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German Pages [152] Year 2009
Jürgen Hardt / Uta Cramer-Düncher / Matthias Ochs (Hg.)
Verloren in virtuellen Welten Computerspielsucht im Spannungsfeld von Psychotherapie und Pädagogik
Mit 11 Abbildungen und 8 Tabellen
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-40205-4
© 2009, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Daniela Weiland, Göttingen Druck und Bindung: E Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Thomas Graf Trendsetter Onlinegames – zwischen Spielmarkt und Spielsucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Michael Grunewald Ausflüge in virtuelle Welten – eine Darstellung der Internet-Spielwelten von »Second Life«, »World of Warcraft« und »Counter-Strike«
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Angelika Beranek, Uta Cramer-Düncher und Stefan Baier Das Online-Rollenspiel »World of Warcraft« aus subjektiver Sicht jugendlicher Spieler . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Antje Hornung und Helmut Lukesch Die unheimlichen Miterzieher – Internet und Computerspiele und ihre Wirkungen auf Kinder und Jugendliche . . . . . . . . . . . . . 87 Hinderk M. Emrich Internet- und Computerspielabhängigkeit: Kulturwissenschaftliche Anmerkungen und zwei Kasuistiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
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Inhalt
Stefanie Lampen-Imkamp und Bert Theodor te Wildt Phänomenologie, Diagnostik und Therapie der Internet- und Computerspielabhängigkeit . . . . . . . . . . . 120 Klaus Wölfling Ambulante Gruppenpsychotherapie bei Computerspielsucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Vorwort der Herausgeber
Als Planung und Organisation der Fachtagung »Verloren in virtuellen Welten« starteten, war das Thema Computerspielsucht bei Kindern in Medien gerade sehr populär. Für die Popularität dieses Themas in den Medien mag es verschiedene Gründe gegeben haben; ein Grund hierfür war/ist sicherlich, dass sich Eltern und Angehörige immer häufiger hilflos einem neuen Phänomen gegenüber sehen: Kinder und vor allem Jugendliche sowie junge Erwachsene sitzen viele Stunden, gar Tage vor Computern. Sie scheinen nicht ansprechbar zu sein, sondern wie in eine andere Welt gebeamt. Wie solche vereinnahmenden Computerwelten konkret aussehen, bleibt vielen Familienangehörigen allerdings meist verborgen, ist ihnen sogar unheimlich: Denn welche Mutter war etwa schon einmal in der »World of Warcraft« als Mitglied eines Klans unterwegs oder welcher Vater nahm schon einmal die »Ego-Shooter«-Position in »Counter-Strike« ein? Aber nicht nur die Familien, auch viele der diesbezüglich nach Hilfe und Rat angefragten Fachleute wie Psychotherapeuten, Sozialpädagogen oder Lehrer scheinen trotz aller Kompetenz diesem Phänomen zunächst einmal ein wenig ratlos gegenüber zu stehen und Schwierigkeiten damit zu haben, es hinsichtlich eines möglichen Krankheitswerts einzuordnen, um dann wirksam beraten oder behandeln zu können. Dementsprechend war es nicht verwunderlich, dass wir mit der Ankündigung der Fachtagung auf eine große Resonanz unter Fachleuten stießen und uns mit doppelt so vielen Anmeldungen konfrontiert sahen, als Teilnehmerplätze zur Verfügung standen. Das hat uns einerseits sehr gefreut, andererseits bedauerten wir, dass wir dem Fortbildungsbedarf vieler Kollegen nicht gerecht werden konnten – auch hierfür soll dieser Band einen gewissen Ausgleich schaffen:
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Den Fachleuten, die wir leider nicht berücksichtigen konnten, soll auf dem Weg der schriftlichen Dokumentation etwas von den Inhalten der Tagung zukommen. Uns selbst haben verschiedene Beweggründe dazu veranlasst, uns mit dem Thema Computerspielsucht und elektronisch erzeugter Virtualität zu beschäftigen und eine Fachtagung hierzu mit zu initiieren. Als Heilberufskammer und damit als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist die hessische Psychotherapeutenkammer (LPPKJP Hessen) laut Heilberufegesetz verpflichtet, Fortbildungen für ihre Mitglieder zu organisieren. Hierbei konzentrieren wir uns vor allem auf Themen, die auf dem »freien Fortbildungsmarkt« eher selten angeboten werden, nichtsdestotrotz von hoher fachlicher oder berufspolitischer Relevanz sind. Als eine solche aktuell fachlich und gesellschaftlich relevante Thematik haben wir in vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen das Thema Internet- und Computerspielsucht ausgemacht. Das Thema stieß auf Neugier und Interesse und auf Fragen wie die folgenden: – »Wie viel Stunden am Tag vor dem Computer ist eigentlich noch normal?« – »Wo ist die Grenze zwischen dem Umfang der noch zu akzeptierenden Computernutzung und klinisch auffälligem Verhalten?« – »Sind Jungen anfälliger für Computerspielsucht als Mädchen?« – »Was kann ich Eltern konkret raten, die mich fragen, ob sie das Computerspielen verbieten oder tolerieren sollen?« – »Steckt hinter Computerspielsucht nicht eigentlich ein anderes seelisches Problem, wie etwa eine Depression oder soziale Ängstlichkeit?« – »Soll eher die ›zugrunde liegende Störung‹ behandelt, die dahinter versteckten Bedürfnisse und Wünsche therapeutisch herausgearbeitet oder mittels Verhaltenstrainings ein normaler Umgang mit dem Computer erlernt werden? – »Gibt es spezielle Anlaufstellen und Profis für Computerspielsucht bei Kindern und Jugendlichen?« Ein Anliegen der Fachtagung war, ein Forum für einen Diskurs zu solchen und ähnlichen Fragen zwischen Experten und Fach-
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leuten bereitzustellen. Auch die Presse partizipierte im Vorfeld der Veranstaltung am Diskurs: So formulierte die »Frankfurter Rundschau« in einem Artikel zum Thema vom 27.08.2008, in welcher Jürgen Hardt als Präsident der Hessischen Psychotherapeutenkammer (LPPKJP Hessen) ausführlich zu Wort kommt, plakativ und griffig: »PC statt Spielplatz – Daddeln bis der Arzt kommt«. Aber auch in seinen entwicklungspsychologischen und entwicklungspsychopathologischen Aspekten erscheint das Phänomen des exzessiven Computerspielens bei Kindern und Jugendlichen von hervorragendem Interesse. Wissen wir nicht gerade aus der Entwicklungspsychologie, wie wichtig Phantasie und Spiel für ein gesundes seelisches Heranwachsen von Kindern sind, vor allem auch hinsichtlich des gelingenden Umgangs mit Lebenswirklichkeiten? Und vereint etwa ein kreativ gestaltetes Computerspiel wie »Die Sims« nicht gerade diese beiden Aspekte des Spiels und der Phantasie auf vorzügliche Weise? Mehr noch: Sollte nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass Jugendliche mittels Klan-Mitgliedschaften in Onlinespielen wie »World of Warcraft« die Entwicklungsaufgabe, Zugehörigkeit und Bindungen zu Gleichaltrigen herzustellen, gesund bewältigen, damit sogar eine Art von Familienzusammenhalt erfahren und erlernen? Wieso aber bekommen wir ein klammes Gefühl bei Verschmelzungen von seelisch förderlichen kindlichen Phantasie- und Spielprozessen mit bunten, durch Nullen und Einsen erzeugten Bildschirmwelten? Woran lässt sich dieses Gefühl konkret festmachen und wie argumentativ ausformen? Gibt es entwicklungspsychologische Untersuchungen, die sich solchen Fragestellungen annähern? Zudem erscheint uns das Phänomen (Computer generierter) Virtualität in seinen philosophischen und soziokulturellen Dimensionen (siehe hierzu ausführlicher die Einleitung von Jürgen Hardt in diesem Band) von großem Interesse. Vor dem Hintergrund neuerer, vor allem auch neurobiologisch orientierter Erkenntnistheorien erscheint es zum Beispiel schwierig, eine Position zu vertreten, die eine verlässliche Unterscheidung zwischen Konstruiertheit und Nicht-Konstruiertheit subjektiver Lebenswelten zulässt; wo aber ist dann sinnvollerweise eine Grenze
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zwischen virtuell und real zu ziehen – und, mehr noch, diese nachvollziehbar pädagogisch zu vermitteln und im psychotherapeutischen Kontext zu nutzen und zu markieren? Zudem: Wie lassen sich im Kontext postmoderner, global vernetzter Gesellschaften, deren soziale Funktionen im Höchstmaß auf elektronische Technologien (wie etwa Telekommunikation oder EDVSchriftverkehr) angewiesen sind, noch zuverlässige Trennlinien zwischen natürlichen und künstlichen Beziehungen ziehen? Selbst wenn eine solche Differenzierung klar und bestimmt wäre: Woher nehmen wir die Kriterien für die Bewertung dieser beiden Seiten, wenn wir unterscheiden zwischen »besser« und »schlechter« oder »gesund« und »ungesund« oder gar »krank?« Bei der Auswahl der Beiträger haben wir uns um die – unseres Erachtens unerlässlichen – interdisziplinären Perspektiven hinsichtlich des Gegenstandsbereichs auf fachlich hohem Niveau bemüht, und wir hoffen, dass uns dies auch gelungen ist. Mit den ersten drei Beiträgen werden drei Dimensionen in den Fachdiskurs um Computerspielsucht eingeführt, die dort meist unberücksichtigt bleiben, unseres Erachtens aber notwendig sind, um das Phänomen in seiner Facettenvielfalt angemessen erfassen und bewerten zu können: die marktwirtschaftliche Dimension, die Dimension der Feldkompetenz bezüglich des Mediums und die Dimension der subjektiven Sichtweisen von juvenilen Spielern. Thomas Graf, ein sehr versierter und im Betroffenenfeld erfahrener Pädagoge, der unter anderem für die Hessische Landesstelle für Suchtfragen (HLS) tätig ist, beleuchtet in seinem Eingangsbeitrag den Markt der Medienindustrie mit seinen zweistelligen Wachstumsraten – wozu vor allem die Video- und Computerspiele und in hohem Masse Onlinespiele beitragen. Schon heute hat die Branche mit 2,3 Milliarden Euro Umsatz in 2007 die Filmindustrie überholt. Graf konzentriert sich hierbei auf das Onlinerollenspiel »World of Warcraft«, mit 10,7 Millionen Nutzern das erfolgreichste Onlinerollenspiel aller Zeiten, mit dem sich mit monatlichen Gebühren zwischen 11 bis 13 Euro enorme Gewinne erzielen lassen. Er resümiert, dass es Erziehungsaufgabe ist, auch im virtuellen Raum Grenzen oder vielmehr einen Rahmen zu setzen, innerhalb dessen sich Kinder
