Völkerkunde in München: Voraussetzungen, Möglichkeiten und Entwicklungslinien ihrer Institutionalisierung (ca. 1850 - 1933) [1 ed.] 9783428482269, 9783428082261


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German Pages 373 Year 1994

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Völkerkunde in München: Voraussetzungen, Möglichkeiten und Entwicklungslinien ihrer Institutionalisierung (ca. 1850 - 1933) [1 ed.]
 9783428482269, 9783428082261

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WOLFGANG

J. SMOLKA

Völkerkunde in München

MÜNCHENER UNIVERSITÄTS SCHRIFTEN

Universitätsarchiv LUDOVICO MAXIMILIANEA Universität Ingolstadt-Landshut-München Forschungen und Quellen Herausgegeben von Laetitia Boehm Forschungen Band 14

Völkerkunde in München Voraussetzungen, Möglichkeiten und Entwicklungslinien ihrer Institutionalisierung (ca. 1850 - 1933)

Von

Wolfgang

J. Smolka

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Smolka, Wolfgang J.: Völkerkunde in München: Voraussetzungen, Möglichkeiten und Entwicklungslinien ihrer Institutionalisierung (ca. 1850 1933) / von Wolfgang J. Smolka. - Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Ludovico Maximilianea : Forschungen; Bd. 14) (Münchener Universitätsschriften : Universitätsarchiv) Zugl.: München, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-08226-5 NE: Universität (München): Ludovico Maximilianea / Forschungen

Alle Rechte vorbehalten

© 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7662 ISBN 3-428-08226-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm für Bibliotheken

Zum Geleit Mußte das Geleitwort für den 13. Band Forschungen der Reihe Ludovico Maximilianea noch den beträchtlichen Abstand seit Erscheinen des 12. Bandes

bedauern, um jedoch zugleich den neuen Start ankündigen zu können, so ist es erfreulich, daß wenige Monate nach der Veröffentlichung von Christoph Schöner zur Mathematik- und Astronomie-Geschichte an der Universität Ingolstadt im 15./16. Jahrhundert nun mit Band 14 ein Beitrag zur Münchener Universitätsepoche des 19./20. Jahrhunderts vorgelegt werden kann. Der Arbeit von Wolfgang Smolka lag eine von der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften angenommene, dem Gegenstand nach jedoch in zwei Fakultäten angesiedelte Dissertation zugrunde, die erwachsen ist aus dem engagierten persönlichen Interesse des Autors an völkerkundlichen Problemkreisen, verbunden auch mit der durch seine hauptberufliche Tätigkeit im Universitäts-Archiv bedingten Vertrautheit mit der Münchener Universitätsgeschichte und ihrem Quellenmaterial. Die Ludwig-Maximilians-Universität ist bekanntlich seit ihrer NeubegrÜDdung durch König Ludwig I. in München (1826) ein besonderer Nährboden geworden für den mehrdimensionalen Transformationsprozeß sowohl der Residenzstadt zur modemen Kulturmetropole als auch der dem altbayerischen Gewand entwachsenen Landesuniversität zum modemen Wissenschaftszentrum: Hinfort behauptete München als Forum von Wissenschaften und Künsten im rivalisierenden Wettstreit der Kulturbrennpunkte seinen Platz zwischen Wien und Berlin. Mit der Regierung König Maximilians II. trat München vollends in eine Ägide dynamischer Entfaltung von speziellen forscherlichen Methoden und Disziplinen in Natur- und Geisteswissenschaften ein; Universität und Stadt als Heimstätte pluraler wissenschaftlicher Institutionen prägten so das besondere Profil Münchens. Die mäzenatische Kultur- und Hochschulpolitik der Herrscherhäuser des 19 . Jahrhunderts hat für manches heute so bezeichnete "Orchideenfach" , für manchen Zweig hochspezialisierter Grundlagenforschung die Basis geschaffen, wodurch die deutschen Universitäten, zumal München und Berlin, Weltruf erlangten. Dazu zählt auch die "Exotik in München", wie eine jüngere Publikation die Grundsteine der Münchener ethnographischen Sammlungen bezeichnete. Die Völkerkunde bzw. Ethnologie, heute keineswegs mehr "Orchideenfach", gehört zu jenen Kennt-

VI

Zum Geleit

nisbereichen, welche nach einer sehr langen heterogenen Vorgeschichte sich dann im Laufe des 19. Jahrhunderts im Oszillieren zwischen den Kultur- und Sozialwissenschaften den Weg zur Verselbständigung als wissenschaftliche akademische Disziplin bahnten. Gleichwohl zählt die Ethnologie als höchst anspruchsvoller Disziplinkomplex zu den "jungen Wissenschaften", die noch immer und immer wieder in heißen Debatten um Selbstverständnis, Methoden und Forschungsgegenstände stecken. Wolfgang Smolka unternimmt es, in Kenntnis, aber mit kluger Distanz zum Gestrüpp der Methodendiskussionen, am Beispiel Bayerns erstmals den disziplingeschichtlichen Werdegang der Völkerkunde aufgrund von gedruckten und ungedruckten Quellen zu beleuchten: von der Sammlungsfreude der Wittelsbacher über die Stationen der Institutionalisierung der Ethnographischen Sammlung in München kraft königlicher Berufung eines Konservators 1862, dann über die 1916 begründete Personalunion von Museums-Direktion und dem neu geschaffenen Universitäts-Ordinariat bis zur Emeritierung des ersten Lehrstuhlinhabers 1933, womit eine vorübergehende Rückverlagerung an das Museum und eine mehr als zwanzigjährige Vakanz des Lehrstuhis eingeleitet wurde. Es geht also um die Vor- und Frühgeschichte der beiden heute in München international renommierten Institutionen, nämlich des erst 1955 nominell errichteten Instituts für Völkerkunde und Afrikanistik der LudwigMaximilians-Universität und des Staatlichen Museums für Völkerkunde. Der räumliche Untersuchungsraum und die zeitliche Konzentration auf den Verwissenschaftlichungsprozeß der Völkerkunde in München, die wechselseitige Bedingtheit, Divergenz und Konvergenz des musealen und des akademischen Aufgabenfeldes, schaffen auch einen Verständnishorizont für die diffizile Heterogenität des Faches. Der Autor exemplifiziert die Entwicklungslinien an den Forschungsbiographien und Amtskarrieren der so unterschiedlichen Persönlichkeiten, welche die institutionelle Kontinuität und Vielschichtigkeit der Münchener Völkerkunde prägten: der Zoologe Moritz Wagner, der Algerien, Vorderasien und die amerikanischen Kontinente bereiste, der Afrikareisende und Kolonialpionier Max Buchner, der Sanskritist und Indologe Lucian Scherman. - Von jeher ein weites Spektrum von Sammelfleiß, Erfahrungen und ihrer wissenschaftlichen Durchdringung umfassend, hat die Völkerkunde bis heute nicht den Reiz des Abenteuerlichen abgestreift. Auch in diesem Sinne seien dieser Untersuchung Wünsche für den Weg in eine weite wissenschaftliche Öffentlichkeit mitgegeben. München, im November 1994

Laetitia Boehm Vorstand des Universitäts-Archivs München

Vorwort Diese Studie wurde 1991 von der Philosophischen Fakultät für Geschichtsund Kunstwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Für die Betreuung, ihre große Geduld dabei, und für die schließliehe Aufnahme in 9ie Reihe Ludovico Maximilianea habe ich besonders Frau Professor Dr. Laetitia Boehm zu danken. Sie hat nicht nur fachlich die Arbeit begleitet und ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes befürwortet, sondern auch persönlich regen Anteil am Fortgang der Arbeit genommen. Zu danken habe ich weiterhin der Studienstiftung des Deutschen Volkes für die Aufnahme in den Kreis ihrer Stipendiaten, ebenso Herrn Professor Rainer A. Müller (Eichstätt) für manchen freundschaftlichen Rat. Gespräche, Anregungen und gutachterliehe Förderung habe ich auch durch die Herren Professor Dr. Hans Fischer (Hamburg), Professor Dr. Johannes W. Raum und Professor Dr. Gerhard A. Ritter (heide München) erfahren; ihnen sei dafür herzlich gedankt. Weitere Hinweise und Anregungen erhielt ich aus dem Teilnehmerkreis des Münchener Colloquiums zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte am Lehrstuhl von Frau Professor Dr. Laetitia Boehm. Diesen Teilnehmern sei hier ebenso gedankt wie allen Helfern in den von mir benützten Archiven und Bibliotheken; genannt seien hier besonders Frau Spin im Münchener Universitätsarchiv, die Damen und Herren in den Abteilungen des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, der Bayerischen Staatsbibliothek, des Münchener Völkerkundemuseums und der anderen Archive und Bibliotheken. Für manche Überbeanspruchung ihrer Geduld und ihres Verständnisses schulde ich meiner Frau und meiner Tochter größten Dank! In einer unvorhersehbaren, schwierigen familiären Situation haben es meine Schwiegereltern durch ihre Hilfe mitennöglicht, daß diese Arbeit seinerzeit fertiggestellt werden konnte; dafür sage ich hier auch ihnen meinen Dank. - Widmen will ich diese Arbeit aber allein meinen Eltern: meiner Mutter zum Dank, meinem Vater zum Gedenken. Wolfgang J. Smolka

Inhalt

1. 2. 3. 4.

I. Einführung

1

Polemische Vorrede .. . . . . . . . . . .. . .. .. .. . . . . . . .. .. ... . . . . . . . . . . .. . ... . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . .. . Die Völkerkunde in München als Disziplin: der Forschungsgegenstand ........ Institutionelle Entwicklungslinien und Beispiele .......... .......... .................. Frühformen der Völkerkunde in München - ein Überblick . ........................ a) Wittelsbachische Sammeltätigkeit und Samuel Quicchebergs begehbare Enzyklopädie der Welt ................................................................. b) VöHcerkunde und Ethnographica bei den ersten bayerischen Königen ...... c) Völkerkunde an der Universität München bis etwa 1859 ......................

1 4 18 35 35 39 45

11. Moritz Wagner, erster Konservator der ethnographischen Sammlung in München (1862-1887)

50

1. Fünfzig Jahre des Reisens und Schreibens ............................................. 51

a) Erste Dispositionen ......................... .................. .......................... 51 b) Zwischen Naturforschung und Tagespolitik ....................................... 55 c) Wagner und das Förderprogramm Maximilians II ............................... 61 d) Die Novara-Expedition ................................................................ 71 2. Die Errichtung der ethnographischen Sammlung im Galeriegebäude ............ 75 a) Wagners letzte Reise als dessen erste Forschungsreise ......................... 75 b) Wagners Bemühungen um eine feste Anstellung ................................. 78 c) Wagners Ernennung zum Konservator und die Organisation der ethnographischen Sammlungen ... . . . . .. . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . 84 d) Die personelle und materielle Ausgestaltung der Sammlungen ............... 88 e) Die Sammlung in den Augen von Publikum und Wissenschaft ............... 92 3. Der Naturforscher Moritz Wagner im Spannungs feld sich ausformender Fachwissenschaften ................................................. '.' . . . . .. . ... . . . . . . . . . . ... 95 a) Die Professur für Länder- und Völkerkunde an der Universität München .................................................................................. 95 b) Geographie, Länder- und Völkerkunde ............................................ 101 c) Urgeschichte und Anthropologie .................................................... 106 d) Die Migrationstheorie Moritz Wagners und die Anthropogeographie Friedrich Ratzels ................................... " ................................... 111 e) Von der Er-Fahrungs-Wissenschaft zur armchair science ..................... 117

x

Inhalt

IU. Die ethnographische Sammlung unter Max Buchner (1887-1907)

124

1. Die Nachfolge Moritz Wagners ........................................................... 125

a) Ein Angriff auf die Selbständigkeit der ethnographischen Sammlung ....... 125 b) Die Bewerber ............................................................................ 128 c) Die Berufung Max Buchners ......................................................... 132 2. Max Buchners Wirken als Konservator ................................................. 136 a) Dienst im "staatlichen Schandgebäude" ............................................ 136 b) Die etatmäßige Ausstattung ........................................................... 138 c) Sammelreisen und Kolonialgedanke ................................................ 141 d) Die Mehrung der Sammlungen durch Schenkungen ............................ 146 3. Max Buchners "Ausstrahlung" ............................................................. 150 a) Kunst kontra "Götzenkram'" .......................................................... 150 b) Buchner, der Außenseiter ............................................................. 155 c) Abseits aller Unternehmungen ....................................................... 158 d) Buchners publizistische Tätigkeiten ................................................. 161 4. Buchners Quieszierung, seine Nachfolge und der Wille zur Verbesserung ..... 165 a) "Das Peruanische Ungewitter" ........................................................ 165 b) Revue der Nachfolger .................................................................. 170 c) Grundsätzliche Erwägungen, personelle Ein- und Ausgrenzungen .......... 174 d) Versuche zur personellen Neugestaltung .......................................... 178 e) Chancen für die Sinologie und Amerikanistik .................................... 181

IV. Museum und Lehrstuhl unter Lucian Scherman (1907-1933)

188

1. Von der ethnographischen Sammlung im Galeriegebäude zum Museum für Völkerkunde .................................................................................. 189 a) In der Enge der Hofgartenarkaden .................................................. 189 b) Finanzierung und weiterer Ausbau des Museums ............................... 194 c) Neugestaltung im Bann der Kunststadt ............................................. 201 2. Die Etablierung der Völkerkunde an der Universität ................................ 206 a) Lucian Schermans akademische Karriere ......................................... 206 b) Der Lehrstuhl für Völkerkunde Asiens ............................................ 211 c) Die Leitfunktion der Philologie ...................................................... 215 d) Das Verhältnis von Museumsdirektion und Ordinariat ......................... 221 3. Personalpolitik zwischen Museum und Universität .................................. 224 a) Walter Lehmann: Hoffnungen für die Amerikanistik ........................... 224 b) Adolf Dirr: Sprachforschung und Kulturpolitik .................................. 234 c) Meinulf Küsters, Max Feichtner und die Afrikanistik .......................... 241 d) Heinrich Ubbelohde-Doering ........................................................ 247 4.' Exkurs: Vom Forschungsinstitut für koloniale Völkerkunde zum Kulturmorphologischen Institut: Leo Frobenius in München (1918-1925) ............. 249

Inhalt

XI

V. Der Verlust des Lehrstuhls für Völkerkunde nach 1933 - ein Ausblick

272

1. Schermans Ruhestandsversetzung 1933 und der erste Vorschlag zur Wiederbesetzung von Lehrstuhl und Direktion ....................................... 273 2. Gegen die Ämtertrennung und für die Sinologie ..................................... 278 3. Stagnation in der Berufungsfrage und Verlust des LehrstuhIs ..................... 282 VI. Entstehungsmöglichkeiten und EntwicklungsHnien der Münchner Völkerkunde. Eine zusammenfassende Betrachtung

291

1. Das Primat der Person ...................................................................... 291 2. Die fachwissenschaftliche Ausdifferenzierung ........................................ 296 3. Gesellschaftliche Relevanz und ökonomische Bedingungen ....................... 299 4. Die Entwicklungslinie der Völkerkunde in München ............................... 302

Verzeichnis der ungedruckten Quellen ....................................................... 307 Verzeichnis der gedruckten Quellen und abgekürzt zitierten Literatur ............... 309 Biographischer Anhang ......................................................................... 322 Dokumentenanhang .............................................................................. 341 Personenregister .................................................................................. 355

Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen ADB

AdW-ZA AGG ao I a.o. AZ BayAkadW BayHStA BayHStA-KA BSB-H DLA EHH ETHB FinMin fl GenKon GHA KuMi

MinÄ MNN NDB NL 0/0.

PersA PhilFak I (11) SBPK StadtABrsw StadtAMchn SUBG UAM UBHdlbg UBM VKMHbg VKMMchn VWS

Allgemeine Deutsche Biographie Akademie der Wissenschaften, Berlin, Zentrales Archiv Archiv der Görresgesellschaft außerordentlich Allgemeine Zeitung Bayerische Akademie der Wissenschaften Bayerisches Hauptstaatsarchiv München Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Kriegsarchiv Bayerische Staatsbibliothek München, Handschrlftenabteilung Deutsches Literaturarchiv Marbach Ernst-Haeckel-Haus Jena ETH-Bibliothek Staatsministerium der Finanzen Gulden (bis 1870 Währung in Bayern) Generalkonservatorium der Wissenschaftl. Sammlungen d. Staates Geheimes Hausarchiv München (=BayHStA, AbLIII) Kultusministerium (= Staatsministerium des Innern f. Kirchen- u. Schulangelegenheiten, 1918 Staatsminist. für Unterricht u. Kultus) Ministerium des k. Hauses und des Äußern, ab 1918 Staatsministerium des Äußern Münchner Neueste Nachrichten Neue Deutsche Biographie Nachlaß ordentlich Personalakt Philosophische Fakultät I. (11.) Sektion Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Stadtarchiv Braunschweig Stadtarchiv München Niedersächsische Staats-und Universitätsbibliothek Göttingen Universitätsarchiv München Universitätsbibliothek Heidelberg Universitätsbibliothek München Hamburgisches Museum für Völkerkunde Staatliches Museum für Völkerkunde in München Verwaltung der Wissenschaftlichen Sammlungen des Staates

I. Einführung 1. Polemische Vorrede "In times of crisis there is an inevitable return to fundamentals. Questions such as relation of knowledge to the world of experience are revived, often in a disharmonious way ... " So lautet die Klage des südafrikanischen Ethnologen Archie Mafeje in einem Beitrag aus den 1970er Jahren über Probleme seiner Wissenschaft. 1 Daß gerade ein Afrikaner zu Beginn einer lokal begrenzten Studie zur deutschsprachigen Völkerkunde in den Zeugenstand gerufen wird, soll nur dokumentieren, daß diese Wissenschaft sich weltweit in einem Dilemma befindet: Jahrzehntelange Diskussionen um den Status des Faches was ist diese Wissenschaft, und was will sie - haben keineswegs zu dessen Klärung beigetragen, vielmehr eine Situation geschaffen, in der sich die Fronten so hart wie eh und je gegenüberstehen. 2 Solch eine Selbstfindung einer Disziplin, einer Wissenschaft, wirft natür1ich eine ganze Reihe von Fragen auf: in welchen größeren Verband reiht sie sich ein - ist sie eine Geistes-, Sozial-, Naturwissenschaft, eine historische, soziologische oder politische Wissenschaft? Seit wann ist sie eine wirklich eigenständige Disziplin, wie organisiert und ergänzt sie sich, was ist überhaupt der Gegenstand ihrer Forschung, und welcher Methoden bedient sie sich, welche Theoriegebäude liegen ihr zugrunde, und sind diese auch lehr-, d.h. wieder vermittelbar?3 Alles Fragen, von denen man meinen könnte, eben jener geforderte Rückgriff auf die historischen Wurzeln, also die Beiziehung der Geschichte der eigenen Disziplin, könnte leicht Klärung verschaffen. So besteht zunächst auch weitgehend Einvernehmen über das, was eine Disziplin ausmacht: der gemeinsame Forschungsgegenstand, eigene Methoden und eiArchie Mafeje: The problem of anthropology in historical perspective: an inquiry into the growth of the social sciences, in: Canadian Journal of African Studies 10 (1976) 307-333, hier 307. 2 Ein Überblick über die Diskussion der letzten 100 Jahre eben aus dem Blickwinkel der Ideengeschichte z.B. bei Elman R. Service: A century of controversy. Ethnological issues from 1860 to 1960. Orlando u.a. 1985. 3 Zur Konzeption moderner Wissenschaften bzw. deren Existenzvoraussetzungen vgl. aus der umfangreichen Literatur etwa bei: Boehm, Wissenschaft 7-36; oder Diemer, Wissenschaften 175 ff.

2

I. Einfilhrung

gene Organisationsstrukturen. 4 Auch die Notwendigkeit solch einer Rückbesinnung steht bei allen Diskutanten außer Zweifel. 5 Doch nun zeigt sich das ganze Ausmaß des Elends, scheint doch nicht einmal halbwegs definierbar zu sein, was als historische Grundlage zu gelten hat, wo die Kinderstube der Völkerkunde zu finden ist. Zurück zu den Wurzeln also? Ja! Aber nicht nur auf dem Pfad der Geschichte von Ideen und Theorien, sondern auch unter angemessener Berücksichtigung gesellschaftlicher, personeller, institutioneller, historisch konkreter Faktoren. Hilfe in dieser Richtung hätte man sich vielleicht aus der Debatte um Thomas S. Kuhns Modell, um dessen Erwähnung man an dieser Stelle wohl kaum herumkommt, erwarten können. 6 Dies Modell erklärt bekanntlich die Genese und Entwicklung moderner Wissenschaften - wenn auch am Beispiel von Naturwissenschaften, so doch verallgemeinernd - anband der Historizität auch ihrer konkreten gesellschaftlichen und nicht bloß theoretischen Faktoren. 7 Dies hat an der fachinternen Diskussion aber wenig geändert, wenn nicht gar Öl ins Feuer gegossen, denn ganz offensichtlich sind alle Versuche, historische, formende "wissenschaftssoziologische " Fakten zu einer angemessenen Berücksichtigung kommen zu lassen, bisher hoffnungslos versickert. Selbst Bemühungen wie etwa die Signe Seilers, anband der historischen Aufarbeitung ganz konkreter Beispiele aus der nordamerikanischen Ethnologiegeschichte zwischen Kuhns Ideen und den ihnen extrem gegenüberstehenden Neopositivisten wie Analytikern zu vermitteln, welche die "jeweils 4 Exemplarisch bei Rainald von Gizycki: Prozesse wissenschaftlicher Differenzierung. Eine organisations- und wissenschaftssoziologische Fallstudie. Berlin 1976. Zur Wissenschaftsgeschichte auch als Disziplingeschichte vgl. u.a. Wolf Lepenies: Probleme einer historischen Wissenschaftsforschung, in: Clemens Burrichter (Hg), Grundlegung der historischen Wissenschaftsforschung. Stuttgartl Basel 1979, 23-47; Gemot Böhme: Kann es theoretische Wissenschaftsgeschichte geben?, in: Clemens Burrichter (Hg), Grundlegung der historischen Wissenschaftsforschung. Stuttgartl Basel 1979, 107-121; Hoykaas 153-172. 5 Zur Begründbarkeit von Wissenschafts- und Disziplingeschichte vgl. etwa Bialas, bes. 55 f.; nicht nur Begründungen für die philosophischen Fächer, auch ~j.nen kurzen Rückblick über die bisherige Diskussion bei Christian Thiel: Neuere Uberlegungen zur Geschichtsschreibung einzelwissenschaftlicher Disziplinen, in: Peter Janich (Hg), Entwicklungen der methodischen Philosophie. Frankfurt am Main 1992, 125-147. 6 Thomas S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt am Main 1973. Bis 1988 wurden allein von der englischsprachigen Ausgabe (von 1962) 690.000 Exemplare verkauft, dazu wurde das Buch in mindestens 19 Sprachen übersetzt; vgl. Hoyningen-Huene-, Wissenschaftsphilosophie 7. 7 Vgl. bei Paul Hoyningen-Huene: Der Zusammenhang von Wissenschaftsphilosophie, Wissenschaftsgeschichte und Wissenschafts soziologie in der Theorie Thomas Kuhns., in: Journal for General Philosophy of Science 22 (1991) 43-59.

1. Vorrede

3

konkrete,historisch entwickelte Form in ihrer Mannigfaltigkeit nicht begreifen" , 8 sind bei den Fachkollegen der damnatio memoriae verfallen. Obwohl in den letzten Jahren mehr denn je - und nicht ausschließlich im deutschen Sprachraum, den wir hier nur im Auge behalten wollen - Einzelstudien zum Bereich der Wissenschaftssoziologie des Faches entstehen, wird die Diskussion um die Lage und die Neubesinnung des Faches weiterhin äußerst theoriebetont geführt. 9 Die Fragwürdigkeit dieser Entwicklung mag daher auch mancherorts schon offenkundig geworden und der Einfachheit halber schlicht durch "Ausgrenzung" bewältigt worden sein: wendet man sich etwa hilfesuchend dem Handlexikon der Wissenschajtstheorie 10 zu, so sucht man darin vergeblich nach Erhellung unter dem Stichwort Völkerkunde, ebenso wie den möglichen Begriffen Ethnologie, sodal anthropology oder cultural anthropology, welche für diese Disziplin stehen könnten. Offenbar haben sie in diesem Kompendium als Wissenschaft keinen eigenen Platz zugewiesen bekommen. Was ihr Theoriegebäude angeht, so ist es in denen anderer Disziplinen aufgegangen. Offenbar ist die Völkerkunde doch eine" Allerweltswissenschaft" ,11 und da hilft auch die etwas schmeichelhaftere Behandlung der Ethnologie durch Michel Foucault recht wenig, der - offenbar einer älmlichen Erkenntnis folgend - dieser als einer "Humanwissenschaft" ihren Platz im "TriMer des Wissens" zugewiesen hat. In jenem "voluminösen und nach drei Dimensionen geöffneten Raum", 12 zwischen den Dimensionen der Naturwissenschaften, der Sozial- und Geisteswissenschaften und der Philosophie also, muß eine "Humanwissenschaft" wie die Ethnologie in einem äußerst labilen Gleichgewicht ihr Dasein behaupten, immer Gefahr laufend, einer der sie umgebenden Ebenen zu nalte zu kommen und ihre eigene Identität zu verlieren. Der Verfasser vorliegender Untersuchung würde sich also in ein Meer von Treibsand begeben, hätte er solche theoriebeladenen - gerade polemisierend vorgetragenen - Überlegungen zur Grundlage seiner Arbeit gemacht. Er wird auch keinesfalls bereit sein, der Völkerkunde auf ihren nur allzu labilen und 8 Seiler 3. Mit Beispielen aus der Zulu-Forschung beweist in ähnlicher Form Johannes W. Raum die Bedeutung historisch-gesellschaftlicher Faktoren für die ethnologische Geschichtsschreibung: Historical concepts and the evolutionary interpretation of the emergence of states: The case of the Zulu reconsidered yet again, in: ZtE 114 (1989) 125-138. 9 In unserem Sinne besonders kontraproduktiv etwa A. Bruck, welcher selbst gerade das Dilemma des Faches in der dauerhaften Verknüpfung von (historisch konkreten) Persönlichlceiten mit ihren (Forschungs-)Theorien begründet sieht: Andreas Bruck: Theorien statt Schulen, in: Anthropos 85 (1990) 45-54. 10 Helmut Seiffertl Gerard Radnitzky (Hg): Handlexikon zur Wissenschaftstheorie. München 1989. 11 Nach H .Fischer , Allerweltswissenschaft. 12 Foucault 416 ff.

4

I. Einfiihrung

gefährlichen Platz ins Foucaultsche All zu folgen, auch wenn dies bisher den Anschein haben mochte. Vielmehr sind hier solche Überlegungen sublimiert, welche zwangsläufig der Ausgrenzung und Abgrenzung zum Opfer gefallen sind. So stehen diese Gedanken auch nicht am Ende der Arbeit, denn dort hat nur das Platz, was tatsächlich als Ergebnis nachfolgender Untersuchung ganz konkret faßbar werden soll: Wie und warum gerade so die Völkerkunde in München sich zu dem entwickelt hat, was sie heute ist. - Und darum soll der Scherbenhaufen dieser Überlegungen hier ein für allemal verlassen werden im Vertrauen auf das, was Wolfgang Brückner seinen Fachkollegen in der Volkskunde, einer Disziplin, welche der Völkerkunde ja nicht ganz fremd ist, als Ermunterung mit auf den Weg gegeben hat, eben daß "auch die Geisteswissenschaftler keine Scheu zu haben brauchen, von sich selbst zu reden und nicht bloß von ihren Ideen, so als existierten diese losgelöst von ihrem privaten Leben. "13 So stellt diese Arbeit eine institutionen- und personengeschichtliche, lokal und zeitlich begrenzte Studie über die Ausformung der Völkerkunde zu einer selbständigen Disziplin in München dar. Sie hat zum Ziel, die vorhandenen Grundlagen, die Faktoren, welche deren Entfaltungsmöglichkeiten abstecken, und die daraus resultierende Entwicklungslinie sozusagen vom Protoplasma bis zur endgültigen Ausformung als selbständig verankertes Fach im universitären wie musealen Bereich aufzuzeigen. Sie verfolgt damit gleichzeitig die Absicht, einen Baustein für eine Disziplingeschichte der Völkerkunde in Deutschland zu liefern. 2. Die Völkerkunde in München als Disziplin: der Forschungsgegenstand Wie in der Vorrede schon angedeutet, bedarf gerade die Völkerkunde mehr als manch andere Disziplin aufgrund ihrer nicht eindeutig fixierbaren Stellung im Kanon der Fachwissenschaften einer näheren Begriffsklärung. Ein Indiz dafür ist schon die Tatsache, daß in und außerhalb des deutschsprachigen Raumes die Termini Völkerkunde, Ethnologie, Ethnographie und auch Anthropologie zur Bezeichnung ein und derselben Wissenschaft, aber mit durchaus unterschiedlichem Inhalt nebeneinander gebraucht werden. 14 Auf eine ausführliche begriffsgeschichtliche Erläuterung kann in dieser Arbeit jedoch verzichtet werden, da in ihr eine historische Entwicklung dargestellt werden wird, in deren Verlauf auch eine Begriffsklärung aus der Darstellung selbst Srückner 24. 14 Eine ganze Reihe solcher zahlloser Einordnungsversuche werden bei Wolfgang Rudolph zusammengefaßt und analysiert. 13

2. Der Forschungsgegenstand

5

erwächst. 15 Deshalb wird hier die Völkerkunde zunächst inhaltlich ganz umfassend definiert werden als die Beschäftigung mit indigenen Völkern und Kulturen, welche Antwort gibt auf die Summe der "Fragen nach dem Woher des Menschengeschlechts, nach den Ursprüngen und Anfangen der menschlichen Kultur, Sprache, Gesellschaft und Religion, und der Ausgliederung der Menschheit in Rassen und Völker, ihre Entwicklung unter der Einwirkung innerer Kräfte und gegenseitiger Beeinflussung. "16 Diese weitausholende Definition entspricht damit fast dem Bild einer Wissenschaft, wie sie vor allem in Nordamerika unter dem Begriff anthropology eine Mehrzahl von Einzelwissenschaften über den Menschen subsumiert und dabei neben archeology, physical anthropology und linguistics auch die Fächer cultural anthropology und social anthropology umfaßt. Zu letzterer zählt neben den Religionswissenschaften und der Psychologie auch die allgemeine Geschichte; zur cultural anthropology gehörend finden wir dagegen die beiden Begriffe, welche neben der Völkerkunde auch in unserem Sprachraum gebräuchlich sind: Ethnologie und Ethnographie. Haben selbst im europäischen Sprachgebrauch trotz paralleler Benützung diese Begriffe je nach "Arbeitsrichtung" noch unterschiedliche Inhalte,l7 so soll hier künftig der Begriff Völkerkunde immer als umfassender Arbeitsbegriff, somit auch gleichberechtigt und synonym für Ethnologie und Ethnographie gebraucht werden. 18 In diesem Sinne wurde die Völkerkunde gleichsam als Leitbegriff bei der inhaltlichen Abgrenzung vorliegender Arbeit benutzt. Erfaßt wurden alle Bereiche, die sich durch diesen oder die synonym gebrauchten Begriffe ausgezeichnet haben; dies beginnt etwa bei einer Förderung der "Länder- und Völkerkunde" im 19. Jahrhundert und endet in einer begrifflich fast ungebrochenen MÜDchener Tradition beim "Institut für Völkerkunde und Afrikanistik". Der oben äußerst weitmaschig eingezäunte Forschungsgegenstand der Völkerkunde, welcher den eingangs skizzierten Schwierigkeiten bei einer aktuellen Standortbestimmung des Faches eher in die Hände arbeitet, erfordert somit eine zusätzliche Konkretisierung. Diese geschieht wohl am besten durch Ausgrenzung jener "klassischen" akademischen Fächer vom Menschen, wie 15 Zur Begriffsgeschichte etwa bei H.Fischer, in ZfE 95, 169-182; oder bei F.Krause, Ethnologische Studien 1, 135-166; ebenso bei Kamberl Moser. 16 Nach Mühlmann 13. 17 So befaßt sich etwa in Skandinavien Ethnologie auch mit der eigenen Volkskunde; seit 1871 heißt das Universitätsfach Volkskunde offiziell Ethnologie, besonders europäische; vgl. Svensson 1-4. 18 Relativ einig war man sich im deutschen Sprachraum schon Ende des 19.Jhs über den Gebrauch von Ethnographie für die eher beschreibende, und Ethnologie für die eher vergleichende Völkerkunde. 2 Smolka

6

I. Einfilhrung

sie die Medizin, die Geschichtswissenschaften und die Philologien der alten Welt darstellen, aber auch jener neben der Völkerkunde in zeitlicher Anlehnung neu entstandenen selbständigen Fächer wie physische Anthropologie, Volkskunde oder Vor- und Frühgeschichte. 19 Auch diese Ausgrenzung ist Teil der Entwicklung der Völkerkunde zum "emanzipierten" akademischen Fach und wird in der Darstellung selbst mit berücksichtigt. 20 Denn solche Aus- und Abgrenzungsbemühungen sind für die Münchner Völkerkunde sogar überlebenswichtige Schritte teilweise noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein. Nicht von dieser Ausgrenzung betroffen sind regionale Fachgebiete, also Afrikanistik, Amerikanistik, etc., wie sie schon im 19. Jahrhundert erkennbar werden; sie sind eindeutig als Spezialgebiete der Völkerkunde zuzurechnen. Auch diese deuten schon einen Entwicklungsstrang der Völkerkunde an: durch die Absetzung von den verschiedensten Nachbarfachem gerät sie in erster Linie zu einer Wissenschaft, deren Gegenstand außereuropäische Völker und Kulturen sind, oftmals unter Ausschluß alter Hochkulturen. Alleinige Träger völkerkundlichen Wirkens in München, in denen sich diese Fachwissenschaft bleibend manifestierte, sind heute das Staatliche Museum für Völkerkunde und das Institut für Völkerkunde und Afrikanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität. Die Darstellung wird zeigen, daß sich beide in ihrer Existenz und als museales wie als akademisches Fach gleichermaßen gegenseitig bedingt haben und damit in groben Zügen der generellen Entwicklung der Disziplin in Deutschland entsprechen, eben jener enormen Abhängigkeit der Völkerkunde in ihrer Initialphase als Wissenschaft von ihrem institutionellen Attribut Museum. Ebenso wird sich aber zeigen, daß der Verlauf der beiderseitigen Entwicklung durchaus auch für Münchner Gege19 Diese Grenzbereiche zu den Nachbardisziplinen haben durchaus Beachtung erfahren, z.B. bei Ernst Winkler: Ethnographie und Geographie, in: Geographica Helvetica 21 (1966) 186-191; Alfred Kohler: Ethnohistorie und Geschichtswissenschaft - Zur neueren Theoriediskussion in der Ethnologie. Ein Review-Artikel, in: Wiener Ethnohistorische Blätter, H. 24 (1982) 3-16; Wilhelm Koppers: Was ist und was will die völkerkundliche Universalgeschichte?, in: HJb 52 (1932) 40-55; Ders.: Der historische Gedanke in Ethnologie und Praehistorie, in: Wiener Beiträge zur Kulturgeschichte und Linguistik 9 (1952) 11-65; Wilhelm E.Mühlmann: Ethnologie und Geschichte, in: Studium Generale 7 (1954) 165-177; Albrecht Schneider: Musikwissenschaft und Kulturkreislehre. Zur Methodik und Geschichte der vergleichenden Musikwissenschaft. Bonn-Bad Godesberg 1976. 20 Dazu ein handlicher Überblick bei Thilenius, Völkerkunde 384-399. Für die Frühzeit, selbst schon wieder mit Quellenwert, auch bei Achelis, Entwicklung, und Achelis, Modeme Völkerkunde, sowie bei Bastian, Vorgeschichte. Für die nachfolgenden Strömungen s. bei Stemberg 215-258, allerdings noch unter den Gesichtspunkten eines Evolutionisten. Marvin Harris ist sicher für den angelsächsichen Raum als Standardwerk kompetent, stößt jedoch für den deutschsprachigen Teil auf erheblichen Widerspruch.

2. Der Forschungsgegenstand

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benheiten sehr spezifische Eigenarten aufzuweisen hat. Nach institutionellen Kriterien ist die Völkerkunde in München erstmals 1868 mit der Aufstellung einer selbständigen ethnographischen Sammlung faßbar geworden. Nimmt man jedoch mit der Ernennung Moritz Wagners zum ersten Konservator der ethnographischen Sammlung das Jahr 1862 als Ausgangspunkt an, so markiert dieser nicht nur den frühestmöglichen zeitlichen Ansatz, sondern weist gleichzeitig auf die große methodische Bedeutung der personengeschichtlichen Komponente dieser Untersuchung hin: bildet ab 1868 die ethnographische Sammlung bis hin zum Völkerkunde-Museum der Gegenwart eine ungebrochene Traditionslinie, so ist die ab 1862 ebenso ununterbrochen fortfahrende Reihe der Konservatoren bzw. Direktoren noch weitaus bedeutender für die Fixierung einer disziplingeschichtlichen Entwicklungslinie. Denn die Reihe der Konservatoren ist nicht nur der "rote Faden", anband dessen sich Entstehung, Aufbau und Weiterentwicklung der ethnographischen Sammlung zum Staatlichen Museum für Völkerkunde nachvollziehen lassen, mit dem Direktor Lucian Scherman als dem dritten in der Folge der Sammlungsleiter wird auch erstmals 1916 die Völkerkunde mittels Personalunion von Museumsdirektion und einem Ordinariat an der Ludwig-Maximilians-Universität personell wie institutionell seßhaft. An der Universität selbst könnte mithin bei einer institutionen- wie personengeschichtlichen Untersuchung die disziplingeschichtliche Spur erst sehr spät aufgenommen werden und hätte dabei zunächst noch einen recht kurzen Verlauf, zieht man in Betracht, daß bereits wieder 1933 mit der Emeritierung Schermans eine Vakanz bis zur Einrichtung des Instituts für Völkerkunde im Jahre 1955 eingetreten ist. Berücksichtigt man dann noch weiterhin, daß bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die Völkerkunde an der Universität aus einem weitgehend indifferenten Vorlesungsangebot zwischen Statistik, Universalgeschichte, allgemeiner Länder- und Völkerkunde, Geographie oder Erdkunde selbst begrifflich kaum herauszufiltern ist, so bleibt für den methodischen Weg einer zeitlich umfassenden Darstellung tatsächlich nur diese Möglichkeit: Beginnend beim ersten Konservator der neu errichteten ethnographischen Sammlung in München folgt man der Reihe der Konservatoren gleichsam einer Nivellierungslinie, an der der Wechsel zwischen Divergenz und Konvergenz im Verhältnis von Universität und Museum als den für eine Etablierung der Völkerkunde maßgeblichen Einrichtungen abgelesen werden kann. Die Untersuchung findet dabei ihr Ende mit den ausgedehnten Verhandlungen um eine Nachfolge Schermans ab 1933, die zwar mit dem vorübergehenden Verlust des Lehrstuhls, aber dadurch mit einer endgültigen Neuordnung und Festschreibung des Verhältnisses von Universität und Museum die Etablierungsphase der Disziplin "Völkerkunde" in München zu einem endgültigen Abschluß bringen. Da es sich hier um eine lokal und thematisch eng umgrenzte Untersuchung handelt, erfolgt zunächst eine sehr komprimierte Darstellung völkerkundlicher

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I. Einfilhrung

Entwicklungslinien im deutschsprachigen Raum, welche anschließend durch eine Reihe institutioneller Beispiele belegt wird und für den weiteren Verlauf der Darstellung Vergleichsmöglichkeiten schafft. Die daran anschließende Skizze früher völkerkundlicher Aktivitäten in München, sowohl an der Universität (also ab 1826) wie besonders in den fürstlichen bzw. staatlichen wissenschaftlichen Sammlungen (bereits ab dem 16. Jahrhundert), dient einer Klärung der Ausgangssituation für die nachfolgende Initialphase. Diese beginnt mit einem ersten großen Abschnitt über Moritz Wagner und dessen Wirken als erster Konservator der ethnographischen Sammlung. Der Behandlung auch der ganzen persönlichen Umstände des Journalisten und Forschungsreisenden Wagner kommt insofern größere Bedeutung zu, als hier die ganze Palette an Möglichkeiten und Chancen, unterschiedlich wirkenden Kräften und Strömungen offenbar wird, die zu einem ersten mächtigen Kristallisationspunkt für die Münchner Völkerkunde in ihrer ersten Phase hätte führen können! Dieses Protoplasma der Möglichkeiten im Szenario sich ausdifferenzierender neuer Wissenschaften des 19. Jahrhunderts läßt jedoch deutlich werden, daß das vorhandene Potential kaum zur Nutzung gekommen ist. Unter ähnlichem Aspekt ist die Phase von 1887 bis 1907 unter Wagners Nachfolger Max Buchner zu betrachten. Eine innere Entwicklung der Sammlungen hat kaum stattgefunden; eine Ausdehnung völkerkundlichen Wirkens auf neue Bereiche schon gar nicht. Somit können in diesem Abschnitt nur die Faktoren einer bedauerlichen Stagnation der Münchner Völkerkunde zentraler Gegenstand der Untersuchung sein. Dagegen beginnt mit der Übernahme der Amtsgeschäfte durch Lucian Scherman von 1907 bis 1933 eine Periode des stetigen Aufstiegs. Scherman erweist sich als mächtiger Kulminationspunkt. Das Museum steigt aus bejammernswerten Verhältnissen auf zu einem gleichberechtigten völkerkundlichen Dokumentations-Zentrum im Deutschen Reich und findet Anschluß an die internationalen Standards. Vor allem aber installiert sich nun erstmals mit Scherman die Völkerkunde als eigenständige Disziplin an der Münchner Universität. Der Höhepunkt dieser Phase wird erreicht, als die bisher etatmäßige DirektorensteIle des Museums dem Ordinariat der Universität überwiesen wird, und gleichzeitig eine gezielte Personalpolitik am Museum das völkerkundliche Lehrangebot an der Universität erweitert. Mit dem Ende von Schermans Amtszeit 1933, der zweijährigen Interimsregierung durch den Hauptkonservator Heinrich Ubbelohde-Doering und der neuerlichen Festsetzung einer etatmäßigen Museumsirektorenstelle findet die Etablierung der Völkerkunde in München insoweit ihren Abschluß, als dadurch die Weichen für eine endgültige Neuordnung der Verhältnisse bis in die Gegenwart gestellt werden. Ab der Errichtung eines eigenen Völkerkunde-Instituts durch Hermann Baumann im Jahre 1955 werden Universität und Museum endgültig getrennte Wege gehen. Nicht allein wegen dieser entwicklungsgeschichtlichen Zäsur muß die Untersuchung in ihrem

2. Der Forschungsgegenstand

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Kern im Jahre 1933 enden und die folgende Zeit einem nur kursorischen Ausblick überlassen: vor allem archiv- und datenschutzrechtliche Zwänge machen es derzeit noch nötig, eine Fortsetzung dieser stark personenbezogenen Arbeit einem anderen methodischen Zugang zu überlassen. Diese Untersuchung ist also weitgehend chronologisch ausgerichtet. Eine systematische Einteilung etwa nach Fragen des Karriereverlaufs, nach Vorlesungsinhalten, Etat- und Berufungsfragen, Verhältnis von Museum und Universität, Kolonialismus und Völkerkunde, etc. hätte sich zwar ebenfalls angeboten und vor allem den Vergleich der Bedingungen einzelner Zeitabschnitte gefördert, hingegen der Transparenz zeitlicher Abläufe äußerst hinderlich im Wege gestanden. Gerade dieses aber hätte auch dem erklärten Ziel entgegengewirkt, Entwicklungslinien aufzuzeigen. Somit ist sichergestellt, daß aus dem chronologischen Verlauf gleichsam die Festigung der Disziplin erkennbar wird, welche ja so viele Affinitäten zu anderen, älteren ebenso wie jungen Nachbardisziplinen aufweist, daß aber genauso deutlich wird (und das gilt gerade für die Münchner Verhältnisse), was in der großen Summe der Chancen und Möglichkeiten nicht realisiert worden ist; Passagen mit zeitweise nur darstellendem Charakter ließen sich deshalb nicht immer vermeiden. Ein abschließendes Kapitel übernimmt es daher, mit systematischen Fragestellungen unter Einbeziehung des Vergleichs einzelner Zeitabschnitte die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung endgültig und zusammenfassend darzulegen. Die den jeweiligen Hauptabschnitten der Untersuchung vorangestellten kurzen Einführungen sollen deshalb keine Ergebnisse vorwegnehmen, sondern nur einem Überblick über die jeweilige Epoche dienen; aus dem gleichen Grund wurde auch auf ein Fazit am Ende eines jeweiligen Zeitabschnitts verzichtet. Der Verfasser stand, nachdem er sich einen ersten Überblick verschafft hatte, vor der Alternative, sich für einen Längsschnitt etwa von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des Nationalsozialismus zu entscheiden, oder auf eine der hier gekennzeichneten Einzel-Epochen der Münchner Völkerkunde intensiver einzugehen. Letzteres hätte natürlich die Ausweitung der Fragestellung auf ergo-biographische Gesichtspunkte und ideengeschichtliche Untersuchungen sowohl fachinterner Art als auch unter stärkerer Berücksichtigung nachbarlicher Disziplinen zur Herausarbeitung von Ab- und Ausgrenzungsvorgängen mit sich gebracht. Der derzeit recht dürre Forschungsstand zur Münchner Völkerkunde hat aber zu der Überzeugung geführt, daß ein Längsschnitt wie der vorliegende weitaus befruchtender auf weitere Forschungsansätze wirken kann als eine bislang isoliert darstehende Detailuntersuchung etwa ausschließlich für den Zeitraum Wagners, Buchners, Schermans, u.s. w. Trotz eines stark an den Konservatoren orientierten, personenbezogenen Vorgehens wurde das Augenmerk zunächst auch auf andere völkerkundliche

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I. Einftihrung

Aktivitäten in München gerichtet. Doch zeigte sich bereits nach kurzem Quellen- und Literaturstudium, daß eine Einbeziehung von einschlägigen Vereinen, Gesellschaften oder auch einzelner Forschungsreisen und Expeditionen mangels engerem Bezug zur Fragestellung nicht möglich war. Ebenso sind das Vortrags- und Ausstellungswesen, die Tätigkeiten in Kunst und Kunstgewerbe hier ohne Relevanz. Auf die Ausweitung der Untersuchung auf andere völkerkundliche Elemente außerhalb Münchens, wie etwa auf die Aktivitäten der Erzabtei St.Ottilien, wurde aus grundsätzlichen Erwägungen verzichtet: Dies hätte konsequenterweise eine noch weitere Ausdehnung beispielsweise auf die amerikanistischen Forschungen an der Universität Würzburg unter Karl Sapper etc. nach sich gezogen, für die Erhellung der eigentlichen Fragestellungen in München aber kaum Fortschritte erbracht. Aus ähnlichen Erwägungen wurde von dem ursprünglichen Vorhaben abgesehen, die während der Zeit des Nationalsozialismus für München forcierte Errichtung eines Reichsinstituts für Innerasien-Forschung (auch als "Sven-Hedin-Institut" bekannt) hier abzuhandeln. Erstens sind dabei die Bezüge zur "bodenständigen" Münchner Völkerkunde nur in geringem Maße nachweisbar, zweitens hätte eine Bearbeitung vor allem den Aspekt der Reichsinitiative und damit völlig andere methodische Ansätze und Fragestellungen als bisher berücksichtigen müssen, und drittens liegt der Vorgang ohnehin außerhalb des gesetzten zeitlichen Schwerpunktes. Die Frage des Sven-Hedin-Instituts ist rundum ergiebig genug für eine eigene, umfangreiche Untersuchung, die hier nicht geleistet werden kann. Dagegen wurde es als notwendig erachtet, zumindest in einem kurzen und eher positivistisch konstruierten Exkurs auf die kurzzeitige Existenz des Kulturmorphologischen Instituts (1919-1925) von Leo Frobenius in München einzugehen, natürlich nur unter institutionellen wie personellen Gesichtspunkten. Diese Einrichtung hat zeitweise eine bedrohliche Konkurrenzsituation für Museum wie Universität geschaffen, aber auch, vor allem unter den Augen der Akademie, die Aussicht auf einen bedeutenden Zugewinn für die Münchner Völkerkunde projeziert. Vorliegende Untersuchung basiert überwiegend auf archivalischen Quellen. Der lokalen Eingrenzung entsprechend befinden sich die meisten relevanten Akten, Denkschriften und handschriftlichen Nachlaßteile in Münchner Archiven. Hier sind an vorderster Stelle, nach Umfang wie inhaltlicher Bedeutung der vorhandenen Quellen, das Archiv der Ludwig-Maximilians-Universität sowie das Bayerische Hauptstaatsarchiv zu nennen. Deren Bestände konnten gleichermaßen zu institutionellen wie personellen Fragestellungen herangezogen werden. Im Universitätsarchiv wurden neben den Personalakten der Dozenten und Professoren vor allem die Akten der Philosophischen Fakultät I. Sektion konsultiert, in Fragen der Abgrenzung von Lehraufträgen gegebenfalls auch die

2. Der Forschungsgegenstand

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der H. Sektion der Philosophischen Fakultät (ab 1937 unter der Bezeichnung Naturwissenschaftliche Fakultät). In den Dekanatsakten waren neben den Sitzungsprotokollen der Fakultät vor allem die Berufungsunterlagen im Lehrstuhlakt Völkerkunde für die Nachfolge Scherman von Bedeutung; aus diesen, ergänzt durch Aktenmaterial nachbarlich berührter Fächer, ließen sich wesentlich die Vorgänge um die nicht zustandegekommene Wiederbesetzung des Völkerkunde-Lehrstuhls nach 1933 rekonstruieren. Während sich aus den Beständen der Rektorats- und Senatsakten die Senatsprotokolle als unergiebig erwiesen, konnten die allgemeinen Akten des Akademischen Senats zu einschlägigen Fragestellungen den Fakultätsakten hilfreich zur Seite stehen. Zur Frtihzeit der Völkerkunde an der Universität ließ sich nur vereinzelt Material auffinden, verstreut in den Dekanatsakten des 19. Jahrhunderts und in einigen Senatsakten. Die Akten des Verwaltungsausschusses der Universität waren ohne Belang. Ein nicht unerheblicher Teil der Bestände im Universitätsarchiv stellt zu denen mit universitärem Bezug im Hauptstaatsarchiv naturgemäß eine Doppelüberlieferung dar. Dies ist insoweit von Bedeutung, als ein großer Teil der Bestände des 19. Jahrhunderts, vor allem solche aus der zweiten Hälfte, zu den Kriegsverlusten des Bayerischen Hauptstaatsarchivs gerechnet werden müssen. Diese Verluste werden trotz Doppeldokumentation dort noch als schmerzlich empfunden, wo es sich um die Vorgänge auf ausschließlich ministerieller Ebene sowie zwischen Ministerien und Generalkonservatorium bzw. Verwaltung der Staatlichen Sammlungen handelt, da diese durch anderweitige Überlieferungen kaum mehr rekonstruierbar sind. Bemerkbar macht sich dies gleichermaßen in der institutionellen wie personellen Dokumentation vor allem der ethnographischen Sammlung, in EinzelfaIlen auch im Universitätsbereich. Zeitlich betroffen ist zum großen Teil die Konservatorenzeit Moritz Wagners, mehr noch die Max Buchners. Unterzieht man die somit noch verbleibenden Bestände einer Wertung, so sind vor allem die Akten zu den Erwerbungen, zu Gebäude- und Verwaltungspersonalfragen ergiebig; die Personalakten des wissenschaftlichen und leitenden Personals sind meist im Inhalt dürftig, dagegen schließt hier ein Sammelakt zum wissenschaftlichen Personal so manche Lücke. Zu universitären Fragestellungen gibt es vor dem Ersten Weltkrieg keine relevanten Bestände; der Akt Ordentliche Professur für Völkerkunde Asiens 1928-1933 entspricht inhaltlich den Unterlagen über die Nachfolgeverhandlungen im Universitätsarchiv , bietet jedoch stellenweise dazu Ergänzungen. Im Gegensatz zum Universitätsarchiv lassen sich für diesen Zeitraum im Hauptstaatsarchiv aber kaum flankierende Bestände finden, wie sie etwa für die Bezugnahme auf eine geplante Ostasienprofessur oder die Sinologie etc. erforderlich wären. Eine Sichtung von Akten diverser Gesellschaften und Vereine hat zu der Erkenntnis geführt, daß sich aus diesen für die vorliegende Untersuchung kein Nutzen ziehen läßt. Gleiches ist für Mate-

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I. Einfiihrung

rial zu bemerken, welches eventuell einer Einordnung der Völkerkunde in koloniale Bestrebungen dienlich gewesen wäre. Dem wirtschaftlichen Charakter und den Interessen Bayerns entsprechend ist hier kaum nennenswertes Material vorhanden, und die stichprobenweise Einbeziehung auswärtiger Quellen zu dieser Fragestellung hat deren geringe Bedeutung für die Münchner Völkerkunde bestätigt. Dagegen recht aufschlußreich, weil sehr dicht dokumentiert, ist ein umfangreiches Aktenstück über das Kulturmorphologische Institut von Leo Frobenius in München für die Jahre 1918/19 bis 1925. Die Abteilung III des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, das Geheime Hausarchiv, erbrachte das meiste Material über die Anbindung Moritz Wagners an München durch die Kommission zur Förderung der Wissenschaften, dokumentiert in einschlägigen Protokollen, Denkschriften und Briefwechseln im Nachlaß Maximilians 11. Daneben befinden sich im Nachlaß der Prinzessin Therese noch einige Schriftstücke, welche Aufschluß über die Situation Max Buchners zwischen Königshaus und Generalkonservator bringen. Das Kriegsarchiv (Abt. IV) konnte mit einem Personalakt über Buchner nur Kärgliches zur Arbeit beisteuern. Ähnlich das Archiv der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, das gerade für die Überlieferungszeit bis zum Ersten Weltkrieg schwere Kriegsverluste zu beklagen hat. So ist aus diesem Archiv leider weder ein Beitrag zu den Fragen der Förderung Wagners durch Maximilian 11. zu finden oder über die erstmalige Einrichtung seiner KonservatorensteIle, noch über die späteren Nachfolgeverhandlungen. Ebenso mager verliefen die Recherchen im Münchner Stadtarchiv , welche außer einigen Personalmeldebögen und einem dürftigen Briefwechsel über die Bezuschussung des Museums wenig zutage gefördert haben. Naturgemäß sollte man im Münchner Völkerkundemuseum einen wesentlichen Bestand zur Geschichte dieser Institution auffinden, tatsächlich aber existieren nennenswerte historische Unterlagen erst ab der Zeit Lucian Schermans, die erst seit kurzem und nur grob geordnet und erschlossen sind. Sie beziehen sich in erster Linie auf die Geschäftsführung des Direktors, Ankäufe, Ausstellungen, Verwaltung, etc. (allerdings birgt manche späte Korrespondenz Schermans auch personen- und ideengeschichtlich verwertbare Splitter) und sind somit von zentralem Interesse für eine Museumsgeschichte. Da sich jedoch gerade für die Amtszeit Schermans der wesentliche Teil der Fragestellungen dieser Untersuchung auf die Universität verlagert hat, sind diese Bestände hier von untergeordneter Bedeutung. Einzig einige Korrespondenz den Museumsbund betreffend ist insofern von Interesse, als diese auch Bezug nimmt auf die Frage nach der Trennung von Ordinariat und Direktorat während und nach der Amtszeit Schermans. Daß die Situation im Münchner Völkerkundemuseum stellvertretend für alle anderen gesehen werden kann, haben einige "Probebohrungen" in den Museen von Hamburg, Köln, Freiburg

2. Der Forschungsgegenstand

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und Leipzig ergeben: Soweit Bestände überliefert sind - und hierbei handelt es sich oft noch um bedeutende Nachlässe oder Nachlaßsplitter von Forschungsreisenden, Ethnologen und Geographen - sind diese meist ungeordnet und unbearbeitet, somit nur schwer zugänglich und verwertbar. Dabei sollten die Recherchen gerade hier konkrete Ansätze zur Untersuchung der Stellung der Münchner Völkerkunde im personellen Beziehungsgeflecht der Gelehrten bringen. Ganz besonders in dieser Hinsicht ist es daher auch als eklatanter Mangel zu empfinden, wenn gerade zu den Hauptakteuren der Münchner Völkerkunde im angesetzten Untersuchungszeitraum auf keine eigenen Nachlässe zurückgegriffen werden kann. Ob es von Buchner und Scherman überhaupt solche gibt oder gab, war nicht zu klären. Daß es einen solchen von Moritz Wagner gab, ist von ihm selber verfügt, ebenso noch kurz nach seinem Tode überliefert und dokumentiert worden. Dennoch haben auch hier Nachforschungen nichts erbracht und deshalb muß dieser Nachlaß als verschollen gelten. Um so größere Bedeutung kam daher der - allerdings recht mühsamen - Recherche über mögliche Korrespondenzpartner zu. Hier fielen die Ergebnisse für Buchner und Scherman etwas mager aus. Bei Buchner dürfte dies mit seiner isolierten Stellung in der scientific community zu begründen sein, erstaunt aber dennoch etwas, da seine vorherige Tätigkeit im Kolonialdienst mehr Interaktion hätte erwarten lassen. Dies ist aber andererseits wieder ein Indiz für die völlig untergeordnete Stellung kolonialer Bestrebungen in München. Bei Scherman ist das Fehlen ausführlicher Korrespondenzen eher forschungstechnisch über die eben geschilderten unzugänglichen Bestände vor allem in den Völkerkundemuseen zu erklären, wobei allerdings ein guter Teil der museumsdienstlichen Korrespondenz im Münchner Völkerkundemuseum vorhanden, jedoch aufgrund veränderter Fragestellungen kaum ergiebig ist. Hingegen lassen sich von Wagner in einer Vielzahl von Gelehrtennachlässen Briefe auffinden, so etwa in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin, im Cotta-Archiv Marbach, im Ernst-Haeckel-Haus Jena, in Leipzig, in der Bayerischen Staatsbibliothek, in diversen Universitäts- und Stadtbibliotheken, etc. (in der Universitätsbibliothek München nur weniges zu Buchner und Scherman). Allerdings haben die wenigsten dieser Briefe Bedeutung für die vorliegende Untersuchung, dagegen wären sie eine ergiebige Quelle nicht nur für eine Aufarbeitung von Fragen zur populären wie wissenschaftlichen Entwicklungsgeschichte, sondern auch zu einer Sozialgeschichte der Gelehrten im 19. Jahrhundert. Zuletzt bedarf es noch einiger Hinweise auf gedruckte Quellen. Zu nennen sind im personengeschichtlichen Bereich naturgemäß Biographien, Nekrologe und Memoirenliteratur, welche von nur mäßigem Umfang und Nutzen waren; auf sie kann jeweils nur im Einzelfall hingewiesen werden. Daneben sind

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I. Einfiihrung

noch die Personal- und Vorlesungsverzeichnisse der Universität im Zusammenhang mit der personellen Ausstattung der Sammlungen und der Vorlesungstätigkeit des wissenschaftlichen Personals von Universität und Museum zu nennen. Neben Zeitungsbeiträgen haben die Landtagsprotokolle für einige Schlüssel-Jahre Hinweise bringen können. Gesammeltes statistisches Material stand nicht zur Verfügung. Ist bisher ein recht heterogenes Bild vom vorhandenen Quellenmaterial gezeichnet worden, so kann zusammenfassend doch gesagt werden, daß unter Einbeziehung aller vorhandenen Quellen sich ein durchaus zufriedenstellender Befund erstellen läßt, welcher die Zielsetzung der Arbeit weitgehend ermöglicht. Mußte die eine oder andere Fragestellung wegen Quellenmangel vielleicht vernachlässigt werden (e~wa die Beziehungen der Münchner Völkerkundler im 20. Jahrhundert zu den Fachkollegen außerhalb Münchens), so hat dies andererseits natürlich auch von vomeherein manche These bestätigt, etwa die geringe Bedeutung der Völkerkunde-Institute Münchens für die kolonialen Bestrebungen des Deutschen Reiches, nicht zuletzt damit zusammenhängend das Fehlen ethnographischer (nicht jedoch geographischer!) Gesellschaften, etc. Positiv zu bewerten ist beim Quellenbefund auch die Hilfe privater Korrespondenzen, welche über ihren meist wissenschaftstheoretischen Inhalt hinaus auch zu einigen personellen und institutionellen Fragen Aufschluß geben und somit - vor allem in der Zeit Wagners - fehlende amtliche Überlieferungen ergänzen konnten. Kann man das Münchner Völkerkundemuseum heute zu den bedeutenderen und auch zu den älteren Sammlungen in Deutschland rechnen, so hat sich dieses jedoch in der bisherigen Forschung nur wenig niedergeschlagen: es gibt kaum Literatur zu referieren, welche einen umfassenderen Überblick zur Geschichte des Museums und seiner Sammlungen bieten könnte. Auf wenigen Seiten geschieht dies 1926 durch Lucian Scherman, 21 ebenfalls älteren Datums (1957) ist ein Überblick von GÖpper. Den bislang umfassendsten Überblick bietet die Einleitung in einem Ausstellungskatalog von Claudius Müller. Sonst muß man sich mit diversen Einführungen zu Ausstellungskatalogen oder anderen kleineren Beiträgen zu einzelnen Sammlungen des Museums begnügen. Eine Museumsgeschichte als solche existierte bisher überhaupt nicht, um so erfreulicher ist deshalb die seit kurzem vorliegende Arbeit von Sigrid Gareis, die eine Untersuchung der Museums- und Sammlungskonzeption darstellt und in ihren zeitlichen Grenzen mit vorliegender

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zeichnis.

