internationalen Organisation“ wird nachfolgend auf alle Personen bezogen, die unmittelbar für eine internationale Organisation tätig sind, ohne als entsandte Vertreter eines Staates angesehen werden zu können. Zu den Funktionsträgern werden damit neben den Beamten und Angestellten einer Organisation und den Richtern eines internationalen Gerichts (den „Bediensteten“) auch die im Rahmen eines zeitlich und sachlich begrenzten Auftrags für eine internationale Organisation tätigen Personen (namentlich im Auftrag einer Organisation tätige Sachverständige) sowie die unmittelbar von den Bürgerinnen und Bürgern der Mitgliedstaaten gewählten Abgeordneten eines parlamentarischen Organs einer internationalen Organisation gezählt. 4 Vgl. Cassese, International Law, S. 137; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 685. Die Zahlen differieren allerdings erheblich. So sprechen Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 11 und Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rn. 18 von 243 bzw. 260 internationalen Organisationen. 5 Vgl. unten § 19 I.2.c).
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Zum anderen werden die Exemtionen im Bereich der Europäischen Union, einiger internationaler Gerichte sowie der Polizeiorganisation Europol betrachtet. Denn diese Bestimmungen sind von besonderem wissenschaftlichem Interesse.6 Für die deutsche Strafrechtspraxis sind die völkerrechtlichen Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen allerdings bislang nahezu bedeutungslos geblieben. Veröffentlicht wurden lediglich zwei Gerichtsentscheidungen, die sich mit der Frage befassen, inwieweit deutsche Abgeordnete des Europäischen Parlaments mit einem Bußgeld wegen einer Ordnungswidrigkeit belegt werden dürfen.7 Dementsprechend finden sich auch in der deutschen strafrechtlichen und gerichtsverfassungsrechtlichen Literatur, auch in den Kommentierungen zu den §§ 18 ff. GVG, keine detaillierten Ausführungen zu diesen Exemtionen.8
I. Grundsätzliches zu den Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit im Bereich internationaler Organisationen 1. Begriff und Kennzeichen internationaler Organisationen a) Der Begriff „internationale Organisation“ Unter einer internationalen Organisation wird im Völkerrecht überwiegend ein durch einen völkerrechtlichen Vertrag gegründeter mitgliedschaftlich strukturierter Zusammenschluß von zwei oder mehr Völkerrechtssubjekten – in aller Regel Staaten – verstanden, der mit eigenen Organen ausgestattet ist, also über institutionelle Einrichtungen verfügt, eine gewisse Dauerhaftigkeit besitzt und bestimmten im gemeinsamen Interesse liegenden Aufgaben nachkommt.9 Mitglieder und Träger einer internationalen Organisation im Sinne dieser Definition sind also Völker___________ Die völkerrechtlichen Exemtionen, die Soldaten der Vereinten Nationen sowie Soldaten von Mitgliedstaaten der militärischen Bündnisse NATO und „Partnerschaft für den Frieden“ im Gebiet anderer Mitgliedstaaten genießen, werden unten in § 20 erörtert. 7 OLG Köln, NStZ 1987, 564 (564 f.); OLG Düsseldorf, NJW 1989, 2207 (2207). 8 Während sich weder bei MK-StGB-Ambos, vor § 3; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 und Jescheck/Weigend, Lehrbuch, im Kontext der Erörterung der Relevanz völkerrechtlicher Exemtionen für die deutsche Strafgewalt noch bei Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 20 GVG und KK-StPO-Pfeiffer, § 20 GVG Ausführungen zu den Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen finden, werden diese Exemtionen bei LR-StPOBöttcher, § 20 GVG Rn. 7; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 20 GVG Rn. 3 ff. und Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 15 ff. zwar angesprochen, doch beschränken sich die Ausführungen im wesentlichen auf eine Auflistung einschlägiger völkerrechtlicher Verträge. 9 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 202 ff.; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 6 Rn. 2 ff., § 31 Rn. 1; Herdegen, Völkerrecht, § 10 Rn. 3; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 123; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 12; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 684; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 800; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 4 ff. Siehe auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 208 ff. 6
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rechtssubjekte. Aufgrund der Gründung durch einen völkerrechtlichen Vertrag ist eine internationale Organisation im Sinne der vorstehenden Definition eine Rechtsfigur des Völkerrechts.10 Präzisierend wird eine solche internationale Organisation auch als “international governmental organization” oder “intergovernmental organization” bezeichnet.11 Damit soll eine Abgrenzung zu Organisationen vorgenommen werden, die zwar ebenfalls einen staatenübergreifenden Wirkungskreis haben, deren Mitglieder aber Privatpersonen aus verschiedenen Staaten sind, die sich zur Verfolgung eines politisch-gesellschaftlichen Zwecks auf der Basis des nationalen Rechts eines Staates zusammengeschlossen haben. Solche Organisationen werden als “international non-governmental organizations”, kurz „NGOs“, bezeichnet.12 Zum Teil werden auch NGOs unter die – dann als Oberbegriff verstandene – Bezeichnung „internationale Organisation“ gefaßt.13 In der vorliegenden Untersuchung wird der Begriff „internationale Organisation“ jedoch im Sinne der eingangs erwähnten Definition verstanden und bezieht sich nur auf “international governmental organizations”. Denn Mitgliedern von NGOs kommt, auch wenn ihre Tätigkeit vielfach im Interesse der Völkergemeinschaft liegt, keine völkerrechtliche Sonderstellung zu; sie genießen keine völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit.14 Unter den hier verwendeten Begriff „internationale Organisation“ fallen auch die supranationalen Organisationen. Hierunter werden internationale Organisationen verstanden, deren Rechtsakte nicht nur für die Mitglieder als Völkerrechtssubjekte maßgeblich sind (also nicht nur die beteiligten Staaten und gegebenenfalls anderen Völkerrechtssubjekte als solche berechtigen oder verpflichten), sondern deren Akte in die Rechtsordnungen der Mitglieder hineinwirken, unmittelbare rechtliche Verbindlichkeit in den Mitgliedstaaten entfalten und einzelne Menschen unmittelbar berechtigen oder verpflichten, ohne daß es zusätzlicher staatlicher Rechtsakte bedarf.15 Im Hinblick auf die völkerrechtlichen Exemtionen wird jedoch zwischen „klassischen“ internationalen Organisationen und supranationalen Organisationen zumindest derzeit kein Unterschied gemacht. Allerdings hat die rechtspolitische Diskussion, die in den vergangenen Jahren über die Exemtionen für Bedienstete von ___________ Vgl. Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 12. Vgl. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 6 Rn. 1; Herdegen, Völkerrecht, § 10 Rn. 1; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 2 f. 12 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 231 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 197 ff.; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 6 Rn. 19 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 10 Rn. 10 f.; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 18. 13 So etwa Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 210 f.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 196; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 6 Rn. 1. 14 Vgl. Voß, Europol, S. 40; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 3. 15 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 221; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 6 Rn. 15 f., § 31 Rn. 8; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 14. 10 11
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Europol geführt wurde,16 gezeigt, daß Exemtionen für Bedienstete supranationaler Organisationen zumindest dann, wenn ihnen hoheitliche Vollstreckungsbefugnisse (operative Befugnisse) gegenüber Einzelpersonen zugebilligt werden (sollen), vielfach als rechtspolitisch inakzeptabel angesehen werden.17 Die Rechtsstellung internationaler Gerichte ist unterschiedlich ausgestaltet. Zum Teil sind sie eigenständige internationale Organisationen. Dies ist zumeist dann der Fall, wenn sie durch einen besonderen völkerrechtlichen Vertrag gegründet wurden. So ist beispielsweise der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) – wie sich auch aus Art. 4 IStGH-Statut18 ergibt – eine (selbständige) internationale Organisation.19 Auch der in Hamburg ansässige Internationale Seegerichtshof (ISGH)20 ist eine eigenständige internationale Organisation.21 Dagegen ist der IGH gemäß Art. 7 Abs. 1 UN-Charta „lediglich“ ein Organ der Vereinten Nationen.22 Die Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda (ICTY und ICTR) sind ebenfalls keine internationalen Organisationen, sondern als vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ins Leben gerufene Instanzen als Hilfsorgane des Sicherheitsrates und damit als Teil der Vereinten Nationen einzustufen.23 Auch der Europäische Gerichtshof ist nur ein unselbständiges Organ, und zwar gemeinsames Organ der Europäischen Gemeinschaften.24 b) Abgrenzung: Atypische Völkerrechtssubjekte Neben den Staaten und den internationalen Organisationen gibt es noch einige „atypische“ Völkerrechtssubjekte, denen aus historischen Gründen Völkerrechtssubjektivität zukommt und denen bzw. deren Funktionsträgern zum Teil gleichfalls völkerrechtliche Exemtionen gewährt werden. Zu nennen sind das Internationale Komitee des Roten Kreuzes und der Heilige Stuhl.25 Diese atypischen Völkerrechts___________ Vgl. unten § 19 II.5.b)bb). Auf diese Diskussion wird unten bei § 19 II.5.b)bb) zurückzukommen sein. 18 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17.7.1998; BGBl. 2000 II, S. 1393 = BT-Drucks. 14/2682 = ILM 37 (1998), 999. 19 Vgl. Ascensio, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 290; Lüder, HuV-I 2001, 136 (136 ff.); Oellers-Frahm, EuGRZ 2003, 107 (110); Tolbert, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 48 Rn. 1. 20 Vgl. Anlage VI (Statut des Internationalen Seegerichtshofs) zum Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10.12.1982; BGBl. 1994 II, S. 1799 = UNTS 1833, 3 = „Sartorius II“ Nr. 350. 21 Vgl. Akl, Max Planck Yearbook of United Nations Law 2 (1998), 341 (343 f.); Talmon, JuS 2001, 550 (550); Wolfrum, VN 1996, 205 (206). 22 Vgl. Oellers-Frahm, EuGRZ 2003, 107 (108). 23 Vgl. Oellers-Frahm, EuGRZ 2003, 107 (109). 24 Vgl. Art. 220 ff. EGV und Art. 136 ff. Euratom-Vertrag (siehe unten Anm. 90 ff.). 25 Vgl. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 8 Rn. 1 ff.; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 41 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 9 Rn. 1 ff.; Stein/von 16 17
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subjekte stehen, da ihnen wie internationalen Organisationen keine Territorialhoheit zukommt, in gewisser Nähe zu den internationalen Organisationen, weshalb sie und die ihnen zukommenden Exemtionen an dieser Stelle kurz erwähnt werden sollen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ist eine privatrechtliche Vereinigung nach Schweizer Recht mit Sitz in Genf.26 Dennoch wird das IKRK nicht wie eine NGO behandelt, sondern traditionell als Völkerrechtssubjekt angesehen.27 Denn die Staaten haben dem IKRK in verschiedenen Verträgen des Humanitären Völkerrechts humanitäre Aufgaben bei bewaffneten Konflikten zugedacht und das IKRK insofern mit eigenen völkerrechtlichen Rechten versehen. So ist das IKRK etwa nach dem GA IV und dem ZP I mit besonderen völkerrechtlichen Rechten zur Betreuung von Kriegsgefangenen ausgestattet.28 Das IKRK und seine Funktionsträger genießen jedoch, sofern nicht mit einzelnen Staaten bilaterale Vereinbarungen getroffen werden,29 keine völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit.30 ___________ Buttlar, Völkerrecht, Rn. 484 ff. Ein weiteres atypisches Völkerrechtssubjekt ist der Souveräne Malteser Orden; vgl. diesbezüglich Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 323 ff.; Epping, a.a.O., § 8 Rn. 10; Hailbronner, a.a.O., 3. Abschn. Rn. 43. 26 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 337; de Weck, Vorrechte und Befreiungen zugunsten des IKRK, S. 131 ff. 27 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 332; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 8 Rn. 6; Herdegen, Völkerrecht, § 9 Rn. 3; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 151; Peterke, HuV-I 2001, S. 179 (179); de Weck, Vorrechte und Befreiungen zugunsten des IKRK, S. 191 ff. Vom IKRK sind die nationalen Rotkreuzgesellschaften (wie etwa das Deutsche Rote Kreuz) klar zu trennen. Die nationalen Gesellschaften sind privatrechtliche Vereinigungen ohne völkerrechtliche Sonderstellung; vgl. de Weck, a.a.O., S. 119 ff. 28 Vgl. Herdegen, Völkerrecht, § 9 Rn. 3; Peterke, HuV-I 2001, S. 179 (179); de Weck, Vorrechte und Befreiungen zugunsten des IKRK, S. 412 ff. 29 Das IKRK hat mit einer Reihe von Staaten, in denen es tätig ist, als völkerrechtliche Verträge zu klassifizierende bilaterale Vereinbarungen getroffen, die unter anderem eine Freistellung der Funktionsträger des IKRK von der Strafgerichtsbarkeit des betreffenden Staates in bezug auf dienstliche Handlungen – also Immunität ratione materiae – vorsehen. Vgl. diesbezüglich Peterke, HuV-I 2001, S. 179 (179) und de Weck, Vorrechte und Befreiungen zugunsten des IKRK, S. 503 ff. Mit Deutschland existiert aber keine derartige Vereinbarung. 30 A.A. trotz Fehlens von Exemtionsbestimmungen zugunsten des IKRK in den Verträgen des Humanitären Völkerrechts aber de Weck, Vorrechte und Befreiungen zugunsten des IKRK, S. 398 f., 439 ff. (der allerdings selbst feststellt, daß es „auf diese Frage keine eindeutige Antwort gibt“, a.a.O., S. 439). De Weck geht davon aus, daß internationale Organisationen und ihre Bediensteten qua Völkergewohnheitsrecht Immunität ratione materiae für ihre aufgabenbezogenen Handlungen genießen. Er vertritt die Auffassung, dieser Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts müsse auch für das IKRK und seine Funktionsträger gelten. Die Staaten, die die Tätigkeit des IKRK durch Ratifikation von Verträgen des Humanitären Völkerrechts, die dem IKRK völkerrechtliche Funktionen zuerkennen, anerkannt hätten, müßten dem IKRK und seinen Funktionsträgern mithin Immunität ratione materiae insoweit zubilligen, als es um die völkerrechtlich anerkannten Aufgaben des
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Der Heilige Stuhl, das Oberhaupt der Katholischen Kirche, personalisiert durch den Papst, ist von dem Mikrostaat Vatikanstadt zu unterscheiden.31 Der Staat Vatikanstadt wurde durch den Lateranvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien von 1929 geschaffen. Er ist völkerrechtlich, auch in bezug auf völkerrechtliche Exemtionen, wie jeder andere Staat zu behandeln.32 Staatsoberhaupt der Vatikanstadt ist der Papst, dem als solchem die Staatsoberhäuptern zustehenden Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zukommen. Der Papst genießt damit uneingeschränkte Immunität ratione personae gegenüber der Strafgewalt jedes anderen Staates. Aber auch der Heilige Stuhl wird in bezug auf völkerrechtliche Exemtionen wie ein Staat behandelt, wenngleich er über kein eigenes Territorium verfügt.33 Der Heilige Stuhl unterhält – anders als der Staat Vatikanstadt34 – wie Staaten diplomatische Beziehungen mit einem Großteil der Staaten der Welt; auf diese Beziehungen finden, wie aus Art. 16 Abs. 3 WÜD hervorgeht, die Normen des WÜD Anwendung.35 Auch die völkergewohnheitsrechtlichen Regeln über die Rechtsstellung von „Sonderbotschaftern“ finden auf temporäre Gesandte des Heiligen Stuhls in gleicher Weise wie auf solche von Staaten Anwendung.36 In seinen Beziehungen zu internationalen Organisationen wird der Heilige Stuhl gleichfalls wie ein Staat behandelt, und zwar, da er nur bei sehr wenigen Organisationen Mitglied ist, zumeist wie ein Drittstaat.37 ___________ IKRK gehe, das IKRK also durch seine Funktionsträger als Völkerrechtssubjekt handele. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Denn schon die Prämisse von de Weck vermag nicht zu überzeugen. Wie unten in § 19 I.2.a) gezeigt wird, kann nämlich von einer Existenz völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionen für internationale Organisationen und ihre Funktionsträger nicht ausgegangen werden. Auch die Schweiz als Sitzstaat des IKRK gewährt dem IKRK und seinen Funktionsträgern keine Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Es existiert kein entsprechender (völkerrechtlicher) Vertrag zwischen der Schweiz und dem IKRK (also kein „Headquarter Agreement“). Die Schweiz hat lediglich im Jahr 1958 dem IKRK gegenüber verbindlich erklärt, seine Tätigkeit in der Schweiz fördern und schützen zu wollen, ohne jedoch strafrechtlich relevante Exemtionen einzuräumen. Vgl. de Weck, a.a.O., S. 357 ff. (mit Wiedergabe des Textes der Erklärung auf S. 357). Peterke, HuV-I 2001, S. 179 (179 ff.) äußert sich gar nicht zur Frage gewohnheitsrechtlicher Exemtionen. 31 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 318 f.; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 8 Rn. 1 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 9 Rn. 1; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 147; Köck, Holy See, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 866 (866). 32 Vgl. Köck, Völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls, S. 148 ff. 33 Vgl. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 8 Rn. 3; Köck, Holy See, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 866 (868). Vgl. auch Art. 3 Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20.7.1933; RGBl. 1933 II, S. 679 (680). 34 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 320 Fn. 18. 35 Vgl. Köck, Völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls, S. 285 ff. (zur historischen Entwicklung des Gesandtschaftsrechts des Heiligen Stuhls vgl. Köck, a.a.O., S. 173 ff.). Der Heilige Stuhl ist Vertragspartei des WÜD und des WÜK; vgl. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 8 Rn. 3 und die Aufstellung zum Ratifizierungsstand im Internet unter (31.3.2006). 36 Vgl. Köck, Völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls, S. 293 ff. 37 Vgl. Köck, Völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls, S. 751 ff.
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c) Relevanz der partiellen Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen für die Reichweite von Exemtionen Im Zusammenhang mit der Frage nach völkerrechtlichen Exemtionen ist als allgemeines Kennzeichen internationaler Organisationen deren in zweifacher Hinsicht begrenzte Völkerrechtssubjektivität von Interesse. Anders als die Staaten sind internationale Organisationen nicht ohne weiteres auch Völkerrechtssubjekte. Internationalen Organisationen kommt nur dann und insoweit Völkerrechtssubjektivität zu, wenn und als ihnen von den Mitgliedern durch den Gründungsvertrag Völkerrechtssubjektivität verliehen wird.38 Wenn eine Organisation Völkerrechtssubjekt sein soll, ist dies zumeist explizit im Gründungsvertrag bestimmt.39 Sofern eine solche explizite Regelung fehlt, ist eine Einstufung vom Zweck und den Aufgaben der Organisation abhängig zu machen.40 Während die Völkerrechtssubjektivität der Staaten sachlich grundsätzlich nicht begrenzt ist, ist diejenige von internationalen Organisationen stets gegenständlich beschränkt. Internationalen Organisationen wird lediglich zur Erfüllung ihres Zwecks und zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben Völkerrechtssubjektivität verliehen. Sie besitzen allenfalls partielle Völkerrechtssubjektivität.41 Lediglich Akte, die mit dem Zweck der Organisation vereinbar sind und der Erfüllung der Aufgaben der Organisation dienen, können völkerrechtliche Wirksamkeit entfalten; sonstige Akte sind als „ultra vires-Akte“ für die übrigen Völkerrechtssubjekte – auch die Mit-
___________ Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 217 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 197; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, vor § 4, § 4 Rn. 7, § 6 Rn. 5; Hobe/ Kimminich, Völkerrecht, S. 123; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 13, 93 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 603 f., 808, 813. 39 Vgl. Herdegen, Völkerrecht, § 10 Rn. 4; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 693 f. Die Völkerrechtssubjektivität der UN wurde vom IGH im Fall Bernadotte im Jahr 1948 ausdrücklich bestätigt (ICJ-Reports 1949, 174 [179]); vgl. diesbezüglich auch Brownlie, International Law, S. 648 f. Die Völkerrechtssubjektivität der EG legt Art. 281 EGV fest. Dieser formuliert: „Die Gemeinschaft besitzt Rechtspersönlichkeit“; vgl. Simma/Vedder, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Recht der Europäischen Union, Bd. III, Art. 281 EGV Rn. 3. Die Völkerrechtssubjektivität des IStGH folgt aus Art. 4 IStGH-Statut: „Der Gerichtshof besitzt Völkerrechtspersönlichkeit. Er besitzt außerdem die Rechts- und Geschäftsfähigkeit, die zur Wahrnehmung seiner Aufgaben und zur Verwirklichung seiner Ziele erforderlich ist.“; vgl. Rückert, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 4 Rn. 4 ff. 40 Vgl. Cassese, International Law, S. 137; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 0105 (wo jeweils Kriterien für die Bejahung von Völkerrechtssubjektivität angeführt werden); Herdegen, Völkerrecht, § 10 Rn. 4; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 94. 41 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1996, 66 (78 f., Ziff. 25); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 211, 217 ff.; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 4 Rn. 6, § 6 Rn. 5; Herdegen, Völkerrecht, § 7 Rn. 3 ff., 9; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 123; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 95, 189; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 0314. 38
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gliedstaaten – (grundsätzlich) unbeachtlich und ohne völkerrechtliche Bindungswirkung.42 Dies hat unmittelbar Bedeutung für die Reichweite völkerrechtlicher Exemtionen für die Bediensteten internationaler Organisationen. Wie noch gezeigt wird, genießen Bedienstete internationaler Organisationen in aller Regel lediglich Immunität ratione materiae, also Immunität für Handlungen, die in amtlicher Eigenschaft und in Wahrnehmung von Aufgaben der Organisation vorgenommen werden.43 Da die Völkerrechtssubjektivität einer Organisation auf die ihr übertragenen Aufgaben beschränkt ist, können lediglich solche Aktivitäten ihrer Bediensteten als Diensthandlungen für die Organisation angesehen werden und unter besonderem völkerrechtlichem Schutz stehen, die sich im Rahmen der Aufgaben und damit der Völkerrechtssubjektivität der Organisation bewegen. Eine Strafverfolgung wegen einer Handlung, die zwar im Zusammenhang mit der Tätigkeit bei einer internationalen Organisation vorgenommen wurde, die aber nicht vom Aufgabenbereich der Organisation erfaßt ist, kann damit von vornherein nicht durch eine Immunität ratione materiae untersagt sein. d) Relevanz der partikularen Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen für die Reichweite von Exemtionen Da internationale Organisationen durch einen völkerrechtlichen Vertrag gegründet werden, völkerrechtliche Verträge aber gemäß Art. 34 WVRK nur für die Vertragsparteien Pflichten begründen können, brauchen sich Drittstaaten, also Staaten, die den Gründungsvertrag nicht ratifiziert haben, die Völkerrechtssubjektivität einer internationalen Organisation grundsätzlich nicht entgegenhalten zu lassen.44 Völkerrechtliche Rechte und Pflichten einer internationalen Organisation bestehen grundsätzlich nur im Verhältnis zu den Parteien des Gründungsvertrags; die Gründung einer internationalen Organisation ist für Drittstaaten eine rechtlich irrelevan___________ 42 Vgl. Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 98, 192 ff.; Simma/ Vedder, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Recht der Europäischen Union, Bd. III, Art. 281 EGV Rn. 9; Ukrow, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, Art. 281 Rn. 6 (bezogen auf die Europäischen Gemeinschaften), wo jeweils auch die Grenzen dieser zunehmend bezweifelten „ultra vires-Doktrin“ aufgezeigt werden. 43 Vgl. unten § 19 II.1.b)aa). 44 Doehring, Völkerrecht, Rn. 213; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 6 Rn. 5 ff., § 31 Rn. 38; Herdegen, Völkerrecht, § 7 Rn. 10; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 96; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 695; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 0702. Nach Ansicht des IGH im „BernadotteGutachten“ aus dem Jahr 1948 sollen jedoch die Vereinten Nationen objektive Völkerrechtspersönlichkeit besitzen, die auch gegenüber Drittstaaten wirkt; vgl. IGH, ICJ-Reports 1949, 174 (185). Diese Ausnahme ist aber nicht übertragbar. So auch Klein, a.a.O., 4. Abschn. Rn. 96. A.A. aber Jenks, International Immunities, S. 33 f. Differenzierend Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 226 ff.
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te res inter alios acta. Internationale Organisationen genießen daher nur eine partikulare Völkerrechtssubjektivität.45 Daraus folgt, daß für Drittstaaten grundsätzlich auch die völkerrechtlichen Exemtionen, die einer internationalen Organisation und ihren Funktionsträgern sowie den Staatenvertretern bei der Organisation (aufgrund des Gründungsvertrags oder eines zwischen den Mitgliedstaaten geschlossenen gesonderten Vertrags über Vorrechte und Befreiungen bzw. eines Vertrags zwischen der Organisation und ihrem Sitzstaat) zukommen, nicht beachtlich sind.46 Aber selbst dann, wenn ein Drittstaat die Völkerrechtssubjektivität einer internationalen Organisation anerkannt hat – dies kann auch konkludent geschehen, unter anderem durch Entsendung einer Beobachtermission zu der Organisation oder durch Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrags mit der Organisation47 –, folgt daraus nicht, daß auch er die einer Organisation, ihren Funktionsträgern und den Staatenvertretern bei der Organisation im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten zukommenden Exemtionen zu beachten hat. Denn durch eine Anerkennung der Völkerrechtssubjektivität einer internationalen Organisation akzeptiert ein Drittstaat lediglich die grundsätzliche Fähigkeit der Organisation, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Welche Pflichten aber konkret dem betreffenden Drittstaat gegenüber der internationalen Organisation obliegen, hängt davon ab, welche völkervertraglichen Bindungen der Drittstaat gegenüber der Organisation eingegangen ist.48 Da Drittstaaten weder Partei des Gründungsvertrags einer Organisation noch ___________ Vgl. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 4 Rn. 8, § 31 Rn. 38; Krück, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 281 Rn. 2, 6 (bezogen auf die Europäischen Gemeinschaften); Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 0321; SeidlHohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 815; Ukrow, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, Art. 281 Rn. 7 (bezogen auf die Europäischen Gemeinschaften). Herdegen, Völkerrecht, § 7 Rn. 10 spricht von „relativer Völkerrechtssubjektivität“. 46 So auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 221; Doehring, Völkerrecht, Rn. 686; Jaenicke, ZaöRV 14 (1951/52), 46 (59). A.A. aber Jenks, International Immunities, S. 34 und wohl auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 228 in bezug auf „die großen, universalen Organisationen“. Diese Auffassung geht jedoch fehl. Allenfalls könnte man annehmen, daß die Exemtionen im Bereich der Vereinten Nationen aufgrund der vom IGH angenommenen objektiven Völkerrechtssubjektivität der UN (vgl. oben Anm. 44) auch für Drittstaaten beachtlich sind; so etwa Szasz/Ingadottir, LJIL 14 (2001), 867 (869). Eine solche „Drittwirkung“ ist jedoch ohne praktische Relevanz, da nahezu alle Staaten der Welt Mitglieder der Vereinten Nationen sind. 47 Vgl. Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 0710 f.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 815. 48 Vgl. Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 0713, 0715; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 816 sowie Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 76 ff., der zutreffend darauf hinweist, daß zwischen der Völkerrechtsfähigkeit einer internationalen Organisation und ihrer Immunität keine logisch zwingende Verknüpfung besteht. Lediglich dann, wenn Exemtionen für internationale Organisationen, für ihre Bediensteten und für Staatenvertreter bei internationalen Organisationen Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts wären und dieses auch gegenüber Drittstaaten Geltung beanspruchte, könnte ein Drittstaat, sofern er die Völkerrechtssubjektivität einer internationalen Organi45
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eines eventuell existierenden gesonderten Vertrags sind, der die Vorrechte und Befreiungen im Bereich der Organisation gegenüber den Mitgliedstaaten regelt, ist ein Drittstaat nur dann zur Gewährung von Exemtionen für eine Organisation und deren Funktionsträger bzw. für die Staatenvertreter anderer Staaten bei der Organisation verpflichtet, sofern er selbst eine gesonderte vertragliche Vereinbarung mit der betreffenden internationalen Organisation geschlossen hat, die eine Pflicht zur Exemtionsgewährung normiert.49 Die Staatenvertreter von Drittstaaten, die die Völkerrechtssubjektivität einer internationalen Organisation anerkannt haben, können allerdings gegebenenfalls aufgrund von Regelungen des Gründungsvertrags, eines gesonderten Vertrags über Vorrechte und Befreiungen, der zwischen den Mitgliedstaaten der Organisation geschlossen worden ist, bzw. aufgrund eines Vertrags zwischen der Organisation und ihrem Sitzstaat in den Genuß von Vorrechten und Befreiungen gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Sitzstaates oder anderer Mitgliedstaaten kommen. Eine solche Regelung stellt nämlich einen Vertrag zugunsten Dritter dar, der gemäß Art. 36 WVRK auch im Völkerrecht statthaft ist.50 Die Tatsache, daß die völkerrechtlichen Exemtionen im Bereich einer internationalen Organisation der Strafgewalt von Drittstaaten grundsätzlich keine Schranken setzen, es sei denn, diese haben die Völkerrechtssubjektivität der Organisation anerkannt und sich zudem in besonderer Weise völkervertraglich zur Gewährung von Exemtionen verpflichtet, während die Mitgliedstaaten in aller Regel bereits aufgrund des Gründungsvertrags bzw. eines gesonderten Vertrags über Vorrechte und Befreiungen zur Gewährung von Exemtionen verpflichtet sind, gebietet es, bei der nachfolgenden Darstellung der Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen zu differenzieren zwischen Exemtionen gegenüber der Strafgerichtsbarkeit von Mitgliedstaaten (II.) und der von Drittstaaten (III.). Da Drittstaaten weder Vertragsparteien des Gründungsvertrags noch eines gegebenenfalls zwischen den Mitgliedern einer internationalen Organisation oder zwischen der Organisation und ihrem Sitzstaat geschlossenen besonderen Vertrags über Vorrechte und Befreiungen sind, können Staatenvertreter von Drittstaaten bei ___________ sation anerkannt hat, auch unabhängig von einer vertraglichen Vereinbarung zur Gewährung von Exemtionen verpflichtet sein. Wie aber unten in § 19 I.2.a) gezeigt wird, existieren für den Bereich internationaler Organisationen keine völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionsregeln, zumindest nicht solche, die auch gegenüber Drittstaaten Geltung beanspruchen. 49 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 221; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 37 Rn. 10; Jaenicke, ZaöRV 14 (1951/52), 46 (59); Scobbie/El-Erian, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 846; Schweitzer, in: Grabitz/ Hilf (Hrsg.), Recht der Europäischen Union, Bd. III, Art. 291 EGV Rn. 4 (bezogen auf die Europäischen Gemeinschaften); Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1906 f. A.A. aber Jenks, International Immunities, S. 34. 50 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 344 ff.; Köck/Fischer/Lengauer, Recht der Internationalen Organisationen, S. 576 f.
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einer internationalen Organisation anders als die Staatenvertreter von Mitgliedstaaten nur dann in den Genuß von Exemtionen kommen, wenn eine entsprechende vertragliche Bestimmung in den genannten Instrumenten als Vertrag zugunsten Dritter ausgestaltet ist bzw. der Drittstaat mit dem Sitzstaat der Internationalen Organisation eine gesonderte vertragliche Vereinbarung geschlossen hat. Bei der Frage, inwieweit Staatenvertreter bei einer internationalen Organisation Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen, ist daher gleichfalls zu differenzieren, und zwar zwischen Staatenvertretern aus Mitgliedstaaten (IV.) und Staatenvertretern aus Drittstaaten (V.). 2. Rechtsquellen der Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen a) Völkergewohnheitsrechtliche Exemtionsregelungen Es ist umstritten, ob es Regeln des universellen Völkergewohnheitsrechts gibt, die einheitlich für den Bereich aller internationaler Organisationen Exemtionen für die Organisationen selbst, für ihre Funktionsträger sowie für Staatenvertreter bei internationalen Organisationen festlegen.51 ___________ Von einer völkergewohnheitsrechtlichen Geltung einer Immunität ratione materiae für Funktionsträger internationalen Organisation gehen aus Blokker/Schermers, in: Hafter u.a. (Hrsg.), FS Seidl-Hohenveldern, S. 37 (42); Brownlie, International Law, S. 652; Scobbie/El-Erian, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 840 f., 852 ff., 862 ff.; Szasz, International Organizations, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 1325 (1328) und Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 396 ff., 563 ff., 637 ff., 658. Ohne klare Aussagen zum genauen Exemtionsumfang für Funktionsträger ebenfalls für die Existenz völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen Akande, in: Evans (Hrsg.), International Law, S. 269 (287); Amerasinghe, Institutional Law of International Organizations, S. 397 ff.; American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 467 Comment a), § 469 Comment a); Bekker, Legal Position of Intergovernmental Organizations, S. 149 ff.; Bothe, ZaöRV 37 (1977), 122 (131); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 221; Sato, Immunität Internationaler Organisationen, S. 121 ff.; Schermers/Blokker, International Institutional Law, §§ 327, 1611; Cassese, International Law, S. 138; Seidl-Hohenveldern, AVR 4 (1953/54), 30 (45); ders., Immunität internationaler Organisationen, S. 14 f.; SeidlHohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1905; SeidlHohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1463, 1498 ff.; Tauchmann, Immunität internationaler Organisationen, S. 50 f. Schücking/Wehberg, Satzung des Völkerbundes, Bd. 1, S. 588 f. gingen für die Bediensteten des Völkerbundes sogar davon aus, daß diesen qua Völkergewohnheitsrecht diplomatische Immunität, also vollständige Immunität ratione personae zukam. Dagegen wird die Existenz völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionsregelungen verneint von Bleckmann, Internationale Beamtenstreitigkeiten, S. 39 ff.; Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 24 f.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 208, 686; Hailbronner, JZ 1998, 283 (285); Jaenicke, ZaöRV 14 (1951/52), 46 (58); Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 109; Martínez Soria, VerwArch 89 (1998), 400 (406); Sands/Klein, Bowett’s Law of International Institutions, Rn. 15-040; Schneider-Addae-Mensah, GYIL 45 (2002), 395 (396 f.); Voß, Europol, S. 160. 51
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In der Literatur wird argumentiert, die Existenz einer außervertraglichen vollständigen Immunität für internationale Organisationen selbst und als deren Konsequenz einer Immunität ratione materiae für ihre Funktionsträger liege „in der Natur der Sache“. Internationale Organisationen könnten die ihnen zugedachten Funktionen nur dann wahrnehmen, wenn sie bezüglich ihres aufgabengemäßen Handelns nicht der Hoheitsgewalt einzelner (Mitglied-)Staaten unterworfen seien. Wenn Staaten internationale Organisationen gründeten, müßten sie daher zwangsläufig deren Freistellung von nationaler Hoheitsgewalt akzeptieren und ihnen und ihren Funktionsträgern für ihr aufgabengemäßes Handeln Exemtionen zuerkennen.52 Die Befürworter der These einer völkergewohnheitsrechtlichen Geltung von Exemtionen verweisen ferner darauf, daß die völkervertraglichen Exemtionsregelungen für einzelne internationale Organisationen, die sich in den Gründungsverträgen, in gesonderten Abkommen über Vorrechte und Befreiungen sowie in Abkommen zwischen den Organisationen und ihren Sitzstaaten finden, einander sehr ähnlich seien.53 In der Tat stimmen die Exemtionsregelungen, die für die einzelnen Organisationen individuell vereinbart werden, in den Grundzügen vielfach überein, so daß es auch möglich ist, bestimmte gemeinsame Grundprinzipien herauszuarbeiten. So wird beispielsweise regelmäßig den Beamten und Angestellten internationaler Organisationen Immunität ratione materiae zuerkannt. Vor diesem Hintergrund könnte man argumentieren, es gebe eine übereinstimmende Auffassung unter den Staaten über die notwendigerweise im Bereich internationaler Organisationen zu gewährenden Exemtionen. Die gemeinsame Rechtsüberzeugung über die Gebotenheit bestimmter Exemtionen manifestiere sich in den einschlägigen vertraglichen Regeln für die einzelnen internationalen Organisationen, also in einer Staatenpraxis. Damit seien die Exemtionen, die im großen und ganzen für die meisten Organisationen übereinstimmend vertraglich vereinbart werden – etwa Immunität ratione materiae für Beamte und Angestellte internationaler Organisationen –, Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts.54 Doch wäre nicht nur der Schluß von einer übereinstimmenden Überzeugung der Staaten von der (rechtspolitischen) Gebotenheit bestimmter Exemtionen auf die Überzeugung von einer außervertraglichen Verpflichtung zu ihrer Gewährung gewagt. Es ist nämlich ebenso naheliegend, die Tatsache, daß bei der Gründung internationaler Organisationen zumeist detaillierte völkervertragliche Vereinbarungen über Exemtionen geschlossen wurden und werden, dahingehend zu inter___________ 52 Vgl. Brownlie, International Law, S. 652 f.; Seidl-Hohenveldern, Immunität internationaler Organisationen, S. 13 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1463, 1498 f. 53 Vgl. etwa Seidl-Hohenveldern, AVR 4 (1953/54), 30 (44); Szasz, International Organizations, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 1325 (1328); Tauchmann, Immunität internationaler Organisationen, S. 50 f. 54 Vgl. aber die Argumente gegen eine solche Begründung von völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen bei Bleckmann, Internationale Beamtenstreitigkeiten, S. 42 ff.
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pretieren, daß die beteiligten Völkerrechtssubjekte nicht von der Existenz völkergewohnheitsrechtlicher Regeln ausgehen und daher die individuelle Festlegung vertraglicher Exemtionen für den Bereich jeder einzelnen Organisation, auch wenn diese inhaltlich weitgehend übereinstimmen, für erforderlich erachten. Hinzu kommt, daß es einige internationale Organisationen gibt, denen die Mitgliedstaaten ausweislich der vertraglichen Grundlagen aus bestimmten Gründen gerade keine Immunität von nationaler Hoheitsgewalt zuerkennen wollten.55 Zu bedenken ist auch, daß bei der Errichtung der internationalen Organisation „Europol“ heftig umstritten war, ob den Funktionsträgern von Europol und Europol selbst Exemtionen zuerkannt werden sollten. Soweit ersichtlich, wurde in der Diskussion immer davon ausgegangen, daß eine völkervertragliche Immunitätsgewährung konstitutive Wirkung habe. Von einer ohnehin bestehenden völkergewohnheitsrechtlichen Exemtion der Europolbediensteten war in der gesamten Diskussion nicht die Rede.56 Es kann damit weder von einer einheitlichen Gewährung von Exemtionen gesprochen werden noch wird in der Staatenpraxis die Freistellung internationaler Organisationen und ihrer Funktionsträger von nationaler Hoheitsgewalt für unbedingt geboten bzw. „in der Natur der Sache“ liegend erachtet. Gegen die Annahme völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionen für den Bereich internationaler Organisationen spricht zudem, daß – wie nachfolgend in § 19 I.2.b) näher dargestellt wird – der Versuch der Vereinten Nationen, allgemeine völkerrechtliche Verträge auszuarbeiten, die einheitlich für die von den Vertragsparteien getragenen internationalen Organisationen die Rechtsstellung der Organisationen, ihrer Funktionsträger und der zu ihnen entsandten Staatenvertreter regeln, gescheitert ist. Obwohl die vorgelegten Entwürfe für solche allgemeinen Verträge vor dem Hintergrund der relativ großen Übereinstimmung der für die einzelnen Organisationen geltenden vertraglichen Exemtionsregelungen formuliert worden sind und sich die vorgesehenen Regeln daher weitgehend mit den für einzelne internationale Organisationen vereinbarten Bestimmungen decken, sind diese Arbeiten nicht auf die Zustimmung einer größeren Zahl von Staaten gestoßen. Die breite Akzeptanz, die das WÜD und das WÜK bei den Staaten gefunden haben,57 zeigt aber, daß gerade im Bereich des Rechts der Beziehungen zwischen einzelnen Völkerrechtssubjekten eine große Bereitschaft besteht, anerkannte völkergewohnheitsrechtliche Regeln in multilateralen Konventionen mit universeller Zielrichtung zu kodifizieren. Wenn nun der Versuch, die im Bereich internationaler Organisationen vereinbarten Exemtionsregelungen in allgemeine Konventionen aufzunehmen, nur von wenigen Staaten unterstützt wird, so spricht dies klar gegen die Annahme, daß die typischerweise vereinbarten Exemtionen auch völkergewohnheitsrechtlich gelten. ___________ Vgl. Bleckmann, Internationale Beamtenstreitigkeiten, S. 31 ff.; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 108. 56 Vgl. im einzelnen zu den Exemtionen für Europol-Bedienstete unten § 19 II.5.b). 57 Vgl. oben § 12 II.1.a). 55
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Zur Unterstützung der These einer Existenz völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionen wird ferner ausgeführt, in einigen völkerrechtlichen Instrumenten, namentlich im Protokoll über Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften58 und im WÜK, werde auf völkergewohnheitsrechtliche Regeln Bezug genommen und damit deren Existenz anerkannt und bestätigt.59 Zwar legt Art. 11 Protokoll über Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften fest, daß den Vertretern der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften, die an den Arbeiten der Organe der Gemeinschaften teilnehmen, „die üblichen Vorrechte, Befreiungen und Erleichterungen“ zustehen.60 In Art. 12 lit. c) des Protokolls werden den Bediensteten der Gemeinschaften bestimmte „üblicherweise“ gewährte Erleichterungen zugestanden. Doch kann aus diesen Festlegungen nicht auf die Existenz völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionen geschlossen werden. Der Verweis auf „üblicherweise“ gewährte Vorrechte und Befreiungen will lediglich den sachlichen Gehalt solcher Bestimmungen für maßgeblich erklären, die übereinstimmend für die Rechtsbeziehungen anderer internationaler Organisationen gelten; auf eine bestimmte Rechtsquelle wird nicht abgestellt. Da in der Völkerrechtspraxis Exemtionen stets völkervertraglich vereinbart und nur auf völkervertraglicher Grundlage gewährt werden, ist dieser Verweis vielmehr so zu verstehen, daß solche Bestimmungen für anwendbar erklärt werden, die typischerweise in den Verträgen zu finden sind, die Exemtionen für den Bereich anderer internationaler Organisationen festlegen.61 Ein expliziter Verweis auf Völkergewohnheitsrecht findet sich allerdings in Art. 17 Abs. 2 WÜK. Dort heißt es, daß ein Konsularbeamter nach Notifikation an den Empfangsstaat seinen Entsendestaat bei jeder (im Empfangsstaat ansässigen) internationalen Organisation vertreten kann und dann, wenn er in dieser Funktion handelt, Anspruch auf die Vorrechte und Immunitäten hat, die „einem Vertreter bei einer zwischenstaatlichen Organisation auf Grund des Völkergewohnheitsrechts oder internationaler Übereinkünfte zustehen“. Doch bezieht sich dieser Verweis nicht auf bestimmte anerkannte völkergewohnheitsrechtliche Regeln. Vielmehr will Art. 17 Abs. 2 WÜK lediglich sicherstellen, daß auf Konsularbeamte, die als Staatenvertreter bei einer internationalen Organisation tätig werden, die gleichen völkerrechtlichen Exemtionsbestimmungen Anwendung finden, die für sonstige Staatenvertreter gelten. Deshalb werden pauschal alle geltenden Regeln durch Nennung der (theoretisch) in Frage kommenden Rechtsquellen für maßgeblich erklärt, unabhängig davon, ob und inwieweit sich den genannten Rechtsquellen tatsächlich Exemtionsbestimmungen entnehmen lassen. ___________ Vgl. unten Anm. 107. So Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1905; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 325. 60 Vgl. zum Wortlaut der Norm unten § 19 IV.4. 61 Vgl. hierzu auch unten § 19 IV.4. 58 59
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Der Nachweis völkergewohnheitsrechtlicher Exemtionsregelungen kann mithin nicht erbracht werden. Es gibt also keine völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen für den Bereich internationaler Organisationen, die der Strafgewalt einzelner Staaten oder supranationaler Strafgerichte Grenzen setzen. Aber selbst wenn daher völkergewohnheitsrechtliche Exemtionsregelungen für den Bereich internationaler Organisationen existierten, käme diesen keine praktische Bedeutung zu. Sie würden durch die stets getroffenen und als abschließend anzusehenden vertraglichen Regelungen verdrängt.62 b) Organisationsübergreifende völkervertragliche Exemtionsregelungen Für die Strafrechtspraxis sind also unabhängig davon, ob bestimmte Exemtionsregelungen Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts sind oder nicht, als völkerrechtliche Normen ausschließlich völkervertragliche Exemtionsregelungen von Relevanz.63 Dabei ist zwischen zwei Arten von möglichen völkervertraglichen Exemtionsregelungen zu unterscheiden. Neben völkervertraglichen Normen, die auf eine bestimmte internationale Organisation bezogen sind – etwa Regelungen in einem Gründungsvertrag – sind grundsätzlich auch organisationsübergreifende völkervertragliche Regelungen denkbar, also völkerrechtliche Verträge, in denen die Vertragsstaaten vereinbaren, die in diesen normierten Exemtionen auf alle oder mehrere von ihnen getragene internationale Organisationen anzuwenden. Wie bereits angedeutet, haben die Vereinten Nationen im letzten Jahrhundert den Versuch gemacht, organisationsübergreifende multilaterale Verträge über die Rechtsbeziehungen zwischen Staaten und internationalen Organisationen einschließlich der Vorrechte und Befreiungen für internationale Organisationen, für ihre Funktionsträger und für Staatenvertreter bei internationalen Organisationen zu ___________ Bekker, Legal Position of Intergovernmental Organizations, S. 151, der selbst der These der Existenz außervertraglicher Exemtionen positiv gegenübersteht, stellt fest: “One should not overrate the importance of custom. From a practical point of view, having regard to the fact that the law of organizational immunities is almost entirely conventional in nature, it is only rarely necessary to invoke customary international law. Given the uncertain provision which customary international law occupies in this field, this source of law is not likely to provide any clear-cut answers to gaps left by conventional law.” Ähnlich Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 221, die im Anschluß an die Feststellung, es gebe völkergewohnheitsrechtliche Exemtionen, betonen: „Allerdings ist mit der nicht unbestrittenen Annahme eines solchen völkergewohnheitsrechtlichen Satzes oder Prinzips für die Praxis wenig gewonnen. Einem solchen allgemeinen Satz wäre angesichts der Vielfalt der internationalen Organisationen und ihrer unterschiedlichen Ziele und Aufgaben für Art und Umfang der ihnen zuzustehenden Vorrechte und Befreiungen im Einzelfall wenig zu entnehmen. In der Praxis sind deshalb für Art und Umfang der den Organisationen und ihrem Personal gewährten Vorrechte und Befreiungen die teils in den Gründungsverträgen selbst, teils die allein oder zusätzlich in Protokollen zu diesen oder auch in zusätzlich geschlossenen multi- und bilateralen Verträgen getroffenen Regelungen maßgeblich.“ 63 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 208, 687. 62
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erarbeiten. Der Versuch, in Anlehnung an das WÜD und das WÜK universell geltende Regeln für die Rechtsbeziehungen zwischen Staaten und internationalen Organisationen zu entwickeln, ist aber im großen und ganzen gescheitert. Die International Law Commission (ILC) hatte von der UN-Generalversammlung im Jahr 1958 den Auftrag erhalten, sich mit der Frage der Beziehungen zwischen Staaten und internationalen Organisationen zu befassen.64 Nach Vorlage eines ersten Berichts des ägyptischen Spezialberichterstatters Abdullah El-Erian im Jahr 196365 einigte sich die ILC darauf, sich zunächst nur mit der Frage der Rechtsstellung von Staatenvertretern bei internationalen Organisationen zu befassen, also mit der Frage der Rechtsstellung von Personen, die als Vertreter eines Staates (sei es eines Mitgliedstaates einer Organisation, sei es eines Drittstaates) von diesem zu einer internationalen Organisation entsandt werden, um die Interessen des Entsendestaates gegenüber der Organisation bzw., soweit der Entsendestaat Mitgliedstaat der Organisation ist, im Rahmen der Ausübung mitgliedschaftlicher Rechte in den Organen der Organisation wahrzunehmen.66 Man glaubte, daß es möglich sei, bezüglich dieser Staatenvertreter die Bestimmungen des WÜD, also die für Staatenvertreter bei anderen Staaten geltenden Regeln, weitgehend zu übernehmen,67 und hoffte, die Arbeiten damit recht einfach und zügig voranbringen zu können. Der Sonderberichterstatter legte in den Jahren 1967–1971 fünf weitere Berichte vor,68 auf deren Basis die ILC dann 1971 einen Vertragsentwurf verabschiedete.69 Nach dem Vorbild der Staatenkonferenzen von 1961 und 1963, auf denen das WÜD und das WÜK ausgearbeitet worden waren (und in Abweichung von dem Verfahren zur ___________ 64 Vgl. YBILC 1963 II, 159 (161 f.) (UN-Dokument A/CN.4./161); YBILC 1971 II/1, 275 (278) (UN-Dokument A/8410/REV.); Bekker, Legal Position of Intergovernmental Organizations, S. 10. In gewisser Weise hatte die ILC selbst den Anstoß für einen solchen Auftrag gegeben. Denn in dem von der ILC erstellten Entwurf für eine Diplomatenrechtskonvention von 1958 (YBILC 1958 II, 78 [89] [UN-Dokument A/3859]) hieß es: “Apart from diplomatic relations between States, there are also relations between States and international organizations. There is likewise the question of the privileges and immunities of the organizations themselves. However, these matters are, as regards most of the organizations, governed by special conventions.” 65 YBILC 1963 II, 159 (UN-Dokument A/CN.4./161). 66 Vgl. YBILC 1964 II, 173 (227) (UN-Dokument A/5809); Bekker, Legal Position of Intergovernmental Organizations, S. 12 f. 67 Vgl. El-Erian, YBILC 1967 II, 133 (134, 138) (UN-Dokument A/CN.4./195); ders., in: Diez u.a. (Hrsg.), FS Bindschedler, S. 479 (480). 68 YBILC 1967 II, 133 (UN-Dokument A/CN.4./195); YBILC 1968 II, 119 (UN-Dokument A/CN.4./203); YBILC 1969 II, 1 (UN-Dokument A/CN.4./218); YBILC 1970 II, 1 (UN-Dokument A/CN.4./227) und YBILC 1971 II/1, 1 (UN-Dokument A/CN.4./241). Zudem legte das UN-Generalsekretariat im Jahr 1967 eine ausführliche Studie mit dem Titel “The practice of the United Nations, the specialised agencies and the International Atomic Energy Agency concerning their status, privileges and immunities” vor; vgl. YBILC 1967 II, 154 (UN-Dokument A/CN.4./L.118). Siehe auch Bekker, Legal Position of Intergovernmental Organizations, S. 16 ff. 69 YBILC 1971 II/1, 275 (278 ff.) (UN-Dokument A/8410/REV.). Vgl. auch Bekker, Legal Position of Intergovernmental Organizations, S. 19.
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Schaffung der Convention on Special Missions, die 1969 von der UN-Generalversammlung beschlossen worden war70), fand im März 1975 in Wien eine Staatenkonferenz statt, die auf der Grundlage des von der ILC vorgelegten Entwurfs am 14. März 1975 eine Convention on the Representation of States in Their Relations with International Organizations of a Universal Character (auch Wiener Konvention 1975 genannt) verabschiedete.71 Doch zeigte sich auf der Wiener Konferenz, daß ein Konsens zwischen den Staaten über die gebotenen Regelungen nicht zu erzielen war. Die Konferenz war von starken Interessengegensätzen geprägt. Anders als bei vielen anderen internationalen Konferenzen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts standen sich diesmal aber nicht die Staaten des kommunistischen Machtbereichs auf der einen und die des „Westens“ auf der anderen Seite gegenüber, sondern der Graben verlief zwischen den Sitzstaaten großer internationaler Organisationen einerseits, also den Staaten, in deren Staatsgebiet wichtige Organisationen beheimatet sind, und andererseits den Staaten, die lediglich eigene Staatenvertreter zu internationalen Organisationen und damit in das Staatsgebiet von Sitzstaaten entsenden.72 Denn der auf der Staatenkonferenz mit den Stimmen der „Sendestaaten“ angenommene Vertrag sieht ebenso wie der Entwurf der ILC zwar in Anlehnung an das WÜD umfassende Exemtionen für die Staatenvertreter bei internationalen Organisationen vor, doch enthält er – auch insofern mit dem ILC-Entwurf übereinstimmend – keine dem Art. 4 WÜD (Erfordernis eines agreements des Empfangsstaates bezüglich der Person des Missionschefs) und Art. 9 WÜD (Möglichkeit der Erklärung eines Mitglieds einer Mission zur persona non grata) entsprechenden Bestimmungen. Die Sitzstaaten haben also nach dem Vertragstext anders als nach dem WÜD keine Möglichkeit, auf die Auswahl der Staatenvertreter Einfluß zu nehmen oder die Abberufung für sie inakzeptabler Personen zu erzwingen. Damit fehlt es an einer Befugnis für den Sitzstaat, die im Diplomatenrecht als bedeutsames Korrektiv für die weitreichenden Exemtionen angesehen wird und es für die Empfangsstaaten hinnehmbar erscheinen läßt, Exemtionen gewähren zu müssen. Von den Sitzstaaten großer internationaler Organisationen wurde und wird die Wiener Konvention 1975 vor allem aus diesem Grunde abgelehnt.73 ___________ Vgl. zur Entstehungsgeschichte der Convention on Special Missions oben § 18 III.1. UN-Dokument A/CONF.67/16. Der Text des Konventionsentwurfs ist (in englischer Sprache) abgedr. in AJIL 69 (1975), 730. Vgl. allgemein zu diesem Entwurf und seiner Entstehungsgeschichte Bekker, Legal Position of Intergovernmental Organizations, S. 9 ff.; Fennessy, AJIL 70 (1976), 62; Lang, ZaöRV 37 (1977), 43; Staehelin, SchwJIR 31 (1975), 52 (52 ff.); Verdross/Simma, Völkerrecht, § 934 ff. 72 Vgl. Fennessy, AJIL 70 (1976), 62 (65); Lang, ZaöRV 37 (1977), 43 (46 f.); Staehelin, SchwJIR 31 (1975), 52 (69). 73 Vgl. Fennessy, AJIL 70 (1976), 62 (63 f., 67 f.); Lang, ZaöRV 37 (1977), 43 (52 ff.); Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 980; Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1034). Siehe zudem Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 74. 70 71
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Doch entspricht diese Regelung in der Wiener Konvention 1975 den üblicherweise für einzelne internationale Organisationen vereinbarten vertraglichen Bestimmungen. Auch diese legen dem Sitzstaat eine Pflicht zur Exemtionsgewährung auf, ohne ihm im Gegenzug die Möglichkeit zu geben, einzelne Staatenvertreter abzulehnen und diesen einen Aufenthalt im Sitzstaat zu versagen. Wie unten in § 19 IV.1. näher dargelegt wird, wäre eine solche Befugnis bei Staatenvertretern bei internationalen Organisationen auch nicht sachgerecht, weil dadurch der Sitzstaat eine besondere Einflußmöglichkeit auf die Arbeit der Organisation hätte. Doch waren die Sitzstaaten von internationalen Organisationen auf der Wiener Konferenz 1975 nicht bereit, eine solche Regelung einheitlich für alle internationalen Organisationen zu übernehmen und damit in gewisser Weise dauerhaft zu zementieren. Auch zogen sie es vor, die Reichweite ihrer Verpflichtungen gegenüber Staatenvertretern bei internationalen Organisationen für jede einzelne Organisation individuell zu vereinbaren und damit die Chance zu wahren, im Einzelfall für sie günstigere Regelungen aushandeln zu können.74 Hinzu kommt, daß die Wiener Konvention 1975 teilweise weitergehende Exemtionen vorsieht als diejenigen, die üblicherweise für Staatenvertreter vereinbart werden.75 Auf der Wiener Konferenz wurde der endgültige Konventionstext daher auch nur mit 57 Ja-Stimmen bei 1 Nein-Stimme und 15 Enthaltungen angenommen, wobei vor allem die Sitzstaaten sich ihrer Stimme enthielten.76 Für ein Inkrafttreten der Wiener Konvention 1975 sind gemäß Art. 89 Abs. 1 des Vertrags 35 Ratifikationen erforderlich. Auch heute noch – 30 Jahre nach Verabschiedung der Konvention – liegt die Zahl der Ratifikationen bei nur 32.77 Wohl zu Recht wird daher überwiegend davon ausgegangen, daß die Konvention auf absehbare Zeit nicht in Kraft treten wird.78 Aber selbst wenn sie eines Tages in Kraft treten sollte, dürfte ihre praktische Bedeutung sehr gering bleiben. Denn zum einen könnte sie nur für die Sitzstaaten verpflichtend sein, die die Konvention ratifiziert haben. Allein das Erreichen der für ein Inkrafttreten der Konvention erforderlichen Zahl von Ratifikationen hätte also, solange nicht auch der Sitzstaat einer ___________ 74 So haben beispielsweise die USA in einem 1947 mit den Vereinten Nationen geschlossenen bilateralen Abkommen (vgl. unten Anm. 114) vereinbaren können, daß die USA das Recht haben, Bedienstete der Vereinten Nationen und Staatenvertreter bei den Vereinten Nationen wegen in privater Eigenschaft begangener Taten des Landes zu verweisen. 75 Vgl. diesbezüglich Fennessy, AJIL 70 (1976), 62 (63 ff.). 76 Vgl. Fennessy, AJIL 70 (1976), 62 (62); Lang, ZaöRV 37 (1977), 43 (47). Insgesamt waren nur 81 Staaten der an alle Staaten gerichteten Einladung der Vereinten Nationen zu der Staatenkonferenz gefolgt; vgl. Fennessy, a.a.O., S. 64. 77 Vgl. (31.3.2006). 78 Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 107. Siehe auch Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 35 Rn. 4.
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Organisation den Vertrag ratifiziert hat, keine Bedeutung für die Exemtionen von Staatenvertretern bei dieser Organisation gegenüber der Strafgewalt des Sitzstaates. Zum anderen beansprucht die Konvention nur subsidiäre Geltung. Gemäß Art. 4 sollen sowohl vor als auch nach ihrem Inkrafttreten geschlossene organisationsbezogene vertragliche Vereinbarungen Vorrang haben.79 In der Praxis werden aber – wie bereits erwähnt – stets solche individuellen Vereinbarungen getroffen. Nach Abschluß ihrer Arbeiten zur Rechtsstellung von Staatenvertretern bei internationalen Organisationen wandte sich die ILC 1977 der Aufgabe zu, auch einen Entwurf einer Konvention zur Rechtsstellung internationaler Organisationen und ihrer Funktionsträger gegenüber Staaten zu erstellen, die unter anderem organisationsübergreifend die Frage regeln sollte, inwieweit einzelne Staaten verpflichtet sind, den Funktionsträgern internationaler Organisationen, namentlich ihren Bediensteten, Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu gewähren.80 Die von der ILC ernannten Sonderberichterstatter Abdullah El-Erian und (ab 1978) Leonardo Días González aus Venezuela fertigten mehrere Berichte an und legten auch Vertragsentwürfe vor.81 Da die Arbeiten aber bei den Staaten auf keine positive Resonanz stießen, beschloß die ILC im Jahr 1992, die Beschäftigung mit dieser Materie einzustellen. Die Bemühungen, eine solche Konvention zu schaffen, wurden sang- und klanglos beendet.82 Damit gibt es derzeit keine organisationsübergreifenden völkervertraglichen Exemtionsregelungen, die einer Ausübung von Strafgerichtsbarkeit Schranken setzen könnten.
___________ Vgl. YBILC 1971 II/1, 275 (288) (UN-Dokument A/8410/REV.1); Köck/Fischer/ Lengauer, Recht der Internationalen Organisationen, S. 580. 80 Vgl. zu dieser Arbeit Bekker, Legal Position of Intergovernmental Organizations, S. 23 ff. 81 Vgl. YBILC 1977 II/1, 139 (UN-Dokument A/CN.4./304); YBILC 1978 II/1, 263 (UN-Dokument A/CN.4./311); YBILC 1983 II/1, 227 (UN-Dokument A/CN.4./370); YBILC 1985 II/1, 103 (UN-Dokument A/CN.4./391); YBILC 1986 II/1, 163 (UN-Dokument A/CN.4./401); YBILC 1989 II/1, 153 (UN-Dokument A/CN.4./424); YBILC 1991 II/1, 91 (UN-Dokument A/CN.4./438); YBILC 1991 II/1, 113 (UN-Dokument A/CN.4./439). Zudem legte das UN-Generalsekretariat im Jahr 1985 eine weitere Studie mit dem Titel “The Practice of the United Nations, the specialised agencies and the International Atomic Energy Agency concerning their status, privileges and immunities” vor, die die Untersuchung von 1967 (vgl. oben Anm. 68) ergänzen sollte; vgl. YBILC 1985 II/1/Add., 145 (UN-Dokument A/CN.4./L.383). 82 Vgl. YBILC 1992 II/2, 1 (53) (UN-Dokument A/47/10); AJIL 87 (1993), 138 (143); Bekker, Legal Position of Intergovernmental Organizations, S. 30 ff.; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 31 Rn. 32; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 109 Fn. 308; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 51. 79
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c) Organisationsbezogene völkervertragliche Exemtionsregelungen Völkerrechtliche Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit für Funktionsträger einer internationalen Organisation, für Staatenvertreter bei einer Organisation sowie für sonstige Personen, die – etwa als Beteiligte an einem Verfahren vor einem internationalen Gericht – mit einer internationalen Organisation in Kontakt treten, können sich mithin ebenso wie Befreiungen der Räumlichkeiten internationaler Organisationen von der strafprozessualen Zwangsgewalt des Sitzstaates und sonstige sachgezogene Exemtionen nur aus den für die jeweilige Organisation geltenden und individuell auf sie bezogenen völkerrechtlichen Verträgen ergeben. Für die Strafrechtspraxis bedeutet dies, daß immer dann, wenn die Frage im Raum steht, ob eine Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit besteht, ausschließlich auf die für die betreffende internationale Organisation geltenden völkervertraglichen Bestimmungen abzustellen ist. Dabei kommen vier Kategorien von Verträgen als „Fundstellen“ für einschlägige Exemtionen in Betracht: Zunächst können Exemtionsregelungen im Gründungsvertrag für die betreffende Organisation enthalten sein. Häufig sind detaillierte Exemtionsregelungen in von den Mitgliedstaaten parallel oder im Anschluß an die Verabschiedung des Gründungsvertrags geschlossenen besonderen Verträgen über Vorrechte und Befreiungen enthalten. Diese bilden die zweite Kategorie von Verträgen. Bei internationalen Gerichten, die keine eigenständigen internationalen Organisationen, sondern „lediglich“ Organe einer internationalen Organisation sind, finden sich die relevanten Exemtionsbestimmungen in der Regel in der Satzung oder im Statut des Gerichts, die ihrerseits normalerweise eigenständige völkerrechtliche Verträge sind. Als dritte Kategorie von Verträgen kommen Vereinbarungen zwischen der Organisation und ihrem Sitzstaat, sogenannte HeadquarterAgreements in Betracht.83 Während die Exemtionsregelungen in Gründungsverträgen und gesonderten Verträgen zwischen den Mitgliedstaaten über Vorrechte und Befreiungen gewöhnlich allen Mitgliedstaaten in gleicher Weise Pflichten zur Exemtionsgewährung auferlegen, können Headquarter-Agreements schon aufgrund der Tatsache, daß Parteien einer solchen bilateralen Vereinbarung allein die Organisation und ihr Sitzstaat sind, lediglich Schranken für die Strafgerichtsbarkeit des Sitzstaates normieren. Zwar können alle drei genannten Arten von Verträgen – als „Verträge zugunsten dritter Staaten“ – Exemtionen für Staatenvertreter aus Drittstaaten gegenüber der Strafgerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten festlegen (Headquarter-Agreements allerdings nur Exemtionen von der Strafgerichtsbarkeit des jeweiligen Sitzstaates).84 ___________ Vgl. zu dieser Kategorisierung Akande, in: Evans (Hrsg.), International Law, S. 269 (286 f.); Szasz, International Organizations, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 1325 (1326 ff.). 84 Vgl. hierzu bereits oben § 19 I.2.c). 83
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Verpflichtungen für Drittstaaten, ihrerseits internationalen Organisationen und ihren Funktionsträgern Exemtionen zu gewähren, können sich aber nur aus Verträgen mit den jeweiligen Drittstaaten ergeben.85 Solche Verträge mit Drittstaaten bilden die vierte Kategorie von Verträgen. aa) Erste Kategorie von Verträgen: Gründungsverträge Da es sich bei den Exemtionsregelungen um Spezialvorschriften handelt, finden sich in den Gründungsverträgen regelmäßig nur sehr allgemein gehaltene Bestimmungen, die einer Konkretisierung durch einen gesonderten Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten über Vorrechte und Befreiungen im Bereich der betreffenden Organisation bedürfen.86 So heißt es zum Beispiel in Art. 105 UN-Charta:87 „(1) Die Organisation genießt im Hoheitsgebiet jedes Mitglieds die Vorrechte und Immunitäten, die zur Verwirklichung ihrer Ziele erforderlich sind. (2) Vertreter der Mitglieder der Vereinten Nationen und Bedienstete der Organisation genießen ebenfalls die Vorrechte und Immunitäten, deren sie bedürfen, um ihre mit der Organisation zusammenhängenden Aufgaben in voller Unabhängigkeit wahrnehmen zu können.“
Art. 105 Abs. 1 und 2 UN-Charta läßt sich nicht unmittelbar entnehmen, in welchem Umfang die Mitgliedstaaten Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu gewähren haben. Gleichwohl sind diese Absätze keine bloßen Programmsätze, sondern direkt anwendbare Normen mit eigenem materiellem Regelungsgehalt und unmittelbarer Rechtsverbindlichkeit für die Mitgliedstaaten.88 Aber im Interesse einer einheitlichen Interpretation und Anwendung durch die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen legt Art. 105 Abs. 3 UN-Charta fest: „Die Generalversammlung kann Empfehlungen abgeben, um die Anwendung der Absätze 1 und 2 im einzelnen zu regeln, oder sie kann den Mitgliedern der Vereinten Nationen zu diesem Zweck Übereinkommen vorschlagen.“
Wie nachfolgend in § 19 I.2.c)bb) und cc) dargelegt wird, wurden in Konkretisierung des Art. 105 Abs. 1 und 2 UN-Charta mehrere Übereinkommen geschlossen. Für die Strafverfolgungsbehörden der UN-Mitgliedstaaten, die Vertragsstaaten dieser Abkommen sind, sind nur die präzisierenden Normen in diesen Überein___________ Vgl. auch hierzu bereits oben § 19 I.2.c). Vgl. Sands/Klein, Bowett’s Law of International Institutions, Rn. 15-037; Szasz, International Organizations, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 1325 (1326 f.); Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 97. 87 Vgl. zur Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift Hill, Immunities and Privileges of International Officials, S. 102 ff.; Michaels, International Privileges and Immunities, S. 53 ff. 88 So auch Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 2; Scobbie/El-Erian, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 835 f. Siehe auch YBILC 1967 II, 154 (170) (UN-Dokument A/CN.4./L.118), wo berichtet wird, diese Auffassung sei auch bei der Ausarbeitung der UN-Charta vertreten worden. 85 86
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kommen von Interesse. Art. 105 Abs. 1 und 2 UN-Charta sind nur für die Staaten von unmittelbarer Bedeutung, die – wie etwa die Schweiz – diese Übereinkommen nicht ratifiziert haben. Da diese Übereinkommen lediglich die Verpflichtungen aus Art. 105 UN-Charta präzisieren, geht man wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß auch diese Staaten gehalten sind, die in den Übereinkommen – soweit es sich nicht um „Headquarter-Agreements“ handelt, die ausschließlich den jeweiligen Sitzstaat verpflichten – festgelegten Exemtionen zu gewähren. Für diese Staaten folgt die Pflicht zur Gewährung dieser Exemtionen lediglich direkt aus Art. 105 Abs. 1 und 2 UN-Charta.89 Andere Gründungsverträge enthalten keine direkt anwendbaren Exemtionsregelungen, sondern verpflichten die Mitgliedstaaten lediglich zur Vereinbarung von Exemtionsbestimmungen oder verweisen auf parallel zum Gründungsvertrag gesondert vereinbarte Exemtionen bzw. – soweit der Gründungsvertrag als „Verfassung“ einer Organisation spätere Änderungen erfahren hat – auf bereits existierende Verträge über Vorrechte und Befreiungen. Letzteres gilt beispielsweise für den Bereich der Europäischen Gemeinschaften. Im EG-Vertrag90 und im EuratomVertrag91 heißt es übereinstimmend in Art. 291 Satz 1 bzw. Art. 191: „Die Gemeinschaft genießt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten die zur Erfüllung ihrer Aufgabe erforderlichen Vorrechte und Befreiungen nach Maßgabe des Protokolls vom 8. April 1965 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften.“
Zwar ist in diesen Artikeln davon die Rede, daß die Gemeinschaft die erforderlichen Vorrechte und Befreiungen „genießt“, so daß man meinen könnte, auch diese Normen hätten einen eigenen operativen Gehalt, gewährten also unmittelbar Exemtionen. Da den Europäischen Gemeinschaften aber Exemtionen ausdrücklich nur „nach Maßgabe“ des genannten Protokolls zukommen, dürfen diese Normen nur als Verweise auf das Protokoll verstanden werden, ohne daß Ansprüche auf Exemtionen direkt auf sie gestützt werden könnten.92
___________ 89 So auch Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 2; Szasz/Ingadottir, LJIL 14 (2001), 867 (870). Die Schweiz hat allerdings, da sie bis zum Jahr 2002 nicht Mitglied der Vereinten Nationen und damit auch nicht an Art. 105 UN-Charta gebunden war, 1946 mit den Vereinten Nationen ein bilaterales Übereinkommen geschlossen; vgl. unten Anm. 115. 90 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25.3.1957; BGBl. 1957 II, S. 766 = UNTS 298, 11. Aktuelle Fassung in „Sartorius II“ Nr. 150. 91 Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) vom 25.3.1957; BGBl. 1957 II, S. 1014 = UNTS 298, 167. Aktuelle Fassung in „Sartorius II“ Nr. 200. 92 So auch Kallmayer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, Art. 291 Rn. 3 und Koster, Immunität internationaler Richter, S. 84.
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In gleicher Weise enthält auch das Europol-Übereinkommen vom 26. Juli 199593 keine unmittelbar anwendbaren Exemtionsregelungen, sondern erklärt in Art. 41 lediglich ein von den Mitgliedstaaten zu schließendes besonderes ImmunitätenProtokoll für einschlägig und verpflichtet zudem die Niederlande als Sitzstaat von Europol sowie die anderen Mitgliedstaaten, gleichlautende bilaterale Übereinkommen betreffend die Exemtionen der von den anderen Mitgliedstaaten zu Europol entsandten Staatenvertreter zu schließen: „(1) Europol, die Mitglieder der Organe, die stellvertretenden Direktoren und die Bediensteten von Europol genießen die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Vorrechte und Immunitäten nach Maßgabe eines Protokolls, das die in den Mitgliedsstaaten anzuwendenden Regelungen enthält. (2) Das Königreich der Niederlande und die anderen Mitgliedsstaaten vereinbaren gleichlautend für die von den anderen Mitgliedsstaaten entsandten Verbindungsbeamten sowie für deren Familienangehörige die Vorrechte und Immunitäten, die für eine ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Verbindungsbeamten im Rahmen von Europol erforderlich sind. (…).“
Möglich ist es aber auch, im Gründungsvertrag die als besonders bedeutsam angesehenen Exemtionen mit unmittelbarer Rechtsverbindlichkeit im Detail zu normieren, die Regelung sonstiger Exemtionen aber einem gesonderten Vertrag über Vorrechte und Befreiungen zu überlassen. Eine solche Regelung hat das Römische Statut getroffen. Die Exemtionen für die Richter, den Ankläger, seinen Stellvertreter und den Kanzler sind bereits im Römischen Statut detailliert festgelegt.94 In Art. 48 Abs. 2 IStGH-Statut heißt es: „Die Richter, der Ankläger, die Stellvertretenden Ankläger und der Kanzler genießen bei der Wahrnehmung der Geschäfte des Gerichtshofs oder in Bezug auf diese die gleichen Vorrechte und Immunitäten wie Chefs diplomatischer Missionen; nach Ablauf ihrer Amtszeit wird ihnen weiterhin Immunität von der Gerichtsbarkeit in Bezug auf ihre in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen, einschließlich ihrer mündlichen oder schriftlichen Äußerungen, gewährt.“
Dagegen wird bezüglich weiterer Personengruppen auf ein separat von den Mitgliedstaaten zu schließendes Übereinkommen über Vorrechte und Immunitäten verwiesen. Art. 48 Abs. 3 und 4 IStGH-Statut formuliert: „(3) Der Stellvertretende Kanzler, das Personal der Anklagebehörde und das Personal der Kanzlei genießen in Übereinstimmung mit dem Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten des Gerichtshofs die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen. (4) Beratern, Sachverständigen, Zeugen und allen anderen Personen, deren Anwesenheit am Sitz des Gerichtshofs erforderlich ist, wird in Übereinstimmung mit dem Überein-
___________ Übereinkommen auf Grund von Artikel 31 des Vertrags über die Europäische Union über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts (Europol-Übereinkommen); BGBl. 1997 II, S. 2150 = ABl. EG 1995 Nr. C 316, S. 1 = „Sartorius II“ Nr. 300. Vgl. hierzu auch BT-Drucks. 13/7391. Die Änderung durch das Protokoll vom 28.11.2002 (ABl. EG 2002 Nr. C 312, S. 1) ist zwar von Deutschland bereits ratifiziert worden (BGBl. 2004 II, S. 83; siehe auch BT-Drucks. 15/1648), jedoch bislang noch nicht in Kraft getreten. 94 Vgl. BT-Drucks. 14/2682, S. 112 f. 93
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kommen über die Vorrechte und Immunitäten des Gerichtshofs die Stellung eingeräumt, die für die ordnungsgemäße Arbeit des Gerichtshofs erforderlich ist.“
Der Gehalt dieser Absätze ist nicht ganz einfach zu erfassen. Wie bei den genannten Normen des EG-Vertrags und des Euratom-Vertrags könnte man auch hier zunächst meinen, daß diese Absätze ähnlich wie Art. 105 Abs. 2 UN-Charta als direkt anwendbare Exemtionsbestimmungen mit eigenem materiellem Regelungsgehalt ausgestaltet seien. Denn es wird in Art. 48 Abs. 3 IStGH-Statut festgelegt, daß die genannten Personen die „zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen genießen“. Auch die Festlegung in Art. 48 Abs. 4 IStGH-Statut könnte so verstanden werden, daß die Mitgliedstaaten zur Gewährung der „erforderlichen“ Exemtionen durch diese Norm direkt und unmittelbar verpflichtet werden.95 Doch wird diese Formulierung dadurch erheblich relativiert, daß die Exemtionen „in Übereinstimmung mit dem Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten des Gerichtshofs“ zu gewähren sind. Diese Formulierung kann nur so verstanden werden, daß maßgeblich nur die in dem genannten Übereinkommen normierten Exemtionen sein sollen. Die Formulierung „in Übereinstimmung mit (…)“ ist also in gleicher Weise zu verstehen wie die in Art. 291 Satz 1 EGV und Art. 191 Euratom-Vertrag verwendete Formulierung „nach Maßgabe des (…)“. Entscheidend sind mithin ausschließlich die Exemtionsregelungen, die in dem gesonderten Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten des Internationalen Strafgerichtshofs96 enthalten sind. Allenfalls für die Staaten, die zwar das Römische Statut ratifiziert haben, aber (noch) nicht das Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten des Internationalen Strafgerichtshofs, könnte Art. 48 Abs. 3 und 4 IStGH-Statut unmittelbare rechtliche Relevanz haben. Man kann nämlich argumentieren, daß die Absätze 3 und 4, indem sie festlegen, daß die in dem Übereinkommen normierten Exemtionen maßgeblich sind, dieses Übereinkommen bzw. dessen operative Normen zum Bestandteil des Römischen Statuts machen, diese Normen also gewissermaßen in Art. 48 IStGH-Statut inkorporieren. Für die Vertragsstaaten des Römischen Statuts, die das Übereinkommen noch nicht ratifiziert haben, sind damit die Exemtionsregelungen des Übereinkommens ebenfalls verpflichtend, weil auf dessen Regelungen in Art. 48 Abs. 3 und 4 IStGH Bezug genommen wird. Mit der Ratifikation des
___________ 95 Siehe Mochochoko, Fordham Int’l L.J. 25 (2001-2002), 638 (639): “The Agreement thus seeks to give meaning to the provisions of article 48 by specifying what has been laid down in that article.” Mochochoko, a.a.O., S. 641 geht davon aus, daß die Vertragsstaaten des Römischen Statuts, die das Immunitäten-Abkommen (noch) nicht ratifiziert haben, dennoch an dessen materiellrechtliche Bestimmungen über die Reichweite der Exemtionen gebunden seien, da das Abkommen nur die erforderlichen Exemtionen konkretisiere, die sich schon unmittelbar aus Art. 48 des Abkommens ergäben. Ähnlich auch Nilsson, LJIL 17 (2004), 559 (564). 96 Vgl. unten Anm. 110.
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Römischen Statuts akzeptiert ein Staat also gleichzeitig auch die Regelungen des Übereinkommens über die Vorrechte und Immunitäten des Gerichtshofs.97 bb) Zweite Kategorie von Verträgen: Besondere Verträge über Vorrechte und Befreiungen Von entscheidender Bedeutung für die Strafrechtspraxis sind also regelmäßig nicht die Gründungsverträge internationaler Organisationen, sondern die gesonderten Verträge über Vorrechte und Befreiungen, die von den Mitgliedstaaten einer Organisation geschlossen werden. An dieser Stelle sollen einige der – vor allem für die bundesdeutsche Strafgerichtsbarkeit – potentiell wichtigeren Übereinkommen genannt werden, während die einzelnen Exemtionsregelungen erst nachfolgend in § 19 II.–VII. erläutert werden. Für den Bereich der Vereinten Nationen gibt es zwei solche Übereinkommen. Die UN-Generalversammlung hat am 13. Februar 1946 das Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen98 (im folgenden als UNImmunitäten-Übereinkommen bezeichnet) genehmigt und den Mitgliedern der Vereinten Nationen zum Beitritt empfohlen. Mittlerweile ist das Übereinkommen von den meisten Staaten ratifiziert worden, derzeit liegt die Zahl der Vertragsstaaten bei 151.99 Ein Jahr später, am 21. November 1947, hat die UN-Generalversammlung ___________ Problematisch ist diese Argumentation, die im übrigen auch für Art. 291 Satz 1 EGV und Art. 191 Euratom-Vertrag sowie entsprechende Formulierungen in anderen Gründungsverträgen gelten muß, allenfalls in bezug auf die Staaten, die das Römische Statut zu einem Zeitpunkt ratifiziert haben, als das Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten des Internationalen Strafgerichtshofs noch nicht vorlag. Denn diese Staaten konnten bei der Ratifikation des Statuts nicht wissen, welche Regelungen das Übereinkommen enthalten würde. Doch läßt sich bezüglich dieser Staaten argumentieren, daß sie, weil sie nach Verabschiedung des Übereinkommens weiterhin Vertragspartei des IStGH-Statuts geblieben sind, konkludent zum Ausdruck gebracht haben, dessen Regelungen und damit auch die Inkorporation des Übereinkommens in das Statut über Art. 48 IStGH-Statut (weiterhin) zu akzeptieren. 98 BGBl. 1980 II, S. 943 = UNTS 1, 15. Deutsches Zustimmungsgesetz vom 16.8.1980; BGBl. 1980 II, S. 941. Siehe hierzu auch BT-Drucks. 8/3232. 99 Vgl. (31.3.2006). Angesichts der überwältigend großen Zahl von Vertragsstaaten wird in der Wissenschaft die Auffassung vertreten, die Regelungen des Abkommens gälten für die Mitgliedstaaten der UN auch völkergewohnheitsrechtlich, so daß auch die UN-Mitgliedstaaten, die das Übereinkommen (noch) nicht ratifiziert haben, verpflichtet seien, die in diesem normierten Vorrechte und Immunitäten zu gewähren. Vgl. Bekker, Legal Position of Intergovernmental Organizations, S. 145 f.; Gerster/ Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 2. Eine solche völkergewohnheitsrechtliche Geltung wäre im übrigen zu unterscheiden von der oben in § 19 I.2.a) diskutierten Frage, ob es organisationsübergreifende völkergewohnheitsrechtliche Exemtionsregelungen gibt. Bei der Frage nach der völkergewohnheitsrechtlichen Geltung des UN-Immunitäten-Übereinkommens geht es allein darum, ob dessen Regelungen für die UN-Mitgliedstaaten und für den Bereich der Vereinten Nationen völkergewohnheitsrechtlich beachtlich sind. Letztlich braucht diese Frage aber nicht entschieden zu werden. Denn wie bereits dargelegt wurde, konkretisiert dieses Übereinkommen „lediglich“ die durch 97
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dann ein weiteres, mit dem UN-Immunitäten-Übereinkommen allerdings weitgehend deckungsgleiches Abkommen gebilligt, und zwar das Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen.100 Als Sonderorganisationen werden internationale Organisationen bezeichnet, die zwar auf der Basis jeweils eigener Gründungsverträge agieren und selbständige internationale Organisationen sind, die aber durch Verträge zwischen der Organisation und dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen mit diesen in eine enge Verbindung gebracht worden sind.101 Aufgrund dieser „Beziehung“ sind die Sonderorganisationen gehalten, der UN-Generalversammlung laufend über ihre Tätigkeit zu berichten, während die UN-Generalversammlung Empfehlungen hinsichtlich der Tätigkeit der Sonderorganisationen abgeben kann.102 Derzeit gibt es 14 solcher UN-Sonderorganisationen, zu denen unter anderem die UNESCO und die WHO gehören.103 Vertragsparteien des Abkommens über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen (im folgenden als Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen bezeichnet) sind momentan 113 Staaten.104 Die Bundesrepublik Deutschland hat sowohl das UN-Immunitäten-Übereinkommen als auch das Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen ratifiziert,105 so daß die Frage, inwieweit Exemtionen im Bereich der Vereinten Nationen oder einer ihrer Sonderorganisationen der Ausübung bundesdeutscher Straf___________ Art. 105 UN-Charta gewährten Exemtionen, so daß die im Übereinkommen normierten Exemtionen für die UN-Mitglieder, die es nicht ratifiziert haben, unmittelbar über Art. 105 UN-Charta beachtlich sind. Vgl. oben Anm. 89 und dazugehöriger Text. 100 BGBl. 1954 II, S. 640 = UNTS 33, 261. Deutsches Zustimmungsgesetz vom 22.6.1954; BGBl. 1954 II, S. 639. 101 Vgl. Art. 57 UN-Charta: „(1) Die verschiedenen durch zwischenstaatliche Übereinkünfte errichteten Sonderorganisationen, die auf den Gebieten der Wirtschaft, des Sozialwesens, der Kultur, der Erziehung, der Gesundheit und auf verwandten Gebieten weitreichende, in ihren maßgebenden Urkunden umschriebene internationale Aufgaben zu erfüllen haben, werden gemäß Artikel 63 mit den Vereinten Nationen in Beziehung gebracht. (2) Diese mit den Vereinten Nationen in Beziehung gebrachten Organisationen werden im folgenden als ‚Sonderorganisationen’ bezeichnet.“ Art. 63 UN-Charta lautet: „(1) Der Wirtschafts- und Sozialrat kann mit jeder der in Artikel 57 bezeichneten Organisationen Abkommen schließen, in denen die Beziehungen der betreffenden Organisation zu den Vereinten Nationen geregelt werden. Diese Abkommen bedürften der Genehmigung durch die Generalversammlung. (2) Er kann die Tätigkeit der Sonderorganisationen koordinieren, indem er Konsultationen mit ihnen führt und an sie, an die Generalversammlung und die Mitglieder der Vereinten Nationen Empfehlungen richtet“. Vgl. ferner Art. 58 ff. UN-Charta sowie Doehring, Völkerrecht, Rn. 216 ff. und Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 226 ff. 102 Vgl. Art. 63 f. UN-Charta. 103 Eine vollständige Auflistung findet sich in der Sammlung „Sartorius II“ im Anhang zur unter Ordnungsnummer 1 abgedruckten UN-Charta sowie bei Herdegen, Völkerrecht, § 42 Rn. 2. 104 Vgl. im Internet (31.3.2006). 105 Vgl. oben Anm. 98 und Anm. 100.
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gerichtsbarkeit entgegenstehen, unmittelbar anhand dieser Übereinkommen zu beantworten ist. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß das UN-Immunitäten-Übereinkommen von 1946 eine große Vorbildwirkung entfaltet hat. Neben dem Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen lehnen sich auch viele weitere Abkommen über Vorrechte und Befreiungen anderer internationaler Organisationen eng an das UN-Immunitäten-Übereinkommen an, das gewissermaßen „Mustercharakter“ hat.106 Für die Europäischen Gemeinschaften ist das Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom 8. April 1965 maßgeblich.107 Da die Bundesrepublik Deutschland Partei des Protokolls ist,108 bestimmt sich die Reichweite der von den deutschen Strafverfolgungsbehörden im Bereich der Europäischen Gemeinschaften zu gewährenden Exemtionen abschließend nach diesem Protokoll.109 Ein Übereinkommen aus jüngster Zeit ist das schon erwähnte Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten des Internationalen Strafgerichtshofs vom 9. September 2002110. Dieses Übereinkommen, das die Vorrechte und Befreiungen ___________ Vgl. El-Erian, YBILC 1963 II, 159 (169) (UN-Dokument A/CN.4./161) und Szasz, International Organizations, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 1325 (1326), der davon spricht, das UN-Immunitäten-Übereinkommen “became the prototype of the instruments covering most other world-wide organizations as well as many regional ones”. Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 107 spricht von dem UN-Immunitäten-Übereinkommen als einem „Prototyp entsprechender Übereinkünfte für andere I.O.“ 107 BGBl. 1965 II, S. 1482 = ABl. EG 1967 Nr. 152, S. 13. Zuletzt geändert durch den Vertrag von Nizza vom 26.2.2001, BGBl. 2001 II, S. 1667. Internetfundstelle: (31.3.2006). Zwar war das Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften ursprünglich ein Anhang zu dem Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften („Fusionsvertrag“, BGBl. 1965 II, S. 1453), der durch den Amsterdamer Vertrag vom 2.10.1997 (Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte; BGBl. 1998 II, S. 387) aufgehoben wurde. Doch bestimmte Art. 9 Abs. 1 Amsterdamer Vertrag, daß das Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen trotz Aufhebung des Fusionsvertrags in Kraft bleibt. Das Protokoll ist Bestandteil des Primärrechts der Europäischen Gemeinschaften; vgl. Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 20 f.; Schweitzer, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Recht der Europäischen Union, Bd. III, Art. 291 EGV Rn. 3. Vor der Fusion der Organe der Europäischen Gemeinschaften waren die Exemtionen in drei einzelnen, allerdings wortgleichen Protokollen für die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Euratom von 1951 bzw. 1957 geregelt; vgl. BGBl. 1951 II, S. 479 und BGBl. 1957 II, S. 1182, 1212 sowie Harms, Rechtsstellung der Abgeordneten, S. 86. 108 Vgl. oben Anm. 107. 109 Vgl. Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 22. 110 Agreement on the Privileges and Immunities of the International Criminal Court (APIC); BGBl. 2004 II, S. 1138. Internetfundstelle: (31.3.2006). Ausführlich zu diesem Übereinkommen der kommentar106
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für den Bereich des IStGH umfassend und erschöpfend regelt, wurde im Jahr 2002 von der Vorbereitungskommission für den IStGH ausgearbeitet, die sich aus Staatenvertretern der Unterzeichnerstaaten zusammensetzt. Es ist am 22. Juli 2004 in Kraft getreten und bislang von 35 Staaten ratifiziert worden.111 In bezug auf Europol ist das in Deutschland sehr umstrittene und von der Bundesrepublik erst nach heftigen parlamentarischen Auseinandersetzungen ratifizierte Europol-Immunitätenprotokoll vom 19. Juni 1997112 einschlägig. cc) Dritte Kategorie von Verträgen: Headquarter-Agreements Während die soeben in § 19 I.2.c)bb) erwähnten von den Mitgliedstaaten geschlossenen gesonderten Verträge über Vorrechte und Befreiungen für alle Mitgliedstaaten in gleicher Weise Pflichten zur Exemtionsgewährung normieren und von allen Mitgliedstaaten ratifiziert wurden respektive werden sollen, werden regelmäßig von den internationalen Organisationen und ihren Sitzstaaten zusätzliche bilaterale Headquarter-Agreements getroffen, die ausschließlich den jeweiligen Sitzstaat zur Gewährung von (ergänzenden) Exemtionen verpflichten. Solche Abkommen tragen der Tatsache Rechnung, daß eine internationale Organisation, ihre Funktionsträger und zu der Organisation entsandten Staatenvertreter vor allem der (territorialen) Strafgerichtsbarkeit des Sitzstaates ausgesetzt sind und daher vor allem Exemtionen gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Sitzstaates als geboten angesehen werden.113 Besonders relevante Headquarter-Agreements – nicht zuletzt deshalb, weil auch diese Verträge Vorbildwirkung entfaltet haben – sind der von den Vereinten Natio___________ ähnliche Aufsatz von Mochochoko, Fordham Int’l L.J. 25 (2001-2002), 638 ff (Mochochoko war Leiter der Arbeitsgruppe, die das Übereinkommen ausgearbeitet hat). Siehe ferner Nilsson, LJIL 17 (2004), 559 (561 ff.); Zelniker, Fordham Int’l L.J. 24 (2001), 988 (1005 ff.). 111 Vgl. (31.3.2006). Die Bundesrepublik Deutschland hat das Übereinkommen am 2.9.2004 ratifiziert. Siehe zum deutschen Zustimmungsgesetz (BGBl. 2004 II, S. 1138) auch BT-Drucks. 15/2723 (Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 17.3.2004 mit einer das Übereinkommen erläuternden Denkschrift). 112 Protokoll auf Grund von Artikel 31 des Vertrags über die Europäische Union und von Artikel 41 Absatz 3 des Europol-Übereinkommens über die Vorrechte und Immunitäten für Europol, die Mitglieder der Organe, die stellvertretenden Direktoren und die Bediensteten von Europol; BGBl. 1998 II, S. 975 = ABl. EG 1997 Nr. C 221, S. 1 = „Sartorius II“ Nr. 302. Vgl. auch BT-Drucks. 13/9084. Die Änderung durch das Protokoll vom 28.11.2002 (ABl. EG 2002 Nr. C 312, S. 1) ist zwar von Deutschland bereits ratifiziert worden (BGBl. 2004 II, S. 83; siehe auch BT-Drucks. 15/1648), jedoch bislang noch nicht in Kraft getreten. 113 Vgl. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 31 Rn. 31 sowie ausführlich Muller, International Organizations and Their Host States, passim. Eine Übersicht über HeadquarterAgreements von UN-nahen Organisationen findet sich in YBILC 1985 II/1/Add., 145 (148 f.) (UN-Dokument A/CN.4./L.383).
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nen mit ihrem Sitzstaat USA geschlossene Vertrag vom 26. Juni 1947114 und der von den Vereinten Nationen mit dem Sitzstaat Schweiz geschlossene Vertrag vom 11. Juni und 1. Juli 1946115. Diese Headquarter-Agreements sind jedoch für Deutschland nur insofern von Relevanz, als deutsche Gesandte in den Genuß der in den Abkommen festgelegten Exemtionen kommen können. Dagegen normieren die von der Bundesrepublik als Sitzstaat internationaler Organisationen geschlossenen Headquarter-Agreements Schranken für die Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit. An dieser Stelle soll exemplarisch auf folgende Deutschland verpflichtende Headquarter-Agreements hingewiesen werden: das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen über den Sitz des Freiwilligenprogramms der Vereinten Nationen vom 10. November 1995,116 das Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, den Vereinten Nationen und dem Sekretariat des Übereinkommens der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung über den Sitz des Ständigen Sekretariats des Übereinkommens vom 18. August 1998,117 und das Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Patentorganisation über den Sitz des Europäischen Patentamtes vom 19.10.1977118.119
___________ 114 Agreement between the United Nations and the United States of America regarding the Headquarters of the United Nations. Signed at Lake Success, on 26. June 1947; UNTS 11, 11. 115 Interim Arrangement on Privileges and Immunities of the United Nations Concluded between the Secretary-General of the United Nations and the Swiss Federal Council. Signed at Bern on 11 June 1946 and at New York on 1 July 1946; UNTS 1, 163. Da die Schweiz bis zum Jahr 2002 nicht Mitglied der Vereinten Nationen war, dennoch aber die Vereinten Nationen mit Einverständnis der Schweiz in dieser als Nachfolger des ehedem in Genf ansässigen Völkerbundes seit jeher einen Sitz unterhalten, war dieser Vertrag lange Zeit ein vollkommen atypisches Headquarter-Agreement, nämlich ein solches mit einem Drittstaat. Der sachliche Gehalt dieses Vertrags entspricht dem des UN-ImmunitätenÜbereinkommens. Diesem konnte die Schweiz solange, wie sie nicht Mitglied der Vereinten Nationen war, nicht beitreten. 116 BGBl. 1996 II, S. 905. Dieses Headquarter-Agreement ergänzt das ohnehin anwendbare UN-Immunitäten-Übereinkommen (vgl. Art. 4 Headquarter-Agreement). Die in diesem Headquarter-Agreement vereinbarten Exemtionen gehen teilweise über diejenigen hinaus, die im UN-Immunitäten-Übereinkommen festgelegt sind. Soweit dies der Fall ist, wird hierauf bei der Erörterung der im UN-Immunitäten-Übereinkommen festgelegten Exemtionen hingewiesen. Vgl. auch BT-Drucks. 14/3851. 117 BGBl. 1999 II, S. 220. Dieses Headquarter-Agreement bestimmt, daß das in Anm. 116 genannte Headquarter-Agreement entsprechende Anwendung findet, und legt zudem in Art. 5 eine Immunität ratione materiae für alle in amtlicher Eigenschaft an der Arbeit des Sekretariats teilnehmenden Personen fest. Vgl. BT-Drucks. 14/228, insb. S. 18. 118 BGBl. 1978 II, S. 337. 119 Weitere Nachw. bei Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 20 GVG Rn. 5.
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dd) Vierte Kategorie von Verträgen: Verträge mit Drittstaaten Verträge internationaler Organisationen mit Drittstaaten, durch die diese sich verpflichten, der betreffenden Organisation und ihren Funktionsträgern Exemtionen von der eigenen nationalen Strafgewalt zuzubilligen,120 sind recht selten. Grundsätzlich haben nämlich Drittstaaten kein Interesse daran, internationalen Organisationen, deren Mitglied sie nicht sind, sowie deren Funktionsträgern Exemtionen von ihrer Hoheitsgewalt zuzuerkennen. Aber auch die internationalen Organisationen selbst können typischerweise nicht daran interessiert sein, eine Freistellung der eigenen Funktionsträger sowie der Räumlichkeiten und Besitztümer der Organisation von der Strafgewalt von Drittstaaten zu erreichen. Denn zum einen werden die Funktionsträger einer Organisation regelmäßig in Drittstaaten nicht dienstlich aktiv und befinden sich die Räumlichkeiten und sonstigen Besitztümer einer internationalen Organisation normalerweise nicht im Hoheitsgebiet von Drittstaaten.121 Diesen ist damit regelmäßig ein strafprozessualer Zugriff gar nicht möglich. Zum anderen kann eine internationale Organisation nicht einseitig in die Rechtspositionen von Drittstaaten eingreifen, also keine Maßnahmen treffen, durch die Drittstaaten rechtliche Nachteile erleiden. Daher besteht kaum die Gefahr, daß Drittstaaten mit dem Ziel, auf die Tätigkeit einer Organisation Einfluß zu nehmen, in unlauterer Weise gegen die Organisation oder ihre Funktionsträger strafrechtlich einschreiten. Eine solche Gefahr, der durch die Vereinbarung von Exemtionen zu begegnen wäre, ist eine zu vernachlässigende Größe. Verträge über Exemtionen mit Drittstaaten sind deshalb nur dann üblich, wenn internationale Organisationen im Gebiet von Drittstaaten ständige Repräsentanzen errichten. Dann werden regelmäßig Vereinbarungen getroffen, aufgrund derer die „Diplomaten“ der Organisation ähnlich wie die diplomatischen Vertreter von Staaten im Gebiet der Empfangsstaaten Exemtionen von deren Strafgewalt genießen.122 d) Nationale deutsche Exemtionsregelungen Auch wenn sich die vorliegende Untersuchung mit der Frage völkerrechtlicher Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit befaßt, so gilt es doch, auch diejenigen nationalen deutschen Rechtsvorschriften in den Blick zu nehmen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den völkerrechtlichen Exemtionen stehen und diese in gewisser Weise ergänzen. Mit § 20 Abs. 1 GVG wurde eine solche natio___________ Vgl. diesbezüglich auch oben § 19 I.1.d). Vgl. aber oben Anm. 115. 122 Vgl. hierzu näher unten bei § 19 III.1. Im umgekehrten Fall, daß ein Drittstaat bei einer internationalen Organisation eine ständige Beobachtermission errichtet, werden Exemtionen für die Mission und ihre Mitglieder regelmäßig aufgrund einer Regelung in einem von den Mitgliedstaaten der Organisation vereinbarten Vertrag über Vorrechte und Immunitäten oder einer Regelung in einem Headquarter-Agreement gewährt. 120 121
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nale Exemtionsregelung bereits erläutert.123 Während aber die Bestimmung des § 20 Abs. 1 GVG – wohl aufgrund ihres Regelungsorts im GVG – in der wissenschaftlichen Literatur trotz ihrer geringen praktischen Relevanz gewisse Beachtung findet, haben die hier zu betrachtenden nationalen Regelungen über Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen bislang in der Literatur kaum Aufmerksamkeit erlangt. Es handelt sich um drei Regelungen, die in Art. 3 des deutschen Zustimmungsgesetzes vom 16. August 1980 zum Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen124 bzw. in Art. 3 des deutschen Zustimmungsgesetzes vom 22. Juni 1954 zum Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen125 normiert sind. aa) Die Ermächtigung zur Gewährung von Exemtionen für den Bereich der Vereinten Nationen über das völkerrechtlich gebotene Maß hinaus Das UN-Immunitäten-Übereinkommen von 1946126 gewährt den Funktionsträgern der Vereinten Nationen und den Staatenvertretern bei den Vereinten Nationen überwiegend nur sachlich begrenzte Exemtionen. Für die meisten Personen ist nur eine Immunität ratione materiae für Diensthandlungen von der Strafgerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten vorgesehen, nicht eine umfassende Immunität ratione personae.127 Art. 3 Abs. 1 des deutschen Zustimmungsgesetzes zum UN-Immunitäten-Übereinkommen ergänzt das Übereinkommen insofern, als die Bundesregierung ermächtigt wird, durch Erlaß von Rechtsverordnungen den Staatenvertretern bei den Vereinten Nationen, den Bediensteten der Vereinten Nationen, den Familienangehörigen und privaten Hausangestellten dieser Personen sowie den im Auftrag der Vereinten Nationen tätigen Sachverständigen weiterreichende Exemtionen als im UN-Immunitäten-Übereinkommen vorgesehen – nämlich „diplomatische Vorrechte und Immunitäten“ – zu gewähren.128 Diese Verordnungsermächtigung im Sinne des Art. 80 Abs. 1 GG lautet: ___________ Vgl. oben § 17 II. und § 18 V. Gesetz zu dem Übereinkommen vom 13. Februar 1946 über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen vom 16.8.1980; BGBl. 1980 II, S. 941. 125 Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen vom 21. November 1947 und über die Gewährung von Vorrechten und Befreiungen an andere zwischenstaatliche Organisationen vom 22.6.1954; BGBl. 1954 II, S. 639. Neugefaßt durch Art. 4 Abs. 1 des in Anm. 124 genannten Gesetzes. 126 Vgl. oben Anm. 98. 127 Vgl. zum Exemtionsumfang unten § 19 II.2. und IV.3.a). 128 Die Verordnungsermächtigung gestattet allerdings nicht nur Personen, die bereits nach dem UN-Immunitäten-Übereinkommen gewisse Exemtionen genießen, darüber hinaus umfassendere Exemtionen zu gewähren, sondern auch solchen Personen, denen nach 123 124
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„Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates den Vereinten Nationen, den Vertretern ihrer Mitglieder, den Bediensteten der Vereinten Nationen und den zum Haushalt der genannten Personen gehörenden Familienmitgliedern und privaten Hausangestellten sowie den im Auftrag der Vereinten Nationen tätigen Sachverständigen diplomatische Vorrechte und Immunitäten zu gewähren, soweit diese nicht in dem Übereinkommen geregelt sind.“
Die Ermächtigung zur Gewährung von „diplomatischen Vorrechten und Immunitäten“ darf nicht dahingehend verstanden werden, daß den genannten Personen „nur“ diejenigen Exemtionen durch Rechtsverordnung gewährt werden dürfen, die Mitglieder diplomatischer Missionen mit vergleichbarem Status nach dem WÜD – der Kodifikation des Diplomatenrechts – zustehen. Würde man die Verordnungsermächtigung so verstehen, dann dürften beispielsweise privaten Hausangestellten von UN-Bediensteten keine Exemtionen von deutscher Strafgerichtsbarkeit gewährt werden, da diese gemäß Art. 37 Abs. 4 WÜD keine Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen.129 Die unspezifische Klausel „diplomatische Vorrechte und Immunitäten“ wird vielmehr im Völkerrecht stets auf die Exemtionen der Diplomaten im Sinne des Art. 1 lit. e) WÜD bezogen, die gemäß Art. 29 und Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD umfassende Befreiungen, nämlich uneingeschränkte persönliche Unverletzlichkeit und Immunität ratione personae, genießen. Es ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber diese Klausel in der Verordnungsermächtigung in dem Sinne verstanden wissen wollte, wie sie im Völkerrecht interpretiert wird. Die Verordnungsermächtigung geht also dahin, daß allen genannten Personen durch Rechtsverordnung umfassende persönliche Unverletzlichkeit im Sinne des Art. 29 WÜD und Immunität ratione personae – also Immunität sowohl für private als auch für dienstliche Handlungen – im Sinne des Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD gewährt werden darf. 130 Da die Bundesregierung derart weitreichende Exemtionen gewähren darf, wird man sie aber – a maiore ad minus – auch für berechtigt halten dürfen, im Einzelfall weniger weitreichende Exemtionen festzulegen.131 Von der Verordnungsermächtigung des Art. 3 Abs. 1 des deutschen Zustimmungsgesetzes zum UN-Immunitäten-Übereinkommen ist allerdings – soweit ersichtlich – bislang kein Gebrauch gemacht worden. Dies ist rechtspolitisch zu begrüßen. Denn wie nachfolgend gezeigt wird, müssen die vom UN-ImmunitätenÜbereinkommen gewährten Exemtionen als grundsätzlich ausreichend für den Schutz der Funktionsfähigkeit der Vereinten Nationen angesehen werden. ___________ dem UN-Übereinkommen gar keine strafrechtlichen Exemtionen zustehen (etwa Familienangehörigen „normaler“ Bediensteter) erstmalig solche Exemtionen zu gewähren. 129 Vgl. hierzu oben § 13 I.1.e). 130 In der Begründung zum Gesetzentwurf ist allerdings lediglich auf die Möglichkeit der Befreiung von den Vorschriften über die soziale Sicherheit verwiesen worden. Vgl. BT-Drucks. 8/3232, S. 6 f. 131 Die Exemtionen müssen lediglich über diejenigen hinausreichen, die bereits nach dem UN-Immunitäten-Übereinkommen gewährt werden.
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bb) Exemtionen für Teilnehmer an in Deutschland durchgeführten internationalen Konferenzen Art. 3 Abs. 2 des deutschen Zustimmungsgesetzes zum UN-Immunitäten-Übereinkommen legt fest, daß die Teilnehmer an internationalen Konferenzen und ähnlichen Veranstaltungen, die von den Vereinten Nationen, einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen132 oder einer sonstigen mit den Vereinten Nationen eng verbundenen internationalen Organisation133 ausgerichtet werden und die mit Zustimmung der Bundesregierung in Deutschland stattfinden, Exemtionen unter anderem von der deutschen Strafgewalt genießen.134 Bei dieser Bestimmung handelt es sich nicht um eine Verordnungsermächtigung, sondern um eine unmittelbar Exemtionen gewährende Rechtsnorm. Art. 3 Abs. 2 Zustimmungsgesetz zum UN-ImmunitätenÜbereinkommen lautet: „Teilnehmer an Kongressen, Seminaren oder ähnlichen Veranstaltungen der Vereinten Nationen, der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen und der durch zwischenstaatliche Vereinbarungen geschaffenen Organisationen unter dem Schirm der Vereinten Nationen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes stattfinden und denen die Bundesregierung ausdrücklich zugestimmt hat, genießen die in Artikel VI des Übereinkommens vorgesehenen Vorrechte und Immunitäten, sofern ihnen diese aufgrund des Privilegienstatuts der veranstaltenden Organisation nicht bereits zustehen. Für die Aufhebung der Immunität nach Maßgabe des Artikels VI Abschnitt 23 ist die veranstaltende Organisation zuständig.“
Als geschützte Veranstaltungsteilnehmer sind nur die Personen anzusehen, die unmittelbar an der Veranstaltung teilnehmen, nicht auch diejenigen, die – etwa als persönlicher Chauffeur eines Teilnehmers – lediglich unterstützende Tätigkeiten ausüben. Unerheblich ist aber, ob die teilnehmenden Personen als Staatenvertreter oder als Funktionsträger der ausrichtenden oder einer dritten Organisation angesehen werden können.135 Auch Vertreter privater Organisationen, etwa von NGOs, die von der veranstaltenden Organisation zur Teilnahme an der Veranstaltung eingeladen worden sind, oder – bedeutsam bei Konferenzen, deren Ziel die Beendigung bewaffneter Auseinandersetzungen oder die Schaffung einer Friedensordnung nach dem Ende eines kriegerischen Konflikts ist – Vertreter von Bürgerkriegsparteien oder einzelnen Bevölkerungsgruppen werden erfaßt. ___________ Vgl. zu den Sonderorganisationen oben Anm. 101 und dazugehöriger Text. Dazu gehört beispielsweise die World Trade Organization (WTO) (BGBl. 1994 II, S. 1438, 1625), aber auch der IStGH (vgl. Art. 2 IStGH-Statut). Vgl. auch BTDrucks. 8/3232, S. 7. 134 Vgl. zu dieser Vorschrift BT-Drucks. 8/3232, S. 7 sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. II. E. 2. 135 Staatenvertreter bei einer von einer internationalen Organisation veranstalteten Konferenz genießen regelmäßig bereits aufgrund der für die Organisation geltenden völkervertraglichen Exemtionsregelungen Freistellungen von der Gerichtsbarkeit des Tagungsorts. Vgl. hierzu unten § 19 IV.3.a)aa). 132 133
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Ausdrücklich werden nur diejenigen Exemtionen gewährt, die in Art. VI UNImmunitäten-Übereinkommen vorgesehen sind. Dies bedeutet zum einen, daß die geschützten Veranstaltungsteilnehmer persönliche Unverletzlichkeit im Sinne einer Freistellung von Festnahme oder Haft genießen.136 Dies schließt zwar nicht schon pauschal die Vornahme strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen aus, bedeutet aber, daß strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, die mit einer nicht nur kurzfristigen Einschränkung der Bewegungsfreiheit der betreffenden Person verbunden sind, untersagt sind. Eine Durchsuchung nach §§ 102 f. StPO an dem Ort, an dem eine geschützte Person betroffen wird, ist danach statthaft, nicht aber ein Verbringen der Person zum Zweck einer Untersuchung nach §§ 81a ff. StPO an einen anderen Ort oder eine Inhaftierung nach §§ 112 ff. StPO. Zum anderen genießen die geschützten Personen Immunität ratione materiae für ihre in sachlichem Zusammenhang mit ihrer Konferenzteilnahme stehenden Handlungen, vor allem für ihre bei der Konferenz getätigten mündlichen und schriftlichen Äußerungen.137 Zudem sind ihre Papiere und Schriftstücke unverletzlich, also einem strafprozessualen Zugriff vollständig entzogen;138 auch ist die Beschlagnahme des persönlichen Gepäcks der Veranstaltungsteilnehmer untersagt139. Das persönliche Gepäck darf zwar nach §§ 102 f. StPO durchsucht werden, nicht aber nach §§ 94 ff. StPO beschlagnahmt und damit für längere Zeit der Verfügungsgewalt der geschützten Person entzogen werden. Die persönliche Unverletzlichkeit, also die Freistellung von Festnahme und Haft, wird ohne Ausnahme gewährt. Dies bedeutet, daß auch dann, wenn einem Teilnehmer die Begehung eines völkerrechtlichen Verbrechens, also einer Tat nach dem VStGB, vorgeworfen wird, eine Inhaftierung nicht statthaft ist. Dies kann insbesondere im Zusammenhang mit Konferenzen von Bedeutung sein, auf denen Vertreter von (Bürger-)Kriegsparteien nach Beendigung bewaffneter Auseinandersetzungen über eine Nachkriegsordnung befinden sollen.140 ___________ Vgl. Art. VI Abschn. 22 lit. a) UN-Immunitäten-Übereinkommen. Siehe auch unten § 19 II.2.b). Diese Unverletzlichkeit gilt allerdings nach Art. 3 Abs. 3 Zustimmungsgesetz zum UN-Immunitäten-Übereinkommen nicht für Teilnehmer, die Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind und über einen deutschen Reisepaß oder Personalausweis verfügen, sowie für Teilnehmer, die im Bundesgebiet ständig ansässig sind. Vgl. auch das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. II. E. 2. 137 Vgl. Art. VI Abschn. 22 lit. b) UN-Immunitäten-Übereinkommen. Siehe auch unten § 19 II.2.b). Für die oben in Anm. 136 genannten Personen gilt diese Immunität ratione materiae allerdings insofern nur eingeschränkt, als Taten im Zusammenhang mit Verstößen gegen Vorschriften des Straßenverkehrs gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Zustimmungsgesetz zum UN-Immunitäten-Übereinkommen von der Exemtion ausgenommen sind. 138 Vgl. Art. VI Abschn. 22 lit. c) UN-Immunitäten-Übereinkommen. 139 Vgl. Art. VI Abschn. 22 lit. a) UN-Immunitäten-Übereinkommen. 140 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie sich diese nationale Exemtionsregelung zu völkerrechtlichen Bestrafungspflichten bei völkerrechtlichen Verbrechen ver136
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cc) Verordnungsermächtigung des Zustimmungsgesetzes zum Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen der UN Eine nationale deutsche Exemtionsregelung für den Bereich internationaler Organisationen mit erheblicher praktischer Relevanz, gleichzeitig aber auch verfassungsrechtlicher Brisanz, enthält Art. 3 des Zustimmungsgesetzes vom 22. Juni 1954 zum Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen.141 Diese Regelung ist im Jahr 1964 geändert worden142 und hat ihre derzeitige Fassung durch Art. 4 Abs. 1 Zustimmungsgesetz zum UN-Immunitäten-Übereinkommen143 erhalten. Die Vorschrift lautet: „Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates, soweit dies im Interesse der Pflege internationaler Beziehungen erforderlich ist, Rechtsverordnungen zu erlassen 1. über die Anwendung des Abkommens auf a) die Sonderorganisationen der Vereinten Nationen, b) durch zwischenstaatliche Vereinbarungen geschaffene Organisationen, die nicht Sonderorganisationen der Vereinten Nationen sind, c) Einrichtungen anderer Staaten; 2. über die Gewährung diplomatischer Vorrechte und Immunitäten an a) die in Nummer 1 genannten Organisationen und Einrichtungen, b) die Bediensteten dieser Organisationen und Einrichtungen sowie die zum Haushalt der Bediensteten gehörenden Familienmitglieder und privaten Hausangestellten,
___________ hält. Es ist davon auszugehen, daß die völkerrechtlichen Bestrafungspflichten, da sie letztlich dem Schutz des Friedens und der Menschenrechte dienen sollen, nicht absolut gelten, sondern Ausnahmen zulassen – etwa durch Gewährung von Immunitäten, aber auch von Amnestien – wenn ihre Durchsetzung einen gegenteiligen Effekt haben könnte, also der Schaffung einer Friedensordnung und der Sicherung der Menschenrechte entgegenwirken würde. Vgl. diesbezüglich Gropengießer, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 382 ff.; Kreicker, Art. 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze, S. 40 ff.; ders., in: Eser/Kreicker (Hrsg.), a.a.O., S. 441 Fn. 1933; Tomuschat, in: Cremer u.a. (Hrsg.), FS Steinberger, S. 315 (343 ff.). Daher verstößt es nicht gegen völkerrechtliche Bestrafungspflichten bei völkerrechtlichen Verbrechen, wenn Personen in Deutschland von strafprozessualer Zwangsgewalt freigestellt werden, die auf Einladung der Vereinten Nationen, einer ihrer Sonderorganisationen oder einer Organisation unter dem Schirm der Vereinten Nationen an einer Veranstaltung in Deutschland teilnehmen. Allein die Tatsache, daß eine bestimmte Person von den Vereinten Nationen oder einer mit ihr verbundenen Organisation zur Teilnahme eingeladen wird, zeigt, daß die Völkergemeinschaft der Mitwirkung dieser Person an der Konferenz zur Erreichung der Ziele der Vereinten Nationen Vorrang vor einer Strafverfolgung einräumt. 141 Vgl. oben Anm. 125. 142 Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes vom 22. Juni 1954 über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen vom 21. November 1947 und über die Gewährung von Vorrechten und Befreiungen an andere zwischenstaatliche Organisationen vom 28.2.1964; BGBl. 1964 II, S. 187. 143 Vgl. oben Anm. 124.
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen c) die Vertreter der Mitglieder dieser Organisationen sowie die zum Haushalt der Vertreter gehörenden Familienmitglieder und privaten Hausangestellten, d) die Sachverständigen, die Aufträge für diese Organisationen durchführen.“
Auch diese Vorschrift normiert keine direkt anwendbaren Exemtionen, sondern stellt lediglich eine Verordnungsermächtigung im Sinne des Art. 80 Abs. 1 GG dar. Durch diese Verordnungsermächtigung wird der Bundesregierung gestattet, mit Zustimmung des Bundesrates144 für die Strafverfolgungsbehörden und andere Staatsorgane verbindliche Exemtionsregelungen durch Rechtsverordnung zu erlassen.145 Mit dieser Verordnungsermächtigung wollte sich der Bundesgesetzgeber vor allem von der Aufgabe entlasten, für jede internationale Organisation, der die Bundesrepublik beitritt, eine gesetzliche Regelung über Exemtionen – und sei es nur durch Verabschiedung eines Zustimmungsgesetzes zu einem völkerrechtlichen Vertrag über die Vorrechte und Befreiungen der Organisation – schaffen zu müssen.146 Die durch völkerrechtliche Verträge gebotenen Exemtionsbestimmungen sollen der Einfachheit halber auch von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung erlassen werden können.147 Allerdings ist die Verordnungsermächtigung äußerst weitgehend. Art. 3 Nr. 1 lit. a) und b) ermächtigen zunächst dazu, die Geltung der Exemtionsregelungen des Immunitätenabkommens für die Sonderorganisationen auch auf andere internationale Organisationen zu erstrecken. Soweit in lit. a) die Sonderorganisationen explizit genannt werden, obwohl bereits das Immunitätenabkommen selbst die Sonderorganisationen erfaßt, liegt dies daran, daß mit dem Zustimmungsgesetz zu diesem Immunitätenabkommen nur die zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung existierenden Sonderorganisationen erfaßt werden konnten. Um ___________ 144 Dieses Zustimmungserfordernis folgt aus Art. 80 Abs. 2 GG, wonach Rechtsverordnungen aufgrund von Bundesgesetzen, die von den Ländern als eigene Angelegenheiten auszuführen sind – und dazu zählen auch Gesetze, die strafrechtlich relevante Exemtionsregelungen enthalten – der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Vgl. Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 80 Rn. 35. 145 Vgl. BT-Drucks. II/156, S. 3 ff.; BT-Drucks. 8/3232, S. 7 f. Wenckstern, NJW 1987, 1113 (1115 ff.); ders., Hdb. IZVR II/1, Rn. 143 ff. äußert Bedenken, ob Exemtionsregelungen, die in Rechtsverordnungen enthalten sind, als gegenüber formellen Gesetzen nachrangige Normen überhaupt in der Lage sein können, verfahrensrechtliche Bestimmungen in formellen Gesetzen (hier: die Strafverfolgungspflicht nach § 152 Abs. 2 StPO) zu begrenzen. Doch sind diese formalen Bedenken im Ergebnis unbegründet. Denn das Legalitätsprinzip ist kein absolutes, nur durch spezielle gleichrangige oder sogar höherrangige Normen begrenztes Prinzip, sondern ein allgemeines Prinzip, das nur im Rahmen und unter Beachtung der gesamten Rechtsordnung Geltung beansprucht. Bedenken gegen eine Schaffung von Exemtionen durch Erlaß einer exekutiven Rechtsverordnung ergeben sich vielmehr – wie sogleich aufgezeigt werden soll – in demokratietheoretischer Hinsicht. 146 Vgl. BT-Drucks. II/156, S. 3 ff.; BT-Drucks. IV/1482, S. 3; BT-Drucks. IV/1776, S. 2. 147 Auf die Möglichkeit einer Umsetzung völkervertraglicher Pflichten, namentlich völkervertraglicher Exemtionsregelungen durch Rechtsverordnungen wurde bereits oben in § 2 IV.2. eingegangen. Auf die dortigen allgemeinen Ausführungen wird hier verwiesen.
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das Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen auch für neue Sonderorganisationen innerstaatlich anwendbar zu machen, ist jeweils ein neuer innerstaatlicher Rechtsakt erforderlich. Aufgrund der Verordnungsermächtigung reicht jedoch der Erlaß einer entsprechenden Rechtsverordnung aus. Art. 3 Nr. 1 lit. c) ermächtigt darüber hinaus die Bundesregierung, die Maßgeblichkeit der Exemtionsbestimmungen des Immunitätenabkommens für die Sonderorganisationen auch für „Einrichtungen anderer Staaten“ anzuordnen. Der Begriff „Einrichtung“ wird allerdings nicht spezifiziert.148 Internationale Organisationen im Sinne von institutionalisierten Einrichtungen, die auf eine gewisse Dauer angelegt sind und von zwei oder mehr Staaten oder anderen Völkerrechtssubjekten durch völkerrechtlichen Vertrag geschaffen worden sind,149 können damit jedoch nicht gemeint sein, da diese bereits durch Art. 3 Nr. 1 lit. b) erfaßt werden. Insofern können nur Institutionen gemeint sein, die entweder von einen Staat alleine getragen oder aber zwar von mehreren Staaten gemeinsam getragen werden, aber nicht über die Merkmale verfügen, die erfüllt sein müssen, damit man von einer internationalen Organisation sprechen kann. Letztlich aber ist der Begriff der Einrichtung derart vage, daß es möglich ist, alle nur denkbaren Institutionen darunter zu subsumieren.150 Die bereits weitreichende Ermächtigung durch Art. 3 Nr. 1 wird noch erweitert durch Art. 3 Nr. 2, der vorsieht, daß die Bundesregierung den in Nr. 1 genannten Organisationen und Einrichtungen, den Bediensteten solcher Organisationen und Einrichtungen, den Staatenvertretern bei internationalen Organisationen, den für eine Organisation tätigen Sachverständigen sowie bestimmten Familienangehörigen durch Erlaß einer Rechtsverordnung nicht nur die im Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen vorgesehenen Exemtionen zuerkennen, sondern diesen darüber hinaus auch „diplomatische Vorrechte und Immunitäten“ zusprechen darf. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Klausel „diplomatische Vorrechte und Immunitäten“ bezogen auf Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit im Sinne einer umfassenden Unverletzlichkeit – also einer Freistellung von strafprozessualer Zwangsgewalt entsprechend den Regelungen der Art. 22, 24, 27 und 29 WÜD – sowie einer umfassenden Immunität ratione personae entsprechend der Regelung des Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD zu verstehen ist.151 ___________ Auch in der amtlichen Gesetzesbegründung wird dieser Begriff nicht erläutert; vgl. BT-Drucks. IV/1482, S. 3. In einem Bericht des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten werden allerdings Handelsvertretungen (sozialistischer Staaten) als Beispiel für „Einrichtungen“ i.S.d. Gesetzes genannt; vgl. BT-Drucks. IV/1776, S. 2. 149 Vgl. zu den Kennzeichen internationaler Organisationen oben § 19 I.1.a). 150 Lediglich Institutionen, die ausschließlich von der Bundesrepublik Deutschland getragen werden, fallen mit Sicherheit nicht unter den Begriff der Einrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 1 lit. c), da dort explizit von Einrichtungen „anderer Staaten“ die Rede ist. 151 So auch BT-Drucks. II/156, S. 3 ff. 148
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Bezogen auf die hier interessierende Freistellung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit heißt dies, daß die Bundesregierung durch Art. 3 Nr. 2 ermächtigt wird, allen internationalen Organisationen und allen „Einrichtungen“, allen Bediensteten von internationalen Organisationen und Einrichtungen, allen Staatenvertretern bei internationalen Organisationen, allen für eine internationale Organisation tätigen Sachverständigen sowie den Familienangehörigen und privaten Hausangestellten der Bediensteten und der Staatenvertreter durch Rechtsverordnung umfassende Exemtionen zuzuerkennen, die zu einer vollständigen Befreiung von der deutschen Strafgerichtsbarkeit führen. Da die Bundesregierung ermächtigt wird, internationalen Organisationen und Einrichtungen sowie den genannten Personengruppen umfassende Exemtionen im Sinne der Art. 22, 24, 27 und 29 WÜD sowie des Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD zu gewähren, wird man sie – a maiore ad minus – auch als ermächtigt ansehen dürfen, weniger weitreichende Exemtionen zu gewähren, soweit dies aus ihrer Sicht ausreichend erscheint. Die einzige Einschränkung, die Art. 3 Zustimmungsgesetz zum Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen normiert, geht dahin, daß die Exemtionen „im Interesse der Pflege internationaler Beziehungen erforderlich sein müssen“. Diese Formulierung ist aber derart unpräzise, daß sie keine echte Hürde für den Erlaß einer Rechtsverordnung darstellen dürfte. Weil die Verordnungsermächtigung damit praktisch schrankenlos ist, muß sie als verfassungsrechtlich zumindest bedenklich angesehen werden.152 Art. 80 Abs. 1 GG ermächtigt die Legislative nicht dazu, die ihr verfassungsrechtlich zukommende Aufgabe des Normerlasses umfänglich an die Exekutive zu delegieren.153 Dies gilt insbesondere in bezug auf die Gewährung von Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, da der Exekutive mit der Befugnis zum Erlaß entsprechender Rechtsverordnungen die Möglichkeit gegeben wird, bestimmte Personengruppen der Strafgewalt der Judikative zu entziehen. Vor dem Hintergrund des Prinzips der Gewaltenteilung und in demokratietheoretischer Hinsicht ist es generell sehr bedenklich, wenn die Exekutive ermächtigt wird, Exemtionsregelungen zu erlassen, die bestimmte Personengruppen der Judikative entziehen. Diese Bedenken verstärken sich, wenn die Ermächtigung, wie im Fall der hier erörterten Norm, praktisch schrankenlos ist. Aus gutem Grund fordert Art. 80 Abs. 1 GG, daß eine Verordnungsermächtigung so präzise sein muß, daß Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung erkennbar sind.154 Für den Bereich der Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit heißt dies, daß die Legislative selbst darüber entscheiden muß, welche Institutionen und Personengruppen zu welchem Zweck in welchem maximalen Umfang von der deutschen Strafgerichtsbarkeit freigestellt werden sollen bzw. freigestellt werden dürfen. Während der Zweck der Ermächti___________ 152 153 154
A.A. aber Wenckstern, NJW 1987, 1113 (1115); ders., Hdb. IZVR II/1, Rn. 139 f. Vgl. Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 80 Rn. 19 ff. Vgl. Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 80 Rn. 23 ff.
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gung mit dem vagen Hinweis auf die „Pflege internationaler Beziehungen“ immerhin genannt ist, kann angesichts der Unbestimmtheit des Begriffs „Einrichtung“ und der pauschalen Befugnis, „diplomatische Vorrechte und Befreiungen“ zu gewähren, kaum von inhaltlichen Grenzen der Ermächtigung gesprochen werden. Von dieser Verordnungsermächtigung hat die Bundesregierung verschiedentlich Gebrauch gemacht, um internationale Organisationen und die in ihrem Bereich tätigen Personen von deutscher Hoheitsgewalt freizustellen.155 Der Umfang der durch diese Rechtsverordnungen gewährten Exemtionen hielt und hält sich jedoch im Rahmen des völkerrechtlich Üblichen, so daß jedenfalls die bislang auf der Basis des Art. 3 Zustimmungsgesetz zum Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen erlassenen Rechtsverordnungen unbedenklich sind. Daher soll den hier aufgeworfenen Zweifeln an der Verfassungskonformität der Verordnungsermächtigung nicht weiter nachgegangen werden. e) Zur verfassungsrechtlichen Problematik der Übernahme völkerrechtlicher Exemtionsregelungen durch Rechtsverordnungen Da die Bundesregierung durch Art. 3 Zustimmungsgesetz zum Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen ermächtigt ist, durch Rechtsverordnung internationalen Organisationen und den in ihrem Bereich tätigen Personen umfassende Exemtionen von der deutschen Hoheitsgewalt zuzuerkennen, kann sie auch durch Rechtsverordnung völkervertragliche Regelungen, die solche Exemtionen festlegen, für innerstaatlich verbindlich erklären, also in nationales deutsches Recht
___________ Siehe beispielhaft die Verordnung über die Gewährung von Vorrechten und Befreiungen an die Westeuropäische Union, die nationalen Vertreter, das internationale Personal und die für die Westeuropäische Union tätigen Sachverständigen vom 19.6.1959; BGBl. 1959 II, S. 704, durch die Exemtionen für den Bereich der WEU festgelegt wurden. Vgl. ferner die Verordnung über Vorrechte und Immunitäten des Internationalen Seegerichtshofs vom 10.10.1996; BGBl. 1996 II, S. 2517, durch die bis zum Inkrafttreten des Agreement on the Privileges and Immunities of the International Tribunal for the Law of the Sea vom 23.5.1997 (vgl. unten Anm. 354 und dazugehöriger Text) für Deutschland die Exemtionen für den Bereich des in Hamburg ansässigen Internationalen Seegerichtshofs festgelegt sind. In jüngster Zeit hinzugekommen ist die Verordnung zu dem Abkommen vom 18. August 1998 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, den Vereinten Nationen und dem Sekretariat des Übereinkommens der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung über den Sitz des Ständigen Sekretariats des Übereinkommens vom 13.10.1998 (BGBl. 1998 II, S. 2694) und die Verordnung zu dem Sechsten Protokoll vom 5.3.1996 zum Allgemeinen Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen des Europarats vom 17.5.2001; BGBl. 2001 II, S. 564. Dieses Sechste Protokoll regelt die Vorrechte und Befreiungen für die Richterinnen und Richter des EGMR neu. Bemerkenswert ist, daß das Vierte Protokoll, in dem zuvor die Exemtionen der Richter normiert waren (BGBl. 1963 II, S. 1216), in der Bundesrepublik noch durch ein „normales“ Zustimmungsgesetz transformiert worden war (vgl. BGBl. 1963 II, S. 1215). Vgl. im übrigen auch Wenckstern, NJW 1987, 1113 (1114 f.) mit weiteren Beispielen. 155
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transformieren.156 Genau zu diesem Zweck ist Art. 3 Zustimmungsgesetz zum Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen geschaffen worden.157 Solche durch Rechtsverordnung innerstaatlich umsetzbare völkerrechtliche Verträge werden als „normative Verwaltungsabkommen“ bezeichnet.158 Von Bedeutung ist die Möglichkeit des Erlasses von Rechtsverordnungen nach Art. 3 Zustimmungsgesetz zum Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen aber auch insofern, als die Möglichkeit einer derartigen Transformation völkervertraglicher Normen Auswirkungen auf die Art und Weise des Abschlusses entsprechender völkerrechtlicher Verträge hat. Hierauf wurde oben in § 2 IV.2. bereits kurz hingewiesen; die dortigen Ausführungen sollen im folgenden vertieft werden. Es stellt sich nämlich die Frage, ob die durch Erlaß einer Rechtsverordnung transformablen völkerrechtlichen Verträge über Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen (und „Einrichtungen“) im sogenannten mehrphasigen Verfahren abgeschlossen werden müssen oder ob die vereinfachte Transformationsmöglichkeit zur Folge hat, daß die betreffenden Verträge im einphasigen Verfahren ohne parlamentarische Beteiligung, also als „Verwaltungsabkommen“ geschlossen werden dürfen. Man könnte wie folgt argumentieren: Das mehrphasige Verfahren eines Vertragsabschlusses, also eine Zustimmung der Legislative zum Vertrag in Form eines Bundesgesetzes vor einer Ratifikation durch den Bundespräsidenten, wird von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann gefordert, wenn der betreffende Vertrag die politischen Beziehungen des Bundes regelt oder aber sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht. Der erste Fall ist bei völkerrechtlichen Exemtionsregelungen nicht gegeben.159 Zu dieser Fallgruppe werden nur Verträge gezählt, die die Existenz der Bundesrepublik, ihre territoriale Integrität, ihre Unabhängigkeit oder ihre Stellung in der Staatengemeinschaft betreffen, mithin als „hochpolitisch“ einzustufen sind.160 Wenn man nun unter Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, nur solche faßt, die zu ihrer Umsetzung eines Ge-
___________ 156 Vgl. oben § 2 IV.2. sowie Treviranus, NJW 1983, 1948 (1949 ff.) und Wenckstern, NJW 1987, 1113 (1115), die im Hinblick auf solche transformierenden Rechtsverordnungen keine grundsätzlichen Bedenken haben (siehe aber auch oben Anm. 145). 157 Vgl. oben Anm. 146. 158 Vgl. Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 36; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 139. 159 So auch Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 133. 160 Vgl. BVerfGE 1, 372 (380 ff.); BVerfGE 90, 286 (359) = NJW 1994, 2207 (2212); Kempen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 59 Rn. 63 f.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 163 f.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Art. 59 Rn. 29.
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setzes bedürfen,161 so fallen die hier betrachteten Verträge auch nicht in diese Fallgruppe, da eine Transformation durch Rechtsverordnung möglich ist. Sieht man den Zweck des Zustimmungserfordernisses bei Verträgen, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, darin zu verhindern, daß die Exekutive völkerrechtliche Verpflichtungen eingeht, die sie nicht erfüllen kann, weil sich die Legislative weigert, die zur Transformation erforderlichen nationalen Gesetze zu erlassen,162 so spricht auch der Sinn des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG gegen die Erforderlichkeit einer parlamentarischen Zustimmung zum Vertragsabschluß in den Fällen, in denen eine Transformation durch Erlaß einer Rechtsverordnung, also ohne Verabschiedung eines Gesetzes, möglich ist.163 Hinzu kommt folgendes: Der Bundesgesetzgeber hat – wie erwähnt – die Verordnungsermächtigung des Art. 3 Zustimmungsgesetz zum Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen geschaffen, um nicht stets selbst durch Erlaß eines Gesetzes völkervertragliche Exemtionsregelungen im Bereich internationaler Organisationen umsetzen zu müssen. Wenn nun aber zwar nicht zur Transformation, wohl aber zur Gestattung des Abschlusses jedes Vertrags über Exemtionen ein Zustimmungsgesetz erforderlich wäre, so würde die erteilte Ermächtigung zur Transformation durch Erlaß einer Rechtsverordnung leerlaufen. Denn weil die vertraglichen Regelungen in aller Regel self-executing-Charakter haben, bewirkt bereits ein Zustimmungsgesetz automatisch die Transformation. Eine gesonderte Transformation durch Erlaß einer Rechtsverordnung würde sich dann erübrigen. Damit scheint der Schluß zulässig zu sein, Art. 3 Zustimmungsgesetz zum Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen ermächtige die Bundesregierung, völkervertragliche Exemtionsregelungen im Bereich internationaler Organisationen durch Erlaß einer Rechtsverordnung umzusetzen. Solche völkerrechtlichen Verträge bezögen sich damit nicht auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung. Daher sei keine parlamentarische Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zum Vertragsabschluß erforderlich. Das Grundgesetz gestatte es daher, solche Verträge im einphasigen Verfahren, also als Verwaltungsabkommen abzuschließen. Ein solches Verwaltungsabkommen brauche nicht vom Bundespräsidenten ratifiziert zu werden, sondern die Erklärung, an den Vertrag gebunden sein zu wollen, könne von der Bundesregierung oder einem ihrer Mitglieder abgegeben werden. Kurz gesagt: Völkerrechtliche Verträge, die Exemtionen (von strafrechtlicher Verantwortlichkeit) im Bereich internationaler Organisationen festlegen, könnten von der Bundesregierung ohne Mitwirkung des Bundestages oder des Bundespräsidenten abgeschlossen werden und dann von der Bundesregierung durch Erlaß einer Rechts___________ 161 Vgl. BVerfGE 1, 372 (388 ff.) = NJW 1952, 970 (971); Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 166 ff.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 31 ff. 162 Vgl. BVerfGE 1, 372 (390) = NJW 1952, 970 (971); Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 169; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 21. 163 Allerdings läßt sich als Gegenargument anführen, daß der Erlaß einer transformierenden Rechtsverordnung die Zustimmung des Bundesrates voraussetzt.
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verordnung wiederum ohne Beteiligung des Bundestages innerstaatlich umgesetzt werden. Die Staatspraxis der Bundesrepublik folgt dieser Auffassung und verfährt entsprechend.164 Doch verkennt diese Verfassungsinterpretation die Bedeutung der aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem Demokratieprinzip ableitbaren Wesentlichkeitstheorie, nach der auch im Bereich der „auswärtigen Gewalt“ Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung einer parlamentarischen Zustimmung bedürfen.165 Das Zustimmungserfordernis des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG soll nicht nur dafür sorgen, daß von der Exekutive eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen innerstaatlich nachgekommen werden kann, sondern soll auch sicherstellen, daß völkervertragliche Bindungen, die direkte Auswirkungen auf die gesetzlich normierten Rechtspositionen der Menschen und auf die Kompetenzen der Judikative haben, nicht eigenständig von der Exekutive, sondern nur mit Billigung des Bundestages als unmittelbar demokratisch legitimiertem Staatsorgan eingegangen werden.166 Ganz zu Recht hat das BVerfG daher schon in einer seiner ersten Entscheidungen festgestellt, daß sich auch solche völkerrechtlichen Verträge „auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen“, mithin aufgrund der Kontrollfunktion des Bundestages einer parlamentarischen Zustimmung nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bedürfen und damit im mehrphasigen Verfahren abgeschlossen werden müssen, zu deren Transformation der Erlaß einer Rechtsverordnung ausreicht, sofern eine solche nur mit Zustimmung einer gesetzgebenden Körperschaft erlassen werden kann.167 Dies ist bei den hier in Frage stehenden Rechtsverordnungen der ___________ 164 Vgl. Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 170 f., 177 f. Für die Zulässigkeit des einphasigen Verfahrens offenbar auch Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der Auswärtigen Gewalt, S. 220 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 14, 21; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, Art. 59 Rn. 33, 51; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 24; Treviranus, NJW 1983, 1948 (1949 ff.). 165 Vgl. Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 26. 166 Über den Zweck des Zustimmungserfordernisses und über die damit verbundene Frage, ob das parlamentarische Beteiligungsrecht eng oder weit auszulegen ist, besteht in der Staatsrechtslehre keine Einigkeit. Vgl. zum Stand der Diskussion Kempen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 59 Rn. 31 ff.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 22 ff. 167 BVerfGE 1, 372 (390) = NJW 1952, 970 (971). Vgl. auch Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rn. 105; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 170. Unter engen Voraussetzungen wird man allerdings auch eine antizipierte Zustimmung des Bundestages zum Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrags (etwa in dem Gesetz, das auch zum Erlaß einer transformierenden Rechtsverordnung ermächtigt) für zulässig erachten dürfen. Zumindest verfährt die Rechtspraxis entsprechend. Vgl. diesbezüglich die Ausführungen unten in § 20 IV.2.a) zum Streitkräfteaufenthaltsgesetz, das einerseits eine antizipierte Zustimmung des Bundesgesetzgebers zum Abschluß von völkerrechtlichen Verträgen über den Aufenthalt fremder Streitkräfte in Deutschland enthält und andererseits die Bundesregierung ermächtigt, die getroffenen völkerrechtlichen Vereinbarungen durch Erlaß von
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Fall; diese bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Allerdings braucht die parlamentarische Zustimmung in einem solchen Fall nicht in Form der Verabschiedung eines Bundesgesetzes zu erfolgen, vielmehr reicht ein einfacher Parlamentsbeschluß aus.168 Denn zum einen ist ein Gesetz für eine Transformation der völkervertraglichen Regelungen nicht erforderlich, würde doch die Möglichkeit einer Transformation durch Rechtsverordnung – wie schon erwähnt – leerlaufen, wenn stets ein Zustimmungsgesetz erforderlich wäre, das automatisch die Transformation der völkervertraglichen Normen bewirkte. Und zum anderen ist eine ausreichende parlamentarische Kontrolle exekutiven Handelns im völkerrechtlichen Bereich bereits dann gewährleistet, wenn zum Abschluß eines Vertrags ein zustimmender Parlamentsbeschluß verlangt wird. Daraus folgt: Anders als die – nicht verfassungskonforme – Staatspraxis der Bundesrepublik annimmt, müssen völkerrechtliche Verträge über Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen stets im mehrphasigen Verfahren abgeschlossen werden. Sie dürfen also von der Bundesregierung ausgehandelt und unterzeichnet werden, bedürfen aber vor ihrer Ratifikation, die stets durch den Bundespräsidenten zu erfolgen hat, einer parlamentarischen Zustimmung durch Bundestag und Bundesrat. Diese Zustimmung braucht jedoch nur dann in Form eines Bundesgesetzes erteilt zu werden, wenn dieses gleichzeitig der Transformation der Exemtionsregelungen dienen soll, ansonsten reicht ein einfacher Beschluß aus. Die Transformation der völkervertraglichen Exemtionsregelungen kann auch durch Erlaß einer Rechtsverordnung nach Art. 3 Zustimmungsgesetz zum Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen durch die Bundesregierung vorgenommen werden, wobei aber die Rechtsverordnung der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Für die deutschen Strafverfolgungsbehörden sind die Exemtionsregelungen dann als Bestandteil der Rechtsverordnung unmittelbar beachtlich.169 Die hier skizzierte vereinfachte Form des Vertragsabschlusses und der Transformation ist allerdings nicht zwingend. Vielmehr kann auch der „normale“ Weg des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge und ihrer Transformation beschritten ___________ Rechtsverordnungen umzusetzen. Vgl. hierzu Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 42a. Kritisch gegenüber dieser Staatspraxis Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 59 Rn. 1b. 168 Vgl. Kempen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 59 Rn. 69; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 177 f.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 37 (wobei in der Literatur allerdings zum Teil kein vor Vertragsabschluß einzuholender Zustimmungsbeschluß des Bundestages, sondern allein ein solcher des Bundesrates gefordert wird). Problematisch ist zwar, daß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG explizit von einem „Gesetz“ spricht. Da aber das Erfordernis einer parlamentarischen Zustimmung zu völkerrechtlichen Verträgen, die durch Erlaß einer Rechtsverordnung transformabel sind, nicht unmittelbar in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG normiert ist, sondern auf einer extensiven Auslegung dieser Norm beruht, wird man es umgekehrt für statthaft erachten dürfen, hinsichtlich der Form der Zustimmung den Wortlaut des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht für entscheidend zu halten. 169 Vgl. aber oben Anm. 145.
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werden, also die erforderliche parlamentarische Zustimmung in Form des Erlasses eines Bundesgesetzes erfolgen, das dann gleichzeitig die Transformation der vertraglichen Exemtionsregelungen bewirkt. Tatsächlich werden in der Rechtspraxis Verträge über Vorrechte und Befreiungen im Bereich internationaler Verträge vielfach im „normalen“ Verfahren geschlossen und durch ein parlamentarisches Zustimmungsgesetz transformiert. Von der Möglichkeit des Erlasses einer Rechtsverordnung nach Art. 3 Zustimmungsgesetz zum Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen wurde bislang nur Gebrauch gemacht, soweit es um die Festlegung von inhaltlich wenig bedeutsamen Exemtionen170, von Exemtionen mit offensichtlich geringer praktischer Relevanz171 oder um den Erlaß von Übergangsbestimmungen172 ging. Dies ist angesichts der Bedenklichkeit der Verordnungsermächtigung zu begrüßen.173 3. Ziel und Zweck der Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen a) Achtung der souveränen Gleichheit der Staaten als Rechtsgrund für die Gewährung von Exemtionen Zwar sind internationale Organisationen wie Staaten Völkerrechtssubjekte. Da sie aber lediglich über eine partielle und partikuläre Völkerrechtssubjektivität verfügen, sind sie in ihrer völkerrechtlichen Position nicht den Staaten ebenbürtig. Ein Staat hat gegenüber anderen Staaten einen Anspruch auf Achtung seiner Souveränität und souveränen Gleichheit allein aufgrund seiner Existenz als (ein gegenüber allen anderen Staaten gleichrangiges und gleichberechtigtes) Völkerrechtssubjekt. ___________ 170 So beschränkt sich beispielsweise die Verordnung zu dem Fünften Protokoll vom 18. Juni 1990 zum Allgemeinen Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen des Europarates vom 14.6.1994, BGBl. 1994 II, S. 750 auf die Festlegung von Steuerbefreiungen. 171 Vgl. die oben in Anm. 155 genannte Verordnung vom 19.6.1959 für den Bereich der WEU sowie die in derselben Anmerkung aufgeführte Verordnung vom 17.5.2001 bezüglich der Exemtionen für Richter des EGMR. Die Vorgängerregelung war dagegen noch durch ein Bundesgesetz transformiert worden (vgl. oben Anm. 155). 172 So ist beispielsweise die oben in Anm. 155 genannte Verordnung vom 10.10.1996 gemäß ihrem Art. 2 Abs. 2 in ihrer Geltung zeitlich beschränkt bis zum Inkrafttreten einer Immunitätsvereinbarung für Deutschland. Eine solche ist das Agreement on the Privileges and Immunities of the International Tribunal for the Law of the Sea vom 23.5.1997 (vgl. unten Anm. 354 und dazugehöriger Text). Diese Verordnung ist also lediglich als Übergangsregelung konzipiert. Ein weiteres Beispiel für eine derartige Übergangsregelung ist die – mittlerweile außer Kraft getretene – Verordnung vom 13.10.1998 (BGBl. 1998 II, S. 2694) zur vorläufigen Anwendung des Abkommens über den Sitz des Sekretariats der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung (vgl. zu diesem Abkommen oben Anm. 117). 173 Hirsch, ZRP 1998, 10 (11) und Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 18, 21 berichten, die Bundesregierung habe ursprünglich vorgehabt, das heftig kritisierte Europol-Immunitätenprotokoll (vgl. hierzu unten § 19 II.5.b)) per Rechtsverordnung umzusetzen, hiervon aber abgesehen (vgl. auch BT-Drucks. 13/9084, S. 1, 6).
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Einen solchen vertragsunabhängigen Anspruch auf Achtung einer rechtlichen Gleichheit und alleinigen Unterworfenheit unter das Völkerrecht haben internationale Organisationen dagegen aufgrund ihrer begrenzten Völkerrechtssubjektivität nicht.174 Die aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten (vgl. Art. 2 Nr. 1 UN-Charta) als Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts folgende Staatenimmunität findet mithin keine (entsprechende) Anwendung auf internationale Organisationen.175 Daher können sich auch die Funktionsträger internationaler Organisationen in bezug auf ihr hoheitlich-dienstliches Handeln für ihre Organisation gegenüber der Strafgerichtsbarkeit einzelner Staaten nicht auf den Grundsatz der Staatenimmunität berufen.176 Exemtionen für internationale Organisationen und ihre Funktionsträger braucht ein Staat vielmehr – wie bereits erwähnt – nur insoweit zu beachten, als diese völkervertraglich festgelegt und die vertraglichen Bestimmungen von dem betreffenden Staat anerkannt worden sind. Hieraus folgt aber auch, daß sich die völkervertraglich vereinbarten Exemtionen für internationale Organisationen und ihre Funktionsträger nicht mit dem Hinweis auf die völkerrechtlichen Grundsätze der Souveränität und souveränen Gleichheit begründen lassen. Während die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts auch damit legitimiert werden können, daß sie ebenso wie die Staatenimmunität dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten Rechnung tragen,177 taugt diese Begründung für die Immunitäten ratione materiae der Funktionsträger internationaler Organisationen nicht. Etwas anderes gilt aber für die Staatenvertreter bei internationalen Organisationen. Personen, die ihren Staat in den Organen einer internationalen Organisation vertreten oder bei einer internationalen Organisation als Interessenvertreter ihres Staates fungieren, handeln bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben als staatliche ___________ Vgl. Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 24. Vgl. Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 24; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 106; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1907. A.A. Bothe, ZaöRV 37 (1977), 122 (131). Vgl. auch Bleckmann, Internationale Beamtenstreitigkeiten, S. 48 ff., der die Staatenimmunität nicht als Ausfluß des Grundsatzes der Gleichheit der Staaten begreift, sondern damit legitimiert, sie diene dem Schutz der Funktionsfähigkeit der Staaten. Daher seien die Regeln der Staatenimmunität analog auf internationale Organisationen anwendbar. Folgte man dieser Auffassung, so müßten sich auch die Funktionsträger internationaler Organisationen hinsichtlich ihrer acta iure imperii für internationale Organisationen gegenüber der Strafgewalt einzelner Staaten auf die Staatenimmunität berufen können (so auch Bothe, ZaöRV 37 [1977], 122 [131]). Doch hat diese Begründung der Staatenimmunität keinen Anklang gefunden, weshalb auch eine entsprechende Anwendung der Regeln der Staatenimmunität auf internationale Organisationen ausscheiden muß. 176 Vgl. Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 106. A.A. aber Bothe, ZaöRV 37 (1977), 122 (131). 177 Vgl. oben § 12 II.5.b). 174 175
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Funktionsträger und im Namen und im Auftrag ihres Staates. Ihr Handeln ist dem Staat, für den sie tätig sind, zuzurechnen. Gegenüber der Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten – vor allem der Strafgerichtsbarkeit des Sitzstaates der betreffenden internationalen Organisation – können sie sich daher auf die aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten folgende Staatenimmunität berufen. Wegen ihres hoheitlich-dienstlichen Handelns für „ihren“ Staat dürfen sie von einem anderen Staat – namentlich vom Sitzstaat der Organisation, bei der sie tätig sind – nicht strafrechtlich verfolgt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob das als strafbar angesehene hoheitlich-dienstliche Handeln als Handeln im Rahmen der Aufgabe der Vertretung ihres Staates bei der internationalen Organisation einzustufen ist oder nicht. Völkervertragliche Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen, die Staatenvertreter bei einer internationalen Organisation vor einer Strafverfolgung durch den Sitzstaat oder einen anderen Mitgliedstaat der Organisation wegen ihres dienstlichen Handelns schützen, können daher – jedenfalls insoweit, als sie ebenso wie die Staatenimmunität einer Strafverfolgung wegen hoheitlich-dienstlichen Handelns entgegenstehen (und damit lediglich deklaratorischen Charakter haben) – damit legitimiert werden, daß sie – gleich der Staatenimmunität – der Achtung des Grundsatzes der souveränen Gleichheit der Staaten dienen. b) Schutz der Funktionsfähigkeit internationaler Organisationen als Rechtsgrund für die Gewährung von Exemtionen Die Exemtionen von der Strafgerichtsbarkeit einzelner Staaten für Funktionsträger internationaler Organisationen sowie eine Organisation selbst (im Hinblick auf die Räumlichkeiten und Besitztümer der Organisation) können dagegen ebenso wie gegebenenfalls Immunitäten ratione personae für Staatenvertreter bei einer internationalen Organisation nur damit legitimiert werden, daß sie der Sicherung der Funktionsfähigkeit der betreffenden internationalen Organisation dienen. Ziel und Zweck dieser Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit ist es allein zu gewährleisten, daß die Organisation im Interesse ihrer Mitgliedstaaten ihre vertraglich vereinbarten Aufgaben unbeeinträchtigt von unlauteren Einflußnahmen seitens einzelner Staaten erfüllen kann.178 Diese Exemtionen sind also funktionsbezogen. ___________ 178 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1989, 177 (195, para. 51); EGMR, Urteil im Verfahren Waite and Kennedy ./. Germany vom 18.2.1999, Reports of Judgments and Decisions 1999-I, 393 = EuGRZ 1999, 207, para. 63; EuGH, Beschluß vom 13.7.1990, Rs. C-2/88 Imm., Zwartveld, Slg. 1990-I, 3365 (3372); Ahluwalia, Legal Status, Privileges and Immunities, S. 105; Amerasinghe, Institutional Law of International Organizations, S. 370 f.; Ascensio, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 289 f.; Blokker/Schermers, in: Hafter u.a. (Hrsg.), FS Seidl-Hohenveldern, S. 37 (40 f.); El-Erian, YBILC 1967 II, 133 (142) (UN-Dokument A/CN.4./195); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 31 Rn. 31; Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 7 f.; Hailbronner, JZ 1998, 283 (285 f.); Hirsch, ZRP 1998, 10 (11); Jenks,
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Exemtionen von der Strafgewalt der Mitgliedstaaten für Funktionsträger internationaler Organisationen sollen sicherstellen, daß kein Mitgliedstaat durch eine unlautere strafrechtliche Inanspruchnahme eines Funktionsträgers oder auch nur die Drohung mit einer solchen die Tätigkeit und Entscheidungsfindung der betreffenden Person beeinflußt. Eine Freistellung der Räumlichkeiten und sonstigen Besitztümer einer Organisation soll gewährleisten, daß kein Mitgliedstaat, vor allem der Sitzstaat nicht, durch die Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen wie Durchsuchungen oder Beschlagnahmen die Organisation an der Wahrnehmung ihrer Aufgaben hindert oder in nicht vorgesehener Weise Einblick in die Tätigkeit der Organisation erlangt. Exemtionen für Staatenvertreter bei einer internationalen Organisation sollen verhindern, daß ein Staat, vor allem der Sitzstaat, durch eine strafrechtliche Inanspruchnahme einzelner Staatenvertreter bestimmte Staaten daran hindert, ihre Mitwirkungsrechte in den Organen einer Organisation in gleicher Weise wie andere Mitgliedstaaten wahrzunehmen oder ihre Interessen gegenüber der Organisation in gleicher Weise wie andere Mitgliedstaaten zu artikulieren. Zu beachten ist, daß die Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit nicht dazu dienen sollen, einzelne Personen einer berechtigten und ordnungsgemäß durchgeführten Strafverfolgung wegen allgemein als strafwürdig anerkannter Taten zu entziehen. Vielmehr geht es darum, der Gefahr einer mißbräuchlichen strafrechtlichen Inanspruchnahme durch einzelne Staaten zu begegnen.179 Da die Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen nicht im Interesse einzelner Personen, sondern lediglich im Interesse der Funktionsfähigkeit der betreffenden Organisation gewährt werden, sind sie – ebenso wie bei den sonstigen in ___________ International Immunities, S. 17 ff.; Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 72 f.; Koster, Immunität internationaler Richter, S. 120; Nascimento e Silva, GYIL 21 (1978), 9 (12 f.); Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (399); Sands/Klein, Bowett’s Law of International Institutions, Rn. 15-061; Scobbie/El-Erian, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 833 f.; Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 324; SeidlHohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1901; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 846, 850, 1108, 1463; Szasz, International Organizations, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 1325 (1326); Voß, Europol, S. 88 ff.; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 525; Zacklin, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 297. Im Streit um die Ratifikation des Europol-Immunitätenprotokolls (vgl. oben Anm. 112) stellte sich auch die deutsche Bundesregierung auf den Standpunkt, die Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen dienten ausschließlich dem Schutz der Funktionsfähigkeit der jeweiligen Organisation; vgl. BTDrucks. 13/9084, S. 10. Siehe ferner die grundlegende Analyse der Funktionsgebundenheit von Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen von Bekker, Legal Position of Intergovernmental Organizations, S. 39 ff. 179 Zu Recht heißt es deshalb in Abs. 6 der Präambel der bislang nicht in Kraft getretenen Convention on the Representation of States in Their Relations with International Organizations of a Universal Character von 1975 (vgl. oben Anm. 71): “Recognizing that the purpose of privileges and immunities (…) is not to benefit individuals but to ensure the efficient performance of their functions in connexion with organizations and conferences (…).” Diese Feststellung spiegelt die im Völkerrecht einhellig vertretene Auffassung über Sinn und Zweck von Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen wider.
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dieser Untersuchung betrachteten völkerrechtlichen Exemtionen – keine subjektiven Rechte der Begünstigten. Daher unterliegen die Exemtionen – was für die Frage eines Verzichts von Bedeutung ist – nicht der Disposition des jeweils Begünstigten. Weil aber die Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen ausschließlich dem Ziel dienen, diesen eine Tätigkeit unabhängig von unlauteren Einflußnahmen einzelner Mitgliedstaaten zu ermöglichen, folgen hieraus zugleich Grenzen der Legitimierbarkeit solcher Exemtionen. Wenn die Gefahr einer derartigen Beeinträchtigung der unparteiischen Tätigkeit einer Organisation eine zu vernachlässigende Größe ist, etwa weil der Kreis der Mitgliedstaaten der Organisation sehr homogen ist und ein allgemeiner Konsens über die Wichtigkeit und Richtigkeit der Tätigkeit der Organisation besteht, lassen sich Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit kaum mehr rechtfertigen, schließlich führen sie zu einer zumindest temporären Straflosigkeit der geschützten Personen. Vor allem bei Funktionsträgern supranationaler Organisationen, die unmittelbar gegenüber einzelnen Menschen Hoheitsgewalt ausüben dürfen, namentlich in persönliche Freiheitsrechte eingreifen dürfen, bedarf es guter Gründe, diesen Exemtionen zuzuerkennen, soll doch eine – in den meisten nationalen Rechtsordnungen für nationale Amtsträger nicht in Frage gestellte – persönliche strafrechtliche Verantwortlichkeit von Amtsträgern auch für dienstliches Fehlverhalten dazu beitragen, daß diese ihre Befugnisse nicht überschreiten und nicht kompetenzwidrig in Rechtspositionen der Bürgerinnen und Bürger eingreifen. Die Frage, inwieweit Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen angesichts der Tendenz, den Organisationen immer weitreichendere supranationale Eingriffsbefugnisse zuzuerkennen, heutzutage noch legitimierbar sind, ist in Deutschland in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre im Zusammenhang mit der Ratifikation der EuropolVerträge kontrovers diskutiert worden. Auf diese Diskussion wird daher im Zusammenhang mit der Erörterung der Exemtionen für Funktionsträger von Europol zurückzukommen sein.180
II. Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen gegenüber den Mitgliedstaaten 1. Übereinstimmende Grundstrukturen der Exemtionsregelungen In der Literatur werden die Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen regelmäßig den Exemtionen für Diplomaten nach dem WÜD gegenübergestellt und dahingehend charakterisiert, ihr räumlicher Geltungsbereich sei weiter als derjenige der diplomatischen Exemtionen, ihr sachlicher Umfang dagegen regelmäßig geringer.181 ___________ Vgl. unten § 19 II.5.b)bb). Vgl. Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (400); Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1918 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1045. 180 181
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a) Räumliche Reichweite der Exemtionen Diplomaten genießen – wie oben in § 15 I.1. gezeigt – ihre umfassenden Exemtionen nur gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des jeweiligen Empfangsstaates. Der Strafgewalt von Drittstaaten sind sie gemäß Art. 40 Abs. 1 WÜD nur im Fall einer gestatteten Durchreise auf dem Weg zu oder von ihrem Empfangsstaat und nur insoweit entzogen, als eine Unverletzlichkeit zu gewähren ist. Vor allem aber unterliegen sie – wie Art. 31 Abs. 4 WÜD ausdrücklich feststellt – weiterhin der Strafgewalt ihres Entsendestaates, der in aller Regel auch ihr Heimatstaat ist. Und da der Entsendestaat befugt ist, seine Strafgewalt generell auf Auslandstaten seiner Vertreter zu erstrecken (vgl. § 5 Nr. 12 StGB), können jedenfalls schwere von Diplomaten im Empfangsstaat begangene Straftaten trotz ihrer Immunität in der Regel geahndet werden und findet in der Regel in solchen Fällen im Heimatstaat auch tatsächlich eine Strafverfolgung statt. Funktionsträger internationaler Organisationen bedürften dagegen eines Schutzes durch Exemtionen nicht nur gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Sitzstaates „ihrer“ Organisation. Zwar ist die Exemtion gegenüber der Strafgewalt des Sitzstaates die praktisch relevanteste, da sich die Funktionsträger in aller Regel am Sitz der Organisation aufhalten. Doch zum einen reisen Funktionsträger internationaler Organisationen häufig zu dienstlichen Zwecken in andere Mitgliedstaaten, zum anderen gilt es der Gefahr zu begegnen, daß einzelne Mitgliedstaaten bereits durch die Androhung einer Strafverfolgung für den Fall einer Einreise in den eigenen Staat unlauteren Einfluß auf die Tätigkeit der betreffenden Person und damit der Organisation, für die die Person tätig ist, ausüben. Daher werden den Funktionsträgern internationaler Organisationen in aller Regel Exemtionen gegenüber der Strafgerichtsbarkeit aller Mitgliedstaaten in gleicher Weise eingeräumt.182 Anders als bei Diplomaten ist vor allem eine Exemtion gegenüber der Strafgewalt des Heimatstaates erforderlich, da die Funktionsträger internationaler Organisationen vielfach wegen ihrer Sprach- und Landeskenntnisse mit Aufgaben betraut werden, die ihren Heimatstaat betreffen und somit in besonderem Maße der Gefahr einer Einflußnahme durch eine Strafverfolgung bzw. Drohung mit einer solchen durch ihren Heimatstaat ausgesetzt sind.183 ___________ Vgl. IGH, ICJ-Reports 1989, 177 (195, para. 51); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 222; Getz/Jüttner, Personal in internationalen Organisationen, S. 105; Jaenicke, ZaöRV 14 (1951/52), 46 (67, 97 f.); Meron, RdC 167 (1980-II), 285 (332); Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (400); Scobbie/El-Erian, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 852, 856 f.; Seidl-Hohenveldern, AVR 4 (1953/54), 30 (53); Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1919, 1921; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1045; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 526; Zacklin, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 310. So auch bereits Schücking/Wehberg, Satzung des Völkerbundes, Bd. 1, S. 589 f. für die Bediensteten des Völkerbunds. 183 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1989, 177 (195, para. 51); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 222; Doehring, Völkerrecht, Rn. 208; Scobbie/El-Erian, in: Dupuy (Hrsg.), 182
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b) Sachliche Reichweite der Exemtionen aa) Überblick über die sachliche Reichweite Da internationale Organisationen keine eigene Strafgerichtsbarkeit ausüben,184 sind Funktionsträger internationaler Organisationen im Rahmen des sachlichen Umfangs der ihnen zukommenden Exemtion anders als Diplomaten in aller Regel keiner Strafgerichtsbarkeit unterworfen und ist die Gefahr einer völligen Straflosigkeit bei ihnen größer als bei Diplomaten.185 Auch aus diesem Grund ist die sachliche Reichweite der Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen typischerweise begrenzter als die von Diplomaten. Während den Bediensteten des Völkerbunds noch vollständige Immunität ratione personae gewährt wurde,186 wird den Funktionsträgern internationaler Organisationen seit Gründung der Vereinten Nationen 1945 in aller Regel nur Immunität ratione materiae, also Immunität für ihre Diensthandlungen zuerkannt.187 Eine Unverletzlichkeit im Sinne einer ___________ Manual sur les organisations internationales, S. 852; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1919; Zacklin, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 310. 184 Die Strafgerichtsbarkeit des IStGH und der UN-Tribunale kann hier außer Betracht bleiben, da es sich um eine eng begrenzte, vor allem sachlich auf Völkerrechtsverbrechen beschränkte Strafgewalt handelt. 185 Vgl. Blokker/Schermers, in: Hafter u.a. (Hrsg.), FS Seidl-Hohenveldern, S. 37 (44); Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 535. Drittstaaten sind zwar an die Exemtionen (in aller Regel) nicht gebunden, doch fehlt es für diese regelmäßig an einem legitimen Anknüpfungspunkt für eine Erstreckung ihrer nationalen Strafgewalt auf Taten von Funktionsträgern der betreffenden internationalen Organisation. Taten, die ein Funktionsträger im Gebiet des Sitzstaates „seiner“ Organisation oder im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates begangen hat, wird ein Drittstaat in aller Regel mangels eines Anknüpfungspunkts für eine extraterritoriale Erstreckung seiner Strafgewalt nicht verfolgen können und auch gar nicht verfolgen wollen. 186 Art. 7 Abs. 4 Völkerbundsatzung (RGBl. 1919, 717) lautete: “Representatives of the Members of the League and officials of the League when engaged on the business of the League shall enjoy diplomatic privileges and immunities.” Die amtliche deutsche Übersetzung im Reichsgesetzblatt lautete, nicht ganz präzise: „Die Vertreter der Bundesmitglieder und die Beauftragten des Bundes genießen in der Ausübung ihres Amtes die Vorrechte und die Unverletzlichkeit der Diplomaten.“ Allerdings wurden 1921 und 1926 zwischen dem Völkerbund und ihrem Sitzstaat Schweiz Modifikationen dieser Regelung vereinbart. Die Schweiz verpflichtete sich in diesen Vereinbarungen, hochrangigen Funktionären des Völkerbundes, namentlich dem Generalsekretär und seinen Stellvertretern, umfassende Immunität rationae personae zu gewähren. Für die nachrangigen Bediensteten sahen die Vereinbarungen dagegen nur Immunität ratione materiae vor. Vgl. zu den Vorrechten und Befreiungen im Bereich des Völkerbundes Brower, Va. J. Int’l L. 41 (2000/01) 1 (11 ff.); Egger, Vorrechte und Befreiungen zugunsten internationaler Organisationen, S. 41 ff.; Hill, Immunities and Privileges of International Officials, S. 3 ff.; Koster, Immunität internationaler Richter, S. 76 ff.; Michaels, International Privileges and Immunities, S. 41 ff.; Schmidt, Stellung der Mitglieder, S. 8 ff.; Schücking/Wehberg, Satzung des Völkerbundes, Bd. 1, S. 100 f., 588 ff. 187 Vgl. Ahluwalia, Legal Status, Privileges and Immunities, S. 105 ff.; Amerasinghe, Institutional Law of International Organizations, S. 394 f.; American Law Institute, Restate-
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Freistellung von Festnahme oder Haft genießen die Bediensteten internationaler Organisationen regelmäßig nicht.188 Lediglich den Leitern und anderen besonders hochrangigen Funktionsträgern internationaler Organisationen sowie den Richtern internationaler Gerichte werden regelmäßig „diplomatische Vorrechte und Immunitäten“, also unter anderem Immunität ratione personae gewährt.189 Im Auftrag einer internationalen Organisation tätige Sachverständige190 genießen in der Regel nicht nur Immunität ratione materiae, sondern darüber hinaus eine begrenzte Unverletzlichkeit insoweit, als sie von Festnahme und Haft befreit sind, also jede nicht nur kurzfristige Beschränkung ihrer persönlichen Bewegungsfreiheit untersagt ist.191 Angesichts der mit jeder Exemtionsgewährung verbundenen Gefahr der – jedenfalls zeitweiligen – völligen Straflosigkeit ist es sachgerecht, daß den Funktionsträgern internationaler Organisationen regelmäßig nur Immunität ratione materiae ___________ ment of the Law Third, Foreign Relations Law, § 469 Comment b) und c); Blokker/ Schermers, in: Hafter u.a. (Hrsg.), FS Seidl-Hohenveldern, S. 37 (46); Doehring, Völkerrecht, Rn. 208, 688, 690; Hailbronner, JZ 1998, 283 (283, 285); Jaenicke, ZaöRV 14 (1951/52), 46 (98, 101); Jenks, International Immunities, S. 114 f.; Köck/Fischer/Lengauer, Recht der Internationalen Organisationen, S. 551, 576; Meron, RdC 167 (1980-II), 285 (332); Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (399 f.); Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 534; Seidl-Hohenveldern, AVR 4 (1953/54), 30 (53); Seidl-Hohenveldern/ Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1920; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1045; Szasz, International Organizations, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 1325 (1330); Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1033); Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 526, 545 ff.; Zacklin, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 307. 188 Vgl. Meron, RdC 167 (1980-II), 285 (332). 189 Vgl. Ahluwalia, Legal Status, Privileges and Immunities, S. 146 ff.; American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 469 Comment d); Doehring, Völkerrecht, Rn. 690; Jaenicke, ZaöRV 14 (1951/52), 46 (66 f.); Koster, Immunität internationaler Richter, S. 79, 81 f.; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (400); Schermers/ Blokker, International Institutional Law, § 535; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1917, 1921; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1046; Szasz, International Organizations, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 1325 (1330); Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1033); Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 586 ff., 644 ff.; Zacklin, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 307. Auch diese Immunität gilt gegenüber allen Mitgliedstaaten in gleicher Weise, also auch gegenüber dem jeweiligen Heimatstaat; vgl. Scobbie/El-Erian, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 857; Seidl-Hohenveldern/ Loibl, a.a.O., Rn. 1921. Die Differenzierung zwischen einerseits hochrangigen Funktionsträgern, denen Immunität ratione personae gewährt wird, und den sonstigen Bediensteten, denen lediglich Immunität ratione materiae zukommt, war durch die oben in Anm. 186 genannten Abkommen zwischen der Schweiz und dem Völkerbund vorgezeichnet worden. 190 Vgl. zum Begriff „Sachverständige“ IGH, ICJ-Reports 1989, 177 (193 f., para. 45 ff.) und unten Anm. 232. 191 Vgl. Jaenicke, ZaöRV 14 (1951/52), 46 (100 ff.); Meron, RdC 167 (1980-II), 285 (332); Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 621 ff.
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gewährt wird. Sofern dagegen besonders hochrangigen Funktionsträgern sowie den Richtern internationaler Gerichte Immunität ratione personae gewährt wird, läßt sich dies damit legitimieren, daß diese Personen, vor allem Richter, in weitaus größerem Maße als „einfache“ Bedienstete der Gefahr des Versuchs einer unlauteren Einflußnahme auf ihre dienstliche Tätigkeit ausgesetzt sind192 und diese Personen in aller Regel nicht leicht austauschbar und ersetzbar sind, mithin jegliche strafrechtliche Inanspruchnahme die Funktionsfähigkeit der Organisation beeinträchtigen würde. bb) Zur Bestimmung des Umfangs der gewährten Exemtionen ratione materiae Da Funktionsträger internationaler Organisationen regelmäßig nur Immunität ratione materiae genießen, stellt sich ebenso wie bei den Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts193 die Frage der Abgrenzung von Handlungen, die durch eine solche funktionale Immunität geschützt sind, zu Taten, die nicht unter die Immunität ratione materiae fallen. Zunächst gilt auch für die Immunitäten ratione materiae für Funktionsträger internationaler Organisationen, daß Handlungen, die in keinem zeitlichen oder sachlichen Zusammenhang mit der Wahrnehmung dienstlicher Aufgaben stehen, sowie Taten, die lediglich bei der Wahrnehmung von Dienstgeschäften begangen werden, nicht von einer Immunität ratione materiae erfaßt werden,194 während es darauf, ob die betreffende Handlung nach dem Recht eines Mitgliedstaates rechtswidrig oder sogar strafbar ist, nicht ankommen kann.195 Auch ist irrelevant, ob die Diensthandlungen hoheitliche Handlungen (acta iure imperii) oder solche Handlungen sind, die Privatpersonen in gleicher Weise vornehmen können (acta iure gestionis). Diese Differenzierung ist nur für den Bereich der Staatenimmunität, nicht aber für die sonstigen funktionalen Exemtionen des Völkerrechts von Relevanz.196 Zudem wurde bereits oben in § 19 I.1.c) deutlich gemacht, daß aus der partiellen Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen folgt, daß nicht sämtliche Handlungen, die im Auftrag oder für eine internationale Organisation vorgenommen werden, geschützt sein können, sondern nur solche, die der Wahrnehmung von Aufgaben dienen, die der Organisation von ihren Mitgliedern übertragen worden sind.197
___________ 192 Aus diesem Grund plädiert Koster, Immunität internationaler Richter, S. 128 ff., 151 ff., für sehr weitreichende Exemtionen zugunsten von Richtern internationaler Gerichte. 193 Vgl. diesbezüglich die Ausführungen bei § 13 II. 194 Vgl. oben § 13 II.2. und 4. 195 Vgl. hierzu auch oben § 13 II.3. 196 Vgl. diesbezüglich oben § 13 II.6. 197 Vgl. Hailbronner, JZ 1998, 283 (284, bezogen auf Europol). Die Rechtslage im Diplomaten- und Konsularrecht ist ähnlich; vgl. oben § 13 II.5.