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geschützt entfalten können. Pädagogische Fachkräfte und Eltern müssen sich darüber bewusst sein, dass sie für Kinder und Jugendliche eine Referenzgröße sein müssen, an der sie sich orientieren und reiben können. Denn schaffen es die Erziehenden nicht, als Referenz wahr- bzw. ernstgenommen zu werden, dringen Kommerz und Marketing in diese Lücke ein. Um eine solche Referenz darstellen zu können, kann es für Fachkräfte und Eltern sehr hilfreich sein, über Feldkompetenz bezüglich des Computerspiels zu verfügen. Michael Grunewald, im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau für den Fachbereich »Bildung und Jugend« zuständiger Soziologe, führt deshalb in drei populäre virtuelle Welten ein: Er betrachtet das scheinbar zweite Leben in »Second Life«, erkundet mit bewaffneten Kämpfern die Welten von »Counter-Strike« und bereist die Welt der Kriegskunst in »World of Warcraft«. Hierbei geht es ihm um den Blick hinter die Kulissen; darum, zu verstehen, wie diese virtuelle Welten aufgebaut sind, wie sie funktionieren und was letztendlich die Faszinationskraft ausmacht. Und wer könnte für ein solches anregendes Unterfangen besser geeignet sein als ein Fachmann wie Grunewald, der von sich selbst gern behauptet, leidenschaftlicher Computerspieler zu sein. Der nachfolgende Beitrag ist das Produkt einer spannenden Zusammenarbeit der Medienpädagogin Angelika Beranek vom »Infoc@fé« Neu-Isenburg, dem Offenbacher Psychotherapeuten mit Spezialisierung auf Computerspielsucht Stefan Baier und Uta Cramer-Düncher, für die Fachtagung verantwortliches Vorstandsmitglied der Hessischen Psychotherapeutenkammer (LPPKJP Hessen). Ihr Anliegen ist es, Computer spielende Kinder und Jugendliche selbst zu Wort kommen zu lassen und deren Sichtweisen als unverzichtbare Ergänzung in den Fachdiskurs einzuspeisen. Hierzu wurden drei Jugendliche im Alter von 13, 15 und 18 Jahren interviewt. Die Interviewten berichten von ihren Erfahrungen im Spiel, ihren Charakteren, der Faszination des Spiels und ihrem Spielverhalten. Betrachtet wird die Spielwelt als Sozialraum, die Identifikation mit Spielfiguren, die Bedeutung der Peergroup und der Stellenwert, den »World of War-
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craft« im Leben der Jugendlichen einnehmen kann. Besonderes Augenmerk wird auf die Anziehungskraft und die sozialen Bedingungen sowie gruppendynamische Prozesse innerhalb und außerhalb des Spiels gelegt. In den nachstehenden drei Artikeln kommen diejenigen Professionen zu Wort, die typischerweise bei suchtbezogenen Verhaltensproblemen bei Kindern, Jugendlichen sowie jungen Erwachsenen um Rat und Hilfe angefragt werden. Wir sind stolz darauf, dass wir hierzu renommierte Experten gewinnen konnten, die den aktuellen pädagogischen, psychotherapeutischen und psychiatrischen Fachdiskurs zu Computerspielsucht in Deutschland maßgeblich mitgestalten. Professor Helmut Lukesch, Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogische Psychologie und Medienpsychologie der Universität Regensburg, ein seit Jahrzehnten sehr erfahrener und renommierter empirischer Medienpädagoge mit einer dezidiert kritischskeptischen Haltung bezüglich der Bagatellisierungstendenzen psychosozialer medialer Effekte, und seine Mitarbeiterin Antje Hornung präsentieren in ihrem Beitrag überzeugende empirische Befunde, nach denen mit Art und Ausmaß der Medienbetätigung eine Reihe gesellschaftlich unerwünschter Effekte, wie Gewaltwirkungen, Lernbeeinträchtigungen, körperliche Effekte (Zunahme von Übergewicht und mangelnder körperlicher Fitness) und Suchtwirkungen verbunden sein können. Ausführlich wird die Thematik der Computer- und Internetsucht dargestellt: Nach einer begrifflichen Erläuterung werden Kriterien für suchtartiges Verhalten und mögliche Einordnungen in die klinischen Klassifikationssysteme (ICD-10, DSM-IV) vorgenommen sowie die bislang entwickelten Verfahren zur Diagnose von Computer- und Internetsucht dargestellt. Auf deren Basis können auch Angaben zur Epidemiologie und zum Verlauf von Computer- und Internetsucht gemacht werden, wobei, wie Lukesch und Hornung zeigen, die konkreten Zahlen je nach einbezogener Stichprobe und Diagnoseverfahren sehr stark schwanken. Professor Hinderk Emrich, Leiter der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover, lädt in seinem Kurzbeitrag zu einem kleinen
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philosophischen und medientheoretischen Rundflug ein, bei dem wir dem Chanson-Sänger Georg Kreisler, dem Medientheoretiker Marshall McLuhan, dem berühmten Werk »Dialektik der Aufklärung« von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno sowie dem Gegenwartsprojekt »Medialität und Vermittelung« des Medienphilosophen Vilem Flusser begegnen dürfen. Emrich belässt es aber nicht bei philosophischen Überblick. Er beschließt seinen Beitrag mit zwei konkreten, hochinteressanten Fallvignetten zur Computerspielsucht aus der klinischen Praxis. Stefanie Lampen-Imkamp und Bert Theodor te Wildt, beide Psychiater von der Forschungsgruppe für medienassoziierte Störungen der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover, argumentieren unter anderem vor dem Hintergrund eigener Daten, dass momentan die Frage, ob Medienabhängigkeit eher als Symptom bekannter psychischer Störungen oder als eine neuartige psychopathologische Bildung zu verstehen ist, wenn überhaupt nur im Einzelfall entschieden werden kann. Ihre eigenen Studien und Erfahrungen sprechen dafür, dass wir es in diesem Zusammenhang vor allem mit Menschen mit frühen Bindungsstörungen zu tun haben, die einer intensiven psychotherapeutischen bisweilen auch psychopharmakologischen Behandlung bedürfen. Wie eine solche psychotherapeutische Behandlung sich konkret gestalten kann, erläutert Klaus Wölfling, psychologischer Psychotherapeut und psychologischer Leiter der Ambulanz für Spielsucht am Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, in seinem fundierten Beitrag. Er stellt ein ambulantes Gruppenpsychotherapieprogramm für Computerspiel süchtige Patienten sowie erste empirische Daten zur Evaluation dieses Programms vor. Zudem beleuchtet er mögliche Zusammenhänge zwischen den diagnostizierbaren Folgeerscheinungen auf körperlicher, psychischer und sozialer Ebene und der subklinischen bis pathogenen Hintergrundsymptomatik. Abschließend ist es uns ein Anliegen, noch einige Dankesworte auszusprechen: Wir danken Kirstin Koch, Jugendschutzbeauftragte der Stadt Frankfurt, für inhaltlichen Impulse, ihre Gastfreundlichkeit und hervorragende Organisation der Tagung
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im Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt am Main. Wir danken Kerstin Geis von der Hessischen Psychotherapeutenkammer (LPPKJP Hessen) für den ausgezeichneten Organisationssupport und Stefan Baier, Psychologischer Psychotherapeut, dafür, dass er der den Anstoß für diese Fachtagung gab, und für seine fachliche Unterstützung in der Vorbereitungsgruppe. Matthias Ochs Uta Cramer-Düncher Jürgen Hardt
Einleitung
Die Veranstaltung »Verloren in virtuellen Welten« der Psychotherapeutenkammer Hessen (LPPKJP Hessen) ist wesentlich auf Initiative von Frau Uta Cramer-Düncher, Mitglied des Vorstandes, zustande gekommen. Sie hat die Thematik in die Gremien der Kammer eingebracht, sie hat die Verbindungen mit dem Jugend- und Sozialamt Frankfurt, dem Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau, dem »Infoc@fe« Neu-Isenburg geknüpft. Frau Cramer-Düncher, Herrn Stefan Baier und den Kooperationspartnern gilt der besondere Dank der Kammer. »Verloren in virtuellen Welten« ist ein Thema, das vielfältige Verbindungen mit der Psychotherapie hat. Das wird schon am Titel unserer Veranstaltung deutlich, in dem die Suchtproblematik benannt wird, also auf eine psychische Erkrankung hingewiesen wird. Damit stellen sich Fragen nach der nosologischen Einordnung und der therapeutischen Konsequenzen. Es ist die Frage, wann und in welcher Weise man bei Computersucht von Krankheit reden kann oder ob das nur als Analogie zu verstehen ist und, wenn es sich um eine Krankheit handeln sollte, wie sie zu behandeln ist. Das ist die hochaktuelle Problematik! Die Verbindung der Psychotherapie mit der Virtualität ist aber viel älter und weitgehender. Virtualität in ihrer ursprünglichen Form stellt in mehrfacher Weise ein Kernproblem der Psychotherapie dar. Das ist sofort einleuchtend, wenn wir – wogegen sich manche Computerspieluser heftig wehren – den neuen Begriff von Virtualität mit alten Begriffen wie Fantasie und Spiel verbinden. Das sind die traditionellen Konzepte, die der so genannten virtuellen Welt zugrunde liegen und die psychotherapeutisch relevant sind. Zu ihrer Thematik gibt es eine Fülle psychologischer Arbeiten.