Für die hier nachfolgend genannten Titel vgl. die Angaben im Literaturver-

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Arbeit weitgehend identisch ist. 22 Somit kann in museums-konzeptuellen Fragen, teilweise auch im Zusammenhang theorienbildender Faktoren, auf diese verwiesen werden. - Damit ist die Forschung zur musealen Seite auch schon weitgehend erschöpft. Weder der Lehrstuhl für Völkerkunde noch das Völkerkunde-Institut an der Münchner Universität haben bisher eine disziplingeschichtliche oder institutionengeschichtliche Bearbeitung erfahren. 23 Überhaupt stellt gerade der Mangel an universitätsgeschichtlicher Forschung für den Bearbeitungszeitraum ein Kardinalproblem dar: Die sehr detailliert gearbeitete, materialreiche Untersuchung von Ursula Huber über die hochschulpolitische Situation der Münchner Universität 1832-1847 hat bisher noch keine Fortschreibung erfahren. Gerade mit ihrem Ende aber setzt vorliegende Untersuchung ein und muß deshalb für den gesamten Bearbeitungszeitraum auf eine solche detaillierte Grundlage verzichten, welche in der Lage gewesen wäre, wertvolle Hintergrundinformationen und Quellen für die Gesamtsituation der Universität zu erschließen. Ähnlich verhält es sich mit der soeben erscheinenden materialreichen- Untersuchung von Helmut Böhm über die Universität München in den ersten Jahren des Nationalsozialismus. Sie setzt eben erst dort ein, wo vorliegende Arbeit endet. Da vergleichbar aufwendige Vorarbeiten für vorliegende Untersuchung natürlich nicht geleistet werden können, stößt sie bei der exakten Einordnung der Ergebnisse in den Gesamtzusammenhang oftmals auf erhebliche Schwierigkeiten. Begrenzte Hilfestellung leisten so nur einige Arbeiten, wie etwa die zur Münchner Romanistik von Seidel-Vollmann, die über das historische Studium von Dickerhof-Fröhlich, oder etwa die Dokumentation von Dickerhof über die bayerische Studiengesetzgebung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, welche in ihren Auswirkungen allerdings bis in unseren relevanten Zeitraum hineinwirkt. Für marginale und Abgrenzungsfragen sind noch einzelne Beiträge in den beiden Bänden Die Ludwig-Maximilians-Universität in ihren Fakultäten heranzuziehen, herausgegeben von Boehm und Spörl. Hier leider unbedeutend sind etwa die zeitlich übergreifenderen Arbeiten von Wallenreiter über die Vermögensverwaltung der Universität vom 18. zum 20. Jahrhundert, aber auch die ältere Universitätsgeschichte Carl Prantls, welche ja bereits im Jubiläumsjahr 1872 endet und die letzten Jahre bis dahin ohnehin nur knapp behandelt.

22 Die Arbeit Gareis konnte dabei bereits auf erste Vorarbeiten des Verfassers zur hier vorliegenden institutionengeschichtlichen Untersuchung zuriickgreifen, wurde 1989 als Magisterarbeit am Münchner Institut für Völkerkunde und Afrikanistik vorgelegt und ist 1991 im Druck erschienen. 23 Allerdings ist gerade eine Magisterarbeit über Hermann Baumann, welcher 1954/55 das Münchner Völkerkunde-Institut begriindete, im Entstehen.

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Sind die Beiträge von Boebm und Weis in Spindlers Handbuch der Bayerischen Geschichte noch für einen Überblick zur Hochschulsituation zu nennen, so müssen diese auch im wesentlichen für den Hintergrund der allgemeinen wissenschaftspolitischen Situation in Bayern im Untersuchungszeitraum genügen. Verwertbare Einzelaspekte zur Kultur- und punktuell auch Wissenschaftspolitik des bayerischen Königshauses enthalten neuerdings die Forschungen von Hanisch und Körner. Können für die Regierungszeit Maximilians 11. dazu noch der Sammelband von Rainer A. Müller sowie die Arbeiten von Doeberl und Dirrigl genannt werden, ist für die spätere Zeit nur noch auf vereinzelte Beiträge zu Spezialproblemen zurückzugreifen. Auch für die Situation außerhalb Bayerns oder im Deutschen Reich angelegte Arbeiten, wie etwa die Rudolf Rieses über die Entwicklung der Universität zum Großbetrieb, die sich speziell an der Universität Heidelberg und an den badischen Gegebenheiten orientiert, können dem Mangel an Literatur für die bayerische wissenschafts- und hochschulpolitische Situation nicht abhelfen. Das umfangreiche Werk Helmut Heibers für die nationalsozialistische Hochschulzeit ist hier zeitlich wie inhaltlich eher marginal. Zusammenfassend kann also gesagt werden, daß es für die Zeit um die lahrhundertwende und danach an umfassenden Darstellungen zur Münchner Universitätsgeschichte und zur wissenschaftspolitischen Situation in Bayern fehlt, die es ermöglicht hätten, vorliegende Untersuchung intensiver in diesen Gesamtzusammenhang einzubetten. Von sehr unterschiedlichem Befund ist der Forschungsstand zu den hier hauptsächlich zu behandelnden Personen bezüglich einer biographischen und wissenschaftsgeschichtlichen Aufarbeitung. Über die geographische Leistung Moritz Wagners gibt die Marburger Dissertation von Hanno Beck Auskunft. Wagners Bedeutung für die Geographie wird durch Beck in einer Reihe weiterer Abhandlungen immer wieder hervorgehoben. Die Becksche Dissertation hat u.a. auch den polnischen Geographie-Historiker Babicz angeregt, über Wagners biologisch-evolutionistisches Migrationsgesetz seine Habilitationsarbeit zu verfassen. Zu dem durch seine Anthropogeographie bekannt gewordenen Schüler Wagners, Friedrich RatzeI, findet sich eine ausführliche ideengeschichtliche Aufarbeitung, allerdings auch schon älteren Datums, von SteinmetzIer. Sie ermöglicht Rückschlüsse auf die Biographie und das Ideengebäude Wagners. Dazu kommt nun noch eine geographiegeschichtliche Habilitationsschrift neuesten Datums von Gerhard H. Müller, welche sich noch im Druck befindet und bisher also noch nicht zugänglich war. 24 Der Beitrag Ganslmayrs über Moritz Wagners Bedeutung für die Ethnologie bringt vor dem Hintergrund bereits genannter Arbeiten nicht viel Neues. Max Buchner und Lucian Scherman haben bisher keinerlei Bearbeitung erfahren; 24

Erscheint nach Auskunft von G.H. Müller im Frühjahr 1994.

2. Der Forschungsgegenstand

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zu Buchner entsteht allerdings dem Vernehmen nach gerade eine ergo-biographische Arbeit, welche sich allerdings mit der Zeit Buchners als Konservator der Münchner ethnographischen Sammlung nur marginal befaßt. 2S Zu anderen Personen, welche in München völkerkundlich agierten oder mit München in engerer Verbindung standen, läßt sich ebenfalls vereinzelt nach Umfang und inhaltlicher Konsistenz unterschiedliche Literatur ausmachen, so etwa zu Walter Lehmann. Über Leo Frobenius, von dem bereits zahlreiche Lebensbilder, meist aus der Perspektive seiner Gefolgsleute verfaßt, vorliegen, ist ebenfalls eine wissenschaftliche Biographie im Entstehen. 26 Ideengeschichtliche und wissenschaftstheoretische Forschungen zu einzelnen Personen, wie etwa A. v. Humboldt, Ritter oder Bastian, wurden überhaupt nur insoweit konsultiert, als es eine institutionen- oder personengeschichtliche Einordnung der Münchner Protagonisten erforderlich gemacht hat. Völkerkundliche Einrichtungen in München, welche neben Universität oder Museum auch nur marginal in Betracht zu ziehen wären, wie beispielsweise verschiedene Vereine und Gesellschaften, sind in der Forschung bisher nicht berücksichtigt worden. Über ihre Bedeutung für diese Arbeit konnte daher, wie schon oben erwähnt, nur über kurze Akteneinblicke (negativ) entschieden werden. Wünschenswert, weil hilfreich wäre dagegen die Existenz weiterer institutionen-geschichtlicher Untersuchungen zu anderen staatlichen wissenschaftlichen Sammlungen, vor allem wegen ihrer viel faltigen Berührungspunkte zur ethnographischen Sammlung in deren Initialphase. Greift man zuletzt, weil es für vergleichende Aspekte nötig ist, auf die entsprechenden Literaturkomplexe für die Forschung über völkerkundliche Betreffe außerhalb Münchens zurück, so wird schnell deutlich, daß die Bearbeitung der bayerischen Verhältnisse immer noch zu den größeren Desideraten völkerkundlicher Disziplin-Geschichtsschreibung gehört! Alle bedeutenderen völkerkundlichen Wirkungsstätten sind bisher in der Literatur berücksichtigt worden, allen voran zu nennen wären hier etwa Köln, Göppingen und vor allem Berlin, neuerdings auch Hamburg und Frankfurt. Auf diese Forschungsbeiträge wird in den nachfolgenden Kurzdarstellungen noch hingewiesen werden. 27 Sucht man allerdings nach disziplingeschichtlichen Arbeiten zur Gesamtsituation der deutschsprachigen Völkerkunde, so ist, abge2S Nach Auskunft der Bearbeiterin, Regine Megatli, am Medizingeschichtlichen Institut der Universität Hannover. 26 Auskunft von Sybille Makowiec, Löchgau. 27 Hilfreich für einen Überblick über weitere Detailuntersuchungen wird sicher die .vom Verlag (K. G. Saur) für 1994 angekündigte Bibliographie von Irene Butt und Monika Eichler sein: Bibliographie Geschichte, Volkskunde, Völkerkunde. Deutschsprachige Hochschulschriften und Veröffentlichungen außerhalb des Buchhandels 1966-1980.

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sehen von den üblichen Standardwerken (Miiblmann, etc) und für die Frühzeit etwa Fiedermutz-Laun über Adolf Bastian, nichts herausragend Neues zu finden. Allein die jüngst erschienene Arbeit von Hans Fischer zur Völkerkunde im Nationalsozialismus ist zu nennen, die, wenn auch exemplarisch auf Hamburg konzentriert, durchaus übergreifende Aspekte der deutschen Völkerkunde in diesem Zeitraum aufgreift. Aber auch diese Arbeit berührt den eigenen Untersuchungszeitraum leider nur noch am Rande.

3. Institutionelle Entwicklungslinien und Beispiele Die Frage nach der institutionellen Entwicklung einer Völkerkunde-Wissenschaft im deutschsprachigen Raum enthebt uns im wesentlichen einer Betrachtung auf theoriegeschichtlicher Ebene und damit der Versuchung, etwa unter dem Leitbegriff der Anthropologie die ideengeschichtlichen Wurzeln menschlichen Interesses an fremden Kulturen wie so oft praktiziert bis zu Herodot, wenn nicht gar bis zum neugierig über die Bergkuppe schielenden Urmenschen zurückzuverfolgen. 28 Vielmehr können wir uns gleich dem Prozeß musealer Entwicklungen zuwenden, denn es steht außer Zweifel, daß eine Darstellung der Entstehung der Völkerkunde als einer selbständigen Wissenschaft zunächst eine Darstellung des Entstehungsprozesses völkerkundlicher Sammlungen und Museen zu sein hat, zeigt doch die Genesis jener, daß sie für die Völkerkunde als eigentliche "Geburtsstätten der Wissenschaft" zu gelten haben. 29 Für den deutschsprachigen Raum läßt sich dahingehend - zeitliche Phasenverschiebungen lokaler Entwicklungen einmal unberücksichtigt - eine recht einheitliche Entwicklung konstatieren, welche im folgenden komprimiert dargestellt wird. 30 Grundstock aller Völkerkundemuseen waren die meist ab dem 16. Jahrhundert angelegten Kuriositäten- oder Raritätenkabinette im Besitz von Herrscherhäusern, Adeligen, reichen Bürgern oder Reisenden, aber auch von 28

Zur Anthropologie, vor allem im 18. Jahrhundert, existiert umfangreiche Für die Einordnung als Bindeglied zur Völkerkunde und als weiterführende Uberblicke sei hier verwiesen auf Linden; Lepenies, Naturgeschichte und Anthropologie; Krauss; v.a. auch Rupp-Eisenreich. 29 Thilenius, Museen 186. 30 Kurze allgemeine historische Überblicke dazu fmden sich bei Hog 3-23, unter etwas anderer Perspektive auch bei Hog, Öffentlichkeit; Pfeil 8-93 und passim, sowie auch bei den meisten Darstellungen zu einzelnen Museen (s.u.). Pfeil, wie auch Plischke, Sammlung, gehen dabei auch auf die Verbindung von Museum und akademischer Disziplin ein. Zu einet:ti kleinen Forschungsüberblick dazu vgl. u.a. Pfeil 408, Anm. 2.- Allgemein läßt sich sagen, daß Monographien zur Theorie des Museums zahlreicher vorhanden sind als neuere Arbeiten über deren historische Entwicklung. Forschungsliter~~r.

3. Institutionelle Entwicldungslinien und Beispiele

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Stadtgemeinschaften und höheren Bildungsanstalten. Mit dem ursprünglichen Zweck dieser Sammlungen, einer bloßen Repräsentation ebenso wie einer noch ganz allgemein formulierten Befriedigung wissenschaftlicher Neugier, änderte sich während der Zeit der europäischen Aufklärung auch die Form der Sammlungen durch das Einsetzen nunmehr gezielten (natur-) wissenschaftlichen Interesses an den vorhandenen Objekten. 31 Bildeten bislang Kunst- und Gebrauchsgegenstände, Mineralien, Tierbälge und Schrumpfköpfe, Kultgegenstände und vorzeitliche Artefakte in traulichem Beisammensein eben ein Kuriositätenkabinett, so wurden sie jetzt bestimmten Ordnungsprinzipien unterworfen und, meist bei umfangreicheren Sammlungen, zu eigenen Bereichen zusammengefaßt und nun oft als "Naturalienkabinette" bezeichnet. Zu dieser Neuordnung gesellte sich auch bald eine gezielte Ergänzung des bereits Vorhandenen, die besonders durch die großen Reisen im 18. Jahrhundert ermöglicht wurde (etwa die Reisen von James Cook oder Georg und Johann Reinhold Forster) und den Kabinetten die erste große Zuwachswelle bescherte. 32 Erst das 19. Jahrhundert aber brachte die entscheidenden Veränderungen und daraus resultierend die eigentlichen Museen. Städte oder Universitäten kauften ganze Sammlungen auf, Herrscherhäuser unterstellten ihre einer öffentlichen Verwaltung, neben gelehrten Vereinen etablierten sich eigene Museums-Gesellschaften. Damit ergaben sich die Voraussetzungen zur Bildung größerer "Dokumentationszentren" unter einheitlicher Verwaltung und Betreuung. Die Forderung nach solchen Stätten, in denen das Material fremder Kulturen wie der eigenen Vorgeschichtszeit als Quelle zur Verfügung stehen sollte, ergab sich nicht zuletzt durch die intensive Rezeption von Darwins Evolutionstheorien, die ein gesteigertes Interesse an der eigenen Vorgeschichte und damit an den Naturvölkern als Abbild vermeintlicher Vorläufer der eigenen Gegenwartskultur hervorgerufen hatte. 33 Mit den speziellen Fra31 Dieser Entwicklung sind allerdings schon einzelne Gelehrten-Sammlungen, wie etwa die von Georg Agricola oder Johannes Kentmann in Deutschland, von Aldrovandi oder Mercati in Italien, vorausgeeilt. Sie muß man als Vorläufer naturwissenschaftlicher Museen betrachten. Neben zahlreicher Spezialliteratur dazu immer noch gültig Friedrich Klemm. Zur Museumsgeschichte des 19.Jahrhunderts einschlägige Quellen sind die beiden Schriften G.Klemm, Sammlungen und G.Klemm, Phantasie. ~r den europäischen Kontext der Museumsgeschichte vgl. jetzt die thematischen Uberblicksdarstellungen bei Impeyl MacGregor. Besonders zur Frühzeit und dem ideengeschichtlichen Hintergrund solcher Kabinette jetzt ausführlicher bei Giuseppe Olmi: L'inventario deI mondo. Catalogazione della natura e luoghi deI sapere nella prima etA moderna. Bologna 1992. 32 Vgl. etwa Hog, Öffentlichkeit 53 ff. 3~. Charles Darwin: On the Origin of Species. London 1859. Natürlich ist auch die Anderung der Bildungsstruktur und der Form der Gelehrsamkeit maßgebender Faktor an diesem Prozeß. Ursache und Wirkung sind hierbei nicht klar zu unterschei-

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gestellungen bildeten sich nun auch die speziellen Quellengmppen heraus, indem, auch schon des gewachsenen Umfanges wegen, die Sammlungen zu einzelnen Museen aufgeteilt oder doch zumindest in einzelne Abteilungen gegliedert, ja ganze Museen neu gegründet wurden. In diese Zeit fällt die eigentliche Geburtsstunde der ethnographischen Museen, die eben durch die weitere Absonderung ethnographischer Objekte von physisch-anthropologischen, zoologischen oder frühgeschichtlichen Sammlungen entstanden. In dieser "Initialphase der Wissenschaft Völkerkunde"34 bestimmten die neuentstandenen Museen nun ganz massiv die theoretischen Grundlagen der sich formierenden Wissenschaft Völkerkunde mit, welche deshalb anfangs naturgemäß materiellhistorisch orientiert war; hier fand also nicht nur der rezeptive Teil des Sammelns, Ordnens und Bewahrens statt, die Museen waren vielmehr ausschlaggebende Orte für die Theorienbildung in der Völkerkunde, was ihnen auch entsprechende Beachtung verschaffen sollte. Der Steyler Missionar Wilhelm Schmidt formulierte dies in seiner Aussage, daß das Land mit den besten und größten Museen auch den größten wissenschaftlichen Fortschritt für sich werde buchen können. 3S Zwar gab es auch andere Wege, die zur Völkerkunde führten, etwa über die klassischen Fächer der Philologie oder über die sich ebenfalls neubildenden soziologischen Wissenschaften, doch bestätigt die Entwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts diese Schlüsselposition der Museen zunächst dadurch, daß wenige Männer anband der Museumsbestände eine erste völkerkundliche Methode erarbeiten konnten. So basiert Adolf Bastians Völkergedanke, in dem er von der Parallelität der Kulturen ausgeht,36 auf der Auswertung materiellen Gutes. Ebenfalls durch den Vergleich dinglichen Kulturbesitzes entstand die Kulturkreislehre von Graebner und Ankermann und mit ihr wohl die erste einheitliche Methode in der deutschsprachigen Völkerkunde. 37 Graebner und Ankermann waren zur Zeit der Propagierung ihrer Theorie Assistenten am Berliner Museum für Völkerkunde, und als Museumsethnologe schrieb Graebner 1911 (nunmehr am Kölner Museum) auch seine Methode der Völkerkunde.

den. Zu diesem Komplex wird in vorliegender Arbeit (95 ff.) soweit möglich, eingegangen werden. 34 Pfeil 9. 3S W.Schmidt, Kulturhistorische Schule 1017. 36 Vgl. Adolf Bastian: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen und seine Begründung auf ethnologische Sammlungen. Berlin 1881. Ders: Der Völkergedanke, in: C.H. Schmitz (Hrsg.), Kultur. Frankfurt a. M. 1963, 54-64. 37 Am 14.11.1904 trugen Ankermann und Graebner auf einer Sitzung der Anthropologischen Gesellschaft in Berlin erstmals ihre Konzeption vor. Zu den Vorträgen vgl.: Fritz Graebner, Kulturkreise und Kulturschichten in Ozeanien, in: ZtE 37 (1905) 27-53; sowie Bernhard Ankermann, Kulturkreise und Kulturschichten in Afrika, in ZtE (1905) 54-84.

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Graebner und Ankermann wie auch Bastian waren aber nur elmge der Glieder in einer Reihe, deren Ursprung man wohl bei Friedrich Ratzel zu suchen hat, welcher in seiner Anthropogeographie den Grundstein für die Methode des dinglichen Vergleichs gelegt hatte. 38 Ihm folgte Leo Frobenius, der aber später an Ankermann und Graebner, welche ihre Methode aus Frobenius' Arbeiten gezogen hatten, heftig Kritik übte. Als eine Richtung, die wiederum aus dem Werk Graebners und Ankermanns hervorging, muß auch die Wiener kulturhistorische Schule Pater Wilhelm Schmidts betrachtet werden. 39 Seinen Mitbrüdern gab er neben anderen Anweisungen für ethnologisches Arbeiten auch genaue SaDlIDelinstruktionen mit in die Mission. 40 Schmidt, der den religionsgeschichtlichen Aspekt sehr stark beachtete, muß es wohl zugerechnet werden, daß für den deutschsprachigen Bereich erste gezielte Feldforschungen betrieben wurden. Ebenso war er es, der sich von allen kulturhistorischen Vertretern am ausdrücklichsten gegen den Evolutionismus wandte. 41 In den USA gelang diese Loslösung vom Evolutionismus durch Franz Boas, einem Schüler Bastians, indem er sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit seinem Konzept der cultural anthropology der empirischen Feldforschung zuwandte~ Ebenso führte der Amerikaner Bronislaw Malinowsky um 1920 weg von der "Schreibtisch-Ethnologie" durch seine Methode der teilnehmenden Beobachtung, und auch im deutschsprachigen Bereich bildeten sich nun andere Schulen, etwa mit der Ethnosoziologie Thumwalds oder der funktionalistischen Betrachtungsweise MÜblmanns, Die Loslösung von der Vorstellung Bastians, 38 Friedrich Ratze!: Anthropogeographie. 2 Bde. Stuttgart 1882/92. Ausführlich dazu bei Steinmetzler. Einzig Theodor Waitz: Die Anthropologie der Naturvölker. Leipzig 1859-72, wäre Ratzel noch voranzustellen. Vgl. dazu Henking 149. Einen früheren Vertreter der kulturhistorischen Richtung will Jettmar 268-269, mit Gerhard Friedrich Müller und seiner "Ethnographischen Instruktion" von 1740 gefunden haben. 39 Vgl. W. Schmidt, Kulturhistorische Schule, sowie Ders.: Handbuch. Interessant dazu auch: W.Schmidt, Wege der Kulturen, mit einem Verzeichnis der wichtigsten Schriften Schmidts. 40 Schmidt ist auch der Begründer der Zeitschrift "Anthropos". Zur Entstehungsgeschichte vgl. bei Rivinius. Allgemein zum Komplex der historischen Völkerkunde vgl. neben der Aufsatzsammlung bei Carl A.Schmitz: Historische Völkerkunde. Frankfurt a.M. 1967, auch zum fast unüberschaubaren Schrifttum den guten Kommentar von R.Heine-Geldern: One hundred Years of Ethnological Theory in the German-Speaking Countries. Some Milestones, in: Current Anthropology 5 (1964) 407-418. Für die in der Gegenwart andauernde Diskussion von Interesse ist der Tagungsband von Wolf-Dietrich Schmied-Kowarzik und Justin Stagl: Grundfragen der Ethnologie. Beiträge zur gegenwärtigen Theoriediskussion. Berlin 1981; sowie Karl R.Wernhart (Hg): Ethnohistorie und Kulturgeschichte. Wien 1986. 41 Zum Evolutionismus vgl. bei Raum, Evolutionismus 243 ff. - Allerdings verfiel Schmidt selbst wieder in den Evolutionismus, denn seine Einteilung in primäre, sekundäre und tertiäre Kreise sowie seine Kulturfolgen in den Kulturkreisen stellen selbst nichts anderes als Entwicklungsstufen dar. Dazu u.a. Schott 74 ff. 3 Smolka

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die Völkerkunde sei eine Geschichtswissenschaft,42 war ebenso wie die Abkehr von der Betrachtungsweise menschlicher Kulturen allein aus deren dinglichem Besitz heraus - unter der Mißachtung der Ethnien als solcher - das Kennzeichen für eine Veränderung des Verhältnisses von Wissenschaft und Museum. Diese Emanzipation der noch sehr jungen Disziplin von ihrer Geburtsstätte erfolgte nach der Jahrhundertwende an mehreren Orten gleichzeitig. 43 Die im 19. Jahrhundert entstandenen Völkerkundemuseen waren nicht von Fachethnologen aufgebaut und geleitet worden, denn solche gab es ja noch nicht, sondern durch Angehörige der unterschiedlichsten Disziplinen: Philologen, Historiker, Juristen und Mediziner, Archäologen, Zoologen oder Geographen. Erst die gemeinsame Beschäftigung mit einem gemeinsamen Gegenstand und die Schaffung erster einheitlicher Methoden und Arbeitsrichtungen konnten den Ethnologen als Wissenschaftler sui generis entstehen lassen. So folgten dann bald den ursprünglichen Museumsleuten aus Fremddisziplinen die "echten" Völkerkundler, die auch die Wissenschaftsdisziplin als ihre eigene formten. 44 Mit der Herausbildung differenzierterer Arbeitsrichtungen und Methoden, welche nicht mehr ausschließlich auf der Bearbeitung museal dokumentierten Quellenmaterials aufbauten, fand eine Abnabelung vom Dokumentationsort Museum statt. Mit der Verlagerung der Forschungsinteressen hin auch zu sozialen und kulturdynamischen Problemen, ebenso aber mit der Einbeziehung der Wissenschaftler in den organisatorisch-institutionellen Bannkreis jeder selbständigen Disziplin, verlagerte die Völkerkunde ihren Schwerpunkt mehr und mehr auf den Universitätsbetrieb. Es entstanden erste Lehrstühle für dieses Fach,45 der Nachwuchs rekrutierte sich nicht mehr aus dem Museumszweig, und die Museen selbst rückten nun innerhalb der Wissenschaft in eine eher marginale Stellung ein. Diese Rangänderung ist aber nicht allein im Entzug wissenschaftsimmanenter bzw. theorienbildender Aufgaben zu sehen, vielmehr wuchs diesen Institutionen nun von anderer Seite ein neuer Aufgabenbereich zu. Hatte die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die koloniale, ökonomische und auch wissenschaftliche Expansion große Sammelreisen initiert,46 so geschah ähnliches nochmals nach der Jahrhundertwende. Die Sammelreisen, die nun von den Museumsethnologen selbst durchgeführt wurden, dienten einerseits zur Ergänzung der mittlerweile veralteten Bestände (welche mit eine Ursache für die Abwendung der For42 43 44 20. Jh.

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V gl. allgemein dazu bei Kamber. Dazu u.a. Pfeil 69 ff. Zu den Formungskriterien neuer Wissenschaften als Fachdisziplin im 19. u. vgl. u.a. Boehm, Wissenschaft; ebenso Diemer, Wissenschaften. Die ersten waren in Leipzig, Göttingen, Hamburg; vgl. hier 28 ff. Hog 8.

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schung vom Museum darstellten), waren andererseits aber auch als Rettungsaktionen zur Sicherung aussterbenden Kulturgutes gedacht. Daß es dabei nicht mehr allein um die Rettung dinglichen Kulturbesitzes ging, sondern auch durch Feldarbeit andere Kulturwerte und -inhalte eingeholt und konserviert werden konnten, war mithin auch ein Verdienst der Museumsethnologen, die sich sehr schnell neuer Techniken bedienten. Sie hatten damit einen Teil ihres neuen Selbstverständnisses gefunden, wobei ihnen allerdings, oft nicht unberechtigterweise, eine Vernachlässigung wissenschaftlichen Denkens zugunsten des "Hamsterns" , wenn nicht gar Profilierungs- und Profitsucht vorgeworfen wurde. 47 Weiterhin sollte ein wesentlicher Teil der neuen Museumsarbeit künftig in der Hinwendung zur Öffentlichkeit liegen. 48 Das Museum hatte damit wieder zu einer neuen Rolle gefunden; für die Museumsethnologen stand somit auch nicht mehr unbedingt der Wunsch nach einer zusätzlichen Tätigkeit im akademischen Lehr- und Forschungsbetrieb im Vordergrund. 49 Dies ergab sich meist allein durch die örtlichen Gegebenheiten. Dabei ausschlaggebend waren vor allem die Schwerpunkte der Forschung; waren diese weitergehend materiell, beispielsweise auch kunsthistorisch, orientiert, so blieb das Museum mit ein Hauptträger des akademischen Betriebes. Bei einer strukturalistischen oder soziologisch ausgerichteten Arbeit war die Stellung des Museums nur noch marginal. Eine sehr wichtige Frage, wenn nicht die ausschlaggebende überhaupt, war dabei die organisatorische und personelle Verknüpfung des Museums mit Hochschul- oder Forschungseinrichtungen. Die Personalunion von Museumsleiter und Ordinarius, ein in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts noch üblicher Zustand, stellte dabei eine Schlüsselposition dar. 50 Die Bildung von Instituten und Seminaren im Gefolge der Errichtung von Lehrstühlen war markantestes Signal für die Emanzipation der Völkerkunde, die dabei den Museen, den örtlichen Gegebenheiten entsprechend, unterschiedlichste Stellungen zuwies.

47 Als Fallstudie einer solchen SammeIreise vgl. mit all diesen Problemen H.Fischer, Südsee-Expedition. 48 Besonders hier wird auf den Zusammenhang der Ethnologie mit Kunst, Kunsthandwerk, Kunstgewerbe etc. hingewiesen; man denke an die Vorbildfunktion der Naturvölker für viele Künstler der Jahrhundertwende, an Zivilisationsflucht, etc. Vgl. dazu u.a. bei Kramer, passim. 49 Oswald Richter, einer der engagiertesten Museumsethnologen seiner Zeit: "Die Hauptsorge der Museen ... und ihre edelste Aufgabe ~esteht heute [d.i. 1909, d.Vf.] im innigsten Verkehr .!J1it dem lebenden Strom der Offentlichkeit." (Hog 1517); zentral dazu nun Hog, Offentlichkeit. Thilenius, Museen 188 ff, will durch die Völkerkundemuseen nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg etwa die Volksgemeinschaft gestärkt sehen. 50 Zu dieser Frage stark engagiert etwa der Zeitgenosse Fritz Krause: Gegenwartsaufgaben der Völkerkunde, in: Mensch en Maatschappij, Jg. 9. 3'

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In der Zeit des Nationalsozialismus hatte die Völkerkunde sowohl an der Hochschule wie im Museum ihre Bedeutung zugunsten anderer Disziplinen, oder besser gesagt .. Arbeitsrichtungen" , aufgeben müssen. Bei den Museen traten die Heimat-, Armee- oder Volkskundemuseen stärker in den Vordergrund, an den Universitäten wurde Völkerkunde meist noch gelehrt, driftete aber entweder in die Richtung pragmatischer Auslandskunde oder Arier-Wissenschaft ab, oder verlor im Schatten der raum- und rassenpolitisch orientierten Lehrfächer an Bedeutung. 51 Der für viele Bereiche der Völkerkunde erzwungene Neuautbau im materiellen wie im geistigen Sinne nach dem Zweiten Weltkrieg festigte die meist schon vollzogene Trennung von Museum und akademischen Institutionen. Der Neuautbau brachte auch eine Neubesinnung mit sich, in deren Zuge der Rückgriff auf die eigene Disziplingeschichte verstärkt betrieben wurde. Gerade mit der in den 60er Jahren neu einsetzenden Diskussion der theoretischen Grundlagen und der Bereitstellung neuer Orientierungshilfen für eine von den soziologisch-strukturellen Arbeitsmethoden immer stärker bedrängten althergebrachten Wissenschaftsvorstellung sollte die Disziplingeschichte zur Plattform für eine sinnvolle Neuorientierung werden. Die nun folgende kleine Auswahl von "Kurzgeschichten" völkerkundlicher Institutionalisierung im deutschsprachigen Raum hat den Zweck, einerseits obige komprimierte Darstellung exemplarisch zu belegen, und zwar sowohl die Einheitlichkeit der groben Entwicklungszüge wie auch die Individualität der Detailvorgänge. Andererseits sollen diese Beispiele im Verlauf der nachfolgenden Untersuchung Vergleiche mit den Münchner Verhältnissen zulassen und gleichzeitig Hintergrundinformationen über Personen und Institutionen liefern, die mit der Münchener Völkerkunde in Berührung kamen. Diese Absichten haben auch die Auswahl der Beispiele bestimmt. Es mußte also auch an ihnen etwa der Dualismus Museum-Universität aufzeigbar sein, sie mußten noch in "historischer" Zeit, also noch vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden sein, und sie mußten wissenschaftlich wirksam geworden sein. 52 Darüberhinaus ausschlaggebend war natürlich ihre Verfügbarkeit in der Forschung; mangels einer geschlossenen Darstellung zur Geschichte völkerkundlicher In51 Zu den Wurzeln und dem Auseinanderdriften von Rassismus und Rassenforschung vgl. u.a. Houston Steward Chamberlain: Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts. München 1899; Gobineau, A. de: Essai sur l'inegalite des races humaines. Paris 1853; dazu bei Henking 149, oder bei dem eben genannten Fritz Krause: Völkerkunde-Anthropologie-Ethnobiologie, in: Ethnologische Studien Bd. 1, 135-166. Leipzig 1929-31. - Exemplarisch, aber auch mit grundsätzlichen Ergebnissen zur Hamburger Völkerkunde in der NS-Zeit bei H. Fischer, Völkerkunde in Hamburg, und Ders., Nationalsozialismus. 52 So entfielen beispielsweise alle Sammlungen von Missions- und Ordensgemeinschaften, z.B. der Steyler Missionare in Mödling bei Wien, jetzt St. Augustin, der Herrenhuter Missionsgemeinschaft, später Außenstelle vom Dresdner Völkerkunde-Museum, St. Ottilien etc.

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stitutionen53 mußte man also auf (oft nur vereinzelt vorliegende) eigene Darstellungen über sie zurückgreifen können. 54

Berlin55 Die Wurzeln für das Völkerkundemuseum, wie auch für alle anderen Museen in Berlin, war die "Kunstsammlung" des Großen Kurfürsten. Im ausgehenden 18. Jahrhundert wurden konkrete Überlegungen über eine Zugänglichmachung von Teilen der Sammlung für die Öffentlichkeit angestellt, als deren Ergebnis man 1830 die Eröffnung des "Alten Museums", eines Schinkel-Bauwerkes, sehen kann. Die vorhandenen Ethnographica wurden der "Sammlung heimischer und nordischer Altertümer" zugeschlagen. 1859 erfolgte die Eröffnung des "Neuen Museums", in dem nun neben einer ägyptischen und urgeschichtlichen auch eine ethnographische Abteilung bestand. Das Ordnungsprinzip war geographisch; der "Kunstgenuß" sollte im Vordergrund stehen. Großer Zuwachs in den folgenden Jahren führte 1873 zum Beschluß über die Gründung eines eigenen Museums für die urgeschichtlichen und die "exotischen" Bestände. Erst 1886 konnte aber der daraufhin erstellte Bau an der Königsgrätzer Straße eröffnet werden. Von Anfang an wurde an diesem heftig Kritik geübt; das Gebäude war ohne museales Konzept und hauptsächlich nach fassaden-ästhetischen Gesichtspunkten erstellt worden. Neben ausstellungstechnischen waren auch große Platzmängel zu beklagen, so daß Adolf Bastian, seit 1876 Museumsdirektor, schon 1899 Antrag auf Erweiterung des Museums stellen mußte. 53 Auch als Quelle sind solche institutionelle Überblicke, wie man es etwa für frühere Zeiten beispielsweise als Reiseführer oder Apodemiken kennt, nicht bekannt: Friedrich K.G.Hirsching: Nachrichten von sehenswürdigen Gemälde- und Kupferstichsamml., Münz-, Gemmen-, Kunst-u. Naturalienkabinetten, Samml. v. Modellen, Maschinen, physikal.u. mathem. Instrumenten, anatom. Präperaten und botanischen Gärten in Teutschland. Erlangen 1789; oder Johann Georg Meusel: Teutsches Künstlerlexikon. nebst einigen Anhängen besonders einem Verzeichnis sehenswürdiger Bibliotheken, Kunst-, MÜßZ- und Naturalienkabinette in Teutschland und in der Schweiz. Zweyte .!JIIlgearbeitete Ausgabe. (Dritter Band). Lemgo 1814. Den e~igen zeitgenössischer Uberblick bietet Bahnson 109-164. Ein neuerer tabellarischer Uberblick [rodet sich bei Hog, allerdings etwas dürftig recherchiert. 54 Nachfolgendes ergänzt daher auch den Forschungsbericht zur Literatur völkerkundlicher Institutionalisierung in Deutschland. 55 Neben einer Vielzahl von Einzeldarstellungen zu Personen und Einzelproblemen ist wohl immer noch grundlegend für das Museum die Festschrift 100 Jahre Museum für Völkerkunde Berlin von 1973, darin neben anderen besonders der Auf~!itz von Sigrid Westphal-Hellbusch zur Geschichte des Museums. Als allgemeiner Uberblick zur Völkerkunde in Berlin noch Elwert 135-141.

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Im gleichen Jahr erreichte Bastian auch, daß das Berliner Museum für Völkerkunde den Status eines "Zentralmuseums" für das Deutsche Reich erhielt, da es in dessen Hauptstadt lag. Berlin hatte das Vorkaufsrecht für alle Sammlungen, die mit Hilfe von Reichsmittein zustandegekommen waren. Allerdings verwahrte sich Bastian auch gegen die Absicht mancher staatlicher Stellen, "sein" Museum zu einem Kolonialmuseum zu machen - der Wissenschaftsaspekt sollte Priorität behalten. Nach der Jahrhundertwende ergaben sich durch die nötige Neuaufteilung und somit Neukonzeption der an Umfang beispiellosen Berliner Sammlungen heftige Diskussionen um die Gewichtung zwischen Öffentlichkeit und Wissenschaftlichkeit. Bastian warnte auch vor einer institutionellen Zersplitterung der Sammlungen; ihm schwebte das Ideal einer umfassenden Einheit vor. Diese Vorstellungen waren aber nicht durchführbar bei der Größe des Museums, in dem es zeitweise die folgenden vier Direktorenstellen für selbständige Hauptabteilungen gab: die indisch-asiatische (Grünwedel), afrikanisch-ozeanische (Ankermann), ostasiatische (F. W. K. Müller) und amerikanische (Seler/Preuss).

1923 zog ein Teil der Sammlungen in das nur teilweise fertiggestellte "Asiatische Museum" um; damit wurde eine tatsächliche Trennung von Schau- und Studiensammjung, wie sie schon vorher gefördert worden war, eingeleitet. Letztere Sammlung wurde im Magazingebäude untergebracht. Nach diesem Umzug wurden auch die Direktorenstellen schrittweise wieder auf Kustodenstellen reduziert, Direktor des Gesamtmuseums wurde 1933 Otto Kümmel, ihm folgte 1945 Walter Krickeberg nach. Der Zweite Weltkrieg fügte den Museumsbeständen erheblichen Schaden zu. Nach langer Wiederaufbauzeit wurde 1970 in Berlin-Dahlem ein Neubau eröffnet, in dem sich das Berliner Museum für Völkerkunde seitdem befindet. Auf Initiative von Heinrich Cunow hin wurde mit ministerieller Verfügung vom 14.6.1919 in Berlin ein Ethnologisches Lehr- und Forschungsinstitut gegründet. Das Institut, dessen Leiter Cunow war, war ohne Zutun des Museums entstanden, aber an dessen Sammlungen zur Zusammenarbeit angegliedert worden; allerdings hatte es kaum Wirkung nach außen. Cunow selbst, kein gelernter Ethnologe, überzeugter Marxist, erhielt aber in Fachkreisen durchaus seine Anerkennung. 1919 bis 1928 hatte er an der philosophischen Fakultät der Berliner Universität ein Extraordinariat. 1921 wurde Walter Lehmann von München nach Berlin berufen und übernahm dort das Institut, wo er zielstrebig seinen Wirkungsbereich ausbaute. Er stand dabei meist in Opposition zu den Museumsethnologen, welche, um das mehr universitätsbezogene Lehrinstitut von den Museumsabteilungen zu trennen, den Aufbau einer eigenen Lehrsammlung in Angriff nahmen. Lehmann hätte auch gerne die Leitung der schon lange geplanten entwicklungsgeschichtlichen Abteilung des Museums übernommen, hier trug jedoch das Museumskollegium den Sieg da-

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von, indem es Ankermann die Leitung übertragen konnte. 1933 wurde Lehmann aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in den Ruhestand versetzt. Damit endete auch der Bestand des Instituts. Alle Ethnologen des Museums, auch Walter Lehmann, waren durch Lehraufträge oder Honorarprofessuren mit der Universität verbunden, die etatmäßige Hauptstelle war aber immer das Museum. 56

BremenS 7 Aus dem Raritätenkabinett des Gymnasium illustre zu Bremen entstand im 18. Jahrhundert durch Neuordnung ein Naturalienkabinett, das von der Gesellschaft Museum (1783 aus der Physikalischen Gesellschaft hervorgegangen) betreut wurde. Die meist aus zoologischen Objekten bestehende Sammlung wurde mit sehr wechselndem Interesse bedacht. Im Zuge der Darwinrezeption und der Entstehung anthropologischer Gesellschaften gründete man auch in Bremen eine Anthropologische Kommission. Kurz zuvor hatte man alle in Bremen vorhandenen Ethnographica erstmals zusammen ausgestellt; 1875 zählte die Sammlung allerdings nur etwa 600 ethnographische Objekte. Auch gründete man, mit der Absicht ein eigenes Museum zu errichten, eine "Specialverwaltung " . 1875 gingen die Sammlungen der Gesellschaft Museum an den Staat über und 1878 ernannte man den Göttinger Privatdozenten und Zoologen Hubert Ludwig zum Direktor der seit 1876 bestehenden Städtischen Sammlung für Naturgeschichte und Ethnographie. Ludwig nahm einen Ruf nach Gießen an, für ihn kam J.W. Spengel nach Bremen, der sich ebenfalls in Göttingen für Zoologie habilitiert hatte. Auch Spengel folgte 1887 einem Ruf nach Gießen. Für die neu (zeitgleich mit München) ausgeschriebene Stelle des Direktors der Bremer Sammlungen lagen bald zahlreiche Bewerbungen vor, denn die Sammlungen hatten in der vergangenen Zeit nun auch auf ethnographischem Gebiet einen großen Zuwachs und einen guten Ruf bekommen. Unter .den Bewerbern fand sich übrigens auch Franz Boas. 58. Neuer Direktor wurde jedoch Hugo Schauinsland, Privatdozent für Zoologie in München und dort seit 1886 Adjunkt an der zoologischen Staatssammlung. Er leitete die Sammlungen, die ab 1896 den Namen Städtisches Museum für Natur-, Völker- und Handelskunde trugen, bis 1933. Das Städtische Museum wurde dann zum Staatlichen Museum. 1951 erhielt es die heutige Bezeichnung 56 Maßgebend für die Darstellung der Völkerkunde an der Berliner Universität dürfte wohl Westphal-Hellbusch, Ethnologie in Berlin, sein. 57 Vgl. die Festschrift zum 75jährigen Bestehen des Bremer Überseemuseums von Herbert Abel. 58 Dieser hatte sich zuvor bei Bastian in Berlin habilitiert. Dem Bremer abschlägigen Bescheid haben Boas und die Ethnologie u.a. zu verdanken, daß jener in der Folgezeit der Feldforschung in Amerika zum Erfolg verhelfen konnte. Vgl. Elwert 135-141.

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Überseemuseum. Seine Leiter waren auch nach Schauinsland fast nur Zoologen, die ebenfalls regen Anteil am allgemeinen Vorlesungswesen der Stadt hatten. Göttingen Nachdem schon 1756 und 1759 von einigen Professoren der Universität Göttingen der Ankauf verschiedener Sammlungen betrieben worden war, erstand 1773 das Ministerium das Büttnersche Naturalienkabinett für die Hohe Schule. Dort wurde es als Königlich academisches Museum der Universitätsbibliothek unterstellt, wo es der Mediziner Friedrich Blumenbach ordnete und betreute. 59 Die Sammlung bestand aus vier Teilen: Naturgeschichte der Menschen (auch ganzer Völker), Tierreich, Gewächse, Mineralien. Blumenbach wurde 1776 offiziell "Unteraufseher" des Kabinetts. Sein großes literarischnaturkundliches Interesse - er selbst wurde durch seine Reisebeschreibungen bald bekannt - verschaffte ihm zahlreiche Verbindungen zu den Reisenden seiner Zeit, was dem Zuwachs der Sammlungen zugute kam. 60 Weitere wertvolle Ergänzungen erhielt die Sammlung aus dem Nachlaß Johann Reinhold Forsters, sowie von den Reisen James Cooks. Um die Wende zum 19. Jahrhundert wirkte an der Universität neben Meiners besonders Arnold Hermann Ludwig Heeren, welcher auch allgemeine Länder- und Völkerkunde las. Dabei bediente er sich nachweislich der ethnographischen Sammlungen Blumenbachs. 61 Blumenbach, der seit dem Tod des Bibliotheksdirektors Heyne das Museum als "Direktor" verwaltete, erhielt 1815 den promovierten Mediziner Osiander zugeteilt. Blumenbach selbst war inzwischen zum Mittelpunkt aller ethnographischen Fragen in Göttingen geworden. 1840 starb er; sein Nachfolger wurde Rudolf Wagner. 62 Dieser teilte das Museum in vier selbständige Abteilungen mit eigenen Direktoren auf: die mineralogisch-geologische Abteilung (Hausmann), die zoologische (Berthold), die anthropologisch-zootomische (Wagner), sowie die ethnographische Abteilung (Osiander). Ab 1840 wirkte an der Universität auch der Privatdo59

Vgl. Plischke, Sammlung 11 ff. Zur Stellung der Ethnographie im 18. Jh. auch bei Urs Bitterli: Die "Wilden" und die "Zivilisierten". München 1976. 61 Plischke, Sammlung 29, zitiert eine Vorlesungsankündigung Heerens: "Allgemeine Länder- und Völkerkunde, oder einen critischen und systematischen Inbegriff unserer gegenwärthigen Kenntnisse der Erde und der sie bewohnenden Völker, trägt Hr. Professor Heeren um 6 Uhr morgens vor und erläutert alles durch einen reichen Vorrath der besten und neuesten Karten, welche er seinen Zuhörern vorlegen wird, sowie durch die ethnographische Sammlung in dem academischen Museum." 62 Rudolf Wagner ist der ältere Bruder Moritz Wagners, des ersten Konservators der Münchner ethnographischen Sammlung (vgl. hier 52 f.). 60

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zent für Geographie Eduard Wappäus, ein Schiller Carl Ritters, und später Professor der "Erdkunde und Ethnographie" in Göttingen. 1855, nach dem Tode Osianders, wurde er Direktor der Ethnographischen Sammlung. Wappäus ließ sich 1868 von seinen Aufgaben entbinden, sein Nachfolger wurde der Zoologe Keferstein, welchem wieder ein Zoologe folgte: E.H. Ehlers. 63 Dieser gewann steigendes Interesse an der Anthropologie, las sie dann auch selbst und benützte ebenfalls die Schausammlungen zum Unterricht. Nach Kühn wurde Hans Plischke 1930 Leiter der Sammlungen. Seit 1928 vertrat er auch als ordentlicher Professor das Fach Völkerkunde an der Universität, das er durch den Autbau des Völkerkunde-Instituts fest etablierte. 64 1958 folgte ihm Günther Spannaus nach, 1967 übernahm Erhard Schlesier das Ordinariat.

Hamburg 65 1849 bis 1871 bestand eine ethnographische Sammlung in der Stadtbibliothek Hamburg; die Betreuung lag bei Christian Petersen, Professor für klassische Philologie und Vorsitzender der Kommission für die Verwaltung der Hamburgischen Altertümer. 1871 wurde die Sammlung unter dem Namen Culturhistorisches Museum selbständig, welches 1878 in Museumjür Völkerkunde umbenannt wurde und erstmals einen Beamten sowie einen Jahresetat von 4000 Mark erhielt. 66 1896 bis 1904 war Karl Hagen Vorsteher des Museums; er hielt auch ethnographische Vorlesungen im Rahmen des Allgemeinen Vorlesungswesens der damals noch universitätslosen Stadt. Schon 1896 hatte die für das Museum zuständige Kommission beschlossen, die Leitung einem Fachwissenschaftler zu übertragen. Dies gelang jedoch erst mit Georg Thilenius, der 1904 zum ersten Direktor des Museums ernannt wurde. Thilenius hatte sich 1896 in Straßburg für Anatomie habilitiert, zahlreiche Reisen unternommen und 1900 in Breslau den Lehrstuhl für Anthropologie und Ethnologie an der medizinischen Fakultät angenommen. 1923 erhielt Thilenius an der noch jungen Hamburger Universität das erste Ordinariat für Völkerkunde, das in Personalunion mit der DirektorensteIle des Museums zu besetzen war. Nachfolger von Thilenius war von 1936 bis 1962 Franz Termer. 67 Die Bestände erlitten während der letzten Kriegszeit im Ausweichlager Lautenthal große Verluste, Termer konnte aber dank seiner guten Auslandsverbindungen 63 Während Plischke., Sammlung, besonders die Zeit unter Blumenbach abgehandelt hat, fmdet sich die Ara unter Ehlers ausführlich bei Quantz 289-301. 64 Vgl. Plischke, Institut 23-33; sowie Nippold 157-162. Ergänzend auch H.Fischer, Südsee-Expedition 9. 65 Vgl. zum folgenden Zwememann. 66 2000 für den Vorsteher, 1000 für einen Aufseher und 1000 für Unterhalt und Vermehrung der Sammlung. 67 Zur Hamburger Völkerkunde im 20. Jahrhundert vgl. auch H.Fischer, Südsee-Expedition; Ders., Völkerkunde in Hamburg; Ders., Nationalsozialismus.