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Wie im Diplomaten- und Konsularrecht gilt es auch hier zu klären, ob die Immunitäten ratione materiae nur Handlungen erfassen, mit denen unmittelbar Aufgaben der Organisation wahrgenommen werden, die also für sich genommen Amtshandlungen sind (Amtshandlungsimmunität), oder aber, ob auch Tätigkeiten erfaßt werden, die zwar in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Wahrnehmung einer dienstlichen Aufgabe stehen, aber nicht selbst als Amtshandlung angesehen werden können, sondern nur deren Vornahme ermöglichen (Amtstätigkeitsimmunität).198 Diese Frage ist wie im Diplomaten- und Konsularrecht vor allem von Bedeutung, wenn es um Taten im Straßenverkehr geht,199 kann aber ebenso wie dort nicht einheitlich beantwortet werden.200 Entscheidend ist der Wortlaut der jeweiligen Exemtionsregelung; zu berücksichtigen ist darüber hinaus die Interpretation der einschlägigen Normen in der Völkerrechtspraxis. Im Zweifel ist allerdings davon auszugehen, daß eine umfassende Amtstätigkeitsimmunität gewährt wird. Denn die Exemtionen sollen den Funktionsträgern die neutrale und von einer Einflußnahme seitens einzelner Staaten unbeeinträchtigte Wahrnehmung ihrer Aufgaben ermöglichen. Störungen einer solchen unbeeinträchtigten Aufgabenwahrnehmung sind aber nicht nur möglich durch Strafverfolgungsmaßnahmen wegen der eigentlichen Amtshandlungen, sondern auch durch Strafverfolgungsmaßnahmen, die Handlungen betreffen, die in engem sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit der eigentlichen Amtshandlung stehen. Grundsätzlich unterfallen mithin auch Verkehrsdelikte, die im Zuge einer „Dienstfahrt“ begangen werden (also bei einer Fahrt, die dazu dient, an einen Ort zu gelangen, an dem Dienstaufgaben vorzunehmen sind), unter die Immunität ratione materiae.201 Von entscheidender Bedeutung ist die Frage, wem im Einzelfall die Kompetenz zukommt, darüber zu befinden, ob eine bestimmte Handlung einer Immunität ratione materiae unterfällt oder nicht.202 Darf der strafverfolgende Staat die Einstufung selbst vornehmen oder ist die Bewertung durch die entsprechende internationale Organisation für ihn verbindlich? Im Diplomaten- und Konsularrecht obliegt die Beurteilung dem strafverfolgenden Empfangsstaat. Eine rechtsmißbräuchliche Einstufung dienstlicher Handlungen als Privattaten, die der Strafgewalt des Empfangsstaates nicht entzogen sind, ist im Diplomaten- und Konsularrecht schon aufgrund der Reziprozität der Beziehungen unwahrscheinlich. Ein Empfangsstaat, der ___________ Vgl. oben § 13 II.1. Vgl. auch oben § 13 II.8.c). 200 So auch Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 537. 201 Ebenso Jaenicke, ZaöRV 14 (1951/52), 46 (103) und Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 358 unter Hinweis darauf, daß viele Abkommen eine Ausnahme von der Immunität ratione materiae in bezug auf zivilrechtliche Verfahren wegen Ansprüchen aus Verkehrsunfällen festlegen. Daraus ergibt sich im Umkehrschluß, daß Handlungen im Straßenverkehr nicht von vornherein – vor allem nicht in bezug auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit – aus dem Immunitätsschutz herausfallen. Hailbronner, JZ 1998, 283 (283) meint, diese weite Interpretation entspreche der internationalen Praxis. 202 Vgl. hierzu Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 541 ff. 198 199
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den Bereich der geschützten Handlungen sehr restriktiv faßt oder gar Diensthandlungen rechtsmißbräuchlich als Privathandlungen deklariert, muß stets befürchten, daß seine eigenen Auslandsvertreter im Entsendestaat von diesem in gleicher Weise behandelt werden. Schon um die eigenen Auslandsvertreter zu schützen, sind die Staaten bemüht, eine korrekte Interpretation des WÜD und des WÜK durch die eigenen Strafverfolgungsbehörden sicherzustellen. Entsprechende „Garantien“ für eine völkerrechtskonforme Interpretation der Reichweite von Immunitäten ratione materiae gibt es bezüglich der Immunitäten für Funktionsträger internationaler Organisationen nicht. Es fehlt an der Reziprozität der Beziehungen, da die internationalen Organisationen ihrerseits mangels eigener Strafgewalt keine Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gewähren. Daher nehmen die internationalen Organisationen zu Recht für sich in Anspruch, mit verbindlicher Wirkung für die einzelnen Mitgliedstaaten (und deren Strafverfolgungsbehörden) darüber zu befinden, ob eine betreffende Handlung eine (durch Immunität ratione materiae geschützte) Diensthandlung ist oder nicht.203 Eine solche Entscheidung wäre gegebenenfalls auch für die deutschen Strafverfolgungsbehörden unmittelbar verbindlich, da die Entscheidungskompetenz der Organisation den völkervertraglichen Exemtionsregelungen immanent ist.204 ___________ Diese Kompetenz wurde vom IGH in einem Immunitätsgutachten zum Fall des in Malaysia tätigen Berichterstatters der Menschenrechtskommission Cumaraswamy vom 29.4.1999 bestätigt; vgl. ICJ-Reports 1999, 62 = ILR 121, 405 (para. 49 ff.). Vgl. hierzu Brower, Va. J. Int’l L. 41 (2000/01) 1 (41 ff.); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 37 Rn. 8; Oellers-Frahm, VN 2000, 69 (70). Siehe ferner YBILC 1985 II/1/Add., 145 (171 f.) (UNDokument A/CN.4./L.383) (in bezug auf die Vereinten Nationen); Bekker, Legal Position of Intergovernmental Organizations, S. 173 ff.; Hailbronner, JZ 1998, 283 (284); Jaenicke, ZaöRV 14 (1951/52), 46 (103); Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 108; Meron, RdC 167 (1980-II), 285 (332); Seidl-Hohenveldern, AVR 4 (1953/54), 30 (56); Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1922; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1045; Szasz/Ingadottir, LJIL 14 (2001), 867 (873); Voß, Europol, S. 104 f.; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 544. A.A. (Entscheidungskompetenz liegt beim Hoheitsgewalt ausübenden Staat) ein US-Gericht im Jahr 1947 im Fall Ranollo; ILR 13, 168 = AJIL 41 (1947), 690. Das US-Gericht versagte dem Fahrer des UN-Generalsekretärs, dem vorgeworfen wurde, auf einer Dienstfahrt zu schnell gefahren zu sein, Immunität. Vgl. auch American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 469 Comment c), wo betont wird, ein Streit müsse im Wege von Verhandlungen zwischen dem strafverfolgenden Staat und der betreffenden Organisation beigelegt werden. 204 Vgl. aber auch Art. VIII Abschn. 30 UN-Immunitäten-Übereinkommen und Art. IX § 32 Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen, wonach Streitigkeiten zwischen einem Staat und den Vereinten Nationen bzw. einer Sonderorganisation über die Auslegung oder Anwendung des jeweiligen Übereinkommens vom IGH im Wege des Gutachtenverfahrens nach Art. 96 UN-Charta geschlichtet werden sollen; hierzu OellersFrahm, VN 2000, 69 (69). Siehe auch Art. 32 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen, wonach Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung dieses Abkommens durch ein spezielles Schiedsgericht zu klären sind. Siehe allgemein zur Frage der Schlichtung von Streitigkeiten über Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen Szasz, Interna203
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cc) Zur Frage einer Ausnahme von den Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen Auch in bezug auf Funktionsträger internationaler Organisationen stellt sich die Frage, ob die Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit Ausnahmen bei völkerrechtlichen Verbrechen oder sogar allgemein bei schweren Menschenrechtsverletzungen erfahren. Dies ist aber nicht der Fall. Im Rahmen ihrer Reichweite untersagen die Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen – auch deren Immunitäten ratione materiae – selbst eine Strafverfolgung wegen schwerster Verbrechen; Ausnahmen bei bestimmten Arten von Straftaten – wie dies bei der Staatenimmunität der Fall ist – erfahren die Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen nicht. Die Gründe hierfür sind die gleichen, aus denen auch die Exemtionen für Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen und für Mitglieder von Spezialmissionen ohne eine solche Ausnahme gelten. Daher kann an dieser Stelle auf die Ausführungen oben in § 14 I.2. und in § 18 IV.5.b)bb) verwiesen werden. Zwar ist es aus kriminalpolitischer Sicht bedenklich, Funktionsträger internationaler Organisationen auch dann von der Strafgewalt einzelner Staaten freizustellen, wenn ihnen der Vorwurf der Begehung eines völkerrechtlichen Verbrechens oder schwerster Menschenrechtsverletzungen gemacht wird. Doch ist zu berücksichtigen, daß dann, wenn man Ausnahmen bei bestimmten Taten zuließe, ein Staat schon mit der bloßen Behauptung der Begehung einer solchen Tat die Befugnis eines strafrechtlichen Vorgehens für sich in Anspruch nehmen könnte und damit die Exemtionen erheblich entwertet würden. Zudem besteht stets die Möglichkeit eines Verzichts auf die Exemtion eines Funktionsträgers. Wie gezeigt werden wird, sind die internationalen Organisationen in der Regel sogar verpflichtet, Exemtionen ihrer Funktionsträger aufzuheben. Es ist davon auszugehen, daß internationale Organisationen – schon um ihren Ruf und ihre Integrität zu schützen – bei einem begründeten Verdacht der Begehung eines völkerrechtlichen Verbrechens oder schwerster Menschenrechtsverletzungen zu einer Exemtionsaufhebung bereit sind. Ferner ist zu berücksichtigen, daß die Immunitäten ratione personae und die gewährten Unverletzlichkeiten zeitlich begrenzt sind. Sie gelten, wie noch zu zeigen sein wird, nur während der Amtszeit des betreffenden Funktionsträgers. Nach Beendigung der Amtszeit stehen sie einer Strafverfolgung nicht mehr entgegen. Lediglich die Immunitäten ratione materiae gelten zeitlich unbegrenzt. Doch sind nur wenige Fallkonstellationen denkbar, bei denen völkerrechtliche Verbrechen überhaupt in den Schutzbereich einer Immunität ratione materiae eines ___________ tional Organizations, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 1325 (1331 f.).
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Funktionsträgers einer internationalen Organisation fallen.205 Denn dazu müßte ein völkerrechtliches Verbrechen als Diensthandlung für die betreffende internationale Organisation zu klassifizieren sein. Dies dürfte angesichts des Aufgabenspektrums internationaler Organisationen nur ausnahmsweise möglich sein.206 Allerdings kann man diese Möglichkeit nicht pauschal mit dem Argument verneinen, internationale Organisationen dürften keine völkerrechtlichen Verbrechen begehen, also könne die Begehung einer solchen Tat keine Diensthandlung für eine internationale Organisation sein. Denn es ist denkbar, daß bei der Wahrnehmung einer als solcher legitimen Aufgabe einer internationalen Organisation – etwa der Friedensschaffung oder Friedenssicherung bzw. der Leistung humanitärer Hilfe – völkerrechtliche Verbrechen begangen werden. Solche Taten sind Diensthandlungen und würden durch eine Immunität ratione materiae erfaßt werden. Bei den Vereinten Nationen, der NATO oder der EU, die militärische Friedensschaffungs- oder Friedenssicherungsaktionen durchführen, ist eine dienstliche Begehung völkerrechtlicher Verbrechen, etwa durch Soldaten, die für die Organisation tätig sind, mithin eine nicht von der Hand zu weisende Möglichkeit.207 Diese Organisationen dürften aber bei einem Verdacht der Begehung eines völkerrechtlichen Verbrechens mit einer Strafverfolgung der betreffenden Person zumindest durch ihren Heimatstaat stets einverstanden sein und deshalb einen entsprechenden Immunitätsverzicht erklären.208 Insofern dürfte die Geltung der Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen auch bei völkerrechtlichen Verbrechen und (sonstigen) schweren Menschenrechtsverletzungen nicht zu einer inakzeptablen Straflosigkeit führen, zumal – wie unten in § 19 III.2.a) gezeigt wird – die Exemtionen einer Strafverfolgung durch den IStGH in den meisten Fällen nicht entgegenstehen und dieser daher gegebenenfalls nach Art. 17 IStGH-Statut unter Hinweis auf die fehlende Möglichkeit einer nationalen Strafverfolgung tätig werden darf.
___________ Vgl. diesbezüglich auch oben § 14 I.1.b), wo gezeigt wurde, daß kaum Fälle denkbar sind, in denen völkerrechtliche Verbrechen vom Schutzbereich der Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts erfaßt werden. 206 So auch die Einschätzung von Szasz/Ingadottir, LJIL 14 (2001), 867 (880). 207 Zu den Exemtionen für Soldaten siehe die gesonderte Darstellung unten in § 20. Dort wird auch auf die Rechtsstellung von Soldaten internationaler Organisationen eingegangen. 208 Wie unten in § 20 V.2. näher ausgeführt wird, schließen die Vereinten Nationen mit den Staaten, die Soldaten für UN-Truppen zur Verfügung stellen, regelmäßig bilaterale Entsendeabkommen, die ausdrücklich vorsehen, daß der Heimatstaat „seine“ Soldaten, wenn sie während ihrer Amtszeit als Mitglied einer UN-Truppe im Stationierungsstaat Straftaten begehen, nach seinem Strafrecht zur Verantwortung zieht. Diese Vereinbarungen stellen einen antizipierten Verzicht auf die Exemtionen für die UN-Soldaten gegenüber der Strafgerichtsbarkeit ihres Heimatstaates dar und verpflichten diesen sogar zur Ausübung eigener Strafgerichtsbarkeit. 205
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c) Zeitliche Reichweite der Exemtionen und die Regelungen über einen Verzicht Die Immunitäten ratione materiae für Funktionsträger internationaler Organisationen gelten nicht nur während des Zeitraums, in dem die betreffende Person für eine Organisation tätig ist – also während der Amtszeit –, sondern zeitlich unbegrenzt.209 Damit soll sichergestellt werden, daß nicht ein Staat versucht, durch die Androhung einer späteren Strafverfolgung (nach Funktionsbeendigung) wegen einer dienstlichen Handlung auf die dienstliche Tätigkeit eines aktiven Funktionsträgers Einfluß zu nehmen. Die für besonders hochrangige Funktionsträger sowie für Richter internationaler Gerichte vorgesehenen weitergehenden Exemtionen (Immunitäten ratione personae und Unverletzlichkeitsgewährleistungen) enden dagegen mit Beendigung der Eigenschaft der betreffenden Person als Funktionsträger einer internationalen Organisation.210 Die Regelungen über einen Verzicht auf die Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen divergieren erheblich von den Bestimmungen für Diplomaten nach dem WÜD.211 Zwar dürfen auch im Bereich internationaler Organisationen weder die geschützten Personen einen Verzicht erklären noch ist ihr Einverständnis für eine Exemtionsaufhebung erforderlich oder sonstwie von irgendeiner rechtlichen Relevanz.212 Aber während es im Diplomatenrecht gemäß Art. 32 Abs. 1 WÜD im freien Ermessen des Entsendestaates liegt, ob er einen Verzicht erklärt oder nicht, sind die internationalen Organisationen in der Regel verpflichtet, auf die in ihrem Interesse gewährten Exemtionen zu verzichten, es sei denn, ein Unterbleiben einer Strafverfolgung ist im Interesse der Funktionsfähigkeit der Organisation unbedingt geboten.213 Dies bedeutet, daß eine Exemtion regelmäßig dann aufzuheben ist, wenn die beabsichtigte Strafverfolgung der Ahndung einer allgemein als strafwürdig anerkannten Tat dient und ein hinreichender ___________ 209 Vgl. Jenks, International Immunities, S. 116; Scobbie/El-Erian, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 856; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1920; Szasz, International Organizations, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 1325 (1330); Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 526. 210 Vgl. Szasz, International Organizations, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 1325 (1330). 211 Vgl. bezüglich der Verzichtsregelungen des WÜD oben § 13 IV. 212 Vgl. Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 536; Seidl-Hohenveldern, AVR 4 (1953/54), 30 (55 f.); Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 526, 566 sowie, jeweils bezogen auf den Bereich der Europäischen Gemeinschaften, Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 291 Rn. 11 und Kallmayer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, Art. 291 Rn. 7. 213 Vgl. Jaenicke, ZaöRV 14 (1951/52), 46 (103 f.); Seidl-Hohenveldern, AVR 4 (1953/54), 30 (55); Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1923; Szasz, International Organizations, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 1325 (1330); Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1039); Zacklin, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 310 f.
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Tatverdacht vorliegt. Auch diese Pflicht zum Verzicht auf die Exemtionen ist als Korrektiv für die große räumliche Reichweite der Exemtionen zu sehen und soll der dadurch und durch die zeitlich unbegrenzte Fortdauer der Immunitäten ratione materiae bedingten besonderen Gefahr einer völligen Straflosigkeit entgegenwirken. 2. Exemtionen für Funktionsträger der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen a) Exemtionen für Bedienstete aa) Exemtionen für alle Bedienstete Die Reichweite der Exemtionen für Bedienstete der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, also für Personen, die im Rahmen eines festen Dienstund Arbeitsverhältnisses bei den Vereinten Nationen beschäftigt sind (man spricht auch von den „Beamten“ einer Organisation),214 bestimmt sich nach Art. V UNImmunitäten-Übereinkommen bzw. Art. VI Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen. Diese formulieren übereinstimmend in Art. V Abschn. 18 bzw. Art. VI § 19:215
___________ Vgl. zum erfaßten Personenkreis Resolution 76 (I) der UN-Generalversammlung vom 7.12.1946, in der der Kreis der geschützten Personen auf der Grundlage von Art. V Abschn. 17 UN-Immunitäten-Übereinkommen wie folgt definiert wird: “(…) all members of the staff of the United Nations, with the exception of those who are recruited locally and are assigned to hourly rates.” (zitiert nach YBILC 1967 II, 154 [264] [UN-Dokument A/CN.4./L.118]). Siehe auch YBILC 1985 II/1/Add., 145 (171) (UN-Dokument A/CN.4./L.383); Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 22; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 529 sowie Zacklin, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 306, der schreibt: “Consequently, all staff members regardless of rank, nationality or place of recruitment are considered as officials of the organizations for the purposes of the general conventions except for those who are both locally recruited and employed on hourly rates.” Allerdings legt das HeadquarterAgreement zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen über das Freiwilligenprogramm der Vereinten Nationen (vgl. oben Anm. 116) in Art. 17 Abs. 1 ergänzend fest, daß auch nach Stunden bezahlte Ortskräfte Immunität ratione materiae genießen. 215 Während der völkerrechtlich verbindliche englische und französische Text beider Abkommen in weiten Teilen wortlautidentisch ist, weicht die deutsche Übersetzung des UN-Immunitäten-Übereinkommens auch dann, wenn die englischen und französischen Formulierungen in beiden Abkommen identisch sind, von dem deutschen Text des Immunitätenabkommens für die Sonderorganisationen (der, da die BRD erst 1973 den Vereinten Nationen beigetreten ist, älteren Datums ist als der deutsche Text des UN-ImmunitätenÜbereinkommens) ab. Da der deutsche Text völkerrechtlich nicht verbindlich ist, sind die sachlich nicht angezeigten, mithin unnötig verwirrenden und bedauerlichen Differenzen in den deutschen Sprachfassungen irrelevant. Die hier wiedergegebene deutsche Übersetzung entspricht, sofern sie sich auf den Text beider Abkommen bezieht, der zeitlich aktuelleren amtlichen Übersetzung des UN-Immunitäten-Übereinkommens. 214
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„Die Bediensteten (…) a) genießen Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich der von ihnen in ihrer amtlichen Eigenschaft vorgenommenen Handlungen (einschließlich ihrer mündlichen und schriftlichen Äußerungen); (…).“216
Die Bediensteten genießen also lediglich Immunität ratione materiae, die allerdings räumlich nicht auf den Sitzstaat der jeweiligen Organisation beschränkt ist, sondern gegenüber der Gerichtsbarkeit aller Mitgliedstaaten gilt.217 Während die USA als Staat des Hauptsitzes der Vereinten Nationen seit 1970 Mitglied des UNImmunitäten-Übereinkommens sind,218 ist die Schweiz diesem (bislang) nicht beigetreten. Die Schweiz, in der die Vereinten Nationen als „Nachfolger“ des in Genf ehedem ansässigen Völkerbundes gleichfalls einen Sitz haben, konnte diesem Abkommen so lange, wie sie nicht Mitglied der Vereinten Nationen war, gar nicht beitreten. Allerdings hat die Schweiz 1946 mit den Vereinten Nationen ein bilaterales Abkommen geschlossen, in dem Exemtionen in identischem Umfang wie im UN-Immunitäten-Übereinkommen vereinbart sind.219 Insofern genießen die UNBediensteten in der Schweiz die gleichen Exemtionen wie in den anderen Mitgliedstaaten, allerdings auf der Grundlage eines anderen völkerrechtlichen Vertrags.220 Die Immunität ratione materiae ist eine umfassende Amtstätigkeitsimmunität, gilt also nicht nur für die eigentlichen Amtshandlungen, sondern auch für Handlungen, die in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit den Amtshandlungen stehen, etwa für Handlungen, die zur Vorbereitung der unmittelbaren Amtshandlungen vorgenommen werden. Alle Tätigkeiten, die bei einer wertenden Betrachtung nicht als Privathandlungen der betreffenden Person einzustufen sind, sondern als dienstliche Handlungen im Rahmen der Aufgaben der Vereinten Nationen oder der betreffenden Sonderorganisation, sind von der Immunität erfaßt. Somit sind beispielsweise auch Fahrten mit einem Kraftfahrzeug, die dazu dienen, an einen Ort zu gelangen, an dem ein Amtsgeschäft vorzunehmen ist, oder von dort wieder zurückzugelangen, als geschützte Diensthandlungen zu bewerten.221 Sämtli___________ 216 Die verbindliche englische Textfassung lautet: “Officials (…) shall a) Be immune from legal process in respect of words spoken or written and all acts performed by them in their official capacity (…).” 217 Vgl. YBILC 1967 II, 154 (265 ff., 283) (UN-Dokument A/CN.4./L.118); Gerster/ Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 23; Koster, Immunität internationaler Richter, S. 81; Schreuer/Ebner, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 100 Rn. 79; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 283. Vgl. in bezug auf das Freiwilligenprogramm der Vereinten Nationen auch Art. 14 Abs. 1 lit. a) und Art. 15 des Headquarter-Agreements zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen (vgl. oben Anm. 116). 218 Vgl. zum Ratifikationsstand des UN-Immunitäten-Übereinkommens im Internet unter (31.3.2006). 219 Vgl. oben Anm. 115. 220 Daher soll im folgenden auf die „Sondersituation“ der Schweiz nicht weiter eingegangen werden. 221 Vgl. YBILC 1967 II, 154 (267, 269) (UN-Dokument A/CN.4./L.118). A.A. offenbar Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 23.
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che Strafverfolgungsmaßnahmen, die gegen eine geschützte Person als Beschuldigter gerichtet sind und eine als Diensthandlung zu bewertende Tat betreffen, sind unzulässig. Schon die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen einer solchen Tat ist untersagt. Die Vereinten Nationen nehmen für sich in Anspruch, selbst mit für die Mitgliedstaaten verbindlicher Wirkung darüber zu befinden, ob eine Handlung der Immunität ratione materiae unterfällt oder nicht.222 Eine eigenständige Unverletzlichkeit, wie sie beispielsweise Konsularbeamten gemäß Art. 41 Abs. 1 WÜK für Privathandlungen und damit über die ihnen zukommende Immunität ratione materiae hinaus gewährt wird,223 wird den Bediensteten nicht zuerkannt.224 Die Immunität ratione materiae der Bediensteten beinhaltet allerdings insofern eine Unverletzlichkeit, als wegen sämtlicher dienstlicher Handlungen den Mitgliedstaaten jegliche Ausübung von Strafgerichtsbarkeit untersagt ist, also nicht nur die Einleitung und Durchführung eines gegen die geschützte Person gerichteten Strafverfahrens, sondern auch die Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen gegenüber der geschützten Person unstatthaft ist. Einer Inanspruchnahme wegen außerdienstlich begangener Taten sowie einer strafprozessualen Inanspruchnahme als Nichtbeschuldigter – etwa nach §§ 81c oder 103 StPO – sind jedoch keine Schranken gesetzt. Auch eine Befreiung von den Zeugenpflichten wird nicht gewährt. Familienangehörige der Bediensteten genießen keine Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Die Besitztümer der Bediensteten sind einem strafprozessualen Zugriff nicht entzogen, so daß beispielsweise die Durchsuchung und Beschlagnahme eines von einem Bediensteten genutzten privaten Kraftfahrzeugs gestattet ist. bb) Weiterreichende Exemtionen für hochrangige Bedienstete Dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, den beigeordneten Generalsekretären und den Leitern der Sonderorganisationen, deren Vertretern sowie den Familienangehörigen dieser Personen werden neben der Immunität ratione materiae, die auch „normale“ Bedienstete genießen, noch weiterreichende Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zuerkannt.225 So formuliert Art. V Abschn. 19 UNImmunitäten-Übereinkommen: ___________ Vgl. Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 23; Schreuer, in: Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 100 Rn. 66 und die Nachw. oben in Anm. 203. 223 Vgl. oben § 13 I.2.dd). 224 Vgl. YBILC 1967 II, 154 (265 f.) (UN-Dokument A/CN.4./L.118). A.A. offenbar die deutsche Bundesregierung. Vgl. BT-Drucks. 14/8527, S. 101, wo – allerdings ohne irgendeine Begründung – behauptet wird, die von Art. V UN-Immunitäten-Übereinkommen erfaßten Personen genössen auch die in Art. 40 Abs. 1 WÜD festgelegte Unverletzlichkeit. 225 Vgl. YBILC 1967 II, 154 (280 ff.) (UN-Dokument A/CN.4./L.118). Vgl. in bezug auf das Freiwilligenprogramm der Vereinten Nationen auch Art. 14 Abs. 2 des Headquar222
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„Außer den in Abschnitt 18 vorgesehenen Vorrechten und Immunitäten genießen der Generalsekretär und alle Beigeordneten Generalsekretäre für sich selbst, ihre Ehegatten und minderjährigen Kinder die nach dem Völkerrecht diplomatischen Vertretern zustehenden Vorrechte, Immunitäten, Befreiungen und Erleichterungen.“
Art. VI § 21 Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen lautet: „Außer den in §§ 19 und 20 vorgesehenen Vorrechten und Befreiungen genießt der Leiter jeder Sonderorganisation sowie jeder in seinem Namen während seiner Abwesenheit tätige Beamte für sich selbst und seinen Ehegatten und seine minderjährigen Kinder die Vorrechte, Immunitäten, Befreiungen und Erleichterungen, die nach dem Völkerrecht diplomatischen Vertretern gewährt werden.“
Während sich der räumliche Umfang auch dieser Exemtionen auf das Gebiet aller Mitgliedstaaten erstreckt, also der Strafgerichtsbarkeit aller Mitgliedstaaten in gleicher Weise Schranken gesetzt werden,226 bestimmt sich der sachliche Umfang der diesen Personen zukommenden Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit nach dem WÜD als der Kodifikation des Diplomatenrechts.227 Einschlägig ist damit zunächst Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD. Es wird also umfassende Immunität ratione personae gewährt, so daß die hier betrachteten Personen weder wegen privater noch wegen dienstlicher Handlungen von einem Mitgliedstaat strafrechtlich verfolgt werden dürfen. Darüber hinaus genießen die hier betrachteten Personen die in Art. 29 WÜD vorgesehene Unverletzlichkeit. Jegliche Anwendung strafprozessualer Zwangsgewalt ist gegenüber diesen Personen damit untersagt; auch eine ___________ ter-Agreements zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen (vgl. oben Anm. 116), wonach bestimmten hochrangigen UN-Bediensteten, die für dieses Programm arbeiten, diplomatische Vorrechte und Befreiungen gewährt werden. 226 Dies ist allerdings umstritten; vgl. Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 591 sowie Gerster/ Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 25, die selbst für eine Nichtgeltung der diplomatischen Vorrechte und Befreiungen gegenüber dem jeweiligen Heimatstaat eintreten. Nach hier vertretener Auffassung verweist dagegen die Festlegung von „nach dem Völkerrecht diplomatischen Vertretern zustehenden Vorrechte, Immunitäten, Befreiungen und Erleichterungen“ nicht vollumfänglich auf alle Normen des WÜD, sondern in strafrechtlicher Hinsicht lediglich auf Art. 29, Art. 30, Art. 31 Abs. 1 Satz 1, Art. 31 Abs. 2 und Art. 39 Abs. 2 WÜD, nicht aber auf Art. 31 Abs. 4 und Art. 38 WÜD. Ebenso Getz/Jüttner, Personal in internationalen Organisationen, S. 109 f.; Scobbie/ El-Erian, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 857 und Wenckstern, a.a.O., Rn. 592. Diese Auffassung wird auch von den UN selbst vertreten (vgl. YBILC 1985 II/1/Add., 145 [175 ff.] [UN-Dokument A/CN.4./L.383]; Gerster/ Rotenberg, a.a.O.; Wenckstern, a.a.O., Rn. 591) und ist allein sachgerecht, da eine Differenzierung zwischen verschiedenen Staaten bei der Reichweite der Exemtionen einzelnen Staaten eine weiterreichende Einflußmöglichkeit auf die Tätigkeit bestimmter Bediensteter einräumte als anderen Staaten, damit aber nicht mehr gewährleistet wäre, daß die Vereinten Nationen stets in gleicher Weise im Interesse aller Mitgliedstaaten handeln. 227 Vgl. American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 469 Comment d); Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 24; Getz/Jüttner, Personal in internationalen Organisationen, S. 110; Verdross/ Simma, Völkerrecht, § 282; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 588. Insofern kann wegen der Einzelheiten des Umfangs der Exemtionen auf die Ausführungen oben in § 13 I.1.a) sowie auf die sonstige diplomatische Vertreter betreffenden Ausführungen im 3. Teil dieser Untersuchung verwiesen werden.
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Inanspruchnahme als Nichtbeschuldigter, etwa eine Durchsuchung nach § 103 StPO, ist ausgeschlossen. Ebenso wie gegenüber Diplomaten dürfen aber reine Gefahrenabwehrmaßnahmen ergriffen werden.228 Den hier betrachteten Personen kommt zudem die Diplomaten nach Art. 31 Abs. 2 WÜD gewährte Befreiung von den Zeugenpflichten sowie eine Befreiung ihrer Wohnräume und persönlichen Besitztümer von strafprozessualem Zugriff gemäß Art. 30 WÜD zu. Diese Exemtionen gelten auch für die Ehegatten und minderjährigen Kinder. Ungeklärt ist allerdings, wann eine Person als „Ehegatte“ bzw. als „minderjähriges Kind“ bezeichnet werden kann. Eine Beurteilung allein anhand der Rechtsordnung des an einer Strafverfolgung interessierten Staates scheidet aus, da es ansonsten der strafverfolgende Staat in der Hand hätte, die Reichweite der Exemtionen zu bestimmen und demzufolge eine einheitliche Anwendung der Abkommen nicht gewährleistet wäre. Die Begriffe müssen autonom interpretiert werden, wobei Anhaltspunkte die in den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten Begriffsbestimmungen sein müssen und es entscheidend darauf ankommt, inwieweit diese Bestimmungen Übereinstimmungen aufweisen. Ehegatten dürften demnach Personen sein, mit denen der betreffende Bedienstete eine behördlicherseits anerkannte und mit rechtlichen Wirkungen verbundene partnerschaftliche Verbindung eingegangen ist, wobei maßgeblich die Rechtsordnung des Staates ist, in dem die Partnerschaft geschlossen wurde. Zu den minderjährigen Kindern dürften zumindest alle leiblichen oder angenommenen Kinder zu zählen sein, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. cc) Das Recht und die Pflicht zum Verzicht auf die Exemtionen Art. V Abschn. 20 UN-Immunitäten-Übereinkommen und Art. VI § 22 Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen legen fest, daß die Exemtionen nicht im Interesse des jeweils begünstigten Funktionsträgers gewährt werden, weshalb die Vereinten Nationen bzw. die Sonderorganisationen für zuständig erklärt werden, gegebenenfalls einen Verzicht auf die Exemtionen auszusprechen. Es wird sogar eine Verpflichtung zur Aufhebung der Exemtionen ausgesprochen, soweit dies im Interesse der „Gerechtigkeit“ geboten ist und eine Strafverfolgung die Funktionsfähigkeit der Organisation nicht über Gebühr beeinträchtigt.229 Art. V Abschn. 20 UN-Immunitäten-Übereinkommen lautet: „Die Vorrechte und Immunitäten werden den Bediensteten lediglich im Interesse der Vereinten Nationen und nicht zu ihrem persönlichen Vorteil gewährt. Der Generalsekretär ist berechtigt und verpflichtet, die einem Bediensteten gewährte Immunität in allen Fällen aufzuheben, in denen sie nach Auffassung des Generalsekretärs verhindern würde, daß der Gerechtigkeit Genüge geschieht, und in denen sie ohne Schädigung der In-
___________ Vgl. diesbezüglich oben § 13 I.1.a)gg). Vgl. YBILC 1967 II, 154 (283) (UN-Dokument A/CN.4./L.118); Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 23. 228 229
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teressen der Organisation aufgehoben werden kann. Die Immunität des Generalsekretärs kann der Sicherheitsrat aufheben.“
In Art. VI § 22 Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen heißt es: „Die Vorrechte und Immunitäten werden den Beamten lediglich im Interesse der Sonderorganisationen und nicht zu ihrem persönlichen Vorteil gewährt. Jede Sonderorganisation kann und muß die einem Beamten gewährte Immunität in allen Fällen aufheben, in denen sie nach ihrer Auffassung verhindern würde, daß der Gerechtigkeit Genüge geschieht, und in denen sie ohne Beeinträchtigung der Interessen der Sonderorganisation aufgehoben werden kann.“
Zuständig für die Erklärung des Verzichts ist jeweils der Verwaltungsleiter der Organisation, also bei den Vereinten Nationen der Generalsekretär. Die den UNGeneralsekretär selbst betreffenden Exemtionen – und gleiches muß auch für die Exemtionen seines Ehepartners und seiner minderjährigen Kinder gelten – sind gegebenenfalls durch Beschluß des UN-Sicherheitsrates aufzuheben. Zu beachten ist, daß zwar die genannten Normen den Generalsekretär der Vereinten Nationen, den Sicherheitsrat bzw. die Sonderorganisationen verpflichten, unter den festgelegten Voraussetzungen eine Exemtion aufzuheben, daß aber die Beurteilung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, ausschließlich den zur Aufhebung verpflichteten Organen bzw. Organwaltern obliegt. Deren Bewertung ist nicht justitiabel. dd) Zeitliche Reichweite der Exemtionen Die beiden hier betrachteten Übereinkommen enthalten keine Bestimmung hinsichtlich der zeitlichen Reichweite der Exemtionen. Berücksichtigt man aber, daß die Exemtionen eine unlautere Einflußnahme einzelner Mitgliedstaaten auf die Arbeit der Organisationen verhindern sollen, so kann es bezüglich der Immunitäten ratione materiae keinen Unterschied machen, ob die betreffende Person zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Strafverfahren durchgeführt werden soll, noch aktiver Bediensteter der Organisation ist oder nicht. Denn bereits die Gefahr, nach Ausscheiden aus dem Dienst wegen einer Diensthandlung in einem Mitgliedstaat strafrechtlich verfolgt zu werden, kann – während der Dienstzeit – Einfluß auf die Tätigkeit eines Bediensteten haben. Zudem würde bei einer Strafverfolgung wegen einer dienstlichen Handlung, auch wenn diese nach dem Ausscheiden des Beschuldigten aus den Diensten der Organisation durchgeführt würde, indirekt die Rechtmäßigkeit der Tätigkeit einer Organisation am Maßstab der Rechtsordnung eines Mitgliedstaates gemessen. Die Feststellung einer Rechtswidrigkeit von Akten einer internationalen Organisation nach der Rechtsordnung eines Mitgliedstaates wäre zwar für die ausschließlich an das Völkerrecht gebundene Organisation in juristischer Hinsicht irrelevant, hätte aber aufgrund der politischen Auswirkungen einer solchen Feststellung negativen Einfluß auf die Tätigkeit der Organisation. Auch ist zu bedenken, daß – wie
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sogleich gezeigt wird – die Immunität ratione materiae der im Auftrag der Vereinten Nationen oder einer Sonderorganisation tätigen Sachverständigen ausdrücklich zeitlich unbegrenzt gewährt wird, während die übrigen Vorrechte und Befreiungen dieser Personen explizit auf den Zeitraum ihrer Tätigkeit für die Vereinten Nationen bzw. eine Sonderorganisation beschränkt sind. Es ist kein Grund ersichtlich, warum dann die Immunität ratione materiae der Bediensteten auf die Zeit ihres Status als aktiver Bediensteter beschränkt sein sollte. Die Tatsache, daß in den Abkommen hinsichtlich der zeitlichen Dauer der Immunität ratione materiae der Bediensteten keine Regelung getroffen worden ist, kann daher nur so verstanden werden, daß diese Exemtion zeitlich unbegrenzt gewährt wird.230 Damit ist festzuhalten, daß die gemäß Art. V Abschn. 18 lit. a) UNImmunitäten-Übereinkommen und Art. VI § 19 lit. a) Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen gewährte Immunität ratione materiae zeitlich nicht begrenzt ist.231 Die Zeitdauer der über die Immunität ratione materiae hinaus den hochrangigen Bediensteten und deren Familienangehörigen gewährten Exemtionen gemäß Art. V Abschn. 19 UN-Immunitäten-Übereinkommen und Art. VI § 21 Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen bestimmt sich nach Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD. Diese Exemtionen enden also bei Funktionsbeendigung bzw. mit Wegfall des Status als Ehegatte oder minderjähriges Kind. b) Exemtionen für Sachverständige Das UN-Immunitäten-Übereinkommen und das Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen legen auch Exemtionen für sogenannte Sachverständige fest. Dies sind Personen, die nicht im Rahmen eines längerfristigen Arbeitsverhältnisses bei den Vereinten Nationen oder einer Sonderorganisation als deren Angestellte oder Beamte tätig sind, sondern die von den Vereinten Nationen bzw. einer Sonderorganisation lediglich beauftragt werden, für einen begrenzten Zeitraum eine bestimmte Aufgabe wahrzunehmen, bei der es auf ihre besonderen persönlichen Kenntnisse oder Fähigkeiten ankommt.232 So sind beispielsweise im Auftrag der Vereinten Nationen tätige Wahlbeobachter oder Waffeninspekteure als Sachver___________ So auch die Auffassung der Vereinten Nationen, vgl. YBILC 1967 II, 154 (269 f.) (UN-Dokument A/CN.4./L.118). Jaenicke, ZaöRV 14 (1951/52), 46 (104) spricht in bezug auf das Fehlen einer Bestimmung über die unbegrenzte Fortdauer der Immunität von einem „redaktionellen Versehen“. 231 So auch Jaenicke, ZaöRV 14 (1951/52), 46 (104); Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 115 sowie Scobbie/El-Erian, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 856, die dieser Regel sogar völkergewohnheitsrechtlichen Charakter beimessen. A.A. offenbar Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 76. 232 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1989, 177 (193 f., para. 45 ff.); YBILC 1967 II, 154 (284 f.) (UN-Dokument A/CN.4./L.118); Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 29; Jaenicke, ZaöRV 14 (1951/52), 46 (100 ff.); Schermers/ Blokker, International Institutional Law, § 326. 230
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ständige im Sinne des UN-Immunitäten-Übereinkommens einzustufen. In der Völkerrechtspraxis wird der Begriff „Sachverständige“ sehr weit gefaßt und werden letztlich alle Personen als Sachverständige klassifiziert, die für die Vereinten Nationen oder eine Sonderorganisation und in deren Auftrag tätig werden, aber nicht als deren Bedienstete angesehen werden können. So werden auch Soldaten, die Mitglieder der Streitkräfte einzelner Mitgliedstaaten sind, aber an einer UNBlauhelmmission mitwirken, als Sachverständige eingestuft.233 Während das UN-Immunitäten-Übereinkommen die Rechtsstellung dieser Sachverständigen in Art. VI regelt, enthält das Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen keine gemeinsamen Vorschriften für die Sachverständigen aller Sonderorganisationen. Die Regelungen für Sachverständige sind vielmehr in den Anhängen zum Abkommen enthalten, die jeweils auf eine bestimmte Sonderorganisation bezogen sind und für den Bereich dieser Organisation ergänzende Festlegungen treffen. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß nicht alle Sonderorganisationen Sachverständige beschäftigen.234 Da die in den Anhängen enthaltenen Exemtionsregelungen für Sachverständige einzelner Sonderorganisationen aber inhaltlich mit denen übereinstimmen, die das UN-Immunitäten-Übereinkommen normiert, sollen hier nur die Bestimmungen für Sachverständige betrachtet werden, die im Auftrag der Vereinten Nationen tätig sind. Art. VI Abschn. 22 UN-Immunitäten-Übereinkommen legt – soweit diese Norm im Hinblick auf Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit von Interesse ist – fest: „Sachverständige (mit Ausnahme von Bediensteten im Sinne des Artikels V) genießen, wenn sie Aufträge für die Organisation der Vereinten Nationen durchführen, während der Dauer dieses Auftrags einschließlich der Reise die zur unabhängigen Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Vorrechte und Immunitäten. Insbesondere genießen sie die folgenden: a) Immunität von Festnahme oder Haft und von der Beschlagnahme ihres persönlichen Gepäcks; b) Immunität von jeder Gerichtsbarkeit hinsichtlich der von ihnen während ihres Auftrags vorgenommenen Handlungen (einschließlich ihrer mündlichen und schriftlichen Äußerungen). Diese Immunität bleibt bestehen, auch wenn der Betreffende seinen Auftrag für die Organisation der Vereinten Nationen beendet hat; c) Unverletzlichkeit aller Papiere und Schriftstücke; (...).“235
___________ Vgl. unten § 20 V.2.b). Vgl. Ahluwalia, Legal Status, Privileges and Immunities, S. 188 f. 235 In der verbindlichen englischen Fassung lautet Art. VI Abschn. 22 UN-ImmunitätenÜbereinkommen: “Experts (other than officials coming within the scope of Article V) performing missions for the United Nations shall be accorded such privileges and immunities as are necessary for the independent exercise of their functions during the period of their missions, including the time spent on journeys in connection with their missions. In particular they shall be accorded: a) Immunity from personal arrest or detention and from seizure of their personal baggage; b) In respect of words spoken or written and acts done by them in the course of the performance of their mission, immunity from legal process of 233 234
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Zunächst einmal ist festzuhalten, daß die in Art. VI Abschn. 22 UN-Immunitäten-Übereinkommen festgelegten Exemtionen grundsätzlich nur während des Zeitraums der Durchführung des jeweiligen Auftrags gelten.236 Allerdings befreien sie, wie der IGH in seiner Entscheidung zum Fall Mazilu im Jahr 1989 feststellte, von der Gerichtsbarkeit aller Mitgliedstaaten in gleicher Weise und auch unabhängig davon, ob der Sachverständige für seine Tätigkeit in andere Staaten reist; somit gilt die Exemtion auch gegenüber seinem Heimatstaat.237 Zwar wird pauschal festgelegt, daß die Sachverständigen „die zur unabhängigen Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Vorrechte und Immunitäten“ genießen, so daß die im einzelnen aufgeführten Exemtionen nicht als abschließend begriffen werden dürfen („insbesondere genießen sie …“). Doch müssen die in lit. a)–c) erwähnten Exemtionen in strafrechtlicher Hinsicht als ausreichend für die Sicherung einer unabhängigen Aufgabenwahrnehmung angesehen werden, so daß sich die Betrachtung auf die in lit. a)–c) explizit genannten Exemtionen beschränken kann. Art. VI Abschn. 22 UN-Immunitäten-Übereinkommen legt – wie oben in § 19 I. 2.d)bb) bereits kurz erwähnt – zunächst durch die Gewährung von Immunität von Festnahme oder Haft eine sachlich beschränkte persönliche Unverletzlichkeit fest.238 Diese verbietet nicht generell die Vornahme gegen einen Sachverständigen gerichteter strafprozessualer Zwangsmaßnahmen, sondern nur solche Zwangsmaßnahmen, die mit einer nicht nur kurzfristigen Einschränkung der Bewegungsfreiheit der betreffenden Person verbunden sind. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß eine Durchsuchung nach §§ 102 f. StPO an dem Ort, an dem eine geschützte Person betroffen wird, danach statthaft ist, nicht aber ein Verbringen der Person zum Zweck einer Untersuchung nach §§ 81a ff. StPO an einen anderen Ort oder eine Inhaftierung nach §§ 112 ff. StPO. Gemäß Art. VI Abschn. 22 lit. b) genießen Sachverständige zudem Immunität ratione materiae für ihre Diensthandlungen, also die in engem sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit ihrer dienstlichen Tätigkeit stehenden Handlungen, vor ___________ every kind. This immunity from legal process shall continue to be accorded notwithstanding that the persons concerned are no longer employed on missions for the United Nations; c) Inviolability for all papers and documents (…).” 236 Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 30. 237 IGH, ICJ-Reports 1989, 177 (195 f., para. 50 ff.). Der rumänische Staatsbürger Dimitru Mazilu war zum Sachverständigen für einen Unterausschuß der UN-Menschenrechtskommission ernannt worden, wurde jedoch von Rumänien daran gehindert, dieser Aufgabe nachzukommen. Der IGH stellte ausdrücklich fest, die Mazilu nach Art. VI UNImmunitäten-Übereinkommen zukommenden Exemtionen gälten auch gegenüber seinem Heimatstaat. Vgl. zu diesem Fall Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 37 Rn. 8. Vgl. in bezug auf das Freiwilligenprogramm der Vereinten Nationen auch Art. 16 Abs. 2 des Headquarter-Agreements zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen (vgl. oben Anm. 116). 238 Vgl. Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 30.
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allem für ihre im Rahmen der Wahrnehmung ihres Auftrags getätigten mündlichen und schriftlichen Äußerungen (Amtstätigkeitsimmunität).239 Liest man allerdings lediglich die deutsche Übersetzung dieser Vorschrift, so könnte man geneigt sein anzunehmen, daß nicht eine Immunität ratione materiae für Diensthandlungen gewährt wird, sondern eine zeitlich beschränkte umfassende Immunität ratione personae. Denn die Formulierung legt nahe, daß alle während der Zeit der Tätigkeit für die Vereinten Nationen vorgenommenen Handlungen von der Exemtion erfaßt sind, also auch private Taten, die bei Gelegenheit der Wahrnehmung des Auftrags oder lediglich während des Zeitraums der Beschäftigung als Sachverständiger begangen werden. Doch ein Blick auf die verbindliche englische Sprachfassung240 zeigt, daß ein rein zeitlicher Zusammenhang zwischen einer Tat und dem dienstlichen Auftrag nicht ausreicht, sondern die betreffende Handlung auch in einem sachlichen Zusammenhang mit der Aufgabenwahrnehmung stehen muß, um von der Exemtion erfaßt zu sein. Nur bei dieser Interpretation ergibt auch die Festlegung des Art. VI Abschn. 22 lit. b) Satz 2 Sinn, wonach die Immunität ratione materiae – anders als die übrigen in Abschn. 22 normierten Exemtionen – auch nach Beendigung des Auftrags zeitlich unbegrenzt fortdauert. Die von Art. VI Abschn. 22 lit. a) gewährte Unverletzlichkeit ist zudem bereits ausreichend sichergestellt, so daß keine inakzeptable Behinderung der dienstlichen Tätigkeit – etwa durch eine Verhaftung – erfolgt. Diese Unverletzlichkeit gilt nämlich ohne Rücksicht darauf, ob es sich bei der einem Sachverständigen vorgeworfenen Tat um eine Diensthandlung oder eine „private Straftat“ handelt. Gemäß Art. VI Abschn. 22 lit. c) sind die Papiere und Schriftstücke von Sachverständigen unverletzlich, also einem strafprozessualen Zugriff vollständig entzogen. Diese dürfen, unabhängig davon, ob es sich um dienstliche Materialien oder private Schriftstücke eines Sachverständigen handelt, nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden. Bedenkt man, daß das UN-Immunitäten-Übereinkommen im Jahr 1946 verabschiedet wurde und die deutsche Übersetzung aus dem Jahr 1980 stammt, wird man diese Vorschrift heutzutage extensiv auszulegen haben und auch moderne elektronische Speichermedien als geschützt ansehen müssen.241 Laut Art. VI Abschn. 22 lit. a) ist ferner die Beschlagnahme des persönlichen Gepäcks von Sachverständigen untersagt. Das Gepäck darf zwar nach §§ 102 f. StPO durch___________ Vgl. Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 30. 240 Vgl. oben Anm. 235. 241 Die englische und die französische Sprachfassung, die nicht von „Schriftstücken“, sondern von „documents“ sprechen, sind flexibler als die deutsche Fassung. Sie ermöglichen es ohne weiteres, elektronisch gespeicherte Daten als geschützt anzusehen. Da nur die englische und französische Fassung völkerrechtlich verbindlich sind, handelt es sich bei der hier vertretenen Interpretation nicht um eine die Wortlautgrenze überschreitende Auslegung (die allerdings nicht von vornherein unzulässig wäre). 239
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sucht werden, nicht aber nach §§ 94 ff. StPO beschlagnahmt und damit für längere Zeit der Verfügungsgewalt der geschützten Person entzogen werden. Diese Exemtionen gelten nur für die Sachverständigen selbst, nicht auch für Familienangehörige. Die Exemtionen für Sachverständige werden ebenso wie die Exemtionen der Bediensteten lediglich im Interesse der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Vereinten Nationen gewährt, weshalb nur die UN über die Exemtionen disponieren können. Auch bezüglich der Sachverständigen gilt, daß auf die Exemtionen durch die Vereinten Nationen verzichtet werden muß, sofern durch eine Strafverfolgung nicht eine „Schädigung der Interessen der Organisation“ zu befürchten ist. Art. VI Abschn. 23 UN-Immunitäten-Übereinkommen formuliert: „Die Vorrechte und Immunitäten werden den Sachverständigen im Interesse der Organisation der Vereinten Nationen und nicht zu ihrem persönlichen Vorteil gewährt. Der Generalsekretär ist berechtigt und verpflichtet, die einem Sachverständigen gewährte Immunität in allen Fällen aufzuheben, in denen sie nach Auffassung des Generalsekretärs verhindern würde, daß der Gerechtigkeit Genüge geschieht, und in denen sie ohne Schädigung der Interessen der Sonderorganisation aufgehoben werden kann.“
Ein Einschreiten eines Mitgliedstaates zum Zweck der Gefahrenabwehr ist im übrigen nicht untersagt. 3. Exemtionen für Funktionsträger der Europäischen Gemeinschaften a) Exemtionen für Bedienstete aa) Zur Reichweite der Exemtionen Die Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit für Bedienstete der Europäischen Gemeinschaften bestimmen sich nach Art. 12 Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden als Protokoll bezeichnet).242 Dort heißt es, soweit die Norm im Hinblick auf Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit von Relevanz ist: „Den Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften stehen im Hoheitsgebiet jedes Mitgliedstaates ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit folgende Befreiungen zu: a) Befreiung von der Gerichtsbarkeit bezüglich der von ihnen in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen, einschließlich ihrer mündlichen und schriftlichen Äußerungen (…). Diese Befreiung gilt auch nach Beendigung ihrer Amtstätigkeit (…).“
Erfaßt von den Exemtionen sind zunächst die Beamten und sonstigen Bediensteten der EG und von Euratom, und zwar aller ihrer Organe.243 Gemäß Art. 22 Abs. 1 ___________ Vgl. oben Anm. 107. Organe der EG und von Euratom sind gemäß Art. 7 EGV und Art. 3 Euratom-Vertrag das Europäische Parlament, der Rat, die Kommission, der Gerichtshof und der Rechnungshof. Besondere Exemtionsbestimmungen gelten allerdings für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments sowie für die Mitglieder des Europäischen Gerichtshofs. 242 243
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und Art. 23 Abs. 1 und 3 des Protokolls gelten die Exemtionen des Art. 12 lit. a) des Protokolls darüber hinaus auch für die Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Zentralbank, des Europäischen Wirtschaftsinstituts und der Europäischen Investitionsbank.244 Die Befreiungen gelten im Gebiet aller Mitgliedstaaten und gegenüber der Strafgerichtsbarkeit aller Mitgliedstaaten in gleicher Weise – also auch gegenüber der Strafgerichtsbarkeit Deutschlands.245 Wie bei den Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen üblich, ist der sachliche Gehalt der Exemtion eng begrenzt. Den Bediensteten wird lediglich Immunität ratione materiae gewährt.246 Nach Ansicht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) beschränkt sich die Immunität ratione materiae auf die unmittelbaren Amtshandlungen.247 Sie ist damit vergleichbar mit der durch Art. 38 Abs. 1 WÜD gewährten Exemtion.248 Immunität wird mithin nicht für alle Diensthandlungen gewährt, sondern nur für solche, die unmittelbar der Aufgabenwahrnehmung dienen. Dies bedeutet beispielsweise, daß Verkehrsdelikte, die im Zuge einer Autofahrt begangen werden, die lediglich dazu dient, zu einem Ort zu gelangen, an dem eine Amtshandlung vorzunehmen ist, trotz des Charakters der Fahrt als „Dienstfahrt“ nicht von der Immunität erfaßt sind.249 Eine über die Immunität ratione materiae hinausgehende persönliche Unverletzlichkeit wird nicht gewährt. Allerdings sieht Art. 19 des Beamtenstatuts ein zeitlich ___________ Vgl. auch Art. 40 der Satzung der EZB (BGBl. 1992 II, S. 1253). Hinsichtlich der EZB, die ihren Sitz in Frankfurt a.M. hat, besteht noch ein Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Zentralbank über den Sitz der europäischen Zentralbank vom 18.9.1998; BGBl. 1998 II, S. 2996. 245 Vgl. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 291 Rn. 11; Henrichs, EuR 1987, 75 (78); Voß, Europol, S. 113. 246 Vgl. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EGVertrag, Art. 291 EG Rn. 39; Schweitzer, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Recht der Europäischen Union, Bd. III, Art. 291 EGV Rn. 6; Voß, Europol, S. 109 ff. Die nichtdeutschen Direktoriumsmitglieder der EZB, die ihren steuerlichen Wohnsitz nicht in Deutschland haben, sowie deren im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienmitglieder genießen allerdings gemäß Art. 19 des in Anm. 244 genannten Abkommens vom 18.9.1998 gegenüber der deutschen Strafgerichtsbarkeit die im WÜD für Diplomaten bzw. deren Familienmitglieder vorgesehen Exemtionen, also unter anderem Immunität ratione personae und persönliche Unverletzlichkeit. 247 Vgl. EuGH vom 11.7.1968, Rs. 5/68, Sayak ./. Leduc, Slg. 1968, 589 (600); EuGH vom 10.7.1969, Rs. 9/69, Sayak ./. Leduc, Slg. 1969, 329 (336 f.) sowie Hailbronner, JZ 1998, 283 (283 f.); Henrichs, EuR 1987, 75 (80); Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. 291 EG Rn. 39; Voß, Europol, S. 111 f.; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 539. 248 Insofern kann hier auf die Ausführungen zur Reichweite der Exemtion des Art. 38 Abs. 1 WÜD oben in § 13 I.1.f)aa) und § 13 II.8. sowie § 13 II.9. verwiesen werden. 249 Vgl. Hailbronner, JZ 1998, 283 (283); Henrichs, EuR 1987, 75 (80). 244
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nicht beschränktes Aussageverweigerungsrecht in bezug auf Tatsachen vor, die den Bediensteten bei ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt geworden sind.250 Wegen privater Taten und wegen Taten, die zwar in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Vornahme von Amtshandlungen stehen, bei wertender Betrachtung damit als dienstlich begangene Taten einzustufen sind, die aber nicht als unmittelbare Amtshandlungen klassifiziert werden können, dürfen Bedienstete der Europäischen Gemeinschaften ohne Einschränkung von den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten zur Verantwortung gezogen werden. Auch eine Inanspruchnahme als Nichtbeschuldigter – etwa nach § 103 StPO – ist statthaft. Eine Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen lediglich die Bediensteten selbst, nicht aber ihre Familienangehörigen. Diese sind uneingeschränkt der Strafgewalt der Mitgliedstaaten unterworfen. Anders als im Bereich der Vereinten Nationen genießen auch besonders hochrangige Bedienstete der Europäischen Gemeinschaften keine weiterreichenden Exemtionen.251 Dies stellt Art. 20 des Protokolls ausdrücklich fest, indem dort betont wird, Art. 12 des Protokolls finde auch auf die Mitglieder der Kommission Anwendung. Die zeitliche Reichweite der Immunität ratione materiae ist nicht begrenzt. Eine Ausübung von Strafgerichtsbarkeit wegen Amtshandlungen ist damit – sofern nicht ein Verzicht auf die Exemtion ausgesprochen wird – dauerhaft ausgeschlossen.252 bb) Zur Auslegungszuständigkeit des EuGH Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß internationale Organisationen für sich in Anspruch nehmen (müssen), selbst über die Frage zu entscheiden, ob eine bestimmte Handlung von einer Immunität ratione materiae erfaßt wird oder nicht.253 Eine Besonderheit gibt es im Bereich der Europäischen Gemeinschaften. Da diese mit dem EuGH über ein Gericht verfügen, das unabhängig von den sonstigen Organen der Gemeinschaften agiert, auch von den Staaten oder einzelnen nationalen Gerichten angerufen werden kann und damit als neutrale Instanz zur Streitschlichtung fungiert, obliegt es dem EuGH, mit bindender Wirkung für die Mitgliedstaaten und deren Strafverfolgungsbehörden, aber auch mit bindender Wirkung für die ___________ Vgl. Henrichs, EuR 1987, 75 (80); Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. 291 EG Rn. 41. Das Aussageverweigerungsrecht ist, da das Beamtenstatut als Verordnung erlassen wurde, gemäß Art. 249 Abs. 2 EGV für die Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten unmittelbar beachtlich; vgl. Henrichs, EuR 1987, 75 (81 f.); Schmidt, a.a.O, Art. 218 Rn. 38 Fn. 102. 251 Vgl. Henrichs, EuR 1987, 75 (77). 252 Vgl. Henrichs, EuR 1987, 75 (81, 90). 253 Vgl. oben § 19 II.1.b)bb). 250
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übrigen Organe der Gemeinschaften, über die richtige Interpretation der Exemtionsregelungen des Protokolls zu befinden.254 Diese Zuständigkeit des EuGH folgt daraus, daß Art. 291 EGV und Art. 191 Euratom-Vertrag die Exemtionsregelungen des Protokolls für maßgeblich erklären, diese damit sowie durch Art. 311 EGV und Art. 207 Euratom-Vertrag in gewisser Weise in die Verträge inkorporiert werden,255 und der EuGH dafür zuständig ist, mit bindender Wirkung für die Mitgliedstaaten die Bestimmungen der Verträge ___________ Vgl. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 291 Rn. 2; Henrichs, EuR 1987, 75 (89 f.); Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/ EG-Vertrag, Art. 291 EG Rn. 4 f.; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1922; Voß, Europol, S. 114 f. Diese Zuständigkeit des EuGH bezieht sich nicht nur auf die Immunität ratione materiae des Art. 12 lit. a) des Protokolls, sondern auch auf die anderen im Protokoll festgelegten Exemtionen. Im folgenden wird die Zuständigkeit des EuGH am Beispiel der Immunität ratione materiae erläutert; sie gilt aber für die anderen Exemtionen in gleicher Weise. Lediglich eine Ausnahme ist zu verzeichnen: Die Exemtionen, die Mitglieder des Europäischen Parlaments gegenüber der Strafgewalt ihres Heimatstaates genießen, sind nach Art. 10 Abs. 1 lit. a) des Protokolls in bezug auf ihre sachliche Reichweite identisch mit der Immunität, die die Abgeordneten des (zentralen) nationalen Parlaments dieses Staates genießen (vgl. hierzu sogleich unten § 19 II.3. b)). Die sachliche Reichweite der Exemtionen für Europaabgeordnete gegenüber ihrem Heimatstaat bestimmt sich also nicht nach europarechtlichen Normen, sondern nach nationalen Rechtsvorschriften des jeweiligen Staates. Zu deren Auslegung und Interpretation ist der EuGH aber nicht berufen. Die Verfahren nach Art. 226 f. und 234 EGV bzw. Art. 141 f. und 150 Euratom-Vertrag sollen lediglich eine einheitliche Auslegung und Anwendung europarechtlicher Normen sicherstellen, nicht aber dem EuGH die Kompetenz zusprechen, letztverbindlich nationales Recht der Mitgliedstaaten auszulegen, und zwar auch dann nicht, wenn europarechtliche Normen nationale Rechtsvorschriften für maßgeblich erklären. Vgl. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 220 Rn. 34. Wenn sich den deutschen Strafverfolgungsbehörden daher in einem Verfahren die Frage stellt, in welchem sachlichen Umfang deutsche Europaabgeordnete in Deutschland gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. a) des Protokolls Immunität genießen, besteht weder die Möglichkeit noch die Pflicht, den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EGV anzurufen. Zu Recht wird daher in den Entscheidungen OLG Düsseldorf, NJW 1989, 2207 und OLG Köln, NStZ 1987, 564 die Frage einer Vorlagepflicht an den EuGH – soweit aus den Veröffentlichungen ersichtlich – nicht einmal thematisiert. Da sich die sachliche Reichweite der Immunität nach Art. 10 Abs. 1 lit. b) des Protokolls, die zeitliche Reichweite der Immunitäten nach Art. 10 des Protokolls sowie der Umfang der Indemnität nach Art. 9 des Protokolls ausschließlich nach den (europarechtlichen) Vorschriften des Protokolls bestimmen, ist bei diesbezüglichen Fragen aber eine Vorabentscheidung durch den EuGH nach Art. 234 EGV/Art. 150 Euratom-Vertrag möglich und besteht nach Art. 234 Abs. 3 EGV/Art. 150 Abs. 3 Euratom-Vertrag unter Umständen sogar eine Pflicht der nationalen Strafgerichte zu einer Vorlage an den EuGH. Vgl. diesbezüglich EuGH, Urteil vom 12.5.1964, Rs. 101/63, Wagner ./. Fohrmann u. Krier, Slg. 1964, 419 (429 ff., 440 f.); EuGH, Urteil vom 10.7.1986, Rs. 149/85, Wybot ./. Faure, Slg. 1986, 2391 (2404 ff.). 255 Vgl. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 311 Rn. 7; Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. 291 EG Rn. 3; Schweitzer, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Recht der Europäischen Union, Bd. III, Art. 291 EGV Rn. 3. Unerheblich ist mithin, daß Art. 30 Fusionsvertrag (vgl. Anm. 107) mit dessen Aufhebung durch den Amsterdamer Vertrag (vgl. Anm. 107) entfallen ist. Ob Art. 311 EGV und Art. 207 Euratom-Vertrag einschlägig sind, ist allerdings streitig; vgl. Becker, Schmidt und Schweitzer, jeweils a.a.O. 254
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auszulegen (vgl. Art. 234 EGV; Art. 150 Euratom-Vertrag) sowie darüber zu entscheiden, ob ein Mitgliedstaat gegen Verpflichtungen aus den Verträgen verstoßen hat (vgl. Art. 226 f. EGV; Art. 141 f. Euratom-Vertrag). Es gibt mehrere Verfahrensarten, die einschlägig sein können. Wenn ein Mitgliedstaat ein Strafverfahren gegen einen Funktionsträger der Europäischen Gemeinschaften durchführt oder durchgeführt hat, weil die zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Auffassung sind bzw. waren, daß die betreffende Handlung nicht der Immunität ratione materiae nach Art. 12 lit. a) des Protokolls unterfällt, die EU-Kommission jedoch von dem Vorliegen einer Exemtion ausgeht und damit das Strafverfahren für unvereinbar mit dem EG-Vertrag bzw. dem Euratom-Vertrag hält, kann sie gemäß Art. 226 EGV, Art. 141 Euratom-Vertrag den EuGH anrufen.256 Die gleiche Klagemöglichkeit hat gemäß Art. 227 EGV, Art. 142 EuratomVertrag jeder andere Mitgliedstaat – und zwar unabhängig davon, ob er selbst direkt betroffen ist, etwa die beschuldigte Person Angehöriger des eigenen Staates ist.257 Soweit der EuGH in einem solchen Vertragsverletzungsverfahren zu dem Ergebnis kommt, daß gegen die Immunität verstoßen wird bzw. wurde, kann er allerdings ein in einem Mitgliedstaat betriebenes Strafverfahren nicht selbst einstellen oder eine ergangene Entscheidung aufheben. Urteile des EuGH in Vertragsverletzungsverfahren haben keine Kassationswirkung; vielmehr beschränkt sich die Urteilswirkung gemäß Art. 228 Abs. 1 EGV, Art. 143 Abs. 1 Euratom-Vertrag darauf, daß der Mitgliedstaat, der eine Vertragsverletzung begangen hat, die Maßnahmen zu treffen hat, die sich aus dem Urteil ergeben.258 Der jeweilige Mitgliedstaat selbst hat also gegebenenfalls dafür Sorge zu tragen, daß das unzulässige Strafverfahren beendet, ein bereits ergangenes Urteil aufgehoben und eine Sanktion nicht weiter vollstreckt wird. Für die bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden heißt dies, daß dann, wenn der EuGH entschieden hat, daß eine Strafverfolgung gegen das Protokoll verstößt, ein noch laufendes Strafverfahren wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses je nach Verfahrensstadium nach § 170 Abs. 2 StPO (im Ermittlungsverfahren), nach § 206a StPO (im Hauptverfahren außerhalb der Hauptverhandlung) oder nach § 260 Abs. 3 StPO (während der Hauptverhandlung) einzustellen ist.259 Die Entscheidung des EuGH ist für die zuständige deutsche Instanz verbindlich. Schwieri___________ Vgl. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 226 Rn. 1 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 578 ff. 257 Vgl. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 227 Rn. 1 ff. 258 Vgl. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 228 Rn. 1 ff., der in Rn. 6 zu Recht darauf hinweist, daß der verurteilte Staat nicht nur Vorkehrungen zu treffen hat, damit zukünftig Vertragsverletzungen der beanstandeten Art nicht mehr vorkommen, sondern im Sinne einer Folgenbeseitigung mit ex tunc-Wirkung alle Folgen des Verfahrensverstoßes zu beseitigen sind. 259 Vgl. im einzelnen zu den Formen der gebotenen Verfahrensbeendigung bei Vorliegen einer völkerrechtlichen Exemtion unten § 23 III.1. 256
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ger ist die Umsetzung eines EuGH-Urteils, wenn das Strafverfahren bereits rechtskräftig mit einer Verurteilung abgeschlossen worden ist. Denn Entscheidungen, die eine völkerrechtliche Exemtion verkannt haben, sind nicht nichtig, sondern erwachsen in formelle und materielle Rechtskraft.260 In diesem Fall bleibt nur die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 359 StPO. Diese Vorschrift allerdings sieht die Möglichkeit einer Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens nur für den Fall einer dem Urteil entgegenstehenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vor (§ 359 Nr. 6 StPO), nicht aber für den Fall einer Entscheidung des EuGH. Ganz offensichtlich hat der Gesetzgeber die hier betrachtete Fallkonstellation übersehen. Es liegt daher eine planwidrige Regelungslücke vor, die durch eine analoge Anwendung des § 359 Nr. 6 StPO zu schließen ist. Ein Verfahren vor dem EuGH kann auch von einem Strafgericht initiiert werden, das ein Verfahren gegen einen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften betreibt, in dem über das Vorliegen einer Immunität nach Art. 12 lit. a) des Protokolls zu befinden ist. Unter Umständen ist ein solches Strafgericht sogar verpflichtet, das eigene Strafverfahren auszusetzen und eine Entscheidung des EuGH einzuholen. Denn in Art. 234 EGV und Art. 150 Euratom-Vertrag, den Vorschriften über das sogenannte Vorabentscheidungsverfahren,261 heißt es übereinstimmend: „(1) Der Gerichtshof entscheidet im Wege der Vorabentscheidung a) über die Auslegung dieses Vertrags, (…). (2) Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedsstaates gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlaß seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. (3) Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet.“
Für Deutschland bedeutet dies, daß ein Amtsgericht, Landgericht oder Oberlandesgericht, dessen Urteil noch durch Berufung, Revision oder – in einem Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit – Rechtsbeschwerde angefochten werden kann, befugt, aber nicht verpflichtet ist, dann, wenn die Reichweite einer Exemtionsregelung des Protokolls umstritten und die Streitfrage nach Auffassung des Gerichts entscheidungserheblich ist, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des EuGH einzuholen. Der Beschuldigte selbst kann eine Anrufung des EuGH nur anregen, hat aber keinen Anspruch auf Vorlage an den EuGH.262 Ein Gericht, dessen Entscheidung im konkreten Fall nicht mehr durch ein ordentliches Rechtsmittel angefochten werden kann – wie dies etwa bei Revisionsentscheidungen der Ober___________ Vgl. näher hierzu unten § 23 IV. Vgl. zum „Vorabentscheidungsverfahren“ Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234 Rn. 1 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 631 ff. 262 Vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 660. 260 261
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landesgerichte und des BGH der Fall ist –, ist verpflichtet, soweit die Frage der Reichweite einer Exemtion nach dem Protokoll im Raum steht und nach Auffassung des Gerichts entscheidungserheblich ist, den EuGH im Wege der Vorabentscheidung anzurufen.263 Sofern in einem solchen Fall eine Anrufung des EuGH unterbleibt, kann der Beschuldigte nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG Verfassungsbeschwerde zum BVerfG einlegen und mit Aussicht auf Erfolg die Verletzung seines Anspruchs auf einen gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) geltend machen.264 Die auf eine Vorlage nach Art. 234 EGV bzw. Art. 150 EuratomVertrag hin ergehende Entscheidung des EuGH ist für das vorlegende Gericht für den konkreten Fall verbindlich. cc) Das Recht und die Pflicht zum Verzicht auf die Exemtion Ähnlich wie das UN-Immunitäten-Übereinkommen stellt auch das Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften fest, daß die Exemtionen für Bedienstete ausschließlich im Interesse der Gemeinschaften gewährt werden. Sie unterliegen daher allein ihrer Disposition. Nur die Gemeinschaften, nicht aber der jeweilige Bedienstete, sind befugt, auf die Exemtionen zu verzichten.265 Gleichzeitig aber sind sie verpflichtet, soweit möglich auf die Exemtionen zu verzichten.266 Dies ergibt sich aus Art. 18 des Protokolls, der lautet: „(1) Die Vorrechte, Befreiungen und Erleichterungen werden den Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften ausdrücklich im Interesse der Gemeinschaften gewährt. (2) Jedes Organ der Gemeinschaften hat die Befreiung eines Beamten oder sonstigen Bediensteten in allen Fällen aufzuheben, in denen dies nach seiner Auffassung den Interessen der Gemeinschaften nicht zuwiderläuft.“
Zuständig für den Immunitätsverzicht ist das Organ, bei dem die betreffende Person angestellt ist.267 Ob die Vorraussetzungen für einen Verzicht vorliegen, entscheidet das betreffende Organ. Nach Ansicht des EuGH ist dessen Beurteilung aber – obwohl der Wortlaut des Art. 18 des Protokolls das genaue Gegenteil festlegt – im Rahmen der oben in § 19 II.3.a)bb) geschilderten Zuständigkeit des EuGH insofern justitiabel, als sie auf Ermessensfehler hin überprüft werden kann.268 ___________ 263 Vgl. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234 Rn. 41 f. mit Nachw. zum Streit zwischen der „konkreten“ und der „abstrakten Betrachtungsweise“. 264 Vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 660. 265 Vgl. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 291 Rn. 11 und Kallmayer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, Art. 291 Rn. 7. 266 Vgl. Henrichs, EuR 1987, 75 (88 f.). 267 Vgl. Henrichs, EuR 1987, 75 (89). 268 Vgl. EuGH, Beschluß vom 13.7.1990, Rs. C-2/88 Imm., Zwartveld, Slg. 1990-I, 3365 (3373). Siehe hierzu auch Hölscheidt/Schotten, NJW 1999, 2851 (2853) und Schmidt,
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b) Exemtionen für Mitglieder des Europäischen Parlaments aa) Zum Schutzzweck der parlamentarischen Exemtionen Die Mitglieder des Europäischen Parlaments sind keine Vertreter der einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften, sondern gemäß Art. 190 Abs. 1 EGV „Abgeordnete der Völker der in der Gemeinschaft vereinigten Staaten“. Sie werden in unmittelbarer Wahl von den Bürgerinnen und Bürgern der Mitgliedstaaten gewählt. Sie sind damit zu den Funktionsträgern der Europäischen Gemeinschaften zu zählen. Da sie ihre Aufgaben als Abgeordnete nur im Interesse der Europäischen Gemeinschaften bzw. – je nach Sichtweise – im Interesse der einzelnen Staatsvölker oder eines europäischen Volks, nicht aber im Partikularinteresse ihres Heimatstaates oder eines anderen Mitgliedstaates wahrnehmen sollen, werden sie durch Exemtionen vor einer Beeinträchtigung ihrer Abgeordnetentätigkeit durch einzelne Mitgliedstaaten geschützt.269 Der Schutzzweck der Exemtionen für Mitglieder des Europäischen Parlaments ist vergleichbar mit dem der Befreiungen für Abgeordnete nationaler Parlamente, etwa für die Abgeordneten des deutschen Bundestags.270 Ziel dieser Exemtionen ist es, die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu schützen. Es soll verhindert werden, daß die Strafverfolgungsbehörden durch strafrechtliche Inanspruchnahme einzelner Abgeordneter ohne Einverständnis des Parlaments dessen Arbeit beeinträchtigen.271 Während aber die nationalen Exemtionen gewissermaßen horizontal wirken, indem sie die Legislative vor Beeinträchtigungen durch die Exekutive bzw. Judikative schützen, wirken die Exemtionen für Mitglieder des Europäischem Parlaments vertikal, indem sie das Organ Europäisches Parlament vor Beeinträchtigungen seiner Arbeit durch die Staatsgewalt einzelner Mitgliedstaaten schützen. Dieser Zweck der Exemtionen für Abgeordnete des Europäischen Parlaments wird in Art. 6 Abs. 1 Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments (GO-EP)272 herausgestellt, wo es heißt: „Bei der Wahrnehmung seiner Befugnisse hinsichtlich der Vorrechte und Immunitäten ist es vorrangiges Ziel des Parlaments, seine Integrität als demokratische gesetzgebende
___________ in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. 291 EG Rn. 60. 269 Ausführlich zur Indemnität und Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments Kreicker, GA 2004, 643 (643 ff.). 270 Vgl. zum Schutzzweck der Exemtionen des Art. 46 GG BVerfGE 104, 310 (328 f.) = NJW 2002, 1111 (1113); Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 46 Rn. 3, 31; Butzer, Immunität, S. 66 ff. 271 Vgl. zur Legitimationsfähigkeit der Exemtionen für Abgeordnete des Europäischen Parlaments auch Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 46 ff. Derzeit gibt es allerdings auf seiten des Europäischen Parlaments Bestrebungen, die Immunitäten für Europaabgeordnete einzuschränken. Siehe hierzu unten § 19 II.3.b) gg). 272 Aktuelle konsolidierte Fassung in ABl. EU 2003 Nr. L 61, S. 1. Im Internet abrufbar unter (31.3.2006). Abgedr. auch in „Sartorius II“ unter Nr. 260.
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Versammlung zu wahren und die Unabhängigkeit seiner Mitglieder bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben sicherzustellen.“
bb) Rechtsgrundlagen der parlamentarischen Exemtionen Die Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit für Mitglieder des Europäischen Parlaments sind Art. 9 und 10 Protokoll über Vorrechte und Befreiungen273 normiert. Dieses Protokoll ist – wie schon oben in § 19 I.2.c)bb) erwähnt wurde – über das deutsche Zustimmungsgesetz für die deutschen Strafverfolgungsbehörden unmittelbar beachtlich und anwendbar. Zudem erklären – jeweils deklaratorisch – Art. 6 Abs. 2 Direktwahlakt (DWA),274 Art. 3 Abs. 1 GO-EP und Art. § 5 Satz 1 des bundesdeutschen Europaabgeordnetengesetzes (EuAbgG)275 die Normen des Protokolls für maßgeblich. cc) Indemnität der Mitglieder des Europäischen Parlaments Art. 9 des Protokolls legt eine Indemnität fest: „Wegen einer in Ausübung ihres Amtes erfolgten Äußerung oder Abstimmung dürfen Mitglieder des Europäischen Parlaments weder in ein Ermittlungsverfahren verwickelt noch festgenommen oder verfolgt werden.“
Ein Mitglied des Europäischen Parlaments darf mithin wegen einer in Ausübung seines Amtes – also in seiner Funktion als Abgeordneter, aber nicht zwingend im Parlament – getätigten Äußerung oder Abstimmung zu keinem Zeitpunkt (auch nicht nach Beendigung des Mandats) und von keinem Mitgliedstaat strafrechtlich verfolgt werden.276 Diese Indemnität reicht über die Indemnität für Bundestagsab___________ Vgl. oben Anm. 107. Beschluß und Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments (Direktwahlakt) vom 20.9.1976, BGBl. 1977 II, S. 734 = ABl. EG 1976 Nr. L 278, S. 1. Zuletzt geändert durch Beschluß vom 25.6./23.9.2002; BGBl. 2003 II, S. 810 = ABl. EG 2002 Nr. L 283, S. 1. Abgedr. auch in „Sartorius II“ unter Nr. 262. 275 Europaabgeordnetengesetz (EuAbgG) vom 8.4.1979; BGBl. 1979 I, S. 413 (zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.12.2004; BGBl. 2004 I, S. 3590). Art. 5 EuAbgG lautet: „Die Indemnität und Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments bestimmt sich nach den Artikeln 9 und 10 des Protokolls (…). Dabei richtet sich der Umfang der Indemnität nach den Bestimmungen des Grundgesetzes.“ 276 Vgl. Harms, Rechtsstellung der Abgeordneten, S. 87 ff.; Schmidt, in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. 291 EG Rn. 29; Schoo, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 190 Rn. 25; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 698. Die Indemnität des Art. 9 des Protokolls ist im deutschen Strafrecht dogmatisch als Strafausschließungsgrund zu klassifizieren. Vgl. Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 25. Während eine Äußerung, die in einem privaten Gespräch getätigt wird, auch dann nicht dem Indemnitätsschutz unterfällt, wenn dieses in den Räumen des Parlaments stattfindet, sind funktionsbezogene Äußerungen, auch wenn sie bei Treffen mit Bürgern oder mit anderen Abgeordneten außerhalb des Plenums, aber in der 273 274
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geordnete nach Art. 46 Abs. 1 GG noch hinaus. Denn zum einen ist eine Strafverfolgung wegen einer Äußerung als Abgeordneter selbst dann unstatthaft, wenn diese als verleumderisch zu bewerten ist. Zum anderen ist die Indemnität nicht auf Äußerungen im Parlament beschränkt.277 Allerdings heißt es in § 5 Satz 2 EuAbgG, daß sich die Reichweite der Indemnität der Mitglieder des Europäischen Parlaments in Deutschland nach dem Grundgesetz richtet.278 Mit diesem Verweis auf Art. 46 Abs. 1 GG schränkt § 5 Satz 2 EuAbgG die Indemnität für Mitglieder des Europäischen Parlaments jedoch europarechtswidrig ein. Da die Regelung des Art. 9 des Protokolls über das deutsche Zustimmungsgesetz ebenso Bestandteil der deutschen Rechtsordnung ist wie § 5 Satz 2 EuAbgG und ihr als europarechtliche Norm über Art. 23 GG Anwendungsvorrang gegenüber einfachem Bundesrecht zukommt,279 genießt Art. 9 des Protokolls in Verbindung mit dem deutschen Zustimmungsgesetz insoweit, als diese Norm eine weiterreichende Regelung darstellt, Vorrang gegenüber § 5 Satz 2 EuAbgG.280 Für die Strafrechtspraxis ist damit nicht § 5 Satz 2 EuAbgG, sondern ausschließlich Art. 9 des Protokolls maßgeblich.281 dd) Die Immunität und Unverletzlichkeit der Mitglieder des Europäischen Parlaments Durch Art. 10 des Protokolls wird den Abgeordneten eine zeitlich und sachlich begrenzte Immunität und Unverletzlichkeit zuerkannt: ___________ Funktion als Abgeordneter getätigt werden, generell geschützt; vgl. Harms, a.a.O., S. 90 f.; Wenckstern, a.a.O., Rn. 698. 277 So auch Bieber, EuR 1981, 124 (129 f.); Haag/Bieber, in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, nach Art. 190 Rn. 6. Vgl. zu Art. 46 Abs. 1 GG Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 46 Rn. 11, 13 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. II, Art. 46 Rn. 9 ff. 278 Vgl. oben Anm. 275. 279 Vgl. Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 45 ff., 68 f.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 23 Rn. 59. 280 So auch Fleuter, Mandat und Status des Abgeordneten, S. 109. Dieses Ergebnis widerspricht nicht einmal der Intention des deutschen Gesetzgebers, denn Ziel des § 5 Satz 2 EuAbgG sollte sein, den Mitgliedern des Europäischen Parlaments auch Schutz vor zivilrechtlicher Verfolgung zu gewähren und damit den Schutz gegenüber der Regelung des Art. 9 des Protokolls zu verbessern; vgl. BT-Drucks. 8/362, S. 7. Mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen, aber von der Bundesregierung als „redaktionell nicht befriedigend“ (BT-Drucks. 8/362, S. 11) abgelehnten Formulierung des § 5 Satz 2 EuAbgG („Art. 46 Abs. 1 GG findet […] insoweit entsprechende Anwendung, als er über die nach Satz 1 gewährten Rechte hinausgeht“, vgl. BT-Drucks. 8/362, S. 10) wäre die hier erörterte Interpretationsschwierigkeit vermieden worden. 281 A.A. aber unter Berufung auf § 5 S. 2 EuAbgG das Rundschreiben des BMI „Indemnität und Immunität von Abgeordneten“ vom 10.1.1983, Abschn. B.I.; GMBl. 1983, 37 (39).
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„(1) Während der Dauer der Sitzungsperiode des Europäischen Parlaments a) steht ihren Mitgliedern im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates die den Parlamentsmitgliedern zuerkannte Unverletzlichkeit zu, b) können ihre Mitglieder im Hoheitsgebiet jedes anderen Mitgliedstaates weder festgehalten noch gerichtlich verfolgt werden. (2) Die Unverletzlichkeit besteht auch während der Reise zum und vom Tagungsort des Europäischen Parlaments. (3) Bei Ergreifung auf frischer Tat kann die Unverletzlichkeit nicht geltend gemacht werden; sie steht auch nicht der Befugnis des Europäischen Parlaments entgegen, die Unverletzlichkeit eines ihrer Mitglieder aufzuheben.“
Zunächst ist die zeitliche Begrenzung der Exemtionen zu beachten: Laut Art. 10 Abs. 1 und 2 des Protokolls werden die Befreiungen nur während der Sitzungsperiode und während der Reise zum und vom Tagungsort vor Beginn bzw. nach Beendigung der Sitzungsperiode gewährt.282 Doch hat der EuGH 1964 und erneut 1986 entschieden, daß die Sitzungsperiode des Europäischen Parlaments (vgl. Art. 196 Abs. 1 EGV) das ganze Jahr umfaßt bis zur Eröffnung der Sitzungsperiode des nächsten Jahres, unabhängig davon, ob das Parlament tatsächlich tagt oder nicht.283 Aufgrund dieser extensiven Auslegung des Begriffs „Sitzungsperiode“ sind die Befreiungen praktisch während der gesamten Dauer des fünfjährigen Mandats zu gewähren.284 Art. 10 Abs. 2 des Protokolls ist damit weitgehend überflüssig geworden.285 Problematisch ist lediglich, wann genau die Exemtionen nach Wahlen zum Europäischen Parlament beginnen und enden. Ausgehend vom Wortlaut des Art. 10 des Protokolls muß man annehmen, daß die Exemtionen erst zum Zeitpunkt des ersten Zusammentritts des neugewählten Parlaments beginnen. Dem entspricht die Auffassung des Europäischen Parlaments. Dieses steht auf dem Standpunkt, die Immunität erstrecke sich auf die gesamte Mandatsdauer.286 Das Mandat beginnt ___________ 282 Vgl. hierzu Schultz-Bleis, Die parlamentarische Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, 1995, S. 43 f. 283 EuGH, Urteil vom 12.5.1964, Rs. 101/63, Wagner ./. Fohrmann u. Krier, Slg. 1964, 419 (433); EuGH, Urteil vom 10.7.1986, Rs. 149/85, Wybot ./. Faure, Slg. 1986, 2391 (2407 ff., Rn 12 ff.). 284 Vgl. Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Recht der Europäischen Union, Bd. II, Art. 190 EGV Rn. 43; Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. 291 EG Rn. 30; Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 27 ff.; Steinle, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 291 Rn. 19; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 701. Dementsprechend heißt es in Nr. 192b I der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV, abgedr. u.a. in MeyerGoßner, Strafprozessordnung, Anhang Nr. 12) auch lapidar, die Immunität bestehe „während der Dauer der fünfjährigen Wahlperiode“. 285 So auch Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EGVertrag, Art. 291 Rn 30 mit dem Hinweis, Art. 10 Abs. 2 könne theoretisch Relevanz erlangen, wenn das Parlament ausnahmsweise seine Sitzungsperiode vorzeitig beenden sollte. 286 Vgl. den Bericht des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt über den Antrag der deutschen Justiz auf Aufhebung der Immunität der Abgeordneten Jeggle, Dokument A5-
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gemäß Art. 5 Abs. 2 DWA287 aber erst mit Eröffnung der ersten Sitzung des neugewählten Parlaments.288 Vor der konstituierenden Sitzung sind die neugewählten Abgeordneten allerdings bereits im Rahmen des Art. 10 Abs. 2 des Protokolls geschützt. Der zum Teil in der Literatur vertretenen Auffassung, die Mitglieder genössen Immunität bereits mit Bekanntgabe des Wahlergebnisses,289 kann mithin nicht gefolgt werden. Da das Mandat gemäß Art. 11 Abs. 4 DWA erst mit Zusammentritt eines neuen Parlaments erlischt,290 enden die Exemtionen eines Abgeordneten – abgesehen vom Fall eines vorzeitigen Mandatsverlusts, etwa durch Rücktritt – zum Zeitpunkt des Beginns der konstituierenden Sitzung des nachfolgenden Parlaments.291 Die Exemtionen untersagen nicht nur eine Strafverfolgung wegen Taten, die während der Dauer der Exemtionen (also während der Mandatszeit) begangen wurden. Vielmehr sind auch Verfolgungsmaßnahmen wegen zuvor begangener Taten unzulässig. Entscheidend ist also nicht der Tatzeitpunkt, sondern der Zeitpunkt der Vornahme von Verfolgungshandlungen.292 Mit Beendigung des Mandats jedoch wird eine Strafverfolgung wieder zulässig. Hinsichtlich des sachlichen Umfangs der durch Art. 10 des Protokolls gewährten Exemtionen ist zunächst festzustellen, daß zwar die deutsche Sprachfassung von einer „Unverletzlichkeit“ spricht, jedoch nicht nur eine Freistellung von strafprozessualer Zwangsgewalt gewährt wird.293 Korrekter wäre es, von „Exemtionen“ zu ___________ 0126/2001 vom 18.4.2001 (31.3.2006), S. 9. Ebenso Haag/Bieber, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, nach Art. 190 Rn. 9. 287 Vgl. oben Anm. 274. 288 Vgl. Schoo, in: Schwarze (Hrsg.) EU-Kommentar, Art. 190 Rn. 17. Siehe auch § 21 Abs. 1 des deutschen Europawahlgesetzes (EuWG); BGBl. 1994 I, S. 424 (letzte Änderung BGBl. 2003 I, S. 1655) und Art. 8 Abs. 1 GO-EP (siehe oben Anm. 272). 289 Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 99 ff. 290 Vgl. Schoo, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 190 Rn. 18; § 22 Abs. 1 EuWG (siehe oben Anm. 288) sowie Art. 8 Abs. 2 GO-EP (siehe oben Anm. 272). 291 Wiedergewählte Abgeordnete genießen die Exemtionen des Art. 10 Abs. 1 des Protokolls also ohne Unterbrechung. 292 Vgl. den Bericht des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt über den Antrag der deutschen Justiz auf Aufhebung der Immunität der Abgeordneten Jeggle, Dokument A50126/2001 vom 18.4.2001 (31.3.2006), S. 9 und Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 100 f. Dies bedeutet auch, daß zum Zeitpunkt des Beginns des Mandats laufende Verfahren (sog. mitgebrachte Verfahren) (zeitweilig) einzustellen sind und verhängte Strafen solange, wie die betreffende Person Europaabgeordneter ist, nicht (weiter) vollstreckt werden dürfen. 293 In der deutschen Fassung der Art. 6 und Art. 6a GO-EP (vgl. oben Anm. 272) wird in bezug auf die Exemtionen des Art. 10 des Protokolls – zutreffender – von „Immunität“ gesprochen. Aus den (unterschiedlichen) deutschen Begriffen darf mithin – für sich genommen – kein Rückschluß auf die Reichweite der Exemtionen gezogen werden. Vgl. diesbezüglich auch Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments,
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sprechen.294 In bezug auf den genauen sachlichen Umfang der Exemtionen ist zu differenzieren zwischen einem Schutz gegenüber der Hoheitsgewalt des eigenen Staates des Abgeordneten (Art. 10 Abs. 1 lit. a)) und gegenüber der Hoheitsgewalt der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften (Art. 10 Abs. 1 lit. b)). Gegenüber der Hoheitsgewalt ihres eigenen Staates – also des Staates, dessen Staatsangehöriger sie sind295 – sind die Mitglieder des Europäischen Parlaments in demselben Umfang von strafrechtlicher Verantwortlichkeit freigestellt, in dem die Abgeordneten des (zentralen) Parlaments dieses Staates Exemtionen genießen.296 ___________ S. 19 f., der den Begriff „Unverletzlichkeit“ im Protokoll mit dem der „parlamentarischen Immunität“ synonym setzt. 294 In der englischen und der französischen Fassung des Protokolls wird von „immunity“ bzw. „immunité“ gesprochen; vgl. Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 19. 295 Unter dem Begriff „eigener Staat“ in Art. 10 Abs. 1 des Protokolls ist mithin nicht der Staat zu verstehen, in dem ein Abgeordneter gewählt worden ist (vgl. diesbezüglich Art. 19 Abs. 2 EGV). So auch Generalanwalt Darmon im Verfahren Wybot ./. Faure, Slg. 1986, 2391 (2398); Fleuter, Mandat und Status des Abgeordneten, S. 114 f.; Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 165. A.A. aber wohl Klein, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht, § 17 Rn. 40 und Walter, Jura 2000, 496 (498). 296 Vgl. Haag/Bieber, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EGVertrag, nach Art. 190 Rn. 7; Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 29 ff. Diese differenzierende Regelung ist vor dem Hintergrund der Tatsache zu sehen, daß die Mitglieder des Europäischen Parlaments bis 1979 nicht von den Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählt, sondern von den nationalen (zentralen) Parlamenten aus ihrer Mitte entsandt wurden. Die Parlamentarier der Europäischen Gemeinschaften hatten damit eine Doppelfunktion. Sie waren sowohl Mitglied ihres nationalen Parlaments als auch des Europäischen Parlaments (damals „Versammlung“ genannt). Insofern gab es gute Gründe für die Differenzierung, wurde damit doch in bezug auf den eigenen Staat nur der Status bestätigt, den die Abgeordneten in ihrem Heimatstaat aufgrund ihrer Funktion als Abgeordnete des nationalen Parlaments ohnehin hatten. Man wollte vermeiden, daß einige nationale Parlamentsabgeordnete aufgrund ihres „Doppelmandats“ weitergehende Exemtionen in ihrem Heimatstaat genossen hätten als andere Abgeordnete. Heute aber muß die Differenzierung als rechtspolitisch verfehlt angesehen werden. Es wäre zu begrüßen, wenn die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in allen Mitgliedstaaten die gleiche Rechtsstellung hätten. Ein im Jahr 1987 unternommener Vorstoß des Europäischen Parlaments, die Exemtionen für seine Mitglieder zu vereinheitlichen (Dokument A2121/86 vom 13.4.1987; ABl. EG 1987 Nr. C 99, S. 43 ff.), wurde aber vom Rat zurückgewiesen, da es einige EU-Staaten gibt, deren nationale Abgeordnete keine parlamentarische Immunität genießen und diesen Ländern die vorgeschlagene Bestimmung, nach der die Regelung des Art. 10 Abs. 1 lit. b) des Protokolls für alle Mitgliedstaaten in gleicher Weise hätte maßgeblich sein sollen, zu weitreichend war. Vgl. Schultz-Bleis, a.a.O., S. 40 Fn. 124, S. 83, 87 f. So genießen beispielsweise in England die Parlamentsabgeordneten gemäß Abschn. I 9 der Bill of Rights von 1689 zwar Indemnität, jedoch keine Immunität von strafrechtlicher Verantwortlichkeit; vgl. Klein, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht, § 17 Rn. 9; Schultz-Bleis, a.a.O., S. 83; Walter, Jura 2000, 496 (497, 501 f. m.w.N.). Gleiches gilt gemäß Art. 71 der Niederländischen Verfassung für die Mitglieder der „Generalstaaten“; vgl. Klein, a.a.O., § 17 Rn. 62; Schultz-Bleis, a.a.O., S. 87 f. Im Frühjahr 2003 hat das Europäische Parlament im Zusammenhang mit der Ausarbeitung eines Abgeordnetenstatuts erneut die Initiative zu einer Neuregelung der Exemtionen für die Mitglieder
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Den deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlaments stehen damit in Deutschland diejenigen Exemtionen zu, die Bundestagsabgeordneten nach Art. 46 Abs. 2 Hs. 1 und Art. 46 Abs. 3 Alt. 1 GG gewährt werden.297 Weil das Protokoll pauschal auf die für nationale Parlamentsabgeordnete geltenden Regelungen verweist und damit der Sache nach die Mitglieder des Europäischen Parlaments in ihrem Heimatstaat den nationalen Parlamentsabgeordneten gleichstellen will, dürfen die deutschen Strafverfolgungsbehörden Art. 46 GG in bezug auf die Exemtionen für Europaabgeordnete in gleicher Weise auslegen wie in bezug auf Bundestagsabgeordnete. Es ist also keine „europarechtlich autonome Auslegung“ des Art. 46 GG hinsichtlich der Mitglieder des Europäischen Parlaments geboten.298 Allerdings kann es auf eine Genehmigung des Bundestages bei Mitgliedern des Europäischen Parlaments nicht ankommen.299 Auch die Bestimmungen für Bundestagsabgeordnete in Art. 46 Abs. 2 Hs. 2 und in Art. 46 Abs. 4 GG passen nicht für Abgeordnete des Europäischen Parlaments, da sie auf eine Genehmigung oder ein Verlangen des Bundestages abstellen bzw. Art. 10 des Protokolls vorrangige Regelungen enthält.300 Gemäß Art. 46 Abs. 2 GG dürfen die deutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments in Deutschland zum einen nicht verhaftet werden, zum anderen kommt ihnen aufgrund des Verbots, sie „zur Verantwortung“ zu ziehen, umfassende Immunität ratione personae zu. Damit ist die Vornahme sämtlicher Strafverfolgungsmaßnahmen sowohl wegen „privater“ als auch wegen „dienstlicher“ Handlungen von Abgeordneten untersagt. Während das Verbot der Verhaftung nur die Vollstreckung von Haftbefehlen nach §§ 112 ff. StPO und Festnahmen nach § 127 Abs. 2 StPO untersagt,301 sind vom Schutzbereich der Immunität ratione personae alle behördlichen Maßnahmen umfaßt, die darauf abzielen, das Bestehen eines Sanktionsanspruchs gegenüber einem Abgeordneten zu prüfen und gegebenenfalls festzustel-
___________ des Europäischen Parlaments ergriffen. Auf diese Initiative wird unten in § 19 II.3.b)gg) eingegangen. 297 OLG Düsseldorf NJW 1989, 2207 (2207); OLG Köln NStZ 1987, 564 (564 f.); LRStPO-Beulke, § 152 a Rn 12; Seitz, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, vor § 59 Rn 45a. 298 Vgl. zu dieser streitigen Frage Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 33 f., der sogar der Auffassung ist, die europarechtliche Exemtion sei zwingend im Gleichklang mit der Rechtspraxis bezüglich der nationalen Exemtion auszulegen (a.a.O., S. 37). 299 So auch die Auffassung des Europäischen Parlaments; vgl. den Ausschußbericht über den Antrag auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Brie, Dokument A50151/2000 vom 29.5.2000, (31.3.2006), S. 7. 300 So auch Harms, Rechtsstellung der Abgeordneten, S. 112 f. 301 Vgl. Butzer, Immunität, S. 211 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 46 Rn. 6; Trute, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 46 Rn. 34.
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len.302 Die Immunität ratione personae schließt also ein vollumfängliches Verbot der Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen gegenüber der geschützten Person und mithin auch ein Verbot ihrer Verhaftung insofern bereits ein, als es um Maßnahmen geht, die gegen die geschützte Person als Beschuldigter gerichtet sind.303 Die Immunität des Art. 46 Abs. 2 GG kennt – anders als einige völkerrechtliche Immunitäten – keine Ausnahmen bei besonders schweren Straftaten, etwa bei völkerrechtlichen Verbrechen nach dem VStGB.304 Deutsche Mitglieder des Europäischen Parlaments genießen gemäß Art. 46 Abs. 3 GG ferner eine Unverletzlichkeit insofern, als jede andere Beschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit untersagt ist.305 Da aber gegen einen deutschen Abgeordneten gerichtete strafprozessuale Zwangsmaßnahmen im Rahmen der Verfolgung einer ihm vorgeworfenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit bereits durch Art. 46 Abs. 2 Hs. 1 GG untersagt sind, ist Art. 46 Abs. 3 GG in strafrechtlicher Hinsicht nur insoweit von Relevanz, als hierdurch eine freiheitsbeschränkende Inanspruchnahme als Nichtbeschuldigter untersagt wird306 und die Vollstrekkung rechtskräftiger Freiheitsstrafen verboten wird.307 Damit dürfen deutsche Mitglieder des Europäischen Parlaments in Deutschland nicht einmal nach § 103 StPO durchsucht oder nach § 81c StPO untersucht werden. Auch ein Festhalten zur Identitätsfeststellung nach § 163b Abs. 2 StPO und freiheitsbeschränkende ___________ Vgl. Brocker, GA 2002, 44 (45); Butzer, Immunität, S. 203 ff.; Schneider, in: Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Art. 46 Rn. 12; Trute, in: von Münch/ Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 46 Rn. 33; Wiefelspütz, NVwZ 2003, 38 (39). So auch schon RGSt 23, 184 (193) und RGSt 24, 205 (209) zu Art. 37 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung (RGBl. 1919, 1383). 303 Die eigenständige Aufführung des Verbots einer Verhaftung ist damit eigentlich überflüssig. So auch Schneider, in: Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Art. 46 Rn 13: „Unterfall des allgemeinen Strafverfolgungsverbots“. 304 Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 372. 305 Vgl. Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 46 Rn. 56; Magiera, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 46 Rn. 23; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, Art. 46 Rn. 32 ff. 306 So auch (in bezug auf Bundestagsabgeordnete) Schneider, in: Wassermann (Hrsg.), AK-GG, Art. 46 Rn. 14; Wiefelspütz, NVwZ 2003, 38 (39 f.). Würde man dagegen freiheitsbeschränkende strafprozessuale Zwangsmaßnahmen gegen Abgeordnete als Beschuldigte – etwa nach § 81a StPO – als von Art. 46 Abs. 3 GG untersagt ansehen, so hätte dies die systemwidrige Konsequenz, daß solche Maßnahmen gegenüber Bundestagsabgeordneten selbst bei einem Festhalten bei Begehung der Tat i.S.d. Art. 46 Abs. 2 Hs. 2 GG nicht statthaft wären – eine Interpretation, die von der Rechtsprechung schon vor geraumer Zeit zutreffend verworfen wurde; vgl. OLG Bremen, NJW 1966, 743 (744); OLG Oldenburg, NJW 1966, 1764 (1765). 307 Vgl. Butzer, Immunität, S. 212 f., 236; Klein, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht, § 17 Rn. 46; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, Art. 46 Rn. 33; Trute, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 46 Rn. 36; Walter, Jura 2000, 496 (500). 302
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Zwangsmaßnahmen nach § 51 Abs. 1 und § 70 Abs. 1 und 2 StPO sind unstatthaft. Maßnahmen im Rahmen einer Strafverfolgung dritter Personen (etwa nach §§ 94 ff. oder 103 StPO), die nicht die körperlich-räumliche Bewegungsfreiheit, sondern lediglich den Besitz eines Abgeordneten betreffen, sind jedoch von Art. 46 Abs. 3 GG nicht untersagt.308 Umstritten ist, ob sich der Verweis des Art. 10 Abs. 1 lit. a) des Protokolls auf die für nationale Parlamentsabgeordnete geltenden Exemtionsregelungen auch auf das in Art. 47 GG normierte Zeugnisverweigerungsrecht bezieht.309 Für die deutschen Strafverfolgungsbehörden ist dieser Streit jedoch irrelevant, da sich ein zeitlich unbegrenztes Zeugnisverweigerungsrecht in bezug auf Tatsachen, die einem Abgeordneten in seiner Eigenschaft als Mitglied des Europäischen Parlaments bekannt geworden sind bzw. Personen, die dem Abgeordneten in seiner Eigenschaft als Mitglied des Europäischen Parlaments Tatsachen anvertraut haben, zumindest aus § 6 EuAbgG310 ergibt, der der Regelung des § 53 Abs. 1 Nr. 4 StPO entspricht.311 Im Gebiet jedes anderen EU-Staates als des eigenen Staates genießen die Mitglieder des Europäischen Parlaments gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. b) des Protokolls zum einen insofern eine Unverletzlichkeit, als sie nicht festgehalten werden dürfen. Problematisch ist allerdings, ob dieses Verbot eines Festhaltens dahingehend zu verstehen ist, daß die Europaabgeordneten dort in keiner Weise ihrer persönlichen Bewegungsfreiheit beraubt werden dürfen, also auch ein lediglich kurzes Festhalten zum Zweck einer Identitätsfeststellung nach § 163b Abs. 2 StPO oder einer Durchsuchung nach § 103 StPO nicht statthaft ist. Während die deutsche Sprachfassung des Protokolls eine solche Interpretation nahelegt, wird in der englischen Fassung der Begriff „detention“ und in der französischen das Wort „détention“ ___________ Vgl. Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 46 Rn. 57; Magiera, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 46 Rn. 24; Wiefelspütz, NVwZ 2003, 38 (40 ff.). Allein in diesem Sinne ist Nr. 192b I Satz 5 i.V.m. Nr. 191 III lit. d) RiStBV (vgl. oben Anm. 284) zu verstehen. Beachte aber § 6 Satz 2 EuAbgG (vgl. unten Anm. 310), der der Regelung des § 97 Abs. 3 StPO entspricht: Soweit das Zeugnisverweigerungsrecht von Europaabgeordneten reicht, ist eine Beschlagnahme von Schriftstücken ausgeschlossen. Ist der Abgeordnete allerdings selbst Beschuldigter, ist eine Durchsuchung (§ 102 StPO) oder Beschlagnahme (§§ 94 ff. StPO) seines Besitzes bereits durch Art. 46 Abs. 2 GG untersagt. 309 Während der Wortlaut des Art. 10 Abs. 1 lit. a) des Protokolls dagegen spricht, bejaht Bieber, EuR 1981, 124 (131 f.) ein Zeugnisverweigerungsrecht. Vgl. auch SchultzBleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 25 f. 310 § 6 EuAbgG (siehe oben Anm. 275) lautet: „Die Mitglieder des Europäischen Parlaments sind berechtigt, über Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Mitglieder oder denen sie in dieser Eigenschaft Tatsachen anvertraut haben, sowie über diese Tatsachen selbst das Zeugnis zu verweigern. Soweit dieses Zeugnisverweigerungsrecht reicht, ist die Beschlagnahme von Schriftstücken unzulässig.“ 311 Siehe auch Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 53 Rn. 23; KK-OWiG-Wache, § 59 Rn. 38. 308
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verwendet.312 Diese Begriffe scheinen die Unverletzlichkeit auf ein Verbot einer Verhaftung oder einer sonstigen nicht nur sehr kurz dauernden Freiheitsentziehung zu begrenzen. Da Art. 10 Abs. 1 lit. b) des Protokolls eine eigenständige sachliche Regelung trifft, kann es bei der Auslegung dieser Norm nicht auf das nationale Recht des jeweiligen Staates und dessen Auslegungspraxis ankommen. Art. 10 Abs. 1 lit. b) des Protokolls ist also „gemeinschaftsautonom“ zu interpretieren.313 Vor dem Hintergrund des Legitimationsgrundes der Exemtionen für Europaabgeordnete ist eine restriktive, auf das Verbot einer Verhaftung oder länger dauernden Freiheitsbeschränkung abstellende Interpretation vorzugswürdig. Eines Schutzes auch vor einem kurzfristigen Anhalten zum Zweck der Identitätsfeststellung oder Durchsuchung bedarf es nicht. Maßnahmen beispielsweise nach § 103 StPO und § 163b StPO sind – soweit sie am Ort des Antreffens einer geschützten Person vorgenommen werden und nur kurze Zeit dauern, daher von Art. 10 Abs. 1 lit. b) des Protokolls nicht untersagt.314 Zum anderen genießen die Abgeordneten des Europäischen Parlaments im Gebiet jedes anderen Mitgliedstaates als ihrem Heimatstaat Immunität ratione personae. Abgeordnete aus anderen EU-Staaten dürfen also in Deutschland weder wegen „privater“ noch wegen „dienstlicher“ Handlungen strafrechtlich verfolgt werden, unabhängig davon, wann und wo eine Tat begangen wurde.315 Für die deutschen Strafverfolgungsbehörden heißt dies, daß Europaabgeordnete aus anderen Mitgliedstaaten316 in Deutschland grundsätzlich nicht strafrechtlich ___________ Vgl. zur englischen Fassung (31.3.2006) und zur französischen Fassung (31.3.2006). 313 So auch Generalanwalt Darmon im Verfahren Wybot ./. Faure, Slg. 1986, 2391 (2398) sowie Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 42; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, Art. 46 Rn. 4. 314 Freiheitsbeschränkende strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, die gegen einen Abgeordneten als Beschuldigten durchgeführt werden – etwa nach § 81a, § 102 oder § 163b Abs. 1 StPO – sind regelmäßig aufgrund der Regelung des Art. 10 Abs. 3 Hs. 1 des Protokolls statthaft. 315 Vgl. Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 41 f., der das Verbot der „gerichtlichen Verfolgung“ dahingehend interpretiert, daß in Deutschland die Einleitung und Durchführung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens statthaft sei. Dem kann aber angesichts der Tatsache, daß in anderen europäischen Ländern ein Untersuchungsrichter für Tätigkeiten zuständig ist, die in Deutschland der Staatsanwaltschaft obliegen, nicht gefolgt werden. Vgl. auch Menzel, in: FS Laforet, S. 325 (340), der von einer umfassenden Freistellung von der staatlichen Hoheitsgewalt ausgeht. 316 Europaabgeordnete aus anderen Mitgliedstaaten sind solche, die die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates haben (vgl. oben Anm. 295). Unerheblich ist, von der Bevölkerung welchen Landes sie in das Europäische Parlament gewählt worden sind. Ein französischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Deutschland, der gemäß Art. 19 Abs. 2 EGV das passive Wahlrecht zum Europäischen Parlament in Deutschland besitzt und von der deutschen Bevölkerung in das Europäische Parlament gewählt worden ist, genießt daher gegenüber der deutschen Strafgerichtsbarkeit Exemtionen nach Art. 10 Abs. 1 lit. b) 312
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verfolgt werden dürfen, also grundsätzlich jegliche strafrechtliche Inanspruchnahme als Beschuldigter untersagt ist, und darüber hinaus auch eine nicht nur kurzfristige Beschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit generell zu unterbleiben hat.317 ee) Zur Ausnahme von der Immunität und Unverletzlichkeit bei Ergreifung auf frischer Tat Gemäß Art. 10 Abs. 3 Hs. 1 des Protokolls gelten die Exemtionen des Art. 10 Abs. 1 des Protokolls – und zwar sowohl diejenigen, die Abgeordnete gegenüber ihrem Heimatstaat genießen, als auch diejenigen, die ihnen gegenüber der Gerichtsbarkeit anderer Mitgliedstaaten zukommen – dann nicht, wenn ein Abgeordneter auf frischer Tat ergriffen wird. Auf die Befreiungen kann sich ein Abgeordneter also nicht berufen, wenn er in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Begehung einer Tat am Tatort oder im Zuge einer am Tatort beginnenden Verfolgung aufgegriffen wurde.318 Das Europäische Parlament ging früher, obgleich dies im Protokoll nicht festgelegt ist, davon aus, daß es bei solchen Fallkonstellationen eine Aussetzung einer eingeleiteten Strafverfolgung bzw. eine Freilassung verlangen könne. Es meinte also, ein dem Art. 46 Abs. 4 GG entsprechendes Reklamationsrecht zu besitzen. Die Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments319 legte dies in ihrer bis zum 12. Juni 2002 geltenden Fassung in Art. 6 Abs. 8 sogar ausdrücklich fest. Jedoch ist die Geschäftsordnung anders als das Protokoll für die Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten nicht verbindlich. Ein Aussetzungsverlangen nach Art. 6 Abs. 8 a.F. GO-EP wäre damit ohne rechtliche Relevanz gewesen.320 Bei der Neufassung ___________ des Protokolls. Hieran zeigt sich einmal mehr, wie antiquiert die Differenzierung zwischen Exemtionen gegenüber dem eigenen Staat und anderen Mitgliedstaaten ist (vgl. hierzu schon oben Anm. 296). 317 Diese Unverletzlichkeitsgewährung hat wegen der ebenfalls zuerkannten Immunität ratione personae aber nur im Hinblick auf eine Inanspruchnahme als Nichtbeschuldigter strafrechtliche Relevanz. 318 Vgl. den Bericht des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt über den Antrag der deutschen Justiz auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Florenz, Dokument A50372/2002 vom 6.11.2002 (31.3.2006), S. 6. Auch diese Regelung ist „gemeinschaftsautonom“ (also unabhängig von entsprechenden Regeln für Abgeordnete der nationalen Parlamente, namentlich des Art. 46 Abs. 2 Hs. 2 GG) auszulegen; vgl. Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 44. A.A. aber Sieglerschmidt, EuGRZ 1986, 445 (447). 319 Vgl. oben Anm. 272. 320 Ebenso Harms, Rechtsstellung der Abgeordneten, S. 110; Sieglerschmidt, EuGRZ 1986, 445 (446). A.A. aber Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 63 f. Art. 46 Abs. 4 GG findet auch bei einer Strafverfolgung eines deutschen Europaabgeordneten in Deutschland trotz des Verweises des Art. 10 Abs. 1 lit. a) des Protokolls keine Anwendung, so daß der deutsche Bundestag keine Aussetzung der strafrechtlichen Verfolgung eines Europaabgeordneten verlangen kann. Denn der Verweis auf das
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der Immunitätsbestimmungen der GO-EP im Jahr 2002 hat das Parlament zu Recht Art. 6 Abs. 8 ersatzlos gestrichen. Es ist damit von seiner früheren Rechtsauffassung abgerückt.321 Neu in Art. 6 Abs. 3 und 4 GO-EP aufgenommen wurde jedoch die Möglichkeit des Europäischen Parlaments, die Immunität eines seiner Mitglieder „zu verteidigen“ bzw. „zu bestätigen“. Dabei geht es allerdings lediglich darum, in Fällen, in denen ein Abgeordneter nach Auffassung des Parlaments unter Mißachtung der ihm zukommenden Exemtionen strafrechtlich in Anspruch genommen wird, die Rechtsauffassung des Parlaments gegenüber den strafverfolgenden Stellen (unverbindlich) zum Ausdruck zu bringen.322 Insofern können keine rechtlichen Bedenken gegen die neu normierte „Verteidigungsbefugnis“ erhoben werden. ff) Zur Aufhebung der Exemtionen durch das Europäische Parlament Das Europäische Parlament kann gemäß Art. 10 Abs. 3 Hs. 2 des Protokolls jederzeit die in diesem Artikel normierten Exemtionen eines Abgeordneten aufheben, unabhängig davon, ob dieser zustimmt oder nicht.323 In Deutschland hat den Antrag auf Aufhebung die mit der Sache befaßte Staatsanwaltschaft direkt an den Präsidenten des Europäischen Parlaments zu richten.324 Die Indemnität nach Art. 9 des Protokolls kann dagegen nicht aufgehoben werden, wie sich aus der systematischen Stellung der Aufhebungsregelung ergibt.325 Ein Verzicht eines Abgeordneten auf ___________ nationale Recht bezieht sich nur auf den sachlichen Umfang der Exemtionen, begründet aber keine Aussetzungs- oder Aufhebungskompetenzen des betreffenden nationalen Parlaments. A.A. aber Schultz-Bleis, a.a.O., S. 44 f.; Sieglerschmidt, EuGRZ 1986, 445 (447). 321 Vgl. zur Neufassung der Immunitätsbestimmungen der GO-EP (siehe Anm. 272) den Beschluß des Europäischen Parlaments vom 11.6.2002 sowie den Bericht des Ausschusses für konstitutionelle Fragen, Dokument A5-0195/2002 vom 28.5.2002, beide abrufbar im Internet unter (31.3.2006). 322 Vgl. den Bericht des Ausschusses für konstitutionelle Fragen, Dokument A50195/2002 vom 28.5.2002, (31.3.2006), S. 18 ff., Rn. 16, 20. 323 Art. 6 und Art. 6a GO-EP (vgl. oben Anm. 272) enthalten nähere Bestimmungen über das Verfahren der Exemtionsaufhebung. Anders als der deutsche Bundestag erklärt das Europäische Parlament keinen pauschalen Verzicht in bezug auf Ermittlungsverfahren (vgl. zur Rechtlage in Deutschland Art. 107 Abs. 2 i.V.m. Anlage 6 der Geschäftsordnung des Bundestages; BGBl. 1980 I, S. 1237, letzte Änderung BGBl. 2002 I, S. 3759). 324 Vgl. Nr. 192b III, IV und V RiStBV (vgl. oben Anm. 284). Das Europäische Parlament hat im Zuge der Neufassung der Immunitätsbestimmungen der GO-EP ausdrücklich betont, die Gemeinschaften seien keine herkömmliche internationale Organisation, weshalb Anträge auf Aufhebung von Exemtionen nicht über das jeweilige Außenministerium gestellt werden müßten. Dies sollte durch die neue Formulierung in Art. 6 Abs. 2 GO-EP klargestellt werden. Vgl. den Bericht des Ausschusses für konstitutionelle Fragen, Dokument A5-0195/2002 vom 28.5.2002 (31.3.2006), S. 16 ff. 325 So auch Bieber, EuR 1981, 124 (130); Harms, Rechtsstellung der Abgeordneten, S. 88 f.; Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-
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die ihm zukommende Immunität nach Art. 10 des Protokolls hat keine Rechtswirkung.326 Umstritten ist, ob wegen des Verweises auf die nach nationalem Recht zu gewährenden Exemtionen in Art. 10 Abs. 1 lit. a) des Protokolls bei einer beabsichtigten Strafverfolgung von Mitgliedern des Europäischen Parlaments durch ihren Heimatstaat die jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften bzw. sogar die nationale Rechtspraxis bezüglich einer Aufhebung von Exemtionen für nationale Parlamentsabgeordnete für das Europäische Parlament beachtlich sind, wenn es eine Entscheidung über eine Aufhebung der Immunität zu treffen hat.327 Die Frage, ob die nationalen Bestimmungen über eine Aufhebung von Immunitäten gegebenenfalls die Aufhebungskompetenz des Europäischen Parlaments nach Art. 10 Abs. 3 Hs. 2 des Protokolls beschränken können, ist aber zu verneinen.328 Denn der Verweis auf das nationale Exemtionsrecht bezieht sich nur auf den sachlichen Umfang der Exemtionen,329 während die Befugnis des Europäischen Parlaments zur Aufhebung unabhängig davon eine eigenständige Regelung erfahren hat. Insofern kann das Europäische Parlament autonom und nach eigenem Ermessen entscheiden, ob eine Immunität aufgehoben werden soll oder nicht. Darauf, ob das nationale Parlament des Staates, der eine Strafverfolgung eines Europaabgeordneten aus dem eigenen Staat durchführen möchte, in einem vergleichbaren Fall die Immunität eines Abgeordneten des eigenen nationalen Parlaments aufheben dürfte bzw. aufgehoben hätte oder nicht, kommt es nicht an.330 ___________ Vertrag, Art. 291 EG Rn. 29; Schoo, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 190 Rn. 25; Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 25. 326 So auch Haag/Bieber, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/ EG-Vertrag, nach Art. 190 Rn. 8; Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. 291 EG Rn. 32; Schoo, in: Schwarze (Hrsg.), EUKommentar, Art. 190 Rn. 27. 327 Vgl. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 291 Rn. 9. 328 Ebenso Bieber, EuR 1981, 124 (131); Harms, Rechtsstellung der Abgeordneten, S. 112 f.; Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EGVertrag, Art. 291 EG Rn. 32. A.A. aber Haag/Bieber, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, nach Art. 190 Rn. 8; Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 34, 37 ff.; Sieglerschmidt, EuGRZ 1986, 445 (447). Unklar Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, Art. 46 Rn. 5. 329 So auch Generalanwalt Darmon im Verfahren Wybot ./. Faure, Slg. 1986, 2391 (2398) und Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EGVertrag, Art. 291 EG Rn. 32. 330 So auch Harms, Rechtsstellung der Abgeordneten, S. 112 f. und die Auffassung des Europäischen Parlaments, das in ständiger Parlamentspraxis zutreffend davon ausgeht, eine eigene Beurteilungskompetenz bei Aufhebungsentscheidungen zu haben; vgl. den Ausschußbericht über den Antrag auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Camre, Dokument A5-0243/2003 vom 19.6.2003 (31.3.2006), S. 7 f. A.A. aber Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 34, 37 ff. und Sieglerschmidt, EuGRZ 1986, 445 (447 f.).
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Dies hatte vor allem Bedeutung, solange „Doppelmandate“ zulässig waren, also eine Person sowohl Mitglied des Europäischen Parlaments als auch eines nationalen Parlaments sein konnte.331 Da der „Doppelabgeordnete“ in einem solchen Fall wegen des Verweises in Art. 10 Abs. 1 lit. a) des Protokolls auf das nationale Immunitätsrecht gegenüber seinem Heimatstaat zwei inhaltlich deckungsgleiche, aber dennoch eigenständige Immunitäten genoß, war seine strafrechtliche Inanspruchnahme durch seinen Heimatstaat nur statthaft, sofern beide Parlamente unabhängig voneinander eine Aufhebung der jeweiligen Exemtion erklärt hatten. Daher ist es rechtlich nicht zu beanstanden, daß die Aufhebungspraxis des Europäischen Parlaments sehr viel restriktiver ist als die des Deutschen Bundestages.332 So lehnt das Parlament eine Immunitätsaufhebung stets dann ab, wenn die betreffende Tat einen Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit des Abgeordneten aufweist333 oder die Vermutung besteht, daß dem strafrechtlichen Vorgehen die Absicht zugrunde liegt, der politischen Tätigkeit des Abgeordneten zu schaden (fumus persecutionis).334 Berücksichtigt wird zudem, ob die vorgeworfene Tat auch nach der Strafrechtsordnung anderer Mitgliedstaaten strafbar ist oder nicht.335 ___________ 331 Die Möglichkeit eines Doppelmandats, die für Deutschland seit längerem keine praktische Relevanz mehr hatte, wurde mit der am 25.6./23.9.2002 beschlossenen Änderung des DWA (siehe Anm. 274), die zum 1.4.2004 in Kraft getreten ist, abgeschafft. Siehe auch BT-Drucks. 15/1059, S. 11 f. 332 In der 5. Wahlperiode (1999–2004) wurden 16 Anträge auf Immunitätsaufhebung gestellt. Lediglich in 3 Fällen, in denen es jeweils um Straßenverkehrsdelikte ging, wurde die Immunität aufgehoben. Vgl. die im Internet unter (31.3.2006) abrufbaren Entscheidungen. Siehe zur Aufhebungspraxis auch Butzer, Immunität, S. 297 ff.; Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. 291 EG Rn. 33; Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 102 ff.; Sieglerschmidt, EuGRZ 1986, 445 (449 ff.). 333 Aufgehoben wurde beispielsweise durch Beschluß vom 20.11.2002 die Immunität eines deutschen Abgeordneten, gegen den in Deutschland der Vorwurf fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr erhoben worden war, weil die Tat unter keinen Umständen in Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit des Abgeordneten gebracht werden könne. Vgl. diesbezüglich den Bericht des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt über den Antrag der deutschen Justiz auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Florenz, Dokument A5-0372/2002 vom 6.11.2002, S. 5. Dagegen wurde die Immunität eines österreichischen Abgeordneten, der den Kärntner Landeshauptmann Haider als „Faschisten“ tituliert hatte und gegen den die österreichische Justiz wegen Beleidigung und übler Nachrede vorgehen wollte, nicht aufgehoben. Vgl. diesbezüglich den Ausschußbericht über den Antrag auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Voggenhuber, Dokument A5-0124/2001 vom 11.4.2001, S. 11, und den Parlamentsbeschluß vom 3.5.2001. Siehe auch die Aufstellung von „Präzedenzfällen“ im Bericht über den Antrag auf Aufhebung der Immunität des deutschen Abgeordneten Brie, Dokument A5-0151/2000 vom 29.5.2000, S. 9 f. Alle Dokumente abrufbar unter (31.3.2006). 334 Vgl. zu einem solchen Fall den Bericht über den Antrag auf Aufhebung der Immunität des griechischen Abgeordneten Korakas, Dokument A5-0245/2002 vom 20.6.2002
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Die Entscheidungen des Europäischen Parlaments bezüglich einer Immunitätsaufhebung sind in begrenztem Umfang justitiabel. Das betroffene Mitglied des Parlaments hat einen Anspruch auf eine willkürfreie Entscheidung und das Recht, vor einer Aufhebung seiner Immunität gehört zu werden.336 Verstöße hiergegen kann es im Wege der Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EGV bzw. Art. 146 EuratomVertrag vor dem EuGH geltend machen.337 Gegen ermessensfehlerbehaftete ablehnende Aufhebungsentscheidungen können einzelne Mitgliedstaaten vor dem EuGH nach Art. 230 EGV bzw. Art. 146 Euratom-Vertrag Klage erheben.338 gg) Pläne zu einer Neuregelung der Exemtionen für Mitglieder des Europäischen Parlaments Im Juni 2003 hat das Europäische Parlament eine (erneute) Initiative zu einer Reform der Exemtionen für die Europaabgeordneten ergriffen.339 Es hat – gestützt auf Art. 190 Abs. 5 EGV – ein Abgeordnetenstatut verabschiedet, das zu seinem Inkrafttreten allerdings der Zustimmung des Rates bedarf.340 Dieser Entwurf enthält in Art. 4–6 Regelungen über Exemtionen der Abgeordneten von der Hoheitsgewalt der Mitgliedstaaten, die nach den Plänen des Europäischen Parlaments an die Stelle der Art. 9 und 10 des Protokolls treten sollen. Doch ist nicht anzunehmen, daß es auf diesem Wege zu einer Reform der geltenden Exemtionen kommt. Denn zum einen bestehen erhebliche Zweifel, ob Art. 190 Abs. 5 EGV dem Parlament überhaupt die Kompetenz erteilt, Vorrechte und Befreiungen für die Abgeordneten festzulegen. Es ist nur schwer vorstellbar, daß die EU-Staaten dem Europäischen Parlament die Befugnis zubilligen wollten, in einem Abgeordnetenstatut Bestimmungen zu einem Sachbereich zu treffen, der bislang vom Primärrecht ge-
___________ (31.3.2006), S. 10 f. Siehe auch Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 46 Rn. 15. 335 Vgl. Bericht über den Antrag auf Aufhebung der Immunität der Abgeordneten Jeggle, Dokument A5-0126/2001 vom 18.4.2001 (31.3.2006), S. 10. 336 Zum Anhörungsrecht vgl. Art. 6a Abs. 3 Satz 2 GO-EP (vgl. oben Anm. 272). 337 Vgl. hierzu Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 139 ff. Ein entsprechendes, im Wege des Organstreitverfahrens durchsetzbares Recht haben auch Bundestagsabgeordnete in bezug auf Aufhebungsentscheidungen des Bundestages; vgl. BVerfGE 104, 310 (325) = NJW 2002, 1111 (1112); Magiera, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 46 Rn. 21 m.w.N. 338 Vgl. Schultz-Bleis, Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, S. 151 ff. 339 Zu früheren Reformbestrebungen siehe oben Anm. 296. 340 Beschluß des Parlaments vom 3.6.2003. Vgl. auch den Bericht des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt zum Abgeordnetenstatut, Dokument A5-0193/2003 vom 23.5.2003. Beide Dokumente sind im Internet abrufbar unter (31.3.2006).
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regelt wird.341 Zum anderen könnten sekundärrechtliche Exemtionsregeln im Abgeordnetenstatut die primärrechtlichen Exemtionen in Art. 9 und 10 des Protokolls nicht verdrängen. Daher sieht der Entwurf in Art. 37 Abs. 2 vor, daß die neuen Exemtionsregelungen erst in Kraft treten sollen, wenn die EU-Staaten durch einen völkerrechtlichen Vertrag einstimmig Art. 9 und 10 des Protokolls aufgehoben und somit zugleich die vom Parlament verabschiedeten Exemtionen akzeptiert haben. Das Europäische Parlament hat die Kommission aufgefordert, gemäß Art. 48 EUV die Initiative für den Abschluß eines solchen „Aufhebungsvertrags“ zu ergreifen.342 Vorgesehen sind im Abgeordnetenstatut eine Indemnität, die der des Art. 9 des Protokolls weitgehend entspricht (Art. 4), ein Verbot von Freiheitsbeschränkungen ohne Einverständnis des Parlaments außer im Fall einer Festnahme bei Begehung einer Tat, also eine begrenzte Unverletzlichkeit (Art. 5 Abs. 1), ein weitreichendes Beschlagnahme- und Durchsuchungsverbot (Art. 5 Abs. 2) sowie ein Zeugnisverweigerungsrecht, das demjenigen entspricht, das in Art. 6 EuAbgG normiert ist (Art. 6). Dagegen soll nach den Vorstellungen des Parlaments auf die Festlegung einer Immunität gänzlich verzichtet werden. Statt dessen ist ein Reklamationsrecht vorgesehen. In Art. 5 Abs. 3 des Entwurfs heißt es: „Ein Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen einen Abgeordneten ist auf Verlangen des Parlaments auszusetzen.“
Eine solche Regelung würde bedeuten, daß kein grundsätzliches Verbot einer Strafverfolgung (mehr) bestünde, das im Einzelfall vom Europäischen Parlament aufgehoben werden könnte. Vielmehr wäre zunächst einmal die Durchführung eines Strafverfahrens – mit Ausnahme freiheitsbeschränkender strafprozessualer Zwangsmaßnahmen – zulässig, doch müßte eine Strafverfolgung beendet werden, sobald das Europäische Parlament dies verlangte.343 Die Festlegung eines bloßen Reklamationsrechts anstelle einer Immunität mit Aufhebungsmöglichkeit ist im Hinblick auf den Schutzzweck der Exemtionen als ausreichend zu erachten. Auch auf EU-Ebene setzt sich damit der allgemeine Trend fort, Exemtionen auf das für die Funktionsfähigkeit des geschützten Gremiums bzw. der geschützten Institution unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Der Rat hat aber bereits betont, daß er dem Abgeordnetenstatut in seiner vom Parlament beschlossenen Fassung nicht zustimmen werde. Der momentane Kompromißvorschlag des Parlaments sieht vor, die Exemtionsregelungen aus dem Abgeordnetenstatut herauszunehmen und durch eine von den EU-Staaten zu ratifizie___________ 341 Eine solche Kompetenz verneinend Schoo, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 190 Rn 24, 32. 342 Entschließung des Parlaments vom 4.6.2003 zur Annahme des Abgeordnetenstatuts, (31.3.2006). 343 Vgl. den Bericht des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt vom 23.5.2003 (siehe oben Anm. 340), S. 9. Ein solches Reklamationsrecht statt einer Immunität legt auch Art. 58 der brandenburgischen Verfassung für die Landtagsabgeordneten fest. Vgl. Rautenberg, NJW 2002, 1090 (1091).
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rende Änderung des Protokolls einzuführen.344 Insofern können die im Abgeordnetenstatut enthaltenen Exemtionsbestimmungen derzeit bloß als Reformvorschläge des Parlaments gelten. 4. Exemtionen für Funktionsträger internationaler Gerichte Hinsichtlich der Funktionsträger internationaler Gerichte ist zu differenzieren zwischen der Gruppe der Richterinnen und Richter, dem Verwaltungsleiter eines Gerichts – regelmäßig als „Kanzler“ tituliert – und den sonstigen Bediensteten, namentlich den wissenschaftlichen Angestellten und den Verwaltungsbediensteten. Bei einigen Gerichten kommen noch weitere Personengruppen hinzu, so bei den internationalen Strafgerichten der Leiter und das Personal der Anklagebehörde, beim EuGH und EuG die Generalanwälte. a) Exemtionen für Richter Für die Funktionsfähigkeit internationaler Gerichte und die Akzeptanz ihrer Entscheidungen ist die Unabhängigkeit der Richter von besonderer Bedeutung. Diese wird in den einschlägigen völkerrechtlichen Verträgen nicht nur durch die Festlegung einer Weisungsungebundenheit und grundsätzlichen Unabsetzbarkeit gesichert,345 sondern auch – um die Richter vor subtilen Einflüssen und Zwängen zu schützen – durch die Gewährung von Exemtionen von der Strafgerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten.346 Da die Unabhängigkeit der Richter bedeutsamer, zugleich aber auch gefährdeter ist als die sonstiger Bediensteter internationaler Organisationen, wird den Richtern – ganz zu Recht – regelmäßig nicht nur Immunität ratione materiae für ihre Diensthandlungen, sondern eine weitergehende, zum Teil sogar vollständige Befreiung von der Strafgerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten eingeräumt.347 Im einzelnen aber weisen die Exemtionsbestimmungen für die Richter der verschiedenen internationalen Gerichte große Unterschiede auf. Die für die nachfol___________ Entschließung des Parlaments vom 17.12.2003, (31.3.2006). 345 Vgl. zu den Mechanismen der Sicherung der Unabhängigkeit „internationaler Richter“ Doehring, Völkerrecht, Rn. 1099 ff.; ders., in: Arndt u.a. (Hrsg.), FS Rudolf, S. 35 (36 ff.). 346 Vgl. zu den Exemtionen für Richter internationaler Gerichte die ausführliche, vornehmlich rechtspolitisch ausgerichtete Analyse von Koster, Immunität internationaler Richter, S. 151 ff., die ausgehend von der Frage, welche Exemtionen den Richtern sinnvollerweise gewährt werden sollten, den Versuch macht, ein einheitliches Immunitätenstatut zu entwerfen (a.a.O., S. 250 ff.). 347 Vgl. oben Anm. 189 sowie Koster, Immunität internationaler Richter, S. 128 ff., 151 ff., die gleichfalls zum Schutz der Richter vor einer Beeinflussung ihrer Tätigkeit durch einzelne Staaten und damit zur Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit für eine umfassende Freistellung der Richter internationaler Gerichte von der Hoheitsgewalt einzelner Staaten plädiert. 344
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gende exemplarische Darstellung ausgewählten Normen zeugen von dieser Regelungsvielfalt. aa) Exemtionen für Richter des IGH und des Seegerichtshofs Die in den einschlägigen Statuten normierten Exemtionen für die Richter des Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen (IGH) und des Internationalen Seegerichtshofs (ISGH) stimmen allerdings überein, so daß diese gemeinsam betrachtet werden können. Auf die Bestimmungen für die Richter dieser Gerichte gilt es, ein besonderes Augenmerk zu werfen, da sie überraschend unpräzise formuliert und daher in besonderem Maße interpretationsbedürftig sind.348 Für die Richter des IGH legt Art. 19 IGH-Statut349 fest: „Die Mitglieder des Gerichtshofs genießen bei der Wahrnehmung ihres Amtes diplomatische Vorrechte und Immunitäten.“
Der für die Richter des in Hamburg ansässigen ISGH350 maßgebliche Art. 10 des Statuts des Seegerichtshofs (ISGH-Statut)351 ist in seiner verbindlichen englischen Fassung gleichlautend mit Art. 19 IGH-Statut,352 die amtliche deutsche Übersetzung divergiert – unnötigerweise – in sprachlicher Hinsicht leicht: „Die Mitglieder des Gerichtshofs genießen bei der Ausübung ihres Amtes diplomatische Vorrechte und Immunitäten.“
Der Begriff „diplomatische Vorrechte und Immunitäten“ wird im Völkerrecht – wie bereits mehrfach erwähnt – dahingehend verstanden, daß er sich auf die den Diplomaten im Sinne des Art. 1 lit. e) WÜD nach dem WÜD zukommenden Exemtionen bezieht. Im Hinblick auf Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit bedeutet dies, daß zum einen eine persönliche Unverletzlichkeit im Sinne des Art. 29 WÜD, zum anderen eine vollständige Immunität ratione personae im Sinne des Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD gemeint ist. Hinzu kommt die Befreiung persönlicher Besitztümer und selbstgenutzter Wohnräume gemäß Art. 30 WÜD.353 ___________ So auch die Einschätzung von Doehring, Völkerrecht, Rn. 1101. Die Exemtionen für die Richter des ISGH werden in die Betrachtung einbezogen, da der ISGH seinen Sitz in Deutschland hat. 349 Statut des Internationalen Gerichtshofs vom 26.6.1945; BGBl. 1973 II, S. 505. 350 Vgl. allgemein zum ISGH Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 62 Rn. 50 ff.; Talmon, JuS 2001, 550 (550 f.); Wolfrum, VN 1996, 205 (205 ff.); ders., VN 2000, 127 (127 ff.). 351 Dieses ist als Anlage VI Teil des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ) vom 10.12.1982 (BGBl. 1994 II, S. 1799 [1996] = UNTS 1833, 3 = „Sartorius II“ Nr. 350) verabschiedet worden. Es ist für Deutschland am 16.11.1994 in Kraft getreten gemäß Bekanntmachung vom 15.5.1995; BGBl. 1995 II, S. 602. 352 Die englische Fassung lautet: “The members of the Court, when engaged on the business of the Court, shall enjoy diplomatic privileges and immunities.” 353 Sehr kritisch bezüglich des pauschalen Verweises auf die Exemtionen für Diplomaten nach dem WÜD Koster, Immunität internationaler Richter, S. 118 ff. Jedoch kann ihrer 348
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Den Richtern des IGH und des ISGH stehen damit – so scheint es jedenfalls zunächst – Unverletzlichkeit im Sinne einer vollständigen Befreiung von strafprozessualer Zwangsgewalt sowie umfassende Immunität ratione personae zu. Diese Interpretation wird gestützt durch Art. 13 Agreement on the Privileges and Immunities of the International Tribunal for the Law of the Sea vom 23. Mai 1997.354 Dieses Übereinkommen, das von Deutschland noch nicht ratifiziert worden ist,355 präzisiert und ergänzt unter anderem Art. 10 ISGH-Statut.356 In Art. 13 Abs. 1 des am 30. Dezember 2001 in Kraft getretenen Übereinkommens heißt es: “Members of the Tribunal shall, when engaged on the business of the Tribunal, enjoy the privileges, immunities, facilities and prerogatives accorded to heads of diplomatic missions in accordance with the Vienna Convention.”357
Jedoch wird die Festlegung „diplomatischer Vorrechte und Immunitäten“ in Art. 19 IGH-Statut und Art. 10 ISGH-Statut dahingehend eingeschränkt, daß die Exemtionen nur „bei der Wahrnehmung ihres Amtes“ gelten sollen. Zum Teil wird diese Einschränkung so verstanden, daß lediglich Handlungen, die in Wahrnehmung dienstlicher Aufgaben begangen werden, dem Immunitätsschutz unterfallen. Es werde also bloß für Diensthandlungen Immunität gewährt, mithin allein Immunität ratione materiae.358 Mit dem Hinweis, diese Normen seien widersprüchlich, werden sie in der Literatur heftig kritisiert: Der Begriff „diplomatische Vorrechte ___________ Kritik nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Zwar weist Koster zu Recht darauf hin, daß die Funktionen internationaler Richter und die von Diplomaten sehr unterschiedlich seien. Doch folgt hieraus – anders als Koster meint – noch nicht, daß eine Inbezugnahme der für Diplomaten geltenden Exemtionsregelungen nicht sachgerecht ist. Wenn man es, wie Koster, für sinnvoll hält, den Richtern Immunität ratione personae und persönliche Unverletzlichkeit zu gewähren, ist es letztlich unerheblich, ob man diese Exemtionen in einem speziellen völkerrechtlichen Vertrag für die einzelnen internationalen Gerichte oder gar – wie von Koster gefordert – in einem einheitlichen Immunitätenabkommen für Richter aller internationalen Gerichte festlegt oder aber auf die Exemtionsregelungen für Diplomaten nach dem WÜD verweist, die Exemtionen in genau diesem Umfang festschreiben. Zu bemängeln ist lediglich, daß der Verweis auf das Diplomatenrecht in den hier betrachteten völkerrechtlichen Verträgen extrem unpräzise ist, so daß erhebliche Interpretationsschwierigkeiten entstehen. 354 Abrufbar unter (31.3.2006). Abgedr. in Max Planck Yearbook of United Nations Law 2 (1998), 411. Zur Entstehungsgeschichte dieses Übereinkommens vgl. Akl, Max Planck Yearbook of United Nations Law 2 (1998), 341 (342 f.). Zu den (derzeit 22) Vertragsstaaten siehe (31.3.2006). 355 Für Deutschland bestimmen sich die Exemtionen der Richter daher derzeit noch nach der Verordnung über Vorrechte und Immunitäten des Internationalen Seegerichtshofs vom 10.10.1996, BGBl. 1996 II, S. 2517. Dort heißt es in Art. 1 Abs. 1: „Die Mitglieder des Internationalen Seegerichtshofs (…) genießen die Vorrechte, Immunitäten, Befreiungen und Erleichterungen, die den in vergleichbarem Rang stehenden Diplomaten der diplomatischen Missionen in der Bundesrepublik gewährt werden.“ 356 Vgl. diesbezüglich Koster, Immunität internationaler Richter, S. 98 f., 141 ff. 357 Mit „Vienna Convention“ ist gemäß Art. 1 lit. h) des Übereinkommens das WÜD gemeint. 358 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 1101; ders., in: Arndt u.a. (Hrsg.), FS Rudolf, S. 35 (40).
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und Immunitäten“ bezeichne eine Immunität ratione personae, die Klausel „bei Wahrnehmung ihres Amtes“ sei dagegen als Festlegung einer bloßen Immunität ratione materiae zu verstehen.359 Doch läßt sich dieser vermeintliche Widerspruch dann auflösen, wenn man differenziert zwischen der sachlichen und der zeitlichen Reichweite der gewährten Exemtionen. Der Begriff „diplomatische Vorrechte und Immunitäten“ bezieht sich auf die sachliche Reichweite der Exemtionen, während die Klausel „bei Wahrnehmung des Amtes“ lediglich in Abweichung von den für Diplomaten nach dem WÜD geltenden Bestimmungen eine Sonderregelung hinsichtlich der zeitlichen Reichweite der Exemtionen trifft.360 Eine solche Interpretation führt auch zu (im wesentlichen) sachgerechten Ergebnissen. Den Richtern des IGH und des ISGH wird also Unverletzlichkeit im Sinne einer vollständigen Befreiung von strafprozessualer Zwangsgewalt und Immunität ratione personae für alle ihre Handlungen gewährt – unabhängig davon, ob sie dienstlicher oder privater Natur sind oder während der Amtszeit als Richter oder zuvor begangen worden sind.361 Angesichts des hohen Werts des durch die Exemtionen ___________ 359 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 1101, 1105; ders., in: Arndt u.a. (Hrsg.), FS Rudolf, S. 35 (40). Die Verwunderung darüber, daß die Exemtionen derart widersprüchlich formuliert worden sind, wird abgeschwächt, wenn man die Entstehungsgeschichte der Formulierung betrachtet. Sie ist nämlich keinesfalls bei Ausarbeitung des IGH-Statuts nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges neu entwickelt worden, sondern diese Formulierung der Exemtionsregelung (für IGH-Richter) geht zurück auf Art. 24 Abs. 8 I. Haager Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 29.7.1899 (RGBl. 1901, S. 393) bzw. Art. 46 Abs. 4 I. Haager Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 18.10.1907 (RGBl. 1010, S. 5), in denen festgelegt wurde, daß die Mitglieder von Schiedsgerichten bzw. des Haager Schiedshofs „während der Ausübung ihres Amtes und außerhalb ihres Heimatlandes die diplomatischen Vorrechte und Befreiungen“ genießen. Das Statut des Ständigen Internationalen Gerichtshofs (RGBl. 1927 II, S. 227) enthielt – ebenfalls als Art. 19 – dann in enger Anlehnung an die Regelung des Haager Abkommens bereits die Formulierung, die sich heute in Art. 19 IGH-Statut findet. Vgl. hierzu auch Egger, Vorrechte und Befreiungen zugunsten internationaler Organisationen, S. 217 ff.; Schmidt, Stellung der Mitglieder, S. 49 ff. Ähnlich unpräzise war auch die Formulierung der Exemtionen für Bedienstete des Völkerbundes und Staatenvertreter beim Völkerbund in Art. 7 Abs. 4 der Satzung des Völkerbundes; vgl. oben Anm. 186. 360 Ebenso Jaenicke, ZaöRV 14 (1951/52), 46 (68 f.); Koster, Immunität internationaler Richter, S. 128; Rosenne, Law and Practice of the International Court, S. 217; SchneiderAddae-Mensah, GYIL 45 (2002), 395 (405). Für eine solche Interpretation bereits Schükking/Wehberg, Satzung des Völkerbundes, Bd. 1, S. 599 in bezug auf (den mit Art. 19 IGH-Statut wortgleichen) Art. 19 IGH-Statut (vgl. oben Anm. 359). A.A. in bezug auf Art. 19 IGH-Statut aber Schmidt, Stellung der Mitglieder, S. 52 f. 361 So auch Akl, Max Planck Yearbook of United Nations Law 2 (1998), 341 (354 f., 360 f.); Brownlie, International Law, S. 652; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1921. Allerdings bestimmt Art. 18 Agreement on the Privileges and Immunities of the International Tribunal for the Law of the Sea (vgl. oben Anm. 354), daß die Richter des ISGH gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Staates, dessen Staatsangehöriger sie sind bzw. in dem sie ständig ansässig sind, lediglich Immunität ratione materiae in bezug auf ihre Diensthandlungen genießen: “Except insofar as addi-
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zu schützenden Rechtsguts – die Unabhängigkeit der Richter – sind solche sachlich weitreichenden Exemtionen ohne weiteres zu legitimieren.362 Während aber den Diplomaten nach Art. 39 WÜD diese Exemtionen für die gesamte Zeitdauer der Innehabung ihres Status als Mitglied der im Empfangsstaat errichteten diplomatischen Mission zustehen, unabhängig davon, ob sie sich gerade „im Dienst“ befinden oder im Empfangsstaat einige Tage Urlaub machen, sind die Exemtionen für die Richter nach Art. 19 IGH-Statut und Art. 10 ISGH-Statut zeitlich enger gefaßt. Sie gelten nicht während der gesamten Amtszeit, sondern nur dann, wenn konkret das Amt des Richters wahrgenommen wird. Mit dieser Einschränkung soll der Tatsache Rechnung getragen werden, daß der Arbeitsanfall der internationalen Gerichte zum Teil sehr gering ist und sich die Richter daher vielfach für längere Zeit gar nicht ihrer Aufgabe als Mitglied eines internationalen Gerichts zu widmen brauchen, sondern andere Tätigkeiten – etwa Lehr- oder Forschungstätigkeiten – ausüben können. Während dieser Zeiten, in denen eine Person zwar den Status und das Amt eines Richters innehat, aber nicht als Richter tätig ist, kommen ihr mithin die Unverletzlichkeitsgewährleistungen und die Immunität ratione personae nicht zu.363 Die zeitliche Reichweite der Exemtionen darf aber auch nicht zu eng bemessen werden. Um die Funktionsfähigkeit des jeweiligen Gerichts zu sichern, müssen die Exemtionen während des Zeitraums, in dem sich ein Richter seinen richterlichen Aufgaben zuwendet, „rund um die Uhr“ gelten, also auch „nach Feierabend und am ___________ tional privileges and immunities may be granted by the State Party concerned, (…) a person enjoying immunities and privileges under this Agreement shall, in the territory of the State Party of which he or she is a national or permanent resident, enjoy only immunity from legal process and inviolability in respect of words spoken or written and all acts done by that person in the discharge of his or her duties, which immunity shall continue even after the person has ceased to exercise his or her functions in connection with the Tribunal.” Vgl. auch Schneider-Addae-Mensah, GYIL 45 (2002), 395 (405 f.). 362 So auch Koster, Immunität internationaler Richter, S. 128 ff., 151 ff. 363 Siehe aber Art. 13 Abs. 3 Agreement on the Privileges and Immunities of the International Tribunal for the Law of the Sea (vgl. oben Anm. 354), wonach die Richter des ISGH außerhalb der Zeiten, in denen sie tatsächlich ihren richterlichen Aufgaben nachkommen, mitsamt ihren Familienangehörigen in Staaten, in denen sie sich lediglich vorübergehend aufhalten, diplomatische Vorrechte und Befreiungen genießen, sofern es sich bei diesem Staat nicht um den Staat handelt, dessen Staatsangehörigkeit der betreffende Richter innehat: “If Members of the Tribunal, for the purpose of holding themselves at the disposal of the Tribunal, reside in any country other than that of which they are nationals or permanent residents, they shall, together with the members of their families forming part of their households, be accorded diplomatic privileges, immunities and facilities during the period of their residence there.” Zu Recht kritisch bezüglich dieser Differenzierung zwischen dem Heimat- und Residenzstaat auf der einen Seite und dem Staat des vorübergehenden Aufenthalts andererseits Koster, Immunität internationaler Richter, S. 142, wenngleich ihre Behauptung, es handele sich bei dieser Regelung um eine völkerrechtswidrige Klausel zu Lasten dritter Staaten, verfehlt ist. Denn diese Regelung erhebt überhaupt keinen Anspruch auf Geltung auch in Drittstaaten. Vgl. auch die unten in Anm. 388 ff. geäußerte Kritik an der identischen Regelung für Richter des IStGH.
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Wochenende“. Sofern die Arbeitsbelastung des Gerichts zur Folge hat, daß die Richter quasi als Full-time-Job permanent richterliche Aufgaben wahrnehmen, spielt die zeitliche Begrenzung damit keine Rolle; vielmehr gelten die Exemtionen dann während der gesamten Amtszeit. Äußerst problematisch ist jedoch, ob die Sonderregelung über die zeitliche Reichweite dazu führt, daß die Richter auch für ihre dienstlichen Handlungen – abweichend von der für Diplomaten gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD geltenden Regelung364 – nach Ende der Amtszeit als Richter bzw. außerhalb der Zeiträume der aktiven Wahrnehmung richterlicher Aufgaben keine Exemtionen (mehr) genießen. In der Literatur wird diese Frage zum Teil bejaht und die Regelung zugleich heftig kritisiert.365 In der Tat wäre eine zeitliche Begrenzung der Immunität für Diensthandlungen verfehlt, denn schon die Befürchtung einer späteren Strafverfolgung wegen dienstlicher Handlungen kann während der Amtszeit und der Zeit der tatsächlichen Wahrnehmung richterlicher Funktionen negative Auswirkungen auf die dienstliche Tätigkeit haben und die Unabhängigkeit der Richter gefährden. Man wird daher, auch wenn man die Klausel „bei Wahrnehmung des Amtes“ in Art. 19 IGH-Statut und Art. 10 ISGH-Statut grundsätzlich als eine Sonderregelung der zeitlichen Reichweite zu begreifen hat, dennoch Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD für einschlägig halten müssen, also davon auszugehen haben, daß die Richter auch nach Ende ihrer Amtszeit bzw. außerhalb der Zeiträume der Wahrnehmung richterlicher Funktionen für ihre dienstlichen Handlungen, etwa für ihre Mitwirkung an bestimmten Entscheidungen, von den Mitgliedstaaten nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden dürfen. Ansonsten bestünden eklatante Wertungswidersprüche. Denn die Richter genössen ansonsten weniger weitreichende Exemtionen als normale Bedienstete der Vereinten Nationen. Diesen kommt – wie gezeigt wurde – auch nach Beendigung ihrer Amtszeit Immunität ratione materiae für ihre dienstlichen Handlungen zu. Im übrigen läßt sich eine zeitlich unbegrenzte Fortgeltung der Immunität ratione materiae (die „bei Wahrnehmung des Amtes“ in der umfassenden Immunität ratione personae als Teilmenge mit enthalten ist) bezüglich der Richter des IGH auch noch damit begründen, daß diese, weil der IGH ein Organ der Vereinten Nationen ist, „auch“ Bedienstete der Vereinten Nationen sind und sich mithin zusätzlich zu den in Art. 19 IGH-Statut normierten Exemtionen auch auf die in Art. V UN-Immunitäten-Übereinkommen festgelegten Exemtionen berufen können.
___________ Diplomaten kommt – wie oben in § 13 III.2.b) gezeigt wurde – nach Ende ihrer Amtszeit zeitlich unbegrenzt weiterhin eine – während ihrer Amtzeit von ihrer Immunität ratione personae überlagerte – Immunität ratione materiae für ihre Diensthandlungen zu. 365 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 1101. 364
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Für die Richter des ISGH folgt die unbegrenzte Fortgeltung der Immunität ratione materiae auch aus Art. 13 Abs. 7 Agreement on the Privileges and Immunities of the International Tribunal for the Law of the Sea366: “In order to secure, for Members of the Tribunal, complete freedom of speech and independence in the discharge of their functions, the immunity from legal process in respect of words spoken or written and all acts done by them in discharging their functions shall continue to be accorded, notwithstanding that the persons concerned are no longer Members of the Tribunal or performing those functions.”
Die Einschränkung der zeitlichen Reichweite der Exemtionen für Richter des IGH und des ISGH nach den Statuten der Gerichte gegenüber den Exemtionen für Diplomaten nach dem WÜD ist zudem vor dem Hintergrund der unterschiedlichen räumlichen Reichweite der Exemtionen zu sehen. In der wissenschaftlichen Literatur wird auch an der räumlichen Reichweite der hier betrachteten Exemtionsregelungen heftige Kritik geübt. Es wird nämlich angenommen, daß sich der Begriff „diplomatische Vorrechte und Immunitäten“ auch auf die im WÜD festgelegte räumliche Reichweite der Exemtionen von Diplomaten beziehe. Wie oben in § 15 I. dargestellt und aus Art. 31 Abs. 1 und 4 sowie Art. 40 WÜD klar erkennbar ist, gelten die Exemtionen nach Art. 29 und Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD nur im Empfangsstaat, also in dem Staat, in dem der betreffende Diplomat dienstlich tätig ist. Damit seien – so die Kritiker – die in Art. 19 IGHStatut und Art. 10 ISGH-Statut festgelegten Exemtionen auf das Gebiet des Sitzstaates des Gerichts beschränkt. Vor allem gegenüber ihrem Heimatstaat genössen die Richter keine Exemtionen.367 Das Fehlen einer Freistellung der Richter von der Strafgewalt ihres Heimatstaates wäre in der Tat inakzeptabel. Zum einen ist bei internationalen Richtern die Gefahr einer Beeinflussung durch Stellen des jeweiligen Heimatstaates besonders groß, zum anderen wäre die Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen in Frage gestellt, wenn einzelne Mitgliedstaaten in unterschiedlicher Weise Hoheitsgewalt über die Richter ausüben könnten. Doch ist eine solche Interpretation von Art. 19 IGH-Statut und Art. 10 ISGHStatut keineswegs zwingend. Vielmehr ist davon auszugehen, daß sich der Begriff „diplomatische Vorrechte und Immunitäten“ lediglich auf die sachliche Reichweite der Exemtionen nach dem WÜD bezieht, so wie sie in Art. 29, 30 und 31 WÜD
___________ Vgl. oben Anm. 354. Doehring, in: Arndt u.a. (Hrsg.), FS Rudolf, S. 35 (40); Jaenicke, ZaöRV 14 (1951/52), 46 (68); Koster, Immunität internationaler Richter, S. 103, 136 ff., 216 ff. (mit Hinweisen zur Entstehungsgeschichte des Art. 19 IGH-Statut). 366 367
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normiert ist – also weder auf die zeitliche368 noch auf die räumliche Reichweite der Exemtionen nach dem WÜD.369 Mangels einer ausdrücklichen räumlichen Begrenzung der Exemtionen in Art. 19 IGH-Statut ist mithin davon auszugehen, daß die in dieser Norm festgelegte Unverletzlichkeit und Immunität ratione personae für die Richter des IGH gegenüber der Strafgerichtsbarkeit aller Mitgliedstaaten, vor allem auch gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des jeweiligen Heimatstaates, in gleicher Weise gilt.370 Nur eine solche Interpretation führt zu sachgerechten Ergebnissen. An sich müßte diese Feststellung auch für die Richter des ISGH gelten, schließlich stimmt der Wortlaut des Art. 10 ISGH-Statut mit dem des Art. 19 IGH-Statut überein. Doch bestimmt Art. 18 Agreement on the Privileges and Immunities of the International Tribunal for the Law of the Sea371, daß die Richter des ISGH gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Staates, dessen Staatsangehöriger sie sind bzw. in dem sie ständig ansässig sind, lediglich Immunität ratione materiae in bezug auf ihre Diensthandlungen genießen.372 Diese Einschränkung des Art. 10 ISGH-Statut – bei der im übrigen fraglich ist, ob sie solange, wie nicht alle Staaten, die Parteien des SRÜ sind, auch Parteien des Agreement on the Privileges and Immunities geworden sind, Art. 10 des Statuts überhaupt wirksam einzuschränken vermag – ist rechtspolitisch verfehlt, denn sie ermöglicht dem Heimatstaat bzw. Wohnsitzstaat eines Richters, in größerem Maße auf diesen Einfluß zu nehmen als andere Staaten und widerspricht damit dem Gedanken, daß ein internationaler Richter von allen Staaten in gleicher Weise unabhängig sein muß.373 Bedauerlich ist, daß weder das IGH-Statut noch das ISGH-Statut Aussagen über die Möglichkeit einer Aufhebung der Exemtionen treffen.374 Auch im Agreement on the Privileges and Immunities of the International Tribunal for the Law of the Sea ist keine Aufhebungsmöglichkeit normiert. Art. 20 des Agreement, der Bestimmungen über einen Verzicht auf die gewährten Exemtionen enthält, bezieht sich nicht auf die Richter, sondern ausdrücklich lediglich auf andere Personengrup___________ Allerdings, wie gesagt, mit der Ausnahme der Geltung des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD. 369 Auch auf Art. 38 Abs. 1 WÜD bezieht sich der Begriff „diplomatische Vorrechte und Befreiungen“ nicht. 370 So auch Doehring, Völkerrecht, Rn. 689; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1921. Siehe zur Diskussion auch Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 645. 371 Vgl. oben Anm. 354. 372 Vgl. zum Wortlaut des Art. 18 oben Anm. 361. Siehe ferner Akl, Max Planck Yearbook of United Nations Law 2 (1998), 341 (359 f.). 373 Gleichfalls ablehnend Koster, Immunität internationaler Richter, S. 142 f., 219. 374 So auch Doehring, Völkerrecht, Rn. 1101 mit Fn. 75 (der von einer „unerträglichen Lücke im Recht“ spricht); ders., in: Arndt u.a. (Hrsg.), FS Rudolf, S. 35 (40). 368
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pen.375 Da die Exemtionen im Interesse der Funktionsfähigkeit des jeweiligen Gerichts gewährt werden, wäre es naheliegend gewesen, dem Gericht die Kompetenz zuzusprechen, gegebenenfalls auf die Exemtionen zu verzichten. Zwar ist in den Statuten anderer internationaler Gerichte eine solche Regelung enthalten, doch liegen in bezug auf die Statuten des IGH und des ISGH keine Anhaltspunkte für eine planwidrige Regelungslücke vor, die es durch eine analoge Anwendung der für andere Gerichte geltenden Bestimmungen über die Aufhebung von Exemtionen zu schließen gälte.376 Denn die Möglichkeit einer Aufhebung der Exemtionen würde die Gefahr in sich bergen, daß ein „unliebsamer“ Richter durch Beschluß seiner Kollegen an der Wahrnehmung seiner Tätigkeit gehindert wird. Insofern sprechen auch gute Gründe gegen die Möglichkeit einer Aufhebung der Exemtionen. Zudem besteht in extremen Fällen nach Art. 18 IGH-Statut und Art. 9 ISGH-Statut die Möglichkeit einer Absetzung eines Richters. Vor allem aber ist zu bedenken, daß nach dem hier Gesagten die Exemtionen nach Beendigung der Amtszeit weitgehend entfallen, also dann einer Strafverfolgung vielfach keine Schranken mehr entgegenstehen. Damit entfällt die Notwendigkeit einer Aufhebungsmöglichkeit.377 Festzuhalten ist also, daß die Exemtionen der Richter des IGH und des ISGH nicht aufgehoben werden können. bb) Exemtionen für Richter des IStGH Die Exemtionen für die Richter des IStGH sind – wie bereits oben in § 19 I.2.c) erwähnt – zum Teil bereits im Römischen Statut, im übrigen im Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten des Internationalen Strafgerichtshofs (im folgenden als IStGH-Immunitäten-Übereinkommen bezeichnet)378 normiert. Art. 48 Abs. 2 IStGH-Statut und Art. 15 Abs. 1 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen formulieren zunächst gleichlautend: „Die Richter, der Ankläger, die Stellvertretenden Ankläger und der Kanzler genießen bei der Wahrnehmung der Geschäfte des Gerichtshofs oder in Bezug auf diese die gleichen Vorrechte und Immunitäten wie Chefs diplomatischer Missionen; nach Ablauf ihrer Amtszeit wird ihnen weiterhin Immunität von der Gerichtsbarkeit in Bezug auf ihre in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen, einschließlich ihrer mündlichen oder schriftlichen Äußerungen, gewährt.“379
___________ So auch Koster, Immunität internationaler Richter, S. 243 f. Ebenso Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 666. A.A. offenbar Doehring, Völkerrecht, Rn. 689. Siehe auch Akl, Max Planck Yearbook of United Nations Law 2 (1998), 341 (362), der berichtet, daß über die Festlegung einer Aufhebungsmöglichkeit bei der Ausarbeitung des Übereinkommens über die Vorrechte und Immunitäten des Internationalen Strafgerichtshofs diskutiert, eine solche aber verworfen worden sei. 377 Vgl. aber Doehring, in: Arndt u.a. (Hrsg.), FS Rudolf, S. 35 (40), der die Möglichkeit einer Amtsenthebung nicht für einen tauglichen „Ersatz“ für eine Immunitätsaufhebung hält. 378 Vgl. oben Anm. 110 und Anm. 111. 379 Deutsche Sprachfassung nach BGBl. 2004 II, S. 1138. Die verbindliche englische Sprachfassung lautet: “The judges, the Prosecutor, the Deputy Prosecutors and the Regis375 376
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Auch diese Exemtionsregelung ist überraschend unpräzise gefaßt.380 Sie ist auf den ersten Blick sogar noch widersprüchlicher formuliert als die Exemtionsregelungen für die Richter des IGH und des ISGH, weshalb auch sie – zu Recht – in der Literatur kritisiert wird.381 Die mangelnde sprachliche Sorgfalt bei der Festlegung des Textes ist auch deshalb zu bedauern, weil die Gefahr besteht, daß die Normen ihrem Telos widersprechend ausgelegt und von einzelnen Staaten unterschiedlich verstanden werden. Zunächst stellt sich wieder die Frage, ob lediglich Immunität ratione materiae oder aber umfassende Immunität ratione personae gewährt wird. Indem die Exemtionen für maßgeblich erklärt werden, die den Chefs diplomatischer Missionen (nach dem WÜD) zukommen, wird auf Art. 29, 30 und 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD, mithin auf Regeln, die eine vollständige Befreiung von strafprozessualer Zwangsgewalt und Immunität ratione personae normieren, Bezug genommen.382 Die Einschränkung „bei der Wahrnehmung der Geschäfte des Gerichtshofs oder in Bezug auf diese“ könnte dagegen so verstanden werden, daß nur für Diensthandlungen Exemtionen gewährt werden, also bloß Immunität ratione materiae zuerkannt wird. Vor allem die Worte „in Bezug auf“ legen eine solche Interpretation nahe.383 Doch kommt man zu sachgerechten Ergebnissen letztlich nur, wenn man wie bei Art. 19 IGH-Statut und Art. 10 ISGH-Statut differenziert zwischen der sachlichen und der zeitlichen Reichweite der Exemtionen und die Worte „bei der Wahrnehmung der Geschäfte des Gerichtshofs oder in Bezug auf diese“ allein als Festlegung einer zeitlichen Beschränkung versteht. Zwar fällt eine solche Interpretation wegen der Worte „in Bezug auf“ schwer, doch sprechen die ergänzenden Regelungen in Art. 15 Abs. 2 und 3 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen eine deutliche Sprache zugunsten einer solchen Auslegung. Diese Vorschriften lauten:384 ___________ trar shall, when engaged on or with respect to the business of the Court, enjoy the same privileges and immunities as are accorded to heads of diplomatic missions and shall, after the expiry of their terms of office, continue to be accorded immunity from legal process of every kind in respect of words which had been spoken or written and acts which had been performed by them in their official capacity.” 380 Zur Entstehungsgeschichte des Art. 48 IStGH-Statut vgl. Tolbert, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 48 Rn. 1 f., 6. 381 Vgl. Tolbert, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 48 Rn. 7: “the language of paragraph 2 of article 48 (…) is ambiguous. It appears to merge the diplomatic immunity of a head of mission or diplomatic agent with the concept of functional immunity (…). (…) paragraph 2 appears to confuse the two concepts”. 382 Vgl. BT-Drucks. 14/2682, S. 112; BT-Drucks. 15/2723, S. 23. 383 Vgl. Ascensio, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 291; Tolbert, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 48 Rn. 7. 384 Deutsche Übersetzung nach BGBl. 2004 II, S. 1138. Die verbindliche englische Sprachfassung lautet: “(2) The judges, the Prosecutor, the Deputy Prosecutors and the Registrar and members of their families forming part of their households shall be accorded every facility for leaving the country where they may happen to be and for entering and
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„(2) Die Richter, der Ankläger, die Stellvertretenden Ankläger und der Kanzler sowie die zu ihrem Haushalt gehörenden Familienmitglieder genießen jede Erleichterung beim Verlassen des jeweiligen Aufenthaltslandes sowie jede Ein- und Ausreiseerleichterung in Bezug auf das Land, in dem der Gerichtshof tagt. Reisen sie im Zusammenhang mit der Wahrnehmung ihrer Aufgaben, so genießen die Richter, der Ankläger, die Stellvertretenden Ankläger und der Kanzler in allen Vertragsstaaten, die sie durchreisen müssen, alle Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen, welche die Vertragsstaaten unter ähnlichen Umständen Diplomaten nach dem Wiener Übereinkommen gewähren. (3) Hält sich ein Richter, der Ankläger, ein Stellvertretender Ankläger oder der Kanzler, um dem Gerichtshof zur Verfügung zu stehen, in einem anderen als dem Vertragsstaat auf, dessen Staatsangehöriger er ist oder in dem er seinen ständigen Aufenthalt hat, so genießt er mit den zu seinem Haushalt gehörenden Familienmitgliedern, solange sie sich dort aufhalten, diplomatische Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen.“
Art. 15 Abs. 3 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen zeigt deutlich, daß die Vertragsstaaten des IStGH davon ausgehen, daß die Richter nicht ununterbrochen während ihrer gesamten Amtszeit ihren richterlichen Aufgaben nachkommen, sondern nur dann und insoweit, wenn und als konkrete Verfahren durchzuführen sind. Während der Zeit, in der ein Richter sich lediglich „bereithält“, sollen ihm – ansonsten liefe die Regelung des Art. 15 Abs. 3 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen teilweise leer – die in Art. 48 Abs. 2 IStGH-Statut und Art. 15 Abs. 1 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen normierten Exemtionen nicht zustehen. Die Exemtionen, die einem Richter während seiner „Bereitschaftszeit“ zukommen, werden vielmehr von Art. 15 Abs. 3 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen gesondert geregelt. Auch für die Beantwortung der Frage, ob die von Art. 48 Abs. 2 IStGH-Statut und Art. 15 Abs. 1 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen gewährte Exemtion lediglich eine Immunität ratione materiae ist oder eine umfassende Immunität ratione personae, hilft ein Blick auf Art. 15 Abs. 3 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen weiter. Art. 15 Abs. 3 sieht für die „Bereitschaftszeit“ seinem klaren Wortlaut nach „diplomatische Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen“, also Immunität ratione personae, vor. Dann aber wäre es widersinnig, für den Zeitraum der aktiven Wahrnehmung richterlicher Aufgaben lediglich Immunität ratione materiae zu gewähren. Damit sind Art. 48 Abs. 2 IStGH-Statut und Art. 15 Abs. 1 IStGH-ImmunitätenÜbereinkommen in gleicher Weise zu interpretieren wie Art. 19 IGH-Statut und ___________ leaving the country where the Court is sitting. On journeys in connection with the exercise of their functions, the judges, the Prosecutor, the Deputy Prosecutors and the Registrar shall in all State Parties through which they may have to pass enjoy all the privileges, immunities and facilities granted by State Parties to diplomatic agents in similar circumstances under the Vienna Convention. (3) If a judge, the Prosecutor, a Deputy Prosecutor or the Registrar, for the purpose of holding himself or herself at the disposal of the Court, resides in any State Party other than that of which he or she is a national or permanent resident, he or she shall, together with family members forming part of his or her household, be accorded diplomatic privileges, immunities and facilities during the period of residence.”
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Art. 10 ISGH-Statut.385 Es können also folgende Feststellungen hinsichtlich der den Richtern des IStGH zukommenden Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit getroffen werden: Die Richter des IStGH genießen während der Zeiträume, in denen sie aktiv ihre richterlichen Funktionen wahrnehmen, also tatsächlich als Richter tätig sind, gemäß Art. 48 Abs. 2 IStGH-Statut und Art. 15 Abs. 1 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen Unverletzlichkeit im Sinne des Art. 29 WÜD – also umfassende Freistellung von sämtlicher Strafgewalt – sowie Immunität ratione personae im Sinne des Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD – also Immunität sowohl für ihre dienstlichen als auch für ihre privaten Handlungen. Während dieser Zeiträume sind mithin sämtliche Strafverfolgungsmaßnahmen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens über die Durchführung einer Hauptverhandlung bis hin zur Strafvollstreckung generell unzulässig, ohne Rücksicht auf den Charakter der einem Richter vorgeworfenen Tat.386 Der Verweis auf die den Chefs diplomatischer Missionen zukommenden Exemtionen gilt lediglich für die sachliche Reichweite der Exemtionen. Da Art. 48 Abs. 2 IStGH-Statut und Art. 15 Abs. 1 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen keine Regelung hinsichtlich der räumlichen Reichweite der Exemtionen enthalten, ist davon auszugehen – und auch nur eine solche Annahme ist sachgerecht –, daß die dort normierten Exemtionen in gleicher Weise gegenüber der Strafgewalt aller Mitgliedstaaten gelten.387 ___________ Wie hier auch Mochochoko, Fordham Int’l L.J. 25 (2001–2002), 638 (651 f.) und Tolbert, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 48 Rn. 8 unter Hinweis auf den eindeutigen Willen der Verfasser des Römischen Statuts, die Richter, was den sachlichen Umfang der ihnen zukommenden Exemtionen anbelangt, den Diplomaten gleichzustellen. A.A. aber Ascensio, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 291. 386 A.A. jedoch Ascensio, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 291. Vgl. auch die – unklaren – Ausführungen der deutschen Bundesregierung in der Denkschrift zum IStGH-Immunitäten-Übereinkommen; BT-Drucks. 15/2723, S. 23. Gemäß Art. 23 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen ist allerdings jeder Mitgliedstaat befugt, bei der Ratifikation oder sonstigen Form der Abgabe der Erklärung, an das Abkommen gebunden zu sein, zu erklären, daß er denjenigen Richtern, die Angehörige seines Staates sind oder in diesem ständig ansässig sind, lediglich Befreiung von Festnahme oder Haft, Immunität ratione materiae für ihre Diensthandlungen sowie Unverletzlichkeit ihrer dienstbezogenen Papiere und Dokumente gewährt. Deutschland hat eine solche Erklärung bereits bei der Unterzeichung des IStGH-Immunitäten-Übereinkommens abgegeben. Damit genießen die Richter, die deutsche Staatsangehörige bzw. in Deutschland ansässig sind, lediglich die soeben erwähnten begrenzten Exemtionen; vgl. BT-Drucks. 15/2723, S. 23. 387 So auch Ascensio, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 292. Zur Sicherung der Unabhängigkeit der Richter ist es geboten, diese in gleicher Weise von der Strafgewalt aller Mitgliedstaaten freizustellen, vor allem auch von der Strafgerichtsbarkeit ihres Heimatstaates. Denn die Gefahr einer Beeinflussung durch den Heimatstaat ist besonders groß. Der Verweis auf die Exemtionen für die Chefs diplomatischer Missionen ist daher – im Hinblick auf Exemtionen von strafrechtlicher Verant385
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Amtierende Richter genießen dagegen während der Zeiträume, in denen sie sich lediglich bereithalten, richterliche Funktionen wahrzunehmen, laut Art. 15 Abs. 3 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen in dem Staat, dessen Angehöriger sie sind, sowie in dem Staat, in dem sie ihren ständigen Wohnsitz haben, keine völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. In allen anderen Mitgliedstaaten des IStGH dagegen, etwa in solchen, in denen sie einen Urlaubsaufenthalt verbringen, kommen ihnen gemäß Art. 15 Abs. 3 IStGH-ImmunitätenÜbereinkommen während der Zeit eines vorübergehenden dortigen Aufenthalts „diplomatische Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen“ – also Unverletzlichkeit im Sinne des Art. 29 WÜD und Immunität ratione personae im Sinne des Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD – gegenüber der Strafgerichtsbarkeit dieses Landes zu.388 Sogar seine Familienangehörigen389 genießen, wenn sie „ihren“ Richter bei einem solchen vorübergehenden Aufenthalt zu „dienstfreien Zeiten“ in einem anderen Staat begleiten, diese diplomatischen Vorrechte und Befreiungen.390 Ansonsten ___________ wortlichkeit – allein als Verweis auf Art. 29, 30 und 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD anzusehen, nicht aber als Verweis auf Art. 31 Abs. 4, Art. 38 Abs. 1 und Art. 40 Abs. 1 WÜD. Vgl. aber auch oben Anm. 386. 388 Diese Differenzierung ist angesichts der Tatsache, daß die Richter nicht Vertreter ihres Staates sind, sondern als unabhängige Richter in gleicher Weise vor Einflußnahmen durch ihren Heimatstaat wie durch andere Staaten geschützt werden müssen, völkerrechtspolitisch bedenklich. Konsequenter und völkerrechtspolitisch sinnvoller wäre es gewesen, den Richtern während der gesamten Dauer ihrer Amtszeit Immunität ratione personae gegenüber der Strafgerichtsbarkeit aller Vertragsstaaten in gleicher Weise zuzubilligen. Zuzugeben ist allerdings, daß die Heimatstaaten und Staaten des ständigen Aufenthalts ein berechtigtes Interesse haben, einen Richter, solange er für den IStGH überhaupt nicht tätig ist, ihrer Hoheitsgewalt und vor allem ihrer Strafgewalt zu unterwerfen. Kriminalpolitisch ist eine Immunität ratione personae für Zeiträume, in denen gar keine schützenswerte Funktion ausgeübt wird, bedenklich. Daher kann die gestufte Exemtionsregelung als im Ergebnis akzeptabler Kompromiß zwischen widerstreitenden völkerrechtspolischen und kriminalpolitischen Positionen angesehen werden. Bedauerlich ist nur, daß – wie schon erwähnt – durch schwere Mängel bei der Formulierung der Exemtionsregelungen deren Gehalt geradezu verschleiert wird. Hinzuweisen ist darauf, daß Art. 13 Abs. 3 Agreement on the Privileges and Immunities of the International Tribunal for the Law of the Sea (vgl. oben Anm. 354) für die Richter des ISGH eine ebensolche Regelung trifft. Vgl. oben Anm. 363. Diese Differenzierung geht im übrigen zurück auf eine Resolution der UNGeneralversammlung (Res. 90 (I)) vom 11.12.1946, mit der eine dem Art. 15 Abs. 3 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen entsprechende Regelung für Richter des IGH eingefordert worden war. Die entscheidenden Passagen der Resolution sind abgedr. bei Jaenicke, ZaöRV 14 (1951/52), 46 (69). 389 Der Begriff „die zu ihrem Haushalt gehörenden Familienmitglieder“ in Art. 15 Abs. 3 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen ist dem Begriff „Familienangehöriger“ in Art. 37 Abs. 1 WÜD entlehnt und deshalb in gleicher Weise zu verstehen wie im Diplomatenrecht. Insofern kann diesbezüglich auf die Ausführungen oben in § 13 I.1.d) verwiesen werden. 390 Die Regelung des Art. 15 Abs. 2 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen hat im übrigen die merkwürdige Konsequenz, daß den Familienangehörigen dann, wenn sie „ihren“ Richter bei einer Reise in das Gebiet eines anderen Staates als seinen Heimatstaat begleiten, der betreffende Richter aber nicht im „Urlaub“, sondern “on duty” ist (und selbst Ex-
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aber kommen den Familienangehörigen der Richter keinerlei Vorrechte und Befreiungen zu.391 Art. 15 Abs. 2 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen gewährt Reisefreiheiten sowohl für den Zeitraum der Bereitschaft als auch für den der aktiven Wahrnehmung richterlicher Aufgaben. Das normierte Verbot der Hinderung an der Ausreise aus einem Staat, einer Untersagung einer Einreise in den Staat, in dem der Gerichtshof Sitzungen abhält, sowie einer Behinderung von Reisen im Dienste des Gerichtshofs bedeutet in strafrechtlicher Hinsicht, daß diese Personen nicht durch Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen an ihrer Reisetätigkeit gehindert werden dürfen. Hinsichtlich des sachlichen Gehalts der Reisefreiheiten wird auf die Exemtionen verwiesen, die Diplomaten unter ähnlichen Umständen nach dem WÜD genießen. Damit wird Art. 40 Abs. 1 WÜD in Bezug genommen, der – wie oben in § 15 I.3. dargelegt – eine Unverletzlichkeit im Sinne einer vollumfänglichen Freistellung von strafprozessualer Zwangsgewalt normiert. Diese Unverletzlichkeit gilt gegenüber der Strafgerichtsbarkeit aller Mitgliedstaaten in gleicher Weise. Ehemaligen Richtern des IStGH kommt weiterhin und zeitlich unbegrenzt Immunität ratione materiae für ihre dienstlichen Handlungen zu. Dies legen Art. 48 Abs. 2 Hs. 2 IStGH-Statut und Art. 15 Abs. 1 Hs. 2 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen fest.392 Wenn aber ehemalige Richter weiterhin Immunität von der Gerichtsbarkeit in bezug auf ihre in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen genießen, so muß man diese Exemtion auch noch amtierenden Richtern gegenüber der Strafgerichtsbarkeit ihres Heimatstaates in den Zeiträumen zubilligen, in denen sie nicht ihre richterlichen Funktionen wahrnehmen, also keine Immunität ratione personae genießen. Kurz gesagt muß man also hinsichtlich der Exemtionen für Richter des IStGH drei Zeiträume unterscheiden: (1.) Während der Zeit, in der sie aktiv ihre richterlichen Funktionen wahrnehmen, genießen amtierende Richter gegenüber der Strafgerichtsbarkeit aller Mitgliedstaaten umfassende Immunität ratione personae und umfassende Unverletzlichkeit.393 (2.) Während der Zeit, in der sie sich lediglich für eine Tätigkeit als Richter bereithalten, genießen amtierende Richter gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Staates, dessen Angehöriger sie sind, sowie des Staates, in dem sie ihren ständigen Wohnsitz haben, lediglich Immunität ratione materiae bezüglich ihrer früheren dienstlichen Handlungen für den Gerichtshof, gegenüber ___________ emtionen nach Art. 48 Abs. 2 IStGH-Statut bzw. Art. 15 Abs. 1 IStGH-ImmunitätenÜbereinkommen genießt), keine Exemtionen zukommen. 391 So auch Ascensio, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 292 Fn. 11. 392 Vgl. Ascensio, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 292. 393 Vgl. aber die Ausführungen zu Art. 23 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen oben in Anm. 386.