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Einleitung
Fantasie und Spiel fundieren virtuelle Welten. Weil wirklichkeitssimulierende Spiele Regeln (meist unsichtbaren) unterworfen sind und weil sie geteilt – in Kommunikation – zum Leben kommen, geben sie den Anschein von einer Wirklichkeit neben der Lebenswirklichkeit. So bilden sie eine virtuelle Realität. Der Begriff »virtuelle Realität« ist, wie Wolfgang Welsch bemerkte, ein Oxymoron, das heißt eine Sprachfigur, die einen scharfen Widerspruch nebeneinander stellt, ohne ihn aufzuheben oder zu beruhigen. Es handelt sich um etwas, das die Vernunft beunruhigt. Wir haben uns so sehr an den Begriff der virtuellen Realität gewöhnt, dass wir den impliziten, beunruhigenden Widerspruch meist nicht bemerken, obwohl in der Moderne Virtualität und Realität als ein unvereinbarer Widerspruch gilt. Das ändert sich, wenn man postmodern denkt, in einer uns meist ungewohnten aristotelischen Tradition. Virtuelle Realität stellt uns vor vielfältige erkenntnistheoretische, vielleicht darf ich sagen, ontologisch-philosophische Probleme, die noch längst nicht entschieden sind und um die Philosophen am Ende der Moderne, wie manche meinen, nach der Moderne streiten. Die Psychotherapie ist von diesem Streit berührt, weil sie immer eine Auffassung von Realität vertritt: Sie muss zur Lebenswirklichkeit Stellung nehmen. So fasste Sigmund Freud Psychotherapie als Erziehung zur Wirklichkeit auf. Seine modernen Nachfolger betonen, dass psychische Störungen meist mit dem Nichtertragenkönnen von Lebenstatsachen, das heißt der Lebenswirklichkeit zusammenhängen. Zu den Lebenstatsachen zählen zum Beispiel die Endlichkeit und die Körperlichkeit des menschlichen Lebens. Um die Wirklichkeit ertragen zu können, wird, wenn die Lebensnot unerträglich scheint, eine fantastische psychische Realität gebildet, in der der Kranke gefangen ist und die ihm den Zugang zur Lebenswirklichkeit versperrt. Das ist dann eine Art von individueller virtueller Realität, die den Zweck hat, Lebenstatsachen zu verleugnen, radikal umzugestalten und so erträglich zu machen. Auch andere Psychotherapien als die Psychoanalyse haben ein mehr oder weniger normatives Wirklichkeitsverständnis, das als Maß für Gesundheit gilt. Meist helfen Psychotherapeuten ihren Patienten die fantastische Verleugnung der Realität aufzugeben
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und die wirklichen Lebensaufgaben, ihr authentisches Selbst und das Leben als solches anzuerkennen. Deutlich sieht man das in umgekehrter Form bei den vielfältigen Formen der Traumatherapie, in denen eine unerträgliche Realität eingedämmt wird, damit sie nicht das ganze Seelenleben überflutet. Die Ersatzbildungen müssen dabei auf ihre toxische Wirkung hin geprüft werden. Explizit ist das Problem der Fiktionalität – das ist ein anderer traditioneller Name für Virtualität – der Kern adlerianischen Denkens. Nach Alfred Adler leiden neurotische Menschen an Fiktionen, das heißt an von der Realerfahrung unterschiedenen Vorstellungen von sich und der Welt. Obwohl alle Menschen Fiktionen brauchen, um ihr Leben zu organisieren, steckt in ihnen eine große Gefahr, nämlich die, sie anstelle von der Realerfahrung zu setzen und den Unterschied – zwischen Realität und Fiktion/ Virtualität – aufzuheben. Dann sind Fiktionen in sich geschlossen und bilden eine Welt für sich, dann helfen sie nicht mehr zu überleben, sondern behindern das Leben. In fiktiven Welten kann man sich verfangen und so den Zugang zur Realität verlieren. Auch psychotherapeutische Heilungsprozesse haben mit Virtualität im allgemeinen und traditionellen Sinne zu tun. In der psychotherapeutischen Situation ergibt das Zusammenspiel von Realerfahrung, Erinnerung und Fantasie den Raum, in dem therapeutische Interventionen wirken. So wird ein Übergangsbereich von Wirklichkeit und Fantasie gebildet, eine virtuelle Welt, in dem das »therapeutische Spiel« Lebensprobleme bearbeitet und die Mitspieler für das Leben fähiger macht. Auch hier besteht eine große Gefahr darin, dass das Spiel mit dem Leben selbst verwechselt wird, was bei schweren psychischen Störungen häufig die Therapie aufs Äußerste kompliziert, weil in diesen Fällen der Unterschied zwischen Fantasie und Realerfahrung nicht genügend sicher etabliert ist. Das impliziert, dass die therapeutischen Probleme mit der Virtualität eng mit einem entwicklungspsychologischen Thema verbunden sind, das uns heute ebenfalls beschäftigen wird. Die sichere Unterscheidung von Wirklichkeit und Fantasie ist das Produkt einer Entwicklung, die mehr oder weniger gelingt, die beim Erwachsenwerden mehr oder weniger voranschreitet, ohne
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Einleitung
je ganz abgeschlossen zu sein. Fantasie und Spiel bleiben nicht nur für Erwachsene ein Refugium und Reservat von Kindlichkeit, in dem sie sich erholen und aus dem sie schöpferische Impulse gewinnen, Fantasie und Spiel sind für Kinder und Jugendliche äußerst wichtige Entwicklungsbereiche, in denen sie sich übend auf die Begegnung mit der Lebenswirklichkeit vorbereiten. So sind die traditionellen Vater-Mutter-Kind-Spiele Vorbereitung auf das Leben. Sie sind sogleich Verarbeitungen dessen, was das Kind erlebt und was es an Fantasien um die erlebte Wirklichkeit bildet. Auch die häufigen Berufsspiele helfen auf spätere Auseinandersetzungen im Leben vorzubereiten. Nebenbei werden wichtige Momente wie Konkurrenz und Kampf um Durchsetzung sowie Einordnungen in die Gemeinschaft geprobt und geübt. Insofern erfüllt die virtuelle, technisch bereitgestellte Spielwelt eine wichtige Entwicklungsaufgabe und das tut sie, solange sie das Spannungsfeld von Fantasie und Wirklichkeit erhält und der Gegensatz nicht völlig verwischt oder für obsolet erklärt wird. Wenn das geschieht, drohen vielfältige Gefahren für die psychische Entwicklung und die psychische Gesundheit, die ich in Bezug auf verschiedene Autoren angedeutet habe. Aber es gibt eine andere Gefahr, die den Entwicklungsspielraum am PC und im Internet verengen und zerstören kann. Dazu ein Zwischengedanke: Immer sind Spiele und auch scheinbar höchst individuelle Fantasien in kulturelle Kontexte eingebettet. Ideologische Kräfte wirken auf kindliche Fantasiebildung ein, wenn Jungen Soldaten spielen oder wenn Mädchen ausschließlich und züchtig Puppen versorgen sollen, wie in der Zeit des Nationalsozialismus. Kindliche Fantasiespielräume und Entwicklungsräume werden immer schon ideologisch verwertet, was man bis in das platonische Erziehungsprogramm zurückverfolgen kann. Dieser Einfluss ist aber beim Spiel in den virtuellen Welten besonders gefährlich. Früher waren kindliche Spiele relativ geschützt vor direkter Manipulation. Heute ist das mediale Spielfeld öffentlich und damit zu einem wirtschaftlich interessanten Bereich geworden, den die Werbung nutzt. Die virtuellen Welten sind zunehmend dem Beeinflussungsapparat des »Konsu-
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mismus« (Benjamin Barber) unterworfen. So wird die spielerische Fantasie als Bestandteil der »Lebenswelt« vom »System« (im Sinne von Jürgen Habermas) kolonialisiert und ausgebeutet. Hier können wir feststellen, dass das, was, wir für ein individuelles, therapeutisches Problem halten – die Computerspielsucht –, unter anderem Aspekt – geleitet von anderen Interessen – keine Pathologie, sondern eine höchst wünschenswerte Bildung ist: das Verfallensein an die virtuelle Welt. Es gibt das erfolgreiche Bestreben, Kinder und Jugendliche in die virtuelle Welt zu locken und in ihr zu halten. Es handelt sich dann um eine hergestellte Welt, der »User« verfallen sollen. Eine Welt, in der ein infantilistisches Ethos (Größenfantasien, dass alles möglich sei) herrscht und die ausschließlich ökonomischen Interessen dient. Besonders besorgniserregend ist an dieser Entwicklung, dass Fantasieräume, in denen Kinder und Jugendliche spielend Veränderungsimpulse für die Entwicklung der Gesellschaft erfinden, zu systemkonformen Zwecken missbraucht werden. Damit werden die Entwicklungsräume bezogen auf Veränderungsimpulse zugestellt und steril. In diesem Zusammenhang hat unseres Erachtens Psychotherapie neben der individual therapeutischen eine gesellschaftliche Verantwortung. Sie darf nicht nur den Einzelnen behandeln, sondern muss zugleich auf die Gefährdung von Entwicklungsräumen hinweisen und diesen Gefahren aufklärend entgegen treten. Eine Gesellschaft, die den virtuellen Freiraum der Kinder und Jugendlichen für das spontane Spielen den Kräften des Konsumismus überlässt, läuft Gefahr, dass ihr – wie dem König Midas – alles zu Gold wird und sie schließlich an ihrer unersättlichen Gier verhungert. Zum Schluss möchte ich Herrn Dr. Matthias Ochs, dem wissenschaftlichen Referenten der Kammer (LPPKJP Hessen), danken, der wesentlich zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen hat und ohne den das vorliegende Buch nicht hätte veröffentlicht werden können. Jürgen Hardt Präsident der Psychotherapeutenkammer Hessen (LPPKJP Hessen)
Thomas Graf
Trendsetter Onlinegames – zwischen Spielmarkt und Spielsucht
Zusammenfassung Mit zweistelligen Wachstumsraten Jahr für Jahr und einem Rekordergebnis nach dem anderen sind die Video- und Computerspiele dabei zum wichtigsten Markt der Medienindustrie zu werden. Schon heute hat die Branche mit 2,3 Milliarden Euro Umsatz in 2007 die Filmindustrie überholt. Besonders die Onlinegames sind Trendsetter. Ob mit In-Game-Advertising, Merchandising oder mit monatlichen Accountgebühren, mit Onlinespielen lässt sich viel Geld verdienen. Dies wird nicht zuletzt eindrucksvoll von dem Onlinerollenspiel »World of Warcraft«, dem Spiel, das auch als Synonym für Computerspielsucht steht, dokumentiert. Mit 10,7 Millionen Nutzern ist es das erfolgreichste Onlinerollenspiel aller Zeiten. Mit monatlichen Gebühren zwischen 11 bis 13 Euro lassen sich enorme Umsätze erzielen. Es werden zudem weitere relevante aktuelle Zahlen zu den marktwirtschaftlichen Dimensionen von Computerspielen dargestellt.
Einleitung Mittlerweile haben die Video- und Computerspiele einen zweifelhaften Ruf. Vor allem die politische Killerspieldebatte (vgl. Grote, 2006) wirft einen Schatten über die unkonventionelle Unterhaltungsform. Digitale Spiele stehen unter Generalverdacht, unsere Kinder dick, dumm und kriminell zu machen (vgl. Spitzer, 2005). Sie werden als Ursache von hiesigen Schulmassakern wie in Erfurt oder Emsdetten identifiziert. Als vornehmliches Indiz für diese These gilt: Alle Täter hätten gewalttätige Computerspiele gespielt, vor allem das Killerspiel Nummer eins – »Counter-Strike«. Würde ein Verbot so genannter Killerspiele ausreichen, um Amokläufe in Schulen zu verhindern und die Kriminalitätsrate
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unter Jugendlichen zu senken? Stutzig macht in diesem Zusammenhang, dass »Counter-Strike« seit dem offiziellen Release im Jahre 2000 eines der beliebtesten Computerspiele überhaupt ist. Auch in diesem Jahr konnte das Spiel sich wieder in den Top Ten der Verkaufscharts dauerhaft halten (vgl. Game Star, 2008). Fast alle Jugendlichen, vor allem Jungs, dürften ungeachtet der Altersfreigabe »Counter-Strike« schon einmal gespielt haben. Aber wenn so viele Jugendliche Killerspiele spielen, warum sinkt dann die Kriminalitätsrate (Baier, 2008, S.72) unter Jugendlichen stetig und warum laufen nicht mehr Jugendliche Amok? Ohne hier eine Antwort auf diese plakative Frage geben zu können, soll mit diesem kleinen Exkurs daran appelliert werden, sachlich zu bleiben in der Diskussion um ein neues Unterhaltungsmedium. Es handelt sich in erster Linie um Spiele, die unter Berücksichtigung der Altersfreigabe den Kinder und Jugendlichen Spaß machen, nicht mehr und nicht weniger. Heranwachsende kommen sehr gut zu recht auf den neuen virtuellen Spielplätzen. Kinder sind oft besser als ihre Eltern in der Lage, zwischen Virtualität und Realität zu unterscheiden, auch wenn diese zwei Dimensionen zusehends miteinander verschmelzen. Es bleibt daher zweifelhaft, ob jemand der mit dem Begriff Killerspiele ernsthaft argumentiert, wirklich an einer sachlichen Auseinandersetzung in der Bewertung von digitalen Spielen interessiert ist. Aber trotz alldem gibt es natürlich vielfältige Probleme mit den Neuen Medien. Im Zusammenhang mit Computerspielen wird neben der Jugendgefährdung durch Gewaltdarstellungen noch eine zweite Frage zunehmend diskutiert: Können Computerspiele süchtig machen? Eine Diskussion, in dem ein Computerspiel immer wieder vorkommt: »World of Warcraft« (WoW). Seit dieses Spiel 2004 auf den Markt gekommen ist, hat die Diskussion um das Phänomen der Computerspielsucht deutlich an Quantität und Qualität zugenommen. Aber was ist an diesem Spiel so Besonderes? Wie unterscheidet es sich von anderen Spielen? Und warum wird gerade diese Spiel zum Synonym für Computerspielsucht? Im Folgenden werden wir versuchen, Antworten auf diese Fragen zu finden.
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Um die Dimensionen der digitalen Spielwelten zu begreifen, schauen wir uns den Games-Markt einmal näher an. Denn was da passiert, erklärt die Wucht und Geschwindigkeit, mit der uns die technischen Entwicklungen in diesem Bereich gerade überrollen.