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nach dem Kriege dem Museum zu einem schnellen Wiederaufbau verhelfen. 1962 bis 1967 war Erhard Schlesier Direktor und Ordinarius. Er war als Privatdozent aus Göttingen gekommen und hatte sich mit Fragen der Sozialordnung und dem Gebiet Südsee beschäftigt; 1967 ging er zur Übernahme eines Lehrstuhls wieder nach Göttingen zurück. Unter seinem Nachfolger Hans Fischer wurde auf dessen Betreiben nunmehr eine Trennung der Ämter an Museum und Universität durchgeführt (1970). Dies hatte Schlesier bereits während seiner Amtszeit durch die Gründung eines Seminars für Völkerkunde vorbereitet. In Jürgen Zwernemann erhielt das Museum seinen ersten "reinen" Direktor ohne feste Lehrverpflichtung. Köln 68

"Am 12. November [1906, d.Vf.] ist das der Ethnographie gewidmete neuerbaute Rautenstrauch-loest-Museum69 in Köln feierlich eröffnet und dadurch der Völkerkunde eine neue Heimstätte bereitet worden. Den Grundstock bilden die von der Familie Rautenstrauch gestifteten Sammlungen und die von dem Ethnographen Prof. Dr. Wilhelm Joest auf seinen Weltreisen gesammelten wertvollen Gegenstände. Joest, dessen Namen und Verdienst in der Wissenschaft fortleben, starb 1897 auf seiner letzten Reise in der Südsee. Das neue Museum, reich namentlich an Südseegegenständen, ist ein staatlicher Bau und seine Leitung liegt in den Händen eines verdienstvollen, unter den Fachgenossen geschätzten Ethnographen, des Dr. W. Foy. "70 Wilhelm (Willy) Foy aus Dresden wurde kurz nach der Museumsgründung zum Honorarprofessor ernannt, ebenso Foys Nachfolger Graebner. Fritz Graebner hatte sich schon zu Foys Zeit von Berlin beurlauben lassen, um am Aufbau des Kölner Museums mitzuarbeiten. Graebner, ebenso wie Ankermann durch seine Kulturkreise bekannt geworden, schrieb in Köln 1911 seine Methode der Ethnologie. Foy und Graebner hatten bald nicht nur als Museumsleute, sondern auch als Wissenschaftler einen Namen; man sprach von der "Kölner Schule für Völkerkunde". In der Direktion folgte 1927 Julius Lips,71 68 Vgl. generell für die Kölner Verhältnisse an Museum und Universität bei Heydrich. 69 Hervorhebung vom Vf. 70 Aus "Kleine Nachrichten" in Globus 90 (1906), S.387. Joest, aus guter Kaufmannsfamilie stammend, hatte schon während seiner Reisen zahlreiche Objekte an andere Museen verschenkt oder verkauft. Heydrich nennt ihn den ersten richtigen Ethnologen Kölns. Nach seinem frühen Tode (45jährig) gingen große Bestände an seine Schwester Adele Rautenstrauch über, die sie gleich darauf ihrer Vaterstadt vermachte. Um den Sammlungen ein Heim zu geben, errichtete die Familie Rautenstrauch eine größere Stiftung zum Bau eines Museums. 71 Zur Rolle von Lips in Köln bei Pützstück 264-285.

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der sich an der Kölner Universität für Völkerkunde und Soziologie habilitiert hatte. Ab 1937 war die Universität um einen eigenen Lehrstuhl für Völkerkunde bemüht. Dieser wurde 1940 errichtet und mit Martin Heydrich besetzt; er hatte die Direktion des Museums im Nebenamt zu übernehmen. Heydrich, Schüler Karl Lamprechts, wandte sich von der kulturhistorischen Methode der Kölner Schule ab, da sie für ihn keine Möglichkeit moderner ethnologischer Forschung bieten konnte.7 2 1956 und 1958 erfolgten am Lehrstuhl Habilitationen, aufgrund derer bald der Lehrbetrieb erweitert werden konnte. Mit der Emeritierung Heydrichs im Jahr 1958 fand die Trennung des Ordinariates von der Museumsdirektion statt. 73

Leipzig74 Nachdem die berühmte Sammlung des Dresdner Hofrats Gustav Klemm75 zum Kauf angeboten worden war, gründete am 24.11.1869 der Leipziger Arzt Hermann Obst ein Komitee zum Ankauf dieser Sammlung, welche dann auch 1870 erworben werden konnte. 1872 erweiterte sich das Komitee zum Verein Museumfür Völkerkunde mit dem Ziel, die Sammlung zu einem Museum auszubauen. In den Jahren nach der Eröffnung der ersten AusteIlung 1874 war ein rascher Zuwachs an Objekten zu verzeichnen, so z.B. der bedeutende anthropologisch-ethnographische Teil der Sammlung Godeffroy aus Hamburg (1885). Schon 1876 waren durch den großen Umfang der Sammlung nur Wechselausstellungen möglich; deshalb beschloß der Stadtrat 1881 den Bau eines neuen Gebäudes, welches aber erst 1896 eröffnet werden konnte. 76 Das Museum für Völkerkunde teilte sich die neuen Räumlichkeiten mit dem Museum des Vereins für Kunstgewerbe. 1899 trat der Leipziger Geograph Karl Weule in das Museum als Assistent ein und wurde 1907, nach dem Tode Obsts, alleiniger Direktor. 1906 war bereits ein Museum für Länderkunde abgespalten worden; die Schwerpunkte des Völkerkundemuseums lagen nun auf den deutschen Kolonien in Afrika und Ozeanien, den ostasiatischen Kulturvölkern, dem Buddhismus ganz allgemein und bei einer vorgeschichtlichen Abteilung. 72

Vgl. Heydrich 7-15. 73 Nur wenige Zeilen zur Völkerkunde an der Universität Köln bei Bernd Heimbüchel: Die neue Universität, in: Ders.l Klaus Pabst: Kölner Universitätsgeschichte, Bd.2, Köln 1988, 509. 74 Vgl. allgemein: Drost; F.Krause, Ethnologische Studien 1, 106-133; Reche, Ethnologische Studien 1, 97-105; Museum für Völkerkunde zu Leipzig. 75 Von diesem erschienen die schon oben genannten beiden grundsätzlichen Abhandlungen von 1837 und 1843, die für die Museumsgeschichte als bedeutend zu nennen sind. 76 Beim Einzug in das sog. Grassi-Museum waren die Sammlungen bereits städtischer Besitz; die Verwaltung wurde aber erst 1904 durch die Stadt übernommen.

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I. Einfiihrung

1914 wurde in Leipzig, zusammen mit 10 anderen "Fundamentalinstituten ", das Staatliche sächsische Forschungsinstitut für Völkerkunde gegründet und der Universität angegliedert. Diese Institute waren eine FolgegrüDdung von Karl Lamprechts Institut für Kultur- und Universalgeschichte (1909)77 und sollten, abseits von der Lehre und anderen Wissenschaftsaufgaben, allein der Forschung dienen. 78 Leiter dieses Instituts war in Personalunion der Direktor des Völkerkundemuseums, welcher auch noch Ordinarius und Leiter des bestehenden Seminars für Ethnographie an der Universität war. (Das Seminar wurde Ende der 20er Jahre in "Ethnologisch-anthropologisches Seminar" umbenannt.) Das Museum hatte den Universitäts- und Forschungsbetrieb zu unterstützen; dazu hatte Weule bereits eine Lehrsammlung und Studienabteilung aufgebaut. Bibliothek und Fotosammlung halfen zusätzlich beim wissenschaftlichen Betrieb. 1927 wurde für das Museum wieder ein Umzug in ein neues Gebäude fällig, welcher 1929 abgeschlossen werden konnte. In diese Zeit fällt der Tod Weules, dessen Nachfolger Fritz Krause wurde, unter Weule dienstältester Kustos. Krause hatte zuerst bei Ratzel Geographie, dann Völkerkunde bei Weule gehört, bei diesem 1905 promoviert und sich 1920 ebenfalls bei ihm habilitiert. 1925 wurde er a.o. Professor an der Leipziger Universität. Das Forschungsinstitut und das Seminar wurden zwar zusammen mit dem Museum in neuen Gebäuden untergebracht, mit der endgültigen Nachfolgeregelung Weules durch Krause erfolgte aber wieder eine Trennung der Ämter. Krause wurde Direktor des Museums, behielt seine Professur an der Universität, mußte aber nicht, wie es seit 1926 der Fall war, auch noch das Länderkundemuseum mitverwalten. Ordinarius und Leiter des Forschungsinstitutes wurde der Wiener Otto Reche. Die Ämtertrennung wurde in Leipzig allgemein begrüßt und auch außerhalb propagiert. 79 Wien Erste Anfänge lassen sich zurückführen ins 16. Jahrhundert, auf die Sammlung von Erzherzog Ferdinand auf seinem Tiroler Schloß Ambras. Diese Sammlung wurde 300 Jahre später zum "Eckpfeiler des Kunsthistorischen Museums" in Wien, für das 1806 das komplette Parkinsonsche Museum80 erworben wurde, welches sich zum größten Teil aus Sammlungs77 78

Goetz 387-390. Zu Lamprechts Verbindung mit Ratzel bei Steinmetzier 75. Vgl. dazu besonders Reche, Ethnologische Studien I, 97-105. 79 So versuchte Krause in diesem Sinne auch bei der Nachfolge Schermans in München zu wirken. 80 Für 18.000 Gulden von Leopold von Fichtel im Auftrag Kaiser Franz I. erworben.

3. Institutionelle Entwicklungslinien und Beispiele

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gegenständen aus den Weltreisen James Cooks zusammensetzte. Mit dieser Sammlung entstand im Kunsthistorischen Museum eine eigene k.k. ethnographische Sammlung, zu der sich 1818 noch Carl Gieseckes Grönland-Sammlung gesellte. Dazu kamen später noch aus der österreichischen Brasilienexpedition von 1820/21 die zahlreichen (ca. 100000) zoologischen Objekte Johann Natterers und die Asien-Sammlung des Freiherrn von Hügel. Diese Sammlungen waren aber nur selten ausgestellt; 1840 wurde endgültig alles in Kisten verpackt. 81 1876 wurde Ferdinand von Hochstetter, Professor der Mineralogie am k.k. polytechnischen Institut, Intendant des von ihm neuorganisierten Naturhistorischen Hojmuseums. Dabei hatte er sich die Leitung der hierbei ebenfalls neu entstandenen anthropologisch-ethnographischen Abteilung selbst vorbehalten, da er Anthropologie und Urgeschichte zu seinen Steckenpf~rden zählte. Die Sammlungen erhielten nun steten Zuwachs; 1884 bekam die ethnographische Sammlung im von Anfang an beengten Neubau des Naturhistorischen Museums ihre erste Aufstellung nach streng geographischer Ordnung. Wesentlich bei dieser Ausstellung war Hochstetters Konzept, das keinen Unterschied machte zwischen europäischer und außereuropäischer Ethnographie oder europäischer und außereuropäischer Urgeschichte,82 und damit seine Stellung zwischen romantischer Volkskunde und universaler Völkerkunde suchte. Auch Franz Heger, der 1885 bis 1919 die ethnographische Sammlung leitete, stellte sich zu der Einsicht, daß "nicht der Ural, sondern die unterschiedliche Fragestellung die Grenze zwischen Völkerkunde und Volkskunde darstellt".83 Um der Volkskunde einen eigenen Platz zu geben, gründeten 1894 die Museumsbeamten Hein und Haberlandt einen Verein fUr österreichische Volkskunde und eröffneten ein Jahr später ein eigenes Museum dazu. 84 Im universitären Bereich erfolgte nun ebenso eine Differenzierung der Disziplinen: 85 1892 habilitierte sich an der Wiener Universität Michael Haberlandt für Ethnographie, ihm folgte 1901 Wilhelm Hein. Moritz Hoernes, Assistent an der prähistorischen Sammlung im Naturhistorischen Museum, wurde 1899 erster außerordentlicher Professor für prähistorische Archäologie. Eine Ausnahme bildete der Arzt Rudolf Pöch, der sich 1910 für Anthropologie und Völkerkunde habilitierte, darauf 1913 außerordentlicher, 1919 ordentlicher Professor wurde. Sein Nachfolger wurde 1922 Otto Reche,

81 Feest, Abriß 3-8; Ders., Wissenschaftliches Personal 19-28; Ders., Ethnographische Sammlungen 13 ff.; Ders., Sammlungen 29-59; Heink 403-414. 82 In diesem Zusammenhang sei an das Wissenschaftskonzept in Skandinavien bezüglich Volks- und Völkerkunde erinnert; vgl. dazu bei Svensson, Einleitung. 83 Feest, Ethnographische Sammlungen 25. 84 Siehe dazu eingehender bei Brückner/ Beitl. 85 Feest, Ethnographische Sammlungen 26 f.

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I. Einfiihrung

unter dem sich 1927 bis 1929 die Spaltung der Lehrkanzel in zwei Institute für Völkerkunde und Anthropologie vollzog. 86 Nachfolger Hegers als Leiter der ethnographischen Sammlung wurde 1919 der Semitist und Orientalist Viktor Christian. Er erhielt 1924 den Lehrstuhl für Semitistik; für ihn folgte in der Leitung der Sammlung der Orientalist Fritz Röck. Ebenso 1924 machten sich im Naturhistorischen Museum die Abteilungen für Urgeschichte, Anthropologie und Ethnologie völlig selbständig. In die Zeit nach der Jahrhundertwende fällt auch der starke Einfluß von Wilhelm Schmidt mit seiner Wiener kulturhistorischen Schule. 87 Seine ethnographische Sammlung im Steyler Missionshaus St. Gabriel in Mödling hatte enge Kontakte zum Wiener Museum. 1928 wurde nach starkem Anwachsen der Sammlung ein eigenes Museum für die ethnographische Sammlung eingerichtet. Sie wurde nun unter dem Namen Museumfür Völkerkunde in der Wiener Hofburg untergebracht. Erster Direktor war Fritz Röck; das Personal bestand nur zum Teil aus Wissenschaftlern, darunter auch Orientalisten oder Anthropologen. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fand man als wissenschaftliche Mitarbeiter dann aber nur noch ausgebildete Ethnologen vor. 88 Viele von ihnen waren bzw. sind an der Universität Wien für ihr Fach habilitiert. Andere Museumsbeamte, wie Walter Hirschberg und Heinz Kühne, erhielten dort Anstellungen als Professoren. 89 Hermann Baumann, zeitweise Mitarbeiter des Museums, wurde 1955 nach München berufen und errichtete dort das Institut für Völkerkunde und Afrikanistik. Wien gilt heute als eines der größten völkerkundlichen Dokumentationszentren Europas.

86 Dazu Feest, Abriß 5: "Symptomatisch für den Emanzipationsprozeß der Disziplin ist, daß im Jahr nach der Eröffnung des Museums für Völkerkunde auch die erste eigene Lehrkanzel für Völkerkunde an der Universität Wien geschaffen und im folgenden Jahr das Institut für Völkerkunde im räumlichen Verbund mit dem Museum für Völkerkunde gegründet wurde." 87 Zur Wiener Schule und deren Veränderung bis in die Gegenwart vgl. u.a. Walter Hirschberg: Die Wiener ethnohistorische Arbeitsrichtung im Rahmen der Historischen Völkerkunde, in: ZfE 108 (1983) 7-13; Josef Salat: Nachlese zur Geschichte der deutschsprachigen historischen Völkerkunde, in: Wiener Ethnohist. Blätter, H. 18 (1979) 7-22; Hermann Baumann: Ethnologische Feldforschung und kulturhistorische Ethnologie, in: Studium Generale 7 (1954) 143-151. 88 Zur Geschichte des Museums nun weiterhin bei Binder, darin v.a. bei Manndorff. 89 Walter Hirschberg etablierte 1962 mit Übernahme seines Ordinariats in Wien die in Opposition zu Schmidts kulturhistorische Schule begründete Ethnohistorie als "adäquate Anwendung historischer Arbeitsweise in der Ethnologie". Vgl. dazu in Wiener Ethnohistorische Blätter 23 (1982) 103 f.

4. Fruhforrnen der Völkerkunde in München

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4. Frühformen der Völkerkunde in München - ein Überblick

a) Wittelsbachische Sammeltätigkeit und Samuel Quicchebergs begehbare Enzyklopädie der Welt Mit dem schon gegebenen Hinweis auf die Leitfunktion des Museums in einem Institutionalisierungsprozeß der Völkerkunde kommt dem historischen Rückgriff auf das Sammeln von Ethnographica besondere Bedeutung zu, wenn dies hier auch nur skizzenhaft gewürdigt werden kann - eine umfassende "Vorgeschichte der Münchner ethnographischen Sammlungen" entstünde wohl am besten aus der Hand eines Museumsarbeiters mit seinen Erwerbungsakten und Inventarlisten. 90 - Anläßlich seines 25jährigen Dienstjubiläums ließ Lucian Scherman, Direktor des Staatlichen Museums für Völkerkunde in München, den Freunden und Förderem seines Museums im November 1932 ein kleines Fotoalbum zukommen. 91 Im Vorwort dazu nahm der Jubilar nochmals Bezug auf die Umsiedelung des Museums in die (damals noch) großzügigen Räume des ehemaligen Bayerischen Nationalmuseums im Jahre 1926, die er als eine "Befreiung des ältesten ethnographischen Museums Deutschlands (Auch jenseits der Grenzen Deutschlands geht ihm einzig die Stadt Leiden voraus) aus der Enge der Hofgartenarkaden" und somit als einen der bedeutendsten Entwicklungsschritte des Museums würdigte. Über diesen proklamierten Altersbeweis seines Museums ist auch heute noch nicht das letzte Wort gesprochen. Ob es das älteste in Deutschland schlechthin ist, müßte per Definition eines gemeinsamen Ursprungszustandes solcher Sammlungen entschieden werden; zu den ältesten ethnographischen Museen - gar Europas - zählt es aber gewiß,92 und kaum eines kann auf solch alte und vor allem geschlossene Sammlungsbestände zurückgreifen wie das Münchner Museum. Das Verdienst für solch alte und wertvolle Bestände kommt vor allem der Sammeltätigkeit des Hauses Wittelsbach zu. Diese hebt sich dabei keineswegs von der anderer Fürstenhäuser ab, hervorzuheben hingegen ist die schon frühe gezielte Erweiterung der Bestände. Aber auch private Sammler haben wesent-

90 Einen raschen Überblick über die Geschichte der Sammlungen und Bestände verschaffen: C.C.Müller 11-33; Scherman, Museum 257-261; zur allgemeinen Entwicklung im Kontext anderer wissenschaftlicher Sammlungen auch bei Bachmann; als Beipiel für die einschlägige Literatur zu Einzelsammlungen für den asiatischen Schwerpunkt des Museums zuletzt noch Goepper 61 ff.; neuerdings vor allem aber im einleitenden Kapitel bei Gareis. 91 Staatliches Museum für Völkerkunde München. 16.XI.1932. 92 Noch älter sind sicher die ethnographischen Museen in Leiden (1837), Petersburg (1837), Kopenhagen (1848), etwa auch Gustav Klemms Sammlung in Dresden (1843).

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I. Einfilhrung

lich zum Grundstock der ethnographischen Sammlungen beigetragen. Zunächst allerdings hatte sich im Hause Wittelsbach die fürstliche Sammeltätigkeit kaum anders entwickelt als andernorts: Man trug aus allen Gebieten und Bereichen der lebenden und toten Welt Besonderes zusammen und füllte damit die Raritäten-, Kuriositäten- und Kunstkabinette. 93 Für das Wittelsbacher Haus ist zu dieser Phase besonders die Sammelleidenschaft Herzog Albrechts V. anzuführen, welche durch zwei hervorragende Männer seiner nächsten Umgebung unterstützt wurde: durch den Hofkammerpräsidenten Hans Jacob von Fugger, dessen ausgezeichnete transalpine Verbindungen vor allem den Kunstsinn des Herzogs befriedigen konnten, und durch den niederländischen Arzt Samuel a Quiccheberg, der durch Fugger an den Wittelsbachischen Hof geholt worden war, um dort ab 1553 als Bibliothekar und als Verwalter der Sammlungen ebenso wie als Agent für den Fuggerschen Kulturtransfer zwischen Italien und Bayern tätig zu sein. 94 Bemerkenswert in dieser Zeit sind für uns zwei Tatsachen, die bereits erste Wege zu den Konzeptionen (aber auch zur Konzeptionslosigkeit) im Museums- und Sammlungswesen des 19. Jahrhunderts weisen. Einmal ist dies die Anordnung Herzog Albrechts, den Hausschatz, d.h. die Kleinodien des Wittelsbacher-Hauses, von der Kunstkammer zu trennen. Dies wurde der Ausgangspunkt für weitere Separatsammlungen unterschiedlichster Art und führte im 18. und 19. Jahrhundert dazu, daß auch geschlossene Sammlungsverbände ebenso wie thematisch geordnete Sammlungsbestände nebeneinander bestehen blieben, so wie sie später in die einzelnen Sammlungen und Museen des bayerischen Staates eingehen sollten. Noch wichtiger aber war der geistige Gleichklang, in dem sich Herzog Albrecht mit seinem Bibliothekar und Arzt Quiccheberg befand, wenn es darum ging, ein Ziel des Sammelns anzugeben. Seine Bibliothek, mit der er sich viel lieber beschäftigte als mit den Regierungsgeschäften, nannte er bedeutungsvoll "Theater der Weisheit" und meinte damit, in ihr solle alles versammelt sein, was die Welt (an Wissen um ihre Dinge) aufzuweisen habe. 95 Sozusagen im dreidimensionalen Sinne wollte nun Quiccheberg auch alle Dinge dieser Welt unter einem Dach versammelt 93 Zur Funktion des Sammelns in dieser Epoche im europäischen Kulturraum vgl. Julius von Schlosser: Die Kunst- und Wunderkammem der Spätrenaissance, Braunschweig 1978, 2.A.; umfassender aber bei Pomain und bei Impeyl MacGregor. Daraus speziell für München wichtig die deutsche und elWeiterte Fassung des Beitrags von Lorenz Seelig: Die Münchner Kunstkammer. Geschichte, Anlage, Ausstattung, in: Jb.d. Bayer. Denkmalpflege 40 (1986) 101-138. 94 Vor seiner Tätigkeit am Hofe Albrechts V. studierte Quiccheberg (geboren 1529 in Antwerpen, auch als Quichelberg oder Quickelberg überliefert) in Padua und/oder Basel (in der Forschung hierzu unterschiedliche Angaben) Medizin. Zu seiner Person und seinem Wirken s. bei Bachmann; de~.illierter aber Hartig 630-633; für die ältere Sammlungsgeschichte z. Z. Albrechts im Uberblick C.C.Müller. 95 Vgl. Hartig 630-633.

4. FIiihfonnen der Völkerkunde in München

37

wissen, um den enzyklopädischen Wissensdurst stillen zu können. In seiner programmatischen Schrift "Inscriptiones vel tituli Theatri Amplissimi ... ", gedruckt 1565 bei Adam Berg in München, entwarf er den Plan eines großangelegten Museums, das Kunst-, Naturalien-, Kuriositäten-, Gemälde- und Schatzkammer zugleich sein sollte. Neben dem Zeitpunkt des Werkes, das also bereits neunzig Jahre vor dem für die Museumskunde als so bedeutsam erachteten "Museum Wormianum"96 erschienen war, überrascht auch die "modeme" Forderung nach Werkstätten, Bibliothek und Studienräumen, welche dem Museum angegliedert sein sollten. Überraschend allerdings ist dies dann nicht mehr, wenn man die Rechtfertigung Quicchebergs für sein "Museumskonzept" als Ausdruck eines humanistischen Wissenschaftsverständnisses97 zur Kenntnis nimmt, welches ihn als (medizinisch vorgebildeten) Naturforscher apostrophiert: "Keine Wissenschaft kann studiert, kein Kunstwerk betrachtet, keine Lebenslage erfaßt werden, die nicht hier ihre Elemente, Werkzeuge, Hilfsmittel und Materialien fände. Und so kann es einem lernbegierigen Menschen, dem es gestattet ist, eine Zeitlang in einem Museum sich aufzuhalten, wie ich eines zu nützlichen Zwecken gründen will, wenn er die vorhandenen Dinge mit beigefügten Namen betrachtet und zum besseren Verständnis der einzelnen Klassen nicht ganz ungebildet, mit einer wissenschaftlichen Lemmethode ausgerüstet kommt, nicht fehlen, daß er in kürzester Zeit mühelos, ohne Gefahren und Beschwerden, welche anderswo mit deren Erforschung verbunden wären, ein geradezu unglaubliches Wissen und eine einzig darstehende Einsicht erwirbt. ,,98 Quicchebergs Museumsutopie, der Traum von einer begehbaren Enzyklopädie der Welt, welche er in München hatte verwirklicht sehen wollen, war keine einsame Idee, denn sie entsprang der neuen Vorstellung von Mensch und Natur, die die induktive Methode und das "Forschen" zur Geltung ge96 Museum Wormianum seu Historia Rerum rariorum, ein 1655 in Leiden gedrucktes Inventar der Sammlung des dänischen Naturforschers OIe Worm (+ 1633). 97 Zum Wissenschaftsbegriff des Humanismus vgl. etwa Helmuth Grössing: Huma~stische Natutwissenschaft, Baden-Baden 1983, S.29ff.; weiterhin bei Boehm, Wissenschaft 7-36; sowie Hooykaas 153-172; umfassend immer noch in Diemer, Wissenschaftsbegriff, und ders., Struktur. 98 Zi~. nach Hartig 630-633; in der Ausgabe der Bayerischen Staatsbibliothek Fol.D.ü. - Ahnlich ist auch der vollständige Titel bereits Programm und Inhaltsangabe zugleich: "Inscriptiones vel tituli Theatri Amplissimi, complectentis rerum universitatis singulas materias et imagines eximias. ut ide recte quos dici possit: promptuarium artificiosarum miraculosarumque rerum, ac omnis rari thesauri et pretiosae supellectilis, structurae atque picturas. quae hic simul in theatro conquiri consuluntur, ut eorum frequenti inspectione tractationeque singularis aliqua rerum cognito et prudentia admirande, cito, facile ac tuto compari possit. auctore a Samuele ci Quiccheberg Belga, Monachium 1565". - Nach der Ausgabe der Bayeris.~hen Staatsbibliothek München (Rar. 1534); hier zit. nach Hauger Anm.ll, einer Uberblicksdarstellung zu Quicchebergs Werk, wo auch neuere Literatur zu fmden ist. 4 Smolka

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I. Einfiihrung

bracht hatte, und mit der der Mensch Besitz ergriff von einer real existierenden, beobachtbaren, eben "begreifbaren" Welt. Dieses Besitzergreifen war auch Motiv wie Ausdruck zahlreicher fürstlicher Kabinette, welche etwa zur gleichen Zeit (um 1560) in Europa entstanden: In Florenz verbrachte Großherzog Cosimo I. - streng von seinen Kunstschätzen getrennt - naturhistorische Objekte, mathematische und naturwissenschaftliche Instrumente in die Uffizien. In Kassel besaß Landgraf Wilhelm IV. eine besonders reiche Sammlung an astronomischen Instrumenten neben zahlreichen Mineralien, Modellen, Tierbälgen etc. Auf Schloß Ambras wurden von Erzherzog Ferdinand in den Rüstkammern nicht nur eine Ahnengalerie, Rüstungen (von Puppen getragen) und Waffen verwahrt, auch eine ausführliche Naturaliensammlung kam nun dazu. In Dresden vereinigte Kurfürst August I. von Sachsen nicht nur verschiedenste mathematische und chirurgische Instrumente mit Naturalien, Werkzeugen, Waffen und Jagdgeräten, er ergänzte seine Sammlungen noch durch eine Bibliothek, eine Anatomie mit Tierskeletten, mit Rüstkammer, Zeughaus und Hofapotheke. 99 Neben die sakralen Herrschaftsinsignien des Mittelalters waren in den fürstlichen Kammern nun auch die einer säkularen Welt der Neuzeit getreten. 100 Auch die Gelehrten dieser Zeit hatten sich solche Rüstkammern der Wissenschaft zugelegt, nur waren diese meist spezialisierter konzipiert. Zu nennen wären etwa die astronomischen Kabinette von Tycho Brahe oder Johann Hevel, die systematischen Mineraliensammlungen von Georg Agricola oder Johannes Kentmann. Samuel Quiccheberg verwies ausdrücklich auf die Nützlichkeit solcher Sammlungen und vor allem des Umgangs der Gelehrten untereinander, die sich damit ergänzten. Nachweislich kannte Quiccheberg auch den Bologneser Gelehrten Ulisse Aldrovandi und sein berühmtes Museum persönlich, da er sich auf ihn bezieht. 101 Aldrovandi wird in jüngerer Zeit oft für den frühen Gebrauch der komparativen Methode für ethnologische Gegenstände zitiert, da er in seinen kommentierten Museums-"Katalogen" Kult- und Gebrauchsgegenstände verschiedenster Kulturen vergleichend nebeneinanderstellte. 102 Quiccheberg konnte seine Utopie, in der auch diese Art des komparativen Vorgehens seinen Platz hat, nicht in die Wirklichkeit umsetzen. Zwar wurde in München zwischen 1563 und 1567 noch unter dem Einfluß Quicchebergs eine Kunstkammer gebaut, dies war aber nicht sein theatrum 99

Zu diesen Beispielen und zahlreichen anderen vgl. bei F.Klemm. Dazu immer noch bedeutend Percy Ernst Schramm: Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom 3. bis 16. Jahrhundert. 3 Bde, Stuttgart 1955; sowie jetzt die deutsche Ausgabe von Ernst H.Kantorowicz: Die zwei Körper des Königs. Frankfurt 1990. 101 Dazu wieder Hartig 630-633. 102 Laurencich-Minelle 147 ff. 100

4. Ftiihfonnen der Völkerkunde in München

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amplissimum. "Allein der Tod übereilte ihn, bevor er es zu Stande bringen konnte. "103 Wollte man die Spuren erster organisierter, planvoller ethnographischer Tätigkeit in München detaillierter zurückverfolgen, so müßte man also Samuel Quicchebergs Plan - in dem die Ethnographie wenn auch nur als kleines Teil eines großen Ganzen immerhin doch einen methodischen Platz hatte unter diesem Aspekt noch näher beleuchten. 104 Immerhin hat seine Utopie als Ausdruck einer neuen humanistischen Wissenschafts- und Weltvorstellung schon zahlreiche Motive und Aspekte völkerkundlicher Formen des 19., ja sogar noch des 20. Jahrhunderts in beeindruckend klarer Weise vorweggenommen: den Vergleich dinglichen Kulturbesitzes, das Sammeln als historische Spurensicherung, das Speichern von Gegenständen als Bibliothek kultureller Äußerungen des Menschen in seiner Welt, das Verhältnis von Feldforschung (Forschungsreisen) und Schreibtischwissenschaft, von Spezialisierung und Generalisierung, u.a.m. In dieser Arbeit werden sich solche Analogien immer wieder zeigen lassen, sei es bei der Wissenschaftsauffassung Moritz Wagners, den Sammelreisen Max Buchners, den methodischen Vorstellungen Lucian Schermans, dem projektierten Forschungsinstitut Leo Frobenius', welches nicht minder universal (und utopisch) ausgerichtet war wie Quicchebergs theatrum amplissimum.

b) Völkerkunde und Ethnographica bei den ersten bayerischen Königen Die Münchner Kunstkammer beinhaltete zwar schon erste Ethnographica, sie nahmen darin aber weder eine besondere Stellung ein (außer der kulturgeschichtlicher Kuriositäten), noch wurden sie getrennt behandelt. Als wohl ältestes ethnographisches Objekt der Sammlungen dürfte ein grönländischer Kajak zu nennen sein, der 1577 auf abenteuerliche Weise nach Europa und einige Zeit später dann in Wittelsbacher Besitz gelangt war. lOS Die Sammlungen der Wittelsbacher selbst erlebten zahlreiche Separierungen und Umgruppierungen, weniger nach neuen methodischen Gesichtspunkten als nach Krite103 Quickelberg (Samuel), in: Zedlers Universallexikon, Bd.30, Leipzig 1741. Zur Konzeption von Quiccebergs utopischem Museum vgl. näher bei Hauger 129140; in ihrem historischen Einführungsteil zu den Münchner Sammlungen auch Gareis, welche vor allem den theologischen Aspekt zu erkennen glaubt. Allerdings ist bei Gareis auch sehr die Konzeptionslosigkeit Qicchebergs betont, von der Hauger meint, daß sie aus dem Zusammenhang eines wesentlich größeren (nicht zustandegekommenen) Projektes herriihrt. 104 Gerade unter diesem Aspekt darf man gespannt sein auf die Ergebnisse einer kunstgeschichtlich-museologisch orientierten Dissertation über Samuel Quiccebergs Werk, welche von Harriet Hauger (Berlin) in Angriff genommen worden ist. lOS Zur Herkunftsgeschichte dieses Objekts vgl. Stöcklein, Naturgeschichtliche Raritäten 513 f. 4·

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I. Einführung

rien der Erwerbungen oder nach Modeerscheinungen begründet. Erst das Jahr 1783 ist als ein Datum zu vermerken, das für die Sammlungsgeschichte und als ein Teil davon auch für die Hinentwicklung auf eine eigenständige ethnographische Sammlung bedeutsam wurde: Kurfürst Karl Theodor ließ in diesem Jahr die einzelnen Schatzkammern aus Düsseldorf, Mannheim, Neuburg und Heidelberg in die Münchner Residenz überführen und bereitete organisatorisch den Boden für die Zeit nach der Wende zum 19. Jahrhundert, als der eigentliche Aufschwung außereuropäischer ethnographischer Sammeltätigkeit beginnen sollte. So waren es auch Kurfürst Karl Theodors Nachfolger, der nachmalige König Maximilian I. Joseph von Bayern, und dessen Sohn Ludwig 1., welche den außereuropäischen Sammlungen in München den eigentlichen Zuwachs brachten und damit endgültig und substantiell das Entstehen der ethnographischen Sammlung vorbereiteten. Unter ihrer Regierung wurden einige bedeutende Sammlungen nach München gebracht, welche bereits zu dieser Zeit die Schwerpunkte eines künftigen Völkerkundemuseums bilden sollten und deshalb hier - wenn auch nur kurz - erwähnt werden. 106 Unter Max I. Joseph fanden vor allem die Sammlungen Krusenstern, Cook und die von Spix und Martius ihren Weg nach München; Sammlungen mit Namen, die für bekannte Forschungsreisende und Weltensegler stehen. Der Este Johann Adam von Krusenstern107 unternahm 1803-1806 als Kapitän zweier Schiffe im Auftrag von Zar Alexander I. eine Weltumsegelung, die ihn vor allen in den Pazifik, an die Nordwestküste Amerikas, nach Sachalin und auf die Kurllen führte. Der Naturforscher und Reisebegleiter Krusensterns, Johann Georg von Langsdorff,108 machte Max I. Joseph rund 180 ethnographische Objekte zum Geschenk. Neben Gegenständen aus Ostsibirien und Westalaska (Schlitten- und Bootsmodelle, Harpunen, Lederwaren, Bekleidungsstücke) enthält die Sammlung auch Gegenstände aus der Südsee.

106 Vgl. bei Gareis in ihrem einführenden Kapitel erste Gedanken zur Konzeption dieser Einzelsammlungen. Mit Recht verweist sie allerdings auf die kritische Quellenlage ~r Frühgeschichte der Sammlungen und fordert dazu noch eingehendere Studien. Im Uberblick gut für diesen Teil wieder C.C.Müller 11-33. 107 Adam Johann (Iwan) von Krusenstem (1770-1846), später russischer Admiral, hatte schon unter englischer Flagge Amerika, Indien und China bereist, bevor er zusammen mit A.Krassnow die erste russische Weltumsegelung durchführte. 108 Johann Georg von Langsdorff, Arzt aus dem Rheinhessischen, leitete in den 1820er Jahren die erste russische natur- und völkerkundliche Expedition nach Brasilien, erkrankte 1828 psychisch schwer und starb, ohne wieder in den Besitz seiner Gesundheit gelangt zu sein, 1852 in Freiburg im Breisgau. Vgl. zu diesem und den oben Genannten in Embacher, passim.

4. FlÜhformen der Völkerkunde in München

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Aus der Tätigkeit eines weiteren beIiihmten Weltumseglers stammen die etwa 100 Objekte der Münchener "Cook-Sammlung". Zwischen 1768 und 1784 führte der Engländer James Cook im Auftrage der britischen Admiralität drei große Reisen durch, die ihn vor allem in die Südsee und die polynesische Inselwelt führten, die dritte Reise aber auch - auf der Suche nach der Nordwestpassage - in den Norden Amerikas und zu den Aleuten. Aus diesen Gebieten stammen die Gegenstände, welche noch unter Max I. Joseph der Erlanger, später Münchner Zoologe Johann Georg Wagler aus dem Nachlaß des Botanikers Sir Joseph Banks erworben hatte. Von wohl größter Bedeutung für die Münchner Sammlungen, nicht zuletzt, weil sie auf einer ersten größeren bayerischen Initiative beruhten, sind die umfangreichen brasilianischen Sammlungen der bayerischen Naturforscher Johann Baptist von Spix und Carl Friedrich Philipp von Martius. 109 Auf Bitte König Max I. Joseph konnten Spix (als Zoologe) und Martius (als Botaniker) 1817-1820 die österreichische Delegation nach Brasilien begleiten und brachten von dort eine große Ausbeute an Pflanzen, Tieren und Ethnographica mit. Die wissenschaftlichen Ergebnisse ihrer Reise veröffentlichten Spix und Martius in einem dreibändigen Werk. 110 Der Wert ihrer Reise lag nicht allein in der materiellen Ausbeute. Auch Untersuchungen von Sprache, Kultur und Geschichte der Ureinwohner wie zur Geographie und Topographie des Landes waren durchgeführt worden. Ihre Sammlungen selbst gingen 1821 in Staatseigentum über und wurden später zur Keimzelle der ethnographischen Sammlungen im Galeriegebäude. Das Wirken von Spix und Martius hätte bereits zu deren Lebzeiten zu einem ersten völkerkundlichen Höhepunkt in München führen können, wären die Pläne ihres Monarchen noch Wirklichkeit geworden: Max I. Joseph dachte an die Errichtung eines eigenen Brasilienmuseums für die Reiseausbeute der beiden Forscher; 111 schon 1825 aber wurde der Traum vom Museum Brasilianum zusammen mit dem Monarchen begraben, und die Kisten mit den Gegenständen aus "Amazonien " stapelten sich weiterhin für viele Jahre im Wilhelminum, der Alten Akademie, wohin sie gebracht worden wa109 Johann Baptist von Spix (1781-1826), Studium d. Theologie, Medizin u. Naturwissenschaften, 1806 Dr. med., Arzt in Bamberg, Studien in Frankreich, Italien u. d. Schweiz; 1811 Adjunkt d. BayAkadWiss a. d. mathem.-physikal. Klasse. - Carl Friedrich Philipp von Martius (1794-1868), 1814 Dr. med., 1826 Professor a. d. Univ. München, 1832 Direktor d. Botanischen Gartens ebd., 1854 auf eigenen Wunsch quiesziert, 1840 Mitgl. d. BayAkadWiss. 110 Johann Baptist Spix und Carl F.P.Martius: Reise in Brasilien. Bd. 1-3. München 1823-1931. Zu den beiden Forschern, überwiegend allerdings zu Martius, ist umfangreiche Literatur vorhanden; hier sind zu nennen die Arbeiten von Mägdefrau, Merxmüller und H.Schramm. 111 Vgl. dazu bei Zerries, Sammlung Spix und Martius.

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I. Einführung

ren und nun bis zum Jahre 1867 mit kurzen Unterbrechungen verblieben. Es war ein trauriges Los, das gerade diese wissenschaftlich so wertvolle Kollektion zur Kultur der Indianer Brasiliens in München fristete. Ludwig I. hatte nach dem Tode seines Vaters die Sammlungen Cook, Krusenstern und Spix/Martius im Wilhelminum als sog. Transatlantische Sammlungen vereinigt. Unter diesem Dreigestirn hatte eben die Brasiliensammlung das unruhigste Dasein. Vom Wilhelminum, wo die Transatlantischen Sammlungen unter Kuratel der Zoologischen wissenschaftlichen Sammlungen standen, wurde sie zeitweise in die Räume der nördlichen Hofgartenarkaden geschafft, um zusammen mit den Königlichen Vereinigten Sammlungen ausgestellt zu werden. Schon nach kurzer Zeit kam sie von dort wieder ins Wilhelminum zurück, wo sie aber neben den wissenschaftlichen Sammlungen nur geduldet wurde. Über Jahre in Kisten verpackt, gingen Anträge verschiedensten Inhalts hin und her, bis die Brasiliensammlung 1867 schließlich eine endgültige Heimat in den nördlichen Hofgartenarkaden fand, dort, wo 1868 unter Moritz Wagner die ethnographische Sammlung in München Premiere feiern sollte. 112 Das Vagabundendasein der Sammlung Spix und Martius zwischen den Transatlantischen Sammlungen und den Vereinigten Sammlungen, welche als Sammlungsverband zur Kunst und Kunstgeschichte gedacht waren, ist kein Produkt des Zufalls; es steht beispielhaft für die Frage nach der Zuordnung von Ethnographica aus dem Alltag der Naturvölker, für die Frage der Zuordnung zur Kunst oder zur Wissenschaft. Ohne die Frage an dieser Stelle und vor allem für den gerade behandelten Zeitraum weiter ausführen zu können, zeigt der Vorgang jedoch klar die Betonung kunstästhetischer und kunstwertender Aspekte der Völkerkunde zu Ungunsten einer wissenschaftlichen Betrachtung, wie sie etwa bei Sammlungen der Art Bastians im Vordergrund steht. Eine Erscheinung, die vor allem vor dem Hintergrund einer kunstbetonten Residenzstadt des 19. und auch 20. Jahrhunderts, wie sie München sein wollte und war, an Klarheit gewinnt. 113 Dabei wäre natürlich auch die hervorragende Rolle Ludwigs I. zu erörtern, wobei es dazu an Erträgen der (kunst)historischen Forschung nicht mangelt, die auch zur Genüge auf den Stellenwert eingegangen sind, den die Kunst bei Ludwig für Herrschaftslegitimation, Volksbelehrung und Nationalgefühl mit sich bringt - eine Funktion, die bei ihm eng mit der Geschichte verbunden ist, und bei der auch Ethnogra-

112 Zu den Sammlungen in dieser Zeit auch nur wenig bei C.C.Müller; Hinweise fmden sich in der Festansprache zur öffentlichen Sitzung am 9.3.1912 von Karl Theodor von Heigel, gedruckt in: Jb d. kgl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1912. München 1913, 77-88; aktenmäßig auch nur wenig in BayHStA MK 14423 und im Bestand des VKM, Akt Museumsgeschichte. 113 Diese Frage wird bereits ansatzweise bei Gareis 23 ff., vor allem unter museumsethnologischen Gesichtspunkten diskutiert.

4. Frühfonnen der Völkerkunde in München

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phica einen festen Platz haben, ähnlich etwa wie in dem ebenso programmatischen wie utopischen Museumsplan Samuel Quiccebergs am Hofe Albrechts. Im Kontext der Sammlungen, die als Grundstock für das 1868 installierte ethnographische Museum anzuführen wären, fehlt noch die Erwähnung weiterer Sammlungen, die von Ludwig I. angeschafft worden sind: 1842 kaufte er von dem italienischen Abenteurer und Kaufmann Onorato Martucci (17741846) 324 Seekisten mit chinesischen Kunstgegenständen und Schriften. Von einem französischen Apotheker auf Mauritius, Lamare Piquot, erstand Ludwig durch die beiden Münchner Orientalisten Marcus Joseph Müller und Othmar Frank für 27.000 fl eine umfangreiche Sammlung von Gegenständen aus Indien und Madagaskar ebenso wie aus dem Südseeraum, die allerdings auch Alltagsgegenstände enthielt: II 4 Wenn auch die Staatsbibliothek schon lange nicht mehr zum Sammlungsverband der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gehörte,115 so ist doch auch deren 1833 erworbene hervorragende Sammlung chinesischer Schriften besonders erwähnenswert, da es einmal nur wenig vergleichbare in Europa gibt und ihre Existenz immer wieder in München Ausschlag bei Personalentscheidungen im Rahmen völkerkundlicher Interessen gab. Die Sammlungen Martucci und Lamare Piquot wie eine Reihe kleinerer asiatischer Bestände aus dem Besitze Ludwigs I. sind in erster Linie Sammlungen von Kunstgegenständen, die den Königlichen Vereinigten Sammlungen zugeschlagen wurden. Diese bildeten mit ihrem teilweisen Übergang in die ethnographische Sammlung nicht nur den beeindruckenden asiatischen Schwerpunkt des künftigen Völkerkundemuseums, sie prägten auch die Kunstbetontheit des Münchener Völkerkundemuseums für alle Zukunft - ein Aspekt, der besonders noch unter der Amtszeit Lucian Schermans und in der Nachbarschaft zu anderen völkerkundlichen Unternehmungen in München zu betrachten sein wird.

So mag man auch zunächst der Behauptung zustimmen, Ludwig I. sei im 19. Jahrhundert der Förderer der Völkerkunde in München gewesen. 1l6 Rasch aber verliert diese Behauptung an Substanz, rückt man von einer allzu einseitigen Betrachtung der Völkerkunde unter museumskonzeptuellen Aspekten ab und konstatiert, daß Völkerkunde - auch schon im 19. Jahrhundert - weit mehr umfaßte als das bloße Sammeln von Kunst- und Alltagsgegenständen fremder Kulturen. So stellt sich etwa die Frage nach deren Förderung im akademischen Bereich. Allein die Betrachtung der Bautätigkeit Ludwigs rückt seine Interessen ins Licht: bei all den Prachtbauten für Kunst, Ge114 Zu diesen beiden Sammlungen vor allem bei Goepper 61 ff.; zur Sammlung Lamare Piquot vgl. Lommel, Südsee-Sammlung 105-131. 115 1827 ausgeschieden; vgl. Bachmann. 116 Wie etwa bei Gareis 23 ff. aufgeführt.

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I. Einfilhrung

schichte (als memoria) und Wissenschaft blieb für eine gezielte Förderung der Völkerkunde keinerlei Platz; erst unter Ludwigs Nachfolger Maximilian 11. konnte sich eine ethnographische Sammlung fest etablieren - wenn auch unter völlig unzureichenden räumlichen Bedingungen. Noch viel deutlicher widerlegt eine andere Begebenheit die Sage von Ludwigs völkerkundlichem Mäzenatentum: die Ablehnung des Sieboldschen Planes für ein ethnographisches Museum. Der bekannte Würzburger Japan-Reisende Philipp Franz von Siebold 117 hatte in einem ausführlichen Schreiben vom 21. April 1835 118 König Ludwig einen detaillierten Plan vorgelegt, nach welchem er in München ein ethnographisches Museum errichten wollte, das in erster Linie der Aufnahme der umfangreichen Sammlungen dienen sollte, die Siebold aus Japan nach Europa geschafft hatte. Wenn hier auch auf den Plan und dessen Nicht-Zustandekommen nur am Rande eingegangen werden kann, so sind zwei Dinge daran bemerkenswert: Einmal ist der Plan Siebolds wohl mit der früheste für ein "modemes· ethnographisches Museum; einzig der französische Geograph Edme-Fran~ois Jomard dürfte ihm voranzustellen sein. 119 Das zweite ist die "Wissenschaftlichkeit" des Museumsplanes, die weg von bloßer Betrachtung und oberflächlicher Volkserziehung hin zu einem intensiven, auch vergleichenden Studium einer fremden Kultur führen sollte. Allerdings gedachte Siebold, mehr die Gegenwartssituation darzustellen und nicht in historische Tiefen vorzudringen, wie es Aufgabe des Völkerkundemuseums einige Jahrzehnte später sein sollte. Mit diesem Gegenwartsbezug verbunden war auch eine utilitaristische, im früheren Sinne kameralistische Zielsetzung. Das Museum sollte zusätzlich Ausbildungsstätte für Beamte und Offiziere sein, um sie unter kolonial- und handelspolitischen Aspekten auf den Kontakt mit fremden Kulturen vorzubereiten. 120 König Ludwig war auf 117 Philipp Pranz von Siebold (1796-1866), 1815-1820 Medizinstudium in Würzburg, danach Schiffsarzt in niederländischen Diensten, 1826 im..niederl. Auftrag in Japan, konnte bereits zu diesem frühen Zeitpunkt der japanischen Offnung als einer der wenigen Europäer ins Landesinnere gelangen, 1829 Ausweisung wegen Spionageverdachts; 1859-1862 erneut in Japan, 1861 Berater des Shogun, 1864 Rückkehr nach Würzburg, 1866 nach München. Umfassend zu seiner Biographie bei H.Körner, Würzburger Siebold. 118 Der Brief ist auszugsweise abgedruckt bei Scherman, Museum 257-261; Brief und Plan in VKM, Akt (Kassette) Sieboldsammlung, neuderdings ediert bei Gareis im Anhang. Dort auch ausführlicher über die Umstände, soweit diese überhaupt noch rekonstruiert werden können. 119 Vgl. dazu E.-T. Hamy: Les origines du musees d'ethnographie. Histoire et documents. Paris 1890. 120 Den handelspolitischen Aspekt sieht C.C. Müller 19 vielleicht auch als verhandlungstaktisches Argument bei Siebold, was auch m.E. entgegen Gareis eher so betrachtet werden sollte. Wie vorliegende Arbeit zeigen wird, werden handels- und kolonialpolitische Argumente immer wieder bis 1945 zur Durchsetzung völkerkundlicher Interessen vorgeschoben.

4. FlÜhfonnen der Völkerkunde in München

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den Plan Siebolds nicht eingegangen; die Gründe dafür - ob finanzielle oder grundsätzliche - sind kaum mehr faßbar. Jedenfalls fand Siebold in den Niederlanden nach längeren Verhandlungen mit seiner Idee eine günstigere Aufnahme, so daß 1837 aufgrund seiner Initiative und auf der Basis eines Großteils seiner Sammlungen das Rijks Japansch Museum eröffnet wurde, das 1864 die Bezeichnung Rijks Ethnographisch Museum erhielt. Dennoch waren auch in München noch Teile der Sieboldschen Sammlung zu sehen, nicht wenige davon gingen später sogar in den Besitz der Münchner ethnograpischen Sammlung unter Moritz Wagner über. In der Retrospektive kann man somit konstatieren, daß im Vorfeld der Entstehung der ethnographischen Sammlung in München allein drei bedeutende Chancen bestanden haben, schon vorher, zu vergleichsweise frühen Zeitpunkten, einzigartige völkerkundliche Einrichtungen zu schaffen: Quicchebergs theatrum amplissimum, Maximilians Museum Brasilianum und Siebolds ethnographisches Museum. c) Völkerkunde an der Universität München bis etwa 1859

Als der auf Kosten des bayerischen Staates nach Mittelamerika aufgebrochene Forschungsreisende und nachmalige Konservator der ethnographischen Sammlung in München, Moritz Wagner, nach seiner Rückkehr sich um eine Professur für "Länder- und Völkerkunde" an der Münchner Universität bewarb, gestand er in einem Schreiben an Hofrat pfistermeister ein, daß er dies vor allem getan habe, um in die Nachfolge des Neumannschen Lehrstuhls treten zu können. 121 Geht man ersten Spuren der "Völkerkunde"122 an der Münchner Universität nach, so erweist sich tatsächlich die Person Neumanns als ein gewisser Kulminationspunkt Münchner früher "völkerkundlicher" Tätigkeit und läßt den Wunsch Wagners auf seine Nachfolge begreifbar werden. 1833 hatte der ehemalige Gymnasiallehrer und Chinareisende Karl Friedrich Neumann123 seine wertvollen Sammlungen chinesischer Schriften sowie weitere Ethnographica aus dem sinologischen Sprachraum gegen eine Profes-

121 122

GHA 78-3-134, NL Max 11., Wagner an Pfistermeister, München 3.5.1860. Solch eine Spurensuche kann hier nur rein begrifflich durchgeführt werden, d.h. dort, wo nominal die "Völkerkunde" oder ein dieser assozüerbarer Begriff zu fmden ist. Dies ist seit dem 18. Jahrhundert vor allem im universitären Lehrfach "Länder- und Völkerkunde" der Fall; auf dessen unterschiedliche Inhalte wird im Verlaufe der Untersuchung einzugehen sein. 123 Karl Friedrich Neumann (1793-1870), Studium in Heidelberg, 1818 vomjüdischen zum protestantischen Glauben konvertiert, Gymnasiallehrer in Würzburg, Speyer, Aschaffenburg, ab 1825 Forschungsreise in China, 1833 o. Prof. a. d. Univ. München, 1852 quiesziert. Vgl. ADB; U.Huber 567; Dickerhof, Neumann; Rall, Neumann; Nekrolog in: Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität. München 1869170; Kaznelson. - UAM, E-II-493.