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allen anderen Mitgliedstaaten des IStGH-Statuts dagegen umfassende Immunität ratione personae und umfassende Unverletzlichkeit. (3.) Nach Ablauf ihrer Amtszeit genießen (ehemalige) Richter lediglich noch Immunität ratione materiae bezüglich ihrer Diensthandlungen für den Gerichtshof, allerdings gegenüber der Strafgerichtsbarkeit aller Mitgliedstaaten des IStGH in gleicher Weise. Anders als die Exemtionen der Richter des IGH und des ISGH können diejenigen der Richter des IStGH vom Gericht aufgehoben werden – und zwar gemäß Art. 48 Abs. 5 lit. a) IStGH-Statut und Art. 26 Abs. 2 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen durch einen von den Richtern mit absoluter Mehrheit zu fassenden Beschluß.394 Art. 26 Abs. 1 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen legt sogar – wie im Bereich internationaler Organisationen üblich – eine Verpflichtung zum Immunitätsverzicht fest: „(…) die Pflicht zur Aufhebung [der Vorrechte und Immunitäten; der Verf.] besteht in allen Fällen, in denen sie verhindern würden, dass der Gerechtigkeit Genüge geschieht, und in denen sie ohne Beeinträchtigung des Zwecks, für den sie gewährt wurden, aufgehoben werden können.“
cc) Exemtionen für Richter des EuGH und des EuG Die Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit für die Richter des EuGH und des Gerichts erster Instanz (EuG) sind sehr viel klarer und eindeutiger formuliert als die für die Richter des IGH, des ISGH und des IStGH. Einschlägig sind Art. 3 Protokoll über die Satzung des Gerichtshofs vom 26. Februar 2001395 sowie Art. 21 i.V.m. Art. 12 lit. a) und Art. 18 Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften.396 Nach Art. 47 Protokoll über die ___________ Vgl. Ascensio, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 293. Diese Regelung hält Doehring, in: Arndt u.a. (Hrsg.), FS Rudolf, S. 35 (40 f.) für unbefriedigend, da schon ein einziger Richter unter Umständen eine Mehrheit zugunsten oder zuungunsten des Betroffenen herstellen könne. Doch wäre dies ebenso der Fall, wenn eine einstimmige Entscheidung erforderlich wäre. 395 BGBl. 2001 II, S. 1687 = „Sartorius II“ Nr. 245. 396 Vgl. diesbezüglich oben Anm. 107. Anlaß zur Verwunderung gibt allerdings, daß manche Exemtionen gleich doppelt normiert sind, nämlich sowohl im Protokoll über die Satzung des EuGH als auch im Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen. In gesetzgebungstechnischer Hinsicht wäre es zu begrüßen gewesen, wenn alle Exemtionen allein im Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen geregelt worden wären und damit Redundanzen vermieden worden wären. Vgl. etwa Art. 3 Abs. 4 Protokoll der Satzung des Gerichtshofs einerseits und andererseits Art. 21 Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen, die jeweils mit nahezu identischem Wortlaut dasselbe festlegen. Ähnlich Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Protokoll über die Satzung des Gerichtshofs auf der einen Seite und Art. 21 i.V.m. Art. 12 lit. a) Satz 2 Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen auf der anderen Seite. Aus beiden Normen ergibt sich, daß die Richter nach Beendigung ihrer Amtszeit weiterhin Immunität ratione materiae von der Strafgerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten für ihre dienstlichen Handlungen genießen. 394
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
Satzung des Gerichtshofs gelten die im vorliegenden Zusammenhang relevanten Bestimmungen über den EuGH in gleicher Weise auch für das EuG. Art. 3 Protokoll über die Satzung des Gerichtshofs legt fest: „(1) Die Richter sind keiner Gerichtsbarkeit unterworfen. Hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen, einschließlich ihrer mündlichen und schriftlichen Äußerungen, steht ihnen diese Befreiung auch nach Abschluß ihrer Amtstätigkeit zu. (2) Der Gerichtshof kann die Befreiung durch Plenarentscheidung aufheben. (3) Wird nach Aufhebung der Befreiung ein Strafverfahren gegen einen Richter eingeleitet, so darf dieser in jedem Mitgliedstaat nur vor ein Gericht gestellt werden, das für Verfahren gegen Richter der höchsten Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig ist.[397] (4) Die Artikel 12 bis 15 und Artikel 18 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften finden auf die Richter, die Generalanwälte, den Kanzler und die Hilfsberichterstatter des Gerichtshofs Anwendung; die Bestimmungen der Absätze 1 bis 3 betreffend die Befreiung der Richter von der Gerichtsbarkeit bleiben hiervon unberührt.“398
Die Richter des EuGH und des EuG genießen mithin gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Protokoll der Satzung des Gerichtshofs während ihrer gesamten Amtszeit Immunität ratione personae und können damit während ihrer Amtszeit weder wegen (vor oder während ihrer Amtszeit) in privater Eigenschaft begangener Taten noch wegen dienstlich begangener Taten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.399 Damit sind auch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen untesagt, die gegen einen Richter als Beschuldigten gerichtet sind. Diese Exemtion gilt gegenüber der Strafgewalt aller Mitgliedstaaten in gleicher Weise. Eine strafprozessuale Inanspruchnahme als Nichtbeschuldigter ist dagegen statthaft, da eine über die Immunität ratione personae hinausgehende Unverletzlichkeit nicht gewährt wird. Auch eine Befreiung von den Zeugenpflichten sowie Exemtionen für Familienangehörige werden nicht gewährt. Nach Ablauf ihrer Amtszeit steht den Richtern gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Protokoll über die Satzung des Gerichtshofs sowie Art. 21 i.V.m. Art. 12 lit. a) Satz 2 Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen (weiterhin) Immunität ratione materiae für ihre Diensthandlungen zu.400 Diese Exemtion ist zeitlich unbegrenzt und wird während der Dienstzeit – insofern ist die Rechtslage vergleichbar mit derjenigen für die Diplomaten nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 und Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD ___________ Anmerkung: Diese Bestimmung spielt für die BRD keine Rolle, da es in Deutschland keine Sonderzuständigkeit für Richter gibt. 398 Der Text der im Hinblick auf Befreiungen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit relevanten Art. 12 lit. a) und Art. 18 Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen ist oben bei § 19 II.3.a)aa) und cc) wiedergegeben. 399 Vgl. Henrichs, EuR 1987, 75 (77). Widersprüchlich Koster, Immunität internationaler Richter, S. 103 einerseits und S. 147 andererseits. 400 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 1102; Henrichs, EuR 1987, 75 (77). 397
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– lediglich von der umfassenden Immunität ratione personae überlagert bzw. ist in dieser als Teilmenge enthalten. Die Immunität ratione personae und die Immunität ratione materiae können gemäß Art. 3 Abs. 2 Protokoll über die Satzung des Gerichtshofs durch Plenarentscheidung von den Richtern mit einfacher Mehrheit aufgehoben werden.401 Erforderlich ist gemäß Art. 17 Abs. 4 des Protokolls aber die Anwesenheit von mindestens 11 der insgesamt 15 Richter in der Sitzung.402 dd) Exemtionen für Richter des ICTY und des ICTR Maßgeblich für die Rechtsstellung der Richter des ICTY in Den Haag, Niederlande,403 und des ICTR in Arusha, Tansania,404 sind zunächst Art. 30 Abs. 1 und 2 ICTY-Statut und Art. 29 Abs. 1 und 2 ICTR-Statut. Diese formulieren wortgleich: „(1) Das Übereinkommen vom 13. Februar 1946 über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen findet Anwendung auf den Internationalen Strafgerichtshof, die Richter, den Ankläger und sein Personal sowie auf den Kanzler und sein Personal. (2) Die Richter, der Ankläger und der Kanzler genießen die Vorrechte und Immunitäten sowie Befreiungen und Erleichterungen, die den diplomatischen Vertretern nach dem Völkerrecht eingeräumt werden.“405
Als Besonderheit der Exemtionsregelungen für die Richter der beiden UNStrafgerichtshöfe ist zunächst festzuhalten, daß die Statuten – wie schon mehrfach erwähnt – keine von einzelnen Staaten ratifizierten und in deren nationales Recht transformierten völkerrechtlichen Verträge sind, sondern die UN-Strafgerichtshöfe 1993 bzw. 1994 jeweils durch Resolutionen des UN-Sicherheitsrates auf der Basis von Kapitel VII der UN-Charta eingerichtet wurden und die Statuten der Gerichtshöfe Anhänge zu diesen Resolutionen und damit deren integraler Bestandteil sind.406 ___________ Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 1102 mit Fn. 77. Aus Art. 21 i.V.m. Art. 18 Abs. 2 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen folgt, daß auch hinsichtlich der Richter sogar eine Pflicht zur Aufhebung der Immunitäten besteht, sofern eine Exemtionsaufhebung (nach Auffassung der Richter) den Interessen der Gemeinschaften nicht zuwiderläuft. 403 International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia (ICTY). Das Statut dieses Gerichtshofs ist abgedr. in ILM 32 (1993), 1192 sowie in BT-Drucks. 13/57 (dort auch deutsche Übersetzung). 404 International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR). Das Statut dieses Gerichtshofs ist abgedr. in ILM 33 (1994), 1602 sowie in BT-Drucks. 13/7953 (dort auch deutsche Übersetzung). 405 Deutsche Übersetzung nach BT-Drucks. 13/57, S. 28 und BT-Drucks. 13/7953, S. 27. 406 Der ICTY wurde durch Resolution 827 (1993), der ICTR durch Resolution 955 (1994) eingerichtet. Die Resolutionen sind in BT-Drucks. 13/57 (Anlage 1) bzw. BTDrucks. 13/7953 (Anlage 1) abgedruckt. 401 402
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Sicherheitsratsresolutionen sind zwar nach Art. 25 UN-Charta für die Staaten als Völkerrechtssubjekte verbindlich,407 so daß die einzelnen Staaten – auch Deutschland – von Völkerrechts wegen verpflichtet sind, eine Ausübung nationaler Strafgewalt insoweit zu unterlassen, als dies von Art. 30 ICTY-Statut und Art. 29 ICTRStatut verlangt wird. Aber die Bindungswirkung von Sicherheitsratsresolutionen beschränkt sich auf die Ebene des Völkerrechts. Es liegt an den einzelnen Staaten, durch innerstaatliche Rechtsakte dafür zu sorgen, daß die eigenen Behörden und die einzelnen Individuen im eigenen Staatsgebiet sich den Geboten von UNSicherheitsratsresolutionen entsprechend verhalten.408 Da die in UN-Sicherheitsratsresolutionen enthaltenen Gebote und Verbote in Deutschland weder über Art. 25 GG noch – in Ermangelung eines nationalen Zustimmungsgesetzes – über Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in das nationale deutsche Recht transformiert werden, sind Art. 30 ICTY-Statut und Art. 29 ICTR-Statut für die deutschen Strafverfolgungsbehörden, namentlich für die gemäß Art. 97 Abs. 1 GG ausschließlich den (deutschen) Gesetzen unterworfenen Gerichte, unbeachtlich. Art. 30 ICTY-Statut und Art. 29 ICTR-Statut sind als solche nicht in der Lage, die Normen der StPO und des GVG zu verdrängen, sie normieren keine in Deutschland unmittelbar anwendbaren Verfolgungshindernisse. Um sicherzustellen, daß die Bundesrepublik in der Lage ist, den ihr gemäß Art. 30 ICTY-Statut und Art. 29 ICTR-Statut obliegenden völkerrechtlichen Pflichten nachzukommen, mußte Deutschland daher nationale gesetzliche Regelungen erlassen, die Exemtionen für die Richter und die sonstigen durch Art. 30 ICTYStatut und Art. 29 ICTR-Statut geschützten Personen in zumindest dem Umfang normieren, in dem solche Exemtionen in den Statuten des ICTY und ICTR festgelegt sind. Allein diese nationalen gesetzlichen Regelungen sind für die deutschen Strafverfolgungsbehörden – wie jede bundesgesetzliche Norm – verbindlich. Die erforderlichen bundesgesetzlichen Bestimmungen wurden mit § 6 Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehema___________ Vgl. Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 150 f. Vgl. Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 151. A.A. aber die deutsche Bundesregierung unter Hinweis auf Art. 24 GG; vgl. BT-Drucks. 13/57, S. 6 f.; BT-Drucks. 13/7953, S. 6. Doch ist die Auffassung der Bundesregierung verfehlt. Zwar ermöglicht Art. 24 GG die Übertragung nationaler Hoheitsrechte auf internationale Organisationen auch insoweit, als diesen gestattet wird, Rechtsakte mit unmittelbarer innerstaatlicher Verbindlichkeit zu erlassen (wie das bei den Europäischen Gemeinschaften der Fall ist). Doch setzt eine solche unmittelbare innerstaatliche Verbindlichkeit von Rechtsakten internationaler Organisationen voraus, daß diese nach dem Recht dieser Organisation unmittelbare innerstaatliche Geltung entfalten sollen. Dies ist bei Resolutionen des UN-Sicherheitsrates aber nicht der Fall. Diese zielen nur darauf ab, die Staaten als Völkerrechtssubjekte zu verpflichten bzw. zu berechtigen. Vgl. Klein, a.a.O., Rn. 151 m.w.N.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 24 Rn. 31. Siehe aber auch Classen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 24 Rn. 62. 407 408
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lige Jugoslawien (Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetz) vom 10. April 1995409 sowie § 6 Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda (Ruanda-Strafgerichtshof-Gesetz) vom 4. Mai 1998410 geschaffen.411 Diese beiden für die deutschen Strafverfolgungsbehörden beachtlichen Paragraphen wurden durch Art. 7 und 8 Gesetz zur Ausführung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 21. Juni 2002412 neu gefaßt. Sie stimmen wörtlich überein. Ihr an dieser Stelle relevanter Absatz 2 lautet in seiner gegenwärtigen Fassung: „(2) Den Richtern, dem Leiter der Anklagebehörde und dem Kanzler des Gerichtshofs stehen die Vorrechte, Immunitäten, Befreiungen und Erleichterungen zu, die Diplomaten nach dem Völkerrecht eingeräumt werden.“
Die Richter des ICTY und des ICTR sind mithin der deutschen Strafgerichtsbarkeit in demselben Umfang entzogen wie die Diplomaten der in Deutschland errichteten diplomatischen Vertretungen anderer Staaten. Die sachliche Reichweite der Exemtionen von deutscher Strafgerichtsbarkeit bestimmt sich also nach Art. 29, Art. 30 und Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD.413 Die Richter genießen umfassende Unverletzlich___________ BGBl. 1995 I, S. 485 (487). Vgl. auch BT-Drucks. 13/57. BGBl. 1998 I, S. 843 (844). Vgl. auch BT-Drucks. 13/7953. 411 Auffällig ist, daß zwischen dem Inkrafttreten der Statuten (und damit dem Zeitpunkt der völkerrechtlichen Bindung Deutschlands an die Exemtionsregelungen) und der Verabschiedung der deutschen Zusammenarbeitsgesetze (und damit dem Inkrafttreten der für die deutschen Strafverfolgungsbehörden verbindlichen Exemtionsregelungen) jeweils mehrere Jahre liegen. Es stellt sich die – zum Glück mittlerweile rein theoretische – Frage, welche Exemtionen die Richter gegenüber der deutschen Strafgerichtsbarkeit in diesen Jahren genossen. Die Richter sind Bedienstete der Vereinten Nationen. Insofern ist auf sie – unabhängig davon, daß Art. 30 ICTY-Statut und Art. 29 ICTR-Statut weiterreichende und damit vorrangig geltende Exemtionsregelungen enthalten – Art. V Abschn. 18 UNImmunitäten-Übereinkommens anwendbar. Dieses ist von Deutschland ratifiziert worden und damit für die deutschen Strafverfolgungsbehörden unmittelbar verbindlich. Art. V Abschn. 18 legt aber lediglich eine Immunität ratione materiae fest. Dies bedeutet, daß die Richter in der Zeit bis zum Inkrafttreten des für sie einschlägigen Zusammenarbeitsgesetzes in Deutschland lediglich Immunität ratione materiae, nicht aber die von den Statuten der Gerichtshöfe geforderte Unverletzlichkeit und Immunität ratione personae genossen. Damit bestand eine Diskrepanz zwischen der völkerrechtlichen Verpflichtung Deutschlands und der innerstaatlichen Rechtslage. 412 BGBl. 2002 I, S. 2144 (2163 f.). 413 Art. 38 Abs. 1 und Art. 40 Abs. 1 WÜD sind dagegen nicht anwendbar. Denn die Richter sind gegenüber allen Staaten in gleicher Weise schutzwürdig. Zur Sicherung der Unabhängigkeit der Richter ist es geboten, diese von der Strafgerichtsbarkeit aller Staaten in gleichem Umfang freizustellen. Wenn daher Art. 30 ICTY-Statut und Art. 29 ICTRStatut pauschal die „den diplomatischen Vertretern nach dem Völkerrecht“ zukommenden Exemtionen für maßgeblich erklären, so ist dieser Verweis so zu verstehen, daß er alle Staaten in gleicher Weise verpflichtet, die in Art. 29, 30 und 31 WÜD normierten Exemtionen den in Art. 30 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 29 Abs. 2 ICTR-Statut genannten Personen zu gewähren. Für eine Differenzierung zwischen der Gerichtsbarkeit des Heimatstaates, der Gerichtsbarkeit von Transitstaaten und der Gerichtsbarkeit des Sitzstaates der Gerichte, mithin für eine Anwendung der Art. 38 Abs. 1 und Art. 40 Abs. 1 WÜD, ist kein Raum. Da § 6 Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetz und § 6 Ruanda-Strafgerichtshof409 410
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keit sowie Immunität ratione personae. Während ihrer gesamten Amtszeit – nicht nur während der Zeiträume, in denen sie ihre richterlichen Funktionen tatsächlich ausüben – dürfen keine strafrechtlichen Maßnahmen gegen sie ergriffen werden. Gemäß Art. 39 Abs. 2 WÜD enden diese Exemtionen mit der Amtszeit als Richter. Lediglich für die in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit als Richter vorgenommenen Handlungen bleibt die Immunität zeitlich unbegrenzt bestehen. Nach Beendigung der Amtszeit genießen die Richter also lediglich noch Immunität ratione materiae von deutscher Strafgerichtsbarkeit für die Handlungen, die als Diensthandlungen für den ICTY bzw. den ICTR zu klassifizieren sind. Im Hinblick auf die Möglichkeit eines Verzichts auf die Exemtionen wird man Art. 32 WÜD mit der Maßgabe für analog anwendbar halten dürfen, daß ein Verzicht durch Beschluß des Richterkollegiums des ICTY bzw. des ICTR zu erklären ist.414 b) Exemtionen für sonstige Funktionsträger Neben den Richtern genießen auch die sonstigen Funktionsträger internationaler Gerichte völkerrechtliche Exemtionen. Den Kanzlern (Verwaltungsleitern) internationaler Gerichte und bei den internationalen Strafgerichten auch den Leitern der Anklagebehörden werden normalerweise in gleichem Umfang wie den Richtern Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zuerkannt.415 Der Umfang der den übrigen Funktionsträgern internationaler Gerichte zukommenden Exemtionen ist dagegen regelmäßig geringer. Sie genießen typischerweise bloß Immunität ratione materiae; eine solche nur auf die Diensthandlungen bezogene Freistellung ist auch ausreichend.416 Zum Teil wird den übrigen Funktionsträgern allerdings ___________ Gesetz der „Umsetzung“ der in den Statuten festgesetzten Exemtionen dienen sollen, sind diese nationalen deutschen Vorschriften in gleicher Weise zu interpretieren. 414 Denn anders als die Statuten des IGH und des ISGH verweisen Art. 30 ICTY-Statut und Art. 29 ICTR-Statut auf das UN-Immunitäten-Übereinkommen und das WÜD, die beide eine Aufhebung aller Exemtionen für statthaft erklären. 415 Vgl. Art. 14 Abs. 1 Agreement on the Privileges and Immunities of the International Tribunal for the Law of the Sea vom 23.5.1997 (vgl. oben Anm. 354); Art. 48 Abs. 2 IStGH-Statut und Art. 15 Abs. 1 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen; Art. 30 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 29 Abs. 2 ICTR-Statut. 416 Für die sonstigen Bediensteten des IGH ist keine besondere Exemtionsregelung getroffen worden. Auf sie findet daher – weil der IGH ein Organ der Vereinten Nationen ist – Art. V UN-Immunitäten-Übereinkommen Anwendung. Sie genießen mithin lediglich Immunität ratione materiae; dies gilt auch für den Kanzler des IGH. Das gleiche gilt gemäß Art. 30 Abs. 3 ICTY-Statut und Art. 29 Abs. 3 ICTR-Statut für die sonstigen Bediensteten des ICTY und des ICTR; diese beiden Normen erklären explizit die Art. V und VII UNImmunitäten-Übereinkommen für anwendbar. Da aber auch der ICTY und der ICTR Organe der Vereinten Nationen, die Bediensteten der Gerichte mithin Bedienstete der Vereinten Nationen sind, gilt für sie das UN-Immunitäten-Übereinkommen ohnehin, so daß Art. 30 Abs. 3 ICTY-Statut und Art. 29 Abs. 3 ICTR-Statut lediglich deklaratorisch sind. Da es auf Art. 30 Abs. 3 ICTY-Statut und Art. 29 Abs. 3 ICTR-Statut also gar nicht ankommt, enthielten – konsequenterweise – § 6 Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetz und § 6
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darüber hinaus noch eine begrenzte Unverletzlichkeit dahingehend zuerkannt, daß sie von den einzelnen Staaten weder verhaftet noch inhaftiert werden dürfen.417 5. Exemtionen für Funktionsträger von Europol a) Vorbemerkungen zur Organisation Europol Im Rahmen der sogenannten Dritten Säule der Europäischen Union, der intergouvernementalen „polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen“ (vgl. Art. 29 ff. EUV418), haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein als „Europol“ bezeichnetes „Europäisches Polizeiamt“ errichtet, das die Tätigkeit der nationalen Polizeibehörden im Bereich der Ermittlung und Verfolgung grenzüberschreitender Kriminalität koordinieren und unterstützen soll.419 Die Errichtung der internationalen Organisation „Europol“ erfolgte in „klassischer Weise“ durch Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrags zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union.420 Das sogenannte Europol-Übereinkommen wurde am 26. Juli 1995 geschlossen421 und ist am 1. Oktober 1998 in Kraft getreten422. Art. 2 EuropolÜbereinkommen formuliert die Ziele von Europol: „(1) Europol hat das Ziel, (…) durch die in diesem Übereinkommen genannten Maßnahmen die Leistungsfähigkeit der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und ihre
___________ Ruanda-Strafgerichtshof-Gesetz in ihrer ursprünglichen Fassung gar keine Regelung über Exemtionen für die Mitglieder des Personals des Anklägers und des Kanzlers der beiden Gerichte (vgl. die Begründung für diesen „Verzicht“ in BT-Drucks. 13/57, S. 13; BT-Drucks. 13/7953, S. 13). In ihrer seit 2002 geltenden Fassung (vgl. oben Anm. 412 und dazugehörigen Text) erklären diese nationalen Normen in ihrem jeweils gleichlautenden Absatz 1 jedoch pauschal das UN-Immunitäten-Übereinkommen für anwendbar. § 6 Abs. 1 Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetz und § 6 Abs. 1 Ruanda-StrafgerichtshofGesetz sind zwar in der Sache redundant, erleichtern aber die Rechtsanwendung (vgl. auch die amtliche Begründung für die Gesetzesänderung in BT-Drucks. 14/8527, S. 101). 417 Vgl. Art. 14 Abs. 2 Agreement on the Privileges and Immunities of the International Tribunal for the Law of the Sea; Art. 16 Abs. 1 und Art. 17 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen. 418 Vertrag über die Europäische Union vom 7.2.1992 (BGBl. 1992 II, S. 1253) i.d.F des Vertrags von Nizza vom 26.2.2001 (BGBl. 2001 II, S. 1667). 419 Vgl. Art. 30 Abs. 1 lit. a), Art. 30 Abs. 2 lit. a) und b), Art. 32, Art. 34 Abs. 2 lit. d) EUV. Vgl. allgemein zu Europol und seinen Aufgaben Ambos, Internationales Strafrecht, § 13 Rn. 5 ff.; Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 153 ff.; Petri, Europol, S. 31 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 14 ff.; Tolmein, StV 1999, 108 (108 ff.); Voß, Europol, S. 123 ff.; Würtenberger/Heckmann, Polizeirecht, Rn. 53 ff. Zur Entstehungsgeschichte vgl. Kremer, a.a.O., S. 143 ff. und Voß, a.a.O., S. 123 ff. 420 Vgl. Art. 34 Abs. 2 Satz 2 lit. d) EUV, der für den Bereich der polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen im Rahmen der Europäischen Union die Erstellung von Übereinkommen vorsieht, die den Mitgliedstaaten zur Annahme empfohlen werden. 421 Vgl. oben Anm. 93. 422 Vgl. Bekanntmachung der Bundesregierung vom 9.10.1998; BGBl. 1998 II, S. 2930.
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Zusammenarbeit zu verbessern im Hinblick auf die Verhütung und die Bekämpfung des Terrorismus, des illegalen Drogenhandels und sonstiger schwerwiegender Formen der internationalen Kriminalität, sofern tatsächliche Anhaltspunkte für eine kriminelle Organisationsstruktur vorliegen und von den genannten Kriminalitätsformen zwei oder mehr Mitgliedstaaten in einer Weise betroffen sind, die auf Grund des Umfanges, der Bedeutung und der Folgen der strafbaren Handlungen ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten erfordert. (…).“
Derzeit beschränken sich die Aufgaben von Europol darauf, einschlägige Informationen zu sammeln, auszuwerten und an die nationalen Polizeibehörden weiterzuleiten sowie allgemein Kenntnisse und Erkenntnisse über die Bekämpfung der internationalen Kriminalität an die Polizeibehörden der Mitgliedstaaten weiterzugeben und so die nationale polizeiliche Tätigkeit zu unterstützen und zu koordinieren.423 Art. 3 Abs. 1 und 2 Europol-Übereinkommen legen fest: „(1) Europol hat im Rahmen seiner Ziele nach Artikel 2 Absatz 1 vorrangig die Aufgabe, 1. den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten zu erleichtern, 2. Informationen und Erkenntnisse zu sammeln, zusammenzustellen und zu analysieren, 3. (…) die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten über die sie betreffenden Informationen und die in Erfahrung gebrachten Zusammenhänge von Straftaten unverzüglich zu unterrichten, 4. Ermittlungen in den Mitgliedstaaten durch die Übermittlung aller sachdienlichen Informationen an die nationalen Stellen zu unterstützen, 5. Automatisierte Informationssammlungen zu unterhalten (…). (2) Um über die nationalen Stellen die Zusammenarbeit und die Leistungsfähigkeit der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Rahmen der Ziele nach Artikel 2 Absatz 1 zu verbessern, hat Europol darüber hinaus folgende weitere Aufgaben: 1. die Spezialkenntnisse, die im Rahmen der Ermittlungstätigkeit von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten verwendet werden, zu vertiefen und Beratung bei den Ermittlungen anzubieten, 2. strategische Erkenntnisse zu übermitteln, um einen wirksamen und rationellen Einsatz der auf nationaler Ebene für operative Aufgaben vorhandenen Ressourcen zu erleichtern und zu fördern, (…).“
Europol, eine eigenständige internationale Organisation mit Völkerrechtssubjektivität,424 hat seinen Sitz in den Niederlanden und verfügt über vier Organe, nämlich einen Verwaltungsrat, einen Direktor, einen Finanzkontrolleur und einen Haushaltsausschuß.425 Die Organisation verfügt über eigene Bedienstete, die dem Direktor unterstellt sind.426
___________ 423 Vgl. zu den Aufgaben von Europol Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 163 ff. und Voß, Europol, S. 138 ff. 424 Vgl. Art. 26 Europol-Übereinkommen und Gleß, DRiZ 2000, 365 (366); dies., NStZ 2001, 623 (624). 425 Vgl. Art. 27 ff. Europol-Übereinkommen und Voß, Europol, S. 134 f. 426 Vgl. Art. 29 f. Europol-Übereinkommen und Voß, Europol, S. 135 f.
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Europol führt derzeit keine exekutiv-operativen polizeilichen Maßnahmen durch. Die Bediensteten sind also keine Polizeibeamten, die Verhaftungen, Durchsuchungen oder Beschlagnahmen vornehmen; sie agieren vielmehr „im Hintergrund“ und unterstützen die nationalen Polizeien durch Informationsübermittlung. Sämtliche exekutiv-operativen Zwangsmaßnahmen zur Bekämpfung der internationalen Kriminalität werden von den Polizeien der einzelnen EU-Staaten durchgeführt. Insofern handelt es sich bei Europol nicht um eine supranationale Organisation mit Befugnissen, im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eigene hoheitliche Zwangsgewalt auszuüben, sondern sozusagen um eine klassische internationale Organisation, die keine direkte Eingriffsgewalt gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in den Mitgliedstaaten ausüben darf.427 Allerdings ist eine Ausweitung der Kompetenzen von Europol hin zu einer Polizeitruppe mit gewissen operativen Befugnissen bereits in Angriff genommen worden. Denn Art. 30 Abs. 2 lit. a) EUV verpflichtet den Rat der Europäischen Union, Maßnahmen nach Art. 34 EUV zu ergreifen, um eine solche Kompetenzerweiterung von Europol in die Wege zu leiten.428 In Art. 30 Abs. 2 lit. a) EUV heißt es: „[Der Rat] ermöglicht es Europol, die Vorbereitung spezifischer Ermittlungsmaßnahmen der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, einschließlich operativer Aktionen gemeinsamer Teams mit Vertretern von Europol in unterstützender Funktion, zu erleichtern und zu unterstützen und die Koordinierung und Durchführung solcher Ermittlungsmaßnahmen zu fördern;“.
Auf der Basis dieser Norm hat der Rat der Europäischen Union am 28. November 2002 ein Protokoll zur Änderung des Europol-Übereinkommens beschlossen.429 Dieses Protokoll, das formal ein Entwurf für einen neuen völkerrechtlichen Vertrag ist und daher der Ratifikation durch alle Vertragsparteien bedarf, sieht vor, daß Europol-Bedienstete in unterstützender Funktion an gemeinsamen Ermittlungsgruppen teilnehmen können, sofern es um Ermittlungen im Zusammenhang mit Straftaten geht, für die Europol zuständig ist. Die Europol-Bediensteten sollen grundsätzlich nach Maßgabe der Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates an allen Tätigkeiten des Ermittlungsteams teilnehmen können. Doch ist von dieser Befugnis die Ergreifung von Zwangsmaßnahmen ausdrücklich ausgenommen.430 Diese Änderung des Europol-Übereinkommens ist zwar von Deutschland bereits ratifiziert worden,431 jedoch bislang noch nicht in Kraft getreten.
___________ Vgl. zum Ganzen Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 306 ff. Vgl. Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 322 ff.; Voß, Europol, S. 199 ff. 429 Protokoll vom 28.11.2002; ABl. EG 2002 Nr. C 312, S. 1. 430 Vgl. den geplanten Art. 3a des Europol-Übereinkommens (Art. 1 Nr. 2 des Änderungsprotokolls). Siehe hierzu auch BT-Drucks. 15/1648, S. 9 ff. 431 Zustimmungsgesetz vom 30.1.2004; BGBl. 2004 II, S. 83. Siehe auch BTDrucks. 15/1648. 427 428
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
b) Die Exemtionsregelungen Die internationale Organisation Europol ist im vorliegenden Zusammenhang von besonderem Interesse. Denn die im Europol-Immunitätenprotokoll432 normierten Exemtionen für die Bediensteten von Europol waren in der Bundesrepublik Gegenstand einer heftigen und kontrovers geführten Debatte.433 Überwiegend wurden die Exemtionen als mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar abgelehnt.434 Dies ist insofern überraschend, als ansonsten das parlamentarische Verfahren nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bei Übereinkommen über Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen keine Aufmerksamkeit erfährt, ja sogar – wie oben in § 19 I.2.d)cc) und e) gezeigt wurde – der Abschluß und die nationale Umsetzung solcher Abkommen als so unwesentlich angesehen werden, daß ein Zustimmungsgesetz für entbehrlich gehalten wird und der Bundesregierung die Transformation der Exemtionsnormen durch Erlaß einer Rechtsverordnung gestattet ist. So wurde beispielsweise überhaupt keine Debatte über das IStGH-Immunitäten-Übereinkommen435 geführt, obwohl die Bediensteten des IStGH anders als die von Europol Strafgewalt über einzelne Menschen ausüben dürfen und ihnen und etlichen weiteren Personen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zugebilligt werden, die deutlich umfassender sind als die im Europol-Immunitätenprotokoll vorgesehenen. aa) Reichweite der Exemtionen Art. 41 Europol-Übereinkommen legt fest: „(1) Europol, die Mitglieder der Organe, die stellvertretenden Direktoren und die Bediensteten von Europol genießen die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Vorrechte und Immunitäten nach Maßgabe eines Protokolls, das die in allen Mitgliedstaaten anzuwendenden Regelungen enthält. (…). (3) Das Protokoll nach Absatz 1 wird vom Rat im Verfahren nach Titel VI des Vertrags über die Europäische Union einstimmig beschlossen und von den Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften angenommen.“
Diesem Gebot einer Ausarbeitung eines gesonderten völkerrechtlichen Vertrags über Vorrechte und Befreiungen folgend verabschiedete der Rat der Europäischen ___________ Vgl. oben Anm. 112. Vgl. Voß, Europol, S. 5 ff. Siehe zur parlamentarischen Diskussion Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 12 ff. sowie die Dokumentation in DRiZ 1998, 140 (140 ff.). 434 Ablehnend in der Wissenschaft etwa Ambos, Internationales Strafrecht, § 13 Rn. 14; Böse, NJW 1999, 2416 (2417); Hirsch, ZRP 1998, 10 (11 ff.); Hölscheidt/Schotten, NJW 1999, 2851 (2853 ff.); Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, passim, vor allem aber S. 383 ff.; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 100; Lisken, DRiZ 1998, 75 (76 f.); Nachbaur, KJ 1998, 231 (231 ff.); Ostendorf, NJW 1997, 3418 (3420); Prantl, DRiZ 1997, 234 (235). Dagegen hält Voß, Europol, S. 239 ff., 325 ff. die Immunitätenregelungen derzeit für legitim. Auch Brechmann, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, Art. 30 EUV Rn. 21 hält Einwände für „(derzeit) unbegründet“. Siehe auch Bull/Baldus, FAZ vom 20.1.1998, S. 10. 435 Vgl. oben Anm. 110. 432 433
§ 19 Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen
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Gemeinschaften am 19. Juni 1997 ein Europol-Immunitätenprotokoll436, das am 1. Juli 1999 in Kraft trat.437 Zwar hat auch Deutschland das Europol-Immunitätenprotokoll ratifiziert,438 doch wie gesagt erst nach einer heftigen öffentlichen und parlamentarischen Debatte. Die Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit für die Funktionsträger von Europol sind in Art. 8 Abs. 1 Europol-Immunitätenprotokoll normiert. Dieser lautet, soweit er in strafrechtlicher Hinsicht von Belang ist: „(1) die Mitglieder der Organe und des Personals von Europol genießen folgende Vorrechte und Immunitäten: a) unbeschadet des Artikels 32 (…) des Übereinkommens [gemeint ist das Europol-Übereinkommen; der Verf.] Immunität von jeglicher Gerichtsbarkeit hinsichtlich der von ihnen in Ausübung ihres Amtes vorgenommenen mündlichen und schriftliche Äußerungen sowie Handlungen; diese Immunität gilt auch nach Beendigung ihrer Tätigkeit als Mitglied eines Organs oder des Personals von Europol; b) Unverletzlichkeit all ihrer amtlichen Papiere, Schriftstücke und anderen amtlichen Materials.“
Gewährt wird den Mitgliedern des Personals von Europol439 also lediglich Immunität ratione materiae für ihre Diensthandlungen sowie eine Unverletzlichkeit der in ihrem Besitz befindlichen dienstbezogenen Gegenstände.440 Die Immunität ratione materiae erfaßt allerdings nicht nur die unmittelbaren Amtshandlungen, sondern sämtliche während der Dienstausübung begangene Taten, die mit der Vornahme einer Amtshandlung in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, so daß beispielsweise auch Verkehrsdelikte, die auf der Fahrt zu einem Ort begangen werden, an dem eine Amtshandlung vorzunehmen ist, als durch die Immunität geschützte Diensthandlungen einzustufen sind.441 Eine persönliche ___________ Vgl. oben Anm. 112. Vgl. zur Entstehungsgeschichte des Europol-Immunitätenprotokolls Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 46 ff. 437 Vgl. Bekanntmachung der Bundesregierung vom 5.7.1999, BGBl. 1999 II, S. 614. 438 Vgl. oben Anm. 112. 439 Hierzu zählen gemäß Art. 1 lit. f) Europol-Übereinkommen nicht nur die Bediensteten i.S.d. Art. 30 Europol-Übereinkommen (Bedienstete im engen Sinne), sondern auch der Direktor und die stellvertretenden Direktoren. Ausgenommen von diesem Begriff und damit von sämtlichen Exemtionen sind die Ortskräfte gemäß Art. 3 des Personalstatuts. Vgl. Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 8; Voß, Europol, S. 166. Soweit im folgenden pauschal von „Bediensteten“ von Europol gesprochen wird, sind nicht nur die Bediensteten im engen Sinne gemeint, sondern gleichzeitig auch der Direktor und seine Stellvertreter. 440 Vgl. BT-Drucks. 13/9084, S. 11; Böse, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 30 EUV Rn. 7; Hailbronner, JZ 1998, 283 (283); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 19; Voß, Europol, S. 167 f. 441 Dies ergibt sich unter anderem aus einem Umkehrschluß aus Art. 9 EuropolImmunitätenprotokoll, wonach die Immunität nicht gilt im Fall von Zivilverfahren gegen Bedienstete wegen Schäden, die infolge eines Verkehrsunfalls entstanden sind. Wie hier die Rechtsauffassung der deutschen Bundesregierung im Rahmen der Diskussion über eine parlamentarische Zustimmung zum Europol-Immunitätenprotokoll, vgl. Kremer, Immuni436
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
Unverletzlichkeit, etwa eine Freistellung von Festnahme oder Haft, wird nicht gewährt. Wegen „privater“ Straftaten ist ein strafrechtliches Einschreiten eines Mitgliedstaates also unbeschränkt möglich. Auch einer Inanspruchnahme als Nichtbeschuldigter werden keine Schranken gesetzt.442 Zudem ist die Immunität ratione materiae für Diensthandlungen beschränkt. Diese gilt nur „unbeschadet des Artikels 32 (…) des Übereinkommens“; diese Norm hat also Vorrang und verdrängt die Exemtion.443 Art. 32 Europol-Übereinkommen legt in Abs. 2 den Bediensteten die Pflicht auf, „über alle Tatsachen und Angelegenheiten, von denen sie in Ausübung ihres Amtes oder im Rahmen ihrer Tätigkeit Kenntnis erhalten, gegenüber allen nicht befugten Personen sowie gegenüber der Öffentlichkeit Stillschweigen zu bewahren“. Durch Art. 32 Abs. 3 Europol-Übereinkommen wird den Bediensteten verboten, über die in Ausübung ihres Amtes oder ihrer Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen und Angelegenheiten ohne vorherige Benachrichtigung des Direktors – bzw. im Fall des Direktors selbst des Verwaltungsrates – vor Gericht oder außergerichtlich auszusagen oder Erklärungen abzugeben. Nach Art. 32 Abs. 4 Europol-Übereinkommen haben die Mitgliedstaaten Verletzungen der in Abs. 2 und 3 genannten Verpflichtungen zur Verschwiegenheit und Geheimhaltung als einen Verstoß gegen ihre Rechtsvorschriften über die Wahrung von Dienst- oder Berufsgeheimnissen zu betrachten und gegebenenfalls die für eine Ahndung von solchen Verletzungen erforderlichen Strafnormen zu erlassen.444 ___________ tät für Europol-Bedienstete?, S. 365 und ebenso Kremer, a.a.O., S. 366 ff. A.A. Milke, Europol und Eurojust, S. 186; Voß, Europol, S. 167 f., 186. Allerdings können nur solche Handlungen als Diensthandlungen eingestuft werden, die in die völkervertraglich vereinbarte Kompetenz von Europol fallen. Dies folgt schon aus der partiellen Völkerrechtssubjektivität von Europol. Vgl. hierzu oben § 19 I.1.c). So auch Voß, Europol, S. 167. A.A. aber Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 367 f. 442 Allerdings genießen die Bediensteten von Europol ein beschränktes Auskunftsverweigerungsrecht. Vgl. Art. 32 Abs. 3 Europol-Übereinkommen. 443 In welchem Verhältnis Art. 8 Abs. 1 lit. a) Europol-Immunitätenprotokoll zu Art. 32 Europol-Übereinkommen steht, ist allerdings umstritten. Vgl. zum Streitstand Voß, Europol, S. 169 ff. Wie hier die deutsche Bundesregierung (vgl. BT-Drucks. 13/9067, S. 8, BTDrucks. 13/9084, S. 11) sowie Bull/Baldus, FAZ vom 20.1.1998, S. 10; Brechmann, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, Art. 30 EUV Rn. 21; Gleß, EuR 1998, 748 (752 f., 763); Hailbronner, JZ 1998, 283 (284); Hirsch, ZRP 1998, 10 (13); Hölscheidt/ Schotten, NJW 1999, 2851 (2852); Jour-Schröder, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. 30 EU Rn. 53; Kremer, Immunität für EuropolBedienstete?, S. 372 f. (mit Hinweisen zur Entstehungsgeschichte der Ausnahmeklausel); Martínez Soria, VerwArch 89 (1998), 400 (436); Milke, Europol und Eurojust, S. 187; Nachbaur, KJ 1998, 231 (234). Dagegen nehmen andere Autoren an, die Exemtionen hätten Vorrang. So etwa Böse, NJW 1999, 2416 (2416 f.); ders., in: Schwarze (Hrsg.), EUKommentar, Art. 30 EUV Rn. 7; Ostendorf, NJW 1997, 3418 (3420); Voß, Europol, S. 172 f. 444 Vgl. für die Bundesrepublik diesbezüglich Art. 2 § 8 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 26. Juli 1995 auf Grund von Artikel 31 des Vertrags über die Europäische Union über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts (Europol-Gesetz) vom 16.12.1997; BGBl.
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Diese Bestimmungen sind so zu verstehen, daß den Mitgliedstaaten nicht nur die Pflicht auferlegt wird, solche Strafnormen zu schaffen bzw. für auf EuropolBedienstete anwendbar zu erklären, sondern ihnen auch auferlegt wird, diese gegebenenfalls anzuwenden. Man könnte zwar dem Wortlaut nach Art. 32 Abs. 4 Europol-Übereinkommen auch so interpretieren, daß lediglich die für eine Strafverfolgung erforderlichen materiellen Strafnormen zu schaffen sind, dagegen die Immunität ratione materiae ihre Anwendung verbietet, solange die Exemtion nicht aufgehoben wird.445 Doch ergäbe dann die Festlegung in Art. 8 Abs. 1 lit. a) Europol-Immunitäten-Protokoll, daß die Immunität ratione materiae „unbeschadet“ des Art. 32 Europol-Übereinkommen gilt, keinen Sinn; sie wäre redundant. Einer Schaffung materieller Strafnormen stehen völkerrechtliche Immunitäten nämlich generell nicht entgegen, sie verbieten nur ihre Anwendung. Wegen Verletzungen ihrer Verschwiegenheits- und Geheimhaltungspflichten dürfen die Bediensteten von Europol also von den Mitgliedstaaten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, ihre Immunität ratione materiae erfährt insoweit eine Ausnahme. Eines Verzichts bedarf es in diesen Fällen nicht. Die Immunität ratione materiae des Art. 8 Abs. 1 lit. a) Europol-Immunitätenprotokoll gilt gemäß Art. 17 Abs. 2 Satz 1 Europol-Immunitätenprotokoll nur für Diensthandlungen im Rahmen der derzeitigen, durch Art. 3 Europol-Übereinkommen in seiner Fassung vom 26. Juli 1995 festgelegten Kompetenzen von Europol. Im Falle einer Erweiterung der Kompetenzen von Europol wird sie sich also nicht automatisch auch auf Diensthandlungen auf der Basis der neuen Befugnisse erstrecken; für eine solche Immunitätsausweitung wäre vielmehr eine explizite Änderung des Europol-Immunitätenprotokolls erforderlich.446 Zwar ist, wie geschildert, eine Änderung des Europol-Übereinkommens dahingehend in Angriff genommen worden, daß Europol-Bediensteten auch die Teilnahme an gemeinsamen Ermittlungsteams ermöglicht wird.447 Doch sieht das noch nicht in Kraft getretene Änderungsprotokoll vom 28. November 2002 zugleich die Ergänzung von Art. 8 Europol-Immunitätenprotokoll um einen neuen Absatz 4 vor. Nach diesem geplanten Art. 8 Abs. 4 Europol-Immunitätenprotokoll sind von der Immunität ratione materiae Amtshandlungen bei der Teilnahme an gemeinsamen ___________ 1997 II, S. 2150. Kritisch zu diesen Regelungen Nachbaur, KJ 1998, 231 (234 ff.). Beachtenswert ist, daß nach dieser Bestimmung in Deutschland eine Strafverfolgung wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses nur bei Vorliegen eines Strafverlangens seitens des Direktors von Europol statthaft ist. Diese Regelung kommt in der Sache einer Immunität mit Aufhebungsmöglichkeit gleich. Vgl. hierzu auch Gleß, DRiZ 2000, 365 (371). 445 So Böse, NJW 1999, 2416 (2416 f.); ders., in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 30 EUV Rn. 7; Ostendorf, NJW 1997, 3418 (3420); Voß, Europol, S. 172 f. 446 So auch die Auffassung der deutschen Bundesregierung in der Denkschrift zum Europol-Immunitätenprotokoll; vgl. BT-Drucks. 13/9084, S. 10, 12 sowie Bull/Baldus, FAZ vom 20.1.1998, S. 10; Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 328 f., 350 ff. m.w.N.; Voß, Europol, S. 167. 447 Siehe oben Anm. 428 ff. und dazugehörigen Text.
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Ermittlungsgruppen ausdrücklich ausgenommen. Die Immunität ratione materiae wird also nicht auf die neuen Befugnisse erweitert werden. Art. 8 Abs. 4 wird lauten: „Gemäß Art. 17 Absatz 2 wird die Immunität gemäß Absatz 1 Buchstabe a nicht für Amtshandlungen gewährt, die in Erfüllung der Aufgaben nach Artikel 3a des Übereinkommens bei Teilnahme von Europol-Bediensteten an gemeinsamen Ermittlungsgruppen vorgenommen werden.“448
Beachtenswert ist, daß nach Art. 1 ff. Europol-Auslegungsprotokoll449 und Art. 35 EUV der EuGH entsprechend den Regelungen im Bereich der Exemtionen für Funktionsträger der Europäischen Gemeinschaften zuständig ist, mit bindender Wirkung für die Mitgliedstaaten und deren Strafverfolgungsbehörden letztgültig darüber zu befinden, wie das Europol-Immunitätenprotokoll auszulegen ist.450 Da die Bundesrepublik gemäß Art. 2 Europol-Auslegungsprotokoll und Art. 35 Abs. 2 EUV die Zuständigkeit des EuGH für die Auslegung des Europol-Übereinkommens bzw. von Übereinkommen nach Titel VI EUV451 anerkannt hat,452 kann jedes deutsche Strafgericht, das über das Vorliegen einer Exemtion für EuropolFunktionsträger und damit über die Auslegung des Europol-Übereinkommens bzw. des Europol-Immunitätenprotokolls zu befinden hat, den EuGH im Wege der Vorabentscheidung zur Klärung einer entscheidungserheblichen Streitfrage bezüglich der richtigen Auslegung des Europol-Immunitätenprotokolls anrufen. Diejenigen deutschen Strafgerichte, denen sich eine Frage bezüglich der Auslegung des Europol-Übereinkommens oder des Europol-Immunitätenprotokolls stellt und deren Entscheidung im konkreten Fall mit Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbar ist, sind sogar verpflichtet, den EuGH anzurufen.453 Zudem ist der EuGH gemäß Art. 35 ___________ Siehe BGBl. 2004 II, S. 84 (85). Vgl. zu dieser Ergänzung der Exemtionsregelungen auch BT-Drucks. 15/1648, S. 11. 449 Protokoll auf Grund von Artikel 31 des Vertrags über die Europäische Union betreffend die Auslegung des Übereinkommens über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege der Vorabentscheidung vom 24.7.1996; BGBl. 1997 II, S. 2172. Zwar bezieht sich dieses Protokoll explizit nur auf das Europol-Übereinkommen, nicht auf das Europol-Immunitätenprotokoll, doch ist das Immunitätenprotokoll über Art. 41 Abs. 1 Europol-Übereinkommen in dieses einbezogen, gewissermaßen Bestandteil des Europol-Übereinkommens und damit von den Bestimmungen des Protokolls vom 24.7.1996 ebenfalls erfaßt. A.A. aber Hölscheidt/ Schotten, NJW 1999, 2851 (2852); Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 392; Voß, Europol, S. 197. Wie hier dagegen Böse, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 30 EUV Rn. 7 und offenbar auch Hailbronner, JZ 1998, 283 (284 f.). 450 Vgl. die Darstellung oben in § 19 II.3.a)bb). Die dortigen Ausführungen gelten mutatis mutandis auch für die Exemtionen im Bereich von Europol. Siehe auch Böse, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 30 EUV Rn. 7 und Voß, Europol, S. 193 ff. 451 Dazu gehören auch das Europol-Übereinkommen und das Europol-Immunitätenprotokoll. 452 Vgl. die Erklärungen im Anhang zu dem in Anm. 449 genannten Vertrag. 453 Vgl. Art. 2 Gesetz zu dem Protokoll vom 24. Juli 1996 auf Grund von Artikel 31 des Vertrags über die Europäische Union betreffend die Auslegung des Übereinkommens über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege der Vorabentscheidung (Europol-Auslegungsprotokollgesetz) 448
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Abs. 7 EUV zuständig für die Entscheidung über Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten von Europol bezüglich der Auslegung oder der Anwendung des Europol-Übereinkommens bzw. des Europol-Immunitätenprotokolls sowie für die Entscheidung über entsprechende Streitigkeiten zwischen einem Mitgliedstaat von Europol und der EU-Kommission. Wenn also beispielsweise ein Mitgliedstaat von Europol meint, daß ein anderer Mitgliedstaat einem Europol-Bediensteten entgegen dem Europol-Immunitätenprotokoll die ihm zukommende Immunität nicht gewährt, so kann er den EuGH anrufen, dessen Entscheidung für die Mitgliedstaaten verbindlich ist. Die Immunität ratione materiae für Europol-Bedienstete gilt gemäß Art. 8 Abs. 1 lit. a) Hs. 2 Europol-Immunitätenprotokoll zeitlich unbegrenzt.454 Art. 12 Europol-Immunitätenprotokoll legt aber – wie im Bereich internationaler Organisationen üblich – fest, daß die Immunität von der Organisation aufgehoben werden kann und aufgehoben werden muß, sofern dies mit den Interessen von Europol vereinbar ist: „(1) Die nach diesem Protokoll gewährten Vorrechte und Immunitäten werden im Interesse von Europol und nicht zum persönlichen Vorteil der Betreffenden gewährt. Europol und alle Personen, die diese Vorrechte und Immunitäten genießen, sind verpflichtet, in jeder sonstigen Hinsicht die Gesetze und Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten einzuhalten. (2) Der Direktor hat die Immunität von Europol oder eines Mitglieds seines Personals in allen Fällen aufzuheben, in denen die Immunität verhindern würde, daß der Gerechtigkeit Genüge geschieht, und in denen sie ohne Schädigung der Interessen von Europol aufgehoben werden kann. Hinsichtlich des Direktors, des Finanzkontrolleurs und der Mitglieder des Haushaltsausschusses hat der Verwaltungsrat die gleiche Verpflichtung. Im Fall von Mitgliedern des Verwaltungsrats ist der jeweilige Mitgliedstaat für die Aufhebung der Immunität zuständig. (…)“
Abweichend von den im Bereich internationaler Organisationen üblichen Bestimmungen über eine Aufhebung von Exemtionen obliegt die Bewertung, ob die Immunität „ohne Schädigung der Interessen von Europol aufgehoben werden kann“, nicht allein dem Direktor bzw. dem Verwaltungsrat. Vielmehr ist – was eine weitere Restriktion der Exemtionen bedeutet – die Entscheidung des Direktors bzw. des Verwaltungsrats einer Überprüfung durch den Rat (der Europäischen Gemeinschaften) unterworfen.455 Art. 13 Europol-Immunitätenprotokoll formuliert: „(1) Streitigkeiten wegen einer Weigerung, die Immunität von Europol oder die einer Person aufzuheben, die auf Grund ihrer amtlichen Stellung Immunität nach Maßgabe des Artikels 8 Abs. 1 genießt, werden vom Rat gemäß dem Verfahren nach Titel VI des Vertrags über die Europäische Union mit dem Ziel der Beilegung erörtert.
___________ vom 17.12.1997; BGBl. 1997 II, S. 2170 sowie § 1 Gesetz betreffend die Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens auf dem Gebiet der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 35 EUV (EuGH-Gesetz – EuGHG) vom 6.8.1998; BGBl. 1998 I, S. 2035. 454 Vgl. Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 370. 455 Vgl. Voß, Europol, S. 190.
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(2) Werden solche Streitigkeiten nicht beigelegt, so legt der Rat einstimmig die Modalitäten fest, nach denen sie beizulegen sind.“
bb) Anmerkungen zur Legitimität der Immunität für Europol-Bedienstete und Vorschläge zu ihrer Reform Vergleicht man die Exemtionen für die Bediensteten von Europol mit den bislang betrachteten Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen, so muß man feststellen, daß die Exemtionen für Europol-Bedienstete nicht über die im Bereich internationaler Organisationen seit mehr als 50 Jahren üblichen und nicht grundsätzlich in Frage gestellten Exemtionen hinausgehen.456 Die Exemtionen für Europol-Bedienstete bleiben aufgrund der Ausnahme von der gewährten Immunität ratione materiae bei Verstößen gegen Verpflichtungen zum Geheimnisschutz, aufgrund der Überprüfbarkeit ablehnender Aufhebungsentscheidungen durch den Rat der Europäischen Gemeinschaften sowie aufgrund der vorgesehenen Immunitätsausnahme für Amtshandlungen im Rahmen gemeinsamer Ermittlungen sogar deutlich hinter den üblicherweise gewährten Exemtionen zurück.457 Dennoch sind die Exemtionsregelungen für Europol-Bedienstete in Deutschland – wie bereits erwähnt – auf sehr heftige Kritik gestoßen.458 Mit der Idee rechtsstaatlicher Gemeinwesen, in denen hoheitliches Handeln einer gerichtlichen Kontrolle unterworfen sei und die Personen, die Hoheitsgewalt ausübten, hierfür gegebenenfalls auch persönlich strafrechtlich verantwortlich gemacht werden könnten, sei die Freistellung von Europol-Bediensteten von strafrechtlicher Verantwortlichkeit für ihr dienstliches Handeln nicht zu vereinbaren.459 In den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind in der Tat Polizeibeamte der jeweiligen nationalen Strafgewalt nicht entzogen. In Deutschland dürfen Polizeibeamte – und gleiches gilt für andere staatliche Funktionsträger –, die bei der Vornahme von Diensthandlungen gegen Strafgesetze verstoßen, in gleicher Weise wie Privatpersonen von den Strafverfolgungsbehörden zur Verantwortung gezogen werden. Zum Teil wirkt die Tatsache, daß eine Straftat im Dienst ___________ 456 Dies konzedieren auch die Kritiker der Exemtionsregelungen. Vgl. etwa Hölscheidt/Schotten, NJW 1999, 2851 (2854); Nachbaur, KJ 1998, 231 (233); Voß, Europol, S. 216. Ebenso die Auffassung der damaligen deutschen Bundesregierung während der Debatte um die parlamentarische Zustimmung zum Europol-Immunitätenprotokoll; vgl. BT-Drucks. 13/9084, S. 10 f. A.A. – jedoch unter Verkennung der Reichweite der Exemtionen für Bedienstete der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen – Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 89 f., 94 ff. 457 So auch die Einschätzung der deutschen Bundesregierung. Vgl. BT-Drucks. 13/9067, S. 8. 458 Vgl. oben Anm. 434. 459 Vgl. nur Lisken, DRiZ 1998, 75 (76); Nachbaur, KJ 1998, 231 (237); Prantl, DRiZ 1997, 234 (235).
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begangen wurde, sogar strafschärfend;460 einige Straftaten können ausschließlich von staatlichen Funktionsträgern begangen werden.461 Die persönliche strafrechtliche Verantwortlichkeit staatlicher Funktionsträger auch für Diensthandlungen soll disziplinierend wirken und dazu beitragen, daß sich das Handeln von Amtsträgern im Rahmen der Rechtsordnung bewegt. Die uneingeschränkte Unterworfenheit von Amtsträgern, vor allem von solchen, die wie Polizeibeamte staatliche Zwangsgewalt anwenden dürfen, unter die Strafgewalt ihres Staates ist von wesentlicher Bedeutung für einen Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor rechtswidrigen Eingriffen in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen. Daher wäre eine Freistellung nationaler Polizeibeamter von der Strafgewalt ihres Staates in bezug auf Diensthandlungen vollkommen inakzeptabel; mit einer solchen Regelung würden grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien über Bord geworfen. Die Kritiker der Exemtionsregelungen vergleichen nun die Europol-Bediensteten mit den Polizeibeamten der einzelnen Mitgliedstaaten und argumentieren, aus den gleichen Gründen, aus denen nationale Polizeibeamte der Strafgewalt ihres Staates auch in bezug auf Diensthandlungen unterworfen sein müßten, müßten auch Europol-Bedienstete für im Dienst begangene Straftaten zur Verantwortung gezogen werden können. Da die Europol-Bediensteten sensible personenbezogene Daten sammelten, analysierten und weiterreichten, müsse die Einhaltung der Datenschutzvorschriften des Europol-Übereinkommens auch durch eine Festlegung persönlicher strafrechtlicher Verantwortlichkeit der handelnden Personen gesichert werden. Wenn Europol weiter ausgebaut werde und die Europol-Bediensteten operative Befugnisse erhielten, also beispielsweise im Gebiet der Mitgliedstaaten Festnahmen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen vornehmen dürften,462 werde eine Immunität für diese „europäischen Polizeibeamten“ vollends inakzeptabel. Polizeibeamte, die durch eine Immunität vor einer Strafverfolgung geschützt seien, würden allzu leicht bereit sein, gesetzliche Beschränkungen ihrer Hoheitsbefugnisse außer Acht zu lassen.463 Es sei nicht hinnehmbar, wenn beispielsweise deutsche Polizeibeamte, die zusammen mit Europol-Bediensteten einen Einsatz durchführen, bei dem einzelne Personen unter Mißachtung der Eingriffsbefugnisse verletzt werden, hierfür strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnten, nicht aber die Europol-Polizisten. Um die Bürgerinnen und Bürger vor rechtswidrigen Übergriffen durch Polizeibeamte zu schützen, dürften die Europolbeamten nicht von persönlicher strafrechtlicher Verantwortlichkeit freigestellt werden, denn sonst be___________ Vgl. beispielsweise § 340 StGB – Körperverletzung im Amt. Vgl. beispielsweise §§ 331 f. StGB – Vorteilsnahme und Bestechlichkeit. 462 Die bereits beschlossene, aber noch nicht in Kraft getretene Erweiterung der Europolbefugnisse erstreckt sich allerdings – wie gesagt – ausdrücklich nicht auf Zwangsmaßnahmen; diese bleiben (jedenfalls vorerst) weiterhin den nationalen Polizeibeamten der einzelnen Mitgliedstaaten vorbehalten. 463 Vgl. Hölscheidt/Schotten, NJW 1999, 2851 (2854); Lisken, DRiZ 1998, 75 (76); Nachbaur, KJ 1998, 231 (237 f.). 460 461
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stünde die Gefahr, daß die Vornahme „heikler Maßnahmen“ den EuropolPolizisten überlassen würde, die keine Strafverfolgung zu befürchten hätten.464 Diese Sichtweise hat zwar auf den ersten Blick einiges für sich, doch ist sie zu einseitig. Sie vernachlässigt nämlich, daß die Europol-Bediensteten keine nationalen Polizeibeamten, sondern Bedienstete einer internationalen Organisation sind. Damit wird der Schutzzweck der ihnen zuerkannten Immunität ratione materiae nicht hinreichend beachtet. Europol kann als internationale Organisation seine – allgemein als wichtig anerkannten – Aufgaben nur dann zur Zufriedenheit aller Mitgliedstaaten durchführen, wenn gewährleistet ist, daß kein Mitgliedstaat durch einseitige Maßnahmen auf die Arbeit von Europol Einfluß nimmt und dessen Tätigkeit in seinem eigenen Interesse steuert. Jeder Mitgliedstaat wird nur dann bereit sein, mit Europol uneingeschränkt zu kooperieren und vor allem die Ausübung polizeilicher Hoheitsgewalt durch Europol in seinem Staatsgebiet zulassen, wenn er sicher sein kann, daß dies andere Staaten ebenso tun und Europol ausschließlich im gemeinsamen Interesse aller Mitliedsstaaten handelt und nicht im Partikularinteresse einzelner Staaten. Ausschließlich zu dem Zweck, die für das Funktionieren von Europol unabdingbare Unabhängigkeit der Organisation zu schützen, wird die Exemtion ratione materiae für die Europol-Bediensteten gewährt. Sie soll sicherstellen, daß nicht ein Staat, indem er bestimmte für ihn nachteilige Maßnahmen als nach seinem Recht strafbar bezeichnet und die handelnden Akteure strafrechtlich verantwortlich macht bzw. ihnen mit einer Strafverfolgung droht, in unlauterer Weise auf die Arbeit von Europol Einfluß zu nehmen versucht. Mit solchen Argumenten kann dagegen eine Immunität für nationale Polizeibeamte von der Strafgewalt ihres Staates nicht begründet werden. Denn da die Hoheitsgewalt, in deren Namen und Auftrag ein nationaler Polizeibeamter tätig wird, identisch ist mit der Hoheitsgewalt, die gegebenenfalls strafrechtlich gegen ihn vorgeht, besteht nicht die Gefahr einer (mißbräuchlichen) strafrechtlichen Inanspruchnahme mit dem Ziel, auf das Handeln des Polizeibeamten Einfluß zu nehmen und dieses in einem bestimmten Sinne zu steuern. Immunitäten ratione materiae für nationale Polizeibeamte von der Strafgewalt ihres Staates würden mithin im wesentlichen nur dem einzelnen Beamten einen persönlichen Vorteil verschaffen. Eine solche Privilegierung wäre jedoch auf keinen Fall zu legitimieren. Zwar könnte man noch argumentieren, eine Immunität für Diensthandlungen würde den Beamten die Angst nehmen, wegen der Durchführung bestimmter polizeilicher Maßnahmen persönlich zur Verantwortung gezogen zu werden und so – im Interesse einer effektiven Polizeiarbeit und damit letztlich auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger – die Entschlußkraft der Beamten und ein beherztes Eingreifen zur Abwehr von Gefahren und zur Verfolgung von Straftätern befördern. Doch kann allein mit diesem Argument angesichts der großen Gefahr, daß bei fehlender strafrechtlicher Verantwortlichkeit gesetzliche Beschränkungen polizeilicher Hoheits___________ 464
Vgl. Hölscheidt/Schotten, NJW 1999, 2851 (2853).
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gewalt zum Nachteil der Bürgerinnen und Bürger leichtfertig mißachtet werden, eine Immunität nicht legitimiert werden. Insofern gibt es also durchaus gewichtige Argumente dafür, den EuropolBediensteten anders als nationalen Polizeibeamten Immunität ratione materiae zu gewähren. Dabei darf auch nicht vergessen werden, daß auch Bedienstete anderer internationaler Organisationen unmittelbare Hoheitsgewalt gegenüber Einzelpersonen ausüben dürfen. Dies gilt etwa für die Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften, aber auch für die des IStGH. Auch diesen werden – aus den genannten Gründen – völkerrechtliche Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gewährt. Aber zuzugeben ist natürlich, daß an eine Legitimierung einer Immunität für Polizeibeamte angesichts der Tatsache, daß diese regelmäßig befugt sind, in grundlegende persönliche Freiheitsrechte der Einzelnen einzugreifen, vor allem staatliche Zwangsgewalt auszuüben, besonders hohe Anforderungen zu stellen sind. Doch sind die Europol-Bediensteten jedenfalls solange, wie Europol keine operativen Befugnisse zur Vornahme von Zwangsmaßnahmen erhält, gerade keine Polizeibeamten „im klassischen Sinne“. Da die Immunität für Europol-Bedienstete lediglich die Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit von Europol sichern soll, nicht aber – wie Art. 12 Abs. 1 Europol-Immunitätenprotokoll zu Recht festhält – zum persönlichen Vorteil der Betreffenden gewährt wird, darf sie allerdings nicht dazu führen, daß die Bediensteten auch dann von strafrechtlicher Verantwortlichkeit freigestellt bleiben, wenn sie die ihnen nach den Rechtsgrundlagen von Europol zukommenden Kompetenzen überschreiten und sich dabei nach dem Recht eines Mitgliedstaates strafbar machen. In den Fällen, in denen eine Strafverfolgung Ausdruck einer ordnungsgemäßen Ahndung fehlerhaften Verhaltens ist und nicht den Schutzzweck der Immunitäten gefährdet, dürfen diese einer Strafverfolgung nicht entgegenstehen. Dann nämlich würden sie – sinnwidrig – die Betreffenden nur zu ihrem persönlichen Vorteil privilegieren. Daher ist es wichtig, daß die Immunität in solchen Fällen aufgehoben wird. Art. 12 Europol-Immunitätenprotokoll trifft hierfür die erforderlichen Vorkehrungen, indem explizit eine Pflicht zur Aufhebung der Immunität bei solchen Fallkonstellationen festgelegt wird. Da die Beurteilung, ob die Immunität ohne Gefährdung ihres Schutzzwecks aufgehoben werden kann, nicht – wie bei den Immunitäten im Bereich anderer internationaler Organisationen – allein der Organisation selbst obliegt, sondern nach Art. 13 Europol-Immunitätenprotokoll der Rat der Europäischen Gemeinschaften letztlich über die Aufhebung entscheidet, sind wichtige Vorkehrungen dafür geschaffen worden, daß die Immunität nicht sinnwidrig zu einer Straflosigkeit der Europol-Bediensteten bei kompetenzwidrigem Verhalten führt. Schon die Aussicht, daß die Immunität immer dann aufgehoben wird, wenn sie einer legitimen Ahndung rechtswidrigen dienstlichen Verhaltens im Wege steht, dürfte disziplinierend auf die Bediensteten von Europol einwirken und sicherstellen, daß diese nicht leichtfertig die ihnen gesetzten Schranken bei ihrer dienstlichen
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Tätigkeit mißachten. Damit aber verliert eines der wesentlichen Argumente gegen eine Immunität für Europol-Bedienstete erheblich an Gewicht. Bedenklich ist jedoch, daß die Entscheidung, ob im Einzelfall die Immunität für Europol-Bedienstete aufgehoben wird, gemäß Art. 12 Abs. 2 Europol-Immunitätenprotokoll zunächst dem Direktor von Europol, also einem Organ der Organisation selbst, obliegt.465 Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Gefahr besteht, daß dieser „parteiisch“ entscheidet, also im Zweifel von einem rechtmäßigen Verhalten eines Bediensteten ausgeht und – um diesen zu schützen – von einer Immunitätsaufhebung absieht. Zudem ist die Bestimmung in Art. 12 Abs. 2 EuropolImmunitätenprotokoll, daß die Immunität nur dann aufzuheben ist, wenn dies „ohne Schädigung der Interessen von Europol“ geschehen kann, recht vage gefaßt.466 Auch wenn dies mit dem Sinn der Immunität nicht vereinbar wäre, so ist doch jedenfalls theoretisch denkbar, daß auch in Fällen, in denen ein Staat eine rechtsstaatliche Strafverfolgung aufgrund eines naheliegenden Verdachts kompetenzwidrigen Verhaltens betreibt, eine Aufhebung der Immunität abgelehnt wird.467 Schließlich könnte man schon die Tatsache, daß sich der betreffende Bedienstete aufgrund des Verfahrens nicht mehr (oder jedenfalls nicht mehr mit voller Kraft) seiner dienstlichen Tätigkeit für Europol widmen kann, als Schaden für die Organisation ansehen. Auch könnte man behaupten, die Gefahr einer Verstrickung in Strafverfahren würde das dienstliche Engagement der Bediensteten zum Schaden von Europol schwächen, weshalb eine Aufhebung nur in Fällen eklatanten Fehlverhaltens in Betracht komme, etwa nur bei schwersten Straftaten. Nicht zuletzt ließe sich argumentieren, die bei einer Strafverfolgung eines Bediensteten drohende Beeinträchtigung des Ansehens von Europol sei als Schaden für die Organisation zu bewerten. Daher ist es verfehlt, daß der Direktor zuständig ist für die Entscheidung über eine Immunitätsaufhebung. Zwar kann dessen Entscheidung gemäß Art. 13 EuropolImmunitätenprotokoll bei Streitigkeiten zwischen dem Direktor und einem oder mehreren strafverfolgungswilligen Mitgliedstaaten von dem Rat (der Europäischen Gemeinschaften) überprüft werden, doch sind zum einen die Modalitäten dieses Streitschlichtungsverfahrens nicht klargestellt worden, sondern ist lediglich die vage Festlegung getroffen worden, der Rat habe, wenn eine Streitigkeit nicht beigelegt werden könne, die Modalitäten festzulegen, nach denen sie beizulegen sei. Zum anderen kann, da sich der Rat aus Mitgliedern der Regierungen der Mitgliedstaaten, also Vertretern der Exekutive, zusammensetzt, nicht ausgeschlossen wer___________ 465 Für eine Aufhebung der Immunität des Direktors, des Finanzkontrolleurs und der Mitglieder des Haushaltsausschusses ist allerdings gemäß Art. 12 Abs. 2 Europol-Immunitätenprotokoll der Verwaltungsrat zuständig. 466 So auch Hölscheidt/Schotten, NJW 1999, 2851 (2854); Nachbaur, KJ 1998, 231 (233). Hirsch, ZRP 1998, 10 (13) hält die Formulierung für „völlig nichtssagend“. 467 Kritisch auch Bull/Baldus, FAZ vom 20.1.1998, S. 10; Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 389 f.; Voß, Europol, S. 190 f.
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den, daß sich auch der Rat im vermeintlichen Interesse der (exekutiven) Tätigkeit von Europol eher gegen als für eine Aufhebung der Immunität entscheidet.468 Weitaus sinnvoller wäre es gewesen, die Entscheidung über eine Immunitätsaufhebung nach Art. 12 Abs. 2 Europol-Immunitätenprotokoll dem EuGH als einer wirklich unabhängigen und zudem justiziellen Instanz zu übertragen. Da der EuGH – wie oben in § 19 II.5.b)aa) erwähnt – ohnehin bei Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten oder im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens über die Auslegung des Europol-Übereinkommens und des Europol-Immunitätenprotokolls zu entscheiden hat469 und er zudem – wie oben in § 19 II.3.a)bb) gezeigt – zuständig ist, bei Streitigkeiten über Exemtionen für Funktionsträger der Europäischen Gemeinschaften letztgültig über das Bestehen oder Nichtbestehen von Exemtionen zu entscheiden, wäre es naheliegend gewesen, diesem auch die Entscheidung über eine Immunitätsaufhebung bei Europolbediensteten zu übertragen, zumindest aber bei ablehnenden Entscheidungen durch den Direktor von Europol eine Anrufung des EuGH und eine Überprüfung der Entscheidung durch diesen zuzulassen. Daher sollte die Kompetenz zur Immunitätsaufhebung durch eine Änderung des Art. 12 Abs. 2 Europol-Immunitätenprotokoll auf den EuGH verlagert werden, zumindest aber Art. 13 Europol-Immunitätenprotokoll dahingehend geändert werden, daß nicht der Rat, sondern der EuGH bei Streitigkeiten zwischen Europol und einzelnen Mitgliedstaaten über eine Immunitätsaufhebung entscheidet.470 Wenn man – wie hier – den Schutzzweck der Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen darin sieht, daß sie die Unabhängigkeit der Organisation schützen sollen, indem der Gefahr einer unlauteren Einflußnahme auf die Arbeit einzelner Bediensteter entgegengewirkt wird, läßt sich die Gewährung von Exemtionen allerdings dann nicht mehr legitimieren, wenn die Gefahr einer derartigen Einflußnahme seitens einzelner Mitgliedstaaten eine zu vernachlässigende Größe ist. Insofern sprechen zwar bei universellen internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen und dem IStGH gute Gründe für die Gewährung von Exemtionen. Im Bereich solcher Organisationen werden die hier skizzierten Exemtionen daher zu Recht nicht in Frage gestellt. Bei Organisationen jedoch, die von einem relativ kleinen Kreis von Staaten getragen werden, die sehr ähnliche Staats___________ Dieser Streitschlichtungsregel gegenüber ablehnend auch Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 390. Kritisch zudem Bull/Baldus, FAZ vom 20.1.1998, S. 10. 469 Daraus folgt allerdings keine Kompetenz, über eine Aufhebung der Exemtionen nach Art. 12 Abs. 2 Europol-Immunitätenprotokoll zu befinden, denn insofern ist Art. 13 Europol-Immunitätenprotokoll, der ausdrücklich eine nicht-justizielle Form der Beilegung von Streitigkeiten vorsieht, vorrangig. Derzeit sind ablehnende Aufhebungsentscheidungen also nicht justitiabel. A.A. Hailbronner, JZ 1998, 283 (284 f.). Wie hier dagegen Böse, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 30 EUV Rn. 7; Gleß, EuR 1998, 748 (753); Hölscheidt/Schotten, NJW 1999, 2851 (2852); Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 392; Milke, Europol und Eurojust, S. 165 f.; Petri, Europol, S. 30; Voß, Europol, S. 197. 470 Für die Einführung einer gerichtlichen Kontrolle durch den EuGH auch Böse, NJW 1999, 2416 (2417) und Voß, Europol, S. 333. 468
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und Gesellschaftsstrukturen und allesamt gefestigte rechtsstaatliche und demokratische Ordnungen aufweisen, bei denen also die Gefahr von Interessendivergenzen und damit auch die Gefahr einer einzelstaatlichen unlauteren Einflußnahme auf eine gemeinsam getragene Organisation sehr gering ist, läßt sich mit gewisser Berechtigung die Auffassung vertreten, daß sich Immunitäten, die immerhin zu einer zumindest temporären Straflosigkeit führen, nicht mehr legitimieren lassen. In solchen Fällen spricht vieles dafür, einer Verfolgbarkeit von Straftaten – die ja letztlich auch im Interesse aller Mitgliedstaaten und ihrer Bürgerinnen und Bürger liegt – Vorrang einzuräumen.471 Auch der Charakter einer Organisation ist entscheidend für eine Antwort auf die Frage, ob sich Exemtionen der Bediensteten von strafrechtlicher Verantwortlichkeit legitimieren lassen. Bei klassischen Organisationen, die keine Hoheitsbefugnisse unmittelbar gegenüber Einzelmenschen ausüben, läßt sich eine Immunität für die Bediensteten weitaus leichter akzeptieren als bei supranationalen Organisationen, die Hoheitsakte gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern setzen dürfen. Denn hier gilt es, die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger auch dadurch zu schützen, daß den Funktionsträgern strafrechtliche Sanktionen bei rechtswidriger Ausübung solcher Hoheitsgewalt angedroht werden. Und bei Organisationen, die sogar polizeiliche Zwangsgewalt gegenüber Einzelmenschen ausüben dürfen, ist noch weniger Raum für Freistellungen ihrer Bediensteten von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Kurz gesagt: Je homogener der Kreis der Mitgliedstaaten einer Organisation ist, je umfangreicher die einer Organisation übertragenen Hoheitsbefugnisse sind und je grundrechtssensibler der Bereich ist, in dem eine Organisation tätig ist, desto weniger lassen sich Exemtionen für die Funktionsträger der Organisation legitimieren. Insofern ist es sehr zu begrüßen, daß die Ausweitung der Europolbefugnisse durch das Änderungsprotokoll vom 28. November 2002 nicht einhergegangen ist mit einer Erstreckung der Immunitäten auch auf Amtshandlungen im Rahmen gemeinsamer Ermittlungsteams, sondern der neue Art. 8 Abs. 4 Europol-Immunitätenprotokoll ausdrücklich festlegt, daß sich die Immunität ratione materiae nicht auf solche Amtshandlungen erstreckt. Sollten die Befugnisse von Europol zukünftig dahingehend erweitert werden, daß die Bediensteten Befugnisse zur Vornahme von Zwangsmaßnahmen bekommen, dann ist sogar ernsthaft zu überlegen, ob nicht gänzlich auf Exemtionen verzichtet werden sollte.472 Denn Europol wird von im ___________ 471 Vgl. diesbezüglich auch Bull/Baldus, FAZ vom 20.1.1998, S. 10 und Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 90 ff. 472 Die verschiedentlich vertretene Auffassung, die Exemtionen für Europol-Bedienstete seien grundgesetzwidrig (vgl. die Nachw. bei Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 12 ff.), vermag allerdings nicht zu überzeugen. Vor allem besteht kein Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf Strafverfolgung ohne Rücksicht auf völkerrechtliche Exemtionen. Auch aus dem Rechtsstaatsprinzip läßt sich eine solche absolute Strafverfolgungspflicht, die völkerrechtlichen Exemtionen entgegenstünde, nicht ableiten.
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wesentlichen „gleichgesinnten“ Staaten getragen, so daß die Gefahren, vor denen die Immunität des Art. 8 Abs. 1 Europol-Immunitätenprotokoll schützen soll, überaus gering sind.473 Allerdings wird zugunsten einer Immunität der Europol-Bediensteten auch das Argument vorgebracht, daß für nationale Polizeibeamte im Hinblick auf ihre Diensthandlungen lediglich eine (Straf-)Rechtsordnung, nämlich die ihres eigenen Staates, maßgeblich sei. Für nationale Polizeibeamte sei es mithin relativ leicht, sich bei ihrer Dienstausübung rechtmäßig zu verhalten und der Gefahr, sich strafbar zu machen, zu entgehen. Wenn aber Europol-Beamte nach einer Ausweitung der Kompetenzen von Europol im Gebiet jedes Mitgliedstaates, also im Gebiet von heute 15, zukünftig aber deutlich mehr als 20 Staaten, operative polizeiliche Maßnahmen durchführen dürften, so liefen sie viel eher als nationale Polizeibeamte Gefahr, sich nach dem Recht des Staates, in dem eine Aktion durchgeführt werde, strafbar zu machen. Denn es sei unmöglich, die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen, vor allem die einzelnen Strafrechtsordnungen, so genau zu kennen, daß ein rechtswidriges Verhalten ausgeschlossen werden könne. Daher bedürften die Europol-Polizisten gerade dann der Immunität des Art. 8 Abs. 1 lit. a) Europol-Immunitätenprotokoll, wenn sie operative Befugnisse bekämen.474 Doch kann dieses Argument beim besten Willen nicht überzeugen.475 Denn aus diesem Grund Exemtionen zu gewähren hieße, rechtswidriges Verhalten als mehr oder weniger unvermeidbar zu akzeptieren und rechtswidrige hoheitliche Eingriffe in Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger bewußt in Kauf zu nehmen. Selbstverständlich kann von Europol-Bediensteten, die im Gebiet verschiedener Mitgliedstaaten Hoheitsgewalt ausüben, nicht verlangt werden, die jeweilige Rechtsordnung genau zu kennen und ihr dienstliches Verhalten so zu steuern, daß es dem jeweiligen nationalen Recht entspricht. Aber auch wenn die Bediensteten insofern schutzwürdig sind, so wäre es doch verfehlt, ihnen deshalb Immunität ratione materiae zu gewähren. Diesem „Problem“ sollte vielmehr dadurch begegnet werden, daß nicht nur die Aufgaben direkt im Europol-Übereinkommen definiert, sondern dort auch die Modalitäten der Ausübung hoheitlicher Eingriffsbefugnisse genau festgelegt werden. So, wie für einen deutschen Polizeibeamten die Bestimmungen der StPO und des jeweiligen Polizeigesetzes maßgeblich sind, wären für die Euro___________ In diesem Sinne gegen eine Immunität für Europol-Bedienstete und teilweise verbunden mit der rechtspolitischen Forderung, de lege ferenda auch sämtlichen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften keine Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu gewähren, Hirsch, ZRP 1998, 10 (11 ff.); Hölscheidt/Schotten, NJW 1999, 2851 (2854); Petri, Europol, S. 29 f.; Voß, Europol, S. 242 ff. Auch Hailbronner, JZ 1998, 283 (286 f.), der die Regelungen des Europol-Immunitätenprotokolls grundsätzlich billigt, hält aus den vorgenannten Überlegungen die Exemtionen für Europol- und EG-Bedienstete für rechtspolitisch nicht mehr ohne weiteres gerechtfertigt. 474 Vgl. die Darstellung bei Hailbronner, JZ 1998, 283 (286 ff.) und bei Voß, Europol, S. 245 ff. 475 Ablehnend auch Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 386 f. 473
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pol-Polizisten dann ausschließlich die Bestimmungen des Europol-Übereinkommens maßgeblich. Diese verdrängten die unterschiedlichen nationalen Bestimmungen. Damit könnten die Europol-Polizisten auch leicht der Gefahr entgehen, sich bei der Dienstausübung strafbar zu machen. Sofern nämlich ein Eingriff und die Art und Weise seiner Vornahme von den Befugnisnormen des EuropolÜbereinkommens – deren Kenntnis verlangt werden kann – gedeckt wäre, läge ein strafrechtlich relevanter Rechtfertigungsgrund vor. Für die deutschen Strafverfolgungsbehörden wäre ein solcher völkerrechtlicher Rechtfertigungsgrund, da die Befugnisnormen in einem völkerrechtlichen Vertrag geregelt wären, über das transformierende deutsche Zustimmungsgesetz unmittelbar beachtlich. Und da der EuGH berufen ist, im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens oder im Rahmen einer Streitigkeit zwischen den Mitgliedstaaten über die richtige Auslegung der Europol-Verträge zu befinden, bestünde auch nicht die Gefahr, daß die Strafverfolgungsbehörden eines Mitgliedstaates, die an einer Strafverfolgung von EuropolBediensteten interessiert ist, deren im Europol-Übereinkommen festgelegte Befugnisse zu eng auslegen. Als Fazit der Überlegungen zur Sinnhaftigkeit der Exemtionen für EuropolBedienstete läßt sich mithin festhalten, daß sich diese zwar vollkommen im Rahmen des für internationale Organisationen Üblichen bewegen, ja sogar hinter den üblichen Exemtionen zurückbleiben, gleichwohl aber spätestens dann, wenn Europol Befugnisse zur Vornahme von Zwangsmaßnahmen erhält, nur noch schwer zu legitimieren sind. Die Besonderheiten einer mit hoheitlichen Eingriffsbefugnissen ausgestatteten Organisation Europol – homogener Kreis von Mitgliedstaaten, Supranationalität im Sinne einer Befugnis zur unmittelbaren Ausübung von Hoheitsgewalt gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in den Mitgliedstaaten, polizeiliche und damit menschenrechtlich relevante Eingriffkompetenzen – lassen es bedenkenswert erscheinen, dann den Bediensteten keine Immunität ratione materiae mehr zu gewähren. Zum Schutz der Bediensteten müßten jedoch die Modalitäten polizeilicher Eingriffe detailliert im Europol-Übereinkommen festgelegt werden, so daß sich die Europol-Polizisten an diesen Bestimmungen orientieren könnten und strafrechtlich gerechtfertigt handeln würden, solange sie sich entsprechend diesen Bestimmungen verhalten würden. Zumindest aber sollte – möglichst bald, spätestens aber bei einer Ausweitung der Befugnisse von Europol – dem EuGH die Kompetenz übertragen werden, über eine Aufhebung der Immunität nach Art. 12 Abs. 2 Europol-Immunitätenprotokoll zu entscheiden. Alternativ könnte dem EuGH – als dringend gebotene Minimalmaßnahme zur Verbesserung der „rechtsstaatlichen Verträglichkeit“ der Exemtionsregelungen – die Zuständigkeit für eine Überprüfung und gegebenenfalls Kassation einer ablehnenden Entscheidung über ein Aufhebungsbegehren durch eine entsprechende Modifikation des Art. 13 Europol-Immunitätenprotokoll übertragen werden, zumal eine Überprüfung des Art. 13 ohnehin in Art. 17 Abs. 2 Satz 2 EuropolImmunitätenprotokoll vorgesehen ist.
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III. Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen gegenüber Drittstaaten und internationalen Strafgerichtshöfen 1. Exemtionen gegenüber Drittstaaten Normalerweise genießen Funktionsträger internationaler Organisationen gegenüber Drittstaaten keine Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, dürfen also von den Staaten, die nicht Mitglied der betreffenden Organisation sind, ohne Einschränkungen durch völkerrechtliche Exemtionen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Denn die Exemtionen, die in den Gründungsverträgen internationaler Organisationen oder in besonderen Verträgen über Vorrechte und Befreiungen normiert sind, binden Drittstaaten nicht, weil sie nicht Parteien dieser Verträge sind.476 Zudem gibt es keine völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionsregelungen (an die grundsätzlich auch Drittstaaten gebunden sein könnten);477 auch gilt die Staatenimmunität nicht zugunsten internationaler Organisationen.478 Drittstaaten müssen daher Funktionsträgern internationaler Organisationen nur dann Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gewähren, wenn sie sich selbst völkervertraglich entsprechend verpflichtet haben.479 Zum Abschluß solcher Verträge besteht aber in aller Regel kein Anlaß.480 Wie bereits oben in § 19 I.2.c)dd) erwähnt, werden solche Verträge allerdings dann zwischen Drittstaaten und internationalen Organisationen geschlossen, wenn – was selten der Fall ist – eine Organisation im Gebiet eines Drittstaates mit dessen Einverständnis eine ständige Vertretung errichtet. Die Europäische Union beispielsweise hat ständige Interessenvertretungen bei 123 Regierungen, unter anderem in Australien, Japan, Kanada, Rußland und den USA.481 Diese Vertretungen ___________ 476 Vgl. oben § 19 I.1.d). Wie schon in Anm. 46 erwähnt wurde, wird allerdings zum Teil angenommen, daß die Exemtionen nach Art. 105 UN-Charta aufgrund der vom IGH angenommenen objektiven Völkerrechtssubjektivität der UN (vgl. oben Anm. 44) auch für Drittstaaten beachtlich sind; so etwa Szasz/Ingadottir, LJIL 14 (2001), 867 (869). 477 Vgl. oben § 19 I.2.a). Allerdings gehen diejenigen, die eine völkergewohnheitsrechtliche Geltung von Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen annehmen, davon aus, daß diese allein die jeweiligen Mitgliedstaaten, nicht aber Drittstaaten verpflichten. Vgl. Amerasinghe, Institutional Law of International Organizations, S. 402; Bekker, Legal Position of Intergovernmental Organizations, S. 150; Seidl-Hohenveldern/ Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1906. 478 Vgl. oben § 19 I.3.a). 479 Vgl. oben § 19 I.1.d). 480 Vgl. oben § 19 I.2.c)dd). 481 Vgl. Kokott, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 281 Rn. 33; Simma/Vedder, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Recht der Europäischen Union, Bd. III, Art. 281 EGV Rn. 16. Hinzu kommen fünf Delegationen bei anderen internationalen Organisationen; vgl. Simma/ Vedder, a.a.O. Allgemeine Informationen über die Vertretungen der EU in Drittstaaten sind abrufbar unter (31.3.2006).
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firmieren allerdings nicht als „diplomatische Missionen der EU“, sondern sind völkerrechtlich betrachtet Delegationen der Kommission.482 Mit den Empfangsstaaten hat die EU-Kommission jeweils Vereinbarungen über die Rechtsstellung der EGRepräsentanzen und ihrer Mitglieder getroffen. Da die ständigen Repräsentanzen internationaler Organisationen in Drittstaaten von ihrer Aufgabe und Personalstruktur her den diplomatischen Missionen von Staaten vergleichbar sind, werden in den völkervertraglichen Vereinbarungen zwischen internationalen Organisationen und Drittstaaten normalerweise entweder solche Regelungen getroffen, wie sie das WÜD für diplomatische Missionen und deren Mitglieder festlegt, oder aber pauschal die Regelungen des WÜD für anwendbar erklärt. Die Reichweite der den Funktionsträgern einer Organisation zukommenden Exemtionen von der Strafgewalt des Drittstaates, in dem sie „stationiert“ sind, stimmt damit regelmäßig mit der Reichweite der Exemtionen überein, die entsprechende Mitglieder diplomatischer Missionen im Empfangsstaat nach dem WÜD genießen. Dies gilt auch für die Missionen der EU-Kommission in Drittstaaten.483 In den Vereinbarungen der EU-Kommission mit Drittstaaten über die Rechtsstellung der Vertreter der EU wird regelmäßig folgende Klausel aufgenommen: “The Delegation of the Commission, its Head and its members, as well as the members of their families forming part of their respective households, shall, on the territory of [Name des betreffenden Staates], enjoy such rights, privileges and immunities and be subject to such obligations as correspond to those laid down in the Vienna Convention on Diplomatic Relations of 18 April 1961 and respectively accorded to and assumed by Diplomatic Missions accredited to [Name des betreffenden Staates], the heads and members of those Missions, as well as the members of their families forming part of their respective households.”484
Dies bedeutet, daß die Mitglieder des „diplomatischen Personals“ einer ständigen Repräsentanz einer internationalen Organisation sowie die Mitglieder des „Verwaltungs- und technischen Personals“ – also beispielsweise Sekretärinnen – regelmäßig Unverletzlichkeit entsprechend der in Art. 29 WÜD festgelegten genie___________ 482 Vgl. Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 100; Kokott, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 281 Rn. 34; Tomuschat, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. 281 EG Rn. 23. Allgemein zum „aktiven Gesandtschaftsrecht“ der Europäischen Gemeinschaften Bothe, ZaöRV 37 (1977), 122 (133). 483 Vgl. Bothe, ZaöRV 37 (1977), 122 (133); Kokott, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 281 Rn. 39; Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 1836; Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. 291 EG Rn. 57; Simma/Vedder, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Recht der Europäischen Union, Bd. III, Art. 281 EGV Rn. 16 (jeweils bezogen auf die Vertretungen der EG-Kommission in Drittstaaten). Vgl. auch exemplarisch die Angaben auf den Websites der EU-Vertretungen in Australien (31.3.2006) und in den USA (31.3.2006). 484 Mitteilung der Europäischen Kommission, DG External Relations, K1, an den Verf. vom 16.7.2003.
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ßen und ihnen Immunität ratione personae von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates entsprechend der Immunität von Diplomaten nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD zukommt. Diejenigen Bediensteten einer internationalen Organisation, die als Mitglieder einer ständigen Repräsentanz in einem Drittstaat fungieren, genießen damit in der Regel umfassendere Exemtionen (von der Strafgewalt des Drittstaates) als „normale“ Bedienstete (von der Strafgewalt der Mitgliedstaaten der Organisation). Dies ist, gerade dann, wenn – wie das normalerweise der Fall ist – solche ständigen Repräsentanzen lediglich in „befreundeten“ Staaten eingerichtet werden, völkerrechtspolitisch nicht unbedingt geboten, soll aber der Tatsache Rechnung tragen, daß diese Bediensten wie Diplomaten tätig sind. 2. Exemtionen gegenüber internationalen Strafgerichtshöfen a) Exemtionen gegenüber der Gerichtsbarkeit des IStGH Nach dem Wortlaut des Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut485 sind auch die völkerrechtlichen Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen für den IStGH irrelevant. Doch ist ebenso wie bei den bereits betrachteten anderen Exemtionen auch hier zu fragen, ob dieser generelle Exemtionsausschluß völkerrechtskonform ist. Diese Frage ist unproblematisch in bezug auf die Funktionsträger solcher internationaler Organisationen zu bejahen, deren Mitgliedstaaten – wie dies beispielsweise bei den Europäischen Gemeinschaften der Fall ist – alle zugleich auch Mitgliedstaaten des Römischen Statuts sind. Dann wird man annehmen dürfen, daß sich alle Mitgliedstaaten der Organisation mit ihrer Ratifikation des Römischen Statuts auch mit dem Exemtionsausschluß einverstanden erklärt haben, also gewissermaßen auf die Exemtionen für die Funktionsträger der Organisation, über die sie als Träger der Organisation gemeinsam und einvernehmlich disponieren dürfen, in bezug auf die Gerichtsbarkeit des IStGH „verzichtet“ haben.486 Diese „Verzichtsargumentation“ greift aber dann nicht, wenn ein Mitgliedstaat oder mehrere Mitgliedstaaten einer Organisation nicht auch zugleich Vertragsstaaten des Römischen Statuts sind. Doch auch in einem solchen Fall sind – von einer noch zu erläuternden Ausnahme abgesehen – die völkervertraglich festgelegten Exemtionen für die Funktionsträger einer internationalen Organisation für den IStGH unbeachtlich. Dies liegt daran, daß die Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen grundsätzlich nur die Mitgliedstaaten der betreffenden Organisation als Parteien des Vertrags verpflichten, in dem die Exemtionen nor___________ 485 486
Vgl. oben Anm. 18. A.A. aber Akande, AJIL 98 (2004), 407 (430).
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miert sind. Für Drittstaaten sind diese Exemtionen – wie soeben in § 19 III.1. gezeigt – grundsätzlich unbeachtlich. Wenn man nun davon ausgeht, daß jeder Staat nach dem Weltrechtsprinzip zu einer nationalen Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen berechtigt ist,487 so darf grundsätzlich jeder Drittstaat einen Funktionsträger einer internationalen Organisation wegen völkerrechtlicher Verbrechen zur Verantwortung ziehen. Damit aber kann er diese ihm zukommende und nicht durch Exemtionen beschränkte nationale Strafverfolgungskompetenz an den IStGH delegieren. In dem Fall, daß nicht alle Mitgliedstaaten einer internationalen Organisation gleichzeitig auch Vertragsstaaten des Römischen Statuts sind, können zwar diese selbst gegebenenfalls aufgrund der sie verpflichtenden völkervertraglichen Exemtionen Funktionsträger der Organisation nicht wegen völkerrechtlicher Verbrechen verfolgen. Damit können sie auch keine Verfolgungskompetenz an den IStGH delegieren. Der IStGH kann in einem solchen Fall seine Verfolgungskompetenz aber immer noch aus der nationalen Verfolgungskompetenz derjenigen seiner Mitgliedstaaten ableiten, die in bezug auf die in Frage stehende internationale Organisation Drittstaaten sind.488 Da mittlerweile 100 Staaten aus allen Regionen der Welt das Römische Statut ratifiziert haben, internationale Organisationen aber regelmäßig einen sehr begrenzten Mitgliederkreis haben, dürfte in fast allen Konstellationen ein Staat „zu finden sein“, der nicht Mitgliedstaat der Organisation ist, um deren Funktionsträger es geht, wohl aber Vertragsstaat des Römischen Statuts. Diese Begründung der Irrelevanz völkervertraglicher Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen für den IStGH und damit der Völkerrechtskonformität des Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut ist allerdings dann untauglich, wenn eine internationale Organisation über einen so großen Mitgliederkreis verfügt, daß kein Drittstaat mehr „übrigbleibt“, der an die völkervertraglichen Exemtionen für die Funktionsträger dieser Organisation nicht gebunden ist, aber Mitglied des IStGH-Statuts ist und so diesem seine Strafverfolgungskompetenz übertragen kann, gleichwohl aber nicht alle Mitgliedstaaten der Organisation auch Vertragsstaaten des Römischen Statuts sind. Wenn – umgekehrt gesprochen – alle Staaten, die Mit___________ Diese Auffassung liegt dem deutschen VStGB zugrunde (vgl. § 1 VStGB und BTDrucks. 14/8524, S. 11 [14]) und wird auch in der (deutschen) Literatur fast ausnahmslos vertreten. Vgl. Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 252 ff. m.w.N. 488 Unzulässig wäre es, allein aufgrund der Tatsache, daß die Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen nur für die Mitgliedstaaten der betreffenden Organisation verbindlich sind, der IStGH aber die Eigenschaft eines „Mitgliedstaates“ nicht besitzt, die Unbeachtlichkeit sämtlicher Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen für den IStGH anzunehmen. Denn der IStGH als eine von einzelnen Staaten getragene internationale Organisation kann nur insoweit Kompetenzen gegenüber einzelnen Staaten oder Organisationen haben, als zumindest einer seiner Mitgliedstaaten eine solche Kompetenz hat. Daher ist es erforderlich zu fragen, ob im konkreten Fall ein Mitgliedstaat des IStGH eine eigene nicht durch Exemtionen beschränkte nationale Strafverfolgungskompetenz hat, die er an den IStGH durch Zustimmung zum Römischen Statut übertragen konnte. 487
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glieder des Römischen Statuts sind, auch Mitglieder der Organisation sind, um dessen Funktionsträger es geht, diese aber zudem über Mitglieder verfügt, die nicht Mitglieder des Römischen Statuts sind, dann kann der IStGH seine Strafkompetenz nur aus der Strafkompetenz der Mitgliedstaaten der Organisation ableiten; diese aber haben aufgrund der für sie verpflichtenden Exemtion keine Kompetenz, den Funktionsträger selbst zu verfolgen, sondern sind denjenigen anderen Mitgliedstaaten gegenüber, die nicht Vertragsstaaten des Römischen Statuts sind, zur Beachtung der Exemtion verpflichtet. Dann kann auch der IStGH keine Strafverfolgung betreiben und ist an die Exemtion gebunden. Eine solche Konstellation besteht bei den Vereinten Nationen. Bis auf die Demokratische Republik Westsahara, die Republik China (Taiwan) und die Vatikanstadt sind alle Staaten der Welt Mitglieder der Vereinten Nationen und damit an die Exemtionen für die Funktionsträger der Vereinten Nationen zumindest über Art. 105 Abs. 2 UN-Charta gebunden.489 Die drei Nichtmitglieder sind jedoch nicht Mitgliedstaaten des Römischen Statuts.490 Diese Konstellation kann anhand eines Beispiels verdeutlicht werden: Die USA sind Mitglied der Vereinten Nationen. Als solches haben sie gegenüber allen anderen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen einen Anspruch, daß diese die den Funktionsträgern der Vereinten Nationen aufgrund von Art. 105 Abs. 2 UN-Charta bzw. des UN-Immunitäten-Übereinkommens zukommenden Exemtionen beachten und keine Strafverfolgung im Widerspruch zu diesen Exemtionen durchführen. Andere Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen können also nicht einfach dadurch, daß sie ohne Mitwirkung zumindest eines „Nicht-UN-Staates“ ein internationales Gericht – den IStGH – gründen und dieses mit Strafverfolgungskompetenzen ausstatten, die sie selber nicht haben, die ihnen (den USA gegenüber) obliegende Pflicht zur Gewährung von Exemtionen umgehen.491 Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut muß daher völkerrechtskonform dahingehend eingeschränkt werden, daß Funktionsträger der Vereinten Nationen von dem Immunitätsausschluß ausgenommen sind.492 Funktionsträger der Vereinten Nationen dürfen also, sofern die ihnen vorgeworfene Tat von einer ihnen zukommenden Exemtion erfaßt wird, nur dann vom IStGH verfolgt werden, wenn der Generalsekretär der Vereinten Nationen zuvor auf die Exemtion verzichtet hat.493 Ein solcher Verzicht dürfte aber dann, wenn der Ankläger des IStGH ein Verfahren einleiten will, ohne weiteres erklärt werden. Das Relationship Agreement between the Court ___________ Vgl. oben § 19 I.2.c)aa). Vgl. zum Ratifizierungsstand (31.3.2006). 491 So auch Szasz/Ingadottir, LJIL 14 (2001), 867 (870). 492 So auch Szasz/Ingadottir, LJIL 14 (2001), 867 (869 f., 880 ff.). Siehe ferner Akande, AJIL 98 (2004), 407 (430). 493 Vgl. Art. V Abschn. 20 UN-Immunitäten-Übereinkommen. 489 490
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and the United Nations vom 4. Oktober 2004494 verpflichtet den UN-Generalsekretär sogar, gegebenenfalls einen Exemtionsverzicht zu erklären. Mit diesem Übereinkommen wird von den Vertragsstaaten des Römischen Statuts im übrigen auch die hier vertretene Auffassung anerkannt, daß die Exemtionen für Funktionsträger der Vereinten Nationen grundsätzlich auch gegenüber dem IStGH gelten, Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut diese also nicht völkerrechtskonform für unbeachtlich erklären kann.495 In Art. 19 des Agreements heißt es: “If the Court seeks to exercise its jurisdiction over a person who is alleged to be criminally responsible for a crime within the jurisdiction of the Court and if, in the circumstances, such person enjoys, according to the Convention on the Privileges and Immunities of the United Nations and the relevant rules of international law, any privileges and immunities as are necessary for the independent exercise of his or her work for the United Nations, the United Nations undertakes to cooperate fully with the Court and to take all necessary measures to allow the Court to exercise its jurisdiction, in particular by waiving such privileges and immunities in accordance with the Convention on the Privileges and Immunities of the United Nations and the relevant rules of international law.”496
Das hier erörterte „Problem“ dürfte somit wohl vor allem ein theoretisches sein. Praktische Bedeutung hat es jedoch insofern, als der Ankläger des IStGH vor Aufnahme von Ermittlungen um einen solchen Verzicht zu ersuchen und die Verzichtserklärung abzuwarten hat. Allerdings ist auch in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß nur in den seltensten Fällen ein von einem Funktionsträger der Vereinten Nationen begangenes völkerrechtliches Verbrechen überhaupt in den Schutzbereich einer dieser zukommenden Exemtion fallen dürfte. Da die Funktionsträger der Vereinten Nationen nach Art. 105 Abs. 2 UN-Charta und Art. V Abschn. 18 lit. a) UN-Immunitäten-Übereinkommen grundsätzlich lediglich Immunität ratione materiae genießen, können nur solche völkerrechtlichen Verbrechen, die als Diensthandlungen für die Vereinten Nationen zu bewerten sind, überhaupt in den Schutzbereich der ihnen zukommenden Exemtion fallen.497 Damit dürfte die hier erörterte Problematik allein für UN-(Blauhelm-)Soldaten Relevanz erlangen können. Diese dürfen für im Rahmen ihrer Tätigkeit als UN-Soldaten begangene völkerrechtliche Verbrechen vom IStGH nur mit Einverständnis des UNGeneralsekretärs verfolgt werden.498 ___________ 494 Das Übereinkommen wurde am 4.10.2004 vom UN-Generalsekretär und dem Präsidenten des IStGH geschlossen und trat sofort mit Unterzeichnung am selben Tage in Kraft. Abrufbar im Internet unter (31.3.2006). 495 Vgl. ausführlich zu den Regelungen über die Exemtionen der Vereinten Nationen im Relationship Agreement Szasz/Ingadottir, LJIL 14 (2001), 867 (868 ff.). 496 Anzumerken ist, daß diese Formulierung keine unmittelbare pauschale Verzichtserklärung darstellt, sondern lediglich eine Verpflichtung für die Vereinten Nationen normiert, im Einzelfall einen Verzicht zu erklären. So auch Akande, AJIL 98 (2004), 407 (430); Szasz/Ingadottir, LJIL 14 (2001), 867 (882). 497 So auch Szasz/Ingadottir, LJIL 14 (2001), 867 (880). 498 So auch Szasz/Ingadottir, LJIL 14 (2001), 867 (880 f.). Vgl. hierzu auch die Ausführungen unten bei § 20 VI.2.
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Eine weitere Besonderheit gilt für Funktionsträger des IStGH selbst. Wie oben in § 19 II.4.a)bb) und 4.b) geschildert, genießen die Richter und sonstigen Bediensteten des IStGH gewisse Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Es stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut zu diesen in Art. 48 IStGH-Statut und dem IStGH-Immunitäten-Übereinkommen normierten Exemtionen steht. Diesbezüglich kann man nicht ohne weiteres von einem „Verzicht“ der Mitgliedstaaten der Organisation auf die den Bediensteten des IStGH zukommenden Exemtionen sprechen, schließlich sind diese zeitgleich mit dem generellen Exemtionsausschluß des Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut in ein und demselben Vertrag normiert worden. Daher ist – was allerdings eine wohl rein theoretische Überlegung ist – zu fragen, welcher Norm dann, wenn einem Bediensteten des IStGH die Begehung eines völkerrechtlichen Verbrechens vorgeworfen wird, der Vorrang einzuräumen ist – Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut oder Art. 48 IStGH-Statut i.V.m. dem IStGH-Immunitäten-Übereinkommen. Da Sinn und Zweck der Exemtionen für Funktionsträger ist, diese vor einer unlauteren Einflußnahme durch die Mitgliedstaaten zu bewahren und damit letztlich die Funktionsfähigkeit der Organisation zu schützen, bedarf es keines Schutzes der Funktionsträger durch Exemtionen vor der Strafgewalt ihrer eigenen Organisation. Daher könnte zugunsten eines Vorrangs des Art. 48 IStGH-Statut und des IStGHImmunitäten-Übereinkommens lediglich angeführt werden, daß mit den Exemtionen verhindert werde, daß der Ankläger unlauteren Einfluß auf die Richter oder Mitglieder der Kanzlei ausüben könne. Die Exemtionen des Art. 48 IStGH-Statut und des IStGH-Immunitäten-Übereinkommens würden, wenn sie auch gegenüber der Gerichtsbarkeit des IStGH gälten, im Sinne von “checks and balances” eine interne Gewaltenteilung beim Gerichtshof schützen. Doch bedarf es dafür nicht des Schutzes durch die Exemtionen des Art. 48 IStGH-Statut und des IStGH-Immunitäten-Übereinkommens. Denn eine ausreichende Kontrolle der Tätigkeit des Anklägers ist bereits durch Art. 15 Abs. 3 IStGH-Statut sichergestellt, wonach die Aufnahme von Ermittlungen der Zustimmung durch die Vorverfahrenskammer bedarf. Daraus folgt, daß die Exemtionen für Funktionsträger des IStGH gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des IStGH nicht gelten. b) Exemtionen gegenüber der Gerichtsbarkeit des ICTY und des ICTR Gegenüber der Strafgerichtsbarkeit der UN-Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda können Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen nicht geltend gemacht werden. Der generelle Exemtionsausschluß in Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 2 ICTR-Statut ist auch insofern, als er Bedienstete internationaler Organisationen erfaßt, völkerrechtskonform. Entscheidend für diese Bewertung ist, daß der ICTY und der ICTR vom UNSicherheitsrat auf der Basis von Kapitel VII UN-Charta als Hilfsorgane des UNSicherheitsrates gegründet wurden und sich die Staaten gemäß Art. 25 UN-Charta
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verpflichtet haben, Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates zu akzeptieren und zu befolgen.499 Daraus resultiert nicht nur, daß – wie schon oben dargelegt – die Staaten die in ihrem Interesse gewährten völkerrechtlichen Exemtionen der Gerichtsbarkeit der UN-Strafgerichtshöfe nicht entgegenhalten können, sondern auch, daß die von einzelnen Staaten getragenen internationalen Organisationen dies in bezug auf die Exemtionen ihrer Funktionsträger nicht können. Denn internationale Organisationen als Institutionen, die von einzelnen Staaten gegründet wurden, können nicht weitergehende Rechte haben als die Staaten selbst.
IV. Exemtionen für Vertreter von Mitgliedstaaten bei internationalen Organisationen 1. Zur Schwierigkeit eines Interessenausgleichs aufgrund der Trilateralität der Beziehungen Besondere Schwierigkeiten bei der Festlegung strafrechtlicher Exemtionen für Staatenvertreter bei internationalen Organisationen bereitet – unabhängig davon, ob es sich um Staatenvertreter aus Mitgliedstaaten oder aus Drittstaaten handelt – die Trilateralität der Rechtsbeziehungen.500 Internationale Organisationen verfügen anders als Staaten über kein eigenes Territorium. Ihre räumliche Infrastruktur – ihr Sitz – befindet sich vielmehr im Gebiet eines oder mehrerer ihrer Mitgliedstaaten. Zudem üben internationale Organisationen keine eigene Strafgewalt aus – sieht man einmal vom IStGH und den beiden UN-Tribunalen ab, deren Strafgewalt aber nur auf völkerrechtliche Verbrechen bezogen und auch in sonstiger Weise eng begrenzt ist und damit hier außer Betracht bleiben kann. Insofern handelt es sich bei den völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit für Staatenvertreter bei einer internationalen Organisation nicht um Freistellungen von einer Strafgewalt der Organisation selbst, sondern stets um eine Befreiung von der Strafgewalt einzelner Staaten. Vor allem geht es dabei um die Strafgewalt der Sitzstaaten. Denn während ihrer Tätigkeit bei der Organisation halten sich die Staatenvertreter in aller Regel an deren Sitz und damit im Staatsgebiet des Sitzstaates auf, sind also grundsätzlich der territorialen Strafgewalt und strafprozessualen Zugriffskompetenz des Sitzstaates ausgesetzt. ___________ Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 381, 445; Herdegen, Völkerrecht, § 20 Rn. 3; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 150 f. 500 Vgl. El-Erian, YBILC 1967 II, 133 (141) (UN-Dokument A/CN.4./195): “However, in diplomacy within an international organization, the relationship is a tripartite legal position which involves the sending State, the international organization and the host State in whose territory the representative of the sending State or the international organization and its personnel enjoy the legal status conceded to them.” 499
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Damit die Vertreter einzelner Staaten bei einer internationalen Organisation ihrer Arbeit in den Organen der Organisation bzw. ihrer Aufgabe der Wahrnehmung der Interessen ihres Entsendestaates gegenüber der Organisation nachkommen können, werden ihnen Exemtionen von der Strafgewalt des Sitzstaates und gegebenenfalls – etwa zur Sicherung der Anreise zum Sitz der Organisation und einer Rückreise in den Heimatstaat – auch von der Strafgewalt anderer Mitgliedstaaten der Organisation gewährt. Kurz gesagt: Zugunsten des Entsendestaates und im Interesse der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Organisation verzichten der Sitzstaat und gegebenenfalls andere Mitgliedstaaten teilweise auf die ihnen an sich zustehende Strafgewalt. Die Rechtsbeziehungen im Bereich der strafrechtlichen Exemtionen für Staatenvertreter bei internationalen Organisationen sind also trilateraler Natur; beteiligt sind jeweils der Entsendestaat, die internationale Organisation und der Staat, dessen Strafgewalt in Frage steht, in aller Regel der Sitzstaat der Organisation. Diese Situation macht einen echten Interessenausgleich schwierig, wenn nicht sogar unmöglich.501 Das zeigt sich vor allem, wenn man zum Vergleich einen Blick auf die diplomatischen Beziehungen zwischen Staaten wirft. Bei der Entwicklung des Rechts der (bilateralen) diplomatischen Beziehungen zwischen den Staaten war es möglich, einen echten Interessenausgleich zwischen dem Entsende- und dem Empfangsstaat zu erzielen. Während den Interessen des Entsendestaates vom WÜD mit der Gewährung weitreichender Exemtionen für seine Vertreter von der Staatsgewalt des Empfangsstaates Rechnung getragen wird,502 werden die Interessen des Empfangsstaates dadurch hinreichend berücksichtigt, daß diesem die Möglichkeit zukommt, für ihn inakzeptable Personen abzulehnen. Der Empfangsstaat braucht also nur solchen Personen Exemtionen zu gewähren, mit deren Entsendung er einverstanden ist. So benötigt der Chef einer diplomatischen Mission gemäß Art. 4 WÜD ein Agrément des Empfangsstaates.503 Sonstige Mitglieder einer diplomatischen Mission kann der Entsendestaat zwar grundsätzlich frei ernennen (vgl. Art. 7 WÜD), doch ist der Empfangsstaat befugt, jederzeit eine für ihn nicht akzeptable Person ohne Angabe von Gründen zur persona non grata bzw. „nicht genehmen Person“ zu erklären und damit ihre Ausreise bzw. die Aufhebung ihrer Vorrechte und Befreiungen zu erzwingen (vgl. Art. 9 i.V.m. Art. 39 Abs. 2 und Art. 43 lit. b) WÜD).504 Zudem sind die bilateralen diplomatischen Beziehungen zwischen den Staaten von ihrer Reziprozität geprägt; ein Entsendestaat ist in aller Regel zugleich Empfangsstaat und umgekehrt. Die für den Empfangsstaat mit der Pflicht zur Gewährung von Exemtionen für Mitglieder der Mission des Entsendestaates verbundene Einschränkung seiner Gebietshoheit ___________ 501 502 503 504
Vgl. hierzu auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 299. Vgl. die Darstellung oben bei § 13 I. Vgl. oben § 12 III.2.a). Vgl. oben § 12 III.2.b)bb).
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ist auch deshalb für ihn in aller Regel hinnehmbar, weil die Mitglieder seiner eigenen diplomatischen Mission im anderen Staat in gleichem Umfang von dessen Hoheitsgewalt befreit sind. Ganz anders ist die Situation im Hinblick auf die Entsendung von Staatenvertretern zu internationalen Organisationen. Der jeweilige Entsendestaat hat nicht nur ein berechtigtes Interesse daran, daß seinen Staatenvertretern, damit diese unbeeinflußt von anderen Staaten ihre Aufgaben bei einer internationalen Organisation wahrnehmen können, Exemtionen von der Strafgewalt des Sitzstaates und anderer Mitgliedstaaten der Organisation zuerkannt werden, sondern er hat auch in weitaus stärkerem Maße als im Bereich der diplomatischen Beziehungen zwischen einzelnen Staaten ein berechtigtes Interesse daran, frei entscheiden zu können, welche Personen er mit der Aufgabe betraut, seine Interessen gegenüber einer Organisation und in deren Organen zu vertreten. Dies gilt jedenfalls für die Staatenvertreter aus den Mitgliedstaaten einer Organisation. Internationale Organisationen haben regelmäßig Organe, die sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzen, die dazu berufen sind, die Partikularinteressen der einzelnen Staaten zum Ausdruck zu bringen. Zumeist können diese Organe auch für die Mitgliedstaaten verbindliche Beschlüsse fassen. Dann aber ist es unabdingbar für das Funktionieren der Organisation, daß diese Staatenvertreter von ihrem Staat frei bestimmt werden können. Damit unvereinbar wäre eine Befugnis des Sitzstaates der Organisation, bestimmten Staatenvertretern eine Einreise in sein Staatsgebiet oder einen dortigen Aufenthalt zum Zweck der Aufgabenwahrnehmung bei der Organisation zu untersagen. Das Eigeninteresse der internationalen Organisationen stimmt mit dem der Entsendestaaten überein. Eine internationale Organisation kann nur dann effektiv arbeiten und eine Akzeptanz ihrer Tätigkeit und der von ihren Organen gefaßten Beschlüsse ist nur dann gewährleistet, wenn jeder Mitgliedstaat davon überzeugt ist, in gleicher Weise wie andere Mitgliedstaaten auf die Tätigkeit der Organisation Einfluß nehmen zu können, also sichergestellt ist, daß nicht ein Staat – namentlich der Sitzstaat – durch Zurückweisung einzelner Staatenvertreter in besonderer Weise Einfluß auf die Tätigkeit der Organisation ausüben kann. Das berechtigte, ja sogar zwingende Interesse der Entsendestaaten von Staatenvertretern sowie der Organisation selbst geht also dahin, daß der Sitzstaat und andere Mitgliedstaaten den Staatenvertretern nicht nur Exemtionen von ihrer Strafgerichtsbarkeit zubilligen, sondern es ihnen zudem untersagt ist, auf die Auswahl der Staatenvertreter Einfluß zu nehmen oder ihnen eine Einreise oder einen Aufenthalt in ihrem Staatsgebiet, die bzw. der im Zusammenhang mit der Tätigkeit bei der Organisation steht, zu verbieten. Naturgemäß widerstreiten diese Interessen der Entsendestaaten und der Organisationen den Interessen des jeweiligen Sitzstaates und der anderen zur Exemtionsgewährung verpflichteten Staaten. Denn wenn diese einerseits den Staatenvertretern Exemtionen von ihrer Strafgewalt gewähren müssen, andererseits aber anders als im Diplomatenrecht nicht die als Korrektiv für die Exemtionen zu verstehende
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Möglichkeit haben, für sie inakzeptable Vertreter abzulehnen, so heißt dies, daß sie den Aufenthalt von Personen in ihrem Staatsgebiet dulden müssen, ohne irgendeine Möglichkeit eines (strafrechtlichen) Tätigwerdens zu haben. Es ist daher verständlich, daß sich die Sitzstaaten in aller Regel mit einer weitreichenden Einschränkung ihrer Hoheitsgewalt schwertun. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß auch die bislang nicht in Kraft getretene Convention on the Representation of States in Their Relations with International Organizations of a Universal Character505 die Sitzstaaten zur Gewährung von Exemtionen für Staatenvertreter verpflichtet, ohne ihnen im Gegenzug die Möglichkeit einer Einflußnahme auf die Auswahl von Staatenvertretern oder einer „Ausweisung“ einzelner Personen einzuräumen und auch deshalb die Konvention von den meisten der Staaten, die Sitzstaaten einer internationalen Organisation sind, abgelehnt wird.506 Allerdings verweisen die Entsendestaaten von Staatenvertretern nicht zu Unrecht darauf, daß sich alle Sitzstaaten freiwillig bereit erklärt haben, eine internationale Organisation zu beherbergen, der Status als Sitzstaat mit einem erheblichen Zuwachs internationalen Renommees für diesen Staat sowie regelmäßig mit wirtschaftlichen Vorteilen verbunden ist und ein Entsendestaat aufgrund der drohenden politischen Implikationen schon in seinem eigenen Interesse keine Person als seinen Vertreter bei einer internationalen Organisation einsetzen wird, die – etwa weil ihr die Begehung einer gravierenden Straftat vorgeworfen wird – für den Sitzstaat und damit regelmäßig auch für etliche andere Mitgliedstaaten der betreffenden Organisation absolut inakzeptabel ist.507 2. Übereinstimmende Grundstrukturen der Exemtionsregelungen a) Das Fehlen einer Befugnis der Sitzstaaten und Transitstaaten zur Ablehnung bestimmter Personen als Staatenvertreter Die für einzelne internationale Organisationen geltenden Verträge gewähren den Sitzstaaten aus den soeben genannten Gründen in aller Regel keine Möglichkeit, auf die Auswahl von Staatenvertretern Einfluß zu nehmen oder bestimmte Personen als Staatenvertreter abzulehnen. Ein Agrément, wie es Art. 4 WÜD für die Leiter diplomatischer Missionen vorsieht, dürfen die Sitzstaaten für Staatenvertreter bei internationalen Organisationen nicht verlangen. Auch haben die Sitzstaaten in aller Regel keine Möglichkeit, die Tätigkeit einer bestimmten Person als Staatenvertreter bei einer internationalen Organisation durch ihre Erklärung zur persona non grata oder „nicht genehmen Person“ zu beenden; eine dem Art. 9 WÜD ent___________ Vgl. oben Anm. 71. Vgl. oben § 19 I.2.b). 507 Vgl. El-Erian, YBILC 1967 II, 133 (141) (UN-Dokument A/CN.4./195); Köck/ Fischer/Lengauer, Recht der Internationalen Organisationen, S. 583 f. 505 506
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sprechende Befugnis wird ihnen nicht eingeräumt.508 Dennoch verpflichten die einschlägigen Verträge die Sitzstaaten zur Gewährung von Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Gleiches gilt regelmäßig auch für die anderen Mitgliedstaaten einer internationalen Organisation in ihrer Funktion als Transitstaaten. Diesen wird vielfach die Pflicht auferlegt, die Durchreise von Staatenvertretern aus anderen Mitgliedstaaten zu dulden und diesen Exemtionen von ihrer Strafgewalt zu gewähren, ohne daß ihnen die Befugnis eingeräumt wird, bestimmten Staatenvertretern einen Aufenthalt in ihrem Hoheitsgebiet zum Zweck einer Durchreise zu versagen. b) Zur Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Staatenvertretern Die völkervertraglichen Normen über Exemtionen für Staatenvertreter bei internationalen Organisationen differenzieren zwischen zwei Arten von Vertretern, und zwar zwischen „temporären Staatenvertretern“ auf der einen Seite und „ständigen Staatenvertretern“ auf der anderen Seite. Die Reichweite der diesen beiden Kategorien von Staatenvertretern zukommenden Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit ist regelmäßig unterschiedlich. aa) Temporäre Staatenvertreter Als „temporäre Staatenvertreter“ werden zum einen diejenigen Gesandten bezeichnet, die ihren Staat in den Organen einer Organisation vertreten, also dort die ihrem Staat zukommenden mitgliedschaftlichen Rechte wahrnehmen oder als Beobachter ihres Staates an einer Sitzung eines Organs teilnehmen. Zum anderen sind temporäre Vertreter die Gesandten, die als Delegierte ihres Staates an einer Konferenz oder Tagung teilnehmen, die von einer internationalen Organisation (mit-) veranstaltet wird. Zwar unterteilt sich die Gruppe der temporären Staatenvertreter insofern noch einmal in zwei Untergruppen, doch wird hinsichtlich der Reichweite der Exemtionen zwischen diesen beiden Personengruppen nicht differenziert. Das entscheidende Kennzeichen der temporären Staatenvertreter ist, daß ihre Vertretungsaufgabe zeitlich eng begrenzt ist. Ihre Aufgabe ist mit Beendigung einer Sitzung oder einer Sitzungsperiode des betreffenden Organs bzw. mit Beendigung der Tagung erfüllt. Da die Organe internationaler Organisationen, deren Mitglieder ___________ Vgl. American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 470 Comment a). Allerdings gelang es den USA, daß in das 1947 mit den Vereinten Nationen geschlossene bilaterale Headquarter-Agreement (vgl. oben Anm. 114) in Article IV Section 13 (b) eine Klausel aufgenommen wurde, die den USA das Recht verleiht, Bedienstete der Vereinten Nationen und Staatenvertreter bei den Vereinten Nationen wegen in privater Eigenschaft begangener Taten nach Konsultation mit dem UN-Generalsekretär bzw. dem betreffenden Staat und nach Genehmigung durch den US-Außenminister des Landes zu verweisen. Siehe YBILC 1967 II, 154 (181 f.) (UN-Dokument A/CN.4./L.118); American Law Institute, a.a.O., § 469 Comment g), § 470 Reporters’ Note 2 f. 508
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Vertreter der einzelnen Staaten sind, normalerweise zwar regelmäßig, aber doch in größeren Zeitabständen tagen und Konferenzen internationaler Organisationen in der Regel einmalige Veranstaltungen sind, reisen die temporären Staatenvertreter normalerweise lediglich zur Wahrnehmung einer bestimmten Vertretungsaufgabe aus „ihrem“ Staat an und kehren nach Beendigung der Sitzung oder Veranstaltung in diesen zurück. bb) Ständige Staatenvertreter Mit dem Begriff „ständige Staatenvertreter“ werden dagegen diejenigen Gesandten gekennzeichnet, die unabhängig von konkreten Vertretungsaufgaben für längere Zeit am Sitz einer internationalen Organisation „stationiert“ sind und deren Funktion es ist, ihren Staat gegenüber der Organisation als ständiger Vertreter und Ansprechpartner zu repräsentieren. Ihre Aufgabe ist damit vergleichbar mit der, die Diplomaten im Rahmen bilateraler diplomatischer Beziehungen zwischen zwei Staaten zukommt. Während die Diplomaten die Interessen ihres Entsendestaates gegenüber dem Empfangsstaat vertreten, tun die ständigen Staatenvertreter dies gegenüber der internationalen Organisation, zu der sie entsandt wurden.509 Allerdings entsenden die Staaten nur zu relativ wenigen Organisationen ständige Vertreter. In den meisten Fällen wird es für ausreichend erachtet, für bestimmte Aufgaben temporäre Staatenvertreter zu entsenden. Lediglich zu großen und für die Staaten besonders wichtigen Organisationen wie den Vereinten Nationen sowie zu Organisationen, deren Aufgabe es ist, mit den Mitgliedstaaten in ständigem Kontakt zu stehen – wie beispielsweise Europol – werden ständige Vertreter entsandt.510 Zum Teil verpflichten die Gründungsverträge solcher Organisationen die Mitgliedstaaten sogar dazu, ständige Vertreter zu entsenden. So heißt es in Art. 28 Abs. 1 UN-Charta: „Der Sicherheitsrat wird so organisiert, daß er seine Aufgaben ständig wahrnehmen kann. Jedes seiner Mitglieder muß zu diesem Zweck jederzeit am Sitz der Organisation vertreten sein.“
Art. 5 Abs. 1 Europol-Übereinkommen511 bestimmt, daß jeder Mitgliedstaat mindestens einen Verbindungsbeamten zu Europol entsendet.512
___________ 509 Vgl. allgemein zu ständigen Staatenvertretern bei internationalen Organisationen Schermers/Blokker, International Institutional Law, §§ 1803 ff. 510 Zur Entstehung der Institution der ständigen Staatenvertreter bei internationalen Organisationen vgl. El-Erian, YBILC 1967 II, 133 (143 f.) (UN-Dokument A/CN.4./195). 511 Vgl. oben Anm. 421. 512 Vgl. zum Ganzen Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 37 Rn. 1.
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c) Sachliche Reichweite der Exemtionen aa) Exemtionen für temporäre Staatenvertreter Den temporären Staatenvertretern wird in der Regel eine begrenzte Unverletzlichkeit, nämlich eine Freistellung von Festnahme oder Haft, sowie Immunität ratione materiae gewährt.513 Die Freistellung von Festnahme oder Haft bedeutet, daß jede nicht nur kurzfristige Freiheitsbeschränkung untersagt ist. Dabei ist unerheblich, ob es um Maßnahmen wegen einer dienstlichen Handlung oder wegen einer „privaten“ Straftat bzw. um eine Inanspruchnahme des Staatenvertreters als Beschuldigter oder als Nichtbeschuldigter (etwa nach § 81c StPO) geht. Eine Durchsuchung der Person (nach §§ 102 f. StPO) an dem Ort, an dem sie angetroffen wurde, etwa bei einer Straßenkontrolle, ist dagegen statthaft. Die Immunität ratione materiae verbietet jegliche strafrechtliche Inanspruchnahme als Beschuldigter (also nicht nur die Einleitung und Durchführung eines Ermittlungs- oder Hauptverfahrens, sondern auch die Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen) wegen Handlungen, die in amtlicher Eigenschaft vorgenommen worden sind. Dabei sind – sofern nicht explizit eine gegenteilige Feststellung getroffen wird – nicht nur die unmittelbaren Amtshandlungen, etwa mündliche oder schriftliche Äußerungen in einem Organ der Organisation, geschützt, sondern auch sonstige Handlungen, die in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Wahrnehmung der Aufgaben als Staatenvertreter stehen und bei einer wertenden Betrachtung als Diensthandlungen zu klassifizieren sind („Amtstätigkeitsimmunität“). Familienangehörige der temporären Staatenvertreter sind normalerweise nicht durch Exemtionen geschützt. Hierfür besteht kein Anlaß, weil die Staatenvertreter lediglich zur Wahrnehmung einer bestimmten Vertretungsaufgabe für regelmäßig sehr kurze Zeiträume zur Organisation reisen. Typischerweise sehen die einschlägigen vertraglichen Bestimmungen darüber hinaus noch gewisse sachbezogene Exemtionen vor, namentlich ein Verbot einer Beschlagnahme – nicht aber unbedingt auch ein Verbot einer Durchsuchung – des persönlichen Gepäcks sowie eine Unverletzlichkeit (im Sinne eines Verbots eines strafprozessualen Zugriffs) der dienstbezogenen Papiere und Dokumente. In diesem Zusammenhang sei erneut auf folgendes hingewiesen: Die völkerrechtlich verbindlichen englischen und französischen Sprachfassungen der einschlägigen Verträge sprechen in diesem Zusammenhang regelmäßig von “inviolability for all papers and documents” bzw. „inviolabilité de tous papiers et documents“. In den – ___________ 513 Vgl. Ahluwalia, Legal Status, Privileges and Immunities, S. 160 ff.; Jenks, International Immunities, S. 85 ff. Siehe auch YBILC 1967 II, 154 (170 ff.) (UN-Dokument A/CN.4./L.118).
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völkerrechtlich nicht maßgeblichen – amtlichen deutschen Übersetzungen heißt es dagegen vielfach „Unverletzlichkeit aller Papiere und Schriftstücke“. Damit ist – jedenfalls aus heutiger Sicht – die deutsche Übersetzung zu eng geraten. Angesichts der technologischen Entwicklung wird man nämlich unter “documents” auch alle elektronischen Datenträger zu fassen haben. bb) Die Exemtionen für ständige Staatenvertreter Da die ständigen Staatenvertreter ähnliche Aufgaben haben wie diplomatische Vertreter und die ständigen Vertretungen von Staaten bei internationalen Organisationen von ihrer Struktur her diplomatischen Vertretungen entsprechen,514 aber auch, weil die Gefährdungslage der ständigen Staatenvertreter vergleichbar ist mit der diplomatischer Vertreter, werden den ständigen Staatenvertretern zumeist in dem gleichen Umfang Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gegenüber dem Sitzstaat der Organisation eingeräumt, in dem Diplomaten nach dem WÜD von der Strafgerichtsbarkeit ihres Empfangsstaates befreit sind. Auch die Exemtionen für nachgeordnetes Personal (Sekretärinnen, Fahrer, Hausmeister) sowie die sachbezogenen Exemtionen für die Räumlichkeiten und beweglichen Besitztümer einer ständigen Staatenvertretung entsprechen in der Regel den Exemtionen, die nach dem WÜD gewährt werden.515 Dies bedeutet, daß in aller Regel die ständigen Staatenvertreter der Strafgerichtsbarkeit des Sitzstaates vollständig entzogen sind. Sie genießen gleich den Diplomaten Immunität ratione personae und Unverletzlichkeit. Diese Exemtionen gelten normalerweise auch für Familienangehörige der Staatenvertreter, wenn diese im selben Haushalt wohnen, sowie für Mitglieder des „Verwaltungs- und technischen Personals“, also für nachgeordnetes Personal, das unmittelbar mit der Wahrnehmung der Aufgaben der Vertretung betraut ist, wie etwa Sekretärinnen und Übersetzer. Das „dienstliche Hauspersonal“ (Fahrer, Hausmeister) kommt dagegen typischerweise lediglich in den Genuß von Immunität ratione materiae. Die Räumlichkeiten der ständigen Staatenvertretungen sind ebenso wie ihre Papiere und Dokumente regelmäßig unverletzlich, so daß sie weder durchsucht noch beschlagnahmt werden dürfen.
___________ Vgl. El-Erian, YBILC 1967 II, 133 (140 f.) (UN-Dokument A/CN.4./195). Vgl. American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 470 Comment a); Doehring, Völkerrecht, Rn. 688; Nascimento e Silva, GYIL 21 (1978), 9 (14 ff.); Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 1811. Siehe auch YBILC 1967 II, 154 (170 ff.) (UN-Dokument A/CN.4./L.118). 514 515
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cc) Zur Frage einer Ausnahme von den Exemtionen bei völkerrechtlichen Verbrechen Aus den gleichen Gründen, aus denen die Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen bei völkerrechtlichen Verbrechen keine Ausnahme erfahren, gelten auch die völkervertraglich verankerten Exemtionen für Staatenvertreter bei internationalen Organisationen – und zwar sowohl die für temporäre als auch die für ständige Staatenvertreter – selbst dann, wenn sich der Tatvorwurf auf die Begehung eines völkerrechtlichen Verbrechens oder (sonstiger) schwerer Menschenrechtsverletzungen bezieht.516 d) Räumliche Reichweite der Exemtionen Da die Vertreter von Mitgliedstaaten bei einer internationalen Organisation allein im Interesse ihres Entsendestaates agieren, in der Regel sogar den Weisungen der Regierung des Entsendestaates unterworfen sind, benötigen sie diesem gegenüber keinen Schutz durch Exemtionen. Daher befreien die Exemtionen für Staatenvertreter nicht von der Strafgerichtsbarkeit des Entsendestaates. Dies ist in aller Regel in den einschlägigen Verträgen explizit festgelegt. Wenn eine solche Festlegung fehlt, folgt diese Beschränkung aus dem Sinn und Zweck der völkerrechtlichen Exemtionen für Staatenvertreter bei internationalen Organisationen.517 Da die Exemtionen in erster Linie im Gebiet des Sitzstaates der jeweiligen Organisation von Bedeutung sind, weil die Staatenvertreter dort ihre Aufgaben wahrzunehmen haben, gelten die Exemtionen für Staatenvertreter unabhängig davon, ob es sich um temporäre oder um ständige Staatenvertreter handelt, stets gegenüber der Hoheitsgewalt des Sitzstaates der betreffenden Organisation. Unterschiedlich geregelt ist die Geltung der Exemtionen gegenüber den weiteren Mitgliedstaaten. Freistellungen von der Strafgewalt anderer Mitgliedstaaten als dem Sitzstaat sind dann von Relevanz, wenn diese auf dem Weg zum Sitzstaat der Organisation oder auf dem Weg zurück in den Entsendestaat durchquert werden oder wenn eine Veranstaltung der Organisation – etwa eine Tagung eines Organs oder eine Konferenz – nicht im Gebiet des Sitzstaates, sondern im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates stattfindet. Bezüglich der Exemtionen gegenüber anderen Mitgliedstaaten als dem Sitzstaat ist regelmäßig zu differenzieren zwischen den temporären und den ständigen Staa___________ Vgl. daher die Ausführungen oben bei § 19 II.1.b)cc). Zur Frage, inwieweit die Exemtionen für Staatenvertreter gegenüber supranationalen Strafgerichten geltend gemacht werden können, vgl. die Ausführungen unten bei § 19 IV.2.g). 517 Vgl. Jaenicke, ZaöRV 14 (1951/52), 46 (62); Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 329; Scobbie/El-Erian, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 852; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 763. 516
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tenvertretern. Die Exemtionen für die temporären Staatenvertreter gelten normalerweise gegenüber der Hoheitsgewalt aller Mitgliedstaaten – mit Ausnahme des Entsendestaates – in gleicher Weise. Sie sind entweder im Gründungsvertrag der betreffenden Organisation oder in einem von allen Mitgliedstaaten geschlossenen besonderen Vertrag über Vorrechte und Befreiungen im Bereich der Organisation festgelegt und können daher ohne weiteres alle Mitgliedstaaten als Vertragsstaaten der Vereinbarungen verpflichten. Soweit nicht explizit in den einschlägigen vertraglichen Bestimmungen eine Begrenzung der räumlichen Reichweite festgelegt ist, gelten die Exemtionen für die temporären Staatenvertreter daher im Gebiet aller Mitgliedstaaten außer dem Entsendestaat in gleicher Weise.518 Anders ist die Rechtslage bezüglich der ständigen Staatenvertreter. Deren Exemtionen sind vielfach nicht im Gründungsvertrag oder in einem besonderen Vertrag über Vorrechte und Befreiungen normiert, sondern in einem Headquarter-Agreement zwischen der Organisation und ihrem Sitzstaat. Dann ergibt sich schon aus dem Regelungsort der Exemtionen, daß diese nur den Sitzstaat als Vertragspartei verpflichten können. Aber selbst dann, wenn Exemtionen für ständige Staatenvertreter bei einer internationalen Organisation in einem von allen Mitgliedstaaten geschlossenen Vertrag, etwa in einem besonderen Vertrag über Vorrechte und Befreiungen, festgelegt sind, heißt dies nicht, daß sie alle Mitgliedstaaten in gleicher Weise betreffen. Denn in anderen Mitgliedstaaten als dem jeweiligen Sitzstaat halten sich die Staatenvertreter normalerweise nicht auf, sie sind dort nur während einer Durchreise schutzbedürftig. Deshalb ist häufig festlegt, daß lediglich der Sitzstaat umfassende Exemtionen zu gewähren hat, die übrigen Mitgliedstaaten dagegen nur eine Unverletzlichkeit im Sinne einer Freistellung von hoheitlicher Zwangsgewalt während einer dienstlich bedingten Durchreise durch ihr Staatsgebiet. Dies gilt auch, wenn hinsichtlich der Exemtionen für ständige Staatenvertreter pauschal die für Diplomaten geltenden Regeln für anwendbar erklärt werden.519 e) Zeitliche Reichweite der Exemtionen und die Regelungen über einen Verzicht Da die Exemtionen für Staatenvertreter bei internationalen Organisationen ausschließlich dazu dienen sollen, diesen die störungsfreie Wahrnehmung ihrer Vertretungsaufgabe zu ermöglichen, sind sie grundsätzlich nur während des Zeitraums ___________ 518 So auch Scobbie/El-Erian, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 857 f.; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 763. 519 Denn die Exemtionen nach dem WÜD gelten nicht gegenüber allen Staaten in gleicher Weise, sondern grundsätzlich nur gegenüber dem Empfangsstaat. Als solcher ist bei einer entsprechenden Anwendung des WÜD nur der Sitzstaat einer Organisation anzusehen. Die übrigen Mitgliedstaaten sind damit lediglich in analoger Anwendung des Art. 40 WÜD zur Gewährung einer Unverletzlichkeit während eines Transits der Staatenvertreter durch ihr Hoheitsgebiet verpflichtet. Vgl. auch oben § 15 I.
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der Funktionsausübung zu legitimieren. Sie sind daher grundsätzlich auf den Zeitraum der tatsächlichen Wahrnehmung der Vertretungsaufgabe beschränkt. Da die Staatenvertreter aber bereits während ihrer Reise zur Organisation bzw. zu einer Tagung eines Organs oder einer von der Organisation veranstalteten Konferenz und noch während ihrer Rückreise in ihren Entsendestaat schutzwürdig sind, erstreckt sich die zeitliche Reichweite der ihnen zukommenden Exemtionen auch auf die Reisezeiten. Die Exemtionen beginnen also regelmäßig mit dem Antritt der Reise zum Sitz der Organisation bzw. zum Tagungsort und enden mit der Wiedereinreise in den Entsendestaat. Dies gilt für die temporären Staatenvertreter in gleicher Weise wie für die permanenten Vertreter. Allerdings gibt es von dieser zeitlichen Beschränkung eine Ausnahme: Die gewährten Immunitäten ratione materiae gelten in aller Regel zeitlich unbegrenzt.520 Damit soll zum einen verhindert werden, daß ein Staat durch die Androhung, wegen eines bestimmten in Aussicht gestellten dienstlichen Verhaltens eines Staatenvertreters zu einem späteren Zeitpunkt eine Strafverfolgung durchzuführen, bereits während des Zeitraums von dessen Funktionsausübung auf seine dienstliche Tätigkeit Einfluß nehmen kann. Zum anderen ist zu berücksichtigen, daß die durch Immunität ratione materiae geschützten Diensthandlungen Handlungen sind, die für den Entsendestaat vorgenommen und diesem zugerechnet werden. Mit einer strafrechtlichen Verfolgung von Staatenvertretern wegen einer dienstlichen Handlung würde der strafverfolgende Staat daher indirekt „über einen anderen Staat zu Gericht sitzen“. Damit würde der Grundsatz der Gleichheit der Staaten tangiert, im Fall von hoheitlich-dienstlichen Handlungen sogar verletzt. Diese Beeinträchtigung des Grundsatzes der Gleichheit der Staaten ist aber unabhängig davon, ob der handelnde Amtsträger zum Zeitpunkt einer Strafverfolgung noch als Staatenvertreter fungiert oder nicht. Bei hoheitlich-dienstlichen Handlungen steht allerdings – wie sogleich gezeigt wird – stets bereits die Staatenimmunität dauerhaft einer Strafverfolgung entgegen. Die Exemtionen für Staatenvertreter bei internationalen Organisationen werden allein deshalb gewährt, damit diese die Interessen ihres Entsendestaates unbeeinträchtigt von Einflußnahmen anderer Staaten vertreten können. Daraus folgt nicht nur, daß die Staatenvertreter gegenüber ihrem Entsendestaat keine völkerrechtlichen Exemtionen genießen, sondern auch, daß der Entsendestaat befugt ist, über die Exemtionen zu disponieren, und zwar unabhängig vom Willen der betreffenden internationalen Organisation und des betreffenden Staatenvertreters. In den einschlägigen Verträgen ist daher stets festgelegt, daß der Entsendestaat auf die Exemtionen seiner Staatenvertreter verzichten kann; in der Regel wird von der Möglichkeit einer „Aufhebung“ der Exemtionen gesprochen.
___________ 520
Vgl. Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 763.
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Anders als im Diplomaten- und Konsularrecht wird aber häufig nicht nur eine Berechtigung des Entsendestaates zur Exemtionsaufhebung festgelegt; vielmehr wird dieser sogar verpflichtet, immer dann auf die Exemtionen seiner Staatenvertreter zu verzichten, wenn eine Aufhebung ohne Schädigung der Interessen des Entsendestaates erfolgen kann. Diese Voraussetzung ist regelmäßig dann gegeben, wenn die Strafverfolgung wegen einer allgemein als strafwürdig anzusehenden Tat erfolgt, genügend Anhaltspunkte für einen Tatverdacht bestehen und ein rechtsstaatliches Verfahren zu erwarten ist. f) Verhältnis der Exemtionen für Vertreter bei internationalen Organisationen zur Staatenimmunität und sonstigen Exemtionen Die Vertreter von Staaten bei internationalen Organisationen – sowohl solche aus Mitgliedstaaten als auch solche aus Drittstaaten – sind staatliche Funktionsträger. Ihr dienstliches Handeln für ihren Entsendestaat ist diesem zurechenbar. Daher können sie sich in bezug auf ihr hoheitlich-dienstliches Handeln für ihren Entsendestaat wie jeder staatliche Funktionsträger auf die Staatenimmunität berufen. Wegen ihres hoheitlich-dienstlichen Handelns können sie mithin – unabhängig davon, ob es um Taten geht, die sie im Rahmen ihrer Aufgabe als Staatenvertreter begangen haben oder um sonstige hoheitlich-dienstliche Taten – grundsätzlich von keinem anderen Staat strafrechtlich verfolgt werden. Die Staatenimmunität ist unabhängig von den völkervertraglichen Exemtionen für Staatenvertreter bei internationalen Organisationen. Wie bereits mehrfach erwähnt, sind die verschiedenen völkerrechtlichen Exemtionen, da sie auf unterschiedlichen Rechtsgründen beruhen, generell unabhängig voneinander. Ebenso wie die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts keine die Staatenimmunität verdrängenden leges speciales sind,521 verdrängen die Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen die Staatenimmunität nicht. Dies gilt auch für völkervertraglich festgelegte Exemtionen für Diensthandlungen von Staatenvertretern bei internationalen Organisationen. Insofern darf nicht der Fehler gemacht werden, nur deshalb, weil diese Exemtionen ebenso wie die Staatenimmunität als Immunität ratione materiae bezeichnet werden, anzunehmen, daß die Staatenimmunität hinter völkervertraglich vereinbarten Exemtionen zurücktritt. Hieraus folgt für die Strafrechtspraxis, daß eine Strafverfolgung von Staatenvertretern nicht schon immer dann statthaft ist, wenn keine der Exemtionen eingreift, die in den die jeweilige Organisation betreffenden Verträgen normiert sind, sondern daß stets unabhängig von diesen Exemtionen zu prüfen ist, ob nicht aufgrund des hoheitlich-dienstlichen Charakters der Tat die Staatenimmunität ein Strafverfolgungshindernis darstellt. ___________ 521
Vgl. hierzu oben § 13 V.
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Aber nicht nur die Staatenimmunität, auch die sonstigen im Rahmen dieser Untersuchung betrachteten völkerrechtlichen Exemtionen sind unabhängig von den vertraglichen Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen. Dies hat Bedeutung für die Exemtionen für Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder. Denn heutzutage nehmen vielfach Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder selbst die Aufgabe wahr, ihren Staat in den Organen einer internationalen Organisation oder auf einer internationalen Konferenz zu vertreten. Zum Teil sehen die Gründungsverträge internationaler Organisationen sogar ausdrücklich vor, daß Mitglieder bestimmter Organe die Staatsoberhäupter, die Regierungschefs oder einzelne Fachminister der Mitgliedstaaten sind. So tritt der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bei besonders wichtigen Tagesordnungspunkten auf der Ebene der Außenminister der Mitgliedstaaten zusammen. Nach Art. 5 Abs. 2 EUV kommen im Europäischen Rat die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten zusammen. Art. 203 Abs. 1 EGV legt fest, daß der Rat der Europäischen Gemeinschaften aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaates auf Ministerebene besteht, in der Regel kommen im Rat die jeweiligen Fachminister zusammen. Staatsoberhäupter, Regierungschefs und sonstige Regierungsmitglieder mit Ministerrang sind – wie oben in § 17 I.2.a) gezeigt wurde – nach Völkergewohnheitsrecht der Strafgewalt anderer Staaten während ihrer Amtszeit vollständig entzogen. Sie genießen Immunität ratione personae und umfassende persönliche Unverletzlichkeit. Auch diese weitreichenden völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen werden durch die völkervertraglich vereinbarten Exemtionen für Staatenvertreter bei internationalen Organisationen nicht verdrängt. Wenn daher Staatsoberhäupter, Regierungschefs, Außenminister oder sonstige Fachminister selbst die Aufgabe übernehmen (oder nach den vertraglichen Bestimmungen für eine Organisation übernehmen müssen), ihren Staat in einem Organ einer internationalen Organisation oder auf einer von einer internationalen Organisation veranstalteten Tagung zu vertreten, so genießen sie zusätzlich zu den völkervertraglich vereinbarten Exemtionen für Staatenvertreter bei der Organisation auch noch die ihnen nach Völkergewohnheitsrecht ohnehin zukommenden Exemtionen. Da diese völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionen in aller Regel weitreichender sind als die vertraglich normierten Exemtionen für Staatenvertreter, sind die hier zu erörternden Exemtionen für Staatenvertreter bei internationalen Organisationen für diese hochrangigen Staatenvertreter ohne praktische Relevanz. g) Zur Geltung der Exemtionen gegenüber internationalen Strafgerichten Die Exemtionen für Vertreter von Mitgliedstaaten bei internationalen Organisationen können – von sogleich zu erörternden Ausnahme abgesehen – der Gerichtsbarkeit des IStGH und der UN-Strafgerichtshöfe nicht entgegengehalten werden, und zwar aus den gleichen Gründen, aus denen die Staaten diplomatische und kon-
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sularische Exemtionen nicht gegenüber diesen supranationalen Strafgerichtshöfen geltend machen können.522 Da die Exemtionen für Vertreter der Mitgliedstaaten im Interesse des jeweiligen Entsendestaates gewährt werden, kann dieser – wie auch die Regelungen über einen Verzicht zeigen – über die Exemtionen seiner Staatenvertreter disponieren.523 Im Hinblick auf die Gerichtsbarkeit der durch Resolutionen des UN-Sicherheitsrates errichteten UN-Strafgerichtshöfe kann man von einem generellen „Verzicht“ der Entsendestaaten sprechen, da diese sich gemäß Art. 25 UN-Charta verpflichtet haben, alle Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates „anzunehmen und durchzuführen“. Im Hinblick auf die Gerichtsbarkeit des IStGH muß man die Ratifikation des Römischen Statuts als Zustimmung auch zu dem in Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut festgelegten generellen Exemtionsausschluß klassifizieren, so daß man bezüglich derjenigen Entsendestaaten von Staatenvertretern zu internationalen Organisationen, die das Römische Statut ratifiziert haben, gleichfalls von einem „Verzicht“ auf die Exemtionen seiner Staatenvertreter sprechen kann. Problematisch ist daher lediglich die Frage, ob Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut insofern völkerrechtskonform ist, als er auch Staatenvertreter bei internationalen Organisationen von solchen Staaten erfaßt, die nicht Vertragsstaaten des IStGH-Statuts sind. Doch kann man diese Frage ebenfalls mit Hinweis auf die begrenzte Reichweite der Exemtionen im Bereich internationaler Organisationen bejahen. Die Exemtionen für Staatenvertreter verpflichten wie die für Funktionsträger internationaler Organisationen nur die Mitgliedstaaten der betreffenden Organisation, da nur diese Vertragsparteien der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge sind. Drittstaaten sind grundsätzlich nicht gehalten, den Staatenvertretern die in den Verträgen normierten Exemtionen zu gewähren.524 Da der IStGH seine Strafverfolgungskompetenz aber in aller Regel auch aus der nationalen Strafverfolgungskompetenz von Drittstaaten ableiten kann,525 ist er genauso wenig wie Drittstaaten an einer Ausübung seiner Strafgerichtsbarkeit gehindert. Diese – oben in § 19 III.2.a) bereits in bezug auf die Exemtionen für Funktionsträger internationaler Organisationen entfaltete – Begründung für eine Irrelevanz von Exemtionen für Staatenvertreter von Staaten, die nicht Vertragsstaaten des Römischen Statuts sind, ist allerdings untauglich, soweit es um Staatenvertreter geht, die zu den Vereinten Nationen entsandt werden. Denn alle Staaten, die Mitglieder des IStGH sind, sind auch Mitglieder der Vereinten Nationen und als solche gehalten, die den Staatenvertretern anderer Staaten zukommenden Exemtionen zu beachten. Da alle Mitgliedstaaten des IStGH die Exemtionen für Staatenvertreter ___________ 522 523 524 525
Vgl. hierzu die Ausführungen oben bei § 15 II. Vgl. oben § 19 IV.2.e). Vgl. die Ausführungen oben bei § 19 III.1. Vgl. oben Anm. 487 und dazugehörigen Text.
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zu den Vereinten Nationen beachten müssen, können diese für den IStGH insoweit, als es um Staatenvertreter aus Staaten geht, die selbst nicht Vertragsstaaten des Römischen Statuts sind, nicht irrelevant sein. In einem solchen Fall kann – sofern die betreffende Tat eines Staatenvertreters überhaupt einer ihm zukommenden Exemtion unterfällt – der IStGH nur dann tätig werden, wenn der Entsendestaat auf die Exemtion des betreffenden Staatenvertreters verzichtet hat. 3. Exemtionen für Staatenvertreter bei den Vereinten Nationen und ihren Sonderorganisationen a) Exemtionen nach dem UN-Immunitäten-Übereinkommen und dem Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen aa) Die personale, sachliche und räumliche Reichweite der Exemtionen Für den Bereich der Vereinten Nationen legt Art. IV Abschn. 11 UN-Immunitäten-Übereinkommen526 Exemtionen für die Vertreter einzelner Mitgliedstaaten fest. Diese Vorschrift lautet, soweit sie im Hinblick auf Befreiungen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit von Interesse ist: „Die Vertreter der Mitglieder bei den Haupt- und Nebenorganen der Vereinten Nationen und auf den von den Vereinten Nationen anberaumten Konferenzen genießen während der Wahrnehmung ihrer Aufgaben und während ihrer Reisen nach oder von dem Tagungsort folgende Vorrechte und Immunitäten: a) Immunität von Festnahme oder Haft und von der Beschlagnahme ihres persönlichen Gepäcks sowie Immunität von jeder Gerichtsbarkeit hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen (einschließlich ihrer mündlichen und schriftlichen Äußerungen); b) Unverletzlichkeit aller Papiere und Schriftstücke; (…) f) In bezug auf ihr persönliches Gepäck dieselben Immunitäten und Erleichterungen wie Diplomaten (…).“
Hinsichtlich der sachlichen Reichweite der gewährten Exemtionen mit der Regelung des Art. IV Abschn. 11 UN-Immunitäten-Übereinkommen übereinstimmend formuliert Art. V § 13 Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen:527 „Die Vertreter der Mitglieder auf den durch eine Sonderorganisation einberufenen Tagungen genießen während der Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit und auf ihren Reisen nach oder von dem Tagungsort folgende Vorrechte und Befreiungen: a) Befreiung von Verhaftung oder Festnahme und von der Beschlagnahme ihres persönlichen Gepäcks und in bezug auf Handlungen, die sie in amtlicher Eigenschaft vorgenommen haben (einschließlich ihrer mündlichen und schriftlichen Äußerungen), Befreiung von jeder Gerichtsbarkeit;
___________ Vgl. oben Anm. 98. Vgl. oben Anm. 100. Auch hier ist wieder zu beachten, daß die Formulierungen in den verbindlichen englischen und französischen Fassungen beider Abkommen weitgehend wortlautidentisch sind, während die hier zitierten amtlichen deutschen Übersetzungen der beiden Abkommen voneinander divergieren. Vgl. hierzu bereits oben Anm. 215. 526 527
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b) Unverletzlichkeit aller Papiere und Schriftstücke; (…) f) dieselben Befreiungen und Erleichterungen, wie sie bezüglich ihres persönlichen Gepäcks den Mitgliedern diplomatischer Missionen vergleichbaren Ranges gewährt werden.“
Hinzuweisen ist zunächst darauf, daß die Exemtionen nach Art. IV Abschn. 11 UN-Immunitäten-Übereinkommen und nach Art. V § 13 Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen lediglich für die temporären Staatenvertreter der Mitgliedstaaten gelten. Den ständigen Staatenvertretern, die gleich Diplomaten die Interessen ihres Heimatstaates gegenüber den Vereinten Nationen als Mitglieder einer am Sitz der Vereinten Nationen eingerichteten ständigen Mission vertreten, werden durch diese Normen keine Exemtionen gewährt.528 Art. IV Abschn. 16 UN-Immunitäten-Übereinkommen definiert den Begriff „Vertreter“ dahingehend, daß dieser „alle Delegierten, stellvertretenden Delegierten, Berater, technischen Sachverständigen und Delegationssekretäre“ umfaßt. Geschützt werden also zum einen diejenigen Staatenvertreter von Mitgliedstaaten, die ihren Heimatstaat in den Organen der Vereinten Nationen, etwa in der UNGeneralversammlung oder im UN-Sicherheitsrat, als Delegierte vertreten oder als Berater, Sachverständige oder Sekretäre der Delegation eines Mitgliedstaates angehören.529 Zum anderen sind solche Staatenvertreter von Mitgliedstaaten erfaßt, die ihren Heimatstaat auf einer von den Vereinten Nationen einberufenen Konferenz oder einer von einer Sonderorganisation einberufenen Tagung vertreten, wobei auch bei solchen Veranstaltungen nicht nur eigentlichen Delegierten, sondern auch Mitglieder des unterstützenden Personals geschützt werden.530 Die Befreiungen wirken nicht nur gegenüber der Strafgerichtsbarkeit der Sitzstaaten der Vereinten Nationen531 oder der betreffenden Sonderorganisation, son___________ Vgl. YBILC 1967 II, 154 (164) (UN-Dokument A/CN.4./L.118); Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 759 mit Fn. 1747. Soweit ständige Staatenvertreter allerdings gleichzeitig die Funktion eines temporären Vertreters im Sinne dieser Übereinkommen wahrnehmen, können sie sich (auch) auf die in diesen festgelegten Exemtionen berufen. 529 Vgl. in bezug auf das Freiwilligenprogramm der Vereinten Nationen auch Art. 13 Abs. 2 des Headquarter-Agreements zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen (vgl. oben Anm. 116). 530 Vgl. El-Erian, YBILC 1967 II, 133 (142) (UN-Dokument A/CN.4./195). Vgl. in diesem Zusammenhang auch die oben in § 19 I.2.d)bb) skizzierte nationale deutsche Exemtionsregelung, die die Bestimmungen des Art. IV Abschn. 11 UN-Immunitäten-Übereinkommen und des Art. V § 13 Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen ergänzt. 531 Allerdings ist die Schweiz, da sie bis zum Jahr 2002 nicht Mitglied der Vereinten Nationen war, anders als die USA nicht Vertragsstaat des UN-Immunitäten-Übereinkommens. Doch hat die Schweiz, in der die Vereinten Nationen einen Sitz haben, mit diesen im Jahr 1946 einen bilateralen Vertrag geschlossen, in dem die gleichen Exemtionen vereinbart worden sind wie die, die im UN-Immunitäten-Übereinkommen festgelegt wurden. Vgl. oben Anm. 115 und unten § 19 IV.3.b). 528
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dern grundsätzlich gegenüber der Strafgerichtsbarkeit aller Mitgliedstaaten. Schließlich sind die Staatenvertreter auch schon auf ihrer Reise zu oder von dem Tagungsort zu schützen, die sie regelmäßig durch das Gebiet weiterer Staaten führt, und werden Konferenzen und Tagungen vielfach in anderen Staaten als dem Sitzstaat abgehalten. Allerdings sind die Staatenvertreter der Strafgerichtsbarkeit ihres jeweiligen Entsendestaates nicht entzogen. Denn als weisungsgebundene Delegierte des Entsendestaates sind sie diesem gegenüber nicht schutzbedürftig.532 Zudem genießen sie keine Exemtionen gegenüber der Strafgerichtsbarkeit ihres Heimatstaates, also des Staates, dessen Angehöriger sie sind. In aller Regel sind jedoch Heimat- und Entsendestaat identisch, so daß diese Einschränkung keine Relevanz hat. Sofern eine solche Identität nicht besteht, ist ein Staatenvertreter gegenüber der Strafgerichtsbarkeit seines Heimatstaates zwar eigentlich ebenso schutzbedürftig wie gegenüber der eines anderen Mitgliedstaates.533 Aber da kein Entsendestaat darauf angewiesen ist, Angehörige eines anderen Staates mit der Aufgabe der Vertretung seiner Interessen bei den Vereinten Nationen oder einer Sonderorganisation zu beauftragen, wird dem berechtigten Interesse des Heimatstaates, seine Staatsangehörigen seiner Strafgewalt zu unterstellen, Vorrang eingeräumt. Diese beiden räumlichen Einschränkungen der Exemtionen sind in Art. IV Abschn. 15 UN-Immunitäten-Übereinkommen sowie in Art. V § 17 Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen festgelegt: „Die Bestimmungen (…) sind nicht anwendbar auf das Verhältnis eines Vertreters zu den Behörden des Staates, dessen Angehöriger er ist oder dessen Vertreter er ist oder war.“
Die Staaten, in deren Gebiet die Organe der Vereinten Nationen tagen bzw. eine von den Vereinten Nationen oder einer Sonderorganisation einberufene Konferenz oder Tagung stattfindet, haben keine Möglichkeit, auf die Auswahl der Staatenvertreter Einfluß zu nehmen oder bestimmte Personen abzulehnen. Die Exemtionen sind sachlich eng begrenzt. Den Staatenvertretern wird mit der Festlegung einer „Immunität von Festnahme oder Haft“ zwar eine persönliche Unverletzlichkeit gewährt, doch ist diese in gleicher Weise eingeschränkt wie diejenige für die im Auftrag der Vereinten Nationen tätigen Sachverständigen.534 Eine Freistellung von strafprozessualer Zwangsgewalt ist nur insoweit festgelegt, als eine Festnahme oder Haft untersagt ist. Lediglich Maßnahmen, die mit einer nicht nur kurzfristigen Beschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit verbunden ___________ Vgl. Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 763. Deshalb kritisch bezüglich der „Heimatstaatdiskriminierung“ Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 763. 534 Vgl. bezüglich der Sachverständigen oben § 19 II.2.b). 532 533
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sind, sind aufgrund der Unverletzlichkeit unstatthaft. Eine Durchsuchung nach §§ 102 f. StPO an dem Ort, an dem ein geschützter Staatenvertreter angetroffen wird, ist dagegen grundsätzlich erlaubt. Den Staatenvertretern wird darüber hinaus Immunität ratione materiae für ihre „in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen“ gewährt.535 Wegen aller als Diensthandlungen einzustufender Aktivitäten, also aller Handlungen, die in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Wahrnehmung der Aufgaben als Staatenvertreter stehen, darf keine Strafgerichtsbarkeit ausgeübt werden. Eine Strafverfolgung wegen „privater Straftaten“ sowie eine strafprozessuale Inanspruchnahme als Nichtbeschuldigter ist dagegen in den Grenzen, die durch die oben geschilderte Unverletzlichkeit gezogen werden, statthaft.536 Auch Freistellungen von den Zeugenpflichten werden nicht gewährt. Einem strafprozessualen Zugriff entzogen sind auch die Papiere und Schriftstücke der Staatenvertreter.537 Die persönlichen Gepäckstücke der Staatenvertreter dürfen weder durchsucht noch beschlagnahmt werden. Zwar legen Art. IV Abschn. 11 lit. a) UN-Immunitäten-Übereinkommen und Art. V § 13 lit. a) Immunitäten-Übereinkommen für die Sonderorganisationen explizit lediglich ein Beschlagnahmeverbot fest. Doch genießen die Staatenvertreter gemäß Art. IV Abschn. 11 lit. f) bzw. Art. V § 13 lit. f) bezüglich des Gepäcks darüber hinaus die Diplomaten nach dem WÜD für ihr Gepäck zustehenden Vorrechte und Befreiungen. Und das Gepäck von Diplomaten darf gemäß Art. 36 Abs. 2 WÜD grundsätzlich nicht kontrolliert werden. Familienangehörige von Staatenvertretern genießen nach dem UN-ImmunitätenÜbereinkommen und dem Immunitäten-Übereinkommen für die Sonderorganisationen keine Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. bb) Zur zeitlichen Reichweite der Exemtionen und zur Frage eines Verzichts Die Exemtionen sind grundsätzlich begrenzt auf den Zeitraum der Wahrnehmung der Aufgaben als Staatenvertreter – also auf die Zeit, während der die Organe der Vereinten Nationen tagen oder die Konferenz oder Tagung der Vereinten Nationen oder einer Sonderorganisation stattfindet. Zudem gelten die Exemtionen während der An- und Abreise zum und vom Tagungsort.538 ___________ Vgl. Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 33; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 279; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 762. 536 Vgl. Verdross/Simma, Völkerrecht, § 279. 537 In der völkerrechtlich verbindlichen englischen und französischen Sprachfassung heißt es jeweils „documents“, womit auch elektronisch gespeicherte Daten ohne weiteres als erfaßt angesehen werden können. Vgl. hierzu schon oben § 19 IV.2.c)aa). 538 Vgl. Art. IV Abschn. 11 UN-Immunitäten-Übereinkommen und Art. V § 13 Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen. Siehe auch YBILC 1967 II, 154 (176 f.) 535
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Lediglich die Immunität ratione materiae für Diensthandlungen wird zeitlich unbegrenzt gewährt.539 Die zeitlich unbegrenzte Fortdauer der Immunität ratione materiae legt für die Staatenvertreter bei den Vereinten Nationen Art. IV Abschn. 12 UN-Immunitäten-Übereinkommen fest: „Um den Vertretern der Mitglieder bei den Haupt- und Nebenorganen der Vereinten Nationen und auf den von der Organisation anberaumten Konferenzen volle Freiheit des Wortes und völlige Unabhängigkeit bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu gewährleisten, wird ihnen die Immunität von der Gerichtsbarkeit in bezug auf ihre in Wahrnehmung ihrer Aufgaben vorgenommenen Handlungen einschließlich ihrer mündlichen und schriftlichen Äußerungen auch dann noch gewährt, wenn sie nicht mehr Vertreter von Mitgliedern sind.“
Für die Staatenvertreter auf Tagungen einer Sonderorganisation bestimmt Art. V § 14 Immunitätenabkommen für die Sonderorganisation mit nahezu identischem Wortlaut das gleiche. Die Exemtionen für Staatenvertreter werden nicht im Interesse der Vereinten Nationen oder der jeweiligen Sonderorganisation gewährt, sondern, da es sich bei den geschützten Personen um weisungsgebundene Vertreter ihres Entsendestaates handelt, im Interesse des jeweiligen Entsendestaates. Daher ist lediglich dieser befugt, über die Exemtionen zu disponieren, also auf diese gegebenenfalls zu verzichten. Art. IV Abschn. 14 UN-Immunitäten-Übereinkommen und Art. V § 16 Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen bestimmen aber darüber hinaus, daß der jeweilige Entsendestaat unter Umständen sogar zu einem Verzicht auf die Exemtionen verpflichtet ist:540 „Die Vorrechte und Immunitäten werden den Vertretern der Mitglieder nicht zu ihrem persönlichen Vorteil gewährt, sondern zu dem Zweck, die unabhängige Wahrnehmung ihrer Aufgaben bei [den Vereinten Nationen/den Sonderorganisationen] sicherzustellen. Infolgedessen ist ein Mitglied nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, die Immunität seines Vertreters in allen Fällen aufzuheben, in denen sie nach Auffassung des Mitglieds verhindern würde, daß der Gerechtigkeit Genüge geschieht, und in denen sie ohne Schädigung des Zwecks, für den sie gewährt wird, aufgehoben werden kann.“
___________ (UN-Dokument A/CN.4./L.118), wo ausgeführt wird, daß die Exemtionen nicht nur während der Stunden, in denen das betreffende Organ tatsächlich tagt, sondern während des gesamten Zeitraums gelten, in dem der Staatenvertreter zum Zweck der Teilnahme an Organsitzungen am Veranstaltungsort weilt. 539 Vgl. Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 33. 540 Während eine Pflicht zur Immunitätsaufhebung in bezug auf die Bediensteten internationaler Organisationen unbedingt geboten ist, da diese Personen ansonsten angesichts der Tatsache, daß die Organisationen selbst keine (jedenfalls keine allgemeine) Strafgerichtsbarkeit ausüben, vielfach überhaupt nicht für ihre (dienstlichen) Taten bestraft werden könnten, erscheint eine solche Pflicht in bezug auf Staatenvertreter weniger dringlich, da diese immerhin der Strafgerichtsbarkeit ihres Entsendestaates unterstellt bleiben, diesem gegenüber also keine Exemtionen genießen. Aber dennoch ist es sinnvoll, eine grundsätzliche Pflicht zum Exemtionsverzicht bezogen auf den Fall festzulegen, daß die Aufhebung der Exemtionen die Funktionsausübung nicht beeinträchtigen kann.
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Die nicht justitiable Kompetenz zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Pflicht zum Immunitätsverzicht vorliegen, kommt ausschließlich dem betreffenden Mitgliedstaat zu.541 b) Exemtionen nach den Headquarter-Agreements Nach Article V Section 15 des Headquarter-Agreements zwischen den Vereinten Nationen und den USA von 1947542 genießen die ständigen Repräsentanten der Staaten bei den Vereinten Nationen in den USA die gleichen Vorrechte und Befreiungen wie Mitglieder diplomatischer Vertretungen:543 “(1) Every person designated by a Member as the principal resident representative to the United Nations of such Member or as a resident representative with the rank of ambassador or minister plenipotentiary, (2) such resident members of their staffs as may be agreed upon between the Secretary General, the Government of the United States and the Government of the Member concerned (…) shall, whether residing inside or outside the headquarters district, be entitled in the territory of the United States to the same privileges and immunities, subject to corresponding conditions and obligations, as it accords to diplomatic envoys accredited to it. In the case of Members whose governments are not recognized by the United States, such privileges and immunities need be extended to such representatives, or persons on the staffs of such representatives, only within the headquarters district, at their residences and offices outside the district, in transit between the district and such residences and offices, and in transit on official business to or from foreign countries.”