Wachstumsmarkt Computerspiele Wer sich in diesen Tagen mit Neuen Medien beschäftigt, wird um ein Phänomen nicht vorbeikommen – Video- und Computerspiele. Aus den kostspieligen Automatenspielen im schummrigen Nachtleben der 1970er Jahre erwuchs in den 1980ern ein neues Homeentertainment – die Telespiele. Pong und Packman hießen die ersten Bestseller des digitalen Vergnügens, die über schrullige Konsolen auf dem heimischen Fernseher neuen Spielspaß in verstaubte Wohnzimmer brachte. Schön war die Zeit, wird einer denken, der mit diesen Spielen groß geworden ist (vgl. Magdans, 2008). Ein kleiner Nischenmarkt, der in den 1980er Jahren mit Pixelmonstern und 8-bit-Sound auf Atari-Konsolen und Comodore 64 entzückte, nimmt Anlauf, erwachsen zu werden. Seit nunmehr fast 30 Jahren sind die digitalen Spiele der Entwicklungsmotor der Computertechnologie. In einer atemlosen Geschwindigkeit sind digitale Games von einfachen Telespielen zu virtuellen Welten herangewachsen. Ein virtueller Sozialraum mit eigenen Gamecommunitys, Clans, und Gilden ist entstanden. Wer hier nicht mitspielt, verpasst den Zug einer »Kulturrevolution« in der Unterhaltungsbranche. Diese enormen Veränderungen in der Medienkulturlandschaft spiegeln sich in den Verkaufszahlen von Video- und Computerspielen wider. Nach Achim Berg (2008), Vizepräsident des Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (BITKOM), handelt es sich beim GamingMarkt schon lange nicht mehr um eine Nische. »Er ist heute mindestens so bedeutend wie andere Zweige der Unterhaltungsbranche, etwa die Film- oder Musikindustrie. Mit einem Unterschied: Der Games-Markt wächst rasant« (Berg, 2008, S. 2).
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Thomas Graf
Abbildung 1: »Gesamtmarkt in Deutschland wächst auf hohem Niveau weiter«, BITKOM, 2008 (in Milliarden Euro; * Prognose)
Wie die von BITKOM veröffentlichten Zahlen von 2008 in Abbildung 1 zeigen, sind die zweistelligen Wachstumsraten der Video- und Computerspiele beeindruckend. Diese enormen Zuwächse in diesem Marktsegment könnten die digitalen Spiele schon in absehbarer Zeit zum bedeutendsten Medienmarkt überhaupt werden lassen. Dabei sind die bunten Bildschirmspiele schon lange kein Jugendphänomen mehr. Eine Studie von Electronic Arts (EA) teilt die deutschen Zocker in fünf Subgruppen auf: Intensivspieler 5 %, Fantasiespieler 6 %, Denkspieler 11 %, Gewohnheitsspieler 25 %, Freizeitspieler 54 %. Die Freizeitspieler stellen mit Abstand die größte Gruppe da. Laut Studie beträgt hier das Durchschnittsalter 44 Jahre. Männer und Frauen sind in dieser Gruppe gleich stark vertreten (EA, 2006, S. 15). Dieser Trend wird von BITKOM sowie dem Marktforschungsunternehmen Ispos (Berg, 2008) bestätigt. Nach einer repräsentativen Befragung von tausend Deutschen ab 14 Jahren spielen 28 % der Bevölkerung digitale Spiele (davon 22 % Frauen) und mehr als jeder zehnte davon ist über 50 Jahre alt. »Damit ist das digitale Spielen endgültig in der Mitte der Gesellschaft angekommen«, resümiert Achim Berg (2008, S. 11) in einer Rede anlässlich einer Pressekonferenz von BITKOM und Ipsos zwei
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Tage vor Beginn der Leipziger Spielmesse »Games Convention« (GC). Nicht ohne Grund wählt der BITKOM diesen Termin für seine Öffentlichkeitsarbeit. Der führende Branchenverband in der Informationstechnologie weiß nur zu gut um die Relevanz dieser noch unverbrauchten Messe, gerade für die eigenen Branchenmitglieder, die er vertritt. Die GC in Leipzig ist mit 547 Ausstellern aus 32 Ländern und 14.600 Fachbesuchern Europas größte Computerspielmesse. Allein in 2008 wurde die Messe von 203.000 Computerspielfans besucht und 3.400 Journalisten aus aller Welt berichteten von diesem alljährlichen Messespektakel. Die Games Convention ist Europas Leitmesse für den am stärksten wachsenden Medienmarkt, also so etwas wie die Internationale Funkausstellung der Zukunft. Die Bedeutung der Messe wird durch ihre Steigerungsraten dokumentiert. Im Vergleich von 2002 zu 2007 hat die GC in allen Bereichen einen enormen Zuwachs an Ausstellern (+ 203 %), Privatbesuchern (+ 131 %), Fachbesuchern (+ 310 %) und Ausstellungsfläche (+ 277 %) zu verzeichnen (GC-Germany, 2008). Kurz, die Messe ist extrem erfolgreich und weckt damit Begehrlichkeiten. Schon gibt es lautstarke Kritik am Standort Leipzig: Das Messegelände platze aus allen Nähten und es fehle an angemessenen Hotels, vor allem Luxushotels. Kurz, die städtische Infrastruktur könne mit dem Wachstum der Messe nicht mithalten. Das bleibt nicht ohne Folgen, die Leipziger Messe bekommt Konkurrenz. In Köln ist für 2009 die »GamesCon« geplant. Der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e. V. (BIU) fällt dem Standort Leipzig in den Rücken und versucht mit einem gewagten Manöver dem jungen Games-Markt in Deutschland seinen Stempel aufzudrücken. In dem erst 2005 gegründeten Verband sind mittlerweile 13 Mitglieder organisiert, die nach Aussagen des BIU einen Marktanteil von mehr als 80 % am deutschen Computer- und Videospielmarkt repräsentieren. Darunter befinden sich namhafte Firmen wie Nintendo, Microsoft und Sony. Es wird also spannend, welcher Standort die Bühne bereiten darf für Lara Crofts zukünftige Auftritte. Denn eines ist sicher: Zwei Leitmessen für Computerspiele werden sich in Deutschland auf Dauer kaum behaupten können.
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Onlinegames im Trend Pünktlich zur GC stellt der BITKOM alljährlich auch immer neue Trends im Bereich der Computerspiele vor. Neben dem so genannten In-Game-Advertising (Werbung in Computerspielen) werden vor allem die Onlinegames als Wachstumstreiber hervorgehoben (siehe Abbildung 2). Computerspiele also, die über das Internet gespielt werden. Neben einfachen Browsergames, die ohne jegliche Installation direkt auf der Webseite gespielt werden können, sind es vor allem die Onlinerollenspiele, die für Aufsehen gesorgt haben. Mit Gebühren für Accounts, Verkauf von zusätzlichen Spielelementen (Add-ons) und einem ausgedehnten Merchandising lassen sich enorme Umsätze erwirtschaften.
Abbildung 2: »Online-Spiele-Markt – Umsätze weltweit: Gebühren, Werbung, Downloads«, BITKOM, 2007 (Basis: Online-Spiele per PC und Konsole – inkl. Download kompletter Spiele; * durchschnittliche jährliche Wachstumsrate)
Die prognostizierten Wachstumsraten für den Online-SpieleMarkt sind Vorboten einer sich verändernden Mediennutzung, der Medienkonsum verlagert sich. Das Fernsehen wird in naher Zukunft als Leitmedium abgelöst. Denn gerade junge Konsumenten verbringen mehr Zeit mit interaktiven Medienan-
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geboten. Der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest (MPFS) kommt in seiner jährlichen Studie »Jugend, Information, (Multi-)Media« (JIM) zu dem Ergebnis: »Der Computer und das Internet haben in manchen Bereichen dem Fernsehen bereits den Rang abgelaufen. Für Jugendliche sind Computer, Internet und MP3-Player inzwischen weniger verzichtbar als der Fernseher« (MPFS, 2007, S. 69). Die einseitige Rolle als Rezipient allein füllt den modernen Mediennutzer nicht mehr aus. Er emanzipiert sich vom passiven Zuschauer starrer Fernsehprogramme zum aktiven User im World Wide Web. Der User ist sein eigener Programmdirektor, er selektiert, produziert und publiziert Medieninhalte in eigener Regie. Der Medienkonsument wird zum Medienproduzent. Das Webportal »YouTube« ist nur ein Vorgeschmack darauf, wie eine neue Mediengeneration ihr Fernsehen in Teilen selbst produziert. Geschickt und zum Teil auch sehr erfolgreich wird das Videoportal zur Werbung und Verbreitung (»Self Marketing«) eigener Medienprodukte wie Musiksongs, Filme und Animationen genutzt. Mit der Entwicklung des Internets zum »WEB 2.0« entstehen neuartige soziale Netzwerke (Online-Communities), die mit großen Nutzerzahlen vor allem für Werbetreibende interessant sind (vgl. PricewaterhouseCoopers, 2008). Ein weiteres Beispiel eines WEB 2.0-Angebotes ist die freie Enzyklopädie »Wikipedia«. Der Begriff setzt sich aus »Wiki« (Hawaiisch für »schnell«) und »Encyclopedia« (Englisch für Enzyklopädie) zusammen. Auch hier produzieren die Nutzer den Inhalt »ehrenamtlich« und das mit großem Erfolg. Etablierte Enzyklopädien, wie der Brockhaus, werden von Wikipedia mittlerweile in den Schatten gestellt. Eine Studie von IBM, die zukünftige Erwartungen und Präferenzen der Konsumenten an die Telekommunikations- und Medienangebote prognostiziert, kommt in Zusammenhang mit »User Generated Content« zu dem Fazit: »Nutzergenerierte Inhalte erfreuen sich bei den Internet-Nutzern immer größerer Beliebtheit. Es beteiligen sich immerhin 15 % der regelmäßigen Wikipedia-Nutzer selbst aktiv. Zwar sind aktive Wikipedia-Nutzer eher unter den fortgeschrittenen Internet-Nutzern zu suchen, dennoch wird an dieser Bereitschaft und dem Erfolg von Wikipedia deutlich, dass
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dezentral von Nutzern generierte Inhalte durchaus eine ernst zu nehmende Konkurrenz für Angebote kommerzieller Medienunternehmen sein können« (IBM, 2006, S.23). Diese neue Qualität so genannter »Lean Forward & JumpIn«-Angebote spiegelt sich auch in den aktuellen Computerspielen wider. »Von Computerspielen über Online-Spiele hin zu virtuellen Umgebungen, vom reinen Konsum zu einer gestalterischen Mitwirkung. Das sind die beiden wesentlichen Trends, die derzeit im Bereich der Games identifiziert werden können« (IBM 2006, S. 28). Ein erfolgreiches Game braucht heute eine funktionierende Spielergemeinschaft (Gamecommunity), mit der via Internet in einer virtuellen Spielwelt (Gameserver) intensiv interagiert werden kann. Das Mit- und Gegeneinanderspielen im Netz, gepaart mit größtmöglichen Gestaltungsspielräumen für den Einzelnen, wird zu einem maßgeblichen Erfolgsfaktor für Video- und Computerspiele der neuesten Generation. Die Games gehen online und schaffen damit einen scheinbar unendlichen Expansionsraum, ein Otherland (Williams, 2004) für den körperlosen Siedler einer fantastischen digitalen Welt. Bestes Beispiel für diese Entwicklung ist das Onlinegame »World of Warcraft« (WoW) aus der Computerspielschmiede von Blizzard. Die Weiterentwicklung des Strategiespiels »Warcraft« zu einem Onlinerollenspiel schlägt bis dato alle Rekorde: Der Bestseller befand sich im August 2008 gleich mit drei Titeln unter den Top-Ten der Verkaufscharts in Deutschland. Von Platz acht auf Platz zehn rutschte die Einstiegssoftware von WoW ab, den siebten Platz nahm das Add-on »The Burning Crusade« ein und auf Platz fünf schließlich hatte sich ganz aktuell das Komplettpaket aus beiden »Battlechest« platziert (vgl. Game Star, 2008). Das in 2005 veröffentlichte »Massively Multiplayer Online Role Playing Game« (Mehrspieler-Online-Rollenspiel – kurz MMORPG), so die störrische Genrebezeichnung, ist ein riesiger kommerzieller Erfolg. In knapp vier Jahren hat es Blizzard unter dem Publisher Vivendi geschafft, rund 10,7 Millionen Menschen weltweit an das Spiel zu fesseln (Vivendi, 2008, S. 5). Damit ist es das erfolgreichste Onlinerollenspiel aller Zeiten und
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wird zur Referenz aller weiteren Entwicklungen in diesem Marktsegment. Der kommerzielle Erfolg lässt sich leicht erklären. Für das Spiel muss jeder Nutzer die Zugangsoftware erwerben und einen Account (Benutzerkonto zum Spiel) erstellen. Der Account allerdings ist mit monatlichen Gebühren verbunden. Je nach Zahlungsmodi betragen diese 11 bis 13 Euro pro Monat. Die Spielsoftware allein bringt also noch keinen Spielspaß, erst wenn man sich einen Zugangschlüssel gemietet hat, kann es losgehen. Nehmen wir also mal einen durchschnittlichen Betrag von 12 Euro im Monat an und multiplizieren diesen Betrag mit 10,7 Millionen Nutzern. Pro Monat ergibt sich hieraus eine Summe von 128,4 Millionen Euro. Aufs Jahr gerechnet entspricht das einem Umsatz von rund 1,5 Milliarden Euro! Das ist natürlich nur eine einfache Kalkulation und hält keiner betriebswirtschaftlichen Betrachtung stand, außerdem ist der Verkauf der Zugangssoftware, die jährlichen Spielerweiterungen (Add-ons) sowie das umfangreiche Merchandising noch nicht mit eingerechnet. Aber allein diese Zahl verdeutlicht, welche wirtschaftliche Kraft heutzutage ein einziges Computerspiel entfalten kann.