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I. Einfiihrung

sur an der Universität München, verbunden mit einem Standesgehalt von 1.000 fl und einer zugesicherten Altersversorgung, "eingetauscht". Diese sinologische Bibliothek, die damals wie heute mit ihren rund 12.000 Bänden von ungeheurem wissenschaftlichen Wert ist, war von Neumann dem bayerisehen Staate gleichzeitig mit der Bitte, Vorlesungen an der Universität halten zu dürfen, zum Erwerb angeboten worden. Für einen direkten Kauf waren keine Mittel vorhanden und die Lösung mit der Professur daher der Universität letztendlich auf Geheiß Ludwig I. und auf Kosten der Universitätskasse, welche das Gehalt zu tragen hatte, aufgezwungen worden. 124 1833 erhielt deshalb Neumann eine ordentliche Professur für "Armenische und chinesische Sprache, Länder- und Völkerkunde"125 also nicht aus Gründen des Bedarfs einer Vertretung dieses Faches heraus, sondern um den Erwerb der kostbaren Sammlungen für die Bayerische Staatsbibliothek zu ermöglichen. Neumann hingegen bereicherte im ersten Semester seiner Tätigkeit (SS 1833) das Vorlesungsangebot: er bot jeweils zweistündig armenische Sprache und Literatur sowie chinesische Literatur und Sprache an, dazu fünfmal wöchentlich Länder- und Völkerkunde; ein Programm, das allerdings schnell weitere Modifikationen erfuhr. 126 Während die Neumannschen Bestände in der Staatsbibliothek bei Besetzungsfragen in Verbindung mit der Völkerkunde sowohl an Universität wie an Museum nach der lahrhundertwende immer einen wichtigen Faktor darstellen sollten, verlangt der Lehrauftrag Neumanns für die Zeit seines Bestehens bis 1852 127 insoweit Beachtung, als der Blick auf seine Vorlesungen zeigt, daß darin alle bereits vorhandenen und unter dem Stichwort Völkerkunde subsumierbaren Aktivitäten an der Universität München nochmals kumulierten: Die allgemeine Länder- und Völkerkunde wurde beispielsweise auch durch die Historiker Söltl, Rudhardt oder Höfler 128 gelesen sowohl im Sinne einer geschichtlichen Hilfswissenschaft, 124 Zu diesem Vorgang zwischen Universität, Ministerium und König vgl. U.Huber 137 ff. 125 UAM E-II-493. 126 Nach den Vorlesungsverzeichissen der Universität München; daraus auch die Angaben für die nachfolgend genannten Veranstaltungen. 127 Neumann, zum Protestantismus konvertierter Jude, wurde 1852 aus ähnlichem Grunde wie schon einmal 1825 am Gymnasium Speyer wegen der Gefahr der Jugendverderbnis quiesziert. 128 Johann Michael Söltl (1797-1888) 1848 Honorarprof., 1849 o. Prof. f. Geschichte in München. 1855 Vorstand des Geheimen Hausarchivs, 1868 auch des Geheimen Staatsarchivs. UAM, E-II-525. - Konstantin Ritter von Höfler (1811-1879) 1841 o. Prof. f. Geschichte a. d. Univ. München, 1847 wegen Haltung gegen Lola Montez quiesziert, Leitung des Bamberger Staatsarchivs, 1851 Univ. Prag. UAM, E11-134.- Georg Thomas Rudhardt (1792-1860) nach Armeedienst und Reisen 1827 Lyzealprof. i. Bamberg, 1847 Prof. f. Geschichte a. d. Univ. München; 1849-1860

4. Frühfonnen der Völkerkunde in München

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wie auch als Statistik oder Länderkunde im Sinne der Staatswissenschaften. Auch als physische Geographie taucht sie auf, etwa bei Hoffmann l29 "mit vorzüglicher Berücksichtigung der nato Verhältnisse des Erdkörpers", oder als Ethno-Geographie wie bei Martius als "Geographie von Südamerika und Natur- und Sittengeschichte der südamerikanischen Völker", und letztendlich auch als Volkskunde im heutigen Sinne in der "Ethnographie", wie sie Joseph Görres 130 beispielsweise 1829/30 anbot. Über Inhalt und Qualität des Angebots läßt sich heute kaum noch etwas sagen; es dürfte sich aber um die Vermittlung recht allgemeiner Kenntnisse gehandelt haben, vor allem ab 1838, nachdem die allgemeine Länder und Völkerkunde dem Studium der Allgemeinen Wissenschaften zugeordnet worden war. So erinnerte sich etwa Hyazinth Holland, Erzieher im königlichen Hause, an Höfler; der "lehrte Geschichte des Mittelalters, sowie Länder- und Völkerkunde. Sein Vortrag war elegant, vornehm, nicht geistreich ... ". Der Jurist Felix Dahn berichtete aus seiner Münchner Studienzeit ganz allgemein, er hörte "Länder- und Völkerkunde bei Neumann, dem 'Chinesen', wie wir ihn nannten, weil er so viel von China erzählte" .131 Nachdem nun auch schon seit 1832 die Länder- und Völkerkunde durch Franz Berks 132 als ordentlichem Professor für Staatswissenschaft und Geschichte in der Staatswirtschaftlichen und Philosophischen Fakultät vertreten war, war diese mit Neumann tatsächlich überrepräsentiert. Nach der Studienreform von 1838 verlor die allgemeine Länder- und Völkerkunde erheblich an Gewicht: sie war nur noch im ersten Semester des Bienniums vorgesehen. Neumann hatte nun seine Fakultätskollegen durch Vorlesungen aus dem Gebiet der Geschichte (als Prüfungsfach) zu entlasten. 133 Abgesehen davon, daß Neumann zeitweilig auch einseitig und ohne weiteren Auftrag seine VorlesunVorstand, dann Direktor des Reichsarchivs, gehörte der 1858 gegründeten Historischen Kommission an. UAM, E-II-282. 129 Kar! Friedrich Hoffmann (1796-1841) war nur 1829-30 in München tätig; UAM, E-II-139. 130 Johann Joseph (von) Görres (1776-1848), seit 1827 o. Prof. f. Geschichte a. d. Univ. München, 1842 o. Mitgl. d. BayAkadWiss; Begründer des Görres-Kreises als Zentrum katholischer Wissenschaftsbewegung, der Historisch-Politischen Blätter, etc. UAM, E-II-99. Interessant für hier auch seine frühe Beschäftigung mit der Geisteswelt Asiens, daraus 1810 resultierend des zweibändige Werk Die Mythengeschichte der asiatischen Welt. 131 Hervorhebungen vom Vf.; zit. nach Müller/ vom Bruch 98 u.104. 132 Franz (von) Berks (1792-1873), 1832-1838 o. Prof. f. Geschichte und Staatswissenschaften an der Staatswirtschaftl. Fak., dann der Phil. Fak. München; ausführlich dokumentiert bei V.Huber 552. - UAM, E-II-17. 133 Zur Fächerverteilung im Rahmen des Studiums der Allgemeinen Wissenschaften an der Universität München vgl. Dickerhof, Studiengesetzgebung passim; eine Stellungnahme Neumanns zum recht unbefriedigenden Platz einer "Länder- und Völkerkunde" im Lehrplan vgl. bes. Dickerhof, Studiengesetzgebung 208.

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I. Einführung

gen auf die Universal- und Literärgeschichte (für welche ja bereits Görres berufen worden war) ausgedehnt hatte, fanden noch weitere Überschneidungen statt, soweit es um den philologischen Teil von Neumanns Lehrauftrag ging. Dieser lautete ja ursprünglich auf die armenische und die chinesische Sprache (und Literatur); die nicht-biblische Orientalistik war jedoch bereits seit 1826 durch Othmar Frank,134 ab 1839 durch Marcus Joseph Müller135 vertreten. Ein universalerer Lehrstuhl als der Neumanns war also an der Universität München nie vorhanden, auch als dieser nach langjähriger Vakanz durch Franz Löher nominell für "Allgemeine Literaturgeschichte, Länder- und Völkerkunde" wiederbesetzt wurde. Von Neumann und seiner Bibliothek einmal ganz abgesehen, hatten auch andere Münchner Professoren, ihre materiellen Beiträge zur Völkerkunde geleistet: erwähnt wurde bereits der Ankauf der Cookschen Sammlung durch den Zoologen Wagler,136 ebenso wie die Tätigkeiten Müllers und Franks bei Sammlungsankäufen für Ludwig I. Bemerkenswert ist nun, daß zwar die l.iinder- und Völkerkunde 1859 als Nominalfach nochmals besetzt wurde, eine institutionelle Anbindung der Völkerkunde an der Universität darüber jedoch niemals zustandekam, wie noch zu zeigen sein wird. Vielmehr erfolgte die Etablierung der Völkerkunde an der Universität erst viel später über die Philologie, genauer über den Indologen Lucian Scherman. So führt der Weg der Münchner universitären Völkerkunde über eine kontinuierliche Tradition von Othmar Frank137 als Vertreter der orientalischen (nicht-biblischen) Philologie über mehrere Zweige der Philologie zu Ernst Kuhn,138 der erstmals als Phi134 Otbmar (Johannes Georg) Frank (1770-1840), OSB Banz, 1821 o. Prof. f. Orientalistik (= nichtbiblische Sprachen) in Würzburg, 1826 o. Prof. f. Sanskrit und Philosophie a. d. Univ. München, 1821 ao. Mitgl., 1835 o. Mitgl. d. BayAkadWiss (Vgl. ADB; U.Huber 558). UAM, E-II-77. 135 Marcus Joseph Müller (1809-1874), 1838 ao. Mitgl., 1841 o. Mitgl. d. BayAkadWiss, 1839 ao. Prof., 1847 o. Prof. f. nichtbiblische orientalische Sprachen; ein Antrag auf Prof. für arabische und persische Sprachen wurde 1837 abgelehnt (ADB; U.Huber 567). UAM, E-II-491. 136 Johann Georg Wagler (1800-1832), 1819 Famulus d. zoolog. Sammlung Erlangen, 1824 ao. Mitglied, 1827 o. Mitglied d. BayAkadWiss auf Emfehlung A. v. Humboldts; 1826 ao. Prof. f. Zoologie a. d. Univ. München. Vgl. ADB; U.Huber 578. UAM, E-II-378. 137 Frank las seit Bestehen der Universität in München Sanskrit, Persisch und Orientalische Philologie, bot daneben aber auch Völkerkundliches an wie "Mythologie der Hindu mit Rücksicht auf ihre Philosophie und Bildwerke", "Mythologie der Hindu", "Philosophie der Hindu", "Mythologie und Archäologie der Hindu", etc. Damit las er im Grunde nichts anderes als 80 Jahre später Scherman als Ordinarius für Völkerkunde! 138 Ernst Kuhn (1846-1920) kam 1877 als o. Prof. f. vergleichende Sprachwissenschaft und Sanskrit nach München und vertrat daneben auch noch die Länder- und Völkerkunde. 1909 wurde sein Fach in Abgrenzung zu anderen in "arische Philolo-

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lologe die Länder- und Völkerkunde mitzuvertreten hatte, und von diesem zu dessen Schüler Scherman, dem ersten Ordinarius für Völkerkunde an der Universität München. Im Gegensatz zur Philologie bot dagegen die physische Anthropologie in München der Völkerkunde keine Gelegenheit zur universitären Festsetzung. Hier hatte bereits sehr früh eine Abgrenzung stattgefunden, wohl begründet in einer Münchner Besonderheit: Fast bis zum Ende des 19. Jahrhunderts blieben Naturgeschichte und physische Anthroplogie hier als ein einheitliches Fach erhalten, wogegen an anderen Universitäten diese Einheit zugunsten einer Auflösung in Einzelfacher wesentlich früher wegfiel, und damit das Eindringen der Völkerkunde als Spezialfach über anthropologische Fächer früher ermöglicht wurde. In München dagegen besetzte Schubert139 über den langen Zeitraum von 1830 bis 1853 das einheitliche Fach Anthropologie und Naturgeschichte, welches dann von Beraz l40 übernommen wurde. Dessen Antrag auf Umwandlung der außerordentlichen in eine ordentliche Professur 1859 ist aufschlußreich für das Verständnis von den Einzelwissenschaften und die dabei unterschiedlich wirkenden Kräfte in München. 141 Mit dem Übergang an Joseph Beraz wurden von diesem nur noch die biologisch-psychologischen Aspekte der Anthropologie gelehrt, während Lindemann142 parallel dazu sich ausschließlich der somatischen Seite der Anthropologie zuwandte. Erst nach dem Tode von Beraz zerfiel die Einheit von Naturgeschichte und Anthropologie, nachdem Johannes Ranke zuerst dieses Fach als Extraordinariat wie bisher weitervertreten hatte, um dann allerdings in München 1886 direkt den ersten Lehrstuhl für physische Anthroplogie überhaupt zu erhalten. 143

gie" umbenannt. Vgl. auch NOB 13, 257; dort ebenso zu seinem Vater, dem Mythologen Albert Kuhn. UAM, E-II-624. 139 Gotthilf Heinrich von Schubert (1780-1869), aus Sachsen stammend, in Verbindung mit Herder und Jean Paul stehend, Studium der Theologie, dann Medizin, Dr. med., dann auch der Naturwissenschaften. Nach Lehrämtern an den Realschulen in Nümberg und Erlangen 1826 o. Prof. f. allgemeine Naturgeschichte in München, 1827 o. Mitgl. d. BayAkadWiss und Konservator der zoologischen Sammlung (vgl. ADB; U.Huber 573. UAM, E-II-320). 140 Joseph Beraz (1803-1869), Studium in München, 1828 Dr. med., nach Professuren an der chirurg. Schule Bamberg und der Univ. Würzburg; 1848 in München Prosektor u. ao. Prof. a. d. Med. Pak., 1854 dort Prof. f. Naturgeschichte, 1857 dto. a. d. Phil. Pak. UAM, E-II-418. 141 In UAM, 0-1-39. 142 Heinrich Simon Lindemann (1807-1855), 1839 Habil. He~~elberg, Lehrtätigkeit in Heidelberg und Solothum, 1847 Univ. München Prof. f. Asthetik, 1852/53 entbunden. Vgl. ADB; U.Huber 563. UAM, E-II-483. 143 Zu Ranke vgl. auch hier 110, 125-127, 133-140 passim.

11. Moritz Wagner, erster Konservator der ethnographischen Sammlung in München (1862-1887) Als 1862 der Journalist, Reiseschriftsteller und naturwissenschaftliche Forschungsreisende Moritz Wagner zum ersten Konservator der ethnographischen Sammlung in München ernannt wurde, nahm die Völkerkunde in München erstmals institutionell und organisatorisch greifbare Gestalt an. Dabei zählte die Sammlung bzw. ihre Bestandteile zu den ältesten in Europa und konnte auch bedeutende Provenienzen aufweisen. Der Ausbau und die Ordnung der Sammlungen, ebenso deren Unterbringung und Präsentation, mußten jedoch unter denkbar schlechten finanziellen und personellen Umständen und zudem unter nur geringer Anteilnahme der Münchner Gelehrtenschaft wie der übrigen Öffentlichkeit erfolgen. Der Vergleich mit ähnlichen Unternehmungen in anderen Residenz- und Hauptstädten Europas läßt diese schlechten Rahmenbedingungen besonders deutlich werden. 1 Wagner selbst war zum Zeitpunkt seiner Ernennung zum Konservator bereits 50 Jahre alt. Zuvor hatte er aufgrund etwas unglücklicher Umstände auf eine Teilnahme an der österreichischen Novara-Expedition verzichten müssen, für die ihn der der Wissenschaft eng verbundene König Maximilian 11. vorgesehen hatte. Zur Kompensation dieses Mißerfolgs bayerischer Diplomatie sollte er im Auftrag des Königs eine zweijährige Mittelamerikareise durchführen, welche in der Konzeption einen Mittelweg zwischen halbherziger Sammelreise für die staatlichen Sammlungen in München und expeditionsmäßig geplanter Forschungsreise darstellte. So mußte Wagner erst Jahrzehnte eines bewegten Lebens mit eher nicht-wissenschaftlichen Tätigkeiten hinter sich bringen, bis er nicht mehr als ein "alternder Kranich, der zu dem jüngeren Volk in die Lüfte sich schwingt, wenn der Ruf zur Reise ertönt"2, auf Wanderschaft zu gehen brauchte, sondern zu einem Kristallisationspunkt für die erste institutionell faßbare völkerkundliche Einrichtung in München werden konnte. Seine Hauptkraft schenkte er in der Zeit seiner Tätigkeit als Konservator in München allerdings weniger einer ethnographischen Auswertung seiner

2

Vgl. hier 18 ff. Zitiert als seine eigenen Worte nach Ratzei, Wagner 535.

1. Fünfzig Jahre Reisen und Schreiben

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Sammlungen, vielmehr - angeregt von den Veröffentlichungen Charles Darwins in Relation zu seinen eigenen Forschungen - dem Aufbau eines biologisch-evolutionistischen Naturgesetzes, seiner "Migrationstheorie " . In der Münchner Gelehrtenrepublik ebenso wie anderswo fand er damit allerdings nur mäßige Beachtung. Nachdem ihm diese ebenso wie zahlreiche andere Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Entfaltung in München vorenthalten blieben, setzte er, schwerkrank und konsequent seinen eigenen Vorstellungen vom Wesen des Daseins folgend, seinem Leben 1887 selbst ein Ende. Der Einfluß Wagners und seine Bedeutung lag paradoxerweise am wenigsten auf dem Gebiete der Ethnologie oder Ethnographie; es wurden vor allem seine Leistungen auf dem Gebiete der Biologie und der Geographie beachtet. Eine Würdigung seiner Person hat daher bezeichnenderweise nicht von seiten der Ethnologen, sondern der Geographen und Biologen stattgefunden - und zwar bei seinen Zeitgenossen ebenso wie in der disziplingeschichtlichen Forschung der Gegenwart. 3 In einem von biologischen Evolutionismen4 geprägten Jahrhundert hatte die Münchner ethnographische Sammlung, die bald in Ethnographisches Museum und nach der Jahrhundertwende in Museum für Völkerkunde umbenannt worden war, ihre Geburtsstunde erfahren, eine wesentliche weitere Förderung in jenem "biologischen Jahrhundert" jedoch nicht mehr erlebt.

1. Fünfzig Jahre des Reisens und Schreibens a) Erste Dispositionen Konzediert man Moritz Wagners Namensvetter Richard ein gewisses Maß an Genialität, so wurde auch Moritz Wagner wie dieser in dem, wie manche sagen, "Geniejahr 18l3" geboren. Jedenfalls kam Moritz Wagner am 3. Oktober jenen Jahres in Bayreuth zur Welt, welches gerade erst seit 1810 zu Bayern gehörte. 5 Sein Vater war dort als Gymnasialprofessor im Staatsdienst 3 Die auf ihn verfaßten Nekrologe stammen - ebenso wie die meisten späteren Lebensbilder - fast ausschließlich von Geographen, wie etwa von Friedrich Ratzel (professor für Geographie und Völkerkunde in Leipzig), Karl von Scherzer (naturwissenschaftlicher Reisender aus Wien), Sigmund Günther (Professor für Geographie an der TH München), u.a.; vgl. dazu die im biographischen Anhang unter Moritz Wagner angegebene Literatur. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Wagner besonders von den Geographie-Historikern Hanno Beck und Josef Babicz aufgenommen. Aus der Reihe der Ethnologen ist lediglich H.Ganslmayr zu nennen, welcher sich mit Wagner ebt:D unter ethnologischen Gesichtspunkten beschäftigt hatte; neuerdings allerdings auch Sigrid Gareis. 4 Vgl. dazu etwa den guten Überblick bei Weindllng, Darwinism 254 ff. 5 Von den vorliegenden Lebensbildern über Moritz Wagner dürften die maßgeblichen Aussagen für die ersten Jahrzehnte seines Lebens zu fmden sein bei Ratzel,

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ß. Moritz Wagner als erster Konservator (1862-1887)

tätig, evangelisch-lutherischer Konfession und geistig von jener inneren Haltung, wie sie in diesen Jahren etwa Lord Byron vertrat. Allerdings war sein Sinn weniger romantisch geprägt, seine eigene Freiheitsliebe äußerte sich eher in der Form eines "politischen Feuerkopfes", was ihm zahlreiche Schwierigkeiten mit seinem Dienstherrn und 1820 schließlich seine Versetzung nach Augsburg einbrachte. 6 Die Schulausbildung erhielt Moritz Wagner zunächst am gleichen Gymnasium in Augsburg, an dem sein Vater unterrichtete. Nach der Trennung der Schule in je ein protestantisches und ein katholisches Gymnasium übernahm sein Vater die Leitung des protestantischen, was es unmöglich machte, daß sein Sohn dort weiter unterrichtet wurde. Die Weigerung des Vaters einerseits, ihn in die katholische Schule zu schicken, diverse Schwierigkeiten zwischen einem Lehrer und seinem Sohn Moritz andererseits bewirkten, daß dieser, erst fünfzehnjährig, die Schule verließ und eine Lehre in einem Augsburger Bankhaus begann, 7 der sich noch eine halbjährige Tätigkeit als Commis im Handelshaus Merkel in Nürnberg anschloß. Bereits in dieser Zeit beschäftigte sich Wagner damit, für lokale Zeitungen Artikel lyrischen, aber auch politischen Inhalts zu verfassen, aber auch seine Kenntnisse in Botanik und Zoologie zu vertiefen. Maßgeblichen Einfluß und Anreiz bei diesen naturwissenschaftlichen Studien erfuhr er dabei durch seinen um acht Jahre älteren Bruder Rudolf. 8 Jener war es wohl auch, der Moritz zu seiner ersten Reise mit naturwissenschaftlichen Zielsetzungen ermunterte. Die günstige Gelegenheit für solch eine Reise ergab sich durch Moritz Wagners Tätigkeit als Kaufmann in Marseille; von dort aus konnte er leicht das französisch besetzte Algier und das dazugehörige Hinterland besuchen. Bei diesen Ausflügen vor allem in das Hinterland hatte Wagner Gelegenheit, seine naturkundlichen Kenntnisse in einer ihm noch völlig fremden Landschaft anzuwenden; dabei galt sein Augenmerk vorwiegend den botanischen Gegebenheiten der fremden Vegetation. Was damals noch der zufälligen Gelegenheit und der Untemehmungslust eines jungen Mannes - Wagner war gerade etwas über zwanzig Jahre alt - entWagner; Scherzer, Wagner, wobei dieser Nekrolog fast unverändert nochmals als biographische Einführung zu den von Wagners Neffen postum herausgegebenen Schriften zur Entwicklungsgeschichte verwendet wurde (Biograph. Anhang, Wagner 1889). Ratzel und Scherzer waren ihm besonders nahestehende Freunde gewesen. 6 Nach Scherzer, Wagner. 7 Nach Ratzei: Stetten; nach Scherzer: von Halder 8 Rudolf Wagner (1805-1864), Studium d. Med. in Erlangen u. Würzburg, 1826 Prom. Würzburg, 1829 Hal5'tl. Erlangen, 1833 a. o. Prof. d. Zoologie, 1840 o. Prof. f. Physiologie, vergleichende Anatomie u. Zoologie i. Göttingen als Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Blumenbach. Vgl. Wagenitz 188 f. mit weiteren Angaben zu biogr. Literatur.

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sprungen war, wurde rasch zum konkreten Interesse. Durch seine Freunde ermuntert,9 wurde von Wagner nun erstmals ein Aufenthalt zwecks naturkundlicher und politischer Beobachtungen in Nordafrika gezielt geplant und vorbereitet. Das Frühjahr 1836 verbrachte der gerade Dreiundzwanzigjährige in den Naturalienkabinetten von München und Erlangen. 1O Gerade in Erlangen konnte er seine naturkundlichen Studien besonders effektiv gestalten, da dort sein Bruder Rudolf seit 1833 als Professor der Zoologie tätig war. Im weiteren Verlauf des Jahres gewann er durch verschiedene Empfehlungen, vor allem durch General Damremont, Anschluß an jene wissenschaftliche Kommission, welche die französisch-afrikanischen Truppen in Nordafrika begleitete. Zusammen mit Adrian Berbrugger, einem Mitglied des Institut de France und Mitarbeiter der Allgemeinen ZeitunglI, erlebte er so ab Oktober 1836 die Feldzüge gegen Constantine, Belida und Reghaja und konnte in Friedenszeiten auch das Innere der Provinz Mascara besuchen. In dieser Zeit schickte er zahllose Briefe und Artikel nach Deutschland, welche in der Allgemeinen Zeitung,12 im Ausland13 und im Morgenblatt für gebildete Stände abgedruckt wurden. 14 Damit verschaffte sich Moritz Wagner schnell eine ungeheure Beachtung bei der Leserschaft - ein erfreulicher Zustand, den der Verleger all dieser Blätter, Georg Freiherr von Cotta l5 , flugs mit erhöhten Honorarsätzen zu belohnen wußte. Zwei Jahre verbrachte Wagner in Algier, und wenn seine eindringlichen und farbkräftigen Schilderungen der militärischen und politischen Ereignisse aus diesem Teil der Welt ihm bei seinen Lesern zu literarischem Ruhm verhalfen, so hatte diese journalistische Tätigkeit neben erträglichen Einkünften auch eine intensive Bindung an den Verleger zur Folge. Auch nach dessen Tode blieb noch die Bindung Wagners an das Cottasche

9 So Scherzer in seiner Lebensskizze (Biograph. Anhang, Wagner 1889, 12). Scherzer dürfte in den Einzelheiten seines Berichtes über Wagner am zuverlässigsten sein, da er offenbar über eine familieninterne Biographie verfügte, die Wagners Mutter über Moritz' erste Lebensjahrzehnte gefertigt hatte. Zudem hatte Scherzer viele Jahre der Zeit bis zu Wagners Seßhaftwerdung in München mit diesem gemeinsam verbracht. 10 RatzeI, Wagner 533. 11 Heyck 197. Über Berbrugger dürfte Wagner auch zur AZ gekommen sein. 12 Zur Allgemeinen Zeitung neben Heyck auch Lohrer; dort auch zu den anderen Blättern des Verlages. 13 Ab 1834 unter der Redaktion Eduard Widenmanns, ab 1854 unter Oskar Ferdinand Peschel. 14 Das Morgenblan wurde 1865 eingestellt. Redakteur war 1827-1867 Hermann Hanft. Lohrer 68. 15 Sohn des Gründers der Allgemeinen Zeitung und Schiller- und Goethe-Verlegers Johann Friedrich Freiherr von Cotta (1764 - 1832). 5 Smolka

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Verlagshaus erhalten, wenn nun auch manchmal in weniger herzlicher Art.16 Besondere Bedeutung erlangte für Wagner diese Verbindung nochmals, als es um die Finanzierung seiner letzten großen Reise nach Mittelamerika ging, ebenso wie für die Zeit danach, als die Allgemeine Zeitung, das Ausland und der Kosmos für ihn zum Forum der Verteidigung seiner Migrationstheorie wurden. 17 Neben seiner Tätigeit als Kriegsberichterstatter und politischer Journalist wandte er sich nun erstmals planmäßig der naturkundlichen Erforschung des Landes zu. Und noch einem dritten Aspekt widmete er seine Aufmerksamkeit: den deutschen und französischen Siedlern, ihrem (seiner Meinung nach äußerst zweifelhaften) Verhalten in der fremden Umgebung sowie den grundsätzlichen Fragen europäischer Kolonisation. Bereits ab diesem Zeitpunkt also finden sich die drei grundlegenden Ansätze von Wagners Interessen, wie sie auch in Zukunft von ihm vertreten werden sollten: die natürlichen Gegebenheiten einer Landschaft im weitesten Sinne, die politischen Verhältnisse und die Möglichkeiten europäischer Kolonisation. 1838 wieder nach Deutschland zurückgekehrt, widmete sich Moritz Wagner in der Manier des dilettierenden Privatgelehrten18 der Ausarbeitung seiner Algerienreisen und legte die Ergebnisse 1841 in dem dreibändigen Werk Reisen in der Regentschaft Algier in den Jahren 1836,1837 und 183819 einem, wie er erhoffte, auch wissenschaftlichen Publikum vor. Tatsächlich finden sich darin eine Fülle geognostischer, zoologischer und botanischer Beobachtungen niedergelegt. Seine Ausarbeitungen hatte er nach 1838 wieder durch eigene naturkundlichen Studien in verschiedenen Naturalienkabinetten begleitet. In seinem dreibändigen Werk finden sich aber auch ausführliche ergänzende Beiträge zu einschlägigen Problemen aus Zoologie und Botanik nicht nur von seinem Bruder Rudolf, sondern auch von anderen Fachgelehrten seiner Zeit. Unter den wenigen Algerienberichten aus dieser Epoche muß Wagners Werk als das mit dem höchsten wissenschaftlichen Anspruch gel16 Im Deutschen Literaturarchiv , Cotta-Archiv, in Marbach bezeugen dies nicht nur eine Reihe an Briefen bis zu seinem Todesjahr 1887; auch die Register der Redaktionsexemplare führen mit ihren hunderten von Beiträgen unter Wagners Namen dessen Tätigkeit für das Verlagshaus lebhaft vor Augen. 17 Nach Übernahme der Redaktion durch Pescheterhielt das vom Tages- in ein Wochenblatt umgewandelte Ausland den Untertitel: "Uberschau der neuesten Forschungen auf dem Gebiete der Natur-, Erd- und Völkerkunde" und war zu dieser Zeit die einzige Zeitschrift für Länder und Völkerkunde. Lohrer 83. 18 Neben Gizycki vgl. zur Rolle des Forschungsreisenden im 19. Jh. mit weiterführender Literatur etwa bei Brenner; exemplarisch für die Region Afrika, aber von ebenso grundsätzlicher Bedeutung für die Sozialgeschichte der Forschungsreisen bei Essner. Zum sozialen Wandel und der Rolle des "Gelehrten" u.a. bei Vierhaus. 19 Erschienen in Leipzig.

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ten. 20 Damit hatte Wagner besonders für deutsche Verhältnisse mit seinem Reisebericht ein weit fortgeschrittenes Niveau erreicht, denn eine derartige Verbindung von Wissenschaft und Reise in einer wissenschaftlichen Reisebeschreibung war als eigene Gattungsform bislang weitgehend nur in Rußland und den westeuropäischen Ländern anzutreffen. Nur Blumenbach in Göttingen hatte bisher den Versuch gewagt, auf eine dahingehende Gestaltung deutscher Reiseberichte einzuwirken. 21

b) Zwischen Natuiforschung und Tagespolitik Von seinem zweijährigen Aufenthalt in Nordafrika zurückgekehrt und gerade erst fünfundzwanzig Jahre alt, begann nun jener Abschnitt im Leben Wagners, der ihm für weitere 25 Jahre die Weichen stellte. Während seine brillante literarische Tätigkeit in Algier ihm 1838 den Eintritt in die Redaktion der Allgemeinen Zeitung ermöglicht und ihn zunächst auf ein sicheres wirtschaftliches Fundament gestellt hatte, trieb er mit Intensität seine naturkundlichen Studien weiter. Dies vor allem in Erlangen bei seinem Bruder, auf dessen Anregung hin er offensichtlich nach seiner Rückkehr aus Algier ehrenhalber den Doktortitel der Erlanger philosophischen Fakultät verliehen bekommen hatte. 22 Daneben verschaffte ihm seine Redaktionstätigkeit für die AZ einen erweiterten Bekanntenkreis. Während der damalige Redakteur Kolb, den Wagner als geistvollen Mann sehr schätzte, ihn in die Geheimnisse des Journalismus einweihte und ihm zu einer Unzahl an Kontakten mit Politikern, Literaten und Gelehrten in ganz Europa verhalf, lernte er in einem Zirkel um dessen Frau manche bekannte Persönlichkeit noch näher kennen. So hatte er beispielsweise Gelegenheit zu regelmäßigen Kontakten mit Friedrich List, der seine Interessen an den Fragen der Auswanderung und Kolonisation nicht nur förderte, sondern offensichtlich auch entschieden lenkte, was vor allem Wagners spätere Gutachten in diesen Fragen für Maximilian erkennen lassen. 23 20 Nach Brenner 479. Dieser zitiert dazu Slimane Raflk Nebia: Deutsche Reiseberichte über Algerien von 1830 bis 1871. Phil. Diss. Leipzig 1979. Diese Arbeit war für mich nicht erreichbar. 21 Brenner 443 ff. 22 Laut UAM, E-II-379, Personalakt Moritz Wagner: Diplom vom 4. März 1838. Im Erlanger Universitätsarchiv ist jedoch der Nachweis nicht mehr auffmdbar (Mitteilung von Herrn Detlef Bergmann, UA Erlangen, vom 25.10.90). Vgl. auch Wagenitz 188. 23 Friedrich List (1789-1846), Nationalökonom, hat wesentlich das Wirtschaftsdenken in Deutschland durch seine Lehre vom Ineinandergreüen der Einzelwirtschaften geprägt. Er setzte sich nicht nur für ein Deutschland als vereintes Wirtschaftsgebiet ein, sondern propagierte auch eine Zusammenarbeit mit den Staaten des Donauraumes und im Zusammenhang damit eine gesteuerte deutsche Auswanderung dorthin. Seit 1817 Prof. in Tübingen, kam er 1819 wegen seiner Stellung zum Han-

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Wagner hielt es allerdings nur zwei Jahre in dieser festen, aber durchaus interessanten Stellung. Er arbeitete zwar weiterhin für die Allgemeine Zeitung und redigierte speziell die französischen Artikel, verlegte aber seinen Schwerpunkt fast ganz auf die naturkundlichen Studien und folgte seinem Bruder Rudolf nach Göttingen. Dieser war 1840 an die dortige Universität in die Nachfolge des Blumenbachschen Lehrstuhls berufen worden und hatte, damit verbunden, auch das "königliche akademische Museum" zu übernehmen. Diese umfangreiche und bedeutende naturgeschichtliche und ethnographische Sammlung war von Blumenbach aufgebaut worden und erfuhr nun durch Rudolf Wagner neue Impulse: er löste das Museum in vier selbständige Abteilungen auf, welche nun jeweils von einem eigenen Fachgelehrten verwaltet wurden. 24 Die geologisch-mineralogische Abteilung wutde von Johann Friedrich Hausmann (1782-1859) verwaltet, der von 1811 bis zu seinem Tode Professor für Mineralogie und Technologie war. Vor allem bei diesem hörte Moritz Wagner Geologie25 und begeitete ihn oft auf dessen geognostischen Exkursionen. Auf einer solcher Exkursion in den Harz im Jahre 1842 ergab sich dann auch die Gelegenheit zur Bekanntschaft mit Leopold von Buch, einem der bekanntesten Geologen seines Jahrhunderts. 26 Diese Bekanntschaft wiederum führte ihn zu Alexander von Humboldt, eine Verbindung, auf die Wagner immer wieder und nicht ohne Stolz hinzuweisen wußte. Humboldt und Buch erwirkten für Moritz Wagner eine finanzielle Unterstützung durch die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin27 - eine Anerkennung für Wagners naturkundliche Forschungen in Algier, welche seit einem Jahr im dels- und Gewerbeverein mit der Regierung in Konflikt und wurde verurteilt. 1825 Auswanderung nach Amerika, 1830 Rückkkehr nach Deutschland, wo er 1846 nach enttäuschenden und armen Jahren seinem Leben ein Ende setzte. - Den Einfluß Lists auf Wagner vermutet auch H.Beck, Moritz Wagner 54. 24 Zu den Göttinger Sammlungen s. bei Plischke, Sammlung. Zu beachten auch Moritz Wagners geistige Nähe zu Blumenbach in der Konzeption seiner Reiseberichte (s.u.). 25 Nach Wagenitz 188 war Moritz Wagner als Student der Geologie in Göttingen immatrikuliert. 26 Christian Leopold von Buch (1774-1853). Begründer der plutonischen Schule, nach der die Bildung der Erde und der Gesteine aus flüssigem Magma angenommen wurde. Von Buch hat zwar den Vulkanismus überschätzt, aber dennoch für die geologische Wissenschaft große Bedeutung erlangt; u.a. brachte er auch eine geognostische Karte Deutschlands heraus. Zu beachten in diesem Zusammmenhang ist Wagners besonderes Augenmerk auf vulkanische Untersuchungen bei seinen Aufenthalten in Südamerika, was allerdings auch in starker Tradition Alexander von Humboldts erfolgte. 27 Nach den Lebensbildern von Scherzer und Ratzel. Aktenmäßig dokumentiert in AdW-ZA, II-VII-68, Unterstützte Unternehmungen der Physikalisch-mathematischen Klasse. Hier: Reise des Hrn. Moritz Wagner durch Migrelien, Grusien und Armenien 1843.

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Druck vorlagen. Die Verbindung zu Humboldt sollte für Wagner aber weitaus tieferen Wert besitzen als nur seine materielle Förderung,28 denn immer wieder werden sich die vorbildhaften Züge Humboldts in Wagners Werk zeigen, sei es bei ihrer Strukturierung (etwa die Kompilierung von Einzelabhandlungen zu einem Buch) oder bei der Schwerpunktsetzung seiner Forschungen (Pflanzengeographie, Vulkanismus). Moritz Wagners Reisen in den Orient waren erst nachträglich durch die Preußische Akademie der Wissenschaften unterstützt worden, nachdem er während seiner Unternehmungen finanziell in einen Engpaß geraten und bei earl Ritter in Berlin um Hilfe nachgesucht hatte. 29 Dieser wiederum hatte dann einen entsprechenden Antrag vor der Akademie eingebracht, dessen Formulierung recht gut dazu geeignet ist, die Funktion der Forschungsreisenden für die Fachwissenschaften in der Heimat zu charakterisieren: "Herr Moritz Wagner bekannt durch sein beachtliches zoologisches Werk über Algerien, hat eine sehr merckwürdige Reise durch Mingrelien, Grusien und Armenien gewagt, von der er in Trapezuntim August dieses Jahres wieder zurückgekommen ist. Er hat seine Mittel verbraucht, und um Kurdistan zu besuchen ersucht er um eine Unterstützung, wogegen er sich erbietet naturhistorische Sammlungen zu schicken, so wie er sie schon in großer Auswahl abgeschickt hat. Er ist solcher Unterstützung sehr werth, und die Akademie hat gewiß der Wissenschaft der Naturkunde einen sehr großen Dienst geleistet, wenn sie ihm eine Unterstützung gewähren wird. "30 Neben Leopold von Buch hatte auch der Physiologe Johannes Müller31 seine Unterschrift unter den Antrag gesetzt; für seine eigenen Forschungen erhoffte er sich von Moritz Wagners Reise eine reichhaltige Ausbeute zur Fauna in Kurdistan. 32 28 Alexander von Humboldt war bekannt als Förderer vor allem junger Forscher. Viele bekannte Namen stehen auf der Liste der von ihm besonders Unterstützten, wie etwa Liebig, Ritter, aber auch die Schlagintweits. Man sollte daher die Förderung Wagners durch Humboldt unter diesem Aspekt der "Masse" nicht überbewerten; allerdings befand sich Wagner bei aller Masse doch in bester Gesellschaft. Vgl. dazu bei Hein 145. 29 Dieser Brief ist nicht mehr überliefert, war aber durch Leopold von Buch vor der Akademie verlesen und somit inhaltlich in den Sitzungsprotokollen dokumentiert worden: AdW-ZA, II-VII-68, Sitzungsprotokoll der physikal.-naturwissenschaftl. Klasse vom 30.10.1843, Auszug. 30 AdW-ZA, II-VII-68, Antrag vom 30.10.1843. 31 Johannes Peter Müller (1801-1858). In seinem Laboratorium wurde 1838/39 durch Schwann und Schleiden die Zelle entdeckt. Auch Virchow, Haeckel und du Bois-Reymond waren Müller-Schüler. Vgl. Laitko 166 ff. 32 Die Fortsetzung der Reise Wagners sei "besonders auch in zoologischer Hinsicht Herrn Müller von dem höchsten Interesse". Der Geldverwendungsauschuß der Akademie gewährte daher einen Zuschuß von 500 Thalern, was für Wagners Reisekasse einen Zuwachs von rund 8000 türkischen Piastern bedeutete. Der Betrag mußte ihm durch Ritter überwiesen werden. AdW-ZA, II-VII-68, 26.11.1843.

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Wagners Reisen führten 1843/44 insgesamt nach Südrußland, den Kaukasus, Armenien, an die Nordseite des Ararat und den angrenzenden Teil Persiens. Neben botanischen, zoologischen und geologischen Fragen (so gilt Wagner auch als Entdecker der Quelle des westlichen Euphrat)33 beschäftigten ihn hier auch wieder die Probleme der Kolonisation und Auswanderung, seien es die deutschen Siedlungen oder die russischen in Transkaukasien. Die Ergebnisse dieser Reise veröffentlichte Wagner 1848-1852 in mehreren Bänden. 34 Der rein wissenschaftliche Anteil in diesen Reisebeschreibungen ist allerdings relativ gering, wenn auch immer besondere Kapitel dafür vorgesehen wurden. Weitaus größere Bedeutung beim Lesepublikum erlangten neben den lebendigen Reiseschilderungen selbst seine politischen Ausführungen. In diesen findet sich auch eine harsche Kritik der österreichischen Orientpolitik; ebenfalls von kritischen Tönen gekennzeichnet ist die Schilderung einer Audienz Wagners bei Metternich zu Beginn seiner Reise, welche, so betont Wagner, ganz allein auf Betreiben des Fürsten zustandegekommen war. 35 Wenn diese Bemerkung natürlich auch nicht der Eitelkeit des hofierten Literaten entbehrt, so zeigt sie deutlich Wagners Distanz zur österreichisehen Politik, welche nur wenige Jahre später noch klarer werden sollte. Ob die Beschäftigung mit der österreichischen Orientpolitik Wagners Interesse wieder von der naturkundlichen Reise hin zum politischen Tagesjournalismus hatte schwenken lassen, oder ob es schlicht der Zwang zum Broterwerb war, ist nicht eindeutig zu klären. Zumindest gaben ihm die nun folgenden politisch hochbrisanten Jahre reichlich Gelegenheit, wieder als Korrespondent für die Allgemeine Zeitung und das Morgenblatt für gebildete Stände zu schreiben. Er versah diese Tätigkeit mit gleicher Bravour und ebenso großer Resonanz wie seinerzeit in Nordafrika, nur mit noch größerem politischem Weitblick und größerer Schärfe. 36 Soviel Schärfe allerdings, daß der dem Cottaschen Hause wertvoll gewordene Mitarbeiter oft in Konflikt mit der Polizei geriet wegen seiner scharfen Angriffe auf die Redaktion, und der Verleger selbst37 ein ums andere Mal (wie allerdings bei anderen auch) die 33 H.Beck, Reisende 197. Beck referiert hier einfühlsam Wagners Leistungen als Reisender, als Schriftsteller, aber auch als Geograph. 34 Der Kaukasus und das Land der Kosaken, 2 Bde., Dresden und Leipzig 1848; Reise nach Kolchis, Leipzig 1850; Reise nach dem Ararat und dem Hochlande Armeniens, Stuttgart 1850; Reise nach Persien und dem Lande der Kurden, 2 Bde., Leipzig 1852. 35 Nach Ratzei, Wagner 532-543. 36 "Ja damals, als noch kein Telegraph alles vorwegnahm, war es noch eine Freude, Korrespondent zu sein!" - Vgl. dazu Braun-Artaria 186, die von dieser oft geäußerten Meinung Wagners berichtet. 37 Nach Lohrer kannte nur Cotta allein die Adressen mancher Mitarbeiter, um sie so vor der Polizei schützen zu können.

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schützende Hand über ihn halten mußte. Die Revolutionsjahre erlebte Wagner besonders intensiv in Baden, Schlesien, Schleswig-Holstein, Frankfurt und Wien - seine Briefe an Cotta geben davon fast ein ebenso lebhaftes Bild wie seine Artikel selbst, etwa wie jener, in dem er vom Turm des Stephansdomes aus die Erstürmung Wiens schildert. 38 Nach der Revolution, "nachdem jene Bewegung ebenso winzig und erbärmlich geendigt hatte, als sie groß und vielverheißend begonnen", 39 wandte sich Wagner, wie viele Intellektuelle seiner Zeit, enttäuscht von Europa ab. Dies nicht zuletzt auch, nachdem ihm selbst in den Redaktionskreisen der Allgemeinen Zeitung, in denen man Wagners spitze Feder nicht mehr als opportun akzeptieren konnte, ein unüberwindbarer Widerstand erwachsen war. 40 Mit Karl Scherzer, einem jungen Österreicher, den er 1851 in Meran kennengelemt hatte, begab er sich im Mai 1852 in die "Neue Welt". 41 Zunächst erforschten beide auf getrennten Wegen das Land ihrer Sehnsucht. Wagner besuchte vor allem die nördlicheren Regionen bis zum Niagara-Fall und dem St.Lorenz-Strom. Besondere AufmerksanIkeit schenkte er wiederum den Siedlungen der Deutschen in Wisconsin, und auch sonst beobachtete er scharf die allgemeinen politischen, sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Daneben aber widmete er sich wieder intensiv seinen naturkundlichen Studien. Den Winter verbrachten Scherzer und Wagner gemeinsam in den Südstaaten, um dann für weitere zwei Jahre die tropische Fülle Mittelamerikas zu erforschen - ein Wunsch, den Wagner schon lange hegte, und dessen Erfüllung ihn geistig näher an Alexander von Humboldt heranrückte. Nun widmete sich Wagner gänzlich seinen naturkundlichen Studien, den Vulkanen, den geologischen Gegebenheiten und der Verbreitung von Tieren, vor allem aber 38 Vgl. diese im DLA Marbach, M.Wagner an Cotta. 39 Vgl. Biograph. Anhang, Wagner 1854a, Vorrede. 40 Zu diesem Konflikt Wagners mit der AZ liegen verschiedene Briefe nach 1848 vor. Vgl. DLA Marbach, M. Wagner, Cotta-Briefe, z.B. vom 29.6.1850 an Kolb. Dieser hatte mit seiner zeitweise sturen Redaktion in dieser Zeit noch mehr bekannte Mitarbeiter verprellt. Vgl. auch Heyck 233 ff. 41 Ratzei, Wagner 534 f. Karl (Ritter von) Scherzer (1821-1903), geborenener Wiener, lernte als Typograph in Leipzig und Paris, studierte nach mißlungener Verlagsgründung 1843-1846 in Wien Nationalökonomie und Philologie, leitete ein Großhandelshaus und war 1848 stark in der Revolutionsbewegung engagiert. Trotz Hausarrest deswegen hatte man ihm seine Tätigkeiten offenbar verziehen, denn nach seiner Reise mit Moritz Wagner nahm Scherzer an der österreichischen Novara-Expedition teil und wurde nach Rückkehr von dieser in den erblichen Adelsstand erhoben. Zunächst mit der Herausgabe des Novara-Reisewerkes beauftragt, kam er 1866 ins österr. Handelministerium und ging ab 1869 in dessen Diensten wieder auf Reisen. Danach war er Generalkonsul in Smyrna, London, Thüringen und Genua, ab 1896 außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister. Eine erneute Südamerikareise 1899 mußte er aus Gesundheitsgründen abbrechen.

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der Pflanzen im Zusammenhang mit den landschaftlichen Gegebenheiten. Auch in Zentralamerika waren Wagner und Scherzer teilweise getrennte Wege gegangen. Guatemala und Belize bereisten beide wieder zusammen, bis sie, durch Geldmangel und Krankheit zum Abbruch gezwungen, im Frühsommer 1855 wieder in Europa eintrafen. Die Ergebnisse der Reisen veröffentlichte Wagner in den drei Bänden Reisen in Nordamerikil in den Jahren 1852 und 185342 sowie, zusammen mit Scherzer, in dem Band Die Republik Costa Rica

in Centralamerikil, mit besonderer Berücksichtigung der Naturverhältnisse und der Frage der deutschen Auswanderung und Colonisation. 43 Dieses Werk

war lange Zeit einzige Grundlage für die Kenntnis dieses Staates in Deutschland. Wagner hatte es wieder in Form einer Sammlung mehrerer selbständiger Abhandlungen konzipiert, wobei die Arbeitsteilung zwischen ihm und Scherzer auch die Polarisierung der Interessen wiedergibt: während Wagner selbst sich den geologischen und biologischen Beobachtungen, aber auch wieder den Kolonisationsfragen zuwandte, hatte Scherzer die politischen und reisebeschreibenden Beiträge verfaßt. In dieses Bild fügt sich auch die Tatsache, daß Wagner von dieser Reise noch umfangreichere naturkundliche Sammlungen als bisher mitgebracht hatte, dabei allein 40.000 Arten wirbelloser Tiere, von denen gut 300 bisher unbekannt waren. 44

Ähnlich wie mit seinem Algerienwerk hatte Moritz Wagner auch jetzt wieder eine Zäsur in der Entwicklung der deutschen Reiseliteratur markiert: die bewußte, systematische Trennung von wissenschaftlichem und populärem Bericht. 45 Rund zehn Jahre später sollte Wagners Reisegefährte Karl Scherzer diese Arbeitsteilung erneut bei der Verfassung eines Reisewerkes anwenden: Scherzer erarbeitete den reisebeschreibenden, Ferdinand Hochstetter den wissenschaftlichen Teil des Berichts der österreichischen Novara-Expedition. 46 Offensichtlich hatte sich Wagner aber immer noch nicht völlig von seiner Vorliebe für den politischen Journalismus getrennt. Bezüglich des gerade stattfindenden Krimkrieges in der Alten Welt ließ Wagner aus Guatemala in der Neuen Welt die Redaktion der Allgemeinen Zeitung wissen, bei seinem "leidenschaftlichen Interesse für die Zeitgeschichte" wäre er nur allzu gerne jetzt dort, um berichten zu können, zumal ihm seine Orientstudien nun dort sicher zugute kommen würden. Aber - so sei es nun einmal - die Fragen der

42

Leipzig 1854. Leipzig 1856. 44 RatzeI, Wagner 535. Der Verkauf mitgebrachter Sammlungen - ob biologischer, geologischer, ethnographischer oder anderer Art - war eine der wichtigsten Einnahmequellen der Reisenden jener Jahre nebst der Schriftstellerei selbst. 43

45 46

Brenner 470.

Vgl. hier 70 ff.

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deutschen Kolonisation und Auswanderung aus den überbevölkerten Staaten seien von ebenso großer Wichtigkeit!47 c) Wagner und das Förderprogramm Maximilians 1I.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland war Wagner zunächst ausgiebig damit beschäftigt, die mitgebrachten Sammlungen zu ordnen und die Ergebnisse der Reise literarisch auszuwerten. Diese Tätigkeiten fielen in eine Zeit, in der der bayerische König Maximilian 11. verstärkt Anstrengungen unternahm, im Zuge seiner Trias-Politik seinem Land auch ein "bedeutendes geistiges Gesicht" zu verschaffen. 48 Dazu hatte er 1855 ein Förderprogramm für die Wissenschaft und die Einrichtung einer wissenschaftlichen Kommission beschlossen, die im Februar 1856 ihre Arbeit aufnahm. Gleichzeitig hatten allerdings auch die Auseinandersetzungen in Bayern zwischen Nativisten, Ultramontanen und "Nordlichtern" einen Höhepunkt erreicht, als im Juli 1855 bei den Rektorwahlen an der Münchner Universität der schon siebzigjährige Ringseis demonstrativ gegen Siebold49 vorgewählt wurde, und der wissenschaftliche Sekretär Maximilians, Wilhelm von Dönniges, mit Wirkung vom 1. Oktober an in den Ruhestand zu treten hatte. Dönniges hatte ab 1848 maßgeblich die Grundzüge der Kulturpolitik bestimmt und die verhaßten "Nordlichter" nach Bayern geholt. 50 Er hatte aber auch die organisatorischen 47 DLA Marbach, Cotta-Briefe, Wagner an AZ-Redaktion, Istape, Guatemala, 1Q..6.1854. Nach Braun-Artaria 187, lebte Wagner in ständiger Furcht vor einer "Ubervölkerung" der Alten Welt. 48 Danach sollte Bayern neben Preußen und Österreich zur dritten geistig-kulturellen Großmacht auf dem Kontinent werden. Zur Kultur- und Wissenschaftspolitik Maximilins 11. ausführlich auf die Person des Königs bezogen: Dirrigl, Maximilian; zum allgemeinen Umfeld und die Einbindung vgl. bei Boehm, Bildungswesen; Weis, Wissenschaftsentwicklung 1034-1088; Doeberl, Entwicklungsgeschichte 3; Doeberl, Kulturpolitik. Zu zahlreichen Einzelaspekten vgl. den Sammelband von R.A. Müller, Maximilian 11; neuerdings in Teilen auch bei Hanisch, Fürst und Vaterland, und bei H.-M. Körner, Staat und Geschichte. - Zum Zitat: Hüser 89. 49 Johann Nepomuk von Ringseis (1785-1880), Assistent bei Röschlaub, danach Arzt und Medizinalrat; 1824 Mitglied der Bayer.Akademie der Wissenschaften; 1826 o. Prof. für Medizin an der Universität München, 1825-1871 Obermedizinalrat und Medizinalreferent im Innenministerium. - Karl Theodor Ernst von Siebold (18041885), Arzt und Zoologe, 1840 auf Empfehlung Alexander von Humboldts o. Prof.für Anatomie, vergleichende Zoologie und Veterinärwissenschaft in Erlangen, danach Professuren in Freiburg i.Br. und in Breslau, ab 1853 in München. Dort auch Konservator der zoologischen Staats sammlungen. Vgl. H.Körner, Würzburger Siebold. 50 Wilhelm von Dönniges (1814-1872), 1841 a. o. Prof. in Berlin, 1847 als Bibliothekar nach München berufen, ab 1848 wissenschaftl. Sekretär von Maximilian und seither sehr einflußreich bei der Berufung zahlreicher außerbayerischer (meist protestantischer) Gelehrter. Nach Entlassung aus dem Staatsdienst 1855 wurde er 1868 durch Ludwig 11. bayerischer Gesandter in Italien. Vgl. dazu auch bei Laible.

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Grundlagen für Maximilians Wissenschaftsförderungs-Programm gelegt, in dem Moritz Wagner einen festen Platz erhalten sollte. Es gilt nun, der Frage nachzugehen, wie Wagner zu diesem Platz kam, da er doch so lange aus Deutschland abwesend gewesen war, und er überdies in der scientific community in Deutschland kaum eine Rolle gespielt hatte, er bisher vielmehr das Bild eines Journalisten und (wenn auch teilweise beachteten) naturforschenden Dilettanten abgegeben hatte. Ein Beziehungsstrang zum bayerischen König führte ganz sicher über die Fragen von Auswanderung und Kolonisation. Schon über Jahre hatte sich der König dem besonderen Interesse daran ergeben und es zu einem seiner Lieblingsthemen gemacht, das auch die Aufmerksamkeit seines bisherigen Sekretärs Dönniges, aber auch anderer aus der Umgebung des K'Önigs erforderte. So kann man etwa in einem Handschreiben von 1853, vermutlich aus der Feder des Staatsministers von der Pfordten,51 folgende Notiz finden: "Als Zielpunkte der Auswanderung waren bisher festgesetzt: Ungarn, Bulgarien, Rio Grande und Guardafin. Dönniges ist entschieden für Rio Grande, Grenzprovinz Brasiliens gegen die La Platastaaten, ... mit einem Clima wie etwa das Oberitaliens und bereits von 50 bis 60 Tausend deutschen Colonisten bevölkert. "52 Das Los der bulgarischen Kolonisten sei im übrigen nicht besser als das von Leibeigenen. In diesem Sinne sandte von der Pfordten Ende 1853 ein Promemoria an den König, wurde von diesem aber erst wieder im Juli 1855 zu einer Stellungnahme aufgefordert. In Betracht zu ziehen seien Bulgarien, Ungarn, Brasilien, Costa Rica, Guardafin. 53 Diese Aufforderung an von der Pfordten war der Anlaß, Moritz Wagner, der sich seit 1855 in München niedergelassen hatte, 54 zur Gutachtertätigkeit für den König heranzuziehen. Wagners Werke über seine Balkanreisen waren in den Jahren 1848-1852 erschienen, und die darin enthaltenen ausführlichen Zum gesamten Komplex um Nordlichterstreit und Wissenschaftspolitik unter Maximilian 11. demnächst wohl erschöpfend bei Achim Sing. 51 Ludwig von der Pfordten (1811-1880), Jurist, war nach wechselnder Lehrtätigkeit an den Universitäten Würzburg und Leipzig 1848-49 Minister in Sachsen und wurde nach sein~m Rücktritt 1849-1859 in Bayern Staatsminister des Königlichen Hauses und des Außeren, danach bayerischer Gesandter im Frankfurter Bundestag, 1864-1866 wieder Minister in seinem vorherigen Geschäftsbereich. Vgl., vor allem zu seiner Rolle als Triebfeder der bayerischen Trias-Politik, bei Rumpier 461 ff. 52 GHA 78-3-141, NL Max 11., 13-7-1, vom 30. Juli 1853. Zur Frage der Auswanderung bei Maximilian 11. vgl. bei Philippovich; auch bei Dotterweich 248 f. Auch Jettmar 28 bemerkt, daß Maximilian im Bundesrat eine Initiative zur Vereinheitlichung der Auswanderungspolitik im Deutschen Bund eingebracht hatte. 53 GHA 78-3-141, NL Max 11., 13-7-3, Promemoria von der Pfordten an Maximilian 11., vom 5.12.1853. GHA 78-3-141, NL Max 11., 13-7-4, Abschrift eines Allerhöchsten Handschreibens vom 16.7.1855. 54 StadtA Mchn, Personalmeldebogen Moritz Wagner.