Nach dem Headquarter-Agreement zwischen den Vereinten Nationen und der Schweiz,544 das in bezug auf die gewährten Exemtionen wortgleich ist mit dem UN-Immunitäten-Übereinkommen, genießen die Staatenvertreter bei den Vereinten Nationen in der Schweiz Immunität ratione materiae und eine Unverletzlichkeit im Sinne einer Freistellung von Festnahme und Inhaftierung (Art. IV Section 9). Insofern entsprechen die Exemtionen nach dem Headquarter-Agreement denen nach Art. IV Abschn. 11 UN-Immunitäten-Übereinkommen.545 Allerdings gelten auch ___________ Dadurch wird die Verpflichtung zwar praktisch erheblich entwertet, doch kommt in Ermangelung einer allen Staaten übergeordneten und für alle Staaten verbindlichen neutralen (Gerichts-)Instanz eine andere Regelung nicht in Betracht. 542 Vgl. oben Anm. 114. 543 Vgl. YBILC 1967 II, 154 (164, 171 ff.) (UN-Dokument A/CN.4./L.118); American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 470 Comment a); El-Erian, YBILC 1967 II, 133 (143) (UN-Dokument A/CN.4./195); Scobbie/El-Erian, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 859 f. 544 Vgl. oben Anm. 115 und Anm. 531. 545 Vgl. YBILC 1967 II, 154 (173) (UN-Dokument A/CN.4./L.118); de Weck, Vorrechte und Befreiungen zugunsten des IKRK, S. 338 f. Zum Grund für die Festlegung der in Art. IV Abschn. 11 UN-Immunitäten-Übereinkommen normierten Exemtionen auch im bilateralen Headquarter-Agreement zwischen den UN und der Schweiz siehe oben Anm. 531. 541
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die in Article IV Section 9 des bilateralen Abkommens zwischen den Vereinten Nationen und der Schweiz festgelegten Exemtionen nur für temporäre Staatenvertreter.546 Die Schweiz gewährt jedoch darüber hinausgehend den ständigen Staatenvertretungen und deren Mitgliedern die gleiche Rechtsstellung wie diplomatischen Missionen und deren Mitgliedern nach dem WÜD, so daß die ständigen Staatenvertreter bei den Vereinten Nationen in der Schweiz umfassende Immunität ratione personae genießen. Die Gewährung dieser weiterreichenden Exemtionen für ständige Staatenvertreter beruht aber nicht auf einer völkerrechtlichen Vereinbarung, sondern auf einem nationalen schweizerischen Rechtsakt vom 31. März 1948.547 In diesem Rechtsakt heißt es unter anderem: „(1) Les délégations permanentes d’États Membres bénéficient, comme telles, de facilités analogues à celles qui sont accordées aux missions diplomatiques à Berne. (2) Les chefs de délégations permanentes bénéficient de privilèges et immunités analogues à ceux qui sont accordés aux chefs de missions diplomatiques à Berne, à condition toutefois qu’ils aient un titre équivalent. Tous les autres membres des délégations permanentes bénéficient, à rang égal, de privilèges et immunités analogues à ceux qui sont accordés au personnel des missions diplomatiques à Berne.“548
Auch das Headquarter-Agreement zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen bezüglich des Freiwilligenprogramms der Vereinten Nationen549 legt fest, daß die ständigen Staatenvertreter diplomatische Vorrechte und Befreiungen genießen. In Art. 13 Abs. 1 des bilateralen Abkommens zwischen Deutschland und den Vereinten Nationen heißt es: „(1) Die Vertreter der Mitglieder, die in der Bundesrepublik Deutschland wohnen und die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder in der Bundesrepublik Deutschland ständig ansässig sind, genießen die Vorrechte und Immunitäten, Befreiungen und Erleichterungen, die den in vergleichbarem Rang stehenden Diplomaten der in der Bundesrepublik Deutschland akkreditierten diplomatischen Missionen nach dem Wiener Übereinkommen gewährt werden.“
Nach den Headquarter-Agreements bzw. ergänzenden Rechtsakten werden also den ständigen Staatenvertretern bei den Vereinten Nationen in demselben Umfang Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gegenüber dem betreffenden Sitzstaat eingeräumt, in dem von ihrer Funktion her vergleichbare Mitglieder di___________ Vgl. auch El-Erian, YBILC 1967 II, 133 (143) (UN-Dokument A/CN.4./195), der aber offensichtlich davon ausgeht, das Headquarter-Agreement mit der Schweiz würde ebenso wie das UN-Immunitäten-Übereinkommen alle Arten von Staatenvertretern und damit neben den temporären auch die ständigen Staatenvertreter erfassen. 547 Vgl. El-Erian, YBILC 1967 II, 133 (143 f.) (UN-Dokument A/CN.4./195); ders., in: Diez u.a. (Hrsg.), FS Bindschedler, S. 479 (481 f.); de Weck, Vorrechte und Befreiungen zugunsten des IKRK, S. 337. 548 Zitiert nach YBILC 1967 II, 154 (173) (UN-Dokument A/CN.4./L.118). 549 Vgl. oben Anm. 116. 546
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plomatischer Missionen nach dem WÜD Exemtionen gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des jeweiligen Empfangsstaates genießen.550 4. Exemtionen für Staatenvertreter bei den Europäischen Gemeinschaften Hinsichtlich der Vertreter der Mitgliedstaaten, die als temporäre Vertreter ihres Staates diesen in den Organen der Europäischen Gemeinschaften vertreten,551 sowie der diesen Vertretern zur Seite stehenden Berater und Sachverständigen beschränkt sich Art. 11 Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften552 darauf, überaus vage festzulegen: „(1) Den Vertretern der Mitgliedsstaaten, die an den Arbeiten der Organe der Gemeinschaften teilnehmen, sowie ihren Beratern und Sachverständigen stehen während der Ausübung ihrer Tätigkeit und auf der Reise zum und vom Tagungsort die üblichen Vorrechte, Befreiungen und Erleichterungen zu. (2) Dies gilt auch für die Mitglieder der beratenden Organe der Gemeinschaften.“
Der Verweis auf die „üblichen“ Bestimmungen ist im Hinblick auf die sachliche Reichweite der Exemtionen so zu verstehen, daß die von Völkerrechts wegen typischerweise den Staatenvertretern bei internationalen Organisationen zustehenden Exemtionen auch für die Staatenvertreter bei den Europäischen Gemeinschaften gelten sollen. Entscheidend ist also, welche Bestimmungen übereinstimmend für den Bereich anderer – wichtiger und großer – internationaler Organisationen gelten.553 Es wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, daß die Exemtionsregelungen für den Bereich der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, vor allem die Bestimmungen des UN-Immunitäten-Übereinkommens von 1946, eine große Vorbildwirkung entfaltet haben und diese Regelungen vielfach mutatis mutandis von den für andere Organisationen maßgeblichen Verträgen übernommen worden sind. Es dürfte daher statthaft sein, die im UN-Immunitäten-Übereinkommen normierten Exemtionen als die „üblichen“ Vorrechte und Befreiungen zu bezeichnen. Dies bedeutet, daß den Staatenvertretern, die in den Organen der Europäischen Gemeinschaften die Interessen ihres Staates vertreten, Exemtionen in demselben ___________ 550 Vgl. Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 36 ff. 551 Ständigen Staatenvertretern der Mitgliedstaaten bei den Europäischen Gemeinschaften werden keine besonderen Exemtionen zuerkannt. 552 Vgl. oben Anm. 107. 553 Vgl. hierzu schon oben § 19 I.2.a). In der Literatur zum Europarecht wird erstaunlicherweise der Gehalt des Art. 11 des Protokolls nur in Ansätzen erläutert. Es wird lediglich darauf verwiesen, es sei nicht eindeutig, was unter den „üblichen Vorrechten“ zu verstehen sei. Während Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/ EG-Vertrag, Art. 291 EG Rn. 36 meint, es dürfe nicht davon ausgegangen werden, daß Art. 11 des Protokolls Bezug nehmen wolle auf die diplomatischen Exemtionen nach dem WÜD, behauptet Becker, in: Schwarze (Hrsg.) EU-Kommentar, Art. 291 Rn. 10 das Gegenteil und stellt fest, gemeint seien „wohl nur die allgemeinen diplomatischen Rechte“.
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sachlichen Umfang zustehen, in dem den Staatenvertretern bei den Organen der Vereinten Nationen gemäß Art. IV Abschn. 11 UN-Immunitäten-Übereinkommen Exemtionen gewährt werden. Diese Staatenvertreter genießen also zum einen eine Freistellung von Festnahme und Haft, zum anderen Immunität ratione materiae. Darüber hinaus sind ihr persönliches Gepäck und ihre Schriftstücke und andere Datenträger einem strafprozessualen Zugriff entzogen.554 Diese Exemtionen gelten nicht nur gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Staates der Europäischen Gemeinschaften, in dem das jeweilige Organ tätig wird, sondern grundsätzlich gegenüber der Strafgerichtsbarkeit aller Mitgliedstaaten, was vor allem im Hinblick auf die An- und Abreise zum und vom Tagungsort von Bedeutung ist. Allerdings gelten diese Exemtionen nicht gegenüber dem jeweiligen Heimatstaat der Staatenvertreter, denn als weisungsgebundene Funktionäre ihres Staates sind sie diesem gegenüber nicht schutzbedürftig. Lediglich hinsichtlich der zeitlichen Reichweite der Exemtionen enthält Art. 11 des Protokolls eine klare Regelung: Die Exemtionen für die Staatenvertreter gelten nur für den Zeitraum der Ausübung ihrer Tätigkeit bei den Organen der Gemeinschaften sowie während ihrer An- und Abreise. Die Bestimmung des Art. IV Abschn. 12 UN-Immunitäten-Übereinkommens wonach die Immunität ratione materiae der Staatenvertreter bei den Vereinten Nationen zeitlich unbegrenzt fortdauert, kann also nicht auf die Staatenvertreter bei den Europäischen Gemeinschaften angewandt werden.555 Dagegen wird man die Vorschrift des Art. IV Abschn. 14 UN-ImmunitätenÜbereinkommen als eine „übliche“ Vorschrift für anwendbar erachten dürfen, so daß der jeweilige Entsendestaat auf die Exemtionen für seine Staatenvertreter bei den Europäischen Gemeinschaften verzichten kann und unter den dort festgelegten Voraussetzungen auch verzichten muß.
___________ 554 Zu bedenken ist aber, daß sich die Vertreter gegebenenfalls auch auf (weitergehende) andere völkerrechtliche Exemtionen berufen können. So kommt der Rat der Europäischen Gemeinschaften auf der Ebene der zuständigen Fachminister der Mitgliedstaaten zusammen (vgl. Art. 203 Abs. 1 EGV), im Europäischen Rat sind die Staats- bzw. Regierungschefs versammelt (vgl. Art. 4 Abs. 2 EUV). Amtierende Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Fachminister genießen aber nach Völkergewohnheitsrecht umfassende Unverletzlichkeit und Immunität ratione personae gegenüber der Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten als ihres Heimatstaates (vgl. oben § 17 I.2.a)). Diese vollumfängliche Befreiung von der Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten überlagert die Exemtionen nach dem Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften. 555 Dies bedeutet aber nicht, daß die Staatenvertreter nach Beendigung ihrer Aufgabe ohne jegliche Einschränkung wegen ihrer dienstlichen Handlungen von anderen Staaten als ihrem Entsendestaat strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden dürften. Denn soweit die Handlungen als hoheitlich-dienstliche Handlungen für ihren Entsendestaat zu bewerten sind, steht die Staatenimmunität einem strafrechtlichen Einschreiten anderer Staaten dauerhaft entgegen. Vgl. hierzu oben § 19 IV.2.f).
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5. Exemtionen für Staatenvertreter beim Internationalen Strafgerichtshof Exemtionen für Vertreter der Mitgliedstaaten internationaler Organisationen sind dann geboten und völkerrechtlich üblich, wenn eine Organisation über Organe verfügt, in denen Vertreter der Mitgliedstaaten als deren Interessenvertreter an der Arbeit der Organisation mitwirken – so etwa bei den Vereinten Nationen mit der Generalversammlung und bei den Europäischen Gemeinschaften mit dem Rat – oder aber es sachgerecht erscheint, ständige Vertreter gewissermaßen als „Lobbyisten“ bei der Organisation zu haben. Beide Konstellationen sind bei internationalen Gerichten regelmäßig nicht gegeben. Daher sehen die Statuten der Gerichte und die (sonstigen) einschlägigen völkerrechtlichen Verträge normalerweise keine Exemtionen für Vertreter der Mitgliedstaaten vor. Eine Ausnahme gilt jedoch für den Internationalen Strafgerichtshof. Gemäß Art. 112 IStGH-Statut besteht als institutionalisiertes Gremium eine „Versammlung der Vertragsstaaten“ (Assembly of States Parties). Die in diesem Gremium versammelten Vertreter der Mitgliedstaaten sollen zwar nicht unmittelbar Einfluß auf die Rechtsprechungstätigkeit des Gerichtshofs ausüben – dies wäre mit der Idee eines unabhängigen supranationalen Strafgerichtshofs schlechthin unvereinbar. Sie sollen jedoch bei der Weiterentwicklung des institutionellen Rahmens des Gerichtshofs (vgl. Art. 2 und Art. 3 Abs. 2 IStGH-Statut), bei der Verabschiedung rechtlicher Instrumente, derer sich der Gerichtshof bedienen soll (vgl. etwa Art. 9 IStGH-Statut bezüglich der „Verbrechenselemente“), bei der Wahl der Richter und der Ankläger (vgl. Art. 36 und 42 IStGH-Statut) sowie bei einigen anderen Entscheidungen, die den Gerichtshof als Ganzen, seine Zusammensetzung oder seine Zuständigkeit betreffen, mitwirken. Jeder Vertragsstaat des Statuts entsendet in die Versammlung einen Vertreter, der von Stellvertretern und Beratern begleitet werden kann. Staaten, die zwar noch keine Vertragsstaaten sind, das Statut aber bereits unterzeichnet haben, können Beobachter in die Versammlung entsenden (Art. 112 Abs. 1 IStGH-Statut).556 Für die Vertreter der Mitgliedstaaten bzw. Unterzeichnerstaaten in der „Versammlung der Vertragsstaaten“ sieht Art. 13 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen557 Exemtionen unter anderem von der Strafgewalt der Mitgliedstaaten vor, die den Exemtionen für die Staatenvertreter bei den Vereinten Nationen nach Art. IV des UNImmunitäten-Übereinkommens entsprechen558 und sich damit im Rahmen des völkerrechtlich Üblichen bewegen. Art. 13 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen lautet: „(1) Vertreter der Vertragsstaaten des Statuts, die an den Sitzungen der Versammlung und ihrer Nebenorgane teilnehmen, Vertreter anderer Staaten, die nach Artikel 112 Ab-
___________ Vgl. Bos, in: Cassese u.a. (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, S. 297 ff.; Rao, Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 112 Rn. 1 ff. 557 Vgl. oben Anm. 110. 558 Wegen der Einzelheiten der Reichweite der Exemtionen kann daher auf die Ausführungen oben in § 19 IV.3.a) verwiesen werden. 556
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satz 1 des Statuts an den Sitzungen der Versammlung und ihrer Nebenorgane als Beobachter teilnehmen können, sowie Vertreter von Staaten und zwischenstaatlichen Organisationen, die zu Sitzungen der Versammlung und ihrer Nebenorgane eingeladen werden, genießen während der Wahrnehmung ihrer amtlichen Aufgaben und auf der Reise zu und vom Sitzungsort folgende Vorrechte und Immunitäten: a) Immunität von Festnahme oder Haft; b) Immunität von der Gerichtsbarkeit in Bezug auf ihre in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen, einschließlich ihrer mündlichen oder schriftlichen Äußerungen; diese Immunität wird auch dann weiterhin gewährt, wenn die betreffenden Personen ihre Aufgaben als Vertreter nicht mehr wahrnehmen; c) Unverletzlichkeit aller Papiere und Dokumente in jeglicher Form; (…) g) in Bezug auf ihr persönliches Gepäck dieselben Immunitäten und Erleichterungen wie Diplomaten nach dem Wiener Übereinkommen; (…) (3) Die Absätze 1 und 2 sind nicht anwendbar auf das Verhältnis eines Vertreters zu den Behörden des Vertragsstaats, dessen Staatsangehöriger er ist, oder zu den Behörden des Vertragsstaats oder den Stellen der zwischenstaatlichen Organisation, dessen oder deren Vertreter er ist oder war.“559
Da die „Versammlung der Vertragsstaaten“ gemäß Art. 112 Abs. 6 IStGH-Statut am Sitz des Gerichtshofs oder am Hauptsitz der Vereinten Nationen stattfindet, sind diese Exemtionen in erster Linie für die Niederlande als dem Sitzstaat des Gerichts von Relevanz.560 Doch spielen sie auch für andere Staaten – etwa für Deutschland – eine Rolle, und zwar deshalb, weil die Vertreter auch schon auf ihren Reisen zum und vom Tagungsort der Versammlung Exemtionen genießen. Dies bedeutet zum Beispiel, daß die deutschen Strafverfolgungsbehörden einen polnischen Vertreter, der auf dem Weg zu einer Vertragsstaatenversammlung durch Deutschland reist, in Deutschland nicht verhaften dürfen, selbst wenn ihm die Begehung eines schweren Verbrechens zur Last gelegt wird. Auch die in Art. 25 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen enthaltene Bestimmung über das Recht und die Pflicht des Entsendestaates, gegebenenfalls auf die Exemtionen seiner Staatenvertreter zu verzichten, entspricht derjenigen für Staatenvertreter im UN-Immunitäten-Übereinkommen. Diesbezüglich kann daher auf die Darlegungen oben in § 19 IV.3.a)bb) verwiesen werden. 6. Exemtionen für Staatenvertreter bei Europol Auch an der Arbeit von Europol sind Vertreter der Mitgliedstaaten unmittelbar beteiligt. Der Verwaltungsrat von Europol setzt sich gemäß Art. 28 Abs. 2 EuropolÜbereinkommen561 aus einem Vertreter eines jeden Mitgliedstaates zusammen. ___________ Deutsche Übersetzung nach BT-Drucks. 15/2723, S. 11. Da die USA nicht Vertragsstaat des Römischen Statuts und des IStGH-ImmunitätenÜbereinkommens sind, sind die Exemtionen nach dem IStGH-Immunitäten-Übereinkommen für die USA nicht verbindlich, auch wenn die Vertragsstaatenversammlung in New York am Hauptsitz der Vereinten Nationen stattfindet. 561 Vgl. oben Anm. 421. 559 560
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Diese temporären Staatenvertreter genießen ebenso wie die Bediensteten von Europol nach Art. 41 Abs. 1 Europol-Übereinkommen562 i.V.m. Art. 8 Abs. 1 lit. a) Europol-Immunitätenprotokoll563 Immunität ratione materiae, denn diese beiden Normen erfassen pauschal auch alle „Mitglieder der Organe“.564 Allerdings gilt die Immunität ratione materiae der Mitglieder des Verwaltungsrats nicht gegenüber der Strafgerichtsbarkeit ihres Heimatstaates – diesem gegenüber sind sie nicht schutzwürdig. Zudem ist für die Aufhebung der Immunität der Mitglieder des Verwaltungsrats gemäß Art. 12 Abs. 2 Satz 3 Europol-Immunitätenprotokoll der jeweilige Entsendestaat zuständig. Darüber hinaus sieht Art. 5 Europol-Übereinkommen vor, daß jeder Mitgliedstaat Verbindungsbeamte als ständige Vertreter an den Sitz von Europol entsendet, die die Interessen ihres Entsendestaates gegenüber Europol vertreten und den ständigen Kontakt und Informationsaustausch zwischen den nationalen Polizeistellen und Europol sicherstellen.565 Bezüglich der Exemtionen für diese ständigen Staatenvertreter bestimmt Art. 41 Abs. 2 Europol-Übereinkommen:566 „(2) Das Königreich der Niederlande und die anderen Mitgliedstaaten vereinbaren gleichlautend für die von den anderen Mitgliedstaaten entsandten Verbindungsbeamten sowie für deren Familienangehörige die Vorrechte und Immunitäten, die für eine ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Verbindungsbeamten im Rahmen von Europol erforderlich sind.“
Maßgeblich für die deutschen Verbindungsbeamten ist eine bilaterale Vereinbarung zwischen den Niederlanden und Deutschland vom 2./10. März 1999.567 Diese legt fest, daß die Verbindungsbeamten sowie die zu ihrem Haushalt gehörenden Familienmitglieder dieselben Vorrechte und Immunitäten genießen wie die, die nach dem WÜD Mitgliedern des diplomatischen Personals gewährt werden.568 Diese Exemtionen gelten aber nur gegenüber dem Sitzstaat Niederlande, schränken also die deutsche Strafgerichtsbarkeit nicht ein. Deutsche Verbindungsbeamte sind daher weiterhin uneingeschränkt der deutschen Strafgewalt unterworfen.569 ___________ Vgl. oben Anm. 93. Vgl. oben Anm. 112. 564 Vgl. wegen der Einzelheiten des Exemtionsumfangs daher oben § 19 II.5.b)aa). 565 Vgl Voß, Europol, S. 136 f. 566 Vgl. auch Art. 5 Abs. 8 Europol-Übereinkommen. 567 Vgl. Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 10 f. Gleichlautende Vereinbarungen haben die Niederlande mit den übrigen 13 Vertragsstaaten von Europol abgeschlossen. 568 Der Wortlaut der Vereinbarung ist wiedergegeben bei Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 11. Vgl. zum Gehalt der Exemtionen Kremer, a.a.O., S. 161 f. (der allerdings zu Unrecht von einer Beschränkung der Exemtion auf Amtshandlungen spricht). Siehe ferner Voß, Europol, S. 129 f. 569 Vgl. Hailbronner, JZ 1998, 283 (284) und Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, S. 162. 562 563
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V. Exemtionen für Vertreter von Drittstaaten bei internationalen Organisationen Lediglich bei den internationalen Organisationen, deren Wirkungskreis sich nicht auf die Mitgliedstaaten beschränkt, sondern die auch mit Drittstaaten in Kontakt stehen bzw. Tätigkeiten entfalten, die sich auf Drittstaaten auswirken sollen, besteht ein Interesse der Mitgliedstaaten daran, auch Staatenvertretern von Drittstaaten gewisse Exemtionen zu gewähren, um diesen die Wahrnehmung von Aufgaben bei der Organisation zu ermöglichen. Da etliche internationale Organisationen keine „externen“ Kontakte haben bzw. Aktivitäten entfalten, werden vielfach Staatenvertretern von Drittstaaten bewußt keine Exemtionen eingeräumt. Sofern in den einschlägigen völkerrechtlichen Verträgen – dem Gründungsvertrag, einem besonderen Vertrag über Vorrechte und Befreiungen bzw. einem Headquarter-Agreement zwischen der Organisation und ihrem Sitzstaat – keine Exemtionsregelungen für Vertreter von Drittstaaten normiert sind und auch keine bilateralen Verträge zwischen einem Drittstaat und der betreffenden Organisation bzw. ihrem Sitzstaat existieren, dürfen daher nicht die Exemtionsbestimmungen für Staatenvertreter von Mitgliedstaaten auf Staatenvertreter von Drittstaaten entsprechend angewandt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, daß Vertreter von Drittstaaten, die mit der Organisation in Kontakt treten, in solchen Fällen keine besonderen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gegenüber dem Sitzstaat oder anderen Mitgliedstaaten der Organisation genießen.570 Sofern die einschlägigen vertraglichen Bestimmungen aber explizit Exemtionen für Staatenvertreter von Drittstaaten festlegen, sind diese regelmäßig eng begrenzt. Zum einen werden den Vertretern von Drittstaaten vielfach lediglich Exemtionen gegenüber der Hoheitsgewalt des Sitzstaates der Organisation zuerkannt, nicht aber auch gegenüber der Hoheitsgewalt anderer Mitgliedstaaten. Sofern die Vorrechte und Befreiungen für Vertreter von Drittstaaten lediglich in Headquarter-Agreements normiert sind, ergibt sich dies schon daraus, daß durch einen solchen Vertrag zwischen einer Organisation und ihrem Sitzstaat andere Mitgliedstaaten nicht verpflichtet werden können. Soweit – wie im Bereich der Europäischen Gemeinschaften – Exemtionen für Staatenvertreter von Drittstaaten in einem zwischen allen Mitgliedstaaten geschlossenen Vertrag normiert sind, ist eine Beschränkung der Exemtionen auf das Gebiet des Sitzstaates zum Teil ausdrücklich festgelegt. Zum anderen beziehen sich die Exemtionen für Staatenvertreter von Drittstaaten nicht stets auf beide Arten von Staatenvertretern. Zum Teil werden – so etwa im Bereich der Europäischen Gemeinschaften – nur ständigen Staatenvertretern, die Mitglieder einer vom Drittstaat am Sitz der Organisation errichteten ständigen ___________ 570 Vgl. auch Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 332. In bezug auf ihr hoheitlich-dienstliches Handeln sind Staatenvertreter von Drittstaaten allerdings unabhängig von völkervertraglichen Vereinbarungen aufgrund der Staatenimmunität von einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit freigestellt. Vgl. dazu oben § 19 IV.2.f).
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Beobachtermission sind, Exemtionen zuerkannt, nicht aber temporären Staatenvertretern, also Emissären von Drittstaaten, die lediglich zur Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe mit Organen der Organisation in Kontakt treten. Angesichts der von Organisation zu Organisation stark variierenden Bestimmungen für Vertreter von Drittstaaten lassen sich übereinstimmende Grundstrukturen der diesen Personen zukommenden Exemtionen kaum ausmachen. Allenfalls folgendes läßt sich festhalten: Sofern Vertretern von Drittstaaten Exemtionen zuerkannt werden, ist deren sachlicher Umfang (nicht aber deren räumlicher und persönlicher Geltungsbereich!) in der Regel identisch mit dem der Exemtionen für Staatenvertreter aus Mitgliedstaaten. Ständige Staatenvertreter genießen also regelmäßig Immunität ratione personae sowie persönliche Unverletzlichkeit. Temporären Staatenvertretern wird dagegen regelmäßig nur Immunität ratione materiae für ihre dienstlichen Handlungen sowie eine Freistellung von Festnahme und Inhaftierung zugebilligt. Lediglich auf die Regelungen für Staatenvertreter von Drittstaaten bei den Europäischen Gemeinschaften soll im folgenden – exemplarisch – näher eingegangen werden.571 Etliche Staaten, die nicht Mitglied der Europäischen Gemeinschaften sind, unterhalten bei den Gemeinschaften – das heißt am Ort des Hauptsitzes der Gemeinschaften in Brüssel – ständige Vertretungen, um ihre Interessen gegenüber den Organen der Gemeinschaften besser artikulieren zu können.572 Art. 17 Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Gemeinschaften573 legt für solche Vertretungen fest: „Der Mitgliedsstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Sitz der Gemeinschaften befindet, gewährt den bei den Gemeinschaften beglaubigten Vertretungen dritter Länder die üblichen Vorrechte und Befreiungen.“
___________ 571 Lediglich hingewiesen werden soll darauf, daß Staatenvertreter von Drittstaaten bei den Vereinten Nationen keine besonderen völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen, da weder das UN-Immunitäten-Übereinkommen und das Immunitätenabkommen für die Sonderorganisationen noch die HeadquarterAgreements mit den USA (vgl. oben Anm. 114) und der Schweiz (vgl. oben Anm. 115) Bestimmungen bezüglich der Staatenvertreter von Drittstaaten enthalten. Vgl. YBILC 1967 II, 154 (190 f.) (UN-Dokument A/CN.4./L.118); El-Erian, YBILC 1967 II, 133 (142 f.) (UN-Dokument A/CN.4./195); Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 41 f.; Schütz, Host State Agreements, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Rn. 19. 572 Laut Simma/Vedder, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Recht der Europäischen Union, Bd. III, Art. 281 EGV Rn. 15 hatten 1998 165 Drittstaaten und 20 internationale Organisationen ständige Vertreter bei den Europäischen Gemeinschaften akkreditiert. Siehe auch Kokott, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 281 Rn. 30; Tomuschat, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. 281 EG Rn. 21. 573 Vgl. oben Anm. 107.
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Die Vertretungen von Drittstaaten bei den Europäischen Gemeinschaften entsprechen von ihrer Struktur her diplomatischen Missionen.574 Daher genießen die Mitglieder solcher ständigen Vertretungen dieselben Exemtionen, die entsprechenden Mitgliedern ständiger diplomatischer Missionen nach dem WÜD zukommen. Denn die Exemtionsregelungen des WÜD können als die „üblichen“ Bestimmungen für Vertretungen dieser Art bezeichnet werden.575 Ausdrücklich stellt Art. 17 des Protokolls aber fest, daß die Vorrechte und Befreiungen nur gegenüber der Hoheitsgewalt des Sitzstaates gelten, so daß die übrigen Mitgliedstaaten – auch die Bundesrepublik Deutschland – nicht verpflichtet sind, den Mitgliedern der Vertretungen von Drittstaaten bei den Europäischen Gemeinschaften irgendwelche über die gewohnheitsrechtliche Staatenimmunität hinausreichenden Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu gewähren.576
VI. Exemtionen für Beteiligte an Verfahren internationaler Gerichte 1. Übereinstimmende Grundstrukturen der Exemtionsregelungen Internationale Gerichte können ihre Tätigkeit nur dann ordnungsgemäß ausüben, wenn alle Verfahrensbeteiligten in der Lage sind, die ihnen zukommenden Funktionen wahrzunehmen. Bei Verfahren vor dem IGH oder dem ISGH muß es den Vertretern der beteiligten Staaten möglich sein, bei den mündlichen Verhandlungen anwesend zu sein. Bei Strafverfahren vor den UN-Strafgerichtshöfen und dem IStGH muß es – um lediglich eine weitere Fallgruppe beispielhaft zu nennen – den Verteidigern möglich sein, ihre Funktion durch Vorbereitung der Strafverteidigung und Teilnahme an der Verhandlung wahrzunehmen. Zudem gilt es sicherzustellen, daß Zeugen und Sachverständige von den Gerichten gehört werden können. All diese Personen bedürfen daher gewisser völkerrechtlicher Exemtionen, durch die sichergestellt wird, daß kein Staat eine Teilnahme dieser Personen an den Verhandlungen eines internationalen Gerichts verhindert bzw. behindert, also kein Staat die Arbeit des Gerichts beeinträchtigt. Deshalb enthalten die einschlägigen Statuten und (sonstigen) völkerrechtlichen Verträge über internationale Gerichte in aller Regel auch Exemtionsbestimmungen ___________ Vgl. zur Frage, welche Organe für die Europäischen Gemeinschaften das Gesandtschaftsrecht wahrnehmen, Oppermann, Europarecht, § 5 Rn. 86, § 30 Rn. 59 ff. Siehe ferner Balekjian, ÖZöR 27 (1976), 67 (72 ff.). 575 Vgl. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EGVertrag, Art. 291 EG Rn. 57. 576 Bothe, ZaöRV 37 (1977), 122 (132 f.) meint dagegen, die Bestimmungen des Art. 40 WÜD gälten für ständige Staatenvertreter bei den Europäischen Gemeinschaften im Gebiet anderer Mitgliedstaaten der EU als den Sitzstaaten Belgien, Luxemburg und Frankreich bei dienstbezogenen dortigen Aufenthalten analog. 574
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für Bevollmächtigte, Anwälte, Zeugen, Sachverständige und weitere Verfahrensbeteiligte. Diese Exemtionen stellen insofern eine völkerrechtliche Besonderheit dar, als alle sonstigen völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit lediglich Personen gewährt werden, die für einen Staat oder eine internationale Organisation als Funktionsträger tätig sind bzw. waren oder als Familienangehöriger in einem besonderen Näheverhältnis zu einem solchen Funktionsträger stehen. „Privatpersonen“ genießen daher grundsätzlich keine völkerrechtlichen Exemtionen. Eine Ausnahme stellen jedoch die hier betrachteten Exemtionen für Beteiligte an Verfahren internationaler Gerichte dar. Damit die internationalen Gerichte ihren Aufgaben nachkommen können, werden ausnahmsweise auch Personen, die weder selbst eine Funktion für ein Völkerrechtssubjekt wahrnehmen noch Familienmitglied eines Funktionsträgers sind, gewisse völkerrechtliche Exemtionen zuerkannt. Die Reichweite der Exemtionen für den Bereich der verschiedenen internationalen Gerichte weist große Unterschiede auf. Denn die Schutzbedürftigkeit von Verfahrensbeteiligten ist sehr unterschiedlich. Beim IGH, vor dem Staaten nur mit ihrem Einverständnis verklagt werden können, ist die Gefahr eines unlauteren Einschreitens gegen Verfahrensbeteiligte durch einzelne Staaten gering. Das gleiche gilt bei Gerichten wie dem EuGH und dem EuG; denn die Staaten, die diese Gerichte tragen, sind allesamt demokratische Gemeinwesen, die sich hohen rechtsstaatlichen Standards verpflichtet haben und der Idee einer internationalen Gerichtsbarkeit in gleicher Weise aufgeschlossen gegenüberstehen. Die Exemtionsregelungen für Verfahrensbeteiligte brauchen für den Bereich dieser Gerichte daher weniger weitreichend zu sein als beispielsweise für den Bereich des IStGH, der eine universelle Ausrichtung aufweist, von Staaten mit unterschiedlichen Rechtstraditionen und politischen Systemen getragen wird und dessen Aufgabe es ist, Strafgewalt über Völkerstraftaten auszuüben, die in aller Regel im Auftrag oder zumindest mit Unterstützung staatlicher Stellen begangen werden. Hier ist die Gefahr einer Behinderung der gerichtlichen Tätigkeit durch ein Vorgehen einzelner Staaten gegen Verfahrensbeteiligte besonders groß, so daß es nicht überrascht, daß die Exemtionsregelungen für Beteiligte an Verfahren des IStGH besonders weitreichend sind. Insofern lassen sich nur wenige übereinstimmende Grundstrukturen der Exemtionen für Beteiligte an Verfahren internationaler Gerichte aufzeigen. In aller Regel wird den Verfahrensbeteiligten Immunität für ihre mündlichen und schriftlichen Äußerungen sowie sonstigen Handlungen eingeräumt, die sie im Rahmen ihrer Funktion als Vertreter einer Partei, als Verteidiger, Zeuge oder Sachverständiger getätigt haben. Diese Exemtion wird zeitlich unbegrenzt gewährt, kann aber regelmäßig vom Gericht aufgehoben werden. Zudem sind normalerweise die mit der Funktion in Zusammenhang stehenden Papiere und Dokumente einer Beschlagnahme entzogen. Diese Exemtionen gelten grundsätzlich gegenüber der Strafgewalt aller Mitgliedstaaten in gleicher Weise. Nur bei Vertretern eines Staates ist man-
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gels Schutzbedürftigkeit eine Exemtion gegenüber der Strafgewalt des Staates, für den sie tätig sind, zu verneinen. Zum Teil wird den Verfahrensbeteiligten noch eine beschränkte persönliche Unverletzlichkeit eingeräumt, die ein Verbot einer Festnahme oder Inhaftierung während der Reisen zum oder vom Gericht sowie während des Aufenthalts am Tagungsort des Gerichts beinhaltet. Doch ist eine solche Unverletzlichkeit nicht die Regel. 2. Exemtionen für Beteiligte an Verfahren des IGH und des ISGH Für Verfahren vor dem IGH legt Art. 42 IGH-Statut fest: „(1) Die Parteien werden durch Bevollmächtigte vertreten. (2) Sie können sich vor dem Gerichtshof der Hilfe von Beiständen oder Anwälten bedienen. (3) Die Bevollmächtigten, Beistände und Anwälte der Parteien vor dem Gerichtshof genießen die zur unabhängigen Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Vorrechte und Immunitäten.“
Ob bzw. inwieweit zu den „erforderlichen Vorrechten und Immunitäten“ auch Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu zählen sind, geht aus Art. 42 Abs. 3 IGH-Statut nicht unmittelbar hervor. Wenn man aber vom Zweck der Norm ausgeht, wird man diese Frage zu bejahen haben, gleichzeitig aber die Staaten nur zur Gewährung derjenigen Exemtionen für verpflichtet halten können, die unabdingbar sind für die Aufgabe der Vertretung eines Staates – nur Staaten können gemäß Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut Parteien eines Verfahrens sein – vor dem IGH. Dies bedeutet zunächst, daß eine Befreiung von der Strafgerichtsbarkeit des Staates, für den ein Bevollmächtigter, ein Beistand oder Anwalt tätig wird, nicht existiert. Denn einen Schutz vor der Hoheitsgewalt der „eigenen Partei“ muss es nicht geben. Dagegen bedarf es eines Schutzes vor der Zwangsgewalt des Staates, in dem der Gerichtshof tagt, sowie eines Schutzes vor der Strafgewalt der Staaten, die auf Reisen zum oder vom Gerichtshof durchquert werden. Daraus folgt zunächst eine Freistellung von Festnahme oder Haft, also ein Verbot einer nicht nur kurzfristigen Beschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit. Art. 42 Abs. 3 IGH-Statut ist daher so zu interpretieren, daß die Bevollmächtigten, die Beistände und Anwälte von der Strafgewalt des Sitzstaates des IGH und der Transitstaaten insofern befreit sind, als sie nicht längerfristig ihrer persönlichen Bewegungsfreiheit beraubt werden dürfen. Zudem wird man eine Immunität ratione materiae für die im Rahmen der Funktion als Vertreter einer Partei getätigten mündlichen und schriftlichen Aussagen und sonstigen Handlungen sowie ein Verbot der Beschlagnahme ihrer mitgeführten Schriftstücke und Dokumente annehmen müssen. Eine dem Art. 42 IGH-Statut entsprechende Vorschrift enthält das ISGH-Statut nicht. Allerdings ist der Status der Parteivertreter in Art. 16 Abs. 1 Agreement on the Privileges and Immunities of the International Tribunal for the Law of the Sea
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vom 23. Mai 1997577 dahingehend geregelt, daß diese Personen Immunität ratione materiae, Unverletzlichkeit im Sinne einer Freistellung von Festnahme oder Haft sowie Unverletzlichkeit ihres Gepäcks und ihrer Dokumente genießen.578 Gegenüber dem auftraggebenden Staat kommen Bevollmächtigten eines Staates keine Exemtionen zu.579 Sachverständige und Zeugen, die vor dem ISGH auftreten, genießen während der Zeit, in der sie ihrer Aufgabe nachkommen, gemäß Art. 15 und 17 des Agreement die gleichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit wie die Parteivertreter nach Art. 16, wobei diese Personen aber von der Strafgewalt aller Vertragsstaaten, also auch ihres Heimatstaates, in gleicher Weise befreit sind.580 3. Exemtionen für Beteiligte an Verfahren des IStGH Art. 48 Abs. 4 IStGH-Statut legt fest, daß den Beratern, den Sachverständigen, den Zeugen und allen anderen Personen, deren Anwesenheit am Sitz des Gerichtshofs erforderlich ist, Exemtionen nach Maßgabe des IStGH-Immunitäten-Übereinkommens zukommen. Dementsprechend enthält das IStGH-Immunitäten-Übereinkommen in den Art. 18 ff. ausgesprochen detaillierte Regelungen, die unter anderem auch Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit festlegen, und zwar für die Verteidiger von Beschuldigten und die Rechtsbeistände von Opfern sowie deren Assistenten (Art. 18), für Zeugen (Art. 19), für Opfer, die vor dem Gericht auftreten (Art. 20), für Sachverständige (Art. 21) sowie für andere Personen, deren Anwesenheit am Sitz des Gerichtshofs erforderlich ist (Art. 22).581 Der sachliche Gehalt der diesen Personen gewährten Exemtionen ist allerdings im wesentlichen gleich. Gewährt wird jeweils: ___________ 577 Vgl. oben Anm. 354. Für Deutschland ist dieses Übereinkommen noch nicht in Kraft getreten. Derzeit ist für die deutschen Strafverfolgungsbehörden daher nicht das Übereinkommen, sondern eine Verordnung vom 10.10.1996 (vgl. oben Anm. 355) maßgeblich. 578 Diese Regelungen bestätigen zugleich die Richtigkeit der oben vorgenommenen Interpretation des Art. 42 Abs. 3 IGH-Statut. Art. 20 des Agreement bestimmt, daß auf diese Exemtionen verzichtet werden kann und ggf. auch verzichtet werden muß, wobei hinsichtlich der Parteivertreter eines Staates der betreffende Staat für befugt erklärt wird, auf die (zu seinen Gunsten gewährten) Exemtionen zu verzichteten, während hinsichtlich sonstiger Personen der Kanzler, der Gerichtshof bzw. der Präsident des Gerichts die Kompetenz zum Exemtionsverzicht besitzt. 579 Dies ergibt sich auch aus Art. 20 Abs. 2 des Agreement, wo festgelegt ist, daß der Staat, der einen Vertreter beauftragt hat, auf dessen Exemtionen verzichten kann. Damit gelten die Exemtionen vor allem gegenüber der Strafgewalt des Sitzstaates des ISGH, also gegenüber der deutschen Strafgewalt, sowie ferner gegenüber der Strafgewalt von Transitstaaten. 580 Vgl. auch unten Anm. 584 und dazugehörigen Text. Für die Aufhebung der Exemtionen von Zeugen und Sachverständigen ist gemäß Art. 20 Abs. 2 des Agreement der Gerichtshof zuständig. 581 Siehe hierzu auch Mochochoko, Fordham Int’l L.J. 25 (2001–2002), 638 (654 ff.). Vgl. ferner BT-Drucks. 15/2723, S. 23.
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x Befreiung von Festnahme oder Haft, also Unverletzlichkeit insofern, als nicht lediglich kurzfristige Beschränkungen der persönlichen Bewegungsfreiheit untersagt sind. Diese Unverletzlichkeit bedeutet aber nur, daß während der Zeit, in der sie zu gewähren ist, die Vornahme einer Inhaftierung der geschützten Personen untersagt ist, nicht aber, daß bereits vorher inhaftierte Personen – etwa ein Zeuge, der bereits wegen des völkerrechtlichen Verbrechens, wegen des vor dem IStGH gegen eine andere Person verhandelt wird, von einem Staat verurteilt wurde und dort eine Freiheitsstrafe verbüßt – wieder freigelassen werden müßten. x Befreiung von der Durchsuchung und Beschlagnahme des persönlichen Gepäcks. Das Verbot der Durchsuchung gilt allerdings dann nicht, wenn der dringende Verdacht des Transports von Gütern vorliegt, die nach dem Recht des betreffenden Staates verboten sind. Bei Zeugen, Opfern und „anderen Personen“ gilt nur ein Beschlagnahmeverbot. x Unverletzlichkeit aller auf die Funktion als Verteidiger, Zeuge, Opfer, Sachverständiger oder „anderer Person“ bezogener Papiere und Dokumente, gleich welcher Form. Da nicht pauschal alle Dokumente der betreffenden Personen geschützt sind, sondern nur die mit der jeweiligen Funktion in Zusammenhang stehenden, ist eine Überprüfung zulässig, ob es sich überhaupt um derartige Dokumente handelt. Bedauerlicherweise ist keine Regelung dahingehend getroffen worden, daß der Gerichtshof im Streitfall darüber befindet, ob ein Dokument funktionsbezogen ist oder nicht. Damit hat es jeder Staat in der Hand, durch Verneinung des funktionsbezogenen Charakters eines Dokuments dessen Unverletzlichkeit zu umgehen.582 x Immunität für alle im Rahmen der Aufgabe als Verteidiger, Zeuge, Opfer, Sachverständiger oder „anderer Person“ getätigten mündlichen und schriftlichen Äußerungen sowie vorgenommenen Handlungen. Diese Immunität wird zeitlich unbefristet gewährt. Es handelt sich um eine echte Immunität, nicht um eine Indemnität im Sinne eines Strafausschließungsgrundes, wie sie Abgeordneten für ihre Äußerungen im Parlament gewährt wird (vgl. Art. 46 Abs. 1 GG). Denn diese Immunität kann – wie auch die sonstigen Exemtionen – gemäß Art. 26 Abs. 2 IStGH-Immunitäten-Übereinkommen aufgehoben werden.
Die Exemtionen, vor allem das Verbot einer Festnahme oder Inhaftierung, einer Durchsuchung des persönlichen Gepäcks und einer Beschlagnahme einschlägiger Dokumente, gelten nicht nur am Sitz des Gerichtshofs, sondern gegenüber der Strafgerichtsbarkeit aller Mitgliedstaaten in gleicher Weise. Nicht geklärt ist, ab welchem Zeitpunkt eine geschützte Person Anspruch auf die zu gewährenden Freistellungen hat. Darf eine Person, sobald sie als zukünftig zu hörender Zeuge benannt ist, nicht mehr verhaftet werden? Darf ein Verteidiger bereits ab dem Zeitpunkt nicht mehr inhaftiert werden, zu dem er ein Mandat angenommen hat, auch wenn er dieses zunächst von seinem Heimatstaat aus wahrnimmt? Entscheidend für die Beantwortung dieser Fragen ist der Sinn und Zweck der Exemtionen. Es soll sichergestellt werden, daß die betreffenden Personen die ihnen zukommenden Funktionen wahrnehmen können. Exemtionen werden nur insoweit gewährt, als dies für die Funktionsausübung geboten ist.583 Dies bedeutet, daß die Exemtionen für Zeugen und Opfer, da sich ihre Funktion auf den Auftritt vor Gericht beschränkt, erst mit Beginn der Anreise zum Sitz des Gerichtshofs beginnen und – mit Ausnahme der Immunität – nach Beendigung der Rückreise erlöschen. Bei die___________ Vgl. dagegen die begrüßenswerte Regelung des Art. 32 § 2 EuGH-Verfahrensordnung und des Art. 38 § 2 EuG-Verfahrensordnung. Siehe hierzu unten § 19 VI.4. 583 Vgl. BT-Drucks. 15/2723, S. 23. 582
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sen Personen soll vor allem sichergestellt werden, daß Transitstaaten, die auf ihrer Reise zum oder vom Gerichtshof durchquert werden, sowie der Sitzstaat des Gerichts sie nicht wegen einer früher begangenen Tat verhaften. Diese Staaten sollen nicht die Gelegenheit einer Inhaftierung nutzen, die sie ohne die Einreise der geschützten Person in ihr Hoheitsgebiet, die nur stattfindet, um vor dem IStGH auftreten zu können, nicht hätten. Ein Verteidiger nimmt seine Aufgaben dagegen ab der Übernahme des Mandats wahr. Daher genießt er die ihm zukommenden Exemtionen bereits ab dem Zeitpunkt der Mandatsübernahme, auch wenn er sich (vorerst) nicht persönlich zum Gerichtshof begibt. Ein Anwalt, der einen Beschuldigten in einem Verfahren vor dem IStGH vertritt, darf also ab dem Zeitpunkt der Übernahme des Mandats von keinem Vertragsstaat mehr verhaftet werden. Selbst dann, wenn ihm ein schweres Verbrechen zur Last gelegt wird, bewirkt bereits die Tatsache, daß der Anwalt – möglicherweise neben vielen anderen Mandaten – einen vom IStGH Beschuldigten vertritt, daß er nicht inhaftiert werden darf, sofern nicht der IStGH auf die Exemtion verzichtet. Den Strafverfolgungsbehörden einzelner Staaten wird die mitunter schwierige Aufgabe der Klärung der Frage, ab wann bzw. bis wann Exemtionen zu gewähren sind, dadurch abgenommen, daß die Art. 18 ff. IStGH-Immunitäten-Übereinkommen jeweils vorsehen, daß der Kanzler des IStGH den betreffenden Personen ein Dokument ausstellt, aus dem sich ergibt, daß sie den Status eines Verteidigers, Zeugen, Opfers, Sachverständigen oder einer „anderen Person“ haben und in dem auch der Zeitraum zu nennen ist, in dem die betreffende Person ihre Funktion wahrnimmt und damit schutzbedürftig ist. Dieses Dokument ist für die nationalen Strafverfolgungsbehörden, wie sich aus den Art. 18 ff. IStGH-Immunitäten-Übereinkommen entnehmen läßt, insofern verbindlich, als der Status der betreffenden Person und die dort genannten Zeiträume zu akzeptieren sind. Andererseits brauchen die Exemtionen nur dann gewährt zu werden, wenn dieses Dokument vorgelegt wird. Auch dies bedeutet eine erhebliche Erleichterung der Rechtsanwendung für die nationalen Behörden.584 4. Exemtionen für Beteiligte an Verfahren des EuGH und des EuG Vor dem EuGH und dem EuG müssen sich die Parteien gemäß Art. 19 Protokoll über die Satzung des Gerichtshofs585 durch Anwälte vertreten lassen. Damit diese ihrer Aufgabe nachkommen können, genießen sie, wie es in Art. 19 Abs. 5 Protokoll über die Satzung des Gerichtshofs heißt, „nach Maßgabe der Verfahrensord-
___________ Eine identische Regelung enthalten Art. 16 Abs. 2 und 3 Agreement on the Privileges and Immunities of the International Tribunal for the Law of the Sea (vgl. oben Anm. 354) für Beteiligte an Verfahren vor dem ISGH. 585 Vgl. oben Anm. 395. 584
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nung die zur unabhängigen Ausübung ihrer Aufgaben erforderlichen Rechte und Sicherheiten“.586 Die in strafrechtlicher Hinsicht relevanten Art. 32 § 1 EuGH-Verfahrensordnung587 und Art. 38 § 1 EuG-Verfahrensordnung588 legen wortgleich fest: „Die Bevollmächtigten, Beistände und Anwälte, die vor dem Gerichtshof oder vor einem von diesem um Rechtshilfe ersuchten Gericht auftreten, können wegen mündlicher und schriftlicher Äußerungen, die sich auf die Rechtssache oder auf die Parteien beziehen, nicht gerichtlich verfolgt werden.“
Ergänzend bestimmen Art. 32 § 2 EuGH-Verfahrensordnung und Art. 38 § 2 EuG-Verfahrensordnung: „Bevollmächtigte, Beistände und Anwälte genießen ferner folgende Vorrechte und Erleichterungen: a) Schriftstücke und Urkunden, die sich auf das Verfahren beziehen, dürfen weder durchsucht noch beschlagnahmt werden. Im Streitfall können die Zoll- oder Polizeibeamten derartige Schriftstücke und Urkunden versiegeln; diese werden unverzüglich dem Gerichtshof übermittelt und in Gegenwart des Kanzlers und des Beteiligten untersucht. (…).“
Den Anwälten589 kommt also Immunität ratione materiae zu, allerdings anders als den Verteidigern von Beschuldigten vor dem IStGH keine Freistellung von Festnahme oder Haft auch für „private“ Taten.590 Hinsichtlich des Verbots einer Durch___________ 586 Art. 53 Abs. 1 Protokoll über die Satzung des Gerichtshofs erklärt Art. 19, der sich unmittelbar lediglich auf Verfahren vor dem EuGH bezieht, auch für Verfahren vor dem EuG für einschlägig. Nicht einschlägig ist in bezug auf das EuG allerdings die Verfahrensordnung des EuGH. Für das EuG ist vielmehr eine besondere Verfahrensordnung maßgeblich. 587 Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 19.6.1991; ABl. EG 1991 Nr. L 176, S. 7 (letzte Änderung ABl. 2003 Nr. L 172, S. 12) = „Sartorius II“ Nr. 250. 588 Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 2.5.1991; ABl. EG 1991 Nr. L 136, S. 1 (letzte Änderung ABl. 2003 Nr. L 147, S. 22) = „Sartorius II“ Nr. 252. 589 Als geschützter Bevollmächtigter, Beistand oder Anwalt gilt gemäß Art. 33 EuGHVerfahrensordnung bzw. Art. 39 EuG-Verfahrensordnung nur, wer eine entsprechende, auf ein konkretes Verfahren bezogene Bescheinigung des Kanzlers des Gerichts bzw. des bevollmächtigenden Staates vorlegt. Diese Bescheinigung ist für die Strafverfolgungsbehörden der einzelnen EU-Staaten, mithin auch für die deutschen Strafverfolgungsbehörden, verbindlich. Denn die Exemtionsregelungen der Verfahrensordnungen sind gemäß Art. 19 Abs. 5 Satzung des Gerichtshofs integraler Bestandteil dieser Satzung. Und diese wiederum ist gemäß Art. 7 des Vertrags von Nizza (vgl. oben Anm. 107) Bestandteil eines von Deutschland ratifizierten völkerrechtlichen Vertrags, so daß deren Normen gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG über das deutsche Zustimmungsgesetz für die deutschen Strafverfolgungsbehörden unmittelbar verbindlich sind. 590 Die Immunität ratione materiae beinhaltet allerdings insofern Unverletzlichkeit, als eine Inhaftierung wegen einer Tat, für die der Anwalt Immunität genießt, nicht statthaft ist. Eine darüber hinausgehende Unverletzlichkeit allerdings wird nicht gewährt. Art. 32 § 2 lit. c) EuGH-Verfahrensordnung und Art. 38 § 2 lit. c) EuG-Verfahrensordnung, die Beschränkungen von Reisen, die zur Aufgabenerfüllung erforderlich sind, untersagen, bezie-
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suchung und Beschlagnahme funktionsbezogener Dokumente ist die in den vorgenannten Artikeln normierte „Streitfallregelung“ beachtenswert. Diese sinnvolle Bestimmung verhindert, daß einzelne Staaten die Unverletzlichkeit mit der Behauptung umgehen können, es handele sich um anderweitige Dokumente. Der Gerichtshof ist befugt, die Immunität ratione materiae für Anwälte aufzuheben. Art. 34 EuGH-Verfahrensordnung und Art. 40 EuG-Verfahrensordnung legen fest: „(1) Die in Artikel 32 genannten Vergünstigungen werden ausschließlich im Interesse der geordneten Durchführung des Verfahrens gewährt. (2) Der Gerichtshof kann die Befreiung von gerichtlicher Verfolgung aufheben, wenn der Fortgang des Verfahrens nach seiner Auffassung hierdurch nicht beeinträchtigt wird.“
Zeugen und Sachverständige, die vor dem EuGH oder EuG auftreten (müssen), genießen anders als Zeugen und Sachverständige vor dem IStGH keine strafrechtlich relevanten Exemtionen. 5. Exemtionen für Beteiligte an Verfahren des ICTY und ICTR Art. 30 Abs. 4 ICTY-Statut legt fest: „Sonstigen Personen einschließlich der Angeklagten, deren Anwesenheit am Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs erforderlich ist, wird die für die reibungslose Arbeit des Internationalen Gerichtshofs notwendige Behandlung gewährt.“
Art. 29 Abs. 4 ICTR-Statut enthält eine sachlich identische, lediglich vom Wortlaut her geringfügig abweichende Bestimmung. Auch diese bedauerlicherweise überaus vagen Bestimmungen sind aus den bereits in § 19 II.4.a)dd) genannten Gründen für die nationalen (deutschen) Strafverfolgungsbehörden als solche nicht beachtlich. Für die deutschen Strafverfolgungsbehörden sind vielmehr § 6 Abs. 3 Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetz591 und § 6 Abs. 3 Ruanda-StrafgerichtshofGesetz592 maßgeblich, die in Umsetzung der aus Art. 30 Abs. 4 ICTY-Statut und Art. 29 Abs. 4 ICTR-Statut resultierenden völkerrechtlichen Verpflichtung Deutschlands in ihrer aktuellen Fassung593 wortgleich festlegen: „Auf andere Personen, die nicht dem Gerichtshof angehören, aber an einem vor ihm geführten Verfahren beteiligt sind, findet Artikel VI Abschnitt 22 des Übereinkommens vom 13. Februar 1946 über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen (BGBl. 1980 II, S. 941) entsprechende Anwendung, soweit dies für die reibungslose Wahrnehmung der Aufgaben des Gerichtshofs erforderlich ist.“
___________ hen sich nur auf verwaltungsrechtliche Restriktionen, nicht aber auf strafprozessuale Maßnahmen, die lediglich mittelbar zu einer Einschränkung der Reisemöglichkeiten führen. 591 Vgl. oben Anm. 409. 592 Vgl. oben Anm. 410. 593 Vgl. oben Anm. 412.
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Erfreulich ist die konkrete Festlegung der zu gewährenden Exemtionen. Indem die Exemtionsregelungen für anwendbar erklärt werden, die nach dem UNImmunitäten-Übereinkommen für Sachverständige gelten, die im Auftrag der Vereinten Nationen tätig werden, wird zum einen bestimmt, daß Verfahrensbeteiligte – Anwälte, Zeugen, Sachverständige sowie die Angeklagten – Unverletzlichkeit insofern genießen, als sie nicht festgenommen oder inhaftiert werden dürfen. Zum anderen genießen die Verfahrensbeteiligten Immunität ratione materiae in bezug auf sämtliche mündliche und schriftliche Äußerungen und sämtliche Handlungen, die sie im Rahmen ihrer Funktion als Verfahrensbeteiligte getätigt haben. Darüber hinaus sind ihre auf ihre Funktion bezogenen Schriftstücke und sonstigen Dokumente unverletzlich, also einem strafprozessualen Zugriff entzogen.594 In der Sache werden den Verfahrensbeteiligten damit im großen und ganzen Exemtionen in dem gleichen Umfang gewährt, in dem auch Beteiligte an Verfahren vor dem IStGH Exemtionen von nationaler Strafgewalt genießen.595
VII. Sachbezogene Exemtionen zugunsten internationaler Organisationen Wie das Diplomaten- und Konsularrecht, nach dem seit jeher – gekennzeichnet mit dem unglücklichen Begriff „Exterritorialität“ – die Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen unverletzlich sind und darüber hinaus auch die beweglichen Besitztümer einer Vertretung einem strafprozessualen Zugriff durch den Empfangsstaat entzogen sind, so gewähren auch die Rechtsgrundlagen für internationale Organisationen sachbezogene Exemtionen gegenüber der Hoheitsgewalt einzelner Staaten. In bezug auf ihren Regelungsgehalt weisen die sachbezogenen Exemtionen für die verschiedenen internationalen Organisationen große Übereinstimmungen auf.596 In aller Regel werden die von einer Organisation genutzten Räumlichkeiten sowie ihre Guthaben und Vermögensgegenstände – wozu auch bewegliche Besitztümer wie Kraftfahrzeuge ohne Rücksicht auf die Eigentümerstellung zu zählen sind597 – für unverletzlich erklärt, womit sie jeglichem strafprozessualen Zugriff durch Behörden eines Mitgliedstaates entzogen sind. Durchsuchungen und Beschlagnahmen, bei Räumlichkeiten – hierzu sind wie im
___________ Vgl. auch BT-Drucks. 13/57, S. 13 und BT-Drucks. 13/7953, S. 13. Insofern kann an dieser Stelle auf die Ausführungen oben in § 19 VI.3. Bezug genommen werden. 596 Vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1913, 1938 und Szasz, International Organizations, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 1325 (1329). 597 Vgl. Muller, International Organizations and Their Host States, S. 188. 594 595
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Diplomatenrecht auch Grundstücke zu zählen598 – bereits ein Betreten, sind untersagt.599 Darüber hinaus wird typischerweise gesondert eine Unverletzlichkeit der Archive und Dokumente der Organisation festgelegt, da es sich dabei um besonders sensible und für die Arbeit der Organisation wichtige, weil gar nicht bzw. nur schwer ersetzbare Gegenstände handelt. Die Archive und Dokumente sind gleichfalls jeglichem strafprozessualen Zugriff entzogen, dürfen also gleichfalls weder durchsucht noch beschlagnahmt werden.600 Dem Sinn der Unverletzlichkeit für Archive und Dokumente entsprechend sind heutzutage auch elektronische Daten geschützt.601 Vielfach wird zudem internationalen Organisationen das Recht eingeräumt, Kuriergepäck zu verschicken und sich dabei einer Person als Kurier zu bedienen. Hinsichtlich der Rechtsstellung des Kuriergepäcks und des Kuriers wird in der Regel auf die Bestimmungen für diplomatische Kuriere und ihr Gepäck verwiesen, so daß das Kuriergepäck nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden darf und der Kurier selbst persönliche Unverletzlichkeit im Sinne einer Freistellung von Durchsuchungen und freiheitsbeschränkenden Maßnahmen genießt.602
___________ Vgl. Muller, International Organizations and Their Host States, S. 187 f. und Zacklin, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 300 f. 599 Vgl. Ahluwalia, Legal Status, Privileges and Immunities, S. 81 ff.; Amerasinghe, Institutional Law of International Organizations, S. 383; Jenks, International Immunities, S. 46 ff.; Muller, International Organizations and Their Host States, S. 185 ff.; Sands/ Klein, Bowett’s Law of International Institutions, Rn. 15-055; Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 805 ff.; Zacklin, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 300 ff. Ebenso wie im Diplomatenrecht gilt, daß die Räumlichkeiten internationaler Organisationen nicht „exterritorial“ in dem Sinne sind, daß sie (fiktiv) nicht als Hoheitsgebiet des Sitzstaates anzusehen wären. Sie sind und bleiben vielmehr Teil von dessen Hoheitsgebiet, so daß dort begangene Straftaten der Strafgewalt des Sitzstaates nach dem Territorialitätsprinzip unterfallen können. Lediglich eine Ausübung von Strafgewalt in den geschützten Räumlichkeiten bzw. auf dem Gelände einer Organisation ist untersagt. Vgl. Ahluwalia, a.a.O., S. 80. 600 Vgl. Jenks, International Immunities, S. 53 ff.; Muller, International Organizations and Their Host States, S. 202 ff.; Sands/Klein, Bowett’s Law of International Institutions, Rn. 15-057; Zacklin, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 301. 601 So auch Wenckstern, Hdb. IZVR II/1, Rn. 811. 602 Vgl. Muller, International Organizations and Their Host States, S. 211 ff. und Zacklin, in: Dupuy (Hrsg.), Manual sur les organisations internationales, S. 304 f. 598
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
§ 20 Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte In einer Vielzahl von Verfahren hatten bundesdeutsche Strafgerichte zu entscheiden, inwieweit Mitglieder der in Deutschland befindlichen Streitkräfte anderer Staaten der deutschen Strafgerichtsbarkeit entzogen sind.1 Dies zeugt davon, daß der Frage, in welchem Umfang Angehörige fremder Streitkräfte Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen, erhebliche praktische Relevanz zukommt. In diesen Verfahren ging es stets um Personen, die als Angehörige von NATOStreitkräften in Deutschland stationiert waren. Die Reichweite völkerrechtlicher Exemtionen für Mitglieder einer mit Einverständnis des Aufenthaltsstaates in diesem befindlichen Streitmacht gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates ist heutzutage in aller Regel völkervertraglich geregelt. Für die Bundesrepublik sind vor allem das NATO-Truppenstatut (NTS)2 und das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut (ZA-NTS)3 von Bedeutung. Da diese Untersuchung völkerrechtliche Exemtionen in erster Linie insoweit betrachtet, als sie für die deutsche Strafrechtspraxis Bedeutung haben, geht es nachfolgend vor allem darum, die für die Bundesrepublik maßgeblichen völkervertraglichen Bestimmungen über die Rechtsstellung in Deutschland befindlicher Angehöriger fremder Streitkräfte zu analysieren (III. und IV.). Die einschlägigen Regelungen sind dabei vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung des Rechts der Truppenstationierung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zu sehen (II.). Die völkervertraglichen Regelungen befassen sich jedoch nahezu ausschließlich mit der Rechtsstellung von Angehörigen fremder Streitkräfte, die sich mit Einverständnis des (regelmäßig verbündeten) Aufenthaltsstaates in diesem dienstlich bedingt aufhalten. Die Frage, inwieweit Angehörige von Streitkräften ansonsten der Strafgerichtsbarkeit für sie fremder Staaten unterworfen sind, etwa dann, wenn sie sich als Privatpersonen in einem anderen Staat aufhalten, im Rahmen eines bewaffneten Konflikts in den Machtbereich eines anderen Staates gelangen oder Angehörige einer Besatzungsmacht sind, bestimmt sich dagegen vornehmlich nach Völkergewohnheitsrecht. Die Erörterungen sollen daher mit einem Überblick über ___________ Vgl. die Auflistung veröffentlichter Gerichtsentscheidungen im Anhang zu dieser Untersuchung. 2 Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen (NATO-Truppenstatut) vom 19.6.1951; BGBl. 1961 II, S. 1190 = UNTS 199, 67. Abgedr. in der Textsammlung „Sartorius II“ unter Nr. 66b. 3 Zusatzabkommen zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen vom 3.8.1959; BGBl. 1961 II, S. 1218 = UNTS 481, 262. Zuletzt geändert durch Abkommen vom 18.3.1993; BGBl. 1994 II, S. 2598. Abgedr. in der Textsammlung „Sartorius II“ unter Nr. 66c. 1
§ 20 Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte
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die Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte nach Völkergewohnheitsrecht beginnen (I.), zumal die völkergewohnheitsrechtlichen Bestimmungen zugleich Basis und Ausgangspunkt für die völkervertraglichen Regelungen sind. Seit Anfang der neunziger Jahre beteiligt sich die deutsche Bundeswehr intensiv an friedenserhaltenden und friedensschaffenden Einsätzen im Rahmen der Vereinten Nationen und der NATO. Für die Bundesrepublik – allerdings nur sehr eingeschränkt für die deutschen Strafverfolgungsbehörden – gewinnt daher die Frage an Bedeutung, inwieweit Angehörige von Streitkräften der Vereinten Nationen bzw. von Streitkräften, deren Einsatz von den Vereinten Nationen autorisiert ist, besondere Freistellungen von der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates und anderer Staaten genießen. Auch auf diese Frage soll eingegangen werden (V.). Die Darstellung wird abgeschlossen mit Erörterungen zu der Frage, inwieweit Personen aufgrund ihrer Eigenschaft als Angehörige fremder Streitkräfte Exemtionen gegenüber der Gerichtsbarkeit internationaler Strafgerichtshöfe, namentlich der des IStGH, zukommen (VI.).
I. Völkergewohnheitsrechtliche Regeln über die Rechtsstellung von Angehörigen fremder Streitkräfte 1. Rechtsstellung von Militärangehörigen bei privaten Aufenthalten in fremden Staaten a) Das Fehlen einer rechtlichen Sonderstellung von Militärangehörigen Militärangehörige genießen nach Völkergewohnheitsrecht keinerlei Exemtion allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den Streitkräften eines Staates. Eine völkergewohnheitsrechtliche Immunität dahingehend, daß Soldaten ausschließlich der Strafgerichtsbarkeit des Staates unterliegen, für dessen Streitkräfte sie tätig sind, gibt es nicht. Insofern gilt für Angehörige von Streitkräften das gleiche wie für sonstige staatliche Funktionsträger: Es gibt keinen Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts, nach dem Personen bereits aufgrund ihres Status als staatlicher Funktionsträger der Gerichtsbarkeit anderer Staaten entzogen sind.4 Ein Angehöriger der Streitkräfte eines fremden Staates, der sich privat in Deutschland aufhält, unterliegt daher wie jede andere (Privat-)Person der deutschen Strafgewalt und Strafgerichtsbarkeit, darf also beispielsweise für einen in Deutschland begangenen Diebstahl, aber auch für eine im Heimatland im Rahmen einer
___________ 4
Dies ist seit jeher unbestritten; vgl. nur King, AJIL 36 (1942), 539 (539).
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
privaten Auseinandersetzung gegen einen deutschen Staatsbürger begangene Körperverletzung ohne weiteres zur Verantwortung gezogen werden.5 b) Zur Befreiung von fremdstaatlicher Strafgerichtsbarkeit aufgrund der Staatenimmunität aa) Allgemeines zur Reichweite der Staatenimmunität in bezug auf Angehörige fremder Streitkräfte Allerdings sind Angehörige von Streitkräften wie alle staatlichen Funktionsträger in bezug auf ihr hoheitlich-dienstliches Handeln für „ihren“ Staat aufgrund der Staatenimmunität fremdstaatlicher Strafgerichtsbarkeit grundsätzlich entzogen. Auf die Staatenimmunität können sich gegebenenfalls auch Soldaten berufen.6 Wenn daher beispielsweise einem Soldaten, der sich privat in Deutschland aufhält, vorgeworfen wird, in seinem Heimatstaat als Wachsoldat einer Kaserne einen deutschen Staatsbürger erschossen zu haben, der sich der Kaserne näherte, so ist diese Handlung als hoheitlich-dienstliche Handlung für den Heimatstaat zu bewerten und somit eine Strafverfolgung in Deutschland aufgrund der Staatenimmunität dauerhaft ausgeschlossen. Auf die Frage einer Rechtfertigung nach Tatortrecht kommt es mithin überhaupt nicht an. Wenn dieser Soldat jedoch als Fahrer eines Militärfahrzeugs in seinem Heimatland durch Unaufmerksamkeit einen Verkehrsunfall verschuldet, bei dem ein deutscher Staatsbürger ums Leben kommt, so steht einer Strafverfolgung in Deutschland keine völkerrechtliche Exemtion entgegen. Zwar ist die Tat als dienstliche Handlung einzustufen, aber nicht als hoheitlichdienstliche.7 Einer Strafverfolgung wegen nichthoheitlich-dienstlicher Handlungen (acta iure gestionis) setzt die Staatenimmunität jedoch keine Schranke (mehr).8 bb) Anmerkungen zu den in bezug auf Angehörige fremder Streitkräfte relevanten Ausnahmen von der Staatenimmunität Gerade in bezug auf Angehörige fremder Streitkräfte ist bedeutsam, daß die Staatenimmunität auch hinsichtlich acta iure imperii nicht (mehr) uneingeschränkt gilt. So wurde oben in § 6 II.1. dargelegt, daß die Staatenimmunität bei völker___________ So schon RGSt 52, 167 (168). Siehe auch BGH NStZ 2004, 402 (402); Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 366 f. 6 So auch Wirth, CLF 12 (2001), 429 (450, 458). Siehe auch Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 366 sowie ausführlich zur strafrechtlichen Relevanz der Staatenimmunität oben § 5. 7 Vgl. zur Einstufung von Taten im Straßenverkehr als acta iure gestionis oben § 5 III. 2.b). 8 Vgl. oben § 5 III.2.a). 5
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rechtlichen Verbrechen eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme erfährt. Bei Taten, die völkerrechtlich gesehen als Kriegsverbrechen zu klassifizieren sind, aber auch bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Taten des Völkermords stellt die Staatenimmunität daher keine Schranke für eine Strafverfolgung dar. Ein Soldat, der sich privat in Deutschland aufhält, darf also wegen Taten nach den §§ 6 ff. VStGB ohne Einschränkungen durch die Staatenimmunität zur Verantwortung gezogen werden. Bei Taten, die völkerrechtlich gesehen als völkerrechtliche Verbrechen einzustufen sind, ist eine Ahndung aber auch unter Anwendung der Straftatbestände des StGB ohne Einschränkung durch die Staatenimmunität statthaft, da die Ausnahme von der Staatenimmunität für alle Handlungen gilt, die als völkerrechtliche Verbrechen unmittelbar nach Völkerrecht strafbar sind, unabhängig davon, auf welcher Basis eine nationale Strafverfolgung erfolgt.9 So dürfte beispielsweise ein britischer Soldat, dem vorgeworfen wird, im Sommer 2003 im Irak im Zuge von Kampfmaßnahmen Angriffe auf zivile Gebäude gerichtet zu haben, bei einem späteren privaten Aufenthalt in Deutschland verhaftet und wegen eines Verbrechens nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 VStGB verfolgt und gegebenenfalls bestraft werden. Die Staatenimmunität erfährt zudem noch weitere Ausnahmen; namentlich gilt sie – wie oben in § 6 II.2. gezeigt – bei schweren Menschenrechtsverletzungen wie extralegalen Tötungen, Folterungen und Taten des Verschwindenlassens nicht, und zwar auch dann nicht, wenn diese Taten die Schwelle zum völkerrechtlichen Verbrechen nicht überschreiten. Begründet werden können diese weiteren Ausnahmen damit, daß ein Staat, der solche Taten veranlaßt oder billigt, sein Recht auf Staatenimmunität verwirkt.10 Im vorliegenden Zusammenhang kann diesen weiteren mit dem Gedanken der Verwirkung begründeten Ausnahmen bei folgender Fallkonstellation Bedeutung zukommen: Nicht alle nach humanitärem Kriegsvölkerrecht verbotene Verhaltensweisen sind als völkerrechtliche Kriegsverbrechen strafbar, also durch die einzelnen Menschen unmittelbar verpflichtende und anwendbare völkergewohnheitsrechtlich geltende Straftatbestände pönalisiert. Als Kriegsverbrechen sind nach Völkergewohnheitsrecht (und dem dieses rezipierenden VStGB) nur besonders schwere Verletzungen des in bewaffneten Konflikten geltenden Rechts strafbar.11 Es stellt sich daher die Frage, ob auch solche Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die (noch) nicht als Kriegsverbrechen völkergewohnheitsrechtlich strafbewehrt sind, ohne Ein___________ 9 So schon Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 366 f. mit Fn. 1588. 10 Vgl. hierzu die Darstellung oben bei § 6 II.2.b)cc). 11 Vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 11 (13, 23); Gropengießer, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 156; Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), a.a.O., S. 78 f.
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schränkung durch die Staatenimmunität geahndet werden können, die Staatenimmunität also bei allen Verstößen gegen das Recht der bewaffneten Konflikte, nicht nur bei solchen, die völkerstrafrechtlich pönalisiert sind, eine Ausnahme erfährt. Hiervon geht offenbar die deutsche Bundesregierung aus, wenn es in der Begründung des Regierungsentwurfs für das VStGB im Zusammenhang mit der Frage, inwieweit neben dem VStGB Straftatbestände des StGB einschlägig sein können, ohne einen Hinweis auf eine der Strafverfolgung möglicherweise entgegenstehende Exemtion heißt: „Das VStGB trifft keine abschließende Sonderregelung für Straftaten, die in bewaffneten Konflikten oder im Zusammenhang mit Angriffen gegen die Zivilbevölkerung begangen werden. Verhaltensweisen, die nach allgemeinem Strafrecht unter Strafe gestellt sind, können daher auch dann nach dem StGB strafbar sein, wenn eine Strafbarkeit nach den Vorschriften des VStGB nicht gegeben ist. (…) war das Verhalten völkerrechtlich verboten, so kann es auch dann nach deutschem Strafrecht strafbar sein, wenn das Völkerrecht als solches keine Strafbarkeit anordnet. So kann etwa ein Flugzeugpilot, der die völkerrechtlich gebotenen Vorsichtsmaßnahmen (vgl. etwa Artikel 57 Abs. 2 Zusatzprotokoll I) nicht getroffen hat und deshalb beim Abwurf von Bomben Zivilpersonen getötet hat, nach deutschem Recht – sofern dieses nach den §§ 3 bis 7 StGB anwendbar ist – wegen vorsätzlicher Tötung strafbar sein, auch wenn das Völkerstrafrecht sein Verhalten nicht unter Strafe stellt.“12
Soweit ersichtlich, ist die Frage, ob die Staatenimmunität auch bei solchen Verstößen gegen das humanitäre (Kriegs-)Völkerrecht eine Ausnahme erfährt, die nicht zugleich als Kriegsverbrechen auf völkerrechtlicher Ebene pönalisiert sind, in der Rechtspraxis bislang nicht relevant geworden und in der Literatur noch nicht erörtert worden. Von einer völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung einer solchen Ausnahme wird man daher (noch) nicht ausgehen dürfen. Andererseits aber wurde oben in § 6 II.2.b)cc) ausgeführt, daß die Staatenimmunität bei Verstößen gegen völkerrechtliches ius cogens, die eine erga omnes-Wirkung haben, verwirkt wird. Mit diesem Gedanken der Verwirkung läßt sich auch eine Irrelevanz der Staatenimmunität bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht begründen, die nicht zugleich Kriegsverbrechen darstellen. Denn auch die Normen des humanitären Völkerrechts sind zum ius cogens zu zählen, auch ihre Verletzung wirkt erga omnes. Andererseits aber ist zu bedenken, daß in bewaffneten Konflikten viele nach dem allgemeinen Strafrecht tatbestandsmäßige Verhaltensweisen als völkerrechtlich zulässige Kampfhandlungen legalisiert sind. So ist die Tötung oder Verwundung eines gegnerischen Kombattanten im Krieg erlaubt, sofern dabei nicht gegen die Schutzvorschriften des humanitären Völkerrechts verstoßen wird, also keine unzulässigen Methoden oder Mittel der Kampfführung zum Einsatz kommen. Der „Täter“ handelt in solchen Fällen nach Völkerrecht gerechtfertigt. Diese völkerrecht___________ 12 BT-Drucks. 14/8524, S. 11 (13). Vgl. auch BT-Drucks. 14/8524, S. 11 (33). Ebenso auch Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1177; Werle/Nerlich, HuV-I 2002, 124 (129); Zimmermann, ZRP 2002, 97 (100); ders., NJW 2002, 3068 (3069).
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lichen Rechtfertigungsgründe sind aufgrund ihrer völkergewohnheitsrechtlichen Verankerung gemäß Art. 25 GG Bestandteil des Bundesrechts mit Vorrang vor den Strafgesetzen und damit auch innerstaatlich unmittelbar verbindliche und anwendbare Rechtfertigungsgründe. Eine Bestrafung wegen völkerrechtlich legaler Kampfhandlungen (nach den Straftatbeständen des allgemeinen Strafrechts) scheidet damit aus.13 Sofern solche völkerrechtlich legalisierten Kriegshandlungen – wie dies zumeist der Fall sein dürfte – als hoheitlich-dienstliche Handlungen für den Staat, dessen Soldat der Täter ist, zu klassifizieren sind, steht einer Bestrafung allerdings bereits die Staatenimmunität entgegen. Denn da solche Kriegshandlungen legal sind, also weder Kriegsverbrechen noch ansonsten vom humanitären Völkerrecht verbotene Verhaltensweisen sind, kommt eine Ausnahme von der Staatenimmunität nicht in Betracht. Soweit es um völkerrechtlich legale Handlungen von Soldaten fremder Streitkräfte geht, untersagt damit in aller Regel bereits die Staatenimmunität als Verfahrenshindernis ein Strafverfahren in Deutschland, so daß es auf die Frage einer materiellrechtlichen Rechtfertigung gar nicht ankommt.14 2. Die Rechtsstellung von Militärangehörigen, die im Rahmen bewaffneter Konflikte in den Machtbereich des Gegners gelangen Die Rechtsstellung von Militärangehörigen, die im Rahmen bewaffneter Konflikte in den Machtbereich des Gegners gelangen, unterscheidet sich – was die Frage ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit anbelangt – nicht von der gerade dargestellten Position eines Soldaten, der sich in Friedenszeiten privat im Hoheitsgebiet eines fremden Staates aufhält.15 ___________ So auch BT-Drucks. 14/8524, S. 11 (13); Werle/Nerlich, HuV-I 2002, 124 (129); Zimmermann, ZRP 2002, 97 (100) und bereits Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 134 f. Siehe ferner Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 79, 399 f. 14 Zur strafrechtsdogmatischen Einordnung völkerrechtlicher Exemtionen als prozessuale Verfahrenshindernisse siehe unten § 22. 15 Zu Anfang des 20. Jahrhunderts wurde in der deutschen Literatur allerdings zum Teil die gegenteilige Auffassung vertreten und die These aufgestellt, Soldaten, die als Mitglieder ihrer Streitkräfte während eines Krieges vom Gegner ergriffen würden, dürften von diesem nicht für Taten, die sie vor ihrer Gefangennahme begangen hätten, bestraft werden. So etwa Arndt, GA 66 (1919), 522 (522 ff.); Kohler, GA 62 (1916), 354 (371 f.); Wegner, Kriminelles Unrecht, S. 28 ff. Doch wurde diese These ganz zu Recht schon damals als mit dem geltenden Völkerrecht nicht vereinbar zurückgewiesen; vgl. nur Beling, DJZ 1915, Sp. 129 (131 ff.); ders., Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 135 ff.: „Eine grundsätzliche Exemtion der Truppen im Feindesland (…) anzunehmen, wäre verfehlt. (…) Es ist unbestritten, daß die Kriegsmacht im feindlichen Lande der Gerichtsbarkeit des Heimathstaates untersteht. Aber mit Unrecht ist hieraus eine Exterritorialität der zur Streitmacht gehörenden Personen abgeleitet worden.“ Ebenso Verdross, Völkerrechtswidrige Kriegshandlung, S. 21 ff., 87 (S. 27: „Eine Exterritorialität […] besteht aber nach Völkerrecht für die in Rede stehenden Personen nicht.“). Seit den zwanziger Jahren wird, soweit ersichtlich, die Auffassung einer „Exterritorialität“ von Truppen in Feindesland 13
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Zwar ist einem Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte, der überwältigt werden konnte oder sonstwie in die Gewalt der Gegenseite gelangt ist, den Status eines Kriegsgefangenen zu gewähren.16 Er darf bis zur Beendigung der militärischen Auseinandersetzung – zur Verhinderung seiner weiteren Teilnahme an den Kampfhandlungen – gefangen gehalten werden,17 muß jedoch unmittelbar nach Beendigung der Feindseligkeiten freigelassen werden.18 Doch ändert der Status als Kriegsgefangener nichts an der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Person nach dem Recht des Gewahrsamsstaates und an dessen Befugnis zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit.19 Ein Kriegsgefangener darf zwar nicht wegen seiner Kriegsteilnahme als solcher und nicht wegen völkerrechtlich legaler Kriegshandlungen bestraft werden, doch gilt dies – wie gezeigt – auch in Friedenszeiten und für Soldaten, die sich freiwillig im Gebiet eines fremden Staates aufhalten. Für Straftaten, die ein Kriegsgefangener während seiner Kriegsgefangenschaft begeht,20 für Taten, die er unabhängig von seiner Tätigkeit als Soldat vor seiner Gefangennahme begangen hat und die der Strafgewalt des Gewahrsamsstaates unterfallen,21 sowie für Kriegsverbrechen22 und sonstige nach dem Recht des Gewahrsamsstaates strafbewehrte und vor der Gefangennahme begangene Verstöße gegen das Recht der bewaffneten Konflikte darf auch ein Kriegsgefangener vom Gewahrsamsstaat bestraft werden.23 Er kann sich jedoch in gleicher Weise wie jede Person, die sich im Hoheitsgebiet des Gewahrsamsstaates aufhält, auf die Staatenimmunität berufen.24
___________ nicht mehr vertreten. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Darlegungen oben in § 6 II.1.b)aa). 16 Dies gilt nicht nur für Kombattanten, sondern auch für Nichtkombattanten; vgl. Art. 3 und 13 Haager Landkriegsordnung (Anlage zum Haager Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs [HLKO] vom 18.10.1907, RGBl. 1910, S. 107); Art. 4 III. Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen vom 12.8.1949 (BGBl. 1954 II, S. 838) sowie Art. 43 ff. Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12.8.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) vom 8.6.1977 (BGBl. 1990 II, S. 1551). 17 Vgl. Art. 4 ff. HLKO; Art. 12 ff. GA III. 18 Vgl. Art. 20 HLKO; Art. 118 GA III. 19 Vgl. Art. 8 Abs. 1 HLKO; Art. 82 ff., Art. 99 ff. GA III. 20 Vgl. Art. 8 Abs. 1 HLKO; Art. 82 GA III. 21 Vgl. Art. 85 GA III. 22 Vgl. Art. 129 f. GA III; Art. 85 ZP I. 23 Vgl. Beling, DJZ 1915, Sp. 129 (131 ff.); ders., Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 135 ff.; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (402 f.); Verdross, Völkerrechtswidrige Kriegshandlung, S. 21 ff., 87. 24 Wobei aber zu berücksichtigen ist, daß die Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen und nach hier vertretener Auffassung auch bei sonstigen Verstößen gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht eine Ausnahme erfährt.
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3. Die Rechtsstellung von Militärangehörigen als Mitglieder einer Besatzungsmacht Sofern Streitkräfte eines Staates infolge eines aus ihrer Sicht siegreichen bewaffneten Konflikts bzw. nach einer ohne Gegenwehr erfolgten militärischen Okkupation fremdes Staatsgebiet besetzt halten (occupatio bellica), üben sie als Besatzungsmacht die oberste Hoheitsgewalt im besetzten Gebiet aus.25 Daraus folgt, daß staatliche Einrichtungen des besetzten Staates Hoheitsgewalt und mithin auch Strafgewalt im Besatzungsgebiet nur in dem Umfang ausüben dürfen, in dem ihnen dies von der Besatzungsmacht explizit zugestanden wird. Damit genießen Angehörige der Besatzungsmacht gegenüber den Organen des besetzten Staates grundsätzlich vollständige Exemtion.26 Denn auch wenn im Fall einer militärischen Besatzung in der Regel den Strafverfolgungsbehörden des besetzen Gebiets die Weiterführung ihrer Tätigkeit unter Anwendung des Rechts des besetzten Gebiets gestattet wird und nach Art. 64 GA III den Gerichten des besetzen Gebiets die Fortsetzung ihrer Tätigkeit von der Besatzungsmacht sogar grundsätzlich zugestanden werden muß, so werden doch Angehörige der Besatzungsmacht von der Befugnis zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit typischerweise vollständig ausgenommen.27 Eine völkergewohnheitsrechtliche Regel, nach der Angehörige einer Besatzungsmacht der Strafgerichtsbarkeit des besetzten Staates entzogen sind, besteht dagegen nicht.28 4. Rechtsstellung von Militärangehörigen, die sich mit Einverständnis eines fremden Staates in diesem dienstlich aufhalten Bis zum Ersten Weltkrieg stellten Fälle der einvernehmlichen Anwesenheit von Streitkräften eines Staates im Gebiet eines anderen Staates in Friedenszeiten – abgesehen von dem Sonderfall des Besuchs von Kriegsschiffen29 – seltene Ausnah___________ Vgl. Art. 42 f. HLKO; Art. 47 ff. GA III. Vgl. zu den verschiedenen Arten einer Besetzung Raap, AVR 29 (1991), 53 (55 f.). 26 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 692; Schneider, Die Exterritorialität der Truppen, S. 28, 50; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1495; Simgen, Exemtion der Angehörigen der Vereinten Nationen, S. 11 ff. (m.w.N. zur älteren Literatur in Fn. 28 und einer Darstellung der Staatspraxis bis zur Gründung der Bundesrepublik auf S. 22 ff.); Talmon, NZWehrr 1997, 221 (221); Wirth, CLF 12 (2001), 429 (450). 27 Dies war auch nach der Besetzung Deutschlands nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges der Fall; vgl. unten § 20 II. Eine solche Beschränkung der Strafgerichtsbarkeit durch die Besatzungsmacht steht im Einklang mit Art. 64 Abs. 1 GA III, wonach den Gerichten des besetzten Gebiets durch die Besatzungsmacht solche Beschränkungen hinsichtlich der Ausübung von Strafgewalt auferlegt werden können, die zur Abwendung einer „Gefahr für die Sicherheit dieser Macht“ geboten sind. 28 So bereits Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 138 ff. A.A. aber Wirth, CLF 12 (2001), 429 (450). 29 Vgl. zur Rechtsstellung von Kriegsschiffen unten § 21 I.3. 25
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men dar. Lediglich die Gewährung von Durchmarschrechten für fremde Armeen erlangte einige praktische Bedeutung.30 Seither aber ist ein grundlegender Wandel in der Völkerrechtspraxis eingetreten. Vor allem die enge Einbindung einzelner Staaten in militärische Bündnissysteme wie die NATO hat dazu geführt, daß nicht nur der kurzfristige Aufenthalt von Streitkräften im Gebiet eines anderen Staates – etwa im Rahmen gemeinsamer Manöver –, sondern auch die länger dauernde Stationierung von Streitkräften in anderen Staaten zu einer weitverbreiteten Erscheinung geworden ist.31 Deshalb hat die Frage der Abgrenzung der Hoheitsgewalten von Aufenthaltsund Entsendestaat über die Angehörigen der mit Einverständnis des Aufenthaltsstaates auf dessen Staatsgebiet befindlichen fremden Streitkräfte – auch für Deutschland – große Bedeutung. Wie bereits festgestellt, wird heutzutage in Fällen des einvernehmlichen Aufenthalts von Streitkräften eines Staates im Gebiet eines anderen Staates die Abgrenzung der Hoheitsgewalten von Aufnahme- und Entsendestaat völkervertraglich geregelt, wobei die gegenläufigen Interessen – der Aufnahmestaat ist typischerweise an einer Beibehaltung seiner Gebiets- und damit Strafhoheit interessiert, der Entsendestaat möchte die Angehörigen seiner Streitkräfte möglichst ausschließlich seiner Personalhoheit unterstellen32 – in aller Regel zu einer differenzierten Verteilung von Hoheitsrechten und damit auch strafrechtlichen Jurisdiktionskompetenzen führen.33 Angesichts des vollständigen Fehlens einer aktuellen Staatenpraxis, die nicht auf vertraglichen Regelungen basiert, ist es äußerst schwierig festzustellen, inwieweit sich völkergewohnheitsrechtliche Regeln über die Abgrenzung der Hoheitsgewalten von Aufenthalts- und Empfangsstaat herausgebildet haben und völkergewohnheitsrechtliche Exemtionsbestimmungen existieren, die es dem Aufenthaltsstaat untersagen, Strafgerichtsbarkeit über die Angehörigen fremder Streitkräfte auszuüben. Von den Staaten und in der Literatur wurden und werden verschiedene Ansichten vertreten.34
___________ 30 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 473; Raap, AVR 29 (1991), 53 (53). 31 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 473; Raap, AVR 29 (1991), 53 (53); Sennekamp, NJW 1983, 2731 (2731 f.). 32 Vgl. MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 115; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 473 f.; Sennekamp, NJW 1983, 2731 (2732). 33 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 473 f.; Schwenk, NJW 1963, 1425 (1426) (für das NATO-Truppenstatut); Sennekamp, NJW 1983, 2731 (2732 f.). 34 Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 558 stellen – wie auch viele andere Autoren – fest: “As a matter of customary international law the position of a state’s armed forces when in another state is not settled.”
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a) Die These der vollständigen Exemtion für Angehörige fremder Streitkräfte im Aufenthaltsstaat Die These einer vollständigen Immunität, die im französischen Rechtskreis mit dem Ausdruck „la loi suit le drapeau“ (das Recht folgt der Fahne) gekennzeichnet wird, also die These einer alleinigen Unterworfenheit der Angehörigen im Ausland befindlicher Streitkräfte unter die Personalhoheit des Entsendestaates, wurde lange Zeit vor allem von der US-Regierung, von US-amerikanischen Gerichten und von US-amerikanischen Autoren mit Vehemenz vertreten.35 Diese Auffassung wurde vornehmlich auf die berühmte Entscheidung des US-amerikanischen Supreme Court im Fall The Schooner Exchange ./. McFaddon aus dem Jahr 1812 gestützt:36 Das zwei US-amerikanischen Kaufleuten gehörende Segelschiff „Exchange“ war im Jahr 1810 von einem französischen Freibeuterschiff gekapert und anschließend in ein französisches Kriegsschiff umfunktioniert worden. Später lief das Schiff in den Hafen von Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania ein. Die amerikanischen Eigentümer klagten auf Herausgabe des Schiffs, doch wies der Supreme Court die Klage mit dem Argument ab, fremde Kriegsschiffe genössen Immunität. Chief Justice Marschall begründete diese Immunität mit einem durch die Gestattung des Einlaufens konkludent erklärten Verzicht auf die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit und wies – allerdings nur in einem obiter dictum – darauf hin, die Situation sei vergleichbar mit der des einvernehmlichen Durchzugs von Streitkräften durch das Gebiet eines anderen Staates. Bewaffnete Streitkräfte von verbündeten Nationen, die das Gastland aufgrund einer Einladung oder Erlaubnis des örtlichen Souveräns durchquerten, genössen vollständige Immunität von der örtlichen Gerichtsbarkeit. “The grant of free passage, therefore, implies a waiver of all jurisdiction over the troops during their passage (…).”37
Doch abgesehen davon, daß die Ausführungen zu den Landstreitkräften lediglich ein obiter dictum darstellen, beziehen sich diese nur auf passierende Truppen, nicht aber auf solche, die sich länger im Gebiet eines anderen Staates aufhalten.38 Allerdings stellte der Supreme Court der USA im Jahr 1878 dann ausdrücklich fest, auch im befreundeten Ausland stationierte Truppen seien der örtlichen Gerichtsbarkeit vollständig entzogen. An dieser Rechtsauffassung hielt er auch in späteren Entscheidungen fest.39 ___________ Vgl. King, AJIL 36 (1942), 539 (541 ff. m.w.N.); ders., AJIL 40 (1946), 257 (257 ff.). Siehe auch Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 620, der eine vollständige Exemtion rechtspolitisch befürwortet (a.a.O., Rn. 624), sowie Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 8 m.w.N. zur US-amerikanischen Literatur in Fn. 8. 36 11 U.S. (7 Cranch) 116 (1812). Wiedergegeben bei Simmonds (Hrsg.), Cases on the Law of the Sea I, S. 137 ff. (vollständig) und Bishop, International Law, S. 659 ff. (Auszüge). 37 Vgl. Simmonds (Hrsg.), Cases on the Law of the Sea I, S. 137 (144 f.). 38 Vgl. Baxter, ICLQ 7 (1958), 72 (72); Lazareff, Status of Military Forces, S. 15 f.; Stambuk, American Military Forces Abroad, S. 125 ff.; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 9. 39 Vgl. Barton, BYIL 27 (1950), 186 (217); Conderman, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 99; King, AJIL 36 (1942), 539 (542); Lazareff, Status of 35
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Es verwundert daher nicht, daß die USA im Zuge der Stationierung von Truppen im Gebiet verbündeter Staaten während des Ersten und Zweiten Weltkrieges versuchten, den Angehörigen der eigenen Truppen unter Hinweis auf vermeintliches Völkergewohnheitsrecht vollständige Befreiung von der Hoheitsgewalt des Aufenthaltsstaates zu verschaffen.40 Sie konnten sich jedoch mit dieser Auffassung zum Stand des Völkergewohnheitsrechts – vor allem gegenüber Großbritannien – nicht durchsetzen. Außerhalb der USA fand die These einer auf Völkergewohnheitsrecht beruhenden vollständigen Exemtion so wenig Unterstützung, daß schließlich vertragliche Vereinbarungen geschlossen wurden, die allerdings – was angesichts der damaligen tatsächlichen Machtverhältnisse nicht überrascht – die von den Amerikanern gewünschte vollständige Exemtion gewährten.41 Allerdings wurde in Einklang mit der US-amerikanischen Auffassung zum Teil auch in Deutschland eine völkergewohnheitsrechtliche Immunität fremder Militärangehöriger bejaht. Im Jahr 1918 stellte das Reichsgericht fest: „Dagegen wird allerdings fremden Truppenkörpern, die in Friedenszeiten in ein fremdes Herrschaftsgebiet eintreten, völkerrechtlich Exterritorialität zugesprochen. Dies aber entsprechend dem Grunde, der überhaupt zur Anerkennung der Freiheit von Gerichtszwang führt, nur insoweit, als sie zur Erfüllung einer dienstlichen und staatlichen Aufgabe ihres Heimatstaates innerhalb des fremden Staates tätig werden.“42
Mit der Einschränkung, die Truppen müßten zur Erfüllung eines staatlichen Auftrags tätig werden, sollte jedoch keine Beschränkung der Immunität auf Diensthandlungen propagiert werden, sondern mit dieser sollten Truppen, die sich ohne Auftrag ihres Staates in das Gebiet eines anderen Staates „abgesetzt“ haben, von der Exemtion ausgenommen werden. Dem Angeklagten wurde daher mit dem Argument Immunität abgesprochen, er sei zwar Angehöriger der in Deutschland be___________ Military Forces, S. 16; Stambuk, American Military Forces Abroad, S. 132 ff.; Strauß, Probleme bei der Stationierung von Truppen, S. 33 f.; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 9. 40 Vgl. Rowe, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 13 ff.; Rumpf, Recht der Truppenstationierung, S. 23. 41 Vgl. Baxter, ICLQ 7 (1958), 72 (73); Barton, BYIL 27 (1950), 186 (209 f.); Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 621; Rowe, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 13 ff.; Strauß, Probleme bei der Stationierung von Truppen, S. 8 ff., 26 f. Allerdings schlossen auch andere Staaten als die USA, darunter Frankreich und Großbritannien, während und nach dem Ersten Weltkrieg untereinander Verträge über den Aufenthalt von Streitkräften, die eine vollständige Exemtion der Soldaten von der örtlichen Strafgerichtsbarkeit festlegten. Doch wurden die Exemtionen stets völkervertraglich verankert. Von einer gewohnheitsrechtlichen Exemtion wurde offenbar nicht ausgegangen. Vgl. Barton, BYIL 26 (1949), 380 (388 ff.); ders., BYIL 27 (1950), 186 (187 ff.); Rowe, a.a.O., S. 13 ff.; Strauß, a.a.O., S. 8 ff.; Wijewardane, BYIL 41 (1965/66), 122 (125 ff.). Während des Zweiten Weltkrieges dagegen bestand Großbritannien darauf, daß die auf britischem Gebiet befindlichen Angehörigen ausländischer Streitkräfte – mit Ausnahme der Mitglieder der Streitkräfte der USA – der britischen Strafgerichtsbarkeit vollumfänglich unterworfen waren und schloß entsprechende Abkommen. Vgl. Strauß, a.a.O., S. 20 f. und unten § 20 I.4.b). 42 RGSt 52, 167 (168).
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findlichen griechischen Truppenteile, diese Truppenteile hätten sich aber „im Widerspruch mit der derzeitigen Regierungsgewalt ihres Staates den (…) von ihnen mißbilligten militärischen Aufgaben entzogen“ und seien „in das fremde Staatsgebiet (…) nicht als Vertreter militärischer Macht (…) übergetreten“. Die Soldaten hielten sich daher „als Privatpersonen“ in Deutschland auf und könnten deshalb keine Exemtion von deutscher Strafgewalt beanspruchen.43 Noch weitergehend heißt es in einem Urteil des deutschen Obersten Finanzgerichtshofs aus dem Jahr 1948 sogar: „Nach den anerkannten Regeln des Völkerrechts sind fremde Truppenkörper exterritorial, einerlei, ob der Aufenthalt auf der Bewilligung des Aufenthaltsstaates beruht oder nicht.“44
Die These einer vollständigen Immunität von Angehörigen fremder Streitkräfte von der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates fand früher auch in der deutschen Literatur größere Zustimmung.45 Heute wird sie in der Strafrechtswissenschaft aber nur noch ganz vereinzelt vertreten.46 b) Die These der vollständigen Unterworfenheit von Angehörigen fremder Streitkräfte unter die Hoheitsgewalt des Aufnahmestaates Vor allem von der britischen Regierung, von Gerichten in Großbritannien und von britischen Autoren wurde und wird dagegen die Auffassung vertreten, eine völkergewohnheitsrechtliche Exemtion für Angehörige fremder Streitkräfte von der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates gebe es nicht. Diese seien nach Völkergewohnheitsrecht während ihres Aufenthalts im verbündeten Staat vollständig dessen territorialer Hoheitsgewalt unterworfen; Freistellungen von der örtlichen Strafgerichtsbarkeit könnten nur völkervertraglich begründet werden.47 ___________ 43 RGSt 52, 167 (168). Vgl. zu diesem Fall auch Mettgenberg, Freies Geleit und Exterritorialität, S. 25 f. 44 BFHE 54, 243 (244). Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 474 Fn. 2, bewerten diese Feststellung als „unhaltbar“. 45 Allfeld, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 81; Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 142 ff.; ders., Reichsstrafprozeßrecht, S. 41; Berner, Wirkungskreis der Strafgesetze, S. 215 f.; Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 20; von Hippel, Lehrbuch des Strafrechts, S. 82, Köhler, Deutsches Strafrecht, S. 140; Kohler, Internationales Strafrecht, S. 245; von Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 91; von Liszt/Schmidt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 137; Mettgenberg, Freies Geleit und Exterritorialität, S. 24 ff.; Meyer/Allfeld, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 111; Reichard, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 54; Schütze, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 56 f. 46 LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 352 (im Anschluß an die skizzierte Entscheidung des Reichsgerichts). 47 Vgl. Barton, BYIL 27 (1950), 186 (186 ff.), der nach einer gründlichen Analyse der Staatenpraxis zu folgender Schlußfolgerung kommt: “(…) there exists a rule of international law according to which members of visiting forces are, in principle, subject to the
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Von dieser These ausgehend hatte bereits ein für die Commonwealth-Staaten geltender nationaler britischer Visiting Forces Act von 1933 festgelegt, daß die im Gebiet Großbritanniens befindlichen Streitkräfte anderer Commonwealth-Staaten zwar in Großbritannien eigene Strafgerichtsbarkeit über ihre Militärangehörigen in bezug auf Verstöße gegen die Disziplin und Ordnung der Truppe ausüben durften, jedoch die britische Gerichtsbarkeit unberührt blieb, also Verstöße gegen das britische Strafrecht – auch soweit es um Diensthandlungen ging – von britischen Strafverfolgungsbehörden geahndet werden durften.48 Diese Regeln wurden während des Zweiten Weltkrieges durch einen Allied Forces Act von 1940 und einen Maritime Forces Act von 1941 auf die Streitkräfte der verbündeten Staaten ausgedehnt; mit diesen Staaten wurden entsprechende völkerrechtliche Vereinbarungen getroffen.49 Wie erwähnt, vermochten sich die USA mit einer solchen Regelung aber nicht anzufreunden und konnten aufgrund ihrer tatsächlichen Machtposition erreichen, daß Großbritannien sich im Juli 1942 gegenüber den USA (nicht aber gegenüber anderen Staaten!) völkervertraglich verpflichtete, den Angehörigen der Streitkräfte der USA vollständige Befreiung von der örtlichen Hoheitsgewalt zu gewähren.50 ___________ exercise of criminal jurisdiction of the local courts and that any exceptions to that general and far-reaching principle must be traced to express privileges or concession.” (a.a.O., S. 234). Siehe auch Bowett, United Nations Forces, S. 437; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 477; Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 138; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 535; Stambuk, American Military Forces Abroad, S. 157 ff.; Strauß, Probleme bei der Stationierung von Truppen, S. 37; Wijewardane, BYIL 41 (1965/66), 122 (132). 48 Vgl. Barton, BYIL 26 (1949), 380 (397 ff.); ders., BYIL 27 (1950), 186 (209); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 477; Schneider, Die Exterritorialität der Truppen, S. 111 f. 49 Vgl. Barton, BYIL 26 (1949), 380 (401 ff.); ders., BYIL 27 (1950), 186 (197 ff., 209); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 477; King, AJIL 36 (1942), 539 (556 f.); ders., AJIL 40 (1946), 257 (263 f.); Strauß, Probleme bei der Stationierung von Truppen, S. 24 f.; Wijewardane, BYIL 41 (1965/66), 122 (130 f.) sowie oben Anm. 41. 50 Diese Verpflichtung wurde durch einen United States of America Visiting Forces Act im Jahr 1942 innerstaatlich umgesetzt, dessen section 1 (1) lautete: “(…) no criminal proceedings shall be prosecuted in the United Kingdom before any court of the United Kingdom against a member of the military or naval forces of the United States of America.” Vgl. Barton, BYIL 27 (1950), 186 (199 f., 209 f.); Baxter, ICLQ 7 (1958), 72 (73); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 477; King, AJIL 36 (1942), 539 (557 f.); ders., AJIL 40 (1946), 257 (263); Rowe, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 15 ff.; Strauß, Probleme bei der Stationierung von Truppen, S. 26 f.; Wijewardane, BYIL 41 (1965/66), 122 (128). Solche Verträge, die den Angehörigen der USamerikanischen Streitkräfte vollständige Immunität zusprachen, konnten die USA während des Zweiten Weltkrieges auch mit einer Vielzahl anderer Staaten schließen; vgl. Barton, BYIL 27 (1950), 186 (200 f.); Schneider, Die Exterritorialität der Truppen, S. 106; Strauß, a.a.O., S. 27 ff. Umgekehrt waren die USA allerdings nicht bereit, den während des Zweiten Weltkrieges im Gebiet der USA weilenden britischen Truppen explizit Immunität zuzuerkennen. Die US-amerikanische Haltung war also damals offenbar weniger von völkerrechtlichen Überlegungen als von politischen Interessen bestimmt (eine bemerkenswerte Konstante amerikanischer Außenpolitik!); vgl. Barton, BYIL 27 (1950), 186 (215 f.);
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Die nach dem Zweiten Weltkrieg von Großbritannien sowie anderen europäischen Staaten geschlossenen Verträge – auch das noch zu analysierende NATOTruppenstatut – legen dagegen eine vollständige Befreiung der Streitkräfte und ihrer Angehörigen von der Hoheitsgewalt des Aufenthaltsstaates nicht mehr fest, sondern treffen – wie bereits angedeutet wurde – sehr differenzierte Regelungen.51 In etlichen Ländern, darunter Australien, Frankreich, Japan und Ägypten, schlossen sich die Regierungen und die Gerichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der britischen Auffassung an und sprachen sich gegen die Existenz einer völkergewohnheitsrechtlichen Exemtion für Angehörige in fremden Staaten befindlicher Streitkräfte aus.52 Angesichts der heterogenen Staatenpraxis und der unterschiedlichen in der Wissenschaft vertretenen Auffassungen wird auch in der deutschen Literatur und von der deutschen Rechtsprechung zum Teil behauptet, nach Völkergewohnheitsrecht genössen die Angehörigen fremder Streitkräfte im Aufenthaltsstaat keinerlei völkergewohnheitsrechtliche Exemtion, sondern seien dessen Hoheitsgewalt umfassend unterworfen. Anders als der US-amerikanische Supreme Court in der Entscheidung The Schooner Exchange ./. McFaddon angenommen habe, könne auch nicht davon ausgegangen werden, daß eine völkergewohnheitsrechtliche Regel dahingehend bestehe, daß das Einverständnis des Territorialstaates mit dem Aufenthalt fremder Streitkräfte als impliziter Verzicht auf die Strafgerichtsbarkeit des Aufnahmestaates zu bewerten sei.53
___________ Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 11. Der britische Autor Barton stellte dazu fest: “It has not been difficult to detect in the attitude of the United States of America towards the subject of the exercise of jurisdiction over visiting forces a dualism of approach, which justified it in denying at home a right that it claimed for itself abroad.” Vgl. Barton, BYIL 31 (1954), 341 (364). Allerdings meinte King, AJIL 40 (1946), 257 (276 f.), die USA hätten zwar keine explizite Immunitätszusage gegeben, doch seien US-amerikanische Gerichte nach unmittelbar anwendbarem Völkergewohnheitsrecht an einer Ausübung von Strafgerichtsbarkeit über Angehörige fremder Truppen gehindert und würden überwiegend auch entsprechend verfahren. 51 Vgl. Barton, BYIL 27 (1950), 186 (206) zum „Brüsseler Pakt“ von 1949 zwischen europäischen NATO-Staaten, der aber wegen des 1951 verabschiedeten NATO-Truppenstatuts keine Bedeutung erlangte. 52 Vgl. die Aufstellungen bei Barton, BYIL 27 (1950), 186 (200 ff., 222 ff.); Schneider, Die Exterritorialität der Truppen, S. 80 ff.; Strauß, Probleme bei der Stationierung von Truppen, S. 36 ff. und Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.Streitkräfte, S. 10 f. 53 OLG Nürnberg, NJW 1975, 2151 (2152); Berber, Völkerrecht, Bd. 1, S. 431, 433; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 13; Rumpf, Recht der Truppenstationierung, S. 15, 17; Sennekamp, NJW 1983, 2731 (2732); Schneider, Die Exterritorialität der Truppen, S. 86, 89, 93, 182; Strauß, Probleme bei der Stationierung von Truppen, S. 48; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 12.
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c) Die These der sachlich beschränkten Exemtion für Angehörige fremder Streitkräfte im Aufenthaltsstaat Den beiden geschilderten „radikalen“ Auffassungen wird in der völkerrechtlichen Literatur zum Teil die These einer sachlich beschränkten Immunität entgegengesetzt. Zwar seien die Streitkräfte und ihre Angehörigen nicht exterritorial in dem Sinne, daß sie als außerhalb des Staatsgebiets und damit außerhalb des territorialen Geltungsbereichs der Rechtsordnung des Aufenthaltsstaates befindlich anzusehen seien, sondern befänden sich im Inland und seien daher dem Recht des Aufenthaltsstaates unterworfen. Lediglich insofern, als dies für die Wahrnehmung der vereinbarten Aufgaben der Streitkräfte erforderlich sei, müsse eine Freistellung von den örtlichen Rechtsnormen angenommen werden; dies gelte etwa für Regelungen über die Ein- und Ausfuhr von Waffen und für Vorschriften über die Zulassung und Registrierung von Ausländern.54 Doch sei die Durchsetzbarkeit der Rechtsordnung des Aufenthaltsstaates durch völkergewohnheitsrechtliche Exemtionen beschränkt. Ähnlich wie die Räumlichkeiten diplomatischer Missionen seien auch die von den Streitkräften genutzten Grundstücke und Räumlichkeiten unverletzlich. Kasernen, Lager, Flughäfen und sonstige Einrichtungen, die ausschließlich von den Streitkräften des Entsendestaates genutzt würden, dürften von den Behörden des Aufenthaltsstaates nicht betreten werden. Die Ausübung von Hoheitsgewalt, etwa die Vornahme von Durchsuchungen und Beschlagnahmen, sei den Behörden des Aufenthaltsstaates dort untersagt.55 Neben dieser sachbezogenen Exemtion genössen auch die einzelnen Angehörigen fremder Streitkräfte eine beschränkte völkergewohnheitsrechtliche Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. In bezug auf Diensthandlungen sowie in bezug auf Taten, die innerhalb der ausschließlich von den Streitkräften genutzten Räumlichkeiten begangen werden, seien die Angehörigen der Streitkräfte der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates entzogen. Wegen Taten jedoch, die außerhalb der Räumlichkeiten der Streitkräfte und außerdienstlich (also als „Privat___________ Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 480; Raap, NZWehrr 1991, 23 (31). Diese Feststellungen sind ohne Zweifel richtig. Insofern kann auf die allgemein anerkannte und sachlich vergleichbare Rechtsstellung von Angehörigen diplomatischer und konsularischer Vertretungen verwiesen werden. Diese befinden sich, auch wenn sie gewisse Freistellungen von der Hoheitsgewalt des Empfangsstaates genießen, gleichwohl bei einem Aufenthalt im Empfangsstaat auch juristisch in dessen Staatsgebiet, die Fiktion der Exterritorialität ist überholt. Ihnen obliegt gemäß Art. 41 WÜD und Art. 5 WÜK die Rechtspflicht, die Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften des Empfangsstaates zu beachten, soweit das WÜD bzw. das WÜK nicht ausdrückliche Ausnahmen normieren. 55 Barton, BYIL 31 (1954), 341 (342 ff.); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 481. Siehe auch Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (414) und Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 961. 54
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taten“) begangen werden, bestehe keine Exemtion und dürften die Angehörigen der Streitkräfte vom Aufenthaltsstaat strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Zudem ende die Exemtion für Taten, die innerhalb der Räumlichkeiten und Anlagen der fremden Streitkräfte begangen worden sind, mit Beendigung der dienstlichen Tätigkeit der betreffenden Person im Aufenthaltsstaat, während die Exemtion für dienstliche Handlungen zeitlich unbeschränkt fortgelte, wenngleich der Entsendestaat auf diese, wie auch auf jede andere Exemtion, jederzeit verzichten könne.56 Eine andere Differenzierung wird in der deutschen strafrechtlichen Literatur vorgenommen. Im Anschluß an die Feststellung des Bundesministeriums des Innern im Rundschreiben „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“, in dem es heißt: „Beschränkte Vorrechte und Befreiungen genießen geschlossene Truppenteile (Mehrzahl von Soldaten unter verantwortlicher Führung), wenn und solange sie sich mit Genehmigung der Behörden der Bundesrepublik Deutschland in dienstlicher Eigenschaft in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten“,57 wird die Auffassung vertreten, geschlossene fremde Truppen, die befugt den Boden der Bundesrepublik betreten, genössen Immunität von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, nicht dagegen einzelne Angehörige fremder Truppen.58 Diese Feststellung ist allerdings wenig aufschlußreich. Aus ihr ergibt sich nicht unmittelbar, in welchen Fällen den deutschen Strafverfolgungsbehörden eine Ausübung von Strafgerichtsbarkeit untersagt sein soll. Die deutsche Rechtsordnung kennt keine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Personengesamtheiten und juri-
___________ Barton, BYIL 31 (1954), 341 (342 ff.); Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 99 (allerdings nur für Diensthandlungen); Brownlie, Principles of Public International Law, S. 362 ff. (allerdings nur für Diensthandlungen); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 481; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 558; Oeser, NJ 1957, 193 (194) (allerdings nur für Diensthandlungen); Raap, AVR 29 (1991), 53 (77); ders., NZWehrr 1991, 23 (31); Shearer, Starke’s International Law, S. 208 (der die Exemtion sogar auf alle Handlungen erstreckt, die während des Dienstes begangen werden, auch wenn sie keinen unmittelbaren Dienstbezug aufweisen); Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 961; Wijewardane, BYIL 41 (1965/66), 122 (137 ff.) (allerdings nur für Diensthandlungen). Von Bar, Das internationale Privat- und Strafrecht, S. 574 f., ders., Lehrbuch des internationalen Privat- und Strafrechts, S. 351 f., differenziert danach, ob Tatopfer andere Mitglieder der Truppe sind (dann Immunität) oder die Tat gegen externe Personen gerichtet ist (dann Strafgewalt des Aufenthaltsstaates). 57 Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ i.d.F. vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. II.F.2. 58 LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 4; LK-StGB-Jagusch (8. Aufl. 1957), § 3 Bem. 4. b); Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 20 GVG Rn. 4; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (401); ders., Internationales Strafrecht, Rn. 535, 619, 626; LK-StGB-Tröndle (10. Aufl. 1985), vor § 3 Rn. 72 sowie unter Berufung auf Oehler MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 113 und KK-StPO-Pfeiffer, § 20 GVG Rn. 2. 56
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stischen Personen.59 Die Feststellung, „die Truppe“ genieße Immunität, läuft damit bezogen auf das Strafrecht ins Leere.60 Strafrechtlich verantwortlich können lediglich individuelle Personen sein. Doch sollen einzelne Angehörige fremder Truppen gerade keine völkergewohnheitsrechtliche Immunität genießen. Damit scheint die in der Strafrechtswissenschaft vertretene Auffassung darauf hinauszulaufen, daß überhaupt keine Exemtion besteht. Obgleich man den Eindruck hat, daß die Feststellung einer Immunität „der Truppe“ von einigen Autoren übernommen wurde, ohne sie zu hinterfragen, wird man wohl nicht davon ausgehen dürfen, daß die Vertreter dieser Auffassung die These vertreten wollen, es bestehe keinerlei strafrechtliche Immunität. Dies hätte man nämlich auch einfacher formulieren können. Wenn daher von einer „Immunität der Truppe“ gesprochen wird, ist dies wohl so zu interpretieren, daß ein strafprozessuales Einschreiten gegenüber einem geschlossenen Truppenverband untersagt sein soll. Dies hieße, daß ein geschlossener Truppenverband nicht angehalten werden dürfte, um einzelne Soldaten zu verhaften oder zu durchsuchen, und die Ausrüstungsgegenstände und die von der Truppe belegten Räumlichkeiten ähnlich wie Kriegsschiffe nicht durchsucht und nicht beschlagnahmt werden dürften. d) Bewertung der verschiedenen Rechtsauffassungen Die These, daß Angehörige von Streitkräften, die sich in einem anderen Staat mit dessen Einverständnis aufhalten, qua Völkergewohnheitsrecht der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates vollständig entzogen seien, läßt sich nicht halten.61 Weder ist eine entsprechende einheitliche Rechtsüberzeugung erkennbar noch liegt eine einheitliche Staatenpraxis vor. Damit fehlt es an den für die Existenz von Völkergewohnheitsrecht konstitutiven Elementen. Auch in den USA wird im übrigen die These einer vollständigen Exemtion schon seit längerem – soweit ersichtlich – kaum mehr vertreten.62 ___________ Vgl. Schönke/Schröder-Cramer/Heine, vor § 25 Rn. 119 ff.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, § 23 VII. 1. 60 Sie hat allerdings für den Bereich des Zivilrechts ihre Berechtigung. Denn „die Truppe“ als solche ist Teil der Staatsorganisation des Entsendestaates und kann deshalb ebensowenig wie der Entsendestaat selbst wegen ihrer hoheitlich-dienstlichen Akte vor Gerichten des Aufnahmestaates verklagt werden. Die Truppe genießt also ebenso wie der Entsendestaat Staatenimmunität gegenüber der Zivilgerichtsbarkeit des Aufnahmestaates im Hinblick auf acta iure imperii. Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 480; Neubauer, AVR 12 (1964/65), 34 (37); Raap, AVR 29 (1991), 53 (75 f.); ders., NZWehrr 1991, 23 (30); Sennekamp, NJW 1983, 2731 (2732). 61 Vgl. zusätzlich zu den in Anm. 53 genannten Autoren auch Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 558 und Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 961. 62 Vgl. Stambuk, American Military Forces Abroad, S. 120 ff.; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 12 f., 96 f. Schon Barton, BYIL 27 (1950), 186 (232) meinte, eine Aufgabe der früheren US-amerikanischen Rechtsauffassung 59
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Mangels einer auch nur in Ansätzen kohärenten jüngeren Staatenpraxis – neuere Gerichtsentscheidungen basieren allesamt auf völkervertraglichen Bestimmungen und geben daher keinen Aufschluß über den Stand des Völkergewohnheitsrechts – wird man vielmehr davon auszugehen haben, daß keine spezielle völkergewohnheitsrechtliche Immunität für Angehörige fremder Streitkräfte existiert. Allerdings läßt sich auch die Auffassung, Angehörige von Streitkräften genössen nach Völkergewohnheitsrecht keinerlei Befreiungen von der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates, mit dem Stand des Völkerrechts nicht vereinbaren. Diese Auffassung verkennt die Relevanz der Staatenimmunität. Ebenso wie Soldaten, die sich „als Privatperson“ im Gebiet eines für sie fremden Staates aufhalten, können sich auch Angehörige von Streitkräften, die sich dienstlich und mit Einverständnis eines fremden Staates in dessen Gebiet befinden, auf die Staatenimmunität berufen.63 Doch gilt diese nicht (mehr) für alle dienstlichen Handlungen, sondern nur (noch) für hoheitlich-dienstliche Handlungen (acta iure imperii) und sie erfährt zudem Ausnahmen bei bestimmten Straftaten. Die in der deutschen Literatur vertretene Auffassung, Angehörige von Streitkräften genössen Immunität für ihre dienstlichen Handlungen,64 geht damit zwar in die richtige Richtung, muß allerdings heutzutage insofern eingeschränkt werden, als Militärangehörige für dienstliche Handlungen nichthoheitlichen Charakters nach Völkergewohnheitsrecht keine Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit (mehr) genießen. Soweit aber darüber hinausgehend die Auffassung vertreten wird, die von den Streitkräften genutzten Grundstücke und Räumlichkeiten seien unverletzlich, so daß den Behörden des Empfangsstaates ein Betreten und damit auch die Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen wie Verhaftungen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen untersagt sei, kann dem nicht gefolgt werden. Gleiches gilt für die in der deutschen Strafrechtswissenschaft vertretene These, ein geschlossener Truppenverband genieße Immunität, dürfe also nicht durch strafprozessualen Zugriff auf seine Ausrüstungsgegenstände und seine einzelnen Mitglieder beeinträchtigt werden. Zur Begründung dieser aus der Staatenpraxis nicht ableitbaren Exemtionen wird auf die Rechtsstellung von Kriegsschiffen verwiesen. Es wird behauptet, die ___________ erkennen zu können. Auch bei American Law Institute, Restatement of the Law Third, § 422 Reporters’ Note 5, § 461 Comment f), § 721 Reporters’ Note 10 wird mit keinem Wort auf eine völkergewohnheitsrechtliche Exemtion eingegangen. 63 So auch Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 99; Fleck, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 5; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 558; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 622; Oeser, NJ 1957, 193 (194); Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 961. Vgl. bezüglich der Relevanz der Staatenimmunität für Angehörige von Streitkräften bei „Privataufenthalten“ die Ausführungen oben bei § 20 I.1.b). 64 Vgl. die Nachw. oben in Anm. 56. Die propagierte Immunität für Diensthandlungen wird, wie sich aus dem Kontext der Ausführungen der genannten Autoren ergibt, in aller Regel als Ausprägung der Staatenimmunität verstanden.
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für Kriegsschiffe einschlägigen Regeln könnten auf (Land-)Streitkräfte entsprechend angewandt werden.65 Zwar genießen Kriegsschiffe – wie unten in § 21 I.3. gezeigt wird – in der Tat eine völkergewohnheitsrechtliche Exemtion, weshalb sie selbst nicht Gegenstand strafprozessualer Zwangsmaßnahmen sein dürfen und die Vornahme von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen auf ihnen dem Aufenthaltsstaat untersagt ist. Insofern ist die Rechtsstellung von Kriegsschiffen mit der von Räumlichkeiten diplomatischer Missionen vergleichbar, die nach Art. 22 WÜD der Hoheitsgewalt des Empfangsstaates entzogen sind. Doch scheidet eine entsprechende Anwendung der Exemtionsregelungen für Kriegsschiffe schon deshalb aus, weil eine Analogie aus einem Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts noch keine gleichwertige Regel ergibt. Dazu müßte die Analogie als solche aufgrund ihrer Akzeptanz durch die Staatenpraxis zur Regel des Völkergewohnheitsrechts werden. Davon kann aber keine Rede sein.66 Gleichfalls zurückzuweisen ist die Behauptung, alle innerhalb der von den Streitkräften genutzten Räumlichkeiten und Liegenschaften begangenen Straftaten seien für den Zeitraum des dienstlichen Aufenthalts des Täters im Gebiet des Aufenthaltsstaates dessen Strafgerichtsbarkeit entzogen.67 Dieser Auffassung, die ebenfalls keinen Rückhalt in der Staatenpraxis findet, liegt (und gleiches dürfte für die These einer Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten und Liegenschaften gelten) ganz offensichtlich noch die schon lange überholte Vorstellung einer Exterritorialität der von fremden Streitkräften genutzten Räumlichkeiten zugrunde, also die Vorstellung, diese Räumlichkeiten seien als außerhalb des Staatsgebiets des Aufenthaltsstaates befindlich zu betrachten. Zwar dürfen im Ausland begangene Straftaten nur bei Vorliegen eines besonderen legitimierenden Anknüpfungspunkts der nationalen Strafgewalt unterworfen werden, doch ist daran festzuhalten, daß Straftaten innerhalb der von fremden Streitkräften genutzten Räumlichkeiten im Staatsgebiet des Aufenthaltsstaates begangen werden und daher stets ein legitimes Strafverfolgungsinteresse des Aufenthaltsstaates existiert. Als Fazit der Betrachtung des Völkergewohnheitsrechts kann mithin festgehalten werden, daß sich Angehörige der Streitkräfte eines Staates gegenüber der Strafgerichtsbarkeit eines anderen Staates nur auf die Staatenimmunität berufen können, also nach Völkergewohnheitsrecht nur für hoheitlich-dienstliche Handlungen Immunität genießen. Eine weitergehende völkergewohnheitsrechtliche Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen Militärangehörige nach Völker-
___________ So Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 481. Gegen eine solche Exemtion auch Brownlie, Principles of Public International Law, S. 363 f. 67 Wie hier auch Wijewardane, BYIL 41 (1965/66), 122 (134 ff.). 65 66
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gewohnheitsrecht nicht.68 Auch eine völkergewohnheitsrechtliche Unverletzlichkeit der von den Streitkräften genutzten Räumlichkeiten existiert nicht. Dieses Ergebnis ist auch völkerrechtspolitisch überzeugend.69 Eine umfassende Immunität ratione personae für Soldaten bei einvernehmlichem dienstlichem Aufenthalt im Gebiet anderer Staaten würde das legitime Interesse des Territorialstaates, die Beachtlichkeit seiner Rechtsordnung im eigenen Land durchsetzen und Zuwiderhandlungen sanktionieren zu können, allzu sehr vernachlässigen. Auf der anderen Seite sind der Entsendestaat und dessen Truppenangehörige nicht auf eine besondere völkergewohnheitsrechtliche Exemtion angewiesen. Denn der Entsendestaat kann frei entscheiden, ob er im Gebiet eines anderen Staates Truppen dislozieren will und diese Entscheidung vom Abschluß völkervertraglicher Vereinbarungen über den Status seiner Truppenangehörigen abhängig machen. In den seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwischen Staaten abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträgen über den Status ihrer Truppen bei Aufenthalten in anderen Staaten wurde nur ganz vereinzelt eine vollständige Exemtion der Truppenangehörigen von der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates vereinbart.70 In der Regel wurde entweder lediglich die Unterworfenheit der Truppenangehörigen unter die Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates (allenfalls mit einer Ausnahme für Diensthandlungen) bestätigt71 oder es wurde unter Anerkennung der Strafgerichtsbarkeit des Aufnahmestaates zusätzlich dem Entsendestaat die Ausübung von konkurrierender Strafgerichtsbarkeit im Aufenthaltsstaat erlaubt, verbunden mit Bestimmungen zu der Frage, welcher Staat ein Vorrecht auf Ausübung von Strafgerichtsbarkeit hat.72 Die völkervertraglichen Regelungen zeigen, daß auch in der Staatenpraxis keine Notwendigkeit für eine umfassende Freistellung von Truppenangehörigen von der Strafgerichtsbarkeit des Aufnahmestaates gesehen wird.
___________ 68 So auch Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 99, 101, 139; Fleck, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 5. Die strafrechtlich relevanten Regelungen des NTS können, auch wenn sie von etlichen anderen Status of Forces Agreements übernommen wurden, (noch) nicht als auch völkergewohnheitsrechtlich anerkannt angesehen werden. So auch Fleck, a.a.O., S. 6 f. 69 A.A. aber Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 620. 70 Zur besonderen, auch rechtspolitisch anders zu bewertenden Situation bei Streitkräften der Vereinten Nationen („UN-Friedenstruppen“) vgl. die Ausführungen unten bei § 20 V.2. 71 Vgl. zu solchen Regelungen unten § 20 II.4. und IV.2. 72 So die Regelung des NTS, die weltweit in verschiedenen Status of Forces Agreements übernommen worden ist.
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II. Historische Entwicklung der Rechtsstellung fremder Streitkräfte und ihrer Angehörigen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg 1. Die Rechtsstellung fremder Streitkräfte und ihrer Angehörigen bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1949 Im Anschluß an die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 besetzten die Streitkräfte der alliierten Siegermächte USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich das deutsche Territorium vollständig (occupatio bellica). Sie übernahmen als Besatzungsmächte die Hoheitsgewalt in Deutschland.73 Entsprechend den Vereinbarungen des Londoner Protokolls vom 12. September 1944,74 des Abkommens über die Kontrolleinrichtungen vom 14. November 194475 und des Potsdamer Abkommens vom 2. August 194576 übte jede Besatzungsmacht in ihrer Besatzungszone durch ihren jeweiligen militärischen Oberbefehlshaber eigenständige oberste Hoheitsgewalt aus; für die Deutschland als Ganzes betreffenden Fragen übten die Siegermächte mittels des Alliierten Kontrollrats, wie das gemeinsame Gremium der Oberbefehlshaber der vier Siegermächte bezeichnet wurde, gemeinsam die Besatzungsgewalt aus. Als Besatzungsmächte durften die Alliierten nach Völkergewohnheitsrecht ihre Streitkräfte im deutschen Staatsgebiet stationieren.77 In der Berliner Deklaration vom 5. Juni 194578 wurden diese Rechtsfolgen der Besetzung klargestellt. Die Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Siegermächte erklärten, daß die oberste Regierungsgewalt in Deutschland von Vertretern der vier alliierten Mächte übernommen worden sei und von ihnen gemeinsam ausgeübt werde. Weiter hieß es in Art. 12: “The Allied Representatives will station forces and civil agencies in any or all parts of Germany as they may determine.”
Das Recht zum Aufenthalt der alliierten Streitkräfte (das ius ad praesentiam) ergab sich also unmittelbar aus der militärischen Besetzung Deutschlands.79 ___________ Vgl. Raap, AVR 29 (1991), 53 (57 f.). Londoner Protokoll betreffend die Besatzungszonen in Deutschland und die Verwaltung von Groß-Berlin vom 12.9.1944; UNTS 227, 279. Abgedr. auch bei von Münch (Hrsg.), Dokumente des geteilten Deutschlands, S. 25 ff. und bei Rauschning (Hrsg.), Rechtsstellung Deutschlands, S. 6. 75 Abkommen über die Kontrolleinrichtungen in Deutschland vom 14.11.1944; UNTS 236, 359. Abgedr. auch bei von Münch (Hrsg.), Dokumente des geteilten Deutschlands, S. 29 ff. und bei Rauschning (Hrsg.), Rechtsstellung Deutschlands, S. 11. 76 Abgedr. bei von Münch (Hrsg.), Dokumente des geteilten Deutschlands, S. 32 ff. und bei Rauschning (Hrsg.), Rechtsstellung Deutschlands, S. 21. 77 Vgl. Raap, AVR 29 (1991), 53 (58); ders., NZWehrr 1992, 16 (16). 78 Berliner Deklaration in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands vom 5.6.1945; UNTS 68, 190. Abgedr. auch bei von Münch (Hrsg.), Dokumente des geteilten Deutschlands, S. 19 ff. und bei Rauschning (Hrsg.), Rechtsstellung Deutschlands, S. 15. 79 Vgl. Raap, AVR 29 (1991), 53 (58); ders., NZWehrr 1992, 16 (16). 73 74
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Als Inhaber der Hoheitsgewalt in Deutschland konnten die Alliierten auch über die Rechtsstellung ihrer Truppen (über das ius in praesentia) befinden. Aus der Tatsache, daß zunächst ausschließlich die Siegermächte Hoheitsgewalt in Deutschland ausübten, folgte automatisch die vollständige Exemtion sämtlicher Angehöriger der Besatzungsmächte von deutscher Strafgerichtsbarkeit. Zwar wurden die deutschen Strafgerichte bereits im Spätsommer und Herbst 1945 zur Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit ermächtigt, doch beschränkte der Alliierte Kontrollrat in Art. III des KRG Nr. 4 vom 30. Oktober 194580 deren Jurisdiktionsbefugnis dahingehend, daß Straftaten von Angehörigen der alliierten Nationen sowie Taten, die gegen Staatsangehörige der Alliierten oder deren Eigentum gerichtet waren, deutscher Strafgerichtsbarkeit nicht unterfielen.81 2. Die Rechtsstellung fremder Streitkräfte und ihrer Angehörigen in der Bundesrepublik im Zeitraum von 1949–1955 An dieser vollständigen Exemtion der Angehörigen der Streitkräfte der Siegermächte änderte sich durch die Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 zunächst nichts. Mit der Gründung der Bundesrepublik durch das Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24. Mai 1949 erlangte diese nicht die völkerrechtliche Stellung eines souveränen Staates. Vielmehr behielten die drei Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich ihre Stellung als Besatzungsmächte bei und konnten so unabhängig von einer vertraglichen Vereinbarung mit der Bundesrepublik auch weiterhin ihre Streitkräfte in bundesdeutschem Gebiet stationieren.82 Das Verhältnis der westlichen Besatzungsmächte zur Bundesrepublik wurde durch ein von den Außenministern der Westmächte ausgearbeitetes Besatzungsstatut vom 10. April 1949 geregelt, das am 21. September 1949 in Kraft gesetzt wurde.83 Durch das Statut wurde dem Bund und den Ländern die volle gesetzgebende, vollziehende und rechtsprechende Gewalt übertragen, allerdings mit gewissen Vorbehalten. Gleichzeitig wurde aber betont, daß die Besetzung Deutschland fortdauere.84 Die drei Be___________ Gesetz des Kontrollrats Nr. 4, Umgestaltung des Deutschen Gerichtswesens vom 30.10.1945; Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Nr. 2 vom 30.11.1945, S. 26 (28). Art. III KRG Nr. 4 lautete, soweit hier von Interesse: „Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte erstreckt sich auf alle Zivil- und Strafsachen mit folgenden Ausnahmen: a) Strafbare Handlungen, die sich gegen die Alliierten Besatzungsstreitkräfte richten (…), c) Strafbare Handlungen, in die Militärpersonen der Alliierten Streitkräfte oder Alliierte Staatsangehörige verwickelt sind (…).“ 81 Vgl. Simgen, Exemtion der Angehörigen der Vereinten Nationen, S. 48 ff. 82 Vgl. Raap, AVR 29 (1991), 53 (58); ders., NZWehrr 1992, 16 (16). 83 Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission Nr. 1 vom 23.9.1949, S. 13. Abgedr. auch bei von Münch (Hrsg.), Dokumente des geteilten Deutschlands, S. 71 ff. 84 „1. Die Regierungen Frankreichs, der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs, wünschen und beabsichtigen, daß sich das deutsche Volk in dem Zeitraum, wäh80
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satzungsmächte behielten sich unter anderem Zuständigkeiten im Bereich des Schutzes, des Ansehens und der Sicherheit der Alliierten Streitkräfte, der Familienangehörigen, Angestellten und Vertreter und deren Immunitäten vor.85 Damit waren, wenngleich dies nicht explizit festgeschrieben wurde, auch Einschränkungen hinsichtlich der Ausübung von Strafgerichtsbarkeit über die Angehörigen der Streitkräfte der Westmächte gemeint. Durch das von der neu geschaffenen Alliierten Hohen Kommission erlassene Gesetz Nr. 13 vom 25. November 194986 wurden die Beschränkungen der bundesdeutschen Strafgerichtsbarkeit festgelegt. Gänzlich ausgenommen von der Ausübung bundesdeutscher Strafgewalt waren nach Art. 1 lit. a) vorbehaltlich einer ausdrücklichen Genehmigung „die Alliierten Streitkräfte“. Dieser Begriff umfaßte einen großen Personenkreis, unter anderem auch militärische und zivile Angehörige der Streitkräfte sowie deren Familienangehörige. Es war den bundesdeutschen Gerichten aber nicht nur untersagt, Strafverfahren gegen diese Personen als Beschuldigte durchzuführen. Auch Straftaten, die gegen diese exemten Personen oder ihr Eigentum gerichtet waren, selbst wenn sie von Deutschen verübt worden waren, waren gemäß Art. 1 lit. b) Nr. I der deutschen Strafgerichtsbarkeit entzogen. Zudem unterlagen nach Art. 1 lit. b) Nr. III Handlungen im Zusammenhang mit der Erfüllung von Pflichten gegenüber den Alliierten Streitkräften bzw. der Leistung von Diensten für die Alliierten Streitkräfte nicht der deutschen Strafgerichtsbarkeit.87 1953 allerdings wurden die deutschen Gerichte durch Gesetze der Alliierten Hohen Kommission und einzelner Besatzungsmächte ermächtigt, Strafgerichtsbarkeit über Deutsche auszuüben, die Taten gegen Angehörige der jeweiligen Besatzungsmacht oder deren Eigentum begangen hatten.88
___________ rend dessen das Fortdauern der Besatzung notwendig ist, im größtmöglichsten Maße selbst regiert, soweit dies mit der Besatzung vereinbar ist. Der Bund und die beteiligten Länder haben, lediglich den Beschränkungen dieses Statuts unterworfen, volle gesetzgebende, vollziehende und rechtsprechende Gewalt gemäß dem Grundgesetz und den Landesverfassungen.“ 85 „2. Um die Erreichung der Grundziele der Besatzung sicherzustellen, wird die Zuständigkeit für die folgenden Gebiete (…) ausdrücklich vorbehalten: (…) e) der Schutz, das Prestige und die Sicherheit der Alliierten Streitkräfte, Familienangehörigen, Angestellten und Vertreter, ihre Immunitäten (…).“ 86 Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission Nr. 6 vom 9.12.1949, S. 54. 87 Vgl. Jescheck, ZStW 65 (1953), 293 (295); Maurach, Deutsches Strafrecht (1. Aufl. 1954), § 10 II. B. 3.b); Schneider, Die Exterritorialität der Truppen, S. 54; Simgen, Exemtion der Angehörigen der Vereinten Nationen, S. 111 ff. 88 Vgl. Becker, MDR 1954, 724 (724); Schwenk, MDR 1955, 703 (704).
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3. Die Rechtsstellung fremder Streitkräfte und ihrer Angehörigen in der Bundesrepublik vom Inkrafttreten der Pariser Verträge 1955 bis zum Inkrafttreten des NATO-Truppenstatuts 1963 a) Der Weg zur Souveränität der Bundesrepublik Deutschland Der Koreakrieg 1950 und die Verschärfung des Ost-West-Konflikts ließen bei den Westmächten, vor allem bei den USA, den Wunsch aufkommen, die Sicherheitslage in Westeuropa durch einen Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik zu verbessern. Im Gegenzug zu einem deutschen Militärbeitrag sollte die BRD die Stellung eines souveränen Staates bekommen und das Besatzungsregime beendet werden. Im Rahmen von Verhandlungen der drei Westmächte mit der Bundesrepublik wurden zu diesem Zweck die sogenannten Bonner Verträge89 ausgearbeitet.90 Kern dieser am 26. Mai 1952 unterzeichneten Verträge zwischen den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland war der Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Drei Mächten, der auch als „Deutschlandvertrag“ bezeichnet wird. Der deutsche Verteidigungsbeitrag sollte im Rahmen einer „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ (EVG) geleistet werden. Vorgesehen war – auf einer Idee des französischen Ministerpräsidenten Pleven basierend – eine supranationale europäische Armee, zu der die Streitkräfte Frankreichs, Italiens, Belgiens, Luxemburgs und der Niederlande zusammen mit den neu aufzubauenden Einheiten Deutschlands vereinigt werden sollten.91 Der EVG-Vertrag vom 27. Mai 1952 wurde zwar 1953 durch die Bundesrepublik ratifiziert,92 scheiterte aber am 30. August 1954 in der französischen Nationalversammlung.93 Da die „Bonner Verträge“ politisch und rechtlich von dem Zustandekommen der EVG abhingen,94 waren auch diese zunächst hinfällig. Auf der Londoner Neun-MächteKonferenz im September/Oktober 1954 wurde daraufhin beschlossen, die Bundesrepublik – anders als ursprünglich geplant – in die 1949 gegründete NATO95 aufzunehmen und so die erwünschte Einbeziehung einer wiederbewaffneten und völ___________ BGBl. 1954 II, S. 59 ff. Vgl. Hofmann, Truppenstationierung, S. 38 ff. 91 Vgl. Jescheck, ZStW 65 (1953), 113 (113 f.) und Strauß, Probleme bei der Stationierung von Truppen, S. 49 ff., die auch die strafrechtlichen Regelungen analysieren, die für die Mitglieder der „Europaarmee“ hätten gelten sollen. 92 Zustimmungsgesetz zum Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft; BGBl. 1954 II, S. 342. Der Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ist als Teil des Zustimmungsgesetzes abgedr. in BGBl. 1954 II, S. 343. 93 Vgl. Hofmann, Truppenstationierung, S. 193 ff. 94 Vgl. Art. 11 Abs. 2 lit. b) des Deutschlandvertrags in der Ursprungsfassung von 1952, BGBl. 1954 II, S. 59 (67). 95 Vgl. den Nordatlantikvertrag vom 4.4.1949 zur Gründung der North Atlantic Treaty Organization; BGBl. 1955 II, S. 289 = UNTS 243, 34. Geändert durch Protokoll vom 17.10.1951; BGBl. 1955 II, S. 293. 89 90
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kerrechtlich souveränen Bundesrepublik in ein westliches Sicherheitssystem zu bewerkstelligen.96 Da nicht genügend Zeit für die Ausarbeitung völlig neuer Verträge war, wurden die „Bonner Verträge“ von 1952 lediglich entsprechend den neuen Bedingungen durch ein am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnetes Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland97 modifiziert.98 In dieser überarbeiteten Fassung traten die Verträge, die nunmehr als „Pariser Verträge“ firmierten, schließlich am 5. Mai 1955 in Kraft.99 Mit diesem Datum erlangte die Bundesrepublik gemäß Art. 1 Abs. 2 des modifizierten Deutschlandvertrags,100 der wie schon bei den „Bonner Verträgen“ auch den Kern der Pariser Verträge bildete, „die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten“. Die Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich behielten sich in Art. 2 Abs. 1 lediglich „die bisher von ihnen ausgeübten und innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung“ vor. Insofern blieb ein Rest der Besatzungsrechte der westlichen Siegermächte erhalten. Entsprechend der Vereinbarung in Art. 1 Abs. 1 des Deutschlandvertrags hoben die Westmächte am Tag des Inkrafttretens der Pariser Verträge das Besatzungsstatut auf.101 Einen Tag später, am 6. Mai 1955, wurde die Bundesrepublik dann Mitglied der NATO,102 im Herbst 1955 wurde mit der Bundeswehr eine nationale deutsche Armee gegründet. b) Die Rechtsstellung der in der Bundesrepublik befindlichen Streitkräfte und ihrer Angehörigen nach den Pariser Verträgen Durch die Aufhebung des Besatzungsstatuts waren sowohl das Recht der westlichen Alliierten, in Deutschland Streitkräfte zu stationieren, als auch die Vorrechte und Befreiungen für die Angehörigen der Streitkräfte in Frage gestellt. Beide Aspekte wurden daher in den Pariser Verträgen neu geregelt. ___________ Vgl. Hofmann, Truppenstationierung, S. 212 ff. BGBl. 1955 II, S. 215. Deutsches Zustimmungsgesetz vom 24.3.1955; BGBl. 1955 II, S. 213. 98 Vgl. die Denkschrift der Bundesregierung zum NTS und den Zusatzvereinbarungen, BT-Drucks. 3/2146, S. 223 (223). 99 Vgl. Bekanntmachung vom 5.5.1955, BGBl. 1955 II, S. 628. 100 BGBl. 1955 II, S. 305 (Bekanntmachung des „Deutschlandvertrags“ vom 26.5.1952 i.d.F. des Protokolls vom 23.10.1954). 101 Geschehen durch Proklamation vom 5.5.1955; Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission Nr. 126 vom 5.5.1955, S. 3272. Abgedr. auch bei von Münch (Hrsg.), Dokumente des geteilten Deutschlands, S. 249 f. 102 Vgl. das Gesetz über den Beitritt vom 24.3.1955; BGBl. 1955 II, S. 256 und die Bekanntmachung über das Wirksamwerden des Beitritts vom 9.5.1955; BGBl. 1955 II, S. 630. 96 97
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aa) Das Aufenthaltsrecht für Streitkräfte der Westalliierten und ihrer Verbündeten Das ius ad praesentiam für die Streitkräfte wurde in Art. 4 des Deutschlandvertrags normiert. Gemäß Art. 4 Abs. 2 S. 2 des Vertrags erklärte sich die Bundesrepublik damit einverstanden, daß vom Inkrafttreten der Abmachungen über einen deutschen Verteidigungsbeitrag an – gemeint war die am 6. Mai 1955 erfolgte Aufnahme der BRD in die NATO103 – „Streitkräfte der gleichen Nationalität und Effektivstärke wie zur Zeit dieses Inkrafttretens in der Bundesrepublik stationiert werden dürfen“. Nach Art. 4 Abs. 2 S. 3 des Deutschlandvertrags sollte ein gesonderter Vertrag die Frage des Aufenthaltsrechts als solches regeln. Gemeint war der zeitgleich mit den Pariser Verträgen am 23. Oktober 1954 unterzeichnete „Aufenthaltsvertrag“ zwischen den USA, Großbritannien, Frankreich und der Bundesrepublik.104 Der Aufenthaltsvertrag wiederholt in seinem operativen Art. 1 in Abs. 1 zunächst die in Art. 4 Abs. 2 S. 2 des Deutschlandvertrags getroffene Abmachung und legt dann in Abs. 2 fest, daß die Effektivstärke der stationierten Streitkräfte mit Zustimmung der Bundesregierung auch erhöht werden darf.105 Aus dem NATO-Vertrag selbst ergibt sich kein Truppenstationierungsrecht.106 Das Recht der Truppenstationierung wurde jedoch nicht nur auf diese vertraglichen Grundlagen gestützt, sondern im Deutschlandvertrag auf eine doppelte Basis gestellt. Laut Art. 4 Abs. 2 Satz 1 des Deutschlandvertrags wurden die „von den Drei Mächten bisher ausgeübten oder innegehabten und weiterhin beizubehaltenden Rechte in bezug auf die Stationierung von Streitkräften in Deutschland (…) nicht berührt“, soweit diese Rechte erforderlich waren für die Ausübung der Vorbehaltsrechte in bezug auf Deutschland als Ganzes. Damit fußte das Aufenthaltsrecht für die Streitkräfte weiterhin auch auf den vorbehaltenen Besatzungsrechten und damit auch auf einer außervertraglichen Grundlage.107 ___________ Vgl. Rumpf, Recht der Truppenstationierung, S. 7. Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland vom 23.10.1954; BGBl. 1955 II, S. 253. In Kraft getreten am 6.5.1955; vgl. die Bekanntmachung vom 9.5.1955; BGBl. 1955 II, S. 630. 105 In bezug auf das Truppenstationierungsrecht sind der Deutschlandvertrag und der Aufenthaltsvertrag Verträge zugunsten dritter Staaten, da sich das ius ad praesentiam nicht nur auf die Streitkräfte der USA, Großbritanniens und Frankreichs beschränkt (hat). Allerdings sind Belgien, Dänemark, Kanada, Luxemburg und die Niederlande dem Aufenthaltsvertrag gemäß dessen Art. 2 beigetreten; vgl. Burkhardt, NZWehrr 1995, 133 (134); Heth, NZWehrr 1996, 1 (2); Rumpf, Recht der Truppenstationierung, S. 9. Der Aufenthaltsvertrag ist für alle diese Staaten am 6.5.1955 in Kraft getreten. Vgl. Bekanntmachung vom 9.5.1955; BGBl. 1955 II, S. 630. 106 Raap, AVR 29 (1991), 53 (69); ders., NZWehrr 1992, 16 (18). 107 Raap, AVR 29 (1991), 53 (62 ff., 67); ders., NZWehrr 1992, 16 (16 ff.). Die Basis des Stationierungsrechts war in der Literatur allerdings sehr umstritten. Überwiegend wurde zwar von der hier geschilderten doppelten Basis ausgegangen, zum Teil jedoch auch die These einer ausschließlich vertraglichen bzw. ausschließlich besatzungsrechtlichen Basis vertreten. Vgl. Neubauer, AVR 12 (1964/65), 34 (39); Raap, AVR 29 (1991), 53 (60 ff.); 103 104
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bb) Die Rechtsstellung der Angehörigen der in der Bundesrepublik befindlichen Streitkräfte Das ius in praesentia und damit auch die Frage der Exemtionen für Angehörige der Streitkräfte der nunmehrigen NATO-Partner von bundesdeutscher Strafgerichtsbarkeit wurde im sogenannten Truppenvertrag geregelt, der einer der Pariser Verträge war.108 Aus deutscher Sicht bedeutete der Truppenvertrag hinsichtlich der Möglichkeit, Strafgerichtsbarkeit auszuüben, eine Verbesserung gegenüber den bis 1955 geltenden besatzungsrechtlichen Regelungen, doch blieben die deutschen Strafverfolgungskompetenzen nach dem Truppenvertrag hinter den Befugnissen zurück, die das NATO-Truppenstatut dem Aufenthaltsstaat zubilligt.109 Die Mitglieder der Streitkräfte waren gemäß Art. 2 Abs. 1 des Truppenvertrags (TV) verpflichtet, das deutsche Recht zu beachten. Nach Art. 6 Abs. 1 TV waren sie aber der deutschen Strafgerichtsbarkeit nahezu vollständig entzogen, sie genossen umfassende Immunität ratione personae, während die Behörden des Entsendestaates umgekehrt die fast uneingeschränkte Befugnis hatten, im Gebiet der Bundesrepublik Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder ihrer Streitkräfte auszuüben.110 Art. 6 Abs. 1 Satz 1 TV lautete: „In Strafsachen üben die Behörden der Streitkräfte die ausschließliche Gerichtsbarkeit über die Mitglieder der Streitkräfte aus, soweit in diesem Vertrag nichts anderes bestimmt ist.“
___________ Rumpf, Recht der Truppenstationierung, S. 7 f. (der in diesem Zusammenhang von „Klauseln“ spricht, „in denen politische Kompromisse auf Kosten der juristischen Klarheit und Logik fixiert worden sind.“). 108 Vertrag über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland (Truppenvertrag) vom 26.5.1952 i.d.F. des am 23.10.1954 unterzeichneten Pariser Protokolls; BGBl. 1955 II, S. 321 = UNTS 332, 3. Zustimmungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 24.3.1955; BGBl. 1955 II, S. 213. In Kraft getreten am 5.5.1955 (vgl. Bekanntmachung der Bundesregierung vom 5.5.1955; BGBl. 1955 II, S. 628). Nach der ursprünglichen Planung hätte der Truppenvertrag lediglich den Status der in Deutschland befindlichen Angehörigen der Streitkräfte der USA und Großbritanniens geregelt, da die Streitkräfte Frankreichs und die der übrigen Staaten, die Streitkräfte in Deutschland stationiert hatten, in die EVG überführt worden wären und der Status der EVG-Truppen im EVG-Vertrag einer gesonderten Regelung unterworfen werden sollte; vgl. Jescheck, ZStW 65 (1953), 293 (296 Fn. 9). Zur Entstehungsgeschichte des Truppenvertrags vgl. Hofmann, Truppenstationierung, S. 145 ff. Das Gesetz Nr. 13 der AHK wurde zeitgleich mit Inkrafttreten des Truppenvertrags am 5.5.1955 aufgehoben; vgl. BGHSt 14, 137 (139) = NJW 1960, 1116 (1116). 109 So auch die zeitgenössische Einschätzung von Jescheck, ZStW 65 (1953), 293 (294, 296, 300 f.) sowie die Bewertung von Neubauer, AVR 12 (1964/65), 34 (37) und Raap, AVR 29 (1991), 53 (74). 110 Vgl. LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 354; Jescheck, ZStW 65 (1953), 293 (298); Maier, NJW 1955, 894 (894 f.); Maurach, Deutsches Strafrecht (2. Aufl. 1958), § 11 II. B. 3.b); Neubauer, AVR 12 (1964/65), 34 (39 f.); Schneider, Die Exterritorialität der Truppen, S. 117 ff.; Schwenk, MDR 1955, 703 (705).
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Die (geringfügige) „Verbesserung“ gegenüber den besatzungsrechtlichen Regeln lag zum einen in der durch Art. 6 Abs. 2 TV geregelten Befugnis der Bundesrepublik, zur Vermeidung von Strafbarkeitslücken ausnahmsweise dann Strafgerichtsbarkeit ausüben zu dürfen, wenn die Militärgerichte der Streitkräfte zur Aburteilung einer nach deutschem Recht strafbaren Tat eines Mitglieds der Streitkräfte nicht zuständig waren:111 „Soweit die Militärgerichte nach dem Recht der beteiligten Macht zur Ausübung der Strafgerichtsbarkeit über ein Mitglied der Streitkräfte nicht zuständig sind, können die deutschen Gerichte und Behörden die Strafgerichtsbarkeit hinsichtlich einer nach deutschem Recht strafbaren Handlung, die sich gegen deutsche Interessen richtet, (…) ausüben.“
Allerdings hatten die deutschen Strafverfolgungsbehörden gemäß Art. 6 Abs. 2 lit. b) TV stets dann von einer Strafverfolgung abzusehen, wenn die Verfolgung der Tat im Ermessen der Strafverfolgungsbehörden lag, also das Opportunitätsprinzip galt.112 Zum anderen waren nunmehr gemäß Art. 6 Abs. 3 TV für die Strafverfolgung von Taten, die „lediglich“ gegen die Streitkräfte oder deren Mitglieder bzw. gegen das Eigentum der Streitkräfte oder deren Mitglieder gerichtet waren, jedoch nicht von Mitgliedern der Streitkräfte begangen worden waren, anders als nach dem Gesetz Nr. 13 der AHK allein die deutschen Strafverfolgungsbehörden zuständig.113 Zudem gestattete Art. 6 Abs. 4 TV den Behörden der Streitkräfte, Strafsachen, die gemäß Art. 6 Abs. 1 TV an sich der alleinigen Gerichtsbarkeit des Entsendestaates unterlagen, zur Verhandlung und Entscheidung an die deutschen Strafverfolgungsbehörden abzugeben.114 Zu den durch die vorgenannten Bestimmungen exemierten Mitgliedern der Streitkräfte wurden gemäß Art. 1 Nr. 7 TV zunächst einmal alle Personen gezählt, die aufgrund eines militärischen Dienstverhältnisses im Dienste der USA, Großbritanniens, Frankreichs oder anderer Entsendestaaten115 standen und sich im Bundesgebiet aufhielten. Unerheblich war, ob der Aufenthalt in der BRD dienstlicher oder privater Natur war und ob die betreffende Person in Deutschland längerfristig stationiert war oder nicht. Auch Zivilangestellte der Streitkräfte wurden als Mitglieder der Streitkräfte eingestuft, jedoch nur dann, wenn sie sich dienstlich im Bundes___________ 111 Vgl. LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 354; Jescheck, ZStW 65 (1953), 293 (299); Maier, NJW 1955, 894 (895); Maurach, Deutsches Strafrecht (2. Aufl. 1958), § 11 II. B. 3.b); Schwenk, MDR 1955, 703 (705 f.); Wohlfahrt, DRiZ 1955, 232 (233). 112 Vgl. Jescheck, ZStW 65 (1953), 293 (300); Wohlfahrt, DRiZ 1955, 232 (233). 113 Vgl. Jescheck, ZStW 65 (1953), 293 (302); Maier, NJW 1955, 894 (894 f.). 114 Vgl. bezüglich eines solchen Falls BGHSt 10, 358 = NJW 1957, 1604. Siehe ferner LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 354; Jescheck, ZStW 65 (1953), 293 (300). 115 Auch der Truppenvertrag, der zwischen den USA, Großbritannien, Frankreich und der Bundesrepublik geschlossen wurde, war durch die Einbeziehung anderer Entsendestaaten ein Vertrag zugunsten Dritter.
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gebiet befanden. Erfaßt als Mitglieder der Streitkräfte wurden schließlich auch noch Ehegatten und Kinder des militärischen und zivilen Personals sowie von diesen wirtschaftlich abhängige Verwandte.116 Da die Mitglieder der Streitkräfte der deutschen Strafgerichtsbarkeit weitestgehend entzogen waren, unterlagen sie grundsätzlich auch nicht der deutschen strafprozessualen Zwangsgewalt. Art. 7 Abs. 1 TV bestimmte: „Mitglieder der Streitkräfte (…) unterliegen nicht der Festnahme durch deutsche Behörden.“ Allerdings legte Art. 7 Abs. 2 TV gewisse Ausnahmen von dieser Unverletzlichkeit fest. So war eine Ingewahrsamnahme eines Mitglieds der Streitkräfte unter anderem bei Ergreifung auf frischer Tat statthaft.117 Die Mitglieder der Streitkräfte unterlagen gemäß Art. 11 Abs. 1 TV ferner nur eingeschränkt den Zeugenpflichten. Sofern militärische Erfordernisse einer Zeugenaussage entgegenstanden, brauchten sie nicht vor Gericht zu erscheinen. Schließlich waren die dienstlichen Unterkünfte sowie privaten Wohnungen von Mitgliedern der Streitkräfte gemäß Art. 7 Abs. 2 lit. c) TV insofern unverletzlich, als sie von deutschen Behörden nicht durchsucht werden durften. Gleiches galt gemäß Art. 22 TV für die von den Streitkräften genutzten militärischen Anlagen.118 c) Ablösung des Truppenvertrags durch das NATO-Truppenstatut und die Zusatzvereinbarungen zum NATO-Truppenstatut Das Inkrafttreten der Pariser Verträge und die gleichzeitige Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO als Konsequenz aus dem Scheitern der EVG hatte die unbefriedigende Folge, daß die BRD einerseits als nunmehr souveräner Staat Mitglied der NATO war, andererseits sich die Rechtsstellung der in der Bundesrepublik befindlichen NATO-Streitkräfte nach dem Truppenvertrag richtete, während sich der Status von NATO-Streitkräften bei einem Aufenthalt in anderen NATOStaaten als der Bundesrepublik nach dem – für die Aufenthaltsstaaten günstigeren – NATO-Truppenstatut vom 19. Juni 1951 (NTS)119 bestimmte. Schon der modifizierte Deutschlandvertrag sah deshalb in Art. 8 Abs. 1 lit. b) vor, daß Deutschland Vertragsstaat des NTS werden und der Truppenvertrag dann außer Kraft treten sollte. Die Regelungen des Truppenvertrags waren also von vornherein nur als Übergangsbestimmungen gedacht.120 Eine sofortige Inkraftsetzung des NTS für die in ___________ Vgl. Jescheck, ZStW 65 (1953), 293 (298 f.); Maier, NJW 1955, 894 (894); Schneider, Die Exterritorialität der Truppen, S. 119 f.; Schwenk, MDR 1955, 703 (705); Wohlfahrt, DRiZ 1955, 232 (232 f.). 117 Siehe auch Jescheck, ZStW 65 (1953), 293 (308); Maier, NJW 1955, 894 (895); Wohlfahrt, DRiZ 1955, 232 (233 f.). 118 Vgl. Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (414). 119 Vgl. oben Anm. 2. Zur Entstehungsgeschichte des NTS siehe Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 15. 120 Vgl. Neubauer, AVR 12 (1964/65), 34 (40). 116
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der Bundesrepublik befindlichen NATO-Truppen zeitgleich mit der Aufnahme der BRD in die NATO war nicht in Betracht gekommen, da unter den NATO-Staaten Übereinstimmung dahingehend bestand, daß die Regelungen des NTS angesichts der besonderen Funktion und Stellung der in der Bundesrepublik stationierten Streitkräfte um speziell auf die deutsche Situation bezogene Zusatzbestimmungen für die Stationierungsstreitkräfte ergänzt werden sollten.121 Die Verhandlungen über solche Zusatzbestimmungen für die in der Bundesrepublik befindlichen NATO-Streitkräfte begannen zwar schon unmittelbar nachdem der Nordatlantikrat der NATO-Staaten im Oktober 1955 den Beitritt der Bundesrepublik zum NTS grundsätzlich befürwortet hatte. Doch gestalteten sich diese Verhandlungen, an denen außer der Bundesrepublik mit den USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Kanada und den Niederlanden all die NATO-Staaten beteiligt waren, die Truppen in der BRD stationiert hatten, als sehr schwierig, so daß sie erst im Sommer 1959 abgeschlossen werden konnten.122 Am 3. August 1959 unterzeichneten dann die USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Kanada, die Niederlande und Deutschland das Zusatzabkommen zum NTS (ZA-NTS)123 sowie ein – ebenfalls als völkerrechtlichen Vertrag einzustufendes – Unterzeichnungsprotokoll zum Zusatzabkommen.124 Zwischen der Bundesrepublik und einzelnen der genannten Staaten wurden zudem weitere Zusatzvereinbarungen getroffen.125 Nachdem das ZA-NTS, das Unterzeichnungsprotokoll und die weiteren Zusatzvereinbarungen von den beteiligten Staaten ratifiziert worden waren und die Bun-
___________ 121 Vgl. Hofmann, Truppenstationierung, S. 227 ff.; Neubauer, AVR 12 (1964/65), 34 (40). Der zweite Erwägungsgrund der Präambel des NTS bestimmt ausdrücklich, daß Sondervereinbarungen zwischen einzelnen Vertragsparteien, die die Regelungen des NTS ergänzen, gestattet sind. 122 Vgl. die Denkschrift der Bundesregierung zum NTS und den Zusatzvereinbarungen, BT-Drucks. 3/2146, S. 223 (224). 123 Vgl. oben Anm. 3. 124 Unterzeichnungsprotokoll zum Zusatzabkommen vom 3.8.1959; BGBl. 1961 II, S. 1313. Zuletzt geändert durch Abkommen vom 16.5.1994; vgl. BGBl. 1994 II, S. 3710, BGBl. 1998 II, S. 1568. Mit der Aufteilung der getroffenen Regelungen auf das Zusatzabkommen und das Unterzeichnungsprotokoll, die beide in gleicher Weise völkerrechtlich verbindlich sind, sollte der unterschiedlichen Bedeutung der Bestimmungen Rechnung getragen werden. Ergänzende Detailregelungen zu den Bestimmungen des Zusatzabkommens wurden gewissermaßen in das Unterzeichnungsprotokoll „verbannt“. Vgl. Neubauer, AVR 12 (1964/65), 34 (41). 125 Relevant im vorliegenden Zusammenhang ist dabei das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtsstellung von Urlaubern vom 3.8.1959; BGBl. 1961 II, S. 1384. In Kraft getreten für die Bundesrepublik am 1.7.1963; vgl. die Bekanntmachung vom 16.6.1963 (BGBl. 1963 II, S. 745).
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desrepublik zudem das NTS ratifiziert hatte,126 traten diese Vereinbarungen am 1. Juli 1963 (für die Bundesrepublik) in Kraft.127 Gleichzeitig wurde der Truppenvertrag aufgehoben.128 Das NTS, das ZA-NTS, das Unterzeichnungsprotokoll und die weiteren Zusatzvereinbarungen sind auch heute noch in Kraft. Nach diesen völkerrechtlichen Verträgen bestimmen sich damit auch derzeit die Rechtsstellung der in Deutschland befindlichen NATO-Truppen und die Unterworfenheit der Personen, die sich als Angehörige dieser Truppen dienstlich in Deutschland aufhalten, unter die deutsche Strafgerichtsbarkeit.129 Zu betonen ist, daß die am 1. Juli 1963 für Deutschland in Kraft getretenen Verträge allesamt lediglich das ius in praesentia, also Fragen des Status der in Deutschland befindlichen Streitkräfte und der Angehörigen der Streitkräfte betreffen. Das ius ad praesentiam (die Befugnis zur Truppenstationierung) blieb von diesen Verträgen unberührt, es richtete sich bis zur deutschen Vereinigung im Jahr 1990 nach den im Deutschlandvertrag und im Aufenthaltsvertrag getroffenen Vereinbarungen und festgelegten Vorbehalten.130 4. Die Rechtsstellung der in der DDR befindlichen Streitkräfte und ihrer Angehörigen Im Gebiet der DDR waren seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sowjetische Truppen stationiert, und zwar zunächst wie die Truppen der Westalliierten im Gebiet der alten Bundesrepublik lediglich auf besatzungsrechtlicher Grundlage. Das ius ad praesentiam für die sowjetischen Streitkräfte wurde aber gleichfalls im Jahr 1955 zudem auch auf vertragliche Grundlagen gestützt: In Art. 4 Abs. 1 Vertrag über die Beziehungen zwischen der DDR und der Sowjetunion vom 20. September 1955131 und in Abs. 4 der Präambel des Streitkräfteabkommens vom 12. März ___________ 126 Das deutsche Zustimmungsgesetz ist das Gesetz zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags vom 19. Juni 1951 über die Rechtsstellung ihrer Truppen und zu den Zusatzvereinbarungen vom 3. August 1959 zu diesem Abkommen (Gesetz zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen) vom 18.8.1961, BGBl. 1961 II, S. 1183. 127 Vgl. Bekanntmachung vom 16.6.1963, BGBl. 1963 II, S. 745. Diese Verträge galten bis zur deutschen Vereinigung nicht für West-Berlin. 128 Vgl. das Abkommen über das Außerkrafttreten des Truppenvertrags (…), BGBl. 1961 II, S. 1352, und die Bekanntmachung vom 16.6.1963, BGBl. 1963 II, S. 745. 129 Diese Verträge sind insofern abschließend, als in ihrem Geltungsbereich eine parallele Anwendung von Völkergewohnheitsrecht ausscheidet, die Frage, inwieweit die erfaßten Personen der deutschen Strafgerichtsbarkeit unterliegen, sich also ausschließlich nach diesen sowie gegebenenfalls ergänzenden vertraglichen Vereinbarungen richtet. 130 Vgl. Sennekamp, NJW 1983, 2731 (2733). 131 Vertrag über die Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken von Moskau vom 20.9.1955, DDR-
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1957132 wurde das Recht der Sowjetunion auf Truppenstationierung völkervertraglich verankert.133 Was das ius in praesentia und damit die Unterworfenheit der Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte unter die Strafgerichtsbarkeit der DDR anbelangt, so legte das Streitkräfteabkommen von 1957 fest, daß die Mitglieder der sowjetischen Streitkräfte und ihre Familienangehörigen lediglich wegen ihrer dienstlichen Handlungen sowie wegen Taten, die gegen andere Mitglieder der sowjetischen Truppen bzw. Familienangehörige gerichtet waren, Exemtion von der Strafgerichtsbarkeit der DDR genossen.134 Im übrigen aber waren sie ohne besondere Einschränkungen der Strafgerichtsbarkeit und dem materiellen Strafrecht der DDR unterworfen.135 5. Auswirkungen der Vereinigung Deutschlands im Jahr 1990 auf die Rechtsstellung fremder Streitkräfte und ihrer Angehörigen a) Die völkerrechtlichen Vereinbarungen zur Herstellung der Einheit Deutschlands Der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990 hatte natürlich auch erhebliche Auswirkungen auf die in Deutschland stationierten fremden Streitkräfte. Während über die ausschließlich die beiden deutschen Staaten betreffenden ___________ GBl. 1955 I, S. 918 = UNTS 226, 201. Abgedr. auch bei von Münch (Hrsg.), Dokumente des geteilten Deutschlands, S. 440 ff. und bei Rauschning (Hrsg.), Rechtsstellung Deutschlands, S. 249 ff. 132 Abkommen zwischen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über Fragen, die mit der zeitweiligen Stationierung sowjetischer Streitkräfte auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik zusammenhängen, vom 12.3.1957, DDR-GBl. 1957 I, S. 238 = UNTS 285, 105. Abgedr. auch bei von Münch (Hrsg.), Dokumente des geteilten Deutschlands, S. 444 ff. 133 Vgl. Raap, AVR 29 (1991), 53 (69 f.); ders., NZWehrr 1991, 23 (26 f.); Seiffert, DA 1982, 473 (473), wobei diese Autoren allerdings den genannten vertraglichen Festlegungen lediglich deklaratorischen Charakter beimessen und daher von einem allein außervertraglichen Stationierungsrecht bis zum Untergang der DDR ausgehen. Aus dem „Warschauer Vertrag“ vom 14.5.1955 (DDR-GBl. 1955 I, S. 382; abgedr. auch bei von Münch (Hrsg.), Dokumente des geteilten Deutschlands, S. 436 ff.), mit dem das militärische Bündnissystem „Warschauer Pakt“ gegründet wurde, ergab sich – ebenso wie aus dem NATOVertrag – kein Truppenstationierungsrecht; vgl. Raap, NZWehrr 1991, 23 (26). 134 Vgl. Art. 6 des Streitkräfteabkommens sowie LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 358; Raap, AVR 29 (1991), 53 (82); Schneider, Die Exterritorialität der Truppen, S. 171. 135 Vgl. Art. 5 des Streitkräfteabkommens: „Bei strafbaren Handlungen, die von Personen, die den sowjetischen Streitkräften angehören, oder von deren Familienangehörigen auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik begangen werden, wird grundsätzlich das deutsche Recht von Organen der Deutschen Demokratischen Republik angewandt.“ Vgl. auch LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 358; Oeser, NJ 1957, 193 (193 f.); Raap, AVR 29 (1991), 53 (82); Schneider, Die Exterritorialität der Truppen, S. 170 f. Siehe in diesem Zusammenhang auch Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 629.
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Fragen, vor allem über die Herstellung einer Rechtseinheit, im sogenannten Einigungsvertrag zwischen der DDR und der BRD Vereinbarungen getroffen wurden,136 mußte über die völkerrechtlichen Folgen der Vereinigung zusammen mit den vier alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkrieges befunden werden, da diese sich – wie erwähnt – im Hinblick auf die Deutschland als Ganzes betreffenden Fragen ihre Rechte als frühere Besatzungsmächte vorbehalten hatten. Ergebnis der sogenannten 2+4-Verhandlungen war der Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland vom 12. September 1990 (2+4-Vertrag).137 Durch diesen Vertrag, der zwar erst am 15. März 1991 in Kraft trat,138 aber schon seit dem 3. Oktober 1990 vorläufig angewandt wurde,139 erhielt Deutschland die „volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten“.140 Der Vertrag kann damit als endgültiger Friedensvertrag zwischen den alliierten Siegermächten und Deutschland angesehen werden. Die Sowjetunion hatte sich nach anfänglichem Zögern damit einverstanden erklärt, daß die Bundesrepublik auch nach dem Beitritt der DDR Mitglied der NATO blieb, das Bündnisgebiet also auf das Gebiet der früheren DDR ausgedehnt wurde. Im Gegenzug zu diesem sowjetischen Zugeständnis mußten sich die anderen Vertragsparteien in Art. 5 Abs. 3 Satz 3 „2+4-Vertrag“ jedoch verpflichten, in den neuen Bundesländern und in Berlin dauerhaft keine Streitkräfte aus anderen NATO-Staaten zu stationieren.141 Darüber hinaus wurde in Art. 4 Abs. 1 des Vertrags festgelegt, daß die im Gebiet der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte bis Ende 1994 das Bundesgebiet verlassen würden. Im Hinblick auf die hier interessierende Frage der Rechtsstellung in Deutschland befindlicher fremder Streitkräfte und ihrer Angehörigen galt es nun, Regelungen für drei Problemfelder zu schaffen.
___________ Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31.8.1990; BGBl. 1990 II, S. 889. 137 BGBl. 1990 II, S. 1318. 138 Vgl. Bekanntmachung vom 15.3.1991, BGBl. 1991 II, S. 587. 139 Vgl. die „Vier-Mächte-Erklärung“ vom 1.10.1990, BGBl. 1990 II, S. 1331. 140 Art. 7 „2+4-Vertrag“. 141 Art. 5 Abs. 3 Satz 3 lautet: „Ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Träger werden in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt.“ Vgl. hierzu de Vidts, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 246 f., der dazu tendiert, diese Vertragsbestimmung angesichts des Beitritts Polens, Ungarns und der Tschechischen Republik zur NATO für überholt und obsolet zu halten. 136
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b) Regelungen in bezug auf den Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus Deutschland Zum einen mußte die Rechtsstellung der vorläufig noch in Deutschland weilenden sowjetischen Streitkräfte geregelt werden. Deutschland und die Sowjetunion schlossen hierzu – wie bereits in Art. 4 Abs. 1 „2+4-Vertrag“ vereinbart worden war – am 12. Oktober 1990 den Vertrag über die Bedingungen des befristeten Aufenthalts und die Modalitäten des planmäßigen Abzugs der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.142 Nach diesem „Abzugsvertrag“, der die Bestimmungen des Streitkräfteabkommens zwischen der DDR und der Sowjetunion von 1957,143 der mit dem Untergang der DDR außer Kraft getreten war,144 ersetzte, galt im Hinblick auf die Unterworfenheit der Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte unter die deutsche Strafgerichtsbarkeit folgendes: Die Mitglieder der sowjetischen Truppen und deren Familienangehörige unterlagen nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 des Abzugsvertrags der deutschen Strafgerichtsbarkeit.145 Für Taten, die als dienstliche Handlungen zu klassifizieren waren bzw. gegen die sowjetischen Streitkräfte, die Mitglieder der Truppe oder deren Angehörige gerichtet waren, waren sie gemäß Art. 18 Abs. 2 lit. a) und b) des Abzugsvertrags aber auch dem sowjetischen Strafrecht und der sowjetischen Strafgerichtsbarkeit unterworfen.146 Der Sowjetunion war durch Art. 18 Abs. 1 Satz 2 des Abzugsvertrags insoweit die Ausübung (konkurrierender) Strafgerichtsbarkeit in Deutschland gestattet worden.147 Mit dem Abzug der letzten sowjetischen Truppen aus Deutschland im Jahr 1994 wurden die Regelungen des Abzugsvertrags hinfällig.148 c) Neuregelung des Aufenthaltsrechts fremder Streitkräfte in Deutschland Zum zweiten mußten neue Vereinbarungen hinsichtlich des Rechts zur ständigen Stationierung von Streitkräften anderer NATO-Staaten (also hinsichtlich des ius ad ___________ 142 BGBl. 1991 II, S. 258. In Kraft getreten am 6.5.1991; vgl. BGBl. 1991 II, S. 723. Der Vertrag wurde allerdings bereits seit dem 3.10.1990 vorläufig angewandt; vgl. BGBl. 1990 II, S. 1246, 1254. Vgl. zum „Abzugsvertrag“ auch Raap, AVR 29 (1991), 53 (73 f.). 143 Vgl. oben Anm. 132. 144 Vgl. Raap, AVR 29 (1991), 53 (84 Fn. 264). Es ist davon auszugehen, daß der Staat, der im Wege einer Staatensukzession das Gebiet des ihm beitretenden Staates übernimmt, nicht an die von dem beitretenden Staat geschlossenen Verträge gebunden ist, sondern die Vertragsverpflichtungen mit dem Untergang des Vertragsstaates erlöschen; Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 172 ff.; Kreicker, NJ 2002, 281 (286). 145 Vgl. LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 359. 146 Vgl. Raap, AVR 29 (1991), 53 (84). 147 Für den Fall, daß bei konkurrierender Strafgerichtsbarkeit ein Staat bereits ein Verfahren durchgeführt hatte, legte Art. 18 Abs. 6 des Abzugsvertrags ein Verbot einer erneuten Strafverfolgung wegen derselben Tat durch den jeweils anderen Staat fest. 148 Vgl. LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 7; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 359; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 37.