World of Warcraft – Soziologie eines Spiels Das Besondere bei einem MMORPG ist, dass jeder Spieler die Möglichkeit hat, mit mehreren tausend anderen Nutzern gleichzeitig über das Internet gemeinsam zu spielen. Rollenspieler treten also nicht allein gegen den Computer an, sondern schließen sich mit anderen Spielern zu mächtigen Spielgemeinschaften zusammen. Gemeinsam bestreiten sie in einem komplexen Zusammenspiel Abenteuer. Dabei kann jeder Spieler in eine oder mehrere Rollen schlüpfen bzw. seine ganz eigenen Spielfiguren entwickeln. Die Spielfigur wird unter Gamern Chara genannt (engl. »character«). Je nachdem, wie ein Character vom Spieler weiter entwickelt wird, passt er mit seinen erworbenen Fähigkeiten besser oder schlechter zu einer Spielergemeinschaft.
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In »World of Warcraft« geht es hauptsächlich darum, seine virtuelle Identität, also den Character, in einer außergewöhnlichen Gesellschaft der Gamecommunity weiterzuentwickeln. Der soziale Aufstieg erfolgt über das »Leveln« (von Level 1 auf derzeit Level 70) und erfordert viel Zeit. Die Figureneigenschaften können durch das sammeln und handeln (»farmen«) von virtuellen Gegenständen (»Items«, z. B. Zauberschwert) und das Erlernen verschiedener Berufe (Alchimist, Verzauberer, Schmied, Bergbauer etc.) individuell verbessert werden. Einfache Aufgaben (»Quests«) kann man am Anfang noch allein lösen, doch mit steigendem Level können höhere Aufgaben (»Instanzen«) nur noch in der Gruppe erledigt werden. Das führt zur Bildung von festen Spielergruppen (»Gilden«), die auch im realen Leben (»RL« – von engl. »real life«) bedeutsam sind. Die Gilden sind oft organisiert wie Vereine, mit ganz eigenen Regeln, Normen und Kodizes. Die Gilden haben eine interne Hierarchie (z. B. Gildenleitung, Gildenrat, Ritter, Novizen etc.). Wenn Spieler einer Gilde beitreten möchten, müssen sie sich in aller Regel bewerben, da abgeglichen wird, ob die Gilde die Figureneigenschaften des Bewerbers gebrauchen kann. Außerdem wird geschaut, welche reale Person hinter der Figur steckt und ob diese zur Gilde passt oder nicht. Wird ein Spieler dann in die Gilde aufgenommen, steht er in der Pflicht. Wie diese Verpflichtungen aussehen, ist von Gilde zu Gilde ganz unterschiedlich. Je strebsamer eine Gilde ist, desto größer sind in der Regel die Verpflichtungen, an gemeinsamen Abenteuern, so genannten »Raids«, teilzunehmen. Je nach Aufgabenstellung kann ein Raid schon einmal mehrere Stunden, ja vielleicht sogar einen ganzen Tag bzw. Nacht in Anspruch nehmen. Die durchschnittliche wöchentliche Spielzeit eines Onlinerollenspiels übersteigt infolge dessen die eines gewöhnlichen Computerspiels bei Weitem. Es wird in der Regel häufiger und intensiver gespielt. Durch den Gruppendruck in der Gilde kann die Spielzeit nicht immer autonom bestimmt werden, da man sich der Gilde gegenüber verpflichtet fühlt. Gerade Heranwachsende haben oft Probleme, sich gegenüber Vereinnahmungen von außen abzugrenzen.
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In dieser soziologischen Struktur liegt der Schlüssel zum Verständnis der oft sehr aufwändig produzierten Onlinerollenspiele. Die Faszinationskraft dieser Spiele ergibt sich in weiten Teilen aus der Möglichkeit, mit tausenden von anderen Spielern in einer virtuellen Welt gemeinsam Abenteuer zu erleben. Die individuell gewollte bzw. durch das Spielsystem erzwungene Interaktion zwischen den Spielern schafft ganz reale soziale Bindungen. Die Nachhaltigkeit virtueller Freundschaften liegt ganz oft darin, ob es gelingt, diese Beziehung in die reale Welt zu transferieren. Die Leipziger Universität hat im »Medienkonvergenz Monitoring Online Spieler Report 2008« (MeMo_OSR08) unter dem Titel »Die Online-Spieler: Gemeinsam statt einsam« die sozialen Aspekte als zentrales Spielmotiv für junge Spieler hervorgehoben. »Soziale Aspekte – also die Kommunikation und Interaktion mit Anderen – sind für jugendliche Online-SpielerInnen die wesentlichen Beweggründe für das Spielen im bzw. über das Netz. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich die reale Sozialität der Befragten im Virtuellen auflöst. Vielmehr ist das Spielen in die sozialen Welten der Spielenden eingebettet« (Schorb et al., 2008, S. 12). Für Außenstehende sind diese sozialen Verwebungen zwischen realer und virtueller Welt nur schwer erkennbar. Für die meisten Eltern ist WoW bloß ein Computerspiel wie jedes andere auch, was aber mitnichten der Fall ist. Sie verorten ihr Kind vor dem Monitor, wo es ihrer Meinung nach mit bunten Computerfiguren spielt. Das der Monitor allerdings nur ein Fenster zu einem außergewöhnlichen sozialen Netzwerk darstellt und die Figuren darin echte Menschen repräsentieren, wird oft nicht realisiert. Die Frage lautet aus dieser Perspektive weniger, was mein Kind spielt, sondern vielmehr mit wem. Aus dieser Diskrepanz zwischen Innen- und Außenansicht eines Computerspiels leiten sich viele Missverständnisse zwischen den Generationen ab. Es liegt im Interesse aller, hier für mehr Aufklärung zu sorgen. Eltern müssen sich stärker als je zuvor mit den virtuellen Spielplätzen ihrer Kinder auseinandersetzen (vgl. Niggemann, 2007). Es muss allen klar sein, dass die Bindung an ein bestimmtes Computerspiel auch mit der
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Einbindung des Spielers in ein soziales Netzwerk einhergehen kann. Das wissen auch die Spielhersteller. Spielgemeinschaften, ob Gilden, Sippen oder Clans, sind daher ein wichtiges Element in Onlinegames. Es liegt im wirtschaftlichen Kerninteresse der Hersteller von gebührenpflichtigen Internetspielen, die Nutzer langfristig zu binden. Das gilt natürlich auch für das Spiel »World of Warcraft«. Eine exzessive oder gar süchtige Form des Computerspielens ist vermutlich von Blizzard nicht gewollt, wird aber offensichtlich billigend in Kauf genommen. Eine aktivere Rolle des Herstellers zur Vermeidung eines exzessiven Spielkonsums wäre wünschenswert. Zumindest die Nutzungszeiten der Accounts von Minderjährigen sollten durchgehend begrenzt werden. Das wäre zumindest technisch kein Problem. Doch das Appellieren an die Verantwortung eines Unternehmens mit klaren wirtschaftlichen Interessen ist mühsam. Umso mehr wird es erforderlich sein, eine Normalität im Umgang mit zeitintensiven Computerspielen in unserer Gesellschaft zu kultivieren.
WoW als Synonym für Computerspielsucht Seit Erscheinen des Spiels häufen sich Meldungen über junge Menschen, die nichts anderes mehr machen, außer Computer zu spielen. »Hardcorezocker« werden die Intensivspieler unter den Gamern genannt. In der Regel handelt es sich um junge Menschen, meist junge Männer, die sich ganz offensichtlich in WoW »häuslich« einrichten. Die Sogwirkung von Computerspielen, besonders von »World of Warcraft«, wird von vielen Gamern selbst formuliert. In Internetforen beispielsweise beschreiben junge Leute ihre Erfahrungen mit WoW und behaupten von sich selbst, sie seien süchtig. So beklagt ein 17-jähriger Gymnasiast auf der Webseite www. onlinesucht.de unter der Rubrik »Onlinespielsucht« seine Situation wie folgt: »Sogar ganze Familien sind dem Spiel [gemeint ist WoW] verfallen, Vater, Mutter, Kinder … Es ist wie eine Seuche, die einen von innen auffrisst. Man weiß es, man weiß, dass es einen zerstört, aber man kann nicht mehr davon weg.«
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Ähnlich einer substanzbezogenen Suchtkrankheit, haben auch Verhaltenssüchte (z. B. exzessives Computerspielen) nachhaltige negative Folgen für das soziale Umfeld der Betroffenen. In der Pubertät werden wichtige Entwicklungsaufgaben vernachlässigt, der Ablösungsprozess vom Elternhaus ist gestört und der Übergang von Schule und Beruf gelingt nur schwer oder misslingt ganz. Das soziale Umfeld leidet sehr unter dieser Situation. Vor allem Eltern, Lebenspartnerinnen und -partner sowie die Freunde eines Betroffenen wissen nicht, was sie tun können. Bei Angehörigen entwickelt sich oft symptomatisch, wie bei substanzbezogenen Süchten auch, eine Art Co-Abhängigkeit. Es gibt erste wissenschaftliche Hinweise darauf, dass explizit WoW mit einer »krankhaften« Form der Computerspielnutzung in Verbindung steht. Das Zentrum für empirisch pädagogische Forschung (zepf) der Universität Koblenz-Landau hat die Merkmale einer pathologischen Computerspielnutzung im Kindes- und Jugendalter vor dem Hintergrund einer Verhaltenssucht untersucht. Sie gingen dabei auch der Frage nach, ob Heranwachsende mit pathologischem Computerspielkonsum ein Spiel oder Spielgenre bevorzugen. Dabei kamen sie zu einem eindeutigen Ergebnis: »Vielspieler und pathologische Computerspieler zeigen im Vergleich zu anderen Gruppen eine deutliche Präferenz für das Spiel World of Warcraft […]. Im Hinblick auf die zugrunde liegende Stichprobe kann bestätigt werden, dass World of Warcraft bei den pathologische Computerspielern einen besonders hohen Stellenwert einnimmt« (Jäger u. Moormann, 2008, S. 18). Ob dieses Spiel ein definitives Suchtpotential hat, das zu einer Abhängigkeit führen kann, ist bis dato aber noch nicht ausreichend geklärt. Es ist fraglich, ob Computerspiele unter dem Aspekt der Altersfreigabe mittels neu definiertem Suchtkriterium als jugendgefährdend eingestuft werden könnten. Ob die Hersteller von Computerspielen generell gesetzlich in die Verantwortung gezogen werden könnten, ähnlich den staatlichen Betreibern von Glückspielen, bleibt gänzlich ungewiss. Aber gerade aus der Glückspielforschung weiß man, dass die bloße Existenz eines bestimmten Spiels nicht die ausschlaggebende Ursa-
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che für eine pathologische Nutzung ist. Es müssen also weitere Risikofaktoren identifiziert werden.