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Gedanken und Beschreibungen zu KOlonisationsfragen55 waren Maximilian wohl bekannt. Denn zu den Aufgaben von Dönniges hatte es seit 1848 auch gehört, dem König regelmäßig alle sechs Wochen über neueste Literatur, auch zum Thema Auswanderung, zu berichten. Im Januar 1856 legte Moritz Wagner seine Denkschrift vor: Einige Bemerkungen über die Naturverhältnisse und über die Ausführbarkeit der Gründung deutscher Kolonien an der unteren Donau und am Schwarzen Meere. 56 In Rückgriff auf die in seinen Reisewerken festgehaitenen Ergebnisse geht Wagner vor allem auf die Naturgegebenheiten als Grundlage für eine günstige Ansiedlung ein und empfiehlt vor allem die günstigen klimatischen Bedingungen. In einer zweiten Denkschrift57 behandelt Wagner die Auswanderung nach Amerika. Hier konnte er auf neueste eigene Erkenntnisse zurückgreifen: sein Band über Costa Rica, welches in die Kolonisationsplanungen Maximilians mit einbezogen worden war und dessen Kolonisationsproblemen sich Wagner ausführlich gewidmet hatte, stand unmittelbar vor dem Erscheinen. In seiner Denkschrift setzte sich Wagner ebenfalls mit Gedanken von Dönniges und Dollmann58 in dieser Frage auseinander; auf Geheiß des Königs hatten sich sogar pfistermeister und Sybel mit Wagner darüber in Verbindung zu setzen. 59 Moritz Wagner war also erstmals über seine fachliche Qualifikation bezüglich der Auswanderungsfrage näher in das Blickfeld des bayerischen Königs gerückt. Überbewerten allerdings darf man dieses Faktum nicht, denn einmal pflegte Maximilian zu allen seinen Problemen gutachtliche Stellungnahmen einzufordern, und zwar meist mehrere gleichzeitig, zum anderen hatte die Auswanderungsfrage in den letzten Jahren viel von ihrer Brisanz und Bedeutung verloren und war damit von einer staatspolitischen Frage ersten Ranges eher zu einem marginalen Steckenpferd des Monarchen verkommen. 60 Wagner ebenso wie Maximilian überschätzte also den Stellenwert der Auswanderungsfrage bei weitem, aber immerhin hatte diese Wagners Weg nach München unterstützt. Weit größere Bedeutung allerdings ist der Tatsache beizu55 Im Zusammenhang von Wagner und Maximilian wird hier in diesem Kapitel ganz betont der Begriff "Kolonisation" im Gegensatz zu "Kolonialismus" gebraucht, da Wagner seine Fragestellungen ausschließlich auf Siedlungsfragen, Umweltbedingungen und allgemeine Probleme der Auswanderung aus den deutschen Staaten, nicht jedoch auf solche der Ausbeutung und Unterwerfung oder "Erziehung" indigener Bevölkerungsgruppen etc. bezog. 56 GHA 78-3-141, NL Max 11., 13-7-6, Dr. Moritz Wagner: "Allerunter-thänigste Bemerkungen die Auswanderungsfrage betreffend". 57 GHA 78-3-141, NL Max 11., 13-7-6. 58 Karl Friedrich Dollmann (1811-1867), 1839 a. o. Prof., 1844 o. Prof. der Rechte in München; Mitarbeit am bayerischen Straf- und Zivilrecht. 59 Dotterweich 248, Anm. 41. 60 1846-1855 wanderten 141.638 Personen aus dem bayerischen Staatsgebiet aus, 1856-1865 waren es nur noch 53.718. Vgl. Jettmar 75 ff.

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messen, daß Moritz Wagner etwa ab 1855 ein fester Bestandteil in den Planungen des Königs zur "Förderung der Wissenschaften" wurde 61 , was Wagner allerdings die schmerzliche Erfahrung zuteil werden ließ, wie weit doch Plan und Wirklichkeit auseinanderklaffen konnten. Diese Erfahrung konnte ihm auch sein Bruder Rudolf, von dem schon die Rede war, nicht ersparen, auf dessen Betreiben zumindest mittelbar Moritz Wagner in den Genuß der königlichen Förderung kommen sollte. Der Weg dorthin war über Franz Löher, den neuen wissenschaftlichen und "literarischen" Sekretär Maximilians gegangen, an dessen Berufung Rudolf Wagner einen entscheidenden Anteil gehabt hatte. 62 Mit der Quieszierung von Dönniges war die Suche nach einem neuen Sekretär für Maximilian nötig geworden. Als dieser bereits zwei Bewerber abgelehnt hatte, bat er u.a. auch Rudolf Wagner, der als Vertrauter des Kultusministers von Zwehl galt, in dieser Frage um Unterstützung. 63 Die Aufgabe war nicht leicht, denn die Nachfolge Dönniges' stieß in München auf höchstes Interesse, war doch dem bisherigen wissenschaftlichen Sekretär des Königs ein enormer Einfluß auf die bayerische Kulturpolitik nachgesagt worden. Allerdings war zu erwarten, daß der neue Mann nicht mehr in gleicher Weise Einfluß üben würde, da er wohl kaum in die gleichen Verbindungen eintreten konnte wie Dönniges. 64 Dazu galt es, in den Auseinandersetzungen zwischen Nativisten und "Nordlichtern" einen politisch tragbaren, dennoch fachlich geeigneten und dem König genehmen Mann zu finden. Deshalb empfahl Rudolf Wagner jemanden, der seiner Meinung nach eben kein "Extremer", aber "sittlich-religiös" war: den Paderborner Juristen Franz Löher. 65 Nachdem Löher auch noch von Dönniges - an dessen Sturz Rudolf Vgl. dazu auch bei Thiersch, Leben 2 passim. Dazu Hüser 87 ff. Überhaupt schien Rudolf Wagner beim bayerischen König in großem Ansehen zu stehen: dieser hatte 1852 versucht, Wagner an die Münchner Universität zu holen, was auch in Göttinger und Berliner Kreisen schnell bekannt wurde (vgl. dazu etwa den Briefwechsel Helmholtz mit du Bois-Reymond vom April 1852; Kirsten 129). Eine Berufung scheiterte jedoch am schlechten Gesundheitszustand Wagners (vgl. Bericht Ringelmanns vom 17.3.1852, BayHStA, MA 26258; für diesen Hinweis danke ich Herrn Achim Sing). 63 Theodor von Zwehl (1800-1875), Jurist, ab 1826 im Staatsdienst, 1849-1852 Staatsminister des Innern, leitete als solcher noch die bayer. Reaktionspolitik mit ein, unterstützte 1852-1864 als Kultusminister geschickt die Wissenschaftspolitik Maximilians; ab 1864 Regierungspräsident verschiedener bayer. Regierungsbezirke. - Die korrekte Bezeichnung lautet ab 1849: Staatsminister des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten, ab 1918: Staatsminister für Unterricht und Kultus. Aus VereinfachungsgTÜnden in dieser Arbeit kurz Kultusminister genannt, eine Bezeichnung, welche ja bereits im 19. Jahrhundert in Bayern eingebürgert war (dem folgend auch "Kultusministerium"). Synonym werden auch künftig die Kurzbezeichnungen "Innenminister" , "Innenministerium" etc. gebraucht werden. Vgl. Volkert 182 f. 64 Gemeint ist hier vor allem der unverkennbare Einfluß Leopold von Rankes, dessen Schüler sowohl Dönniges wie Maximilian waren. 61

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1. FünfZig Jahre Reisen und Schreiben

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Wagner übrigens ebenfalls bedeutenden Anteil gehabt haben soll66 - empfohlen wurde, entschloß sich Maximilian überraschend schnell für ihn. Wenige Wochen nach Löhers Amtsantritt unterrichtete Maximilian den neuen Sekretär ausführlich über seine Pläne zur Förderung der Wissenschaften in Bayern; neben den literarischen Aufgaben hatte ihm diese Unternehmung ein Hauptanliegen zu sein. Dazu mußte er nicht nur die bereits erwähnte wissenschaftliche Kommission konstituieren, er hatte auch sonst ausführliche Vorarbeiten zu leisten. Dabei konnte sich Löher auf erste Konzepte seines Vorgängers stützen, in denen u. a. vermerkt war, daß aus der königlichen Privatchatoulle geeignete Männer heranzuziehen und so lange zu besolden seien, bis dies aus staatlichen Mitteln weiter der Fall sein könne. 67 In dem dazugehörigen "Abrechnungsbuch"68 für 1855 taucht bereits Moritz Wagner mit einer Summe von 350 fl unter der Bemerkung auf: "M. Wagner, Reise in Amerika, Bearbeitung". Für 1856 findet sich dieser Posten nochmals mit der Summe von 700 fl. Die Bearbeitung bezog sich auf das Werk über Costa Rica, 1856 in Leipzig erschienen, und stellte eben jene Verbindung zu seiner Gutachtertätigkeit in Sachen Auswanderung her. Besonders intensiv nun wurde Wagner aber in dem Plan zur Förderung der Wissenschaften bedacht, den Löher bis zum Herbst 1855 ausgearbeitet hatte. 69 Der veranschlagte nicht nur weitere 700 fl Jahressold, um "Dr. Wagner hier zu halten", sondern verplante ihn gleich für mehrere "wissenschaftliche Reisen" unter der Rubrik "Werke, die noch hervorzurufen wären"; hier taucht Wagner gleich viermal und in dieser Reihenfolge auf: 1) Bulgarien und türkische Donauländer (M. Wagner) 2.000 fl 3) Kleinasien (Ritter, Dunker, Wagner) 2.500 - 15.000 fl 5) Sudan, Nilquellen (M. Wagner) 50.000 fl 8) Borneo, Celebes, Neu-Guinea, Columbien (M. Wagner) 35-40.000 fl" Inwieweit diese Planung auf Löhers eigener Einsicht basierten, worauf vor allem auch die finanziellen Ansätze beruhten, und inwieweit diese vor allem als realistisch zu betrachten sind, ist an dieser Stelle nicht zu klären. Festzu65 UBM Cod. ms. 917mJ418, NL Frohschammer, Wagner an den Münchner Theologen Jakob Frohschammer, Göttingen 17.10.1855. - Franz von Löher (18181892) Jurist, Führer der Paderbomer Demokraten und Gründer der Westfälischen Zeitung (1848); 1855 nach München berufen. 66 Hüser 86. 67 GHA 77-6-88, NL Max 11., 24-1-1, Dönniges: "Beilage zu Zu Betreibendes. Jeden Monat durchzugehen. Unterstützung der materiellen Interessen und Wissenschaften aus Privattnitteln seiner Majestät". 68 GHA 77-6-88, NL Max 11., 24-1-57, "Förderung der Wissenschaften, fmanzieller Theil. Ausgaben aus Privattnitteln des Königs". 69 GHA 77-6-88, NL Max 11., 24-1-11.

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stellen ist, daß sich in diesen Planungen vor allem das ethnographisch-geographische Interesse von Löher70 mit dem von König Maximilian begegnete; letzterer hatte schon als zwanzigjähriger Kronprinz seine Absicht bekundet, "dem Gebiete der Wissenschaft und der Kunst ... durch Forschungen in allen Weltteilen die größtmögliche Ausdehnung zu geben".7 1 Als sicher dagegen ist anzunehmen, daß Moritz Wagner selbst diesen Reiseplanungen zunächst keine allzugroße Sympathie mehr entgegenbrachte. Aus einer Vielzahl von Äußerungen, auf die an anderer Stelle noch einzugehen ist, hat er bereits zu dieser Zeit danach getrachtet, keine großen Reisen mehr unternehmen zu müssen, sondern sich endlich der wissenschaftlichen Auswertung seiner bisherigen Reisen zuwenden zu können. 72 Dagegen dürfte ein weiterer Punkt in Löhers Plan durchaus Wagners Sympathie gehabt haben: Unter der Rubrik der Anstalten und Gesellschaften zur Förderung der Wissenschaften ist auch die Schaffung eines "Ethno-geographischen Instituts" aufgeführt und mit Wagners Namen vermerkt. Daß Löher Moritz Wagner so großzügig bedacht hatte, mag mit aller Wahrscheinlichkeit daran liegen, daß er in der Dankesschuld von Rudolf Wagner stand, welcher wiederum ständig um die Förderung seines Bruders bemüht war, und daß Moritz Wagner in Alexander von Humboldt, Leopold von Buch und Carl Ritter bedeutende Fürsprecher bei Maximilian gefunden hatte. Und nicht zuletzt hatten ihn seine bisherigen Reisewerke gerade bei Maximilian, der sich selbst als ehemaliger Göttinger Student in der Tradition eines Amold von Heeren und Carl Ritter sah, in der literarischen Form in bester Weise empfohlen. So sehr Wagners wissenschaftliche Anlehnung an Humboldt und Ritter auch dem Monarchen gefallen haben mag, sie wurde schnell zum Stolperstein für Wagner selbst, als im Februar 1856 die wissenschaftliche Kommission zur Förderung der Wissenschaften mit ihren Beratungen begann. Die Kommission 70 Vgl. dazu "üser 90. Realisiert wurden durch Zuschüsse und auf warme Empfehlung Löhers die nicht unbedeutenden Forschungsreisen von Albrecht Roscher in Ostafrika, Georg Neumayer in Australien, und eben auch Moritz Wagner in Südund Mittelamamerika. Ab 1859 hatte Löher auch die Professur für Länder- und Völkerkunde an der LMU (vgl. hier 95 ff.). 71 Finckh 231. 72 Allerdings ist auch zu dieser Zeit bei Wagner noch eine gewisse Unentschlossenheit gegenüber seinem weiteren Lebensweg zu erkennen: Noch aus Südamerika bewirbt er sich 1855, als er vom Tode des Ausland-Redakteurs Wiedemann erfährt, bei Cotta um dessen Nachfolge (es gäbe "nur wenige deutsche Schriftsteller", die so geeignet wären wie er). Bereits wieder in Deutschland, und als schon Peschel Wiedemanns Nachfolge angetreten hat, bemüht sich Wagner weiterhin um diesen Posten, falls Peschel aus der Einsicht zurücktreten wolle, "daß seine geographischen und ethnographischen Kenntnisse für dieses Blatt nicht hinreichend sind". DLA Marbach, Cotta-Briefe, Wagner an Cotta, 13.4.1855 und 19.6.1855.

1. Fünfzig Jahre Reisen und Schreiben

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setzte sich zusammen aus den Professoren Bluntschli, Liebig und Thiersch (dieser in seiner Funktion als Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften), Kultusminister von Zwehl, Staatsrat von Maurer und Maximilians Flügeladjudant Spruner von Merz. 73 Bereits in der ersten. Sitzung am 13. Februar war die finanzielle Unterstützung Wagners zur Fertigstellung seiner Reisewerke Gegenstand einer ausführlichen Debatte, bei der zwei grundsätzliche Vorstellungen über "Wissenschaft" aufeinanderprallten: 74 Liebig war zwar für eine finanzielle Unterstützung Wagners, gab aber ganz entschieden seiner Ansicht Ausdruck, daß dies als Gnadensache, aber keinesfalls als Förderung der Wissenschaft zu gelten habe. Wagner sei Bayer und habe als solcher bisher von seinem Vaterlande keinerlei Unterstützung erhalten, auch könne man nicht ignorieren, daß er in Verbindung mit bedeutenden Männern der Wissenschaft (!) stehe, wie etwa Alexander von Humboldt oder Leopold von Buch. Ebenso hätte er unter großen Opfern die Sammlungen und das Wissen über fremde Länder bereichert. Bei all dem aber war Wagner in den Augen des exakten Naturwissenschaftlers Liebig selbst kein Wissenschaftler, "da heut zu Tage, nicht wie vor einem Jahrhundert, die Vermehrung des Materials, sondern die Verarbeitung desselben, in den Leistungen der Arbeiten der Zeit liege". Eben diese Aufarbeitung im wissenschaftlichen Sinne Liebigs sei von Wagner nicht zu erwarten, denn "von einem Mann, welcher während 15-20 Jahren sich in fremden Ländern, fern von den Mittelpunkten der Wissenschaften sich aufgehalten und in dieser langen Zeit in Verhältnissen gelebt habe, die es ihm ganz umnöglich machten, an den Fortschritten der Naturwissenschaften vollen Antheil zu nehmen, werde Niemand ohne Unbilligkeit verlangen und ohne Übertreibung 73 Johann Kaspar Bluntschli (1808-1881), 1833 o. Prof. für römisches Recht in Zürich, 1848 München, 1861 Heidelberg. Wurde als hervorragender Staatsrechtler bekannt und wirkte in diesem Sinne besonders in München. - Justus Freiherr von Liebig (1803-1873), seit 1824 Prof. f. Chemie in Giessen, wurde mit großen Vergünstigungen von Maximilian 11. 1852 nach München berufen, wo er die Chemie als moderne Naturwissenschaft ausbaute; 1860 als Nachfolger Thierschs Präsident der BayAkadWiss und Generalkonservator der Wissenschaftlichen Sammlungen des Staates. - Friedrich Wilhelm Thiersch 1784-1860), 1808 Privatdozent in Göttingen, 1809 Professor am Lyzeum in München, 1812 Begründer des philologischen Instituts. 1826 o. Prof. der Philologie in München, 1848 Präsident der BayAkadWiss; vgl. u. a. Thiersch, Leben. - Georg Ludwig von Maurer (1790-1872), 1826 o. Mitglied der BayAkadWiss und o. Prof. für Deutsches Privatrecht, Reichs- und Rechtsgeschichte in München; Staatsrat, Geheimer Hofrat, Reichsrat, 1847 Ministerverweser, 18471872 Staatsrat im a. o. Dienst. - Karl Spruner von Merz (1803-1892), Militärlaufbahn, 1855 Oberstleutnant, Flügeladjudant, später Generaladjudant von Ludwig 11.; 1853 Mitglied der BayAkadWiss; exponierter Vertreter von Katholizismus und Patriotismus, bekannt durch seine historische Karthographie. 74 GHA 77-6-88, NL Max 11., 24-1-20; Sitzungsprotokoll vom 13.2.1856. Zum Wissenschaftsbegriff und seiner Ausbildung im 19. Jh. vgl. aus der zahlreichen Literautur z.B. bei: Boehm, Wissenschaft; Diemer, Wissenschaftsbegriff; Diemer, Konzeption; Schiera; F.Wagner, Wissenschaftsbegriff.

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II. Moritz Wagner als erster Konservator (1862-1887)

behaupten können, daß er gleich einem Mann des Faches einen Zweig der Naturwissenschaften beherrsche. "75 Wagner sei also, was seinen wissenschaftlichen Kenntnisstand anbelangte, durch seine langen Reisen ganz aus dem Rennen - vorausgesetzt, er sei überhaupt jemals auf dem aktuellen Forschungsstand gewesen. Eine Frage, die von Liebig aber erst gar nicht gestellt worden war. Dabei war Liebig als von Maximilian berufenes "Nordlicht" zum Zeitpunkt der Debatte noch einer jener, die heftig dazu beitrugen, den Anspruch moderner Wissenscluljtlichkeit allein für die Neuberufenen zu reklamieren und sie in krassen Gegensatz zu stellen zur Unwissenschaftlichkeit der Einheimischen. 76 Wagner selbst befand sich offensichtlich aber außerhalb solcher Parteiungen, denn seine Wissenscluljtlichkeit wurde allein anband seiner Leistungen diskutiert, wie die gemischten Stellungnahmen der durchaus unterschiedlich orientierten Kommissionsmitglieder zeigen. Zwehl, Bluntschli und Maurer teilten Liebigs Bedenken hinsichtlich Wagners Befähigung, noch ein dem aktuellen wissenschaftlichen Standard entsprechendes Werk schreiben zu können. Auch wenn sich Spruner und Thiersch Löhers Verteidigung anschlossen, Wagner sei ein im höchsten Maße der Naturwissenschaft nützlicher Gelehrter, weshalb man ihm nun Gelegenheit geben müsse, frei von pekuniären Zwängen ein wissenschaftliches Reisewerk zu erstellen, war es wohl kaum das Plädoyer des Sekretärs, was die Kommission letztlich bewog, Wagner eine jährliche Unterstützung von 700 fl auf zwei Jahre zuzusprechen. Die Höhe der Remuneration war sicher nicht geeignet, allein den Lebensunterhalt Wagners samt seiner Aufwendungn abzusichern,77 bedeutete jedoch durchaus eine Anerkennung, auch wenn der Betrag ausdrücklich nur zur wissenschaftlichen Ausarbeitung seiner letzten Reisen gewährt worden war, die Kommission jedoch eine eigentliche wissenschaftliche Anerkennung Wagners, ganz im Sinne Liebigs, damit nicht verbunden sehen wollte. Ein Zugeständnis an Wagners Leistungen als Reisender war auch die Absicht der Kommission, die vorgesehenen Unternehmungen, wenn diese über75

GHA 77-6-88, NL Max 11.,24-1-20 Vgl. dazu Dickerhof, Nordlichter 276 ff. Diese zunächst kompromißlose Position Liebigs schwächte sich jedoch gegen Ende der 1850er Jahre, wie auch der weitere Umgang mit Wagner zeigt, zusehens ab. 77 Beispielsweise betrug das Anfangsgehalt eines Studienlehrers in Bayern neuerdings ebenso 700 fl. An der Münchner Universität lag die niedrigste Besoldung für außerordentliche Professoren bei 600 fl, das Durchschnittsgehalt der ordentlichen Professoren lag bei etwa 1.500 fl, einige kamen gar auf 2.000 fl. Dabei lag Bayern im Vergleich zu den meisten deutschen Universitäten noch im unteren Bereich, allerdings hatten die bayerischen Professoren (und auch Konservatoren), im Gegensatz etwa zu den preußischen, auch noch Pensionsansprüche erworben. Vgl. dazu die Verhandlungen der bay. Abgeordnetenkammer 1859/61, Bd.3, 290 f. 76

1. Fünfzig Iahre Reisen und Schreiben

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haupt zustande kommen sollten, auch tatsächlich von Wagner und den anderen vorgeschlagenen Personen durchführen zu lassen. Hingegen die Reisepläne selbst, wie sie von Löher vorgelegt worden waren, erfuhren eine massive Beschneidung aus Kosten-Nutzen-Erwägungen, wobei die Beachtung der Kostenfrage deutlich einem eventuellen wissenschaftlichen Nutzen vorangestellt worden war.18 Eine ebenso abenteuerliche wie prestigeträchtige Unternehmung in den Sudan und zu den Nilquellen (die Quellen des Weißen Nils harrten noch ihrer Entdeckung und vor allem die Engländer unternahmen gerade zahlreiche Expeditionen in diese Regionen) wurde abgelehnt, da "die Erforschung jener Länder für hiesige Bedürfnisse weit ab liege". Aus ähnlichen Gründen, eben weil sie "für zu feme liegend in Betracht hiesiger wissenschaftlicher Zwecke" seien, wurden die für Wagner vorgesehenen Expeditionen nach Borneo, Celebes, Neu-Guinea und Neu-Kaledonien aus dem Programm gestrichen. Was aus diesen Regionen der Erde für die wissenschaftlichen Sammlungen des Staates noch benötigt würde, war von den Konservatoren zu melden und per Ankauf zu ergänzen - ein unübersehbarer Schritt von der Forschungsreise hin zur "armchair science" der zweiten Jahrhunderthälfte. Was von den Reiseplänen übrig blieb, entsprach dagegen ganz staatswissenschaftlichem utilitaristischen Denken und der Ausrichtung der Münchner Gelehrtenschaft auf klassische Forschungsgegenstände. Befürwortet wurden die Reisen in die südlichen Donauländer zum Zwecke ihrer Untersuchung für Auswanderung und Kolonisation, und nach Griechenland und Kleinasien zur weiteren archäologischen und geographischen Erschließung. Unternehmungen, die auch im finanziellen Ralnnen blieben. 79 Bereits eine Woche später war die Person Moritz Wagners wieder Gegenstand der Beratungen der wissenschaftlichen Kommission, als es um die Gründung eines Maximilians-Collegiums und eines ethno-geographischen Instituts ging. 80 Diese beiden Einrichtungen sollten der Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse bei einem breiteren Publikum dienen, entsprachen einem der großen Anliegen Maximilians, stießen aber gerade bei den Professoren unter den Kommissionsmitgliedern auf wenig Gegenliebe. Die Nach78 Insgesamt waren zur Förderung der Wissenschaften und somit zur Verteilung durch die Kommission für 1856 beachtliche 96.000 fl angewiesen worden. Vgl. Thiersch, Leben 2,597. 79 Nach Löher waren für Kleinasien zwischen 2.500 und 15.000 fl, für die Süddonauländer 2.000 fl vorgesehen. Letzteres entsprach beispielsweise der Summe, die zur gleichen Zeit der Münchner Romanist Konrad Hofmann für arabische Handschriftenstudien in England und Frankreich erhalten hatte. Seidel-Vollmann 157 ff. 80 GHA 77-6-88, NL Max II., 44-1-20, Sitzungsprotokoll vom 20.2.1856. Zu Maximilians Vorstellungen und Bemühungen um eine "Volksbildung" vgl. neben Doeberl, Entwicklungsgeschichte 3, 304, auch R.A. Müller, Maximilian II. im Abschnitt "Kultur und Wissenschaft", passim; mit neuester Literatur nun auch bei Hanisch, Fürst und Vaterland, und bei H.-M. Körner, Staat und Geschichte. 6 Smolka

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D. Moritz Wagner als erster Konservator (1862-1887)

teile überwögen die Vorteile, populäre Vorträge würden nur das Halbwisssen fördern, freier Eintritt in solche Institute würde nur dazu führen, daß das gebildete Publikum vom ungebildeten verdrängt würde - ein Argument, das schon von sich aus mangelndes Vertrauen in eine erfolgreiche Arbeit solcher Einrichtungen für ein breites Publikum ausdrückte. Wissenschaftliche Vorträge aber gehörten sowieso an die Universität, und außerdem wäre es sinnvoller, bereits bestehende Vereine und Institute zu fördern. Die Kommission entschied sich daher dafür, die Vortragstätigkeit in Anlehnung an bereits bestehende Institute auszuweiten und auf eine Gründung der vorgeschlagenen Anstalten zunächst zu verzichten. Damit war Moritz Wagner die Chance genommen, sich im Rahmen eines ethno-geographischen Instituts in München erstmals institutionell zu etablieren. Da sich der von der Kommission geforderte Rückgriff auf die bereits' bestehenden Vereine und Einrichtungen bezog,81 konnten im Zusammenhang mit dem Verhandlungsgegenstand eines ethno-geographischen Instituts nur die seit Ludwig I. zahlreich vorhandenen vaterländischen Geschichts- und Altertumsvereine gemeint sein. 82 Im Sprachgebrauch Maximilians hatte der Begriff Ethnographie vorrangig noch den Inhalt von Volkskunde im heutigen Sinne und korrespondierte so mit dem der vaterländischen Geschichte (der Stammes- und Volkskultur, der schriftlichen und der Bodendenkmäler, etc.) zugewandten Zweck der historischen Vereine in Bayern. Erst in zweiter Linie kam dann die außereuropäische Ethnographie zum Tragen, welche Maximilian - im Sinne der Länder- und Völkerkunde - auch unter die Geographie ganz allgemein subsummierte. 83 Somit muß davon ausgegangen werden, daß eine erstmalige Institutionalisierung Wagners in Verbindung mit dem avisierten ethno-geographischen Institut zu einer gemeinsamen Entwicklung von Volks- und Völkerkunde in München hätte führen können, wie sie institutionell etwa in Wien stattgefunden hat. 84 81 Vereine, die für eine Entwicklung der (außereuropäischen) Völkerkunde hätten wirksam werden können, wie etwa die Geographische Gesellschaft, die Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, Kolonialgesellschaften etc., bestanden ja zu diesem Zeitpunkt in München nocht nicht. 82 Wieder mit neuesten Hinweisen zu Quellen und Literatur bei Hanisch, Fürst und Vaterland 320 ff; v. a. bei H.-M. Körner, Staat und Geschichte, passim. 83 Dies zeigen u. a. deutlich die Förderprogramme Maximilians, in denen z. B. unter dem Stichwort "Ethnographie" die Aufzeichnungen zur bayerischen Volkskultur, bayerischen Sprachmonumenten ebenso wie vor- und frühgeschichtliche Forschungen auf bayerischem Boden verzeichnet sind, z.B. "Die bayerischen Sagen zu sammeln (Schmeller, Steub)"; GHA 77-6-88, NL Max 11.,24-1-43. 84 Zwar eine reine Hypothese, die aber erhärtet wird durch Wagners starkes Interesse in den 1860er Jahren für urgeschichtliche Forschungen, wie etwa die durch die Akademie gefOrderten Pfahlbauten-Grabungen im Starnberger See.- Wien dient als Beispiel für die Vereinigung europäischer wie außereuropäischer Ethnographie durch die Person Hochstetters.

1. Fünfzig Jahre Reisen und Schreiben

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d) Die Novara-Expedition

1817 war es dem ersten bayerischen König Maximilian I. Joseph gelungen, die zwei bayerischen Gelehrten Spix und Martius auf das österreichische Brasilienunternehmen mitzuschicken; die reiche Ausbeute ihrer zweijährigen Forschungen in Südamerika ist bekannt. Nun - 40 Jahre später - schien sich den Bayern wieder eine ähnliche Gelegenheit zu bieten: Österreich war mit den Vorbereitungen zu einer Expedition beschäftigt, welche die Fregatte Novara für zwei Jahre vornehmlich in die südliche Hemisphäre führen sollte. Die Reise sollte im März 1857 beginnen und besonders nautisch-maritimen Forschungen, allerdings auch ethnographischen Erkundungen von Inseln im Pazifik, Atlantik und Indischen Ozean dienen. Karl Scherzer, dem alten Reisegefahrten Wagners, war dabei eine führende Rolle zugedacht worden. Nur allzu gerne hätte es Scherzer gesehen, wenn sein alter Weggefahrte das Glück dieser Expedition mit ihm hätte teilen können. 85 Nicht zuletzt bedeutete es für die Teilnehmer eine große Ehre, denn nur die bedeutendsten österreichischen Gelehrten hatte man dazu ausersehen, wie etwa Ferdinand Hochstetter, durch den dadurch erstmals eine eingehendere Erforschung Neuseelands stattfand. Tatsächlich schien sich mit der Novara-Expedition auch für Wagner der Höhepunkt seiner Reisetätigkeit abzuzeichnen. Denn noch 1856 hatte der bayerische Monarch beschlossen, ähnlich 1817 wiederum zwei Bayern eine Mitreise zu vermitteln, und diesbezüglich bereits von Moritz Wagner eine Stellungnahme zu solch einer Teilnahme eingefordert. 86 Wagners Stellungnahme war erwartungsgemäß positiv gegenüber der Novara-Expedition ausgefallen, jedoch mit weniger Enthusiasmus und sachlicherem Blick, als ihn vielleicht Liebig von dem "Nicht-Wissenschaftler" Wagner erwartet hätte: "Der verhältnismäßig kurze Aufenthalt der Fregatte an vielen Punkten wird allerdings umfassende Studien, monographische Arbeiten über Länder und Inseln nicht zulassen. Dagegen wird diese Expedition die Länder- und Völkerkunde wie die Naturgeschichte gewiß mit der Kenntnis sehr vieler neuer und interessanter Tathsachen bereichern. "87 Allerdings zeigte sich wieder Wagners Mangel an Aufgeschlossenheit gegenüber den modemen Wissenschaftskategorien in der Deutung von Naturgeschichte und Völkerkunde durch offensichtlich veraltete Methoden: "Je mehr die mitreisenden Forscher auf diesen Gebieten gearbeitet haben, je geschärfter ihr Blick geworden die ethnographischen Verhältnisse und den Naturcharakter jener Länder nach der 85

H.Beck, Moritz Wagner 198. Offensichtlich war also Wagner noch in München anwesend und mit der Ausarbeitung seines Reisewerkes über Costa Rica beschäftigt; die von der Kommission befürwortete Reise in den südlichen Donauraum war also noch nicht erfolgt. 87 GHA 77-6-88, NL Max 11., 24-1-37; Bericht Wagners mit einem ausführlichen Schreiben an Thiersch. 86



ß. Moritz Wagner als erster Konservator

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(1862-1887)

Methode earl Ritters und Alexander von Humboldts aufzufassen und darzustellen, mit desto mehr Erfolg werden sie die Aufgabe lösen und desto reichhaltiger werden gewiß die Beiträge ... , die sie liefern. "88 Auch wenn Wagner aufgrund seiner bisherigen Reisen weniger ein Freund des oberflächlichen Eindrückesammelns als gründlicher Landesstudien war und dahingehend auch seiner Skepsis Ausdruck gab, so empfahl er sich, der sich selbst als ein Schüler Ritters und Humboldts verstand, dennoch selbst als Teilnehmer für diese Expedition. Als zweiten Mann schlug er den Adjunkten an der zoologischen Staatssammhing, Dr. Max Gemminger vor,89 welcher gerade mit der Bearbeitung einer fauna Bavarica beschäftigt war und dafür aus dem Förderfonds mit 300 fl jährlich unterstützt wurde. 9O Die Kosten für die Expeditionsteilnahme berechnete Wagner mit je 500 fl für eine "Grundaus-rüstung" und je Person und Jahr mit 3000 fl allgemeiner Kosten, zusammen eine Summe, die weit über den bisher im Förderprogramm tatsächlich gewährten Einzelbeträgen lag. Dennoch beschloß die wissenschaftliche Kommission am 11. Dezember 1856, Moritz Wagner und Max Gemminger dem König für die Reise vorzuschlagen und um die Gewährung der von Wagner errechneten Reisekosten einzugeben. 91 Zuvor hatte Siebold als Konservator der zoologischen Staatssammlung in einem Gutachten Gemminger für diese Aufgabe nochmals der Kommission empfohlen. Auf der Beschlußliste der Kommission, welche gleichzeitig eine Prioritäteniiste darstellte, rangierte die Teilnahme Wagners und Gemmingers an der Novara-Expedition an erster Stelle. Allerdings verging nun trotz der Dringlichkeit fast ein Monat, bis den beiden potentiellen Expeditionsteilnehmern die ministerielle Genehmigung zur Reise erteilt wurde, nicht ohne den neuerlichen Hinweis, daß die Reisenden im Zuge ihrer Expedition zur Beibringung von Sammlungen und zur Einsendung derselben an die Heimat noch während der Reise verpflichtet seien. 92 Was sich nun nach Meinung Karl Scherzers durch die Teilnahme Wagners an der Novara-Expedition als "deutsches Gegenstück zu Darwins Eagle88

Ebd.

89 Max Gemminger war 11. Adjunkt an der zoologisch-zootomischen Staatssammlung, deren Konservator Siebold war, und promovierte am 8.4.1847 zum Dr. med., allerdings unter der Voraussetzung, auf eine Ausübung der ärztlichen Praxis in Bayern zu verzichten. UAM, E-II-450, Max Gemminger. 90 Doeberl, Entwicklungsgeschichte 3, 303. 91 "... auf die dringende Empfehlung von Liebig, Spruner und Thiersch": Wagner an Baron von Cotta, 26.12.1856, DLA Marbach, Cotta-Briefe. 92 GHA 77-6-88, NL Max 11., 24-1-37, Sitzungsprotokoll vom 11.12.1856 und Gutachten Siebolds vom 10.12.1856; von Gemminger erwartete man sich besonders Zuwachs für die Staatlichen Sammlungen in Bayern. Beschlußliste unter 24-1-38. GHA 77-6-88, NL Max 11., 24-1-50; Handschreiben von Zwehls vom 9.Januar 1857.

I. FüniZig lahre Reisen und Schreiben

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Reise"93 anbahnte und für die bayerischen Forscher sicherlich zu einem erfolg- und ruhmreichen Unternehmen entwickelt hätte, sollte aber schnell zum "Waterloo" im hoffnungsfrohen Herzen Wagner werden. Nur drei Tage nach der ministeriellen Genehmigung seiner Teilnahme signalisierte ein Brief Wagners erste Schwierigkeiten: Mit Scherzer stand er zwecks Teilnahme an der Expedition bereits in Verbindung, und dieser hatte ihm mitgeteilt, es würde für die Bayern Platz auf der Fregatte geschaffen, sobald eine entsprechende Bitte des bayerischen Königs vorläge. Eine Schreiben Maximilians mit entsprechendem Inhalt, beklagte nun Wagner, sei aber nicht, wie es der diplomatische Weg verlange, an den österreichischen Kaiser, sondern direkt an den Kommandanten der Fregatte, Erzherzog Ferdinand Max gerichtet worden. 94 Weniger dieser Formfehler als vielmehr die Tatsachen, daß Wagner und Gemminger als Ausländer betrachtet wurden, eine Teilnahme der beiden daher eher unerwünscht, der Platz auf der Fregatte ohnehin äußerst knapp bemessen war, und nicht zuletzt Moritz Wagner den Österreichern aus seiner "48er-Zeit" als Korrespondent für die Allgemeine Zeitung vielleicht noch unangenehm in der Erinnerung haftete, waren ausschlaggebend für das Scheitern der bayerischen Bemühungen um eine Teilnahme an der Novara-Expedition. 9S Neben der Raumbeschränkung war es aber auch der Sammelauftrag Wagners und Gemmingers, der eine Mitreise der Bayern äußerst unerwünscht werden ließ, da die Österreicher den ausschließlichen Anspruch "an den zu machenden wissenschaftlichen Sammlungen" geltend machten. 96 An den schlechten Aussichten konnte auch die Bitte Gemmingers und Wagners an Maximilian, für sie wenigstens eine Passage bis zu den Philippinen zu erwirken, nichts mehr ändern, denn bereits wenige Tage später zeigte ein Brief Wagners das Ende der bayerischen Novara-Pläne an. Er habe soeben durch von Zwehl die Mitteilung über folgende Depesche erhalten: "Graf Lerchenfeld an Staatsminister von der Pfordten: Mit lebhaftem Bedauern und ausführlich motiviert wird

93 Nach H.Beck, Moritz Wagner 198. Allerdings aus der Retrospektive und im Bewußtsein um Wagners spätere Leistungen um die Entwicklungsgeschichte (vgl. hier 111 ff.). 94 GHA 78-3-134, NL Max 11., 28-12-2, Wagner an unbekannten Empfänger, vom 12. Jan. 1857. 9S H.Beck, Moritz Wagner 198, vermutet darin auch eine Revanche der Österreicher für die herbe Kritik Wagners an der österreichischen Orientpolitik in seinen früheren Reisewerken, eine Vermutung, die in Anbetracht der (positiven) Behandlung Scherzers aber nicht überbewertet werden sollte. 96 Wagner an Baron von Cotta, 26.12.1856, DLA Marbac~, Cotta-Briefe. Inwieweit dazu auch noch die negative Beurteilung Maximilians in Osterreich, Fragen einer ausgesprochenen "katholischen Wissenschaftspolitik" der Habsburger (hier in Hinblick auf den Protestanten Wagner) eine Rolle gespielt haben, kann hier nicht untersucht werden.

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D. Moritz Wagner als erster KonselVator (1862-1887)

die Beteiligung Dr. Wagners und Dr. Gemmingers an der Novara-Expedition abgelehnt. "97 Offensichtlich gab es danach aber immer noch diplomatische Bemühungen, um eine Teilnahme zu erwirken; auch Wagner hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, da er noch im März in einer erneuten Stellungnahme die NovaraFrage behandelt. 98 Allerdings stellt er im Begleitbrief an Ptistermeister bedauernd fest, daß Gemminger sich von einer Erkrankung im letzten Monat noch nicht erholt habe und zur Rekonvaleszenz lieber noch einige Zeit auf Sizilien verweilen würde. Ihm sei eine Expedition jetzt sowieso nicht zuzutrauen, resignierte Wagner. 99 Anfang April 1857 muß allerdings eine Teilnahme Wagners an der österreichischen Unternehmung wohl endgültig als gescheitert gelten, wie ein Brief Wagners an Baron von Cotta andeutet. Andererseits aber hatten die Aussichten auf eine Teilnahme an der spektakulären Novara-Expedition in Wagner nochmals die Reiselust geweckt, denn er bot sich nun an, für das Cottasche Verlagshaus nach China zu gehen angesichts der "dortigen Vorgänge" (womit wohl die Taiping-Unruhen gemeint sind). Er, Wagner, habe schließlich immer noch "Muth, Kraft, Gesundheit und Wanderlust genug" dafür. Ebenso deutet er aber dem Verleger an, daß immer noch zwei Unternehmungen im Gespräch seien, die ihn auf königliche Kosten auf Reisen schicken könnten: "König Max in seinem wissenschaftlichen Eifer und in seiner Herzensgüte .. .ließ zwei Anträge an mich gelangen ... lch mußte sie zu meinem Bedauern ablehnen, da die Mittel, welche der König dazu bewilligen wollte, die Kosten nicht gedeckt hätten und seine Erwartungen von den wissenschaftlichen Resultaten, besonders auf Sammlungen, sehr übertrieben waren. "100 97 GHA 78-3-134, NL Max 11., 28-12-3; darin Wagner und Gemminger an Maximilian 11., vom 29. Jan. 1857; und Wagner (an Pfistermeister). Der Briefwechsel der Bayer. Gesandtschaft in Wien mit dem Armee-Ober-Commando ist zwar im Index der Verwaltungsregistratur verzeichnet (Jan. 1857), aber nicht in den Akten vorhanden (Auskunft durch das Haus-, Hof- u. Staatsarchiv Wien). 98 Die Vorgänge um die Novara-Expedition sind in den bayerischen Archiven nur lückenhaft dokumentiert; auch Wagner scheint in diesen Monaten einen wechselnden Wissens stand zu haben: während er einerseits Sachzwänge, dann politische Motive für das Mißlingen anführt, gibt er letztlich einfach von der Pfordten die Schuld, da die Teilnahme "durch die verfehlte Form scheiterte, in welcher Herr Minister von der Pfordten den königlichen Wunsch mit den telegraphischen und kargen Worten an den Erzherzog gelangen ließ" (Wagner an Cotta, 6.4.1857, DLA Marbach, Cotta-Briefe). - Inwieweit von der Pfordten die Teilnahme der Bayern an dem österreichischen Unternehmen bewußt hintertrieben hat, wäre noch zu klären. In das Bild seiner ßistanzierten Politik (als "Schlüsselfigur bayerischer Politik; Glaser 148) gegenüber Osterreich hätte dies allemal gepaßt (vgl. dazu auch bei Rumpier). 99 GHA 77-3-134, NL Max 11.,28-12-3,4. März 1857. 100 DLA Marbach, Cotta-Briefe, Wagner an Cotta, 6.4.1857.

2. Die Errichtung der ethnographischen Sammlung

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Eine dieser Reisen hatte Freiherr von Hügel vorgeschlagen, sie sollte Wagner nach Südostasien und China führen, allerdings mit unzureichenden Mitteln. lOl Ganz aber war für Wagner die Tür noch nicht zugeschlagen, da noch ein zweites Projekt "in der Unterhandlung" mit dem König war: eine Reise nach Mittel- und Südamerika, welche letztendlich auf Wagners eigenen Vorschlag zurückging.

2. Die Errichtung der ethnographischen Sammlung im Galeriegebäude

a) Wagners letzte Reise als dessen erste Forschungsreise Ob vollwertige Alternative oder nur Trostpflaster ist nicht mehr zu klären: die verhinderte Teilnahme an der Novara-Expedition verschaffte Moritz Wagner jedenfalls den Auftrag zu einer Reise nach Mittelamerika, die nicht bloße Sammelreise zwecks Zugewinn der Sammlungen des Staates, sondern auch regelrechte Forschungsreise sein sollte und trotz der schon einmal geäußerten Reisemüdigkeit Wagners dessen eigenem Wunsche entsprach. 102 Daher hatte er auch sofort, als sich ein Mißlingen der bayerischen Novara-Pläne abzeichnete, den Vorschlag unterbreitet, die freiwerdenden Mittel für die Fortsetzung seiner Arbeiten in Mittelamerika zu verwenden, welche er und Scherzer seinerzeit mangels finanzieller Mittel eingestellt hatten, eine logische Fortführung seiner bisherigen Förderung bei der Ausarbeitung seines Reisewerkes über Costa Rica. So entsprachen auch die finanziellen Rahmenbedingungen denen der Novara-Teilnahme: 6.000 fl auf die Dauer von etwa zwei Jahren. Auf einen Reisegefahrten allerdings mußte Wagner verzichten. 103 Wie schon erwähnt - eigentlich reisemüde und im Gefühl eines "alternden Kranichs" hatte er sich auf diese Reise eingelassen, befand sich aber in dem frohen Bewußtsein, zwei Jahre lang endlich ohne finanzielle Sorgen im Hintergrund naturforschend tätig sein zu können. Dies immerhin, obwohl ihm die wissenschaftliche Kommission vor noch nicht allzu langer Zeit, allen voran durch Liebig, im wissenschaftlichen Denken einen gewissen Anachronismus bescheinigt hatte. So stellt sich auch die Frage, wessen Gunst oder Einfluß 101 Aufgrund der Denkschrift des Freiherrn von Hügel war er zu der Überzeugung gelangt, daß die Kosten statt der dort berechneten (und wohl dem Novara-Betrag angeglichenen) 12.000 fl mindestens 22.000 fl betragen würden. Das "Dictat des k.k. österreichischen Gesandten Frhr. von Hügel zu Florenz über die Absendung eines Gelehrten auf eine wissenschaftliche Sammelreise. Florenz, 11. Februar 1857" fmdet sich in GHA 77-6-88, NL Max 11.,24-155. 102 Vgl. Biograph. Anhang , Wagner 1870a, VI. 103 Ratzel, Wagner 535, erwähnt die Summe von 8.000 fl, einen Betrag, den Wagner allerdings niemals in dieser Höhe erhalten hatte (s.u.). Für die staatliche Finanzierung seiner Reise mußte er sogar jene Sammlungen, welche sich bislang noch in seinem Privatbesitz befunden hatten, an die staatlichen Sammlungen abgeben!

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n. Moritz Wagner als erster Konservator (1862-1887)

Wagner nun eigentlich diese Art Förderung zu verdanken hatte und was die Motive waren. Glaubt man dem Vorwort Wagners zu dem aus dieser Reise resultierenden Werk, so wären es weniger die wissenschaftliche Kommission als vielmehr die Empfehlungen Alexander von Humboldts und Carl Ritters gewesen, die ihn erneut zum Forschungsreisenden gemacht hätten. 104 Dies scheint auch ein Brief an Kabinettssekretär Ptistermeister zu bestätigen, 105 in dem er sich von diesem vor Antritt der Reise verabschiedet und dabei erwähnt, er habe sich nochmals ausführlich mit Humboldt, Ritter und HammerPurgstall besprochen. Dies sind Namen, welche er immer wieder erwähnt, auf dessen Empfehlungen er sich auch künftig immer wieder berufen wird, dies sind aber auch Namen, die für ihn gleichzeitig programmatische Bedeutung haben. Insoweit und in Anbetracht der Tatsache, daß dieses Vorwort erst 1869/70 niedergeschrieben wurde, nach dem Erlebnis zweier unerquicklicher Jahre nach seiner Rückkehr aus Amerika, sollte dies also weniger schwer gewichtet werden. Denn in jenem Schreiben Wagners von 1857 an Ptistermeister, also zeitnah zu den bier behandelten Ereignissen, richtet dieser ausdrücklich seinen größten Dank nochmals an Thiersch und Liebig, welche ihn aufs kräftigste unterstützt hätten - immerhin zwei gewichtige Mitglieder jener wissenschaftlichen Kommission, deren Einfluß zur Zeit des Reiseantritts noch ungeschmälert war. 106 Leichter zu klären ist dagegen die kulturpolitische Motivation für den Reiseauftrag, von den allgemeinen Förderabsichten Maximilians zur Hebung der Wissenschaften in Bayern einmal ganz abgesehen: Auswanderung und Kolonisation sind wiederum ein zentraler Punkt; darauf weist u. a. die Äußerung Wagners hin, er habe bereits länger mit jemandem Kontakt aufgenommen, der in Costa Rica eine kleine deutsche Kolonie gründen wolle. 107 Dem Mißlingen einer Teilnahme an der Novara-Expedition ist aber sicherlich auch eine beträchtliche Rolle zugefallen, galt es doch nun, statt dieser ein ebenfalls prestigeträchtiges Unternehmen mit den verfügbaren Mitteln vorzunehmen. Die Reise mußte also von vornherein nicht nur banale Sammelreise zur Füllung der staatlichen wissenschaftlichen Sammlungen, sondern erklärte Forschungsreise zur Gewinnung neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und Exploration unbekannter Regionen sein. Der genaue Auftrag, den Wagner dazu von der Akademie erhalten hatte, ist nicht mehr überliefert, doch ein Brief an Ma104 Nach: Biograph. Anhang, Wagner 1870a, VIII. Deshalb diese Behauptung auch bei H.Beck, Moritz Wagner 200. 105 GHA 78-3-134, NL Max 11., 28-12-3, München, 19. Sept. 1857. 106 Zur Wirkung der Kommission auch bei Riehl272. Vom 12. September 1857 ist noch ein Abschiedsbrief Wagners an Liebig selbst erhalten geblieben, in dem sich Wagner in überschwenglichen Worten bei Liebig für seine Unterstützung bedankt. AdW-ZA, Slg. Wachs 604, 605. 107 GHA 78-3-134, NL Max 11., 28-12-3, München, 19. Sept. 1857.

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ximilian 11. nach seiner Rückkehr aus Amerika läßt genauere Rückschlüsse zu. 108 So hatte er neben dem wissenschaftlichen Auftrag naturkundlichen Sammelns und Beobachtens auch die Anweisung erhalten, auf Möglichkeiten zur Anlage von Kolonien, auf ethnographische, handelspolitische und gesellschaftliche Gegebenheiten der bereisten Staaten zu achten. 109 Er hatte also ein breites Spektrum der allgemeinen Länder- und Völkerkunde ebenso wie der naturkundlichen Exploration abzudecken; ein Programm, das zwar einerseits die Kräfte eines Einzelnen überforderte, aber auch immer wieder in der Münchner Völkerkunde als Bündel aller Motive zu finden ist. Diese Reise war so zu Wagners erster Forschungsreise im eigentlichen Sinne geworden, sollte aber auch nach seinem Willen die letzte große Reise überhaupt werden. Nachdem er, versehen mit Empfehlungsschreiben der Bayerischen AIkademie der Wissenschaften, der wichtigsten französischen und englischen Auslandsvertretungen, und mit einem eisernen Willen, die ihm gestellten Aufgaben zu lösen, am 26. November 1857 über England und Nordamerika in Panama eingetroffen war, ging er mit großer Intensität seinen Forschungen nach. 110 Er bereiste Panama, Neu-Grenada, Ecuador, Costa Rica und drang in bisher noch unerschlossene Gebiete vor. Ein seit 1858 schwelender Krieg zwischen Peru und Ecuador, Indianerüberfälle und eine durch das tropische Klima verursachte schwere Krankheit behinderten allerdings seine Arbeiten. Diese waren vornehmlich geognostischer und landeskundlicher Art und bereicherten das geographische Wissen seiner Zeit ungemein. 111 Neben ausführlichen Studien zur Verbreitung von Pflanzen und Tieren führte er in mehreren Provinzen zahlreiche ethnographische Untersuchungen an eingeborenen Stämmen durch und sammelte aktuelles statistisches Material zu Handel, Ackerbau und "Industrie". Unter heutigen Gesichtspunkten von der Art der Durchführung her recht problematisch war eine von Wagner durchgeführte Grabungskampagne auf einem indianischen Gräberfeld in der Provinz Chiriqui. Dort fand er in den 108 GHA 78-3-134, NL Max 11., 28-12-4, Göttingen, 3. Okt. 1859, Wagner an Maximilian 11. Der Auftrag an Wagner ebenso wie die zahlreichen Zwischenberichte, die dieser an die Akademie geschickt hatte, sind im Akademiearchiv verbrannt. 109 In diesem Zusammenhang ist es durchaus interessant, welcher Begriffe sich Wagner selbst dazu bediente: Länder- und Völkerkunde, descriptive Naturgeschichte, Zeitgeschichte, Fragen der Staatsökonomie, der Colonisation und des inter-nationalen Verkehrs. 110 Die Reise sollte ursprünglich schon im Frühsommer 1857 beginnen, wurde aber wegen der bevorstehenden Regenzeit und noch nötig gewordener Vorbereitungen für die von der Akademie geforderten Sammlungen von Wagner auf Oktober verschoben. BayHStA, Bayerische Gesandtschaft London 1123, MinstAuß an Bayer. Gesandtschaft in London, 8.5.1857. 111 Vgl. differenzierter zu Wagners geographischen Leistungen dieser Jahre H.Beck, Wagner als Geograph 125-128; und H.Beck, Germania in Pacifico.

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Guacos zahlreiche Grabbeigaben, oft wertvolle Goldgegenstände, welche ihm nicht nur in Tacunga teilweise gestohlen wurden, sondern in der Grabungsregion einen wahren Goldrausch auslösten. 1l2 Dennoch brachte er noch vieles davon mit nach Hause, ebenso wie diverse Gegenstände aus den Anden, zahlreiche Herbarien, geognostische und zoologische Sammlungen aus den verschiedensten Provinzen. Allein diese Sammlungen wurden in kundigen Kreisen auf einen Wert von etwa 20.000 Franken geschätzt. 113 Eine ethnographische Auswertung der Gräberfunde hat Wagner hingegen nicht vorgenommen. 114 Guacos und Grabbeigaben werden von ihm nur in wenigen Sätzen beschrieben, aus denen man allerdings schließen kann, daß er die Grabungen auch aus anthropologischem Interesse durchgeführt hatte. 115 Ende September 1859 kehrte Wagner von seinem Forschungsauftrag wieder nach Europa zurück; 116 müde, krank, halb erblindet und finanziell völlig verausgabt, aber voller Hoffnung auf eine gebührende Anerkennung als Forscher in seinem Heimatland. 117

b) Wagners Bemühungen um eine feste Anstellung Ab dem Frühjahr 1860 hielt sich Moritz Wagner in München auf. Die nun folgenden beiden Jahre waren wohl mit die schwersten seines Lebens, denn sie waren gekennzeichnet von Krankheit, Mittellosigkeit und Enttäuschung, aber immer noch von der Hoffnung auf eine gerechte Wendung seiner Sache: 112 Ausführlich dazu bei Ganslma yr 459-470. Vgl. auch Petermanns Mitteilungen von 1860 (158 t) berichten nach Wagners Rückkehr aus Chiriqui, daß "auch in der allerneuesten Zeit in Folge der Entdeckung bedeutender Goldschätze in den Indianischen Guacos eine beträchtliche Emigration aus Nord-Amerika, sonders von Deutschen aus Texas, angezogen hat". 113 Aufschluß darüber gibt u. a. ein Schreiben Wagners an Pfistermeister: GHA 78-3-134, NL Max 11., 28-12-5, Göttingen, 3. Okt. 1859. Zur Schätzung des Sammlungswertes GHA 78-3-134, NL Max 11.,28-12-9. 114 Nach Petermanns Mitteilungen 1860 (S.158) kündigte Wagner eine größere Monographie über die Provinz Chiriqui an, die jedoch nie erschien. 115 "Auch von menschlichen Gebeinen waren hier und da noch Reste erhalten, doch keine ganz gut erhaltenen Schädel. .. ". Vgl. Biograph. Anhang, Wagner 1870a, 318 f. Ganslmayr 460 bedauert übrigens, daß Wagners Grabungen in der amerikanistischen Literatur überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurde. 116 Der Zeitpunkt ergibt sich aus den zitierten Schreiben an Maximilian 11. und Pfistermeister (s.o.). Ratzei, Moritz Wagner, und darauf basierend H.Beck, Moritz Wagner. Andere geben 1860 an. Dies beruht wohl auf der. Rückkehr Wagners nach München, da er den Winter krankheitshalber auf Rat der Arzte in Göttingen bei seinem Bruder verbracht hatte (nach einem Schreiben Wagners an Pfistermeister: GHA 78-3-134, NL Max 11.,28-12-6, München, 29. April 1860). 117 Nach Essner 93-100 läßt sich tatsächlich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Forschungs- und Fernreisen und sozialem Aufstieg der Reisenden in der Heimat nachweisen.