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praesentiam) in den alten Ländern der Bundesrepublik getroffen werden. Das außervertragliche Stationierungsrecht, daß sich die alliierten Westmächte im Deutschlandvertrag vorbehalten hatten, war mit der Herstellung der Einheit Deutschlands erloschen.149 Und die vertragliche Basis für das ius ad praesentiam war dadurch in Frage gestellt worden, daß der Deutschlandvertrag konsequenterweise im Anschluß an die im „2+4-Vertrag“ festgelegte Beendigung der „Vier-Mächte-Rechte“ aufgehoben wurde150 und es im „Aufenthaltsvertrag“ von 1954 in Art. 3 Abs. 1 heißt: „Dieser Vertrag tritt außer Kraft mit dem Abschluß einer friedensvertraglichen Regelung mit Deutschland.“ In vier Notenwechseln vom 25. September 1990151 und vom 16. November 1990152 vereinbarte die Bundesrepublik daher mit den anderen Vertragspartnern des Aufenthaltsvertrags dessen unbegrenzte Fortgeltung, so daß sich nunmehr ein Stationierungsrecht für die USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Dänemark, Kanada, Luxemburg und die Niederlande in den alten Bundesländern ausschließlich aus dem weitergeltenden „Aufenthaltsvertrag“ ergibt.153 d) Neuregelung des räumlichen Geltungsbereichs der Verträge über die Rechtsstellung fremder Streitkräfte und ihrer Angehörigen Zum dritten mußten angesichts der Erweiterung der Bundesrepublik um das Gebiet der DDR neue Bestimmungen hinsichtlich des räumlichen Geltungsbereichs der für die Bundesrepublik maßgeblichen Verträge getroffen werden. Nach dem völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz der beweglichen Vertragsgrenzen dehnt sich der räumliche Geltungsbereich der für einen Staat verbindlichen völkerrechtlichen Verträge bei einer Vergrößerung des Staatsgebiets grundsätzlich auf das neu hinzugewonnene Gebiet aus. Weil aber im „2+4-Vertrag“ vereinbart worden war, daß die NATO-Staaten im Gebiet der früheren DDR und in Berlin keine Truppen stationieren werden, blieb der räumliche Geltungsbereich des Aufenthaltsvertrags, des NTS und der Zusatzvereinbarungen zum NTS auch nach der Herstellung der deutschen Einheit auf das Gebiet der alten Bundesländer (ohne West-Berlin) beschränkt.154 ___________ Vgl. Art. 7 Abs. 1 „2+4-Vertrag“ und Raap, AVR 29 (1991), 53 (73); ders., NZWehrr 1992, 16 (19). 150 Vgl. Notenwechsel vom 27./28.9.1990, BGBl. 1990 II, S. 1387. 151 Vgl. BGBl. 1990 II, S. 1390. 152 Vgl. BGBl. 1990 II, S. 1696. 153 Vgl. Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 79; Burkhardt, NZWehrr 1995, 133 (134); Raap, AVR 29 (1991), 53 (73); ders., NZWehrr 1992, 16 (19), wobei Raap allerdings – zu Unrecht – meint, der „2+4-Vertrag“ stelle keine friedensvertragliche Regelung i.S.d. Aufenthaltsvertrags dar. Daher werde der Aufenthaltsvertrag durch den „2+4-Vertrag“ nicht berührt und hätten die Notenwechsel lediglich deklaratorische Bedeutung. 154 Vgl. Anlage I Kap. I Abschn. I Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutsch149
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Da jedoch der „2+4-Vertrag“ lediglich die dauerhafte Stationierung, nicht aber den vorübergehenden Aufenthalt von NATO-Truppen (etwa im Rahmen von Übungen oder humanitären Hilfeleistungen bei Unglücksfällen) oder den privaten Aufenthalt einzelner in Westdeutschland stationierter Mitglieder fremder Streitkräfte in den neuen Bundesländern und in Berlin untersagt,155 wurde die Rechtslage 1990 bzw. 1994 durch Notenwechsel für die Streitkräfte der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Belgiens, Kanadas und der Niederlande (also der Vertragsstaaten des ZA-NTS) dahingehend vereinheitlicht, daß das NTS und die Zusatzvereinbarungen auch in den neuen Bundesländern und in Berlin Anwendung finden und den Streitkräften dieser Staaten vorübergehende dienstliche Aufenthalte dort gestattet werden können.156 Im Jahr 1999 wurde die Geltung des NTS dann durch Notenwechsel auch für die Streitkräfte der übrigen NATO-Staaten auf das Gebiet der neuen Bundesländer und Berlins ausgeweitet, so daß nun in ganz Deutschland eine einheitliche Rechtslage hinsichtlich des ius in praesentia existiert.157
___________ lands – Einigungsvertrag – vom 31.8.1990, BGBl. 1990 II, S. 889 (908) sowie für Berlin § 3 Nr. 3, 5 und 6 des Überleitungsgesetzes vom 25.9.1990; BGBl. 1990 I, S. 2106 (2107). Da sich durch den Beitritt der DDR zur BRD an der Völkerrechtssubjektivität der BRD nichts geändert hat, blieb die Wirksamkeit dieser Verträge (für die alten Länder der Bundesrepublik) unberührt. Vgl. den Notenwechsel vom 25.9.1990, BGBl. 1990 II, S. 1251 sowie Raap, AVR 29 (1991), 53 (83). Siehe auch Fleck, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 355 f. sowie de Vidts, in: Fleck (Hrsg.), a.a.O., S. 247 f. zur Problematik, ob die Geltungsbeschränkung im Einigungsvertrag zwischen der BRD und der DDR (zu Lasten der anderen NATO-Staaten) festgelegt werden durfte. 155 Vgl. de Vidts, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 246 f. 156 Vgl. die Notenwechsel vom 25.9.1990; BGBl. 1990 II, S. 1250, 1251, 1252; BGBl. 1994 II, S. 26, 29, 34. Geändert durch Notenwechsel vom 12.9.1994; BGBl. 1994 II, S. 3716; vgl. ferner die Bekanntmachungen vom 20.12.1996, BGBl. 1997 II, S. 222 ff. Siehe auch Fleck, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 356; de Vidts, in: Fleck (Hrsg.), a.a.O., S. 246. 157 Siehe den Notenwechsel mit den NATO-Staaten Dänemark, Griechenland, Italien, Luxemburg, Norwegen, Portugal, Spanien und Türkei vom 29.4.1998, BGBl. 1999 II, S. 508. Vgl. auch Fleck, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 356. Bis zum Inkrafttreten des Notenwechsels am 16.7.1999 galt für den Aufenthalt von Mitgliedern der Streitkräfte dieser NATO-Staaten in den neuen Bundesländern und Berlin, obwohl diese Staaten Vertragsstaaten des NTS sind, das Streitkräfteaufenthaltsgesetz (vgl. hierzu unten Anm. 164 sowie die Erläuterungen bei § 20 IV.2.). Denn für diese NATOStaaten war die Geltung des NTS zunächst auf das Gebiet der alten Bundesländer (ohne Berlin) beschränkt. Insofern war das ius in praesentia in Deutschland für die Angehörigen dieser NATO-Staaten gespalten. In den alten Bundesländern richtete es sich nach dem NTS, in den neuen Bundesländern und in Berlin nach Vereinbarungen aufgrund des Streitkräfteaufenthaltsgesetzes. Diese auch in strafrechtlicher Hinsicht unbefriedigende und unnötig komplizierte Rechtslage wurde in der Literatur zu Recht bemängelt. Siehe Burkhardt, NZWehrr 1995, 133 (135 f., 137 f.); Fleck, ZaöRV 56 (1996), 389 (391, 395 f.); Heth, NZWehrr 1996, 1 (3); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 23.
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6. Überblick über die gegenwärtig für den Status fremder Streitkräfte und ihrer Angehörigen in Deutschland maßgeblichen Rechtsnormen Das Recht, in Deutschland ständig Streitkräfte zu stationieren, richtet sich für die USA, Großbritannien, Frankreich, Kanada, Belgien, Dänemark, Luxemburg und die Niederlande als Begünstigte des Aufenthaltsvertrags weiterhin, aber nunmehr ausschließlich, nach diesem Vertrag.158 Aufgrund des „2+4-Vertrags“ beschränkt sich dieses Stationierungsrecht aber auf das Gebiet der alten Bundesrepublik, lediglich vorübergehende Aufenthalte im Gebiet der neuen Bundesländer können von der Bundesregierung gestattet werden.159 Die übrigen NATO-Staaten sowie andere Staaten haben keinen völkerrechtlichen Anspruch auf Stationierung oder Aufenthalt ihrer Streitkräfte in Deutschland.160 Doch kann die Bundesrepublik als souveräner Staat selbstverständlich jedem Staat den Aufenthalt seiner Streitkräfte in Deutschland durch Vereinbarung gestatten.161 Sofern sich Streitkräfte eines NATO-Staates aufgrund der Regelungen des Aufenthaltsvertrags oder aufgrund einer besonderen Vereinbarung in Deutschland aufhalten, bestimmen sich ihr Status und die Rechtsstellung der Angehörigen der Streitkräfte (das ius in praesentia) nach dem NTS und – sofern der betreffende Staat Vertragsstaat ist – nach den Zusatzverträgen zum NTS, vor allem dem ZA-NTS. Im folgenden sollen daher die für die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit relevanten Bestimmungen dieser Vereinbarungen analysiert werden (III.). ___________ Vgl. Fleck, ZaöRV 56 (1996), 389 (390). Vgl. den Notenwechsel vom 12.9.1994, BGBl. 1994 II, S. 3116. Aufgrund des Zustimmungsgesetzes zu diesem Notenwechsel vom 23.11.1994 (BGBl. 1994 II, S. 3714) darf die Bundesregierung den Streitkräften der betreffenden Staaten einen vorübergehenden Aufenthalt in den neuen Bundesländern und in Berlin ohne parlamentarische Zustimmung gestatten. Siehe auch Fleck, ZaöRV 56 (1996), 389 (391); de Vidts, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 246 f. 160 Aus dem NTS ergibt sich ebenso wie aus dem NATO-Vertrag kein Aufenthaltsrecht für die Streitkräfte eines NATO-Staates im Gebiet eines anderen NATO-Staates. Vielmehr legt der zweite Erwägungsgrund der Präambel des NTS ausdrücklich fest, „daß die Truppen einer Vertragspartei nach Vereinbarung zur Ausübung des Dienstes in das Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei entsandt werden dürfen“. (Hervorhebung durch den Verf.) Wie hier auch Raap, AVR 29 (1991), 53 (62); ders., NZWehrr 1992, 16 (18 f.). Vgl. ferner Burkhardt, NZWehrr 1995, 133 (136 f.). 161 Eine solche Zulassung kann auf der Grundlage des Streitkräfteaufenthaltsgesetzes (vgl. unten Anm. 164) bzw. bezüglich der NATO-Staaten Dänemark, Griechenland, Italien, Luxemburg, Norwegen, Portugal, Spanien und Türkei auf der Grundlage des deutschen Zustimmungsgesetzes zum Notenwechsel vom 29.4.1998 (BGBl. 1999 II, S. 506) von der Bundesregierung ausgesprochen werden und bedarf aufgrund der Ermächtigung im Streitkräfteaufenthaltsgesetz bzw. in dem genannten Zustimmungsgesetz keiner besonderen parlamentarischen Zustimmung. Für die NATO-Staaten gilt zudem, daß auch der durch das deutsche Zustimmungsgesetz in die deutsche Rechtsordnung inkorporierte NATO-Vertrag als innerstaatliche „Ermächtigungsgrundlage“ zur Zulassung fremder NATO-Truppen durch die Bundesregierung zu begreifen ist. Vgl Fleck, ZaöRV 56 (1996), 389 (395). 158 159
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Die politischen Veränderungen in Mittel- und Osteuropa in den neunziger Jahren haben nach der deutschen Vereinigung zu einer engen militärischen Zusammenarbeit auch mit solchen Staaten geführt, die nicht der NATO angehören. Daher wurden Mitte der neunziger Jahre sowohl auf völkerrechtlicher als auch auf nationaler Ebene neue Regelungen geschaffen, die vor allem die Rechtsstellung von Streitkräften aus Staaten betreffen, die nicht der NATO angehören. Etliche Staaten, die zwar nicht NATO-Mitglieder, wohl aber Unterzeichnerstaaten der „Partnership for Peace“-Vereinbarung mit den NATO-Staaten sind – einer Vereinbarung, deren Ziel eine enge militärische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit ist –, haben das 1995 neu geschaffene PfP-Truppenstatut ratifiziert.162 Für den Rechtsstatus der Streitkräfte aus diesen „PfP-Staaten“, die sich im Gebiet eines anderen Vertragsstaates der Vereinbarung – etwa im Rahmen gemeinsamer Übungen – aufhalten, ist damit das PfP-Truppenstatut maßgeblich. Inwieweit Angehörige der Streitkräfte eines solchen „PfP-Staates“ bei einem dienstlichen Aufenthalt in Deutschland der deutschen Strafgerichtsbarkeit unterliegen, bestimmt sich damit nach dem PfP-Truppenstatut und eventuellen das PfP-Truppenstatut ergänzenden Zusatzvereinbarungen.163 Deutschland hat zudem am 20. Juli 1995 ein Streitkräfteaufenthaltsgesetz (SkAufG) verabschiedet.164 Dieses legt zum einen Regelungen hinsichtlich der Gestattung des zeitweiligen Aufenthalts fremder Truppen in Deutschland (also Regelungen hinsichtlich der Vereinbarung eines ius ad praesentiam) fest. Zum anderen enthält das SkAufG Vorgaben für Vereinbarungen, die von der Bundesregierung zu treffen sind und den Status fremder Streitkräfte und deren Mitglieder bei einem vorübergehenden Aufenthalt (etwa im Rahmen gemeinsamer Manöver) in der Bundesrepublik (also über das ius in praesentia) betreffen. Was diesen zweiten Regelungskomplex anbelangt, so hat das SkAufG allerdings nur geringe praktische Bedeutung. Denn zum einen sind Polen, die Tschechische Republik und Ungarn 1999 Mitglieder der NATO geworden165 und im Jahr 2004 mit den drei baltischen ___________ Übereinkommen vom 19.6.1995 zwischen den Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrags und den anderen an der Partnerschaft für den Frieden teilnehmenden Staaten über die Rechtsstellung ihrer Truppen (PfP-Truppenstatut); BGBl. 1998 II, S. 1340. Das PfPTruppenstatut wird ergänzt durch ein Zusatzprotokoll; BGBl. 1998 II, S. 1343. Das PfPTruppenstatut und das Zusatzprotokoll sind für Deutschland am 24.10.1998 in Kraft getreten. Vgl. die Bekanntmachung vom 25.9.1999; BGBl. 1999 II, S. 465. Siehe auch die erläuternde Denkschrift der Bundesregierung in BT-Drucks. 13/9972, S. 14 ff. 163 Diese Regelungen gelten auch für die „PfP-Staaten“, die mittlerweile Mitglied der NATO geworden sind, aber das NTS noch nicht ratifiziert haben (wohl aber das PfPTruppenstatut). 164 Gesetz über die Rechtsstellung ausländischer Streitkräfte bei vorübergehenden Aufenthalten in der Bundesrepublik Deutschland (Streitkräfteaufenthaltsgesetz – SkAufG) vom 20.7.1995; BGBl. 1995 II, S. 554. Vgl. auch die Begründung zum SkAufG in BTDrucks. 13/730 sowie BT-Drucks. 13/1358. 165 Vgl. das Protokoll vom 16.12.1997; BGBl. 1998 II, S. 362. In Kraft getreten am 4.12.1998. Vgl. die Bekanntmachung vom 14.12.1998; BGBl. 1999 II, S. 26. 162
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Staaten sowie der Slowakei, Bulgarien, Rumänien und Slowenien weitere Staaten der NATO beigetreten. Diese neuen NATO-Mitglieder sind auch dem NTS beigetreten166 bzw. werden dies tun, so daß sich die Rechtsstellung der Streitkräfte dieser Staaten und der Angehörigen dieser Streitkräfte bei einem Aufenthalt in Deutschland ebenfalls nach dem (vorrangigen) NTS bestimmt bzw. nach dessen Ratifikation bestimmen wird. Zum anderen richtet sich – wie erwähnt – der Rechtsstatus von Streitkräften und deren Angehörigen aus „PfP-Staaten“ bei einem dienstlichen Aufenthalt in Deutschland nach dem (gleichfalls vorrangigen) PfP-Truppenstatut. Auch auf die Regelungen des PfP-Truppenstatuts und des SkAufG wird nachfolgend eingegangen (IV.).
III. Exemtionen von deutscher Strafgerichtsbarkeit nach dem NATO-Truppenstatut und den Zusatzvereinbarungen Die Rechtsstellung von Angehörigen der Streitkräfte von NATO-Staaten167 bei einem einvernehmlichen dienstlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik bestimmt sich grundsätzlich nach dem NTS und dessen verschiedenen Zusatzvereinbarungen.168 1. Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen den verschiedenen NATO-Staaten Die Frage, inwieweit eine Person nach den Regelungen des NTS und der Zusatzvereinbarungen zum NTS bei einem Aufenthalt in Deutschland der deutschen Strafgerichtsbarkeit unterworfen ist, kann nicht für die Angehörigen der Streitkräfte aller NATO-Staaten einheitlich beantwortet werden. Denn selbst die multilateralen Verträge und Vereinbarungen gelten nicht stets für alle NATO-Staaten, sie ___________ 166 Für Ungarn ist das NTS seit dem 20.2.2000 in Kraft, für Litauen seit dem 20.8.2004, für Lettland seit dem 1.9.2004, für die Slowakei seit dem 13.10.2004 und für Slowenien seit dem 28.10.2004; vgl. BGBl. 2001 II, S. 194 und BGBl. 2004 II, S. 1683. Die übrigen 1999 bzw. 2004 beigetreteten Staaten haben das NTS bislang (März 2006) nicht ratifiziert. 167 Die NATO hat derzeit (31.3.2006) 26 Mitglieder. Dies sind Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Island, Italien, Kanada, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn und die USA. Siehe im Internet (31.3.2006). 168 Zwei Ausnahmen sind zu nennen: Zum einen gilt das NTS für die Angehörigen der Streitkräfte der „neuen“ NATO-Mitglieder nur, soweit diese Staaten das NTS bereits ratifiziert haben (vgl. hierzu oben Anm. 166). Zum anderen bestimmt sich die Rechtsstellung von Militärattachés, die an einer in der Bundesrepublik errichteten diplomatischen Mission tätig sind, ausschließlich nach dem WÜD; vgl. das Unterzeichungsprotokoll zum ZA-NTS (zu Art. I NTS, Abs. 2); Neubauer, AVR 12 (1964/65), 34 (43); Schwenk, NJW 1963, 1425 (1425 f.); Sennekamp, NJW 1983, 2731 (2733).
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werden zudem ergänzt durch verschiedene bilaterale Vereinbarungen zwischen Deutschland und einzelnen NATO-Staaten. Im konkreten Fall ist daher zunächst immer festzustellen, zu wessen Streitkräften ein Beschuldigter gehört und welche völkerrechtlichen Vereinbarungen der betreffende Staat ratifiziert hat. Das NTS gilt für alle NATO-Staaten außer Island und (derzeit noch) den neuen NATO-Mitgliedern Bulgarien, Estland, Polen, Rumänien und Tschechische Republik.169 Die Reichweite der deutschen Strafgerichtsbarkeit über Angehörige von NATO-Streitkräften bestimmt sich also zunächst einmal für die Angehörigen der Truppen aller NATO-Staaten außer den soeben genannten170 nach den Normen des NTS. Wie bereits erwähnt, bestanden die NATO-Staaten, die bei Verabschiedung der Pariser Verträge 1954 eigene Streitkräfte ständig in Deutschland stationiert hatten, darauf, daß die Regelungen des NTS ergänzt wurden um Zusatzvereinbarungen für den Aufenthalt ihrer Streitkräfte in Deutschland. Für die Angehörigen der Streitkräfte der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Belgiens, Kanadas und der Niederlande – aber auch nur für diese! – gelten daher in Ergänzung zum NTS die Regelungen des ZA-NTS und des Unterzeichnungsprotokolls zum ZA-NTS.171 Von den weiteren Zusatzvereinbarungen ist in strafrechtlicher Hinsicht vor allem noch das „Urlauberabkommen“ zwischen der BRD und den USA172 von nennenswerter Relevanz.
___________ 169 Vgl. die Bekanntmachungen der Bundesregierung vom 16.6.1963, BGBl. 1963 II, S. 745 und vom 22.1.2001, BGBl. 2001 II, S. 194 sowie MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 114. Siehe auch oben Anm. 166. 170 Island besitzt keine Streitkräfte, so daß sich für diesen Staat keine Notwendigkeit ergab, Vertragspartei des NTS zu werden. Die erst im März 2004 der NATO beigetretenen Staaten Bulgarien, Estland und Rumänien haben das NTS bislang nicht ratifiziert, gleiches gilt für die 1999 beigetretenen Staaten Polen und Tschechische Republik. Der Rechtsstatus der Angehörigen der Streitkräfte dieser neuen Mitgliedstaaten richtet sich daher bei einem dienstlichen Aufenthalt in Deutschland (derzeit noch) nach dem PfP-Truppenstatut, das allerdings pauschal die Regelungen des NTS für anwendbar erklärt. Mittelbar – über den Verweis im PfP-Truppenstatut – gilt damit auch für die Streitkräfte dieser Staaten und deren Angehörige das NTS. 171 Vgl. Art. 1 ZA-NTS. Dänemark und Luxemburg sind zwar zusätzlich zu den hier genannten Staaten Vertragsstaaten des 1954 verabschiedeten Aufenthaltsvertrags, nicht aber des ZA-NTS. Dänemark und Luxemburg haben nämlich ihre Streitkräfte im Laufe der Verhandlungen um das ZA-NTS aus Deutschland zurückgezogen und sahen daher keine Notwendigkeit mehr, Vertragsstaaten des 1959 verabschiedeten ZA-NTS zu werden. Vgl. diesbezüglich Fleck, ZaöRV 56 (1996), 389 (392). 172 Vgl. oben Anm. 125. Auf weitere Vereinbarungen wird im konkreten Sachzusammenhang hingewiesen.
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2. Der personale und zeitliche Geltungsbereich der strafrechtlich relevanten Normen des NATO-Truppenstatuts und der Zusatzvereinbarungen a) Der personale Geltungsbereich der strafrechtlich relevanten Bestimmungen Die für die vorliegende Untersuchung bedeutenden Regelungen des NTS erfassen drei Kategorien von Personen. Erstens „Mitglieder der Truppe“. Der Ausdruck „Truppe“ bezeichnet laut Art. I Abs. 1 lit. a) NTS das zu den Land-, See- oder Luftstreitkräften gehörende Personal, wenn es sich im Zusammenhang mit seinen Dienstobliegenheiten im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei innerhalb des Gebiets des Nordatlantikvertrags befindet.173 Unter dem Begriff „ziviles Gefolge“ versteht Art. I Abs. 1 lit. b) NTS das bei den Streitkräften einer Vertragspartei beschäftigtes Zivilpersonal, das die Truppe einer Vertragspartei begleitet, sich also zur Unterstützung der Truppe dienstlich bedingt im Gebiet eines anderen Vertragsstaates aufhält.174 Als „Angehöriger“ wird schließlich nach Art. I Abs. 1 lit. c) NTS der (nach dem Recht des Entsendestaates verheiratete) Ehepartner eines Mitglieds der Truppe oder eines zivilen Gefolges (also nicht ein „bloßer Lebensgefährte“) sowie ein gegenüber dem Mitglied unterhaltsberechtigtes Kind bezeichnet.175 Dieser Kreis von Personen, die der deutschen Strafgewalt nur eingeschränkt unterliegen, wird durch Art. 2 Abs. 2 lit. a) ZA-NTS im Verhältnis zu den USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Kanada und den Niederlanden erweitert. Als Angehöriger im Sinne des NTS gilt danach auch ein naher Verwandter eines Mitglieds einer Truppe oder eines zivilen Gefolges, der von diesem aus wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Gründen abhängig ist, von ihm tatsächlich unterhalten ___________ Vgl. Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 92 ff.; Conderman, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 104 f.; Schwenk, NJW 1963, 1425 (1425); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 38 ff. 174 Nicht vom Begriff „zivilen Gefolge“ erfaßt sind nach der Legaldefinition des Art. I Abs. 1 lit. b) NTS Staatenlose, Angehörige eines Staates, der nicht Vertragspartei des NTS ist, sowie Personen, die Staatsangehörige des Staates sind, in dem die Truppe stationiert ist bzw. in diesem Staat ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Vgl. zum Kreis des „zivilen Gefolges“ auch Anderson/Burkhardt, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 55 ff. (mit Ausführungen zum Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“); Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 96; Conderman, in: Fleck (Hrsg.), a.a.O., S. 105 ff.; Schwenk, NJW 1963, 1425 (1426); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 43 ff. 175 Vgl. Anderson/Burkhardt, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 57 ff.; Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 97 ff.; Neubauer, AVR 12 (1964/65), 34 (49); Schwenk, NJW 1963, 1425 (1426); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 52 ff. Ungeklärt ist, ob eine vom Recht des Entsendestaates anerkannte und mit rechtlicher Bindungswirkung geschlossene gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft ausreicht für den Status eines Angehörigen nach dem NTS; vgl. Anderson/Burkhardt, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 58. 173
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wird, gemeinsam mit dem Mitglied in einer Wohnung lebt und sich mit Genehmigung der Behörden der Streitkräfte des Entsendestaates im Bundesgebiet aufhält.176 b) Geltungsbeschränkung der strafrechtlich relevanten Bestimmungen auf den Zeitraum dienstlich bedingter Aufenthalte Die hier interessierenden Regelungen gelten gemäß Art. I Abs. 1 lit. a) NTS nur dann, wenn sich die vom personalen Geltungsbereich erfaßten Personen im Zusammenhang mit ihren Dienstobliegenheiten (bzw. bei Angehörigen im Zusammenhang mit den Dienstobliegenheiten des jeweiligen Mitglieds der Truppe bzw. des zivilen Gefolges) im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei innerhalb des Gebiets des Nordatlantikvertrags befinden. Von entscheidender Bedeutung ist damit, daß die nachfolgend zu erörternden Beschränkungen für die deutsche Strafgerichtsbarkeit nur dann gelten, wenn sich die geschützte Person dienstlich im Bundesgebiet aufhält bzw. geschützter Angehöriger einer Person ist, die sich dienstlich in Deutschland befindet.177 Andererseits ist nicht erforderlich, daß die betreffende Person in Deutschland für einen längeren Zeitraum stationiert ist. Die Beschränkungen für die Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit gelten bereits dann, wenn sich die betreffende Person kurzfristig – etwa im Rahmen einer Durchreise oder eines kurzen Dienstgeschäfts – im Bundesgebiet aufhält.178 Damit sind beispielsweise auch Marineangehörige aus NATO-Staaten erfaßt, die sich im Rahmen eines Flottenbesuchs kurzzeitig in Deutschland befinden.179 Wenn ein Mitglied von NATO-Streitkräften aber außerdienstlich – etwa während eines privaten Urlaubs – nach Deutschland kommt und sich dort aufhält, sind der Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit gegenüber dieser Person und ihren Angehörigen durch die hier erläuterten Verträge keine Schranken gesetzt.180 Etwas ande___________ Vgl. Neubauer, AVR 12 (1964/65), 34 (49); Schwenk, NJW 1963, 1425 (1426); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 54 f. 177 Anderson/Burkhardt, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 54; Rouse/Baldwin, AJIL 51 (1957), 29 (35). Teilweise a.A. aber OLG Hamm, MDR 1981, 870 (870). 178 Dies folgt unter anderem aus der Legaldefinition des Art. I Abs. 1 lit. e) NTS, weil dort der Begriff „Aufnahmestaat“ definiert wird als „die Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet sich die Truppe oder das zivile Gefolge befinden, sei es, daß sie dort stationiert sind oder sich auf der Durchreise befinden“. Dem Begriff „Stationierung“ wird also der umfassendere Begriff „Sich-Befinden“ gegenübergestellt. Siehe auch Anderson/Burkhardt, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 54; Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 78 f.; Fleck, ZaöRV 56 (1996), 389 (395); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 39 f. 179 A.A. Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 737 f. 180 Vgl. Anderson/Burkhardt, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 54; Rouse/Baldwin, AJIL 51 (1957), 29 (35). Ein Soldat, der in Deutschland 176
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res gilt nach dem „Urlauberabkommen“ mit den USA lediglich für die Mitglieder und Zivilangestellten der US-amerikanischen Streitkräfte, die außerhalb Deutschlands in Europa oder Nordafrika stationiert sind, sowie die sie begleitenden Familienangehörigen. Für diese gelten gemäß Art. 1 des „Urlauberabkommens“ auch bei einem privaten Urlaubsaufenthalt in Deutschland die strafrechtlich relevanten Bestimmungen des NTS und der Zusatzvereinbarungen.181 Die Beschränkungen für die Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit durch das NTS und die Zusatzvereinbarungen sind auch zeitlich eng begrenzt, sie gelten nur für den Zeitraum des dienstlich bedingten Aufenthalts.182 Sie sind irrelevant, wenn ein früher in der Bundesrepublik Deutschland stationierter Soldat als Privatperson nach Deutschland zurückkehrt oder nach Beendigung seiner dienstlichen Tätigkeit in Deutschland verbleibt.183 Er darf dann ohne Einschränkungen durch die genannten Verträge auch wegen solcher Taten in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden, die er während seiner Stationierungszeit begangen hat.184 Allerdings sind in einem solchen Fall die oben geschilderten völkergewohnheitsrechtlichen Grenzen deutscher Strafgerichtsbarkeit durch die Staatenimmunität zu beachten, aufgrund der eine Strafverfolgung wegen früherer hoheitlich-dienstlicher Handlungen ausscheidet.
___________ stationiert ist, befindet sich allerdings auch dann dienstlich in Deutschland, wenn er während seiner Freizeit oder seines Urlaubs in Deutschland umherreist; vgl. Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 40 f. 181 Vgl. Neubauer, AVR 12 (1964/65), 34 (49); Schwenk, NJW 1963, 1425 (1425); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 58 f. 182 Die Angehörigen eines Mitglieds einer Truppe oder eines zivilen Gefolges i.S.d. Art. I Abs. 1 lit. c) NTS und Art. 2 Abs. 2 lit. a) ZA-NTS sind nach dem NTS nur so lange der deutschen Strafgerichtsbarkeit lediglich eingeschränkt unterworfen, wie sich das Mitglied, dessen Angehöriger sie sind, dienstlich in Deutschland aufhält. Allerdings legt Art. 2 Abs. 2 lit. b) ZA-NTS für Angehörige von Mitgliedern der Streitkräfte der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Belgiens, Kanadas und der Niederlande ergänzend fest, daß ein Angehöriger, wenn das betreffende Mitglied der Streitkräfte stirbt oder das Bundesgebiet aufgrund einer Versetzung verläßt, während einer Frist von 90 Tagen nach dem Tod oder der Versetzung weiterhin als geschützter Angehöriger gilt, sofern er sich im Bundesgebiet aufhält. Vgl. Schwenk, NJW 1963, 1425 (1426). 183 Vgl. BGHSt 28, 96 (97 ff.) = NJW 1978, 2457 (2457 f.); OLG Karlsruhe, NZWehrr 1993, 125 (127); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 120; Anderson/Burkhardt, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 52 f.; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 364; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 19 III. 1. c); Fischer, in: Tröndle/Fischer, vor § 3 Rn. 23; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 20 GVG Rn. 6; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 29; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 18 GVG Rn. 9; Oehler, JR 1980, 126 (127); ders., Internationales Strafrecht, Rn. 537; KK-StPOSchoreit, § 152a Rn. 22; KK-OWiG-Wache, vor § 53 Rn. 52. 184 Beachtlich ist allerdings die ne bis in idem-Regelung des Art. VII Abs. 8 NTS. Vgl. hierzu unten § 20 III.4.c).
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3. Unterworfenheit der geschützten Personen unter das materielle Strafrecht des Aufnahmestaates Die zu einer Truppe oder einem zivilen Gefolge gehörenden Personen sowie deren Angehörige haben gemäß Art. II NTS „die Pflicht, das Recht des Aufnahmestaates zu achten“. Sie sind damit ebenso wie Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen nach Art. 41 Abs. 1 WÜD bzw. Art. 55 Abs. 1 WÜK der Geltung des materiellen Rechts des Aufnahmestaates und damit auch dessen materieller Strafgewalt (jurisdiction to prescribe) unterworfen. Sie können sich also in gleicher Weise wie jede andere in Deutschland befindliche Person nach deutschem Strafrecht strafbar machen.185 Die vom NTS und ZA-NTS normierten Befreiungen betreffen lediglich die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit (also die jurisdiction to enforce).186 4. Bestimmungen über die Zulässigkeit der Durchführung eines Strafverfahrens a) Aufteilung der Befugnis zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit anstelle einer alleinigen Festlegung von Exemtionen aa) Die Grundregeln des Art. VII Abs. 1 NTS Bei den bislang untersuchten völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit – etwa den diplomatischen und konsularischen Exemtionen – ___________ So auch Batstone, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 63 f.; Kraatz, DÖV 1990, 382 (383); Neubauer, AVR 12 (1964/65), 34 (49). Die Wortwahl des Art. II NTS (Pflicht, das Recht „zu achten“ – “to respect the law”) darf nicht zu der Annahme verleiten, es bestehe keine echte Rechtsunterworfenheit, sondern nur eine Pflicht, sich soweit möglich den Verhaltensge- und verboten der Rechtsordnung des Aufnahmestaates entsprechend zu verhalten. Insofern gilt hier das gleiche wie für Art. 41 Abs. 1 WÜD und Art. 55 Abs. 1 WÜK. Vgl. diesbezüglich die Ausführungen oben bei § 13 I.1.a)bb). A.A. aber Raap, AVR 29 (1991), 53 (77 f.). Siehe auch Rumpf, Recht der Truppenstationierung, S. 17 und Sennekamp, NJW 1983, 2731 (2734), die behaupten, daß die Entsendestaaten der in Deutschland stationierten Streitkräfte nicht von einer echten Rechtsunterworfenheit ausgingen. Dem kann aber zumindest für das materielle Strafrecht nicht gefolgt werden, da ansonsten die Regelungen des Art. VII NTS keinen Sinn ergäben. 186 Die Einordnung der Jurisdiktionsbeschränkungen nach dem NTS und ZA-NTS als dem Verfahrensrecht zugehörig ist in Deutschland – anders als die Einordnung der übrigen in dieser Untersuchung erläuterten Exemtionen – unbestritten. Vgl. nur BGHSt 28, 96 (98) = NJW 1978, 2457 (2457); BGHSt 30, 377 (378) = NJW 1982, 1239 (1239); BayObLGSt 1996, 123 (124) = NJW 1997, 335 (335); OLG Nürnberg, NJW 1975, 2151 (2152); MKStGB-Ambos, vor § 3 Rn. 122 ff.; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 45 (der ansonsten Exemtionen als materiellrechtliche Strafausschließungsgründe klassifiziert); Jescheck/ Weigend, Lehrbuch, § 18 I. 3.; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Einl. Rn. 145; KKStPO-Pfeiffer, Einl. Rn. 135; KK-StPO-Schoreit, § 152a Rn. 22. Siehe allgemein zur strafrechtsdogmatischen Einordnung völkerrechtlicher Exemtionen die Darstellung unten bei § 22. 185
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ging es allein um Freistellungen von der örtlichen Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates. Im Vergleich zu solchen eindimensionalen Regelungen, die sich darauf beschränken, Personen von der Strafgerichtsbarkeit des Aufnahmestaates (ganz oder teilweise) zu befreien, ist Art. VII NTS eine zweidimensionale Norm. Denn Art. VII NTS beschränkt nicht nur einerseits die Strafgerichtsbarkeit des Aufnahmestaates über die geschützten Personen, sondern gestattet andererseits dem Entsendestaat, im Hoheitsgebiets des Aufnahmestaates innerhalb gewisser Grenzen eigene Strafgerichtsbarkeit unter Anwendung des eigenen materiellen Strafrechts auszuüben. Insofern geht es in erster Linie um eine Aufteilung der Befugnis zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit über die geschützten Personen im Hoheitsgebiet des Aufenthaltsstaates zwischen Entsende- und Aufnahmestaat. Erst in Folge dieser Verteilung von Kompetenzen ergeben sich gewisse zeitlich begrenzte Exemtionen von der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates. x Als erste Grundregel legt Art. VII Abs. 1 lit. a) NTS fest: „Vorbehaltlich der [übrigen] Bestimmungen dieses Artikels haben die Militärbehörden des Entsendestaates das Recht, innerhalb des Aufnahmestaates die gesamte Straf- und Disziplinargerichtsbarkeit auszuüben, die ihnen durch das Recht des Entsendestaates über alle dem Militärrecht dieses Staates unterworfenen Personen übertragen ist.“187
Damit wird den Militärbehörden – mithin den Militärstaatsanwälten und Militärgerichten – des Entsendestaates erlaubt, innerhalb des Hoheitsgebiets des Aufnahmestaates eigene Strafgerichtsbarkeit nach dem materiellen und prozessualen (Straf-)Recht des Entsendestaates auszuüben. Gemeint ist dabei die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens und eines gerichtlichen Verfahrens einschließlich einer Verurteilung und anschließenden Strafvollstreckung auf der Grundlage des eigenen materiellen und formellen Strafrechts.188 Diese Bestimmung ist vor dem Hintergrund des elementaren völkergewohnheitsrechtlichen Rechtssatzes zu sehen, daß kein Staat im Hoheitsgebiet eines anderen Staates ohne dessen ausdrückliche Erlaubnis Staatsgewalt ausüben darf (Grundsatz der Gebietshoheit). Ohne ausdrückliche Gestattung durch den Aufenthaltsstaat ist einem Staat daher nach Völkergewohnheitsrecht auch verboten, über Mitglieder seiner Streitkräfte im Gebiet des Aufenthaltsstaates Strafgerichtsbarkeit auszuüben.189 Diese Erlaubnis für die Militärbehörden des Entsendestaates, innerhalb des Hoheitsgebiets des Aufenthaltsstaates Strafgerichtsbarkeit auszuüben, ist zwar nicht auf die Staaten beschränkt, die im Gebiet des Aufenthaltsstaates ständig eigene ___________ Verdeutlichende Einfügung durch den Verf. Die Befugnis zur Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen ist in Art. VII Abs. 10 NTS gesondert geregelt. Vgl. hierzu die Ausführungen unten bei § 14 III.4.f). 189 Vgl. Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 69 ff., insb. Rn. 69; MeyerGoßner, Strafprozessordnung, Einl. Rn. 210; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 18. Lediglich disziplinarrechtliche Maßnahmen müssen als mit der Zulassung der Anwesenheit fremder Streitkräfte konkludent gestattet angesehen werden; vgl. Witzsch, a.a.O. 187 188
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Streitkräfte stationiert haben, hat aber nur für diese Staaten praktische Bedeutung. Denn ein Staat, dessen Streitkräfte lediglich an einer kürzeren gemeinsamen Übung in einem anderen NATO-Staat teilnehmen, wird kein Interesse an der Durchführung eines Strafverfahrens in dem Gebiet des Aufenthaltsstaates haben, sondern ein Mitglied seiner Streitkräfte, das der Begehung einer Straftat beschuldigt wird, nach dessen Rückkehr in den Entsendestaat dort strafrechtlich verfolgen. Wichtig ist, daß diese Erlaubnis nicht in bezug auf alle vom NTS erfaßten und oben bezeichneten Personen gilt, sondern nur für diejenigen, die nach dem Recht des Entsendestaates dessen Militär(straf-)recht unterworfen sind. Nur dann und insoweit, als eine besondere Militärstrafgerichtsbarkeit besteht, darf der Entsendestaat im Gebiet des Aufnahmestaates eigene Strafgerichtsbarkeit ausüben.190 Nach dem Recht der USA und der Niederlande unterliegen die Angehörigen und Mitglieder des zivilen Gefolges nicht der Militärgerichtsbarkeit; nach kanadischem Recht unterliegen nur Angehörige des zivilen Gefolges nicht der Militärgerichtsbarkeit.191 Bezüglich dieser Personen dürfen die Entsendestaaten mithin im Bundesgebiet keine Strafgerichtsbarkeit ausüben.192 Nach belgischem, französischem und britischem Recht ist dagegen der gesamte vom NTS erfaßte Personenkreis der Militärgerichtsbarkeit des jeweiligen Landes unterworfen.193 Die Befugnis des Entsendestaates zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit im Gebiet des Aufnahmestaates wird durch Art. VII Abs. 4 NTS noch weiter begrenzt. Art. VII Abs. 4 NTS lautet: „Aus den Bestimmungen der Absätze (1) bis (3) ergibt sich für die Militärbehörden des Entsendestaates nicht das Recht, die Gerichtsbarkeit über Personen auszuüben, die Staatsangehörige des Aufnahmestaates sind oder dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, es sei denn, daß diese Personen Mitglieder der Truppe des Entsendestaates sind.“
Über Personen, die Staatsangehörige des Aufnahmestaates oder in diesem ständig ansässig sind, dürfen die Militärbehörden des Entsendestaates also im Gebiet des Aufnahmestaates nur dann Strafgerichtsbarkeit ausüben, wenn die Person Mitglied der Truppe ist. Ist sie dagegen Mitglied des zivilen Gefolges oder hat sie den ___________ 190 Vgl. Conderman, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 109; Steinkamm, Wehrstrafgerichtsbarkeit, S. 99 ff. Da es nach deutschem Recht keine spezielle Militärstrafgerichtsbarkeit gibt, besteht mithin für Deutschland keine Möglichkeit, im Gebiet anderer NATO-Staaten über dort aus dienstlichen Gründen befindliche Angehörige der Bundeswehr Strafgerichtsbarkeit auszuüben. 191 Vgl. Conderman, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 109; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 630; Rumpf, Recht der Truppenstationierung, S. 24; Schwenk, NJW 1963, 1425 (1427); ders., JZ 1976, 581 (581); KK-OWiG-Wache, vor § 53 Rn. 52; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 27 ff. 192 Diese Personen sind daher der deutschen Gerichtsbarkeit uneingeschränkt unterworfen; vgl. Rumpf, Recht der Truppenstationierung, S. 24; KK-OWiG-Wache, vor § 53 Rn. 52; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 60 f. 193 Vgl. KK-OWiG-Wache, vor § 53 Rn. 52.
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Status eines Angehörigen, dann darf der Entsendestaat im Aufnahmestaat keine Strafgerichtsbarkeit ausüben. Zu beachten ist, daß das NTS einer Ausübung von Strafgerichtsbarkeit über Mitglieder der Truppe sowie des zivilen Gefolges und über Angehörige durch den Entsendestaat innerhalb seines eigenen Staatsgebiets keine Grenzen setzt. Art. VII NTS betrifft lediglich die Kompetenz zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit im Gebiet des Aufnahmestaates während des Zeitraums eines dienstlichen Aufenthalts einer geschützten Person im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates und regelt, ob dem Entsende- oder dem Aufnahmestaat diese Kompetenz zukommt.194 x Als zweite Grundregel legt Art. VII Abs. 1 lit. b) NTS fest: „Vorbehaltlich der [übrigen] Bestimmungen dieses Artikels üben die Behörden des Aufnahmestaates über die Mitglieder einer Truppe oder eines zivilen Gefolges und über deren Angehörige in bezug auf die innerhalb des Hoheitsgebiets des Aufnahmestaates begangenen und nach dessen Recht strafbaren Handlungen die Gerichtsbarkeit aus.“195
Damit wird bestimmt, daß die Befugnis des Entsendestaates, innerhalb des Aufnahmestaates Strafgerichtsbarkeit über die seiner Personalhoheit unterworfenen Personen ausüben zu dürfen, nicht mit einer völligen Freistellung der genannten Personen von der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates korrespondiert. Die Gebietshoheit des Aufnahmestaates wird also nicht völlig verdrängt. Anstelle einer „Entweder-oder-Regelung“, die die Mitglieder der Streitkräfte und ihre Angehörigen entweder der alleinigen Personalhoheit des Entsendestaates oder der alleinigen Territorialhoheit des Empfangsstaates unterwirft, sind diese Personen nach Art. VII Abs. 1 NTS damit in aller Regel sowohl der Personalhoheit des Entsendestaates als auch der Territorialhoheit des Aufnahmestaates unterstellt.196 bb) Vollständige Immunität für Auslandstaten von der Strafgerichtsbarkeit des Aufnahmestaates als Konsequenz aus Art. VII Abs. 1 NTS Allerdings sind dieser Parallelität der Hoheitsgewalten Grenzen gesetzt. So wurde bereits betont, daß der Entsendestaat nur über die Personen Strafgerichtsbarkeit im Aufnahmestaat ausüben darf, die seinem Militär(straf-)recht unterworfen sind. Eine erhebliche Beschränkung der Strafgerichtsbarkeit des Aufnahmestaates – die im übrigen in der deutschen Literatur, offenbar weil sie bislang keine praktische Relevanz gewonnen hat, kaum Erwähnung findet – folgt aus Art. VII Abs. 1 lit. b) NTS. Wenn nach dieser Norm der Aufenthaltsstaat Strafgerichtsbarkeit „in bezug ___________ 194 Vgl. Lazareff, Status of Military Forces, S. 135 f.; Rouse/Baldwin, AJIL 51 (1957), 29 (34). 195 Verdeutlichende Einfügung durch den Verf. 196 Art VII Abs. 1 lit. b) kann damit als ausdrückliche Zurückweisung der Geltung einer völkergewohnheitsrechtlichen Exemtion von der Strafgerichtsbarkeit des Aufnahmestaates begriffen werden. So auch Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.Streitkräfte, S. 18.
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auf die innerhalb des Hoheitsgebiets des Aufnahmestaates begangenen und nach dessen Recht strafbaren Handlungen“ ausüben darf, so folgt daraus im Umkehrschluß, daß es dem Aufnahmestaat untersagt ist, Mitglieder der Truppe oder des zivilen Gefolges der Streitkräfte eines NATO-Staates sowie deren Angehörige während des Zeitraums ihres dienstlichen Aufenthalts wegen im Ausland, das heißt außerhalb des Territoriums des Aufnahmestaates, begangener Taten zu verfolgen.197 Diese Personen genießen damit während eines dienstlichen Aufenthalts im Aufnahmestaat vollständige Immunität von dessen Strafgerichtsbarkeit im Hinblick auf sämtliche außerhalb des Staatsgebiets des Aufnahmestaates begangene Straftaten.198 Eine Strafverfolgung wegen Auslandsstaaten, die nach den Regeln des „internationalen Strafrechts“ des Aufnahmestaates dessen Strafgewalt unterfallen, scheidet damit während des dienstlichen Aufenthalts für den Aufenthaltsstaat von vornherein aus.199 Für Deutschland bedeutet dies zum Beispiel, daß ein US-amerikanischer Soldat, der in Deutschland stationiert ist und dem vorgeworfen wird, in den USA eine deutsche Urlauberin vergewaltigt zu haben, während seiner Stationierungszeit in Deutschland wegen dieser Tat nicht strafrechtlich verfolgt werden darf, obwohl die Tat nach deutschem Recht strafbar ist (über § 7 Abs. 1 StGB), sich gegen deutsche Staatsbürger und damit deutsche Interessen richtete und keine Diensthandlung war.200 Der Soldat genießt insoweit Immunität nach Art. VII Abs. 1 lit. b) NTS. Praktische Relevanz kann diese Immunität für Deutschland vor allem bei einer beabsichtigten Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen nach dem VStGB erlangen. Nach § 1 VStGB gilt für die Verbrechenstatbestände der §§ 6 ff. VStGB das uneingeschränkte Weltrechtsprinzip; nach Inkrafttreten des VStGB am 30. Juni 2002 begangene Völkermordtaten, Verbrechen gegen die Menschlichkeit ___________ 197 Art. VII Abs. 1 lit. b) NTS bleibt bei Fleck, JICJ 1 (2003), 651 (657 ff.) vollkommen unbeachtet. Damit aber übersieht er die exemtionsbegründende Wirkung dieser Norm. Wie hier dagegen Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 84. 198 So bereits Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 366 f. Nun ebenso Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 84. 199 Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß die betreffende Person allein aufgrund ihrer dienstlichen Tätigkeit als Angehöriger der Streitkräfte des Entsendestaates in das Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates einreist und nur deshalb der Aufnahmestaat die (theoretische) Möglichkeit erlangt, die Person wegen im Ausland begangener Straftaten zur Verantwortung zu ziehen. Die dienstliche Entsendung soll dem einzelnen Soldaten also nicht insofern zum Nachteil gereichen, als er der Strafgerichtsbarkeit des Aufnahmestaates wegen außerhalb von dessen Staatsgebiet begangener Taten faktisch „ausgeliefert“ wird. Auch wenn Art. VII Abs. 1 lit. b) NTS ausschließlich Taten im Blickfeld hat, die im Gebiet des Aufnahmestaates während der Zeit des dienstlichen Aufenthalts begangen werden, so schließt diese Norm es aber nicht aus, einen Soldaten wegen einer im Aufnahmestaat begangenen Tat zu verfolgen, die er während eines früheren Aufenthalts in diesem begangen hat. 200 Die Taten unterlägen, wären sie in Deutschland begangen worden, gemäß Art. VII Abs. 3 lit. a) und b) NTS der deutschen Strafgerichtsbarkeit (vgl. hierzu sogleich unten).
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und Kriegsverbrechen sind also unabhängig davon nach deutschem Recht strafbar, wo auf der Welt sie begangen wurden.201 Die deutschen Strafverfolgungsbehörden sind verpflichtet, immer dann eine Strafverfolgung wegen solcher Taten durchzuführen, wenn sich der Beschuldigte im Bundesgebiet aufhält. § 153f StPO erlaubt zwar in gewissen Fällen ein Absehen von der Strafverfolgung, doch gilt das Opportunitätsprinzip – von dem Fall der beabsichtigten Auslieferung eines ausländischen Täters abgesehen – stets nur unter der Voraussetzung, daß sich der Beschuldigte nicht in Deutschland aufhält.202 Einer Strafverfolgung wegen Taten nach dem VStGB, vor allem wegen Kriegsverbrechen, kann jedoch im Einzelfall die Immunität von Mitgliedern von NATO-Streitkräften und deren Angehörigen nach Art. VII Abs. 1 lit. b) NTS entgegenstehen. Sofern Angehörige der Streitkräfte eines NATO-Staates, die sich im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit in Deutschland befinden (und sei es nur zum Zwecke der Weiterreise), beschuldigt werden, im Ausland eine Tat nach dem VStGB begangen zu haben, darf gegen sie aufgrund der Regelung des Art. VII Abs. 1 lit. b) NTS nicht strafrechtlich vorgegangen werden.203 Dies bedeutet beispielsweise, daß ein US-amerikanischer Soldat, der sich dienstlich in Deutschland aufhält und dem vorgeworfen wird, im Frühjahr 2003 während der militärischen Intervention der USA im Irak ein Kriegsverbrechen begangen zu haben, in Deutschland nicht verhaftet werden darf, um ihn nach dem VStGB zur Verantwortung zu ziehen, auch wenn die Tat nach §§ 8 ff. VStGB i.V.m. § 1 VStGB strafbar ist.204 Zwar verpflichten Art. 49 GA I, Art. 50 GA II, Art. 129 GA III sowie Art. 146 GA IV die Signatarstaaten dazu, die in den Art. 50, 51, 130 bzw. 147 der Genfer Abkommen bezeichneten und im Rahmen internationaler bewaffneter Konflikte begangenen schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts unter Strafe zu stellen und zu ahnden.205 Weitergehende völkervertragliche Bestrafungspflichten ___________ Vgl. Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 250 ff. m.w.N. 202 Vgl. Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 259 ff. 203 Die Regeln des NTS sind als „self-executing-Normen“ des Völkervertragsrechts durch das deutsche Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG in die deutsche Rechtsordnung inkorporiert worden und haben den Rang und die Geltungskraft eines einfachen Bundesgesetzes. Sie verdrängen damit als leges speciales die ihnen widersprechenden Normen des VStGB und der StPO, die eigentlich eine Strafverfolgung geböten. 204 Sofern sich der Soldat aber im Rahmen einer privaten Reise in Deutschland befindet, steht der Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit über die Auslandstat keine Immunität entgegen, da der Soldat dann nach Art. 1 Abs. 1 lit. a) NTS nicht als „Mitglied der Truppe“ i.S.d. Art. VII Abs. 1 lit. b) NTS gilt. 205 Vgl. BGHSt 46, 292 (297 f.) = NJW 2001, 2728 (2729); BayObLGSt 1997, 83 (88 ff.) = NJW 1998, 392 (393 ff.) sowie Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 437 f. m.w.N. 201
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für in internationalen bewaffneten Konflikten begangene Kriegsverbrechen enthält Art. 85 ZP I.206 Darüber hinaus legt die UN-Völkermordkonvention den Vertragsstaaten die Pflicht auf, Taten des Völkermords zu bestrafen.207 Neben diesen völkervertraglichen Bestrafungspflichten muß man heute auch von einer völkergewohnheitsrechtlichen Pflicht der Staaten zur Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen ausgehen.208 Während die Völkermordkonvention nur dem Tatortstaat eine Verfolgungspflicht auferlegt, verlangen die Genfer Abkommen und das ZP I von den Staaten, Kriegsverbrechen in Anwendung des Weltrechtsprinzips zu bestrafen, beschränken die Verfolgungspflicht aber auf den Fall, daß sich der Beschuldigte im Hoheitsgebiet des verpflichteten Staates aufhält.209 Die auf Völkergewohnheitsrecht basierende Verfolgungspflicht gilt auf jeden Fall für den Tatortstaat, doch wird man auch den jeweiligen Aufenthaltsstaat für verpflichtet halten müssen, eine Strafverfolgung durchzuführen, da ansonsten eine vom Völkerrecht nicht gewollte Straflosigkeit der Taten die häufige Folge wäre.210 Doch verdrängen diese an die Aufenthaltsstaaten adressierten völkerrechtlichen Verfolgungspflichten die Exemtionen nach dem NTS nicht, vielmehr sind umgekehrt die Exemtionsregelungen vorrangig.211 Insofern gilt hier das gleiche wie für die Exemtionen nach dem WÜD und dem WÜK, die – wie oben in § 14 I.2. dargelegt – ebenfalls keine Ausnahme bei völkerrechtlichen Verbrechen erfahren, mithin Vorrang vor völkerrechtlichen Bestrafungspflichten haben.212 Zwar können sich einzelne Staaten – wie die Vertragsstaaten des NTS – nicht dadurch einer gegenüber allen oder jedenfalls einer Vielzahl von Staaten bestehenden völkerrechtlichen Verfolgungspflicht entziehen, indem sie untereinander eine Exemtion für die Angehörigen ihrer Streitkräfte vereinbaren. Doch ist davon auszugehen, daß bereits den völkerrechtlichen Verfolgungspflichten eine Ausnahme im Fall völkerrechtlicher Exemtionen durch militärische Bündnisverträge immanent ist. Denn die weite Verbreitung von Exemtionsregelungen in militärischen Bündnisverträgen und ___________ 206 Vgl. BGHSt 46, 292 (297 f.) = NJW 2001, 2728 (2729) sowie Kreicker, in: Eser/ Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 439 m.w.N. 207 Vgl. BGHSt 45, 64 (66 ff.) = NStZ 1999, 396 (397) sowie Kreicker, in: Eser/ Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 437 m.w.N. 208 Vgl. Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 440 f. 209 Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 441 f. m.w.N. 210 Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 442 f. m.w.N. 211 Hiervon ist ganz offenbar auch der deutsche Gesetzgeber bei der Schaffung des VStGB ausgegangen. Vgl. die Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf, BTDrucks. 14/8524, S. 11 (17). 212 Vgl. an dieser Stelle nur BVerfGE 96, 68 (82 ff.) = NJW 1998, 50 (52 f.).
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Truppenstationierungsabkommen zeigt, daß die Staaten sie für statthaft erachten. Daß solche völkervertraglichen Exemtionsvereinbarungen auch hinsichtlich völkerrechtlicher Verbrechen gültig sein können, macht im übrigen auch Art. 98 Abs. 2 IStGH-Statut deutlich, da dort die Bindungswirkung von Verträgen, die der nationalen Strafgerichtsbarkeit und damit auch der Überstellung von Personen an den IStGH Grenzen setzen, selbst bei völkerrechtlichen Verbrechen anerkannt wird.213 Diese Norm ist gerade vor dem Hintergrund von Status of Forces Agreements, also Verträgen über die Rechtsstellung von Streitkräften und ihren Angehörigen im Gebiet anderer Staaten, formuliert worden.214 b) Differenzierung zwischen ausschließlicher und konkurrierender Gerichtsbarkeit Doch im Hinblick auf die allermeisten praktisch relevanten Fallkonstellationen stehen nach den Bestimmungen des Art. VII Abs. 1 NTS die Personalhoheit des Entsendestaates und die Territorialhoheit des Aufnahmestaates nebeneinander. Art. VII Abs. 2 und 3 NTS legt für diese Fallkonstellationen sehr differenzierte Regeln fest, nach denen sich bestimmt, wann der Entsende- und wann der Aufnahmestaat Strafgerichtsbarkeit ausüben darf. Dabei wird zwischen ausschließlicher und konkurrierender Strafgerichtsbarkeit beider Staaten unterschieden. Art. VII Abs. 2 lit. a) NTS lautet: „Die Militärbehörden des Entsendestaates haben das Recht, über die dem Militärrecht dieses Staates unterworfenen Personen die ausschließliche Gerichtsbarkeit in bezug auf diejenigen Handlungen einschließlich Handlungen gegen die Sicherheit dieses Staates, auszuüben, welche nach dem Recht des Entsendestaates, nicht jedoch nach dem Recht des Aufnahmestaates strafbar sind.“
___________ 213 Aus Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut läßt sich dagegen eine Unanwendbarkeit völkervertraglicher Exemtionsregelungen auf nationaler Ebene generell nicht ableiten. Denn Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut legt zum einen lediglich die Irrelevanz völkerrechtlicher Exemtionen für eine Strafverfolgung durch den IStGH fest. Zum anderen verpflichtet das Römische Statut die Vertragsstaaten nicht dazu, eine nationale Strafverfolgungskompetenz in demselben Umfang zu begründen, in dem der IStGH selbst Strafgerichtsbarkeit ausüben darf. Daher hat Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut keine direkte Auswirkung auf die Relevanz völkerrechtlicher Exemtionen für die Gerichtsbarkeit einzelner Staaten. Auch im Verhältnis der Vertragsstaaten des Römischen Statuts zueinander entbindet Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut mithin nicht von einer Beachtlichkeit völkerrechtlicher Verträge, die Exemtionen gegenüber nationaler Strafgerichtsbarkeit begründen. Denkbar wäre allenfalls, daß Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut Ausdruck einer neuen völkergewohnheitsrechtlichen Immunitätsausnahme ist, die zu einer Modifikation völkerrechtlicher Verträge geführt hat. Doch steht einer solchen Annahme das (auch in Art. 98 Abs. 2 IStGH-Statut zum Ausdruck kommende) Festhalten der einzelnen Staaten an den Exemtionsregelungen in Status of Forces Agreements wie dem NTS entgegen. 214 Vgl. Probst/Schlunck, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute, Art. 98 Rn. 6.
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Gegenüber den Regelungen des Art. VII Abs. 1 NTS kommt dieser Norm215 allerdings kein eigenständiger Regelungsgehalt zu, sie ist deklaratorisch und strenggenommen redundant. Denn da der Aufnahmestaat nach Art. VII Abs. 1 lit. b) NTS ohnehin nur Strafgerichtsbarkeit über Taten ausüben darf, die nach seinem Recht strafbar sind, folgt schon hieraus, daß die Befugnis des Entsendestaates, im Gebiet des Aufenthaltsstaates Strafgerichtsbarkeit über Taten auszuüben, die nach dem Recht des Aufnahmestaates nicht strafbar sind, eine ausschließliche sein muß. Eine Konkurrenzsituation zwischen der Strafgerichtsbarkeit des Entsendestaates und der des Aufnahmestaates, die geregelt werden müßte, kann es in dem Fall einer alleinigen Strafbarkeit nach dem Recht des Entsendestaates von vornherein nicht geben.216 Art. VII Abs. 2 lit. b) NTS regelt die umgekehrte Situation einer alleinigen Strafbarkeit einer Tat nach dem Recht des Aufenthaltsstaates und lautet: „Die Behörden des Aufnahmestaates haben das Recht, über Mitglieder einer Truppe oder eines zivilen Gefolges und deren Angehörige die ausschließliche Gerichtsbarkeit in bezug auf diejenigen Handlungen, einschließlich Handlungen gegen die Sicherheit dieses Staates, auszuüben, welche nach dessen Recht, jedoch nicht nach dem Recht des Entsendestaates strafbar sind.“
Dieser Norm217 kann immerhin noch ein geringer eigenständiger Regelungsgehalt entnommen werden, wenngleich auch sie im wesentlichen überflüssig ist und mit einer kleinen Ausnahme lediglich feststellt, was sich aus Art. VII Abs. 1 NTS ohnehin ergibt. Der gegenüber Art. VII Abs. 1 NTS zusätzliche Regelungsgehalt dieser Bestimmung liegt allein darin, daß dem Entsendestaat untersagt wird, in Anwendung des Rechts des Aufnahmestaates eigene Strafgerichtsbarkeit über eine Tat auszuüben, die nach seinem eigenen materiellen Strafrecht nicht strafbar ist, wohl aber nach dem materiellen Strafrecht des Aufnahmestaates.218 Die Detailbetrachtung der einzelnen Bestimmungen des Art. VII NTS offenbart damit gravierende Mängel hinsichtlich der gesetzestechnischen Umsetzung der gewollten Verteilung von Jurisdiktionskompetenzen. ___________ Vgl. zu dieser Bestimmung Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 41; LK-StGBGribbohm, vor § 3 Rn. 360; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 26 f.; Schwenk, NJW 1963, 1425 (1426); ders., JZ 1976, 581 (581). 216 So auch Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 50; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 19. 217 Vgl. zu dieser Bestimmung Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 41; LK-StGBGribbohm, vor § 3 Rn. 360; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 26 f.; Marenbach, NJW 1974, 1598 (1599) (im Hinblick auf die ausschließliche deutsche Gerichtsbarkeit bei Trunkenheitsfahrten US-amerikanischer Soldaten); Schwenk, NJW 1963, 1425 (1426); ders., JZ 1976, 581 (581). 218 Vgl. diesbezüglich auch Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 50; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 19. In aller Regel erlauben aber bereits die nationalen Strafrechtsordnungen der Staaten ihren Gerichten allein die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit in Anwendung eigener materieller Strafnormen. Vgl. Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, § 18 I. 1. 215
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In der Sache kann jedoch festgehalten werden, daß der Entsendestaat, und zwar ausschließlich dieser, befugt ist, im Gebiet des Aufenthaltsstaates diejenigen Mitglieder seiner Truppe, Mitglieder des zivilen Gefolges seiner Truppe sowie diejenigen Angehörigen, die seiner Militärgerichtsbarkeit unterworfen sind, wegen Taten, die nur nach seinem Strafrecht, nicht aber nach dem Strafrecht des Aufnahmestaates strafbar sind, strafrechtlich zu verfolgen und abzuurteilen. Umgekehrt ist der Aufnahmestaat, und zwar ausschließlich dieser, befugt, die Mitglieder einer Truppe oder eines zivilen Gefolges bzw. deren Angehörige während ihres dienstlich veranlaßten Aufenthalts im Aufnahmestaat wegen dort begangener Taten strafrechtlich zu verfolgen, die nach seinem Strafrecht, nicht aber nach dem Strafrecht des Entsendestaates strafbar sind.219 Für die Bundesrepublik gilt gemäß dem Unterzeichnungsprotokoll zum ZA-NTS (zu Art. VII Abs. 1 NTS,), daß auch Ordnungswidrigkeiten als nach dem Recht des Aufnahmestaates strafbare Handlungen anzusehen sind.220 In beiden Fällen besteht eine ausschließliche Gerichtsbarkeit des Entsenderespektive Aufnahmestaates. Bei Taten hingegen, die im Gebiet des Aufnahmestaates von dem Militärstrafrecht des Entsendestaates unterworfenen Mitgliedern einer Truppe oder eines zivilen Gefolges oder von Angehörigen eines solchen Mitglieds begangen werden, und die sowohl nach dem von den Militärbehörden anwendbaren Strafrecht des Entsendestaates als auch nach dem Strafrecht des Aufnahmestaates strafbar sind, besteht konkurrierende Strafgerichtsbarkeit.221 In einem solchen Fall sind also grundsätz___________ 219 Als „nicht nach dem Recht des Entsendestaates strafbar“ i.S.d. Art. VII Abs. 2 lit. b) NTS wird man auch solche im Gebiet des Aufnahmestaates begangene Taten anzusehen haben, die zwar vom materiellen Strafrecht des Entsendestaates (als Auslandstat) erfaßt werden, aber vom Entsendestaat im Gebiet des Aufnahmestaates nicht verfolgt werden dürfen, weil die betreffende Person nicht dem Militärrecht des Entsendestaates unterliegt bzw. keine Militärstrafgerichtsbarkeit existiert. Vgl. Steinkamm, Wehrstrafgerichtsbarkeit, S. 99 f.; KK-OWiG-Wache, vor § 53 Rn. 52 und oben Anm. 190 ff. Anderenfalls wäre eine vollständige Exemtion der betreffenden Person gegenüber sämtlicher Strafgerichtsbarkeit im Gebiet des Aufenthaltsstaates die Folge, eine Konsequenz, die Art. VII Abs. 1 lit. b) NTS ganz offensichtlich nicht will. 220 Vgl. BayObLGSt 1996, 123 (124) = NJW 1997, 335 (335); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 115 mit Fn. 692; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 360; KK-OWiG-Wache, vor § 53 Rn. 51. Formal gilt diese Einbeziehung von Ordnungswidrigkeiten in den Kreis der „strafbaren Handlungen“ i.S.d. Art. VII NTS nur für die Vertragsstaaten des Unterzeichnungsprotokolls des ZA-NTS. Da die Bundesrepublik aber in diesem Protokoll hat festhalten lassen, daß sie Ordnungswidrigkeiten als strafbare Handlungen i.S.d. Art. VII NTS „betrachtet“, ist jedenfalls der Rechtsstandpunkt der Bundesrepublik im Verhältnis zu den übrigen NATO-Staaten als identisch anzusehen. Die Bundesrepublik kann sich im Verhältnis zu den übrigen Staaten jedoch nicht auf eine vertragliche Akzeptanz des bundesdeutschen Rechtsstandpunkts berufen. 221 Vgl. BGHSt 21, 81 (81 f.) = NJW 1966, 2023 (2023); BGH NJW 1966, 2280 (2280); OLG Celle, NJW 1965, 1673 (1673); OLG Hamm, NStZ 1998, 210 (210 f.); OLG Karlsruhe, NZWehrr 1993, 125 (127); OLG Nürnberg, NJW 1975, 2151 (2152); OLG
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lich sowohl die Militärbehörden des Entsendestaates als auch die Strafverfolgungsbehörden des Aufnahmestaates befugt, im Gebiet des Aufnahmestaates Strafgerichtsbarkeit nach ihrem eigenen materiellen und formellen Strafrecht auszuüben, das heißt dort ein Strafverfahren gegen die beschuldigte Person durchzuführen, diese gegebenenfalls zu verurteilen und eine Strafe zu vollstrecken. Auch wenn – soweit ersichtlich – in den Fällen, die in der Bundesrepublik praktische Relevanz erlangten, zumeist eine solche konkurrierende Strafgerichtsbarkeit gegeben war,222 ansonsten aber ein Fall der ausschließlichen Gerichtsbarkeit des Entsende- oder Aufnahmestaates vorlag und damit eine Strafverfolgung durch zumindest einen der beiden Staaten im Bundesgebiet möglich war, darf doch nicht außer Betracht bleiben, daß es Fallkonstellationen geben kann, bei denen trotz einer Strafbarkeit einer Tat sowohl nach dem materiellen Strafrecht des Entsendestaates als auch nach dem des Aufenthaltsstaates eine Strafverfolgung im Gebiet des Aufenthaltsstaates während des Zeitraums des dienstlich bedingten Aufenthalts der beschuldigten Person durch Art. VII NTS untersagt sein kann. Es kann Fallkonstellationen geben, bei denen Art. VII NTS eine Immunität sowohl gegenüber der Gerichtsbarkeit des Entsendestaates als auch gegenüber der des Aufenthaltsstaates und damit ein generelles Verbot einer Strafverfolgung im Gebiet des Aufenthaltsstaates bewirkt. Eine solche Immunität genießen nach Art. VII NTS Personen, die nicht dem Militärrecht ihres Entsendestaates unterworfen sind, für Taten, die sie außerhalb des Hoheitsgebiets des Aufnahmestaates begangen haben. Wenn beispielsweise die Ehefrau eines in Deutschland stationierten US-amerikanischen Soldaten, die zusammen mit diesem in der Bundesrepublik wohnt, während eines Urlaubsaufenthalts in den USA einen deutschen Staatsbürger im Zuge einer privaten Auseinandersetzung tötet, darf sie nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik solange, wie sich ihr Ehemann weiterhin dienstlich in Deutschland aufhält, dort wegen dieser Tat nicht verfolgt werden. Als Angehörige ist sie nicht der US-amerikanischen Militärgerichtsbarkeit unterworfen.223 Damit dürfen die US-amerikanischen Militärbehörden nach Art. VII Abs. 1 lit. a) NTS trotz Strafbarkeit der Tat nach US-amerikanischem Strafrecht in Deutschland keine Strafverfolgung betreiben. Und als Auslandstat ist die Tat trotz Strafbarkeit nach § 212 StGB i.V.m. § 7 Abs. 1 StGB nach deutschem Strafrecht aufgrund der Regelung in Art. VII Abs. 1 lit. b) NTS der deutschen Strafgerichtsbarkeit entzogen. In einem solchen Fall bliebe nur die Möglichkeit, daß die USA ein Strafverfahren in den USA durchführten (einer Ausübung von Strafgerichtsbarkeit durch den ___________ Stuttgart, NJW 1977, 1019 (1020); LG Krefeld, NJW 1965, 310 (310); Schönke/SchröderEser, vor § 3 Rn. 41; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 362; Schwenk, NJW 1963, 1425 (1426 f.); ders., NJW 1965, 2242 (2242); ders., JZ 1976, 581 (581). 222 Vgl. die Nachw. in Anm. 221. 223 Vgl. Rumpf, Recht der Truppenstationierung, S. 24; Schwenk, NJW 1963, 1425 (1427); ders., JZ 1976, 581 (581); KK-OWiG-Wache, vor § 53 Rn. 52.
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Entsendestaat innerhalb von dessen Staatsgebiet setzt das NTS keinerlei Schranken224) oder daß die dienstliche Tätigkeit des Ehemanns als Soldat in Deutschland seitens der USA beendet würde, womit die Beschränkungen für die Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit entfielen, da die vom NTS auferlegten Schranken für eine Ausübung von Strafgerichtsbarkeit im Gebiet des Aufenthaltsstaates – wie gezeigt wurde – lediglich für den Zeitraum des dienstlich bedingten Aufenthalts einer Person im Gebiet des Aufenthaltsstaates gelten. c) Die Vorrangregelung bei der konkurrierenden Gerichtsbarkeit In den meisten für die Praxis relevanten Fallkonstellationen besteht jedoch nach Art. VII NTS eine konkurrierende Gerichtsbarkeit sowohl des Entsendestaates als auch des Aufnahmestaates.225 Wenn beispielsweise ein in Deutschland stationierter US-amerikanischer Soldat (der dem Militärrecht der USA unterworfen ist) in Deutschland einen Diebstahl begeht, in fahruntüchtigem Zustand ein Kraftfahrzeug führt oder bei einer Wirtshausschlägerei einen anderen Gast schwer verletzt, so sind diese Taten sowohl nach US-amerikanischem als auch nach deutschem Recht strafbar; demzufolge dürfen nach den Grundregeln des Art. VII Abs. 1 NTS sowohl die amerikanischen als auch die deutschen Behörden in Deutschland wegen dieser Taten Strafgerichtsbarkeit ausüben. Da eine parallele Durchführung zweier Strafverfahren aber widersinnig und vielfach auch praktisch unmöglich wäre, bedarf es einer Regelung dahingehend, ob im Einzelfall die Militärbehörden des Entsendestaates oder die Strafverfolgungsbehörden des Aufenthaltsstaates tätig werden dürfen. Bezogen auf die genannten Beispielsfälle stellt sich die Frage, ob die örtlich zuständige deutsche Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren betreiben und ein deutsches Gericht eine Hauptverhandlung durchführen und ein Urteil fällen darf, oder aber die Militärbehörden der USA in Deutschland ein Strafverfahren durchführen dürfen. Die tatsächliche Verfolgungszuständigkeit im Einzelfall bei konkurrierender Strafgerichtsbarkeit ergibt sich aus Art. VII Abs. 3 lit. a) und b) NTS. Diese lauten: „In Fällen konkurrierender Gerichtsbarkeit gelten die folgenden Regeln: a) Die Militärbehörden des Entsendestaates haben das Vorrecht auf Ausübung der Gerichtsbarkeit über ein Mitglied einer Truppe oder eines zivilen Gefolges in bezug auf (i) strafbare Handlungen, die nur gegen das Vermögen oder die Sicherheit dieses Staates oder nur gegen die Person oder das Vermögen eines anderen Mitglieds der Truppe oder eines zivilen Gefolges dieses Staates oder eines Angehörigen gerichtet sind; (ii) strafbare Handlungen, die sich aus einer Handlung oder Unterlassung in Ausübung des Dienstes ergeben. b) Bei allen sonstigen strafbaren Handlungen haben die Behörden des Aufnahmestaates das Vorrecht auf Ausübung der Gerichtsbarkeit.“
___________ 224 225
So auch Lazareff, Status of Military Forces, S. 135 f. So auch die Einschätzung von MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 118.
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Wichtig ist zunächst die Feststellung, daß Art. VII Abs. 3 NTS nicht einem der beiden Staaten die alleinige Strafgerichtsbarkeit zubilligt, also nicht aus der konkurrierenden Strafgerichtsbarkeit eine ausschließliche macht, sondern lediglich bestimmt, welcher der beiden Staaten, die beide in gleicher Weise die Kompetenz zu einer Strafverfolgung haben, das Vorrecht auf tatsächliche Ausübung von Strafgerichtsbarkeit hat.226 Hieraus folgt zwanglos, daß dann, wenn der bevorrechtigte Staat von seinem Vorrecht keinen Gebrauch macht, ohne weiteres der andere Staat tätig werden und eine Strafverfolgung aufgrund seiner fortbestehenden (subsidiären) eigenen Strafgerichtsbarkeit betreiben darf.227 Nach Art. VII Abs. 3 NTS hat der Entsendestaat zum einen bei sogenannten inter se-Taten das Vorrecht auf Einschreiten.228 Als „inter se-Taten“ werden Straftaten bezeichnet, die von Personen begangen werden, die vom NTS erfaßt werden, und die ausschließlich gegen das Vermögen oder die Sicherheit des Entsendestaates bzw. gegen Rechtsgüter von anderen Mitgliedern der Truppe bzw. des zivilen Gefolges oder von Angehörigen gerichtet sind. Dies gilt aber nur, wenn der Beschuldigte selbst Mitglied der Truppe oder des zivilen Gefolges ist. Ist der Beschuldigte ein Angehöriger, so besteht dieses Vorrecht nicht.229 Da bei inter seTaten der Aufenthaltsstaat nur ein geringes eigenes Strafverfolgungsinteresse hat und sowohl Täter als auch Opfer in die Rechtsordnung des Entsendestaates eingebunden sind, erscheint es sachgerecht, in diesen Fällen das Vorrecht auf die Durchführung eines Strafverfahrens den Militärbehörden des Entsendestaates zu überlassen.230 ___________ Vgl. BGHSt 28, 96 (97 ff.) = NJW 1978, 2457 (2457 f.); OLG Celle, NStZ 1985, 176 (176); OLG Nürnberg, NJW 1975, 2151 (2152); Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 28; Schwenk, NJW 1965, 2242 (2242 f.); ders., JZ 1976, 581 (581); Wijewardane, BYIL 41 (1965/66), 122 (147); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 91, 117. Vgl. aber auch Schwenk, NJW 1963, 1425 (1427). 227 Vgl. BGHSt 28, 96 (97 ff.) = NJW 1978, 2457 (2457 f.); OLG Celle, NStZ 1985, 176 (176); OLG Nürnberg, NJW 1975, 2151 (2152 f.); Lazareff, Status of Military Forces, S. 205 ff.; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 117. A.A. Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 558 Fn. 27. 228 Vgl. OLG Karlsruhe, NZWehrr 1993, 125 (127); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 118; Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 54 f.; LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 8; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 41; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 362; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 28; Lazareff, Status of Military Forces, S. 164 ff.; Schwenk, NJW 1963, 1425 (1426 f.); Stambuk, American Military Forces Abroad, S. 92 ff.; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.Streitkräfte, S. 73 ff. 229 Vgl. Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 51; Rouse/Baldwin, AJIL 51 (1957), 29 (37 f.). 230 Das Vorrecht des Entsendestaates gilt nicht in Fällen, in denen ein und dieselbe Tat im prozessualen Sinne sowohl gegen Rechtsgüter des Entsendestaates als auch gegen solche des Aufnahmestaates gerichtet ist. Wenn beispielsweise ein US-amerikanischer Soldat einen Kameraden tötet, indem er an dessen Kraftfahrzeug Manipulationen vornimmt, 226
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Zum anderen haben die Militärbehörden des Entsendestaates das Vorrecht auf Durchführung eines Strafverfahrens, wenn die Tat als Diensthandlung zu klassifizieren ist.231 Diese Regelung anerkennt nicht nur das naturgemäße Interesse des Entsendestaates, über die Rechtsfolgen strafrechtlich relevanten Verhaltens im Zuge der Wahrnehmung von Aufgaben für den Entsendestaat selbst zu befinden, sondern ist auch vor dem Hintergrund der völkergewohnheitsrechtlichen Staatenimmunität zu sehen.232 Da hoheitlich-dienstliche Handlungen für einen Staat als diesem zurechenbare Handlungen, also als „Handlungen eines Staates“, grundsätzlich der Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten entzogen sind, soll das Vorrecht des Entsendestaates, über die strafrechtlichen Folgen dienstlicher „Staatstätigkeit“ zu befinden, auch der aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten folgenden Staatenimmunität Rechnung tragen. Allerdings gilt das in Art. VII Abs. 3 lit. a) ii) normierte Vorrecht der Ausübung von Gerichtsbarkeit bei Diensthandlungen nicht nur für acta iure imperii, sondern betrifft alle Handlungen, die mit der Ausübung des Dienstes in einem inneren sachlichen (und nicht nur zeitlichen) Zusammenhang stehen.233 Die Regelungen des Art. VII sind jedoch auch als partieller ___________ durch die es zu einem schweren Unfall kommt, so liegt auch ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) vor, so daß ein Vorrecht der US-Militärstrafgerichtsbarkeit auf Ausübung von Strafgerichtsbarkeit nicht besteht. Vgl. auch Rouse/Baldwin, AJIL 51 (1957), 29 (39 f.); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.Streitkräfte, S. 75 ff. Die Worte „gerichtet sind“ in Art. VII Abs. 3 lit. a) i) NTS beziehen sich nicht auf eine Intention des Täters, sondern kennzeichnen allein die tatsächliche Richtung der Tathandlung, sind also i.S.v. „Auswirkungen haben auf“ zu verstehen. Damit können auch Fahrlässigkeitstaten inter se-Taten sein und unterfallen Taten (im prozessualen Sinne), die als unbeabsichtigte Nebenfolge dritte Personen oder Sachen verletzen, nicht der vorrangigen Gerichtsbarkeit des Entsendestaates. Da Art. VII Abs. 3 lit. a) i) NTS nur Taten erfaßt, die ausschließlich gegen Personen oder Sachen gerichtet sind, die dem Entsendestaat zugerechnet werden, kann eine Konkurrenz verschiedener Vorrangigkeiten, wie sie in der Literatur diskutiert wird (vgl. Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 93 ff.), überhaupt nicht eintreten. Verschiedene Taten im prozessualen Sinne (Unterschlagung von Dienstwaffen und anschließender Verkauf an Bürger des Aufnahmestaates) sind selbstverständlich isoliert zu betrachten. 231 Vgl. OLG Karlsruhe, NZWehrr 1993, 125 (127); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 118; Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 56 ff.; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 41; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 362; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 28; Lazareff, Status of Military Forces, S. 170 ff.; Rouse/Baldwin, AJIL 51 (1957), 29 (340 ff.); Schwenk, NJW 1963, 1425 (1426 f.); ders., JZ 1976, 581 (582); Stambuk, American Military Forces Abroad, S. 84 ff.; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 81 ff. 232 So auch MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 118. 233 Damit hat der Entsendestaat beispielsweise bei Verkehrsstraftaten, die im Zuge dienstlich bedingter Fahrten mit einem Kraftfahrzeug begangen werden, das Vorrecht auf Ausübung konkurrierender Strafgerichtsbarkeit. Dagegen fallen Handlungen, die aus privater Motivation heraus lediglich während des Dienstes begangen werden, nicht aber selbst mit der dienstlichen Tätigkeit in sachlichem Zusammenhang stehen, etwa eine Vergewaltigung bei Gelegenheit der Durchführung eines dienstlichen Auftrags, nicht unter Art. VII Abs. 3 lit. a) ii) NTS. Vgl. diesbezüglich auch Baxter, ICLQ 7 (1958), 72 (77 ff.) und Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 83 ff. Für die Abgrenzung von Diensthandlungen zu Privathandlungen kann im übrigen weitgehend auf
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völkervertraglicher Verzicht der Entsendestaaten auf die Staatenimmunität zu bewerten. Wenn nämlich dem Entsendestaat lediglich das Vorrecht auf Ausübung seiner Strafgerichtsbarkeit eingeräumt wird, so darf der Aufnahmestaat immerhin dann nachrangig Strafgerichtsbarkeit ausüben, wenn der Entsendestaat nicht tätig wird. Neben den Regelungen des Art. VII NTS ist damit für einen Rückgriff auf die völkergewohnheitsrechtliche Staatenimmunität kein Raum.234 Ein Entsendestaat kann sich also nicht darauf berufen, der Aufenthaltsstaat habe zwar nach Art. VII NTS eine Befugnis zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit, doch ergebe sich aus der völkergewohnheitsrechtlichen Staatenimmunität eine Exemtion von der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates, da die Tathandlung als hoheitlichdienstliche Handlung für den Entsendestaat einzustufen sei.235 Die Regelung des Art. VII Abs. 3 lit. a) ii) NTS war von entscheidender Bedeutung im Cavalese-Fall, der 1998 auch in Deutschland ein großes Medienecho fand. Am 3. Februar 1998 hatte der Pilot eines in Italien stationierten US-amerikanischen Marineflugzeugs bei einer Tiefflugübung im Alpengebiet Norditaliens bei Cavalese das Tragseil einer Seilbahn zerschnitten. Während das Flugzeug sicher landen konnte, stürzte eine Seilbahngondel in die Tiefe und riß 20 Menschen, darunter acht Deutsche, in den Tod.236 Schnell wurden Forderungen nach einer Bestrafung des Piloten laut. Während ein italienischer Staatsanwalt Anklage gegen den Piloten ___________ die oben bei § 13 II. entwickelte Differenzierung zwischen Privathandlungen und Diensthandlungen (im weiten Sinne und im Gegensatz zu Amtshandlungen) im Diplomaten- und Konsularrecht zurückgegriffen werden. 234 Besonders deutlich wird der durch Art. VII NTS bewirkte Verzicht auf die Staatenimmunität bei Straftaten im Gebiet des Aufenthaltsstaates, die nur nach dem Recht des Aufenthaltsstaates strafbar und als Diensthandlungen einzustufen sind. Da Art. VII Abs. 1 lit. b) und Abs. 2 lit. b) NTS in diesem Fall dem Aufenthaltsstaat die (alleinige) Befugnis zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit zubilligt, ohne Diensthandlungen von der Strafgerichtsbarkeit des Aufnahmestaates auszunehmen, ist insofern von einem völkervertraglichen Verzicht auf die Staatenimmunität auszugehen. Wie hier auch Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 89. 235 Allerdings gilt dieser partielle Verzicht auf die Staatenimmunität nur für den Zeitraum, für den Art. VII NTS Geltung beansprucht. Und das ist lediglich der Zeitraum eines dienstlichen Aufenthalts im Gebiet des Aufnahmestaates. Der Verzicht ist also zeitlich begrenzt. Man kann in gewisser Weise sagen, daß der Entsendestaat im Gegenzug dafür, daß der Aufnahmestaat die dienstliche Tätigkeit fremder Streitkräfte in seinem Hoheitsgebiet zuläßt, seinerseits insofern teilweise auf die ihm zustehende Staatenimmunität zeitweilig verzichtet, als er eine Strafverfolgung durch den Aufnahmestaat während des dienstlichen Aufenthalts im Rahmen des Art. VII NTS gestattet. Wenn ein Soldat aber nach Beendigung seines dienstlichen Aufenthalts im Aufnahmestaat später als Privatperson in diesen zurückkehrt, dann sind die Regelungen des NTS nicht einschlägig. Da dann ausschließlich die oben unter § 20 I.1. dargelegten völkergewohnheitsrechtlichen Exemtionsregelungen gelten, kann der Soldat sich dann gegenüber einer Strafverfolgung durch den ehemaligen Aufenthaltsstaat auf die Staatenimmunität berufen. Dann also ist eine Strafverfolgung wegen hoheitlich-dienstlicher Handlungen für den ehemaligen Entsendestaat (im Rahmen der durch die Staatenimmunität gezogenen Grenzen) nicht zulässig, auch wenn sie während des Zeitraums des dienstlichen Aufenthalts nach Art. VII NTS statthaft gewesen wäre. 236 Vgl. FAZ vom 5.2.1998, S. 13; FAZ vom 13.3.1998, S. 11.
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und andere Besatzungsmitglieder erhob, sah sich das zuständige italienische Gericht – zu Recht – an einer Strafverfolgung der Beschuldigten gehindert. Der Flug sei eine Diensthandlung gewesen, weshalb den US-amerikanischen Militärbehörden das Vorrecht auf Ausübung der Strafgerichtsbarkeit zukomme.237 Die zuständigen US-Behörden leiteten zwar ein Militärstrafverfahren gegen den Piloten ein, doch wurde dieser durch ein US-Militärgericht vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Er wurde allerdings ebenso wie sein Kopilot, gegen den keine Anklage wegen des Unglücksflugs erhoben worden war, in einem zweiten Verfahren der unzulässigen Vernichtung eines Videobands schuldig gesprochen, das den Flug aufgezeichnet hatte, und mußte deshalb die Streitkräfte verlassen.238 Bei allen sonstigen Straftaten dagegen hat nach Art. VII Abs. 3 lit. b) NTS der Aufnahmestaat das Vorrecht auf Ausübung der Strafgerichtsbarkeit.239 Da diese „sonstigen Straftaten“ tatsächlich den größten Anteil ausmachen, kommt in der Praxis in den meisten Fällen den Strafverfolgungsbehörden des Aufnahmestaates das Vorrecht auf Ausübung der Strafgerichtsbarkeit zu. Wenn der bevorrechtigte Staat von seinem Vorrecht auf Ausübung von Strafgerichtsbarkeit Gebrauch gemacht hat, so heißt dies nicht, daß nun im Anschluß an das vom bevorrechtigten Staat durchgeführte Strafverfahren der andere Staat seine nachrangige Gerichtsbarkeit wegen derselben Tat (im prozessualen Sinne) stets auch noch ausüben darf. Der nachrangig berechtigte Staat darf vielmehr grundsätzlich nur dann eigene (subsidiäre) Gerichtsbarkeit ausüben, wenn der bevorrechtigte Staat von seinem Vorrecht keinen Gebrauch gemacht hat bzw. ein durchgeführtes Strafverfahren ohne Sachentscheidung beendet hat. Zwar gibt es (noch) keine völkergewohnheitsrechtlich geltende transnationale ne bis in idem-Regelung,240 doch legt Art. VII Abs. 8 NTS völkervertraglich ein Verbot einer Strafverfolgung durch
___________ Vgl. die Dokumentation von Ciampi, AJIL 93 (1999), 219 (219 ff.) sowie Reisman/ Sloane, AJIL 94 (2000), 505 (506 ff.). Italien hatte zwar die USA gebeten, auf das Vorrecht zu verzichten (vgl. zur Möglichkeit eines Verzichts unten § 20 III.4.e)), doch war dieses Ansinnen von den USA zurückgewiesen worden. 238 Vgl. FAZ vom 5.3.1999, S. 1, 9; SZ vom 6.3.1999, S. 7; FAZ vom 6.3.1999, S. 9; FAZ vom 17.3.1999, S. 13; SZ vom 6.4.1999, S. 10; FAZ vom 6.4.1999, S. 14; SZ vom 10.5.1999, S. 16; FAZ vom 11.5.1999, S. 1; SZ vom 12.5.1999, S. 16; FAZ vom 12.5.1999, S. 13. 239 Vgl. BGHSt 21, 81 (81 f.) = NJW 1966, 2023 (2023); BGHSt 28, 96 (97) = NJW 1978, 2457 (2457); OLG Celle, NJW 1965, 1673 (1673); OLG Karlsruhe, NZWehrr 1993, 125 (127); LG Krefeld, NJW 1965, 310 (310); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 118; Schönke/ Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 41; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 362; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 28; Schwenk, NJW 1963, 1425 (1426). 240 Vgl. BVerfGE 75, 1 (18, 24) = NJW 1987, 2155 (2157 f.); BGH NStZ 1998, 149 (150); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 73; Ambos, Internationales Strafrecht, § 4 Rn. 3 ff.; LR-StPO-Beulke, § 153c Rn. 15. 237
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den nachrangig berechtigten Staat nach einem Freispruch oder einer Verurteilung durch den bevorrechtigten Staat fest.241 Art. VII Abs. 8 Satz 1 NTS lautet: „Wenn ein Angeklagter in einem Strafverfahren, das nach diesem Artikel von den Behörden einer Vertragspartei gegen ihn durchgeführt wurde, freigesprochen worden ist oder wenn er in einem solchen Verfahren verurteilt worden ist und seine Strafe verbüßt oder verbüßt hat oder begnadigt worden ist, kann er nicht wegen derselben Handlung innerhalb desselben Hoheitsgebietes von den Behörden einer anderen Vertragspartei erneut vor Gericht gestellt werden.“
Dieses Strafverfolgungsverbot betrifft, da es sich explizit auf Verfahren nach Art. VII NTS bezieht, nur den Fall einer im Gebiet des Aufnahmestaates durchgeführten Strafverfolgung. Daraus folgt, daß ein Strafverfahren, das der Entsendestaat innerhalb seines eigenen Staatsgebiets oder in einem Drittstaat durchgeführt hat, für Art. VII Abs. 8 NTS irrelevant ist, also in einem solchen Fall Deutschland als Aufnahmestaat an einer erneuten Strafverfolgung nicht durch das NTS gehindert wäre.242 Die ne bis in idem-Regelung bezieht sich – wie auch Art. 103 Abs. 3 GG – auf eine Tat im (deutschen) prozessualen Sinne (§ 264 StPO), also einen Lebenssachverhalt, der bei natürlicher Betrachtung als eine zusammengehörige Einheit erscheint.243 Dem Wortlaut nach gilt das Verbot der Durchführung eines weiteren Strafverfahrens durch den anderen Staat nur dann, wenn ein Gericht244 des Staates, der als ___________ Vgl. BGHSt 30, 377 (382 f.) = NJW 1982, 1239 (1240); BayObLGSt 1996, 123 (124) = NJW 1997, 335 (335); OLG Celle, NStZ 1985, 176 (176 f.); OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 369 (370); OLG Karlsruhe, NZWehrr 1993, 125 (127); OLG Nürnberg, NJW 1975, 2151 (2153); OLG Stuttgart, NJW 1977, 1019 (1020); Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 67 ff.; Kniebühler, Transnationales ‚ne bis in idem’, S. 330 ff.; Lazareff, Status of Military Forces, S. 230 ff.; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 116 f. Dieses Verbot gilt in gleicher Weise, wenn der bevorrechtigte Staat von seinem Vorrecht keinen Gebrauch gemacht und daraufhin der nachrangig berechtigte Staat eine Strafverfolgung betrieben hat. Im Anschluß an eine erfolgte Aburteilung darf dann der andere Staat, auch wenn er ursprünglich das Vorrecht auf Ausübung von Gerichtsbarkeit gehabt hat, nicht seinerseits ein weiteres Strafverfahren durchführen. 242 Vgl. OLG Nürnberg, NJW 1975, 2151 (2152 f.); Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 69; Schwenk, NJW 1965, 2242 (2243); Lazareff, Status of Military Forces, S. 232; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 134 ff. Nach Art. 26 ZA-NTS hat allerdings ein Strafverfahren durch Behörden des Entsendestaates wegen einer Tat, die gegen deutsche Interessen gerichtet war, grundsätzlich in Deutschland stattzufinden. 243 OLG Nürnberg, NJW 1975, 2151 (2153). Teilweise anderer Auffassung Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 137 ff. Vgl. zu Art. 103 Abs. 3 GG und § 264 StPO BVerfGE 45, 434 (435) = NJW 1978, 414 (414); BVerfGE 56, 22 (28) = NJW 1981, 1433 (1434); Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung, § 264 Rn. 2; Nolte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, Art. 103 Rn. 201 ff. 244 Nach dem Militärrecht einiger Staaten, beispielsweise der USA, hat auch der einem Beschuldigten vorgesetzte Kommandeur Sanktionsgewalt. Eine so verhängte Sanktion hat aber keine Sperrwirkung i.S.d. Art. VII Abs. 8 NTS. Diese gilt nur für gerichtliche Ent241
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vorrangig berechtigter Staat zunächst Gerichtsbarkeit ausgeübt hat, den Angeklagten abgeurteilt hat, also zu einer Verurteilung oder einem Freispruch gelangt ist. Daher ist umstritten, inwieweit Verfahrenseinstellungen zu einem Verbot einer erneuten Strafverfolgung durch den anderen Staat führen, zumal solche Einstellungen, die nicht von einem Gericht, sondern durch sonstige Strafverfolgungsbehörden, etwa eine Staatsanwaltschaft, ausgesprochen werden.245 Man wird davon auszugehen haben, daß Einstellungen, die nach dem Recht des einstellenden Staates keinen Strafklageverbrauch zur Folge haben,246 sowie endgültige Verfahrenseinstellungen, die aus verfahrensrechtlichen Gründen ergehen und nicht sachlich einer Verurteilung oder einem Freispruch gleichgestellt werden können,247 kein Strafverfolgungsverbot durch den jeweils anderen Staat begründen, also in einem solchen Fall der nachrangig berechtigte Staat im Anschluß an die Verfahrenseinstellung durch den bevorrechtigten Staat noch ein eigenes Strafverfahren durchführen darf.248 Dagegen entfalten solche verfahrensbeendenden Einstellungen mit strafklageverbrauchender Wirkung, die (wie etwa Einstellungen nach § 153a StPO) eine Sachentscheidung darstellen und damit an die Stelle einer Verurteilung treten oder sachlich einem Freispruch gleichzuachten sind, eine Sperrwirkung nach Art. VII Abs. 8 NTS.249 Dabei ist irrelevant, ob die strafklageverbrauchende Einstellungs-
___________ scheidungen. Vgl. Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 125 ff. 245 Siehe diesbezüglich BGHSt 28, 96 (100) = NJW 1978, 2457 (2458); OLG Celle, NStZ 1985, 176 (176 f.); OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 369 (370); OLG Karlsruhe, NZWehrr 1993, 125 (128); OLG Nürnberg, NJW 1975, 2151 (2153); OLG Stuttgart, NJW 1977, 1019 (1020 f.). Siehe auch Conderman, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 115 ff.; Rouse/Baldwin, AJIL 51 (1957), 29 (48 f.) und Lazareff, Status of Military Forces, S. 200 ff. sowie Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 112 ff. zu dem „berühmten“ Fall Whitley aus dem Jahr 1954, in dem das Problem der Wirkung von Einstellungsentscheidungen erstmals aktuell wurde. 246 Vgl. zu einem solchen Fall OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 369 (370) und OLG Karlsruhe, NZWehrr 1993, 125 (128) wo ein Strafverfolgungsverbot nach Art. VII Abs. 8 NTS jeweils verneint wurde. 247 Etwa Einstellungen wegen Verfahrensfehlern, beispielsweise wegen einer Verletzung des Rechts auf ein zügiges Verfahren. 248 Gleiches gilt für nichtstrafrechtliche Sanktionen wie eine „nicht ehrenhafte Entlassung“. Auch diese entfalten keine Sperrwirkung. Vgl. BGHSt 28, 96 (100) = NJW 1978, 2457 (2458); OLG Karlsruhe, NZWehrr 1993, 125 (126 ff.). 249 Vgl. zu einer solchen Sachentscheidung OLG Stuttgart, NJW 1977, 1019 (1020 f.). Die in Anm. 245 genannte Rechtsprechung nimmt allerdings teilweise einen weiterreichenden Strafklageverbrauch an. Vgl. etwa OLG Nürnberg, NJW 1975, 2151 (2153), wo eine Einstellung wegen Verletzung des Rechts auf schnelle Verhandlung durch ein USamerikanisches Militärgericht als strafklageverbrauchende Entscheidung i.S.d. Art. VII Abs. 8 NTS bewertet wurde. Generell für einen Strafklageverbrauch bei Einstellungsentscheidungen sogar LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 364. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden, da Art. VII Abs. 8 NTS auf Sachentscheidungen, nicht aber verfahrensrechtlich begründete Entscheidungen abstellt.
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entscheidung von einem Gericht oder einer sonstigen Strafverfolgungsinstanz, etwa einer Staatsanwaltschaft, getroffen wurde.250 Da Art. VII Abs. 8 NTS nur einen Strafklageverbrauch festlegt, wenn ein Verfahren nach den Vorgaben des Art. VII NTS durchgeführt worden ist, steht einer erneuten Strafverfolgung im übrigen auch dann die ne bis in idem-Regel nicht entgegen, wenn der Staat, der ein Strafverfahren durchgeführt hat, tatsächlich gar nicht das Vorrecht auf Ausübung von Strafgerichtsbarkeit besessen hat.251 d) Kompetenz zur Beurteilung der Strafbarkeit bzw. des dienstlichen Charakters einer Tat Die skizzierten Regeln über die ausschließliche und konkurrierende Gerichtsbarkeit stellen darauf ab, ob ein Verhalten nach dem Recht des Entsendestaates bzw. dem Recht des Aufnahmestaates strafbar ist. Für die deutschen Strafverfolgungsbehörden ist es aber regelmäßig sehr schwierig festzustellen, ob ein Verhalten nach dem Recht des Entsendestaates strafbar ist oder nicht; der Entsendestaat seinerseits hat ein Interesse daran, daß die Beurteilung der deutschen Behörden aus der Sicht des Entsendestaates zutreffend ist. Daher sieht Art. 17 ZA-NTS ein sogenanntes Bescheinigungsverfahren vor.252 Art. 17 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZA-NTS lauten: „Hängt die Entscheidung der Frage, wem bei einer Straftat die Gerichtsbarkeit zusteht, davon ab, ob eine Handlung nach dem Recht eines Entsendestaates strafbar ist, so setzt das mit der Sache befaßte deutsche Gericht oder die mit der Sache befaßte deutsche Behörde das Verfahren aus und unterrichtet die zuständige Behörde des Entsendestaates. Die (…) Behörde des Entsendestaates kann innerhalb von einundzwanzig Tagen nach Empfang der Mitteilung oder, wenn eine solche Mitteilung noch nicht erfolgt ist, jederzeit dem deutschen Gericht oder der deutschen Behörde eine Bescheinigung darüber vorlegen, ob die Handlung nach dem Recht des Entsendestaates strafbar ist oder nicht.“
Die deutschen Strafverfolgungsbehörden haben die Bescheinigung, die der Entsendestaat ausstellen kann, aber nicht muß, grundsätzlich als richtig zu akzeptieren. Art. 17 Abs. 2 Satz 1 ZA-NTS legt nämlich fest, daß das deutsche Gericht bzw. die deutsche Behörde die Entscheidung „im Einklang mit der Bescheinigung“ trifft. In Ausnahmefällen besteht allerdings nach Art. 17 Abs. 2 Satz 2 ZA-NTS die Möglichkeit, die Bescheinigung „zum Gegenstand einer Überprüfung durch Erörterungen zwischen der Bundesregierung und der diplomatischen Vertretung des Entsendestaates in der Bundesrepublik“ zu machen.253 Doch ändert auch dieses Verfahren ___________ OLG Celle, NStZ 1985, 176 (176 f.); OLG Stuttgart, NJW 1977, 1019 (1020 f.). A.A. Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 125 ff. 251 So auch Lazareff, Status of Military Forces, S. 230 f. 252 Vgl. OLG Stuttgart, NJW 1967, 508 (508 f.); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 116; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 360 f.; Schwenk, NJW 1963, 1425 (1428); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 62 f. 253 Vgl. MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 116; Schwenk, NJW 1963, 1425 (1428). 250
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nichts an der Letztentscheidungskompetenz des Entsendestaates über die Strafbarkeit nach seiner Rechtsordnung.254 Für die Beantwortung der Frage, welchem Staat bei konkurrierender Gerichtsbarkeit das Vorrecht auf Durchführung eines Strafverfahrens zukommt, kommt es – wie erwähnt – darauf an, ob die Tat als Diensthandlung zu klassifizieren ist oder nicht. Für die Beurteilung, ob eine Tat in Ausübung des Dienstes begangen wurde, legt Art. 18 Abs. 1 Satz 1 ZA-NTS zunächst fest, daß für diese Entscheidung „das Recht des betreffenden Entsendestaates maßgebend“ ist.255 Auch zur Klärung dieser Rechtsfrage ist ein Bescheinigungsverfahren vorgesehen.256 Gemäß Art. 18 Abs. 1 Satz 2 ZA-NTS kann (wenn sie will) „die höchste zuständige Behörde dieses Entsendestaates dem mit der Sache befaßten deutschen Gericht oder der mit der Sache befaßten deutschen Behörde eine Bescheinigung hierüber vorlegen“. Nach Art. 18 Abs. 2 ZA-NTS ist auch diese Bescheinigung für die deutschen Strafverfolgungsbehörden verbindlich, kann aber ebenfalls ausnahmsweise zum Gegenstand diplomatischer Erörterungen gemacht werden.257 Zu beachten ist aber, daß diese Regelungen des ZA-NTS nur im Verhältnis zu den Entsendestaaten USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Kanada und den Niederlanden gelten, da die übrigen NATO-Staaten nicht Vertragsstaaten des ZANTS sind.258 e) Verzicht auf das Vorrecht auf Ausübung der Strafgerichtsbarkeit nach dem NTS aa) Allgemeines zum Verzicht auf das Vorrecht auf Ausübung der Gerichtsbarkeit Auf das Vorrecht, im Fall konkurrierender Gerichtsbarkeit eine Strafverfolgung durchführen zu dürfen, also die Gerichtsbarkeit tatsächlich ausüben zu dürfen, kann der bevorrechtigte Staat verzichten.259 Art. VII Abs. 3 lit. c) NTS legt fest: ___________ Das Bescheinigungsverfahren gilt auch für den umgekehrten Fall, daß für die Behörden des Entsendestaates von Belang ist, ob eine Tat nach deutschem Recht strafbar ist. Vgl. Art. 17 Abs. 3 ZA-NTS und MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 116; Schwenk, NJW 1963, 1425 (1428). 255 Vgl. Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 28; Schwenk, NJW 1963, 1425 (1427); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 81 f. 256 Vgl. Schwenk, NJW 1963, 1425 (1427); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 82 f. 257 Vgl. Schwenk, NJW 1963, 1425 (1427 f.). 258 Welcher Staat bei alleiniger Anwendung des NTS die Letztentscheidungskompetenz über den Charakter einer Tat als Diensthandlung hat, gilt als ungeklärt. Vgl. Rouse/ Baldwin, AJIL 51 (1957), 29 (41). 259 Vgl. MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 118; LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 8; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 41; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 362; Lazareff, 254
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„Beschließt der bevorrechtigte Staat, die Gerichtsbarkeit nicht auszuüben, so teilt er dies den Behörden des anderen Staates so bald wie möglich mit. Die Behörden des bevorrechtigten Staates ziehen die von den Behörden des anderen Staates an sie gerichteten Ersuchen um Verzicht auf das Vorrecht in wohlwollende Erwägung, wenn der andere Staat einem derartigen Verzicht besondere Wichtigkeit beimißt.“
Zu betonen ist, daß sich ein solcher Verzicht nicht auf die Gerichtsbarkeit selbst, sondern nur auf das Vorrecht auf Ausübung der Gerichtsbarkeit bezieht. Dies hat die Konsequenz, daß der ursprünglich bevorrechtigte Staat mit dem Verzicht nicht sein Recht auf Ausübung von Strafgerichtsbarkeit verliert.260 Sollte der ursprünglich nachrangig berechtigte Staat nach einem Vorrechtsverzicht von der nun primär ihm zukommenden Befugnis, Strafgerichtsbarkeit auszuüben, innerhalb angemessener Zeit keinen Gebrauch machen, so kann deshalb der ursprünglich bevorrechtigte und nunmehr nachrangig berechtigte Staat doch noch selbst eine Strafverfolgung durchführen, und zwar auch dann, wenn der Verzicht nicht zurückgenommen worden ist.261 Festzuhalten ist zudem, daß die Möglichkeit eines Verzichts – wie sich schon daraus ergibt, daß die Verzichtsmöglichkeit in Art. VII Abs. 3 NTS normiert ist – ___________ Status of Military Forces, S. 194 ff.; Rumpf, Recht der Truppenstationierung, S. 24; Schwenk, NJW 1963, 1425 (1428). 260 So auch BGHSt 28, 96 (98) = NJW 1978, 2457 (2457); OLG Karlsruhe, NZWehrr 1993, 125 (127); OLG Nürnberg, NJW 1975, 2151 (2152 f.); OLG Stuttgart, NJW 1977, 1019 (1020); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 120; Birke, Strafverfolgung nach dem NATOTruppenstatut, S. 62 ff.; LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 8; Conderman, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 112 ff.; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 41; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 364; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 29; NK-StGB-Lemke, vor § 3 Rn. 67; Oehler, JR 1980, 126 (127); Schwenk, NJW 1965, 2242 (2242 f.) (der von einem „Zweitrecht“ des durch Verzicht oder aufgrund vertraglicher Regelung nach Art. VII Abs. 3 lit. a) oder b) nachrangig berechtigten Staates spricht); Stambuk, American Military Forces Abroad, S. 98 ff.; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 91, 116 f. 261 So auch BGHSt 28, 96 (97 ff.) = NJW 1978, 2457 (2457 f.); OLG Karlsruhe, NZWehrr 1993, 125 (127); OLG Nürnberg, NJW 1975, 2151 (2153); Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 63 f.; LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 8; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 41; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 364; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 20 GVG Rn. 6; Oehler, JR 1980, 126 (127); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 105 Fn. 49, 117 f. A.A. Baxter, ICLQ 7 (1958), 72 (76 f.); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 558 Fn. 30; Marenbach, NJW 1974, 394 (395) unter Berufung auf ein nicht veröffentlichtes Urteil des OLG Frankfurt vom 16.2.1973 (3 Ws 5/73) sowie Conderman, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 114 f. Conderman spricht von einer “thorny question which periodically rears its ugly head”. Zu beachten ist, daß die hier im Einklang mit der deutschen Rechtsprechung vertretene Auffassung uneingeschränkt nur gelten kann, wenn der (aufgrund des Verzichts) bevorrechtigte Staat keinerlei Strafverfolgungsaktivitäten entfaltet hat. Sofern er ein (Ermittlungs-)Verfahren durchgeführt hat, ist Art. VII Abs. 8 NTS zu beachten und eine Strafverfolgung durch den (aufgrund des Verzichts) nachrangig berechtigten Staat nur insoweit zulässig, als die dortige ne bis in idemRegelung dem nicht entgegensteht. Vgl. hierzu oben § 20 III.4.c) am Ende.
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
nur die Konstellation konkurrierender Gerichtsbarkeit betrifft.262 Wenn nur der Entsende- bzw. der Aufnahmestaat Gerichtsbarkeit hat, ist kein Raum für einen Verzicht. Auf die ausschließliche Gerichtsbarkeit eines der beiden Staaten kann also der Staat, dem die ausschließliche Gerichtsbarkeit zukommt, nicht mit der Folge, daß dann der andere Staat Gerichtsbarkeit ausüben kann, verzichten. Eine solche Verlagerung der ausschließlichen Gerichtsbarkeit kommt im übrigen auch deshalb nicht in Betracht, weil in den Fällen, in denen lediglich ein Staat Gerichtsbarkeit hat, die Tat nach dem Strafrecht des anderen Staates überhaupt nicht strafbar ist. bb) Reichweite und Folgen des von Deutschland erklärten generellen Verzichts nach Art. 19 Abs. 1 ZA-NTS In der Rechtspraxis besteht – wie erwähnt – in den meisten Fällen nach Art. VII Abs. 3 NTS konkurrierende Strafgerichtsbarkeit mit einem Vorrecht des Aufenthaltsstaates auf Ausübung der Strafgerichtsbarkeit nach Art. VII Abs. 3 lit. b) NTS. Mit dieser Rechtsfolge konnten sich aber, als es nach Inkrafttreten der Pariser Verträge 1955 darum ging, die Bedingungen für die Ersetzung des Truppenvertrags durch das NTS auszuhandeln, die Staaten, die in Deutschland als Folge aus der Besatzungszeit ständig Streitkräfte stationiert hatten, für ihre in Deutschland stationierten Streitkräfte nicht anfreunden. Offenbar war das Vertrauen in die deutsche Gerichtsbarkeit noch nicht sonderlich groß und wollte man sich der Vorzüge des Truppenvertrags, der ja im Kern eine ausschließliche Gerichtsbarkeit des Entsendestaates über die Angehörigen seiner Streitkräfte festgelegt hatte, nicht begeben. Die USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Kanada und die Niederlande konnten jedenfalls durchsetzen, daß im ZA-NTS die Bereitschaft der Bundesrepublik auf einen generellen Verzicht im Sinne des Art. VII Abs. 3 lit. c) NTS auf das Vorrecht auf Ausübung der konkurrierenden Gerichtsbarkeit verankert wurde.263 Art. 19 Abs. 1 ZA-NTS lautet: „Auf Ersuchen eines Entsendestaates verzichtet die Bundesrepublik diesem gegenüber im Rahmen von Art. VII Absatz (3) Buchstabe (c) des NATO-Truppenstatuts auf das den deutschen Behörden nach Absatz (3) Buchstabe (b) des genannten Artikels in den Fällen der konkurrierenden Gerichtsbarkeit zustehende Vorrecht (…).“
Ein solches Ersuchen hatten alle damaligen Stationierungsstaaten, also die USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Kanada und die Niederlande im Unterzeichnungsprotokoll zum ZA-NTS gestellt.264 Ebenfalls bereits im Unterzeichnungs___________ 262 So auch LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 362; Rouse/Baldwin, AJIL 51 (1957), 29 (38 f.); Schwenk, NJW 1963, 1425 (1428); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 97 Fn. 20. 263 Vgl. Schwenk, NJW 1963, 1425 (1428). 264 Vgl. Neubauer, AVR 12 (1964/65), 34 (51 Fn. 78); Steinkamm, Wehrstrafgerichtsbarkeit, S.101. Der maßgebliche Text des Unterzeichnungsprotokolls zu Art. 19 lautet: „Das Ersuchen um den in Art. 19 Absatz (1) vorgesehenen Verzicht auf das Vorrecht der
§ 20 Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte
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protokoll hatte die Bundesrepublik diesen Staaten den Verzicht erklärt,265 der mit Inkrafttreten des ZA-NTS am 1. Juli 1963 diesen Staaten gegenüber wirksam wurde.266 Allerdings wurde dieser Verzicht im Verhältnis zu Frankreich mit Wirkung zum 1. Juli 2000 aufgehoben.267 Aufgrund dieses Pauschalverzichts auf das Vorrecht auf Ausübung konkurrierender Strafgerichtsbarkeit kommt den Militärbehörden der USA, Großbritanniens, Kanadas, Belgiens und der Niederlande bezüglich ihrer in Deutschland befindlichen und ihrer Militärgerichtsbarkeit unterworfenen Mitglieder ihrer Truppe und des zivilen Gefolges ihrer Streitkräfte generell das Vorrecht auf Ausübung von Strafgerichtsbarkeit in Deutschland zu.268 Deutschland darf also über die Mitglieder der Truppe und des zivilen Gefolges der Streitkräfte der USA, Großbritanniens, Kanadas, Belgiens und der Niederlande während des Zeitraums eines dienstlichen Aufenthalts in Deutschland grundsätzlich nur nachrangig konkurrierende Strafgerichtsbarkeit ausüben. Da diese Staaten bemüht sind, die Mitglieder ihrer Streitkräfte nicht den deutschen Strafverfolgungsbehörden „zu überlassen“, machen sie von diesem Vorrecht in aller Regel Gebrauch. Damit sind die Mitglieder der Truppe und des zivilen Gefolges der Streitkräfte der USA, Großbritanniens, Kanadas, Belgiens und der Niederlande faktisch der deutschen Strafgerichtsbarkeit während ihres dienstlichen Aufenthalts in Deutschland weitgehend entzogen und darf Deutschland in aller Regel nur dann Strafgerichtsbarkeit ausüben, wenn der Bundesrepublik die ausschließliche Gerichtsbarkeit nach Art. VII Abs. 2 lit. b) NTS zusteht.269 ___________ Bundesrepublik zur Ausübung der Strafgerichtsbarkeit wird von denjenigen Entsendestaaten, die bereits entschlossen sind, von dem Verzicht Gebrauch zu machen [das waren damals alle beteiligten Staaten, der Verf.] mit dem Inkrafttreten des Zusatzabkommens gestellt.“ Vgl. BGBl. 1961 II, S. 1313 (1323). 265 Der maßgebliche Text des Unterzeichnungsprotokolls zu Art. 19 lautet (im Anschluß an den in Anm. 264 wiedergegebenen Text): „Die Bundesrepublik gewährt diesen Entsendestaaten den Verzicht mit dem Inkrafttreten des Zusatzabkommens.“ Vgl. BGBl. 1961 II, S. 1313 (1323). Siehe diesbezüglich auch OLG Celle, NJW 1965, 1673 (1673); LG Krefeld, NJW 1965, 310 (310). 266 Vgl. die Bekanntmachung vom 14.8.1964; BGBl. 1964 II, S. 1231. 267 Notenwechsel vom 7./23.6.2000; BGBl. 2001 II, S. 190. Vgl. die Bekanntmachung vom 19.1.2001; BGBl. 2001 II, S. 189. 268 Vgl. BGH NJW 1966, 2280 (2280); BGHSt 28, 96 (97) = NJW 1978, 2457 (2457); BGHSt 30, 377 (378) = NJW 1982, 1239 (1239); OLG Hamm, NStZ 1998, 210 (211); OLG Karlsruhe, NZWehrr 1993, 125 (127); OLG Nürnberg, NJW 1975, 2151 (2152); OLG Stuttgart, NJW 1977, 1019 (1020); OLG Zweibrücken, JBl. RP 1992, 87 (87); Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 59 f.; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 362; Rumpf, Recht der Truppenstationierung, S. 25. Allerdings gilt der Verzicht nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 ZA-NTS nicht in Fällen, in denen die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit durch den Entsendestaat zur Verhängung einer Todesstrafe führen kann. 269 Art. 19 Abs. 5 lit. a) ZA-NTS legt allerdings fest, daß die Entsendestaaten einzelne Strafsachen, für die ihnen das Recht auf vorrangige Ausübung von Gerichtsbarkeit zukommt, an die deutschen Strafverfolgungsbehörden zur Verhandlung und Entscheidung
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
Damit die deutschen Strafverfolgungsbehörden aber wenigstens Kenntnis über die strafrechtlich relevanten Vorkommnisse erlangen (und die nachfolgend zu erörternde Befugnis zur Rücknahme des Pauschalverzichts in Ausnahmefällen ausüben können), legt Art. 19 Abs. 2 ZA-NTS den durch den Pauschalverzicht privilegierten Staaten bestimmte Informationspflichten auf. Art. 19 Abs. 2 Satz 1 ZA-NTS bestimmt: „Vorbehaltlich besonderer Vereinbarungen (…) teilen die Militärbehörden der Entsendestaaten den zuständigen deutschen Behörden die Einzelfälle mit, die unter den Verzicht nach Absatz (1) fallen.“
Zuständige deutsche Behörde im Sinne des Art. 19 Abs. 2 Satz 1 ZA-NTS ist die für ein deutsches Strafverfahren örtlich und sachlich zuständige Staatsanwaltschaft.270 Dagegen bleibt es hinsichtlich der Mitglieder der Truppe und des zivilen Gefolges der Streitkräfte der übrigen Vertragsstaaten des NTS einschließlich Frankreichs bei der Vorrangregelung des Art. VII Abs. 3 NTS. Für diese Staaten spielt Art. 19 Abs. 1 ZA-NTS keine Rolle. Der durch Art. 19 Abs. 1 ZA-NTS ausgesprochene pauschale Verzicht auf das Vorrecht auf Ausübung von Strafgerichtsbarkeit wird dadurch wieder etwas relativiert, daß Deutschland die Möglichkeit hat, in bestimmten Fällen den Pauschalverzicht einzelfallbezogen wieder zurückzunehmen, mit der Folge, daß dann wieder die Vorrangregelung des Art. VII Abs. 3 NTS gilt und damit Deutschland bei Taten, die weder als inter se-Taten noch als Diensthandlungen zu bewerten sind, das Recht auf vorrangige Ausübung von Strafgerichtsbarkeit gemäß Art. VII Abs. 3 lit. b) NTS zurückerlangt.271 Da Deutschland bei den Verhandlungen über den Beitritt der BRD zum NTS nicht bereit war, vollkommen auf das Vorrecht auf Ausübung der konkurrierenden Gerichtsbarkeit nach Art. VII Abs. 3 lit. b) NTS zu verzichten, die anderen Staaten aber auf einem Pauschalverzicht Deutschlands bestan___________ abgeben können. Vgl. zu einem solchen Fall OLG Celle, NJW 1965, 1673 (1673). Siehe auch OLG Nürnberg, NJW 1975, 2151 (2152), wo zutreffend betont wird, diese Abgabemöglichkeit zeige, daß auch der nichtbevorrechtigte Staat weiterhin Strafgerichtsbarkeit habe, da eine einseitige Abgabe als solche keine Gerichtsbarkeit begründen könne. Siehe zum Ganzen Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 108 ff. 270 Vgl. BGH NJW 1966, 2280 (2280). 271 Vgl. BGHSt 21, 81 (82) = NJW 1966, 2023 (2023); BGH NJW 1966, 2280 (2280); BGHSt 28, 96 (97) = NJW 1978, 2457 (2457); BGHSt 30, 377 (378 f.) = NJW 1982, 1239 (1239); OLG Celle, NJW 1965, 1673 (1673); OLG Stuttgart, NJW 1977, 1019 (1020); OLG Zweibrücken, JBl. RP 1992, 87 (87); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 119; Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 60; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 41; Fischer, in: Tröndle/Fischer, vor § 3 Rn. 23; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 363; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 18 I. 3.; Marenbach, NJW 1974, 394 (394); Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (402); Rumpf, Recht der Truppenstationierung, S. 25; Schwenk, NJW 1963, 1425 (1429); ders., NJW 1965, 2242 (2243); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 98.
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den, wurde die Möglichkeit einer Rücknahme des Verzichts im Einzelfall als Kompromiß im ZA-NTS verankert. Art. 19 Abs. 3 ZA-NTS lautet: „Sind die zuständigen deutschen Behörden der Ansicht, daß Belange der deutschen Rechtspflege die Ausübung deutscher Gerichtsbarkeit erfordern, so können sie den nach Absatz (1) gewährten Verzicht durch eine Erklärung zurücknehmen, die sie den zuständigen Zivil- oder Militärbehörden innerhalb von einundzwanzig Tagen nach Eingang der in Absatz (2) vorgesehenen Mitteilung oder innerhalb einer (…) vereinbarten kürzeren Frist abgeben. Die deutschen Behörden können die Erklärung auch vor dem Eingang der Mitteilung abgeben.“
Zuständige deutsche Behörde für die Rücknahme des Verzichts ist nach Art. 3 Abs. 1 des deutschen Zustimmungsgesetzes zum NTS und den Zusatzvereinbarungen272 die Staatsanwaltschaft, und zwar gemäß Art. 3 Abs. 2 die nach dem GVG und der StPO sachlich und örtlich zuständige Staatsanwaltschaft.273 Die Frist von 21 Taten für die Rücknahme des Verzichts beginnt erst mit dem Eingang der von Art. 19 Abs. 2 Satz 1 ZA-NTS vorgesehenen Erklärung der Militärbehörden des Entsendestaates; eine sonstige Form der Kenntniserlangung über einen strafrechtlich relevanten Vorgang ist irrelevant für den Lauf der Frist.274 Die Rücknahme des Verzichts kann auch mündlich erklärt werden.275 Wann „Belange der deutschen Rechtspflege“276 vorliegen, die eine Rücknahme des Pauschalverzichts gebieten, ist im Unterzeichnungsprotokoll zum ZA-NTS (zu Art. 19, Abs. 2 lit. a)) näher ausgeführt: „Belange der deutschen Rechtspflege im Sinne von Artikel 19 Absatz (3) können die Ausübung der deutschen Gerichtsbarkeit insbesondere bei folgenden Straftaten erfordern:
___________ Vgl. oben Anm. 126. Art. 3 des Zustimmungsgesetzes gilt auch für Berlin und die neuen Bundesländer; vgl. Gesetz vom 3.1.1994, BGBl. 1994 II, S. 26 (27). 273 Vgl. BGH NJW 1966, 2280 (2280); OLG Zweibrücken, JBl. RP 1992, 87 (87); LRStPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 8; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 29; Schwenk, NJW 1963, 1425 (1429); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 98. Es existieren allerdings interne Dienstvorschriften, die von den Staatsanwaltschaften die Einholung einer Genehmigung durch vorgesetzte Stellen (Justizministerium, vgl. § 147 Nr. 2 GVG) verlangen. 274 Vgl. BGH NJW 1966, 2280 (2280); Birke, Strafverfolgung nach dem NATOTruppenstatut, S. 60; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 99. 275 BGHSt 30, 377 (380) = NJW 1982, 1239 (1240); LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 8; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 41; Fischer, in: Tröndle/Fischer, vor § 3 Rn. 23; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 29. 276 In der ursprünglichen Fassung des Art. 19 Abs. 1 ZA-NTS war noch von „wesentlichen Belangen der deutschen Rechtspflege“ die Rede. Die Streichung des Wortes „wesentlich“ im Jahr 1993 (BGBl. 1994 II, S. 2598 [2604]; Änderung in Kraft getreten am 29.3.1998, vgl. BGBl. 1998 II, S. 1691) erleichtert den deutschen Behörden die Rücknahme des Verzichts. In der deutschen strafrechtlichen Literatur ist diese Änderung allerdings teilweise noch nicht zur Kenntnis genommen worden. Vgl. etwa MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 119; LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 8; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 18 GVG Rn. 9. 272
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen (i) Straftaten, die zur Zuständigkeit des Oberlandesgerichte im ersten Rechtszuge gehören oder deren Verfolgung der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof übernehmen kann;[277] (ii) Straftaten, durch die der Tod eines Menschen verursacht wird, Raub, Vergewaltigung, soweit sich diese Straftaten nicht gegen ein Mitglied einer Truppe, eines zivilen Gefolges oder gegen einen Angehörigen richten; (iii) Versuch solcher Straftaten oder Teilnahme an ihnen.“278
Die „Belange der deutschen Rechtspflege“ stellen keine materielle Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Rücknahmeerklärung dar, deren Vorliegen vom betroffenen Entsendestaat bestritten werden könnte. Es kommt vielmehr ausschließlich auf die Ansicht der zuständigen Staatsanwaltschaft an.279 Das Wort „insbesondere“ in der Auflistung im Unterzeichnungsprotokoll macht deutlich, daß diese nicht als abschließend zu begreifen ist.280 Bei Ordnungswidrigkeiten scheidet eine Rücknahme aus, da insofern keine hinreichenden Belange deutscher Rechtspflege vorliegen, die eine Rücknahme rechtfertigen könnten.281 Sofern der Entsendestaat mit der Rücknahme des Verzichts nicht einverstanden ist, hat er nach Art. 19 Abs. 4 ZA-NTS die Möglichkeit, auf dem diplomatischen Weg Einwendungen zu erheben. In einem solchen Fall ist die Bundesregierung befugt, selbst über die Rücknahme des Verzichts zu entscheiden, also gegebenenfalls die Entscheidung der zuständigen Staatsanwaltschaft rückgängig zu machen oder aber sie zu bestätigen.282 Denn Art. 19 Abs. 4 S. 2 ZA-NTS legt fest: ___________ 277 Anmerkung: Die Straftaten, die in die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte fallen, sind in § 120 Abs. 1 und 2 GVG aufgelistet. Die Verfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts ist in § 142a GVG geregelt. § 120 Abs. 1 GVG erfaßt im übrigen auch Taten nach dem VStGB (vgl. Nr. 8), so daß bei solchen Taten stets eine Rücknahme des Verzichts in Betracht kommt. Doch dürfte dies eine rein theoretische Möglichkeit sein, da nach Art. VII Abs. 1 lit. b) NTS Deutschland ohnehin nur wegen solcher Taten nach dem VStGB Gerichtsbarkeit zusteht, die innerhalb des deutschen Staatsgebiets begangen wurden. 278 Unterzeichnungsprotokoll i.d.F. des Änderungsabkommens vom 18.3.1993, BGBl. 1994 II, S. 2598 (2605). In Kraft getreten am 29.3.1998; vgl. BGBl. 1998 II, S. 1691. 279 Vgl. BT-Drucks. 12/6477, S. 58 (62); Schwenk, NJW 1963, 1425 (1429); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 98. Der Beschuldigte hat kein subjektives Recht darauf, einer bestimmten Gerichtsbarkeit unterworfen zu werden. Bei der Entscheidung über die Rücknahme des Verzichts sind daher Individualinteressen des Beschuldigten nicht zu berücksichtigen. Dieser kann deshalb die Entscheidung der Staatsanwaltschaft – ein Justizverwaltungsakt i.S.d. § 23 ff. EGGVG – nicht nach § 23 EGGVG anfechten; vgl. OLG Hamm, NStZ 1998, 210 (211); OLG Zweibrücken, JBl. RP 1992, 87 (87); LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 8; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 20 GVG Rn. 6; Witzsch, a.a.O., S. 91 f. 280 Vgl. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 18 GVG Rn. 9; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 104 ff. mit einer Erörterung von Konstellationen, in denen eine Verzichtsrücknahme geboten erscheint. 281 So auch Seitz, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, vor § 59 Rn. 41; KK-OWiGWache, vor § 53 Rn. 51. 282 Vgl. OLG Zweibrücken, JBl. RP 1992, 87 (87); Schwenk, NJW 1963, 1425 (1429).
§ 20 Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte
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„Die Bundesregierung legt unter gebührender Berücksichtigung der Belange der deutschen Rechtspflege und der Interessen des Entsendestaates die Meinungsverschiedenheit in Ausübung ihrer Befugnisse auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten bei.“
f) Bilaterale Vereinbarungen Deutschlands mit anderen NATO-Staaten über ein Absehen von der Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit Die für Deutschland maßgeblichen Regelungen des NTS und ZA-NTS sind zugeschnitten auf den Fall einer längerfristigen Stationierung fremder Truppen in Deutschland und haben bislang auch lediglich in diesem Kontext praktische strafrechtliche Relevanz erlangt. Die veröffentlichten Entscheidungen deutscher Strafgerichte betrafen – soweit ersichtlich – nur Angehörige der längerfristig in Deutschland stationierten Streitkräfte, für die neben dem NTS auch das ZA-NTS gilt. Insofern hat sich die skizzierte Verteilung strafrechtlicher Jurisdiktionskompetenzen ganz offensichtlich bewährt. In den meisten Fällen kam sowohl dem Entsendestaat als auch Deutschland (konkurrierende) Strafgerichtsbarkeit zu. Aufgrund des Pauschalverzichts Deutschlands auf das Vorrecht auf Ausübung von konkurrierender Strafgerichtsbarkeit war es den Entsendestaaten, die Vorkehrungen für eine Ausübung von Strafgerichtsbarkeit in Deutschland getroffen hatten, in der Regel möglich, selbst eine Strafverfolgung durchzuführen und somit ein Einschreiten deutscher Strafverfolgungsbehörden gegenüber den Mitgliedern ihrer Streitkräfte zu verhindern. Den Interessen der Entsendestaaten wurde damit in besonderem Maße Rechnung getragen. Die hier geschilderte Aufteilung strafrechtlicher Jurisdiktionskompetenzen zwischen Entsende- und Aufnahmestaat nach dem NTS führt aber dann de facto vielfach zu einer uneingeschränkten deutschen Strafverfolgungskompetenz wegen in Deutschland begangener Taten, wenn es um den lediglich vorübergehenden Aufenthalt von Streitkräften aus anderen NATO-Staaten zum Zwecke gemeinsamer Manöver oder Ausbildungsveranstaltungen geht. Wenn ein NATO-Staat, der nicht Vertragsstaat des ZA-NTS ist und nicht dauerhaft in Deutschland Truppen stationiert hat – etwa Spanien – Soldaten vorübergehend nach Deutschland entsendet, so hat in aller Regel Deutschland nach Art. VII Abs. 3 lit. b) NTS das Vorrecht auf Ausübung von Strafgerichtsbarkeit. Da diese NATO-Staaten gar nicht darauf eingerichtet sind, in Deutschland eigene Strafgerichtsbarkeit auszuüben, kommt auch in den übrigen Fällen an sich konkurrierender Gerichtsbarkeit Deutschland faktisch nicht nur die vorrangige, sondern sogar die alleinige Strafverfolgungsmöglichkeit zu. Rein praktisch bedeutet dies, daß die Soldaten aus solchen NATO-Staaten nach dem NTS uneingeschränkt der deutschen Strafgerichtsbarkeit unterworfen sind, soweit es sich um in Deutschland begangene Taten handelt.283 ___________ 283 Für im Ausland begangene Taten genießen die Mitglieder der fremden Streitkräfte in Deutschland nach Art. VII Abs. 1 lit. b) NTS umfassende Exemtion. Vgl. hierzu oben § 20 III.4.a)bb).
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
Diese Konsequenz ist aber sowohl für den jeweiligen Entsendestaat als auch für Deutschland unbefriedigend. Der jeweilige Entsendestaat müßte, wollte er die ihm nach dem NTS zustehende Befugnis zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit nutzen und damit gleichzeitig seine Soldaten in Deutschland insoweit vor einem Zugriff deutscher Strafverfolgungsbehörden schützen, Vorkehrungen für eine – nach Art. VII Abs. 1 lit. a) NTS statthafte – Durchführung von Strafverfahren in Deutschland treffen. Daran haben aber weder der Entsendestaat noch Deutschland ein Interesse. Deutschland ist daran interessiert, daß die Entsendestaaten in der Bundesrepublik keine eigene Strafgerichtsbarkeit nach Art. VII Abs. 1 lit. a) NTS ausüben, die Entsendestaaten wollen eine Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit über die in der Bundesrepublik befindlichen Mitglieder ihrer Streitkräfte möglichst verhindern. Daher hat die Bundesrepublik mit Dänemark, Griechenland, Italien, Luxemburg, Norwegen, Portugal, Spanien und der Türkei, also mit NATO-Staaten, die Vertragsstaaten des NTS, nicht aber Vertragsparteien des ZA-NTS sind und allenfalls kurzzeitig Einheiten oder einzelne Mitglieder ihrer Streitkräfte nach Deutschland entsenden, am 29. April 1998 bilaterale Vereinbarungen („Erklärungen zur Strafgerichtsbarkeit“) getroffen, in denen sich diese Entsendestaaten verpflichtet haben, in Deutschland grundsätzlich keine eigene Strafgerichtsbarkeit auszuüben, und in denen Deutschland verbindlich erklärt hat, von der Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der Streitkräfte dieser Staaten bei einem dienstlichen Aufenthalt in Deutschland grundsätzlich abzusehen. Deutschland hat sich verpflichtet, nur dann eine Strafverfolgung wegen in Deutschland begangener Straftaten vorzunehmen, wenn wesentliche Belange deutscher Strafrechtspflege betroffen sind.284 Diese Vereinbarungen ergänzen Art. VII NTS285 und sind für die Strafverfolgungsbehörden unmittelbar verbindlich.286 Sie modifizieren damit die Regelungen der StPO, indem sie in Abweichung vom Legalitätsprinzip des § 152
___________ Vgl. die Notenwechsel vom 29.4.1998, BGBl. 1999 II, S. 508 (508 ff.). Siehe auch die Denkschrift in BT-Drucks. 14/584, S. 31 (34). Entsprechende Regeln gelten auch für die Mitglieder der Streitkräfte Polens aufgrund eines auf der Basis des PfP-Truppenstatuts geschlossenen deutsch-polnischen Abkommens vom 23.8.2000; BGBl. 2001 II, S. 179. Vgl. hierzu unten § 20 IV.1. am Ende. Wann wesentliche Belange der deutschen Strafrechtspflege vorliegen, die die Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit erfordern, sollte in Anlehnung an die Festlegungen im Unterzeichnungsprotokoll zum ZA-NTS (zu Art. 19 Abs. 2 lit. a)) entschieden werden (vgl. diesbezüglich oben § 20 III.4.e)bb)). So auch die Bundesregierung in ihrer Denkschrift, BT-Drucks. 14/584, S. 31 (34). 285 Solche Modifikationen des NTS sind statthaft. Vgl. oben Anm. 121. 286 Die Verbindlichkeit für die deutschen Strafverfolgungsbehörden ergibt sich aus dem deutschen Zustimmungsgesetz zu den Erklärungen zur Strafgerichtsbarkeit vom 9.7.1999, BGBl. 1999 II, S. 506. 284
§ 20 Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte
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Abs. 2 StPO eine Pflicht zu einem grundsätzlichen Absehen von einer Strafverfolgung festlegen.287 In den Erklärungen Deutschlands gegenüber den genannten NATO-Staaten heißt es: „Die Bundesrepublik Deutschland wird von der Ausübung der deutschen Gerichtsbarkeit über die Mitglieder der Streitkräfte [hier folgt die Nennung des jeweiligen Landes, der Verf.] bei Straftaten absehen, es sei denn, daß wesentliche Belange der deutschen Rechtspflege die Ausübung erfordern.“
In den Erklärungen der genannten NATO-Staaten gegenüber Deutschland wird unter anderem formuliert: „Mit Ausnahme der Ahndung von Straftaten, die nach dem Recht [hier folgt die Nennung des jeweiligen Landes, der Verf.] militärischen Vorgesetzten und Militärjuristen übertragen ist, üben die Militärbehörden [hier folgt die Nennung des jeweiligen Landes, der Verf.] das Recht auf Ausübung von Strafgerichtsbarkeit auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht aus. Das Recht, Maßnahmen zur Strafermittlung durchzuführen, bleibt unberührt.“
Diese als solche zunächst einseitigen Erklärungen sind vom jeweils anderen Staat im Rahmen von Notenwechseln akzeptiert und damit Gegenstand verbindlicher völkervertraglicher Vereinbarungen geworden.288 g) Zulässigkeit strafprozessualer Ermittlungs- und Zwangsmaßnahmen trotz Nachrangigkeit oder Fehlens der Strafgerichtsbarkeit aa) Zum Fall der Nachrangigkeit der Strafgerichtsbarkeit Die Vorrangregelung bei konkurrierender Strafgerichtsbarkeit nach Art. VII Abs. 3 NTS wird von der Rechtsprechung und in der Literatur ganz zu Recht restriktiv interpretiert und nicht dahingehend verstanden, daß dem nachrangig berechtigten Staat (bis zum Zeitpunkt eines Verzichts auf das Vorrecht durch den bevorrechtigten Staat) die Ausübung sämtlicher strafprozessualer Maßnahmen untersagt ist.289 Eine solche Interpretation hätte nämlich zur Folge, daß dem nicht___________ 287 Zuständig für die Erklärung des Verzichts auf eine deutsche Strafverfolgung ist nach Art. 3 des deutschen Zustimmungsgesetzes zu den Notenwechseln (BGBl. 1999 II, S. 506 [506]) die örtlich und sachlich zuständige Staatsanwaltschaft. 288 Die Rechtsstellung von Mitgliedern der Streitkräfte derjenigen NATO-Staaten, mit denen diese den Art. VII NTS ergänzenden Vereinbarungen getroffen wurden, entspricht weitgehend dem Status, den Mitglieder der Streitkräfte aus Staaten, die keine NATOStaaten oder PfP-Staaten sind, nach dem Streitkräfteaufenthaltsgesetz haben. Vgl. zum SkAufG unten § 20 IV.2. 289 Vgl. OLG Nürnberg, NJW 1975, 2151 (2152 f.); OLG Stuttgart, NJW 1974, 1061 (1062); OLG Stuttgart, NJW 1977, 1019 (1020); LG Duisburg, NJW 1965, 643 (644); LKStGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 365; Marenbach, NJW 1974, 394 (395 f.); Schwenk, NJW 1965, 2242 (2242 f.); Seitz, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, vor § 59 Rn. 41; KKOWiG-Weller, § 32 Rn. 9; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.Streitkräfte, S. 163. Siehe auch OLG Stuttgart, NJW 1973, 2218 (2218).
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bevorrechtigten Staat auch die Vornahme unaufschiebbarer strafprozessualer Zwangsmaßnahmen untersagt wäre. Dies hätte gerade in Deutschland angesichts des dargelegten Pauschalverzichts auf das Vorrecht bedenkliche Konsequenzen. So dürften deutsche Strafverfolgungsbehörden, würde man dem nachrangig berechtigten Staat jegliches strafprozessuale Einschreiten untersagen, beispielsweise einen britischen oder US-amerikanischen Soldaten, der im unmittelbaren Anschluß an die Begehung einer schweren Straftat betroffen wird, nicht vorläufig festnehmen. Die Entnahme einer Blutprobe bei einem Soldaten, dessen Trunkenheitsfahrt von der Polizei beendet werden konnte, wäre ausgeschlossen. Eine Durchsuchung eines Soldaten, der im Verdacht steht, gerade einen Diebstahl begangen zu haben, schiede aus.290 Damit aber wäre eine Strafverfolgung vielfach zum Scheitern verurteilt; eine Konsequenz, die von Art. VII Abs. 3 NTS nicht gewollt ist. Diese Bestimmung will bei konkurrierender Gerichtsbarkeit verhindern, daß parallel zwei Strafverfahren betrieben werden. Andererseits soll aber sichergestellt werden, daß eine Strafverfolgung wegen im Aufnahmestaat begangener Taten nicht gänzlich unterbleibt. Deshalb wird nicht einem der beiden Staaten die ausschließliche Strafverfolgungsbefugnis zugesprochen, sondern lediglich eine Vorrangregelung getroffen.291 Eine teleologische Auslegung des Art. VII Abs. 3 NTS ergibt damit, daß sich das Vorrecht auf Ausübung der Strafgerichtsbarkeit lediglich auf die Durchführung eines (staatsanwaltschaftlichen) Ermittlungsverfahrens und eines gerichtlichen Hauptverfahrens bezieht. Da auch der nachrangig berechtigte Staat weiterhin originäre eigene Strafgerichtsbarkeit besitzt, darf er nicht aufschiebbare strafprozessuale Zwangsmaßnahmen vornehmen.292 Dies bedeutet, daß die deutschen Strafverfol___________ Zu bedenken ist, daß durch Art. VII NTS nur strafprozessuale Zwangsmaßnahmen ausgeschlossen sein können. Maßnahmen polizeirechtlicher Natur zur Beendigung einer konkreten Gefahrensituation, etwa das Anhalten eines betrunken fahrenden Soldaten oder die Entwaffnung eines Soldaten, der im Begriff ist, eine andere Person zu töten, sind vom NTS nicht beschränkt. Vgl. Sennekamp, NJW 1983, 2731 (2734). 291 Vgl. BGHSt 28, 96 (99 f.) = NJW 1978, 2457 (2458). 292 Vgl. OLG Nürnberg, NJW 1975, 2151 (2152 f.); OLG Stuttgart, NJW 1974, 1061 (1062); OLG Stuttgart, NJW 1977, 1019 (1020); Birke, Strafverfolgung nach dem NATOTruppenstatut, S. 67; Marenbach, NJW 1974, 394 (395 f.); Schwenk, NJW 1965, 2242 (2242 f.); Seitz, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, vor § 59 Rn. 41; KK-OWiGWeller, § 32 Rn. 9; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 163. Diese „Notbefugnis“ kann allerdings nicht weiter gehen als die Kompetenz, die der betreffende Staat dann hat, wenn ihm das Vorrecht auf Ausübung der Strafgerichtsbarkeit zukommt, so daß den Behörden des (nachrangig berechtigten) Entsendestaates auch bei der Ausübung einer „Notbefugnis“ strafprozessuale Zwangsmaßnahmen nur im Rahmen des Art. VII Abs. 10 NTS gestattet sind. Siehe hierzu sogleich im Haupttext. Eine Erweiterung der Befugnisse des Entsendestaates legt jedoch Art. 20 ZA-NTS fest. Dieser bestimmt, daß die Militärbehörden der Entsendestaaten (sofern diese Vertragsstaaten des ZA-NTS sind) bei Gefahr im Verzug (in gewissen Grenzen) zur vorläufigen Festnahme auch solcher Personen befugt sind, die nicht ihrer Gerichtsbarkeit unterliegen. Vgl. hierzu unten Anm. 303. Diese Befugnis muß natürlich erst recht dann gegeben sein, wenn die Person zwar der Ge290
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gungsbehörden und die als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft tätigen Polizeibeamten auch dann, wenn Deutschland nach Art. VII Abs. 3 NTS nur nachrangig zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit befugt ist, gegenüber den geschützten Personen unaufschiebbare strafprozessuale Zwangsmaßnahmen ergreifen können. Blutprobeentnahmen,293 aber auch vorläufige Festnahmen und Durchsuchungen, sind also auch in solchen Fällen im Rahmen der StPO zulässig. Aber auch ein Ermittlungsverfahren, das zunächst mangels Kenntnis der Person des Täters gegen unbekannt geführt wird oder das gegen eine Person geführt wird, dessen Status als vom NTS erfaßte Person zunächst unbekannt ist, wird nicht dadurch (im nachhinein mit ex ante-Wirkung) unzulässig, daß sich nach Feststellung der Person des Beschuldigten oder seines Status herausstellt, daß dieser nach Art. VII Abs. 3 NTS nicht vorrangig der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegt.294 Das Ermittlungsverfahren ist jedoch (zunächst vorläufig) einzustellen, wenn die Staatsanwaltschaft Kenntnis vom Beschuldigten und dessen Status und damit von der Exemtion nach Art. VII Abs. 3 NTS erlangt. Wenn jedoch von dem bevorrechtigten Staat bereits ein Ermittlungsverfahren (gegen den bekannten Beschuldigten) durchgeführt wird und die Vornahme von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen nicht unaufschiebbar ist, kommt eine teleologische Begrenzung des Art. VII Abs. 3 NTS nicht in Betracht. Dann ist es grundsätzlich Sache des Staates, dem das Vorrecht auf Ausübung der Strafgerichtsbarkeit zukommt, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Dies wird ihm allerdings nicht immer möglich sein. Denn einem Tätigwerden seiner Vollzugsorgane sind rechtliche und faktische Grenzen gesetzt. Dies gilt insbesondere für die Militärbehörden des Entsendestaates. Diese dürfen nach Art. VII Abs. 1 lit. a) NTS im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates zwar strafrechtliche Ermittlungsverfahren und gerichtliche Verhandlungen durchführen, nicht aber grenzenlos strafprozessuale Zwangsmaßnahmen ergreifen und „Polizeigewalt“ ausüben. Vielmehr bestimmt Art. VII Abs. 10 lit. a) NTS, daß ordnungsgemäß aufgestellte militärische Einheiten oder Verbände einer Truppe zwar „die Polizeigewalt in allen Lagern, Anwesen oder anderen Liegenschaften, die sie auf Grund einer Vereinbarung mit dem Entsendestaat innehaben“, haben. Weiter heißt es: „Die Militärpolizei der Truppe kann alle geeigneten Maßnahmen treffen, um die Ordnung und Sicherheit innerhalb dieser Liegenschaften aufrechtzuerhalten.“ Damit ist der Militärpolizei des Entsendestaates auch die Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen auf den Kaser___________ richtsbarkeit des Entsendestaates unterliegt, aber dieser nicht das Vorrecht auf Ausübung der Strafgerichtsbarkeit besitzt. 293 Vgl. zu dieser praktisch besonders relevanten Fallkonstellation OLG Stuttgart, NJW 1974, 1061 (1062) sowie LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 365; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 81a Rn. 35a; KK-StPO-Senge, § 81a Rn. 12; Seitz, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, vor § 59 Rn. 41. 294 Vgl. LG Duisburg, NJW 1965, 643 (644); Marenbach, NJW 1974, 394 (395 f.); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 163.
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nengeländen und sonstigen vom Militär ausschließlich genutzten Grundstücken gestattet.295 Aber außerhalb eines solchen Militärgeländes sind die polizeilichen und strafprozessualen Eingriffsbefugnisse der Militärpolizeien eng begrenzt. Art. VII Abs. 10 lit. b) NTS legt fest: „Außerhalb dieser Liegenschaften darf die Militärpolizei nur nach Maßgabe von Abmachungen mit den Behörden des Aufnahmestaates und in Verbindung mit diesen und nur insofern eingesetzt werden, wie dies zur Aufrechterhaltung der Disziplin und Ordnung unter den Mitgliedern der Truppe erforderlich ist.“
Für die Praxis heißt dies, daß allenfalls gemeinsame Streifen der Polizei des Aufenthaltsstaates mit der Militärpolizei des Entsendestaates gestattet sind und die Militärpolizei auch dann lediglich gegen Mitglieder der eigenen Truppe einschreiten darf. Allerdings wird für die Militärpolizeien der Vertragsstaaten des ZA-NTS die Befugnis zur Ausübung von Zwangsgewalt außerhalb der Liegenschaften geringfügig erweitert. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 ZA-NTS bestimmt: „Die Militärpolizei einer Truppe ist berechtigt, auf öffentlichen Wegen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Gaststätten und an anderen Orten, die der Allgemeinheit zugänglich sind, Streife zu gehen und gegen Mitglieder einer Truppe, eines zivilen Gefolges und gegen Angehörige die zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Disziplin notwendigen Maßnahmen zu treffen. (…).“
Jedoch wird weder ein Vorgehen gegen Personen, die nicht den Streitkräften des Entsendestaates zugerechnet werden können, noch eine Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen außerhalb regulärer Streifengänge von Art. 28 Abs. 1 ZANTS gestattet.296 In aller Regel müssen daher strafprozessuale Zwangsmaßnahmen selbst dann, wenn der Entsendestaat Strafgerichtsbarkeit ausübt, von den zuständigen Strafverfolgungsbehörden des Aufnahmestaates durchgeführt werden. Entsprechend bestimmt Art. VII Abs. 5 lit. a) NTS: „Die Behörden des Aufnahme- und des Entsendestaates unterstützen sich gegenseitig bei der Festnahme von Mitgliedern einer Truppe oder eines zivilen Gefolges oder von deren Angehörigen im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates und bei der Übergabe dieser Personen an die Behörde, die gemäß den obigen Bestimmungen die Gerichtsbarkeit auszuüben hat.“
Weiter heißt es in Art. VII Abs. 6 lit. a) Satz 1 NTS: „Die Behörden des Aufnahme- und des Entsendestaates unterstützen sich gegenseitig bei der Durchführung aller erforderlichen Ermittlungen in Strafsachen sowie bei der Beschaffung von Beweismitteln, einschließlich der Beschlagnahme und geeignetenfalls der
___________ 295 Vgl. Neubauer, AVR 12 (1964/65), 34 (47); Raap, AVR 29 (1991), 53 (80 f.); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 149. Diese Polizeigewalt des Entsendestaates innerhalb seiner eigenen Liegenschaften ist aber keine ausschließliche, so daß die Befugnis der Behörden des Aufnahmestaates zur Ausübung von Hoheitsgewalt innerhalb dieser Liegenschaften nicht tangiert wird. Vgl. hierzu unten § 20 III.5. 296 Vgl. diesbezüglich Raap, AVR 29 (1991), 53 (81); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S.149 f. Siehe ferner Kraatz, DÖV 1990, 382 (384).
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Aushändigung von Gegenständen, die mit einer strafbaren Handlung im Zusammenhang stehen.“
Die diesbezüglichen Kompetenzen der bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden sind etwas versteckt in dem 1994 neu geschaffenen Art. 4a des deutschen Zustimmungsgesetzes zum NTS und ZA-NTS297 sowie in Art. 7 des Gesetzes zu den Notenwechseln vom 25. September 1990 (…), das selbst vom 3. Januar 1994 datiert, geregelt.298 An dieser Stelle soll es ausreichen, auf Art. 4a § 1 des Zustimmungsgesetzes und Art. 7 § 1 des Gesetzes zu den Notenwechseln hinzuweisen, die wortgleich lauten: „Soweit die Behörden des Entsendestaates die Gerichtsbarkeit ausüben, sind die Strafverfolgungsbehörden auf deren Ersuchen befugt, zur Erfüllung der sich aus Artikel VII Abs. 5 Buchstabe a und Abs. 6 Buchstabe c des NATO-Truppenstatuts ergebenden Verpflichtungen den Verfolgten vorläufig festzunehmen und bis zur Übergabe an die Militärbehörde festzuhalten sowie Beschlagnahmen und Durchsuchungen durchzuführen und sonstige zur Erfüllung der Verpflichtungen erforderlichen Ermittlungshandlungen vorzunehmen. Die Bestimmungen der Strafprozeßordnung gelten entsprechend, soweit nachstehend nichts anderes bestimmt ist.“
Aus diesen Regelungen folgt, daß die deutschen Strafverfolgungsbehörden auf Ersuchen des Entsendestaates auch dann strafprozessuale Ermittlungs- und Zwangsmaßnahmen durchführen dürfen, wenn Deutschland nicht das Vorrecht auf Ausübung konkurrierender Strafgerichtsbarkeit zukommt und die Maßnahmen nicht als unaufschiebbar eingestuft werden können. Insofern ist aber stets ein ausdrückliches Ersuchen des Entsendestaates erforderlich. In der Sache können diese Maßnahmen als „Rechtshilfemaßnahmen“ eingestuft werden.299
___________ Zum Zustimmungsgesetz vgl. oben Anm. 126. Art. 4a wurde in das Zustimmungsgesetz eingefügt durch Gesetz vom 28.9.1994, BGBl. 1994 II, S. 2594. Vgl. auch die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 12/6477, S. 8. 298 Gesetz zu den Notenwechseln vom 25. September 1990 und vom 23. September 1991 über die Rechtsstellung der in Deutschland stationierten verbündeten Streitkräfte und zu dem Übereinkommen vom 25. September 1990 zur Regelung bestimmter Fragen in bezug auf Berlin vom 3.1.1994; BGBl. 1994 II, S. 26 (27 f.). Zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.11.1994, BGBl. 1994 II, S. 3714. Vgl. auch die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 12/4021, S. 8. Während sich Art. 4a des Zustimmungsgesetzes auf Maßnahmen in den alten Bundesländern bezieht, gilt Art. 7 des Gesetzes zu den Notenwechseln für Maßnahmen in den neuen Bundesländern und in Berlin. Soweit ein NATO-Staat in seinem eigenen Staatsgebiet Strafgerichtsbarkeit ausübt, ist dies – wie bereits erwähnt – nicht Regelungsgegenstand des NTS. Soweit bei einem solchen Strafverfahren des Entsendestaates Unterstützungsmaßnahmen durch bundesdeutsche Behörden erforderlich sind, etwa in Deutschland eine Verhaftung, Durchsuchung oder Beschlagnahme vorgenommen werden soll, richtet sich die Zulässigkeit und Durchführung solcher echter Rechtshilfemaßnahmen nach den allgemeinen Bestimmungen über die Rechtshilfe in Strafsachen. 299 Vgl. für den „umgekehrten“ Fall, daß die Behörden des Aufnahmestaates vom Entsendestaat die Verhaftung einer Person erbitten, auch den auf die Konstellation des fehlenden Vorrechts auf Ausübung von Strafgerichtsbarkeit entsprechend anwendbaren Art. 20 ZA-NTS. Siehe hierzu unten Anm. 303. 297
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bb) Zum Fall des Fehlens der Strafgerichtsbarkeit Wenn dem Entsende- bzw. Aufnahmestaat gemäß Art. VII Abs. 1 und 2 NTS gar keine Strafgerichtsbarkeit zukommt, also ein Fall der ausschließlichen Gerichtsbarkeit vorliegt, dann hat dieser Staat schon deshalb, weil die Tat nach seinem eigenen materiellen Strafrecht nicht strafbar ist, in aller Regel kein Strafverfolgungsinteresse.300 Deutschland als Aufnahmestaat kann beispielsweise nicht daran interessiert sein, Maßnahmen wegen Taten zu ergreifen, die nur nach dem Recht des Entsendestaates, nicht aber nach deutschem Recht strafbar sind. Dennoch kann es auch in diesen Fällen geboten sein, daß der Staat, dem keine Gerichtsbarkeit zukommt, strafprozessuale Maßnahmen ergreift, nämlich immer dann, wenn der Staat, der Strafgerichtsbarkeit hat, nicht befugt ist, strafprozessuale Zwangmaßnahmen zu ergreifen. Insofern ist die Situation die gleiche wie bei der oben geschilderten Fallkonstellation konkurrierender Gerichtsbarkeit. Ebenso wie im Fall der konkurrierenden Gerichtsbarkeit der nachrangig berechtigte Staat auf Ersuchen des Staates, der vorrangig befugt ist, Gerichtsbarkeit auszuüben, strafprozessuale Zwangsmaßnahmen als „Rechtshilfemaßnahmen“ ergreifen kann, gilt dies im Fall ausschließlicher Gerichtsbarkeit auch für den Staat, der nach Art. VII NTS gar keine Gerichtsbarkeit hat. Art. VII Abs. 5 und 6 NTS sowie die in Art. 7 des oben genannten Gesetzes enthaltenen Regeln betreffend die unterstützende Vornahme von Ermittlungs- und Zwangsmaßnahmen gelten auch bei einer solchen Fallkonstellation.301 Die deutschen Strafverfolgungsbehörden sind also auf Ersuchen des Entsendestaates befugt, auch in Fällen, in denen nur dem Entsendestaat Strafgerichtsbarkeit zukommt, weil die Tat nach deutschem Recht überhaupt nicht strafbar ist (bzw. außerhalb von Deutschland begangen wurde), strafprozessuale Ermittlungs- und Zwangsmaßnahmen zur Unterstützung einer durch den Entsendestaat in Deutschland betriebenen Strafverfolgung nach Maßgabe der oben geschilderten Bestimmungen durchzuführen.302 ___________ 300 Mit einer bereits erläuterten Ausnahme: Nach dem Recht des Aufnahmestaates strafbare Handlungen, die außerhalb des Hoheitsgebiets des Aufnahmestaates begangen wurden, unterliegen während der Zeit des dienstlichen Aufenthalts einer durch das NTS geschützten Person gemäß Art. VII Abs. 1 lit. b) NTS nicht der Gerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates, so daß insofern eine vollständige Exemtion von der Strafgerichtsbarkeit des Aufnahmestaates besteht. Sämtliche Maßnahmen zur Strafverfolgung einschließlich der Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen zur Verfolgung solcher Taten sind dem Aufnahmestaat während der Zeit dieser Exemtion untersagt, es sei denn, es handelt sich um die an dieser Stelle betrachteten Unterstützungsmaßnahmen auf Ersuchen des Entsendestaates. 301 Eine weitere in diesem Zusammenhang relevante Bestimmung enthält Art. 20 ZANTS. Danach sind die Behörden des Entsendestaates in gewissen Grenzen zur Festnahme von Personen, die nicht ihrer Gerichtsbarkeit unterworfen sind, auf Ersuchen des Aufnahmestaates befugt. Vgl. hierzu unten Anm. 303. 302 Auch an dieser Stelle muß aber betont werden, daß solche Maßnahmen nach Art. VII Abs. 5 lit. a) und Abs. 6 lit. a) NTS nur zulässig sind zur Unterstützung eines vom Entsen-
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Art. 20 ZA-NTS bestimmt darüber hinaus, daß die Militärbehörden des Entsendestaates bei Gefahr im Verzug auch ohne Vorliegen eines Ersuchens des Aufnahmestaates Personen vorläufig festnehmen dürfen, die nicht der Strafgerichtsbarkeit des Entsendestaates unterliegen. Diese Vorschrift hat vor allem Taten im Blick, die zwar nach dem Recht des Entsendestaates nicht strafbar, aber gegen Angehörige oder Einrichtungen der Streitkräfte des Entsendestaates gerichtet sind.303 5. Sonstige exemtionsrelevante Bestimmungen des NTS und der Zusatzvereinbarungen Das NTS und das ZA-NTS enthalten neben den bereits erläuterten Normen, die die Jurisdiktionskompetenz betreffen, noch etliche Bestimmungen, die demjenigen Staat, der Strafgerichtsbarkeit über Mitglieder einer Truppe oder eines zivilen Gefolges sowie deren Angehörige im Gebiet des Aufnahmestaates ausübt, Vorgaben ___________ destaat im Gebiet des Aufnahmestaates durchgeführten Strafverfahrens. Wenn der Entsendestaat dagegen in seinem eigenen Staatsgebiet ein Strafverfahren durchführt, und sei es auch wegen einer Tat, die ein Mitglied seiner Streitkräfte während eines dienstlichen Aufenthalts in dem anderen Staat begangen hat, so ist dies nicht Regelungsgegenstand des NTS. Wenn für ein solches Strafverfahren deutsche Unterstützungsmaßnahmen durchgeführt werden sollen, handelt es sich um echte Rechtshilfemaßnahmen, die sich allein nach den Bestimmungen über die Rechtshilfe in Strafsachen richten. 303 Art. 20 ZA-NTS – dessen Geltung auf die Vertragsparteien des ZA-NTS beschränkt ist – lautet, soweit hier von Interesse: „(1) Die Militärbehörden eines Entsendestaates können eine Person, die nicht ihrer Gerichtsbarkeit unterworfen ist, auch ohne Haftbefehl vorläufig festnehmen, (a) wenn diese Person auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird und (i) ihre Persönlichkeit nicht sofort festgestellt werden kann oder (ii) Fluchtverdacht besteht; (b) wenn eine deutsche Behörde um die Festnahme ersucht (…). (2) Ist Gefahr im Verzuge und eine deutsche Staatsanwaltschaft oder ein deutscher Polizeibeamter nicht rechtzeitig erreichbar, so können die Militärbehörden des Entsendestaates eine Person, die nicht ihrer Gerichtsbarkeit unterworfen ist, ohne Haftbefehl vorläufig festnehmen, wenn dringender Verdacht besteht, daß diese Person innerhalb einer Anlage des Entsendestaates oder gegen eine solche eine strafbare Handlung begangen hat (…). Dies gilt nur, wenn die Person flüchtig ist oder sich verborgen hält oder die begründete Befürchtung besteht, daß sie sich einem Strafverfahren (…) entziehen will.“ Festzuhalten ist zum einen, daß Art. 20 Abs. 1 lit. a) ZA-NTS nur das „Jedermann-Recht“ des § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO wiederholt und schon Art. VII Abs. 10 lit. a) NTS den Behörden des Entsendestaates umfassend Polizeigewalt und damit auch Festhaltebefugnisse innerhalb der militärischen Liegenschaften des Entsendestaates verleiht. Eigenständige Bedeutung hat Art. 20 ZA-NTS jedoch insofern, als diese Norm den Behörden des Entsendestaates Festnahmebefugnisse auch außerhalb der militärischen Liegenschaften verleiht, die nach Art. VII Abs. 10 lit. b) NTS an sich nicht gegeben sind. Zum anderen ist festzuhalten, daß Art. 20 ZA-NTS auf Personen, die der Strafgerichtsbarkeit des Entsendestaates unterliegen und die sich außerhalb der Liegenschaften des Entsendestaates aufhalten, analog angewandt werden kann. Denn ansonsten hätten die Entsendestaaten gegenüber Personen, die nicht ihrer Strafgerichtsbarkeit unterliegen, weitergehende Rechte als gegenüber Personen, zu deren Strafverfolgung im Hoheitsgebiet des Aufenthaltsstaates sie nach Art. VII NTS befugt sind. Insofern liegt eine unbeabsichtigte Regelungslücke vor. Vgl. auch Rumpf, Recht der Truppenstationierung, S. 26; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 150 f., 170 ff.
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hinsichtlich der Verfahrensgestaltung machen, also die Art und Weise der Ausübung von Strafgerichtsbarkeit betreffen.304 Auf diese Bestimmungen soll an dieser Stelle aber nicht eingegangen werden. Im vorliegenden Zusammenhang sind jedoch noch diejenigen Normen von Interesse, die sachbezogene Exemtionen festlegen oder jedenfalls auf den ersten Blick festzulegen scheinen. Es geht um Vorschriften, die – wenn man die Terminologie des Diplomaten- und Konsularrechts verwendet – (möglicherweise) sachbezogene Unverletzlichkeitsregelungen enthalten. Ebenso wie die Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen sowie zum Teil auch private Wohnungen und Vermögensgegenstände von Diplomaten unverletzlich sind mit der Folge, daß sie selbst nicht Gegenstand strafprozessualer Zwangsmaßnahmen sein dürfen und in ihnen solche nicht vorgenommen werden dürfen,305 enthält auch das ZA-NTS Bestimmungen, die eine Unverletzlichkeit festlegen. Auf den ersten Blick könnte man meinen, die von den Streitkräften im Gebiet des Aufnahmestaates genutzten Räumlichkeiten und Grundstücke seien nach Art. VII Abs. 10 lit. a) NTS unverletzlich, dürften also von den Strafverfolgungsbehörden des Aufnahmestaates nicht betreten werden, so daß eine Vornahme strafprozessualer Zwangsmaßnahmen durch diese dort ausscheidet. Denn Art. VII Abs. 10 lit. a) NTS legt – wie bereits erwähnt – fest, daß militärische Einheiten oder Verbände einer Truppe „die Polizeigewalt in allen Lagern, Anwesen oder anderen Liegenschaften, die sie auf Grund einer Vereinbarung mit dem Entsendestaat innehaben“, haben und die Militärpolizei der Truppe alle geeigneten Maßnahmen treffen darf, um die Ordnung und Sicherheit innerhalb dieser Liegenschaften aufrechtzuerhalten. Doch beschränkt sich diese Norm darauf, den Behörden des Entsendestaates im Gebiet des Aufnahmestaates die Ausübung von Hoheitsgewalt zu erlauben. Aus ihr kann nicht im Umkehrschluß gefolgert werden, daß damit den Behörden des Auf___________ 304 Vgl. z.B. Art. VII Abs. 7 lit. a) NTS (Verbot der Vollstreckung von Todesstrafen im Aufnahmestaat, wenn dieser keine Todesstrafe kennt), Art. VII Abs. 9 NTS (u.a. Recht auf Durchführung eines zügigen Verfahrens [vgl. BGHSt 21, 81 = NJW 1966, 2023; OLG Karlsruhe, NZWehrr 1993, 125; OLG Stuttgart, NJW 1967, 508; Schwenk, JZ 1976, 581 (582)]; Recht, einem Belastungszeugen gegenübergestellt zu werden [vgl. BGHSt 26, 18 = NJW 1975, 505; Marenbach, NJW 1974, 1070 (1071 ff.)]; Recht auf einen Verteidiger eigener Wahl und einen Dolmetscher [vgl. OLG Stuttgart, NJW 1967, 508]); Art. 22 ZANTS (Recht des Entsendestaates, bei Anordnung von Untersuchungshaft gegen Angehörige ihrer Streitkräfte den Gewahrsam auszuüben, auch wenn der Aufnahmestaat Strafgerichtsbarkeit ausübt [vgl. OLG Frankfurt, NJW 1973, 2218; OLG Koblenz, NJW 1974, 2193; OLG Zweibrücken, NJW 1975, 2150; Marenbach, NJW 1978, 2434 (2434 f.); Schwenk, JZ 1976, 581 (582)]); Art. 38 ZA-NTS (Vorschriften zum Geheimnisschutz). Siehe allgemein zu diesen Vorgaben hinsichtlich der Verfahrensgestaltung Lazareff, Status of Military Forces, S. 208 ff.; Schwenk, NJW 1963, 1425 (1429 f.); Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 155. 305 Vgl. Art. 22 Abs. 1 und 3, Art. 30 WÜD, Art. 31 WÜK sowie die Ausführungen oben bei § 16 III.
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nahmestaates Beschränkungen auferlegt werden. Eine Unverletzlichkeit von Räumlichkeiten und Grundstücken legt Art. VII Abs. 10 lit. a) NTS nicht fest.306 Dies ergibt sich auch aus dem seit 1998 geltenden neuen Art. 28 Abs. „principium“ ZA-NTS,307 der lautet: „(…) unbeschadet der Bestimmungen des Artikels VII Absatz (10) Buchstabe (a) des NATO-Truppenstatuts ist die deutsche Polizei berechtigt, ihre Aufgaben innerhalb der einer Truppe oder einem zivilen Gefolge zur ausschließlichen Nutzung überlassenen Liegenschaften in dem Maße wahrzunehmen, in dem die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet oder verletzt ist. Soll eine Strafverfolgungsmaßnahme innerhalb einer solchen Liegenschaft vollzogen werden, so kann auch der Entsendestaat im Benehmen mit den deutschen Behörden hinsichtlich der Modalitäten diese Maßnahme durch seine eigene Polizei durchführen lassen. (…).“
Aus Satz 2 des Art. 28 Abs. „principium“ ZA-NTS geht eindeutig hervor, daß auch Strafverfolgungsmaßnahmen zu den von Satz 1 gestatteten Aktivitäten gehören. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden dürfen also innerhalb der einer Truppe oder einem zivilen Gefolge zur ausschließlichen Nutzung überlassenen Liegenschaften, namentlich in Kasernenanlagen der fremden Streitkräfte, strafprozessuale Zwangsmaßnahmen durchführen; eine Unverletzlichkeit besteht insofern nicht.308 Dagegen legt Art. 40 ZA-NTS ausdrücklich eine sachbezogene Unverletzlichkeit fest: „Vorbehaltlich entgegenstehender Bestimmungen im NATO-Truppenstatut oder in diesem Abkommen unterliegen Archive, Dokumente, als solche erkennbare Dienstpostsendungen und Eigentum einer Truppe nicht der Durchsuchung, Beschlagnahme oder Zensur durch die deutschen Behörden, sofern auf die Immunität nicht verzichtet wird.“
Unproblematisch ist diese Festlegung von Unverletzlichkeit insofern, als sie sich auf Archive und Dokumente einer Truppe bezieht. Diese dürfen nicht zum Gegenstand deutscher strafprozessualer Zwangsmaßnahmen gemacht werden, eine Durchsuchung und Beschlagnahme wird ausdrücklich untersagt. Ebenso wie im Diplomaten- und Konsularrecht, das auch eine Unverletzlichkeit von Archiven und Dokumenten kennt (vgl. Art. 24 WÜD, Art. 33 WÜK), ist die Unverletzlichkeit nicht auf papierne Dokumente und Archivalien beschränkt; vielmehr werden auch ___________ 306 Kraus-Massé, NJW 2002, 116 (117); Lazareff, Status of Military Forces, S. 251, 253 f.; Witzsch, Strafgerichtsbarkeit über die Mitglieder der U.S.-Streitkräfte, S. 151 ff. Diese Ansicht ist allerdings nicht unbestritten. Vgl. die Ausführungen bei Witzsch, a.a.O. 307 Die besondere Absatzzählung (principium, 1, 2) und der Absatz „principium“ wurden durch ein Änderungsabkommen vom 18.3.1993 eingeführt; vgl. BGBl. 1994 II, S. 2598 (2605). Diese Änderung des ZA-NTS ist am 29.3.1998 in Kraft getreten; vgl. BGBl. 1998 II, S. 1691. 308 Vgl. Kraus-Massé, NJW 2002, 116 (117); Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (414). Vgl. ferner Art. 53 Abs. 3 ZA-NTS. Siehe in diesem Zusammenhang aber auch den Art. 53 ZANTS in Bezug nehmenden Abschnitt des Unterzeichnungsprotokolls zum ZA-NTS, Abs. 4bis, i.d.F. vom 18.3.1993; BGBl. 1994 II, S. 2598 (2615), wo die Modalitäten des Zutritts deutscher Behörden zu den militärischen Anlagen näher geregelt sind. Danach ist grundsätzlich eine vorherige Anmeldung erforderlich, doch entfällt die Anmeldepflicht in Eilfällen und bei Gefahr im Verzug.