Computerspielsucht – psychische Störung oder Verhaltenssucht Angesichts der enormen Zunahme der Bedeutung von Computerspielen nicht zuletzt für Heranwachsende sind viele Eltern verunsichert. Ist ihr Kind nicht vielleicht auch schon computerspielsüchtig? Welche Computerspielzeit ist normal? Sie suchen nach möglichen Anlaufstellen, Experten für Computerspiele und erhoffen sich Rat und Hilfe. Eine Frage treibt sie voran: Was können wir tun, damit wir unsere Kinder nicht an Computerspiele verlieren? Doch welche Anlaufstellen im Hilfesystem sind für dieses neue Problem eigentlich zuständig. Unter den Experten herrscht noch allgemeine Unsicherheit darüber, wie die Computerspielsucht eigentlich fachlich einzuordnen ist. Das fängt schon bei der Begriffsdefinition an: Hier eine kleine Auswahl der zurzeit kursierenden Begrifflichkeiten bezogen auf die unterschiedlichen Mediensettings: – Medien allgemein: Mediensucht, pathologischer oder exzessiver Mediengebrauch (hier auch Handy und Fernsehen mit eingeschlossen); – Internet: Onlinesucht, Internetsucht, Internet Addiction Disorder (IAD), Pathological Internet Use (PIU) oder Cyberdisorder; – Computer: Computersucht, pathologischer PC-Gebrauch, exzessive Computernutzung, pathologische Computerspielnutzung, Computerspielsucht. Diese uneinheitliche Begriffsbildung ist ein Indiz für die Probleme in der aktuellen Forschung. Je nachdem, welches spezielle Mediensetting bzw. exzessive Mediennutzungsverhalten untersucht wird, kommt es zu unterschiedlichen Prävalenzen. Viele Studien werden online durchgeführt, was zu einer Verengung ausschließlich auf Internetnutzer führt. Andere Studien wiederum beziehen sich nur auf Schüler oder Jugendliche. Die Stu-
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dien sind also, wenn überhaupt, nur bedingt repräsentativ, bezogen auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland. All das macht die Vergleichbarkeit der bis heute vorliegenden Studien schwierig. Dies lässt keine genaue Aussage darüber zu, wie groß das Problem, speziell des exzessiven Computerspielens, wirklich ist. Es gibt allerdings Anhaltspunkte zur Beschreibung einer Risikogruppe, die von der Gruppe der Normalnutzer unterschieden werden kann. Die folgenden Risikofaktoren können mit einer exzessiven Form der Computer- und Internetnutzung in Zusammenhang gebracht werden: – hoher Medienkonsum – Medien im Allgemeinen werden intensiv genutzt (vgl. Grüsser u. a., 2005, S. 15); – Vernachlässigung von Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz, Abnabelung vom Elternhaus und Übergang von Schule und Beruf misslingt (vgl. Hahn u. Jerusalem, 2001, S. 292; Bergmann u. Hüther 2006, S. 95); – geringe Lebenszufriedenheit – zum Beispiel realweltliche Defizite durch erlebte Einsamkeit, Isolation, Außenseiterrolle (vgl. Kratzer, 2006, S. 34 ff., Cypra, 2005, S. 82); – inadäquate Stressbewältigung – exzessive PC-Nutzung als Copingstrategie (vgl. Grüsser u. Thalemann 2006, S. 56 ff., Jäger u. Moormann, 2008, S. 12); – psychische Störungen – zum Beispiel narzisstische Störungen (Bergmann u. Hüther, 2006, S. 85 ff.), Depressionen und Angststörungen, Hyperaktivitätsstörung (ADHS), extreme Schüchternheit, Impulskontrollstörung, Störungen durch psychotrope Substanzen (z. B. THC) (vgl. Kratzer 2006, S. 34 ff.; Grüsser u. Thalemann, 2006, S. 46 ff.; Petry, 2006, S. 17). Es ist allerdings unklar, inwieweit diese Risikofaktoren Ursache oder Folge einer exzessiven Mediennutzung darstellen. Es ist noch nicht eindeutig geklärt, ob es sich bei der Computerspielsucht primär um eine Suchtstörung oder eine psychische Störung handelt. Spielen Betroffene exzessiv Computer aufgrund einer psychischen Störung? Oder werden psychische Störungen aufgrund einer Verhaltensucht entwickelt bzw. verstärkt? Damit könnte sich auch die Frage verbinden, welches Hilfesystem in erster Linie zuständig ist: Das Suchthilfesystem mit seinen
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Sucht- und Drogenberatungen oder die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -therapeuten mit ihren Praxen vor Ort? In einer Pilotstudie zur pathologischem Internetnutzung von Kratzer (2006) wird im Bezug zum Störungsbild folgender Schluss gezogen: »Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse lässt sich die Annahme bekräftigen, dass es sich bei der so genannten ›pathologischen Internetnutzung‹ mehrheitlich um eine sekundäre Störung handelt, welche als Begleiterscheinung psychischer Störungen (z. B. Angststörung, Depression) zu sehen ist« (Kratzer, 2006, S. 85). Mit dieser Einschätzung wird eindeutig das Hilfesystem der Psychotherapie angesprochen. Ganz anders wird das Problem des exzessiven Mediengebrauchs von Grüsser und Thalemann (2006) aufgegriffen. Es wird als eine Form stoffungebundener Verhaltenssucht beschrieben. Ähnlich wie Young (1999) und Hahn und Jerusalem (2001) werden zur Diagnostik speziell der Computerspielsucht Kriterien einer Abhängigkeitserkrankung in Anlehnung an stoffgebundene Süchte abgefragt: – Einengung des Verhaltensmusters – Computerspielen wird zur wichtigsten Aktivität; – Regulation von negativen Gefühlszuständen (Affekten) – zum Beispiel inadäquate Stressbewältigung durch Kick- oder FlowErlebnisse; – Toleranzentwicklung – Computerspielnutzung muss intensiviert bzw. die Dauer gesteigert werden; – Entzugserscheinungen – Nervosität, Gereiztheit, Aggressivität, psychisches Verlangen (Craving); – Kontrollverlust – die Computerspieldauer kann nicht mehr beeinflusst werden; – Negative soziale Konsequenzen – schulische oder berufliche Leistungen lassen nach, soziale Beziehungen leiden (vgl. Merkmale und Kriterien der Computerspielsucht Grüsser Thalmann, 2006, S. 32). Über diese Kriterien wird das exzessive Computerspielen als Suchtstörung definiert. Nach Grüsser und Thalemann weisen unter anderem die »[…] eigenen Forschungsarbeiten zum Thema
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des exzessiven krankhaften Computerspielens auf eine gerechtfertigte Einordnung dieses Störungsbildes als Verhaltenssucht, das heißt als Sucht ohne Drogenkonsum beziehungsweise ›nichtstoffgebundene Sucht‹ hin« (Grüsser u. Thalemann, 2006, S. 31). Suchtkriterien als Messinstrumente eines pathologischen PCGebrauchs zu übernehmen, wird unter anderem von Petry (2006) kritisiert. Nach seiner Einschätzung »[…] werden die eingesetzten Messinstrumente (Fragebogen) im Sinne des organischen Krankheitskonzeptes modellgeleitet auf typische Symptome einer stoffgebundenen Sucht bezogen. Daraus folgt eine Einengung des erfassten Realitätsausschnittes und es werden Wunschantworten provoziert« (Petry, 2006, S. 11). Aber gleichzeitig kommt Petry auch zu dem Schluss, dass eine definitive Einordnung des Störungsbildes in die Systematik psychischer Erkrankungen verfrüht sei (vgl. Petry, 2006, S. 13). Auch Grüsser und Thalemann konstatieren, dass es noch längst nicht geklärt sei, was die Ursachen und was die Auswirkungen einer exzessiven Computernutzung sind (vgl. Grüsser u. Thalemann, 2006, S. 53). Ungeachtet der fehlenden wissenschaftlichen Evidenz, sind alle Hilfesysteme aufgefordert, sich mit dem Problem des exzessiven Computerspielens auseinanderzusetzen. Für faktisch betroffene Computerspieler und deren Angehörige müssen konkrete Angebote entwickelt und ausgebaut werden. Dabei wird die effektive Vernetzung zwischen den Hilfesystemen wichtiger sein als eine selektive Zuständigkeits- und Verteilungspolitik. Neben den Experten aus der Sucht- und Psychotherapie sind hier ebenfalls Erziehungs- und Familienberatungsstellen sowie die Fachstellen für Suchtprävention und medienpädagogische Einrichtungen miteinander zu vernetzen. Auch wenn Interventions- und Präventionsstrategien in Bezug zur Computerspielsucht weiter wissenschaftlich fundiert werden müssen, brauchen Betroffenen und deren Angehörige schon jetzt Anlaufstellen, die sich zuständig fühlen.
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Medienpädagogik als präventiver Ansatz Aus medienpädagogischer Sicht bietet der Computer mit seinen vielen Anwendungsmöglichkeiten und Spielangeboten die Chance, eine Vielzahl von Fähigkeiten zu erwerben, zu trainieren und auszubauen. Beispielhaft können hier aufgeführt werden: der Ausbau des strategischen Denkens, die Entwicklung kreativer Problemlösestrategien, schnelle Informationsverarbeitung, Förderung der »Multitasking«-Fähigkeit oder die Optimierung der Hand-Auge-Koordination und nicht zuletzt eine enorme Erweiterung der kommunikativen und gestalterischkünstlerischen Handlungsfähigkeit. Ein heutiges Standardcomputerspiel hat in seinem Aufbau derart an Komplexität zugenommen, dass ein Durchspielen aller Missionen mehrer Monate in Anspruch nehmen kann. Und Onlinerollenspiele haben überhaupt kein dramaturgisch festgelegtes Ende. Viele der heutigen Spiele verlangen eine hohe Konzentrationsfähigkeit und strategisches Denken, um das Spielziel zu erreichen. Die Spiele bestehen in der Regel aus einer ganzen Kette von Problemstellungen, die es kreativ zu lösen gilt. Entscheidungen müssen oft unter Zeitdruck getroffen werden. Computerspiele sind daher in der Lage, viele Schlüsselqualifikationen zu vermitteln, die in der heutigen Arbeitswelt unerlässlich sind. Die amerikanische Studie »Leadership in Games and at Work« kommt gar zu dem Ergebnis, dass über Onlinegames Führungskompetenzen erworben werden können (Reeves et al., 2007). Wer Kindern schon einmal bei der autodidaktischen Aneignung aktueller Computertechnologie zugeschaut hat, ist oft erstaunt, wie sich diese Art des informellen Lernens von der jungen Generation ganz selbstverständlich mit hoher Motivation vollzieht. Allein mit der Methode »Trail and Error« (Versuch und Irrtum) erlernen sie mit Hilfe von Freunden selbst komplizierteste Hard- und Softwareanwendungen. Was die Computertechnologie hier fördert, ist übertragbar auf andere Lebensbereiche und kann den Nährboden für die Entwicklung ganz eigner Lernstrategien bereiten. Den Zugang zu den »Neuen Medien« und ihren vielschichtigen Anwendungsmöglichkeiten finden Kinder in der Regel
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über das Spiel. Das Zocken am Computer ist dabei grundsätzlich zweckfrei, es steht also nicht im Verdacht, etwas mit Lernen bzw. Schule zu tun zu haben. Kinder und Jugendliche verbinden mit dem Computer in erster Linie ein Spielgerät, kein Arbeitsgerät. Beim Kauf eines Computers versuchen sie natürlich ihre Eltern genau vom Gegenteil zu überzeugen. Im Gegensatz zur Videospielkonsole kann der spielerische Zugang zum Computer eine intensive Auseinandersetzung mit den neuen Informationstechnologien initiieren. Dass dann letztlich doch viel gelernt wird, merken die Kids nicht einmal. Die überwiegende Mehrheit der Heranwachsenden nutzen die Neuen Medien komplementär und nicht kompensatorisch. Die meisten Computerspiele sind also aus medienpädagogischer Sicht eher förderlich für die Entwicklung von Kinder und Jugendlichen im Informationszeitalter. Die virtuellen Spielwelten bereitet die junge Generation auf ihre Zukunft vor. In diesem Sinne stellt sich die Medienpädagogik gegen kulturpessimistische Überzeugungen und betont die Vorteile der technischen Entwicklung im Bereich der Medien allgemein. Die Medienpädagogik geht von dem Ideal des medienkompetenten Nutzers aus, der sich mittels vielfältiger Anwendungsmöglichkeiten der Medientechnologien neue Horizonte in Berufs- und Privatleben eröffnet. Medienpädagogische Konzepte vermitteln einen kompetenten und verantwortungsvollen Umgang mit Medien. Sie beugen damit einer unachtsamen bzw. missbräuchlichen Nutzung vor, haben also prinzipiell präventiven Charakter. Die unvoreingenommene Einstellung gegenüber den technischen Errungenschaften allerdings eröffnet Medienpädagogen überdies einen tiefen Einblick in die mediale Lebenswelt der »Net-Generation«, einen Blick in die »Zockerseele« gewissermaßen. Medienpädagogen setzen sich intensiv mit der Medienwirklichkeit von Heranwachsenden auseinander. Die Computernutzung wird reflektiert, Computerspiele werden getestet und Gefährdungspotentiale werden diskutiert. Die Medienpädagogik hat sich so über die letzen Jahrzehnte eine hohe Fachkompetenz über die Faszination und Illusion von Computerspielen erarbeitet.