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"Kein König, kein Staat in Europa hat bisher einen Forscher dem Elend zurückgegeben im Augenblicke, wo er die ihm anvertraute wissenschaftliche Mission erfüllt hat. "118 Tatsächlich befand sich Wagner in einem recht bejammernswerten Zustand, der ihm jeglichen Triumph vergessen ließ, den er nach der Rückkehr von seiner Reise eigentlich hätte empfinden müssen. Neben seinem schlechten Gesundheitszustand, der sich allerdings langsam wieder besserte (über den Winter hatte für ihn die Gefahr des Erblindens bestanden), waren vor allem die finanziellen Folgen der Reise der Grund dafür. 119 Gegen Ende seines Aufenthaltes in Südamerika hatte er sich nochmals in finanzielle Verpflichtungen begeben, indem er sich bei Baron von Cotta und einem weiteren Bekannten, dem englischen Geschäftsträger in Quito, Sir Walter Cope, größere Summen Geldes geborgt hatte. Der Anlaß dazu war ein Schreiben seines Bruders Rudolf, das ihn im März 1859 im Auftrag von Zwehls in Ecuador erreicht hatte und ihn aufforderte, SüdBrasilien zu Kolonisationszwecken zu untersuchen. Dafür seien ihm nochmals 2.000 fl zur Verfügung gestellt worden. Allerdings hatte Wagner dieser Aufforderung nicht Folge geleistet, da einmal in den Grenzstaaten zu Brasilien der Krieg wütete und ihn Cope dringend vor einer Reise dorthin warnte, dieser ihm aber auch gleichzeitig versichern konnte, daß SüdBrasilien denkbar ungeeignet für europäische Kolonisten sei. Daher hatte Wagner sich wieder anderen Aufgaben zugewandt und dafür die angekündigte Summe verwendet, u.a. schickte er weitere umfangreiche Sammlungen nach München. Erst als er bereits so gehandelt und den Zusatzbetrag verplant hatte, erfuhr er im August 1859 von seinem Bruder aus Göttingen, daß die zusätzliche Finanzspritze wieder zurückgenommen worden sei. Wohl infolge der italienischen Kriegsereignisse war der Betrag vorübergehend gesperrt worden. Nach erneuter Freigabe wurden die Mittel aber nicht mehr im Zusammenhang mit Wagners Forschungsreise verwendet, wodurch dieser die Rückkehr in die Heimat mit erheblichen Verbindlichkeiten antrat und dort selbst von weiteren Vorschüssen seiner Freunde zu leben hatte, da man ihm in München hartnäckig die Auszahlung der angekündigten 2.000 fl verweigerte, offensichtlich mit dem Argument, er, Wagner, habe ja den damit verbundenen Auftrag in Brasilien nicht durchgeführt. 120 Daran änderten auch Wagners 118 Wagner an Pfistermeister: GHA 78-3-134, NL Max 11., 28-12-6, München, 29. Apri11860. 119 Ratzei, Wagner 536 irrt also, wenn er behauptet, er sei nach Rückkehr von der Amerikareise in die ruhigsten Jahre seines Lebens eingetreten (Ratzel hat Wagner allerdings erst 1870171 kennengelemt); auch Wagner selbst verschweigt in seinem 1870 erschienen Reisewerk, wohl schon mit der Vergangenheit versöhnt, diese Zeit. 120 Über die Verwendung dieser zusätzlichen Summe für Wagners Forschungsreise ist in den Akten der Akademie und der Ministerien nichts mehr zu fmden; der Vorgang läßt sich allerdings recht konkret anband der Korrespondenz Wagners mit Pfistermeister und seiner Eingaben an Maximilian 11. für die Zeit zwischen Apri11860

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D. Moritz Wagner als erster Konservator

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zahlreiche Rechtfertigungsversuche nichts, in denen er detailliert seine Reiseausgaben und die damit verbundenen Leistungen auflistete, demzufolge er alle ihm gestellten Aufgaben treulich erfüllt hätte. 121 Daneben versuchte er auch mit dem Plan eines Buches über Die deutsche Auswanderung nach dem spanischen Ameril«l zu bestechen und die Erfüllung der diesbezüglichen Aufgaben Maximilian zu beweisen. Ebenso legte er eine Karte mit möglichen Siedlungsgebieten in Ecuador vor (es handelte sich meist um Land der "Ecuador Land Company"). Zum Beweis seiner geognostischen Leistungen führte er eine Karte von Panama und die Vorbereitung eines größeren Werkes über die Landenge von Panama an. Seine diesbezüglichen Arbeiten zeigten bestes Format, hatte er damit doch bereits dreißig Jahre vor Tätigwerden der offiziellen Kommission für den Bau des Panama-Kanals anhand der frischen Aufbrüche der Panamabahntrasse eine Möglichkeit für eine künftige Trassierung des Kanaldurchstiches gewiesen! 122 Während Wagners Hauptanliegen in seinen Petitionen ab Frühjahr 1860 ausschließlich die Auszahlung der bisher verweigerten 2.000 fl waren, und die Argumentation auf seinen finanziellen Verpflichtungen in Verbindung mit den ministeriellen Zusagen von 1859 aufbaute, wechselte er bald die Taktik und führte nun an, eine "kleine Stellung", etwa als Konservator, sei ihm noch wesentlich angenehmer als die Erstattung seiner Verbindlichkeiten, welche er dann ja selbst im Laufe der Zeit abtragen könne. Dun sei eher daran gelegen, in Ruhe die umfangreichen Ergebnisse seiner letzten Reise in einem wissenschaftlichen Werk aufarbeiten zu können. Bereits kurz nach seiner Rückkehr aus Amerika hatte sich Moritz Wagner schon einmal um eine feste Anstellung in München bemüht, indem er sich noch von Göttingen aus im November 1859 bei der Münchner Universität um eine Professur für "Länder- und Völkerkunde" bewarb - allerdings ergebnislos. 123 Solch einefeste Anstellung, die Wagner nach seiner Rückkehr als ~erprobter" Forschungsreisender ziemlich sicher erwartet batte, und welche ihm wohl auch vor seiner Abreise mehrfach angedeutet worden war,124 erschien Wagner angesichts seiner Notlage wichtiund Dezember 1861 rekonstruieren. Vgl. dazu GHA 78-3-134, NL Max 11., 28-12-6 bis 28-12-9. 121 Dazu vor allem in GHA 78-3-134, NL Max 11., 28-12-11 und 28-12-13, Wagner an Ma~an. Die Schreiben sind inhaltlich, was die Finanzierung und Abwicklung von Ubersee-Forschungsreisen in dieser Zeit angeht, sicherlich von Interesse, eine weitergehende Auswertung führt hier jedoch zu weit. 122 Die Karte stellte das erste detaillierte Werk über die Landenge dar und erschien 1861 in Petermanns Geographischer Anstalt, ebenso wie die Schrift Beiträge zu einer physisch-geographischen Skizze des Isthmus von Panama. 123 Dazu ausführlicher hier 95 ff. 124 Wagner führt wiederholt dazu Belege an, vor allem in Bezug auf eine Professur für Länder- und Völkerkunde, welche allerdings selbst für seine Zeitgenossen kaum noch nachprüfbar gewesen sein dürften, da er meist mündliche Zusagen zitiert.

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ger denn je, hatte er doch schon seit 1856 auf die 800 fl festes Gehalt aus dem Hause Cotta verzichtet, da er ja nur mehr wissenschaftlich arbeiten und für den Cottaschen Verlag somit nur mehr in freier Bindung tätig sein wollte. 125 Sein Ansinnen erschien Wagner sicherlich nicht unbescheiden, gemessen an der Tatsache, daß Karl Scherzer und Ferdinand Hochstetter in Österreich nach ihrer etwa zeitgleichen Rückkehr von der Novara-Expedition mit einem persönlichen Jahresgehalt von ganzen 3.000 fl, der Erhebung in den Adelsstand und dem Auftrag zur Ausarbeitung der Reise belohnt worden waren. Offensichtlich wähnte sich Wagner noch nicht ganz auf verlorenem Posten, denn es schien bereits 1860 erste Überlegungen und Vorschläge für eine feste Anstellung seitens der Akademie gegeben zu haben. Wagner berichtet von solchen Vorschlägen gegenüber Minister von Zwehl in einem Schreiben an Kabinettsekretär Pfistermeister126 und nennt ihm auch gleich die möglichen Konstellationen: Erstens könne er, Wagner, sich als Konservator der kleinen ethnographischen Sammlung im Akademiegebäude betätigen, welche früher unter der Aufsicht von Professor Martius stand und nun von Dr. Kuhn, dem Präparator der zoologischen Staatssammlung, provisorisch mitbeaufsichtigt würde. Diese Sammlung stehe sowieso "weit hinter Wien und Berlin und selbst hinter Hamburg zurück", und er könne sie mit seinen Doubletten ausbauen. Zweitens könne Wagner als "adjungierter Conservator bei den verschiedenen naturhistorischen Museen Münchens ... gerne zu jeder Aushilfe der Arbeiten der übrigen Conservatoren behülflich sein". Spätestens dieses Anerbieten, als "Mädchen für alles" bei den wissenschaftlichen Sammlungen zu dienen, hätte überzeugend Wagners frühere Darlegung unterstützen müssen, ihm sei es bei seinen Anträgen in keiner Weise um Eitelkeiten getan. Eher mit dem Bedürfnis nach Anerkennung zu tun hatte dagegen der dritte Vorschlag Wagners, ihn als Honorar-Professor besonders für allgemeine Erdkunde zu akzeptieren, denn ohne Verbindung mit einem weiteren besoldeten Amt war diese Stellung sicher nicht dazu geeignet, ihm einen Lebensunterhalt zu sichern. Übrigens wollte Wagner mit diesem Vorschlag keineswegs Löher zu nahe treten, der seit Dezember 1859 in München die ordentliche Professur für Allgemeine Literaturgeschichte, Länder- und Völkerkunde bekleidete; jedoch meinte er, dieser verstehe nun eben mal nichts von "Gebirgsketten und Völkerwanderung" . Alle Anstrengungen Wagners im Jahre 1860 (und es waren derer nicht wenig), zu einer festen Anstellung oder aber zu den einstmals in Aussicht gestellten 2.000 fl zu kommen, blieben erfolglos. Grund genug für ihn, sich zu 125 GHA 78-3-134, NL Max 11., Wagner an Pfistermeister, München, Mai und Juni 1860. 126 GHA 78-3-134, NL Max 11., Wagner an Pfistermeister, München, 3. Mai 1860.

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D. Moritz Wagner als erster Konservator (1862-1887)

fragen, was denn die Ursache für diese Lage sei. Er betrachtete seine Behandlung als "beispiellos"; trotz seiner handfesten Empfehlungen (gemeint waren hier vor allem wieder Humboldt, Hammer-Purgstall und Ritter) stehe man ihm ablehnend gegenüber und er habe seit seiner Rückkehr keinerlei staatliche Unterstützung erhalten. Da auch die Berufung auf das Lob dieser Kapazitäten nichts nützte, konnte sich Wagner nicht der Erkenntnis verschließen, daß auch andere Gründe gegen ihn sprechen konnten: "Bei der Akademie und der Universität habe ich nur wenige persönliche Feinde. Aber unter ihnen befindet sich Professor von Kobell, der aus rein persönlichen Gründen gegen mich ist. Er versteht freilich von physischer und politischer Erdkunde fast nichts und hat vielleicht nie irgend eine Spezialkarte von Amerika studiert. Sollte er gleichwohl, als er sich in der Umgebung Sr. Majestät befand, so kleinlich gehandelt haben, gegen mich zu sprechen? Ich kann und will es nicht glauben... "127 Über den Grund der Animositäten zwischen Wagner und Kobell läßt sich nichts erfahren, die abschätzigen Bemerkungen Wagners lassen allerdings fachliche Differenzen, vielleicht auch solche im grundsätzlichen Charakter, ganz sicher aber solche im weltanschaulichen Bereich vermuten. Wie dem auch sei, sollte der protestantisch-freisinnige Wagner den katholischen Mineralogen und Volkstumsdichter Franz von Kobell 128 zum Gegner gehabt haben, waren seine Sorgen nicht unbegründet. Waren doch die intime Nähe KobeIls zum König und damit dessen Einfluß auf den Monarchen ein offenes Geheimnis. Allerdings versperrte sich Wagner mit seiner Suche nach persönlichen Feinden in der Nähe des Königs, welche durchaus vorhanden sein konnten, auch den Blick auf die übrigen Gegebenheiten. Sicher nicht förderlich war für ihn das allgemeine Klima in München, in dem er als erzogener Protestant, aber dem Materialismus zugewandter Freidenker aus einer neubayerischen Region durchaus zwischen die Fronten von Nativisten und "Nordlichtern" geraten konnte. 129 Auch seine zweijährige Abwesenheit hatte ihn bei vielen wieder schnell der Vergessenheit anheim fallen lassen, war er doch vor seiner Abreise nach Amerika kaum fest genug in der Residenzstadt im Sattel gesessen. Nicht zuletzt hatte ihm seine Rückkehr auch in anderer 127

GHA 78-3-134, NL Max 11.,28-12-6. Pranz von Kobell (1803-1882), 1823 Adjunkt der Mineralogischen Sammlung, 1824 Dr. phil. (Landshut), 1826 a.o. Prof. für Mineralogie an der Universität München, 1842 ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 1849 11. Konservator, 1853 I. Konservator der Mineralogischen Sammlung. Vgl. U.Huber 562. 129 Zu den politisch-weltanschaulichen Gruppierungen in München auch bei Gollwitzer 407 ff, mit weiteren Hinweisen. Vgl. auch Max Brunner: Die Hofgesellschaft. Die führende Gesellschaftsschicht Bayerns während der Regierungszeit König Max 11. München 1987. 128

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Hinsicht nichts Gutes beschert: Seine oft beschworenen Förderer earl Ritter und Alexander von Humboldt waren beide 1859 verstorben, der Orientalist Hammer-Purgstall gar schon vor Wagners Abreise, 1856, und auch "der biedere Thiersch", wie Wagner seinen Gönner in München zuneigungsvoll nannte, verstarb im Februar 1860. Somit mußte Wagner fast schlagartig einer ganzen Phalanx von Hilfstruppen entbehren, welche beim bayerischen Monarchen in hoher Gunst gestanden waren. 130 Hinderlich für Wagners Anstrengungen, in München Fuß zu fassen, war sicherlich auch eine Klimaveränderung in der wissenschaftlichen Kommission, welche noch während der Bemühungen um eine Novara-Teilnahme 1856/57 stattgefunden und bis zu seiner Rückkehr Wirkung gezeigt hatte: Mit dem Eintritt Heinrich von Sybels in die Kommissionen im Dezember 1856 warf dieser sein ganzes Gewicht für die Förderung der Geisteswissenschaften in die Waagschale und drängte tatsächlich die Naturwissenschaften, denen ja Wagner zugeordnet werden mußte, in den Hintergrund. Denn wenn es nach Sybel gegangen wäre, so hätte man gerade die Geographie ganz gestrichen. 131 Einzig Liebig war nun in der Kommission in der Lage, die Naturwissenschaften einigermaßen mit Gewicht zu vertreten. 132 Dennoch mußte Moritz Wagner nicht ganz der Hilfe und Fürsprache in München entbehren. Der Konservator, Zoologe und Professor für Paläontologie an der Münchner Universität, Andreas Wagner, und der Physiker Philipp von Jolly133 etwa legten für ihn bei der Akademie wie bei Minister von Zwehl manches gute Wort ein. 134 Sogar Baron von Lerchenfeld, "der nun wahrlich nicht zu meinen Freunden zählt", setzte sich mittlerweile für den so 130 Alle Genannten hatten bereits mit seiner Griindung 1853 den Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst erhalten. Thiersch zählte zu den regelmäßigen Teilnehmern an den königlichen Symposien (wie auch Kobell), Ritter und Humboldt waren Gegenstand von Maximilians Verehrung noch aus seiner Berliner und Göttinger Studienzeit. 131 Dotterweich 253 f.; umso interessanter ist daher die Bemerkung ebd. 40, daß Sybels Lieblingslektüre in seiner Gymnasialzeit Reisebeschreibungen gewesen sein sollen. 132 Die Tatsache, daß Moritz Wagner erst nach Sybels Weggang nach Bonn durch Liebigs Einsatz zum Zuge kam, sollte dennoch nicht überbewertet werden. 133 Andreas Wagner (1797-1861), prot., 1827 Adjunkt der Zoologischen Sammlung Erlangen, 1832 dto. München, 1833 a. o. Professor, 1835 o. Professor für Zoologie an der Univ. München, 1835 a. o. Mitglied, 1842 o. Mitglied der BayAkadWiss, 1843 Konservator der Paläontologischen Sammlung und o. Professor für Paläontologie, 1849 Konservator der zoologisch-zootomischen Sammlung. U. Huber 578 - Philipp von Jolly (1809-1884), o. Professor für Physik, o. Mitglied der BayAkadWiss 1856; ihm folgte Röntgen auf den Lehrstuhl. Geist und Gestalt 2, 96. Jolly wurde 1859 auch von Maximilian 11. in eine interdisziplinäre "Commulations"Kommission berufen: Finckh 231. 134 GHA 78-3-134, NL Max 11.,28-12-6.

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n. Moritz Wagner als erster Konservator (1862-1887)

schändlich Behandelten ein. 13S Weit wichtiger von allen aber war die Gunst Justus von Liebigs, der dem verstorbenen Thiersch im Präsidium der Akademie nachgefolgt war. Hatte Wagner noch im Januar 1861 müde konstatiert, er hätte für sich persönlich "von dieser mühevollen Reise außer den wissenschaftlichen Materialien nichts mitgebracht als eine Schuldenlast und eine schwer erschütterte Gesundheit", so konnte er im September 1861 weit zuversichtlicher mitteilen, er habe erfahren, daß die Erfüllung seiner Wünsche nun nahe sei. 136 c) Wagners Ernennung zum Konservator und die Organisation

der ethnographischen Sammlungen

Für den Haushalt des Generalkonservatoriums pro 1861/62 war erstmalig eine Summe von 800 fl für die neu zu schaffende Stelle eines Konservators der ethnographischen Sammlung reserviert worden. 137 Davon ausgehend war das Generalkonservatorium zu Personalvorschlägen aufgerufen worden, wobei "Dr.Moritz Wagner näher ins Auge zu fassen" sei. Dies ist in unmittelbarem Zusammenhang mit den Bemühungen Wagners 1860/61 um eine feste Anstellung und den dahingehend von ihm schon erwähnten Fürsprachen zu sehen. 138 Hat man noch das ungünstige Urteil in Erinnerung, das Justus von Liebig als Mitglied der wissenschaftlichen Kommission 1856 über das wissenschaftliche Leistungsvermögen von Moritz Wagner gefallt hatte, so überrascht nun nicht nur die Fürsprache des Akademiepräsidenten für den heimgekehrten Forschungsreisenden als solche, sondern auch deren Intensität, welche den Schluß nahelegt, daß gerade er die treibende Kraft in dieser Angelegenheit geworden war. 139 In den höchsten Tönen lobte Liebig Wagner in seinem Bericht vom Februar 1862 an das Kultusministerium, obwohl für diesen Posten überhaupt kein anderer Kandidat zur Debatte stand. 140 Liebigs Argumente lassen nicht nur erkennen, daß er einen Teil der ureigensten Argumente von Wagner selbst übernommen hatte, sondern daß Wag13S Wahrscheinlich ist damit Gustav von Lerchenfeld (1806-1866) gemeint, Liberaler und ständer Mitarbeiter der AZ; nach 1848 Finanz- und Innenminister. 136 GHA 78-3-134, NL Max 11., 28-12-9 und 28-12-12. 137 Eine Begründung ist aktenmäßig nicht mehr nachvollziehbar. 138 Das läßt sich aus anderen Belegen (s.u.) sicher rekonstruieren. 139 Dies wird bestärkt durch die starke Bindung Wagners an Liebig ab etwa 1860, mit einem sehr intensiven mündlichen Gedankenaustausch (mit zahlreichen "gelehrten Gesprächen", wie Wagner selbst bemerkt) und einem umfangreichen Briefwechsel (vgl. einschlägige Bestände in BSB), was alles weit über die bloße Beziehung Konservator-Generalkonservator hinausreicht. 140 BayAkadW, Personalakt Moritz Wagner, Liebig an KuMi, 11. Febr. 1862 (Entwurf).

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ner in seinen Augen auch ganz erheblich an wissenschaftlicher Reputation gewonnen haben mußte. Wagner habe sich nicht nur große Verdienste in der allgemeinen Länder- und Völkerkunde erworben, auch seine umfangreichen Schenkungen an die staatlichen wissenschaftlichen Sammlungen (es wird eine lange Liste aufgeführt), welche von der Akademie bereits 1856 mit der goldenen Denkmünze belohnt worden waren, seien ein ungeheures Verdienst. 141 Besonders hob Liebig aber hervor, daß Wagner mit seinen Schriften "die Blicke des wissenschaftlichen Publikums" auf sich zu lenken verstanden habe, dies besonders im ethnographischen Sinne. Tatsächlich hatten es allein Wagners Schriften zu seinen Untersuchungen in Panama bewirkt, daß er 1861, bald nach deren Erscheinen, zum Mitglied der geographischen Gesellschaften in Berlin, Wien und London ernannt worden war. Realiter muß die Wirkung seiner ethnographischen Ausführungen allerdings als eher gering eingeschätzt werden. Liebigs Argument dahingehend war somit nur ein Scheinargument, in gleicher Weise, wie er auch Wagners Vorschlag anführte, die Münchner ethnographische Sammlung mit Doubletten aus seinen Beständen zu erweitern: dies sei um so bedeutender, als die ethnographische Sammlung durch ihre Vermehrung durch die Leuchtenbergsammlung nunmehr endlich einer fachlichen Betreuung bedurfte. Abschließend folgte noch in Liebigs Aufzählung die schon zur Genüge angeführte Tatsache, daß Wagner von seiner letzten Reise mittellos zurückgekommen sei und einen angeschlagenen Gesundheitszustand davongetragen habe. Bezeichnenderweise hatte Liebig im Entwurf des Berichtes den Hinweis gestrichen, er habe bereits im Mai (1861) im Budgetbericht des Generalkonservatoriums auf Wagner als potentiellen Kandidaten hingewiesen; den Hinweis auf das unerfreuliche Tauziehen um den Kandidaten tauschte er vorsichtshalber gegen die allgemeine Bemerkung aus, der König selbst habe bereits mehrfach eine Verwendung Wagners in diesem Sinne in Erwägung gezogen. Nach gegenwärtigem Stand der Quellenlage läßt sich also nicht mehr eindeutig klären, ob das Bedürfnis eines eigenen Konservatoriums für die ethnographischen Sammlungen aus deren Vermehrung oder ähnlichen Zwängen heraus entstanden war, oder ob sich solch eine Konstruktion nur als Lösung des Versorgungsproblems für den heimgekehrten (und an der Universität abgewiesenen) Moritz Wagner angeboten hatte. Die Auswertung der vorliegenden Zeugnisse lassen eher letzteren Schluß zu. Jedenfalls wurde Moritz Wagner mit Signat Maximilians 11. vom 23. April 1862142 zum ersten Konservator der ethnographischen Sammlung in München 141 BayAkadW 7 Nr.2a, Wagner gold 1856. Die Kosten für die Medaillenprägung betrugen immerhin 113 fl40 kr. 142 BayAkadW, Personalakt Moritz Wagner. UAM, 0-1-42. 7 Smolka

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mit einem Jahresgehalt von 800 t1. ernannt. Das waren nur 100 fl mehr, als die jährlichen Zuwendungen an ihn vor der Reise nach Zentralamerika betragen hatte, oder der gleiche Betrag, wie er ihn schon über Jahre bis 1856 vom Verlagshaus Cotta empfangen hatte, aber auch rund 400 bis 600 fl weniger als die durchschnittlichen Gehälter der Professoren an der Münchner Universität. 143 Ein bescheidenes Gehalt, das aber immerhin ausreichte, um ihm seine weitere wissenschaftliche Tätigkeit zu sichern. 1868 wurde sein Gehalt auf 1.000 fl erhöht, 1872 sind es 1.400 fl, und 1881 berechnet sich sein Jahressalär immerhin auf 4.080 Mark.l 44 Dennoch blieben die bescheidenen Verhältnisse im Personal- wie auch im Verfügungsetat dieser Institution über Jahrzehnte eine bestimmende Eigenheit. Mit Entschließung vom 3. Mai 1862 wurde Wagner Honorarprofessor der Philosophischen Fakultät der LudwigMaximilians-Universität "mit der Berechtigung Vorlesungen aus dem Gebiet der Ethnographie und Geographie zu halten" .145 Nur wenig später folgte die Ernennung zum außerordentlichen Mitglied der mathematisch-physikalischen Klasse der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Diese Zuordnungen im Bereich von Universität und Akademie machen deutlich, daß Wagner und mit ihm die von ihm nun in München erstmals "verwaltete" Ethnographie der geographischen Wissenschaft und damit den Naturwissenschaften allgemein zugeordnet wurden. Wagners Aufgabe als Konservator bestand zunächst darin, den Gegenstand seiner künftigen Fürsorge zu gestalten: die ethnographische Sammlung im eigentlichen Sinne bestand 1862 ja noch gar nicht, sondern existierte nur in diversen Fragmenten. Dieser ersten Gestaltungsaufgabe widmete sich Wagner zunächst mit viel Fleiß, und wenn auch sein Biograph Ratzel später mit Recht feststellte, daß Wagner im Grunde das ethnographische Museum, wie es später heißen sollte, "nicht wissenschaftlich ausgenützt und auch nicht eingreifend wissenschaftlich geordnet" habe, so war es doch sein Verdienst, daß im wesentlichen nach seinen Vorschlägen und Anträgen eine Zusammenführung unterschiedlichster Sammlungen zu einer eigenständigen ethnographischen Sammlung begonnen hatte. 146 Als Kristallisationspunkt der ethnographischen Sammlung(en) 1862 ist die in zwei Zimmern im "Wilhelminum", der alten Akademie, untergebrachte 143 Nach Stichproben in Personalakten in UAM sowie nach den Verhandlungen der Abgeordnetenkammer 1859/61, Bd.3. 144 BayAkadWiss, PA Moritz Wagner. Ein Vergleich: Der 1886 zum ordentlichen Professor für Anthropologie berufene Johannes Ranke bezog ein Anfangsgehalt von 4200 Mark (UAM, Sen. 238). 145 UAM, 0-1-42, und im Personalakt Moritz Wagner, E-II-379. 146 Ratzei, Wagner 536. Zur Sammlungsgeschichte vgl. ausführlicher bei Gareis.

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Brasiliensammlung von Spix und Martius zu betrachten. Diese wurde bisher vom Adjunkten der benachbarten zoologischen Staatssammlung, Dr. Adam Kuhn,147 mitbetreut und fristete als Teil der Vereinigten Sammlungen ein staubiges Dasein. Kuhn blieb bis zu seiner Pensionierung 1877 Wagner noch als Mitarbeiter in dieser Funktion erhalten. Für Wagner galt es nun, die vorhandenen Ethnographica grundlegend neu zu organisieren und ihnen gegenüber den anderen Kunstsammlungen und wissenschaftlichen Sammlungen des bayerischen Staates ein Eigenleben zu verschaffen. Eine seinem Amte entsprechende selbständige Tätigkeit konnte Wagner allerdings erst ab 1867 entfalten. In diesem Jahr wurde der 1853 von Maximilian gefaßte Plan eines eigenständigen Museums für mittelalterliche Kunst in die Tat umgesetzt und in dem ursprünglich für das Taubstummeninstitut bestimmten Gebäudekomplex an der Maximilianstraße das Bayerische Nationalmuseum eröffnet. 148 Zur Bildung dieses Museums waren die Vereinigten Sammlungen aufgelöst und die wesentlichen Bestandteile aus den Räumen der Hofgartenarkaden entfernt worden. Nach Verfügung des Innenministeriums sollten nun die freiwerdenden Räumlichkeiten im Galeriegebäude der nördlichen Hofgartenarkaden zur Errichtung eines "Ethnographischen Museums" verwendet werden. 149 Dazu waren die Sammlung Spix und Martius mit den altnordischen und "mexikanisch-indischen" Gegenständen des AntiquariumsiSO zu vereinen; die chinesisch und indisch-chinesische Sammlung aus dem Nachlaß Ludwigs I. waren als dessen Eigentum zu kennzeichnen und unter der Obhut des Konservators der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ebenfalls wurde die bereits im Galleriegebäude ausgestellte Sammlung Siebolds japanischer Gegenstände integriert. Damit war in allen wesentlichen Punkten jenen Anträgen gefolgt worden, die Wagner zuvor an Innenministerium 151 und Generalkonservatorium 147 BayAkadW, Personalakt Adam Kuhn. 148 Vgl. Heydenreuther 263-271; sowie I.Bauer 1-38. Das ursprünglich als Taubstummenanstalt konzipierte Gebäude befand sich bereits im Bau und wurde nun nach einem neuen Plan vollendet (nicht, wie bei Gareis 53 Anm. 46 genannt, abgerissen). 149 BayHStA, MK 14423. Aus der Forschung ist bislang über die Auflösung der Vereinigten Sammlungen nur wenig zu erfahren; vgl. daher an Quellen hierzu vor allem im BayHStA die Akten zu den jeweiligen Einzelsammlungen (z.B. brasilianischethnographische Sammlung Spix und Martius, Bd. I-IV, etc), zur Zusammenlegung MK 14423, zur Nutzung des Galeriegebäudes MK 19451 (bis 1867) und MK 19452. 150 Die Antikensammlung wurde, bestehend aus Teilen der wissenschaftlichen Sammlungen bzw. Sammlung von Altertümern aus der Hofhaltung 1807 der Verwaltung der Akademie der Wissenschaften als Attribute zugewiesen und dort zum "Antiquarium" zusammengelegt (vgl. Bachmann 96 ff.) und bestanden von ihrer Herkunft her sowohl aus ethnographischen wie Kunstgegenständen und klassischen Altertümern. 151 Dem die Verwaltung der Gebäude oblag.

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D. Moritz Wagner als erster Konservator (1862-1887)

gestellt hatte. Mit der räumlichen wie organisatorischen Vereinigung der genannten Sammlungen im Galeriegebäude war erstmals eine geschlossene ethnographische Sammlung in München entstanden. Die überführten Sammlungen und Sammlungsteile unterstanden dementsprechend nicht mehr der königlichen Central-Gemälde-Galerie-Direction, sondern allein dem Generalkonservatorium der wissenschaftlichen Sammlungen des Staates. Im September 1868 wurde die neuaufgestellte Ethnographische Sammlung im Galeriegebäude erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht - das Münchner Museum für Völkerkunde war geboren.

d) Die personelle und materielle Ausgestaltung der Sammlungen Dem bisherigen Konservator der Vereinigten S3mmlungen, Georg Bumiller, war durch die Auflösung dieser Sammlungen die Grundlage seiner Arbeit entzogen worden. Daher hatte er bis zu einer weiteren Verwendung bei der ethnographischen Sammlung zu verbleiben, was jedoch nicht sehr lange währte. Wagner wie das Generalkonservatorium wie auch der Altphilologe Wilhelm Christ, Konservator des Antiquariums, erachteten die Person Bumillers als durchaus entbehrlich, da er nach deren Aussage weder die Qualifikation noch die "entsprechende Neigung" für die Sammlungen besaß; man fand für ihn bald eine Stelle am Nationalmuseum. 152 Denn die nun zu betreuenden Ethnographica, welcher indifferenten Provenienzen sie auch immer sein mochten, waren endgültig von Kuriositäten oder bestenfalls Kunstgegenständen zu Objekten einer wissenschaftlichen Sammlung avanciert. Dementsprechend tauchte ab dem Wintersemester 1864/65 die ethnographische Sammlung auch im Personalverzeichois der Ludwig-Maximilians-Universität auf - gleich unter der Kreis-Irrenanstalt - in der Rubrik "Institute und Sammlungen des Staates u.s.w., welche, ohne unmittelbare Attribute der Universität zu sein, den Unterrichts- und Bildungszwecken dienen" .153 Die Berechtigung für diese Notiz hatte sich die Sammlung erworben, da sie Attribut der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und ihr Konservator als Honorarprofessor Mitglied der Universität war. 154 Weitergehende Folgen für den 152

BayHStA, MK 14423, Bericht vom 22. August 1868. 153 Amtliches Verzeichnis des Personals, der Lehrer, Beamten und Studirenden an der königlich bayerischen Ludwig-Maximilians-Universität zu München. Wintersemester 1864/65, S.21. 154 Daß die Ernennung Wagners zum Honorarprofessor nicht reiner Gnadenakt, sondern echte Anerkennung seiner Leistungen war, zeigt der Fall seines designierten Novara-Getährten Max Gemminger: nur wenige Tage nach der Ernennung Wagners war ein gleicher Antrag für Gemminger (Initiator unbekannt) von der Philosophischen Fakultät nach einem negativen Votum von Siebold und Beraz abgelehnt worden. Er hätte genügend Zeit zur Habilitation gehabt und diese nicht genutzt, seine Fauna boica sei auch noch nicht fertig, etc. (UAM, E-II-450, Personalakt Max Gemminger).

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Lehrbetrieb der Universität sollte dies aber in den nächsten Jahrzehnten, wie noch zu zeigen sein wird, keineswegs zeitigen. Dem Status als wissenschaftliche Sammlung kam neben einem eigenen Konservator noch die Mitarbeit des schon erwähnten Zoologen und bisherigen Adjunkten der zoologischen Staatssammlung, Dr.Adam Kuhn, zugute. Er war zwar nur zur Mitarbeit bei der ethnographischen Sammlung angewiesen, was von seiner Seite auch erfüllt wurde, aber in den Personallisten der wissenschaftlichen Sammlungen des Staates rangierte er nun als Adjunkt der ethnographischen Sammlung und fungierte bei der zoologisch-zootomischen Sammlung nurmehr als Präparator. Damit hatte die ethnographische Sammlung in den ersten Jahren ihres Bestehens ein Personalpolster, das sie zumindest optisch dem großen Teil der anderen wissenschaftlichen Sammlungen gleich-, teilweise sogar besserstellte. 1SS Mit Blick auf Moritz Wagner hatte allerdings auch dies keine außerordentlichen Auswirkungen auf die Gestaltung der Sammlungen, denn auch mit dieser zusätzlichen wissenschaftlichen Kraft hatte Wagner die Sammlungen zwar organisatorisch in den ersten Jahren aufgebaut, vermehrt und gefestigt, jedoch keiner weitergehenden Nutzung und Bearbeitung im Sinne der Völkerkunde zugeführt; die Gründe dafür werden ebenfalls noch aufzuzeigen sein. Dieser Vorwurf als solcher ist in sich zwar berechtigt, aber er ist nicht allein zur Begründung eines mangelnden Engagements für die Sache der Völkerkunde heranzuziehen. So lassen sich anband der äußerst ungenügenden Quellenbasis für die Amtszeit Wagners als Konservator kaum allgemeingültige sichere Aussagen über eine feste Konzeption des ethnographischen Museums, also den theoretischen Hintergrund der Ausstellungen machen. 1S6 Dennoch kann man mit Vorbehalt zwei Grundpfeiler in Wagners museumstechnischem Denken ausmachen: Einmal wollte er das Museum als wissenschaftliche Sammlung beurteilt wissen,IS7 was seinem ganzen Streben der letzten Jahre voll entsprechen würde, zum anderen betonte er wohl den handelspolitischen und damit vielleicht auch kunstgewerblichen Charakter, was ebenfalls seinen Intentionen von Länder- und Völkerkunde, wie er sie etwa bei seiner

ISS So waren etwa die Physiologische, die Vergleichend-anatomische, die Paläontologische, Mineralogische und die Geognostische Sammlung oder auch das Physiologische Institut gleichermaßen personell besetzt; die Mathematisch-physikalische Sammlung, das Antiquarium oder die Sternwarte waren zu dieser Zeit minderbesetzt. 156 Da die Museumskonzeption bei Gareis zentrales Thema ist, hat sie zwangsläufig 49 ff. trotz schmaler Quellenbasis den Versuch unternommen und kommt m. E. durchaus zu akzeptablen Schlüssen, die inhaltlich hier durch die übrige Darstellung Wagners bestätigt werden. 157 Gareis 51 beruft sich dabei vor allem auf Äußerungen Wagners gegenüber Liebig (BSB, Liebigiana II B).

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Rückkehr aus Amerika 1859 geäußert hatte, entsprechen würde. 158 Eine intensivere Arbeit für und mit den Sammlungen dürfte sich - nach einer relativ geschäftigen Autbauphase - wohl ab 1870 nicht nur wegen seiner Hinwendung zu den entwicklungsgeschichtlichen Fragen, sondern auch wegen der gesundheitlichen Folgen eines Unfalls erschwert haben, aufgrund derer er seine persönliche Anwesenheit im Museum einschränken mußte. Ganz beachtliche Schwierigkeiten ergaben sich für den neuen Konservator auch durch eine permanent schlechte Etatisierung der Sammlung. Die bislang relativ günstige personelle Situation endete endgültig 1877 mit der Pensionierung Kuhns. Von diesem Zeitpunkt an verblieben Wagner nur noch zwei Museumsdiener, ausgemusterte Gendarmen und Soldaten, die für einige Stunden in der Woche zur Verfügung standen und ob ihrer mangelnden Ausbildung neben Aufsichtstätigkeiten in den Öffnungszeiten nur noch einfache Handlangerdienste verrichten konnten. Selbst diese beiden Mitarbeiter "gehörten" ihm nur zur Hälfte, da sie auch im Antiquarium noch Dienste zu verrichten hatten. Die so skizzierte personelle Situation sollte bis an das Ende von Wagners Amtszeit festgeschrieben bleiben, bedarf also bis dahin keiner besonderen Erwähnung mehr. 159 Ähnlich verhält es sich mit dem Verfügungsetat, also dem Sachhaushalt der ethnographischen Sammlung. Dieser erhöhte sich zwar in den ersten Jahren laufend, bis er eine Summe von 1000 fl erreicht hatte, wurde zum Ankauf der Siebold-Sammlung nochmals auf 1.100 fl aufgestockt, verharrte dann aber auf diesem Stand. 160 Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln waren die anstehenden Aufgaben jedoch nicht annähernd zu lösen. Der Ankauf von Sammlungen allein hätte den Haushalt des ethnographischen Museums restlos aufgezehrt: allein die erste Rate für den Ankauf der Siebold-Sammlung 1874 belief sich auf die Summe des gesamten Verfügungsetats, weshalb das Generalkonservatorium nicht umhin konnte, diese und auch alle folgenden Raten nicht dem laufenden Haushalt der Sammlung zu belasten. 161 Es handelte sich hierbei um Sammlungsteile aus dem Besitz Philipp Franz von Siebolds, die nicht ins Leidener Ethnographische Museum verbracht worden waren, sondern als Leihgabe in München ausgestellt wurden. Bereits 1865 hatte sich 158 Gareis 56-61 betont dabei allerdings den besonderen Einfluß der Weltausstellungen, den sie m. E. überschätzt. Daß sie sich dabei fast allein auf einen ausführlichen anonymen Artikel in der AZ von 1868 anläßlich der Museumseröffnung stützt, ist methodisch bedenklich, da er ja nicht aus der Feder Wagners stammen oder unbedingt seine eigene Meinung wiedergeben muß. 159 Vgl. BayHStA, MK 14424, Ethnogr. Museum, Dienerstellen Bd. I, 18671933. 160 BayHStA MK 14423. 161 Zu den Erwerbungen für die ethnographischen Sammlungen unter Moritz Wagner vgl. BayHStA MK 19453 - 19455.

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Wagner mit Liebig in Verbindung gesetzt, um die Sammlung japanischer Gegenstände, welche zu diesem Zeitpunkt noch in Würzburg lagerte, nach München holen zu können. 162 Jedoch gelang es erst nach Jahren und trotz der Genehmigung Ludwigs 11. für den Ankauf wegen Verweigerung der Mittel durch den Landtag, die Sammlung zu erwerben. 163 Trotz des bescheidenen Etats gelang es Wagner immer wieder, ergänzende Bestände zu erwerben, teils durch die Zusammenführung schon im Staatsbesitz oder in der Hotbaltung vorhandener Bestände (1868 die "Erlanger" Sammlung, 1869 die "Abteilung VIII.", ostasiatische Sammlungen aus Ludwigs I. Privatbesitz, 1874 die durch Ludwig 11. angekaufte Sammlung des Chevalier de Grez), teils durch Ankauf weiterer Privatsammlungen, wie etwa der von Xaveria Berger164 oder Sammlungsteilen aus dem Besitz der Schlagintweits, jener weltberühmt gewordenen Reisenden durch Hochasien. 165 Besonders Hermann, der älteste der Bruder, entfaltete eine äußerst rege und populäre Vortrags- und Reisetätigkeit, die ihm nicht nur den persönlichen Adel, sondern noch zahlreiche andere Ehrungen im In- und Ausland einbrachte. 166 Während sich Martin Haug, Indologe und ab 1868 auf dem Sanskrit-Lehrstuhl der Münchner Universität, vergeblich um einen Erwerb der gesamten Sammlungen durch den bayerischen Staat bemühte, konnte Wagner immerhin 49 ausgewählte Stücke daraus für das ethnographische Museum erwerben. 167

162 Dazu Wagner an Liebig über die Besichtigung der Sammlung, vom 1.1.1865, in: BSB Liebigiana 58. Siebold war nach erneutem melujährigem Aufenthalt in Japan 1864 wieder nach Würzburg, 1866 nach München zurückgekehrt. 163 Vgl. dazu mit Einzelheiten H.Körner, Wü.rzburger Siebold 475 f. 164 Xaveria Berger, Oberin der Englischen Fräulein im indischen Patna, befand sich auf einer Werbe- und Bettelreise durch Bayern für ihr Institut in Indien. Dabei hatte sie auch eine Sammlung indischer Gegenstände veräußert. Interessant ist die bei Gelegenheit ihrer Vorträge entstandene Schrift "Warum ist die Oberin von Patna aus Indien nach Europa gekommen" für das selbst für diesen Zeitraum frappierende Unverständnis des Ordens für fremde Kulturen. 165 Adolf (1857 in Kaschgar ermordet), Hermann und Robert Schlagintweit hatten von ihren Reisen in Indien und dem Himalayagebiet sehr umfangreiche Sammlungen mitgebracht, die erst 1877 mit Erlaubnis Ludwigs 11. in der Nürnberger Burg untergebracht werden konnten. Zu den Brüdern und ihren Reisen vgl. Müller! Raunig; besonders H.Körner, Brüder Schlagintweit 11-75. 166 Zu den Sammlungen vgl. von ihm den Bericht vor der Bayerischen Akademie der Wissenschaften: Hermann von Schlagintweit-Sakülünski: Berichte der ethnographischen Gegenstände unserer Sammlung in der k. Burg zu Nürnberg. München 1878. Sein Hauptwerk: Reisen in Indien und Hochasien. 4 Bde. Jena 1869-1880. 167 Martin Haug (1827-1876), seit 1868 erster ordentlicher Professor für Sanskrit und vergleichende Sprachwissenschaften in München. Vgl. zur Sammlung H.Körner, Brüder Schlagintweit 11-75.

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So hoffnungsvoll der anfangs rasch fortschreitende Ausbau der Sammlungsbestände, der immer wieder aus Sondermittein des Etats des Generalkonservatoriums unterstützt werden mußte, auch wirken mochte, letztendlich stellten die räumlichen Verhältnisse das größte und offensichtlich kaum zu überwindende Hindernis dar, den Erwerbungen nun auch ein würdiges und nützliches Heim zu bieten. Die Unterkunft der Sammlung im Galeriegebäude hatte einen ausgesprochenen Provisoriumscharakter; die Schränke, in denen die Sammlungsgegenstände verwahrt werden mußten, wurden von Wagner als völlig ungenügend und ungeeignet empfunden, ebenso das Licht- und Raumangebot. Daß keiner der Räume zu beheizen war, entpuppte sich natürlich besonders in den Wintermonaten als eklatanter Mangel, der eine Arbeit in der Sammlung unmöglich machte. Als man Wagner dann auch noch sein bisheriges Arbeitszimmer im Akademiegebäude wegnahm (dort herrschte ebenfalls akuter Raummangel), zog sich dieser schließlich für die Winterzeit ganz aus den Sammlungräumen in seine eigene Wohnung in der Barer-, später in der Maximilianstraße zurück. Aus eigenen Mitteln konnte die Sammlung diesen Mängeln kaum abhelfen, und die Zusicherungen des Generalkonservatoriums, zumindest den gröbsten Mängeln entgegenzuwirken, erwiesen sich als fruchtlos. 168 Bezüglich der baulichen Unterbringung der ethnographischen Sammlung hatte Moritz Wagner schon nach wenigen Jahren resigniert, was ihm nicht weiter schwergefallen war, da er sein Augenmerk ohnehin bald auf ganz andere Betätigungsfelder in weitgehender Unabhängigkeit von den Sammlungen richtete. So blieben Fragen der Unterbringung und auch der Aufstellung fast unverändert seinem späteren Nachfolger als Erblast erhalten.

e) Die Sammlung in den Augen von Publikum und Wissenschaft Trotz aller bereits geäußerter Kritik an seiner Tätigkeit für die Sammlungen hatte Moritz Wagner in den Anfangsjahren immerhin einen recht beachtlichen Erfolg als Mehrer des ethnographischen Museums aufzuweisen. Kennzeichnend für diese Tätigkeit war allerdings die Tatsache, daß die Vermehrung vor allem durch Eingliederung, Umorganisation und Ankauf vorhandener Sammlungen zustande kam und in keinerlei Verbindung mehr stand mit eigenen Forschungs- oder Sammelreisen des Konservators. Weniger diese Art der Vermehrung als vielmehr deren inhaltliche Komponente hatte das Museum aber schon sehr früh auf einen Schwerpunkt festgelegt, welcher über Jahrzehnte immer wieder Anlaß zu wichtigen Personalentscheidungen geben würde: den der asiatischen Sammlungen. Eine Entscheidung darüber, ob diese Ausrichtung eher dem Zufall oder bereits vorgegebenen Konstellationen in 168 Allgemein zur baulichen Situation der Sammlung in den Hofgartenarkaden vgl. BayHStA MK 14423 und MK 19452.

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München zuzurechnen sei, ist nur schwer zu treffen, da zwar einerseits durch die Sammmeltätigkeit des bayerischen Herrscherhauses aus den aufgelösten Sammlungen eine Vielzahl an Asiatica aufgenommen worden war, auch zur Amtszeit Wagners solche noch zahlreich durch königliche Munifizenz erworben wurden, andererseits aber auch das geistige Umfeld schon durch die traditionelle Münchner Orientalistik solche Ankäufe präjudizierte. 169 So hatte zumindest für den asiatischen Bereich die Münchner ethnographische Sammlung einen respektablen Bestand aufzuweisen, ähnlich wie für die amerikanische "Abteilung", die genährt worden war von der Sammlung Spix und Martius, aber auch aus der vormaligen Reisetätigkeit des Konservators. Um so bedauerlicher ist deshalb die Feststellung, daß diese Sammlungen kaum Beachtung fanden, weder beim Laienpublikum noch bei der Gelehrtenschaft. Sogar vom Konservator Wagner selbst in dessen Eigenschaft als Honorarprofessor an der Münchner Universität wurden sie kaum zur Benützung herangezogen; ganze zweimal in seiner gesamten Vorlesungstätigkeit hatte Wagner Veranstaltungen im Zusammenhang mit der ethnographischen Sammlung angekündigt. 170 Auch von der übrigen Münchner Gelehrtenschaft ist kaum eine Kenntnisnahme der Sammlung überliefert; ebenso fehlte an der Universität jegliches Lehrangebot, das eine Benützung der Sammlung nach sich gezogen hätte. Das Erscheinen der ethnographischen Sammlung im Vorlesungs- und Personalverzeichnis der Universität täuscht also über deren völlig autarke, wenn nicht gar autistische Existenz ohne Beziehung zum Lehrund Forschungsbetrieb hinweg. Als einzige Ausnahme hierin ist ab Beginn der 1870er Jahre der Geograph Friedrich Ratzel zu nennen, dessen Person an späterer Stelle noch einer Behandlung bedarf. Freilich waren aufgrund der mißlichen Verhältnisse, unter denen die Sammlungen existieren mußten, die Anreize zu einem Besuch oder gar zur Benützung recht gering. Ebenso gering war also auch die Resonanz der übrigen Öffentlichkeit auf die neue ethnographische Sammlung in München; Presseberichte über sie gibt es nur zu einigen wenigen besonderen Gelegenheiten zu vermerken. Auch seitens des Konservators ist wenig Engagement zur Verbesserung dieser Situation aktenkundig geworden; die knappen Öffnungszeiten während der Woche schienen ihm durchaus zu genügen, Anträge seinerseits auf Verlängerung der Öffnungszeiten sind nicht überliefert. Mögen auf 169 Zur Münchner Orientalistik in Forschung und Lehre vgl. neben den philologischen Aspekten des 19. Jahrhunderts eben auch den der fürstlichen Sammlertätigkeiten in dieser Richtung, die nicht einfach vom Klassizismus verdrängt worden war, sondern in Konkurrenz dazu weiterbestand. 170 Dies dazu noch recht spät: im SS 1883 ("Länder- und Völkerkunde mit Demonstrationen im ethnographischen Museum"), und im SS 1885 ("Vorträge mit Demonstrationen im ethnographischen Museum").

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der einen Seite die mangelnden Rahmenbedingungen und damit eine mangelnde Ausstrahlungskraft der ethnographischen Sammlung Grund für öffentliches Desinteresse gewesen sein, so ist anderseits auch in Betracht zu ziehen, daß im Münchner Kulturmilieu das Interesse an fremden Kulturen sich weitestgehend kunstgeschichtlich orientierte. Anreize, wie sie von großen Forschungsreisen ausgehen, an denen eine ganze Stadtgemeinschaft Interesse findet (etwa Berlin), oder ganz konkrete handelspolitische (Hamburg, Bremen) oder kolonialpolitische Motive (wiederum Berlin) waren in der bayerischen Residenzstadt nicht zu verzeichnen - wie auch hier noch zusammenfassend gezeigt werden muß. Daran konnten auch die mit exotischem Interesse aufgenommenen Vorträge verschiedener Forschungsreisender in München wenig ändern. Inwieweit also eine Erhöhung von Wagners Engagement zugunsten einer intensiveren Öffentlichkeitsarbeit in München überhaupt auf fruchtbaren Boden gefallen wäre, bleibt dem Bereich der Spekulation überlassen. 171 Zumindest nach der Jahrhundertwende sollte eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit unter Direktor Scherman kräftig Früchte tragen, wenn auch unter den veränderten klimatischen Bedingungen einer wachsenden Kulturmetropole und unter anderen Bedingungen des Münchner Wissenschaftsbetriebes. So muß konstatiert werden, daß der während der Amtszeit Moritz Wagners nach den ersten Jahren erreichte Status quo der ethnographischen Sammlung im Galeriegebäude im wesentlichen erhalten blieb, sowohl was Art, Zahl und Aufarbeitung der Objekte wie auch die Örtlichkeiten angeht: die wenigen Besucher hinterließen nach wie vor kleine Schneehäufchen in den unwirtlichen Ausstellungsräumen in den Hofgartenarkaden. Mit bemerkenswerter Kenntnis des Sachverhaltes schildert gegen Ende von Wagners Tätigkeit der Däne Kristian Bahnson den Zustand des Münchner ethnographischen Museums in seinem Museumsführer von 1886: "Unter den übrigen deutschen Sammlungen nimmt München eine hervorragende Stellung ein. Auf einem Gebiet steht es sogar in erster Reihe, indem seine Hauptabtheilung in der vortrefflichen Sammlung besteht, die SIEBOLD von seinem zweiten Aufenthalt in Japan heimgebracht und die 1872 [sic] von dem bayerischen Staat erworben worden ist. Daran schließen sich gute Serien aus Indien und China an, ferner zahlreiche ethnologische Gegenstände aus Südamerika, von SPIX und MARTIUS heimgebracht, und mehrere seltene Stücke aus der Südsee. Augenblicklich ist die Thätigkeit des Museums seiner ökonomischen Verhältnisse halber nicht gerade hervorragend. Einzelne größere Vermehrungen, z.B. werthvolle Sammlungen aus Borneo und von Bali, stammen indessen aus neuerer Zeit, durchschnittlich aber waren diejenigen ethnographischen Gebiete, die auch in 171 Allenfalls noch einer methodisch anders orientierten Untersuchung als dieser. Mit Recht bemerkt Gareis 55, München sei zu dieser Zeit ein "Notstandsgebiet" der Ethnographie gewesen.