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elektronisch gespeicherte Daten mitsamt den Datenträgern (Computerfestplatten, CD-ROMs) geschützt.309 Schwieriger zu beurteilen ist die Reichweite der auf das „Eigentum“ einer Truppe bezogenen Unverletzlichkeit. Zunächst einmal ist die deutsche (gemäß Art. 83 Abs. 3 S. 3 ZA-NTS verbindliche) Sprachfassung offenbar deutlich enger als die in gleicher Weise verbindliche englische Fassung, in der von “property” die Rede ist. Der Begriff “property” wird auch im Zusammenhang mit den Exemtionen des Diplomaten- und Konsularrechts verwendet. Doch wird er dort – siehe etwa Art. 22 Abs. 3, Art. 30 Abs. 2 WÜD – wie auch aus der – allerdings völkerrechtlich nicht verbindlichen – deutschen Sprachfassung hervorgeht („Gegenstände“, „Vermögen“), nicht auf Eigentum im deutschen zivilrechtlichen Sinne begrenzt, sondern erfaßt er dort auch die lediglich im (berechtigten) Besitz einer geschützten Person befindlichen Gegenstände.310 Entsprechendes muß auch für Art. 40 ZA-NTS gelten. Wenn dort von „Eigentum“ die Rede ist, so darf dieser Begriff also nicht im Sinne des § 903 BGB verstanden werden. Unverletzlichkeit genießen vielmehr alle im berechtigten Besitz einer Truppe befindlichen Gegenstände. Militärfahrzeuge, Waffen und sonstige Besitztümer der Truppe dürfen also nicht zum Gegenstand deutscher strafprozessualer Zwangsmaßnahmen gemacht werden. Allerdings gilt die Unverletzlichkeit des Art. 40 ZA-NTS nur „vorbehaltlich entgegenstehender Bestimmungen“. Deshalb hat Art. 28 Abs. „principium“ Vorrang. Die Liegenschaften (Grundstücke, Räumlichkeiten), die von einer Truppe genutzt werden, sind mithin – wie geschildert – nicht unverletzlich. Auch in diesem Zusammenhang darf nicht außer Betracht bleiben, daß Art. 40 ZA-NTS nur im Verhältnis zu den Truppen der NATO-Staaten gilt, die Vertragsparteien des ZA-NTS sind, also im Verhältnis zu den USA, Großbritannien, Frankreich, Kanada, Belgien und den Niederlanden. 6. Bewertung der Exemtionen nach dem NTS und den Zusatzvereinbarungen In den 40 Jahren ihrer Verbindlichkeit für Deutschland haben sich die strafrechtlichen Regelungen des NTS und der Zusatzvereinbarungen auch aus deutscher Perspektive bewährt. Sie führen zu einer völkerrechts- und kriminalpolitisch zufriedenstellenden Abgrenzung der strafrechtlichen Jurisdiktionskompetenzen zwischen dem Entsende- und dem Aufenthaltsstaat. Indem den Angehörigen der Streitkräfte keine Immunität für alle oder bestimmte Taten von der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates eingeräumt wird, sondern diesem Strafgerichtsbarkeit in bezug auf alle nach seinem Recht strafbaren und in seinem Hoheitsgebiet begangenen ___________ Vgl. hinsichtlich der entsprechenden Regeln des Diplomaten- und Konsularrechts die Ausführungen oben bei § 16 III.3. Die dortigen Ausführungen gelten mutatis mutandis auch für die Unverletzlichkeit nach Art. 40 ZA-NTS. 310 Vgl. die Ausführungen oben bei § 16 III.2. 309
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Taten zukommt, wird dem Interesse des Aufenthaltsstaates an der Wahrung seiner Territorialhoheit Rechnung getragen. Die Interessen des Entsendestaates werden dadurch hinreichend berücksichtigt, daß auch ihm die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit in großem Umfang im Gebiet des Aufenthaltsstaates gestattet wird und ihm nach dem NTS das Vorrecht auf Ausübung von Strafgerichtsbarkeit bei inter seTaten und bei als Diensthandlungen zu klassifizierenden Taten zukommt. Die Festlegung von konkurrierender Strafgerichtsbarkeit und die differenzierte Aufteilung des Vorrechts auf Ausübung der konkurrierenden Strafgerichtsbarkeit ist weitaus besser als die Vereinbarung bestimmter Immunitäten geeignet, die konfligierenden Interessen von Entsende- und Aufenthaltsstaat in einen für beide Seiten akzeptablen Ausgleich zu bringen. An dieser positiven Bewertung ändert auch die Tatsache nichts, daß Deutschland gegenüber den USA, Großbritannien, Belgien, Kanada und den Niederlanden pauschal auf das Vorrecht auf Ausübung der konkurrierenden Strafgerichtsbarkeit verzichtet hat. Denn mit der im Ermessen der deutschen Strafverfolgungsbehörden liegenden Möglichkeit, diesen Pauschalverzicht im Einzelfall wieder zurückzunehmen, ist sichergestellt, daß Deutschland in den Fällen, in denen ein besonderes Interesse an einer Ausübung gerade deutscher Strafgerichtsbarkeit besteht, zur Durchführung einer Strafverfolgung berechtigt ist. Eine inakzeptable Benachteiligung Deutschlands gegenüber anderen NATO-Staaten existiert also nicht. Erforderlich ist aber, den Verzicht auf das Vorrecht auf Ausübung von Strafgerichtsbarkeit restriktiv zu interpretieren. So wurde aufgezeigt, daß der Verzicht sich lediglich auf das Vorrecht, nicht auf die Gerichtsbarkeit als solche bezieht. Damit bleibt sichergestellt, daß Deutschland immer dann, wenn der betreffende Entsendestaat eine eigene Strafverfolgung unterläßt, einen deutschen Strafanspruch durchsetzen kann, und zwar auch dann, wenn eine fristgerechte Rücknahme des Verzichts nicht erfolgt ist. Geboten ist ferner ein restriktives Verständnis der in Art. VII Abs. 8 NTS normierten ne bis in idem-Regel. Maßnahmen eines Entsendestaates, die lediglich pro forma durchgeführt werden und nicht dazu dienen sollen, strafrechtlich relevantes Fehlverhalten zu sanktionieren, dürfen den nachrangig berechtigten Staat nicht an einer eigenen Strafverfolgung hindern. Sofern die Bestimmungen des Art. VII NTS in diesem Sinne angewandt werden, wird deutschen Strafverfolgungsinteressen in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Zwar ist das NTS zugeschnitten auf die Situation einer ständigen Stationierung von Streitkräften eines Staates im Gebiet eines anderen Staates. Die Anwendung der strafrechtlich relevanten Regelungen des NTS führt dann zu unbefriedigenden Ergebnissen, wenn sich Streitkräfte eines Staates nur für kurze Zeit in einem anderen Staat aufhalten. Da aber das NTS den Abschluß modifizierender Zusatzvereinbarungen gestattet, ist es hinreichend flexibel, um auch solchen Fallgestaltungen gerecht zu werden. Die – oben in § 20 III.4.f) skizzierten – zwischen Deutschland und anderen NATO-Staaten in jüngster Zeit für den Fall eines lediglich kurzzeiti-
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gen Aufenthalts fremder Streitkräfte in Deutschland getroffenen Vereinbarungen bestätigen dies.
IV. Exemtionen von deutscher Strafgerichtsbarkeit nach dem PfP-Truppenstatut und dem Streitkräfteaufenthaltsgesetz 1. Exemtionen nach dem PfP-Truppenstatut Die Rechtsstellung der Mitglieder der Streitkräfte von Staaten, die zwar nicht NATO-Mitglieder bzw. nicht Vertragsstaaten des NTS sind, wohl aber Mitglieder des Programms “Partnership for Peace”, bestimmt sich bei einem dienstlichen Aufenthalt in Deutschland311 oder in einem anderen PfP- oder NATO-Staat nach dem PfP-Truppenstatut vom 19. Juni 1995.312 Das PfP-Truppenstatut enthält keine eigenständigen Regelungen über die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit, sondern erklärt in Art. I pauschal die Bestimmungen des NTS für anwendbar: „Soweit in diesem Übereinkommen und in einem etwaigen Zusatzprotokoll in bezug auf dessen Vertragsparteien nichts anderes bestimmt ist, wenden alle Vertragsstaaten dieses Übereinkommens die Bestimmungen des am 19. Juni 1951 in London beschlossenen Abkommens zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen, im folgenden als NATO-Truppenstatut bezeichnet, so an, als seien alle Vertragsstaaten dieses Übereinkommens Vertragsparteien des NATO-Truppenstatuts.“
Das PfP-Truppenstatut erweitert dadurch de facto den Geltungsbereich des NTS auf die Streitkräfte der PfP-Staaten. Insofern reicht es an dieser Stelle, auf die oben bei § 20 III. dargestellten Regelungen des NTS zu verweisen.313 Allerdings schließt das PfP-Truppenstatut ebenso wie das NTS ergänzende Sondervereinbarungen zwischen einzelnen Staaten nicht aus.314 Dementsprechend ent___________ Der räumliche Geltungsbereich des PfP-Truppenstatuts umfaßt das gesamte Bundesgebiet einschließlich der neuen Bundesländer und Berlin; vgl. Fleck, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 362. 312 Vgl. oben Anm. 162. Siehe auch Fleck, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 362 f. 313 Wobei darauf hinzuweisen ist, daß für die Streitkräfte der PfP-Staaten bei einem Aufenthalt in Deutschland das ZA-NTS nicht einschlägig ist. 314 In Abs. 4 der Präambel des PfP-Truppenstatuts heißt es: „eingedenk dessen, daß die Beschlüsse zur Entsendung und Aufnahme von Truppen auch weiterhin Gegenstand von Sondervereinbarungen zwischen den betroffenen Vertragsstaaten sein werden“. Zudem legt Art. IV fest: „Dieses Übereinkommen kann in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht ergänzt oder anderweitig modifiziert werden.“ Diese Klausel ist so zu verstehen, daß abweichende bilaterale Vereinbarungen unabhängig davon zulässig sind, ob sie eine Besseroder Schlechterstellung eines Vertragspartners bewirken. Vgl. Fleck, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 362. 311
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hält Art. 3 des deutschen Zustimmungsgesetzes vom 9. Juli 1998315 eine an die Bundesregierung gerichtete Ermächtigung, mit einzelnen Vertragsstaaten des PfPTruppenstatuts bilaterale Vereinbarungen über die Rechtsstellung der Streitkräfte und ihrer Angehörigen, ihres zivilen Gefolges und der Familienangehörigen bei Aufenthalten im Gebiet der Bundesrepublik zu schließen, die abweichend von dem durch Art. I PfP-Truppenstatut für anwendbar erklärten Art. VII NTS festlegen, daß die Militärbehörden des Entsendestaates in der Bundesrepublik keine Strafgewalt ausüben. Solche bilateralen Vereinbarungen können nach Art. 3 des Zustimmungsgesetzes aber zugunsten des Entsendestaates vorsehen, daß Deutschland von der Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit über die dienstlich in Deutschland weilenden Mitglieder fremder Streitkräfte absieht, es sei denn, daß wesentliche Belange der deutschen Rechtspflege die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit erfordern.316 Weiter ermächtigt Art. 3 des Zustimmungsgesetzes die Bundesregierung, solche völkerrechtlichen Vereinbarungen innerstaatlich durch Erlaß einer Rechtsverordnung im Sinne des Art. 80 Abs. 1 GG in Kraft zu setzen.317 Der Abschluß einer solchen Vereinbarung und der Erlaß einer solchen Rechtsverordnung haben zur Konsequenz, daß die Bundesrepublik über die in Deutschland befindlichen Streitkräfte des betreffenden PfP-Staates die ausschließliche Strafgerichtsbarkeit ausübt, wenngleich die durch Art. VII Abs. 1 lit. b) NTS festgelegten Beschränkungen auch in diesem Fall gelten, also lediglich eine Strafverfolgung wegen innerhalb Deutschlands begangener Taten statthaft ist, und die deutschen Strafverfolgungsbehörden nur dann eine Strafverfolgung betreiben dürfen, wenn wesentliche Belange der deutschen Rechtspflege eine Strafverfolgung gebieten. Eine das PfP-Truppenstatut ergänzende bzw. modifizierende Vereinbarung hat die Bundesrepublik am 23. August 2000 mit der Republik Polen geschlossen.318 ___________ Gesetz zu dem Übereinkommen vom 19.6.1995 zwischen den Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrags und den anderen an der Partnerschaft für den Frieden teilnehmenden Staaten über die Rechtsstellung ihrer Truppen sowie dem Zusatzprotokoll (Gesetz zum PfP-Truppenstatut); BGBl. 1998 II, S. 1338. 316 Sofern eine Zusatzvereinbarung i.S.d. Art. 3 des deutschen Zustimmungsgesetzes geschlossen wird, entspricht die Rechtsstellung der Mitglieder der Streitkräfte des betreffenden PfP-Staates hinsichtlich der Strafverfolgungskompetenzen derjenigen, die für die Mitglieder der NATO-Staaten, die mit der Bundesrepublik die in § 20 III.4.f) skizzierten Vereinbarungen geschlossen haben, gilt, bzw. für die Mitglieder der Streitkräfte sonstiger Staaten nach dem unten zu skizzierenden Streitkräfteaufenthaltsgesetz gelten würde. 317 Zur verfassungsrechtlichen Einordnung dieser Ermächtigungen vgl. die Ausführungen im Zusammenhang mit dem insofern vergleichbaren Streitkräfteaufenthaltsgesetz unten bei § 20 IV.2. 318 Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über den vorübergehenden Aufenthalt von Mitgliedern der Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen auf dem Gebiet des jeweils anderen Staates vom 23.8.2000; BGBl. 2001 II, S. 179. Zwar war Polen zum Zeitpunkt des Abschlusses 315
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Diese Vereinbarung wurde durch Rechtsverordnung vom 14. Februar 2001 innerstaatlich umgesetzt.319 Sie legt in Art. 6 unter anderem fest: „(1) Soweit dem Aufnahmestaat ausschließliche Strafgerichtsbarkeit oder das Vorrecht auf Ausübung der Strafgerichtsbarkeit zustehen, wird er von der Ausübung der Gerichtsbarkeit gegenüber Mitgliedern der Streitkräfte des Entsendestaats absehen, es sei denn, dass wesentliche Belange der Rechtspflege des Aufnahmestaats die Ausübung erfordern. Wesentliche Belange der Rechtspflege können die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit insbesondere bei folgenden Straftaten erfordern: Straftaten, durch die der Tod eines Menschen verursacht wird, Raub und Vergewaltigung, soweit sich diese Straftaten nicht gegen ein Mitglied der Streitkräfte des Entsendestaats richten, sowie strafbare Handlungen von erheblicher Bedeutung gegen die Sicherheitsinteressen des Aufnahmestaats sowie die Vorbereitung, der Versuch solcher Straftaten und die Teilnahme an ihnen, soweit diese Handlungen nach dem Recht des Aufnahmestaats strafbar sind. (…). (2) Gerichte und Behörden des Entsendestaats üben im Aufnahmestaat keine Strafgerichtsbarkeit aus. (4) Die Gerichte und Behörden des Aufnahmestaats sind im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und Befugnisse berechtigt, Zwangsmaßnahmen gegenüber Mitgliedern der Streitkräfte des Entsendestaats während ihres Aufenthalts im Aufnahmestaat anzuordnen und durchzuführen.“
2. Exemtionen nach dem Streitkräfteaufenthaltsgesetz Sofern sich Streitkräfte eines Staates, der weder NATO-Staat noch PfP-Staat ist, mit Zustimmung der Bundesrepublik in Deutschland befinden, zum Beispiel im Zuge eines gemeinsamen Manövers, so ist für die Rechtsstellung dieser Streitkräfte und ihrer Angehörigen das (nationale) Streitkräfteaufenthaltsgesetz vom 20. Juli 1995 (SkAufG)320 maßgeblich.321
___________ dieser Vereinbarung bereits NATO-Mitglied, doch hat Polen das NTS noch nicht ratifiziert. Daher gilt im Verhältnis zwischen Polen und Deutschland das PfP-Truppenstatut. 319 BGBl. 2001 II, S. 178. 320 Vgl. oben Anm. 164. Allgemein zum SkAufG Fleck, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 360 f.; Heth, NZWehrr 1996, 1 (4 ff.). 321 Die Regelungen des NTS und ZA-NTS sowie des PfP-Truppenstatuts sind vorrangig. Vgl. die Gesetzesbegründung der Bundesregierung; BT-Drucks. 13/730, S. 9 (9) und Fleck, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 361. Art. 4 SkAufG bestimmt zudem ausdrücklich, daß das Gesetz keine Anwendung findet auf Militärattachés und andere Militärpersonen mit diplomatischem oder konsularischem Status. Die Rechtsstellung dieser Personen bestimmt sich ausschließlich nach dem WÜD bzw. WÜK. Vgl. diesbezüglich auch oben Anm. 168. Das SkAufG enthält im übrigen nicht nur Vorgaben für das ius in praesentia, sondern ermächtigt auch die Bundesregierung, ohne parlamentarische Zustimmung fremden Streitkräften die Befugnis zum vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland (also ein ius ad praesentiam) einzuräumen. Vgl. diesbezüglich die Ausführungen oben in Anm. 161.
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a) Konzeption des Streitkräfteaufenthaltsgesetzes Das SkAufG enthält keine unmittelbar anwendbaren Regelungen bezüglich der Ausübung von Strafgerichtsbarkeit über die Angehörigen fremder Streitkräfte. Es handelt sich bei dem SkAufG lediglich um ein Gesetz, das die Bundesregierung ermächtigt, mit anderen Staaten geschlossenen völkerrechtlichen Vereinbarungen über den Aufenthalt und die Rechtsstellung ihrer Streitkräfte und der Mitglieder der Streitkräfte bei einem Aufenthalt in Deutschland innerstaatlich im Wege des Erlasses einer Rechtsverordnung unmittelbare Rechtswirksamkeit zu verschaffen.322 Art. 1 SkAufG lautet: „(1) Die Bundesregierung wird ermächtigt, Vereinbarungen mit ausländischen Staaten über Einreise und vorübergehenden Aufenthalt ihrer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland für Übungen, Durchreise auf dem Landwege und Ausbildung von Einheiten durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates in Kraft zu setzen. (2) Vereinbarungen dürfen nur mit solchen Staaten geschlossen werden, die auch der Bundeswehr den Aufenthalt in ihrem Hoheitsgebiet gestatten. (…).“
Diese Regelung weicht deutlich von dem oben in § 2 IV.2. skizzierten „normalen“ Verfahren der innerstaatlichen Umsetzung völkerrechtlicher Vereinbarungen ab. Im Hinblick auf völkerrechtliche Vereinbarungen über die Rechtsstellung fremder Streitkräfte bei einem einvernehmlichen Aufenthalt in Deutschland wäre der „normale“ Weg der, daß die Bundesregierung eine solche Vereinbarung unterzeichnet, der Bundesgesetzgeber dieser durch ein Bundesgesetz zustimmt, anschließend der Bundespräsident den Vertrag ratifiziert und die Regelungen des Vertrags als Bestandteil des deutschen Zustimmungsgesetzes in der Bundesrepublik unmittelbare Rechtswirksamkeit wie jedes Bundesgesetz erlangen. Dieser Weg erschien dem Gesetzgeber im Fall des vorübergehenden Aufenthalts fremder Streitkräfte aber als zu kompliziert und zu langwierig.323 Daher enthält das SkAufG die an die Bundesregierung gerichtete Ermächtigung, eine geschlossene völkerrechtliche Vereinbarung durch eine Rechtsverordnung unmittelbar innerstaatlich umzusetzen. Es entfällt also das bundesdeutsche Zustimmungsgesetz. Zudem kann die Bundesregierung direkt die völkerrechtlich verbindliche Zustimmung abgeben, durch den Vertrag gebunden zu sein; anstelle eines zweistufigen Verfahrens des Vertragsabschlusses findet lediglich ein einstufiges Verfahren statt.324 Es ist allerdings schwierig, diesen Weg mit Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zu vereinbaren, der ausdrücklich ein bundesdeutsches Zustimmungsgesetz verlangt. Verfassungskonform ist dieser Weg nur, wenn man das SkAufG als antizipiertes Zustimmungsgesetz zu einem noch zu schließenden völkerrechtlichen Vertrag inter___________ Vgl. Fleck, ZaöRV 56 (1996), 389 (396 f.); Heth, NZWehrr 1996, 1 (4). Vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 13/730, S. 9 f. 324 Vgl. allgemein zu dieser Form der innerstaatlichen Umsetzung völkerrechtlicher Exemtionsvereinbarungen schon oben § 2 IV.2.; § 19 I.2.d)cc) und 2.e). 322 323
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pretiert.325 Ein solches antizipiertes Zustimmungsgesetz kann aber nur dann als mit Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar angesehen werden, wenn in diesem Gesetz genau bestimmt ist, welchen Regelungsgehalt die völkerrechtlichen Vereinbarungen haben dürfen, denen antizipiert zugestimmt wird.326 Ansonsten würde die Legislative in mit dem Grundgesetz unvereinbarer Weise eine ihr allein zustehende Kompetenz an die Exekutive delegieren. Die Zustimmung steht zudem unter dem Vorbehalt, daß die völkerrechtliche Vereinbarung sich im Rahmen der genau definierten inhaltlichen Vorgaben des Zustimmungsgesetzes hält.327 Das antizipierte Zustimmungsgesetz kann aber nicht, wie dies bei „normalen“ Zustimmungsgesetzen der Fall ist, der völkerrechtlichen Vereinbarung unmittelbare innerstaatliche Rechtswirksamkeit verleihen, schließlich bezieht sich das Gesetz auf noch nicht existente Verträge. Insofern mußte der Weg gewählt werden, in dem antizipierten Zustimmungsgesetz zugleich die Bundesregierung zu ermächtigen, im Wege des Erlasses einer Rechtsverordnung die Bestimmungen der völkerrechtlichen Vereinbarung eigenständig innerstaatlich verbindlich und damit auch für die Gerichte beachtlich zu machen. Da Art. 80 Abs. 1 GG bestimmt, daß ein zum Erlaß einer Rechtsverordnung ermächtigendes Gesetz Inhalt und Ausmaß der Ermächtigung genau zu bestimmen hat, mußte auch aus diesem Grunde im SkAufG detailliert geregelt werden, welche Regeln die durch eine Rechtsverordnung in Kraft zu setzende völkerrechtliche Vereinbarung (und damit auch die Rechtsverordnung selbst) beinhalten darf.328
___________ Vgl. Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 59 Rn. 42a. Kritisch gegenüber dieser Staatspraxis Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 59 Rn. 1b. 326 Mit dem Hinweis, das SkAufG enthalte hinreichend detaillierte Regelungsvorgaben, hielten die Bundesregierung und der Gesetzgeber den beschrittenen Weg für mit Art. 59 Abs. 2 GG vereinbar. Siehe die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 13/730, S. 10. 327 Bedenklich ist auch, daß die Vertragsabschlußkompetenz bei der Bundesregierung liegt und nicht – wie Art. 59 Abs. 1 Satz 2 GG vorsieht – beim Bundespräsidenten. Es hat sich allerdings mittlerweile eingebürgert, daß bei Verwaltungsabkommen (vgl. Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG) die Erklärung, durch einen Vertrag gebunden zu sein, also die verbindliche Vertragsabschlußerklärung, von der Regierung abgegeben wird. Doch ist die Verfassungsmäßigkeit dieser Praxis schon bei Verwaltungsabkommen umstritten; vgl. Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 139, 190. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die aufgrund eines antizipierten Zustimmungsgesetzes keiner besonderen bundesgesetzlichen Zustimmung bedürfen und daher wie Verwaltungsabkommen im einstufigen Verfahren geschlossen werden, gewinnen die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit noch an Gewicht, weil es in der Sache um zustimmungspflichtige völkerrechtliche Verträge geht, und diese gemäß Art. 59 Abs. 1 Satz 2 GG vom Bundespräsidenten zu ratifizieren sind. 328 Vgl. zu diesem Aspekt Heth, NZWehrr 1996, 1 (5). 325
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b) Der strafrechtlich relevante Regelungsgehalt der nach Maßgabe des Streitkräfteaufenthaltsgesetzes zu treffenden Vereinbarungen Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechend enthält Art. 2 SkAufG, der aus mehreren Paragraphen besteht, detaillierte Bestimmungen dahingehend, welche Regelungen in eine völkerrechtliche Vereinbarung und eine diese umsetzende (und für die Strafverfolgungsbehörden verbindliche) Rechtsverordnung aufgenommen werden dürfen. Art. 2 SkAufG beginnt mit den Worten „In die Vereinbarungen werden, soweit nach ihrem Gegenstand und Zweck erforderlich, Regelungen mit folgendem Inhalt aufgenommen.“ Für die Frage der Strafgerichtsbarkeit ist Art. 2 § 7 SkAufG einschlägig. Dessen Abs. 1 lautet: „Mitglieder ausländischer Streitkräfte unterliegen, insbesondere auch hinsichtlich der Straf- und Zivilgerichtsbarkeit, deutschem Recht.“
Damit wird festgelegt, daß die zu schließenden Vereinbarungen vorzusehen haben, daß die Mitglieder der Streitkräfte, wenn sie sich dienstlich im Gebiet der Bundesrepublik aufhalten, in gleicher Weise wie jede andere Person dem deutschen materiellen Strafrecht und der deutschen Strafgerichtsbarkeit unterliegen.329 Vereinbarungen, die Exemtionen von deutscher Strafgerichtsbarkeit festlegen, sind nicht statthaft. Allerdings bestimmt Art. 2 § 7 Abs. 2 SkAufG weiter: „Von der Ausübung der deutschen Gerichtsbarkeit bei Straftaten soll abgesehen werden, es sei denn, daß wesentliche Belange der deutschen Rechtspflege die Ausübung erfordern. Wird von der Ausübung der Gerichtsbarkeit abgesehen, so hat der Entsendestaat den Täter unverzüglich aus dem Gebiet der Bundesrepublik zu entfernen.“
Eine Vereinbarung und die sie umsetzende Rechtsverordnung haben also festzulegen, daß die deutschen Strafverfolgungsbehörden gegenüber einer als Mitglied der fremden Streitkräfte im Bundesgebiet befindlichen Person nur dann Strafverfolgungsmaßnahmen ergreifen sollen, wenn „wesentliche Belange der deutschen Rechtspflege“ die Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit erfordern.330 Eine solche Regelung ist, wenn sie in einer Rechtsverordnung enthalten ist, für die Strafverfolgungsbehörden unmittelbar verbindlich und ergänzt die Normen der StPO um eine weitere Abweichung vom Legalitätsprinzip des § 152 Abs. 2 StPO. Die Entscheidung, ob auf die Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit verzichtet wird, ___________ 329 Vgl. LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 356; Heth, NZWehrr 1996, 1 (6); Kissel/ Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 13. Aus dem allgemeinen Verweis auf das deutsche Recht ergibt sich aber, daß sich die Mitglieder der fremden Streitkräfte auf die Staatenimmunität berufen können und damit – wie alle staatlichen Funktionsträger – eine Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit in bezug auf ihre hoheitlich-dienstlichen Handlungen genießen. 330 Vgl. Heth, NZWehrr 1996, 1 (6 f.); Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 13.
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obliegt nach Art. 3 § 2 SkAufG der örtlich und sachlich zuständigen Staatsanwaltschaft. Für die Beurteilung der Frage, in welchen Fällen „wesentliche Belange der deutschen Rechtspflege“ die Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit erfordern, erscheint es sachgerecht, die oben bei § 20 III.4.e)bb) wiedergegebene Regelung des Unterzeichnungsprotokolls zum ZA-NTS (zu Art. 19 Abs. 2 lit. a)) entsprechend anzuwenden.331 Da die Mitglieder ausländischer Streitkräfte nach den auf der Basis des SkAufG getroffenen Vereinbarungen und erlassenen Rechtsverordnungen uneingeschränkt der deutschen Strafgerichtsbarkeit unterliegen, ist auch die Vornahme gegen sie gerichteter strafprozessualer Zwangsmaßnahmen statthaft.332 Dies stellt Art. 2 § 9 Abs. 1 SkAufG aber auch ausdrücklich klar, indem dort folgende inhaltliche Vorgabe für die völkerrechtlichen Vereinbarungen bzw. Rechtsverordnungen gemacht wird: „Deutsche Behörden und Gerichte sind im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und Befugnisse berechtigt, Zwangsmaßnahmen gegenüber Mitgliedern ausländischer Streitkräfte anzuordnen und auszuüben.“
c) Praktische Relevanz des Streitkräfteaufenthaltsgesetzes Bislang sind nur vier Vereinbarungen auf der Grundlage des SkAufG getroffen und per Rechtsverordnung innerstaatlich umgesetzt worden. Die erste Rechtsverordnung nach dem SkAufG war eine Verordnung vom 4. Dezember 1995, die den Aufenthalt polnischer Truppen in Deutschland für die Übung „Spessart 95“ betraf.333 Diese Rechtsverordnung setzte eine völkerrechtliche Vereinbarung in Kraft, die exakt die in Art. 2 SkAufG vorgegebenen strafrechtlich relevanten Regelungen enthielt. Polen war damals kein NATO-Mitglied, zudem war damals weder für Deutschland noch für Polen das PfP-Truppenstatut verbindlich, so daß es einer detaillierten Vereinbarung sowohl des ius ad praesentiam als auch des ius in praesentia bedurfte. Anders war die Situation bei dem Aufenthalt spanischer Streitkräfte in Deutschland im Rahmen der Übung „Pegasus 96“. Auch für diesen elftägigen Aufenthalt fremder Streitkräfte in Deutschland im Juni 1996 wurde eine völkerrechtliche Vereinbarung auf der Basis des SkAufG getroffen und durch eine Rechtsverordnung ___________ So auch MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 120; Heth, NZWehrr 1996, 1 (7). Siehe aber auch Art. 6 des in Anm. 318 genannten deutsch-polnischen Abkommens, in dem sich eine Legaldefinition des Begriffs „wesentliche Belange der Rechtspflege“ findet, die von der Definition im Unterzeichungsprotokoll zum ZA-NTS leicht abweicht, allerdings in der Praxis zu keinem unterschiedlichen Ergebnis führen dürfte. 332 Vgl. Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 13. 333 Rechtsverordnung vom 4.12.1995 über die deutsch-polnische Vereinbarung zur Regelung des Aufenthalts von Mitgliedern der polnischen Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland für die Übung „Spessart 95“; BGBl. 1995 II, S. 995. Vgl. hierzu auch Fleck, ZaöRV 56 (1996), 389 (397). 331
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innerstaatlich umgesetzt.334 Jedoch ist Spanien Vertragsstaat des NTS, so daß es an sich einer Vereinbarung hinsichtlich des ius in praesentia nicht bedurfte. Doch diente die Vereinbarung mit Spanien zum einen dazu, das ius ad prasesentiam zu festzulegen, zum anderen wurden mit ihr die anwendbaren Regelungen des NTS ergänzt bzw. modifiziert.335 Die übrigen zwei Vereinbarungen betrafen ebenfalls die polnischen und spanischen Streitkräfte.336
V. Exemtionen für Streitkräfte der Vereinten Nationen und von den Vereinten Nationen autorisierte Streitkräfte 1. Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen Streitkräften der UN und von den UN lediglich autorisierten Streitkräften In der Vergangenheit kam es bei Einsätzen von Streitkräften, die auf der Basis einer Resolution des UN-Sicherheitsrates und damit auf der Grundlage eines Mandats der Vereinten Nationen zur Friedenssicherung oder Friedensschaffung tätig waren, vereinzelt zu strafrechtlich relevantem Fehlverhalten einzelner Soldaten.337 Dies wirft die Frage auf, inwieweit die Angehörigen solcher Streitkräfte Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen.338 Die Betrachtung der Rechtsstellung der Soldaten bei solchen Einsätzen hat zu differenzieren zwischen ___________ Rechtsverordnung vom 30.5.1996 über die deutsch-spanische Vereinbarung zur Regelung des Aufenthalts von Mitgliedern der spanischen Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland für die Übung „Pegasus 96“; BGBl. 1996 II, S. 858. 335 Eine solche Zusatzvereinbarung läßt das NTS zu; vgl. oben Anm. 121. Hinsichtlich der deutschen Strafgerichtsbarkeit bestimmte die deutsch-spanische Vereinbarung: „Im Rahmen der Anwendung des Art. VII des NTS soll von der Ausübung der deutschen Gerichtsbarkeit bei Straftaten abgesehen werden, es sei denn, daß wesentliche Belange der deutschen Rechtspflege die Ausübung erfordern.“ Seit Inkrafttreten der Notenwechsel mit den NATO-Staaten Dänemark, Griechenland, Italien, Luxemburg, Norwegen, Portugal, Spanien und Türkei vom 29.4.1998, BGBl. 1999 II, S. 508, erübrigt sich der Abschluß einer solchen Vereinbarung mit diesen NATO-Staaten bei jedem einzelnen Aufenthalt. Vielmehr gelten seither die mit Spanien 1996 vereinbarten Modifizierungen des NTS generell bei jedem Aufenthalt von Streitkräften aus diesen NATO-Staaten in Deutschland. Vgl. hierzu oben Anm. 161 und die Ausführungen bei § 20 III.4.f). 336 Vereinbarung mit Polen vom 30.7.1997; BGBl. 1997 II, S. 1535 (diese Vereinbarung entspricht derjenigen für die Übung „Spessart 95“) und Vereinbarung mit Spanien vom 26.5.1998; BGBl. 1998 II, S. 994. 337 Vgl. die Angaben bei Schotten, HuV-I 1997, 222 (222 f.). Siehe ferner Knoops, Prosecution and Defence of Peacekeepers, S. 9 ff. Besonders hinzuweisen ist auf strafrechtliche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Koblenz gegen Bundeswehrsoldaten, die 1994 in Somalia als Wachsoldaten einen Somali erschossen hatten. Das Verfahren wurde aber eingestellt, da die Soldaten korrekt gehandelt hätten. Vgl. BT-Drucks. 12/6989, S. 1 ff. und Schotten, HuV-I 1997, 222 (223 Fn. 13). 338 Vgl. hierzu allgemein Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 ff.; Knoops, Prosecution and Defence of Peacekeepers, S. 241 ff.; Schotten, HuV-I 1997, 222 ff. 334
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Streitkräften einerseits, die als Organe der Vereinten Nationen zu klassifizieren sind, und andererseits Streitkräften einzelner Staaten oder von Regionalorganisationen, die lediglich vom UN-Sicherheitsrat ermächtigt worden sind, zur Sicherung oder Wiederherstellung des Friedens tätig zu werden. a) Streitkräfte der Vereinten Nationen Die Vereinten Nationen verfügen über keine eigenen Streitkräfte. Die in Art. 43 UN-Charta vorgesehenen Sonderabkommen, auf deren Basis einzelne Staaten den Vereinten Nationen Streitkräfte zur Verfügung stellen sollen, sind bislang nicht geschlossen worden.339 Der Ost-West-Konflikt und starke nationale Souveränitätsinteressen verhinderten bislang, daß die ursprüngliche Idee einer UN-Streitmacht zur Durchführung militärischer Maßnahmen nach Art. 42 UN-Charta verwirklicht werden konnte. Allerdings hat schon früh eine nicht in der UN-Charta vorgesehene Art des Einsatzes von Streitkräften im Rahmen der Vereinten Nationen internationale Anerkennung gefunden: der Einsatz von UN Peacekeeping Forces, die im deutschen Sprachgebrauch als „UN-Friedenstruppen“ bzw. als „Blauhelmtruppen“ bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um militärische Einheiten, die sich aus Kontingenten einzelner Staaten zusammensetzen, aber unter der Leitung der Vereinten Nationen stehen und – jedenfalls bei der „klassischen Variante“ – mit Einverständnis der Konfliktparteien in deren Hoheitsgebieten eingesetzt werden, um einen Waffenstillstand zu sichern. Die „friedenserhaltenden Blauhelmmissionen“ sind dadurch gekennzeichnet, daß die UN-Truppen nicht zur Beendigung eines bewaffneten Konflikts mit militärischen Mitteln eingesetzt werden, sondern auf der Basis von Kap. VI UN-Charta mit vollem Einverständnis der Konfliktparteien zur Sicherung eines fragilen Friedens beitragen sollen. Dementsprechend ist ihnen die Ausübung militärischer Gewalt nur zur Selbstverteidigung gestattet.340 Für den vorliegenden Zusammenhang ist zum einen die Feststellung bedeutsam, daß die Aufenthaltsstaaten dem Einsatz dieser UN-Truppen in ihrem Staatsgebiet zugestimmt haben. Zum anderen ist festzuhalten, daß die einzelnen Angehörigen der Blauhelmtruppen zwar weiterhin Angehörige der Streitkräfte ihres Staates bleiben, aber einer einheitlichen, letztlich vom UN-Sicherheitsrat ausgehenden Befehlsgewalt unterworfen sind, die Führung des Einsatzes also bei den Vereinten Nationen liegt.341 Dies kommt äußerlich darin zum Ausdruck, daß die Soldaten zwar die Uniform ihrer Streitkräfte tragen, aber durch blaue Helme und weiß lakkierte Fahrzeuge, zumindest aber durch die Benutzung der UN-Symbole als Mit___________ 339 Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 60 Rn. 18; Herdegen, Völkerrecht, § 41 Rn. 6; Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 (100 Fn. 4); Schotten, HuV-I 1997, 222 (223). 340 Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 60 Rn. 23 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 41 Rn. 25 ff.; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 333 ff. 341 Vgl. Bothe/Dörschel, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 490; Schotten, HuV-I 1997, 222 (224 f.).
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glieder einer UN-Truppe gekennzeichnet sind. Die UN-Friedenstruppen und ihre Angehörigen sind daher funktional Organe der Vereinten Nationen.342 Aktuelle Beispiele für solche friedenserhaltenden Blauhelmeinsätze sind der seit 1964 andauernde Einsatz von Blauhelmsoldaten an der Grenze zwischen dem griechischen und dem türkischen Teil Zyperns (UNFICYP-Mission) und der seit 1974 stattfindende Einsatz von UN-Truppen an der israelisch-syrischen Grenze (UNDOF).343 Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts sind die „friedenserhaltenen Streitkräfte“ in den neunziger Jahren ergänzt worden um sogenannte UN Peace-enforcement Forces (friedensschaffende UN-Truppen). Aufgabe dieser Streitkräfte ist es, wie schon ihre Bezeichnung zum Ausdruck bringt, einen bewaffneten Konflikt einzudämmen bzw. zu beenden. Dementsprechend werden diese Streitkräfte auf der Basis von Kap. VII UN-Charta tätig und sind sie zum Einsatz von Waffengewalt befugt. Ein Einverständnis der Konfliktparteien wird nicht zur Bedingung für einen Einsatz gemacht. Von dieser neuen Form des Einsatzes von UN-Truppen – die auch als „robustes peacekeeping“ bezeichnet wird – wurde auch zur Absicherung humanitärer Hilfsmaßnahmen in Bürgerkriegsgebieten und in Gebieten sogenannter failed states Gebrauch gemacht. Wichtig für den vorliegenden Zusammenhang ist aber, daß auch diese UN-Truppen funktional als Organe der Vereinten Nationen tätig werden und der Führungsgewalt der Vereinten Nationen unterstellt sind.344 Als Beispiel für einen Einsatz von „friedensschaffenden UN-Streitkräften“ kann die Mission UNOSOM II angeführt werden. Diese im März 1993 vom UNSicherheitsrat eingerichtete Mission,345 an der auch ein Nachschubbataillon der deutschen Bundeswehr beteiligt war, versuchte 1993/94 – im großen und ganzen vergeblich –, im Gebiet von Somalia die Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Milizen einzudämmen, um humanitäre Hilfsmaßnahmen für die hungerleidende
___________ 342 Vgl. Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 37 ff., insb. S. 43; ders., Peace-keeping, Rn. 124, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations; Bothe/ Dörschel, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 490; Doehring, Völkerrecht, Rn. 693; Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 (102 ff.); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 559; Saalfeld, NZWehrr 1994, 147 (149); Schotten, HuV-I 1997, 222 (225); Sommerreyns, United Nations Forces, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1106 (1110); Verdross/Simma, Völkerrecht, § 258. 343 Vgl. United Nations (Hrsg.), The Blue Helmets, S. 71 ff. (zu UNDOF), S. 147 ff. (zu UNFICYP); Herdegen, Völkerrecht, § 41 Rn. 27. Siehe auch Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 334 f. 344 Vgl. Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 (102 ff). 345 Vgl. United Nations (Hrsg.), The Blue Helmets, S. 285 ff. und die Resolution des UN-Sicherheitsrates 814 (1993) vom 26.3.1993 (abgedr. in VN 1993, 66).
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Bevölkerung zu ermöglichen. Die UNPROFOR-Mission für das ehemalige Jugoslawien (1992–1995) ist ein weiteres Beispiel für „robustes UN-peacekeeping“.346 b) Streitkräfte einzelner Staaten mit Mandat der Vereinten Nationen Von diesen beiden Arten von UN-Friedenstruppen ist – vor allem auch im Hinblick auf die hier interessierende Frage völkerrechtlicher Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit – der Einsatz von Streitkräften einzelner oder mehrerer Staaten zu unterscheiden, der lediglich auf einer Ermächtigung des UNSicherheitsrates beruht. Wie erwähnt, ist die in Art. 43 UN-Charta vorgesehene Aufstellung von eigenen Streitkräften der Vereinten Nationen an der fehlenden Mitwirkungsbereitschaft der Staaten gescheitert. Aber auch der Einsatz nationaler Streitkräfte zur Friedensschaffung bzw. zum „robusten peacekeeping“ unter Oberbefehl der Vereinten Nationen, also der oben geschilderte Einsatz von „Peace-enforcement Forces“ der UN, ist bei den Staaten – vor allem seit dem Scheitern der Somalia-Mission – auf keine große Zustimmung gestoßen. Die Staaten ziehen es vielmehr vor, die Befehlsgewalt über ihre Truppen selbst auszuüben. Aufgrund dieses starken Interesses der Staaten an einer Wahrung ihrer nationalen Souveränität im militärischen Bereich haben sich die Vereinten Nationen bei der „Friedensschaffung“ mittlerweile darauf verlegt, einzelne Staaten oder Regionalorganisationen wie die NATO zu ermächtigen, in eigener Regie Maßnahmen durchzuführen.347 Gestützt wird dieser von der Staatengemeinschaft eindeutig präferierte Weg der Friedensschaffung und „robusten Friedenssicherung“ ebenfalls auf Art. VII UN-Charta, namentlich auf Art. 42 Satz 2 und Art. 48 UN-Charta. Dort ist ausdrücklich von Maßnahmen einzelner Mitglieder der Vereinten Nationen die Rede. Zudem ermächtigt Art. 53 Abs. 1 Satz 1 UNCharta den UN-Sicherheitsrat explizit dazu, Regionalorganisationen wie die NATO für die Durchführung von Zwangsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen.348 Die Anbindung der Streitkräfte an die UN beschränkt sich in solchen Fällen auf die Ermächtigung ihres Einsatzes durch den UN-Sicherheitsrat, der allerdings befugt ist, die Ermächtigung nicht nur inhaltlich zu begrenzen, sondern auch zurückzunehmen. Für die Frage völkerrechtlicher Exemtionen ist bedeutsam, daß die Streitkräfte und ihre Mitglieder nicht als Organe der Vereinten Nationen, sondern ___________ Vgl. die Resolution des UN-Sicherheitsrates 743 (1992) vom 21.2.1992 (abgedr. in VN 1992, 76). Siehe zur „United Nations Protection Force“ auch Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 336 und United Nations (Hrsg.), The Blue Helmets, S. 511 ff. 347 Insofern ist, was die UN-Truppen anbelangt, eine Rückbesinnung auf das „klassische peacekeeping“ festzustellen. 348 Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 60 Rn. 18 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 41 Rn. 19 ff.; Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 (102 Fn. 12). Kritisch gegenüber einem Recht der UN zur Autorisierung einzelner Staaten Bothe, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 8. Abschn. Rn. 24. 346
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ausschließlich als Organe ihres Staates tätig werden.349 Sie sind daher auch ausschließlich der Befehlsgewalt ihres Staates bzw. bei einem Zusammenwirken mehrerer Staaten der zwischen diesen vereinbarten Befehlsgewalt unterworfen. Beispiele für solche Militäreinsätze sind die von den USA angeführte Operation „Desert Storm“ zur Beendigung der irakischen Besetzung Kuwaits im Jahr 1991350 sowie die gegenwärtig noch andauernden Einsätze der „European Union Force“ (EUFOR) im Gebiet von Bosnien-Herzegowina,351 der „Kosovo Force“ (KFOR) im Kosovo352 und der „International Security Assistance Force“ (ISAF) in Afghanistan.353 An den Einsätzen der EUFOR, KFOR und ISAF ist auch die Bundeswehr in großem Umfang beteiligt. Derzeit sind im Rahmen des EUFOR-Einsatzes über 980 Bundeswehrsoldaten, im Rahmen des KFOR-Einsatzes über 2.500 und im Rahmen des ISAF-Einsatzes mehr als 2.600 Bundeswehrsoldaten im Ausland stationiert,354 so daß die Frage der Unterworfenheit der an diesen Missionen beteiligten Soldaten unter die Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates auch für Deutschland besondere Bedeutung hat. 2. Exemtionen für Streitkräfte der Vereinten Nationen a) Exemtionen auf der Basis von Statusabkommen zwischen den Vereinten Nationen und dem Aufenthaltsstaat Da der Einsatz der UN Peacekeeping Forces, also der „klassischen Blauhelmtruppen“, nur mit Einverständnis der Konfliktparteien erfolgt, besteht bei einer ___________ Vgl. Bothe, Peace-keeping, Rn. 145, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations; ders., United Nations Forces, Addendum, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1111 (1114); Bothe/Dörschel, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 490; Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 (102). Siehe auch Schotten, HuV-I 1997, 222 (224). 350 Vgl. die Resolution des UN-Sicherheitsrates 678 (1990) vom 29.11.1990 (abgedr. in VN 1990, 218). Angaben zu weiteren früheren von den UN lediglich autorisierten Einsätzen bei Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 (102 Fn. 12). 351 Vgl. die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates 1031 (1995) vom 15.12.1995 (abgedr. in VN 1996, 80), 1088 (1996) vom 12.12.1996 (abgedr. in VN 1997, 37) sowie zuletzt Resolution 1639 (2005) vom 21.11.2005 (abrufbar unter [31.3.2006]). Siehe ferner das Friedensübereinkommen von Dayton (General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina) vom 14.12.1995; ILM 35 (1996), 75 (89) sowie unten Anm. 399. 352 Vgl. die Resolution des UN-Sicherheitsrates 1244 (1999) vom 10.6.1999 (abgedr. in VN 1999, 116). 353 Vgl. die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates 1386 (2001) vom 20.12.2001 (abgedr. in VN 2002, 73 f.) und 1413 (2002) vom 23.5.2002 (abgedr. in VN 2002, 189) sowie zuletzt 1623 (2005) vom 13.9.2005 (abrufbar unter [31.3.2006]). 354 So die Angaben bei (31.3.2006), die sich auf den Stand März 2006 beziehen. 349
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Verwendung dieser UN-Truppen in aller Regel die Möglichkeit, völkervertragliche Vereinbarungen über die Rechtsstellung der Streitkräfte und ihrer Angehörigen zwischen den Vereinten Nationen und den Staaten zu treffen, in deren Gebiet die Truppen stationiert werden sollen. In der Staatenpraxis sind bei einer Vielzahl von Blauhelmmissionen „Statusabkommen“ (Status of Forces Agreements – SOFAs) geschlossen worden, deren Regelungen im wesentlichen übereinstimmen.355 Die bislang abgeschlossenen Statusabkommen sehen vor, daß die militärischen Angehörigen der UN-Truppen der Strafgerichtsbarkeit des jeweiligen Aufenthaltsstaates vollständig entzogen sind. Sie genießen nach diesen Abkommen also umfassende Immunität ratione personae gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates.356 Diese Immunitätsregelungen gelten ebenso wie die des NTS auch bei völkerrechtlichen Verbrechen.357 Da die Vereinten Nationen selbst keine Strafgerichtsbarkeit über die Angehörigen von UN-Truppen ausüben,358 bedeutet dies in der Praxis, daß die Mitglieder von UN-Truppen für Straftaten, die sie im Aufenthaltsstaat begehen, mit Einverständnis der Vereinten Nationen nur von ihrem Heimatstaat auf der Basis von dessen Strafrecht zur Verantwortung gezogen werden.359 Soldaten, die sich während ___________ Vgl. nur folgende frühe Statusabkommen: UNTS 200, 61 (UN-Mission Ägypten 1956); UNTS 414, 229 (UN-Mission Kongo 1960); UNTS 492, 58 (UN-Mission Zypern 1964). Diese und weitere Statusabkommen sind auch abgedr. bei Siekmann, Basic Documents on United Nations and Related Peace-keeping Forces, S. 7–24, 83–93, 155–166, 247-256, 353-354. Siehe ferner die Aufstellung in International Peacekeeping 1 (1994), 84 f. sowie Bothe, Peace-keeping, Rn. 114 Fn. 260, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations; Bothe/Dörschel, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 492 ff. mit Fn. 26; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 482; Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 (107); Saalfeld, NZWehrr 1994, 147 (149); Schotten, HuV-I 1997, 222 (226); Sommerreyns, United Nations Forces, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1106 (1110). 356 Schon das für den ersten UN-Blauhelmeinsatz, den Einsatz der United Nations Emergency Force (UNEF I) bei der Suez-Krise 1956, mit Ägypten abgeschlossene Statusabkommen (UNTS 260, 61; auch in UN-Dokument A/3526, UNTS 271, 144) sah unter Nr. 11 vollständige Immunität für die Blauhelmsoldaten vor: “Members of the Force shall be subject to the exclusive jurisdiction of their respective national States in respect of any criminal offences which may be committed by them in Egypt.” Vgl. hierzu Bowett, United Nations Forces, S. 129 ff.; Wijewardane BYIL 41 (1965/66),122 (184). Diese Formulierung findet sich auch in späteren Abkommen. Vgl. auch Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 42, 144; ders., Peace-keeping, Rn. 119 mit Fn. 267, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations; Cede/Sucharipa-Behrmann, Die Vereinten Nationen, S. 96; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 482; Doehring, Völkerrecht, Rn. 693; Rudolf, Peace-Keeping-Forces, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations, vol. 2, Rn. 18; Sommerreyns, United Nations Forces, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1106 (1110); Zwanenburg, EJIL 10 (1999), 124 (127 f.) sowie ausführlich Wijewardane, a.a.O., 122 (184 ff.). 357 Insofern kann auf die Ausführungen oben bei § 20 III. 4.a)bb) verwiesen werden. 358 Vgl. Schotten, HuV-I 1997, 222 (225); Zwanenburg, EJIL 10 (1999), 124 (127 f.). 359 Vgl. Zwanenburg, EJIL 10 (1999), 124 (127 f.). Da die Mitglieder von UN-Truppen nach Art. 105 UN-Charta und Abschn. 22 UN-Immunitäten-Übereinkommen auch gegenüber ihrem Heimatstaat weitreichende Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit 355
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ihrer Stationierungszeit strafbar machen, werden in aller Regel vom Dienst suspendiert, in ihren Heimatstaat zurückgeschickt und dann dort – sofern die Tat nach dem Recht des Heimatstaates strafbar und verfolgbar ist – strafrechtlich verfolgt.360 Für Deutschland ist in diesem Zusammenhang von Interesse, daß das deutsche Strafrecht nach § 5 Nr. 12 StGB bzw. § 1a Abs. 2 WStG auf Taten von deutschen Angehörigen von UN-Truppen (unabhängig davon, ob es sich um Soldaten der Bundeswehr oder um Polizeibeamte der Bundespolizei oder der Länderpolizeien handelt) generell auch dann Anwendung findet, wenn diese während eines dienstlichen Aufenthalts im Ausland begangen werden. Denn diese Personen bleiben, auch wenn sie funktional Organe der Vereinten Nationen sind, weiterhin deutsche Amtsträger bzw. Soldaten.361 Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat im Jahr 1990 ein „Mustertruppenstationierungsabkommen“ vorgelegt, das auf den bis dahin abgeschlossenen Statusabkommen basiert und einen schnellen Abschluß solcher Abkommen bei Blauhelmmissionen ermöglichen soll.362 Dieses Model Status-of-Forces Agreement for Peacekeeping Operations sieht in Nr. 46 und in Nr. 47 lit. b) vor: ___________ genießen (vgl. hierzu sogleich unten bei § 20 V.2.b)), bedarf es auch für eine Strafverfolgung durch den Heimatstaat eines Immunitätsverzichts durch die Vereinten Nationen. Allerdings vereinbaren die Vereinten Nationen in aller Regel mit den Staaten, die Blauhelmsoldaten stellen, daß der jeweilige Heimatstaat eine Strafverfolgung wegen während der Mission begangener Straftaten durchzuführen hat. Eine solche Vereinbarung beinhaltet nicht nur einen Immunitätsverzicht seitens der Vereinten Nationen, sondern begründet auch eine Verpflichtung des Heimatstaates zur Ahndung von Taten, die die eigenen Soldaten im Ausland während der Mission begangen haben. Der UN-Generalsekretär hat 1991 ein „Musterabkommen“ zwischen den Vereinten Nationen und den Staaten, die Soldaten stellen, vorgelegt (Model Agreement between United Nations and Member States Contributing Personnel and Equipment to United Nations Peace-Keeping Operations vom 23.5.1991; UN-Dokument A/46/185; abgedr. bei Fleck [Hrsg.], Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 615 ff.). Dort heißt es in Art. VIII Nr. 25: “[The Participating State] agrees to exercise jurisdiction with respect to crimes or offences which may be committed by its military personnel serving with [the United Nations peace-keeping operation]. [The Participating State] shall keep the Head of Mission informed regarding the outcome of such exercise of jurisdiction.” 360 Unbefriedigend ist, daß durch die alleinige Maßgeblichkeit des Heimatstrafrechts einzelne Soldaten einer aus mehreren nationalen Kontingenten zusammengesetzten UNTruppe bei ein und derselben Tat möglicherweise unterschiedlich zur Verantwortung gezogen werden und unterschiedliches materielles Strafrecht Anwendung findet. So auch Bowett, United Nations Forces, S. 133; Schotten, HuV-I 1997, 222 (225); Siekmann, National Contingents in United Nations Peace-Keeping Forces, S. 135 f.; Zwanenburg, EJIL 10 (1999), 124 (128). 361 Vgl. Schönke/Schröder-Eser, § 5 Rn. 19; Fischer, in: Tröndle/Fischer, § 5 Rn. 12. 362 Model Status-of-Forces Agreement for Peacekeeping Operations, Anhang zum Bericht des UN-Generalsekretärs an die 45. UN-Generalversammlung vom 9.10.1990 (UNDokument A/45/594). Abgedr. bei Bothe/Dörschel (Hrsg.), UN-Peacekeeping, S. 59 ff.; bei Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 603 ff.; bei Siekmann, National Contingents in United Nations Peace-Keeping Forces, S. 200 ff. sowie in International Peacekeeping 1 (1994), 105 f., 136 ff. Siehe im Hinblick auf die strafrechtlich relevanten Bestimmungen auch Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 (107 f.) und Schotten,
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“46. All Members of the United Nations peace-keeping operation including locally recruited personnel shall be immune from legal process in respect of words spoken or written and all acts performed by them in their official capacity. Such immunity shall continue even after they cease to be members of or employed by the United Nations peace-keeping operation and after the expiration of the other provisions of the present agreement. 47. (b) Military members of the military component of the United Nations peacekeeping operation shall be subject to the exclusive jurisdiction of their respective participation State in respect of any criminal offences which may be committed by them [host country/territory].”
Während Nr. 46 einheitlich für alle Mitglieder der „operation“ Immunität ratione materiae für sämtliche Diensthandlungen gewährt, wird den Soldaten durch Nr. 47 lit. b) umfassende Immunität ratione personae zuerkannt, also nicht danach differenziert, ob die strafbare Handlung als Diensthandlung oder private Tat zu bewerten ist.363 Besonders geregelt ist die Stellung des Kommandeurs. Für ihn sind in Nr. 24 diplomatische Vorrechte und Befreiungen vorgesehen:364 “The (…) Commander of the military component of the United Nations peace-keeping operation, the head of the United Nations civilian police and (…) shall have the status specified in sections 19 and 27 of the Convention[365], provided that the privileges and immunities therein referred to shall be those accorded to diplomatic envoys (…).”
Damit kommt auch ihm Immunität ratione personae gegenüber der örtlichen Strafgerichtsbarkeit zu.366 Zivilpersonen, die als unterstützende Kräfte zu den UNTruppen gehören (auch im jeweiligen Land angeworbene Ortskräfte), sollen dagegen lediglich die in Nr. 46 des „Musterabkommens“ vorgesehene Immunität ratione materiae für ihre Diensthandlungen erhalten.367 ___________ HuV-I 1997, 222 (226). Zum Teil wird dieses Musterabkommen vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sogar per bindender Resolution für maßgeblich erklärt bis zum Abschluß eines Status of Forces Agreement. Siehe etwa Ziffer 10 der Resolution 1545 (2004) vom 21.5.2004, mit der eine Entsendung von UN-Soldaten nach Burundi beschlossen wurde. Internetquelle: (31.3.2006). 363 So auch Schotten, HuV-I 1997, 222 (226). 364 Schon die ersten Statusverträge für Blauhelmtruppen gewährten dem Kommandeur umfassende diplomatische Vorrechte und Befreiungen; vgl. Nr. 25 des Abkommens für die UNEF (siehe oben Anm. 356) sowie Bowett, United Nations Forces, S. 130 und Wijewardane, BYIL 41 (1965/66), 122 (187 ff.). 365 Anmerkung des Verf.: Gemeint ist das Übereinkommen über Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen vom 13.2.1946. Vgl zu diesem unten Anm. 377. 366 Vgl. Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 (107). 367 Vgl. auch Nr. 25, 26, und 28 des Model Status-of-Forces Agreement for Peacekeeping Operations. Siehe ferner Cede/Sucharipa-Behrmann, Die Vereinten Nationen, S. 96 f. Schon die ersten Statusverträge für Blauhelmsoldaten sahen für die zivilen Mitglieder der UN-Truppen lediglich Immunität für Diensthandlungen vor; vgl. Nr. 24 des Abkommens für die UNEF (siehe oben Anm. 356) sowie Bowett, United Nations Forces, S. 130 f. und Wijewardane, BYIL 41 (1965/66), 122 (191 ff.).
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Die im Musterabkommen vorgesehenen und in der Praxis der Vereinten Nationen vereinbarten Exemtionen gegenüber dem Aufenthaltsstaat, auch die umfassende Immunität ratione personae für die militärischen Angehörigen von UN-Friedenstruppen, sind als sachgerecht zu bewerten.368 Denn die Einheiten werden in Krisenregionen stationiert oder eingesetzt, in denen vielfach keine Gewähr für ein rechtsstaatliches Verfahren durch die örtliche Strafgerichtsbarkeit besteht. Selbst wenn die Stationierung mit Einverständnis der Konfliktparteien erfolgt, besteht doch die Gefahr, daß diese durch die Androhung oder Durchführung eines Strafverfahrens gegen einzelne Mitglieder der UN-Truppe Einfluß auf die Tätigkeit der Mission zu nehmen suchen. Eine unparteiische, ausschließlich den Interessen der Vereinten Nationen verpflichtete Wahrnehmung der Aufgaben der UN-Truppen ist deshalb nur sichergestellt, wenn die eingesetzten Soldaten der örtlichen Strafgerichtsbarkeit vollständig entzogen und die zivilen Kräfte jedenfalls im Hinblick auf ihre Diensthandlungen geschützt sind. Es besteht eine funktionelle Notwendigkeit einen derart umfassenden Schutz. Hinzu kommt, daß die Staaten, die Soldaten für UN-Truppen zur Verfügung stellen, hierzu nur bereit sein werden, wenn die Soldaten Exemtion von der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates genießen. Da aber die Exemtionen im Sinne einer modernen Funktionstheorie lediglich sicherstellen sollen, daß die Angehörigen von UN-Truppen ihrer Tätigkeit ohne Einflußnahme durch den Aufnahmestaat nachkommen können und keine Gefahr einer rechtsstaatswidrigen Behandlung besteht, ist es zur Vermeidung inakzeptabler Straflosigkeit erforderlich, daß die Mitglieder von UN-Truppen gegebenenfalls von ihrem Heimatstaat für im Aufenthaltsstaat begangene Taten zur Verantwortung gezogen werden. Die Gewährung von Immunität ratione personae gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates durch Abschluß entsprechender Statusabkommen hat daher – wie es auch Praxis ist – einherzugehen mit einer Verpflichtung der jeweiligen Entsendestaaten gegenüber den Vereinten Nationen, eigene Strafgerichtsbarkeit wegen der im Aufenthaltsstaat begangenen Taten auszuüben.369 b) Exemtionen auf der Basis der UN-Charta und des Übereinkommens über Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen Nicht in allen Fällen der Stationierung von UN Peacekeeping Forces ist es zum Abschluß von Statusvereinbarungen zwischen den Vereinten Nationen und den Aufenthaltsstaaten gekommen.370 Bei Einsätzen der „neuen Variante“ von UNFriedenstruppen, also von UN Peace-enforcement Forces, ist vielfach der Abschluß vertraglicher Vereinbarungen gar nicht möglich, sei es, weil der Einsatz im Gebiet sogenannter failed states erfolgt, sei es, weil die Konfliktparteien dem Einsatz von ___________ 368 369 370
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So auch schon Bowett, United Nations Forces, S. 438 ff. Vgl. hierzu bereits oben Anm. 359. Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 60 Rn. 25; Saalfeld, NZWehrr 1994, 147
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
UN-Truppen nicht zugestimmt haben oder jedenfalls zu einer vertraglichen Kooperation nicht willens oder in der Lage sind.371 Es stellt sich damit die Frage, ob bzw. inwieweit die Angehörigen von UN-Friedenstruppen in solchen Fällen unabhängig von Statusabkommen der Strafgerichtsbarkeit des jeweiligen Aufenthaltsstaates entzogen sind. Zudem gilt es zu fragen, inwieweit die Mitglieder von UN-Truppen in Drittstaaten der territorialen Strafgerichtsbarkeit unterworfen sind. Wären die in den bisher abgeschlossenen Statusabkommen und im Mustervertrag übereinstimmend festgelegten Regeln bereits zu völkergewohnheitsrechtlichen Normen erstarkt, so würden die Exemtionsregeln des Mustervertrags auch dann gelten, wenn ein Vertrag auf dessen Basis nicht zustande kommt. Doch kann jedenfalls derzeit trotz der Einheitlichkeit der Exemtionsregelungen in den bisherigen Statusverträgen noch nicht von der Anerkennung entsprechender völkergewohnheitsrechtlicher Normen ausgegangen werden.372 Für die Beantwortung der Frage der Unterworfenheit von Mitgliedern von UNTruppen unter die Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates bei Fehlen eines Statusabkommens sowie unter die Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten ist deshalb von entscheidender Bedeutung, daß die UN-Truppen – wie schon erwähnt – als Organe der Vereinten Nationen zu klassifizieren sind und damit auch die einzelnen Angehörigen der UN-Truppen trotz ihrer fortdauernden Zugehörigkeit zu den Streitkräften ihres Heimatstaates funktional als Organe der Vereinten Nationen tätig werden.373 Ihre Rechtsstellung bestimmt sich daher nach Art. 105 Abs. 2 UN-Charta.374 Dieser lautet: „Vertreter der Mitglieder der Vereinten Nationen und Bedienstete der Organisation genießen ebenfalls die Vorrechte und Immunitäten, deren sie bedürfen, um ihre mit der Organisation zusammenhängenden Aufgaben in voller Unabhängigkeit wahrnehmen zu können.“
___________ So konnte beispielsweise für den Einsatz UNOSOM II in Somalia 1993/94 mangels einheitlicher somalischer Regierungsgewalt kein Statusabkommen vereinbart werden; vgl. Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 (107); Saalfeld, NZWehrr 1994, 147 (149); Schotten, HuV-I 1997, 222 (226). 372 So auch Schotten, HuV-I 1997, 222 (227) und eine Entscheidung des israelischen District Court of Haifa vom 10.5.1979 (United Nations Juridical Yearbook 1979, 205 [208]; vgl. zu dieser Entscheidung auch Siekmann, National Contingents in United Nations Peace-Keeping Forces, S. 138 f.). Für eine völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung vollständiger strafrechtlicher Immunität von Blauhelmsoldaten aber Fleck, JICJ 1 (2003), 651 (668) und Siekmann, National Contingents in United Nations Peace-Keeping Forces, S. 153. Vgl. auch Bothe/Dörschel, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 493 f. und Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 (110 mit Fn. 54). 373 Vgl. oben Anm. 342. 374 Vgl. Bothe/Dörschel, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 496; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 482; Doehring, Völkerrecht, Rn. 693; Fastenrath, FAZ vom 7.6.1995, S. 8; Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 (104 f.); Saalfeld, NZWehrr 1994, 147 (149); Schotten, HuV-I 1997, 222 (226); Sommerreyns, United Nations Forces, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1106 (1110); Suy, United Nations Peacekeeping System, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1143 (1148). 371
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Dieser Norm läßt sich – wenngleich sie unmittelbare Rechtsverbindlichkeit besitzt – nicht eindeutig entnehmen, inwieweit sie eine Befreiung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit normiert.375 Dementsprechend sieht Art. 105 Abs. 3 UN-Charta ausdrücklich vor, daß die Exemtionen der Vereinten Nationen und der für sie tätig werdenden Personen durch gesonderte völkerrechtliche Verträge konkretisiert werden.376 Dies ist unter anderem geschehen durch das Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen von 1946.377 Zwar kann das UN-Immunitäten-Übereinkommen als gesonderter völkerrechtlicher Vertrag nur für die Staaten verbindlich sein, die das Übereinkommen ratifiziert haben.378 Doch bestimmt sich die Rechtsstellung von Angehörigen von UN-Streitkräften auch dann, wenn sie sich im Gebiet eines Nichtvertragsstaates aufhalten, nach den Bestimmungen dieses Übereinkommens. Denn möglicherweise können angesichts der großen Zahl von Vertragsstaaten (derzeit 151) die Regeln des Übereinkommens auch als universelles Völkergewohnheitsrecht eingestuft werden.379 Vor allem aber konkretisiert das Übereinkommen den Art. 105 UNCharta.380 Im Verhältnis zu den Nichtvertragsstaaten des Übereinkommens lassen sich – sofern diese Staaten Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sind – die Exemtionsbestimmungen des Übereinkommens mithin zumindest auch direkt aus Art. 105 UN-Charta ableiten.381 In der Praxis der Vereinten Nationen werden die Angehörigen von UN-Friedenstruppen als Experts on Mission (Sachverständige) im Sinne des Art. VI des UNImmunitäten-Übereinkommens klassifiziert.382 Insofern bestimmt sich ihre Exem___________ 375 Art. 105 UN-Charta ist gleichwohl kein bloßer Programmsatz, sondern eine unmittelbar anwendbare Rechtsnorm. So auch Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 2 und Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 (105). 376 „Die Generalversammlung kann Empfehlungen abgeben, um die Anwendung der Absätze 1 und 2 im einzelnen zu regeln, oder sie kann den Mitgliedern der Vereinten Nationen zu diesem Zweck Übereinkommen vorschlagen.“ 377 Übereinkommen vom 13. Februar 1946 über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen; BGBl. 1980 II, S. 943 = UNTS 1, 15. Deutsches Zustimmungsgesetz vom 16.8.1980; BGBl. 1980 II, S. 941. Siehe auch oben § 19 I.2.c)bb). 378 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 482. 379 Vgl. Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 2. 380 Vgl. Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 (105). 381 So auch Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 2 und Szasz/Ingadottir, LJIL 14 (2001), 867 (870). 382 Vgl. Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 29; Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 (105 f.); Schotten, HuV-I 1997, 222 (226) sowie die Präambel der Sicherheitsratsresolution 868 (1993) vom 29.9.1993 (siehe oben Anm. 374). Kritisch gegenüber dieser Einordnung Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 37 Rn. 9 und Wijewardane, BYIL 41 (1965/66), 122 (180). Eine Einstufung der Angehörigen von UN-Streitkräften als „Bedienstete“ i.S.d. Art. V UN-Immunitäten-Übereinkommen wird mit dem Hinweis darauf abgelehnt, daß die betreffenden Personen weiterhin Angehö-
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tion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit nach Abschn. 22 des Übereinkommens, der – soweit er hier von Interesse ist – lautet: „Sachverständige (…) genießen, wenn sie Aufträge für die Organisation der Vereinten Nationen durchführen, während der Dauer dieses Auftrages einschließlich der Reise die zur unabhängigen Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Vorrechte und Immunitäten. Insbesondere genießen sie die folgenden: a) Immunität von Festnahme oder Haft und von der Beschlagnahme ihres persönlichen Gepäcks; b) Immunität von jeder Gerichtsbarkeit hinsichtlich der von ihnen während ihres Auftrages vorgenommenen Handlungen (einschließlich ihrer mündlichen und schriftlichen Äußerungen). Diese Immunität bleibt bestehen, auch wenn der Betreffende seinen Auftrag für die Organisation der Vereinten Nationen beendet hat; (…).“
Abschn. 22 lit. b) Satz 1 des Übereinkommens ist dahingehend zu interpretieren, daß keine Exemtion für alle während des Zeitraums der Stationierung begangenen Taten gewährt wird. Insofern ist die deutsche Übersetzung mißverständlich. Aus der verbindlichen englischen Fassung (“acts done by them in the course of the performance of their mission”) ergibt sich vielmehr, daß sich die Exemtion ausschließlich auf Handlungen bezieht, die nicht nur in einem zeitlichen, sondern auch in einem sachlichen Zusammenhang mit dem „Auftrag“ stehen, also auf Diensthandlungen beschränkt ist.383 Abschn. Art. 22 lit. b) Satz 1 gewährt also lediglich eine funktionale Immunität ratione materiae, wobei sich die Immunität jedoch nicht nur auf acta iure imperii bezieht, sondern das gesamte als dienstlich zu bewertende Verhalten umfaßt.384
___________ rige der Streitkräfte ihres Heimatstaates blieben, dessen Dienstrecht unterworfen seien und von diesem entlohnt würden. Siehe auch Bowett, United Nations Forces, S. 131 f., der davon ausgeht, daß weder Art. 105 UN-Charta noch das UN-Immunitäten-Übereinkommen auf Angehörige von UN-Streitkräften anwendbar seien. 383 So auch Gerster/Rotenberg, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 105 Rn. 30; Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 (106); Schotten, HuV-I 1997, 222 (226 f.); Siekmann, National Contingents in United Nations Peace-Keeping Forces, S. 137. A.A. aber Wentzek, NZWehrr 1997, 25 (31). Siehe hierzu schon oben § 19 II.2.b). 384 Auch diese Exemtionsregelung gilt selbst bei völkerrechtlichen Verbrechen, schützt also auch vor einer Verfolgung wegen (dienstlich begangener) Kriegsverbrechen und anderer Völkerstraftaten. Vgl. diesbezüglich auch die Ausführungen oben bei § 19 II.1.b)cc) und § 20 III.4.a)bb). Wie hier die offizielle Auffassung der Vereinten Nationen; vgl. section 4 des Bulletin on the Observance by United Nations Forces of Humanitarian Law des UN-Generalsekretärs vom 6.8.1999, ILM 38 (1999), 1656 (1656). Dort wird betont, der Heimatstaat (nicht also Drittstaaten) sei zu einer Strafverfolgung von UN-Soldaten wegen Verletzungen des humanitären Völkerrechts befugt. Da auf die Immunität gegenüber dem Heimatstaat von den Vereinten Nationen regelmäßig verzichtet wird, kann diese Feststellung nur so verstanden werden, daß die Immunität grundsätzlich auch bei völkerrechtlichen Verbrechen gilt. Anders, aber ohne nähere Begründung Stahn, EJIL 14 (2003), 85 (93 Fn. 29). Mittlerweile ist im übrigen anerkannt, daß auch UN-Soldaten an das humanitäre Völkerrecht gebunden sind, also grundsätzlich ebenso wie Angehörige von nationalen Streitkräften Kriegsverbrechen begehen können. Vgl. Szasz/Ingadottir, LJIL 14 (2001), 867 (875 f.).
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Die Mitglieder von UN-Friedenstruppen genießen damit nach Abschn. 22 lit. b) Satz 1 UN-Immunitäten-Übereinkommen weniger weitreichende Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit als nach dem Mustervertrag für bilaterale Statusübereinkommen und den (auf dessen Basis) bislang geschlossenen vertraglichen Vereinbarungen. Allerdings sind die Mitglieder von UN-Friedenstruppen auch ohne vertragliche Vereinbarung vor einer Strafverfolgung wegen „privater“ Taten durch den Stationierungsstaat und durch Drittstaaten insofern geschützt, als Abschn. 22 lit. a) UNImmunitäten-Übereinkommen Immunität von Festnahme oder Haft gewährt. Diese Bestimmung ist als Unverletzlichkeitsregel zu interpretieren. Mitglieder von UNStreitkräften genießen also Unverletzlichkeit, so daß gegen sie keine strafprozessualen Zwangsmaßnahmen ergriffen werden dürfen, und zwar auch dann nicht, wenn es um Maßnahmen wegen „privater“ Straftaten oder um Zwangsmaßnahmen gegen Nichtbeschuldigte geht.385 Diese Unverletzlichkeit ist vergleichbar mit derjenigen, die Diplomaten nach Art. 22 WÜD genießen. Dem Aufenthaltsstaat und Drittstaaten ist es zwar gestattet, Strafverfahren wegen „privater“ Straftaten durchzuführen. Da aber sämtliche strafprozessuale Zwangsmaßnahmen untersagt sind, darf ein beschuldigtes Mitglied von UN-Truppen weder gezwungen werden, sich einem Strafverfahren zu stellen, noch darf eine Sanktion vollstreckt werden. Faktisch läuft die Unverletzlichkeit damit auf eine vollständige Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit hinaus. Zu beachten ist, daß die Exemtionen nach Art. 105 UN-Charta und dem UNImmunitäten-Übereinkommen gegenüber sämtlichen Staaten gelten, so daß Experts on Mission auch gegenüber ihrem Heimatstaat von strafrechtlicher Verantwortlichkeit nach Maßgabe des Abschnitts 22 befreit sind.386 Für die Angehörigen von UNFriedenstruppen heißt dies, daß sie – unabhängig davon, ob sich ihre Rechtsstellung gegenüber dem Aufenthaltsstaat nach einem speziellen Statusvertrag oder nach den hier erläuterten Bestimmungen richtet – (auch) gegenüber ihrem eigenen Staat sowie jedem weiteren Staat Immunitäten gemäß Abschn. 22 UN-Immunitäten___________ Auch wenn Abschn. 22 lit. a) UN-Immunitäten-Übereinkommen explizit lediglich eine Festnahme und Inhaftierung untersagt, so scheiden doch auch andere Zwangsmaßnahmen wie etwa eine Blutprobeentnahme und eine Durchsuchung aus, da auch diese stets mit einem (verbotenen) Festhalten verbunden sind. Siehe auch Hermsdörfer, NZWehrr 1997, 100 (106). 386 Vgl. IGH, ICJ-Reports 1989, 177 (195 f.) (Fall Mazilu); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 37 Rn. 8. Auch Drittstaaten, etwa ein dem Stationierungsstaat benachbarter Staat, in dem sich ein Soldat zur Erledigung von Dienstgeschäften oder während eines privaten Urlaubs aufhält, sind an die Exemtionen gebunden, die sich aus dem UN-ImmunitätenÜbereinkommen ergeben. Dies gilt auch dann, wenn ein Statusabkommen mit dem Aufenthaltsstaat existiert, da dieses nur den jeweiligen Aufenthaltsstaat zu binden vermag und die in den Statusabkommen stets festgelegte vollständige Immunität ratione personae für UN-Soldaten noch keine (auch für Drittstaaten beachtliche) völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung gefunden hat. Vgl. zu dieser (umstrittenen) Frage die Nachw. oben in Anm. 372. 385
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Übereinkommen genießen. Da die Vereinten Nationen aber keine eigene Strafgerichtsbarkeit über Mitglieder von UN-Truppen ausüben und eine Straflosigkeit jedenfalls bei privaten Taten nicht hinnehmbar ist, wird die Immunität gegenüber dem Heimatstaat in aller Regel – wie bereits erwähnt – pauschal aufgehoben; die Heimatstaaten werden sogar zu einer eigenen Strafverfolgung verpflichtet.387 Die Möglichkeit einer Immunitätsaufhebung sieht Abschn. 23 UN-Immunitäten-Übereinkommen ausdrücklich vor: „Die Vorrechte und Immunitäten werden den Sachverständigen im Interesse der Organisation der Vereinten Nationen und nicht zu ihrem persönlichen Vorteil gewährt. Der Generalsekretär [der Vereinten Nationen, der Verf.] ist berechtigt und verpflichtet, die einem Sachverständigen gewährte Immunität in allen Fällen aufzuheben, in denen sie nach Auffassung des Generalsekretärs verhindern würde, daß der Gerechtigkeit Genüge geschieht, und in denen sie ohne Schädigung der Interessen der Organisation aufgehoben werden kann.“
c) Exemtionen auf der Basis von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates Denkbar ist grundsätzlich auch eine Festlegung von Exemtionen für Mitglieder von UN-Truppen in einer Resolution des UN-Sicherheitsrates, etwa direkt in der Resolution, mit der eine UN-Militärmission begründet wird. Da Resolutionen des UN-Sicherheitsrates gemäß Art. 25 UN-Charta für alle UN-Mitgliedstaaten verbindlich sind, würde eine solche Exemtionsfestlegung per Sicherheitsratsresolution für alle UN-Staaten in gleicher Weise verbindlich sein. Zu solchen Resolutionen ist es aber bislang „nur“ im Zusammenhang mit von den Vereinten Nationen „lediglich“ autorisierten Militärmissionen gekommen.388 Deshalb und weil die Rechtsfragen insoweit identisch sind, soll auf die Möglichkeit einer Exemtionsgewährung durch eine Sicherheitsratsresolution erst bei der Erörterung dieser Sicherheitsratsresolutionen unten in § 20 V.3.b) eingegangen werden. 3. Exemtionen für von den Vereinten Nationen autorisierte Streitkräfte Da Streitkräfte, deren Einsatz „lediglich“ von den Vereinten Nationen autorisiert ist, nicht als Organe der Vereinten Nationen, sondern ausschließlich als Organe des Staates, zu dem sie gehören, oder als Organe einer Regionalorganisation wie der NATO tätig werden,389 genießen die Mitglieder solcher Streitkräfte anders als Angehörige von UN-Truppen keine Exemtionen nach Art. 105 UN-Charta oder nach dem UN-Immunitäten-Übereinkommen.390 ___________ Vgl. die Ausführungen oben in Anm. 359. Vgl. Zappalà, JICJ 1 (2003), 671 (672 ff.). 389 Vgl. oben Anm. 349. 390 So auch Schotten, HuV-I 1997, 222 (226). Allerdings ist nicht ausgeschlossen, daß einzelne Angehörige von Streitkräften oder auch pauschal alle Mitglieder bestimmter Einheiten einzelner Staaten von den Vereinten Nationen für einen bestimmten Einsatz zu Ex387 388
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Ohne eine besondere vertragliche Vereinbarung mit dem Aufenthaltsstaat oder eine für die UN-Mitgliedstaaten über Art. 25 UN-Charta verbindliche Exemtionsregelung in der zum Einsatz ermächtigenden UN-Sicherheitsratsresolution genießen die Mitglieder solcher Streitkräfte damit gegenüber der Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten keine besondere Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, und zwar auch dann nicht, wenn ihr Aufenthalt im Gebiet eines anderen Staates mit dessen Einverständnis erfolgt. Für diese Personen gelten mithin bei einem Fehlen vertraglicher Vereinbarungen oder spezieller Exemtionsklauseln in einer Resolution des UN-Sicherheitsrates allein die oben in § 20 I.1., 2. und 4.d) dargestellten Bestimmungen. Sie können sich also in einem solchen Fall gegenüber der Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten – sowohl des Aufenthaltsstaates als auch von Drittstaaten – nur auf die Staatenimmunität berufen. Damit dürfen sie lediglich wegen Taten, die als hoheitlich-dienstliche Handlungen für ihren Staat einzustufen sind, von anderen Staaten nicht zur Verantwortung gezogen werden. Zudem gilt auch hier die Ausnahme von der Staatenimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen, namentlich bei Kriegsverbrechen, so daß wegen solcher Taten eine Bestrafung durch andere Staaten ohne Rücksicht auf deren hoheitlich-dienstlichen Charakter statthaft ist. Bei einer Gefangennahme durch eine gegnerische Macht haben die Soldaten jedoch Anspruch auf den Status eines Kriegsgefangenen und sind ihre völkerrechtlich erlaubten Kriegshandlungen als strafrechtlich gerechtfertigt anzusehen.
___________ perts on Mission i.S.d. Art. VI UN-Immunitäten-Übereinkommen ernannt werden und dann entsprechende Exemtionen genießen, denn der Status als Expert on Mission setzt gerade keine Einbindung in die Organisation der UN voraus. Doch während Angehörige von UN-Truppen den Status eines Expert on Mission automatisch erlangen, bedarf es bei Angehörigen von Streitkräften einzelner Staaten, deren Einsatz allein auf einem Mandat des UN-Sicherheitsrates beruht, eines besonderen konstitutiven Akts der Vereinten Nationen, um diese zu Experts on Mission im Auftrag der Vereinten Nationen zu machen. Die USA haben in den neunziger Jahren im Anschluß an eine Gefangennahme eines USamerikanischen Soldaten in Somalia während einer von den Vereinten Nationen autorisierten Operation der US-Streitkräfte zwar dafür plädiert, daß die Mitglieder ihrer Streitkräfte bei Operationen, die auf der Basis einer Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat stattfinden, von den Vereinten Nationen zu Experts on Mission i.S.d. Art. VI UN-ImmunitätenÜbereinkommen ernannt werden. So hieß es in einer Presidential Decision Directive des US-Präsidenten Clinton vom 3.5.1994 (ILM 33 [1994], 795 [809]): “In appropriate cases, the U.S. would seek assurances that U.S. forces assisting the UN are treated as experts on mission for the United Nations, and thus are entitled to appropriate privileges and immunities (…).” Doch scheuen die Staaten die mit einer solchen „Ernennung“ verbundene Anbindung ihrer Truppen an die Vereinten Nationen, so daß die Verleihung des Status als Expert on Mission für die Vereinten Nationen offenbar mittlerweile nicht mehr erstrebt wird.
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a) Exemtionen auf der Basis vertraglicher Vereinbarungen mit dem Aufenthaltsstaat Allerdings ging und geht es nicht in allen Fällen, in denen die Vereinten Nationen Streitkräfte einzelner Staaten zu einem Tätigwerden ermächtigt haben, um die militärische Niederwerfung eines gegnerischen Staates. So dienen die Einsätze der EUFOR-, KFOR- und ISAF-Truppen im wesentlichen der Sicherung eines fragilen Friedens nach der Beendigung von nichtinternationalen bewaffneten Konflikten zwischen rivalisierenden Volksgruppen und nach einem politischen Systemwechsel (robustes peacekeeping). Die Tätigkeit der Streitkräfte einzelner Staaten wird in solchen Fällen nicht nur von den Vereinten Nationen, sondern auch von den neuen politischen Machthabern in den betreffenden Staaten gewünscht und gutgeheißen. In solchen Fällen, in denen sich die Tätigkeit der Streitkräfte derjenigen der „klassischen“ UN-Friedenstruppen annähert, besteht wie bei den UN Peacekeeping Forces regelmäßig die Möglichkeit einer vertraglichen Vereinbarung über den Status der Streitkräfte und ihrer Angehörigen zwischen den entsendenden Staaten und dem Aufenthaltsstaat. Sofern solche Statusvereinbarungen geschlossen werden, richtet sich strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angehörigen der von den Vereinten Nationen autorisierten Streitkräfte gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates nach den Bestimmungen dieser Vereinbarungen. So hat beispielsweise Großbritannien als erste Führungsmacht der ISAF-Truppen am 4. Januar 2002 mit der afghanischen Übergangsregierung für die Streitkräfte sämtlicher beteiligter Staaten ein „Militärisch-technisches Übereinkommen“ (Military Technical Agreement) geschlossen,391 nach dem die Angehörigen der ISAFTruppen vollständige Immunität ratione personae gegenüber einer afghanischen Strafgerichtsbarkeit genießen und ihnen zudem Immunität von Festnahme oder Haft, also Unverletzlichkeit, zukommt.392 Zum einen werden die vollständige Immunität ratione personae und die Unverletzlichkeit explizit in dem Übereinkommen festgelegt, zum anderen werden die in Art. VI UN-Immunitäten-Übereinkommen enthaltenen Bestimmungen, also die Regeln für „Experts on Mission“, für entsprechend anwendbar erklärt. Damit werden die Amtsimmunität und die persönliche Unverletzlichkeit sogar doppelt abgesichert. Annex A des Übereinkommes (Arrangements regarding the Status of the International Security Assistance Force) sieht in „Section 1: Jurisdiction“ vor:
___________ Der Text der Vereinbarung ist abgedr. in ILM 41 (2002), S. 1032. Internetquelle: (31.3.2006). 392 Vgl. auch die Antwort der Bundesregierung vom 1.8.2002 auf eine kleine Anfrage der PDS in BT-Drucks. 14/9841, S. 1 ff. 391
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“1. The provisions of the Convention on the Privileges and Immunities of the United Nations of 13 February 1946 concerning experts on mission will apply mutatis mutandis to the ISAF and supporting personnel, including associated liaison personnel. 2. All ISAF and supporting personnel, including associated liaison personnel, enjoying privileges and immunities under this Arrangement will respect the laws of Afghanistan, insofar as it is compatible with the UNSCR (1386) and will refrain from activities not compatible with the nature of the Mission. 3. The ISAF and supporting personnel, including associated liaison personnel, will under all circumstances and at all times be subject to the exclusive jurisdiction of their respective national elements in respect of any criminal or disciplinary offences which may be committed by them on the territory of Afghanistan. The Interim Administration will assist the ISAF contributing nations in the exercise of their respective jurisdiction. 4. The ISAF and supporting personnel, including associated liaison personnel, will be immune from personal arrest of detention. ISAF and supporting personnel, including associated liaison personnel, mistakenly arrested or detained will be immediately handed over to ISAF authorities. The Interim Administration agree that ISAF and supporting personnel, including associated liaison personnel, may not be surrendered to, or otherwise transferred to the custody of, an international tribunal or any other entity or State without the express consent of the contributing nation. ISAF Forces will respect the law and culture of Afghanistan.”393
Für die Praxis bedeutet dies, daß die afghanischen Behörden keine Strafgerichtsbarkeit und keine strafprozessualen Zwangsmaßnahmen gegenüber Mitgliedern der ISAF ausüben bzw. ergreifen dürfen. Auch die ISAF selbst verfügt über keine Strafgewalt. Sollten Angehörige der ISAF in Afghanistan eine kriminelle Tat begehen, so richtet sich die materielle Strafbarkeit nach dem Strafrecht ihres Heimatstaates, der ausschließlich zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit berufen ist. Für die deutschen Soldaten heißt dies, daß sich die Strafbarkeit ihres Verhaltens nach dem deutschen materiellen Strafrecht bestimmt, das gemäß § 5 Nr. 12 StGB bzw. § 1a Abs. 2 WStG auf alle in Afghanistan begangenen Taten Anwendung findet, und sie gegebenenfalls in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden. Entsprechende Statusvereinbarungen bestehen auch für die KFOR- und EUFORTruppen.394 Für die KFOR-Truppen wurde, da eine Vereinbarung mit der Bundesrepublik Jugoslawien nicht möglich war395 und der Kosovo unter der treuhänderischen Zi-
___________ Die in der Antwort der Bundesregierung (vgl. oben Anm. 392) wiedergegebene Übersetzung ist, da sie sich auf Nr. 4 der Section 1 beschränkt, lückenhaft und irreführend. 394 Soweit die Antwort der Bundesregierung vom 1.8.2002 auf die kleine Anfrage der PDS auf die Frage, ob es noch andere Einsätze der Bundeswehr gebe, bei denen eine Immunitätsklausel existiere, lediglich ein Stationierungsabkommen zwischen Deutschland und Usbekistan vom 12.2.2002 nennt, ist die Information falsch. Vgl. BT-Drucks. 14/9841, S. 1 (2 f.). 395 Vgl. zu den Hintergründen Johnson, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 339 f. 393
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vilverwaltung der Vereinten Nationen (UNMIK) steht,396 eine Statusvereinbarung zwischen der NATO und den Vereinten Nationen getroffen, die am 18. August 2000 rückwirkend zum 10. Juni 1999 in Kraft gesetzt wurde.397 Nach dieser Vereinbarung genießen die Angehörigen der KFOR-Truppen vollständige strafrechtliche Immunität ratione personae gegenüber einer Inanspruchnahme durch die örtliche Gerichtsbarkeit und zudem Immunität von Festnahme und Haft, also Unverletzlichkeit, gegenüber der örtlichen Hoheitsgewalt.398 Die einschlägige Section 2 der Vereinbarung (Status of KFOR and Its Personnel) lautet, soweit sie hier von Interesse ist: “2.2. All KFOR personnel shall respect the laws applicable in the territory of Kosovo and regulations issued by the Special Representative of the Secretary-General insofar as they do not conflict with the fulfilment of the mandate given to KFOR under Security Council resolution 1244 (1999). 2.3. Locally recruited KFOR personnel shall be immune from legal process in respect of words spoken or written and acts performed by them in carrying out tasks exclusively related to their services to KFOR. 2.4. KFOR personnel other than those covered under section 2.3. above shall be: a) immune from jurisdiction before courts in Kosovo in respect of any administrative, civil or criminal act committed by them in the territory of Kosovo. Such personnel shall be subject to the exclusive jurisdiction of their respective sending States; and b) immune from any form of arrest or detention other than by persons acting on behalf of their respective sending States. If erroneously detained, they shall be immediately turned over to KFOR authorities.”
Die Immunität für die Angehörigen der EUFOR-Truppen bestimmt sich nach dem Friedensübereinkommen von Dayton (General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina) vom 14. Dezember 1995 zwischen der Republik Bosnien und Herzegowina, der Republik Kroatien und der Bundesrepublik Jugoslawien.399 Anhang B der Anlage 1-A des Übereinkommens (Agreement Between the Republic of Bosnia and Herzegovina and the North Atlantic Treaty Organisation (NATO) Concerning the Status of NATO and its Personnel)400 legt für die Sol___________ Vgl. die Resolution des UN-Sicherheitsrates 1244 (1999) vom 10.6.1999 (abgedr. in VN 1999, 116). 397 UNMIK Regulation No. 2000/47 on the Status, Privileges and Immunities of KFOR and UNMIK and Their Personnel in Kosovo vom 18.8.2000; abgedr. in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 598 ff. Internetquelle: (31.3.2006). Vgl. auch Dreist, NZWehrr 2001, 1 (4 f.); Johnson, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 344. 398 Vgl. Dreist, NZWehrr 2001, 1 (5); Johnson, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 344. 399 ILM 35 (1996), 75 (89). Internetquelle: (31.3.2006). 400 ILM 35 (1996), 75 (102). Internetquelle: (31.3.2006). Diese Bestimmungen gelten auch für die EUFOR-Truppen als Nachfolger der IFOR- bzw. SFORTruppen. Vgl. die Resolution des UN-Sicherheitsrates 1423 (2002) vom 12.7.2002, Ziffer 17 (abgedr. in VN 2002, 161 [163]) und 1639 (2005) vom 21.11.2005 (abrufbar unter 396
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daten eine umfassende Immunität ratione personae von der örtlichen Strafgerichtsbarkeit in Bosnien und Herzegowina sowie eine Unverletzlichkeit gegenüber der örtlichen Hoheitsgewalt fest. Zudem wird, wie auch in der Vereinbarung für die ISAF-Truppen, das UN-Immunitäten-Übereinkommen für entsprechend anwendbar erklärt, wodurch auch diese Exemtionen zum Teil doppelt abgesichert werden. Die einschlägigen Passagen der Vereinbarung lauten: “2. The provisions of the Convention on the Privileges and Immunities of the United Nations of 13 February 1946 concerning experts on mission shall apply mutatis mutandis to NATO personnel involved in the Operation, except as otherwise provided for in the present agreement. (…). 3. All personnel enjoying privileges and immunities under this Agreement shall respect the laws of the Republic of Bosnia and Herzegovina insofar as it is compatible with the entrusted tasks/mandate and shall refrain from activities not compatible with the nature of the Operation. 7. NATO military personnel under all circumstances and at all times shall be subject to the exclusive jurisdiction of their respective national elements in respect of any criminal or disciplinary offenses which may be committed by them in the Republic of Bosnia and Herzegovina. NATO and the authorities of the Republic of Bosnia and Herzegovina shall assist each other in the exercise of their respective jurisdictions. 8. As experts on mission, NATO personnel shall be immune from personal arrest or detention. NATO personnel mistakenly arrested or detained shall immediately be turned over to NATO authorities.”
b) Exemtionen auf der Basis von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates Mit der Resolution 1497 (2003) vom 1. August 2003401 legte der UN-Sicherheitsrat – soweit ersichtlich erstmalig – Exemtionen unmittelbar in einer Sicherheitsratsresolution fest.402 Mit dieser Resolution wurden die Staaten ermächtigt, eine multinationale Schutzmacht zur Sicherung des im Juni 2003 zwischen den Bürgerkriegsparteien in Liberia vereinbarten Waffenstillstands in das westafrikanische Land zu entsenden. An dem Militäreinsatz beteiligten sich neben etlichen afrikanischen Staaten auch die USA mit eigenen Truppen.403 Die Resolution bestimmt, daß die Angehörigen der von den Vereinten Nationen autorisierten Streitkräfte in bezug auf Taten, die in einem Zusammenhang mit dem Militäreinsatz stehen, ausschließlich der Gerichtsbarkeit ihres jeweiligen Entsendestaates unterworfen sind. ___________ [31.3.2006]). Siehe auch Burger, in: Fleck (Hrsg.), Handbook of the Law of Visiting Forces, S. 510 f., 516 f. 401 Internetquelle: (31.3.2006). 402 Vgl. Zappalà, JICJ 1 (2003), 671 (672 ff.). 403 Dieser von den UN autorisierte Militäreinsatz wurde durch eine UN-Mission (UNMIL) abgelöst; vgl. UN-Resolution 1509 (2003); abrufbar unter (31.3.2006).
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
In Ziffer 7 der Sicherheitsratsresolution 1497 (2003) heißt es: “(…) current or former officials or personnel from a contributing state, which is not party to the Rome Statute of the International Criminal Court, shall be subject to the exclusive jurisdiction of that contributing State for all alleged acts or omissions arising out of or related to the Multinational Force or United Nations stabilization force in Liberia, unless such exclusive jurisdiction has been expressly waived by that contributing State.”
Überraschend ist die Beschränkung dieser Exemtion auf Funktionsträger von Staaten, die nicht Vertragsparteien des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs sind. Dies zeigt deutlich die Stoßrichtung der Exemtionsbestimmung: Es ging darum, die an dem Einsatz in Liberia beteiligten US-Soldaten davor zu bewahren, sich vor dem IStGH oder vor Gerichten von Drittstaaten verantworten zu müssen. Die Exemtionsregelung legt nicht nur einen Schutz vor einer Strafverfolgung durch den IStGH fest, sondern reicht erheblich weiter. Indem die an dem Einsatz beteiligten Funktionsträger von Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts der ausschließlichen Gerichtsbarkeit ihres Entsendestaates in bezug auf Taten unterworfen werden, die in einem Zusammenhang mit dem Militäreinsatz stehen,404 wird zugleich eine weitreichende Exemtion gegenüber dem Aufenthaltsstaat Liberia sowie allen Drittstaaten normiert.405 Diese Immunitätsklausel ist für die betreffenden Staaten über Art. 25 UN-Charta verbindlich.406 ___________ Damit sind nur solche Taten von der Exemtion ausgenommen, die aus rein privater Motivation heraus und lediglich gelegentlich des Einsatzes bzw. während der Stationierungszeit begangen werden, mit dem militärischen Auftrag aber in keinerlei innerer Verbindung stehen. Dagegen faßt Zappalà, JICJ 1 (2003), 671 (676) die Resolution enger und will nur eine Exemtion für Handlungen anerkennen, die als solche zum Aufgabenkreis der Mission gehören. 405 Zappalà, JICJ 1 (2003), 671 (673). Da weder Liberia noch die USA Vertragspartei des Römischen Statuts sind und damit der IStGH ohnehin wegen von US-Soldaten in Liberia begangener Taten keine Gerichtsbarkeit ausüben dürfte, vermutet Zappalà, a.a.O., 671 (674) wohl nicht zu Unrecht, daß es den USA in erster Linie darum ging, ihre Soldaten vor einer Strafverfolgung durch Drittstaaten zu schützen. 406 Lediglich hingewiesen werden soll an dieser Stelle auf das Problem, daß die Exemtionsregelung in der Sicherheitsratsresolution 1497 (2003) zwar über Art. 25 UN-Charta für alle UN-Mitgliedstaaten verbindlich ist, diese Beachtlichkeit für die Staaten aber noch nicht automatisch eine innerstaatliche Verbindlichkeit für die nationalen Strafverfolgungsbehörden bedeutet. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden sind – wie oben in § 19 II.4. a)dd) aufgezeigt – ohne eine deutsche Rechtsnorm, die eine innerstaatliche Maßgeblichkeit von Bestimmungen von UN-Sicherheitsratsresolutionen festlegt, nicht an diese gebunden (siehe auch Klein, in: Graf Vitzthum [Hrsg.], Völkerrecht, 4. Abschn. Rn. 151). Insofern besteht derzeit die „Gefahr“, daß Deutschland einer durch eine UN-Sicherheitsratsresolution begründeten völkerrechtlichen Pflicht zur Exemtionsgewährung innerstaatlich nicht nachkommen kann. Sollte die Festlegung von Exemtionsregelungen für von den Vereinten Nationen autorisierte Streitkräfte oder auch für UN-Friedenstruppen unmittelbar in verbindlichen Sicherheitsratsresolutionen „Schule machen“, so müßte der deutsche Gesetzgeber durch eine nationale deutsche Regelung die Maßgeblichkeit von Exemtionsbestimmungen in UN-Sicherheitsratsresolutionen für die deutschen Strafverfolgungsbehörden festlegen. Dies könnte durch eine Ergänzung des Art. 20 Abs. 2 GVG geschehen, indem die dortige Auflistung maßgeblicher Rechtsgrundlagen ergänzt würde um Resolutionen des UN-Sicherheitsrates. 404
§ 20 Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte
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Zwar ist es durchaus sachgerecht, den Angehörigen von Streitkräften, deren Tätigkeit von den Vereinten Nationen ausdrücklich gewünscht wird, in bezug auf diese Tätigkeit Exemtionen gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates zu gewähren. Die Gründe, die für eine Exemtion von Angehörigen von UNFriedenstruppen gegenüber der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates sprechen,407 lassen sich auch zugunsten einer Exemtion für Personen ins Feld führen, die an einem von den Vereinten Nationen „lediglich“ autorisierten Militäreinsatz teilnehmen. Auch sprechen gute Gründe dafür, Exemtionen für Angehörige von UN-Friedenstruppen bzw. von den Vereinten Nationen autorisierte Streitkräfte unmittelbar in einer Sicherheitsratsresolution zu verankern und damit für alle Staaten in gleicher Weise und unabhängig von vertraglichen Vereinbarungen verbindlich zu machen. Doch eine selektive und überaus weitreichende Exemtionsgewährung nur für Funktionsträger solcher Staaten, die nicht Vertragsstaaten des Römischen Statuts sind, ist in keiner Weise akzeptabel. Für eine solche allein den Interessen der USA dienende Exemtionsgewährung gibt es keinen legitimen Grund. Auch wenn die Exemtionsbestimmung in der Resolution 1497 (2003) als völkerrechtlich verbindlich anzusehen ist,408 so ist sie doch ganz zu Recht von einer Vielzahl von Staaten und in der wissenschaftlichen Literatur heftig kritisiert worden.409 Gleichwohl ist die Resolution 1497 (2003) kein Einzelfall geblieben. In Ziffer 6 der sogenannten Darfur-Resolution 1593 (2005) vom 31. März 2005, mit der erstmalig der UN-Sicherheitsrat eine „Situation“ – die Verbrechen arabischer Reitermilizen zu Lasten der Zivilbevölkerung im Darfur-Gebiet des Sudan – gemäß Art. 13 lit. b) IStGH-Statut dem Internationalen Strafgerichtshof überwies, ist gleichfalls eine Immunitätsbestimmung aufgenommen worden, nach der alle Personen, die von einem Nichtvertragsstaat des IStGH zur Friedensschaffung in den Sudan entsandt werden, für im Rahmen dieses Einsatzes begangene Straftaten ausschließlich der Strafgerichtsbarkeit ihres jeweiligen Entsendestaates unterliegen.410 ___________ Vgl. hierzu oben § 20 V.2.b) am Ende. Vgl. die Überlegungen, ob die Resolution wegen Überschreitens der Ermächtigung des UN-Sicherheitsrates durch Kap. VII UN-Charta nichtig sein könnte, bei Zappalà, JICJ 1 (2003), 671 (674 f.). Im Ergebnis aber wird man zu akzeptieren haben, daß die Staaten nicht befugt sind, die Rechtmäßigkeit von UN-Sicherheitsratsresolutionen zu überprüfen oder gar in Frage zu stellen. Ansonsten wäre das Friedenssicherungssystem der Vereinten Nationen wirkungslos. 409 Siehe Zappalà, JICJ 1 (2003), 671 (672 ff.). Wegen der hier erörterten Exemtionsregelung stimmten die Sicherheitsratsmitglieder Frankreich, Deutschland und Mexiko nicht für die Resolution; vgl. Zappalà, a.a.O., 671 (671 f.). 410 Internetquelle: (31.3.2006). Die einschlägige Passage der Resolution 1593/2005 lautet: “(…) Decides that nationals, current or former officials or personnel from a contributing state outside Sudan which is not party to the Rome Statute of the International Criminal Court shall be subject to the exclusive jurisdiction of that contributing State for all alleged acts or omissions arising out of or related to operations in Sudan established or authorized by the Council or the African Union, unless such exclusive jurisdiction has been expressly waived by that contributing State.” 407 408
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
Diese Exemtionsbestimmung ist sogar insofern noch weitreichender als die in der „Liberia-Resolution“, als nicht nur Personen erfaßt werden, die an einem von den Vereinten Nationen autorisierten Militäreinsatz teilnehmen, sondern auch solche, die sich an einem von der Afrikanischen Union beschlossenen Einsatz beteiligen.
VI. Exemtionen für Angehörige von Streitkräften gegenüber Internationalen Strafgerichtshöfen 1. Zur Unterworfenheit von Militärangehörigen unter die Gerichtsbarkeit der UN-Strafgerichtshöfe Der Gerichtsbarkeit der UN-Strafgerichtshöfe, also des ICTY und des ICTR, vermögen die hier erörterten Exemtionen für Militärangehörige keine Schranken zu setzen. Da Militärangehörige nach Völkergewohnheitsrecht keine besondere Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen, sondern sich lediglich auf die Staatenimmunität berufen können, diese aber – wie oben in § 6 II.1. gezeigt – bei den in die Zuständigkeit des ICTY und des ICTR fallenden völkerrechtlichen Verbrechen nicht gilt, kommt eine für den ICTY bzw. den ICTR beachtliche völkergewohnheitsrechtliche Exemtion von vornherein nicht in Betracht.411 Da die Mitglieder des NTS und des PfP-Truppenstatuts alle auch Mitglieder der Vereinten Nationen sind, die Exemtionen nach dem NTS und dem PfP-Truppenstatut also zugunsten von Staaten zu gewähren sind, für die die Resolutionen des UNSicherheitsrates und damit auch die in den Statuten der UN-Strafgerichtshöfe verankerten Exemtionsausschlüsse beachtlich sind, können auch diese Exemtionen die Gerichtsbarkeit des ICTY und des ICTR nicht beschränken.412 Die Exemtionen schließlich, die Angehörige von Streitkräften der Vereinten Nationen oder von Streitkräften genießen, die von den Vereinten Nationen mandatiert worden sind, werden zugunsten der Vereinten Nationen gewährt. Damit können auch sie von vornherein einer Strafverfolgung durch die als Organe der Vereinten Nationen tätigen UN-Strafgerichtshöfe nicht entgegenstehen.
___________ Diese Argumentation ist im einzelnen oben in § 9 I.2.b)bb) entwickelt worden; auf die dortigen Ausführungen wird an dieser Stelle verwiesen. 412 Diese Argumentation ist im einzelnen oben in § 9 I.2.b)aa) entfaltet worden; auf die dortigen Ausführungen wird an dieser Stelle verwiesen. 411
§ 20 Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte
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2. Zur Unterworfenheit von Militärangehörigen unter die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs Das Römische Statut stellt in Art. 27 Abs. 2 klar und eindeutig fest, daß sämtliche Exemtionen für den Gerichtshof irrelevant sind.413 Nach dem Wortlaut des Römischen Statuts können also die Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte einer Strafverfolgung durch den IStGH keine Schranken setzen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut insoweit, als sämtliche Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte für irrelevant erklärt werden, überhaupt völkerrechtskonform ist. a) Militärangehörige ohne Anbindung an die Vereinten Nationen Insoweit, als die betreffenden Personen nicht zugleich Mitglieder von Streitkräften der Vereinten Nationen oder von Streitkräften sind, deren Tätigkeit von den Vereinten Nationen autorisiert wurde,414 kann diese Frage mit den gleichen Argumenten, mit denen sie in bezug auf die diplomatischen und konsularischen Exemtionen bejaht wurde, auch bezüglich der Exemtionen für Angehörige von Streitkräften positiv beantwortet werden. Daher kann an dieser Stelle weitgehend auf die Ausführungen bei § 15 II.1. verwiesen werden, so daß hier einige wenige Feststellungen ausreichen: Zunächst einmal ist daran zu erinnern, daß sich auch die Gerichtsbarkeit des IStGH auf völkerrechtliche Verbrechen beschränkt. Die bei völkerrechtlichen Verbrechen nicht geltende Staatenimmunität kann also von vornherein einer Strafverfolgung durch den IStGH keine Schranke setzen. Soweit Angehörigen fremder Streitkräfte lediglich eine Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit aufgrund der völkergewohnheitsrechtlich geltenden Staatenimmunität zukommt,415 kann schon wegen dieser Ausnahme kein Strafverfolgungshindernis für den IStGH bestehen. Insofern ist Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut deklaratorisch. Dagegen erfahren die in § 20 III., IV. und V. geschilderten völkervertraglichen Beschränkungen für die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit über Angehörige fremder Streitkräfte – wie oben in § 20 III.4.a)bb) in bezug auf das NTS gezeigt – keine Ausnahme bei völkerrechtlichen Verbrechen. Aber dennoch ist die Regelung des ___________ Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut lautet: „Immunitäten oder besondere Verfahrensregeln, die nach innerstaatlichem Recht oder nach dem Völkerrecht mit der amtlichen Eigenschaft einer Person verbunden sind, hindern den Gerichtshof nicht an der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit über eine solche Person.“ Vgl. BGBl. 2000 II, S. 1393 (1414) = BTDrucks. 14/2682, S. 9 (29) = ILM 37 (1998), 999 (1017). 414 Die besondere Situation für Angehörige von Streitkräften der Vereinten Nationen und Militäreinheiten, deren Einsatz von den Vereinten Nationen autorisiert worden ist, soll zunächst ausgeblendet werden. Auf sie wird am Schluß der Ausführungen unter § 20 VI.1. zurückzukommen sein. 415 Vgl. oben § 20 I.1. und 4. 413
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut auch insoweit, als sie ohne jede Einschränkung Angehörige von Streitkräften einzelner Staaten erfaßt, völkerrechtskonform. Soweit der Entsendestaat der Streitkräfte selbst Vertragsstaat des Römischen Statuts ist, kann man dies schon damit begründen, daß er mit der Ratifikation des Statuts zum Ausdruck gebracht hat, auch mit dessen Art. 27 einverstanden zu sein, sodaß insofern zumindest ein „Verzicht“ auf sämtliche Exemtionen vorliegt.416 Das letztlich entscheidende Argument ist jedoch hier ebenso wie bei den diplomatischen und konsularischen Exemtionen, daß die völkervertraglichen Regelungen ausschließlich den jeweiligen Aufnahmestaat verpflichten – anders als beim WÜD und beim WÜK geht dies aus dem Wortlaut der völkerrechtlichen Verträge über den Aufenthalt von Streitkräften im Gebiet anderer Staaten wie beispielsweise dem NTS sogar klar hervor – und damit lediglich dem Aufnahmestaat Beschränkungen seiner Strafgerichtsbarkeit auferlegen.417 Da der IStGH seine Strafverfolgungskompetenz aber nicht nur aus der Strafverfolgungskompetenz des jeweiligen Aufnahmestaates ableitet (sofern dieser Vertragsstaat des Statuts ist), sondern – ausgehend von der Annahme, daß jeder Staat zur Verfolgung völkerrechtlicher Verbrechen nach dem Weltrechtsprinzip berechtigt ist418 – stets auch aus der Kompetenz aller übrigen Vertragsstaaten, kann die Tatsache, daß einer der Vertragsstaaten an einer eigenen nationalen Strafverfolgung gehindert ist und damit insofern keine Strafverfolgungskompetenz an den IStGH delegieren kann, einer Strafverfolgung durch den IStGH keine Schranke setzen. Entsprechendes gilt, wenn der Aufnahmestaat nicht Vertragspartei des Römischen Statuts ist. Dann ergibt sich die Strafverfolgungskompetenz des IStGH gleichfalls aus der anderer (Vertrags-) Staaten.419 ___________ 416 Vgl. insofern die Ausführungen oben bei § 15 II.1.b)aa). Die oben geschilderten Regelungen des NTS und des PfP-Truppenstatuts, die in der Sache eine Exemtion von der Strafgerichtsbarkeit des Aufnahmestaates bewirken, sollen ebenso wie die Exemtionen nach dem WÜD und dem WÜK ausschließlich den Interessen des Entsendestaates dienen. Daher kann, wie auch Art. VII Abs. 3 lit. c) NTS zeigt, der Entsendestaat auf die zu seinen Gunsten festgelegten Beschränkungen der Strafgerichtsbarkeit verzichten. 417 Daher sind Drittstaaten durch Verträge wie das NTS an einer Strafverfolgung in keiner Weise gehindert. 418 Vgl. hierzu Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 252 ff. m.w.N. 419 Vgl. auch die Ausführungen oben bei § 15 II.1.b)aa) zu der vergleichbaren Rechtslage im Diplomaten- und Konsularrecht. Zu kurz gegriffen wäre dagegen – wie schon oben in § 15 II.1.b)aa) für die Exemtionen nach dem WÜD und dem WÜK dargelegt – die Behauptung, die Beschränkungen für die Ausübung von Strafgewalt gälten allein für den Aufnahmestaat, also für einen Staat, der IStGH aber sei ein supranationales und kein staatliches Gericht. Denn der IStGH ist völkerrechtlich als eine von den Vertragsstaaten getragene internationale Organisation einzustufen und kann daher gegenüber Staaten, die das Statut nicht ratifiziert haben, nicht in größerem Umfang Kompetenzen haben als die Vertragsstaaten des IStGH zusammen. Die Kompetenz einer internationalen Organisation Drittstaaten gegenüber muß sich – sofern keine Vereinbarung zwischen Organisation und Drittstaat existiert – stets auf die Kompetenz mindestens eines Vertragsstaates dem Drittstaat gegenüber zurückführen lassen.
§ 20 Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte
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Als Fazit ist damit festzuhalten, daß die hier analysierten Exemtionen für Angehörige von Streitkräften einzelner Staaten entweder von vornherein bei völkerrechtlichen Verbrechen nicht gelten oder aber stets nur einen Staat, nämlich den jeweiligen Aufenthaltsstaat, verpflichten. Sie können daher einer Strafverfolgung durch den IStGH keine Schranke setzen.420 Soweit Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut Exemtionen für Angehörige von Streitkräften einzelner Staaten für irrelevant erklärt, können hiergegen also keine völkerrechtlichen Bedenken erhoben werden, und zwar auch nicht, soweit es um eine Strafverfolgung von Angehörigen von Streitkräften geht, deren Staat nicht Vertragsstaat des Römischen Statuts ist. b) Mitglieder von Streitkräften der Vereinten Nationen Etwas anderes gilt aber für die Mitglieder von Streitkräften der Vereinten Nationen.421 Diese genießen – wie in § 20 V.2.b) gezeigt – gegenüber der Strafgewalt aller UN-Mitgliedstaaten Exemtionen nach Art. VI UN-Immunitäten-Übereinkommen, und zwar vor allem Immunität ratione materiae. Diese Immunität ratione materiae erfährt – anders als die aus der Staatenimmunität folgende Immunität ratione materiae für staatliche Funktionsträger – keine Ausnahme bei völkerrechtlichen Verbrechen.422 Die Mitglieder von Streitkräften der Vereinten Nationen dürfen damit wegen dienstlich begangener völkerrechtlicher Verbrechen von keinem Staat423 strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, solange nicht der UN-Generalsekretär einen Immunitätsverzicht erklärt.424 Da alle Vertragsstaaten des IStGH Mitglieder der Vereinten Nationen sind, darf der IStGH, dessen Strafkompetenz nicht größer sein kann als die aller Mitgliedstaaten zusammen, gleichfalls keine Strafgewalt über Mitglieder von UN-Streitkräften ___________ 420 Indirekt sind die Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte allerdings insofern für den IStGH von Relevanz, als es um Rechtshilfemaßnahmen des Aufnahmestaates für den IStGH geht. Soweit der Aufnahmestaat an einer Ausübung von Strafgerichtsbarkeit etwa durch das NTS gehindert ist, darf er auch keine Rechtshilfemaßnahmen für den IStGH ergreifen, etwa einen Beschuldigten festnehmen und an den Gerichtshof überstellen. Daher sieht Art. 98 Abs. 2 IStGH (vgl. unten Anm. 444) vor, daß der Gerichtshof kein Überstellungsersuchen stellen darf, das vom ersuchten Staat verlangen würde, entgegen seinen Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Übereinkünften zu handeln. Bei der Ausarbeitung des Römischen Statuts hatte man dabei vornehmlich an sogenannte Status of Forces Agreements wie das NTS gedacht; vgl. oben Anm. 214. Siehe hierzu auch unten § 23 VI.2.b). 421 Vgl. bezüglich der Einordnung oben § 20 V.1.a). 422 Vgl. oben Anm. 384 sowie § 19 II.1.b)cc). 423 Mit der zu vernachlässigenden Ausnahme der Staaten, die nicht Mitglieder der Vereinten Nationen sind. 424 So auch Szasz/Ingadottir, LJIL 14 (2001), 867 (880 f.). Vgl. hierzu bereits oben Anm. 384 sowie § 19 II.1.b)cc). Ein solcher Exemtionsverzicht wird aber – wie oben in § 20 V.2. dargelegt (vgl. auch Anm. 359) – gegenüber dem Heimatstaat der Soldaten regelmäßig antizipiert in der Entsendevereinbarung mit den Vereinten Nationen von den Vereinten Nationen erklärt.
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ausüben, sofern es um völkerrechtliche Verbrechen geht, die von der Immunität des Art. VI Abschn. 22 lit. b) UN-Immunitäten-Übereinkommen erfaßt werden. In einem solchen Fall ist Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut also nicht völkerrechtskonform und unanwendbar.425 Vielmehr ist hier ein Immunitätsverzicht des UN-Generalsekretärs nach Art. VI Abschn. 23 UN-Immunitäten-Übereinkommen erforderlich.426 Aus dieser Rechtslage heraus erklärt sich auch die in Art. 19 Relationship Agreement between the Court and the United Nations vom 4. Oktober 2004427 getroffene Regelung: “If the Court seeks to exercise its jurisdiction over a person who is alleged to be criminally responsible for a crime within the jurisdiction of the Court and if, in the circumstances, such person enjoys, according to the Convention on the Privileges and Immunities of the United Nations and the relevant rules of international law, any privileges and immunities as are necessary for the independent exercise of his or her work for the United Nations, the United Nations undertakes to cooperate fully with the Court and to take all necessary measures to allow the Court to exercise its jurisdiction, in particular by waiving such privileges and immunities in accordance with the Convention on the Privileges and Immunities of the United Nations and the relevant rules of international law.”
Mit dieser Regelung wird einerseits von den Vertragsstaaten des Römischen Statuts anerkannt, daß die aufgrund des UN-Immunitäten-Übereinkommens bestehenden Exemtionen einer Ausübung von Strafgerichtsbarkeit durch den IStGH entgegenstehen können. Andererseits aber wird der UN-Generalsekretär verpflichtet, in jedem Einzelfall einen Exemtionsverzicht auszusprechen.428 c) Mitglieder von durch die Vereinten Nationen autorisierten Streitkräften Mitglieder von Streitkräften, deren Einsatz von den Vereinten Nationen „lediglich“ autorisiert wurde,429 unterliegen der Gerichtsbarkeit des IStGH in gleicher Weise wie Angehörige von Streitkräften, deren Tätigkeit ohne jegliche Anbindung ___________ So auch Szasz/Ingadottir, LJIL 14 (2001), 867 (869 f., 880 ff.). A.A., jedoch ohne substantielle Begründung, Stahn, EJIL 14 (2003), 85 (94 f.). 426 So auch Szasz/Ingadottir, LJIL 14 (2001), 867 (880 f.). Vgl. hierzu näher die Ausführungen oben bei § 19 III.2.a). Ein solcher Exemtionsverzicht kann aber gegebenenfalls auch pauschal und antizipiert für alle zukünftigen Fälle erklärt werden. Allein aus der Tatsache, daß der IStGH von den Vereinten Nationen unterstützt wird und Art. 2 IStGH-Statut eine enge Anbindung des Gerichtshofs an die Vereinten Nationen vorsieht, kann aber nicht auf ein generelles Einverständnis des UN-Generalsekretärs mit einer Strafverfolgung von UN-Funktionsträgern durch den IStGH geschlossen werden. 427 Das Übereinkommen wurde am 4.10.2004 vom UN-Generalsekretär und dem Präsidenten des IStGH geschlossen und trat mit Unterzeichnung am selben Tage in Kraft. Abrufbar im Internet unter (31.3.2006). 428 Art. 19 des Übereinkommens stellt selbst keine Verzichtserklärung dar. Vielmehr begründet diese Norm lediglich eine Verpflichtung der Vereinten Nationen, einen Verzicht zu erklären. So auch Akande, AJIL 98 (2004), 407 (430); Szasz/Ingadottir, LJIL 14 (2001), 867 (882). 429 Vgl. hierzu oben § 20 V.1.b). 425
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an die Vereinten Nationen erfolgt; sie genießen also grundsätzlich keine Freistellung von der Strafgewalt des IStGH. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der UNSicherheitsrat durch eine verbindliche Resolution ausdrücklich bestimmt, daß diese Funktionsträger gegenüber dem IStGH Exemtionen genießen. Wie oben in § 20 V.3.b) ausgeführt, haben die Vereinten Nationen im Sommer 2003 mit der Resolution 1497 (2003), durch die der Einsatz einer multinationalen Streitmacht in Liberia legitimiert wurde, bestimmt, daß die Soldaten und sonstigen Einsatzbeteiligten von Staaten, die nicht Vertragsstaaten des Römischen Statuts sind, für Taten im Zusammenhang mit ihrer dienstlichen Tätigkeit ausschließlich der Gerichtsbarkeit ihres Entsendestaates unterliegen. Eine Resolution mit einer entsprechenden Regelung wurde – wie gleichfalls bereits oben in § 20 V.3.b) dargelegt wurde – im März 2005 auch bezogen auf Einsätze im Darfur-Konflikt im Sudan verabschiedet (Resolution 1593 [2005]). Dies bedeutet im Umkehrschluß, daß der UN-Sicherheitsrat verfügt hat, daß die an Einsätzen in Liberia bzw. im Sudan beteiligten Personen wegen im Zusammenhang mit ihrer dienstlichen Tätigkeit begangener Straftaten nicht der Gerichtsbarkeit des IStGH unterliegen.430 Auch wenn diese Exemtionen per UN-Sicherheitsratsbeschluß mit Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut unvereinbar sind, so heißt dies doch nicht, daß die Exemtionsfestlegungen unwirksam sind. Vielmehr tritt umgekehrt Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut insofern, als diese Norm mit der Exemtionsfestlegung in den Sicherheitsratsresolutionen unvereinbar ist, hinter den Resolutionen zurück. Unerheblich ist auch, daß sich diese Resolutionen nicht im Rahmen des Art. 16 IStGH-Statut bewegen. Denn da nach Art. 25 UN-Charta die UN-Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Beschlüsse des Sicherheitsrates anzunehmen und auszuführen, wird die Hoheitsgewalt der UNMitgliedstaaten durch die Resolutionen 1497 (2003) und 1593 (2005) beschränkt. Da alle Vertragsstaaten des Römischen Statuts zugleich auch UN-Mitgliedstaaten sind, ist entsprechend auch die Hoheitsgewalt des IStGH beschränkt – unabhängig davon, was das Römische Statut bestimmt. Denn der IStGH als von seinen Vertragsstaaten getragene Organisation kann – wie gesagt – nicht über die Summe der Kompetenzen der Vertragsstaaten hinausreichende Befugnisse haben. Die Kompetenzen des IStGH müssen sich vielmehr stets auf die Kompetenzen der Vertragsstaaten zurückführen lassen. Diese aber sind alle in ihrer Hoheitsgewalt durch die Sicherheitsratsresolutionen beschränkt.431 Damit sind die Resolutionen 1497 (2003) und 1593 (2005) zwar völkerrechtlich – auch für den IStGH – verbindlich,432 völkerrechtspolitisch aber können sie in ___________ Vgl. Zappalà, JICJ 1 (2003), 671 (672 ff.). Vgl. zu diesem Gedankengang auch unten § 20 VI.3.b)bb), insbesondere Anm. 480. 432 Siehe in diesem Zusammenhang auch Lavalle, CLF 14 (2003), 195 (205), der zutreffend darauf hinweist, daß der IStGH an alle an ihn adressierte Resolutionen des UNSicherheitsrates gebunden ist, unabhängig davon, ob diese mit dem Römischen Statut ver430 431
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keiner Weise legitimiert werden. Denn sie dienen – wie sich schon an ihrer Beschränkung auf Angehörige von Streitkräften von Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts zeigt – lediglich dazu, die am Einsatz in Liberia bzw. in der DarfurRegion beteiligten Soldaten der USA und anderer dem IStGH und einer Drittstaatenverfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen ablehnend gegenüberstehender Staaten vor einer legitimen Strafverfolgung zu schützen, insbesondere der Gerichtsbarkeit des IStGH zu entziehen. 3. Freistellung von Soldaten von der Gerichtsbarkeit des IStGH aufgrund von Bemühungen der USA Die Resolutionen 1497 (2003) und 1593 (2005), die keine praktische Relevanz erlangen dürften, sind nur ein Beispiel für die (erfolgreichen) Bemühungen der USA, „ihre“ Soldaten von der Gerichtsbarkeit des IStGH auszuschließen. Zum Abschluß der Analyse der völkerrechtlichen Exemtionen für Angehörige von Streitkräften soll noch ein Blick auf diese Bemühungen der USA geworfen werden. a) Überblick über die verschiedenen Bemühungen der USA um Freistellung ihrer Soldaten von der Gerichtsbarkeit des IStGH Die USA, früher einmal mit ihrem Eintreten für die Durchführung der „Nürnberger Prozesse“ Schrittmacher des Völkerstrafrechts und auch heute noch der Idee einer supranationalen Strafgerichtsbarkeit – wie durch die aktive Mitwirkung an der Gründung des ICTY und des ICTR demonstriert – nicht abgeneigt, wenn es um eine Verfolgung staatlicher Funktionsträger anderer Staaten geht, beobachteten die Bemühungen um eine Errichtung eines ständigen internationalen Strafgerichtshofs zunächst abwartend neutral. Sie wurden aber zu einem der erbittertsten Gegner des IStGH, als sich abzeichnete, daß der Gerichtshof nicht vom UN-Sicherheitsrat – und damit wegen des US-amerikanischen Vetorechts im Sicherheitsrat mittelbar von den USA – abhängig, sondern eine unabhängige Instanz sein würde. Auch heute noch stehen die USA dem Gerichtshof ablehnend gegenüber. So erklärten die Vereinigten Staaten im April 2002, an die Unterzeichung des Statuts nicht mehr gebunden sein zu wollen.433 Nach wie vor lehnen sie eine Ratifikation kategorisch ab. Hintergrund dieser Haltung ist die Befürchtung, US-Bürger, insbesondere US-amerikanische Soldaten, könnten eines Tages vom IStGH für Taten zur Verantwortung gezogen werden, die sie im Rahmen einer militärischen Aktion der ___________ einbar sind oder nicht. A.A. aber Eser, in: Grafl/Medigovic (Hrsg.), FS Burgstaller, S. 355 (364 Fn. 31). Vgl. hierzu näher unten § 20 VI.3.b)bb). 433 Erklärung abgedr. in ILM 41 (2002), 1014. Siehe zum Verhalten der USA Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 55; Eser, in: Grafl/Medigovic (Hrsg.), FS Burgstaller, S. 355 (358); Kreß, BdiP 2002, 1087 (1092); McGoldrick, in: McGoldrick u.a. (Hrsg.), Permanent International Criminal Court, S. 389 (414 f.); Papenfuß, Internationale Politik 2002, 33 (34); Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (142); SZ vom 7.5.2002, S. 9.
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USA begangen haben. Für die USA, die einzige verbliebene Supermacht der Welt, ist die Vorstellung, bei ihrem Handeln an andere als selbstgeschaffene oder zumindest von den USA befürwortete Normen gebunden und damit möglicherweise bei militärischen Aktivitäten externen Schranken unterworfen zu sein, offenbar unerträglich.434 aa) Die These einer Unzulässigkeit der Strafverfolgung von Angehörigen von Nichtvertragsstaaten durch den IStGH Zunächst wurde von seiten der USA die Auffassung vertreten, das Römische Statut sei insofern, als dem IStGH die Kompetenz zugesprochen werde, Personen strafrechtlich zu verfolgen, die Angehörige eines Staates sind, der das Statut nicht ratifiziert hat, ein nach Art. 34 WVRK völkerrechtlich unzulässiger Vertrag zu Lasten dritter Staaten.435 Doch wurde diese Argumentation zu Recht überwiegend zurückgewiesen.436 Denn das auf völkerrechtlicher Ebene strafbewehrte Verbot, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu begehen, besteht zugunsten der gesamten Völkerrechtsgemeinschaft. Daher ist jeder Staat durch völkerrechtliche Verbrechen betroffen, die Rechtsverletzung wirkt erga omnes. Und deshalb ist auch jeder Staat – gewissermaßen als „Vertreter der Völkerrechtsgemeinschaft“ – befugt, völkerrechtliche Verbrechen nach dem Weltrechtsprinzip unabhängig vom Tatort und der Person des Täters zu ahnden.437 Da aber jeder Staat zur Ahndung völkerrechtlicher Verbrechen unabhängig vom Tatort, der Nationalität des Täters und dessen Aufenthaltsort befugt ist, darf auch jeder Staat diese Strafverfolgungskompetenz an den IStGH delegieren. Ein völkerrechtliches Verbot, staatliche Strafverfolgungsbefugnisse an supranationale Gerichte zur Wahrnehmung und Ausübung zu übertragen, besteht nicht.438 Der IStGH kann daher seine Kompetenz, auch Angehörige von Nichtvertragsstaaten zu verfolgen, aus der jeweiligen Kompetenz eines jeden Vertragsstaates ableiten. Das Römische Statut wäre damit selbst dann völkerrechtskonform gewesen, wenn es die un___________ Zu den Kritikpunkten der USA und ihren wahren Hintergründen vgl. Benzing, Max Planck UNYB 8 (2004), 181 (184 ff.); Papenfuß, Internationale Politik 2002, 33 (34 f., 36 f.); McGoldrick, in: McGoldrick u.a. (Hrsg.), Permanent International Criminal Court, S. 389 (400 ff.); Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (137 ff.). 435 Vgl. Kreß, BdiP 2002, 1087 (1088 f. m.w.N.); Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (137). 436 Vgl. nur Eser, in: Grafl/Medigovic (Hrsg.), FS Burgstaller, S. 355 (358 f.); Herbst, EuGRZ 2002, 581 (582); Kreß, NStZ 2000, 617 (618); ders., BdiP 2002, 1087 (1089 ff.); McGoldrick, in: McGoldrick u.a. (Hrsg.), Permanent International Criminal Court, S. 389 (404 ff.); Stahn, ZaöRV 60 (2000), 631 (642 ff.); Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (137). 437 Vgl. oben Anm. 418. 438 Zu dieser Delegationskompetenz vgl. Herbst, EuGRZ 2002, 581 (582); Kreß, BdiP 2002, 1087 (1089 f.); Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (137). 434
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eingeschränkte Strafgewalt des IStGH über Völkerstraftaten nach dem Weltrechtsprinzip festgelegt hätte, wofür unter anderem die Bundesrepublik plädiert hatte.439 Tatsächlich aber bleibt das Römische Statut, wie Art. 12 f. IStGH-Statut zeigen, weit hinter der völkerrechtlich zulässigen Reichweite der Jurisdiktionserstreckung zurück. Mit ihren Argumenten gegen die Völkerrechtskonformität des Römischen Statuts konnten die USA daher bei den Vertragsstaaten des Statuts zu Recht nicht durchdringen. Die USA verlegten sich deshalb darauf, ihre Bemühungen um eine Freistellung ihrer Soldaten von der Gerichtsbarkeit des IStGH auf drei anderen Ebenen weiterzuverfolgen.440 bb) Abschluß bilateraler Nicht-Überstellungs-Abkommen Zum einen drängen die USA einzelne Staaten, bilaterale Abkommen mit den USA zu schließen, in denen sich diese Staaten verpflichten, keine US-Bürger an den IStGH zu überstellen (Bilateral Immunity Agreements – BIAs).441 Bislang haben 100 Staaten, darunter mit Rumänien auch ein in die EU strebender europäischer Staat, solche Vereinbarungen abgeschlossen.442 Etlichen Staaten, die diesem Ansinnen entgegengetreten sind, darunter Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, die Slowakei und Slowenien, haben die USA Militärhilfe entzogen; weiteren Staaten wurde mit der Entziehung finanzieller und wirtschaftlicher Unterstützung gedroht.443 ___________ Vgl. BVerfG NJW 2001, 1848 (1853); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 172. Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 56; Benzing, Max Planck UNYB 8 (2004), 181 (187 ff.); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 65 Fn. 124. 441 Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 56; Eser, in: Grafl/Medigovic (Hrsg.), FS Burgstaller, S. 355 (358 f.); Fleck, JICJ 1 (2003), 651 (653 ff.); Kreß, BdiP 2002, 1087 (1099); McGoldrick, in: McGoldrick u.a. (Hrsg.), Permanent International Criminal Court, S. 389 (423 ff.); Zappalà, JICJ 1 (2003), 114 (122 ff.); Zimmermann/ Scheel, VN 2002, 137 (143); SZ vom 23.7.2002, S. 7; SZ vom 7.8.2002, S. 1; SZ vom 28.8.2002, S. 1, 4; SZ vom 2.9.2002, S. 2; SZ vom 30.9.2002, S. 1; SZ vom 2.7.2003, S. 8; SZ vom 3.7.2003, S. 8. Der Text dieser Abkommen ist wiedergegeben bei Benzing, Max Planck UNYB 8 (2004), 181 (191 f.); bei McGoldrick, a.a.O., S. 389 (424 f.); bei Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (143) sowie in EuGRZ 2002, 664 (664 f.). 442 Vertragsstaaten solcher Abkommen sind unter anderem Albanien, Aserbaidschan, Bosnien-Herzegowina, Georgien, Indien, Israel, Kasachstan, Mazedonien, Rumänien, Serbien und Montenegro, Tadschikistan und Usbekistan. Viele Abkommen sind allerdings (noch) nicht von den betreffenden nationalen Parlamenten gebilligt und mithin (noch) nicht ratifiziert. Vgl. die Informationen im Internet unter (31.3.2006) sowie Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 56; McGoldrick, in: McGoldrick u.a. (Hrsg.), Permanent International Criminal Court, S. 389 (426 ff.); van der Wilt, LJIL 18 (2005), 93 (94 Fn. 3) und die bereits älteren Angaben bei Herbst, EuGRZ 2002, 581 (583); Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (143); AJIL 97 (2003), 710 (711) und SZ vom 20.9.2002, S. 10; SZ vom 20.6.2003, S. 8; SZ vom 2.7.2003, S. 8. 443 Vgl. SZ vom 2.7.2003, S. 8; SZ vom 3.7.2003, S. 8 sowie AJIL 97 (2003), 710 (711). 439 440
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Die USA stehen auf dem Standpunkt, auch Vertragsstaaten des Römischen Statuts dürften solche Verträge abschließen, ohne gegen ihre völkervertraglichen Pflichten zur Zusammenarbeit mit dem IStGH nach dem Römischen Statut zu verstoßen; Art. 98 Abs. 2 IStGH-Statut444 lasse solche Verträge ausdrücklich zu.445 Dem kann aber nicht gefolgt werden.446 Denn Art. 98 Abs. 2 IStGH-Statut soll lediglich sicherstellen, daß die Vertragsstaaten nicht vom IStGH gezwungen werden, durch eine Überstellung von Beschuldigten an den Gerichtshof gegen bereits zum Zeitpunkt der Zeichnung des Statuts bestehende Verträge zu verstoßen, die Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte festlegen.447 Damit sollten Ratifikationshindernisse aus dem Weg geräumt werden. Keinesfalls sollte den Vertragsstaaten die Möglichkeit eingeräumt werden, durch nach Unterzeichnung des Römischen Statuts mit anderen Staaten neu getroffene Vereinbarungen letztlich
___________ Vgl. näher zu Art. 98 IStGH-Statut unten § 23 VI.2.b). Art. 98 Abs. 2 IStGH-Statut lautet: „Der Gerichtshof darf kein Überstellungsersuchen stellen, das vom ersuchten Staat verlangen würde, entgegen seinen Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Übereinkünften zu handeln, denen zufolge die Überstellung eines Angehörigen des Entsendestaates an den Gerichtshof der Zustimmung dieses Staates bedarf, sofern der Gerichtshof nicht zuvor die Zusammenarbeit des Entsendestaates im Hinblick auf die Zustimmung zur Überstellung erreichen kann.“ 445 Die Außenminister der EU haben sich darauf verständigt, den Abschluß dieser bilateralen Abkommen durch Vertragsstaaten des Römischen Statuts für grundsätzlich zulässig zu erachten, gleichzeitig aber „Leitprinzipien“ für den Abschluß solcher Abkommen erarbeitet, an denen sich die EU-Staaten und die Beitrittskandidaten orientieren sollen; vgl. SZ vom 1.10.2002, S. 1, 4; FAZ vom 1.10.2002, S. 6 sowie die in EuGRZ 2002, 665 (665 f.) wiedergegebenen „Schlußfolgerungen des Rates der Europäischen Union zum Internationalen Strafgerichtshof“ vom 30.9.2002 (Dokument 12488/1/02 Rev.1). Teil dieser „Schlußfolgerungen“ sind die „Leitprinzipien“. Zu diesen „Leitprinzipien“ näher Herbst, EuGRZ 2002, 581 (583 f.); McGoldrick, in: McGoldrick u.a. (Hrsg.), Permanent International Criminal Court, S. 389 (429 ff.); Zappalà, JICJ 1 (2003), 114 (126 ff.). 446 Für eine Unvereinbarkeit dieser Nicht-Überstellungs-Abkommen mit Art. 98 Abs. 2 IStGH-Statut auch Akande, JICJ 1 (2003), 618 (642 ff.); Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 56, § 8 Rn. 68 f.; Eser, in: Grafl/Medigovic (Hrsg.), FS Burgstaller, S. 355 (359 Fn. 12), und Herbst, EuGRZ 2002, 581 (583). Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 460 hält diese Abkommen für „höchst fragwürdig“. A.A. aber Zappalà, JICJ 1 (2003), 114 (122 ff.). 447 Vgl. unten § 23 VI.2.b)cc) sowie Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 56, § 8 Rn. 68 f.; Benzing, Max Planck UNYB 8 (2004), 181 (214 ff.); Herbst, EuGRZ 2002, 581 (583); Kaul/Kreß, YIHL 2 (1999), 143 (165, 174); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 459. Die intendierte Beschränkung auf Status of Forces Agreements, also auf Vereinbarungen über die Rechtsstellung von Mitgliedern von Streitkräften, ergibt sich aus dem verwendeten Begriff „Entsendestaat“. So auch die Bewertung des Juristischen Dienstes der EU-Kommission vom 13.8.2002, HRLJ 23 (2002), 158 (158) sowie die Einschätzung von Herbst, EuGRZ 2002, 581 (583); Kreß, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, vor III 26, Rn. 248 und Meißner, Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 127 f. Siehe aber auch Fleck, JICJ 1 (2003), 651 (656), der meint, die üblichen Status of Forces Agreements stünden einer Überstellung von Beschuldigten an den IStGH gar nicht entgegen. Vgl. ferner Benzing, a.a.O., 181 (209 ff.). 444
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individuell selbst festzulegen, inwieweit sie dem IStGH gegenüber kooperationspflichtig sind.448 Die bilateralen Nicht-Überstellungs-Abkommen sind aber selbst dann, wenn man sie – wie hier vertreten wird – für unvereinbar mit dem Römischen Statut hält, nicht unwirksam. Zwar handelt ein Vertragsstaat des Römischen Statuts, der ein solches Abkommen mit den USA schließt, gegenüber den anderen Vertragsstaaten des Statuts vertragswidrig und damit völkerrechtswidrig, aber die Verbindlichkeit des bilateralen Abkommens im Verhältnis zu den USA wird dadurch nicht berührt.449 Bemerkenswert ist im übrigen, daß sich eine Klausel, die eine Überstellung an den IStGH untersagt, auch in dem bereits dargestellten von Großbritannien am 4. Januar 2002 mit der afghanischen Übergangsregierung geschlossenen Military Technical Agreement über die Rechtsstellung der KFOR-Truppen und ihrer Angehörigen in Afghanistan findet.450 Offenbar sind doch nicht nur die USA bestrebt, eine Überstellung eigener Militärangehöriger durch andere Staaten an den IStGH zu unterbinden! cc) Nationale Gesetzgebung der USA zur Einschränkung der Tätigkeit des IStGH Zum zweiten haben die USA ein nationales „Gesetz zum Schutz der Angehörigen amerikanischer Streitkräfte“ verabschiedet,451 das den Behörden der USA eine Zusammenarbeit mit dem IStGH untersagt452 und in letzter Konsequenz sogar den US-Präsidenten ermächtigt, vom IStGH verfolgte US-Bürger gewaltsam aus dem Gewahrsam des Gerichtshofs zu befreien.453 ___________ So auch Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 56, § 8 Rn. 68 f.; Herbst, EuGRZ 2002, 581 (583); Kaul/Kreß, YIHL 2 (1999), 143 (165, 174); Kreß, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, vor III 26, Rn. 249 f.; Meißner, Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 126 f., 133 f. Teilweise a.A. aber Akande, JICJ 1 (2003), 618 (645); Stein, in: Bröhmer u.a. (Hrsg.), FS Ress, S. 295 (300 f.); van der Wilt, LJIL 18 (2005), 93 (100 ff.). 449 Vgl. Akande, JICJ 1 (2003), 618 (646) und Kreß, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, vor III 26, Rn. 250. A.A. Ambos, Internationales Strafrecht, § 8 Rn. 69. 450 Vgl. die Wiedergabe des Textes der Vereinbarung oben bei § 20 V.3. Siehe auch FAZ vom 3.7.2002, S. 2 sowie Knoops, Prosecution and Defence of Peacekeepers, S. 247. 451 American Servicemembers’ Protection Act of 2002 (ASPA), in Kraft getreten am 2.8.2002. Abgedr. in HRLJ 23 (2002), 275. Vgl. hierzu Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 56; Benzing, Max Planck UNYB 8 (2004), 181 (189 f.); Herbst, EuGRZ 2002, 581 (582 f.); Kreß, BdiP 2002, 1087 (1099); McGoldrick, in: McGoldrick u.a. (Hrsg.), Permanent International Criminal Court, S. 389 (433 ff.); Stein, in: Bröhmer u.a. (Hrsg.), FS Ress, S. 295 (297 f.); Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (141). Siehe auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4.7.2002, HRLJ 23 (2002), 157 f. sowie SZ vom 10.12.2001, S. 8; SZ vom 12.6.2002, S. 7; SZ vom 7.8.2002, S. 1; SZ vom 12.8.2002, S. 5. 452 Vgl. Section 2004 American Servicemembers’ Protection Act of 2002. 453 Vgl. Section 2008 American Servicemembers’ Protection Act of 2002. 448
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dd) Das Drängen der USA auf Verabschiedung einer die Zuständigkeit des IStGH beschränkenden Resolution des UN-Sicherheitsrates Und zum dritten schließlich nutzten die USA ihre Macht als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates mit Vetorecht,454 um die Verabschiedung einer mittlerweile allerdings durch Zeitablauf außer Kraft getretenen Resolution des UN-Sicherheitsrates zu erzwingen, die während ihrer Geltung eine Strafverfolgung von Militärangehörigen durch den IStGH weitgehend untersagte. Wegen der durch sie aufgeworfenen grundsätzlichen Frage des Verhältnisses des IStGH zum UNSicherheitsrat soll auf diese Resolution im folgenden detaillierter eingegangen werden. b) Exemtion von Militärangehörigen von der Gerichtsbarkeit des IStGH durch Resolution 1422 des UN-Sicherheitsrates und Art. 16 IStGH-Statut Bei der Ausarbeitung des Römischen Statuts war großer Wert auf eine enge Anbindung des IStGH als einer neuen selbständigen völkerrechtlichen Organisation455 an das System der Vereinten Nationen gelegt worden. Dies kommt auch in Art. 16 IStGH-Statut zum Ausdruck, der dem UN-Sicherheitsrat die Befugnis einräumt, eine Strafverfolgung zu suspendieren.456 Art. 16 IStGH-Statut lautet: „Richtet der Sicherheitsrat in einer nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen angenommenen Resolution ein entsprechendes Ersuchen an den Gerichtshof, so dürfen für einen Zeitraum von 12 Monaten keine Ermittlungen und keine Strafverfolgung aufgrund dieses Statuts eingeleitet oder fortgeführt werden; das Ersuchen kann vom Sicherheitsrat unter denselben Bedingungen erneuert werden.“
Diese Bestimmung im Römischen Statut machten sich die USA zunutze. Als im Sommer 2002 die Verlängerung des Mandats für die SFOR-Truppen in BosnienHerzegowina457 anstand, verhinderten die USA diese Verlängerung zunächst im Sicherheitsrat durch ihr Veto458 und machten ihre Zustimmung zu diesem Einsatz und weiteren Friedenseinsätzen davon abhängig, daß der Sicherheitsrat eine Resolution im Sinne des Art. 16 IStGH-Statut verabschiedete, durch die Militärangehörige, die sich an Einsätzen beteiligten, die von den Vereinten Nationen durchgeführt wurden oder autorisiert worden waren, der Gerichtsbarkeit des IStGH ent___________ Vgl. Art. 27 Abs. 3 i.V.m. Art. 23 Abs. 1 S. 2 UN-Charta. Vgl. zur Völkerrechtssubjektivität des IStGH oben § 19 I.1.a). 456 Vgl. hierzu Sarooshi, in: McGoldrick u.a. (Hrsg.), Permanent International Criminal Court, S. 95 (105 ff.); Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (139 f.). 457 Vgl. zu diesen Truppen, die keine unmittelbaren UN-Truppen sind, sondern sich aus Kontingenten der Streitkräfte einzelner Staaten (auch der deutschen Bundeswehr) zusammensetzen, lediglich vom UN-Sicherheitsrat autorisiert sind und zur Friedenssicherung im Gebiet von Bosnien-Herzegowina beitragen sollen, oben § 20 V.1.b) sowie oben Anm. 351. 458 Vgl. den gescheiterten Resolutionsantrag S/2002/712 vom 30.6.2002; abgedr. in VN 2002, 159 ff. 454 455
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zogen wurden.459 Um ein Scheitern der Friedensbemühungen im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien zu verhindern, gaben die übrigen Mitglieder des Sicherheitsrates dem erheblichen Druck der USA nach. Der Sicherheitsrat verabschiedete am 12. Juli 2002 einstimmig die Resolution 1422 (2002)460, die – soweit sie hier von Interesse ist – lautete: „(…) feststellend, daß vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingerichtete oder genehmigte Einsätze zum Zwecke der Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit disloziert werden, ferner feststellend, daß es im Interesse des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist, es den Mitgliedsstaaten zu erleichtern, zu den vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingerichteten oder genehmigten Einsätzen beizutragen, tätig werdend nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen, 1. ersucht den Internationalen Strafgerichtshof, im Einklang mit Artikel 16 des Römischen Statuts, beim Eintreten eines Falles, an dem derzeitige oder ehemalige Amtsträger oder Bedienstete eines zu einem Einsatz beitragenden Staates, der nicht Vertragspartei des Römischen Statuts ist, auf Grund von Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang mit einem von den Vereinten Nationen eingerichteten oder genehmigten Einsatz beteiligt sind, für einen Zeitraum von zwölf Monaten ab dem 1. Juli 2002 keine Ermittlungen oder Strafverfolgungen bezüglich eines solchen Falles einzuleiten oder durchzuführen, sofern der Sicherheitsrat nichts anderes beschließt; 2. bekundet die Absicht, das in Ziffer 1 enthaltene Ersuchen unter denselben Bedingungen an jedem 1. Juli um einen weiteren Zeitraum von zwölf Monaten zu erneuern, solange dies notwendig ist (…).“
___________ Vgl. Deen-Racsmány, NILR 2002, 353 (356 ff.); Kreß, BdiP 2002, 1087 (1092 f.); McGoldrick; in: McGoldrick u.a. (Hrsg.), Permanent International Criminal Court, S. 389 (416 ff.); Papenfuß, Internationale Politik 2002, 33 (33 f.); Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (142); SZ vom 1.7.2002, S. 1; SZ vom 2.7.2002, S. 1 f., 4; FAZ vom 2.7.2002, S. 1; SZ vom 3.7.2002, S. 6; FAZ vom 3.7.2002, S. 1 f.; SZ vom 4.7.2002, S. 1; FAZ vom 4.7.2002, S. 1; SZ vom 5.7.2002, S. 7; FAZ vom 5.7.2002, S. 1; SZ vom 8.7.2002, S. 1; SZ vom 9.7.2002, S. 7; SZ vom 12.7.2002, S. 1; FAZ vom 12.7.2002, S. 1; SZ vom 13.7.2002, S. 7; FAZ vom 13.7.2002, S. 1. 460 Abgedr. in ILM 41 (2002), 1276 sowie in dt. Übers. in VN 2002, 166 = HuV-I 2002, 179 = EuGRZ 2002, 664 = SZ vom 15.7.2002, S. 6. Vgl. zu dieser Resolution DeenRacsmány, NILR 2002, 353 (355 ff.); Herbst, EuGRZ 2002, 581 (584 ff.); Heselhaus, ZaöRV 62 (2003), 907 (907 ff.); Jain, EJIL 16 (2005), 239 (239 ff.); Kreß, BdiP 2002, 1087 (1092 ff.); Lavalle, CLF 14 (2003), 195 (206 ff.); McGoldrick; in: McGoldrick u.a. (Hrsg.), Permanent International Criminal Court, S. 389 (418 ff.); Knoops, Prosecution and Defence of Peacekeepers, S. 257 ff.; Mokhtar, ICLR 3 (2003), 295 (295 ff.); Papenfuß, Internationale Politik 2002, 33 (33 ff.); Sarooshi, in: McGoldrick u.a. (Hrsg.), Permanent International Criminal Court, S. 95 (115 ff.); Stahn, EJIL 14 (2003), 85 (85 ff.); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 65 mit Fn. 124 und Rn. 203; Zappalà, JICJ 1 (2003), 114 (117 ff.); Zimmermann, in: Frowein u.a. (Hrsg.), FS Eitel, S. 253 (253 ff.); Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (142); SZ vom 15.7.2002, S. 1, 4, 6; FAZ vom 15.7.2002, S. 1, 3. Am selben Tag verabschiedete der Sicherheitsrat dann auch einstimmig die zuvor gescheiterte Resolution zur Verlängerung des SFOR-Einsatzes (Resolution 1423 [2002]; vgl. oben Anm. 351). 459
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Im Einklang mit Art. 16 IStGH-Statut war die Geltungsdauer der Resolution 1422 (2002) zunächst auf den Zeitraum eines Jahres befristet worden.461 Doch war bereits in dieser Resolution die zukünftige Verlängerung um jeweils ein weiteres Jahr in Aussicht gestellt worden, so daß es nicht überraschte, daß der UNSicherheitsrat im Juni 2003 eine neue gleichlautende Resolution verabschiedete.462 Im Frühjahr 2004 ergriffen die USA erneut die Initiative zur Verlängerung der Straffreistellung und stellten einen Antrag auf Verabschiedung einer weiteren gleichlautenden Resolution. Es stand bereits zu befürchten, daß es zukünftig zu einer nahezu automatischen jährlichen Verlängerung kommen und die Straffreistellung damit unbegrenzt fortdauern würde. Nachdem jedoch im Frühsommer 2004 bekannt geworden war, daß US-amerikanische Soldaten, die im Jahr 2003 im Irak als Teil der Besatzungsstreitkräfte stationiert waren, systematisch irakische Gefangene gefoltert hatten, bekundeten so viele der Mitglieder des UN-Sicherheitsrates ihre Absicht, sich bei einer Abstimmung über den US-amerikanischen Resolutionsentwurf der Stimme zu enthalten, daß eine Abstimmungsniederlage der USA wahrscheinlich erschien. Daraufhin zogen die USA Ende Juni 2004 ihren Resolutionsentwurf zurück, so daß die durch die Resolution 1422 (2002) und ihre Nachfolgeresolution aus dem Jahr 2003 bewirkte Straffreistellung zum 1. Juli 2004 erlosch.463 Da die USA nicht aus besserer Einsicht, sondern nur wegen einer drohenden Abstimmungsniederlage davon abgesehen haben, eine weitere Verlängerung der Straffreistellung zu beantragen, kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß sie unter veränderten politischen Vorzeichen erneut – und dann erfolgreich – die Verabschiedung einer solchen Resolution beantragen werden. Auch aus diesem Grund ist es angezeigt, den Gehalt und die Bindungswirkung dieser Resolution näher zu betrachten.
___________ Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (139 f.) befürchten, daß Art. 16 IStGH-Statut deshalb, weil diese Norm die Wirksamkeit einer auf ihrer Basis verabschiedeten Resolution des UN-Sicherheitsrates zeitlich begrenzt, gegen Art. 103 UN-Charta verstößt. Doch ist zu betonen, daß Art. 16 IStGH-Statut dem Sicherheitsrat lediglich eine (zusätzliche) Befugnis zuspricht, direkt in den Agitationsbereich einer internationalen Organisation einzugreifen. Die Befugnisse des Sicherheitsrates nach der UN-Charta werden durch Art. 16 IStGH-Statut nicht tangiert (eine Einschränkung der UN-Charta durch Art. 16 IStGHStatut wäre in der Tat nicht statthaft und sogar unwirksam; vgl. Herbst, EuGRZ 2002, 581 [584]). Die Frage ist daher lediglich, ob der UN-Sicherheitsrat auch ohne Rücksicht auf Art. 16 IStGH-Statut auf der alleinigen Basis von Art. VII UN-Charta eine Resolution verabschieden dürfte, die es den Vertragsstaaten untersagte, mittels der von ihnen getragenen Organisation IStGH eine Strafverfolgung in bestimmten Fällen durchzuführen. Vgl. hierzu die Ausführungen im nachfolgenden Haupttext sowie unten in Anm. 480. 462 Resolution 1487 (2003) vom 12.6.2003. Vgl. SZ vom 13.6.2003, S. 8; AJIL 97 (2003), 710 (710 f.) und Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 65 mit Fn. 124 und Rn. 203. 463 Vgl. SZ vom 24.5.2004, S. 9; SZ vom 23.6.2004, S. 8; SZ vom 25.6.2004, S. 7; FAZ vom 25.6.2004, S. 5, 10. 461
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
aa) Zum materiellen Gehalt der Resolution Das durch die Resolution 1422 (2002) i.V.m. Art. 16 IStGH-Statut bewirkte Verbot einer Strafverfolgung464 von Militärangehörigen galt sowohl für Taten von Angehörigen von UN-Blauhelmtruppen, also für Angehörige von Streitkräften der Vereinten Nationen,465 als auch für Taten von Angehörigen von Streitkräften, deren Einsatz lediglich vom UN-Sicherheitsrat mandatiert worden war,466 wie dies beispielsweise bei den EUFOR- und KFOR-Truppen der Fall ist, aber auch bei den Streitkräften der USA und ihrer Verbündeten im Golfkrieg gegen den Irak 1991 der Fall war.467 Taten von Angehörigen von Streitkräften ohne ausdrückliches Mandat des UN-Sicherheitsrates waren dagegen nicht durch die Resolution 1422 (2002) der Gerichtsbarkeit des IStGH entzogen. Die Resolution galt nur für Angehörige von Streitkräften von Staaten, die nicht Vertragsstaaten des IStGH-Statuts sind,468 praktisch also vor allem für die Angehörigen der Streitkräfte der USA. Zudem betraf das Verfolgungsverbot allein während eines vom UN-Sicherheitsrat genehmigten bzw. eingerichteten Einsatzes begangene Taten. Einen inneren Zusammenhang der Taten mit dem militärischen Auftrag verlangte die Resolution jedoch nicht – es waren also nicht nur „dienstlich begangene Taten“ erfaßt.469 Zwar genießen nach hier vertretener Ansicht UNSoldaten bereits aufgrund ihrer Exemtionen nach dem UN-ImmunitätenÜbereinkommen weitreichende Befreiung von der Strafgewalt des IStGH,470 doch reichte die Straffreistellung nach Resolution 1422 (2002) deutlich weiter. Zum einen erfaßte sie auch Soldaten, deren Einsatz lediglich von den Vereinten Nationen mandatiert worden war, zum anderen beschränkte sie sich nicht auf dienstliche Handlungen. Ferner ist zu bedenken, daß die Exemtionen nach dem UN-Immunitäten-Übereinkommen im alleinigen Interesse der Vereinten Nationen gewährt werden und daher der UN-Generalsekretär auf die Befreiungen verzichten kann.
___________ Dieses Verbot bezog sich – wie generell völkerrechtliche Exemtionen – auch auf die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen durch den Ankläger. Vgl. Heselhaus, ZaöRV 62 (2003), 907 (909). 465 Vgl. zu diesen Streitkräften oben § 20 V.1.a). 466 Vgl. zu solchen Streitkräften oben § 20 V.1.b). 467 So auch Kreß, BdiP 2002, 1087 (1087, 1094). Teilweise a.A. aber Heselhaus, ZaöRV 62 (2003), 907 (914 ff.). 468 Herbst, EuGRZ 2002, 581 (581); Heselhaus, ZaöRV 62 (2003), 907 (912 f.); Kreß, BdiP 2002, 1087 (1087); Sarooshi, in: McGoldrick u.a. (Hrsg.), Permanent International Criminal Court, S. 95 (116); Stahn, EJIL 14 (2003), 85 (85); Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (142 Fn. 30). 469 A.A. aber Heselhaus, ZaöRV 62 (2003), 907 (918). 470 Vgl. hierzu die Ausführungen oben bei § 20 VI.1. am Ende. 464
§ 20 Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte
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bb) Rechtmäßigkeit und Bindungswirkung der Resolution Mit der Idee des Art. 16 IStGH-Statut waren die Resolution 1422 (2002) und ihre Nachfolgeresolution471 nicht vereinbar. Art. 16 IStGH-Statut wurde konzipiert für den Fall, daß der Sicherheitsrat, dem nach Art. 24 Abs. 1 UN-Charta die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit obliegt, befürchtet, daß konkrete einzelne Verfolgungsmaßnahmen gegen eine oder mehrere bestimmte Personen den Bemühungen der Vereinten Nationen um eine Sicherung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zuwiderlaufen. Gedacht worden war etwa an den Fall, daß bestimmte militärische Führer einem Friedensvertrag nur um den Preis einer Freistellung ihrer Person von Strafverfolgung durch den IStGH zuzustimmen bereit sind. Damit die Bemühungen des UN-Sicherheitsrates um eine Sicherung des Weltfriedens nicht durch Aktivitäten des Gerichts torpediert werden, soll der Sicherheitsrat die Möglichkeit haben, für einen begrenzten Zeitraum eine Strafverfolgung zu suspendieren.472 Eine ohne Bezug auf konkrete Taten und konkrete Beschuldigte gewissermaßen ex ante festgelegte und zudem faktisch dauerhafte Pauschalexemtion für Angehörige bestimmter Streitkräfte ist dagegen nicht im Sinne der Schöpfer des Römischen Statuts und der Vertragsstaaten.473 Dennoch konnte man der Resolution 1422 (2002) nicht die Beachtlichkeit für den IStGH absprechen. Denn zum einen war sie zwar nicht mit der Idee, wohl aber mit dem Wortlaut des Art. 16 IStGH-Statut vereinbar.474 Zum anderen geht aus der Gesamtkonzeption des Römischen Statuts hervor, daß die Vertragsstaaten eine enge Anbindung des Gerichtshofes an die Vereinten Nationen und insofern ein Primat des UN-Sicherheitsrates und seiner Resolutionen gewollt haben. Von entscheidender Bedeutung ist jedoch – wie schon oben in § 20 VI.2. in bezug auf die UN-Sicherheitsratsresolution 1497 (2003) kurz skizziert wurde –, daß die Vertragsstaaten des Römischen Statuts alle auch Mitglieder der Vereinten Nationen sind. Sie sind daher alle an die UN-Charta gebunden. Diese aber legt in Art. 25 eine Bindungswirkung sämtlicher auf der Basis von Kap. VII UN-Charta ___________ 471 Im folgenden wird der Einfachheit halber allein von der Resolution 1422 (2002) gesprochen. Die Ausführungen beziehen sich aber in gleicher Weise auch auf die Resolution 1487 (2003), mit der die Regelung faktisch in ihrer Geltungsdauer um ein weiteres Jahr verlängert wurde. 472 Vgl. Heselhaus, ZaöRV 62 (2003), 907 (922); Kreß, BdiP 2002, 1087 (1095 f.); ders., in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, vor III 26, Rn. 21; Sarooshi, in: McGoldrick u.a. (Hrsg.), Permanent International Criminal Court, S. 95 (105 ff.); Stahn, EJIL 14 (2003), 85 (89 f.). 473 Vgl. Deen-Racsmány, NILR 2002, 353 (363 ff.) und Stahn, EJIL 14 (2003), 85 (88 ff.). 474 Dies konzedieren auch Heselhaus, ZaöRV 62 (2003), 907 (921) und Stahn, EJIL 14 (2003), 85 (88).
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
erlassener Resolutionen des UN-Sicherheitsrates für die Mitgliedstaaten fest475 – unabhängig davon, welche Regelungen Art. 16 IStGH-Statut oder andere Normen des Römischen Statuts enthalten.476 Da der IStGH eine von den Vertragsstaaten getragene internationale Organisation ist, können seine völkerrechtlichen Befugnisse nicht über die der Vertragsstaaten hinausreichen. Denn die Staaten können einer von ihnen gegründeten internationalen Organisation nicht Kompetenzen (hier die Befugnis, sich über Resolutionen des UN-Sicherheitsrates hinwegzusetzen) verleihen, die sie selbst nicht haben.477 Damit sind für den IStGH die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates in gleicher Weise wie für die Vertragsstaaten verbindlich.478 Wegen dieser allgemeinen Bindung des IStGH an Resolutionen des UN-Sicherheitsrates und der Tatsache, daß der UN-Sicherheitsrat bei der Verabschiedung verpflichtender Resolutionen ausschließlich an die UN-Charta, nicht aber an andere völkerrechtliche Verträge wie etwa das Römische Statut gebunden ist, geht im übrigen auch die These fehl, der Sicherheitsrat habe mit Verabschiedung der Resolution 1422 (2002) in unzulässiger Weise das Römische Statut modifiziert.479 Richti___________ 475 Eine Ausnahme gilt lediglich für Resolutionen mit bloß empfehlendem Charakter. Die hier in Frage stehende Resolution brachte aber klar eine Verpflichtung zum Ausdruck. Vgl. Herbst, EuGRZ 2002, 581 (584) und Heselhaus, ZaöRV 62 (2003), 907 (910). 476 Zwar ist auch die UN-Charta „nur“ ein normaler völkerrechtlicher Vertrag, also juristisch betrachtet von gleichem Rang wie das Römische Statut und jeder andere völkerrechtliche Vertrag (vgl. Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 439 f.), doch kann sich ein Staat nicht mit Hinweis auf andere völkervertragliche Pflichten der Beachtung von UN-Recht entziehen. Dies gilt auch in bezug auf sekundäres UN-Recht wie Resolutionen des UN-Sicherheitsrates. Denn mit Art. 103 UN-Charta haben sich die UN-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, dem UN-Recht Vorrang auch vor widerstreitendem gleichrangigem Völkerrecht einzuräumen. Vgl. Bernhardt, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 103 Rn. 6 ff.; Herbst, EuGRZ 2002, 581 (584); Stahn, EJIL 14 (2003), 85 (99). Eine „Pflichtenkollision“ kann es insofern gar nicht geben. Vielmehr ist das Römische Statut von vornherein insofern unanwendbar, als es verpflichtenden Resolutionen des UNSicherheitsrates entgegensteht. Ähnlich auch Lavalle, CLF 14 (2003), 195 (205). 477 Es ist zu bedenken, daß es – wie sich aus den Ausführungen in Anm. 476 ergibt – hier aufgrund der Vorrangstellung der UN-Charta nicht lediglich darum geht, daß ein Staat einerseits durch einen Vertrag (die UN-Charta) eine Verpflichtung übernimmt, andererseits durch einen anderen gleichrangigen Vertrag (das Römische Statut) eine ihm grundsätzlich zukommende, wenngleich mit der Verpflichtung unvereinbare Kompetenz einer internationalen Organisation überträgt. Vielmehr sind aufgrund der Vorrangstellung der Charta die Kompetenzen der Staaten einschließlich ihrer Delegationskompetenzen von vornherein durch die Verpflichtungen aus der Charta begrenzt. 478 Die Organe des IStGH haben solche Sicherheitsratsresolutionen also unabhängig vom Römischen Statut, namentlich des Art. 16 IStGH-Statut, zu beachten. Das Römische Statut ist so anzuwenden und auszulegen, daß den einschlägigen Sicherheitsratsresolutionen Rechnung getragen wird. Soweit dies nicht möglich ist, sind die im Widerspruch zu einer Sicherheitsratsresolution stehenden Normen des Römischen Statuts unanwendbar. So auch Lavalle, CLF 14 (2003), 195 (205). A.A. aber Deen-Racsmány, NILR 2002, 353 (372 ff.); Eser, in: Grafl/Medigovic (Hrsg.), FS Burgstaller, S. 355 (364 Fn. 31); Herbst, EuGRZ 2002, 581 (585 f.); Heselhaus, ZaöRV 62 (2003), 907 (910, 923 f.); Sarooshi, in: McGoldrick u.a. (Hrsg.), Permanent International Criminal Court, S. 95 (106 f., 116 ff.); Stahn, EJIL 14 (2003), 85 (88, 102). 479 Vgl. diesbezüglich Deen-Racsmány, NILR 2002, 353 (366 ff.).
§ 20 Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte
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gerweise waren die Rechtmäßigkeit der Resolution 1422 (2002) und ihre Bindungswirkung für den IStGH also unabhängig davon zu bejahen, ob sie mit Art. 16 IStGH-Statut vereinbar waren oder nicht.480 Allerdings wird man nicht ernsthaft annehmen können, die (abstrakte) Möglichkeit einer Strafverfolgung von US-Bürgern durch den IStGH sei eine Gefahr für den Weltfrieden.481 Eine friedensbedrohende Situation ist jedoch Voraussetzung für ein Einschreiten des UN-Sicherheitsrates nach Kap. VII UN-Charta. Daher wurde in der Literatur mit gewisser Überzeugungskraft argumentiert, die Resolution 1422 (2002) sei mit der UN-Charta unvereinbar und als ultra vires-Akt für die Mitgliedstaaten sowie für den IStGH unverbindlich gewesen.482 Doch muß man dem UNSicherheitsrat die alleinige Beurteilungskompetenz zusprechen, will man nicht das ganze UN-System in Frage stellen.483 Zudem kann es immerhin als Bedrohung für ___________ 480 Der UN-Sicherheitsrat hätte also selbst dann eine Befugnis zur Verabschiedung einer Resolution, die ein Verbot einer Strafverfolgung durch den IStGH anordnete, wenn es Art. 16 IStGH-Statut nicht gäbe (wie hier auch Herbst, EuGRZ 2002, 581 [584] und Lavalle, CLF 14 [2003], 195 [205 f.], die Art. 16 IStGH-Statut damit zu Recht als allenfalls deklaratorisch bzw. “stricly speaking unnecessary” bezeichnen. Zu der hier vertretenen Ansicht tendierend auch Kreß, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, vor III 26, Rn. 21). Erforderlich für eine solche Resolution ist aber stets, daß die Voraussetzungen für ein Einschreiten des Sicherheitsrates nach Art. VII UN-Charta vorliegen. Da über diese Voraussetzungen – das Vorliegen einer Friedensbedrohung – der UN-Sicherheitsrat abschließend entscheidet (vgl. unten Anm. 483), wäre für den IStGH sogar eine Resolution mit dem von den USA ursprünglich avisierten Resolutionstext bindend gewesen, der ohne Rücksicht auf Art. 16 IStGH-Statut eine zeitlich unbeschränkte Freistellung von Soldaten von der Gerichtsbarkeit des IStGH festgelegt hätte. Wie hier auch Lavalle, CLF 14 (2003), 195 (205). Siehe zudem Deen-Racsmány, NILR 2002, 353 (358); Herbst, EuGRZ 2002, 581 (584); Heselhaus, ZaöRV 62 (2003), 907 (90 f. mit Fn. 7); Stahn, EJIL 14 (2003), 85 (89 mit Fn. 25); Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (142). Explizit a.A. aber Eser, in: Grafl/Medigovic (Hrsg.), FS Burgstaller, S. 355 (364 Fn. 31); Sarooshi, in: McGoldrick u.a. (Hrsg.), Permanent International Criminal Court, S. 95 (106 f., 116 ff.). 481 So auch Ambos, SZ vom 16.7.2002, S. 13; Fritsche, in: Frowein u.a. (Hrsg.), FS Eitel, S. 107 (114 f.); Herbst, EuGRZ 2002, 581 (587); Kreß, BdiP 2002, 1087 (1096); Zappalà, JICJ 1 (2003), 114 (118); Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (142). 482 So Herbst, EuGRZ 2002, 581 (588). Kreß, BdiP 2002, 1087 (1095); ders., in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, vor III 26, Rn. 21 hält die Rechtmäßigkeit der Resolution für „in hohem Maße zweifelhaft“. Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (142) sprechen von einer „zumindest nicht unzweifelhafte[n] Rechtmäßigkeit“. 483 So auch Deen-Racsmány, NILR 2002, 353 (380); Stahn, EJIL 14 (2003), 85 (98). Dies war auch der Wille der Staaten bei der Ausarbeitung der UN-Charta; vgl. DeenRacsmány, NILR 2002, 353 (378). Wäre jeder Staat und jede internationale Organisation befugt, selbständig die materiellen Voraussetzungen eines Einschreitens des UNSicherheitsrates zu beurteilen und davon die Beachtlichkeit einer UN-Resolution für das eigene Land bzw. die eigene Organisation abhängig zu machen, wäre das Friedenssicherungssystem der Vereinten Nationen funktionsunfähig. Daher kann auch die Auffassung von Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (140, 142), der IStGH habe die Befugnis, die Rechtmäßigkeit einer Sicherheitsratsresolution i.S.d. Art. 16 IStGH-Statut zu überprüfen, nicht überzeugen. Denn der IStGH ist ein von den Vertragsstaaten gegründetes und getragenes Gericht. In der Sache hätten es damit die Vertragsstaaten in der Hand, zu Lasten von Staaten, die das Römische Statut nicht ratifiziert haben, über die Rechtswirksamkeit von Resolutionen des Sicherheitsrates zu befinden. In diesem Zusammenhang ist daran zu er-
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
den Frieden angesehen werden, wenn einzelne Staaten nicht mehr bereit sein sollten, an friedenssichernden oder friedensschaffenden Maßnahmen unter einem Mandat der Vereinten Nationen teilzunehmen oder gar ein ständiges Sicherheitsratsmitglied solche Maßnahmen mit seinem Veto generell verhindern würde.484 Mit derartigen Konsequenzen aber hatten die USA für den Fall der Nichtverabschiedung der Resolution gedroht.485 Im Ergebnis war die Resolution 1422 (2002) also mit der UN-Charta vereinbar.486 ___________ innern, daß der UN-Sicherheitsrat auch unabhängig von Art. 16 IStGH-Statut die Resolution 1422 (2002) hätte verabschieden dürfen (vgl. oben Anm. 480). Deshalb kann nicht argumentiert werden, die Vertragsstaaten hätten dem UN-Sicherheitsrat mit Art. 16 IStGHStatut eine Befugnis eingeräumt, die der Sicherheitsrat ansonsten nicht hätte und die als eine freiwillig eingeräumte Befugnis der Disposition der Vertragstaaten des Römischen Statuts unterliege, weshalb die Vertragsstaaten eine Überprüfbarkeit der UN-Sicherheitsratsresolutionen durch den IStGH festlegen dürften. Ähnlich wie hier Deen-Racsmány, NILR 2002, 353 (383) und Herbst, EuGRZ 2002, 581 (588 Fn. 91). Auch der IGH kann Resolutionen des Sicherheitsrates nicht aufheben. Gutachten nach Art. 96 UN-Charta haben zum einen nur informative Wirkung, zum anderen betrifft die Gutachtenkompetenz des IGH ausschließlich Rechtsfragen. Vgl. Mosler/Oellers-Frahm, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 96 Rn. 27 ff., 35 ff. Der Wortlaut von Art. 39 UNCharta legt jedoch nahe, daß die Frage, ob eine Bedrohung bzw. ein Bruch des Weltfriedens vorliegt, von der UN-Charta nicht als eine justitiable Rechtsfrage verstanden wird, sondern als eine letztlich politische Frage, die allein der UN-Sicherheitsrat beantworten können soll (so auch Deen-Racsmány, NILR 2002, 353 [383]; Stahn, EJIL 14 [2003], 85 [98]). Denn Art. 39 UN-Charta ist nicht als eine konditionale Norm ausgestaltet, die dem Sicherheitsrat Handlungsbefugnisse verleiht, wenn (objektiv) eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens vorliegt, sondern Art. 39 UN-Charta verleiht dem Sicherheitsrat die Kompetenz, allgemeinverbindlich über das Vorliegen einer Bedrohung oder eines Bruchs des Friedens zu befinden und an diese Feststellung Rechtsfolgen zu knüpfen. Vgl. Frowein/Krisch, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 39 Rn. 4 f. sowie Herbst, EuGRZ 2002, 581 (586 ff. m.w.N.), der selbst aber lediglich von einer begrenzten „Einschätzungsprärogative“ des Sicherheitsrates ausgeht. Ausführlich zum ganzen Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des WeltSicherheitsrates, S. 164 ff. Die hier getroffenen Feststellungen bedeuten im übrigen nicht, daß der UN-Sicherheitsrat nicht an das Recht der UN-Charta gebunden ist. Dies ist selbstverständlich der Fall (vgl. Stahn, EJIL 14 [2003], 85 [97]). Aber die Charta räumt dem Sicherheitsrat eben gerade die Befugnis ein, abschließend über das Vorliegen einer Bedrohung für den Frieden bzw. eines Bruchs des Friedens zu befinden. 484 So auch Deen-Racsmány, NILR 2002, 353 (380 f.); McGoldrick, in: McGoldrick u.a. (Hrsg.), Permanent International Criminal Court, S. 389 (419); Zappalà, JICJ 1 (2003), 114 (118 f.). 485 Allerdings läuft dieses Argument zugegebenermaßen auf die Akzeptanz einer rechtsmißbräuchlichen „Nötigung“ hinaus. Denn mit der Verabschiedung der Resolution ist auf eine Drohung mit einem friedensgefährdenden Verhalten (die Verhinderung von UNEinsätzen durch Einlegung eines Vetos) durch die geforderte Unterbindung einer friedensfördernden Tätigkeit (Strafverfolgungsmaßnahmen durch den IStGH) reagiert worden. Kreß, BdiP 2002, 1087 (1097) hielt es für naheliegend, daß die Resolution 1422 (2002) mit der UN-Charta unvereinbar war, weil sie auf einer solchen rechtsmißbräuchlichen Drohung der USA beruhte. 486 Wie hier Deen-Racsmány, NILR 2002, 353 (380 f.); Lavalle, CLF 14 (2003), 195 (205 ff.); Zappalà, JICJ 1 (2003), 114 (118 f.).
§ 20 Exemtionen für Angehörige fremder Streitkräfte
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cc) Rechtspolitische Bewertung der Resolution Auch wenn die Resolution zu akzeptieren und für den IStGH beachtlich war, so war doch völkerrechtspolitisch die Freistellung von Angehörigen der Streitkräfte von Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts von der Gerichtsbarkeit des IStGH in bezug auf völkerrechtliche Verbrechen, die die Soldaten während ihrer Tätigkeit als Mitglieder von UN-Truppen oder von den UN autorisierten Streitkräften begehen, außerordentlich bedauerlich.487 Die von dieser Resolution ausgehenden Signale haben den Gerichtshof geschwächt und die Akzeptanz und die Steuerungswirkung des Völkerstrafrechts gefährdet. Da der IStGH aufgrund des Komplementaritätsprinzips des Art. 17 IStGH-Statut ohnehin nur dann tätig werden darf, wenn eine nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen unterbleibt, die USA also einer Strafverfolgung eigener Soldaten durch den IStGH schon dadurch entgehen können, daß sie selbst einen Vorfall untersuchen und gegebenenfalls die Beschuldigten strafrechtlich zur Verantwortung ziehen,488 konnte das Drängen der USA auf die Verabschiedung dieser Resolution nur dahingehend (miß-)verstanden werden, daß die USA sich vorbehalten wollten, die Begehung völkerrechtlicher Verbrechen durch Angehörige der eigenen Streitkräfte zu dulden oder gar anzuordnen. Zudem ist die Idee einer universellen, ohne Rücksicht auf politische Machtverhältnisse agierenden supranationalen Strafgerichtsbarkeit in Frage gestellt, wenn Angehörige bestimmter Staaten von vornherein von der Strafverfolgungskompetenz des Gerichtshofes ausgenommen werden. Es ist daher sehr zu begrüßen, daß das Ansinnen der USA, die durch Resolution 1422 (2002) bewirkte Straffreistellung für Soldaten von Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts um ein weiteres Jahr zu verlängern, im Juni 2004 am Widerstand der übrigen Mitglieder des UNSicherheitsrates gescheitert ist.