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Diese Fachkompetenzen können sich Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -therapeuten sowie Fachkräfte in der Suchtberatung und -prävention zu Nutze machen. Für das Verständnis der Problematik Computerspielsucht ist es von Vorteil, sich mit der medialen Lebenswelt Jugendlicher zu befassen. Nur so sind Computerspiele in ihrer heutigen Komplexität und Faszinationskraft grundsätzlich zu verstehen. Ressentiments gegenüber den technischen Entwicklungen und ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Entwicklungen in der Informationstechnologie helfen hier allerdings nicht weiter. Vielmehr braucht es eine unvoreingenommene Neugier, ein ehrlich gemeintes Interesse an der virtuellen Realität junger Menschen. Ist das nicht vorhanden, besteht die Gefahr, dass sich Computerspielsüchtige in der Beratungssituation nicht ernst genommen fühlen, sich deplatziert vorkommen. Der Zugang zu Betroffenen und ihrer Problematik ist schwerfällig, ohne ein grundsätzliches Verständnis über aktuelle Computerspiele. Es liegt also im Interesse von Fachkräften aus der Beratung und Psychotherapie, sich in diesem Bereich gegebenenfalls fortzubilden. Für die Prävention können diese medienpädagogische Ansätze ebenfalls von großem Vorteil sein. Das Erkennen und Erreichen von Risikogruppen ist die Schlüsselaufgabe für eine indizierte bzw. selektive Präventionsarbeit. Über die Arbeit mit Jugendlichen und dem Fachwissen über Computerspiele sind Medienpädagogen in der Lage, riskanten bzw. missbräuchlichen Medienkonsum von einem normalen zu unterscheiden. Jugendliche, die Medien kompensatorisch nutzen, können so erkannt werden. Über entsprechende medienpädagogische Angebote können diese Jugendlichen angesprochen werden. Ein Prozess zur Normalisierung des Medienkonsums kann über eine Vernetzung mit Suchtberatungsstellen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten initiiert werden.
Orientierung geben in virtuellen Welten Virtuelle Spielplätze gehören zur alltäglichen Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen. Dieser Zustand wird oft beklagt, doch an-
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derseits werden Kinder und Jugendliche mehr oder weniger allein gelassen mit ihren positiven wie negativen Medienerfahrungen. Gern wird über Kinder geredet, über das Für und Wider, über Gefahren und Vorteile der Neuen Medien, aber nur selten wird mit Kindern geredet. Dabei hätten sie so viel zu erzählen. Es ist erstaunlich, was Kinder über ihre Medienerlebnisse berichten, Positives wie Negatives, wenn man sie nur danach fragt. Es ist notwendig über den Umgang mit Medien und ihre Schattenseiten einen intergenerativen Diskurs zu führen, der die Verantwortlichkeiten auf beiden Seiten zwischen Erwachsenen und Kindern benennt. Die Erziehenden, ob Eltern oder Pädagogen, müssen sich der Situation gewahr werden, dass sie trotz aller Schnelligkeit der technischen Entwicklung für den Mediengebrauch von Kindern und Jugendlichen verantwortlich sind. Auch wenn Kinder augenscheinlich sehr medienkompetent wirken (weil sie nicht selten in der Anwendung den Erwachsenen überlegen sind), wird bei näherem Hinsehen klar, dass sie mit einer kontextbezogene Bewertung und Einordnung der Medieninhalte oft überfordert sind. Es ist eine Erziehungsaufgabe, gemäß den Wert- und Normvorstellungen unserer Gesellschaft, auch im virtuellen Raum Grenzen oder vielmehr einen Rahmen zu setzen, innerhalb dessen sich Kinder geschützt entfalten können. Pädagogische Fachkräfte und Eltern müssen sich darüber bewusst sein, dass sie für Kinder und Jugendliche eine Referenz sind, an derer sie sich orientieren und reiben wollen. Denn schaffen es die Erziehenden nicht, als Referenz wahr- bzw. ernstgenommen zu werden, füllen Kommerz und Marketing diese Lücke gern.
Literatur Baier, D. (2008). Entwicklung der Jugenddelinquenz und ausgewählter Bedingungsfaktoren seit 1998 in den Städten Hannover, München, Stuttgart und Schwäbisch Gmünd. Forschungsbericht Nr. 104. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e. V. (KfN). Zugriff am 18.10.2006 unter http://www.kfn.de/versions/kfn/assets/fb104.pdf Berg, A. (2008). Gaming-Markt in Deutschland – Digitale Spiele sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Rede anlässlich der Telefonpres-
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Michael Grunewald
Ausflüge in virtuelle Welten – eine Darstellung der Internet-Spielwelten von »Second Life«, »World of Warcraft« und »Counter-Strike«
Zusammenfassung Virtuelle Welten faszinieren seit jeher die Menschheit. Wer hat nicht schon Pippi Langstrumpf nach Taka-Tuka Land begleitet, ist Robinson Crusoe auf die einsame Insel gefolgt oder hat mit kleinen Spielfiguren die Schachbretter der Welt bereist und erfolgreich Kämpfe bestritten? Kinder und Jugendliche, aber auch zunehmend Erwachsene, begeben sich vermehrt in am Computer graphisch animierte Welten. In diesem Beitrag werde ich Sie in drei dieser Welten begleiten. Wir werden unser scheinbar zweites Leben in »Second Life« betrachten, mit bewaffneten Kämpfern die Welten von »Counter-Strike« erkunden und zu guter Letzt die Welt der Kriegskunst in »World of Warcraft« kennen lernen. Bei den Besuchen geht es um den Blick hinter die Kulissen, um zu verstehen, wie diese Virtuelle Welten aufgebaut sind, wie sie funktionieren und was letztendlich die Faszinationskraft dieser Welten ausmacht.
Einführung Ich werde die Führung durch die Welten so gestalten, dass ich Ihnen zu Beginn einige Grundlagen erläutere, womit Sie es in der entsprechenden Welt überhaupt zu tun haben (Genre). Anschließend werde ich erläutern, was Sie tun müssen, um die Welt zu betreten und in ihr verweilen zu können (Zugang/Account/ Kosten). Virtuelle Welten unterscheiden sich durch die vom Betreiber programmierten Möglichkeiten, die dem Nutzer offenstehen. Diese werde ich Ihnen beispielhaft darstellen.
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Ein erster Überblick Bei »Second Life« handelt es sich nicht um ein klassisches Computerspiel, da weder Spielziele noch zu erledigende Aufgaben vorgegeben sind. »Counter-Strike« ist hingegen ein Spiel aus dem Genre der Taktik-Shooter, in dem zwei Mannschaften (mit unterschiedlichen Spielzielen) in verschiedenen Spielumgebungen gegeneinander antreten. Dabei stehen ihnen verschiedene Möglichkeiten offen, das Spielziel zu erreichen, wobei die zur Verfügung stehenden Waffen eine Hauptrolle spielen. Bei »World of Warcraft« handelt es sich um ein »Massivly Multiplayer Online Role Playing Game« (MMORPG). Auch wenn es kein ausdrückliches Spielziel gibt, so ist das Spiel doch so angelegt, dass die Entwicklung des Spielcharakters in Interaktion mit anderen Mitspielern – genretypisch – im Vordergrund steht. Sie sehen, die virtuelle Welten unterscheiden sich grundlegend. Gemeinsam ist den drei Welten, dass sie nur über das Internet betreten werden können und Sie darin eine virtuelle Figur steuern.
Second Life (SL) Bei SL handelt es sich um eine dreidimensionale Infrastruktur, in der Menschen online miteinander interagieren, spielen, Handel betreiben und sich kreativ betätigen können. »Second Life« wurde von der Firma Linden Lab im Jahr 2003 online gestellt. Seit diesem Zeitpunkt ist es möglich, einen Account anzulegen und einen so genannten Einwohner (Stellvertreterfigur, auch »Avatar« genannt) zu erstellen um sich in die virtuelle Welt von SL einzuloggen. Die Firma Linden Lab hat mit SL eine virtuelle Welt programmiert, die von den Nutzern selbst gestaltet wird. Dafür werden Werkzeuge bereitgestellt, mittels denen die Erschaffung von Objekten möglich ist. So erstellen die Nutzer Gebäude, Fahrzeuge, Einrichtungsgegenstände, Kleidung, Straßen, Bäume usw. selbst. Es ist ebenso möglich, Bewegungsabläufe zu erstellen. So ist es möglich, dass Sie mit Ihrem Avatar einen Rundgang durch
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einen Vergnügungspark machen, Wasserrutschen und Luftmatratzen sowie Tanzflächen benutzen können. Die virtuelle Welt von den Nutzerinnen und Nutzern gestalten zu lassen, ist ein grundlegendes Prinzip der Betreiberfirma, dass lediglich von deren Regelwerk beschränkt wird. Dieses Regelwerk, »big six« genannt, beschreibt allgemein, welche Handlungen nicht erwünscht sind: Intoleranz, Belästigung, Angriffe, Weitergabe von Informationen, Schamlosigkeit und Störung des Friedens. So ist »Second Life« eine dynamische, sich ständig durch den Nutzer veränderbare Welt. Die öffentliche Berichterstattung über die Darstellung von sexuellen Handlungen mit kindlichen Avataren führte dazu, dass sich Linden Lab im November 2007 dazu veranlasst sah, ein Verbot des so genannten »ageplaying« mit sexuellem Handlungen (Kinder als Sexualobjekt) zu veranlassen. Ebenfalls im Jahr 2007 verbot Linden Lab das Glücksspiel mit Wetteinsatz. Um einen Account zu erstellen und SL nutzen zu können, müssen Sie mindestens 18 Jahre alt sein, wobei keine Altersverifikation erfolgt. Für jüngere Nutzer steht »Teen Second Life« zur Verfügung.