3. Der Naturforscher Moritz Wagner

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anderen Sammlungen erst seit kurzem vertreten sind, z.B. Afrika, im Jahre 1886 dort kärglich vorgeführt. "172

3. Der Naturforscher Moritz Wagner im Spannungsfeld sich ausformender Fachwissenschaften

a) Die Professur für Länder- und Völkerkunde an der Universität München Mit der Zwangsquieszierung Karl Friedrich Neumanns im Oktober 1852 war dessen Lehrstuhl für Länder- und Völkerkunde an der Universität München vakant geworden. 173 Ohnehin als persönliches Ordinariat auf Maßgabe König Ludwigs I. eingerichtet, blieb der Lehrstuhl sieben Jahre lang unbesetzt, bis er wieder auf ähnliche Weise wie bei Neumann zu einem neuen Vertreter kam: Mit Dekret Maximilians 11. wurde Franz Löher 1859 ordentlicher Professor für "die allgemeine Literaturgeschichte, dann der Länder- und Völkerkunde" an der Universität München ernannt. 174 Obgleich Löher schon seit 1855 als Honorarprofessor an der juristischen (!) Fakultät175 nominell mit der Münchner Universität verbunden war, bezog er sein Gehalt doch als wissenschaftlicher und literarischer Sekretär des Königs aus der Kabinettskasse. Dieses betrug allerdings nur 1 200 fl, eine relativ bescheidene Summe für jemanden, der eine Familie zu versorgen hatte, und ein Betrag also, den es möglichst aufzubessern galt. Seine bisherige publizistische Tätigkeit setzte er deshalb weitgehend fort, aber auch durch seinen König erhielt er Unterstützung in dem Bestreben, an der Universität München eine ordentliche Professur zu erhalten, allerdings nicht in der juristischen Fakultät, wo dies von vorneherein aussichtslos war, sondern in der philosophischen. 176 Dazu versuchte er, sich auf dem Gebiete der Literaturgeschichte durch einschlägige Publikationen wissenschaftlich auszuweisen; auf seine Förderung der Länderund Völkerkunde im Rahmen seiner Arbeit bei der wissenschaftlichen Kommission ist schon hingewiesen worden. Nachdem ein erster Versuch Maximilians zur Errichtung einer Professur für Geographie an der Universität fehlge172 Bahnson 118. Der Aufsatz des Dänen erschien erstmals 1887 in der Kopenhagener Zeitschrift Aarboger for nord. Oldk. og Historie unter dem Titel Ethnograjisker Museet in Udlandet und wurde wegen seiner Bedeutung von der Wiener Anthrop. Gesellschaft übernommen. In Ermangelung zeitgenössischer anderer Führer solcher Art gebührt ihm etwa eine Stellung wie die der Führer von Meusel und Hirsching (vgl. hier 25, Anm. 53). 173 UAM E-II-493, Personalakt Friedrich Neumann. Vgl. auch zu den näheren Umständen bei Rall, Neumann 206 ff.; Dickerhof, Neumann 289-335. 174 UAM E-II-485, Personalakt Franz Löher, MinstDekret vom 18.12.1859, mit Gehalt vom 16.12.1859. 175 Dekret vom 9.10.1855: UAM E-II-485, Personalakt Franz Löher. 176 Dazu vgl. Hüser 103 ff.

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schlagen war,l77 konnte der Monarch 1859 endlich eine Professur für Länderund Völkerkunde zugunsten Löhers durchsetzen, die mit 1. 700 fl dotiert war. 178 Damit war Löher in die, wenn auch nicht unmittelbare, Sukzession von Neumann getreten, was er auch durchaus so verstand. 179 Die Tradition zum Neumannschen Lehrstuhl war aber nicht nur in der Benennung als Nominalfach wieder aufgenommen worden, auch dessen erneute Fixierung als persönliches Ordinariat unter Umgehung der üblichen Qualifikationsmerkmale weist Parallelen zu Neumann auf: zwar hatte sich Löher im Gegensatz zu Neumann bereits in Göttingen als Jurist(!) habilitiert, doch wurde er der philosophischen Fakultät ohne Umhabilitierung und ohne deren Mitwirkung vom König aufgezwungen. Aus Sicht der Philosophischen Fakultät lag keinerlei Bedarf für die Vertretung dieses "Faches" in einem Ordinariat vor; die Professur diente nur einer besseren Versorgung Löhers nach Maßgabe des Königs, in dessen unmittelbaren Diensten er auch weiterhin stand. Damit zählte er zu jenen, die "zwar im Anfang ihr Gehalt aus der Kabinettskasse bezogen, später aber der Hochschule nicht nur als Zierde und Geschenk, sondern auch zur Bezahlung überwiesen wurden". 180 Das Scheitern eines ersten Versuchs König Maximilians, für Löher eine Professur für Geographie an der Universität zu installieren, ist im Zusammenhang mit der Stellung des Faches als einer Hilfswissenschaft der Geschichte zu sehen. Zugunsten vordringlicher Bedürfnisse der Fakultät aber war dieses Fach bisher immer gegenüber anderen "Hilfswissenschaften", wie etwa der bayerischen Geschichte, in den Hintergrund gedrängt worden. Der Bedarf für die Geographie lag in der Philosophischen Fakultät sowieso zunächst immer noch und nur im Rahmen des Studiums der Allgemeinen Wissenschaften. Die Tatsache, daß später geographische Studien zudem bereits ab 1868 im Rahmen der Allgemeinen Wissenschaften an der Polytechnischen Schule (ab 1877 Technische Hochschule) in München ermöglicht wurden, hatte die Fakultät veranlaßt, solche dort absolvierte Studien für die Prüfungen an der Universität zuzulassen und die Geographie als Nebenfach bei Promo177 Nach Hüser 104; allerdings ohne nähere Quellenangaben dazu. 178 UAM E-II-485, Personalakt Franz Löher, AhDekret vom 16.12.1859. Dazu erhielt Löher für seine im Nebenamt weiterversehene Tätigkeit als literarischer Sekretär weitere 200 fl aus der Kabinettskasse. 179 In einem Gutachten vom 11.1.1875 gibt er sich explizit als Nachfolger Neumanns. Vgl. UAM 0-1-55 und bei Dickerhof-Fröhlich Anm. 569. 180 Felix Dahn: Erinnerungen aus meinem Leben, 3 Bde. 1891-1895, Bd.3, 274, hier zit. n. Hüser 105, Anm.126. Wie auch schon Hüser bemerkt, kann über die Tätigkeit Löhers als akademischer Lehrer mangels Überlieferung keine Aussage gemacht werden.

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tionen in Geschichte anzuerkennen. 181 An der Universität selbst war zwar nicht die physische Geographie, dafür aber die Länderkunde zuerst als Statistik, dann als Länder- und Völkerkunde in die Studienordnungen von 1827 und dann auch von 1838 eingegangen, wo sie zuletzt als "Kenntnis des gegenwärtigen Zustands der Länder und Völker" für die Verbindung zu den Staatswissenschaften zu sorgen hatte. 182 Damit war auch diese eine historische Hilfswissenschaft, bis sie als Teil eines selbständigen Faches Geographie aus der Abhängigkeit der Geschichtwissenschaften entlassen wurde; ein wichtiger Vorgang, der erst im Gesamtzusammenhang und gegen Ende der eigenen institutionellen und disziplinären Abgrenzungen der Münchner Völkerkunde klar erkennbar wird. Moritz Wagners Auffassung vom Wesen der Länder- und Völkerkunde war die, "daß diese Wissenschaft nicht allein die descriptive Naturgeschichte bereichert, sondern auch für die Zeitgeschichte und die wichtigsten Fragen der Staatsökonomie ... und des internationalen Verkehrs von besonderer Bedeutung ist. "183 Neben der Staatswissenschaft (als Statistik) hatte also auch die Naturgeschichte ihren Platz in Wagners Länder- und Völkerkunde, ja sogar die physische Geographie subsumierte er darunter. Um so berechtigter schien ihm eine Anwartschaft auf Neumanns vakanten Lehrstuhl mit dessen ganzer Universalität zu sein: "Offen gestehe ich", bekannte Wagner in einem Schreiben an Kabinettssekretär Franz Seraph von Ptistermeister, "daß schon seit Neumann ... der Lehrstuhl dieser Wissenschaft der Gegenstand meines ganzen Strebens, das Ziel all meiner Wünsche war." earl Ritter, Alexander von Humboldt und Hammer-Purgstall selbst hätten ihn bereits 1856 dem König für diese Stelle empfohlen, und "Thiersch , mein wahrlicher Freund, ... Fallmerayer und Löher selbst munterten mich dazu auf und gaben mir bei der Abreise l84 die besten Hoffnungen. "185 Hatte Wagner wiederum seine alten Empfehlungen angeführt, so schien er auch zu Neumann selbst gute Kontakte zu pflegen. Möglichkeiten dazu hatten sich ja bisher genug geboten, waren doch beide mit einer Reihe gleicher Interessen versehen: der eine als zum Protestantismus konvertierter Jude, der andere als nicht mehr in der Kirchengemeinschaft stehender Protestant, hatten sich beide in die Richtung eines religiösen Freigeistes bewegt, und auch ihre 181 Dickerhof-Fröhlich 106 f. 182 Ausführlich mit den Entwürfen und Voten der Philosophischen Fakultät sind die StudienQrdnungen dokumentiert bei Dickerhof, Studiengesetzgebung; eine chronologische Ubersicht für die erste Hälfte des 19. Jhs auf Seite 18. 183 GHA 78-3-134, NL Max 11., Wagner an Maximilian, Göttingen 3.10.1859. 184 D. h. im Oktober 1857 nach Süd- und Mittelamerika. 185 GHA 78-3-134, NL Max 11., 28-12-7, Wagner an Pfistermeister, München 3.5.1860.

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bürgerlich-liberale Einstellung war nicht zu übersehen. Allerdings betonte Wagner, daß Neumanns "radikaler politischer Standpunkt so ganz meinen streng monarchischen Grundsätzen entgegengesetzt ist", eine Bemerkung, welche zu dieser Zeit sicherlich einem angebrachten Opportunismus entsprungen sein könnte, aber tatsächlich zu den Grundsätzen Wagners gehörte, jedenfalls solange Maximilian 11., den er tief verehrte, auf dem Thron saß. Wagner hatte mit seiner Einschätzung von Neumanns radikalem Geist sicher ins Schwarze getroffen, qualifizierte dieser doch seinerseits den "Naturwissenschaftler" Moritz Wagner gnadenlos als zur Gruppe der "Regierungsprotestanten und charakterlosen Opportunisten" gehörend ab. 186 Doch die gemeinsame Beschäftigung mit der Länder- und Völkerkunde in all ihren Schattierungen führte beide auch wieder zusammen, vor allem konnte Wagner aus seinem reichen Erfahrungsschatz zu den Arbeiten Neumanns an dessen "Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika" beitragen, an der er vor seiner Übersiedelung nach Berlin arbeitete. 187 So ist es durchaus glaubhaft, wenn Neumann nach Wagner erklärt haben soll, "man kann für den erledigten Lehrstuhl keinen passenderen Gelehrten finden als den Dr. M. W. "188 Auch berichtet Wagner in jenem Schreiben an pfistermeister von einer solchen Anfrage des Ministeriums in dieser Zeit, worauf die philosophische Fakultät mitgeteilt haben soll, er, Wagner, sei für einen "Lehrstuhl für Geographie und Ethnographie" wohl geeignet! Eine Aussage, die sich im offiziellen Aktenbestand nicht mehr nachweisen läßt,189 aber wohl in direktem Zusammenhang mit den Anregungen Löhers von 1856 zu sehen ist, eine geographisch-ethnographische Gesellschaft und eine ebensolche Anstalt in München zu errichten, ebenso wie mit den etwa zeitgleichen Bemühungen Maximilians um eine Geographie-Professur für Löher. l90 Da Löher in der wissenschaftlichen Kommission seinerzeit Wagner für die genannte geographisch-ethnographische Anstalt zum Vorschlag gebracht hatte, liegt der Schluß nahe, daß Löher selbst mit einer entsprechenden Professur an der Universität zur eigenen Versorgung gerechnet hat. Dies impliziert auch die Teilung der beiden Wirkungsgebiete: Löher als Habilitierter hatte Zugang zum Universitätslehramt, während die breite völker- und länderkundliche Erfahrung Moritz Wagners, auch nach Urteil der Kommission, eher für die Zielsetzungen einer volksbil186

BSB-H, Neumanniana 6b, Gedenkbuch V; zit. nach Gollwitzer 407. 187 Neumann lebte nach seiner Quieszierung 1852 bis 1863 in München, um dann nach Berlin überzusiedeln. Dort erschienen von ihm 1863-1865 drei Bände einer Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Vgl. Rall, Neumann 210. 188 GHA 78-3-134, NL Max 11., 28-12-7, Wagner an Pfistermeister, München 3.5.1860. 189 Dieser Vorgang läßt sich in den Akten des UAM und des BayHStA nicht wiederfmden; der Personalakt Wagners im BayHStA ist verbrannt. 190 Vgl. dazu Hüser 104.

3. Der Naturforscher Moritz Wagner

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denden Anstalt geeignet erschien, "weil geistige Tätigkeit durch sie [d. i. die Völkerkunde, d. Vf.] auch bei solchen im großen Publikum geweckt wird, welche an anderen wissenschaftlichen Anstalten teilnahmslos vorübergehen. "191 Daß man Löher schon früh in München für eine Professur in Erwägung gezogen hatte, deutet 1856 auch ein Neujahrsgruß von Akademiepräsident Thiersch an Rudolf Wagner in Göttingen an, welcher ja im Jahr zuvor Löher dem König und seiner Umgebung wärmstens und offenbar zu dessen Zufriedenheit angedient hatte: "Indem Sie Sr. Majestät den Herrn Professor Löher für die Geschäfte, die ihm nun obliegen, empfohlen, haben Sie offenbar einen guten Rath gegeben. Prof. Löher hat sich durch seine Milde, Klarheit und Besonnenheit bald allgemeines Vertrauen erworben, und, wie er eine Notabilität im geselligen Verkehr wie in der Literatur ist, so verspricht er als akademischer Lehrer eine Zierde unserer Universität zu werden. "192 Löhers Aufstieg zur "Zierde der Universität" als Professor für Länder- und Völkerkunde im Dezember 1859 hatte allerdings Moritz Wagners ganze Hoffnungen auf eben denselben Lehrstuhl dahinschmelzen lassen, denn obwohl er auch Thiersch und natürlich auch seinen Bruder Rudolf, welcher aus Göttingen immer noch Einfluß in der bayerischen Residenzstadt ausübte, als seine Förderer betrachten konnte, war er der Konkurrenz des wissenschaftlichen und literarischen Sekretärs des Königs nicht gewachsen - dies nicht nur, weil Löher bereits als gewähltes Mitglied der Akademie und als Mitglied der Historischen Kommission seine Professur antreten konnte. 193 Manche Gründe für Wagners Mißerfolge in München sind ja schon genannt worden: einmal hatte seine lange Abwesenheit aus Bayern auch seine Person deutlich gegenüber den laufenden Ereignissen in den Hintergrund treten lassen, und in der Zwischenzeit waren manche seiner wichtigsten Förderer gestorben. Wenn auch die Ablösung der eher reaktionären Ministerien von der Pfordten und Reigersberg König Maximilian veranlaßte, nunmehr "weitgehend auf ein selbständiges Vorgehen in Kunst und Wissenschaft" zu verzichten,194 so konnte dies für den ehemals durch den Monarchen geförderten, aber bereits mit Abreise nach Amerika 1856 in die Verantwortung der Wissenschaftsverwaltung übergebenen Moritz Wagner kaum der alleinige Grund für ein Aus gewesen sein, nachdem dort ohnehin durch Kultusminister von 191 BSB-H, Maureriana IV, zit. nach Hüser 104, welcher allerdings davon ausgeht, Löher habe djese Anstalten zur Selbstversorgung vorgeschlagen; die Protokolle der wissenschaftlichen Kommission scheinen dies zu widerlegen. 192 Thiersch, Leben 2,627. 193 O. Mitgl.der BayAkadWiss 28.11.1856: UAM E-II-485, Pranz Löher. 194 Nach Hüser 104 f., welcher sich hierbei allerdings nur auf die gedruckten subjektiven Erinnerungen Pelix Dahns und Riehls bezieht.

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Zwehl bis 1864 Kontinuität gewahrt war, als dessen Vertrauter Wagners Bruder Rudolf galt. Unmittelbar nachdem Wagner aus Amerika zurückgekehrt war, hatte er sich bei eben diesem Ministerium, wie aus einem Rescript vom 8. November 1859 hervorgeht, um Anstellung als ordentlicher Professor der Länder- und Völkerkunde an der Universität München beworben. 195 Am 19. November wurde Wagners Antrag von Rektor Pözl zur Stellungnahme an die Philosophische Fakultät weitergeleitet, nicht ohne zu versäumen, zuvorderst auf die Prüfung des Bedarfs und der Lehrbefähigung des Gesuchstellers hinzuweisen. 196 Die Beratungen der Fakultät zeigten dann auch, daß in erster Linie formale Kriterien angelegt wurden. Nachdem eine bevorstehende Ernennung Löhers wohl bereits bekannt war, wurde das Gesuch Wagners grundsätzlich schon deswegen abgelehnt. Über die Lehrbefähigung wollte man sich wohl nicht direkt auslassen; die Historiker Sybel und Prantl ebenso wie Beraz (Naturgeschichte) konstatierten zumindest einen "Mangel an Lehrthätigkeit". Dagegen hoben Johann Andreas Wagner (Paläontologie, Zoologie) und Jolly (Physik) Moritz Wagners "schriftstellerische Verdienste im Fach der Reiseliteratur"197 hervor, welche der Zoologe Siebold allerdings als von "engem Bestand" befand.1 98 Entsprechend formuliert wurde dann auch der Bericht an den Senat, der mit dem 18. Dezember 1859 das gleiche Datum trug wie das ministerielle Ernennungsdekret Löhers: "Dr. Moritz Wagner hat sich auf seinen Reisen mehrfach bedeutendes Verdienst um die Wissenschaft, und eine anerkannte Stellung in der betreffenden Literatur erworben. Jedoch liegt uns auf keiner Seite eine Gewähr vor, daß er eine entsprechende Befähigung als Lehrer entwickeln würde, und wir glauben deshalb um so weniger für uns eine Unterstützung seines Gesuches aussprechen zu können, als dem Vernehmen nach die Ernennung des Hn. Dr. Löher zum ordentl. Prof. der Länder- und Völkerkunde er-

195 UAM, 0-1-39. 196 UAM, 0-1-39, Rektor an PhilPak vom 19.11.1859: "... Dabei verfehlen wir nicht, ... mit Bezugnahme auf die höchste Ministerialentschließung vom 28.November 1857, Anstellung und Beförderung von Docenten und Universitätsprofessoren betreffend gegenüber dem immer größeren Zudrange namentlich von solchen Petenten, welche den ordentlichen Weg, zu einem öffentlichen Lehramte zu gelangen, nicht zurückgelegt haben, auf die Nothwendigkeit aufmerksam zu machen, die Vorfragen über das Bedürfnis durch gegebene Erledigungen so wie über die Lehrtüchtigkeit ... der Gesuchsteller in reiflichste Erwägung zu ziehen. " 197 Womit Andreas Wagner und Jolly über Moritz Wagners Schriften das positive Urteil sprachen, wie es jetzt erst in den gegenwärtigen Forschungen zur deutschen Reiseliteratur geschieht. Vgl. Brenner 470,479. 198 UAM, 0-1-39, Sitzungsprotokoll vom 6.12.1859.

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folgt, mithin ein Bedürfnis für weitere Anstellungen in diesem Fach überall nicht vorhanden ist. "199 b) Geographie, Länder- und Völkerkunde200

Mit der Ernennung Moritz Wagners zum Konservator der ethnographischen Sammlung sollte dieser, auch nach dem mißlungenen Anlauf auf die Professur für Völkerkunde, mit seiner Ernennung zum Honorarprofessor ja doch noch seinen Platz im Lehrkörper der Universität erhalten. Das ihm in der Philosophischen Fakultät zugewiesene "Gebiet der Ethnographie und Geographie"201 deckte sich bei der ganzen Vmationsbreite des Begriffes Ethnographie weitgehend mit dem der Länder- und Völkerkunde, also dem Lehrstuhl Löhers. Da Löher sein Ordinariat ohnehin nicht sehr intensiv ausfüllte, weil er mit seiner Tätigkeit bei der Historischen Kommission und im Reichsarchiv 202 sowieso andere Schwerpunkte zu berücksichtigen hatte als die ihm, wie Wagner schon anderweitig angedeutet hatte, doch eigentlich fernstehende Länder- und Völkerkunde,203 war die Honorarprofessur Wagners einerseits Ersatz, andererseits aber auch eine Ergänzung zum Löherschen Lehrangebot über die reine Länderkunde hinaus. Nachdem aber die Philosophische Fakultät bereits 1859 bei der Berufung Löhers keinen Bedarf für die Länderund Völkerkunde signalisiert hatte, dürfte letztendlich das königliche Reskript der Ernennung Wagners zum Honorarprofessor also wieder nichts anderes bedeutet haben als eine erneute Durchsetzung allein königlicher Interessen für den Bereich der Länder- und Völkerkunde. 204 Zieht man nun noch einen anderen Vorgang in Betracht, so erhärtet sich der Verdacht,20S daß die Honorarprofessur Wagners samt seiner Konservato199 UAM, 0-1-39, PhilFak an Senat, 18.12.1859. 200 Eine ausführliche Würdigung aller seiner Leistungen auf dem Gebiete der jetzigen Einzelwissenschaften der physischen Geographie und Länderkunde, der Prähistorie, der Anhtropologie, der Entwicklungslehre und auch der Ethnologie würde eine genauere Analyse seines äußerst umfangreichen Schrifttums voraussetzen, welche hier nicht geleistet werden kann. Es wird dies nur skizziert, um eine Einordnung und seine Stellung im Prozeß der Institutionalisierung festmachen zu können. 201 UAM, 0-1-42, MinEntschließung vom 3.Mai 1862. 202 Vgl. dazu vor allem Hüser 87 ff. 203 Wenn überhaupt, so las Löher die Länder- und Völkerkunde maximal zweistündig; ansonsten verlegte er sich mehr auf die Archivkunde und Hilfswissenschaften; vgl. Vorlesungsverzeichnis der LMU. 204 Eine Stellungnahme der Fakultät bzw. deren Einforderung bezüglich der Honorarprofessur Wagners ist nicht auszumachen. 205 Wie schon im Zusammenhang mit der ungeklärten Ursache für die Schaffung eines eigenen Konservatoriums für die ethnographische Sammlung erwähnt, lie8 Smolka

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ll. Moritz Wagner als erster KonselVator

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renstelle nichts anderes darstellte als das Substitut für eine andere königliche Unternehmung: Friedrich Bodenstedt206 hatte 1858, also als Moritz Wagner bereits seit einem Jahr in Mittelamerika war, für Maximilian eine Denkschrift betreffend die Gründung eines "Vereins für Länder- und Völkerkunde" vorgelegt. 207 "Ähnlich den in London, Paris, Berlin und anderen Städten bereits bestehenden geographischen Gesellschaften" sollte dieser der "Wissenschaft neues Material zuführen", ja noch umfassender "allen die Geographie (im weitesten Sinne des Wortes), Ethnographie und Statistik betreffenden Arbeiten, in der Heimat wie in der Fremde, als Anziehungs- und Mittelpunkt dienen". Der recht grob skizzierte Aufgaben- und Wirkungsbereich des Vereins folgt wesentlichen Inhalten des Akademiegedankens: frei gewählte Mitglieder in begrenzter Zahl, ergänzt durch korrespondierende Mitglieder, regelmäßige Sitzungen, eine Bibliothek als Attribut, Verbind\Ulgen zu gleichartigen Gesellschaften, an der Spitze ein Präsident, der im ersten Jahr der (damals erst noch zu berufende) Ordinarius für Länder- und Völkerkunde in München sein sollte; und das alles, um nicht nur der Wissenschaft zu dienen, sondern auch um "praktisch ins Leben einzugreifen [zu] suchen"!208 Der Plan ist nicht nur bemerkenswert wegen seines ausgeprägten aufklärerischen Gedankengutes, das sich in Maximilians Volksbildungsidee ebenso wie in seinem staatsutilitaristischen Denken in Bezug auf die Länder- und Völkerkunde widerspiegelt. An dem Plan fällt auch auf, daß er zwar von einer Bibliothek, aber von keiner (ethnographischen) Sammlung spricht, somit von der Ethnographie in unserem Sinne doch weit entfernt ist. Vielmehr ist von Interesse, daß er die Länder- und Völkerkunde als eine umfassende enzyklopädische Wissenschaft zu einem Zeitpunkt noch institutionell zu etablieren versucht, zu dem wie an anderen Universitäten nun auch in München bereits Bestrebungen im Gange waren, solch umfassende Wissensgebiete in Einzelwissenschaften aufzulösen. So beispielsweise die Naturgeschichte, die ja in dieser Form in enger Anlehnung an die Länderund Völkerkunde zu betrachten ist: 1856, nur wenige Tage nachdem damals bei der Kommission zur Förderung der Wissenschaften Moritz Wagners Frage der wissenschaftlichen Förderung zur Beratung anstand, wurde im Universitätssenat die Frage aufgeworfen, ob denn die Naturgeschichte als gen auch hier die Wurzeln im Dunkeln; die durch Kriegsverlust im BayHStA entstandene Dokumentationslücke ist auch durch Ersatzdokumentation nicht zu schließen. 206 Friedrich von Bodenstedt (1819-1892) hatte 1854-1867 die Honorarprofessur für slawische Sprache und Literatur an der Münchner Universität. UAM, E-II-23, Personalakt Friedrich Bodenstedt. Allerdings las er vorwiegend englische Sprache und Literatur, bes. Shakespeare; vgl. Seidel-Vollmann 74 f. u. 177. 207 GHA, 78-2-118, NL Max 11., 27-6-16, Bodenstedt an Maximilian 11., Denkschrift und Statutenentwurf vom 30.8.1858. 208 Ebd.; die Denkschrift ist hier im Anhang abgedruckt.

3. Der Naturforscher Moritz Wagner

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einheitliches Fach überhaupt weiterbestehen solle. 209 Justus von Liebig wandte sich strikt dagegen, da der sehr umfangreiche Stoff der Naturgeschichte, den er in Mineralogie, Botanik, Zoologie und Anthropologie untergliedert sah,210 jeweils in einer eigenen Disziplin vertreten sein müsse, "wenn das Studium gedeihen solle". "Das Urteil des Chemikers", wie der amtierende Rektor und Philosoph Ernst von Lasaulx nicht ohne Spitze gegen den Naturwissenschaftler festhielt, konnte sich jedoch gegen die übrigen Senatsstimmen nicht durchsetzen. 21 I Aus dem Plan eines Vereins für Länder- und Völkerkunde wurde nichts, und war nach der Rückkehr Wagners aus Mittelamerika wohl auch schon nicht mehr im Gespräch, denn dann hätte er sicherlich in den Bemühungen Wagners um eine Anstellung eine herausragende Rolle spielen müssen. 212 Erst 1869, bereits nach dem Tode Maximilians 11., gründet sich eine Münchner Geographische Gesellschaft unter dem Vorsitz des Physikers Jolly, der schon als Fürsprecher Wagners genannt worden ist. Auch Moritz Wagner ist im Gründungs-Vorstand vertreten, und der Blick auf die weiteren Vorstandsmitglieder läßt in seiner ganzen Heterogenität bereits erkennen, daß sich selbst zehn Jahre nach dem Bodenstedtschen Entwurf die Zielsetzungen kaum geändert haben: mit dabei sind der Forschungsreisende SchlagintweitSakülünski, der Professor an der Militär-Bildungsanstalt Karl Arendts, welche beide als geistige Väter der Gesellschaft in München gelten,213 sowie der Verlagsbuchhändler Rudolf Oldenbourg, Ministerialrat Bezold, der Leiter der Kriegsschule Graf Verri de la Bosia, sowie die Universitätsprofessoren Siebold, Giesebrecht, Haushofer und Kluckhohn. 214 Moritz Wagners Platz im Vorstand der Geographischen Gesellschaft wurde mit dem Begriff "Konservator" gekennzeichnet, wobei nicht ersichtlich ist, ob 209 UAM, Sen. 238, Protokoll vom 15.November 1858. Anlaß war der Antrag des außerordentlichen Professors für Naturgeschichte Beraz, um Verleihung der ordentlichen Professur in Naturgeschichte. 210 Diese Einteilung der Naturgeschichte fmden wir allerdings schon zum Ausgang des 18. Jahrhunderts in dem Naturalienkabinett der Universität Göttingen (Kgl. akademisches Museum), dessen Direktor damals Blumenbach war, und der die Sammlung unterteilte in "Naturgeschichte des Menschen (auch Völkerschaften), Thierreich, Gewächse, Mineralien". Plischke, Sammlung 13. 211 Beraz wurde am 4.5.1857 o. Prof. f. Naturgeschichte; UAM, E-II-410. Die Begründung für eine Beibehaltung dieses Fachs beruhte auf den Gegebenheiten des Studiums, dessen zeitlicher Rahmen detailliertere Fachstudien nicht zulassen würde. 212 Die Gründe dafür sind nicht mehr nachvollziehbar, aber anscheinend wurde der Vorschlag nicht einmal mehr der Kommission der Förderung der Wissenschaften vorgelegt, da er in deren Protokollen nicht auftaucht. 213 Nach Louis, Geographische Gesellschaft 5. 214 Nach BayHStA, MK 11766. Dazu, wenn in der Aufzählung auch unvollständig, bei Louis, Geographische Gesellschaft 6 ff.

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sich das auf seine dienstliche Stellung bezieht oder ob er hier als Konservator der Gesellschaft bezeichnet wurde. Letzteres würde allerdings voraussetzen, daß es in der Gesellschaft zumindest eine Sammlung oder eine Bibliothek zu betreuen gab. 215 Jedenfalls war sein Platz in der Gesellschaft als solcher wohl berechtigt, da der Schwerpunkt der Würdigung seiner Leistungen nach der Rückkehr aus Mittelamerika zweifelsohne im Bereich der Geographie zu suchen ist. Wenn Liebig 1862 als einen Vorzug Wagners angepriesen hatte, daß er mit seinen Schriften die Blicke des wissenschaftlichen Publikums auf sich gelenkt habe,216 so konnte dies besonders mit seinen bis dahin beispiellosen Arbeiten über den Isthmus von Panama und deren internationalen Würdigung begründet werden. 217 Außerdem muß man Wagner zu jenen Mitgliedern der Gesellschaft zählen, die deren "Verwissenschaftlichung" mit Nachdruck unterstützt hatten; eine Forderung, die vor allem von Friedrich Ratzel nach seiner Berufung auf den geographischen Lehrstuhl des Münchner Polytechnikums 1876 innerhalb der Gesellschaft durchgesetzt wurde. 218 Wie sehr Wagner auch der physischen Geographie seine besondere Aufmerksamkeit in Mittelamerika mit Erfolg gewidmet hatte, zeigen die Ausführungen in dem daraus resultierenden Werk, das zwar erst 1870 erschienen ist,219 jedoch unter Wagners zahlreichen Werken als das bisher wissenschaftliebste betrachtet werden kann. So lautet bereits das Urteil seiner Zeitgenossen, wenn etwa Friedrich Ratzel es als Wagners reifstes Werk bezeichnet220 und Sigmund Günther, RatzeIs Lehrstuhlnachfolger , es als eine "dieses Mal streng wissenschaftliche" Arbeit Wagners wertete. 221 Neben Karl Sapper würdigt auch eine Reihe anderer Geographen Wagners Naturwissenschaftliche Reisen und auch das frühere Werk über Costa Rica222 als die zentralen Arbeiten ihrer Zeit über diese Regionen. Sapper betonte vor allem die Vielsei215 Ob solch eine Einrichtung vorhanden war, läßt sich aus dem dürftigen Aktenmaterial nicht klären. Vgl. BayHStA, MK 11766; daraus geht aber immerhin hervor, daß sich die Gesellschaft einer guten staatlichen Förderung erfreute ebenso wie regen Zuspruchs aus dem Königshaus. Für verschiedene Expeditionen, vor allem nach der Jahrhundertwende, konnten Zuschüsse erwirkt werden. 216 BayAkadW, Personalakt Moritz Wagner, Liebig an KuMi 11.2.1862; daß Liebig damals vor allem auch deren "ethnographischen" Wert hervorhob, lag, wie schon anderenorts erwähnt, vorrangig an der Empfehlung Wagners für das ethnographische Konservatorenamt. 217 Biograph. Anhang, Wagner 1861a; Wagner 1862a; Wagner 1863a; Wagner 1870d. 218 Louis, Geographische Gesellschaft 8 f. 219 Biograph. Anhang, Wagner 1870a. 220 Ratzei, Wagner 535. 221 Sigmund Günther: Moritz Wagner. Nekrolog. In: Münchener Neueste Nachrichten 1887, Ausgabe 210 vom 13.7. 222 Biograph. Anhang, Wagner 1856a.

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rigkeit von Wagners mittelamerikanischen Forschungen: sie seien geologisch, botanisch, zoologisch, ethnographisch und archäologisch, wirtschaftlich und kulturell. 223 Die Kompetenz Wagners für die Süd- und Mittelamerikanisrik seiner Zeit auch unter länderkundlichem Aspekt beweist die Aufforderung BluntscWis an Wagner, in seinem Staatslexikon den Artikel "Mexiko" und "Mittelamerika " zu verfassen. 224 Immer wieder und unvermindert bis an sein Lebensende stößt man bei Moritz Wagner in seinen Aussagen wie im Inhalt seiner Forschungen und Schriften auf das unüberwindbare Vorbild Alexander von Humboldts. Über Humboldt hatte Wagner ja auch Verbindung mit earl Ritter erhalten, und mit beiden hatte sich Wagner vor seiner letzten Forschungsreise nochmals eingehend in Berlin besprochen, so daß die Nähe zu diesen in seinen Forschungen, die er 1870, wie Beck sagt, in einem epochal entscheidenden Augenblick in seinen Naturwissenschaftlichen Reisen vorlegt, leicht erklärbar ist. 225 Das wird verstärkt durch die Tatsache, daß Ritter ein Schüler Hausmanns in Götringen war, bei dem Moritz Wagner ab 1840 geographische Studien betrieben hatte. Eben diese Bindung an Humboldt, dessen Werk man unter den Aspekten einer modemen Wissenschaftsauffassung schon nicht mehr als aktuell betrachtete,226 hatte auch die Argumente gegen Wagners eigene "Wissenschaftlichkeit" verstärkt. Dabei muß man Wagner zugute halten, daß es ihm als einem von wenigen seiner Zeit bewußt war, daß es in Humboldts großem Werk auch einen sehr umfangreichen physikalisch-geographischen Teil, also schon eine Hinwendung zur modemen Geographie gegeben hat. Zudem hatte Wagner bereits selbst intensive geomorphologische Feldarbeit geleistet zu einer Zeit, als sich eine Etablierung der modemen Geographie abzeichnete, welche sich, nach Hanno Beck, etwa ab 1869 als "Geomorphologie der Erdoberfläche" präsentierte. 227 Ihr wichtigster Vertreter dürfte zunächst Oskar Peschel gewesen sein, jener Mann, der 1854 die' Redaktion der Zeitschrift Ausland übernommen hatte und dessen Stelle dort Wagner so gerne eingenommen hätte. 228 So wird man Wagner mit Recht in der Wissenschaftsgeschichte der

223 Karl Sapper: Die geographische Forschung in Mittel-Amerika im 19. Jahrhundert, in: Verhandlungen des 13. Deutschen Geographentages zu Breslau. Berlin 1901,285-302. 224 Biograph. Anhang, Wagner 1867b, 1867c. 225 H.Beck, Geographie Humboldts 238. 226 Dennoch hat etwa ein Vertreter einer der jüngsten Wissenschaften, der Ethnologe und Amerikanist Eduard Seler, seine Habil.-Arbeit wesentlich auf Humboldtsches Material gestützt; vgl. bei Hein. 227 H.Beck, Geographie Humboldts 238. 228 Vgl. DLA Marbach, Wagner an Cotta, 14.4. und 19.6.1855. Seine Aussage, daß Peschels "geographische und ethnographische Kenntnisse für dieses Blatt

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Geographie "eine wichtige verbindende Stellung zwischen Humboldt - Ritter und Richthofen - Ratzel einräumen, das heißt zwischen klassischer und moderner deutscher Geographie. "229 Zwar hatten Wagners Zeitgenossen diese seine Leistung für die Geographie kaum erkannt bzw. noch kaum erkennen können, doch hat er sich nach seiner beruflichen Etablierung als Konservator in München durch die damit geschaffenen neuen Lebensbedingungen bereits in der Geographie seiner Zeit wissenschaftlich etabliert. Denn ein lang gehegter Wunsch war damit in Erfüllung gegangen: nicht mehr um des Lebensunterhaltes willen journalistisch arbeiten zu müssen, sondern wissenschaftlich publizieren zu können und vor allem damit Anerkennung zu finden. 230 Letzteres war ihm gerade durch jenen Mann sehr früh zuteil geworden, der ihm die Fähigkeit zum "modemen" Wissenschaftler wenige Jahre vorher noch vehement abgesprochen hatte: Justus von Liebig. Dies birgt durchaus keinen Widerspruch oder einen Wankelmut Liebigs in sich, denn was dieser bezüglich einer fortwährenden Neubeurteilung bei anderen Forschern als "geistige Mauserung" bezeichnete, konnte er wohl auch für sich selbst in Anspruch nehmen. Dem, welche "neue Federn entsprossen, fallen die alten aus den Flügeln, die ihn nicht mehr tragen wollen, und er fliegt hernach um so besser" - eigentlich nur logische Fortsetzung dessen, was für ihn die Wissenschaft sein konnte: eine approximative Erfahrungsgröße fortwährenden Forschens. 231 Zudem waren seit dem ersten Urteil des Chemikers mehrere Jahre vergangen, in denen Wagner ja gleichfalls Gelegenheit zur "Mauserung" gehabt hatte.

c) Urgeschichte und Anthropologie Physische Anthropologie und Urgeschichtsforschung waren in Deutschland um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch fest miteinander verwoben; mit zeitlichem Abstand trat auch die Ethnologie, oder um der begrifflichen Verabredung hier zu folgen, die Völkerkunde, dazu;232 ein Umstand, auf den schon einleitend hingewiesen worden ist, und der sich sinnfällig etwa noch 1869 in der Gründung der Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgenicht ausreichend" seien, hat er sehr bald revidiert und war mit diesem, im Gegensatz zu AZ-Redakteur Kolb, bald zu einer sehr guten Zuammenarbeit gekommen. 229 H.Beck, Reisende 208. Über das Verhältnis Wagners zu Ritter in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht vgl. Büttnerl Hoheisel 85-110; dort auch weiterführende Hinweise. 230 Dazu bei Ratzei, Wagner 532-543. 231 Zit. n. Biograph. Anhang, Wagner 1889, 99 f. 232 Neben den allgemeinen Einführungen zu den einschlägigen Disziplingeschichten vgl. auch Thilenius, Völkerkunde 384-399; Koppers 11-65; Wahle 284-293.

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schichte manifestiert hat. Vor allem die Anthropologie konnte man in dieser

Zeit noch ansehen als ein "Konglomerat von vor allem Anatomie, Ethnologie und Ur- und Frühgeschichte", denen man auch noch die Paläontologie hinzufügen kann, deren Gründungsväter sie als Naturwissenschaft den "Geisteswissenschaften entgegensetzten" .233 Mit ihrer gegenseitigen Beeinflussung trennten sich doch bis ins 20. Jahrhundert allmählich ihre Wege. Blieb die Anthropologie als eine physiologisch-vergleichende Wissenschaft bald ein abgeschlossenes Gebiet, löste sich die Urgeschichte langsam aus der naturwissenschaftlichen Beeinflussung; noch deutlicher war die endgültige Hinwendung der Völkerkunde in Deutschland zu historischen Denkmustern. 234 Dieses Konglomerat naturwissenschaftlicher Interessen hatte auch Moritz Wagner durchlebt, jedoch in minder intensiver Weise wie im Bereich der geographischen Wissenschaften. So hatte er beispielsweise in der Provinz Chiriqui archäologische Forschungen in den Indianergräbern gemacht. Ließ sich dahinter noch kein bestimmtes Konzept erkennen - vor allem hatte ja hinterher keine Auswertung stattgefunden - so konntemai1 diese Tätigkeiten allemal als kulturgeschichtliche Schatzgräberei bezeichnen, durch die allerdings wertvolle altindianische Stücke in die Münchner ethnographische Sammlung gelangt waren. Systematischer und mit gezieltem Interesse dagegen waren nun die Forschungen, welche Wagner 1864 im Auftrag der Akademie an Pfahlbauten im Stamberger See durchführte, zu einem Zeitpunkt, als die ethnographische Sammlung noch immer nur als Torso im Wilhelminum existierte. Über die genaueren wissenschafts-organisatorischen Hintergründe ist nichts mehr zu erfahren. 235 Es ist also unbekannt, wessen Initiative diese Unternehmung entsprang, jedoch ist sie im Zusammenhang mit, wenn nicht gar als Folge von jenen Forschungen Karl Theodor von Siebolds in Ostpreußen zu sehen, die zuvorderst den dortigen Süßwasserfischen galten, bei denen er jedoch im Auftrage der Bayerischen Akademie der Wissenschaften auch sein Augenmerk auf das Vorhandensein von Pfahlbauten zu richten hatte. 236 Zwar hatte Siebold erst mehrere Monate nach Wagners Arbeitsbeginn am Stamberger See darüber vor der Akademie berichtet und dabei auf die Ergiebigkeit der Pfahlbauten für die Prähistorische Forschung hingewiesen: "Es dürfte sich daher verlohnen, in Bayern Nachgrabungen nach diesen ältesten 233

Stölting 129. 234 Wahle 230-235; Thilenius, Völkerkunde 384-399; zu den Beeinflussungen der Prähistorie besonders Wahle 284-293; exemplarisch für die Leitfunktion in Berlin Elwert 135-141. 235 Auch hier macht sich die Dokumentationslücke im Archiv der Akademie schmerzlich bemerkbar. Nach einem Brief Wagners an Paul Heyse (?) vom 1.7.1864 läßt sich als Grabungsbeginn etwa der 21.6.1864 festlegen (AdW-ZA, NL Heyse 103). 236 H.Körner, Würzburger Siebold 324.

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menschlichen Denkmälern in einem größeren Maßstabe vorzunehmen ... "237 Doch standen Wagner und Siebold (letzterer war 1840-1845 als Nachfolger von Rudolf Wagner auf dessen Erlanger Lehrstuhl tätig gewesen) in laufender Verbindung nicht nur über die Akademie,238 sondern auch über die Abwicklung gleicher Interessen, der biologisch-entwicklungsgeschichtlichen ebenso wie der Auseinandersetzung mit dem Darwinismus schlechthin. 239 Dies zeigt auch der Akademievortrag Wagners, der aus seinen Pfahlbautenforschungen resultierte und die Intentionen seiner Forschungen aufzeigt: Wagner ging es um einen Beitrag zur prähistorischen Kulturentwicklung in Mitteleuropa, die er unter darwinistischen, also evolutionistischen Aspekten betrachtete. 240 Außer diesem Akademievortrag und einer Abhandlung im AustanJ241 zeitigte die Pfahlbauten-Kampagne jedoch kaum noch literarische Produktionen bei Wagner, auch findet sich, wie es vermutet werden könnte, bei Wagner keine Verbindung zur Prähistorie und der "Volkskunde. "242 Jedoch befand sich Wagner, soweit Bruchstücke seines Briefwechsels aus den 1860er Jahren dies zeigen können, auch weiterhin mit anderen Gelehrten im Gedankenaustausch über prähistorische Fragestellungen in Verbindung mit Pfahlbauten. 243 Dies brachte ihn über Umwegen auch der Paläontologie und der Anthropologie näher, an denen er bereits 1864 durch einen Akademievortrag sein Interesse bekundet hatte. 244 Dazu ergab sich 1865 noch eine institutionelle Beziehung, als der ordentliche Professor für Paläontologie an der 237 238

Sitzungsberichte d. BayAkadWiss., 1864, Bd.II. Wagenitz 167. Die Verbindungen zwischen Wagner und der Familie Siebold waren vielfältig. Zu verweisen ist u.a. auf Wagners Betrebungen zum Ankauf der Sammlungen Philipp Franz von Siebolds (+ 1866), die erst Jahre später Erfolg hatten (s.o.). Wagner vermittelte auch zwischen Karl Scherzer und Philipp Franz von Siebold in japanischen Interessen, etc: vgl. H.Kömer, Würzburger Siebold 472 ff. 239 Nicht nur in der pfahlbautenfrage, auch bei den zoologischen Forschungen ergänzten sich so die beiden: vgl. dazu etwa Biograph.Anhang, Wagner 1866b und 1866c. 240 Biograph. Anhang, Wagner 1866a. 241 Biograph. Anhang, Wagner 1867d. 242 Zu dem Münchner Vertreter der Volkskunde, Wilhelm Heinrich Riehl, sind keine Beziehungen nachweisbar. Dabei ist Riehls Person wiederum interessant in Bezug auf Ratzels Anthropogeographie (s.u.). Dazu vgl. etwa Overbeck 197-210, oder auch bei Steinmetzler. Weiterhin zur Diskussion um Riehl Günter Wiegelmann: Riehls Stellung in der Wissenschaftsgeschichte der Volkskunde, in: Archiv f. Volkskunde NF 2 (1979); Klaus Guth: Wilhelm Heinrich Riehl und kein Ende .. ?, ebd., und Helge Gemdt: Abschied von Riehl - in allen Ehren, ebd. 243 Nach Buttmann 40 hat sich Wagner auch noch in den 1870er Jahren für die Prähistorie engagiert, indem er Friedrich Ratzel 1872/73 bei dessen Alpenreisen zu vorgeschichtlichen Forschungen anhielt. Als Ergebnis derselben legte Ratzel1874 ein 300-seitiges Werk über die Vorgeschichte des europäischen Menschen vor, das bei Oldenbourg in München erschien. 244 Biograph. Anhang, Wagner 1864a.

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Münchner Universität und Konservator der paläontologischen Staatssammlung, Karl Albert Oppel, erst 34jährig an Typhus starb. 245 Wagner war als Verweser der Sammlung eingesetzt worden246 und engagierte sich außerdem gleichzeitig beim Verkauf der nachgelassenen Privatsammlung Oppels ebenso wie bei der Frage um die Neubesetzung des Konservatorenamtes. Dabei lancierte er einen Kandidaten aus der Schweiz, mit dem er gerade wegen der Pfahlbauten-Grabungen in Austausch stand: 247 Wagner hatte sich zusammen mit dem Bergrat und Honorarprofessor Wilhelm Gümbel darum bemüht, die Oppel-Sammlung für München durch den Staat ankaufen zu lassen, um einerseits die Sammlung in München zu halten, aber auch um durch deren Erlös die Witwe Oppels zu unterstützen. Gleichzeitig befürworteten sie beide als einen der Kandidaten für die Konservatorstelle den Schweizer Karl MayerEymar, welcher allerdings seine Bewerbung wiederum daran geknüpft hatte, daß die Oppelsche Privatsammlung durch den bayerischen Staat angekauft würde. 248 Dies war einerseits Gümbel und Wagner zur Durchsetzung der ersten ihrer Interessen nicht unrecht, sollte sich aber für die zweite ihrer Interessen, eben die Berufung ihres Kandidaten, bald als Bumerang erweisen. Da der Ankauf der Sammlung vom Ministerium abgelehnt worden war, hatte sich Mayer-Eymar, der dies als eine Bedingung sine qua non mit seiner Kandidatur verknüpft hatte, selbst aus dem Rennen geworfen, obwohl er, wie Wagner betonte, wohl an erster Stelle genannt worden wäre. So wurde Karl Alfred Zittei sein Nachfolger, mit dem Wagner dann aber auch stets in guter Verbindung stehen sollte. 249 Über die Prähistorie war Wagner auch mit der Anthropologie in Berührung gekommen. So wurde er wohl aufgrund seiner Arbeiten an den Pfahlbauten im Rahmen der Pariser Weltausstellung 1867 durch das dortige Comite für 245 Karl Albert Oppel (1831-1865), 1859 Privatdozent a. d. Univ. München und Adjunkt d. paläontologischen Staatssammlung, 1860 a. o. Prof., 1862 o. Prof. f. Paläontologie. UAM, E-II-497, Personalakt Karl Albert Oppel. 246 UAM, E-II-379, Personalakt Moritz Wagner, KuMi an Senat, 31.12.1865. 247 Gerade die Schweizer hatten in ihrem Land die Forschungen an Pfahlbauten, so etwa durch F.Keller, vorbildhaft unterstützt; vgl. Thilenius, Völkerkunde 384. Offen ist die Frage, ob Wagner zu diesem Zeitpunkt bereits über verwandtschaftliche Beziehungen in der Schweiz verfügte; jedenfalls war sein Neffe gleichen Namens, dem er seinen schriftlichen Nachlaß vermacht hatte, 1887 bereits Arzt in Baden bei Zürich. Dieser hat ja 1888 posthum Wagners Schriften zur Entwicklungslehre herausgegeben. 248 Zu entnehmen einem längeren Schreiben Wagners an Mayer-Eymar, München, 11.2.1866; ETHB, NL Karl Mayer-Eymar, Hs 277: 1001. Für den Hinweis danke ich Herrn Dr. Helmut Mayr, Paläontologische Staatssammlung München. 249 Karl Alfred (von) Zittel (1839-1904), 1860 prom. in Heidelberg; nach Studien in Paris und Wien 1863 Habil. am Polytechnikum in Karlsruhe mit anschließender Professur für Mineralogie und Geologie; 1866 wechselte er nach München als Prof. f. Paläontologie.

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vorhistorische Anthropologie und Archäologie zum korrespondierenden Mitglied ernannt und um seine Teilnahme gebeten,250 woraus sich allerdings keine weiteren dauerhaften Engagements ergaben. Bleibender allerdings waren seine Bemühungen im Zusammenhang mit der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. Diese veranstaltete ihre Generalversammlungen jährlich an wechselnden Orten; 1875 war es München und die Versammlung wurde naturgemäß von der Münchner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte ausgerichtet. 251 Geschäftsführer dieser Versammlung war jener Zittel, welcher wenige Jahre zuvor Nachfolger Alfred Oppels geworden war und nun als Konservator der paläontologischen Staatssammlung und ordentlicher Professor für Paläontologie an der LudwigMaximilians-Universität wirkte. Auch Moritz Wagner war seit Gründung der Gesellschaft deren Mitglied, 1871 hatte er sogar den Vorsitz. Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft war übrigens der außerordentliche Professor für Anthropologie in München, Johannes Ranke, ein Neffe Leopold von Rankes, welcher ein Dutzend Jahre später auch kurzzeitig versuchte, massiv in die Entwicklung der ethnographischen Sammlung einzugreifen. 252 Anläßlich dieser Versammlung nun versuchte Wagner die ministerielle Genehmigung zu erwirken, im ethnographischen Museum eine Ausstellung der interessantesten prähistorischen Altertümer durchführen zu dürfen, was Generalkonservator Döllinger auch befürwortete, da "der Conservator eine Gefahr für die Sammlung selbst durch den Andrang der Fremden und Schaulustigen gemäß seiner Empfehlung nicht befürchtet und auch bezüglich des Raumes irgendeinen Anstand oder ein Hinderniß nicht anführt". 253 Döllingers Begründung zeigt, daß man Wagner zwar gewähren ließ, da keine Gründe dagegen sprachen, ein ausgesprochenes Bedürfnis von seiten des Generalkonservatoriums mit dieser Ausstellung ganz offensichtlich aber nicht erfüllt wurde. 254 Anscheinend war die Ausstellung ein großer Erfolg, denn sie wurde Jahre 250 BayAkadW, Personalakt Moritz Wagner, KuMi an GenKon, 1867. Auf Weisung des KuMi hatte das GenKon dafür 400 fl bereitzustellen. Sicher hat auch seine Stellung als Konservator diese Einladung bewirkt. 251 Die Münchner Gesellschaft wurde 1870, wie zahlreiche andere, als ein Zweigverein der Berliner Gesellschaft gegründet, welche dann später als Deutsche Gesellschaft für AEU fungierte. 252 Vgl. hier 125 ff. - Johannes Ranke (1836-1916), Studium in München, Berlin, Paris. 1861 Habil., 1869 a. o. Prof. in München. Als gelernter Physiologe ging er bald zur physischen Anthropologie über, für die er in München 1886 den ersten Lehrstuhl Deutschlands erhielt. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit war die Schädelvermessung. 253 BayHStA, MK 40497, GenKon an KuMi, 17.4.1875. 254 Ob sie allerdings tatsächlich auch im ethnographischen Museum stattgefunden hat, ist nicht klar; laut einer Presseankündigung sollte sie in der Nähe des Odeons sein (vgl. Gareis 54).

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später in den Berichten der Deutschen Gesellschaft noch hoch gelobt. Viel wichtiger allerdings war die Folge, daß man nun in München einen zentralen Ort für die bisher verstreuten urgeschichtlichen Sammlungen und Objekte suchte und glaubte, sie im ethnographischen Museum gefunden zu haben. Dabei war Wagner selbst das treibende Element gewesen, wie nicht nur der Antrag zur Ausstellung 1875, sondern auch die folgenden Anträge auf Abgabe urgeschichtlicher Gegenstände etwa aus dem Bayerischen Nationalmuseum zeigen. 255 Auf diese Weise erhielt das ethnographische Museum auf Initiative Wagners eine, wenn auch bescheidene, urgeschichtliche Abteilung. Dennoch blieb sein Interesse an der Urgeschichte stets diffus, denn er arbeitete mit dieser Abteilung nicht und ließ ihr auch im weiteren Verlauf keine besondere Bedeutung zukommen. Gegen Ende seiner Amtszeit erst ereilte sie ein besseres Los, nachdem bei der paläontologischen Staatssammlung unter der Obhut von Johannes Ranke eine eigenständige urgeschichtliche Abteilung eingerichtet worden war.

d) Die Migrationstheorie Moritz Wagners und die Anthropogeographie Friedrich Ratzels Um die Betätigungsfelder im Sinne des eben skizzierten Konglomerats herankeimender Einzeldisziplinen zu komplettieren, wäre nun die Frage zu stellen, welchen Beitrag der Konservator der Münchner ethnographischen Sammlung für die Völkerkunde geleistet hat. Eine prekäre Frage deswegen, weil, wie schon anderenorts klargemacht, dieser Beitrag recht bescheiden ausgefallen ist. Als ein wiederholt genannter und sicher auch maßgebender Grund dafür ist anzuführen, daß Wagner sich mit seiner Niederlassung in München voll und ganz der - wie er es sich selbst lange gewünscht hatte wissenschaftlichen Auswertung seiner zahlreichen Reisen widmete. Das Ergebnis dieser Auswertungen kulminierte in der Aufstellung einer eigenen biologisch-evolutionistischen Theorie der Artenbildung, welche- als Migrationstheorie Wagners der Nachwelt erhalten blieb und neben seinen forscherlieh-geographischen Leistungen das ist, was an seinem Gesamtwerk bisher überwiegend gewürdigt worden ist. 256 Daß Wagner damit sogar einen we255 BayHStA, MK 14423, vom 23.10.1875. 256 Der polnische Geographie-Historiker Josef Babicz hat sich mit der Migrationstheorie in seiner Habil.-Schrift beschäftigt: Babicz, Teoria Moritza Wagnera; eine deutsche Zusammenfassung bei Babicz, Moritz Wagners Theorie 46-57. Zu Babicz vgl. auch Hanno Beck: Die Geschichte der Geographie in Polen, in: Erdkunde 21 (1967) 240-42. Daneben existiert in Heidelberg eine ungedruckte Zulassungsarbeit für Biologie von Brigine Voit: Moritz Wagners Migrationsgesetz, eine populationsbiologische Theorie der Artenbildung im 19. Jahrhundert. Zulassungsarbeit Biologie Heidelberg 1974; darin wird ausführlich die Migrationstheorie mit der Darwinschen Theorie verglichen.