___________ Ablehnend auch Eser, in: Grafl/Medigovic (Hrsg.), FS Burgstaller, S. 355 (365); Kreß, BdiP 2002, 1087 (1096 ff.); Papenfuß, Internationale Politik 2002, 33 (33 ff.); Zimmermann/Scheel, VN 2002, 137 (142). Siehe ferner die ablehnende Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26.9.2002, EuGRZ 2002, 554 ff. 488 Zu diesem und weiteren Argumenten gegen die Kritik der USA am Römischen Statut siehe Papenfuß, Internationale Politik 2002, 33 (35 f.). 487
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
§ 21 Exemtionen für Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge sowie deren Besatzungsmitglieder und Passagiere Zum Abschluß der Betrachtung einzelner völkerrechtlicher Exemtionen sind die Befreiungen zu analysieren, die Staatsschiffen und Staatsluftfahrzeugen sowie deren Besatzungsmitgliedern und Passagieren zukommen. Für die bundesdeutsche Strafjustiz sind diese Exemtionen zwar bislang ohne Relevanz geblieben, einschlägige Entscheidungen deutscher Gerichte gibt es nicht.1 Doch sorgten in der Vergangenheit wiederholt Fälle, in denen Kriegsschiffe oder Militärflugzeuge (vermeintlich) zu Spionagezwecken in das Hoheitsgebiet anderer Staaten eingedrungen waren, für erhebliche Störungen in den internationalen Beziehungen. Für die betroffenen Staaten stellte sich in diesen Fällen – sofern sie sich des Schiffs oder Flugzeugs bemächtigten konnten – stets die Frage, ob ein strafrechtliches Vorgehen an Bord solcher Fahrzeuge bzw. gegen deren Besatzungsmitglieder völkerrechtlich zulässig ist oder dem eine völkerrechtliche Exemtion entgegensteht. Es gilt daher zu klären, inwieweit strafprozessuale Zwangsmaßnahmen an Bord von Staatsschiffen und Staatsluftfahrzeugen statthaft sind und inwieweit Besatzungsmitglieder und Passagiere solcher vom Völkerrecht besonders geschützter Fahrzeuge – unabhängig von möglichen anderen Exemtionen – allein aufgrund ihrer Eigenschaft als Besatzungsmitglied oder Passagier eine Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen. Eine gewisse Komplexität erlangt diese Fragestellung zum einen dadurch, daß sich Schiffe und Luftfahrzeuge in verschiedenen, vom Völkerrecht jeweils unterschiedlichen Regeln unterworfenen Räumen aufhalten können. Die Darstellung muß daher zwischen dem Festland des strafverfolgenden Staates, dessen Binnengewässern und inneren Gewässern, seinem Küstenmeer, den ausschließlichen Wirtschaftszonen und der Hohen See, dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates sowie dem jeweils darüber befindlichen Luftraum differenzieren. Zum anderen stehen die Regeln der hier zu untersuchenden Exemtionen in engem Zusammenhang mit völkerrechtlichen Bestimmungen, die unabhängig von einem besonderen Status eines Schiffs oder Luftfahrzeugs und damit unabhängig von einer Exemtion generelle Einschränkungen für die Ausübung staatlicher Strafgerichtsbarkeit normieren. Diese Regelungen, die einerseits die Gerichtsbarkeit über auf Schiffen bzw. in Luftfahrzeugen begangene Taten, andererseits die Zulässigkeit von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen auf Schiffen bzw. in Luftfahrzeugen betreffen, sind wiederum zu trennen von den Bestimmungen, welche die ___________ Einmal abgesehen von der Entscheidung LG Bremen, NJW 1955, 1450 (1450 f.) – der einzigen veröffentlichten deutschen Entscheidung zur strafrechtlichen Immunität von Staatsfahrzeugen. Denn hier wurde das Bestehen einer Exemtion nicht untersucht, da man von einem Einverständnis der USA mit einer Durchsuchung ihres staatlichen Schiffs und damit einem – zulässigen – Verzicht auf eine möglicherweise bestehende Exemtion ausging. 1
§ 21 Exemtionen für Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge
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Reichweite materieller staatlicher Strafgewalt bei Taten auf Schiffen und in Luftfahrzeugen festlegen. Gerade im Kontext der hier zu untersuchenden Beschränkungen staatlicher Hoheitsgewalt in bezug auf Schiffe und Luftfahrzeuge ist die Unterscheidung zwischen der Reichweite der materiellen Strafgewalt – also der Frage, welche Sachverhalte von einer Rechtsordnung als strafbar erfaßt werden (dürfen) – und der Reichweite der Strafgerichtsbarkeit – also der Frage, inwieweit strafprozessuale Maßnahmen zur Feststellung und Durchsetzung eines Strafanspruchs zulässig sind – von Bedeutung.2 Während die nationale „materielle Strafgewalt“ im Sinne einer jurisdiction to prescribe (Rechtssetzungsgewalt) räumlich nicht auf im eigenen Staatsgebiet begangene Taten beschränkt zu werden braucht, vielmehr das Völkerrecht den Staaten gestattet, solange, wie ein sachgerechter und völkerrechtlich legitimierter Anknüpfungspunkt besteht, auch im Ausland begangene Taten der eigenen Strafrechtsordnung zu unterstellen,3 ist die Strafgerichtsbarkeit, also die Befugnis, strafprozessuale Maßnahmen zur Verfolgung, Verurteilung und Vollstreckung durchzuführen (jurisdiction to adjudicate and to enforce, Entscheidungs- und Vollzugsgewalt), grundsätzlich räumlich auf das eigene Staatsgebiet des strafverfolgenden Staates beschränkt. Es ist einer der elementaren Rechtssätze des Völkerrechts, daß sich die Hoheitsgewalt eines Staates im Sinne seiner Rechtsdurchsetzungsgewalt – mit gewissen Ausnahmen für den Bereich internationaler Gemeinschaftsräume wie etwa der Hohen See, dem darüber gelegenen Luftraum und dem Weltraum – auf sein eigenes Staatsgebiet beschränkt.4 Wegen der engen Verknüpfung der völkerrechtlichen Exemtionen für Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge sowie deren Besatzungsmitglieder und Passagiere mit einerseits generellen Restriktionen für die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit ___________ Noch heute für den vorliegenden Zusammenhang mustergültig ist die Differenzierung von Mettgenberg, ZStW 52 (1932), 802 (803); ders., DJ 1940, 641 (642). Daß eine fehlende Unterscheidung zwischen materieller Strafgewalt und verfahrensrechtlicher Strafgerichtsbarkeit zu falschen Schlußfolgerungen führen kann, zeigt sich bei Rudolf, NJW 1954, 219 (220). 3 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 319 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1154 ff.; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 3 ff.; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 140 ff.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 18 I. 2.; Werle/Jeßberger, JuS 2001, 35 (36) sowie die „berühmte“ Lotus-Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs, Urteil des StIGH vom 7.9.1927, PCIJ Series A 10 (1927). Zur Lotus-Entscheidung siehe Herdegen, Völkerrecht, § 26 Rn. 5 f.; Herndl, Lotus-Fall, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 2, 431 ff.; ders., Lotus, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL III, 263 (263 ff.); Kunig/ Uerpmann, Jura 1994, 186 (187 ff.); Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1019. 4 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 217, 318, 326; Doehring, Völkerrecht, Rn. 88 f.; Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 69; Schönke/SchröderEser, vor § 3 Rn. 1; Herdegen, Völkerrecht, § 23 Rn. 2 f.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 18 I. 4.; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Einl. Rn. 210; Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Abschn. Rn. 6, 16. 2
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen bzw. bezüglich Taten, die auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen begangen wurden (auch in diesem Zusammenhang wird zum Teil der Begriff „Immunität“ gebraucht5), und andererseits den Regelungen für die Reichweite materieller Strafgewalt bei Taten auf Schiffen und in Luftfahrzeugen erfolgt die Analyse jeweils in drei Schritten. Zunächst wird zum einen die Reichweite deutscher materieller Strafgewalt, zum anderen die Reichweite deutscher Strafgerichtsbarkeit skizziert. Aufbauend auf dem so vermittelten Vorverständnis wird dann der Umfang der Exemtionen analysiert. Dem Ziel dieser Arbeit entsprechend, die völkerrechtlichen Exemtionen vor allem in ihrer Bedeutung für die deutsche Strafjustiz darzustellen, liegt der nachfolgenden Betrachtung ein „bundesdeutscher Blickwinkel“ zugrunde.
I. Die Exemtion für Staatsschiffe, deren Besatzungsmitglieder und Passagiere Völkerrechtliche Bestimmungen für die hier zu untersuchenden Fragen enthält vor allem das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) vom 10. Dezember 1982.6 Mit Inkrafttreten des SRÜ sind zwar die Genfer Seerechtsabkommen vom 29. April 19587 nicht außer Kraft getreten, doch hat das SRÜ gemäß Art. 311 Abs. 1 zwischen den Vertragsstaaten Vorrang gegenüber diesen älteren Abkommen. Angesichts der mittlerweile erreichten nahezu universellen Geltung des SRÜ8 sind die Genfer Abkommen von nur noch marginaler Relevanz, so daß sie außer Betracht bleiben können, zumal das SRÜ im hier interessierenden Bereich die Regelungen der Genfer Abkommen im wesentlichen übernommen hat und die im vorliegenden Zusammenhang einschlägigen Bestimmungen auch völkergewohnheitsrechtlich gelten.9 Da das SRÜ von der Bundesrepublik ratifiziert und gemäß Art. 59 Abs. 2 GG in nationales Recht transformiert wurde, sind die im SRÜ normierten Befugnisse und Beschränkungen bezüglich der Reichweite der ___________ So O’Connell, International Law of the Sea, vol. II, S. 953 f. und Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (404 f.). 6 BGBl. 1994 II, S. 1799. Abgedr. in „Sartorius II“ unter Nr. 350. In Kraft getreten – auch für die Bundesrepublik Deutschland – am 16.11.1994; vgl. Bekanntmachung vom 15.5.1995, BGBl. 1995 II, S. 602. Zur Entstehungsgeschichte vgl. Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 444 f. 7 Wichtig waren vor allem das Übereinkommen über das Küstenmeer und die Anschlußzone, UNTS 516, 205 (von der BRD nicht ratifiziert), und das Übereinkommen über die Hohe See, BGBl. 1972 II, S. 1089 = UNTS 450, 11. Vgl. Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, vor § 51 Rn. 3. 8 Das SRÜ ist bislang von 149 Staaten ratifiziert worden (Stand: 31.3.2006). Der aktuelle Ratifikationsstand ist im Internet abrufbar unter (31.3.2006). 9 Doehring, Völkerrecht, Rn. 517; Herdegen, Völkerrecht, § 31 Rn. 2. 5
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materiellen Strafgewalt und der Strafgerichtsbarkeit für die deutschen Strafverfolgungsbehörden als self-executing Normen unmittelbar verbindlich.10 1. Geltungsbereich des deutschen materiellen Strafrechts bei Taten auf Schiffen a) Materielle Strafgewalt im Bereich der deutschen Binnengewässer, der deutschen inneren Gewässer und des deutschen Küstenmeeres Nach § 3 StGB gilt das deutsche Strafrecht für alle Taten, die im Inland begangen werden. Der Begriff „Inland“ im Sinne des § 3 StGB deckt sich seit dem Beitritt der DDR im Jahr 1990 wieder mit dem Begriff „deutsches Staatsgebiet“ im staats- und völkerrechtlichen Sinne.11 aa) Strafgewalt im Bereich der deutschen Binnengewässer Zum deutschen Staatsgebiet gehören neben der Deutschland zugeordneten Landmasse auch die sogenannten Binnengewässer, also Seen, Flüsse, Kanäle und Hafengewässer, die innerhalb des „festen“ Staatsgebiets liegen.12 Bei Flüssen und Kanälen unterscheidet man im Völkerrecht zwischen nationalen, internationalen und internationalisierten Flüssen bzw. Kanälen. Die beiden ersten Begriffe haben rein tatsächliche, keinerlei rechtliche Bedeutung. Nationale Flüsse und Kanäle sind solche, die ausschließlich einen Staat durchfließen, internationale solche, deren schiffbarer Teil im Staatsgebiet von mindestens zwei Staaten liegt.13 Der Begriff des internationalisierten Flusses bzw. Kanals dagegen kennzeichnet einen Wasserweg, der aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags der internationalen Schiffahrt geöffnet wurde, bei dem sich also die Staaten, durch deren Gebiet der Fluß bzw. Kanal verläuft, vertraglich verpflichtet haben, Schiffen anderer Staaten die Befahrung zu gestatten. Häufig werden internationalisierte Wasserwege zudem einer su___________ 10 Vgl. Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 436 ff. Dies gilt ebenso für die weiteren im folgenden genannten völkerrechtlichen Verträge. Soweit die hier interessierenden Bestimmungen des SRÜ geltendem Völkergewohnheitsrecht entsprechen, ergibt sich deren Verbindlichkeit für deutsche Strafverfolgungsbehörden zudem aus Art. 25 GG. 11 MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 9; Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 14; Fischer, in: Tröndle/Fischer, § 3 Rn. 4; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 218; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 18 VI. 1. 12 MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 11; Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 16 (der von Ambos verwendete Begriff „Eigengewässer“ sollte allerdings vermieden werden, da er mehrdeutig ist und zum Teil auch als Synonym für die „inneren Gewässer“ gebraucht wird; vgl. unten Anm. 23); Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 30; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 77, 99; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 396 ff. 13 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 386; Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 13.
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pranationalen gemeinsamen Verwaltung unterstellt.14 Im Bereich des deutschen Staatsgebiets ist beispielsweise der Rhein internationalisiert,15 die Elbe und der Nord-Ostsee-Kanal (Kieler Kanal) dagegen, die durch den Versailler Vertrag internationalisiert worden waren, haben diesen Status seit 1936 nicht mehr.16 Trotz einer Internationalisierung gehört ein derartiger Fluß oder Kanal aber weiterhin insoweit zum Staatsgebiet eines Staates, als er diesen durchfließt.17 Vielfach durchfließen Flüsse aber nicht ein Staatsgebiet in dem Sinne, daß beide Uferseiten zum selben Staat gehören, sondern bilden als Grenzflüsse gleichzeitig die Staatsgrenze. Dann stellt sich die Frage, wo genau die Staatsgrenze verläuft. Dies ist regelmäßig durch Grenzverträge der betroffenen Staaten festgelegt.18 Sofern eine Regelung fehlt, gilt nach Völkergewohnheitsrecht bei schiffbaren Flüssen der Talweg, also die Mitte der Schiffahrtsrinne, bei nicht schiffbaren Flüssen die Flußmitte als Grenze.19 Auch bei Grenzseen ist der Grenzverlauf in der Regel völkervertraglich festgelegt; wo eine vertragliche Regelung fehlt, liegt die Grenze in der Mitte zwischen den Ufern.20 Beim Bodensee, dessen Anrainerstaaten die Bundesrepublik Deutschland, Österreich und die Schweiz sind, ist der Grenzverlauf allerdings nach wie vor teilweise umstritten.21 Soweit eine Tat auf einem Schiff begangen wurde, das sich zur Tatzeit in bundesdeutschen Binnengewässern einschließlich der internationalisierten Gewässer ___________ Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 386 f.; Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 13. 15 Zum Rhein vgl. die Revidierte Rheinschiffahrtsakte vom 17.10.1868, BGBl. 1969 II, S. 597 und BGBl. 1980 II, S. 870, 875, abgedr. in der Sammlung „Sartorius II“ unter Nr. 340; ferner Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 388 f.; Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 17. Zum besonderen Regime für die Donau siehe Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 389 f.; Epping/Gloria, a.a.O., § 23 Rn. 18. 16 Die durch den Versailler Vertrag begründete Internationalisierung von Elbe und NordOstsee-Kanal wurde durch die international weitgehend akzeptierte Aufkündigung seitens des Deutschen Reichs am 14.11.1936 (RGBl. 1936 II, S. 361) beendet. Vgl. OLG Schleswig, SchlHA 1955, 101 (101); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 390 f., 402; Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 21, 23. 17 MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 11; Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 16; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 386; Fischer, in: Tröndle/Fischer, vor § 3 Rn. 16. 18 Vgl. die Nachw. bei Fischer, in: Tröndle/Fischer, vor § 3 Rn. 16; LK-StGBGribbohm, vor § 3 Rn. 247. 19 MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 18; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 381 f.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 98; Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 10; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 275. 20 Vgl. Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 276. 21 Vgl. OLG Karlsruhe, NZV 1995, 365 (365); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 403 f.; Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 11; Fischer, in: Tröndle/ Fischer, vor § 3 Rn. 15; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 249; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 138; Hoog, AVR 25 (1987), 202 (216 f.); Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 568. 14
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befand, gilt das deutsche Strafrecht schon nach § 3 StGB. Ob der Tatort allerdings tatsächlich im Inland lag, kann bei Grenzseen und Grenzflüssen, also dort, wo die Staatsgrenze die Wassermassen gewissermaßen „durchschneidet“, eine schwierig zu beurteilende Tatfrage sein, da der genaue Standort des Schiffs zur Tatzeit häufig kaum feststellbar sein wird. Sofern sich in einem solchen Fall die Geltung des deutschen Strafrechts bereits aus einem anderen Anknüpfungsprinzip ergibt, etwa nach § 4 StGB (Flaggenprinzip), kann die Frage des Schiffsstandorts jedoch offengelassen werden.22 bb) Strafgewalt im Bereich der deutschen inneren Gewässer Zum deutschen Staatsgebiet gehören ferner die deutschen „inneren Gewässer“ (internal waters).23 Dies sind nach Art. 8 Abs. 1 SRÜ die landwärts der Basislinie des Küstenmeeres gelegenen Gewässer.24 Diese Basislinie ist gemäß Art. 5 SRÜ grundsätzlich die Niedrigwasserlinie entlang der Küste, also die Linie, bis zu der bei Niedrigwasser (Ebbe) der Meeresboden trockenfällt. Dieses Prinzip der Ziehung der Basislinie erfährt allerdings einzelne Ausnahmen, die den Bereich der inneren Gewässer deutlich vergrößern. Wo die Küste tiefe Einbuchtungen und Einschnitte aufweist oder wo sich eine Inselkette entlang der Küste und in deren unmittelbarer Nähe erstreckt, kann nach Art. 7 Abs. 1 SRÜ die „Methode der geraden Basislinien“ angewandt werden. Dann kann die Basislinie als gerade Linie ohne Berücksichtigung von Einbuchtungen oder Einschnitten gezogen werden; eine der Küste vorgelagerte Inselkette darf so einbezogen werden, daß sie landwärts der ___________ 22 Die ursprüngliche Einschränkung des § 4 StGB, wonach das deutsche Strafrecht bei Taten auf einem Schiff, das berechtigt ist, die Bundesflagge zu führen, nur dann galt, wenn sich das Schiff im Ausland befand, wurde gerade deshalb aufgegeben, um in Fällen, in denen sich nicht feststellen läßt, ob sich das Schiff zum Tatzeitpunkt im Inland befand oder nicht, keine Strafbarkeitslücke zu haben; vgl. LK-StGB-Gribbohm, § 4 Rn. 6. Allerdings wäre wohl bei einer solchen Konstellation eine Wahlfeststellung zulässig gewesen. 23 MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 11; Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 16 (Ambos verwendet allerdings fälschlicherweise den Begriff „Binnengewässer“); Schönke/SchröderEser, vor § 3 Rn. 30; Fischer, in: Tröndle/Fischer, vor § 3 Rn. 13; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 51 Rn. 8; Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Abschn. Rn. 38, 40. Zum Teil wird synonym der Begriff „Eigengewässer“ gebraucht (vgl. etwa Fischer, a.a.O., Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1191 ff.). Dieser ist aber abzulehnen, da damit fälschlicherweise suggeriert wird, andere Gewässer gehörten nicht zum Staatsgebiet. Doehring, Völkerrecht, Rn. 519 bezeichnet dagegen alle der Hoheitsgewalt eines Staates unterstehenden Gewässer, also einschließlich des Küstenmeeres, als „Eigengewässer“. Für die Gesamtheit der der territorialen Souveränität einzelner Staaten unterstehenden Meeresgebiete (Innere Gewässer und Küstenmeer, ggf. auch Archipelgewässer i.S.d. Art. 46 ff. SRÜ) ist der Begriff „Aquitorium“ entwickelt worden; vgl. Graf Vitzthum, a.a.O., 5. Abschn. Rn. 15, 38. 24 Zur räumlichen Abgrenzung vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 421 ff.; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 51 Rn. 2 ff.; Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Abschn. Rn. 39; ders., in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), LdR-VR, S. 177 (178 ff.).
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Basislinie liegt. Der Verlauf gerader Basislinien darf aber nach Art. 7 Abs. 3 SRÜ nicht erheblich von der allgemeinen Richtung der Küste abweichen, zudem müssen die so bestimmten inneren Gewässer mit dem Landgebiet derart eng verbunden sein, daß sie der Ordnung der inneren Gewässer unterstellt werden können. Bei Flußmündungen wird die Basislinie gemäß Art. 9 SRÜ so quer über die Mündung gezogen, daß sie die am Ufer gelegenen Punkte der Niedrigwasserlinie miteinander verbindet. Größere Buchten, deren Küsten allein zu einem Staat gehören, dürfen nach Art. 10 SRÜ in die inneren Gewässer einbezogen werden, sofern ihre Öffnung nicht breiter ist als 24 Seemeilen.25 Soweit eine Straftat auf einem Schiff begangen wird, das sich zur Tatzeit in den so bestimmten inneren Gewässern befindet, gilt das deutsche Strafrecht ebenfalls bereits nach § 3 StGB. cc) Strafgewalt im Bereich des deutschen Küstenmeeres Auch das sogenannte Küstenmeer (territorial sea) gehört nach Art. 2 Abs. 1 SRÜ zum Staatsgebiet des Küstenstaates, dem es seewärts der inneren Gewässer vorgelagert ist.26 Die im Völkerrecht lange umstrittene Frage, bis zu welcher Breite ein Staat sein Küstenmeer festlegen und damit einen Streifen des Meeres seinem Staatsgebiet zuordnen darf, hat das SRÜ in Art. 3 dahingehend entschieden, daß die äußere Grenze des Küstenmeeres höchstens 12 Seemeilen von den Basislinien entfernt sein darf.27 Früher wurde dagegen vielfach eine maximale Breite des Küstenmeeres von drei Seemeilen angenommen, doch haben mittlerweile die meisten Staaten – einschließlich der Bundesrepublik – ihr Küstenmeer auf eine Breite von 12 Seemeilen ausgedehnt.28 Bei Taten, die auf Schiffen begangen werden, die sich zur Tatzeit im deutschen Küstenmeer befinden, gilt das deutsche Strafrecht damit ebenfalls bereits nach § 3
___________ 1 Seemeile = 1,852 Kilometer. MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 12; Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 16; Doehring, Völkerrecht, Rn. 106; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 30; Fischer, in: Tröndle/ Fischer, vor § 3 Rn. 13; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 52 Rn. 1; Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Abschn. Rn. 43; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 79 f. 27 MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 12; Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 16 f.; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 52 Rn. 4 ff.; Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Abschn. Rn. 44. 28 Für die BRD erfolgte dies gemäß Bekanntmachung vom 11.11.1994, BGBl. 1994 I, S. 3428, zum 1.1.1995. Vgl. MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 14; Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 17. In der strafrechtlichen Literatur wird aber zum Teil fälschlicherweise noch immer von einer „Drei-Meilen-Zone“ gesprochen; so etwa Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 54; KK-StPO-Schoreit, § 153c Rn. 6; Werle/ Jeßberger, JuS 2001, 35 (38 Fn. 32). 25 26
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StGB. Auf § 4 StGB braucht man in diesen Fällen auch bei „deutschen“ Schiffen nicht zurückzugreifen.29 dd) Irrelevanz der Staatszugehörigkeit des Schiffs Bei Straftaten, die auf einem Schiff begangen werden, das sich zum Tatzeitpunkt in deutschen Binnengewässern, deutschen inneren Gewässern oder im deutschen Küstenmeer befand, gilt das deutsche Strafrecht nach § 3 StGB unabhängig davon, ob es sich um ein Schiff handelt, das die Bundesflagge zu führen berechtigt ist (also um ein „deutsches“ Schiff30), oder um ein ausländisches Schiff.31 Die früher vertretene Auffassung, Schiffe seien gewissermaßen „schwimmende Gebietsteile“ des Flaggenstaates oder zumindest im Wege einer Fiktion als solche zu behandeln,32 ist heute überholt.33 Ein ausländisches Schiff, das sich in deutschen Hoheitsgewässern aufhält, befindet sich in deutschem Staatsgebiet. Mit der Annahme, Schiffe seien „schwimmende Gebietsteile“ des Flaggenstaates, sollte zum einen die materiellrechtliche Geltung des Strafrechts des Flaggenstaates auf „seinen“ Schiffen (Flaggenprinzip) konstruktiv begründet werden, zum anderen sollten auf diese Weise die Einschränkungen erklärt werden, die in bezug auf die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit gegenüber fremden Schiffen gelten. Hierzu bedarf es allerdings dieser Fiktion nicht. Die Geltung des Strafrechts braucht nicht auf im eigenen Staatsgebiet begangene Taten beschränkt zu sein, vielmehr ___________ Schönke/Schröder-Eser, § 4 Rn. 7; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 232, § 4 Rn. 6; Steinert, Schiff im Küstenmeer, S. 136. Sofern allerdings nicht festgestellt werden kann, ob sich ein Schiff zur Tatzeit im Bereich des deutschen Küstenmeeres oder im seewärts hiervon liegenden Bereich befand, kann bei einem Schiff, das berechtigt ist, die Bundesflagge zu führen, die Geltung deutschen Strafrechts auf § 4 StGB gestützt werden, da dieser nicht (mehr) auf Taten außerhalb des deutschen Staatsgebiets beschränkt ist; vgl. Anm. 22. 30 Art. 91 Abs. 1 SRÜ spricht von der Staatszugehörigkeit der Schiffe. Ein Schiff besitzt danach die Staatszugehörigkeit des Staates, dessen Flagge es zu führen berechtigt ist. Vgl. unten Anm. 40. 31 Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 31, § 4 Rn. 9; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 232, § 4 Rn. 6, 47; SK-StGB-Hoyer, § 4 Rn. 2; Mettgenberg, ZStW 52 (1932), 802 (804 f.); ders., DJ 1940, 641 (642). Die Geltung des deutschen materiellen Strafrechts in diesen Fällen schließt aber nicht aus, daß daneben auch die Anwendbarkeit des Strafrechts eines anderen Staates gegeben sein kann, etwa nach dem Flaggenprinzip der Strafrechtsordnung eines anderen Staates bei Taten auf Schiffen, die dessen Staatszugehörigkeit besitzen. 32 Vgl. nur RGSt 23, 266 (267); RGSt 50, 218 (220); Bluntschli, Völkerrecht, S. 190 sowie die Nachw. unten in Anm. 36. 33 So auch MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 8, § 4 Rn. 5; Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 14, 26, 30; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 320, 385; Schönke/ Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 5; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 255, 257, § 4 Rn. 1; SKStGB-Hoyer, § 4 Rn. 1; Mettgenberg, DJ 1940, 641 (642); Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 426; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 56; SeidlHohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1260; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 28 ff. 29
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dürfen auch Auslandstaten dem eigenen Strafrecht unterstellt werden, sofern ein völkerrechtlich legitimierter Anknüpfungspunkt besteht, und hierzu zählt die Staatszugehörigkeit eines Schiffs.34 Die sogleich zu erörternden Regeln, welche die Vornahme von strafprozessualen Maßnahmen gegenüber fremden Schiffen oder auf solchen nicht nur auf Hoher See, sondern auch in eigenen Hoheitsgewässern beschränken, ergeben sich unmittelbar aus Völkervertragsrecht oder allgemein geltendem Völkergewohnheitsrecht. Den Grundsatz, nach dem einem Staat die Vornahme von Hoheitsakten in fremdem Staatsgebiet – und damit auch auf Schiffen als „schwimmenden Gebietsteilen“ – verboten ist,35 braucht man also nicht zu bemühen. Die Annahme, Schiffe seien „schwimmende Gebietsteile“ des Flaggenstaates oder jedenfalls fiktiv als solche anzusehen, ist aber nicht nur unnötig, sondern sogar mit geltendem Völkerrecht unvereinbar. So ist zwar anerkannt, daß hoheitliche Maßnahmen gegenüber fremden Schiffen auf Hoher See weitestgehend ausgeschlossen sind, doch gilt dieses Verbot für Maßnahmen im eigenen Küstengebiet nur noch eingeschränkt, für Maßnahmen in den inneren Gewässern und Binnengewässern sogar überhaupt nicht. Diese abgestufte Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit von Maßnahmen gegenüber fremden Schiffen läßt sich aber mit der Fiktion der „schwimmenden Gebietsteile“ nicht vereinbaren, da Staaten Hoheitshandlungen in fremdem Staatsgebiet generell untersagt sind.36 b) Materielle Strafgewalt im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszonen und der Hohen See Die „ausschließliche Wirtschaftszone“ (exclusive economic zone) ist ein Meeresgebiet, das sich an das Küstenmeer anschließt und in welchem dem Küstenstaat einerseits bestimmte Vorrechte insbesondere im Hinblick auf die wirtschaftliche Nutzung, vor allem in bezug auf den Fischfang, zukommen (vgl. Art. 55 f. SRÜ). Andererseits obliegen ihm hier völkerrechtliche Pflichten in bezug auf den Schutz der Meeresumwelt, die mit bestimmten Hoheitsbefugnissen zur Durchsetzung des Meeresumweltschutzes korrespondieren. Die Maximalbreite der ausschließlichen Wirtschaftszone darf gemäß Art. 57 SRÜ 200 Seemeilen, gemessen wiederum von ___________ Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 5. Vgl. die Nachw. in Anm. 4. 36 Es ist daher in der Literatur argumentiert worden, mit der Einfahrt in fremde Küstengewässer verliere ein Schiff seine Eigenschaft, schwimmender Gebietsteil des Flaggenstaates zu sein; vgl. beispielsweise Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 164 f.; Berner, Wirkungskreis der Strafgesetze, S. 170 f.; Böger, Immunität der Staatsschiffe, S. 49; Dreher, in: Schwarz/Dreher, vor § 3 Anm. 3 B; Holtzendorff (Hrsg.), Handbuch des Völkerrechts, Bd. 2, S. 437; Obermayer/Löbe/Rosenberg, Reichsstrafgesetzbuch, § 3 Anm. 3a; von Olshausen, Strafgesetzbuch, § 3 Anm. 14; Oppenhoff, Strafgesetzbuch, § 8 Anm. 3; Rüdorff, Strafgesetzbuch, § 3 Anm. 7; Rudolf, NJW 1954, 219 (219). Diese Argumentation offenbart die Untauglichkeit der Fiktion. 34 35
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den Basislinien aus, nicht überschreiten. Gemäß Art. 58 Abs. 2 SRÜ i.V.m. Art. 89 SRÜ ist die ausschließliche Wirtschaftszone eines Staates nicht Teil dessen Staatsgebiets. Abgesehen von begrenzten Vorrechten und Pflichten des Staates, zu dem sie gehören, entspricht der Status der ausschließlichen Wirtschaftszonen vielmehr gemäß Art. 58 Abs. 2 SRÜ dem der Hohen See.37 Die „Hohe See“ (High Seas) ist gemäß Art. 86 SRÜ der Bereich des Meeres, der weder zu den inneren Gewässern oder dem Küstenmeer noch zu der ausschließlichen Wirtschaftszone eines Staates gehört. Die Hohe See ist keinerlei staatlicher Gebietshoheit unterworfen. Nach Art. 89 SRÜ darf kein Staat den Anspruch erheben, irgendeinen Teil der Hohen See seiner Souveränität zu unterstellen. Vielmehr steht die Hohe See als internationaler Gemeinschaftsraum allen Staaten offen (vgl. Art. 87 Abs. 1 SRÜ).38 Die Geltung des deutschen Strafrechts kann sich damit weder bei Taten in der ausschließlichen Wirtschaftszone der Bundesrepublik noch bei Taten auf Hoher See oder in den ausschließlichen Wirtschaftszonen anderer Staaten aus § 3 StGB ergeben, da diese Gebiete nicht Teil des deutschen Staatsgebiets sind.39 Soweit eine Straftat auf einem Schiff begangen wurde, das die Bundesflagge zu führen berechtigt ist, gilt das deutsche Strafrecht aber in diesen Gebieten über § 4 StGB.40 Die transnationale Ausdehnung nationaler Strafgewalt nach dem sogenannten Flaggenprinzip ist völkerrechtlich anerkannt, da jeder Staat die Verantwortung für Handlungen trägt, die auf „seinen“ Schiffen vorgenommen werden, und für den Schutz der Personen auf solchen Schiffen Sorge zu tragen hat.41 Es ist darauf hinzuweisen, daß § 4 StGB lediglich die Geltung des deutschen Strafrechts anordnet, nicht aber festschreibt, daß Schiffe, die die Bundesflagge führen, Inland sind oder als Inland
___________ 37 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 523 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 107; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 53 Rn. 9 ff.; Häußler, JA 2002, 817 (817). Zur bundesdeutschen ausschließlichen Wirtschaftszone, die zum 1.1.1995 geschaffen wurde, vgl. BGBl. 1994 II, S. 3769. 38 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 343 ff.; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 54 Rn. 1. 39 MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 16; Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 18; LKStGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 300, 301, 313; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 422. 40 MK-StGB-Ambos, § 4 Rn. 1; Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 28 ff.; LKStGB-Gribbohm, § 4 Rn. 46; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 56 f. Zum Begriff „Schiff“ in diesem Zusammenhang vgl. LK-StGB-Gribbohm, § 4 Rn. 7 ff. Die Berechtigung zur Führung der Bundesflagge bestimmt sich nach dem Flaggenrechtsgesetz vom 26.10.1994 (BGBl. 1994 I, S. 3140). Eine solche Berechtigung haben danach vor allem Schiffe deutscher Eigentümer. Unerheblich ist, ob es sich um ein Staatsschiff oder ein privates Schiff handelt. Vgl. MK-StGB-Ambos, § 4 Rn. 6 f.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 30 f.; LK-StGB-Gribbohm, § 4 Rn. 10 ff. 41 Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 26 f.; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 5, § 4 Rn. 1 f.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 18 II.2.
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zu betrachten sind.42 Wie bereits erwähnt, können Schiffe nicht als „schwimmende Gebietsteile“ des Flaggenstaates angesehen werden. Bei Taten auf ausländischen Schiffen kann je nach Fallkonstellation ebenfalls deutsche Strafgewalt bestehen, etwa bei deutscher Staatsangehörigkeit des Opfers oder Täters nach § 7 Abs. 1 oder 2 StGB.43 Bei Taten, die gegen bundesdeutsche Interessen gerichtet sind, kann sich aus § 5 StGB die Geltung des deutschen Strafrechts ergeben. Auch § 6 StGB, insbesondere § 6 Nr. 344, kann gegebenenfalls die deutsche Strafgewalt begründen.45 Besonders hinzuweisen ist auf § 5 Nr. 11 StGB, wonach bestimmte Umweltstraftatbestände (§§ 324, 326, 330, 330a StGB) auch im Bereich der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone verwirklicht werden können, soweit völkerrechtliche Übereinkommen zum Schutz des Meeres ihre Verfolgung als Straftaten gestatten.46 Eine solche Gestattung ergibt sich aus den Art. 210 ff. SRÜ, in denen (strafrechtliche) Kompetenzen und Pflichten der Staaten im Bereich des Meeresumweltschutzes normiert sind.47
___________ MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 8, § 4 Rn. 5; Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 14, 26, 30; LK-StGB-Gribbohm, § 4 Rn. 1; SK-StGB-Hoyer, § 4 Rn. 1. 43 „Ausland“ i.S.d. § 7 StGB sind nicht nur die Hoheitsgebiete fremder Staaten, sondern auch gebietshoheitsfreie Räume wie die Hohe See. Der Tatort unterliegt zudem „keiner Strafgewalt“ i.S.d. § 7 StGB, selbst bei Taten auf fremden Schiffen, die (auch) nach dem Flaggenprinzip vom Strafrecht des Flaggenstaates erfaßt werden. Vgl. LK-StGBGribbohm, vor § 3 Rn. 293 f., § 7 Rn. 40 f.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 18 VI. 2. 44 § 316c StGB gilt damit weltweit. Erfaßt werden unter anderem Taten der Seeräuberei gegen Schiffe und auf Schiffen. Vgl. hierzu auch Art. 100 ff. SRÜ. Eine völkervertragliche Verpflichtung, Taten gegen die Sicherheit der Seeschiffahrt unter Strafe zu stellen, ergibt sich für die Bundesrepublik aus Art. 3 ff. Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschiffahrt vom 10.3.1988, BGBl. 1990 II, S. 494. Vgl. LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 105 ff. 45 In all den Fällen, in denen bei Taten in ausschließlichen Wirtschaftszonen oder auf Hoher See deutsche Strafgewalt besteht, ist nicht ausgeschlossen, daß daneben auch das Strafrecht eines anderen Staates anwendbar ist. Bei Taten auf Schiffen, die eine fremde Staatszugehörigkeit besitzen, ist dies sogar regelmäßig nach dem Flaggenprinzip der Rechtsordnung des Flaggenstaates der Fall. 46 Vgl. MK-StGB-Ambos, § 5 Rn. 31; Schönke/Schröder-Eser, § 5 Rn. 18a; Fischer, in: Tröndle/Fischer, § 5 Rn. 11; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 94 ff., § 5 Rn. 57 ff.; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 5 Rn. 3. Der Begriff „Verfolgung“ bezieht sich hier nicht auf die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit, sondern auf die Geltungserstreckung des materiellen Strafrechts. Ansonsten käme es zu einer dem bundesdeutschen Recht grundsätzlich fremden Abhängigkeit der Strafgewalt von der Befugnis zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit. Vgl. auch unten Anm. 211. 47 Vgl. auch die außerhalb des StGB normierte Geltungserstreckung des deutschen Umweltstrafrechts auf Bereiche der Hohen See in der Nord- und Ostsee in Art. 12 Ausführungsgesetz zum Seerechtsübereinkommen vom 6.6.1995, BGBl. 1995 I, S. 778 (786). Siehe hierzu Schönke/Schröder-Eser, § 5 vor Rn 1 sowie Rn. 18a; Fischer, in: Tröndle/ Fischer, § 5 Rn. 11a. 42
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c) Materielle Strafgewalt im Bereich fremdstaatlicher Küstenmeere, fremdstaatlicher innerer Gewässer und fremdstaatlicher Binnengewässer Bei Taten, die auf Schiffen im Küstenmeer, in den inneren Gewässern oder den Binnengewässern eines fremden Staates begangen werden, gilt für die Reichweite der deutschen Strafgewalt im wesentlichen das gleiche wie für den Bereich der Hohen See. Für Taten auf Schiffen mit deutscher Staatszugehörigkeit gilt das deutsche Strafrecht unabhängig vom Recht des Tatorts nach § 4 StGB,48 bei Taten auf fremden Schiffen kann sich aus den §§ 5 ff. StGB die Geltung deutschen Strafrechts ergeben.49 2. Zur Reichweite deutscher Strafgerichtsbarkeit an Bord von Schiffen und bezüglich auf Schiffen begangener Taten Wie oben erwähnt wurde, ist von der Reichweite der materiellen Strafgewalt die der Strafgerichtsbarkeit streng zu unterscheiden. Aus dem Grundsatz der Gebietshoheit folgt die exklusive Befugnis eines Staates, Hoheitsakte auf seinem Staatsgebiet zu setzen. Es ist Staaten verwehrt, auf dem Gebiet anderer Staaten Hoheitshandlungen durchzuführen.50 Daraus folgt umgekehrt, daß sich die Befugnis eines Staates, hoheitliche Maßnahmen und damit auch Maßnahmen zum Zweck der Strafverfolgung durchzuführen, grundsätzlich auf das eigene Staatsgebiet beschränkt, dort aber, sofern nicht explizite völkerrechtliche Verbote – wie insbesondere Immunitäten – existieren, völkerrechtlich unbeschränkt ist.51 Im Zusammenhang mit strafprozessualen Maßnahmen bezüglich auf Schiffen begangener Taten und in bezug auf Maßnahmen auf Schiffen oder gegen Schiffe müssen diese Feststellungen aber in zweierlei Hinsicht modifiziert bzw. konkretisiert werden. Zum einen legt das Völkerrecht hier generelle Beschränkungen für die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit sogar im eigenen Staatsgebiet fest, vor allem ist die Zulässigkeit strafprozessualer Zwangsmaßnahmen auf fremden Schiffen im eigenen Küstenmeer beschränkt. Zum anderen wird die Zulässigkeit von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszonen und der Hohen See vom Völkerrecht gesondert bestimmt. Da diese Gebiete nicht Teil irgendeines Staates sind, sondern internationale Gemeinschaftsräume, kann hier keinem Staat die unbeschränkte Befugnis zur Vornahme von Zwangsmaßnahmen zugebilligt werden. Andererseits muß aber sichergestellt werden, daß auch in diesen Räumen die zur Sicherung oder Wiederherstellung des Rechtsfriedens erforderlichen Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden können. Die Hoheitsbefugnisse ___________ Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 28; LK-StGB-Gribbohm, § 4 Rn. 46. Regelmäßig konkurriert die Geltung des deutschen Strafrechts bei Taten in fremdem Staatsgebiet mit der Geltung des Strafrechts des Tatortstaates. 50 Vgl. die Nachw. in Anm. 4. 51 Vgl. Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 66 ff. 48 49
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
der Staaten werden vom Völkerrecht für diese Räume speziell geregelt und gegeneinander abgegrenzt. Diese Beschränkungen für die Reichweite der Strafgerichtsbarkeit, auch diejenigen, die für das Staatsgebiet des strafverfolgenden Staates gelten, sind streng zu trennen von der besonderen Exemtion für Staatsschiffe und deren Besatzungsmitglieder und Passagiere. Es wäre verfehlt, in diesem Zusammenhang von „Exemtionen“ oder „Immunitäten“ zu sprechen.52 Kennzeichen völkerrechtlicher Exemtionen ist, daß entweder bestimmte Gegenstände aufgrund ihres besonderen Status als hoheitlichen Zwecken dienendes Staatseigentum oder bestimmte Personen aufgrund ihrer Eigenschaft als Funktionsträger fremder Staaten oder internationaler Organisationen der Strafgerichtsbarkeit entzogen sind oder aber der Charakter der Tathandlung als Hoheitshandlung für einen fremden Staat den Ausschluß von der Strafgerichtsbarkeit begründet. Die hier zunächst zu skizzierenden Beschränkungen für die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit bei auf Schiffen begangenen Taten oder in bezug auf Maßnahmen auf Schiffen oder gegen Schiffe gelten aber gerade unabhängig von solchen Eigenschaften bzw. sogar nur in bezug auf Schiffe, die keine Staatsschiffe mit besonderem völkerrechtlichem Status sind. Es gilt also, klar zu differenzieren zwischen allgemeinen völkerrechtlichen Schranken für die Ausübung nationaler Strafgerichtsbarkeit und der speziellen völkerrechtlichen Exemtion von Staatsschiffen. Die nachfolgende Skizzierung der Reichweite deutscher Strafgerichtsbarkeit bezieht sich zunächst lediglich auf Schiffe, die nicht als hoheitlichen Zwecken dienende Staatsschiffe eine besondere völkerrechtliche Exemtion genießen. a) Strafgerichtsbarkeit im Bereich des deutschen Staatsgebiets einschließlich der Binnengewässer, der inneren Gewässer und des Küstenmeeres aa) Strafgerichtsbarkeit im Bereich des Festlands, der Binnengewässer und der inneren Gewässer In bezug auf Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit, also Maßnahmen zur Feststellung und Durchsetzung eines Strafanspruchs, ist zwischen zwei Arten von Maßnahmen zu unterscheiden. Einerseits geht es um Maßnahmen wie die schlichte Ermittlungstätigkeit von Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten, die Durchführung einer Hauptverhandlung als Kernstück einer Strafverfolgung (§§ 226 ff. StPO) und die sich an eine Verurteilung anschließende Strafvollstreckung (§§ 449 ff. StPO). Diese Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit finden naturgemäß auch bei im Ausland und auf Schiffen begangenen Taten ausschließlich „auf dem deutschen Festland“ statt. Andererseits geht es um strafprozessuale Zwangsmaß___________ 52 So aber O’Connell, International Law of the Sea, vol. II, S. 953 f.; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (404 f.).
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nahmen im Vorverfahren wie etwa Verhaftungen (§§ 112 ff. StPO), Durchsuchungen (§§ 102 ff. StPO) und Beschlagnahmen (§§ 94 ff. StPO). Diese sind nicht auf bestimmte Örtlichkeiten beschränkt, sondern können überall dort vorgenommen werden, wo der Bundesrepublik Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit völkerrechtlich und vom innerstaatlichen Recht gestattet sind. Als Ort der Durchführung solcher strafprozessualer Zwangsmaßnahmen kommen damit auch Schiffe in Betracht. Im Bereich des deutschen Festlands bestehen in bezug auf Taten, die auf Schiffen begangen wurden, grundsätzlich keinerlei Beschränkungen für die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit. Soweit auf eine Tat, die auf einem Schiff begangen wurde, das deutsche materielle Strafrecht Anwendung findet, darf grundsätzlich gegen den Beschuldigten ermittelt, vor einem deutschen Gericht eine Hauptverhandlung durchgeführt und eine verhängte Strafe in Deutschland vollstreckt werden, unabhängig davon, an welchem Ort die Tat begangen wurde.53 Von diesem Grundsatz gibt es allerdings einige wichtige Ausnahmen: Wegen einer Straftat, die im Zusammenhang mit einem Zusammenstoß von Schiffen oder einem anderen mit der Führung eines Schiffs zusammenhängenden Ereignis auf Hoher See begangen wurde, darf nach Art. 97 Abs. 1 SRÜ ein Strafverfahren gegen den Kapitän oder eine sonstige im Dienst des Schiffs stehende Person nur von dem Flaggenstaat des Schiffs oder von dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit die beschuldigte Person besitzt, durchgeführt werden.54 Wenn also beispielsweise ein dänisches Schiff auf Hoher See wegen eines Navigationsfehlers des dänischen Kapitäns mit einem deutschen Schiff zusammenstößt und dabei ein deutsches Besatzungsmitglied des deutschen Schiffs ums Leben kommt, ist zwar nach § 7 Abs. 1 und § 4 i.V.m. § 9 Abs. 1 StGB auf die Tat das deutsche Strafrecht anwendbar, doch darf lediglich der dänische Staat ein Strafverfahren durchführen, die deutsche Strafgerichtsbarkeit ist ausgeschlossen. Eine zweite Ausnahme betrifft auf fremden ___________ Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 436 f. Zum Gerichtsstand vgl. auch die §§ 10 f. StPO. Subsidiärer Gerichtsstand ist bei Taten, die im Bereich des Meeres außerhalb der deutschen Küstengewässer begangen wurden, stets Hamburg (die ursprüngliche Beschränkung des § 10a StPO auf Umweltdelikte wurde 1993 aufgegeben, falsch daher KK-StPO-Pfeiffer, § 10a Rn. 1; Pfeiffer, Strafprozessordnung, § 10a Rn. 1). Auch die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft bestimmt sich nach dem Gerichtsstand; vgl. § 143 GVG. Bei gewissen Taten gegen die Sicherheit der Seeschiffahrt besteht nach Art. 6 Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschiffahrt (vgl. Anm. 44) sogar eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit. 54 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 355; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 54 Rn. 14. Damit ist die Entscheidung des StIGH im Lotus-Fall (vgl. Anm. 3) überholt. Zwar legt das Übereinkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die strafgerichtliche Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen (…) vom 10.5.1952 (BGBl. 1972 II, S. 653, 668) eine derartige Beschränkung der Ausübung von Strafgerichtsbarkeit auch für das Küstenmeer und die inneren Gewässer fest, doch hat die Bundesrepublik hiergegen einen nach Art. 4 Abs. 2 des Übereinkommens zulässigen Vorbehalt erklärt; vgl. Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 405, 424, 466; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 115 ff. 53
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Schiffen im Küstenmeer des strafverfolgenden Staates oder außerhalb seiner Hoheitsgewässer – also jenseits seines Küstenmeeres – begangene Umweltstraftaten. Ein Verfahren wegen solcher Taten unterliegt nach Art. 218 Abs. 1, Art. 220 Abs. 1, Art. 228 und Art. 230 SRÜ engen Restriktionen. Eine dritte Ausnahme gilt für Zuwiderhandlungen gegen schiffahrtspolizeiliche Vorschriften durch die Rheinschiffahrt, deren Ahndung ebenfalls besonderen Restriktionen unterliegt.55 Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen dürfen auf Schiffen, die sich im Bereich der deutschen Binnengewässer oder der deutschen inneren Gewässer befinden, im Rahmen der StPO – abgesehen von der hier zu erörternden Exemtion der Staatsschiffe – ohne völkerrechtliche Beschränkungen durchgeführt werden. Schiffe, auch ausländische,56 die sich in diesen Gewässern aufhalten, sind der deutschen Strafgerichtsbarkeit unterworfen, auf ihnen dürfen Durchsuchungen, Beschlagnahmen, Verhaftungen und sonstige Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden.57 Das gilt auch für Schiffe, die sich im Bereich internationalisierter Flüsse, also etwa auf dem Rhein, aufhalten. Zwar sind die Hoheitsbefugnisse Deutschlands hier beschränkt, doch betreffen diese Restriktionen nicht die Vornahme strafprozessualer Maßnahmen an Bord von Schiffen.58 Hinsichtlich strafprozessualer Maßnahmen auf dem Bodensee ist die Rechtslage allerdings nach wie vor unklar, da sie von der umstrittenen Zugehörigkeit des Bodensees zum Hoheitsgebiet der Anrainerstaaten abhängt.59 ___________ Vgl. Art. 32 ff. der Rheinschiffahrtsakte (vgl. Anm. 15) und hierzu LK-StGBGribbohm, vor § 3 Rn. 244 f.; KK-StPO-Pfeiffer, § 14 GVG Rn. 1, 3. 56 Es ist nochmals darauf hinzuweisen, daß Schiffe nicht „schwimmende Gebietsteile“ des Flaggenstaates sind oder fiktiv als solche zu betrachten sind. Damit steht nicht etwa fremdstaatliche Gebietshoheit der Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit auf ausländischen Schiffen im Inland entgegen. 57 Vgl. RGSt 2, 17 (18 f.); Churchill/Lowe, Law of the sea, S. 54 f.; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 408 ff.; Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 14; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 51 Rn. 1, 8; Häußler, JA 2002, 817 (818); Malanczuk, Introduction to International Law, S. 175 f.; Mettgenberg, ZStW 52 (1932), 802 (804); ders., DJ 1940, 641 (642); O’Connell, International Law of the Sea, vol. II, S. 953; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 396 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1199; Graf Vitzthum, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), LdR-VR, S. 177 (184); Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 70 ff. 58 Vgl. RGSt 9, 370 (376); Fischer, in: Tröndle/Fischer, vor § 3 Rn. 16; LK-StGBGribbohm, vor § 3 Rn. 244 ff.; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 396. Art. 1 Abs. 2 der Rheinschiffahrtsakte (vgl. Anm. 15) wird so verstanden, daß er nur von der Akte nicht ausdrücklich gestattete schiffahrtsbezogene Maßnahmen, nicht aber die Ausübung der allgemeinen Strafgerichtsbarkeit verbietet. Vgl. auch Art. 12, 32 ff. der Rheinschiffahrtsakte. 59 Hinsichtlich des praktisch relevanten Aspektes der Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen schiffahrtspolizeiliche Vorschriften wurde mit dem Bodenseeabkommen vom 1.6.1973 (BGBl. 1975 II, S. 1405) allerdings eine pragmatische Lösung gefunden, indem der Obersee in „Vollzugsbereiche“ aufgeteilt wurde (Art. 9 f. des Übereinkommens). Siehe auch die Denkschrift zum Übereinkommen, BT-Drucks. 7/3439, S. 14 ff. Welcher Anrai55
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Der Bereich der inneren Gewässer wird vom Völkerrecht – anders als das Küstenmeer – in seiner rechtlichen Beziehung dem Landgebiet gleichgestellt. Da diese Gewässer zum einen für die Transitschiffahrt keine Bedeutung haben, zum anderen der Küstenstaat wegen der engen Verbindung dieser Gewässer zum Festland das berechtigte Interesse hat, hier unbeschränkte Hoheitsgewalt ausüben zu dürfen, limitiert das Völkerrecht die Befugnisse des Küstenstaates hier nicht.60 Der Küstenstaat ist deshalb auch frei in der Entscheidung, ob er Schiffen das Befahren seiner inneren Gewässer erlaubt, diese dürfen nur mit einer solchen Erlaubnis in die inneren Gewässer einschließlich der Hafenanlagen einfahren.61 bb) Strafgerichtsbarkeit im Bereich des Küstenmeeres Im Küstenmeer dagegen wird die Befugnis des Küstenstaates zur Vornahme von Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit vom Völkerrecht deutlich beschränkt. Dieser Bereich des Meeres ist für die internationale Schiffahrt und den internationalen Handelsverkehr von großer Bedeutung, er wird als Wasserstraße für den internationalen Verkehr benötigt. Nachdem fast alle Staaten die Breite ihres Küstenmeeres auf die zulässigen 12 Seemeilen ausgedehnt haben, gehören große Teile der für die Schiffahrt wichtigen Meeresgebiete zum Staatsgebiet der Küstenstaaten. Das Völkerrecht muß deshalb die zum Teil gegenläufigen Interessen des Küstenstaates einerseits (der daran interessiert ist, in seinem Küstenmeer als Teil seines Staatsgebiets Hoheitsgewalt ausüben und Maßnahmen zum Schutz seiner Souveränität ergreifen zu dürfen) und der übrigen Staaten andererseits (die an einer ungehinderten Nutzung dieses Meeresgebiets für die Schiffahrt interessiert sind) in Ausgleich bringen.62 Nach Art. 17 SRÜ genießen alle Schiffe das „Recht der friedlichen Durchfahrt“ (right of innocent passage) durch das Küstenmeer. Sie dürfen dieses Gebiet ohne Anmeldung oder Erlaubnis durchfahren.63 Die Interessen des Küstenstaates werden ___________ nerstaat aber beispielsweise bei einem mitten auf dem Obersee begangenen Tötungsdelikt die Zugriffskompetenz hat und den Täter verhaften darf, ist angesichts der umstrittenen territorialen Zuordnung des Obersees ungeklärt. 60 Vgl. aber die ausnahmsweise Geltung der Bestimmungen über das Küstenmeer (und damit die Geltung der Beschränkungen für die Strafgerichtsbarkeit nach Art. 27 SRÜ) in den Fällen des Art. 8 Abs. 2 SRÜ. 61 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 406, 413. Eine Ausnahme gilt für Fälle der Seenot. Es ist allerdings seit jeher üblich, Hafenanlagen generell fremden Schiffen zu öffnen. 62 Vgl. die Erklärung der Bundesrepublik zum SRÜ vom 14.10.1994, BGBl. 1995 II, S. 602. 63 Brownlie, International Law, S. 186 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 430 f.; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 52 Rn. 13; Steinert, Schiff im Küstenmeer, S. 106 ff. Zum Begriff „Durchfahrt“ vgl. Art. 18 SRÜ. Zu (unzulässigen) Beschränkungen des Durchfahrtsrechts in der Staatenpraxis siehe Heintschel von Heinegg, Casebook Völkerrecht, Rn. 877.
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insoweit geschützt, als nur die friedliche Durchfahrt gestattet ist. Art. 19 SRÜ legt abschließend fest, wann die Durchfahrt nicht mehr als friedlich angesehen werden kann. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn von einem Schiff im Küstenmeer gegen die Souveränität, territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit des Küstenstaates gerichtete Gewalt angewendet oder angedroht wird, wenn Spionageaktivitäten entfaltet werden, wenn Waren oder Personen unter Verstoß gegen die Rechtsvorschriften des Küstenstaates aufgenommen oder entladen werden, Fischerei betrieben wird oder sonstige nicht mit der Durchfahrt zusammenhängende Handlungen vorgenommen werden (vgl. Art. 19 Abs. 2 SRÜ).64 Der Küstenstaat darf ferner Vorschriften zur Regelung von Modalitäten der Durchfahrt erlassen, die etwa die Sicherheit der Schiffahrt, die Regelung des Verkehrs einschließlich der Festlegung von Schiffahrtswegen und den Schutz der Umwelt betreffen (Art. 21 f. SRÜ).65 Die friedliche Durchfahrt eines Schiffs durch sein Küstenmeer darf ein Staat nicht behindern (Art. 24 Abs. 1 SRÜ). Sofern aber die Durchfahrt nach Art. 19 SRÜ nicht mehr als friedlich gilt, darf der Küstenstaat die erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung der nichtfriedlichen Durchfahrt ergreifen (Art. 25 Abs. 1 SRÜ).66 Notfalls darf er auch militärische Gewalt anwenden.67 Neben diesen allgemeinen Bestimmungen über die friedliche Durchfahrt trifft das SRÜ in Art. 27 detaillierte Regelungen hinsichtlich der Zulässigkeit von Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit – also der Vornahme von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen – an Bord fremder Schiffe68, die das Küstenmeer durchfahren.69 Dabei werden drei verschiedene Fallkonstellationen unterschieden: ___________ Siehe auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 431 f.; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 52 Rn. 14; Häußler, JA 2002, 817 (817). 65 Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 52 Rn. 16 ff. 66 Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 52 Rn. 15. 67 Das allgemeine Gewaltverbot des Art. 2 Nr. 4 UN-Charta steht dem, wie generell dem Einsatz polizeilicher und militärischer Gewalt im eigenen Staatsgebiet, nicht entgegen. 68 Für Schiffe, die unter der Flagge des Küstenstaates fahren, gelten keine Einschränkungen. 69 Vgl. hierzu Brown, Law of the Sea, vol. I, S. 62 ff.; Churchill/Lowe, Law of the sea, S. 80 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 435 f.; Gloria in: Ipsen, Völkerrecht, § 52 Rn. 11; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 234, 268 f.; Häußler, JA 2002, 817 (818); O’Connell, International Law of the Sea, vol. II, S. 954 ff.; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 412 ff.; Shaw, International Law, S. 406 f.; Steinert, Schiff im Küstenmeer, S. 137 ff.; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 78 ff. Die für das Küstenmeer maßgeblichen Bestimmungen gelten nach Art. 52 Abs. 1 SRÜ auch für die Durchfahrt durch sogenannte Archipelgewässer. Auf eine Darstellung des Rechtssystems der Archipelgewässer (Art. 46 ff. SRÜ) soll hier allerdings ebenso wie auf eine Skizzierung der Bestimmungen für Meerengen, die der internationalen Schiffahrt dienen (Art. 34 ff. SRÜ), verzichtet werden. In solchen Meerengen gelten – abhängig davon, welche Arten von Meeresgebieten verbunden werden – entweder ein Recht auf ungehinderte Transitdurchfahrt (Art. 38 SRÜ) oder die Regeln für das Küstenmeer (Art. 45 SRÜ). 64
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x Nach Art. 27 Abs. 1 SRÜ soll die Strafgerichtsbarkeit des Küstenstaates an Bord eines das Küstenmeer durchfahrenden fremden Schiffs nicht ausgeübt werden, um wegen einer während der Durchfahrt an Bord des Schiffs begangenen Straftat eine Person festzunehmen oder eine Untersuchung durchzuführen, es sei denn, es liegt einer der in Art. 27 SRÜ genannten Ausnahmetatbestände vor. Eine solche Ausnahme ist gegeben, wenn sich a) die Folgen der Straftat auf den Küstenstaat erstrecken, b) die Straftat geeignet ist, den Frieden des Landes oder die Ordnung im Küstenmeer zu stören, c) wenn der Kapitän des Schiffs oder ein Diplomat oder Konsularbeamter des Flaggenstaates die Hilfe der örtlichen Behörden erbeten hat und d) wenn Maßnahmen zur Unterdrückung des unerlaubten Verkehrs mit Drogen erforderlich sind. Zu beachten ist, daß diese Regelung nur für Taten gilt, die während der Durchfahrt im Küstenmeer begangen wurden, und es sich bei dem Schiff um ein Schiff mit ausländischer Staatszugehörigkeit handeln muß. Unter die Fallgruppen, bei denen die Vornahme strafprozessualer Maßnahmen erlaubt ist, fallen neben Spionagetaten, sonstigen gegen die Sicherheit des Küstenstaates gerichteten Taten und weiteren Verhaltensweisen, die eine Durchfahrt „unfriedlich“ im Sinne des Art. 19 SRÜ machen, vor allem Taten, bei denen auf Täter- oder Opferseite Staatsangehörige des Küstenstaates beteiligt sind, so daß beispielsweise die Befugnis zum Durchsuchen eines das deutsche Küstenmeer durchfahrenden Schiffs und zur Verhaftung von sich auf diesem aufhaltenden Personen zu bejahen ist, wenn während der Durchfahrt ein deutscher Staatsbürger getötet wird.70 Wenn aber beispielsweise an Bord eines niederländischen Schiffs während dessen Durchfahrt durch das deutsche Küstenmeer ein philippinisches Besatzungsmitglied einen niederländischen Kollegen tätlich angegriffen und verletzt hat, so dürfen die deutschen Behörden die Durchfahrt des Schiffs grundsätzlich nicht stören und keine Strafverfolgungsmaßnahmen vornehmen, solange nicht der Kapitän des Schiffs oder ein Auslandsvertreter der Niederlande um Hilfe der deutschen Behörden ersucht hat. x Nach Art. 27 Abs. 2 SRÜ gelten diese Beschränkungen für die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit des Küstenstaates allerdings nicht, wenn das fremde Schiff das Küstenmeer durchfährt, nachdem es sich vorher in den inneren Gewässern des Küstenstaates aufgehalten hatte. x Nach Art. 27 Abs. 5 SRÜ darf der Küstenstaat an Bord eines sein Küstenmeer durchfahrenden fremden Schiffs überhaupt keine Strafverfolgungsmaßnahmen ergreifen, um wegen einer Straftat, die vor der Einfahrt des Schiffs in das Küstenmeer begangen wurde, eine Person festzunehmen oder eine Untersuchung durchzu___________ 70 Restriktiver aber Steinert, Schiff im Küstenmeer, S. 144 und Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 83 f.
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führen, wenn dieses Schiff aus einem fremden Hafen kommt und das Küstenmeer nur durchfährt, ohne in die inneren Gewässer einzulaufen. So wären die deutschen Strafverfolgungsbehörden beispielsweise gehindert, ein Besatzungsmitglied eines das deutsche Küstenmeer durchfahrenden fremden Schiffs an Bord zu verhaften, wenn der Verdacht besteht, daß diese Person bei einem früheren Aufenthalt in einer deutschen Stadt ein Tötungsdelikt begangen hat. b) Strafgerichtsbarkeit im Bereich der Hohen See, der ausschließlichen Wirtschaftszonen und der Anschlußzonen Die Hohe See steht als internationaler Gemeinschaftsraum allen Staaten offen. Das auf den niederländischen Juristen Hugo Grotius (1583–1645) zurückgehende Konzept der „Freiheit der Hohen See“ (mare liberum), das sich im 19. Jahrhundert gegen die Vorstellung der Unterworfenheit des Meeres unter die Hoheitsgewalt einzelner Staaten (mare clausum) vollständig durchsetzte,71 umfaßt vor allem die Freiheit der Schiffahrt (Art. 87 Abs. 1 Satz 3 lit. a SRÜ). Jeder Staat hat das Recht, im Gebiet der Hohen See Schiffe, die seine Staatszugehörigkeit besitzen, fahren zu lassen (Art. 90 SRÜ), und kann verlangen, daß andere Staaten diese unbehelligt lassen.72 Im Gebiet der Hohen See darf daher ein Staat Strafgerichtsbarkeit – das heißt in diesem Zusammenhang strafprozessuale Zwangsgewalt – ebenso wie sonstige Hoheitsgewalt grundsätzlich nur gegenüber und auf Schiffen ausüben, die seine Flagge führen, also seine Staatszugehörigkeit haben.73 Auf und gegenüber fremden Schiffen darf er keine Maßnahmen durchführen.74 Dies ergibt sich aus Art. 92 Abs. 1 SRÜ, laut dem Schiffe unter der Flagge eines einzigen Staates fahren und auf Hoher See seiner ausschließlichen Hoheitsgewalt unterstehen. ___________ 71 Vgl. Brownlie, International Law, S. 224 f.; Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Abschn. Rn. 62; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, S. 153 f., 168 f., 222. 72 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 350 ff.; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 54 Rn. 2 f. 73 Vgl. MK-StGB-Ambos, § 4 Rn. 20; Churchill/Lowe, Law of the sea, S. 168 f.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 328; dies., Völkerrecht Bd. I/2, S. 354; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 263, § 4 Rn. 2; Malanczuk, Introduction to International Law, S. 186; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 423 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1259; Shaw, International Law, S. 421 f. Die Strafgerichtsbarkeit gegenüber eigenen Schiffen und an Bord eigener Schiffe ist völkerrechtlich nicht beschränkt. In der Praxis kommen aber Maßnahmen deutscher Behörden (vgl. den Text bei Anm. 79) schon aus tatsächlichen Gründen kaum in Betracht. Insofern spielt die Bordgewalt des Schiffskapitäns eine gewisse Rolle, der als Beliehener hoheitliche Funktionen an Bord ausüben darf. Hinsichtlich strafprozessualer Maßnahmen aber kann auch er sich lediglich auf das jedermann zustehende Festnahmerecht des § 127 Abs. 1 StPO stützen, während ihm durch § 106 Seemannsgesetz (BGBl. 1957 II, S. 713) umfassende Befugnisse zur Ergreifung von Gefahrenabwehrmaßnahmen eingeräumt werden. 74 Auf die Besonderheiten im Kriegsfall, in dem Maßnahmen gegen gegnerische Kriegsschiffe und feindliche Handelsschiffe erlaubt sein können, soll hier nicht eingegangen werden. Vgl. dazu Ipsen, in: Ipsen, Völkerrecht, § 73 Rn. 8.
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Von diesem Grundsatz gibt es allerdings einige wenige Ausnahmen. So sind nach Art. 100 SRÜ alle Staaten verpflichtet, bei der Bekämpfung der Seeräuberei (Piraterie) zusammenzuarbeiten. Unter Seeräuberei werden nach Art. 101 SRÜ Gewalttaten, Freiheitsberaubungen und Plünderungen verstanden, die von der Besatzung oder den Fahrgästen eines Schiffs gegen Personen oder Sachen auf einem anderen Schiff begangen werden. Art. 105 SRÜ berechtigt jeden Staat, auf Hoher See ein Seeräuberschiff oder ein durch Seeräuberei erbeutetes Schiff aufzubringen, die an Bord befindlichen Personen zu verhaften und Vermögensgegenstände zu beschlagnahmen. Die Gerichte des Staates, der ein solches Schiff aufgebracht hat, dürfen die verantwortlichen Personen verurteilen.75 Eine weitere Ausnahme gilt nach Art. 109 SRÜ für die Aufbringung von Schiffen, die von Hoher See aus nicht genehmigte Rundfunksendungen betreiben. Art. 110 SRÜ normiert ein Recht zum Anhalten und Überprüfen von fremden Schiffen bereits dann, wenn ein begründeter Verdacht besteht, daß derartige Taten von einem Schiff ausgehen, ferner dann, wenn ein Schiff überhaupt keine Flagge führt oder sogar keinerlei Staatszugehörigkeit hat.76 Schließlich ist als Ausnahme noch das Recht der Nacheile nach Art. 111 SRÜ zu nennen. Wenn die Verfolgung eines fremden Schiffs wegen einer Straftat, die der eigenen Strafgewalt unterliegt, bereits innerhalb der eigenen Hoheitsgewässer zulässigerweise begonnen wurde, so darf sie im Bereich der Hohen See fortgesetzt und das verfolgte Schiff dort aufgebracht werden. Sobald das verfolgte Schiff aber in ein fremdes Küstenmeer und damit fremdes Staatsgebiet einfährt, endet das Recht der Nacheile.77 Gegenüber deutschen Schiffen und in den genannten Ausnahmefällen ist zwar die Ausübung von strafprozessualen Maßnahmen (Aufbringung und Verhaftung) durch die Bundesrepublik im Bereich der Hohen See völkerrechtlich zulässig,78 ___________ 75 Vgl. Affeld, HuV-I 2000, 95 (96 ff.); Brownlie, International Law, S. 228 ff.; Churchill/Lowe, Law of the sea, S. 169 f.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 364 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 522; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 54 Rn. 16; Shaw, International Law, S. 423; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 99 ff. Die bundesdeutsche Strafgewalt erstreckt sich nach § 316c i.V.m. § 6 Nr. 3 StGB jedenfalls teilweise auf derartige Taten. 76 Vgl. Churchill/Lowe, Law of the sea, S. 170 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 370 f.; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 54 Rn. 15; Shaw, International Law, S. 422 ff. sowie LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 65 ff. 77 Vgl. Brownlie, International Law, S. 235 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 373 f.; Churchill/Lowe, Law of the sea, S. 172 f.; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 54 Rn. 17; Shaw, International Law, S. 424; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 95 ff.; Wollenberg, AVR 42 (2004), 217 (217 ff.). 78 Da die diesbezüglichen Bestimmungen des SRÜ nach dessen Transformation in deutsches Recht gemäß Art. 59 Abs. 2 GG bzw. als Völkergewohnheitsrecht über Art. 25 GG auch innerstaatlich gelten, liegt nicht nur eine völkerrechtliche Erlaubnis der Bundesrepublik vor, sondern auch eine Eingriffskompetenz deutscher Strafverfolgungsbehörden. Dabei gilt auch für alle außerhalb des deutschen Staatsgebiets vorgenommenen Maßnahmen die StPO; vgl. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Einl. Rn. 209; Wille, Verfolgung
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doch sind ihr tatsächliche sowie auf deutschem Recht beruhende Schranken gesetzt. Zuständige Polizeibehörde für die Durchführung von Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit auf Hoher See ist nach §§ 6, 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BPolG die Bundespolizei, die aber nur über begrenzte sachliche Mittel verfügt.79 Die Bundesmarine verfügt über keine Kompetenz zur Ausübung von Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit.80 Die skizzierten Bestimmungen, die die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit im Bereich der Hohen See reglementieren, gelten nach Art. 58 Abs. 2 SRÜ auch für den Bereich ausschließlicher Wirtschaftszonen, und zwar sowohl im Bereich der eigenen Wirtschaftszone des strafverfolgenden Staates als auch im Bereich der eines anderen Staates. Da die ausschließlichen Wirtschaftszonen nicht Teil irgendeines Staatsgebiets sind, sondern dem Küstenstaat hier im wesentlichen nur bestimmte Vorrechte bezüglich der wirtschaftlichen Nutzung zukommen, gelten die Regeln für die Hohe See betreffend die Freiheit der Schiffahrt und die Reichweite nationaler Strafgerichtsbarkeit grundsätzlich auch in diesen Gebieten.81 Allerdings sind zwei Besonderheiten zu beachten. Zum einen liegt im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftzone eines Staates auch dessen sogenannte Anschlußzone. Nach Art. 33 SRÜ darf ein Küstenstaat in einer Zone, die sich an sein Küstenmeer anschließt und sich bis zu 24 Seemeilen von den Basislinien aus gemessen erstreckt (also eine Breite von 12 Seemeilen hat), Verstöße gegen seine Zoll- und Finanzgesetze sowie Einreise- und Gesundheitsgesetze dann ahnden, also hier Maßnahmen der Strafverfolgung durchführen, wenn der Verstoß in seinen Hoheitsgewässern einschließlich seinem Küstenmeer begangen wurde.82 Zum anderen darf ein Staat im Bereich sei___________ strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 91 f., 98, 101 f. Siehe auch § 12 Abs. 5 Satz 2 BPolG und § 4 Abs. 1 SeeAufgG (Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschiffahrt vom 18.9.1998, BGBl. 1998 I, S. 2986), wo von der „entsprechenden Geltung der Vorschriften der StPO“ die Rede ist. 79 Vgl. Heesen/Hönle/Peilert, Bundesgrenzschutzgesetz, § 6 Rn. 25 ff., § 12 Rn. 28. Siehe auch § 4 Abs. 3 SeeAufgG (Anm. 78) und § 1 der Zuständigkeitsbezeichnungs-Verordnung See vom 4.3.1994, BGBl. 1994 I, S. 442. Das SRÜ geht zwar davon aus, daß staatliche Maßnahmen auf Hoher See grundsätzlich von Kriegsschiffen durchgeführt werden, erlaubt diese aber auch anderen erkennbar als im Staatsdienst stehend gekennzeichneten Schiffen; vgl. Art. 107, Art. 110 Abs. 5, Art. 111 Abs. 5, 224 SRÜ. 80 Dies folgt bereits aus Art. 87a Abs. 2 GG. Außer zur Verteidigung (vgl. Art. 115a Abs. 1 Satz 1 GG) ist ein Einsatz der Streitkräfte vom GG nur nach Art. 24 Abs. 1, 2, Art. 35 Abs. 2, 3 und Art. 87a Abs. 3, 4 gestattet. Aufgaben der Strafverfolgung bzw. der Gefahrenabwehr bei Piraterie und den weiteren in Art. 105 ff. SRÜ aufgelisteten Vorkommnissen werden hier nicht genannt. Vgl. Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 829, 1283 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 87a Rn. 4 ff. Siehe aber auch Affeld, HuV-I 2000, 95 (103 ff.); Kokott, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 87a Rn. 9 ff. und Stein, in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 487 (492 ff.). 81 Vgl. Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 53 Rn. 25 f. sowie die Erklärung der Bundesrepublik zum SRÜ vom 14.10.1994, BGBl. 1995 II, S. 602 (603). 82 Vgl. Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 52 Rn. 34 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1216. Die Bestimmungen über den Festlandsockel (Art. 76 ff. SRÜ) sind für
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ner ausschließlichen Wirtschaftszone nach Art. 216, Art. 220 Abs. 5, 6 und Art. 224 ff. SRÜ auch gegenüber Schiffen, die nicht seine Flagge führen, unter im einzelnen spezifizierten Voraussetzungen Maßnahmen zur Strafverfolgung wegen der Verschmutzung des Meeres ergreifen, wenn die Tat seiner Strafgewalt unterfällt.83 c) Strafgerichtsbarkeit im Bereich fremdstaatlicher Gebietshoheit Im Bereich der Küstengewässer, der inneren Gewässer und der Binnengewässer eines fremden Staates dürfen Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit schon nach allgemeinen völkerrechtlichen Regeln grundsätzlich nicht durchgeführt werden. Dies folgt aus der Gebietshoheit der Staaten über ihr Staatsgebiet, die es den Staaten untersagt, ohne Erlaubnis Hoheitsakte in fremdem Staatsgebiet zu setzen.84 Eine – praktisch bedeutungslose – Ausnahme gilt bei ausdrücklichem Einverständnis des fremden Staates.85 Eine weitere Ausnahme betrifft Maßnahmen an Bord eigener Schiffe. Auch wenn Schiffe nicht Teil des Staatsgebiets des Flaggenstaates sind, ist völkergewohnheitsrechtlich die Befugnis des Flaggenstaates zur Vornahme von Hoheitsakten nach eigenem Recht an Bord eigener Schiffe auch im Ausland anerkannt.86 Bedeutsam ist dies für die dem Kapitän deutscher Schiffe aufgrund Beleihung zustehenden hoheitlichen Befugnisse.87 Hinsichtlich strafrechtlicher Maßnahmen gibt es jedoch – anders als mit § 106 Seemannsgesetz für Maßnahmen der präventiv-polizeilichen Gefahrenabwehr – keine besondere Regelung mehr,88 so daß auch dem Kapitän bloß die Festnahmebefugnis des § 127 Abs. 1 StPO zusteht. Insofern aber gilt die StPO auch an Bord deutscher Schiffe im Ausland.89 ___________ das Strafrecht irrelevant, sie regeln nur die Nutzung eines bestimmten Teils des Meeresbodens; vgl. Art. 78 SRÜ. 83 Vgl. § 5 Nr. 11 StGB und hier die Darstellung oben § 21 I.1.b) am Ende. 84 Vgl. die Nachw. in Anm. 4. 85 Hierzu Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 109. Im Falle eines Einverständnisses gelten aber, soweit es um die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit an Bord von Schiffen aus Drittstaaten in den fremden Hoheitsgewässern geht, die völkerrechtlichen Grenzen, die der Ausübung von Strafgerichtsbarkeit auf fremden Schiffen in eigenen Binnengewässern, inneren Gewässern und dem eigenen Küstenmeer gesetzt sind. 86 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 326. Siehe auch RGSt 2, 17 (19). 87 Vgl. oben Anm. 73. 88 Vgl. Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 117 ff. mit Hinweisen zur früheren Rechtslage. 89 A.A. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Einl. Rn. 209; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 108, 121, wobei Wille allerdings eine Ausnahme für Staatsschiffe machen will, mithin eine Geltung der StPO auf diesen auch in fremden Hoheitsgewässern annimmt (a.a.O, S. 141, 148). Für eine solche Differenzierung finden sich aber weder im deutschen Recht noch im Völkerrecht Anhaltspunkte. Die „Polizeigewalt“ des Kapitäns wird allerdings durch die Hoheitsgewalt des
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3. Reichweite der Exemtion für Staatsschiffe sowie deren Besatzungsmitglieder und Passagiere Es wurde gezeigt, daß zwar die bundesdeutsche materielle Strafgewalt in bezug auf Taten, die auf Schiffen begangen werden, recht weitgehend ist, daß aber der Reichweite der bundesdeutschen Strafgerichtsbarkeit selbst in den zum Staatsgebiet gehörenden eigenen Küstengewässern enge Grenzen gesetzt sind. Während diese Beschränkungen (auch) für „private“ Schiffe gelten und damit nicht zu den völkerrechtlichen Exemtionen gezählt werden können, werden Staatsschiffen und den sich auf diesen aufhaltenden Personen vom Völkergewohnheitsrecht noch weitergehende Privilegien zugestanden. Staatsschiffe sowie deren Besatzungsmitglieder und Passagiere genießen eine besondere völkerrechtliche Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Erstmals von der Rechtsprechung anerkannt wurde diese Exemtion im bereits erwähnten Fall The Schooner Exchange ./. McFaddon, über den der US-amerikanische Supreme Court im Jahr 1812 entschied. Dieser Fall wird auch heute noch als “leading case” angesehen:90 Im Jahr 1810 war das amerikanische Handelsschiff „Exchange“ von Franzosen aufgebracht und in ein Kriegsschiff umfunktioniert worden. Später lief das Schiff in den Hafen von Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania ein. Die amerikanischen Eigentümer, John McFaddon und William Greetham, klagten auf Herausgabe des Schiffs, doch wies der Supreme Court die Klage mit dem Argument ab, fremde Kriegsschiffe seien von der Jurisdiktion des Aufenthaltsstaates ausgenommen. Der Gerichtshof betonte, er halte es für eine Regel des öffentlichen Rechts, daß staatliche Kriegsschiffe, die in den ihnen offenstehenden Häfen einer befreundeten Macht einliefen, als mit der Zustimmung dieser Macht von deren Gerichtsbarkeit ausgenommen zu betrachten seien: “It seems, then, to the court, to be a principle of public law, that national ships of war, entering the port of a friendly power open for their reception, are to be considered as exempted by the consent of that power from its jurisdiction.” Der Supreme Court ging von der Annahme aus, die Exemtion fremder Kriegsschiffe beruhe – wie alle völkerrechtlichen Immunitäten – auf einem mit der Gestattung der Einreise in das eigene Staatsgebiet implizit ausgesprochenen Verzicht des Territorialstaates auf Ausübung seiner Gerichtsbarkeit.
Im folgenden ist zunächst darzulegen, welche Schiffe als Staatsschiffe gelten, sodann sind die Grundsätze dieser Exemtion zu erläutern. Im Anschluß ist zu fragen, wo die Exemtion für Staatsschiffe und deren Besatzungsmitglieder und Passagiere angesichts des heutigen Entwicklungsstands des Völkerrechts ihre Grenzen findet.
___________ Territorialstaates überlagert, so daß letztere sich im Konfliktfall durchsetzt; vgl. RGSt 2, 17 (19). 90 Wiedergegeben bei Simmonds (Hrsg.), Cases on the Law of the Sea I, S. 137 ff. (vollständig) und Bishop, International Law, S. 659 ff. (Auszüge). Vgl. auch Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (310); Colombos, Seerecht, S. 213; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 475.
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a) Arten von Staatsschiffen Man unterscheidet drei Kategorien von Staatsschiffen. Zu den Staatsschiffen zählen nach Art. 29 SRÜ zunächst Kriegsschiffe. Hierunter versteht man nach der Legaldefinition des Art. 29 SRÜ ein zu den Streitkräften eines Staates gehörendes Schiff, das die äußeren Kennzeichen eines solchen Schiffs seiner Staatszugehörigkeit trägt. Es muß unter dem Befehl eines Offiziers stehen, der sich im Dienst des jeweiligen Staates befindet. Die Besatzung muß den Regeln der militärischen Disziplin unterliegen.91 Eine weitere Kategorie bilden die zivilen, nichtkommerziellen Zwecken dienenden Staatsschiffe. Dabei handelt es sich um Schiffe, die – ohne notwendigerweise staatliches Eigentum zu sein92 – von einem Staat verwendet werden, um entweder unmittelbar Hoheitsaufgaben wahrzunehmen oder um staatliche Funktionsträger zu transportieren.93 Zu den zivilen Staatsschiffen, die Hoheitsaufgaben wahrnehmen, zählen Polizeischiffe,94 Küstenwachschiffe, Zoll- und Lotsenschiffe, Forschungsschiffe, Schiffe der Wasser- und Schiffahrtsämter und staatliche Seenotrettungsschiffe.95 Die ebenfalls dieser Kategorie zuzuordnenden Staatsyachten als Fortbewegungsmittel für staatliche Funktionsträger sind heutzutage kaum noch von Bedeutung, Staats- oder Regierungsbesuche werden mit Flugzeugen durchgeführt. Sofern hoheitliche Staatsaufgaben nicht vom Staat selbst wahrgenommen werden, sondern in staatlichem Auftrag von einer (beliehenen) privaten Gesellschaft, so sind auch die von einer solchen Gesellschaft zur Erledigung von Hoheitsaufgaben benutzten Schiffe als nichtkommerzielle Staatsschiffe anzusehen.96 Entscheidend ist allein, daß es sich um Schiffe handelt, mit denen ___________ Vgl. Hoog, AVR 20 (1982), 314 (316); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 561; Oxman, VJIL 24 (1984), 809 (812 f.). Auch U-Boote der Marine sind Kriegsschiffe im Sinne dieser Definition. 92 Vgl. Art. 96, 236 SRÜ, wonach „einem Staat gehörende oder von ihm eingesetzte Schiffe“ Immunität genießen. Siehe ferner Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, §§ 560 f. 93 Vgl. Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 426; Geck, Staatsschiffe, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 334 (334); LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 258, 261; Iglesias, State Ships, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 638 (638); Menzel, Immunität der Staatsschiffe, S. 9; Steinert, Schiff im Küstenmeer, S. 291 ff. Das SRÜ spricht von „Staatsschiffen, die anderen als Handelszwecken dienen“. 94 Das sind bezogen auf Deutschland nicht nur Schiffe der Wasserschutzpolizeien der Bundesländer, sondern auch Schiffe der Bundespolizei. 95 Der Begriff „Hoheitsaufgabe“ darf aber nicht dahingehend verstanden werden, daß die Aufgabe stets im Wege der Eingriffsverwaltung mittels staatlichen Zwangs erledigt werden muß, vielmehr gehört auch schlicht-hoheitliches Handeln dazu. Der Begriff „hoheitlich“ dient hier und im folgenden lediglich zur Abgrenzung von erwerbswirtschaftlichem Handeln des Staates, kennzeichnet also alles staatliche Handeln, das der unmittelbaren Erfüllung öffentlicher Aufgaben dient. Vgl. Hoog, AVR 20 (1982), 314 (318 f.); Menzel, Immunität der Staatsschiffe, S. 11; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 147. 96 So wird die Aufgabe der Seenotrettung – eine den Staaten völkerrechtlich auferlegte Aufgabe – an den deutschen Küsten seit jeher von der „Deutschen Gesellschaft zur Ret91
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hoheitliche Aufgaben wahrgenommen werden. Die dritte Art von Staatsschiffen sind die sogenannten Staatshandelsschiffe. Hierunter versteht man Schiffe, die von einem Staat zu rein kommerziellen Zwecken betrieben werden. Zu diesem Kreis gehören beispielsweise Fracht- oder Passagierschiffe einer staatlichen Reederei. Von Privatschiffen unterscheiden sich die Staatshandelsschiffe nur dadurch, daß ihr Betreiber ein Staat ist.97 b) Rechtsgrund für die Gewährung der Exemtion In der Literatur wird die Exemtion für Staatsschiffe überwiegend aus den Grundsätzen abgeleitet, auf denen auch die Staatenimmunität beruht; zum Teil wird sie sogar als besondere Ausprägung und damit Unterfall der Staatenimmunität angesehen.98 Auch dem SRÜ scheint, wie Art. 236 SRÜ und die Überschrift von Teil XII Abschn. 10 zeigen, diese Auffassung zugrunde zu liegen. Die Staatenimmunität folgt – wie oben in § 4 ausführlich dargelegt– aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten (Art. 2 Nr. 1 UN-Charta). Da alle Staaten rechtlich gleichrangig sind, soll sich kein Staat vor Gerichten eines anderen Staates für sein Handeln verantworten müssen (par in parem non habet imperium). Die Staatenimmunität verbietet daher grundsätzlich, daß ein Staat vor Zivilgerichten eines anderen Staates wegen seines hoheitlichen Handelns in Anspruch genommen wird. Sie verbietet zudem eine Zwangsvollstreckung in Güter fremder Staaten, die hoheitlichen Zwecken dienen, und steht prinzipiell auch einer Strafverfolgung ausländischer Staatsbediensteter wegen ihrer für einen Staat vorgenommenen hoheitlich-dienstlichen Handlungen entgegen, denn mit der Bestrafung des handelnden Organs würde man indirekt über den fremden Staat selbst „zu Gericht sitzen“. Auch dies wäre mit dem Grundsatz der Gleichheit der Staaten unvereinbar.99 ___________ tung Schiffbrüchiger“, einem privatrechtlichen Verein, mit einer Vielzahl eigener Schiffe wahrgenommen; vgl. Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 781. Für die Einstufung solcher Schiffe als Staatsschiffe wohl auch Geck, Staatsschiffe, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 334 (334). 97 Vgl. Geck, Staatsschiffe, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 334 (334); LKStGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 262; Menzel, Immunität der Staatsschiffe, S. 10 f. Vgl. zu den verschiedenen Kategorien der Staatsschiffe aus der älteren Literatur Böger, Immunität der Staatsschiffe, S. 15 ff. und Erichsen, Immunität der Staatsschiffe, S. 10 ff. 98 Siehe MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 106; Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (314); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 476; Eilers u.a., JuS 1984, 49 (51); Geck, Kriegsschiffe, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 2, 368 (369); ders., Warships, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1413 (1416); Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 51 Rn. 8; Hoog, AVR 20 (1982), 314 (316 f., 319); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 563; Klein, Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge, S. 37; Leifland, ÖZfAP 22 (1982), 138 (138 f.); Mössner, NJW 1982, 1196 (1197); Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 130 f. So auch schon Holtzendorff (Hrsg.), Handbuch des Völkerrechts, Bd. 2, S. 437. 99 Vgl. an dieser Stelle nur Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 17 ff.
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Diese Überlegungen werden für Staatsschiffe fruchtbar gemacht. Wenn – so wird argumentiert – ein Staat gegen ein fremdes Staatsschiff oder auf einem fremden Staatsschiff staatliche Zwangsmaßnahmen ergriffe, so würde er Maßnahmen gegen einen fremden Staat ergreifen, einen fremden Staat bzw. dessen Vermögensgegenstände seiner eigenen Gerichtsbarkeit unterstellen. Damit würde er gegen den Grundsatz der Gleichheit der Staaten verstoßen.100 Dies ist insofern richtig, als es um Maßnahmen geht, die unmittelbar gegen fremde Staatsschiffe gerichtet sind, also diese zum Gegenstand haben. Eine Zwangsvollstreckung in ein fremdes, hoheitlichen Zwecken dienendes Staatsschiff durch Zwangsversteigerung oder Arrestierung, aber auch eine strafprozessuale Beschlagnahme eines solchen Staatsschiffs oder auf diesem befindlicher, in Staatseigentum stehender und hoheitlichen Zwecken dienender Gegenstände ist bereits durch die Staatenimmunität untersagt; solche Fälle stellen lediglich einen Anwendungsfall der Staatenimmunität dar. Insofern kann die Exemtion der Staatsschiffe auch als Unterfall der Staatenimmunität angesehen werden. Eine solche Betrachtungsweise findet sich vor allem in der zivilrechtlich orientierten Literatur, da es in den einschlägigen zivilrechtlichen Entscheidungen regelmäßig um Maßnahmen der Zwangsvollstreckung in Staatsschiffe ging. Auch das Verbot, wegen hoheitlicher staatlicher Aktivitäten (acta iure imperii) auf einem Staatsschiff eines fremden Staates Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, kann in der Tat als Ausprägung der allgemeinen Staatenimmunität begriffen werden. Ob aber die Exemtion der Staatsschiffe allein und in allen Fällen mit den der Staatenimmunität zugrundeliegenden Erwägungen erklärt werden kann, ist vor allem hinsichtlich der strafrechtlichen Wirkungen fraglich. Denn die Exemtion der Staatsschiffe untersagt – wie die Staatspraxis und die insofern einhellige Literatur zeigen und wie sogleich unten in § 21 I.3.e) näher dargelegt wird – Zwangsmaßnahmen an Bord von hoheitlichen Zwecken dienenden Staatsschiffen unabhängig davon, ob diese wegen hoheitlichen Staatshandelns ergriffen werden oder nicht. Die Exemtion für Staatsschiffe verbietet es beispielsweise, auf einem in den inneren Gewässern des strafverfolgenden Staates befindlichen Kriegsschiff eine Durchsuchung nach einem Besatzungsmitglied durchzuführen, das zuvor an Land des Küstenstaates eine außerdienstliche Straftat begangen hat, etwa einen Diebstahl oder sogar ein Tötungsdelikt, und diese Person zu verhaften. In einem solchen Fall wäre das Staatsschiff lediglich Ort einer – im Inland stattfindenden – strafprozessualen Handlung, diese wäre aber in keiner Weise gegen den Flaggenstaat des Kriegsschiffs gerichtet. Auch wenn – um ein weiteres Beispiel zu nennen – an Bord einer Staatsyacht, mit der das Staatsoberhaupt eines fremden Staates zu einem Staatsbesuch angereist ist, während der Liegezeit im Hafen des besuchten Staates ein Besatzungsmitglied ein anderes Besatzungsmitglied bestiehlt, so wäre eine Untersuchung und gegebenenfalls Verhaftung des Täters an Bord des Schiffs nicht ___________ 100
Vgl. die Nachw. oben in Anm. 98.
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gegen eine fremdstaatliche Hoheitshandlung und damit gegen den fremden Staat gerichtet, sondern wiederum wäre das Staatsschiff bloß Ort einer strafprozessualen Maßnahme. Aber auch in diesem Fall stünde die Exemtion der Staatsschiffe – wie Staatspraxis und Literatur zeigen – solchen Maßnahmen entgegen. Diese Fallbeispiele machen deutlich, daß die (strafrechtliche) Exemtion für Staatsschiffe nicht in allen Fällen als Ausprägung der allgemeinen Staatenimmunität verstanden bzw. auf denselben Rechtsgrund, der die Staatenimmunität trägt, zurückgeführt werden kann. Vielmehr läßt sich die Exemtion für Staatsschiffe noch auf zwei weitere Gesichtspunkte stützen, und zwar auf solche, mit denen auch die Exemtionen ratione personae etwa für Staatsoberhäupter und Diplomaten sowie die Exterritorialität der Räumlichkeiten diplomatischer Missionen begründet werden. Zum einen dient sie der Achtung und dem Schutz der Dignität des Flaggenstaates. Ähnlich wie dessen völkerrechtlicher Achtungsanspruch tangiert wäre, wenn man sein Staatsoberhaupt oder seine Diplomaten einer Strafverfolgung oder sonstigen staatlichen Zwangsmaßnahmen aussetzte bzw. solche in einer diplomatischen Mission vornähme,101 so wäre der staatliche Anspruch auf Achtung seiner „Würde“ auch betroffen, wenn ein anderer Staat auf seinen Staatsschiffen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen durchführte. Doch ist zu bedenken, daß im modernen Völkerrecht Ansprüche, die auf Vorstellungen einer dem Staat als juristischer Person zukommenden „Würde“ gestützt werden, kaum noch anerkannt werden. Völkerrechtliche Exemtionen werden heutzutage ganz zu Recht in erster Linie funktional begründet. So werden die Exterritorialität von Botschaftsgebäuden und die Immunität der Diplomaten auch für privates Handeln vor allem mit der Notwendigkeit begründet, den Mitgliedern diplomatischer Missionen ein von Zwangsmaßnahmen seitens des Empfangsstaates unbeeinträchtigtes Wirken zu ermöglichen. Sie bezweckt also primär, das Funktionieren der diplomatischen Beziehungen sicherzustellen.102 Ebenso muß auch die Exemtion für Staatsschiffe primär damit begründet werden, daß sie die ungestörte Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben durch die Schiffe sichern soll.103 So läßt sich auch gut erklären, warum Schiffe, die von privaten Reedern betrieben werden, aber hoheitliche Staatsaufgaben wahrnehmen, zum Kreis der privilegierten Staatsschiffe gezählt werden müssen, während Staatshandelsschiffe andererseits keine Exemtion (mehr) genießen.
___________ Vgl. oben § 12 VI.2. Vgl. oben § 12 VI.3. 103 Ebenso Eilers u.a., JuS 1984, 49 (51); Steinert, Schiff im Küstenmeer, S. 223, 226 f., 257, 292; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 131. 101 102
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c) Ausschluß von Staatshandelsschiffen von der Exemtion Denn ebenso wie die Staatenimmunität für acta iure gestionis nicht (mehr) gilt, hat sich auch die Auffassung durchgesetzt, daß die Exemtion der Staatsschiffe dann eine Ausnahme erfährt, wenn das Schiff nur kommerziellen Zwecken dient, also vom Staat wie ein Schiff eines privaten Reeders zum Zweck des Gelderwerbs betrieben wird.104 Staatshandelsschiffe genießen deshalb nach geltendem Völkergewohnheitsrecht keinerlei Exemtion mehr.105 Dies bedeutet auch, daß die Besatzungsmitglieder und Passagiere solcher Schiffe keine Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit allein aufgrund ihrer Eigenschaft als Besatzungsmitglied oder Passagier genießen. Staatshandelsschiffe und die sich auf diesen aufhaltenden Personen sind wie Privatschiffe und sich auf solchen aufhaltende Personen zu behandeln. Hier gelten lediglich die oben dargestellten allgemeinen Restriktionen für die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit.106 ___________ Zu beachten ist aber, daß die Differenzierung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis bei der Staatenimmunität einerseits und die Unterscheidung zwischen Staatshandelsschiffen und hoheitliche Aufgaben wahrnehmenden Staatsschiffen andererseits nicht identisch sind, da bei der Staatenimmunität nach der Natur der Handlung als öffentlichrechtlich bzw. privatrechtlich unterschieden wird, bei den verschiedenen Arten von Schiffen aber nach ihrem Verwendungszweck. Doch geht es bei der (zivilrechtlichen) Exemtion von Staatsschiffen vielfach um Vollstreckungsmaßnahmen gegen ein Schiff und wird hinsichtlich der Zulässigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen auch bei der Staatenimmunität nach dem Verwendungszweck des betreffenden Gegenstands differenziert. Zudem geht es jeweils im Kern darum, den Staat bei einem erwerbswirtschaftlichen Handeln gleich einem Privatunternehmer auch in rechtlicher Hinsicht einem Privaten gleichzustellen. Vgl. Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 121 f. mit Fn. 490. 105 Vgl. LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 4; Churchill/Lowe, Law of the sea, S. 83; Doehring, Völkerrecht, Rn. 694; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 51 Rn. 8, § 52 Rn. 20; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 262; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 565; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 13 f.; Shearer, Starke’s International Law, S. 205 ff.; Steinert, Schiff im Küstenmeer, S. 222 f., 300 ff.; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 131, 151. Vgl. aus der älteren Literatur Böger, Immunität der Staatsschiffe, S. 147 ff.; Feine, Staatsschiffe, S. 74 f., 78; Klein, Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge, S. 89 ff. Die Rechtsentwicklung, die zur Nichtgeltung der Staatenimmunität für acta iure gestionis und hinsichtlich nichthoheitlichen Zwecken dienender Gegenstände in Staatseigentum führte, beruht im übrigen vor allem auf zivilrechtlichen Gerichtsentscheidungen zum Status von Staatshandelsschiffen; vgl. Böger, a.a.O., S. 80 ff.; Menzel, Immunität der Staatsschiffe, S. 14 ff. Siehe aus der deutschen Rechtsprechung etwa den Fall des US-amerikanischen Staatshandelsschiffs Ice King, RGZ 103, 274. Die weitere Differenzierung von Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 742 ff., zwischen Kriegsschiffen, Staatsschiffen zur Erledigung von öffentlichen Aufgaben mit Befugnis zur Anwendung von Zwangsgewalt (z.B. Polizeischiffe) und Staatsschiffen zur Erfüllung sonstiger öffentlicher Aufgaben (z.B. Tonnenleger), wobei letztere ebenfalls keine Exemtion genießen sollen, findet im Völkerrecht keinen Rückhalt; wie hier Steinert, Schiff im Küstenmeer, S. 296 f. 106 Ausdrücklich gegen eine strafrechtliche Exemtion auch Feine, Staatsschiffe, S. 74 f. und Klein, Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge, S. 89. 104
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Das SRÜ bestätigt diese Rechtslage. Die Überschrift vor Art. 27 – der die oben geschilderten allgemeinen Beschränkungen für die Strafgerichtsbarkeit an Bord von Schiffen im Küstenmeer normiert – spricht von „Regeln für Handelsschiffe und für Staatsschiffe, die Handelszwecken dienen“. Soweit im SRÜ Regelungen über die Exemtion von Staatsschiffen enthalten sind, wird von „Kriegsschiffen und sonstigen Staatsschiffen, die anderen als Handelszwecken dienen“, gesprochen (so die Überschrift vor Art. 29 SRÜ; vgl. auch Art. 32, 96 und 236 SRÜ).107 An dieser Stelle sei noch hingewiesen auf das Brüsseler Abkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die Immunität der Staatsschiffe vom 10. April 1926.108 Dort wurde – um die damals noch bestehende Rechtsunsicherheit zu beseitigen – bereits eine Immunitätsausnahme für Staatshandelsschiffe zwischen den Signatarstaaten vertraglich vereinbart.109 Allerdings bezieht sich dieses Abkommen lediglich auf zivilrechtliche Streitigkeiten und ist deshalb hier ohne Relevanz. Soweit daher im folgenden ohne weiteren Zusatz von „Staatsschiffen“ die Rede ist, werden wegen der Nichtgeltung der Exemtion für Staatshandelsschiffe hierunter nur Kriegsschiffe und zivile, hoheitlichen Zwecken dienende Staatsschiffe verstanden. Der nachfolgenden Darstellung liegt also eine enge Begriffsdefinition zugrunde. d) Konstruktive Begründung der Exemtion Bereits oben in § 21 I.1.a)dd) wurde erläutert, daß Schiffe nicht „schwimmende Gebietsteile“ des Flaggenstaates sind und auch nicht fiktiv als solche angesehen werden können. Diese Auffassung wurde in der älteren Literatur insbesondere in bezug auf Staatsschiffe vertreten, und zwar auch noch, als diese Theorie für „normale“ Schiffe bereits allgemein verworfen wurde. Die völkerrechtliche Exemtion der Staatsschiffe wurde also rechtskonstruktiv zum Teil damit begründet, Staatsschiffe seien „schwimmende Gebietsteile“ ihres Staates oder jedenfalls als solche anzusehen. Da staatliches Handeln auf fremdem Staatsgebiet ohne Einwilligung des betroffenen Staates gegen dessen Gebietshoheit verstößt und damit völkerrecht-
___________ Siehe ferner Art. 2 Abs. 2 Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschiffahrt (vgl. oben Anm. 44). 108 RGBl. 1927 II, S. 483; RGBl. 1936 II, S. 303. In Kraft getreten für das Deutsche Reich am 8.1.1937 gemäß Bekanntmachung vom 11.9.1936, RGBl. 1936 II, S. 303. Vgl. zu dem Abkommen und seiner Entstehungsgeschichte Böger, Immunität der Staatsschiffe, S. 155 ff. und Erichsen, Immunität der Staatsschiffe, S. 49 ff. 109 Nach Art. 3 § 1 des Brüsseler Abkommens gilt dieses ausdrücklich nicht für Staatsschiffe im engeren Sinne, also Kriegsschiffe und zivilen hoheitlichen Zwecken dienende Staatsschiffe; vgl. Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 121 f. 107
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lich verboten ist,110 seien auch staatliche Maßnahmen auf Staatsschiffen und gegen solche verboten.111 Diese rechtskonstruktive Begründung ist aber zum einen unnötig, da sich die Exemtion für Staatsschiffe unmittelbar dem Völkergewohnheitsrecht entnehmen läßt. Zum anderen wäre sie nur dann tauglich, wenn die Exemtion ohne Einschränkungen gälte. Dies ist aber, wie unten gezeigt wird, gerade nicht der Fall.112 Es gibt Ausnahmen von der Exemtion für Staatsschiffe, bei denen Zwangsmaßnahmen gegen ein oder auf einem Staatsschiff auch ohne Einwilligung des Flaggenstaates zulässig sind. Solche Ausnahmen gibt es aber von dem Verbot, Hoheitshandlungen auf fremdem Staatsgebiet vorzunehmen, nicht. Der US-amerikanische Supreme Court begründete, wie erwähnt, die Exemtion für Staatsschiffe im Fall The Schooner Exchange ./. McFaddon113 mit der Figur eines mit der Zulassung des Einfahrens in eigene Hoheitsgewässer implizit ausgesprochenen Verzichts auf Ausübung von Gerichtsbarkeit.114 Die dieser Ansicht zugrunde liegende und vom Supreme Court auch ausdrücklich erwähnte Annahme, Immunitäten beruhten sämtlich auf einem Verzicht des Territorialstaates auf Ausübung seiner von Natur aus unbeschränkten Hoheitsgewalt im eigenen Staatsgebiet, geht aber schon deshalb fehl, weil im Völkerrecht anerkannt ist, daß Exemtionen wie etwa die Staatenimmunität oder die Immunität für fremde Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder auch dann gelten, wenn sich die beschuldigte ___________ Vgl. die Nachw. in Anm. 4. Vgl. von Bar, Das internationale Privat- und Strafrecht, S. 574; ders., Lehrbuch des internationalen Privat- und Strafrechts, S. 349 f.; Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 164 ff., 176 ff.; Berner, Wirkungskreis der Strafgesetze, S. 170 f.; Böger, Immunität der Staatsschiffe, S. 35 f., 61 f., 68 f.; Dreher, in: Schwarz/Dreher, vor § 3 Anm. 3 B; Erichsen, Immunität der Staatsschiffe, S. 23, 33; Schönke/Schröder-Eser (18. Aufl. 1976), vor § 3 Rn. 31a, § 4 Rn. 4, 9; Holtzendorff (Hrsg.), Handbuch des Völkerrechts, Bd. 2, S. 437; LK-StGB-Jagusch (8. Aufl. 1957), § 3 Anm. 4d; Mettgenberg, ZStW 52 (1932), 802 (813, 821 ff.); Obermayer/Löbe/Rosenberg, Reichsstrafgesetzbuch, § 3 Anm. 3 a; von Olshausen, Strafgesetzbuch, § 3 Anm. 14; Oppenhoff, Strafgesetzbuch, § 8 Anm. 3; Perels, AöR 1 (1886), 677 (686); ders., Seerecht, S. 85; Rudolf, NJW 1954, 219 (219). 112 Diese Fiktion ablehnend auch Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 427; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 317, 385, 475; Dolzer, FAZ vom 4.11.1982, S. 4; Eilers u.a., JuS 1984, 49 (50 f., 54); Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 31, § 4 Rn. 4; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 296; Hoog, AVR 20 (1982), 314 (322 f.); SK-StGB-Hoyer, § 4 Rn. 2 f.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 563; Klein, Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge, S. 36 f.; Mössner, NJW 1982, 1196 (1197); KK-OWiG-Rogall, § 5 Rn. 26; Steinert, Schiff im Küstenmeer, S. 219 f.; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 130. 113 Vgl. oben Anm. 90. 114 Vgl. hierzu auch Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (314); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 476 f. Hiervon ausgehend wird in der Literatur (folgerichtig) die Ansicht vertreten, eine Exemtion sei in fremden inneren Gewässern nur gegeben, wenn das Befahren ausdrücklich gestattet worden sei; vgl. unten Anm. 157. 110 111
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Person ohne Erlaubnis und damit unberechtigt in fremdem Hoheitsgebiet aufhält. Eine gegenteilige Auffassung würde die Exemtionen unter Mißachtung ihrer gewohnheitsrechtlichen Geltung und ihrer Rechtsgründe, nämlich dem Grundsatz der Gleichheit der Staaten, dem Achtungsanspruch fremder Staaten und dem Gebot der Sicherung der Funktionsfähigkeit internationaler Beziehungen, in den Bereich einer vertraglich vereinbarten Exemtion rücken.115 Sieht man die Exemtion für Staatsschiffe in erster Linie als Ausprägung des Grundsatzes der Staatenimmunität an oder führt sie jedenfalls auf denselben Rechtsgrund zurück, so kann sie schon aus diesem Grunde nicht mit der Figur eines impliziten Verzichts begründet werden. Ferner verbieten Exemtionen wie die Staatenimmunität und die Immunität für fremde Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder Strafverfolgungsmaßnahmen auch dann, wenn sich die beschuldigte Person gar nicht im Staatsgebiet des strafverfolgenden Staates aufhält, mithin für die Annahme eines Verzichts durch Gestattung des Aufenthalts im eigenen Staatsgebiet von vornherein kein Raum ist. Bei der Exemtion für Staatsschiffe kommt hinzu, daß eine Erlaubnis nur für das Befahren der Binnengewässer und inneren Gewässer erforderlich ist, nicht aber für das Küstenmeer und schon gar nicht für den Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone oder der Hohen See. Für diese Meeresgebiete kann die Exemtion also nicht an eine Erlaubnis geknüpft und mit einem damit verbundenen Verzicht auf Ausübung von Gerichtsbarkeit erklärt werden. Ein und dieselbe Exemtion kann aber für verschiedene Meeresgebiete nicht auf verschiedene Art begründet werden.116 Die Exemtion für Staatsschiffe im engeren Sinne ist vielmehr ein unmittelbar im Völkergewohnheitsrecht verankerter Rechtssatz. Einige völkervertragliche Regeln über die Exemtion von Staatsschiffen und ihren Besatzungsmitgliedern und Passagieren von strafrechtlicher Verantwortlichkeit finden sich allerdings im SRÜ, doch geben die Art. 32, 95, 96, 110 Abs. 1 und Art. 236 SRÜ, soweit sie überhaupt einen eigenständigen Regelungsgehalt aufweisen, lediglich Völkergewohnheitsrecht wieder. Da die Annahme, Staatsschiffe seien „schwimmende Gebietsteile“ ihres Staates, verfehlt ist, kann bereits an dieser Stelle festgehalten werden, daß sich die in deutschen Binnengewässern, deutschen inneren Gewässern oder dem deutschen Küstenmeer aufhaltenden fremden Staatsschiffe im Inland befinden und auch bei auf ___________ 115 Vgl. hierzu Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (260). Gegen die rechtskonstruktive Begründung des Supreme Court bereits Kelsen, Principles of International Law, S. 232 f. Fn. 21. 116 So zutreffend Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 477. Gegen die Annahme eines Verzichts aufgrund erteilter Erlaubnis zum Befahren fremder Hoheitsgewässer auch Hoog, AVR 20 (1982), 314 (324 f.); Steinert, Schiff im Küstenmeer, S. 220 f.; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 130. Eine Verknüpfung der Exemtion mit einer Erlaubnis zum Befahren von Hoheitsgewässern wird ferner abgelehnt von Delupis, AJIL 78 (1984), 53 (57). Ebenso bereits Perels, AöR 1 (1886), 677 (688). Siehe zudem Hoog, AVR 20 (1982), 314 (322 Fn. 40).
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diesen dort begangenen Taten das deutsche Strafrecht über § 3 StGB gilt.117 Dementsprechend hielt es das britische House of Lords im Fall Chung Chi Cheung ./. The King – dem im anglo-amerikanischen Rechtskreis neben dem The Schooner Exchange-Fall wichtigsten Präzedenzfall für die Exemtion von Staatsschiffen – im Jahr 1939 für zulässig, einen britischen Staatsbürger zu verurteilen, der 1937 auf einem chinesischen Zollschiff in britischen Gewässern vor Hongkong den ebenfalls britischen Kapitän des Schiffs getötet hatte, indem es ausführte, es bestehe britische materielle Strafgewalt nach dem (allein in Betracht kommenden) Territorialitätsprinzip, da das Staatsschiff nicht als „schwimmendes Staatsgebiet“ Chinas angesehen werden könne, sondern sich die Tat in britischem Kolonialgebiet ereignet habe.118 Die völkerrechtliche Stellung der Staatsschiffe ist mithin mit der von Räumlichkeiten einer diplomatischen Mission vergleichbar.119 Auch das Grundstück und die Gebäude einer diplomatischen Mission sind nicht etwa Ausland, sondern Teil des Staatsgebiets des Staates, in dem sie sich befinden; das Gelände und das Gebäude der Botschaft eines fremden Staates in der Bundesrepublik sind damit Inland im Sinne des § 3 StGB, dort begangene Taten unterfallen der deutschen materiellen Strafgewalt.120 Lediglich der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates sind – wie oben in § 16 I.2. im einzelnen ausgeführt – in bezug auf die Grundstücke und Gebäude diplomatischer Missionen Schranken gesetzt. e) Der strafrechtlich relevante Regelungsgehalt der Exemtion An dieser Stelle sollen zunächst allgemeine Ausführungen zum strafrechtlich relevanten Regelungsgehalt der Exemtion für Staatsschiffe und deren Besatzungsmitglieder und Passagiere gemacht werden. Auf die Frage, ob es Ausnahmetatbestände gibt, also Fallkonstellationen, bei denen die Exemtion ausnahmsweise nicht gilt, wird nachfolgend gesondert eingegangen, weil es dabei zwischen den verschiedenen Meeresbereichen zu differenzieren gilt. Die „materielle Strafgewalt“ (jurisdiction to prescribe) ist in bezug auf Taten, die auf Staatsschiffen begangen werden, wie bei Räumlichkeiten diplomatischer ___________ Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (311 f.); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 475; Eilers u.a., JuS 1984, 49 (54); Schönke/Schröder-Eser, § 4 Rn. 9; LKStGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 266; § 4 Rn. 47; Hoog, AVR 20 (1982), 314 (320); SKStGB-Hoyer, § 4 Rn. 2 f.; Iglesias, State Ships, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 638 (640); Mettgenberg, ZStW 52 (1932), 802 (804 f.); ders., DJ 1940, 641 (642 f.); Steinert, Schiff im Küstenmeer, S. 227 f., 235, 256; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 133 f., 146. 118 Die Entscheidung ist teilweise abgedr. in Hackworth, Digest of International Law II, S. 410 ff. Vgl. zu diesem Fall auch Colombos, Seerecht, S. 222. 119 So auch schon Mettgenberg, ZStW 52 (1932), 802 (805); ders., DJ 1940, 641 (642). 120 Vgl. oben § 16 I.2.a). 117
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Missionen in keiner Weise besonders beschränkt. Es ist kein Grund ersichtlich, warum eine Geltungserstreckung der materiellen Strafgewalt bei Staatsschiffen anderen Regeln unterworfen sein sollte als bei „privaten“ Schiffen. Dem besonderen Status der Staatsschiffe und dem Gebot, deren Funktionsausübung nicht zu beeinträchtigen, kann ausreichend durch Beschränkungen der Ausübung fremder Hoheitsgewalt Rechnung getragen werden. Die obigen Ausführungen zur Reichweite deutscher materieller Strafgewalt (§ 21 I.1.) gelten deshalb auch für Staatsschiffe.121 Grundsätzlich ausgeschlossen dagegen ist die „Strafgerichtsbarkeit“ (jurisdiction to enforce).122 Strafprozessuale Maßnahmen gegen Staatsschiffe oder an Bord von Staatsschiffen sind – wie auch sonstige Hoheitshandlungen – prinzipiell unzulässig.123 Das Schiff selbst darf nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden. Gene___________ Vgl. Nachw. in Anm. 117. Unklar Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 31, § 4 Rn. 4, der von einer „Befreiung von der Strafgewalt“ spricht. 122 Selbstverständlich gilt die Exemtion nur für Staatsschiffe fremder Staaten. Gegenüber Staatsschiffen des eigenen Staates sind strafprozessuale Maßnahmen ohne völkerrechtliche Restriktionen zulässig. Generell schränken völkerrechtliche Exemtionen nur das Vorgehen gegen Funktionsträger anderer Völkerrechtssubjekte sowie gegen fremden Völkerrechtssubjekten zugeordnete Räumlichkeiten und Gegenstände ein. Regelungsgegenstand der völkerrechtlichen Exemtionen sind allein die Beziehungen zwischen verschiedenen Völkerrechtssubjekten. Ungeklärt ist allerdings, ob neben den hoheitlichen Zwecken dienenden Schiffen fremder Staaten auch solche internationaler Organisationen (also generell die hoheitlichen Zwecken dienenden Schiffe fremder Völkerrechtssubjekte) die hier analysierte Exemtion genießen. Gegen eine Erstreckung der Exemtion auf Schiffe internationaler Organisationen spricht, daß die Exemtion aus der Staatenimmunität abgeleitet wird, internationale Organisationen sich aber auf diese nicht berufen können (vgl. hierzu oben § 19 I.3.a)). Zudem ist bereits das Flaggenrecht internationaler Organisationen völkerrechtlich umstritten (vgl. Art. 93 SRÜ und Caron, Ships, Nationality and Status, in: Bernhardt [Hrsg.], EPIL IV, 400 [404 ff.]). Bislang haben nur die Vereinten Nationen unter eigener Flagge geführte Schiffe oder Luftfahrzeuge genutzt. Die Vereinten Nationen sind davon ausgegangen, daß die Schiffe und Luftfahrzeuge der UN die Vorrechte und Immunitäten genießen, die in Art. II Abschn. 3 Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen vom 13.2.1946 (BGBl. 1980 II, S. 943) festgelegt sind; vgl. YBILC 1967 II, 154 (214) (UN-Dokument A/CN.4./L.118). Aufgrund dieser Normen sind die Schiffe unverletzlich, dürfen also von den Behörden einzelner Staaten nicht betreten oder beschlagnahmt werden. Damit genießen diese Schiffe im Ergebnis Exemtionen in gleichem Umfang wie Staatsschiffe nach Völkergewohnheitsrecht. 123 Dies ist unstreitig. Vgl. allgemein zum Umfang der Exemtion Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 427, 728 ff.; Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (309 ff.); Brownlie, International Law, S. 361 f.; Colombos, Seerecht, S. 208 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 475 f.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 694; Geck, Kriegsschiffe, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 2, 368 (370); ders., Staatsschiffe, in: Strupp/ Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 334 (335); ders., Warships, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1413 (1416 ff.); Hoog, AVR 20 (1982), 314 (317, 320); Iglesias, State Ships, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 638 (640); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 563 f.; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 13; Mettgenberg, Freies Geleit und Exterritorialität. S. 29; ders., ZStW 52 (1932), 802 (805, 825); ders., DJ 1940, 641 (642 f.); Steinert, Schiff im Küstenmeer, S. 257 ff. sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; 121
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rell sind das Betreten des Schiffs und die Vornahme von Hoheitshandlungen an Bord ohne Einwilligung des Flaggenstaates unzulässig.124 Ebenso wie das Schiff selbst unterliegen auch auf diesem befindliche Sachen keinerlei Durchsuchung oder Beschlagnahme. Es dürfen grundsätzlich keinerlei strafprozessuale Maßnahmen gegen die an Bord befindlichen Besatzungsmitglieder und Passagiere ergriffen werden. Solange sich die Besatzungsmitglieder und Passagiere, aber auch Besucher, an Bord eines Staatsschiffs befinden, dürfen sie beispielsweise weder durchsucht noch verhaftet werden. Die Stellung eines Staatsschiffs ist auch insofern mit der eines Botschaftsgebäudes vergleichbar. Allerdings genießen Personen allein aufgrund ihrer Eigenschaft als Besatzungsmitglied oder Passagier eines Staatsschiffs keine eigenständige Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Sie partizipieren lediglich an der Exemtion der Schiffe. Daher genießen sie die Freiheit von strafprozessualer Zwangsgewalt aufgrund der Exemtion für Staatsschiffe auch nur so lange, wie sie sich an Bord des Schiffs aufhalten.125 Auch in dieser Hinsicht liegt damit eine Parallele zu dem Rechtsstatus von Räumlichkeiten diplomatischer Missionen vor.126 In der Literatur, vor allem in der älteren und in der britischen, wird zum Teil allerdings hinsichtlich einer Immunitätserstreckung auf die Besatzungsmitglieder bei einem Landaufenthalt nach dem Zweck des Landaufenthalts differenziert und bei einem Aufenthalt zur Erledigung von Dienstgeschäften Immunität zuerkannt, bei einem privaten Aufenthalt aber nicht. Ein Besatzungsmitglied dürfe wegen einer Straftat, die während eines dienstlich veranlaßten Landaufenthalts, etwa zum Zweck des Einkaufs von Lebensmitteln, verübt werde, strafprozessualen Maßnah___________ auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. II.F.1. Vgl. ausführlich zu den früher vertretenen Rechtsauffassungen Perels, AöR 1 (1886), 677 (686 ff.); ders., Seerecht, S. 85 ff. Auf die Besonderheiten bei bewaffneten Konflikten, in deren Rahmen Maßnahmen gegen gegnerische Kriegsschiffe erlaubt sind, soll hier nicht eingegangen werden. 124 Die Auffassung von Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 744, die Immunität von Staatsschiffen verbiete zwar Hoheitshandlungen an Bord von Kriegsschiffen, nicht aber an Bord von sonstigen hoheitlichen Zwecken dienenden Staatsschiffen, findet im Völkerrecht keinen Rückhalt. 125 LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 4; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 475 Fn. 13; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 352; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 19 III. 1. b); Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 20 GVG Rn. 2; Kelsen, Principles of International Law, S. 232 f.; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 13; Mettgenberg, DJ 1940, 641 (642 f.) sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. III.F.1. A.A. die in Anm. 127, Anm. 129 und Anm. 130 nachgewiesenen Stimmen. Unklar Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 20 GVG Rn. 4; KK-StPO-Pfeiffer, § 20 GVG Rn. 2. Unerheblich ist, aus welchen Gründen sich die Personen an Bord eines Staatsschiffs aufhalten. Sie brauchen dort keine hoheitlich-dienstliche Staatstätigkeit auszuüben. Insofern fehlgehend LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 352. 126 Vgl. oben § 16 I.2.b)aa).
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men nicht unterworfen werden, wohl aber, wenn die gleiche Straftat bei einem Landaufenthalt in der Freizeit begangen werde.127 Doch kann diese Auffassung nicht überzeugen und findet auch keinen Rückhalt im Völkerrecht.128 Es ist schlechterdings kein Grund erkennbar, warum beispielsweise ein Einschreiten wegen eines Diebstahls oder einer Körperverletzung, die gelegentlich eines dienstlich veranlaßten Landaufenthalts begangen wird, verboten sein soll, dagegen strafprozessuale Maßnahmen zulässig sein sollen, wenn die gleiche, aus privater Motivation heraus begangene Tat während eines privaten Landgangs verübt wird. Die Funktionsfähigkeit des Schiffs, die zu sichern der primäre Zweck der Exemtion ist, kann durch die Inanspruchnahme eines Besatzungsmitglieds bei einem privaten Landgang in gleicher Weise wie bei einem Vorgehen bei einem dienstlichen Landaufenthalt beeinträchtigt werden. Konsequenterweise müßte daher – jedenfalls bei Zugrundelegung eines funktionalen Begründungsansatzes der Exemtion – eigentlich eine vollständige Immunität der Besatzungsmitglieder an Land, also eine Immunität ratione personae wie die der Diplomaten, angenommen werden. Es dürfte also weder nach dem Zweck des Landaufenthalts noch nach Zeit, Ort oder Charakter der strafbaren Handlung differenziert werden. Eine solche These wurde bzw. wird aber nur ganz vereinzelt vertreten.129 Zudem müßte man dann sogar generell ein Verbot der Ausübung von Strafgerichtsbarkeit gegenüber Funktionsträgern eines fremden Staates annehmen, also von einem Verbot einer Verhaftung eines ausländischen Beamten ausgehen, der im Gebiet eines anderen Staates Urlaub macht und dort eine „private“ Straftat begeht, da auch hierdurch die Staatstätigkeit eines fremden Staates beeinträchtigt werden könnte. Eine solche These wird aber – ganz zu Recht – nicht vertreten. Eine umfassende Immunität ratione personae für Besatzungsmitglieder fremder Staatsschiffe oder sogar generell fremden Staatsbediensteten würde das berechtigte Interesse der Staaten, in ihrem Hoheitsbereich zur Sicherung des Rechtsfriedens möglichst umfassend Strafgerichtsbarkeit ausüben zu dürfen, allzu sehr vernachlässigen. ___________ 127 Böger, Immunität der Staatsschiffe, S. 69; Brownlie, International Law, S. 362; Colombos, Seerecht, S. 222 f.; Feine, Staatsschiffe, S. 76 f.; Ferber, Rechtsverhältsnisse der Kriegs- und Handelsschiffe, S. 10 f.; Grünwald, Das Luftschiff, S. 18 f.; Holtzendorff (Hrsg.), Handbuch des Völkerrechts, Bd. 2, S. 438 ff.; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 564; Klein, Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge, S. 56 ff.; Malanczuk, Introduction to International Law, S. 176; Mettgenberg, Freies Geleit und Exterritorialität, S. 29; ders., ZStW 52 (1932), 802 (806, 826 f.); Perels, AöR 1 (1886), 677 (701 ff.); ders., Seerecht, S. 100 ff.; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 135 Fn. 4. Ähnlich Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 734 ff. 128 Ebenso Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 476. 129 Etwa von Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 149 f. Siehe ferner die Angaben bei Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 564 Fn. 3. Unklar, aber offenbar in die Richtung einer vollständigen Immunität ratione personae tendierend Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (313) und Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 135 ff.
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Eine Differenzierung zwischen dienstlicher und privater Tätigkeit ist aber in einem anderen Zusammenhang geboten: An Bord eines Staatsschiffs oder auch außerhalb des Schiffs an Land begangene Taten, die als hoheitlich-dienstliche Handlungen für einen Staat zu bewerten sind, unterfallen bereits nach dem Grundsatz der Staatenimmunität nicht der Strafgerichtsbarkeit eines anderen Staates. Die Staatenimmunität ist unabhängig von der Exemtion für Staatsschiffe und deren Besatzungsmitglieder und Passagiere. So dürfte beispielsweise wegen einer bei einer dienstlichen Verrichtung an Bord eines Kriegsschiffs einer anderen Person zugefügten fahrlässigen Körperverletzung gegen das verantwortliche Besatzungsmitglied auch bei einem privaten Landgang nicht vorgegangen werden. Doch hat diese Beschränkung nichts mit der Exemtion der Staatsschiffe zu tun, sondern ist Ausfluß der Staatenimmunität. Insofern darf nicht nach dem Zweck des Landaufenthalts differenziert werden, sondern ist zu fragen, ob die zu beurteilende Tathandlung als hoheitlich-dienstliche Handlung für einen anderen Staat zu bewerten ist. Ist dies der Fall, scheidet ein strafrechtliches Vorgehen bereits aufgrund der Staatenimmunität aus. Doch gilt es festzuhalten, daß die von der Staatenimmunität zu trennende und eigenständige Exemtion der Staatsschiffe lediglich strafprozessuale Maßnahmen an Bord des Schiffs oder gegen dieses untersagt, nicht jedoch Handlungen gegen Besatzungsmitglieder oder Passagiere an Land. Gleichfalls nicht zu überzeugen vermag die – wiederum vornehmlich in der älteren sowie der britischen Literatur vertretene – Ansicht, an Bord eines Staatsschiffs begangene Taten, an denen ausschließlich Besatzungsmitglieder des Schiffs beteiligt seien, unterfielen generell allein der Gerichtsbarkeit des Flaggenstaates, würden also von der Exemtion der Staatsschiffe erfaßt, so daß wegen einer derartigen Tat auch dann, wenn sich der Beschuldigte an Land aufhalte, der Territorialstaat nicht eingreifen dürfe.130 Diese Auffassung beruht wohl noch auf der überwundenen Ansicht, Staatsschiffe seien „schwimmendes Territorium“ ihres Flaggenstaates. Ebenso wie sich ein Staat keine Strafkompetenz für Taten in fremdem Staatsgebiet zubilligen dürfe, die keine Auswirkungen auf den Rechtsfrieden im eigenen Staat hätten, so dürfe er dies – das scheint der Gedankengang zu sein – auch nicht hinsichtlich „bordinterner“ Taten tun. Doch gilt es festzuhalten, daß solche Taten, soweit sie während eines Aufenthalts des Staatsschiffs in fremdem Staatsgebiet be___________ 130 So etwa das britische House of Lords im Fall Chung Chi Cheung ./. The King (vgl. Anm. 118), das die britische Strafgerichtsbarkeit daher auch nur aufgrund der Annahme eines von chinesischer Seite implizit erklärten Verzichts auf die Exemtion bejahte. Aus der Literatur Colombos, Seerecht, S. 221 f.; Delupis, AJIL 78 (1984), 53 (55 f.); Geck, Kriegsschiffe, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 2, 368 (370); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 563; Klein, Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge, S. 53 f.; Malanczuk, Introduction to International Law, S. 176, 178. Noch weitergehend (im Sinne einer ausschließlichen Gerichtsbarkeit des Flaggenstaates für alle an Bord begangenen Handlungen) Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 730; Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (312 f.); Feine, Staatsschiffe, S. 75; Perels, AöR 1 (1886), 677 (687, 696); ders., Seerecht, S. 94; Steinert, Schiff im Küstenmeer, S. 257 ff. Ähnlich auch Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 135 f.
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gangen werden, im Inland dieses Staates begangen werden und bereits deshalb ein legitimes Strafverfolgungsinteresse dieses Staates gegeben sein kann. Den berechtigten Interessen des Flaggenstaates eines Staatsschiffs wird dadurch ausreichend Rechnung getragen, daß die Exemtion des Staatsschiffs jegliche Ausübung fremder Hoheitsgewalt an Bord des Schiffs untersagt und Besatzungsmitglieder bei einem Landaufenthalt in fremdem Staatsgebiet durch die Staatenimmunität vor Strafverfolgungsmaßnahmen wegen hoheitlich-dienstlicher Handlungen geschützt sind. Besatzungsmitglieder und Passagiere eines Staatsschiffs dürfen also bei einem Landgang – soweit es nicht um hoheitlich-dienstliche Tathandlungen geht – ohne weiteres verhaftet und einer Strafverfolgung unterworfen werden. Dies gilt unabhängig davon, ob dies wegen einer an Bord oder an Land verübten Straftat geschieht. So dürfen beispielsweise Besatzungsmitglieder eines zu Besuchszwecken in einem deutschen Hafen befindlichen ausländischen Kriegsschiffs, die beim abendlichen Landgang an einer tätlichen Auseinandersetzung beteiligt sind, am Tatort ohne weiteres verhaftet und strafrechtlich verfolgt werden. An Land dürften sie selbst für einen an Bord ihres Kriegsschiffs im Hafen begangenen Kameradendiebstahl festgehalten werden; hier gebietet es allerdings regelmäßig das Opportunitätsprinzip des § 153c Abs. 1 Nr. 2 StPO, auf eine Strafverfolgung zu verzichten. Die Exemtion der Staatsschiffe stünde aber einer Strafverfolgung nicht entgegen. Soweit es Besatzungsmitgliedern – aber auch jeder sonstigen Person – jedoch gelingt, nach einer an Land begangenen Tat (wieder) an Bord eines Staatsschiffs zu gelangen, so sind sie dort vor Strafverfolgungsmaßnahmen durch die Exemtion für Staatsschiffe geschützt. Sofern es beispielsweise einem Matrosen eines ausländischen Kriegsschiffs, der während eines Landgangs in Deutschland ein Tötungsdelikt begangen hat, gelingt, „rechtzeitig“ sein Schiff zu erreichen, sind den deutschen Behörden die Hände gebunden. Trotz der Schwere der Tat scheidet ein Eingreifen an Bord des Schiffs aus. In der deutschen strafrechtlichen Literatur findet sich allerdings immer wieder – ohne Begründung – der Hinweis, auch an Land wirke die Exemtion der Staatsschiffe insoweit fort, als sie die Besatzungsmitglieder von Staatsschiffen dann schütze, wenn diese sich „in geschlossenen Abteilungen an Land“ befänden.131 Relevant kann diese Immunitätserstreckung wohl nur bei Besatzungen von Kriegsschiffen werden. Wenn diese sich nicht einzeln oder in „privaten“ Gruppen außerdienstlich an Land aufhalten, sondern sich als geschlossene Mannschaft und unter Führung eines Vorgesetzen an Land begeben, etwa eine Unterkunft an Land beziehen, so ___________ LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 4; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 352; Jescheck/ Weigend, Lehrbuch, § 19 III. 1. b); Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 20 GVG Rn. 2; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 13; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (406); Schweitzer/Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis, Rn. 669 sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. III.F.1. 131
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läßt sich die – allerdings durch moderne Staatenpraxis nicht gestützte und daher sehr zweifelhafte – Ansicht vertreten, die Immunität des Kriegsschiffs wirke ausnahmsweise auch an Land weiter. Denn so wie das Staatsschiff selbst eine schützenswerte Funktionseinheit eines fremden Staates ist, so kann dies auch für die geschlossen unter einheitlicher Führung an Land befindliche Mannschaft und deren Unterkunft angenommen werden. Die Unterkunft an Land dürfte dann nicht Ort strafprozessualer Maßnahmen sein. Mit dem hier vertretenen funktionalen Begründungsansatz für die Exemtion ließe sich diese Ausnahme auch erklären. Die Tätigkeit der Mannschaft und damit letztlich die Funktionsfähigkeit des Schiffs wäre durch Maßnahmen gegen geschlossene Einheiten an Land in vergleichbarer Weise wie bei Maßnahmen an Bord beeinträchtigt, während das Vorgehen gegen einzelne Besatzungsmitglieder beim Landgang in der Regel keine bzw. nur eine geringfügige Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung der Einheit selbst bedeutete, jedenfalls aber in solchen Fällen das Strafverfolgungsinteresse des Territorialstaates Vorrang haben muß. Eine besondere Regelung enthält das SRÜ in bezug auf Umweltstraftaten, die auf Staatsschiffen begangen werden. Nach Art. 236 SRÜ besteht bei solchen Taten eine umfassende Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, das heißt, es sind nicht nur Maßnahmen an Bord des betreffenden Schiffs verboten, sondern die für die Tat verantwortlichen Personen dürfen auch an Land für diese nicht zur Verantwortung gezogen werden.132 Ferner ist noch darauf hinzuweisen, daß die dargelegten völkerrechtlichen Regeln nur vorbehaltlich anderweitiger vertraglicher Bestimmungen gelten. Solche vertraglichen Regelungen existieren etwa für Besatzungsmitglieder von Kriegsschiffen aus NATO-Staaten nach Art. VII des NATO-Truppenstatuts133 und Art. 17 ff. des Zusatzabkommens zum Truppenstatut134. Die Zulässigkeit eines strafprozessualen Vorgehens gegen Besatzungsmitglieder von Kriegsschiffen anderer NATO-Staaten auf deutschem Festland bestimmt sich abweichend von den hier dargelegten völkergewohnheitsrechtlichen Regeln nach den oben in § 20 III. erläuterten vertraglichen Bestimmungen. Unberührt von diesen vertraglichen Bestimmungen über den Aufenthalt fremder Streitkräfte bleiben aber die Regeln über die
___________ Vgl. Oxman, VJIL 24 (1984), 809 (820 f.). Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen vom 19.6.1951, BGBl. 1961 II, S. 1190; abgedr. in „Sartorius II“ unter Nr. 66b. 134 Zusatzabkommen zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 3.8.1959, BGBl. 1961 II, 1183, 1218; abgedr. in „Sartorius II“ unter Nr. 66c. 132 133
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Unzulässigkeit eines strafprozessualen Vorgehens gegen Kriegsschiffe und an Bord von Kriegsschiffen.135 f) Strafrechtlich relevante Rechtsfolgen einer Mißachtung der Exemtion Wenn unter Mißachtung der Exemtion an Bord von Staatsschiffen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen vorgenommen wurden, etwa an Bord eine Durchsuchung durchgeführt wurde und dabei gefundene Beweismittel beschlagnahmt wurden oder an Bord eine Person verhaftet wurde, die nach einer an Land begangenen Straftat auf das Schiff „geflüchtet“ war, so stellt sich die Frage, welche strafrechtlich relevanten Rechtsfolgen ein solches völkerrechtswidriges Verhalten auslöst. Der handelnde Staat ist als Völkerrechtssubjekt, dem die Rechtsverletzung zuzurechnen ist, dem verletzten Staat, also dem durch die Exemtion geschützten Staat, verantwortlich.136 Gemäß dem auch im Völkerrecht maßgeblichen Grundsatz der Naturalrestitution hat der handelnde Staat primär, soweit möglich, den vor der Exemtionsverletzung bestehenden Rechtszustand wiederherzustellen.137 Dies bedeutet, daß eine an Bord verhaftete und vom Schiff verbrachte Person wieder auf das Schiff zurückgebracht und dort freigelassen werden muß. Beschlagnahmen sind aufzuheben. Einbehaltene Gegenstände sind zurückzugeben. Diese völkergewohnheitsrechtlichen Gebote sind über Art. 25 GG unmittelbar geltendes und anwendbares Recht mit Vorrang vor einfachem Bundesrecht und damit auch mit Vorrang vor den Regelungen der StPO. Daher sind die Strafverfolgungsbehörden gehalten, gegebenenfalls auch entgegen den Bestimmungen der StPO, namentlich der §§ 111k und 120 StPO, zu verfahren. Das Strafverfolgungsinteresse oder Ansprüche Dritter können der Freilassung von Personen bzw. der Rückgabe von Gegenständen nicht entgegengehalten werden, da diese gegenüber der völkerrechtlichen Restitutionspflicht nachrangig sind. Während im hier interessierenden Zusammenhang offengelassen werden kann, inwieweit weitergehende Ansprüche der betroffenen Staaten untereinander bestehen können, etwa auf Zahlung eines Geldbetrags als Entschädigungsleistung, ist noch von Interesse, ob unter Mißachtung der Immunität gewonnene Erkenntnisse ___________ Vgl. Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 737 f., die aber meinen, bei einem bloßen Kriegsschiffbesuch sei das NATO-Truppenstatut nicht anwendbar, da es sich in diesen Fällen nicht um eine „Stationierung“ handele. Doch ist das Truppenstatut nicht derart beschränkt. Es gilt vielmehr nach Art. I Abs. 1 a) bei jedem dienstlichen Aufenthalt von Personal der Streitkräfte eines Vertragsstaates im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei. Wie hier auch Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 137 f. 136 Vgl. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, vor § 39 Rn. 2, § 39 Rn. 1 ff.; Seidl-Hohenveldern/ Stein, Völkerrecht, Rn. 1658 ff. 137 Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1685. 135
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in einem Strafverfahren verwertet werden dürfen.138 Darf etwa die Tatsache, daß bei einer völkerrechtswidrigen Durchsuchung an Bord eines Staatsschiffs Diebesgut gefunden wurde, in einem Strafverfahren gegen ein Besatzungsmitglied oder auch gegen eine sonstige Person berücksichtigt werden? Eine solche Verwertung wird nicht schon durch die Rückführung beschlagnahmter oder sichergestellter Gegenstände ausgeschlossen, da es unter anderem möglich ist, die Personen, die die Durchsuchung vorgenommen haben, als Zeugen über ihre Feststellungen zu vernehmen. Entscheidend für die Frage, ob Verstöße gegen Rechtsvorschriften zu Beweisverwertungsverboten führen, ist, ob die verletzten Vorschriften dem Schutz der beschuldigten Person zu dienen bestimmt sind, ob sie also seine Rechtssphäre betreffen.139 Die Exemtion der Staatsschiffe wird aber allein im Interesse des Staates gewährt, der das Schiff zu hoheitlichen Zwecken betreibt. Natürliche Personen profitieren zwar insoweit von der Exemtion, als Strafverfolgungsmaßnahmen an Bord nicht statthaft sind, doch dient die Exemtion in keiner Weise ihrem persönlichen Schutz. Dies zeigt sich schon daran, daß außerhalb des Schiffs strafprozessuale Maßnahmen durch die Exemtion des Schiffs – wie gezeigt – nicht beschränkt sind. Daher hat eine Mißachtung der Exemtion eines Staatsschiffs nicht die Unverwertbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse zur Folge, und zwar unabhängig davon, ob ein Strafverfahren gegen ein Besatzungsmitglied oder eine sonstige Person betrieben wird. Lediglich dann, wenn die einer Person vorgeworfene Tat eine für den geschützten Staat vorgenommene hoheitlich-dienstliche Handlung war, könnte ein Interesse des verletzten Staates als Schutzobjekt der Exemtion die Annahme eines Verwertungsverbots gebieten. Doch steht in solchen Fällen bereits die Staatenimmunität einem Strafverfahren generell entgegen. g) Sachliche und räumliche Grenzen der Exemtion Bei der Darstellung der Reichweite der deutschen Strafgerichtsbarkeit bei Taten auf Schiffen und in bezug auf Maßnahmen auf Schiffen oder gegen Schiffe oben in § 21 I.2. wurde deutlich gemacht, daß zwischen den verschiedenen Arten von Gewässern zu differenzieren ist und abhängig von der rechtlichen Zuordnung und der Funktion der Gewässer die Beschränkungen der Strafgerichtsbarkeit unterschiedlichen Umfang haben. Auch bei der nunmehr zu untersuchenden Frage, ob die Exemtion für Staatsschiffe, die ebenfalls die Strafgerichtsbarkeit betrifft, in bestimmten Fällen Ausnahmen erfährt, ist zwischen den verschiedenen Gewässerarten zu unterscheiden. ___________ Siehe zur gleichgelagerten Frage eines Beweisverwertungsverbots bei Verstößen gegen die Unverletzlichkeit von Räumlichkeiten diplomatischer und konsularischer Vertretungen oben § 16 I.2.e)bb). 139 Vgl. BGHSt 37, 30 (32) = NJW 1990, 1801 (1801); Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Einl. Rn. 55. 138
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aa) Grenzen der Exemtion in den Binnengewässern und den inneren Gewässern des strafverfolgenden Staates In der Literatur wird überwiegend nur festgestellt, Staatsschiffe und die sich auf diesen aufhaltenden Personen genössen Immunität; sie seien bei einem Aufenthalt des Schiffs in fremden Hoheitsgewässern der Strafgerichtsbarkeit des fremden Staates entzogen. Auf mögliche Ausnahmen wird nicht eingegangen.140 Völkervertragliche Bestimmungen zur Reichweite der Exemtion in den Binnengewässern und inneren Gewässern eines fremden Staates gibt es nicht; das SRÜ enthält keine diesbezügliche Regelung.141 Allerdings hat Oehler die These aufgestellt, in für ein Staatsschiff fremden inneren Gewässern gelte die Immunität überhaupt nicht. Hier sei für Deutschland nur eine auf § 153c Abs. 1 Nr. 2 StPO gestützte freiwillige Beschränkung der Ausübung von Strafgerichtsbarkeit anzunehmen, da diese Vorschrift ansonsten keinen Anwendungsbereich hätte. Aufgrund dieses Verzichts seien strafprozessuale Zwangsmaßnahmen an Bord eines in deutschen inneren Gewässern befindlichen fremden Staatsschiffs unzulässig, während ein Vorgehen gegen Besatzungsmitglieder wegen an Bord oder an Land begangener Taten dann zulässig sei, wenn sich die betreffende Person außerhalb des Schiffs aufhalte.142 Im Ergebnis unterscheidet sich die Auffassung von Oehler damit nicht von der oben dargestellten grundsätzlichen Reichweite der Exemtion. Sie verkennt aber, daß die Exemtion völkergewohnheitsrechtlich gilt und daher für die Annahme eines lediglich freiwilligen – und damit zurücknehmbaren – Verzichts kein Raum ist. In der völkerrechtlichen Literatur und in der Staatenpraxis ist nämlich die Exemtion als solche bislang auch für die inneren Gewässer nicht in Frage gestellt worden, vielmehr wird stets ihre ___________ Vgl. beispielsweise Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 727 ff.; Böger, Immunität der Staatsschiffe, S. 68 ff.; Colombos, Seerecht, S. 208 ff.; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 474 ff.; Geck, Kriegsschiffe, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 2, 368 (370); ders., Staatsschiffe, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 334 (335); ders., Warships, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1413 (1416 ff.); Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 51 Rn. 8, § 52 Rn. 20; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 260 f.; Hoog, AVR 20 (1982), 314 (325); Iglesias, State Ships, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 638 (640); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 563 f.; Malanczuk, Introduction to International Law, S. 176; Mettgenberg, ZStW 52 (1932), 802 (805 ff.); ders., DJ 1940, 641 (642 f.); Perels, AöR 1 (1886), 677 (686 ff.); ders., Seerecht, S. 85 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1493; Steinert, Schiff im Küstenmeer, S. 236 f., 257 ff.; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 138 f., 147. Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 31, § 4 Rn. 4, 9 spricht von regelmäßig eingeräumter Immunität, ohne aber zu erläutern, was hierunter zu verstehen ist. Unklar auch LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 267, § 4 Rn. 47. 141 Sieht man einmal von der Spezialregelung des Art. 236 SRÜ ab, der für Umweltstraftaten eine umfassende Exemtion normiert. 142 Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (406 f.); ders., Internationales Strafrecht, Rn. 472 ff. Unter Verweis auf Oehler ebenso KK-OWiG-Rogall, § 5 Rn. 26 und LK-StGB-Tröndle (10. Aufl. 1985), § 4 Rn. 2, 9. 140
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völkergewohnheitsrechtliche Geltung betont. Auch die Annahme, § 153c Abs. 1 Nr. 2 StPO hätte ansonsten keinen Anwendungsbereich,143 geht fehl. Zudem ist dem deutschen Recht die Figur eines allgemeinen, von niemandem ausgesprochenen Verzichts auf Ausübung von Strafgerichtsbarkeit fremd. Im Strafprozeß gilt vielmehr das Legalitätsprinzip, sofern keine Ausnahmen vorgesehen sind. § 153c StPO erlaubt jedoch nur Ausnahmen im Einzelfall. Auch § 20 Abs. 2 GVG kann die Annahme von Oehler nicht stützen.144 Diese Norm bestätigt nur, daß sich die Gerichtsbarkeit nicht auf Personen erstreckt, die Immunitäten genießen, welche sich aus für die Bundesrepublik verbindlichen völkerrechtlichen Verträgen, aus Völkergewohnheitsrecht oder aus sonstigen (bundesdeutschen) Rechtsvorschriften ergeben.145 Der Hinweis von Oehler, nur bei Bestehen der Möglichkeit, notfalls doch einzugreifen, sei die Sicherung des Rechtsfriedens gewährleistet,146 vermag jedenfalls in dieser Pauschalität nicht zu überzeugen. Die vergleichbare Exemtion von Räumlichkeiten diplomatischer Missionen ist völkervertraglich ohne Ausnahme auch von der Bundesrepublik anerkannt (vgl. Art. 22 WÜD) und gilt zudem völkergewohnheitsrechtlich, ohne daß man hierin eine Gefahr für den Rechtsfrieden sieht. Doch gehen die Ausführungen Oehlers insoweit in die richtige Richtung, als gefragt werden muß, ob es nicht Situationen gibt, in denen es einem Staat nicht zugemutet werden kann, auf Maßnahmen gegen ein fremdes Staatsschiff oder auf einem solchen, das sich in seinen Hoheitsgewässern aufhält, zu verzichten. Müßte es ein Staat erdulden, wenn von einem in seinen eigenen Hoheitsgewässern befindlichen fremden Staatsschiff gegen ihn gerichtete Spionage ausgeübt oder gegen seine territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit gerichtete Handlungen vorgenommen würden, eventuell sogar verbunden mit Einsatz von Waffengewalt? Müßte er es hinnehmen, wenn an Bord eines solchen Schiffs schwere Menschenrechtsverletzungen begangen würden? Die Staatenimmunität gilt in solchen Fällen – wie oben in §§ 6 und 7 gezeigt wurde – ausnahmsweise nicht. So stünde beispielsweise einer Strafverfolgung von Besatzungsmitgliedern eines fremden Staatsschiffs wegen gegen den Küstenstaat gerichteter Spionage an Land nichts entgegen. An Land dürfte ein Gerichtsverfahren wegen solcher an Bord des Schiffs vorgenommener Spionageaktivitäten durchgeführt werden; Besatzungsmitglieder dürften bei einem Landgang verhaftet werden, da die Exemtion für Staatsschiffe lediglich Maßnahmen an Bord verbietet. Doch gibt es solche Ausnahmen auch für die Exemtion der Staatsschiffe? Dürften also auch (strafprozessuale) Zwangsmaßnahmen gegen ein Schiff oder auf einem Schiff durchgeführt werden, das Spionage betreibt oder auf dem Menschenrechtsverletzungen begangen werden? ___________ 143 144 145 146
Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (406 f. mit Fn. 89). So aber Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 476. Vgl. oben § 3 II.2.c). Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (406 f.); ders., Internationales Strafrecht, Rn. 473.
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Ein Blick auf die Staatenpraxis ist nicht sonderlich ergiebig, von entscheidender Relevanz ist aber der Fall eines 1981 in schwedischen inneren Gewässern auf Grund gelaufenen sowjetischen U-Boots:147 Am 27. Oktober 1981 lief das sowjetische Unterseeboot U-137 in südschwedischen inneren Gewässern im Schärengebiet bei Karlskrona auf Grund und konnte sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien. Das U-Boot war in getauchtem Zustand und ohne die nach schwedischem Recht erforderliche Gestattung durch die schwedischen Behörden in die inneren Gewässer, die zudem militärisches Sperrgebiet waren, eingefahren. Als das Boot am darauffolgenden Tag entdeckt wurde, bestand Schweden auf einer Untersuchung des Vorfalls und einem Verhör des Kommandanten sowie der Besatzungsmitglieder vor einer Bergung des Boots durch die schwedische Marine. Zwar wurde die ursprüngliche Forderung der Sowjetunion, das U-Boot durch eigene Schiffe zu bergen, nicht mehr aufrechterhalten, auch entschuldigte man sich für das Einlaufen des U-Boots in schwedische Territorialgewässer, doch weigerte sich der Kommandant des U-Boots, dieses zu verlassen und verbat sich die Sowjetunion ein Eingreifen schwedischer Stellen. Weil Schweden jedoch die Bergung von einer vorherigen Befragung der Besatzung abhängig machte, einigte man sich nach tagelangem Tauziehen in einer bilateralen Übereinkunft auf eine Befragung der Besatzung an Bord eines schwedischen Kriegsschiffs und eine Inspektion des U-Boots durch schwedische Experten. Den Besatzungsmitgliedern des U-Boots wurde in der Übereinkunft ausdrücklich persönliche Immunität zugesichert.148 Nachdem festgestellt worden war, daß das Boot mit Atomwaffen bestückt war, überwog auf schwedischer Seite offenbar das Interesse an einer schnellen Beendigung der Auseinandersetzung. Nach erfolgter Befragung des Kommandanten und Besichtigung des Schiffs wurde das Boot schließlich am 6. November 1981 durch schwedische Einheiten geborgen und mitsamt der Besatzung aus den schwedischen inneren Gewässern herausgeleitet. Während Schweden in einer Protestnote gegen das vorsätzliche unerlaubte Einfahren des U-Boots protestierte und den naheliegenden Vorwurf der Spionage durch das U-Boot erhob,149 beharrte die Sowjetunion auf einem Navigationsfehler, verursacht durch den Ausfall des Kompasses. Doch waren sich Experten einig, daß das U-Boot bei einem Ausfall der Navigationseinrichtungen niemals so weit durch die Schären hätte fahren können, sondern viel früher hätte auflaufen müssen. Die Bemühungen um eine Lösung des Konflikts waren begleitet von Überlegungen, welche Maßnahmen Schweden völkerrechtskonform gegen das U-Boot und dessen Besatzung hätte ergreifen dürfen.150 Bei der getroffenen Vereinbarung ließ sich Schweden schließlich vornehmlich von politischen Erwägungen leiten und versprach lediglich aus Gründen politischer Opportunität die ausdrückliche Gewährung von Immunität.151 Doch
___________ Vgl. zu diesem Vorfall Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (295 ff.); Delupis, AJIL 78 (1984), 53 (53 ff.); Eilers u.a., JuS 1984, 49 (49 ff.); Geck, in: Bernhardt u.a. (Hrsg.), FS Mosler, S. 281 (281 f.); Leifland, ÖZfAP 22 (1982), 138 (138 ff.); Mössner, NJW 1982, 1196 (1196 ff.) sowie FAZ vom 29.10.1981, S. 1; FAZ vom 30.10.1981, S. 1, 12; FAZ vom 31.10.1981, S. 1 f.; FAZ vom 2.11.1981, S. 1 ff.; FAZ vom 3.11.1981, S. 1 f.; FAZ vom 4.11.1981, S. 7, FAZ vom 5.11.1981, S. 1 f.; FAZ vom 6.11.1981, S. 1; FAZ vom 7.11.1981, S. 1, 5. 148 Der Wortlaut der Übereinkunft ist wiedergegeben in FAZ vom 3.11.1981, S. 1. 149 Siehe Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (296 Fn. 4). 150 Siehe Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (298). 151 Selbstverständlich darf ein Staat – vorbehaltlich völkerrechtlicher Strafverfolgungspflichten – fremden Staatsangehörigen Immunität auf der Basis nationalen Rechts gewähren, also auf eine Ausübung von Strafgerichtsbarkeit verzichten und sich auch völkervertraglich entsprechend binden. In der Bundesrepublik käme in einem vergleichbaren Fall 147
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ging man innerhalb der schwedischen Regierung davon aus, völkerrechtlich nicht zur Gewährung von Immunität verpflichtet zu sein.152
Bei der Beantwortung der Frage nach Ausnahmen von der Exemtion für Staatsschiffe ist zu trennen zwischen einerseits präventiv-polizeilichen Maßnahmen zur unmittelbaren Abwehr einer andauernden Verletzung der innerstaatlichen Rechtsordnung oder sogar des Völkerrechts, also Maßnahmen, die lediglich auf die Beendigung einer Störung abzielen, und andererseits solchen Aktionen regelmäßig zeitlich nachfolgenden strafprozessualen Zwangsmaßnahmen zur Ahndung eines Rechtsverstoßes. Maßnahmen der unmittelbaren Gefahrenabwehr sind in den Binnengewässern und inneren Gewässern auch gegenüber privilegierten Staatsschiffen statthaft.153 Die Exemtion der Staatsschiffe steht solchen Maßnahmen nicht entgegen. Es kann keinem Staat zugemutet werden, die Verletzung seiner Rechtsordnung oder gar des Völkerrechts in seinem Hoheitsgebiet hinnehmen zu müssen, also dem andauernden Rechtsverstoß ohne Eingriffsmöglichkeit zusehen zu müssen. Die auch völkerrechtlich geltende Pflicht eines Staates, in seinem Staatsgebiet den Rechtsfrieden zu sichern und seinen Bürgern Sicherheit zu gewährleisten, gebietet es sogar, gravierende Rechtsverstöße zu unterbinden. Ein solches staatliches „Notwehrrecht“ im Sinne eines Abwehrrechts bei aktuellen Gefahrenlagen ist völkerrechtlich anerkannt. Art. 51 UN-Charta, der die militärische Abwehr eines kriegerischen Angriffs trotz des allgemeinen völkerrechtlichen Gewaltverbots gestattet und von einem „naturgegebenen Recht zur Selbstverteidigung“ spricht, ist eine Ausprägung dieses Rechtsgedankens.154 Generell schränken Immunitäten dieses „Notwehrrecht“ nicht ein. Es kann hier wieder auf die vergleichbare Rechtsstellung von Räumlichkeiten diplomatischer Missionen verwiesen werden. Obwohl diese nach Art. 22 Abs. 1 WÜD „unverletzlich“ sind, dürfen – wie oben in § 16 I.2.f) gezeigt wurde – Maßnahmen zur Unterbindung einer von diesen ausgehenden Gefahr ergriffen werden. Diese Feststellungen können auf die Exemtion für Staatsschiffe übertragen werden. Hinzu kommt, daß das SRÜ für den Bereich des Küstenmeeres ausdrücklich Zwangsmaßnahmen sogar gegenüber Staatsschiffen erlaubt, wenn deren Durch___________ ein Absehen von der Strafverfolgung nach § 153d Abs. 1 StPO i.V.m. § 120 Abs. 1 Nr. 3 GVG in Betracht. 152 Leifland, ÖZfAP 22 (1982), 138 (142). 153 Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 729; Colombos, Seerecht, S. 214, 221; Delupis, AJIL 78 (1984), 53 (57, 69, 72 ff.); Dolzer, FAZ vom 6.11.1981, S. 4; Eilers u.a., JuS 1984, 49 (52); Hoog, AVR 20 (1982), 314 (326); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 563; Leifland, ÖZfAP 22 (1982), 138 (138); Mössner, NJW 1982, 1196 (1197); Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (411); ders., Internationales Strafrecht, Rn. 541. So auch bereits Perels, AöR 1 (1886), 677 (688); ders., Seerecht, S. 86; Steinert, Schiff im Küstenmeer, S. 238, 255. A.A. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 409 Fn. 20. Widersprüchlich Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (302, 313). 154 Allgemein zum „Notwehrrecht der Staaten“ Doehring, Völkerrecht, Rn. 757 ff.
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fahrt als „unfriedlich“ im Sinne des Art. 19 Abs. 2 SRÜ zu bewerten ist. Art. 25 Abs. 1 SRÜ gilt ausweislich der Überschrift des Unterabschnitts „für alle Schiffe“, schließt also Staatsschiffe ein; Art. 32 SRÜ bestätigt diese Interpretation.155 Dann aber muß ein solches Abwehrrecht in den Binnengewässern und den inneren Gewässern erst recht gelten, da hier das Interesse eines Staates an der Ausübung seiner Gebietshoheit vom Völkerrecht höher bewertet wird als im Küstenmeer. Wenn also beispielsweise auf einem in einem deutschen Hafen liegenden britischen Kriegsschiff aus Anlaß des Geburtstags des Kommandanten Signalraketen abgefeuert werden, die eine naheliegende Lagerhalle mit Baumwolle in Brand zu setzen drohen, darf die deutsche Polizei das Schiff betreten, um diese Aktivität zu unterbinden.156 Schweden wäre in dem oben geschildertem U-Boot-Zwischenfall berechtigt gewesen, die Bedrohung durch ein mit Atomwaffen bestücktes U-Boot durch zwangsweise Bergung des Schiffs zu beenden. Doch bleibt noch die Frage zu klären, ob in bestimmten Fällen ausnahmsweise auch Maßnahmen gegen Staatsschiffe oder an Bord solcher Schiffe statthaft sind, die allein der Feststellung bzw. Durchsetzung eines staatlichen Strafanspruchs dienen, also nicht präventiv-polizeilichen, sondern ausschließlich repressiven Charakter haben. In der Literatur wurde die Nichtgeltung der Immunität im oben geschilderten Fall des sowjetischen U-Boots zum Teil damit begründet, Staatsschiffe genössen nur dann eine Exemtion in fremden Binnengewässern und inneren Gewässern, wenn eine Erlaubnis zum Befahren dieser Gewässer erteilt worden und der Aufenthalt damit berechtigt sei.157 Diese Auffassung ist aber zurückzuweisen. Zwar dürfen Kriegsschiffe und sonstige Staatsschiffe im engeren Sinne in die Binnengewässer und inneren Gewässer einschließlich der Hafenanlagen eines fremden Staates nur mit dessen Einverständnis einfahren,158 doch wurde schon oben in § 21 I.3.d) dargelegt, daß die Exemtion von Staatsschiffen in den Hoheitsgewässern eines fremden Staates nicht auf einem Verzicht des Aufenthaltsstaates auf Ausübung seiner Gerichtsbarkeit beruht und daher auch nicht von einem Einverständnis des ___________ Vgl. ausführlich hierzu unten § 21 I.3.g)bb). Siehe auch das ähnliche Fallbeispiel von Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (411). 157 So Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (315 f.); Eilers u.a., JuS 1984, 49 (51 ff.); Mössner, NJW 1982, 1196 (1197). Ebenso Colombos, Seerecht, S. 213 und wohl auch Brownlie, International Law, S. 361 und Geck, Kriegsschiffe, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 2, 368 (370); ders., Staatsschiffe, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 334 (335). Aus der älteren Literatur ferner Bluntschli, Völkerrecht, S. 192 und Klein, Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge, S. 40 f. Siehe auch oben Anm. 114 und dazugehörigen Text. 158 Vgl. Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (303); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 406 ff.; Geck, Kriegsschiffe, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 2, 368 (369); ders., in: Bernhardt u.a. (Hrsg.), FS Mosler, S. 281 (298). Ein Anspruch auf Zulassung besteht für Staatsschiffe genausowenig wie für sonstige Schiffe. Allerdings muß generell Schiffen in Seenot Zugang gewährt werden. 155 156
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Territorialstaates mit einem Einfahren in seine Gewässer abhängig gemacht werden kann.159 Zum Teil wird in der Literatur angenommen, lediglich für getaucht fahrende U-Boote gelte die Exemtion nicht. Da U-Boote in fremden Hoheitsgewässern nicht getaucht fahren dürften (vgl. für das Küstenmeer Art. 20 SRÜ), verwirkten sie bei Tauchfahrt ihren Status als Kriegsschiff und damit auch ihre Immunität.160 Mit dieser Argumentation wird vor allem die Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen begründet. Doch ist – wie gezeigt – ein präventiv-polizeiliches Vorgehen gegen ein Schiff, das sich unter Mißachtung der für die Binnengewässer und inneren Gewässer aufgestellten nationalen oder internationalen Rechtsnormen in fremdstaatlichen Hoheitsgewässern aufhält, stets zulässig. Fraglich ist nur, ob neben der Abwehr auch repressive strafrechtliche Maßnahmen zulässig sind. Insofern ist es aber verfehlt, allein auf den getauchten Zustand eines U-Boots abzustellen. Es wäre nicht sachgerecht, einem getaucht fahrenden U-Boot Immunität zu versagen, dagegen beispielsweise einem über Wasser fahrenden Kriegsschiff, wenn es viel offensivere Spionage betreibt, Immunität zuzubilligen. Vielmehr erfährt die (strafrechtliche) Exemtion von Staatsschiffen in fremden Binnengewässern und inneren Gewässern gewisse sachliche Ausnahmen; sie steht also bei bestimmten Arten von Straftaten Strafverfolgungshandlungen nicht entgegen. Sieht man die Exemtion der Staatsschiffe als Ausprägung des Grundsatzes der Staatenimmunität an oder führt sie zumindest auf denselben Rechtsgrund zurück,161 so müssen sich die völkerrechtlich anerkannten Ausnahmen, die für die Staatenimmunität gelten,162 auch auf die Exemtion für Staatsschiffe erstrecken. Dann kann die Exemtion für Staatsschiffe, die sich in fremden Binnengewässern oder inneren Gewässern aufhalten, nicht gelten, wenn auf diesem Spionagetaten, gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit des Aufenthaltsstaates gerichtete Taten, geheimdienstliche Gewalttaten oder schwere Menschenrechtsverletzungen begangen werden und es um strafprozessuale Zwangsmaßnahmen zur Verfolgung dieser Taten geht. Allerdings kann diese Ausnahme von der Exemtion der Staatsschiffe nur gelten, wenn die Tat auf staatliche Veranlassung hin und auf dem betreffenden Schiff begangen wird bzw. das Schiff als Tatmittel eingesetzt wird. Es kann für die Zulässigkeit strafprozessualer Maßnahmen an Bord eines Staatsschiffs nicht genügen, daß sich an Bord eine Person befindet, die irgendwann einmal außerhalb des Schiffs eine Tat begangen hat, für die die Staatenimmunität nicht gilt. Da die Exemtion für Staatsschiffe nicht zugunsten einzelner Personen ___________ Vgl. die Nachw. in Anm. 116. Doehring, Spionage im Friedensvölkerrecht, S. 307 (318 f.); ders., in: Böckstiegel u.a. (Hrsg.), FS Seidl-Hohenveldern, S. 51 (53); ders., Völkerrecht, Rn. 695. 161 Vgl. die Nachw. oben in Anm. 98. 162 Vgl. hierzu oben §§ 6 und 7. 159 160
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auf dem Schiff, sondern als sachbezogene Exemtion gewährt wird, kann eine Ausnahme nur dann angenommen werden, wenn das Schiff selbst mit der Tat in Verbindung steht. Aber auch dann, wenn man die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit von Staatsschiffen als den Rechtsgrund für die Exemtion für Staatsschiffe ansieht, läßt sich eine Nichtgeltung der Exemtion bei den oben genannten Fallgruppen begründen. Zwar wird auch bei einem strafprozessualen Vorgehen gegen fremde Staatsschiffe oder auf diesen wegen der hier erörterten Taten die Funktionsfähigkeit des Schiffs beeinträchtigt, doch ist die Funktion eines Staatsschiffs, das in den Binnengewässern oder inneren Gewässern eines anderen Staates zur Begehung völkerrechtswidriger bzw. gegen den anderen Staat gerichteter Taten eingesetzt wird, schlechterdings in keiner Weise schutzwürdig. Es kann von keinem Staat verlangt werden, auch solche von einem Staatsschiff ausgehenden Tätigkeiten ohne strafrechtliche Reaktion zu dulden, die gegen seine Sicherheit, territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit gerichtet sind, als geheimdienstliche Gewalttaten seine Gebietshoheit verletzen oder schwere Menschenrechtsverletzungen darstellen, wenn sich das Staatsschiff in seinen Binnengewässern oder inneren Gewässern aufhält und damit in einem Bereich, für den das Völkerrecht anders als für die Hohe See oder das Küstenmeer kein Recht auf einen Aufenthalt bzw. eine Durchfahrt gewährt. Es wäre widersinnig, wenn die völkerrechtliche Exemtion für Staatsschiffe innerhalb eines Gewässerbereichs, in dem die Hoheitsgewalt des Territorialstaates grundsätzlich keinen Einschränkungen unterliegt, Verhaltensweisen schützte, die gegen elementare Grundsätze des Völkerrechts verstoßen bzw. gegen den fremden Staat gerichtet sind, zu dem das Gebiet völkerrechtlich gehört. Bei solchen Taten muß vielmehr das berechtigte Interesse des die Gebietshoheit innehabenden Staates an der Ausübung seiner Sanktionsgewalt Vorrang vor der Exemtion der Staatsschiffe genießen. Der Staat, auf dessen Staatsschiff solche Taten begangen werden und der damit völkerrechtliche Rechtspositionen des Aufenthaltsstaates mißachtet, kann sich nicht dem verletzten Aufenthaltsstaat gegenüber auf die ihm von Völkerrechts wegen zukommende Exemtion seines Staatsschiffs berufen; er verwirkt seinen Anspruch auf Exemtionsgewährung. Damit ist als Ergebnis festzuhalten, daß die Exemtion der Staatsschiffe in fremden Binnengewässern und inneren Gewässern eine Ausnahme erfährt, soweit ein Schiff dazu eingesetzt wird, Spionage gegen den Aufenthaltsstaat zu betreiben, gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit des Aufenthaltsstaates gerichtete Taten oder geheimdienstliche Gewaltakte zu begehen bzw. auf dem Schiff schwere Menschenrechtsverletzungen verübt werden.163 In solchen ___________ Bezogen auf Spionage sowie sonstige gegen die Sicherheit und Verteidigungsbereitschaft des Aufenthaltsstaates gerichtete Taten ebenso Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (316 ff.) (wobei in der englischsprachigen Zusammenfassung weitergehend von einer Ausnahme bei Taten “directed against the sovereignty and territorial integrity of other states” gesprochen wird [a.a.O., S. 325]) sowie Dolzer, FAZ vom 6.11.1981, S. 4. Für eine Nicht163
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Fällen sind strafprozessuale Zwangsmaßnahmen an Bord eines sich in den Binnengewässern oder inneren Gewässern des strafverfolgenden Staates aufhaltenden fremden Staatsschiffs ausnahmsweise erlaubt. Allerdings kann ein Einschreiten nur dann für zulässig erachtet werden, wenn eindeutige tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Tat vorliegen, bei der die Exemtion nicht gilt. Ein lediglich vager Verdacht einer Tatbegehung kann nicht ausreichen, da ansonsten die Gefahr einer faktischen Aushöhlung der Exemtion für Staatsschiffe bestünde.164 Die – wie erwähnt recht spärliche – Staatenpraxis unterstützt die hier propagierten Ausnahmen von der Exemtion allerdings lediglich für Taten, die gegen die Sicherheit des eingreifenden Staates gerichtet sind, vor allem für Fälle der Spionage. Doch dürfte diese Ausnahme wohl auch die einzige sein, der überhaupt nennenswerte praktische Relevanz zukommen kann. In dem geschilderten Fall des sowjetischen U-Boots wurde die Immunität lediglich aus Gründen politischer Opportunität gewährt. Zwar wurde innerhalb Schwedens kontrovers diskutiert, ob eine völkerrechtliche Immunität einem Eingreifen Schwedens entgegenstünde,165 doch stellte sich die schwedische Regierung auf den Standpunkt, völkerrechtlich nicht zur Gewährung von Immunität verpflichtet gewesen zu sein.166 Am 18. September 1996 lief vor der Küste Südkoreas ein U-Boot Nordkoreas auf Grund, das nordkoreanische Agenten zu Spionagezwecken abgesetzt hatte. Das U-Boot wurde von Südkorea aufgebracht, die 24 Besatzungsmitglieder wurden, soweit sie sich zu diesem Zeitpunkt nicht bereits selbst umgebracht hatten, getötet.167 In weiteren Fällen ging es zwar nicht um Spionagehandlungen unter Einsatz von Staatsschiffen, sondern um solche unter Verwendung von Flugzeugen. Da die Exemtionen von Staatsluftfahrzeugen und Staatsschiffen aber praktisch identisch sind,168 können auch diese unten in § 21 II.3.c) dargestellten Fälle für den Nachweis einer Ausnahme von der Exemtion für Staatsschiffe herangezogen werden, ___________ geltung der Exemtion bei „groben Souveränitätsverletzungen“ Leifland, ÖZfAP 22 (1982), 138 (142). 164 Wenn sich der Verdacht der Begehung einer Tat, für die keine Exemtion gilt, in der Rückschau als unbegründet herausstellt, war das Eingreifen völkerrechtswidrig und ist der eingreifende Staat zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet. Dies dürfte einem allzu leichtfertigen Vorgehen gegen Staatsschiffe entgegenwirken. 165 Vgl. Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (298). 166 Siehe Leifland, ÖZfAP 22 (1982), 138 (142). 167 Vgl. FAZ vom 19.9.1996, S. 1; FAZ vom 20.9.1996, S. 1, 3; FAZ vom 21.9.1996, S. 1; FAZ vom 24.9.1996, S. 7; FAZ vom 11.4.2001, S. 16. 168 Vgl. die Nachw. unten in Anm. 226. Zwar wird eine Vergleichbarkeit der Stellung von Staatsluftfahrzeugen mit Staatsschiffen von Hoog, AVR 20 (1982), 314 (326 f.) verneint, doch vermögen die von ihm vorgebrachten Argumente nicht zu überzeugen.