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sentlichen Beitrag geleistet hat, für die Theoriebildung in der deutschsprachigen Völkerkunde einen Pfad zu legen, war von ihm selbst allerdings weder gewußt noch gewollt worden. 257

Am 17. März 1868 hatte Moritz Wagner vor der Bayerischen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag gehalten mit dem Titel: "Die Darwin'sche Theorie in Bezug auf die geographische Verbreitung der Organismen". 258 Darin forderte er eine Erweiterung der Darwinschen Deszendenz- und Selektionstheorie durch seine eigene Migrationstheorie, indem er feststellte, eine Fortpflanzung durch Zuchtwahl sei nur dann möglich, wenn zuvor eine räumliche Absonderung einzelner Individuen vom ursprünglichen Verbreitungsgebiet stattgefunden habe. Diese Ansicht konnte auch Darwin selbst, dem er seinen Vortrag vorgelegt hatte, mangels Kenntnissen der von Wagner zahlreich angeführten Beispiele aus seinem reichen Erfahrungsschatz nicht widerlegen. 259 Nur zwei Jahre später dann rückte Wagner noch weiter von Darwins Theorie ab und lehnte sie nun ganz ab. 260 Es ist hier nicht der Ort, diese Theorie zu diskutieren und darzulegen, dies würde eine intensive Untersuchung seiner Werke erfordern. 261 Doch die beiden Wurzeln der Wagnerschen Migrationstheorie zeigen, daß die Suche nach einem Naturgesetz über die Verbreitung der Lebewesen in Abhängigkeit von geographischen Gegebenheiten Wagners Denken vom Anfang bis zum Ende seiner forschenden Tätigkeiten beherrscht hat, und daß er sich mit der Publizierung seiner Migrationstheorie mitten in die Auseinandersetzungen um die Fragen der Evolution hineinkatapultiert hatte. Die erste und tiefste Wurzel reicht zurück bis in die frühen Jahre von Wagners naturkundlichen Untersuchungen, welche er in den 1830er Jahren bereits in Nordafrika durchgeführt hatte. Schon dort hatte er sich eingehend mit der Verbreitung von Tieren und Pflanzen in Abhängigkeit von den geographischen Gegebenheiten beschäftigt und dies in seinen Reisewerken als naturkundliche Beobachtungen niedergelegt. 262 Eingehender beschäftigte er sich danach in einem Kapitel über die "Völkerkunde und Na257 Zur Bedeutung der Migrationstheorie Wagners für die Theoriebildung in der Ethnologie vgl. auch Ganslmayr 459-470. 258 Biograph. Anhang , Wagner 1868a; nochmals in überarbeiteter Form abgedruckt unter dem Titel "Die Darwinsche Theorie und das Migrationsgesetz der Organismen" bei Duncker & Humblot (Vgl. Biograph. Anhang, Wagner 1868b). 259 Einige edierte Briefe Darwin - Wagner sowie mit Meinungsäußerungen Darwins über Wagner bei Francis Darwin: Carles Darwin. Leben und Briefe; übersetzt von Victor Carus. Stuttgart 1887. 260 Wagners Migrationstheorie und ihre Entstehungsphasen sind aufschlußreich in den Kommentaren zu den gesammelten Beiträgen Wagners von 1889 dargestellt (Biograph. Anhang, Wagner 1889). 261 Die Wagnerschen Schriften zur Entwicklungslehre dürften ab 1860 im biographischen Anhang hier vollständig erfaßt sein. 262 Biograph. Anhang, Wagner 1841a.

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turgeschichte Transkaukasiens"263 und verglich hier bereits die Faktoren von Umwelteinflüssen, Mo.bilität und Mutation bestimmter Arten von Tieren und Pflanzen miteinander. 264 In den Jahren vor und zwischen diesen Reisen hatte sich Wagner naturkundlich intensiv in Anlehnung an seinen Bruder weitergebildet. So ist es auch kein Zufall, daß dessen Einfluß auf seinen jüngeren Bruder zumindest im frühen Algerienwerk in der Form der Beobachtungen erkennbar ist: Rudolf Wagner hatte 1826 bei dem Mediziner Schönlein265 in WÜIZburg promoviert. Seine Dissertation behandelt die Seuchengeschichte, indem er klimatische und geologische Zusammenhänge auf ihre Interpretationsmöglichkeiten hin untersuchte und die Krankheitsbilder in einen evolutionistischen, wiederkehrenden Ablauf einreihte. Damit stellte er sich klar in die Tradition seines Lehrer als Anhänger der naturgeschichtlichen Richtung, was er explizit in seiner Dissertation zu erkennen gab; ja er berief sich außerdem und vor allem auf Alexander von Humboldt als Vorbild naturgeschichtlicher Forschung. 266 Nach dieser Initialphase durch seinen Bruder entfernte sich Moritz in einer Zeit, in der der Materialismus und der Atheismus durch Männer wie Karl Vogt oder Ludwig Büchner ungemein popularisiert wurden,267 jedoch bald von Rudolf Wagner und nahm eine mehr und mehr materialistisch ausgerichtete Denkweise an. 268 Dahingegen hielt Rudolf Wagner als ein "streng kirchengläubiger Naturforscher" noch 1854 auf der Versammlung deutscher Naturforscher einen aufsehenerregenden Vortrag "Über Menschenschöpfung und Seelensubstanz" und wies darin nicht nur die Anhänger des naturwissenschaftlichen Materialismus in ihre Schranken, sondern unterstrich, daß die gesamte Menschheit ohne Zweifel auf ein Urpaar zurückzuführen sei. 269 Im De263 Biograph. Anhang, Wagner 1850b. 264 In den Werken über seine Reisen in den Orient fmden sich bereits die ersten konkreten Anzeichen von einer Migrationstheorie; er gebraucht den Begriff "Migrationsgesetz" jedoch erstmals 1853 in seinem Reisewerk über Nordamerika; vgl. B.Voit 13. 265 Johann Lukas Schönlein (1793-1864), Medizinstudium in Landshut u. Würzburg, ab 1824 o. Prof. der Medizin in Würzburg, 1830 amtsenthoben, ab 1833 in Zürich und Berlin Professor. 266 Bleker 59 f. 267 Ein ausgezeichneter Überblick über die geistige Situation Lamerckismus Darwinismus - Materialismus fmdet sich bei Owen Chadwick: The Secularization of the European Mind in the Nineteenth Century. Cambridge 1975; oder Günter Altner: Der Darwinismus. Die Geschichte einer Theorie. Darmstadt 1981. 268 So Wagner selbst (vgl. Biograph. Anhang, Wagner 1889, 38). Der Wandel ist in seinen Reisewerken nachzuvollziehen, wo allerdings die entsprechenden Stellen kaum vermutet werden und Wagner deshalb auch von seinen Zeitgenossen nur schwer rezipiert werden konnte. 269 Vasold 157. Engelhardt 70.

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zember gleichen Jahres wurde durch die katholische Kirche das Dogma der Unbefleckten Empfängnis verkündet. Obwohl die Kontroverse sozusagen in der eigenen Familie vorlag, mischte sich Moritz Wagner zu diesem Zeitpunkt jedoch in keiner Weise öffentlich in die Materialismus-Diskussion ein. Anscheinend hatte Liebig doch recht, wenn er 1856 in der Sitzung der wissenschaftlichen Kommission meinte, Wagners Reisen hätten ihn fernab der Heimat von jeglichen wissenschatlichen Entwicklungen abgenabelt. Denn erst 1859, nach seiner Rückkehr aus Amerika, meldete sich auch Wagner dazu zu Wort, vorerst aber erst mündlich in den Gelehrtenzirkeln seiner Aufenthaltsorte. 1859 war auch jenes Jahr, in dem Charles Darwins Werk On the Origins 0/ Species by means 0/ Natural Selection erschien. Moritz Wagner, der sich in

den Jahren 1859 bis 1862 noch wechselnd in Göttingen, München und Heidelberg aufhielt, war fasziniert von der Wirkung des Buches, dessen Rezeption in den Gelehrtenkreisen dieser Universitätsstädte er hautnah miterlebte: in Göttingen wohnte er der ersten gemeinschaftlichen Lesung des Buches unmittelbar nach dessen Eintreffen bei, im Kreise der Botaniker Bartling und Grisebach, des Geologen Sartorius von Walterhausen, seines Bruders Rudolf, des Chemikers Wöhler und noch manch anderer. In Heidelberg hatte er im Frühjahr 1860 ausführliche Gespräche mit dem Paläontologen Heinrich Bronn, der gerade die deutsche Übersetzung des Darwin-Werkes zum Druck gegeben hatte, und hörte die Meinung anderer Heidelberger Professoren wie Helmholtz, Bunsen, Blum oder Knapp. In München erlebte er nun besonders die Reaktionen von Siebold, Liebig, Bischoff, Martius, Nägeli oder Oppel, vor allem aber die ersten Polemiken von Frohscbammer und Johannes Huber gegen den Darwinismus. 270 Mit all diesen und vielen anderen Gelehrten hatte sich nun Moritz Wagner, gleichermaßen wie diese selbst ungemein angeregt von Darwins Buch, in einen ständigen schriftlichen wie mündlichen Gedankenaustausch begeben. 271

Es sollten noch viele Kontakte zu anderen Gelehrten im Streit um den Darwinismus folgen, etwa zu Rudolf Virchow oder zu Charles Darwin selbst. Ernst Haeckels Natürliche Schöpfungsgeschichte ebenso wie David Friedrich

270 Vgl. Biograph. Anhang, Wagner 1889, 36 ff. Hier fmdet sich eine subjektive, jedoch sehr aufschlußreiche Schilderung von der unmittelbaren Rezeption dieses Darwin-Buches in den unterschiedlichsten Kreisen. 271 Da der Nachlaß Moritz Wagners als verschollen zu gelten hat, ist es ein glücklicher Umstand, daß sich gerade aufgrund dieser weitverzweigten Kontakte in anderen Gelehrtennachlässen immer wieder Briefe Wagners fmden lassen, wobei natürlich dazu meist die Gegenstücke der Korrespondenzpartner fehlen (nur wenige von diesen, wie etwa Karl Ernst von Baer, haben manchmal Kopien der eigenen Schreiben beigelegt).

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Strauß und sein Werk Der alte und der neue Glaube'l72 hatten nicht nur seine Bewunderung; mit den Autoren war er auch freundschaftlich verbunden, wobei er besonders an Haeckels Verbindungen mit den Münchner Zoologen und Physiologen Siebold und Hertwig partizipierte. 273 Über all diese Fragen hinweg war ihm besonders eine Freundschaft zugewachsen, die ihm letztendlich auch zu einem bescheidenen Nachruhm verhelfen sollte: Im Dezember 1871 war der Karlsruher Geograph Friedrich Ratzel nach München gekommen. Er hatte bisher ein ähnliches Schicksal wie Wagner hinter sich: eine Lehre, dann journalistische Tätigkeiten um des Broterwerbes willen, danach erst der Weg zur wissenschaftlichen Betätigung.274 Ratzel hatte sich bereits 1869 durch sein Werk Sein und Werden der Organischen Welt275 als Materialist, aber auch als ein Gegner Darwins ausgewiesen. Nicht nur dies, auch die Parallelen im Lebensweg (des immerhin um 30 Jahre Jüngeren), die gemeinsame Bekanntschaft mit Zitte1276 und eine Reihe anderer Faktoren schufen sehr schnell eine enge Verbindung zwischen Wagner und Ratzei, die man fast als Vater-Sohn-Verhältnis bezeichnen könnte. 277 Wesentlich an dieser engen persönlichen Beziehung ist deren Auswirkung: Auf Wagners Einfluß ist die Anthropogeographie'l78 Friedrich Ratzeis und die daraus entstehende Schule zurückzuführen. Ratzel hat dies in der Widmung 272 Wagners Freundschaft mit David Friedrich Strauß war über die Lektüre dessen Buches Das Leben Jesu (1835) zustandegekommen, auch später las er noch begeistert Strauß' Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntnis (Leipzig 1872). Vgl. Steinmetzler 97. 273 So war auch die Herausgabe einer Zeitung Haeckels zu entwicklungsgeschichtlichen Fragen unter der Mitwirkung Wagners im Gespräch. Vgl. EHH, Best.A, AbU, Wagner an Haeckel, München, 8.6.1872. 274 Friedrich Ratzel (1844-1904), Apothekerlehre, Studium der Naturwissenschaften, Reisejournalist, Studium und Promotion in vergleichender Anthropologie. Nach Kriegsteilnahme und Verwundung 1871 nach München; dort 1876-1886 Professor für Geographie an der Technischen Hochschule in München, 1886-1904 o. Professor in Leipzig. Dort begründete er seine Anthropogeographie. Zu Ratzel vgl. neben Buttmann und SteinmetzIer auch Helmolt und Hassert. Die neuesten und wohl umfangreichsten Forschungen zu RatzeI, von Gerhard H. Müller in seiner Habilitationsschrift niedergelegt, waren mir noch nicht zugänglich. Nach Auskunft d. Vf. erscheinen diese 1994 unter dem Titel: Friedrich Ratzel (1844-1904). Naturwissenschaftler, Geograph, Gelehrter. Neue Beiträge ... 275 Erschienen 1869, s.l.

276 Zittel war in Karlsruhe RatzeIs Lehrer für Geologie gewesen und dürfte wohl über ihn auch in Wagners Nähe gekommen sein. Vgl. dazu H.Beck, Moritz Wagner 288. 277 So etwa nach den Erinnerungen von Braun-Artaria 187. Rosalie Braun-Artaria, feinsinnige und gebildete Tochter eines Mainzer Musikverlegers, verkehrte regelmäßig bei Wagner und konnte so über Jahre die Freundschaft zwischen Ratzel und Wagner verfolgen. 278 Friedrich RatzeI: Anthropogeographie. 2 Teile. Stuttgart 1891.

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seines Buches an Moritz Wagner so fonnuliert: 279 "Die Wurzeln dieses Buches reichen nämlich in jene Zeit zurück, in welcher Ihre Migrationstheorie mich mächtig anregte, und einzelne Ausarbeitungen und Gedanken, die in demselben ihre Stelle bzw. ihre Entwicklung gefunden hatten, stammen aus den Jahren 1872 und 1873, in denen es mir vergönnt war, mit Ihnen bereits die Anwendung Ihrer Theorie auf die Erscheinungen des Völkerlebens zu erwägen. Damals lernte ich zuerst in der Auffassung der Geschichte als einer großen Summe von Bewegungen die Möglichkeit einer fruchtbaren Vertiefung des vielbesprochenen aber wenig geförderten Problems der Rückwirkung des Schauplatzes auf die Geschichte ahnen. Es ist - brauche ich dies zu betonen? nicht geschrieben, um die Migrationstheorie zu stützen, die dessen nicht bedarf. "280 Ratzel hatte bei seinen eigenen Arbeiten, wie sich aus der Widmung schon erkennen läßt, der Migrationstheorie Wagners eine andere Qualität gegeben, welche dieser entscheidend mit Beispielen seiner zoologischen und botanischen Beobachtungen belegt hatte. Ausgangspunkt solcher Beobachtungen geographischer Verteilung und Anpassung war aber ganz ursprünglich auch bei Wagner der Mensch gewesen, indem er in Nordafrika die Kolonisationsbedingungen weißer Siedler untersucht hatte. Zu diesem Ausgangspunkt Mensch war Ratzel wieder mit seiner Anthropogeographie zurückgekehrt, die in allererster Linie Menschen und Völker, deren Wanderungsbewegungen und die Verbreitung ihrer Kulturgüter in Abhängigkeit von der Umwelt betrachtete. 281 Damit hatte sich Ratzei, mit dem Werkzeug seines Lehrers im Gepäck, wesentlich näher als dieser an die eigentlich ethnologische Komponente der Geographie herangearbeitet. Beachtenswert dabei ist auch, daß Ratzel über Wagner und seine Migrationstheorie ganz wesentliche Elemente der Ritterschen Geographie mit einbezogen hatte, ohne Ritter selbst aber gekannt zu haben. So versteht sich auch die Behauptung, Wagner habe eine MittlersteIlung im Übergang zur modemen Geographie - nicht nur über die Geomorphologie, sondern auch über die Länderkunde - eingenommen. 282 Daß gerade der "frühe" Wagner bei Ratzel am meisten Einfluß ausgeübt hat, zeigt auch dessen Habilitationsschrift über "Die chinesische Auswande279 Übrigens die einzige namentliche Widmung, die Ratzel einem seiner Werke jemals vorangestellt hat. 280 Ratzel, Antropogeographie 1, XV. Zur Wirkung der Migrationstheorie neben Steinmetzler auch Buttmann 67 ff, 84 ff. 281 Wagner selbst hatte nach ihrer Publizierung seine Migrationstheorie auf den Menschen ausdrücklich nur zweimal angewandt. Vgl. Biograph. Anhang, Wagner 1872d und 1886a. 282 H.Beck, Carl Ritter passim. Das Verhältnis Ritter-Ratzel, auch unter Einbezug Wagners, ist recht gut untersucht worden; vgl. z.B.: Büttner/ Hoheisel 85-110; Hoheisel65-81; K.E.Müller, Carl Ritter 24-57.

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rung", Breslau 1876, in deren Vorwort er sich ausdrücklich für die Anregung dazu bei Wagner bedankt. 283 Kolonisation und Auswanderung, Kolonialpolitik und Überbevölkerung (vor der Wagner eine permanente Angst hatte) waren neben dem Sozialismus und den darwinistischen Streitfragen die zentralen Themen in den Gesprächen der Freunde. 284 Nicht wenige davon fanden übrigens in Ammerland am Starnberger See statt, wo Wagner den Sommer im "Schusterhäuschen " , dem letzten des Ortes, zu verbringen pflegte. 285 RatzeIs weitere Arbeiten in Zusammenhang mit seiner Anthropogeographie, welche vor allem die Verbreitung menschlichen (matieriallen) Kulturgutes und die Wanderungsbewegungen zum Gegenstand haben,286 machen seine große Bedeutung für die Theorienbildung innerhalb der sich herausformenden Fachwissenschaft Völkerkunde deutlich. Mit der Verbreitung und dem Vergleich materieller Kulturgüter ist er wie Bastian287 und nach ihm Gräbner, Ankermann und Schmidt einer der Väter der Kulturkreislehre, welche die deutsche Völkerkunde für Jahrzehnte, teilweise bis in die Gegenwart nachhaltig beeinflußt hat. 288 Dies bezeugt auch RatzeIs zweites großes Werk, die 1885 bis 1888 in Leipzig erschienene dreibändige Völkerkunde, zu deren Entstehen neben Adolf Bastian auch wiederum Moritz Wagner beigetragen hatte. 289 So muß man Moritz Wagner ganz sicher einen Platz im Kreis der Väter der Kulturkreislehre zuweisen.

e) Von der Er-Fahrungs-Wissenschaft zur armchair-science Alles in allem reflektiert Wagners Betätigungsfeld einen beachtlichen Ausschnitt aus der ganzen Vielfalt sich ausdifferenzierender Naturwissenschaften 283

Vgl. dazu auch Steinmetzler 96. 284 Braun-Artaria 187. Allerdings entwickelte sich Ratzel etwas weg vom Darwinismus, was sich auch bemerkbar macht, indem er ab 1882, als er die Redaktion des Ausland übernahm, dessen bisherige dezidiert darwinistisch-spekulative Richtung wieder mehr in den rein wissenschaftlichen Bereich zurückführte. Vgl. Lohrer 83. 285 Nach einem Schreiben Wagners an Cotta, DLA, 21.7.1875, bittet dieser um Zusendung von Sonderdrucken nach Ammerland, wo er beim "Schuhmacher Grünwald" wohnte. Dort starb 1904 übrigens auch Priedrich Ratzel (nach Steinmetzler 96). 286 Ratzeis "klassische" Arbeit dazu: Die geographische Verbreitung des Bogens und der Pfeile in Afrika, in: Bericht über die Verhandlungen der kgl. sächs. Gesellschaft d. Wissenschaften Leipzig, phil.-hist.Kl. Bd.38/39 (1881) 233-252. 287 Piedermutz-Laun, Begründung 167 ff. Zu Ratzeis Rolle als Theorienbildner in der Völkerkunde vgl. auch Lowie, History 119-127. 288 Zur Bedeutung der Anthropogeographie für die Kutlurkreislehre sehr ausführlich, wenn auch vor allem begrifflich bei Leser 1-36. 289 Bereits 1894/95 als zweibändige, völlig neu überarbeitete Auflage wiedererschienen. Vgl. auch Buttmann 84 f. 9 Smolka

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im 19. Jahrhundert. Moritz Wagner hatte sich im Verlaufe seiner langen und ausgedehnten Reisen, die ja nichts anderes darstellten als intensive Feldforschungen, ein sehr umfassendes naturkundliches Wissen angeeignet, mit dem doch einige beachtliche wissenschaftliche Leistungen verbunden waren: seine einmaligen naturkundlichen Forschungen in Algier etwa, welche die erste Monographie dieser Art in ihrer Zeit hervorbrachten,29O oder seine geographischen Forschungen in der terra incognita um den Arrarat, 29 I vor allem aber seine letzten Feldforschungen in Mittel- und Südamerika. 292 Bei diesen Reisen hatte Wagner immer bewujJt das Vorbild von Forschern wie Alexander von Humboldt vor Augen und beklagte immer wieder den Umstand, daß deren Verdienste zugunsten von Spezialforschungen gänzlich in den Hintergrund gedrängt würden. Zwar mußte er zugeben, daß man den Wert von naturkundlichen Sammlungen und deskriptiven Werken, "überhaupt den Werth der Systematik", zeitweise sehr überschätzt hatte, beklagte aber, daß man nun in ein anderes Extrem verfallen sei: "Minutiöse Specialforschungen haben nach der vorherrschenden Auffassung der Gegenwart fast allein Werth und Geltung". Aber Wagner teilte auch Larochefoucaults Überzeugung, "daß diejenigen, welche sich allzuviel mit kleinen Gegenständen abgeben, unfähig werden für größere." Dabei erkannte er durchaus das Verdienst der "kleinen und fleißigen Specialisten und Mikroskopiker" für die Wissenschaft an, verdammte jedoch demgegenüber die "Schar von Compilatoren und Kritikern, die von der täglichen PlÜDderung der Originalarbeiten anderer zehrt und ein wundergroßes Verdienst in Anspruch nimmt". "Wo Talent und Erfolg gering, da ist die eigene Überschätzung in der Regel desto größer. Wirklich große, bahnbrechende Forscher wie Leopold v. Buch und Alexander v. Humboldt werden heute von manchen kleinen Specialisten als 'geniale Dilettanten der Wissenschaft' behandelt. Der Zwerg, welcher auf den Schultern eines Riesen sitzt, der ihm die Wege geöffnet und geklärt, mag sich sehr groß und weitsichtig dünken ..... 293 Wie diese Abrechnung mit den "kleinen Specialisten" zeigt, stand Wagner selbst noch fest in der Tradition des universalen naturkundlichen Reiseforschers, obwohl er selbst bereits in seinem, wie seine Epigonen meinen, reifsten Werk Naturwissenschaftliche Reisen wertvolle Beiträge im Sinne der exakten Fachwissenschaften geliefert hatte. Gleichzeitig markiert Wagner auch einen allgemeinen Umstand, der gerade ihm zutiefst zuwider sein mußte: Der 290 Darauf verweist schon 1872 Carus 662; er reiht Wagner bereits (unter biologischen Aspekten) in die moderne Periode der Morphologie ein. 291 Darauf verweist vor allem wieder H.Beck, Reisende. 292 Nach H.Beck, Germania in Pacifico 75, haben dafür diese Bedeutung in Deutschland nach Wagner nur noch Karl Sapper und Pranz Termer erreicht. 293 Biograph. Anhang, Wagner 1870a XV f.

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Phase der Entdeckungs- und Forschungsreisen war nun die der Auswertungen derselben mit den Mitteln der exakten Wissenschaften gefolgt, was jedoch in der Intensität dieses Phasenwechsels, den Wagner sozusagen an seinem Höhepunkt miterlebte, für ihn nichts anderes war als das Verkommen gerade der "Er-Fahrungs-Wissenschaft" der alten Forschungsreisenden zu einer bloßen "annchair science" .294 Dabei war Wagner selbst auf dem besten Wege, sich darin zu etablieren. Seit er in MÜDchen das Amt des Konservators der ethnographischen Sammlung übernommen hatte, wurde er als ehemaliger Forschungsreisender mit der Welt sich institutionalisierender und ausdifferenzierender Fachwissenschaften konfrontiert, die ihn in eine Fülle von Widersprüchen verstrickte. Einer davon war bereits der, daß er sich freiwillig in diese Situation begeben, ja direkt gesehnt hatte. Unter diesem Aspekt mag man vielleicht auch Wagners Engagement bei den Pfahlbauten-Grabungen im Stamberger See werten, nämlich als nochmaligen Versuch, zurück zu seiner Art der Empirie zu gelangen, die Auswertung aber vom theoretischen Ansatz her erst in zweiter Linie zu betreiben. Ebenso setzte die Verwesung der paläontologischen Staatssammlung genauso wie Wagners Engagement für die prähistorische Ausstellung zunächst von sich aus keinerlei wissenschaftstheoretische Intentionen voraus - ersteres entsprang schlichten organisatorischen Bedürfnissen des Generalkonservatoriums, letzteres konnte aus der Mitgliedschaft Wagners bei der MÜDchener Anthropologischen Gesellschaft, vor allem aber seiner freundschaftlichen Bindung zu Geschäftsführer Zittel entsprungen sein. Dagegen läßt sich neben der rein organisatorischen Komponente doch auch ein wissenschaftliches Interesse Wagners an Anthropologie und Urgeschichte konstatieren. So signalisiert bereits in seinem kurzen Bericht über seine Grabungen in den Indianergräbern von Chiriqui eine Bemerkung, daß sein Interesse außer den Grabbeigaben vor allem auch den Schädeln der Indianer galt. Ebenso setzte er sich als Konservator des ethnographischen Museums sehr für den Ankauf einer umfangreichen Sammlung von Abbildungen verschiedener Menschenköpfe, Hände und Füße ein, welche die Schlagintweits in Umlauf gebracht hatten,295 Intere,ssensgebiete, die der rein physischen Anthropologie zuzuordnen sind. 294 Durch Wagner wird hier eine ganz allgemein verbreitete Situation charakterisiert, eben die bei den meisten Reisenden nur allzu häufig auftretende Abneigung gegen die Stubengelehrten und vermeintlich intrigierenden Wissenschaftler in der Heimat. Vgl. dazu die Analyse bei Essner 106 ff. 295 Die Forschungsreisenden Robert, Adolf und Hermann Schlagintweit hatten u.a. eine Serie von 275 Köpfen, 30 Händen und 7 Füßen als Metall- bzw. Gipsabguß in den Buchhandel gebracht. Diese und - entgegen seinem Wunsch - nur 49 weitere Sammlungsteile konnte Wagner 1880 erwerben. Vgl. u. a. H.Kömer, Brüder Schlagintweit 11-75; sowie bei Stefan Schlagintweit: Die Brüder Schlagintweit - ein Abriß ihres Lebens, in: Müller/Raunig (Hg): Der Weg zum Dach der Welt. Innsbruck 1982, 11-13; zur Köpfesammlung vgl. bei Hermann von Schlagintweit-Sakülünski: 9"

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Wiederum im Gegensatz zu seinen entwicklungsgeschichtlichen Interessen, wie er sie etwa in der Akadamieabhandlung über seine Pfahlbautengrabungen darlegte,296 steht auch die Tatsache, daß er die ethnographische Sammlung nach keiner evolutionistischen Taxonomie geordnet hatte, wie sie anderswo durchaus zu finden war, sondern die Sammlungen nur einer groben regionalen Gliederung unterworfen hatte. 297 Paradoxerweise war die Völkerkunde also das, womit sich Wagner in seiner Zeit als Konservator der ethnographischen Sammlung am wenigsten beschäftigt hatte; eine Förderung oder gar Institutionalisierung als eigenständiges Fach hat durch Wagner somit nicht stattgefunden. Dies darf man ihm einerseits nicht übermäßig zum Vorwurf machen, da eine solche Ausformung der Völkerkunde als eigenständiges Fach mit Blick auf die Gesamtentwicklung ganz allgemein noch nicht stattgefunden hatte. Jedoch wäre zu erwarten gewesen, daß er als Konservator der ethnographischen Sammlung in diese Entwicklung zumindest lokal eingegriffen hätte. Eben dies ist nicht geschehen. Auch die Möglichkeit, als Honorarprofessor dahingehend an der Universität zu wirken, wurde von ihm nicht genutzt, obwohl ihm von der Nominierung seines Faches her, wie bereits dargestellt, alle Entfaltungsmöglichkeiten dazu offen gestanden wären. Statt dessen entwikkelte er sich in den wenigen Vorlesungen, die er ankündigte, stetig weg von einer Ethnographie im Sinne der Behandlung fremder Völker hin zu einer allgemeinen Erdkunde im Sinne der politischen Statistik, also der allgemeinen Länderkunde, und der Oberflächenmorphologie. Nur ganze zwei Mal in den 25 Jahren seiner Konservatorentätigkeit in München hat er eine Lehrveranstaltung in Verbindung mit der ethnographischen Sammlung angeführt,298 und in seinen Akademiereden, mit welchen er zumindest einem begrenzten, aber gelehrten Publikum hätte Impulse geben können, geht er auf völkerkundliche Belange überhaupt nicht ein. So fand Wagner für seine Wirkungszeit in München auch keinerlei Schülerschaft, welche seine Arbeit über seine Lebenszeit hätte hinaustragen und verbreiten können - von Friedrich Ratzel einmal abgesehen. Zumindest einige Erklärungen lassen sich für diese Entwicklung anführen: Da sind einmal die inneren Bedingungen der Universität, an welcher er lehren Berichte über die ethnographischen Gegenstände unserer Sammlung in der k. Burg zu Nümberg. München 1878. 296 Biograph. Anhang, Wagner 1866a. 297 Vgl. dazu Gareis 51 f. Dieses allerdings ließe sich mit der räumlichen Komponente seiner Migrationstheorie in Verbindung bringen, wird von Wagner selbst aber so niemals begründet. 298 SS 1883: "Länder- und Völkerkunde mit Demonstrationen im ethnographischen Museum"; SS 1885: "Vorträge mit Demonstrationen im ethnographischen Museum". Da es leider keine überlieferten Kollegmitschriften etc. gibt, ist auch der Inhalt von Wagners Lehrveranstaltungen nicht bekannt.

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durfte; an ihr war ganz offensichtlich kein Raum für die Etablierung eines zusätzlichen Faches "Völkerkunde", wie schon anderweitig dargelegt wurde. Ja, Wagners Nachfolger im Amt will später sogar ein ausgesprochen feindliches Klima für die Völkerkunde an der Ludwig-Maximilians-Universität ausgemacht haben. Ein weiterer Grund, der dem geistigen Klima in München bzw. Bayern zuzurechnen ist, ist das Fehlen weiterer unterstützender Institutionen wie etwa Vereine oder gelehrte Gesellschaften, wie sie zu Wagners Zeit bereits in manch anderen Städten, etwa Berlin, gegründet worden waren. Zwar wurde gegenüber dem gesamtdeutschen Raum ohne irgendeine Verzögerung auch in München 1870 ein Zweigverein der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte gegründet. Moritz Wagner ist darin nicht als Gründungsmitglied nachzuweisen, führte aber im Jahr 1871 den Vorsitz und war auf der Mitgliederliste ausdrücklich als "Ethnologe" geführt. Von dieser Gesellschaft war jedoch zu keiner Zeit ihres Bestehens für ethnologische Interessensphären ein Impuls ausgegangen. Besonders deutlich wird dies ab 1875, als mit der Herausgabe eines eigenen Organs der Gesellschaft die Ethnologie in dessen Titel überhaupt nicht mehr in Erscheinung tritt. 299 Gegenstand ihrer Arbeiten waren allein die Anthropologie und die Urgeschichte geworden; eine Entwicklung, die sich bereits durch die urgeschichtlichen Forschungen Siebolds und Wagners im Auftrage der Akademie angedeutet hatte und andererseits durch die gleichermaßen ausgerichtete starke Tätigkeit der historischen Vereine in ganz Bayern, aber auch durch den Impuls der Tagung der Deutschen Gesellschaft für ABU 1875 in München ganz entscheidend verstärkt worden war. 300 Somit fehlte in München das geistige Klima für die Ethnologie ebenso wie eine Persönlichkeit, die in der Lage gewesen wäre, sich zugunsten dieses Faches in die Waagschale zu werfen, wie etwa Adolf Bastian in Berlin. 301 Wagner als designierter Protagonist der Münchner Völkerkunde hatte dies keineswegs versäumt, sondern nicht gewollt, vielleicht auch nicht gekonnt. Nicht gekonnt deswegen, weil er bereits krank von seiner letzten For299 Beiträge zur Anthropologie und Urgeschichte Bayerns. Die Entwicklung der Münchner Gesellschaft bedürfte noch einer eingehenderen Untersuchung, was hier jedoch unterlassen wird, da sie eben eindeutig von Beginn an keinen Einfluß auf die Münchener Völkerkunde genommen hat. 300 Diese Ausrichtung hat sich auch in den folgenden Jahrzehnten nicht geändert: Der spätere Direktor des Münchner Völkerkundemuseums, Heinrich Ubbelohde-Doerig, legte 1935 deswegen den zweiten Vorsitz bei der Münchner Gesellschaft nieder; vgl. dazu Gareis 55, Anm.53. 301 Bastian war neben Rudolf Virchow, der sich der Anthropologie und Urgeschichtsforschung verschrieben hatte, der zweite "starke Mann" der Berliner Gesellschaft für ABU; er gründete eine eigene Zeitschrift (Zeitschrift für Ethnologie), welche bald zu einem zentralen Fachorgan der Völkerkunde wurde. Vgl. dazu ausführlicher Westphal-Hellbusch, Ethnologie in Berlin 157-183.

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schungsreise zurückgekommen war und ein Augenleiden ihm fortan so schwer zu schaffen machte, daß er sich sogar beim Schreiben und Lesen helfen lassen mußte. Seine Münchner Briefe geben davon immer wieder beredten Ausdruck von dieser, wie er es empfand, demütigenden Situation. Noch schlimmer und nachhaltiger, für Wagners weiteres Wirken in München mit Sicherheit ausschlaggebend, ist jedoch ein Oberschenkelhalsbruch, den er sich am 3. Oktober 1870 beim Abspringen von einem Eisenbahnwagen im Münchner Hauptbahnhof zugezogen hatte. 302 Seitdem konnte er sich nur noch mühsam auf Krücken fortbewegen, nurmehr als ein trauriges Abbild des einstigen Weltreisenden. 303 Ein Kehlkopfleiden verstärkte in späteren Jahren noch den körperlichen Verfall bei Wagner. Unter diesen Umständen war rein physisch seine Arbeit in der ethnographischen Sammlung selbst wie auch als Honorarprofessor ab 1870 vor große Hindernisse gestellt; angekündigte Vorlesungen mußte er öfters absagen,304 Akademievorträge stand er oft nur mit großer Mühe durch, die Arbeit in den kalten und unbeheizten Räumen der ethnographischen Sammlung lehnte er in den kalten Monaten ganz ab, nachdem er 1872 auch noch sein altes Arbeitszimmer im Wilhelminum hatte abgeben müssen. Waren so schon die äußeren Bedingungen für eine Arbeit an und mit der ethnographischen Sammlung zugunsten einer Förderung der Völkerkunde in München schlecht genug und führte dies ihn ohnehin weg von jeglicher praktischen Tätigkeit, so wurde das noch verstärkt durch sein alles überdeckendes Engagement für seine Migrationstheorie und ihren Platz in der Auseinandersetzung um den Evolutionismus. "Die Entwicklungslehre ist unter all den wissenschaftlichen Streitfragen der Gegenwart gewiß diejenige, welche am mächtigsten anzieht und die tiefsten Geheimnisse der Schöpfung bewahrt", schrieb er 1872 einer "verehrten Freundin". 305 Die "Entwicklung der Arten durch räumliche Sonderung" sollte alle seine Kräfte binden, von denen er ohnehin immer weniger zur Verfügung hatte, und ihn obendrein vollends in das Milieu derjenigen führen, welche er selbst noch als • Specialisten • und "Mikroskopiker " abgetan hatte. Institutionell also hatte Wagners Wirken, vom ersten Aufbau der ethnographischen Sammlung als einer Initialphase einmal abgesehen, in München keine weiteren Spuren in Sachen Völkerkunde 302 Nach Braun-Artaria 184; aber dies wird auch häufig von Wagner selbst in seinen Briefen erwähnt. 303 Ein lesenswertes Beispiel, wie Wagners Leben nach 1870 ablief, ist hier im Dokumenten-Anhang (343 ff.) anhand eines Briefes von Wagner an Wöhler in Göttingen abgedruckt. Eine sehr einfühlsame Charakterskizze Wagners und seines Lebens in München fmdet man auf wenigen Seiten bei Braun-Artaria 184-190. 304 Dies läßt sich an den handschriftlichen Notizen in den Kanzlei-Exemplaren der gedruckten Vorlesungsverzeichnisse nachvollziehen. 305 BSB Autogr. lIlA, Moritz Wagner an Unbekannt, Seeon, 15.8.1872.

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hinterlassen; überspitzt formuliert wäre es gleichgültig gewesen, ob er als Konservator gleich welcher Samlung oder einfach als Privatgelehrter in München gelebt hätte. Wagner war ein gelehrter Einzelgänger, dessen Leben und theoretisches Werk allerdings noch genauer zu untersuchen sind. Somit bleibt nur noch für Wagner selbst als Fazit seines Wirkens in München zu konstatieren, daß sich in seiner eigenen Person der Wandel vollzogen hatte, den er immer so sehr bedauerte: von der Feldforschung war er zur "annchair science" gelangt. Als das Fortschreiten seiner Krankheit selbst geistige Arbeit für Moritz Wagner zur Unmöglichkeit werden ließ, setzte er am Pfingstmontag, dem 30. Mai 1887, mit einer Pistolenkugel seinem Leben ein Ende. Der Brief an den Sekretär der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, mit dem er noch seine Hinterlassenschaft regelte, gibt mit dem sichtbaren Zerbrechen seiner Schrift ein erschütterndes Zeugnis vom Verfall des einstigen Forschungsreisenden. 306

306

BayAkadW, Personalakt Moritz Wagner.

ill. Die ethnographische Sammlung unter Max Buchner (1887-1907) Nach dem Tode Moritz Wagners und nach einer kurzen grundsätzlichen Überlegung zur Art des Weiterbestandes der ethnographischen Sammlung wurde mit Max Buchner ein neuer Konservator berufen, der zwanzig Jahre seinen Dienst für die Sammlung versah - ein schönes Stück Kontinuität, möchte man meinen. Dennoch zeigen die Entscheidung für den Arzt und Kolonialreisenden Buchner, der sich nur als Autodidakt völkerkundliche Kenntnisse angeeignet hatte, sowie die versorgungstechnischen Aspekte bei seiner Berufung, daß bei Generalkonservatorium und Kultusministerium der Wechsel nicht zur Chance einer fachgerechteren Besetzung der Sammlung genutzt wurde, allerdings auch nicht genutzt werden konnte, da qualifiziertere Bewerber sich nicht angeboten hatten. Dies, obwohl die Entscheidung über die Nachfolge Wagners in einer Zeit anstand, die man durchaus als Schwellenzeit für die Entwicklung der Völkerkunde in Deutschland ansehen kann. Auf der anderen Seite aber auch in einer Zeit, in der "richtige" Völkerkundler noch Mangelware waren, und die Münchner ethnographischen Sammlungen keinen besonderen Ruf genossen. Trotz ernster Bemühungen von seiten Buchners, wenn auch eventuell gehemmt durch seinen etwas schwierigen Charakter, konnte sich die Sammlung unter äußerst ärmlichen materiellen Bedingungen zwar erweitern, die Völkerkunde als Ganzes sich in München aber weitergehend nicht etablieren. Die zwanzig Jahre Buchnerscher Amtszeit haben somit eigentlich zwanzig Jahre Stagnation bedeutet, wobei dies nicht nur dem Konservator, sondern auch der Wissenschaftsverwaltung und den schlechten Münchner Rahmenbedingungen anzulasten ist. Durch die lange Verweildauer der Konservatoren Wagner (25 Jahre) und Buchner (20 Jahre) sind in München jeweils für große Zeitabschnitte die Verhältnisse festgeschrieben worden in den Jahrzehnten, in denen sich andernorts im Rahmen der Gesamtentwicklung der Völkerkunde große Veränderungen ergaben. Daß solche Veränderungen in der Amtszeit Wagners nur bedingt mitvollzogen wurden, ist gezeigt worden. Daß ein Gleiches für die Zeit unter

I. Die Nachfolge Moritz Wagners

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Buchner gilt, wird jetzt zu zeigen sein. Von besonderem Interesse für die

Entwicklung der Völkerkunde in München sind daher die beiden Jahre zu Be-

ginn (1887) und am Ende (1907) von Buchners Amtszeit, jeweils Jahre, in denen die Weichen wieder für einen längeren Zeitraum gestellt worden sind. Denn dies waren auch jene Jahre, in denen eine Reaktion auf die jeweils eingetretenen Veränderungen, über die Tatsache einer bloßen Wiederbesetzung hinaus, hätte stattfinden müssen.

1. Die Nachfolge Moritz Wagners

a) Ein Angriff auf die Selbständigkeit der ethnographischen Sammlung Mit sachlich knappen Worten und ohne Mitteilung näherer Umstände war am 3. Juni vom Generalkonservatorium an das Kultusministerium der Bericht über das Ableben des Konservators der Ethnographischen Sammlung ergangen, mit der gleichzeitigen Aufforderung, für einen Nachfolger Sorge zu tragen. Als Verweser der Sammlung hatte man derweil Professor Zittel eingesetzt, nicht nur, weil er als Konservator der paläontologischen Staatssammlung sich dafür fachlich anzubieten schien, sondern explizit wegen seines freundschaftlichen Verhältnisses zum Verstorbenen. I Bereits einen guten Monat zuvor hatte es aber schon Überlegungen über die nähere Zukunft der ethnographischen Sammlungen gegeben, die u.a. auch die starke Verknüpfung der Sammlung mit Moritz Wagners Person erkennen lassen. Am 4.Mai 1887 hatte der Münchner Professor für Anthropologie, Johannes Ranke, mit Staatsrat von Ziegler2 eine Unterredung geführt, in der er dem Ministerialbeamten seine Gedanken über eine Reorganisation der ethnographischen Sammlung dargelegt hatte. Solche Gedanken waren in Anbetracht des fortgeschrittenen Alters Moritz Wagners - er befand sich im 74. Lebensjahr sicher legitim, und außerdem: "Die leider immer mehr zunehmende Kränklichkeit des verdienstvollen Conservators der ethnographischen Sammlung läßt eine vielleicht baldige Entscheidung der Frage der Neubesetzung der betreffenden Stelle nothwendig erscheinen."3 Ganz offensichtlich aber war die Unterredung ohne Wissen Wagners, ja sogar ohne Wissen Zitteis, dem Ranke mit seiner prähistorischen Sammlung direkt unterstand, geführt worden, und hatte die erklärte Absicht, die ethnographische Sammlung auf dem Verwaltungswege und unter Umgehung der Berufung eines Wagner-Nachfolgers unI

BayHStA, MK 41287, GenKon an KuMi, 3.6.1887. Friedrich von Ziegler (1839-1897), Jurastudium bis 1865, 1877-79 und 1880-83 Sekretär des Königs, anschließend Ministerialrat im KuMi, 1886 Staatsrat, 1888-1897 Regierungspräsident. 3 BayHStA, MK 41287,5. Mai 1887. 2

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m. Max Buchner 1887-1907

ter die Obhut Rankes zu bringen: Johannes Ranke war seit 1886 ordentlicher Professor für (physische) Anthropologie und Vorstand des Anthropologischen Instituts an der Münchner Universität und hatte als Vorstand die gerade erst im Aufbau befindliche prähistorische Staatssammlung zu betreuen, die als eine Abteilung der paläontologischen Staatssammlung deren Konservator Zittel untergeordnet war; Titel und Rang eines Konservators hatte Ranke nicht. 4 Nun, so sah sein Plan vor, sollten ethnographische und prähistorische Sammlungen unter einer Direktion und auch möglichst bald unter einem Dach vereinigt werden. 5 Leiter mit Titel und Rang eines Konservators würde dann er, Ranke, werden. Für den Staatshaushalt, rechnete er vor, wäre das eine ausgesprochen günstige Angelegenheit: er als neuer Konservator würde, da bereits aus der Universitätskasse besoldet, nur noch 600 Mark Funktionszulage erhalten, womit sich vom alten Konservatorengehalt ganze 2.400 Mark erübrigen ließen. Davon könnte leicht noch ein Adjunkt mit 1.500 Mark Funktionsbezug jährlich bezahlt werden, und von den noch verbleibenden 900 Mark könnte man zusätzlich noch jemanden aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs rekrutieren, "einen passenden jungen Mann, womöglich Dr. der Medizin ... "6 Für Ranke selbst lagen die Vorteile auf der Hand: neben den 600 Mark Funktionszulage brachte ihm die Neuorganisation den Titel eines Konservators, der ihm als Vorstand der Münchner Gesellschaftfür Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte wohl zu Gesichte stand und ihn außerdem der Bayerischen Akademie der Wissenschaften erheblich näher brachte (deren Mitglied er doch erst 1893 wurde)'? Außerdem hätte er dann eine Sammlung zu leiten, die ähnlich wie die der allmächtigen Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte über eine ethnographische und eine urgeschichtliche Abteilung verfügen würde. 8 Natürlich argumentierte Ranke nicht mit seinen persönlichen Vorteilen, sondern mit wissenschaftsorganisatorischen und wissenschaftstheoretischen Überlegungen. Einmal eben könne man mit der Vereinigung nun langsam mit Berlin gleichziehen, zum anderen seien Ethnographie und Urgeschichte genuin zusammengehörig, wie schon seine wiederholten Vorlesungen über die Ethnographie der Ur- und Naturvölker zeigen würden: "Die Prähistorie, die alte Ethnographie der Kultur, und die 4 Zu den Verhältnissen von Institut und Staatssammlungen vgl. bei Gieseler 224; Broili 298; Birkner 315 ff; ungenügend Volkerts 201. 5 Die prähistorische Sammlung befand sich noch im Wilhelminum, von dem die ethnographische Sammlung ja seinerzeit ihren Ausgangspunkt genommen hatte. 6 BayHStA, MK 41287, vom 5.Mai 1887; ein Schreiben Rankes, in dem er die tags zuvor erörterten Punkte nochmals zusammenfaßte. Vollständig abgedruckt hier im Dokumenten-Anhang, 347 ff. 7 Geist und Gestalt 2, 232 f. 8 Nicht nur in Berlin, auch in Wien und einer Reihe kleinerer Museen war dies der Fall.

1. Die Nachfolge Moritz Wagners

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Ethnographie der heutigen Völker der Erde sind ja nur verschiedene Blätter in denselbern Briefe von der allgemeinen Culturentwicklung der Menschheit. "9 Ranke zeigte sich so als Vetreter der alten naturgeschichtlichen Schule, indem er mit Vereinigung der kulturellen wie somatischen Aspekte der Vorgeschichte die Wiederherstellung eines einheitlichen Faches "Naturgeschichte" verwirklicht sah, wie sie "schon früher unter Geheimrath von Schubert bestanden hat". Somit wird klar, daß sich Ranke vom theoretischen Ansatz her der Völkerkunde und Urgeschichte von der physischen Seite seines Faches her näherte. 10 Wenn Ranke auch innerhalb des Gesamtgebildes durch die Heranziehung vor allem medizinisch gebildeten Nachwuchses sicher die somatisch-anthropologische Seite, also sein ureigenstes Arbeitsgebiet, gestärkt sehen wollte, so dachte er immerhin daran, für den jetzigen ethnographischen Sammlungsteil vor allem jemanden einzustellen, der über geographische Kenntnisse über den asiatischen und südpazifischen Teil verfügte. Ebenso hatte durchaus das Argument Gewicht, die fortschreitende Spezialisierung in den Wissenschaften würde höhere theoretische wie technische Anforderungen an das Personal der Sammlungen stellen, denen man sicher nicht mehr allein mit den zwei Dienern gerecht werden konnte, die Wagner noch nach dem Ausscheiden des wissenschaftlichen Adjunkten Adam Kuhn geblieben waren: "Außer der gemeinsamen Oberleitung bedürfen jedoch die genannten Staatssammlungen auch ein der mannigfachen und hohen Anforderungen, die heute nicht nur die Wissenschaft, sondern auch schon die Diensttechnik an diesseibe stellt, entsprechende Vermehrung des wissenschaftlich geschulten Personals. "11 Trotz des physisch-anthropologischen Schwerpunkts Rankes hätte eine Erfüllung seiner Forderung, entstanden aus der Kenntnis der schnellen Entwicklung seines eigenen Faches, einer Entwicklung der Völkerkunde hin zum eigenständigen Fach in München sicherlich enormen Vorschub geleistet, wenn nicht gar schon vor der Jahrhundertwende in eine ganz andere Richtung (die der ethnographischen Spezialisierung) gelenkt, wie sie erst Jahizehnte später eingeschlagen worden ist. Offensichtlich war Ranke mit seinen Vorschlägen auch grundsätzlich nicht auf taube Ohren gestoßen. 12 Moritz Wagners schneller Tod hatte aber früher als erwartet andere Verhältnisse geschaffen, die das Auftreten von Bewerbern 9

BayHStA, MK 41287,5. Mai 1887. 10 Bei Gareis 54 scheint aber der gegenteilige Weg, von der Ethnologie her, gemeint zu sein. 11 BayHStA. MK 41287.5. Mai 1887. 12 Nach der Formulierung zu urteilen: "Euer Hochwohlgeboren von mir vollkommen geteilte Ansicht über die Möglichkeit der geschilderten Veränderungen... "; BayHStA, MK 41287, 5. Mai 1887.

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ill. Max Buchner 1887-1907

um die Wagner-Nachfolge mit sich brachten. Letztendlich sollten aber doch verwaltungstechnische Argumente gegen eine Verbindung beider Sammlungen sprechen: an eine räumliche Zusammenführung war wegen des allgemeinen Raummangels augenblicklich sowieso nicht zu denken, und bei einer Vereinigung würden die jetzigen 2.500 Mark Sachetat der ethnographischen Sammlung zusammen mit der augenblicklich etatlosen prähistorischen Sammlung völlig wirkungslos verpuffen. Das letzte Gegenargument schließlich lieferte Ranke mit seiner Person selbst, denn die durchaus vorteilhafte Personalregelung war schließlich nur eine, die mit Rankes Person verknüpft und somit nicht von Dauer war. 13 b) Die Bewerber

Bis Anfang Juli 1887 lagen dem Kultusministerium mehrere Bewerbungen um die Nachfolge Wagners vor. 14 Mit einem Schreiben des Afrikareisenden und ehemaligen Reichskommissars in Sansibar, Gerbard Rohlfs,IS hatte sich dessen einstiger Reisebegleiter, der Schriftsteller und Studienlehrer Dr. earl Mehlis aus dem pfälzischen Dürkheim a.d. Haardt empfohlen. 16 Nicht nur auf der Reise mit Rohlfs, auch später hatte sich Mehlis fast ausschließlich urgeschichtlichen Fragestellungen gewidmet und entsprechend publiziert. Auf der Generalversammlung der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft 1875 in München war er mit einem Vortrag über urgeschichtliche Ringmauern aufgetreten. 17 Später war er auch an der Bearbeitung einer Dialektkarte und an einer Karte der Münchner Anthropologischen Gesellschaft über die Verbreitung der Wohnsitze der Stämme in Bayern beteiligt. 18 Als weiterer Kandidat hatte sich der Münchner Privatdozent Dr. Edmund Heinrich Naumann vorgestellt. Nach fünf Semestern am Dresdener Polytechnikum war Naumann nach München übersiedelt, hatte ein Semester an der BayHStA, MK 41287, KuMi an Luitpold, 20.11.1887. BayHStA, MK 41287, GenKon an KuMi, 6.7.1887. IS Gerhard Friedrich Rohlfs (1831-1896) erforschte vor allem Nordafrika. 1855-1860 Fremdenlegionär in Algerien, bereiste anschließend Marokko und drang über Tafllelt nach Tanger vor. 1865/66 Durchquerung der Sahara von Tripolis zur Guineaküste, 1873/74 Leitung einer ägyptischen Expedition zur Erforschung der Lybischen Wüste. 1884/85 war er Reichskommissar in Sansibar. 16 Von Mehlis wie auch von allen anderen Bewerbern sind im BayHStA keine Unterlagen mehr vorhanden. Außer einer Kassette im GHA, NL Ludwig 11,57-2-124, gibt es speziell für Mehlis auch keine Ersatzüberlieferungen. Überhaupt existiert gerade für diese Zeit eine höchst bedauerliche Dokumentationslücke durch Kriegsverluste des Generalkonservatoriums und der Akademie der Wissenschaften. 17 MNN,13.8.1875. 18 Nach: Das 25jährige Jubiläum der Münchner Gesellschaft für ABU, 8. 13

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1. Die Nachfolge Moritz Wagners

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Polytechnischen Schule, danach an der Universität studiert, nachdem er im August 1873 als Lehramtskandidat die Absolutorialprüfung am Realgymnasium München nachgeholt hatte. 1874 promovierte er mit einer Dissertation Über die Fauna der Pfahlbauten im Starnberger See bei Professor Zittel in Paläontologie und bei Oberbergdirektor Gümbel in Geologie mit summa cum laude. 19 Im März 1875 erhielt er im geognostischen Bureau des Oberbergamts, dessen Leiter ja Gümbel war, eine Ansteliung als Assistent, folgte aber bereits zwei Monate später einem Ruf als Professor für Geologie und Mineralogie nach Tokio, den er ebenfalls auf Vermittlung Gümbels von der dortigen Meiji-Administration erhalten hatte. 20 Als er in Japan eintraf, war aber mittlerweile die Bergschule, an der er tätig werden sollte, aufgelöst worden. Nach einer vorübergehenden Bearbeitung der staatlichen MineraliensammJung übernahm er dann an der Universität von Tokio anstelle des amerikanischen Ingenieurs Munroe die Vertretung der geologischen und mineralogischen Fächer. In dem ansonsten nur aus Engländern und Amerikanern bestehenden Kollegium war damit erstmals für längere Zeit die Anstellung eines deutschen Lehrers erfolgt. Dieser Tätigkeit, unterbrochen durch verschiedene Studienreisen auch außerhalb Japans, folgte eine Anstellung Naumanns durch die japanische Regierung als "Director of the Geological Survey", womit für ihn die Aufgabe einer erstmaligen geologisch-geographischen Landaufnahme Japans verbunden war. 21 Im Juli 1885 kehrte er wieder nach Europa zurück und erhielt 1887 von der 11. Sektion der Philosophischen Fakultät der Universität München die Lehrbefugnis für Geologie und physikalische Geographie. 22 Damit hatte sich Naumann zwar von seinem Promotionsfach Paläontologie abgewandt, welches 19 Naumann (1854-1927) trug den Rufnamen Edmund; anfangs wurde aber fälschlich in den Aktenstücken sein Taufname Heinrich gebraucht, was teilweise zu Verwechslungen führte. Geboren am 11.9.1854 in Meißen, hatte er am Zschokkeschen Institut in Dresden bis 1870 seine Schulausbildung absolviert. UAM, OC-I-2p, Edmund Naumann. Dazu nun auch, zwar in japanischer Sprache, aber mit R