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denn auch in diesen Fällen wurde jeweils eine Befugnis zur Vornahme von Strafverfolgungsmaßnahmen angenommen. bb) Grenzen der Exemtion im Küstenmeer des strafverfolgenden Staates Das SRÜ enthält keine Aussage zur Reichweite der strafrechtlichen Exemtion fremder Staatsschiffe im Küstenmeer. In Art. 32 SRÜ heißt es lapidar, das Abkommen berühre nicht die Immunitäten der Kriegsschiffe und der sonstigen Staatsschiffe, die anderen als Handelszwecken dienen. Damit ist man allein auf Völkergewohnheitsrecht verwiesen.169 Allerdings legt das SRÜ fest, daß auch Staatsschiffe einschließlich der Kriegsschiffe das oben in § 21 I.2.a)bb) dargelegte Recht auf friedliche Durchfahrt genießen. Die Überschrift vor Art. 17 ff. SRÜ, in denen das Recht auf friedliche Durchfahrt geregelt ist, spricht ausdrücklich von „Regeln für alle Schiffe“. Die früher im Völkerrecht heftig umstrittene Frage eines Durchfahrtsrechts für Kriegsschiffe ist durch die Regelung des SRÜ, die nach einem Meinungsumschwung im sowjetischen Machtbereich zustandekam, zugunsten eines solchen Rechts entschieden worden. Auch Kriegsschiffe und sonstige Staatsschiffe im engeren Sinn dürfen ohne Anmeldung oder Erlaubnis wie private Schiffe fremde Küstenmeere durchfahren, U-Boote müssen nach Art. 20 SRÜ allerdings über Wasser fahren.170 Die bereits oben verworfene Auffassung, die Immunität der Staatsschiffe könne nicht gelten, wenn sich ein Staatsschiff ohne Erlaubnis in fremden Hoheitsgewässern aufhalte,171 geht damit für den Bereich der Küstengewässer von vornherein ins Leere.172 Wenn ein Staatsschiff in fremdem Küstenmeer so agiert, daß keine friedliche Durchfahrt mehr vorliegt, etwa Spionageaktivitäten entfaltet werden, eine Übung mit Waffen durchgeführt wird oder Maßnahmen ergriffen werden, die gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit des Küstenstaates gerichtet sind (vgl. Art. 19 Abs. 2 SRÜ), dürfen ebenso wie gegenüber Privatschiffen nach Art. 25 Abs. 1 SRÜ die erforderlichen Abwehrmaßnahmen ergriffen werden. Die ___________ Sieht man einmal von Art. 236 SRÜ ab, der eine umfassende Exemtion in bezug auf Umweltstraftaten normiert. 170 Vgl. Brown, Law of the Sea, vol. I, S. 64 ff.; Geck, in: Bernhardt u.a. (Hrsg.), FS Mosler, S. 281 (299 ff.); Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 52 Rn. 19 ff.; SeidlHohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1205; Shaw, International Law, S. 406; Verdross/ Simma, Völkerrecht, § 1074; Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Abschn. Rn. 45. Siehe auch die Erklärung der Bundesrepublik zum SRÜ vom 14.10.1994, BGBl. 1995 II, S. 602 sowie die gemeinsame Erklärung der Sowjetunion und der USA anläßlich des sogenannten Sewastopol-Zwischenfalls vom 12.2.1988, AJIL 84 (1990), 239; dt. Übers. Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 52 Rn. 21. Überholt daher Mössner, NJW 1982, 1196 (1197 f.). Vgl. aber auch Brownlie, International Law, S. 189 und Churchill/Lowe, Law of the sea, S. 74 ff., die die Frage für noch nicht vollständig geklärt halten. 171 Vgl. oben Anm. 157. 172 So auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 476 f.; Hoog, AVR 20 (1982), 314 (324). 169
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oben für Binnengewässer und innere Gewässer angestellten Überlegungen zur Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen haben auch für das Küstenmeer Gültigkeit. Notfalls ist auch der Gebrauch militärischer Gewalt gestattet.173 Denn Art. 25 Abs. 1 SRÜ gehört zu den für alle Schiffe geltenden Bestimmungen des Unterabschnitts A von Teil II Abschn. 3 SRÜ. In Art. 32 SRÜ heißt es ausdrücklich, das SRÜ berühre „vorbehaltlich der in Unterabschnitt A vorgesehenen Ausnahmen“ die Immunität nicht. Auch Art. 30 SRÜ steht Abwehrmaßnahmen bei nichtfriedlicher Durchfahrt nicht entgegen. Danach kann der Küstenstaat von einem Kriegsschiff, das die Gesetze und sonstigen Vorschriften des Küstenstaates über die Durchfahrt durch das Küstenmeer mißachtet, verlangen, das Küstenmeer sofort zu verlassen. Hieraus kann nicht gefolgert werden, ein Kriegsschiff dürfe maximal zum Verlassen aufgefordert werden, es dürften aber keine Gewaltmaßnahmen ergriffen werden. Denn Art. 30 SRÜ spricht allein von Gesetzen und sonstigen Vorschriften des Küstenstaates, meint also Verstöße gegen küstenstaatliche Normen im Sinne des Art. 21 SRÜ. Die nichtfriedliche Durchfahrt im Sinne des Art. 19 Abs. 2 SRÜ ist nicht Gegenstand von Art. 30 SRÜ.174 Die Staatenpraxis bestätigt diese Auffassung. So wurde in mehreren Fällen, in denen sich U-Boote in getauchtem Zustand in fremdem Küstenmeer aufhielten, versucht, diese durch Einsatz von Wasserbomben zum Auftauchen oder zum Verlassen des Küstenmeeres zu zwingen.175 Damit sind zwar Abwehrmaßnahmen bei unfriedlicher Durchfahrt statthaft, doch ist auch hier noch die primär interessierende Frage zu klären, ob neben Maßnahmen der Gefahrenabwehr ausnahmsweise auch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen auf fremden Staatsschiffen erlaubt sind. In der Literatur wird überwiegend angenommen, Staatsschiffe genössen im Küstenmeer eines anderen Staates eine uneingeschränkte Immunität.176
___________ Vgl. Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (321); Churchill/Lowe, Law of the sea, S. 83 f.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 529; Heesen/Hönle/Peilert, Bundesgrenzschutzgesetz, § 6 Rn. 18; Hoog, AVR 20 (1982), 314 (326); Leifland, ÖZfAP 22 (1982), 138 (138); Mössner, NJW 1982, 1196 (1197); O’Connell, International Law of the Sea, vol. II, S. 964; Steinert, Schiff im Küstenmeer, S. 238. 174 Wie hier auch Heesen/Hönle/Peilert, Bundesgrenzschutzgesetz, § 6 Rn. 18; Hoog, AVR 20 (1982), 314 (321 f.); Mössner, NJW 1982, 1196 (1197). 175 Vgl. Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (324); Hoog, AVR 20 (1982), 314 (314); Mössner, NJW 1982, 1196 (1197). 176 Brownlie, International Law, S. 190; Churchill/Lowe, Law of the sea, S. 83; Doehring, Völkerrecht, Rn. 529, 694 (allerdings mit der oben erwähnten Ausnahme für getaucht fahrende U-Boote, vgl. Rn. 695); Geck, Staatsschiffe, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 334 (335); Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 51 Rn. 8, § 52 Rn. 20; LK-StGBGribbohm, vor § 3 Rn. 234, 260 f.; Hoog, AVR 20 (1982), 314 (320, 324); O’Connell, International Law of the Sea, vol. II, S. 965; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (406); ders., Internationales Strafrecht, Rn. 415; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1493; Steinert, Schiff im Küstenmeer, S. 236 f., 257 ff.; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 138 f., 147. 173
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Die oben in § 21 I.2.a)bb) dargestellten Bestimmungen über die Reichweite der Strafgerichtsbarkeit an Bord fremder Schiffe im Küstenmeer (Art. 27 SRÜ) gelten ausweislich der Überschrift vor Art. 27 SRÜ ausschließlich „für Handelsschiffe und für Staatsschiffe, die Handelszwecken dienen“, also nicht für die hier interessierenden Staatsschiffe im engeren Sinne. Doch ist Art. 27 SRÜ insoweit auch für die Exemtion von Staatsschiffen von Belang, als Ausnahmen von der Exemtion auf keinen Fall über die von Art. 27 SRÜ aufgestellten Grenzen für die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit hinausgehen dürfen. Denn Beschränkungen für die Strafgerichtsbarkeit, die für Handelsschiffe gelten, müssen für die privilegierten Staatsschiffe erst recht gelten. Während die Ausnahmen von der Exemtion der Staatsschiffe in den Binnengewässern und inneren Gewässern auch damit begründet werden konnten, daß das Interesse des die Gebietshoheit innehabenden Staates an einem strafprozessualen Eingreifen bei den genannten Fallgruppen deshalb Vorrang gegenüber der Exemtion haben muß, weil der Staat in diesen Gewässern grundsätzlich unbeschränkte Hoheitsgewalt ausübt und fremde Staatsschiffe hier kein völkerrechtlich garantiertes Aufenthaltsrecht besitzen, ist im Küstenmeer das vom Völkerrecht durch die Gewährung des „Rechts auf friedliche Durchfahrt“ anerkannte Interesse der Staaten an einer Durchfahrt seiner Staatsschiffe durch fremdes Küstenmeer zu beachten. Diese Überlegungen führen dazu, daß in entsprechender Anwendung des Art. 27 Abs. 5 SRÜ die Exemtion für Staatsschiffe ohne Ausnahme gilt und ein strafprozessuales Eingreifen stets verbietet, soweit das fremde Staatsschiff das Küstenmeer nur durchfährt und die Straftat, wegen der eingegriffen werden soll, vor der Einfahrt in das Küstenmeer begangen wurde. Wenn beispielsweise von einem Kriegsschiff aus im Gebiet der Hohen See gegen einen anderen Staat gerichtete Spionage betrieben wurde, so darf der betroffene Staat nicht zum Zweck der strafrechtlichen Ahndung eingreifen, wenn das Schiff später sein Küstenmeer durchfährt. Wenn allerdings von einem Staatsschiff aus, das sich in einem fremden Küstenmeer aufhält, gegen den Küstenstaat gerichtete Spionage betrieben wird, von dem Schiff aus Handlungen vorgenommen werden, die gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit des Küstenstaates gerichtet oder als geheimdienstliche Gewaltakte oder schwere Menschenrechtsverletzungen zu klassifizieren sind, dann muß in entsprechender Anwendung des Art. 27 Abs. 1 lit. a) und b) SRÜ das Interesse des Küstenstaates an einem strafprozessualen Eingreifen innerhalb seiner Hoheitsgewässer Vorrang haben. In einem solchen Fall gelten die Erwägungen, mit denen oben Ausnahmen von der Exemtion der Staatsschiffe in den Binnengewässern und inneren Gewässern begründet wurden, auch für das Küstenmeer. Ein Interesse des Flaggenstaates des Staatsschiffs an einer ungehinderten Durchfahrt kann insofern – wie auch Art. 27 Abs. 1 SRÜ belegt – nicht anerkannt werden, so daß die Interessenabwägung nicht anders ausfallen kann als für die Binnengewässer und inneren Gewässer. Wenn also die hier erörterten Taten innerhalb des Küstenmeeres begangen werden, erfährt die Exemtion für Staatsschiffe eben-
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falls eine Ausnahme.177 Allerdings wird man diese Ausnahme wiederum auf eindeutige Fälle zu beschränken haben. Es muß verhindert werden, daß ein Küstenstaat etwa durch die bloße Behauptung, ein sein Küstenmeer durchfahrendes Staatsschiff betreibe dort Spionage, das Recht auf friedliche Durchfahrt praktisch untergräbt. Daher gilt die Ausnahme nur in Fällen, in denen sich die Tatbegehung eindeutig belegen läßt.178 Die Staatenpraxis zu einer solchen Fallkonstellation ist allerdings mehr als spärlich, doch kann hier immerhin auf den Pueblo-Zwischenfall verwiesen werden, der ebenfalls Spionageaktivitäten betraf:179 Das US-amerikanische Spionageschiff Pueblo wurde am 23. Januar 1968 von Nordkorea vor seiner Küste aufgebracht, dabei wurde ein Besatzungsmitglied getötet. Die übrigen Besatzungsmitglieder wurden mit dem Hinweis auf die entfalteten Spionageaktivitäten inhaftiert. Die Pueblo hatte den Funkverkehr auf dem Festland Nordkoreas abgehört. Allerdings war zwischen Nordkorea und den USA umstritten, ob sich das Schiff zum Zeitpunkt des Aufbringens in nordkoreanischen Küstengewässern oder im Bereich der Hohen See befand. Nordkorea stellte sich auf den Standpunkt, sein Eingreifen sei deshalb berechtigt gewesen, weil sich das Schiff in seinem Küstenmeer befunden und dort Spionage betrieben habe. Die USA dagegen gingen zunächst von einem Zwischenfall auf Hoher See aus.180 Sie behaupteten jedoch hilfsweise, selbst wenn sich die Pueblo in nordkoreanischen Küstengewässern aufgehalten hätte, wäre ein Aufbringen völkerrechtswidrig gewesen.181 Später allerdings gaben die USA zu, daß sich der Vorfall in den Hoheitsgewässern Nordkoreas ereignet hatte und erreichten so die Freilassung der Besatzung nach elf Monaten Haft im Rahmen einer bilateralen Übereinkunft. In dem von den USA unterzeichneten Dokument wurde ein Recht Nordkoreas zum Aufbringen des Schiffs nicht mehr bestritten.182
cc) Grenzen der Exemtion im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszonen und der Hohen See Eindeutig kann die Frage der Reichweite der strafrechtlichen Exemtion von Staatsschiffen für den Bereich der Hohen See und der ausschließlichen Wirtschaftszonen beantwortet werden, da das SRÜ diesbezüglich klare Aussagen trifft, die zudem geltendem Völkergewohnheitsrecht entsprechen.
___________ 177 Für Spionageaktivitäten ebenso Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (323 f.) und Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 59 II. 2. b) bb). 178 Ebenso Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (324). Vgl. auch oben Anm. 164. 179 Vgl. Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (321 f. m.w.N.); Kokott, Pueblo Incident, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL III, 1162 (1162 ff.); FAZ vom 11.4.2001, S. 16. 180 Auf Hoher See besteht eine umfassende Exemtion, vgl. sogleich unten § 21 I.3.g)cc). 181 Vgl. die Stellungnahme des US Secretary of State vom 8.2.1968, AJIL 62 (1968), 756. Siehe ferner Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (321 f.). 182 Der Wortlaut des Dokuments ist abgedr. in AJIL 63 (1969), 684. Vgl. auch die in AJIL 63 (1969), 682 f. wiedergegebenen amerikanischen Stellungnahmen.
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Nach Art. 95 SRÜ genießen Kriegsschiffe auf Hoher See vollständige Immunität von der Hoheitsgewalt jedes anderen als des Flaggenstaates.183 Nach Art. 96 SRÜ genießen einem Staat gehörende oder von ihm eingesetzte Schiffe, die im Staatsdienst ausschließlich für andere als Handelszwecke genutzt werden, auf Hoher See ebenfalls vollständige Immunität von der Hoheitsgewalt jedes anderen als des Flaggenstaates.184 Zwar darf – wie oben in § 21 I.2.b) erläutert wurde – nach Art. 92 Abs. 1 SRÜ im Gebiet der Hohen See generell ein Staat Strafgerichtsbarkeit – das heißt in diesem Zusammenhang strafprozessuale Zwangsgewalt – ebenso wie sonstige Hoheitsgewalt nur gegenüber und auf Schiffen ausüben, die seine Flagge führen, also seine Staatszugehörigkeit haben, so daß eine besondere Exemtion für Staatsschiffe in diesem Bereich des Meeres auf den ersten Blick überflüssig zu sein scheint. Doch gibt es – wie gezeigt – von dem in Art. 92 Abs. 1 SRÜ normierten Grundsatz Ausnahmen. Diese Ausnahmen gelten für Staatsschiffe nicht.185 Auch die Ausnahmen von der strafrechtlichen Exemtion der Staatsschiffe, die in den Binnengewässern, in den inneren Gewässern und im Küstenmeer des strafverfolgenden Staates gelten, erstrecken sich nicht auf den Bereich der Hohen See. Das Völkerrecht ist, wie die Formulierungen in Art. 95 f. SRÜ zeigen, insoweit eindeutig; es läßt hier keinerlei Ausnahmen zu. Dies ist auch sachgerecht. Die Ausnahmen von der Exemtion im Bereich der Hoheitsgewässer des strafverfolgenden Staates gründen sich wesentlich darauf, daß es dort um Maßnahmen im eigenen Staatsgebiet des strafverfolgenden Staates geht, in dem ein Staat grundsätzlich seine Gebietshoheit jedermann gegenüber ausüben darf. Die Ausübung von strafprozessualer Zwangsgewalt gegenüber fremden Schiffen in dem keinerlei Gebietshoheit unterliegenden internationalen Gemeinschaftsraum Hohe See muß dagegen eng begrenzt und gegenüber fremden Staatsschiffen sogar völlig untersagt werden. Denn die friedliche gemeinschaftliche Nutzung des Bereichs der Hohen See ist nur gesichert, wenn kein Staat befürchten muß, daß seine Schiffe, insbesondere seine Staatsschiffe, im Gebiet der Hohen See, in dem alle Staaten die gleichen Befugnisse haben, der Zwangsgewalt anderer Staaten unterworfen werden. Dem kann auch nicht das Argument entgegengehalten werden, die Ahndung schwerster menschenrechtswidriger oder staatsgefährdender Strafta___________ Ebenso Colombos, Seerecht, S. 208 f.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 694; Geck, Kriegsschiffe, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 2, 368 (369); ders., Warships, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 1413 (1415); LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 260; Hoog, AVR 20 (1982), 314 (316); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, §§ 292, 562; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (406); ders., Internationales Strafrecht, Rn. 430; Shaw, International Law, S. 422; Verdross/Simma, Völkerrecht, §§ 1095, 1129. 184 Ebenso Geck, Staatsschiffe, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 334 (335); LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 261; Hoog, AVR 20 (1982), 314 (318); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 292; Oehler, ZStW 91 (1979), 395 (406); ders., Internationales Strafrecht, Rn. 430; Shaw, International Law, S. 422; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1129. 185 Vgl. Hoog, AVR 20 (1982), 314 (317 f.). Siehe aber auch Art. 102 SRÜ. 183
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ten müsse auf Hoher See notfalls durch Eingreifen anderer Staaten als des Flaggenstaates sichergestellt werden. Mit der gleichen Berechtigung müßte dann nämlich auch die Zulässigkeit des strafprozessualen Eingreifens eines Staates auf fremdem Staatsgebiet gefordert werden.186 Dies aber würde den Frieden, das höchste Rechtsgut der Staatengemeinschaft, ernsthaft gefährden. Die Reichweite der Exemtion in den ausschließlichen Wirtschaftszonen ist gemäß Art. 58 Abs. 2 SRÜ mit der im Bereich der Hohen See identisch, da sich die ausschließlichen Wirtschaftszonen nur insoweit von der Hohen See unterscheiden, als dem Staat, dem eine solche Zone zugeordnet ist, bestimmte wirtschaftliche Nutzungsrechte zustehen und einzelne staatliche Kompetenzen und Pflichten hinsichtlich des Umweltschutzes existieren. dd) Grenzen der Exemtion im Bereich der Küstengewässer, inneren Gewässer und Binnengewässer eines anderen als des strafverfolgenden Staates Im Bereich der Küstengewässer, der inneren Gewässer und der Binnengewässer eines fremden Staates dürfen – wie oben in § 21 I.2.c) dargelegt – generell Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit nicht ergriffen werden; dem steht die Gebietshoheit des fremden Staates über sein Staatsgebiet entgegen. Daher erübrigt sich auf den ersten Blick die Frage, inwieweit die Exemtion für Staatsschiffe in diesem Gebiet für einen anderen Staat beachtlich ist. Doch besteht immerhin die Möglichkeit, daß sich der Staat, der die Gebietshoheit innehat, mit der Durchführung strafprozessualer Maßnahmen durch einen anderen Staat gegen Schiffe von Drittstaaten einverstanden erklärt. Soweit dieser Verzicht Maßnahmen betrifft, die gegen ein Staatsschiff eines Drittstaates gerichtet sind, sind trotz des Einverständnisses des Aufenthaltsstaates des Schiffs die Exemtionen zu beachten, die Staatsschiffen in Küstengewässern bzw. inneren Gewässern und Binnengewässern nach Völkerrecht zukommen.187
___________ Eine derartige These ist zu Recht bislang nicht vertreten worden. Die Diskussion, ob angesichts der zum Teil anachronistischen und den heutigen Herausforderungen nicht genügenden Strukturen der UN ausnahmsweise ein militärisches Eingreifen eines Staates auf dem Gebiet eines anderen Staates auch ohne Mandat der UN nach Art. 42 UN-Charta und außerhalb des Rahmens von Art. 51 UN-Charta statthaft sein kann, bezieht sich allein auf ein Eingreifen zur Unterbindung schwerster Menschenrechtsverletzungen (sog. humanitäre Intervention), nicht aber auf ein Eingreifen ausschließlich zur Festnahme der für solche Taten Verantwortlichen. Vgl. hierzu Doehring, Völkerrecht, Rn. 1008 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rn. 4, 25 ff. 187 Insofern kann auf die oben in § 21 I.3.g)aa) und bb) getroffenen Feststellungen verwiesen werden. 186
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h) Zeitliche Grenzen der Exemtion und Zulässigkeit eines Verzichts Die Exemtion für Staatsschiffe und die derivative Exemtion für Besatzungsmitglieder und Passagiere, die sich auf Staatsschiffen aufhalten, gilt nur so lange, wie das betreffende Schiff die Eigenschaft eines Staatsschiffs hat. Wird es vom Staat zur privaten Nutzung veräußert oder kommerziellen Zwecken zugeführt, endet die Exemtion.188 Sobald ein Schiff (wieder) für hoheitlich-staatliche Zwecke Verwendung findet (etwa ein ausgemustertes Kriegsschiff von einem anderen Staat übernommen und von diesem wieder als Kriegsschiff verwendet wird), entsteht mit dem Status des Staatsschiffs auch die Exemtion (wieder neu). Die Exemtion eines Staatsschiffs endet ferner bei einem Verzicht durch den Staat, dessen hoheitliche Aufgaben mit dem Schiff wahrgenommen werden.189 Die Immunität für Staatsschiffe wird allein im Interesse des Staates gewährt, dessen Aufgaben mit einem Staatsschiff wahrgenommen werden. Daher steht es diesem frei, auf die Exemtion zu verzichten. Da die Personen, die sich auf einem Staatsschiff aufhalten, zwar von der Exemtion insoweit profitieren, als sie an Bord des Schiffs vor strafprozessualen Zwangsmaßnahmen geschützt sind, die Exemtion aber nicht ihre eigenen Interessen schützen soll, kommt es auf ein Einverständnis dieser Personen nicht an. Sobald und soweit ein Staat auf die Exemtion verzichtet hat, sind strafprozessuale Maßnahmen gegen das Schiff und an Bord des Schiffs zulässig. Der Verzicht kann sowohl sachlich als auch zeitlich beschränkt und auch widerrufen werden. Erklären kann den Verzicht die für das Schiff zuständige Regierungsstelle des betroffenen Staates; aber auch den Chef der diplomatischen Mission des Flaggenstaates in dem Land, zu dessen Gunsten der Verzicht ausgesprochen wird, wird man für befugt halten dürfen, einen völkerrechtlich wirksamen Verzicht auszusprechen. Gleiches gilt für den Kapitän des Schiffs. Da dieser von seinem Staat mit der eigenverantwortlichen Führung des Schiffs betraut ist, wird man ihn auch für befugt halten müssen, anderen Staaten die Vornahme von Staatshandlungen auf „seinem“ Schiff zu gestatten.
II. Die Exemtion für Staatsluftfahrzeuge sowie deren Besatzungsmitglieder und Passagiere Im hier interessierenden Zusammenhang relevante völkervertragliche Regelungen über die Begründung materieller Strafgewalt, die Ausübung von Strafgerichts___________ Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 560. Vgl. LG Bremen, NJW 1955, 1450 (1450 f.) und den Fall Chung Chi Cheung ./. The King (oben Anm. 118 und Anm. 130), in dem das britische House of Lords britische Gerichtsbarkeit aufgrund eines chinesischen Exemtionsverzichts bejahte. Siehe ferner Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, vol. I, § 563 und Malanczuk, Introduction to International Law, S. 176, 178. 188 189
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barkeit sowie die Immunität von Staatsluftfahrzeugen enthalten das Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt vom 7. Dezember 1944 („Chicagoer Abkommen“)190, das Abkommen über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen vom 14. September 1963 („Tokioter Abkommen“)191, das Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen vom 16. Dezember 1970 („Haager Abkommen“)192 und das Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt vom 23. September 1971 („Montrealer Abkommen“)193. Einige wenige Regeln enthält zudem das SRÜ. Im übrigen aber ist man auf Völkergewohnheitsrecht verwiesen. 1. Zum Geltungsbereich des deutschen materiellen Strafrechts bei Taten in Luftfahrzeugen a) Materielle Strafgewalt im Bereich des deutschen Staatsgebiets Bestandteil des deutschen Staatsgebiets ist auch der über dem deutschen Landgebiet und über den deutschen Hoheitsgewässern (also den Binnengewässern, den inneren Gewässern und dem Küstenmeer Deutschlands) gelegene Luftraum. Dieser unterliegt der territorialen Souveränität und der vollen und ausschließlichen Gebietshoheit (Lufthoheit) der Bundesrepublik.194 Zwar wurde zu Beginn des Zeitalters der Luftfahrt teilweise die Auffassung vertreten, der Luftraum über dem Territorium eines Staates sei entsprechend der Hohen See ein nationalen Souveränitätsansprüchen entzogener internationaler Gemeinschaftsraum, doch machte bereits der Erste Weltkrieg die sicherheitspolitische Bedeutung des Luftraums und die ___________ 190 BGBl. 1956 II, S. 411. Abgedr. in „Sartorius II“ unter Nr. 399. In Kraft getreten für die BRD am 8.6.1956 gemäß Bekanntmachung vom 12.10.1956 (BGBl. 1956 II, S. 934). Das seit Inkrafttreten mehrfach geänderte Chicagoer Abkommen hat gemäß Art. 80 die – vom Deutschen Reich nicht ratifizierte – Pariser Luftfahrtkonvention vom 13.10.1919 (LNTS 11, 173) abgelöst. 191 BGBl. 1969 II, S. 121. In Kraft getreten für die BRD am 16.3.1970 gemäß Bekanntmachung vom 4.5.1970 (BGBl. 1970 II, S. 276). 192 BGBl. 1972 II, S. 1505. In Kraft getreten für die BRD am 10.11.1974 gemäß Bekanntmachung vom 8.5.1975 (BGBl. 1975 II, S. 1204). 193 BGBl. 1977 II, S. 1229. In Kraft getreten für die BRD am 5.3.1978 gemäß Bekanntmachung vom 6.3.1978 (BGBl. 1978 II, S. 314). 194 Vgl. MK-StGB-Ambos, § 3 Rn. 20 f.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 19; Brownlie, International Law, S. 115 f.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 380, 383, 437 f.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 546, 552, 554; Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 2; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, vor § 55 Rn. 2, § 55 Rn. 3 ff., 10 ff.; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 51 Rn. 1, § 52 Rn. 1; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 251; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 136; Herdegen, Völkerrecht, § 24 Rn. 5; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 79; Schwenk, Handbuch Luftverkehrsrecht, S. 194 f.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1276; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 9 ff.
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Notwendigkeit der staatlichen Kontrolle über den Luftraum im Bereich des eigenen Territoriums deutlich, so daß schon die Pariser Luftfahrtkonvention von 1919195 den Grundsatz der Lufthoheit der Staaten über ihrem Hoheitsgebiet festlegte.196 Das Chicagoer Abkommen bestätigt in Art. 1 f. diesen auch völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtssatz.197 Art. 2 Abs. 2 SRÜ schreibt – deklaratorisch – die Souveränität des Küstenstaates über den Luftraum über seinem Küstenmeer fest. Das Staatsgebiet ist damit ein dreidimensionales Gebilde. Umstritten ist allein die genaue obere Abgrenzung des Luftraums zum Weltraum. Überwiegend wird für eine Abgrenzung nach physikalischen Gegebenheiten plädiert, wobei hieraus eine Höhe des Luftraums zwischen 80 und 120 km abgeleitet wird. Die niedrigere Höhe kennzeichnet die Maximalhöhe, bis zu der Flugzeuge getragen durch den Luftauftrieb theoretisch fliegen können, die obere Grenze bezeichnet die unterste mögliche Flugbahn von Satelliten; unterhalb von 120 km würde die Erdanziehungskraft Weltraumflugkörper zum Absturz bringen. Diese vage Grenzziehung hat sich für die Praxis als ausreichend erwiesen.198 Ein Luftfahrzeug199, das im so begrenzten deutschen Luftraum fliegt, befindet sich damit ebenso in Deutschland wie ein Luftfahrzeug, das auf deutschem Boden, etwa einem deutschen Flughafen, gelandet ist. Straftaten, die in einem Luftfahrzeug begangen werden, das sich zur Tatzeit im deutschen Luftraum oder auf deutschem Boden befindet, werden damit im Inland begangen und unterfallen bereits nach § 3 StGB der deutschen Strafgewalt.200 Auf § 4 StGB braucht in solchen Fällen auch bei „deutschen“ Luftfahrzeugen201 nicht zurückgegriffen zu werden, wobei allerdings § 4 StGB bei Taten in deutschen Luftfahrzeugen herangezogen werden kann, wenn – was bei während eines Fluges begangenen Taten leicht vorkommen kann – ___________ Vgl. oben Anm. 190. Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 3 f.; Heere, Air and Space Law 24 (1999), 70 (70 f.). 197 Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 10 f.; Heere, Air and Space Law 24 (1999), 70 (71 f.). 198 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 452 f.; Diederiks-Verschoor, Space Law, S. 17 ff.; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 56 Rn. 7 ff.; Vitt, in: Böckstiegel (Hrsg.), Handbuch Weltraumrecht, S. 40 ff.; Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Abschn. Rn. 31. 199 Der Begriff „Luftfahrzeug“ umfaßt im hier interessierenden Zusammenhang als Oberbegriff Flugzeuge, Hubschrauber, Luftschiffe sowie Frei- und Fesselballone, mithin Fahrzeuge, die aufgrund aerodynamischen Auftriebs in der Luft zu fliegen bestimmt sind; vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 32. Zum Problem der Einordnung von Weltraumfahrzeugen vgl. unten Anm. 259. 200 LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 251; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 481 f. 201 Nach Art. 17 des Chicagoer Abkommens haben Luftfahrzeuge die Staatszugehörigkeit des Staates, bei dem sie registriert sind. Art. 18 ff. enthalten nähere völkerrechtliche Bestimmungen für die Registrierung. Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 37 ff. Die Registrierung von Luftfahrzeugen in Deutschland und damit die Berechtigung zum Führen des Staatszugehörigkeitskennzeichens der BRD bestimmt sich nach dem Luftverkehrsgesetz vom 27.3.1999 (BGBl. 1999 I, S. 550). 195 196
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der genaue Tatort nicht bekannt ist, da sich dessen Geltung nicht auf Auslandstaten beschränkt.202 Ebenso wie ausländische Schiffe, die sich in deutschen Hoheitsgewässern aufhalten, nicht als „schwimmende Gebietsteile“ des Flaggenstaates der deutschen Territorialhoheit entzogen sind, können auch Luftfahrzeuge nicht als mobile Bestandteile des Staatsgebiets des jeweiligen Eintragungsstaates begriffen werden.203 Auch ausländische Luftfahrzeuge befinden sich daher nach Einfliegen in den deutschen Luftraum in Deutschland, so daß in diesen während eines Aufenthalts im deutschen Staatsgebiet begangene Taten ebenfalls von § 3 StGB erfaßt werden.204 b) Materielle Strafgewalt im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszonen und der Hohen See Der Luftraum über der Hohen See nimmt an deren Eigenschaft als territorialer Souveränität entzogener internationaler Gemeinschaftsraum teil. Damit ist der Luftraum über der Hohen See territorialer Lufthoheit entzogen. Dies gilt gemäß Art. 58 Abs. 1 und 2 SRÜ auch für den Luftraum über ausschließlichen Wirtschaftszonen.205 Straftaten, die in Luftfahrzeugen begangen werden, die sich zur Tatzeit im Luftraum über der Hohen See oder einer ausschließlichen Wirtschaftszone befinden, unterliegen daher nicht schon aufgrund des Territorialitätsprinzips (§ 3 StGB) nationaler Strafgewalt. Nach dem Flaggenprinzip des § 4 StGB gilt das deutsche Strafrecht aber bei Taten, die in einem Luftfahrzeug begangen werden, das berechtigt ist, das Staatszugehörigkeitskennzeichen der Bundesrepublik zu führen, auch bei einer Tatbegehung in diesen Lufträumen. Festzuhalten ist, daß § 4 StGB lediglich die Geltung des deutschen Strafrechts anordnet, Luftfahrzeuge deutscher Staatszugehörigkeit aber nicht gleichsam losgelöste Teile des Inlands sind und auch nicht fiktiv als solche anzusehen sind.206 Da die Staaten völkerrechtlich verpflichtet sind, für die Sicherheit an Bord der bei ihnen registrierten Luftfahrzeuge Sorge zu tragen, ist das Flaggenprinzip völkerrechtlich anerkannt.207 Art. 3 Abs. 1 und 2 des Tokioter Abkommens, dessen Ziel die Verhinderung von Straflosigkeit von Taten in Luftfahrzeugen ist, verpflichtet die Vertragsstaaten sogar dazu, die Geltung des eigenen Strafrechts unabhängig vom Tatort auf alle – ___________ LK-StGB-Gribbohm, § 4 Rn. 6. Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 14, 26; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 385; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 255, 272 f., 296; SK-StGB-Hoyer, § 4 Rn. 1; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 28 ff. 204 Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 31, § 4 Rn. 9; LK-StGB-Gribbohm, § 4 Rn. 47; SK-StGB-Hoyer, § 4 Rn. 2; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 482. 205 Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 16, 18. 206 Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 5; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 273, § 4 Rn. 1. 207 Vgl. Schönke/Schröder-Eser, § 4 Rn. 2. 202 203
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nach dem eigenen Strafrecht tatbestandsmäßigen – Taten zu erstrecken, die an Bord eines in diesem Staat eingetragenen Luftfahrzeugs begangen werden. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, daß für in Luftfahrzeugen begangene Taten zumindest das Strafrecht des Registrierungsstaates gilt.208 An Bord von „ausländischen“ Luftfahrzeugen begangene Taten können bei einer Tatbegehung in einem gebietshoheitsfreien (und damit keiner – territorialen – Strafgewalt unterworfenen) Luftraum im Einzelfall aber ebenfalls der deutschen Strafgewalt unterfallen, etwa nach § 7 Abs. 1 oder 2 StGB bei deutscher Staatsangehörigkeit des Opfers oder des Täters. Art. 3 Abs. 3 des Tokioter Abkommens betont ausdrücklich, daß die – durch das Abkommen gebotene – Strafgewalt des Eintragungsstaates nicht exklusiv ist, sondern Staaten – im Rahmen der vom sonstigen Völkerrecht gezogenen Grenzen – auch Strafgewalt über Taten an Bord von fremden Luftfahrzeugen begründen dürfen. Besonders hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf § 316c StGB. Für die von dieser Norm erfaßten Taten gilt das deutsche Strafrecht nach § 6 Nr. 3 StGB weltweit und an Bord aller Luftfahrzeuge. Mit dieser extraterritorialen Strafgewalterstreckung nach dem Weltrechtsprinzip kommt die BRD im wesentlichen ihrer durch die Ratifikation des Haager und des Montrealer Abkommens eingegangenen völkervertraglichen Verpflichtungen nach. Das Haager Übereinkommens verpflichtet die Vertragsstaaten, die gewaltsame oder durch Drohung mit Gewalt oder durch sonstige Einschüchterung begangene Inbesitznahme eines im Flug befindlichen Luftfahrzeugs sowie die versuchte Tatbegehung und die Teilnahme an einer solchen Tat – also „Flugzeugentführungen“ – unter Strafe zu stellen.209 Das Montrealer Abkommen verpflichtet dazu, verschiedenartige weitere Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt unter Strafe zu stellen, unter anderem gewalttätige Handlungen gegen Personen an Bord von im Flug befindlichen Luftfahrzeugen, Zerstörungen oder sicherheitsrelevante Beschädigungen von Luftfahrzeugen sowie die Anbringung von Vorrichtungen an im Einsatz befindlichen Luftfahrzeugen, die diese zu zerstören oder so zu beschädigen geeignet sind, ___________ 208 LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 53 f.; Jescheck, GA 1981, 49 (65); Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 491; Schmidt-Ränsch, ZLW 13 (1964), 75 (86 ff.); Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 159 ff.; Zlatariü, in: Oehler/Pötz (Hrsg.), FS Grützner, S. 160 (164 ff.). Der Anwendungsbereich des Tokioter Abkommens beschränkt sich jedoch gemäß Art. 1 Abs. 2 auf Taten, die während eines Fluges i.S.d. Art. 1 Abs. 3 oder am Boden eines keiner Gebietshoheit unterworfenen Raumes begangen werden, während § 4 StGB – anders als Schönke/Schröder-Eser, § 4 Rn. 6a annimmt – eine solche Einschränkung nicht enthält. Das Tokioter Abkommen verpflichtet die Staaten nur, die Geltung des eigenen Strafrechts auf Taten zu erstrecken, die an Bord bei ihm registrierter und in der Luft bzw. am Boden gebietshoheitsfreier Räume befindlicher Luftfahrzeuge begangen werden, nicht aber dazu, jede danach strafbare Tat auch tatsächlich zu verfolgen; vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 52; Jescheck, GA 1981, 49 (65); Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 160 f. Anders LK-StGB-Gribbohm, § 4 Rn. 50. 209 Vgl. Schmidt-Ränsch, ZLW 20 (1971), 63 (68 ff.); Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 209 ff.
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daß die Flugsicherheit gefährdet ist.210 Soweit die nach dem Montrealer Abkommen unter Strafe zu stellenden Handlungen nicht bereits von § 316c StGB erfaßt werden, finden die übrigen einschlägigen Straftatbestände des StGB gemäß § 6 Nr. 9 StGB nach dem Weltrechtsprinzip auch bei Tatbegehung außerhalb des deutschen Staatsgebiets Anwendung.211 c) Materielle Strafgewalt im Bereich eines fremden Staatsgebiets Taten, die an Bord von Luftfahrzeugen begangen werden, die sich zur Tatzeit im Luftraum oder am Boden eines fremden Staates befinden, werden unter den gleichen Voraussetzungen vom deutschen Strafrecht erfaßt wie Taten, die im Luftraum über der Hohen See und ausschließlichen Wirtschaftszonen verübt werden. Während Taten an Bord von „deutschen“ Luftfahrzeugen bereits nach § 4 StGB dem deutschen Strafrecht unterfallen, kann bei Taten an Bord von fremden Luftfahrzeugen deutsche materielle Strafgewalt nach den §§ 5 ff. StGB gegeben sein. 2. Reichweite deutscher Strafgerichtsbarkeit an Bord von Luftfahrzeugen und bezüglich in Luftfahrzeugen begangener Taten a) Strafgerichtsbarkeit im Bereich des deutschen Staatsgebiets Hinsichtlich der Ausübung deutscher Strafgerichtsbarkeit im Bereich des deutschen Staatsgebiets ist zu differenzieren zwischen Maßnahmen außerhalb von Luftfahrzeugen und solchen an Bord von Luftfahrzeugen. ___________ Vgl. Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 256 ff. 211 Vgl. LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 55 ff. Das Haager und das Montrealer Abkommen verpflichten allerdings nicht zu einer generellen Geltungserstreckung des nationalen Strafrechts auch auf alle Auslandstaten nach dem Weltrechtsprinzip. Wie bei völkerrechtlichen Verträgen, die Strafverfolgungspflichten normieren, üblich, wird einerseits lediglich bestimmt, welche Arten von Taten tatbestandsmäßig unter Strafe zu stellen sind, und andererseits festgelegt, wann (prozessual) die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit zu erfolgen hat. Letzteres ist nach beiden Abkommen im wesentlichen dann der Fall, wenn die Tat im Hoheitsgebiet des betreffenden Vertragsstaates oder an Bord eines bei ihm registrierten Fahrzeugs begangen wird, wenn das Luftfahrzeug, in dem die Tat begangen wurde, mit dem Tatverdächtigen an Bord im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates landet oder der Verdächtige sich im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates befindet und nicht ausgeliefert wird (Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 bzw. Art. 5); vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 53; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 56, 59, § 4 Rn. 50 f.; Jescheck, GA 1981, 49 (66); Schmidt-Ränsch, ZLW 20 (1971), 63 (68 ff.). Doch sehen die Abkommen vor, daß eine darüber hinausgehende Strafgerichtsbarkeit, die nach nationalem Recht ausgeübt wird, nicht ausgeschlossen wird (Abs. 3 von Art. 4 bzw. von Art. 5). Damit ist es der Bundesrepublik völkerrechtlich gestattet, über § 6 Nr. 9 StGB die materielle Strafgewalt nach dem Weltrechtsprinzip (der Einfachheit halber) auf alle Auslandstaten zu erstrecken, die tatbestandlich vom Haager und Montrealer Abkommen erfaßt werden. Vgl. allgemein zur Bedeutung des § 6 Nr. 9 StGB Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 249 f. mit Fn. 1051. 210
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Außerhalb von Luftfahrzeugen sind der Vornahme von strafprozessualen Maßnahmen wegen an Bord begangener Straftaten keine besonderen völkerrechtlichen Schranken gesetzt. Restriktionen der Art, wie sie nach Art. 97 Abs. 1 SRÜ bei der Ahndung von Straftaten im Zusammenhang mit Schiffszusammenstößen auf Hoher See zu beachten sind, gibt es bezüglich Taten an Bord von Luftfahrzeugen nicht. Sofern sich ein Luftfahrzeug nicht in der Luft bewegt, sondern im Bereich eines deutschen Flughafens abgestellt ist oder sich nach einer Notlandung oder einem Absturz auf deutschem Boden befindet, sind strafprozessuale Maßnahmen an Bord im Rahmen der StPO ebenfalls ohne besondere völkerrechtliche Schranken zulässig. Ein an Bord eines gelandeten Flugzeugs befindlicher Tatverdächtiger darf also dort verhaftet werden, ein gelandetes oder abgestürztes Flugzeug darf durchsucht werden.212 Völkerrechtliche Schranken für die Vornahme strafprozessualer Maßnahmen gegen Luftfahrzeuge oder an Bord von Luftfahrzeugen existieren nur bezüglich in der Luft befindlicher Fahrzeuge, die in fremden Staaten registriert sind. Im Grundsatz gilt allerdings, daß vorbehaltlich expliziter anderweitiger völkervertraglicher Regelungen auch an Bord von im deutschen Luftraum fliegenden Luftfahrzeugen oder gegen solche strafprozessuale Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden dürfen, wobei irrelevant ist, ob das Luftfahrzeug berechtigt oder unberechtigt im deutschen Luftraum verkehrt und ob es sich um ein Fahrzeug deutscher oder fremder Staatszugehörigkeit handelt. So dürfen beispielsweise an Bord von Luftfahrzeugen als „Flugsicherheitsbegleiter“ mitfliegende deutsche Polizeibeamte („Sky Marshalls“) im deutschen Luftraum Verhaftungen durchführen.213 ___________ Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 188 f., 194. 213 Allerdings können solche repressiven Maßnahmen nicht auf § 4a BPolG i.V.m. §§ 14, 39 ff. BPolG gestützt werden. Diese Normen ermächtigen nur zu präventiv-polizeilichem Handeln. Ermächtigungsgrundlage für die Vornahme repressiver Maßnahmen durch Beamte der Bundespolizei sind die allgemeinen strafprozessualen Befugnisnormen für Polizeibeamte i.V.m. § 12 BPolG. Zudem darf der Luftfahrzeugkommandant aufgrund seiner Bordgewalt während des Fluges Sicherungsmaßnahmen durchführen; siehe Art. 6 des Tokioter Abkommens (vgl. in bezug auf präventive Maßnahmen zudem § 29 Abs. 3 LuftVG). Zur Bordgewalt des Luftfahrzeugkommandanten vgl. Giemulla, in: Giemulla/ Schmid, Luftverkehrsgesetz, § 29 Rn. 50 ff., insb. Rn. 59; ders., ZLW 2002, 528 (529 ff.); Hofmann/Grabherr, Luftverkehrsgesetz-Kommentar, § 29 Rn. 38 ff.; Schwenk, Handbuch Luftverkehrsrecht, S. 338, 342 f.; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 178 ff.; Zlatariü, in: Oehler/Pötz (Hrsg.), FS Grützner, S. 160 (168 ff.). Im Hinblick auf Maßnahmen in Ausübung der Bordgewalt nach Art. 6 des Tokioter Abkommens genießen die handelnden Personen nach Art. 10 des Abkommens im übrigen eine Freistellung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, die durchaus als Immunität begriffen werden kann. Da das Völkergewohnheitsrecht fremden Staaten die Vornahme von Hoheitshandlungen an Bord eigener Luftfahrzeuge auch in fremdem Hoheitsgebiet gestattet (vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 326), dürfen im übrigen auch in fremden Luftfahrzeugen mitfliegende ausländische Sicherheitsbeamte bzw. deren Luftfahrzeugkommandanten in Ausübung ihrer Bordgewalt nach den Gesetzen 212
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Grundsätzlich darf ein Luftfahrzeug während des Durchflugs durch den deutschen Luftraum zur Landung aufgefordert werden, wenn sich herausstellt, daß sich eine gesuchte Person an Bord befindet. Allerdings unterliegen solche Maßnahmen allgemeinen völkerrechtlichen Schranken in zweierlei Hinsicht. Zum einen ist gemäß Art. 3bis1 des Chicagoer Abkommens der Einsatz von Waffengewalt gegen Zivilluftfahrzeuge untersagt,214 zum anderen gebietet es das Verhältnismäßigkeitsprinzip, bei Luftfahrzeugen, die ohnehin im eigenen Staatsgebiet landen wollen, von einer Aufforderung zur außerplanmäßigen Flugunterbrechung abzusehen sowie zur Landung nur bei Maßnahmen wegen besonders schwerer Straftaten aufzufordern. Für Deutschland scheiden (strafrechtliche) Zwangsmaßnahmen gegen fremde Flugzeuge in der Luft aber ohnehin aus. Die Luftwaffe, die allein die technischen Mittel zum Abfangen von Luftfahrzeugen besitzt, darf gemäß Art. 87a Abs. 2 GG nicht zur Unterstützung der Strafverfolgungsbehörden tätig werden.215 Eine völkervertragliche Beschränkung der Zulässigkeit strafprozessualer Maßnahmen enthält jedoch Art. 4 des Tokioter Abkommens: Ein Vertragsstaat darf ein Luftfahrzeug fremder Staatszugehörigkeit im Flug nicht behindern, um seine Strafgerichtsbarkeit über eine an Bord begangene strafbare Handlung auszuüben, es sei denn, die Handlung a) wirkt sich im Hoheitsgebiet dieses Staates aus, b) ist von einem oder gegen einen eigenen Staatsangehörigen oder von oder gegen eine Person mit ständigem Aufenthalt im eigenen Staat begangen worden, c) richtet sich gegen die Sicherheit des Staates, d) besteht in der Verletzung von Luftverkehrsvorschriften oder aber e) unterliegt einer völkervertraglichen Verfolgungspflicht. Diese Regelung ist vergleichbar mit der Beschränkung der Zulässigkeit strafprozessualer Maßnahmen an Bord von fremden Schiffen im Küstenmeer nach ___________ des Registerstaates bzw. nach Art. 6 des Tokioter Abkommens in diesen Luftfahrzeugen während des Aufenthalts in deutschem Staatsgebiet hoheitliche Maßnahmen und damit auch vorläufige Festnahmen und sonstige strafrechtliche Sicherungsmaßnahmen durchführen (vgl. § 1a Abs. 2 LuftVG). Teilweise a.A. aber Giemulla, ZLW 2002, 528 (532). 214 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 440; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 47 ff.; Milde, Sovereignty over Airspace, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 521 (523); Schwenk, Handbuch Luftverkehrsrecht, S. 196 f. Im Anschluß an die Anschläge vom 11.9.2001 in den USA, bei denen Zivilluftfahrzeuge von Terroristen als Waffen zweckentfremdet wurden, wird es jedoch weithin für völkerrechtlich zulässig erachtet, in solchen Fällen gegen (zweckentfremdete) Zivilluftfahrzeuge Waffengewalt einzusetzen. 215 Das BVerfG hat am 15.2.2006 das Luftsicherheitsgesetz (BGBl. 2005 I, S. 78), das der Luftwaffe erlauben wollte, zur Abwehr terroristischer Angriffe Waffengewalt gegen Zivilluftfahrzeuge einzusetzen, für nichtig erklärt (1 BvR 357/05). Vgl. bzgl. Maßnahmen gegen im Flug befindliche Luftfahrzeuge auch Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 196 ff.
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Art. 27 SRÜ. Eine Auswirkung der Tat im Hoheitsgebiet eines Staates wird jedoch nicht schon dann angenommen werden dürfen, wenn ein Verstoß gegen dessen Rechtsordnung vorliegt, sondern nur, wenn die Tat sichtbare Auswirkungen im Staatsgebiet hat. Das wäre beispielsweise beim Abwurf gefährlicher und Schäden verursachender Gegenstände der Fall. Zudem begrenzt auch hier das Verbot des Einsatzes von Waffengewalt zulässige Maßnahmen, so daß sich von Art. 4 des Tokioter Abkommens erlaubte Maßnahmen auf eine Aufforderung zur außerplanmäßigen Landung beschränken dürften.216 Ungeklärt ist, inwieweit Art. 4 des Tokioter Abkommens auch strafprozessuale Maßnahmen wegen Taten verbietet, die außerhalb des Luftfahrzeugs begangen wurden, also etwa ein Eingreifen zur Verhaftung einer an Bord befindlichen Person untersagt, die wegen einer früher im Staatsgebiet des strafverfolgenden Staates begangenen Straftat gesucht wird. Man könnte argumentieren, Art. 4 des Tokioter Abkommens lege abschließend fest, wann strafprozessuale Maßnahmen gegen im Flug befindliche Luftfahrzeuge statthaft seien. Doch ist ausdrücklich von „an Bord begangenen strafbaren Handlungen“ die Rede, über sonstige Taten schweigt das Tokioter Abkommen. Zwar enthält Art. 27 SRÜ insofern eine abgestufte Regelung für die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit, als Maßnahmen wegen an Bord und während der Durchfahrt durch das Küstenmeer begangener Taten in bestimmten Fällen statthaft sind, während wegen vorher begangener Taten überhaupt nicht eingeschritten werden darf, so daß man Art. 4 des Tokioter Abkommens in Anlehnung an Art. 27 SRÜ so auslegen könnte, daß wegen außerhalb des Fahrzeugs begangener Taten gar nicht eingeschritten werden dürfe. Doch fehlt für eine solche Interpretation jeglicher Anknüpfungspunkt in Art. 4 des Tokioter Abkommens, während Art. 27 SRÜ eine detaillierte Regelung der verschiedenen Fallkonstellationen enthält.217 Deshalb kann eine über den Wortlaut hinausreichende Einschränkung der völkergewohnheitsrechtlich unbeschränkten, aus der Lufthoheit resultierenden Befugnis zur Vornahme strafprozessualer Maßnahmen aus Art. 4 des Tokioter Abkommens nicht abgeleitet werden. b) Strafgerichtsbarkeit im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszonen und der Hohen See Die Rechtsstellung von Luftfahrzeugen im Luftraum über der Hohen See und über ausschließlichen Wirtschaftszonen entspricht im wesentlichen der von Schiffen während ihres Aufenthalts in diesen Meeresgebieten. Die „Freiheit der Hohen ___________ 216 Vgl. zu Art. 4 des Tokioter Abkommens Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S.171 ff. 217 Auch eine Argumentation a fortiori führt nicht weiter. Die These, wenn schon Maßnahmen wegen an Bord begangener Taten nur sehr eingeschränkt zulässig seien, müsse dies für außerhalb eines Luftfahrzeugs und damit zeitlich weiter zurückliegende Taten erst recht gelten, vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil je nach Art und Schwere der Tat ein staatliches Strafverfolgungsinteresse bei einer Tat der zweiten Kategorie größer und legitimer sein kann als bei einer an Bord des Luftfahrzeugs begangenen Tat.
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See“ umfaßt nach Art. 87 Abs. 1 lit. b) SRÜ auch die „Freiheit des Überflugs“. Gemäß Art. 58 Abs. 1 SRÜ gilt dies auch für ausschließliche Wirtschaftszonen. In diesen Gebieten darf ein Staat daher Hoheitsgewalt und damit auch Strafgerichtsbarkeit grundsätzlich nur gegen Luftfahrzeuge und an Bord von Luftfahrzeugen seiner Staatszugehörigkeit ausüben.218 Deutsche Bundespolizeibeamte, die (gemäß § 4a BPolG) als Flugsicherheitsbegleiter in deutschen Flugzeugen mitfliegen, dürfen demnach in diesen Lufträumen an Bord strafprozessuale (wie auch präventivpolizeiliche) Maßnahmen vornehmen.219 Als aber US-amerikanische Militärflugzeuge am 10. Oktober 1985 eine ägyptische Boeing 737 über der Hohen See abfingen und zur Landung auf einem US-Militärstützpunkt in Italien zwangen, weil sich an Bord die Entführer des Kreuzfahrtschiffs Achille Lauro befanden, die man wegen des Erschießens eines US-Bürgers im Lauf der Entführung strafrechtlich zur Verantwortung ziehen wollte, wurde diese Aktion zu Recht überwiegend als völkerrechtswidrig angesehen.220 Ähnlich wie das Verbot der Ausübung von Hoheitsgewalt gegenüber fremden Schiffen im Gebiet der Hohen See und ausschließlicher Wirtschaftszonen gilt aber auch das Verbot der Vornahme von Maßnahmen gegen fremde Luftfahrzeuge oder an Bord fremder Luftfahrzeuge im Luftraum über diesen Räumen nicht ohne Ausnahme: Nach Art. 105 SRÜ darf jeder Staat nicht nur „Seeräuberschiffe“, sondern auch „Seeräuberluftfahrzeuge“ aufbringen, an Bord befindliche Personen festnehmen und Gegenstände beschlagnahmen. Die sonstige Schiffe betreffenden Ausnahmen gelten jedoch für Luftfahrzeuge nicht.221 So gilt beispielsweise das „Recht auf Nacheile“ gemäß Art. 111 SRÜ nur gegenüber Schiffen, nicht gegenüber Luftfahrzeugen.222
___________ MK-StGB-Ambos, § 4 Rn. 20; Doehring, Völkerrecht, Rn. 550; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 16, 18, 51; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 200 f. Das gleiche gilt für den ebenfalls hoheitsfreien Luftraum über der Antarktis sowie auf dem Landgebiet der Antarktis (zur Rechtsstellung der Antarktis siehe Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 478 ff.). 219 Von praktischer Relevanz hinsichtlich hoheitlicher Maßnahmen an Bord deutscher Luftfahrzeuge ist zudem die Bordgewalt des Luftfahrzeugkommandanten (vgl. oben Anm. 213), die auch außerhalb des deutschen Hoheitsgebiets fortgilt; vgl. § 1a Abs. 1 LuftVG und Giemulla, in: Giemulla/Schmid, Luftverkehrsgesetz, § 29 Rn. 63. Teilweise a.A. aber Giemulla, ZLW 2002, 528 (532, 540). 220 Vgl. Cassese, Achille Lauro Affair, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 10 (10 ff.); Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 19 f.; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 54 Rn. 16. 221 MK-StGB-Ambos, § 4 Rn. 20; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 20. 222 Doehring, Völkerrecht, Rn. 550; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 21; Häußler, JA 2002, 817 (821); Hailbronner, Schutz der Luftgrenzen, S. 100 ff. 218
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c) Strafgerichtsbarkeit im Bereich fremdstaatlicher Gebietshoheit Im Bereich fremdstaatlicher Gebietshoheit, sei es im Luftraum über fremdem Territorium, sei es am Boden eines fremden Staates, sind strafprozessuale Zwangsmaßnahmen aufgrund des völkerrechtlichen Verbots der Ausübung von Hoheitsgewalt in fremdem Staatsgebiet ohne Einwilligung des Territorialstaates prinzipiell unzulässig. Eine Ausnahme gilt jedoch an Bord von Luftfahrzeugen eigener Staatszugehörigkeit. Hier darf, auch wenn Luftfahrzeuge nicht als Teil des eigenen Staatsgebiets betrachtet werden dürfen, der Registrierungsstaat auch bei einem Aufenthalt im Ausland Hoheitsgewalt ausüben.223 So dürfen etwa als Flugsicherheitsbegleiter in deutschen Luftfahrzeugen mitfliegende deutsche Polizeibeamte auch bei einem Aufenthalt in fremdem Staatsgebiet an Bord Verhaftungen durchführen und darf der Flugkapitän seine Bordgewalt ausüben, die nicht nur zu Maßnahmen der Gefahrenabwehr berechtigt, sondern auch zum Festhalten von Personen zum Zweck der Sicherung einer Strafverfolgung.224
___________ Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 326; Hofmann/Grabherr, Luftverkehrsgesetz-Kommentar, § 29 Rn. 43. Vgl. aber auch Giemulla, ZLW 2002, 528 (532, 535 f., 540 f.), der meint, im Bereich fremder Hoheitsgewalt richteten sich die Kompetenzen zur Vornahme von repressiven und präventiv-polizeilichen Maßnahmen an Bord eines Luftfahrzeugs allein nach Art. 6 des Tokioter Abkommens. Demnach wäre ausschließlich der Luftfahrzeugskommandant, nicht jedoch ein als Flugsicherheitsbegleiter mitfliegender Polizeibeamter zur selbständigen Ausübung von Zwangsgewalt berechtigt. Der Polizeibeamte könnte aber vom Luftfahrzeugskommandanten nach § 6 Abs. 2 des Tokioter Abkommens beauftragt bzw. ermächtigt werden, Maßnahmen durchzuführen. Allerdings gestattet Art. 6 des Tokioter Abkommens keinen Schußwaffengebrauch. 224 Strafprozessuale Maßnahmen von Polizeibeamten an Bord deutscher Luftfahrzeuge außerhalb des deutschen Staatsgebiets haben sich selbstverständlich nach der StPO zu richten, so daß deren Geltung nicht auf das Staatsgebiet der BRD beschränkt ist. Vgl. hierzu schon oben Anm. 78 und Anm. 89. Der Flugkapitän ist nicht nur aufgrund seiner Bordgewalt (§ 29 Abs. 3 LuftVG) zur Vornahme von Gefahrenabwehrmaßnahmen befugt, sondern – anders als ein Schiffskapitän, der sich bei repressiven Maßnahmen lediglich auf § 127 Abs. 1 StPO stützen kann – aufgrund der ihm durch Beleihung nach Art. 6 des Tokioter Abkommens verliehenen besonderen Befugnisse auch zum Eingreifen an Bord zwecks Sicherstellung einer Strafverfolgung berechtigt, und zwar auch in fremdem Staatsgebiet. Im Konfliktfall setzt sich allerdings die ausländische Hoheitsgewalt durch, womit sich die Bordgewalt in fremdem Staatsgebiet der territorialen Hoheitsgewalt dieses Staates unterzuordnen hat. Vgl. § 1a Abs. 1 LuftVG, der ausdrücklich die extraterritoriale Geltung der Normen des LuftVG anordnet, sowie oben Anm. 213 und Giemulla, in: Giemulla/ Schmid, Luftverkehrsgesetz, § 29 Rn. 64; Hofmann/Grabherr, LuftverkehrsgesetzKommentar, § 29 Rn. 43; Schwenk, Handbuch Luftverkehrsrecht, S. 56, 343. Anders als hier Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 271. 223
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3. Reichweite der Exemtion für Staatsluftfahrzeuge sowie deren Besatzungsmitglieder und Passagiere Die soeben aufgezeigten Grenzen für die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit gegen Luftfahrzeuge oder an Bord von Luftfahrzeugen sind – auch terminologisch – von der besonderen Exemtion zu unterscheiden, die nach Völkerrecht sogenannten Staatsluftfahrzeugen zukommt. Inhaltliche Regelungen zu deren Exemtion gibt es im Völkervertragsrecht nicht. Die erwähnten völkerrechtlichen Verträge legen vielmehr alle nur fest, daß sich ihr Anwendungsbereich nicht auf Staatsluftfahrzeuge erstreckt.225 Die Reichweite der Exemtion solcher Fahrzeuge bestimmt sich daher ausschließlich nach Völkergewohnheitsrecht. Die ihnen danach zukommenden Befreiungen stimmen mit denen überein, die Staatsschiffen gewährt werden.226 Dies ist, da zwischen Staatsschiffen und Staatsluftfahrzeugen abgesehen von der technischen Art der Fortbewegung kein völkerrechtlich relevanter Unterschied besteht, auch konsequent und naheliegend. In der Staatspraxis sind daher Fälle des Umgangs mit einer Art von Staatsfahrzeugen regelmäßig und legitimerweise auch zur Bestimmung des Umfangs der Exemtion der jeweils anderen Art von Staatsfahrzeugen herangezogen worden. Im folgenden kann somit überwiegend auf die Ausführungen zur Exemtion von Staatsschiffen Bezug genommen werden. a) Arten von Staatsluftfahrzeugen Der Begriff „Staatsluftfahrzeug“ wird im Völkerrecht in einem weiten und einem engen Sinne verwandt. Im weiten Sinne fallen unter diese Bezeichnung sowohl alle einem Staat gehörenden bzw. von ihm betriebenen Luftfahrzeuge als auch alle Luftfahrzeuge, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. In diesem Sinne zählen auch Luftfahrzeuge, die von einem Staat gleich einem Privatunternehmen kommerziell zum Zweck des Transports von Sachen und Personen verwendet werden, zu den Staatsluftfahrzeugen. Im engen Sinne sind Staatsluftfahrzeuge nur solche, die – unabhängig davon, in wessen Eigentum sie stehen – von einem Staat oder im Auftrag eines Staates für nichtkommerzielle Zweck, also zur unmittelbaren Erfüllung hoheitlicher Aufgaben, eingesetzt werden.227 Dieser enge Begriff liegt den hier ___________ Vgl. Art. 3 lit. a) des Chicagoer Abkommens, Art. 1 Abs. 4 des Tokioter Abkommens, Art. 3 Abs. 2 des Haager Abkommens und Art. 4 Abs. 1 des Montrealer Abkommens. Anders noch Art. 30 ff. der Pariser Luftfahrtkonvention (vgl. oben Anm. 190). 226 So auch Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 29; Hailbronner, State Aircraft, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 605 (606); Klein, Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge, S. 39, 53, 58; Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 287. 227 Vgl. Bentzin, Der unerlaubte Einflug von Luftfahrzeugen, S. 30 ff.; Hailbronner, State Aircraft, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 605 (605); Meyer, Staatsflugzeuge, in: Strupp/ Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 331 (331); Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 153 f. Zum Begriff der hoheitlichen Aufgabe im vorliegenden Kontext vgl. oben Anm. 95. 225
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erwähnten völkerrechtlichen Verträgen zugrunde. So heißt es in Art. 3 lit. b) des Chicagoer Abkommens: „Luftfahrzeuge, die im Militär-, Zoll- und Polizeidienst verwendet werden, gelten als Staatsluftfahrzeuge.“228 Doch kann diese Aufzählung nicht als abschließend angesehen werden. Dem Ziel entsprechend, solche Fahrzeuge von der Anwendung der Abkommen auszuschließen, die der unmittelbaren Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dienen, müssen beispielsweise auch Luftfahrzeuge, die dem Transport von staatlichen Funktionsträgern dienen, Feuerlöschflugzeuge oder im Seenotrettungsdienst eingesetzte Fahrzeuge zu den Staatsluftfahrzeugen im engeren Sinne gezählt werden, und zwar auch dann, wenn sie – was allerdings selten der Fall ist – nicht dem Militär oder der Polizei zugeordnet sind.229 b) Grundsätzliches zur Exemtion von Staatsluftfahrzeugen Auch die Exemtion für Staatsluftfahrzeuge wird überwiegend als Ausprägung oder Unterfall der Staatenimmunität angesehen.230 Schon daraus ergibt sich der heute unbestrittene Ausschluß der kommerziellen Zwecken dienenden staatlichen Luftfahrzeuge von der Exemtion. Ebenso wie Staatshandelsschiffe genießen auch „Staatshandelsluftfahrzeuge“ keinerlei Exemtion. Dies zeigt sich schon daran, daß den relevanten völkerrechtlichen Verträgen die enge Definition des Staatsluftfahrzeugs zugrunde liegt und diese – in Einklang mit geltendem Völkergewohnheitsrecht – Staatshandelsluftfahrzeuge wie Privatluftfahrzeuge behandeln.231 Soweit im folgenden von Staatsluftfahrzeugen die Rede ist, wird daher von der engen Definition eines hoheitlichen Zwecken dienenden Luftfahrzeugs ausgegangen. Bei der Erläuterung der Exemtion für Staatschiffe wurde jedoch bereits festgestellt, daß die Einstufung der Exemtion von Staatsfahrzeugen als Unterfall der Staatenimmunität nicht in allen Fällen zu überzeugen vermag. Aber auch die gebotene funktionale Begründung, nach der die Exemtion für Staatsluftfahrzeuge dazu dienen soll, diesen eine von fremdstaatlicher Hoheitsgewalt unbeeinträchtigte Wahrnehmung ihrer staatlichen Aufgaben zu ermöglichen,232 führt zu einem Ausschluß von Staatshandelsluftfahrzeugen von der Exemtion. Staatsluftfahrzeuge können ebensowenig wie Staatsschiffe als „mobile Gebietsteile“ angesehen werden.233 Eine solche Auffassung ist zur rechtskonstruktiven ___________ 228 Auch Art. 1 Abs. 4 des Tokioter Abkommens, Art. 3 Abs. 2 des Haager Abkommens und Art. 4 Abs. 1 des Montrealer Abkommens sprechen übereinstimmend von „Luftfahrzeugen, die im Militär-, Zoll- oder Polizeidienst verwendet werden“. 229 So auch Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 29. 230 Vgl. die Nachw. oben in Anm. 98. 231 So auch schon Art. 30 Abs. 3 der Pariser Luftfahrtkonvention (vgl. oben Anm. 190). 232 Vgl. Wille, Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 287. 233 LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 255, 272, 296; SK-StGB-Hoyer, § 4 Rn. 3; KKOWiG-Rogall, § 5 Rn. 26.
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Begründung der Exemtion nicht geeignet, da sie nicht zu erklären vermag, warum diese Exemtion in einzelnen Fällen völkerrechtlich anerkannte Ausnahmen erfährt. Vielmehr ist die Exemtion als solche unmittelbarer Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts. Diese Feststellungen bedeuten zunächst, daß sich nicht nur deutsche, sondern auch fremde Staatsluftfahrzeuge, die sich im deutschen Luftraum oder auf deutschem Territorium aufhalten, im Inland befinden. Für an Bord dieser Fahrzeuge begangene Straftaten gilt das deutsche Strafrecht damit über § 3 StGB, denn die materielle Strafgewalt ist wie bei Staatsschiffen auch gegenüber Staatsluftfahrzeugen in keiner Weise durch die Exemtion beschränkt.234 Die Ausführungen zur Reichweite der materiellen Strafgewalt bei Taten an Bord von Schiffen oben in § 21 II.1. gelten daher auch in bezug auf Staatsluftfahrzeuge, wobei allerdings zu beachten ist, daß die Verträge, die Verpflichtungen zur Begründung nationaler Strafgewalt enthalten,235 Staatsluftfahrzeuge – wie erwähnt – ausdrücklich aus ihrem Regelungsbereich ausschließen. Wie bei Staatsschiffen ist dagegen die Strafgerichtsbarkeit grundsätzlich ausgeschlossen. An Bord von fremden Staatsluftfahrzeugen und gegen solche dürfen keine strafprozessualen Maßnahmen vorgenommen werden.236 Die Luftfahrzeuge dürfen gegen den Willen des Registrierungsstaates nicht betreten und damit nicht durchsucht sowie nicht beschlagnahmt werden. Von dieser Exemtion partizipieren – ebenso wie von der Exemtion der Staatsschiffe – auch die Besatzungsmitglieder und Passagiere, ohne daß ihnen aber eine eigenständige und ihrer Person allein aufgrund ihrer Eigenschaft als Passagier oder Besatzungsmitglied zugeordnete Ex___________ 234 Schönke/Schröder-Eser, § 4 Rn. 9; SK-StGB-Hoyer, § 4 Rn. 2 f.; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 482. 235 Vgl. oben § 21 II.1.b). 236 Vgl. zum Umfang der Exemtion LR-StPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 4; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 20 GVG Rn. 2; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 13; Meyer, Staatsflugzeuge, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 331 (332); Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 541 sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. III.F.1. Selbstverständlich gilt die Exemtion nur für Staatsluftfahrzeuge fremder Staaten. Gegenüber Staatsluftfahrzeugen des eigenen Staates sind strafprozessuale Maßnahmen ohne völkerrechtliche Schranken zulässig; vgl. oben Anm. 122. Es ist allerdings ungeklärt – da die Frage von der Völkerrechtswissenschaft bislang nicht erörtert und in der Staatspraxis nicht relevant geworden ist –, ob auch Luftfahrzeuge von Internationalen Organisationen gewohnheitsrechtliche Exemtion genießen (vgl. zu den Schiffen internationaler Organisationen oben Anm. 122). Bislang haben lediglich die Vereinten Nationen unter dem Zeichen einer Organisation fliegende Luftfahrzeuge genutzt. Luftfahrzeuge der Vereinten Nationen genießen jedoch bereits nach Art. II Abschn. 3 des Übereinkommens über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen vom 13.2.1946 (BGBl. 1980 II, S. 943) eine vollständige Freistellung von staatlicher Hoheitsgewalt; vgl. YBILC 1967 II, 154 (215) (UNDokument A/CN.4./L.118). Bezüglich dieser Luftfahrzeuge kommt es also auf eine völkergewohnheitsrechtliche Exemtion nicht an.
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emtion zukommt. Solange sich diese Personen – aber auch sonstige Personen, etwa Besucher – an Bord von Staatsluftfahrzeugen aufhalten, sind sie dort vor strafprozessualen Maßnahmen eines anderen als des Registrierungsstaates geschützt. Da die Exemtion generell die Ausübung von Hoheitsgewalt durch einen fremden Staat an Bord verbietet, unterliegen sie dort nicht der Strafgerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates des Luftfahrzeugs und dürfen dort weder durchsucht noch verhaftet werden. Sobald sie sich aber von Bord begeben, dürfen gegen Besatzungsmitglieder und Passagiere von Staatsluftfahrzeugen strafprozessuale Maßnahmen ergriffen werden; es sei denn, eine andere Exemtion – etwa die Staatenimmunität, sofern es um Handlungen geht, die als hoheitlich-dienstliche Handlungen der Gerichtsbarkeit fremder Staaten entzogen sind – bewirkt als Immunität ratione materiae eine Freistellung von Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit.237 So darf beispielsweise der Pilot eines Staatsflugzeugs, mit dem ein fremdes Staatsoberhaupt zum Staatsbesuch in die Bundesrepublik gekommen ist, wegen eines Diebstahls, den er in einem Geschäft im Flughafengebäude begangen hat, an Bord des Flugzeugs nicht festgenommen werden. Auch darf das Flugzeug nicht nach Diebesgut durchsucht werden. Doch darf der Pilot, sofern er bereits im Flughafengebäude angetroffen wird oder später in dieses zurückkehrt, dort festgehalten werden. Ein Pilot eines Militärflugzeugs, der während eines Manövers versehentlich in deutschen Luftraum eingeflogen ist und dort gegen strafbewehrte Luftverkehrsvorschriften verstoßen hat, darf dagegen auch außerhalb seines Flugzeugs – etwa nach einer Notlandung oder bei einer späteren Reise nach Deutschland – nicht für seine Tat strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, unabhängig davon, ob der Einflug als solcher völkerrechtswidrig war oder nicht. Denn sein Flug ist als hoheitlich-dienstliche Handlung von der Staatenimmunität erfaßt; hieraus resultiert eine dauerhafte und örtlich nicht begrenzte Exemtion des Piloten von strafrechtlicher Verantwortlichkeit.238 ___________ 237 Allerdings wird in der strafrechtlichen Literatur Besatzungsmitgliedern von Staatsluftfahrzeugen ebenso wie von Staatsschiffen auch dann Immunität als Besatzungsmitglied zugesprochen, wenn sie sich in geschlossenen Abteilungen an Land befinden. Vgl. LRStPO-Böttcher, § 20 GVG Rn. 4; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 352; Jescheck/ Weigend, Lehrbuch, § 19 III. 1. b); Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 20 GVG Rn. 2; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 20 Rn. 13 sowie das Rundschreiben des BMI „Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen“ vom 17.8.1993 (GMBl. 1993, S. 591; auszugsweise abgedr. u.a. bei KK-StPO-Pfeiffer, § 18 GVG Rn. 12), Abschn. III.F.1. Siehe auch die Ausführungen zu diesem Immunitätsaspekt oben in § 21 I.3.e). 238 Vgl. diesbezüglich auch Hailbronner, Schutz der Luftgrenzen, S. 55 ff. Zu beachten ist natürlich, daß die Staatenimmunität gewisse Ausnahmen erfährt, so etwa bei Spionagetaten nicht gilt. Die von Bentzin, Der unerlaubte Einflug von Luftfahrzeugen, S. 107 f., 146 ff. und Hailbronner, a.a.O., S. 58 f., propagierte generelle Ausnahme von der Staatenimmunität bei jedem unerlaubtem Einfliegen findet aber, wie sie selbst feststellen müssen, in der jüngeren Staatenpraxis keinen Rückhalt. Vielmehr ist hinsichtlich der Staatenimmunität anerkannt, daß diese unabhängig davon ist, ob der Aufenthalt des Beschuldigten im Territorium des an einer Strafverfolgung interessierten Staates bei Tatbegehung berechtigt
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Was die strafrechtlich relevanten Rechtsfolgen einer Mißachtung der Exemtion von Staatsluftfahrzeugen anbelangt, so kann auf die diesbezüglichen Ausführungen zur Exemtion von Staatsschiffen verwiesen werden.239 Dort wurde festgehalten, daß an Bord verhaftete Personen freizulassen, Beschlagnahmen aufzuheben und fortgeschaffte Gegenstände zurückzugeben sind. Dies gilt in gleicher Weise bezüglich völkerrechtswidriger Maßnahmen an Bord von Staatsluftfahrzeugen. Auch insofern gilt jedoch, daß unter Mißachtung der Exemtion erlangte Beweismittel keinem Beweisverwertungsverbot unterliegen. c) Sachliche und räumliche Grenzen der Exemtion aa) Grenzen der Exemtion im Staatsgebiet des strafverfolgenden Staates In der Literatur wird – wie auch hinsichtlich der Exemtion für Staatsschiffe – häufig nur festgestellt, daß Staatsluftfahrzeuge Immunität genössen; auf sachliche oder räumliche Grenzen der Immunität wird nicht – zumindest nicht explizit – eingegangen.240 Lediglich Oehler vertritt die Auffassung, ebenso wie Staatsschiffen in den inneren Gewässern eines fremden Staates gar keine Immunität zukomme, stünde auch Staatsluftfahrzeugen im Luftraum oder am Boden fremder Staaten keine Exemtion zu.241 Doch muß diese Auffassung hier aus den gleichen Gründen wie oben bei der Analyse der Exemtion für Staatsschiffe zurückgewiesen werden.242 Vielmehr gilt es, erneut festzuhalten, daß die Exemtion ein Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts ist, sich also nur die Frage stellt, ob das Völkergewohnheitsrecht Ausnahmen anerkennt. Insofern ist auch bei Staatsluftfahrzeugen zu differenzieren zwischen präventivpolizeilichen Maßnahmen der Gefahrenabwehr und – regelmäßig zeitlich nachfol___________ oder unberechtigt war. Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (258 f.) verweist darauf, daß die Staatenpraxis zu uneinheitlich sei, als daß von einer gesicherten Ausnahme von der Staatenimmunität bei jedem unerlaubten (also auch bei versehentlichem) Einfliegen in fremdes Staatsgebiet ausgegangen werden könne. Da seit dieser Feststellung aber Fälle einer Bestrafung versehentlich in fremden Luftraum eingeflogener Piloten von Staatsluftfahrzeugen nicht mehr zu verzeichnen waren, kann heute sogar die sichere Feststellung getroffen werden, daß eine Ausnahme von der Staatenimmunität in diesen Fällen nicht besteht. Die Fälle, in denen Piloten wegen versehentlichen oder sonstwie unerlaubten Einfliegens in fremden Luftraum auch dann bestraft wurden, wenn ihnen kein Spionagevorwurf gemacht werden konnte, müssen vielmehr als Einzelfälle während des durch den Ost-West-Gegensatz geprägten „Kalten Krieges“ angesehen werden, die keine präjudizierende Wirkung (mehr) haben. 239 Vgl. oben § 21 I.3.f). 240 Vgl. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 29, 51; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 272 f.; Verosta, Exterritorialität, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 1, 499 (501); Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1494. 241 Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 486 f.; ders., ZStW 91 (1979), 395 (408). Unter Verweis auf Oehler ebenso KK-OWiG-Rogall, § 5 Rn. 26. 242 Vgl. oben § 21 I.3.g)aa).
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genden – Maßnahmen der Strafverfolgung. Allerdings erübrigt sich im vorliegenden Zusammenhang eine Differenzierung zwischen einerseits dem Luftraum über dem Landgebiet und den inneren Gewässern sowie andererseits dem Luftraum über dem Küstenmeer. Denn der Luftraum über dem Küstenmeer ist nicht mit einem „Recht auf friedlichen Durchflug“ belastet, sondern in völkerrechtlicher Hinsicht dem Luftraum über dem Landgebiet und den inneren Gewässern gleichgestellt.243 Maßnahmen der unmittelbaren Gefahrenabwehr sind auch gegenüber Staatsluftfahrzeugen statthaft. Dabei wird es primär um Maßnahmen gegen Staatsluftfahrzeuge – vor allem Militärflugzeuge – gehen, die unberechtigt in den Luftraum eines anderen Staates eingeflogen sind. Die Zivilluftfahrzeugen durch multilaterale Verträge gewährten Einflugrechte gelten für Staatsluftfahrzeuge nicht, so daß diese stets eine Einfluggenehmigung benötigen. Art. 3 lit. c) des Chicagoer Abkommens bestimmt ausdrücklich, daß Staatsluftfahrzeuge eines Vertragsstaates in das Hoheitsgebiet eines anderen Staates nur aufgrund einer besonderen Vereinbarung und nach Maßgabe der in dieser festgelegten Bedingungen einfliegen dürfen.244 Es besteht ein legitimes Interesse der Staaten, sich gegen solche Verletzungen ihrer Lufthoheit zu wehren, zumal diese, wie die einschlägigen Vorkommnisse der Vergangenheit zeigen, regelmäßig absichtlich zu Spionagezwecken erfolgen, also die Luftfahrzeuge berechtigte Sicherheitsinteressen des betroffenen Staates beeinträchtigen. Auch wenn das Verhältnismäßigkeitsprinzip verlangt, zunächst Maßnahmen zu ergreifen, die das Leben der Besatzungsmitglieder nicht gefährden, also zunächst eine Aufforderung zum Verlassen des Luftraums oder zur Landung zu ergehen hat, der durch ein „Abfangen“ des Luftfahrzeugs mit eigenen Flugzeugen oder Hubschraubern Ausdruck verliehen werden kann, so ist ultima ratio auch der Einsatz von Waffengewalt und ein Abschießen eines fremden Staatsluftfahrzeugs erlaubt, das ohne Genehmigung in den Luftraum des eigenen Staates eingedrungen ist oder die Bedingungen einer solchen Genehmigung mißachtet.245 Das in Art. 3bis1 ___________ Generell gibt es anders als im Seerecht im Luftrecht keinen Transitanspruch. Jeder Einflug in fremden Luftraum bedarf vielmehr einer Gestattung des Staates, der die Lufthoheit innehat. Solche Gestattungen sind aber regelmäßig in multilateralen bzw. bilateralen Verträgen vereinbart. Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 438; Doehring, Völkerrecht, Rn. 554; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 12; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 52 Rn. 22; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 140. 244 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 439; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 29; Hailbronner, State Aircraft, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 605 (606); Wright, AJIL 54 (1960), 836 (845). Allerdings ist ein Einfliegen im Notfall zum Zweck einer Landung gestattet; vgl. Bentzin, ZLW 51 (2002), 3 (12 f.); Hailbronner, Schutz der Luftgrenzen, S. 23 ff. 245 Bentzin, Der unerlaubte Einflug von Luftfahrzeugen, S. 81 ff.; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 440; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 46; Häußler, JA 2002, 817 (822); Hailbronner, Schutz der Luftgrenzen, S. 50 ff.; Malanczuk, Introduction to International Law, S. 198 f.; Wright, AJIL 54 (1960), 836 (850). Anders aber Khan/Landwehr, Jura 2004, 485 (486 ff.). 243
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des Chicagoer Abkommens festgelegte Verbot des Einsatzes von Waffengewalt gilt gegenüber Staatsluftfahrzeugen schon nach Art. 3 lit. a) des Abkommens nicht. Ein solches ergibt sich für Staatsluftfahrzeuge auch nicht aus dem Völkergewohnheitsrecht. Denn das unbefugte Eindringen von Zivilluftfahrzeugen in fremden Luftraum erfolgt typischerweise unbeabsichtigt; hier muß der Schutz der – häufig vielen – Passagiere im Vordergrund stehen. Soweit es um die Abwehr des Eindringens fremder Militärflugzeuge oder sonstiger Staatsluftfahrzeuge geht, liegt dagegen stets der Verdacht der absichtlichen Luftraumverletzung nahe, so daß ultima ratio auch der Abschuß eines solchen Luftfahrzeugs erlaubt ist. Aber auch sonstige Abwehrmaßnahmen, etwa ein Eingreifen, wenn aus einem gelandeten Staatsluftfahrzeug aus Schüsse abgegeben werden, sind statthaft.246 In bezug auf die Frage, ob neben Maßnahmen zur Beendigung eines rechtswidrigen Verhaltens ausnahmsweise auch ein strafprozessuales Vorgehen zur Feststellung bzw. Durchsetzung eines staatlichen Strafanspruchs statthaft sein kann – wobei es dabei wohl nicht um Maßnahmen gegen im Flug befindliche Fahrzeuge, sondern um solche gegen und an Bord gelandeter Luftfahrzeuge gehen dürfte – ist zunächst festzuhalten, daß die Exemtion nicht schon immer dann eine Ausnahme erfährt, wenn der Einflug in das Staatsgebiet ohne Erlaubnis erfolgt ist.247 Die Argumente, die oben in § 21 I.3.d) und g)aa) gegen die These angeführt werden, die Immunität beruhe auf einer Erlaubnis zum Eindringen in fremdes Staatsgebiet und einem mit dieser Gestattung konkludent ausgesprochenen Verzicht auf die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit, so daß sie nicht gelte, wenn das Eindringen unbefugt sei, haben auch hier Gültigkeit.248 ___________ Vgl. Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 541. So aber Bentzin, Der unerlaubte Einflug von Luftfahrzeugen, S. 93, 96, 101, 107; ders., ZLW 51 (2002), 3 (11 ff.); Hailbronner, State Aircraft, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 605 (606); Klein, Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge, S. 40 f.; Meyer, Staatsflugzeuge, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 331 (332) und auch Art. 32 Abs. 1 Satz 1 der Pariser Luftfahrtkonvention (vgl. oben Anm. 190). Unklar Hailbronner, Schutz der Luftgrenzen, S. 58 ff. Einigen weiteren Feststellungen in der Literatur, wonach mit Einwilligung des betroffenen Staates in fremden Luftraum eingeflogene Luftfahrzeuge Immunität genössen, läßt sich im Umkehrschluß entnehmen, daß offenbar ebenfalls davon ausgegangen wird, ohne Befugnis eingeflogenen Fahrzeugen komme von vornherein keine Exemtion zu. So etwa Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 55 Rn. 29; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 272. 248 Nach der genannten Auffassung würden auch Luftfahrzeuge, die aufgrund eines Notfalls zwar ohne Erlaubnis, wohl aber völkerrechtlich befugt (vgl. Anm. 244) in fremdem Hoheitsgebiet landen, keine Exemtion genießen. Dies aber wäre nicht sachgerecht. Anders als Art. 32 Abs. 2 der Pariser Luftfahrtkonvention, der in diesen Fällen tatsächlich einen Immunitätsausschluß normierte (zur unterschiedlichen Interpretation der Pariser Konvention vgl. Hailbronner, Schutz der Luftgrenzen, S. 8 ff.), enthält das Chicagoer Abkommen denn auch eine entsprechende Regelung nicht mehr. Ausdrücklich gegen eine Exemtion auch in diesen Fällen aber Bentzin, Der unerlaubte Einflug von Luftfahrzeugen, S. 95 f.; ders., ZLW 51 (2002), 3 (12 ff.); Klein, Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge, S. 41 ff. 246 247
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Dagegen läßt sich die Argumentation oben in § 21 I.3.g)aa), mit der sachliche Ausnahmen von der Exemtion für Staatsschiffe bei bestimmten Arten von Taten begründet werden, auf die hier interessierende Exemtion für Staatsluftfahrzeuge übertragen. Somit gilt, daß die oben in §§ 6 und 7 dargelegten Ausnahmen, die die Staatenimmunität erfährt, auch die Exemtion für Staatsluftfahrzeuge und deren Besatzungsmitglieder und Passagiere beschränken. Sieht man die Exemtion der Staatsluftfahrzeuge als Ausfluß der Staatenimmunität an, so ist dies eine ohnehin logische Konsequenz; doch auch dann, wenn man den Rechtsgrund für die Exemtion der Staatsluftfahrzeuge in der Sicherung der Funktionsfähigkeit fremder hoheitlichen Zwecken dienender Fahrzeuge sieht, besteht für eine Exemtion in den Fällen, in denen die Staatenimmunität nicht greift, kein legitimes Interesse. Damit ist ebenso wie für Staatsschiffe in fremden inneren Gewässern auch für Staatsluftfahrzeuge in fremdem Hoheitsgebiet festzuhalten, daß die Exemtion eine sachliche Ausnahme erfährt, soweit das Luftfahrzeug dazu eingesetzt wird, Spionage zu betreiben oder gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit des Aufenthaltsstaates gerichtete Taten zu begehen, in dem Luftfahrzeug schwere Menschenrechtsverletzungen begangen werden bzw. das Fahrzeug zur Begehung geheimdienstlicher Gewalttaten eingesetzt wird.249 Selbstverständlich dürfen die Ausnahmen von der Exemtion nicht über die Grenzen hinausgehen, die für die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit bei Zivilluftfahrzeugen gelten; diese Beschränkungen müssen auf die privilegierten Staatsluftfahrzeuge erst recht Anwendung finden. Doch wäre bei den hier genannten Fallgruppen gemäß § 4 des Tokioter Abkommens ein Eingreifen gegen Zivilfahrzeuge zulässig, so daß diese Schranke für Ausnahmen von der Exemtion keine Relevanz zukommt. Wie schon bei Staatsschiffen wird jedoch auch in bezug auf Staatsluftfahrzeuge allein der Ausnahme bei Spionagetaten praktische Relevanz zukommen. Genau für diese Fallgruppe aber findet die hier aufgezeigte Begrenzung der Exemtion auch die für den Nachweis von Völkergewohnheitsrecht erforderliche Anerkennung durch die Staatenpraxis. Als die Sowjetunion am 1. Mai 1960 über ihrem Staatsgebiet nahe Swerdlowsk ein US-amerikanisches Aufklärungsflugzeug vom Typ Lockheed U-2 abschoß und den Piloten wegen Spionage zu einer zehnjährigen Freiheitsstrafe verurteilte, sah man in der Tatsache, daß es sich bei dem Flugzeug um ein Staatsflugzeug und damit um ein Fahrzeug handelte, das grundsätzlich Immunität genießt, kein Hindernis für ein Eingreifen. Der Pilot Gary Powers wurde allerdings nach 20 Monaten gegen einen sowjetischen Agenten ausgetauscht. Auch von den USA wurden keine auf eine Immunität gestützten Einwände gegen die Strafverfolgung erhoben.250 ___________ Dabei ist irrelevant, ob sich das Luftfahrzeug bei Vornahme der relevanten Tathandlung im Hoheitsgebiet des strafverfolgenden Staates aufgehalten hat oder nicht. 250 Vgl. Hailbronner, Schutz der Luftgrenzen, S. 14 ff.; Lissitzyn, AJIL 56 (1962), 135 (135 ff.); Wright, AJIL 54 (1960), 836 ff. und FAZ vom 11.4.2001, S. 16. Allerdings ist zu bedenken, daß der Abschuß des Flugzeugs auch als Abwehrmaßnahme angesehen werden 249
§ 21 Exemtionen für Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge
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Insgesamt wurden im Lauf des „Kalten Krieges“ über 30 Mal amerikanische Spionageflugzeuge über sowjetischem Territorium abgeschossen, mehr als 20 Piloten kamen dabei ums Leben.251 Nachdem am 6. September 1976 der sowjetische Militärpilot Belenko mit seinem damals hochmodernen Kampfflugzeug MIG-25 nach Japan geflogen war, um dort politisches Asyl zu ersuchen, hielten sich Japan und die USA für befugt, das Flugzeug einer genauen Kontrolle zu unterziehen. Es wurde der Sowjetunion schließlich in Kisten verpackt zurückgegeben.252 Besondere Bedeutung kommt einem Spionagezwischenfall im südchinesischen Meer vom April 2001 zu: Ein US-amerikanisches Spionageflugzeug mußte am 1. April 2001, nachdem es im Luftraum über der Hohen See im Bereich des Südchinesischen Meeres mit einem chinesischen Abfangjäger kollidiert war, auf der chinesischen Insel Hainan notlanden. Das mit modernster Spionagetechnik ausgestattete Flugzeug der US-Marine wurde von China einer gründlichen Inspektion unterzogen, die 24 Besatzungsmitglieder wurden knapp zwei Wochen lang festgehalten. Es wurde überlegt, ein Strafverfahren gegen die Besatzungsmitglieder wegen gegen China gerichteter Spionage durchzuführen. Letztlich kam es aber – wie nicht anders zu erwarten war – zu einer bilateralen Übereinkunft zwischen China und den USA, die zu einer Freilassung der Besatzungsmitglieder führte. Zwei Monate später wurde dann die Zerlegung des Flugzeugs und die Rückgabe der Einzelteile an die USA vereinbart. Die Einzelteile wurden am 1. Juli 2001 per Flugzeug in die USA verbracht. Von chinesischer Seite aus wurde ein Vorgehen gegen das Staatsflugzeug und dessen Besatzung für völker-
___________ kann und die Strafverfolgung des Piloten am Boden, also außerhalb des Flugzeugs, nicht mehr durch die Exemtion des Flugzeugs, sondern allenfalls durch die Staatenimmunität untersagt gewesen sein könnte, diese jedoch für Spionage nicht gilt. Dennoch wird in der völkerrechtlichen Literatur dieser Fall als Beleg für eine Staatenpraxis dahingehend betrachtet, daß die Exemtion für Staatsfahrzeuge bei Spionage generell nicht gilt, also bei Spionage auch ein strafprozessuales Eingreifen zulässig ist. So etwa Berg, ZaöRV 42 (1982), 295 (317) und Leifland, ÖZfAP 22 (1982), 138 (139). 251 Vgl. Bentzin, Der unerlaubte Einflug von Luftfahrzeugen, S. 112 ff.; Hailbronner, Schutz der Luftgrenzen, S. 16 ff.; FAZ vom 11.4.2001, S. 16. Dort sind auch weitere Fälle genannt, in denen während des „Kalten Krieges“ widerrechtlich in fremden Luftraum eingedrungene Spionageflugzeuge von den betroffenen Staaten abgeschossen wurden. 252 Vgl. Bentzin, ZLW 51 (2002), 3 (17 Fn. 78); Leifland, ÖZfAP 22 (1982), 138 (139). Dieser Fall und vergleichbare Vorkommnisse, bei denen ein für den Landestaat interessantes Militärflugzeug lediglich Fluchtmittel war, könnten zwar die oben abgelehnte These einer generellen Immunitätsausnahme bei unerlaubtem Einfliegen stützen, doch handelte es sich um Einzelfälle während des „Kalten Krieges“, in dem häufig militärischen Interessen Vorrang vor völkerrechtlichen Regeln eingeräumt wurde. Ein bloßes Kontroll- und Untersuchungsrecht gegenüber unerlaubt eingeflogenen und gelandeten Luftfahrzeugen (vgl. Bentzin, ZLW 51 [2002], 3 [15]) läßt sich im übrigen auch mit der hier vertretenen Immunitätsausnahme bei bestimmten Arten von strafbaren Handlungen begründen. Bei einem unerlaubten Einfliegen fremder Staatsflugzeuge liegt nämlich der Verdacht von Spionagetaten, bei denen die Exemtion nicht gilt, stets nahe, so daß es zulässig sein muß, dem Verdacht nachzugehen. Die hier dargelegten Ausnahmen von der Exemtion greifen daher schon dann, wenn ein hinreichender Verdacht der Begehung einer entsprechenden Tat gegeben ist. Die hier vertretene Auffassung hat den Vorteil, daß sie ein Kontrollrecht ausschließt, sofern vollkommen offensichtlich ist, daß das unerlaubte Einfliegen und Landen versehentlich oder aufgrund eines Notfalls erfolgte. In diesen Fällen muß nämlich die Immunität des Fahrzeugs Vorrang vor einem Interesse des Landestaates an einer Untersuchung des Luftfahrzeugs haben.
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
rechtlich zulässig erachtet, die US-Regierung brachte nur äußerst halbherzig völkerrechtliche Bedenken vor.253
bb) Grenzen der Exemtion im Luftraum über ausschließlichen Wirtschaftszonen und der Hohen See Im Luftraum über ausschließlichen Wirtschaftszonen und der Hohen See können Ausnahmen von der Immunität der Staatsluftfahrzeuge ebensowenig anerkannt werden wie Ausnahmen von der Exemtion für Staatsschiffe im Bereich dieser Meeresgebiete. Wenn schon – wie gezeigt – gegenüber fremden Privatluftfahrzeugen in diesen Räumen keine Hoheitsgewalt ausgeübt werden darf, so muß dies für Staatsluftfahrzeuge erst recht gelten. Diese unbeschränkte Geltung der Exemtion, die jegliches strafrechtliche Einschreiten gegen fremde Staatsluftfahrzeuge in diesen Lufträumen verbietet, ist auch sachgerecht. Die friedliche und gleichberechtigte Nutzung der internationalen Gemeinschaftsräume ist nur dann gewährleistet, wenn jeder Staat davon ausgehen kann, daß die bei ihm registrierten Luftfahrzeuge, insbesondere die hoheitlichen Zwecken dienenden, in diesen Räumen keiner fremden Hoheitsgewalt unterworfen sind.254
___________ Vgl. zu diesem Fall Bentzin, ZLW 51 (2002), 3 (3 ff.); die ausführlichen Presseberichte in SZ vom 3.4.2001, S. 1, 4; 5.4.2001, S. 1, 4, 6; 6.4.2001, S. 1; 7.4.2001, S. 7; 10.4.2001, S. 3, 10; 11.4.2001, S. 2; 12.4.2001, S. 1, 8; 14.4.2001, S. 1; 17.4.2001, S. 10; 20.4.2001, S. 8; 21.4.2001, S. 8; 30.4.2001, S. 9; 25.5.2001, S. 8; 30.5.2001, S. 4, 8; 8.6.2001, S. 12 und FAZ vom 3.4.2001, S. 1, 3; 4.4.2001, S. 1 ff.; 5.4.2001, S. 3; 6.4.2001, S. 2; 7.4.2001, S. 7; 9.4.2001, S. 2; 11.4.2001, S. 6, 16; 12.4.2001, S. 1 f.; 14.4.2001, S. 1, 2, 8; 17.4.2001, S. 5; 19.4.2001, S. 1; 20.4.2001, S. 1; 21.4.2001, S. 1 f.; 30.4.2001, S. 6; 5.5.2001, S. 1; 9.5.2001, S. 6 sowie die Dokumentation in AJIL 95 (2001), 630 ff. Auch hier ist jedoch zu bedenken, daß ein Vorgehen gegen die Besatzung außerhalb des Flugzeugs von vornherein nicht durch die Exemtion des Fahrzeugs untersagt sein konnte, da die Exemtion für Staatsfahrzeuge nur ein Vorgehen gegen diese oder an Bord dieser untersagt. Doch wären Maßnahmen an Bord des gelandeten Flugzeugs wie die vorgenommene Inspektion und die Gefangennahme der an Bord befindlichen Besatzungsmitglieder ein Verstoß gegen die Exemtion für Staatsfahrzeuge gewesen, wenn man nicht eine Ausnahme bei Spionagetaten annimmt. 254 Wäre der oben geschilderte Zusammenstoß eines US-amerikanischen Spionageflugzeugs mit einer chinesischen Militärmaschine im Südchinesischen Meer kein Unfall gewesen, sondern hätte das chinesische Flugzeug – wie teilweise vermutet wurde – über der Hohen See das amerikanische angegriffen, so wäre dies trotz der mit dem amerikanischen Flugzeug durchgeführten Spionage gegen China ebenso völkerrechtswidrig gewesen wie ein von China behauptetes Abdrängen chinesischer Maschinen durch das US-Flugzeug. Vgl. zur Staatenpraxis des Umgangs mit Spionageflugzeugen im Luftraum über der Hohen See Bentzin, ZLW 51 (2002), 3 (6 ff.); Lissitzyn, AJIL 56 (1962), 135 (140 f.). Allerdings behauptete China zeitweilig auch, der Zwischenfall habe sich nicht über der Hohen See, sondern in seinem Luftraum ereignet. Dann wäre ein gewaltsames Vorgehen gegen das amerikanische Flugzeug nach dem hier Gesagten als Abwehrmaßnahme im eigenen Luftraum erlaubt gewesen. 253
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cc) Grenzen der Exemtion im Bereich fremdstaatlicher Gebietshoheit Da im Bereich fremdstaatlicher Gebietshoheit generell Maßnahmen gegen fremde Luftfahrzeuge oder an Bord fremder Luftfahrzeuge untersagt sind, dürfen ohne das Einverständnis des die Gebietshoheit innehabenden Staates an Bord fremder Staatsluftfahrzeuge und gegen solche in fremdem Staatsgebiet erst recht keine Maßnahmen der Strafgerichtsbarkeit durchgeführt werden, so daß auch hier die Exemtion ohne Ausnahme gilt. Soweit ein Einverständnis des die Gebietshoheit innehabenden Staates mit der Ausübung von Hoheitsgewalt durch einen anderen Staat vorliegt, ist zu bedenken, daß dadurch die Exemtion von Staatsluftfahrzeugen dritter Staaten nicht beschränkt werden kann. Vielmehr gelten für den strafverfolgenden Staat gegenüber Staatsluftfahrzeugen von Drittstaaten dann die Beschränkungen, die er gegenüber fremden Staatsluftfahrzeugen im eigenen Staatsgebiet zu beachten hat. d) Zeitliche Grenzen der Exemtion und Zulässigkeit eines Verzichts Entsprechend den oben aufgezeigten Bestimmungen endet die Exemtion, wenn ein Staatsluftfahrzeug durch eine Änderung seiner tatsächlichen Verwendung die Eigenschaft als Staatsluftfahrzeug verliert. Umgekehrt entsteht die Exemtion automatisch, sobald ein Luftfahrzeug die Eigenschaft als Staatsluftfahrzeug erlangt. Auf die Exemtion kann jederzeit von dem Staat, dessen hoheitliche Aufgaben das betreffende Fahrzeug wahrnimmt, verzichtet werden, womit strafprozessuale Maßnahmen in gleichem Maße wie gegenüber Privatluftfahrzeugen zulässig werden. Ein Einverständnis der von den Maßnahmen (möglicherweise) betroffenen Besatzungsmitglieder und Passagieren ist nicht erforderlich, da diese von der Exemtion lediglich profitieren, die Exemtion aber nicht in ihrem eigenen Interesse gewährt wird. Ebenso wie der Kapitän eines Staatsschiffs für seinen Staat einen Verzicht auf die Exemtion „seines“ Schiffs erklären darf, wird man auch dem Luftfahrzeugkommandanten eine Befugnis zum Verzicht auf die Exemtion „seines“ Luftfahrzeugs zubilligen müssen.255 4. Exkurs: Zur Rechtsstellung von Weltraumflugkörpern und deren Besatzungsmitgliedern Der Weltraum einschließlich der Himmelskörper ist gemäß Art. II des Weltraumvertrags von 1967256, der insoweit Völkergewohnheitsrecht widerspiegelt, wie ___________ 255
(332).
So auch Meyer, Staatsflugzeuge, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), WVR Bd. 3, 331
256 Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper vom 27.1.1967, BGBl. 1969 II, S. 1967.
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
die Hohe See ein Aneignungsrechten und territorialer Souveränität entzogener internationaler Gemeinschaftsraum.257 Damit ist eine Erstreckung materieller Strafgewalt auf im Weltraum begangene Taten nach dem Territorialitätsprinzip undenkbar. An Bord von Weltraumflugkörpern im Weltraum oder auf Himmelskörpern begangene Taten können nationaler Strafgewalt nur aufgrund anderer Anknüpfungsprinzipien unterfallen. Für die Bundesrepublik kann sich vor allem eine Strafgewalt über § 7 StGB ergeben, sofern der Täter oder das Tatopfer deutscher Staatsangehöriger ist, so daß etwa eine an Bord eines Weltraumflugkörpers im Weltraum begangene Tat eines deutschen Astronauten nach dessen Rückkehr zur Erde in Deutschland geahndet werden könnte.258 Aus § 4 StGB könnte sich dagegen auch bei Registrierung eines Weltraumflugkörpers in Deutschland keine Strafgewalterstreckung ergeben. Luftfahrzeuge im Sinne des § 4 StGB können nach dem natürlichen Wortsinn nur Fahrzeuge sein, die aufgrund aerodynamischen Auftriebs zu fliegen bestimmt sind.259 Während einer Strafverfolgung im Weltraum begangener und entsprechend dem vorstehenden von der eigenen materiellen Strafgewalt erfaßter Taten (nach Rückkehr des Täters) im eigenen Staatsgebiet grundsätzlich nichts entgegensteht,260 sind wegen der völkerrechtlichen Einordnung des Weltraums als internationalem Gemeinschaftsraum strafprozessuale und andere hoheitliche Maßnahmen im Sinne einer jurisdiction to enforce an Bord eines im Weltraum befindlichen Weltraum___________ Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, S. 437.; Diederiks-Verschoor, Space Law, S. 28; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 56 Rn. 6, 14 ff.; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 456; Rehm, in: Böckstiegel (Hrsg.), Handbuch Weltraumrecht, S. 107 ff. 258 Vgl. LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 278 und unten Anm. 266. Sofern es um Taten geht, die während des Aufenthalts eines Weltraumflugkörpers am Boden oder in der Phase von Start oder Landung noch im Luftraum begangen werden, gelten für die Frage der räumlichen und personalen Reichweite der deutschen materiellen Strafgewalt – mit Ausnahme der Nichtanwendbarkeit von § 4 StGB, siehe unten Anm. 259 – die gleichen Regeln wie für Luftfahrzeuge. 259 Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 LuftVG (vgl. Anm. 201) dagegen gehören Raumfahrzeuge (nur) während der Zeit, in der sie sich im Luftraum aufhalten, zu den Luftfahrzeugen im Sinne dieses Gesetzes. Doch verstieße die Übertragung dieser extensiven Legaldefinition auf das Strafrecht gegen das Analogieverbot. Die gegenteilige Auffassung, Raumfahrzeuge seien immer dann, wenn sie im Luftraum unterwegs sind (die wiederverwendbaren USamerikanischen Raumfähren bewältigen den Rückweg zur Erde und die Landung unter Ausnutzung aerodynamischen Auftriebs wie Flugzeuge), als Luftfahrzeuge im Sinne des § 4 StGB zu betrachten (MK-StGB-Ambos, § 4 Rn. 9; LK-StGB-Gribbohm, § 4 Rn. 27), kann auch deshalb nicht überzeugen, weil § 4 StGB auf die Fahrzeugart und nicht auf die Art und Weise der Fortbewegung bei Tatbegehung abstellt. Insofern sind auch die §§ 315 f., 316c StGB schon tatbestandlich nicht anwendbar. Ohne Einschränkung für eine Erfassung von Weltraumfahrzeugen durch § 4 StGB sogar Schönke/Schröder-Eser, § 4 Rn. 6; KK-OWiG-Rogall, § 5 Rn. 29. Allerdings wäre eine Erstreckung des Flaggenprinzips auf in Deutschland registrierte Weltraumflugkörper völkerrechtlich zulässig, nur bedürfte es dafür einer ausdrücklichen Änderung des § 4 StGB. Hierfür zu Recht MK-StGBAmbos, § 4 Rn. 11. 260 Vgl. aber unten die Besonderheiten bezüglich Taten in der Internationalen Raumstation. 257
§ 21 Exemtionen für Staatsschiffe und Staatsluftfahrzeuge
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flugkörpers – unabhängig von Hindernissen tatsächlicher Art – schon nach allgemeinen Überlegungen ebenso wie solche an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen im Gebiet der Hohen See nur dem Registrierungsstaat gestattet. Dieser übt – wie auch Art. VIII des Weltraumvertrags festschreibt – die alleinige Hoheitsgewalt und Kontrolle über die bei ihm registrierten Weltraumgegenstände und dessen gesamte Besatzung im Weltraum aus.261 Die Tatsache, daß Raumfahrzeuge typischerweise staatlichen Hoheitszwecken dienende Fahrzeuge sind und damit Exemtion genießen müßten, ist insofern irrelevant.262 Interessant unter Immunitätsaspekten wird die Rechtsstellung von Weltraumflugkörpern damit nur dann, wenn diese – etwa nach einem technischen Defekt – im Hoheitsgebiet eines anderen als dem des Registrierungsstaates landen oder diesen in der Start- bzw. Landephase durchfliegen. Zwar ist dies eine eher theoretische Überlegung, doch wären staatliche Weltraumflugkörper und damit auch an Bord dieser befindliche Personen dann in gleicher Weise wie fremde Staatsluftfahrzeuge und deren Besatzungsmitglieder und Passagiere der Hoheitsgewalt des Staates, in dem sie sich befinden, entzogen.263 Es ist kein Grund ersichtlich, warum den Staatsluftfahrzeugen völkergewohnheitsrechtlich zukommende Exemtion nicht auch für staatliche Weltraumflugkörper gelten sollte.264 Besondere Bestimmungen existieren hinsichtlich der neuen Internationalen Weltraumstation, die aus Komponenten verschiedener Staaten besteht und von mehreren Staaten, vor allem den USA und Rußland, gemeinsam betrieben wird. ___________ Bittlinger, Hoheitsgewalt und Kontrolle im Weltraum, S. 87 ff.; ders., in: Böckstiegel (Hrsg.), Handbuch Weltraumrecht, S. 209 ff.; Cheng, Astronauts, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 278 (279); ders., Studies in International Space Law, S. 72 ff., 231 f., 415 f., 458 f.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 328; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 56 Rn. 37, 39 (mit Informationen zur Registrierung von Weltraumflugkörpern); LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 274; Hintz, in: Böckstiegel (Hrsg.), a.a.O, S. 185 ff. 262 Vorschläge, in völkerrechtlichen Vereinbarungen zu differenzieren zwischen staatlichen und privaten Weltraumfahrzeugen, sind mangels praktischer Notwendigkeit daher bislang nicht aufgegriffen worden; vgl. Bittlinger, Hoheitsgewalt und Kontrolle im Weltraum, S. 82 f. 263 Für nichtstaatliche Raumfahrzeuge gelten während ihres Aufenthalts in Lufträumen bzw. am Boden die gleichen völkergewohnheitsrechtlichen Bestimmungen hinsichtlich der Ausübung von Hoheitsgewalt und damit Strafgerichtsbarkeit wie für private Luftfahrzeuge; vgl. Hintz, in: Böckstiegel (Hrsg.), Handbuch Weltraumrecht, S. 193 f.; Schwenk, in: Böckstiegel (Hrsg.), a.a.O., S. 138 ff. 264 Immunität bejahend auch Csabafi, State Jurisdiction in International Space Law, S. 73 f.; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 274. Bittlinger, in: Böckstiegel (Hrsg.), Handbuch Weltraumrecht, S. 216 f., 219 f. und Csabafi, a.a.O., weisen zudem zutreffend darauf hin, daß Astronauten als solche keine (personenbezogene) Exemtion genießen, mithin nur solange – durch die Exemtion des Weltraumfahrzeugs – vor einer Strafverfolgung geschützt sind, wie sie sich an Bord eines Raumfahrzeugs aufhalten. Aus der Klassifizierung von Astronauten als „Boten der Menschheit“ in Art. V des Weltraumvertrags läßt sich, wie Bittlinger, a.a.O., und Csabafi, a.a.O., zu Recht festhalten, keine besondere rechtliche Stellung ableiten. 261
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Teil 4: Sonstige völkerrechtliche Exemtionen
Das von den beteiligten Staaten verabschiedete Abkommen vom 29. Januar 1998265 sieht in Art. 5 Abs. 2 vor, daß jeder Staat über die und in den von ihm zur Verfügung gestellten Komponenten, die gemäß Art. 5 Abs. 1 separat bei diesem Staat registriert werden, die ausschließliche Hoheitsgewalt ausübt. Die Internationale Raumstation ist durch die Registrierung der einzelnen Systemelemente bei verschiedenen Staaten damit ein „mehrterritoriales Gebilde“. Hinsichtlich der multinationalen Besatzung bestimmt Art. 5 Abs. 2, daß zudem jeder Staat über die Besatzungsmitglieder seiner Staatsangehörigkeit die (personale) Hoheitsgewalt ausübt. Bezüglich der Erstreckung materieller Strafgewalt auf Taten, die in der Station begangen werden, gilt das oben Gesagte grundsätzlich auch hier. Jeder Staat ist – wie sich aus Art. 22 des Abkommens ableiten läßt – zumindest befugt, seine materielle Strafgewalt auf Taten zu erstrecken, die von einem oder gegen einen eigenen Staatsangehörigen oder aber in dem bei ihm registrierten Modul oder gegen dieses begangen werden. Die Bundesrepublik hat im Rahmen der Ratifikation des Abkommens zur internationalen Raumstation mit Art. 3 des Vertragsgesetzes die Regeln des sogenannten internationalen Strafrechts (§§ 3 ff. StGB) speziell für den Fall der Begehung strafbarer Handlungen in oder an der Internationalen Raumstation ergänzt. Nach Art. 3 des Vertragsgesetzes gilt das deutsche Strafrecht für Taten in oder an einem Flugelement der Raumstation, wenn entweder der Täter oder das Opfer der Tat Deutscher ist266 oder aber sich die Tat gegen ein von der Europäischen Weltraumorganisation registriertes Flugelement richtet.267 Bezüglich der Ausübung von (strafprozessualen) Sicherungsmaßnahmen an Bord der Weltraumstation ergibt sich eigentlich aufgrund der erwähnten Verteilung von Hoheitsrechten, daß diese durch den Staat ausgeübt werden dürfen, in dessen Modul sie vorzunehmen sind, sowie durch den Staat, gegen dessen Staatsangehörigen sie sich richten. Damit besteht grundsätzlich die Gefahr konkurrierender Hoheitsgewalten. Doch dürfte dem Problem der gegen einzelne Personen gerichteten ___________ BGBl. 1998 II, S. 2445. Abgedr. auch in ZLW 47 (1998), 149 ff. Vgl. hierzu Heere, Air and Space Law 24 (1999), 70 (79 f.); von Kries, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), LdRVR, S. 534 (535 f.); Moenter, Journal of Air Law and Commerce 64 (1999), 1033 (1033 ff.); Nagel, ZLW 47 (1998), 143 (143 ff.). Siehe auch die Denkschrift der Bundesregierung zu dem Abkommen, BT-Drucks. 13/10713, S. 40 ff., insb. S. 47. 266 Diese extraterritoriale Strafgewalterstreckung ergibt sich allerdings bereits aus § 7 StGB, da der Weltraum „Ausland“ i.S.d. § 7 ist und als solcher ebenso wie die sich im Weltraum aufhaltende Raumstation keiner (territorialen) Strafgewalt i.S.d. § 7 StGB unterliegt. Die Regelung ist daher redundant. Vgl. LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 278, 325, § 7 Rn. 40 f. 267 Damit wird eine echte Erweiterung der extraterritorialen Strafgewalterstreckung bewirkt, allerdings nicht im Sinne eines „Flaggenprinzips“, da nicht alle Taten erfaßt werden, die in den von der Europäischen Weltraumorganisation registrierten Elementen begangen werden, sondern nur solche, die gegen ein solches Element gerichtet sind. Damit bleibt die materielle deutsche Strafgewalt hinter dem nach Art. 22 Abs. 2 des Abkommens ausdrücklich für zulässig Erklärten zurück. Vgl. auch die Ausführungen in der Denkschrift der Bundesregierung (Anm. 265), BT-Drucks. 13/10713, S. 40 (47). 265
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Zwangsgewalt angesichts einer Besatzungszahl von bis zu sieben Personen zum einen keine praktische Relevanz zukommen, zum anderen werden die Hoheitsrechte – deren Wahrnehmung durch andere Personen als die Besatzungsmitglieder ohnehin unmöglich ist – insofern durch die Bordgewalt des jeweiligen Stationskommandanten überlagert.268 Dies ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 Satz 2, Art. 11 Abs. 2 und Art. 22 Abs. 5 des Abkommens zur Weltraumstation. Fragen der Exemtion der Weltraumstation bzw. der einzelnen Komponenten sind wegen dieser Detailregelungen ohne Relevanz. Eine Spezialregelung, die – jedenfalls insoweit, als sie die im Dienste staatlicher Raumfahrtagenturen stehenden Astronauten und damit staatliche Funktionsträger erfaßt269 – durchaus als Exemtionsregelung verstanden werden kann, enthält das Abkommen mit Art. 22 hinsichtlich der Zulässigkeit einer Ausübung von Strafgerichtsbarkeit über an Bord der Station begangene Taten im Gebiet der einzelnen an der Station beteiligten Staaten, also hinsichtlich Strafverfolgungsmaßnahmen „auf dem Erdboden“.270 Nach Art. 22 Abs. 1 ist zum einen der Vertragsstaat zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit berechtigt, dessen Staatsangehöriger der Täter ist. Nach Art. 22 Abs. 2 darf zudem derjenige Partnerstaat Strafgerichtsbarkeit ausüben, der insoweit von der Tat betroffen ist, als Leben oder Sicherheit einer Person seiner Staatsangehörigkeit durch die Tat beeinträchtigt wurde oder aber die Tat in seiner Fahrzeugkomponente begangen wurde oder diese beschädigt hat. Eine Strafverfolgung nach Abs. 2 ist aber nur zulässig, wenn der Heimatstaat des Täters zuvor konsultiert wurde und entweder der Strafverfolgung seines Staatsangehörigen zugestimmt hat oder aber keine Zusicherung abgegeben hat, daß er selbst eine Strafverfolgung betreiben werde. Aufgrund dieser abschließenden Bestimmung ist es denkbar, daß eine Tat von der materiellen Strafgewalt eines Staates erfaßt ist (Beispiel: Ein US-amerikanischer Astronaut verletzt im Streit einen deutschen Kollegen), eine Strafverfolgung durch diesen Staat (im Beispielsfall Deutschland) aber wegen der Exemtionsregelung nicht zulässig ist.
___________ 268 Vgl. zur Bordgewalt Bittlinger, in: Böckstiegel (Hrsg.), Handbuch Weltraumrecht, S. 217 ff. 269 Allein diesen Personenkreis hat das Abkommen im Blick. Das neue Phänomen des „zahlenden Weltraumtouristen“ läßt sich mit den Bestimmungen des Abkommens nur schwer erfassen, vor allem, soweit es um Personen aus Drittstaaten geht. 270 Vgl. Moenter, Journal of Air Law and Commerce 64 (1999), 1033 (1050); Nagel, ZLW 47 (1998), 143 (147) sowie die Ausführungen in der Denkschrift der Bundesregierung (Anm. 265), BT-Drucks. 13/10713, S. 40 (47).
Teil 5
Wirkungen der völkerrechtlichen Exemtionen im Strafrecht Bislang wurde die Reichweite der verschiedenen völkerrechtlichen Exemtionen von strafrechtlicher Verantwortlichkeit aus einem vornehmlich völkerrechtlichen Blickwinkel analysiert. Nun soll gewissermaßen ein Perspektivenwechsel vollzogen und der Frage nach dem Standort und den Wirkungen der völkerrechtlichen Exemtionen im deutschen Strafrecht nachgegangen werden. Einheitlich für alle Arten personenbezogener völkerrechtlicher Exemtionen soll aus einer streng strafrechtlichen Perspektive heraus untersucht werden, welche Relevanz den Exemtionen für das deutsche Strafrecht zukommt. Dabei gilt es vor allem zu klären, welche Auswirkungen die Immunitäten ratione personae und ratione materiae auf die Reichweite der deutschen Strafgewalt haben und wie in einem Strafverfahren prozessual zu reagieren ist, wenn die Frage im Raum steht, ob und inwieweit eine bestimmte Person eine völkerrechtliche Exemtion genießt bzw. das Vorliegen einer Exemtion feststeht. Mit diesen einleitenden Worten sind bereits zwei Beschränkungen des Untersuchungsrahmens angedeutet worden. Zum einen geht es nachfolgend allein um die völkerrechtlichen Exemtionen, die einzelnen Personen zuerkannt werden, also um Immunitäten ratione personae und ratione materiae, um personenbezogene Unverletzlichkeitsgewährleistungen sowie um Befreiungen von den Zeugenpflichten. Unberücksichtigt bleiben damit die verschiedenen sachbezogenen Befreiungen wie beispielsweise die mit dem Begriff „Exterritorialität“ gekennzeichnete Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten diplomatischer Missionen (Art. 22 Abs. 1 WÜD), die Unverletzlichkeit von Archiven und Dokumenten diplomatischer Missionen und internationaler Organisationen oder die Immunität von Staatsschiffen und Staatsluftfahrzeugen. Auf die strafrechtlichen Wirkungen dieser Exemtionen, die bestimmte Räumlichkeiten und Gegenstände einem staatlichen Zugriff entziehen, ist bereits im konkreten Sachzusammenhang hinreichend eingegangen worden.1 An dieser Stelle soll die Feststellung genügen, daß in exterritorialen Räumlichkeiten sowie auf Staatsschiffen und in Staatsluftfahrzeugen keine strafprozessualen Maßnahmen wie Verhaftungen, Durchsuchungen oder Beschlagnahmen vorgenommen werden dürfen und für unverletzlich erklärte Gegenstände wie Archive und Dokumente gleichfalls jeglicher strafprozessualer Inanspruchnahme entzogen sind.2 Diese sachbezogenen Exemtionen verbieten also lediglich bestimmte strafprozessuale ___________ 1 2
Vgl. vor allem die Ausführungen oben in § 16 III., in § 19 VII. sowie in § 21 I.3. Vgl. unter anderem oben § 16 III.1.b)bb), § 19 VII.1. sowie § 21 I.3.b)dd).
Einleitung
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Einzelmaßnahmen. Dabei ist unerheblich, ob es um Maßnahmen im Rahmen einer strafrechtlichen Verfolgung einer durch personenbezogene Exemtionen geschützten Person geht oder die Maßnahmen im Zuge eines Strafverfahrens gegen eine „normale“ Person vorgenommen werden sollen. Wie bereits dargelegt, zieht eine Mißachtung der sachbezogenen Exemtionen nur sehr begrenzte strafprozessuale Konsequenzen nach sich. Insbesondere unterliegen Erkenntnisse, die unter Mißachtung einer solchen Exemtion gewonnen wurden, grundsätzlich keinem Beweisverwertungsverbot.3 Auf die sachbezogenen Befreiungen wird im folgenden also nicht weiter eingegangen. Zum anderen beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen ausschließlich auf das nationale deutsche Strafrecht. Die Darlegungen beschränken sich darauf, den Standort der Exemtionen im deutschen Strafrecht zu analysieren und die Bedeutung der Befreiungen für deutsche Strafverfahren zu erörtern. Dabei soll allerdings auch auf die Relevanz völkerrechtlicher Exemtionen in Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten eingegangen werden.4 Unbeachtet bleibt aufgrund dieser zweiten Beschränkung die Frage, welche verfahrensrechtlichen Auswirkungen vermeintlich oder tatsächlich vorliegende völkerrechtliche Exemtionen für Strafverfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof haben. Zwar erklärt Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut pauschal, daß völkerrechtliche Exemtionen einer Strafverfolgung durch den IStGH keine Schranken setzen können; doch konnte in der vorliegenden Untersuchung nachgewiesen werden, daß einige wenige Exemtionen – etwa die Immunitäten für amtierende Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder aus Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts sowie die Exemtionen für Funktionsträger der Vereinten Nationen – selbst einer Strafverfolgung durch den IStGH entgegenstehen, Art. 27 Abs. 2 IStGH-Statut also insofern nicht völkerrechtskonform ist.5 Auf eine Erörterung der Frage, welche verfahrensrechtlichen Vorgaben das Römische Statut im Hinblick auf die Feststellung einer derartigen Exemtion macht und wie prozessual in einem Verfahren vor dem IStGH auf das Vorliegen einer auch für den Internationalen Strafgerichtshof beachtlichen Exemtion zu reagieren ist, soll an dieser Stelle jedoch verzichtet werden.6 ___________ Vgl. oben § 16 III.1.b)ee) und § 21 I.3.b)ee). Vgl. unten § 24. 5 Zur Geltung der Exemtionen amtierender Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder aus Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts sowie der Exemtionen von Funktionsträgern der VN gegenüber dem IStGH vgl. oben § 17 I.3.a), § 19 III.2.a) und § 20 VI.1. Andere völkerrechtliche Exemtionen, die von einzelnen Staaten auch dann zu beachten sind, wenn sich der Tatvorwurf auf die Begehung eines völkerrechtlichen Verbrechens bezieht, etwa die diplomatischen und konsularischen Immunitäten ratione personae und ratione materiae sowie die Exemtionen für Funktionsträger anderer internationaler Organisationen als den VN, können aus bereits dargelegten Gründen der Gerichtsbarkeit des IStGH generell keine Schranken setzen. Vgl. diesbezüglich oben § 15 II.1. und § 19 III.2.a). 6 Allerdings wird unten in § 23 VI.2.b) untersucht, inwieweit völkerrechtliche Exemtionen den deutschen Strafverfolgungsbehörden die Vornahme von Rechtshilfemaßnahmen für den IStGH untersagen. Denn insofern geht es um die hier interessierende Relevanz völkerrechtlicher Exemtionen für deutsche Staatstätigkeit. 3 4
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Im folgenden wird in § 22 zunächst untersucht, ob die völkerrechtlichen Immunitäten eine materiellrechtliche Wirkung haben – entweder in dem Sinne, daß die geschützten Personen der Geltung des deutschen (Straf-)Rechts entzogen sind oder in dem Sinne, daß die Immunitäten einen persönlichen Strafbefreiungsgrund darstellen – oder ob die Immunitäten „lediglich“ eine prozessuale Wirkung haben, indem sie ein strafprozessuales Verfahrenshindernis begründen. Von dieser Einordnung hängt entscheidend ab, welche Wirkungen die Exemtionen für den Strafprozeß entfalten, insbesondere, welche Regeln für das Verfahren zur Feststellung einer Exemtion gelten, welche Maßnahmen trotz Bestehens einer Exemtion statthaft sind und wie ein Verfahren bei Vorliegen einer Exemtion zu beenden ist. Diesen und weiteren strafprozessualen Fragen wird in § 23 nachgegangen. Abschließend wird in § 24 erörtert, welche Relevanz die völkerrechtlichen Exemtionen bei Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten haben.
§ 22 Materiellrechtliche oder prozessuale Wirkung der Immunitäten I. Vorbemerkungen 1. Beschränkung der Untersuchung auf Immunitäten Die strafrechtsdogmatische Einordnung der personenbezogenen Unverletzlichkeitsgewährleistungen (beispielsweise nach Art. 29 WÜD oder Art. 41 WÜK) und der Befreiungen von den Zeugenpflichten (beispielsweise nach Art. 31 Abs. 2 WÜD) liegt auf der Hand. Diese personenbezogenen völkerrechtlichen Exemtionen untersagen lediglich bestimmte strafprozessuale Maßnahmen, etwa eine Verhaftung nach §§ 112 ff. StPO, eine zwangsweise Blutentnahme nach § 81a StPO, eine zwangsweise Entnahme einer Speichelprobe nach § 81e oder § 81g StPO zum Zwecke der Durchführung molekulargenetischer Untersuchungen, eine Durchsuchung nach §§ 102 und 103 StPO oder eine Vorladung und Vernehmung als Zeuge nach §§ 48 ff. StPO. Bei diesen Exemtionen handelt es sich mithin um völkerrechtliche Verbote bestimmter strafprozessualer Einzelmaßnahmen, die entweder über das deutsche Zustimmungsgesetz zu dem völkerrechtlichen Vertrag, in dem die Verbote normiert sind, oder im Falle einer völkergewohnheitsrechtlichen Verbotsgeltung über Art. 25 GG für die deutschen Strafverfolgungsbehörden unmittelbar beachtlich sind. Diese Exemtionen haben die gleiche Wirkung wie direkt in der StPO normierte Verbote bestimmter Maßnahmen, etwa das in § 136a StPO normierte Verbot bestimmter Vernehmungsmethoden.1 ___________ 1 Relevanz erlangen diese Verbote vornehmlich in Strafverfahren gegen dritte Personen, also bei einer Inanspruchnahme Exemtionen genießender Personen als Nichtbeschuldigte.
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Problematisch – und umstritten – ist allein die strafrechtsdogmatische Einordnung der Immunitäten ratione personae und ratione materiae. Diese Immunitäten verbieten es, die exemten Personen als Beschuldigte strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Während die stets nur für den Zeitraum der Innehabung eines bestimmten Amtes geltenden und verzichtbaren Immunitäten ratione personae einer strafrechtlichen Inanspruchnahme wegen sämtlicher Taten entgegenstehen (unabhängig davon, ob diese in privater oder dienstlicher Eigenschaft bzw. vor oder während der Innehabung des betreffenden Amtes begangen wurden), verbieten die zeitlich grundsätzlich unbegrenzt geltenden, aber gleichfalls verzichtbaren Immunitäten ratione materiae eine Inanspruchnahme der exemten Personen wegen bestimmter für einen anderen Staat oder eine internationale Organisation vorgenommener Handlungen.2 Gemeinsam ist diesen Immunitäten aber, daß sie, soweit ihr sachlich-gegenständlicher Geltungsbereich reicht, nicht nur bestimmte strafprozessuale Einzelmaßnahmen untersagen, sondern eine strafrechtliche Inanspruchnahme der geschützten Personen als Beschuldigte gänzlich verbieten. 2. Überblick über die verschiedenen Auffassungen zur Einordnung der Immunitäten Darüber, wie dieses Verbot einer strafrechtlichen Inanspruchnahme, diese völkerrechtliche Schranke für die nationale Strafgewalt in Deutschland strafrechtsdogmatisch einzuordnen ist, gehen die Meinungen auseinander. Es bestehen vier verschiedene Auffassungen. Denkbar ist zunächst, daß die Immunität genießenden Personen insoweit, als die Immunität reicht, dem Geltungsbereich des deutschen Strafrechts entzogen sind, also die deutschen Strafnormen auf Taten, für die die Immunität gilt, nicht anwendbar sind (II.). Die zweite Auffassung, nach der die Immunitäten ebenfalls als Institute des materiellen Strafrechts einzuordnen sind, sieht in den Immunitäten persönliche Strafausschließungs- bzw. Strafaufhebungsgründe (III.). Nach der dritten Auffassung wirken die völkerrechtlichen Immunitäten ausschließlich als strafprozessuale Verfahrenshindernisse (IV.). Die vierte Auffassung schließlich ordnet die Immunitäten als Institute mit Doppelcharakter ein ___________ Soweit diese Verbote im Strafverfahren beachtet werden, tauchen keine Schwierigkeiten auf. Problematisch ist nur, ob aus der Mißachtung eines solchen Verbots ein Verbot der Verwertung der gewonnenen Beweise resultiert. Vgl. hierzu die Ausführungen unten bei § 23 II.5. 2 In diesem Zusammenhang sei erneut daran erinnert, daß sich hinter dem Sammelbegriff „Immunität ratione materiae“ unterschiedliche einzelne Exemtionen verbergen, deren Reichweite durchaus verschieden ist (ausführlich hierzu oben § 13 V.). Übereinstimmendes Merkmal der Immunitäten ratione materiae ist lediglich, daß sie nicht wie die Immunitäten ratione personae eine bestimmte Person als solche von strafrechtlicher Verantwortlichkeit zeitlich begrenzt vollumfänglich freistellen, sondern nur auf bestimmte Taten bezogen sind, also allein für bestimmte Taten eine Freistellung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit bewirken.
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und hält sie sowohl für materiellrechtliche persönliche Strafausschließungs- bzw. Strafaufhebungsgründe als auch für prozessuale Strafverfahrenshindernisse (V.). Im folgenden sollen die verschiedenen Auffassungen dargestellt und (VI.) bewertet werden.
II. Einordnung der Immunitäten als Schranken des persönlichen Geltungsbereichs des Strafrechts 1. Einordnung sämtlicher Immunitäten als Schranken des Geltungsbereichs des Strafrechts a) Wirkung dieser Einordnung Im Zeitalter des „klassischen Völkerrechts“, dessen tragender Pfeiler die Vorstellung einer vollkommenen Souveränität der Staaten im Sinne einer gänzlichen Freiheit von vorgegebenen völkerrechtlichen Grenzen staatlichen Handelns und einer uneingeschränkten Unabhängigkeit von anderem Staaten war,3 war die Auffassung verbreitet, Personen mit völkerrechtlichen Immunitäten – damals im wesentlichen Staatsoberhäupter und Diplomaten – seien dem Geltungsbereich der Rechtsordnung des zur Immunitätsgewährung verpflichteten Staates entzogen. Sie seien, so meinte man, zwar gehalten, sich bei einem Aufenthalt im Gebiet des Staates, der zur Immunitätsgewährung verpflichtet sei, im Einklang mit der örtlichen Rechtsordnung zu verhalten, doch seien die Normen der fremden Rechtsordnung für sie rechtlich nicht verbindlich.4 Nach dieser Auffassung bewirkten die Immunitäten, daß sich der persönliche Geltungsbereich des Strafrechts des zur Immunitätsgewährung verpflichteten Staates nicht auf die geschützten Personen erstreckte. Man glaubte, die deutschen Strafnormen seien auf immune Personen nicht anwendbar, da die materielle Strafgewalt Deutschlands die durch Immunitäten geschützten Personen nicht erfasse.5 ___________ Vgl. Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 36 ff. So etwa Stoerk, in: von Holtzendorff (Hrsg.), Handbuch des Völkerrechts, Bd. 2, S. 656 f. Vgl. aus zeitgenössischer Sicht Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 1 f., 64 f., 72 ff. mit umfassenden Nachw. Siehe ferner Denza, Diplomatic Law, S. 373 f.; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, S. 94 sowie Grotius, De iure Belli ac Pacis, II. Buch. Kap. 18 IV. 5. 5 So RGSt 17, 51 (54); von Bar, Das internationale Privat- und Strafrecht, S. 572 f.; Berner, Wirkungskreis der Strafgesetze, S. 206 ff.; Glaser, Handbuch des Strafprozesses, S. 303 Fn. 6 (der allerdings differenziert und in bezug auf Taten, die vor Beginn einer Exemtion begangen worden sind, ein prozessuales Verfolgungshindernis annimmt); Köhler, Deutsches Strafrecht, S. 137, 139; von Liszt/Fleischmann, Völkerrecht, S. 199; Meyer/ Allfeld, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 111; Oppenhoff, Strafgesetzbuch, § 3 Anm. 14; Schütze, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 56. Unklar Blei, Strafrecht I, 3 4
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b) Strafrechtsdogmatische Konsequenz dieser Einordnung Strafrechtsdogmatisch bereitet die Annahme einer solchen Ausnahme vom persönlichen Geltungsbereich des Strafrechts auch heutzutage keine Schwierigkeiten. Denn der Geltungsbereich des deutschen Strafrechts erfährt ohnehin etliche Grenzen.6 Am augenfälligsten und praktisch bedeutsamsten sind die räumlich-persönlichen Grenzen des Geltungsbereichs des deutschen Strafrechts, die durch die Regeln des sogenannten internationalen Strafrechts (§§ 3 ff. StGB) gezogen werden. Bekanntlich gilt nach § 3 StGB das deutsche Strafrecht grundsätzlich nur für innerhalb des deutschen Staatsgebiets begangene Taten. Für Auslandstaten gilt das deutsche Strafrecht nur dann, wenn sich eine Geltungsanordnung ausnahmsweise aus den §§ 4 ff. StGB ergibt. So unterfällt beispielsweise die Tötung eines Franzosen durch einen britischen Staatsbürger in Österreich nicht dem Geltungsbereich des deutschen Strafrechts, auch wenn die Tat alle Tatbestandsmerkmale des § 212 StGB erfüllt. Denn der räumlich-persönliche Geltungsbereich des deutschen Strafrechts erstreckt sich nicht auf Auslandstaten von Ausländern gegenüber Ausländern. Wenn aber das deutsche Strafrecht für bestimmte Auslandstaten von vornherein nicht gilt, so ist es ohne weiteres denkbar, daß es für (bestimmte) Taten von bestimmten Personen unabhängig vom Tatort aufgrund von Immunitäten gleich___________ S. 45. Vgl. auch Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 1 f. m.w.N.; Frank, Strafgesetzbuch, S. 32. Allerdings muß angemerkt werden, daß das Reichsgericht und die genannten Autoren nur davon sprechen, das Strafrecht sei nicht anwendbar bzw. die Strafgesetze gälten nicht. Damit wurde zwar klar von einer materiellrechtlichen Wirkung der völkerrechtlichen Immunitäten ausgegangen. Ob aber bei einer solchen Aussage gedanklich differenziert wurde zwischen der Möglichkeit eines bloßen Ausschlusses der Strafbarkeit im Sinne eines persönlichen Strafausschließungsgrundes bei grundsätzlicher Rechtsgeltung einerseits (vgl. die unten bei § 22 III. skizzierte Auffassung) und der hier erörterten Möglichkeit einer Nichtgeltung des gesamten (Straf-)Rechts andererseits, ist häufig nicht feststellbar. Eine solche Differenzierung ist aber im Hinblick auf die Konsequenzen für eine Strafbarkeit von Teilnehmern und die Frage eines Notwehrrechts geboten (vgl. diesbezüglich unten Anm. 22). Die Autoren, die die praktische Relevanz dieser Differenzierung erkannt hatten, plädierten alle für die Annahme eines bloßen Ausschlusses der Strafbarkeit im Sinne eines persönlichen Strafausschließungsgrundes (vgl. die Nachw. unten in Anm. 25). Schon Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 4 f. beklagte die terminologische Ungenauigkeit und mangelnde Differenzierung etlicher Autoren. Im übrigen sei an dieser Stelle noch folgendes festgehalten: Die Frage der materiellen Strafgewalt eines Staates im Sinne einer völkerrechtlich anerkannten Kompetenz, bestimmte Taten als nach der eigenen Rechtsordnung strafbar zu erfassen, ist logisch der Frage der Anwendbarkeit der eigenen nationalen Strafnormen auf bestimmte Taten vorgelagert. Denn es ist durchaus denkbar, daß eine Rechtsordnung Taten als strafbar erfaßt, indem sie Straftatbestände eines anderen Staates, etwa des Tatortstaates bei Auslandstaten eigener Staatsbürger, für anwendbar erklärt. Da das deutsche Recht aber eine Anwendbarkeit nichtdeutscher Strafnormen nicht vorsieht, ist der Geltungsbereich deutscher Strafnormen deckungsgleich mit der Reichweite tatsächlich ausgeübter deutscher materieller Strafgewalt. Vgl. MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 2; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 3; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 18 I. 1. Insofern kann hier ohne weitere Differenzierung von Schranken für den Geltungsbereich des deutschen Strafrechts gesprochen werden. 6 Vgl. Schönke/Schröder-Eser, vor § 1 Rn. 9 ff.
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falls von vornherein nicht gilt, also auf Taten, die von völkerrechtlichen Immunitäten erfaßt werden, nicht anwendbar ist. Die Erfassung einer Tat vom räumlich-persönlichen Geltungsbereich des deutschen Strafrechts wird verbrechenssystematisch als objektive Bedingung der Strafbarkeit angesehen.7 Ebenso müßte man, wenn man annähme, daß die völkerrechtlichen Immunitäten den (persönlichen) Geltungsbereich des deutschen Strafrechts beschränken, das Fehlen einer völkerrechtlichen Immunität als objektive Bedingung der Strafbarkeit begreifen. Beim Vorliegen einer völkerrechtlichen Immunität wäre also eine Strafbarkeit mangels Vorliegens einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit nicht gegeben. c) Zur Bedeutung dieser Auffassung Die Auffassung, Immunität genießende Personen seien – soweit die Immunität reicht – von der Geltung der gesamten Rechtsordnung oder zumindest von der Geltung des materiellen Strafrechts des zur Immunitätsgewährung verpflichteten Staates befreit, sah sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts heftigen Einwänden ausgesetzt und wurde allmählich aufgegeben.8 Maßgeblichen Einfluß auf diese Entwicklung hatte eine 1896 erschienene Schrift des deutschen Strafrechtlers Ernst ___________ MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 3; Ambos, Internationales Strafrecht, § 1 Rn. 9; Schönke/ Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 61; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 148; Jescheck/ Weigend, Lehrbuch, § 18 V. 8 Während das Reichsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1888 (RGSt 17, 51 [54]) von einer Nichtgeltung des deutschen Strafrechts bei Vorliegen einer völkerrechtlichen Immunität ausgegangen war, gab es diese Auffassung im Jahr 1918 auf und schloß sich der prozessualen Theorie an (RGSt 52, 167 [167]). Seither wird in der deutschen Rechtsprechung ohne Ausnahme davon ausgegangen, völkerrechtliche Immunitäten begründeten lediglich ein Verfahrenshindernis (vgl. die Nachw. unten in Anm. 37). Bereits in der älteren strafrechtlichen Literatur finden sich etliche Stimmen, die eine lediglich prozessuale Wirkung der völkerrechtlichen Immunitäten annahmen. So etwa Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 41 Fn. 2; ders., Grundzüge des Strafrechts, S. 67; Bennecke, ReichsStrafprozeßrecht, S. 41; Bennecke/Beling, Reichs-Strafprozeßrecht, S. 37 f., 117; Binding, Handbuch des Strafrechts, 1. Bd., S. 665, 667, 685; ders., Privilegien der Straflosigkeit, S. 25; Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 20; Finger, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 442, 444; Gareis, Institutionen des Völkerrechts, S. 106 Fn. 2, S. 120 Fn. 3; Geffcken, in: von Holtzendorff (Hrsg.), Handbuch des Völkerrechts, Bd. 3, S. 654; Gerland, Deutsches Reichsstrafrecht, S. 86 f.; Heffter, Das europäische Völkerrecht, § 205; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 78, 231; Inganni, Strafrechtliche Exterritorialität, S. 18 ff.; LK-StGB-Jagusch (8. Aufl. 1957), vor § 3 Bem. 4. b); Lucas, Anleitung zur strafrechtlichen Praxis, S. 36; Martens, Einleitung in das positive europäische Völkerrecht, S. 98, 202, 354 f.; Merkel, A., Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 282; Merkel, P., Grundriß des Strafrechts, S. 40; Mettgenberg, Freies Geleit und Exterritorialität. S. 37 f.; Mezger, Strafrecht, S. 74; Mühlmann/Bommel, Strafgesetzbuch, § 4 Bem. 4.; Obermayer/Löbe/ Rosenberg, Reichsstrafgesetzbuch, § 3 Anm. 7; von Olshausen, Strafgesetzbuch, § 3 Anm. 21; Sauer, Grundlagen des Prozessrechts, S. 321; Schmidt, Lehrkommentar StPO und GVG, Teil I, Rn. 123; Tafel, Geltung des Territorialitätsprinzips, S. 59; Ullmann, Lehrbuch des Deutschen Strafprozessrechts, S. 65. 7
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Beling zur strafrechtlichen Bedeutung der Exterritorialität.9 Beling plädierte in diesem Beitrag nachdrücklich dafür, den völkerrechtlichen Exemtionen grundsätzlich allein prozessuale Wirkung beizumessen, sie also lediglich als Verfahrenshindernisse zu begreifen.10 Heutzutage wird die Meinung, völkerrechtliche Immunitäten seien generell als Schranken des persönlichen Geltungsbereichs des Strafrechts einzustufen, denn auch nicht mehr vertreten. Weder in der Rechtsprechung noch in der strafrechtlichen oder völkerrechtlichen Literatur findet diese Auffassung gegenwärtig Zuspruch.11 Als besonders gewichtiges Argument gegen diese Auffassung wurde ___________ Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität. Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 64 ff., 90 ff., 132, 145, 149, 156, 169 ff. Zu Recht stellt Beling fest, daß die Annahme einer materiellrechtlichen Befreiung vom Strafrecht mit der damals vorherrschenden Exterritorialitätstheorie (er spricht von „Funktionstheorie“), die die völkerrechtlichen Immunitäten rechtskonstruktiv damit begründete, die bevorrechtigten Personen seien als außerhalb des Staatsgebiets des zur Exemtionsgewährung verpflichteten Staates anzusehen, nicht vereinbar war. Denn schon damals war die Möglichkeit einer extraterritorialen Geltungserstreckung nationalen materiellen Strafrechts (etwa nach dem Schutzprinzip oder passiven Personalitätsprinzip) anerkannt. Vgl. Beling, a.a.O., S. 67. Allerdings konnte sich auch Beling noch nicht vollständig von der Vorstellung lösen, daß Immunität genießende Personen der materiellen Strafgewalt des zur Immunitätsgewährung verpflichteten Staates entzogen seien. Beling differenziert in seiner Schrift zwischen einer Freiheit von den Gesetzen im allgemeinen, einer Freiheit von den Normen und einer Freiheit von den Strafgesetzen und nimmt für Diplomaten eine Freiheit von den Normen und den Strafgesetzen des Empfangsstaates (durch Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes) insoweit an, als diese völkerrechtlich zulässige diplomatische Amtshandlungen vornehmen. Auf völkerrechtlich zulässige diplomatische Amtshandlungen erstrecke sich der Geltungsbereich der Strafgesetze des Empfangsstaates nicht (a.a.O., S. 84 ff.). Wenn, so seine Argumentation, ein Polizeibeamter, der eine Person festnehme, eine gerechtfertigte Freiheitsberaubung begehe, so müsse auch der Diplomat gerechtfertigt sein, wenn er eine völkerrechtlich zulässige diplomatische Amtshandlung vornehme (wie Beling auch Inganni, Strafrechtliche Exterritorialität, S. 23 ff.). Zumindest heutzutage kann diese Argumentation jedoch nicht überzeugen. Denn die einschlägigen völkerrechtlichen Vorschriften – namentlich das WÜD und das WÜK – enthalten keine Befugnisnorm (die als Rechtfertigungsgrund wirken könnte) dahingehend, daß Diplomaten bestimmte Tätigkeiten ohne Rücksicht auf das nationale Recht des Empfangsstaates aufgetragen oder jedenfalls gestattet sind. Ganz im Gegenteil legen Art. 41 Abs. 1 Satz 1 WÜD und Art. 55 Abs. 1 Satz 1 WÜK sogar explizit fest, daß die Mitglieder diplomatischer und konsularischer Vertretungen ihre Tätigkeit im Empfangsstaat nur unter Beachtung der örtlichen Rechtsordnung ausüben dürfen. 11 Explizit gegen die Einstufung völkerrechtlicher Immunitäten als Schranken des Geltungsbereichs des deutschen Strafrechts Schönke/Schröder-Eser, vor § 1 Rn. 15; LKStGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 338; Jakobs, NStZ 1987, 88 (88); Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 526 ff.; Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn. 109 f. Zwar werden auch in der modernen deutschen strafrechtlichen Literatur die völkerrechtlichen Immunitäten zum Teil unter dem Stichwort „Persönlicher Geltungsbereich des Strafrechts“ erörtert. Doch wird dabei betont, daß die völkerrechtlichen Immunitäten gerade nicht als Schranken des persönlichen Geltungsbereichs des Strafrechts angesehen werden könnten, da sie lediglich als Verbote der Ausübung von Gerichtsbarkeit wirkten. So etwa Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 7 Rn. 11; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 19 III., die jeweils von einer 9
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immer wieder hervorgebracht, sie sei unvereinbar mit der unbestrittenen Völkerrechtsregel, daß gegen Handlungen von exemten Personen Notwehr geübt werden dürfe. Denn ein Notwehrrecht setze einen rechtswidrigen Angriff voraus, verlange also gerade eine Rechtsunterworfenheit.12 2. Einordnung der Immunitäten ratione materiae als Schranken des Geltungsbereichs des Strafrechts a) Wirkung dieser Einordnung Vereinzelt wird allerdings in der nach dem Zweiten Weltkrieg – also nach dem definitiven Ende der Epoche des klassischen Völkerrechts – erschienenen völkerrechtlichen und strafrechtlichen Literatur die These einer Ausnahme vom Geltungsbereich des Strafrechts noch in einer eingeschränkten Variante vertreten: Nur die Immunitäten ratione materiae, nicht jedoch die Immunitäten ratione personae seien als Schranken des Geltungsbereichs des nationalen Strafrechts zu begreifen. Während die Immunitäten ratione personae, die beispielsweise amtierende Staatsoberhäupter und Diplomaten genießen, als bloße prozessuale Verfahrenshindernisse einzustufen seien, müßten die Immunitäten ratione materiae, namentlich die Staatenimmunität, als Schranken des Geltungsbereichs des nationalen Strafrechts der zur Immunitätsgewährung verpflichteten Staaten klassifiziert werden.13 Nach dieser Auffassung ist das Fehlen einer Immunität ratione materiae in Deutschland als eine objektive Bedingung der Strafbarkeit anzusehen.
___________ bloß prozessualen Wirkung der völkerrechtlichen Immunitäten als Verfahrenshindernisse ausgehen. Lediglich terminologisch unklar Vogler, ZStW 92 (1980), 1021 (1021, 1029). 12 Vgl. nur Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 82 f.; Verdross, Völkerrecht, S. 332. 13 So etwa Cassese, EJIL 13 (2002), 853 (863); ders., International Law, S. 115, 450; George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (109, 112 mit Fn. 57) (wobei George allerdings zu Unrecht als Beleg für seine Auffassung American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 464 zitiert); Hübner, Das Verbrechen des Völkermordes, S. 258; van Panhuys, ICLQ 13 (1964), 1193 (1207); Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 55, § 14 Rn. 35; Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 949 Fn. 1 und – sich auf Cassese berufend – wohl auch Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 448 f. Allerdings hat Cassese seine Meinung nunmehr deutlich relativiert. Vgl. Cassese, International Criminal Law, S. 266.
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b) Begründung dieser Auffassung Begründet wird diese Auffassung allerdings zumeist nicht.14 Dennoch fällt es nicht schwer, den offensichtlich hinter dieser Meinung stehenden Gedankengang nachzuvollziehen: Ausgangspunkt der Überlegungen sind die völkerrechtlichen Grundsätze der souveränen Gleichheit der Staaten und des Verbots der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten.15 Handlungen, die für einen anderen Staat vorgenommen würden, seien nicht der handelnden Person, sondern ausschließlich dem betreffenden Staat zuzurechnen, es finde gewissermaßen eine privative Überleitung der Verantwortlichkeit statt.16 Da alle Staaten rechtlich gleichrangig sind und es den Staaten verwehrt ist, in innere, sie nicht betreffende Angelegenheiten anderer Staaten im Rahmen der Ausübung eigener Staatsgewalt einzugreifen, dürfe sich kein Staat anmaßen, Hoheitsakte anderer Staaten in den Geltungsbereich der eigenen Rechtsordnung einzubeziehen. Denn wenn ein Staat den Geltungsbereich seiner Rechtsordnung auf Hoheitsakte anderer Staaten erstrecke, so nehme er für sich in Anspruch, fremde Staatstätigkeit als rechtmäßig oder rechtswidrig einordnen zu dürfen. Damit aber übe er eine „Kontrolle“ über die Tätigkeit fremder Staaten und letztlich Hoheitsgewalt über fremde Staaten aus. Dies verstoße jedoch gegen den Fundamentalsatz des Völkerrechts, daß souveräne Staaten nicht der Hoheitsgewalt anderer Staaten unterliegen und kein Staat befugt ist, einseitig Hoheitsgewalt über fremde Staaten auszuüben und sich so eine höherrangige Stellung anzumaßen. Es sei den Staaten also verwehrt, die Rechtmäßigkeit, Wirksamkeit und Verbindlichkeit fremdstaatlicher Hoheitsakte durch eine Kontrolle am Maßstab der eigenen Rechtsordnung in Frage zu stellen. Hoheitsakte fremder Staaten seien vielmehr zu akzeptieren. Daher dürfe sich auch der Geltungsbereich des Strafrechts eines Staates nicht auf Hoheitsakte fremder Staaten erstrecken. Diese seien der materiellen Strafgewalt anderer Staaten entzogen.17 Die Immunitäten ratione materiae des Völkerrechts dienten nun gerade dem Schutz der souveränen Gleichheit der Staaten und sollten eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten verhindern. Die Staatenimmunität verbiete die strafrechtliche Inanspruchnahme von Personen wegen hoheitlich-dienstlicher Handlungen für andere Staaten. Auch die übrigen Immunitäten ratione materiae, die staatlichen Funktionsträgern gewährt werden, bezögen sich auf dienstliche ___________ Eine Begründung bleiben beispielsweise schuldig George, Immunities and Exceptions, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, vol. II, S. 107 (109, 112 mit Fn. 57); Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 14 Rn. 35; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 448 f. 15 Vgl. zu diesen völkerrechtlichen Grundprinzipien Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 7 ff.; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 341 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1439 ff. 16 Cassese, International Law, S. 112; ders., EJIL 13 (2002), 853 (862 f.); ders., International Criminal Law, S. 265 f. 17 Vgl. van Panhuys, ICLQ 13 (1964), 1193 (1206 f.). 14
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Handlungen für einen anderen Staat, also auf Handlungen, die einem anderen Staat zuzurechnen und demgemäß als Staatstätigkeit zu bewerten seien.18 Da der Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten und das Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eine Erstreckung nationaler Strafgewalt auf fremde Hoheitsakte untersagten, dürften – so offenbar die Überlegung – die Immunitäten ratione materiae, damit sie ihren Zweck erfüllten, nicht lediglich als prozessuale Verfahrenshindernisse angesehen werden, sondern müßten als Schranken des Geltungsbereichs des materiellen Strafrechts begriffen werden.19 c) Zur Bedeutung dieser Auffassung Es wurde bereits angedeutet, daß diese Auffassung, die unten in § 22 VI.1.c) kritisch hinterfragt werden soll, nur sehr wenige Anhänger gefunden hat. Nahezu einhellig wird davon ausgegangen, daß auch Personen, die völkerrechtliche Immunitäten ratione materiae genießen, der Geltung des Rechts des zur Immunitätsgewährung verpflichteten Staates nicht entzogen sind, sich also der Geltungsbereich des Strafrechts dieses Staates auch auf sie erstreckt. Diese Auffassung wird nicht nur ohne Ausnahme von der deutschen Rechtsprechung vertreten,20 sondern auch nahezu einhellig in der strafrechtlichen und völkerrechtlichen Literatur.21 Der Streit in der Wissenschaft beschränkt sich mithin im wesentlichen auf die Frage, ob die völkerrechtlichen Immunitäten – zwischen den Immunitäten ratione materiae und den Immunitäten ratione personae wird dabei nicht differenziert – als persönliche Strafausschließungs- bzw. Strafaufhebungsgründe einzustufen sind, es sich also um Institute des materiellen Strafrechts handelt,22 oder ob sie lediglich als prozessuale Strafverfahrenshindernisse zu klassifizieren sind. ___________ 18 Die Autoren, die die hier skizzierte Auffassung vertreten, gehen fälschlicherweise davon aus, daß die Immunitäten ratione materiae ein einheitliches Rechtsinstitut des Völkerrechts seien. Vor allem nehmen sie an, die Immunitäten ratione materiae des Diplomaten- und Konsularrechts seien lediglich speziell geregelte Ausprägungen der allgemeinen Staatenimmunität. Vgl. Cassese, International Law, S. 114 ff.; ders., EJIL 13 (2002), 853 (862 ff.); ders., International Criminal Law, S. 265 f.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 448 ff. Eine solche einheitliche Betrachtung ist jedoch verfehlt. Vgl. hierzu oben Anm. 2 sowie die ausführliche Darlegung in § 13 V. 19 Vgl. van Panhuys, ICLQ 13 (1964), 1193 (1207). 20 Die deutsche Rechtsprechung sieht sämtliche völkerrechtliche Exemtionen allein als prozessuale Verfahrenshindernisse an. Vgl. die Nachw. unten in Anm. 37. 21 Vgl. die Nachw. unten in Anm. 38 und Anm. 39. 22 Es muß betont werden, daß zwischen einer Einordnung der Immunitäten als Schranken des Geltungsbereichs des Strafrechts und ihrer Einordnung als materiellrechtliche persönliche Strafausschließungs- bzw. Strafaufhebungsgründe erhebliche auch praktisch relevante Unterschiede bestehen. Während bei einer Einordnung der Immunitäten als Schranken für den Geltungsbereich des Strafrechts eine von einer Immunität erfaßte Tat dem deutschen Strafrecht von vornherein nicht unterfiele, demgemäß auch nicht tatbestandsmäßig und rechtswidrig i.S.d. deutschen Strafrechts sein könnte, wäre eine von
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III. Einordnung der Immunitäten als materielle persönliche Strafbefreiungsgsgründe 1. Wirkung dieser Einordnung Eine „beachtliche Mindermeinung“23 sieht die völkerrechtlichen Immunitäten als persönliche Strafbefreiungsgründe24 an. Personen, die Immunität genießen, könnten zwar tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft handeln, doch sei eine Strafbarkeit ausgeschlossen.25 Soweit es um Taten geht, die während der Geltungsdauer einer Immunität begangen werden, wird ein persönlicher Strafausschließungsgrund angenommen. Soweit eine Immunität ratione personae während ihrer Geltung auch vor einer Strafverfolgung wegen vor Immunitätsbeginn begangener Taten ___________ einer Immunität erfaßte Tat bei einer Einordnung der Immunitäten als persönliche Strafbefreiungsgründe lediglich nicht strafbar. Sie könnte aber sehr wohl eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und auch schuldhafte Straftat sein. Demgemäß bliebe bei einer Einordnung der Immunitäten als Strafbefreiungsgründe eine strafbare Teilnahme durch nichtimmune Personen möglich und könnte gegen eine Person, die Immunität genießt, Notwehr geübt werden (vgl. diesbezüglich Bloy, Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 47; Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 44). Beides wäre bei einer Einstufung der Immunitäten als Geltungsbereichsbeschränkungen nicht möglich (vgl. Beling, Strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität, S. 77, 82 f.; Inganni, Strafrechtliche Exterritorialität, S. 20 f., 31 f.). A.A. (trotz Einordnung der Immunitäten als Schranken des Geltungsbereichs des Strafrechts für ein Notwehrrecht) Köhler, Deutsches Strafrecht, S. 356. 23 So die Formulierung von MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 122. 24 Allgemein zu den persönlichen Strafbefreiungsgründen, die unterteilt werden in Strafausschließungsgründe einerseits und Strafaufhebungsgründe andererseits, Bloy, JuS 1993, L 33 (L 33 ff.); Fischer, in: Tröndle/Fischer, vor § 32 Rn. 17; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 52; Schönke/Schröder-Lenckner, vor § 32 Rn. 127 ff.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 493 ff. 25 So Bloy, Dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaushebungsgründe, S. 32 ff., insb. S. 53 ff.; ders., JuS 1993, L 33 (L 35); Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 44; Kaufmann, H., Strafanspruch, Strafklagerecht, S. 161; AK-StGB-Lemke, vor § 3 Rn. 39; NK-StGB-Lemke, vor § 3 Rn. 63; Maurach/Zipf, StGB AT Tb. 1, § 11 II Rn. 40, 43 ff.; Preisendanz, Strafgesetzbuch, § 3 Anm. 2; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 59. Unklar Gropp, Strafrecht AT, § 8 Rn. 16. Maurach/Zipf, a.a.O., § 11 II Rn. 43 bezeichnen ihre Auffassung sogar als die vorherrschende. Dem muß jedoch, wie schon ein Blick auf die Zahl der Nachw. in Anm. 38 zeigt, klar widersprochen werden. Aus der älteren Literatur für die Annahme eines materiellrechtlichen Strafausschließungsgrundes Allfeld, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 82 f.; von Bar, Lehrbuch des internationalen Privat- und Strafrechts, S. 347; ders., Gesetz und Schuld, S. 236 f.; Frank, Strafgesetzbuch, S. 32, 145; von Hippel, Deutsches Strafrecht, 2. Bd., S. 82 f., 383; ders., Lehrbuch des Strafrechts, S. 82, 149; Kohler, Internationales Strafrecht, S. 106 f.; von Liszt, Das Deutsche Reichsstrafrecht, S. 59; ders., Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 91; von Liszt/Schmidt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 137; Maurach, Deutsches Strafrecht (2. Aufl. 1958), § 11 II. B. 3. a); Schönke, Strafgesetzbuch, vor § 3 Anm. IV. 1.; Schönke/ Schröder, Strafgesetzbuch (12. Aufl. 1965), vor § 3 Rn. 19 ff.; Wachenfeld, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 55. Differenzierend Reichard, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 52 f., der für fremde Souveräne eine materiellrechtliche Exemtion, für andere bevorrechtigte Personen wie insbesondere Gesandtschaftsmitglieder dagegen lediglich einen prozessualen Ausschluß von der Gerichtsbarkeit annahm.
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schützt, muß diese materiellrechtliche Theorie zu einer Einordnung der Immunitäten als persönliche Strafaufhebungsgründe gelangen. Eine Ausnahme von der Einstufung der Immunitäten als Strafbefreiungsgründe wird allerdings überwiegend bei den Exemtionen gemacht, die Angehörige von NATO-Streitkräften aufgrund der Vorrangregelung in Fällen der konkurrierenden Gerichtsbarkeit nach Art. VII Abs. 3 des NTS26 genießen. Diese Exemtionen werden als temporäre prozessuale Strafverfahrenshindernisse angesehen. Als Argument für diese Ausnahme wird (zutreffend) angeführt, Art. VII Abs. 3 NTS regele lediglich, ob der Entsendestaat oder der Aufnahmestaat das Vorrecht auf Ausübung von konkurrierender Strafgerichtsbarkeit habe, wolle aber die Strafbarkeit unberührt lassen.27 2. Begründung dieser Auffassung Zur Begründung der Einordnung der Immunitäten als Strafbefreiungsgründe wird angeführt, bei einer „echten Exterritorialität“28 seien die geschützten Personen dauerhaft vor einer strafrechtlichen Inanspruchnahme geschützt; auch nach Funktionsbeendigung könnten sie für Taten, die von einer Immunität erfaßt seien, nicht bestraft werden.29 Es bestehe „bei keiner der genannten Personengruppen die Möglichkeit, sie bei einer etwaigen Rückkehr ins Inland nach Beendigung ihrer Dienste wegen früher begangener Inlandstaten zu bestrafen“.30 Die Vertreter der materiellen Theorie gehen damit aber von einer falschen Prämisse aus. Sie verkennen die Reichweite der völkerrechtlichen Immunitäten.31 Wie gezeigt wurde, gelten die Immunitäten ratione personae nur zeitlich begrenzt. Sie erlöschen mit Beendigung der Funktion, wegen der sie einer Person zuerkannt werden. Lediglich die Immunitäten ratione materiae gelten grundsätzlich zeitlich ___________ 26 Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen (NATO-Truppenstatut) vom 19.6.1951; BGBl. 1961 II, S. 1190 = UNTS 199, 67. Abgedr. in der Textsammlung „Sartorius II“ unter Nr. 66b. 27 Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 45; AK-StGB-Lemke, vor § 3 Rn. 41; NK-StGBLemke, vor § 3 Rn. 64; Maurach/Zipf, StGB AT Tb. 1, § 11 II Rn. 40, 43 ff.; Preisendanz, Strafgesetzbuch, § 3 Anm. 2. Zu den Exemtionen nach dem NTS vgl. auch oben § 20 III. 28 So die Terminologie von Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 44. Zu Recht kritisch gegenüber der (dem Völkerrecht unbekannten) Differenzierung zwischen „echter“ und sonstiger („unechter“?) Exterritorialität MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 123. 29 Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 44; AK-StGB-Lemke, vor § 3 Rn. 39; NK-StGBLemke, vor § 3 Rn. 62 sowie aus der älteren Literatur Allfeld, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 83. 30 So Schönke/Schröder-Eser, vor § 3 Rn. 44. 31 Zur „Entschuldigung“ dieser Fehlbeurteilung kann angeführt werden, daß vor Inkrafttreten des WÜD und des WÜK die zeitliche Reichweite der diplomatischen und konsularischen Immunitäten in der deutschsprachigen strafrechtlichen Literatur mangels ausdrücklicher völkervertraglicher Regelung sehr umstritten war; vgl. LR-StPO-Schäfer (24. Aufl. 1996), § 18 GVG Rn. 7 m.w.N.
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unbegrenzt.32 Doch auch diese Immunitäten stehen nicht zwingend dauerhaft einer Strafverfolgung entgegen. Wie bereits dargelegt wurde, kann der Staat bzw. die internationale Organisation, zu dessen bzw. deren Gunsten eine Immunität gewährt wird, jederzeit auf diese verzichten.33 Soweit zugunsten einer Einordnung der Immunitäten als materielle Strafbefreiungsgründe argumentiert wird, die Strafandrohung verliere bei Vorliegen einer Immunität und damit wegen Fehlens einer Verwirklichungsmöglichkeit ihre „soziale Wirklichkeit“,34 wird im Ergebnis das materielle Recht auf solche Normen reduziert, die durch eine tatsächlich jederzeit realisierbare Strafandrohung garantiert sind.35 Die Geltung einer Norm hat aber nichts mit ihrer zwangsweisen Durchsetzbarkeit im Einzelfall zu tun. Weiter wird – zutreffend – darauf abgestellt, völkerrechtliche Exemtionen sollten (im Sinne der Funktionstheorie) gewährleisten, daß die exemten Personen die Tätigkeit, für die Exemtionen gewährt werden, unbeeinträchtigt von der Strafgewalt fremder Staaten ausüben könnten. Hieraus wird gefolgert, die Zielsetzung der Exemtionen gehe dahin, die geschützten Personen von der Strafdrohung auszunehmen. Daher müßten die Exemtionen eine materiellrechtliche Befreiung bewirken.36 Doch ist dem entgegenzuhalten, daß die Zielsetzung der Exemtionen gerade keine Ausnahme von der Strafbarkeit bedingt. Eine ungehinderte Funktionsausübung ist bereits dann hinreichend gewährleistet, wenn die Realisierbarkeit einer Strafdrohung ausgeschlossen ist, also die Durchführung von Strafverfolgungsmaßnahmen untersagt ist.
IV. Einordnung der Immunitäten als prozessuale Strafverfahrenshindernisse 1. Wirkung dieser Einordnung Die mittlerweile herrschende Meinung stuft sämtliche völkerrechtliche Immunitäten lediglich als prozessuale Strafverfahrenshindernisse ein. Immunität genießende Personen könnten sich ebenso wie sonstige Personen materiellrechtlich strafbar machen, sie dürften aber solange, wie die Immunität bestehe, wegen der von ihr erfaßten Taten nicht verfolgt werden. ___________ Vgl. für den Bereich der diplomatischen und konsularischen Immunitäten oben § 13 III.2. Vgl. für den Bereich der diplomatischen und konsularischen Immunitäten oben § 13.IV. 34 Bloy, Dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 54 ff., insb. S. 57. 35 Jakobs, NStZ 1987, 88 (88). 36 Bloy, JuS 1993, L 33 (L 35). 32 33
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Diese Auffassung wird heutzutage nicht nur ohne Ausnahme in der (strafrechtlichen) Judikatur vertreten,37 sondern auch vom ganz überwiegenden Teil der strafrechtlichen Literatur.38 Auch die jüngere völkerrechtliche Literatur stuft, soweit sie sich ausnahmsweise zum Standort der Immunitäten im nationalen Recht äußert, ___________ 37 BVerfGE 96, 68 (95) = NJW 1998, 50 (56); RGSt 52, 167 (167); BGHSt 14, 137 (139) = NJW 1960, 1116 (1116); BGH DRiZ 1962, 211 (211); BGHSt 32, 275 (276) = NJW 1984, 2048 (2049); BayObLGSt 1973, 191 (192) = NJW 1974, 431 (431); BayObLGSt 1991, 125 (125) = NJW 1992, 641 (641); KG Berlin, DJZ 1900, 96 (96 f.); OLG Düsseldorf, NJW 1986, 2204 (2204); OLG Karlsruhe, NJW 2004, 3273 (3273); OLG Köln, NStZ 2000, 667 (667); OLG Schleswig, SchlHA 1981, 161 (162); LG Stuttgart, NZV 1995, 411 (411). 38 Ambos, JZ 1999, 16 (23); MK-StGB-Ambos, vor § 3 Rn. 126; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 106; Baumann, JZ 1963, 110 (117); Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 7 Rn. 11, 31; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 274; LR-StPO-Böttcher, § 18 GVG Rn. 6; Dannecker, Jura 1994, 585 (586); KMR-StPO-Eschelbach, Einl. Rn. 206; Fezer, Strafprozeßrecht, Kap. 9 Rn. 135; Fischer, in: Tröndle/Fischer, vor § 3 Rn. 21, vor § 32 Rn. 17a, 19; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576 (577) (bezogen auf Immunitäten ratione personae); Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 84; Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 133; LK-StGB-Gribbohm, vor § 3 Rn. 337 ff., § 3 Rn. 9; Grünwald, ZStW 76 (1964), 250 (259 f.); Haller/Conzen, Strafverfahren, Rn. 710; Heghmanns, Arbeitsgebiet des Staatsanwalts, Rn. 187; LK-StGB-Hirsch, vor § 32 Rn. 230; SK-StGB-Hoyer, § 3 Rn. 7 f.; Jakobs, Strafrecht AT, 10. Abschn. Rn. 13; Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, Rn. 58; Jescheck, ZStrR 72 (1957), 217 (239); ders., JICJ 2 (2004), 38 (43); Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 19 III. 2.; HK-StPO-Julius, § 206a Rn. 3, 16; Karl, Völkerrechtliche Immunität, S. 24, 44; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, § 18 Rn. 1 f.; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, § 18 Rn. 3, 17 ff.; Krack, GA 2003, 536 (546); Kramer, Grundbegriffe, Rn. 307; HK-StPO-Krehl, Einl. Rn. 30; Kreicker, in: Eser/Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1: Deutschland, S. 351; Kreß, IYHR 30 (2000), 103 (157 Fn. 212); ders., in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, III 27 Rn. 18; Krey, Strafverfahrensrecht Bd. 1, § 1 Rn. 31 f.; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 669; Kühl, in: Lackner/Kühl, vor § 3 Rn. 10; Lesch, Strafprozessrecht, Rn. 69; AKStPO-Loos, § 206a Anhang Rn. 8; Marenbach, NJW 1974, 394 (395); Meyer-Goßner, NStZ 2003, 169 (172); ders., in: Arnold u.a. (Hrsg.), FS Eser, S. 373 (389); ders., Strafprozessordnung, Einl. Rn. 143, 145, § 18 GVG Rn. 4; MK-StGB-Mitsch, § 78b Rn. 10; SK-StPO-Paeffgen, Anhang zu § 206a Rn. 5; KK-StPO-Pfeiffer, Einl. Rn. 135, § 13a Rn. 4, § 18 GVG Rn. 1, 7, § 20 Rn. 2; Pfeiffer, Strafprozessordnung, Einl. Rn. 15; Ranft, Strafprozeßrecht, Rn. 53, 1112; LR-StPO-Rieß, Einl. Abschn. D Rn. 7 f., Einl. Abschn. J Rn. 48, § 206a Rn. 38, 40; Riess, in: Roxin/Widmaier (Hrsg.), FS BGH IV, S. 809 (818); Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 23 Rn. 52, 57; ders., Strafverfahrensrecht, § 21 Rn. 3, 16; SK-StGB-Rudolphi, vor § 19 Rn. 14; Rüping, in: Gössel u.a. (Hrsg.), FS Kleinknecht, S. 397 (406); ders., Strafverfahren, Rn. 598; LR-StPO-Schäfer (24. Aufl. 1996), Einl. Kap. 12 Rn. 12, § 18 GVG Rn. 6; Schäfer/Sander, Praxis des Strafverfahrens, Rn. 169; Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rn. 274; Schlüchter, Strafprozeßrecht, S. 148; dies., Strafverfahren, Rn. 375; SK-StPO-Schlüchter, § 260 Rn. 41; KK-StPO-Schoreit, § 153f Rn. 3; Schorn, Strafrichter, S. 12; Schroeder, Strafprozeßrecht, Rn. 75; Schweitzer/Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis, Rn. 924; Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten und Privilegien, S. 389 f.; Seitz, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, vor § 59 Rn. 39; Tangermann, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 86 f.; KK-StPOTolksdorf, § 206a Rn. 7; LK-StGB-Tröndle (10. Aufl. 1985), vor § 3 Rn. 74; Volk, Prozeßvoraussetzungen, S. 221; ders., Grundkurs StPO, § 14 Rn. 11; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 497; Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, § 5 III. 2.; Zehnder, Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 19. Auch in der älteren strafrechtlichen Literatur wurde vielfach bereits die prozessuale Theorie vertreten. Vgl. die Nachw. oben in Anm. 8.
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diese ganz überwiegend als Verfahrenshindernisse ein.39 Dieser „prozessualen Theorie“ hat sich sogar der Internationale Gerichtshof im Urteil im Verfahren Demokratische Republik Kongo ./. Belgien vom 14. Februar 2002 angeschlossen, indem er feststellte: “Immunity from criminal jurisdiction and individual criminal responsibility are quite separate concepts. While jurisdictional immunity is procedural in nature, criminal responsibility is a question of substantive law. Jurisdictional immunity may well bar prosecution for a certain period or for certain offences; it cannot exonerate the person to whom it applies from all criminal responsibility.”40
Ausländische Gerichte haben gleichfalls betont, die völkerrechtlichen Immunitäten wirkten allein prozessual, nicht aber im Sinne einer Befreiung von der Strafbarkeit.41 Zum Begriff des Verfahrenshindernisses sei an dieser Stelle folgendes festgestellt: Verfahrenshindernisse – synonym wird auch von „Prozeßhindernissen“ gesprochen – liegen vor, wenn eine Verfahrensvoraussetzung (Prozeßvoraussetzung) fehlt.42 Verfahrensvoraussetzungen bzw. Prozeßvoraussetzungen sind Bedingungen, die gegeben sein müssen, damit ein Strafverfahren mit dem Ziel einer Sachentscheidung (weiter) durchgeführt werden darf. Es handelt sich um Voraussetzungen für die Zulässigkeit der (weiteren) Durchführung eines auf eine Sachentscheidung (Verurteilung oder Freispruch) abzielenden Strafverfahrens.43 Nach der vom BGH verwendeten Formulierung ist eine Prozeßvoraussetzung ein Umstand, ___________ Bothe, ZaöRV 31 (1971), 246 (267); Brownlie, International Law, S. 320, 350; Dahm, Problematik des Völkerstrafrechts, S. 83; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 277, 469; Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1040 (1042); dies., Diplomatic Law, S. 374; Fastenrath, in: Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 369 (387); Verdross, Völkerrecht, S. 332; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 901; Wickremasinghe, in: Evans (Hrsg.), International Law, S. 387 (390). 40 IGH, Urteil im Verfahren Democratic Republic of the Congo ./. Belgium vom 14.2.2002, ILM 41 (2002), 536, (31.3.2006), para. 60. 41 Vgl. die Nachw. bei Brownlie, International Law, S. 350 sowie bei Denza, Diplomatic Law, S. 374, die zu dem Schluß kommt: “national courts have emphasized that immunity is procedural in character and does not affect any underlying substantive liability, and this is now a well-established rule”. Siehe ferner American Law Institute, Restatement of the Law Third, Foreign Relations Law, § 464, wo gleichfalls eine bloß prozessuale Wirkung völkerrechtlicher Immunitäten angenommen wird. 42 So die ganz herrschende Meinung, nach der die Begriffe „Verfahrenshindernisse“ und „Prozeßhindernisse“ lediglich negative Umschreibungen von „Verfahrensvoraussetzungen“ bzw. „Prozeßvoraussetzungen“ sind. Vgl. etwa Krack, GA 2003, 536 (536); KKStPO-Pfeiffer, Einl. Rn. 130; LR-StPO-Rieß, Einl. Abschn. J Rn. 45, § 206a Rn. 22; Riess, in: Roxin/Widmaier (Hrsg.), FS BGH IV, S. 809 (811). Kritisch aber Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Einl. Rn. 142; ders., in: Arnold u.a. (Hrsg.), FS Eser, S. 373 (374). 43 Vgl. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Einl. Rn. 142; KK-StPO-Pfeiffer, Einl. Rn. 131; Riess, in: Roxin/Widmaier (Hrsg.), FS BGH IV, S. 809 (811 f.); LR-StPO-Rieß, Einl. Abschn. J Rn. 45, § 206a Rn. 23. Siehe auch die kritische Analyse bisheriger Begriffsbestimmungen von Krack, GA 2003, 536 (537 ff.). 39
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der nach dem ausdrücklich erklärten oder aus dem Zusammenhang ersichtlichen Willen des Gesetzes für das Strafverfahren so schwer wiegt, daß von seinem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des Verfahrens im ganzen abhängig gemacht werden muß.44 2. Begründung dieser Auffassung Begründet wird die prozessuale Theorie damit, daß sich nur mit ihr die völkerrechtlich festgelegte Befugnis eines Verzichts auf Immunitätsschutz durch den Staat, in dessen Interesse eine Immunität gewährt werde, und die aus dem Verzicht resultierende Berechtigung der Bundesrepublik, die betreffende Person strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, ohne weiteres erklären lasse.45 Zudem wird darauf hingewiesen, daß eine Immunität ratione personae mit Beendigung der Funktion