Der Account und die Kosten Es gibt in »Second Life« unterschiedliche Accounts (Mitgliedschaften). Eine Grundversion ist kostenlos (Basic-Account). Mit ihr können Sie einen Einwohner erstellen und sich frei in der Welt bewegen und interagieren. Ihnen ist es aber nicht möglich, ein virtuelles Stück Land auf dem Hauptkontinent zu kaufen, auf dem Sie zum Beispiel ein virtuelles Haus bauen können. Dies ist nur mit einem Premium-Account möglich, der zurzeit zwischen 6 Dollar und 9,95 Dollar monatlich kostet. Der PremiumAccount beinhaltet aktuell ein wöchentliches Taschengeld von 300 Lindendollar (L$). Die Lindendollar sind offizielles Zahlungsmittel in Second Life. Geld brauchen Sie nicht, um sich in SL bewegen zu können. Allerdings gibt es viele kostenpflichtige Inhalte, die Sie nur für L$ nutzen können. So können Sie sich beispielsweise Ob-
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jekte (beispielsweise ein T-Shirt) kaufen, die andere Nutzer erstellt und zum Verkauf freigegeben haben. Sie können auch selbst Objekte erstellen und zum Verkauf anbieten und damit L$ verdienen. Ebenso ist es möglich, offline erstellte Objekte, beispielsweise Bilder, in SL zu integrieren, wofür Sie ebenfalls in L$ bezahlen müssen. Lindendollar können gegen reale Währung umgetauscht werden. Der Umtauschkurs ist nicht fixiert, sondern unterliegt Schwankungen (Stand 24.03.2009: 260L$ = 1 US$). Die Software, die Sie benötigen, um sich in SL einzuloggen, kann kostenfrei heruntergeladen werden.
Der Avatar Mit der Erstellung des Avatars beginnt der Ausflug in die Welt von SL. Sie müssen ihrem Avatar zu Beginn der Nutzung einen Namen geben. Dieser Name ist das einzig Dauerhafte, das Sie im Verlauf der Nutzung nicht mehr ändern können. Der Avatar selbst kann ständig verändert werden. Für die Änderung stehen
Abbildung 1: Second Life
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Ihnen viele Einstellmöglichkeiten zur Verfügung, so dass Sie das Aussehen Ihres Avatars beliebig ändern können. Einen Standardsatz Kleidung haben Sie zu Beginn in Ihrem Inventar (das ist so etwas wie eine Tasche, in dem Sie Dinge aufbewahren können). So können Sie ihm gleich zu Beginn ein von Ihnen individuell erstelltes Aussehen geben. Wenn Sie mit ihrem Avatar die Welt von SL betreten haben, befinden Sie sich in einer Umgebung, die von Linden Lab gestaltet wurde. Hier befinden sich Anleitungen für verschiedene Handlungen in SL. Sie lernen, wie Sie Ihren Avatar steuern und mit anderen Personen über Chat kommunizieren. Sie können mit Ihrem Avatar zu Fuß die Gegend erkunden, was allerdings recht mühsam ist, da die Welt sehr groß ist. Schneller geht es, wenn Sie mit Ihrem Avatar, einem Vogel ähnlich, fliegen. Noch schneller bewegen Sie Ihren Avatar mittels der »Teleportation« durch SL. Dazu müssen Sie lediglich wissen, an welche Koordinaten Sie wollen. Ein Suchsystem hilft Ihnen dabei.
Die Umgebung Wie eingangs beschrieben, sind die Inhalte von SL von Nutzern selbst erstellt worden. Häuser lassen sich nur auf Land erstellen, das man zuvor von Linden Lab gekauft hat. Jeder PremiumAccount verfügt über eine Grundausstattung von 512 m2 unbebauter Landschaft auf dem Hauptkontinent. Wenn Sie ein größeres Stück Land benötigen, so ist dies über zusätzlichen Landkauf möglich. Wenn Sie sich zusätzlich Land kaufen, so wird allerdings dafür neben dem Kaufpreis eine monatliche Nutzungsgebühr fällig. Es ist auch möglich, eine ganze Insel neben dem Hauptkontinent zu kaufen, wofür Extrakosten in Rechnung gestellt werden. Auf den verkauften Flächen können beliebige Objekte erstellt werden. Manch ein Nutzer baut sich ein Wohnhaus, ein anderer einen Freizeitpark oder ein Bekleidungsladen. Einen wesentlichen Teil der Umgebung besteht in der Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren. Avatare können über
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Abbildung 2: Second Life
den Chat ebenso miteinander ins Gespräch kommen wie über die Nutzung des inzwischen implementierten »Second Talk«. Mit einem Headset (Kopfhörer und Mikrofon) können Menschen so auch mündlich miteinander kommunizieren.
Die Faszinationskraft Eine starke Motivationskraft ist der Aspekt der Kommunikation mit anderen Menschen. Das Medium erlaubt es, unabhängig von Hautfarbe, Religion, beruflichem Status oder Bildung zu interagieren. So sind eine Vielzahl von Gemeinschaften entstanden. Manche dieser Gemeinschaften organisieren sich thematisch, zum Beispiel als Rollenspielgemeinschaft. So kreieren Fantasyliebhaber genretypische Landschaften und agieren mit ihren Avataren entsprechend. Auch Liebhaber von Computerspielen wie Ego-Shooter haben entsprechende Umgebungen geschaffen, in der mit Waffen das Spielen von Shootern möglich ist. Andere Gemeinschaften beziehen sich auf reale Umgebungen. So gibt es Gemeinschaften aus vielen deutschen Städten, die
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die Plattform für ihren Austausch nutzen, um sich online zu unterhalten und etwas gemeinsam zu unternehmen, virtuell sowie bei Bedarf auch real. Wenn man sich durch die Welt von SL bewegt, fallen viele Inhalte auf, die mit sexuellen Angeboten locken. Dementsprechend finden sich auch eine Unzahl solcher Gemeinschaften. Selbst virtuelle Bordelle, die virtuellen Sex anbieten, finden sich in SL. Eine Anzahl von Nutzern nutzt SL auch als Plattform für ihre kreativen Interessen. Die freie Objektwahl lässt sich beispielsweise für die Verbreitung von realen Kunstwerken nutzen. So sind Onlinealerien ebenfalls in SL vertreten, Landschaftsbauer und Architekten können ihre Ideen virtuell erschaffen und ihre Kunden zu einem Rundgang einladen.
Virtuelle und reale Welt Die Einbindung von SL in den realen Wirtschaftskreislauf über die Umtauschmöglichkeit von L$ in US$ stellt eine große Motivationskraft, eine Präsenz in SL zu errichten, dar. Im Jahr 2007, als SL einem regelrechten »Hype« ausgesetzt war, ließen sich große Firmen virtuelle Niederlassungen erstellen. Die Deutsche Post, Daimler-Benz, Dell und Adidas, um nur einige wenige zu nennen, nutzten diese Möglichkeit. Die Firmen nutzten beziehungsweise nutzen die virtuelle Welt von SL, um ihre Marke zu präsentieren und um mit potenziellen Kunden in einen interaktiven Kontakt zu treten. So war es möglich, die neue C-Klasse von Mercedes-Benz auf einer Teststrecke Probe zu fahren oder die neusten Adidas-Schuhe zu kaufen. Über die Präsenz der Bundespost konnten Ansichtskarten in die reale Welt verschickt werden. Echte Firmen, die anboten, professionelle Objekte zu erstellen, schossen wie Pilze aus dem Boden. In der Zwischenzeit haben die genannten Firmen ihre Präsenz in SL aber beendet. Die erhoffte (Werbe-)Wirkung hatte sich wohl nicht eingestellt. Durch den Handel mit virtuellen Gütern, die man in unzähligen Geschäften in SL kaufen kann, lässt sich so mancher reale
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Euro verdienen. Laut Angaben von Linden Lab haben im Monat Februar 2009 knapp 1200 Nutzer mehr als 1000 US$ verdient. Nicht nur in SL wird Geld verdient. Beispielsweise werden über die Internet-Handelsplattform ebay ebenfalls virtuelle Güter, meist L$, gehandelt. Auch Parteien und Organisationen des realen Lebens ließen sich in SL nieder. So haben alle im Bundestag vertretenen Parteien bis heute eine Präsenz in SL. Auch Organisationen wie Greenpeace errichteten virtuelle Dependancen. Durch den kommunikativen Aspekt haben sich viele Gemeinschaften gebildet, die über die Plattform hinaus kommunizieren, beispielsweise in Internetforen oder gar bei so genannten »RealLive-Treffen« oder »SL-Stammtischen«.
Fazit SL hat, wie Linden Lab veröffentlicht, runde 15 Millionen Accounts. Allerdings ist nur ein sehr kleiner Teil davon aktiv. So haben sich im Februar 2009 rund eine Million Accounts in die virtuelle Welt eingeloggt. Beobachtet man die Zahl derer, die sich zeitgleich in SL aufhalten, so werden 50.000–60.000 Besucher gezählt. Das ist für eine virtuelle Welt, die allgemein zugänglich ist und über 15 Millionen Accounts zählt, gering. So ist es auch keine Überraschung gewesen, dass große Firmen ihre Aktivitäten in SL eingestellt haben. Die zum Teil komplizierte Bedienung des Programms hat ebenso wie die hohen Hardwareanforderungen und die englische Programmsprache sicherlich dazu beigetragen, dass das medial erzeugte Interesse an SL abgeebbt ist . Dennoch hat »Second Life« gezeigt, dass das Internet seine Zeit als dreidimensionale Kommunikationsplattform seine Zukunft noch vor sich hat. Es ist nicht verwunderlich, dass immer mehr solcher dreidimensionalen virtuelle Welten entstehen.
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Counter-Strike (CS) Bei »Counter-Strike« handelt es sich um einen rundenbasierten Online Taktik-Shooter. Das Spiel wurde 1999 von Computerspielern nichtkommerziell als Freizeitprojekt programmiert und stellte eine Modifikation des Spieles »Half Life« der Firma Valve dar. Eine Modifikation ist im Bereich der Computerspiele kein eigenständiges Spiel, da Programmteile eines anderen Computerspieles genutzt werden, wobei das genutzte Spiel installiert sein muss. In der Regel wird die Physik-Engine (das für physikalische Berechnungen zuständig ist) und die Graphik-Engine (die für die graphische Darstellung des Spielinhaltes am Bildschirm zuständig ist) genutzt. Im Falle von »Counter-Strike« wurde die Half-Life-Engines verwendet. Valve engagierte das Entwicklerteam, nachdem sich ein Erfolg von CS abzeichnete. Im Jahr 2000 kam die erste »stand alone«-Verkaufsversion 1.0 auf den Markt. Diese ermöglichte das Spielen ohne Half-Life. In den folgenden Jahren wurde das Spiel auf der Basis der alten Grafik- und Physik-Engine weiterentwickelt. Eine wesentliche Änderung erfolgte im Jahr 2003. »Counter-Strike« wurde in der Version 1.6 auf der Basis von Valves’ Spiel- und Vertriebsplattform STEAM veröffentlicht. Damit verbunden war die Integration des Spieles in eine virtuelle Plattform, mit der eine bessere Vermarktung möglich wurde. Die Installation der Spielplattform, über die man auch weitere (kostenlose und kostenpflichtige) Spiele downloaden kann, wurde Voraussetzung, um das Spiel spielen zu können. Die Möglichkeit, in einem lokalen Netzwerk, LAN genannt, zu spielen, wurde so beschnitten, da eine Internetverbindung Voraussetzung für die Verwendung von STEAM wurde. Nachdem die Proteste dagegen nicht abflachten, entschied sich Valve, einen Offline-Modus anzubieten, um auch wieder ohne Internetverbindung in einem lokalen Netzwerk spielen zu können. Im November 2004 kam das auf den Half-Life-2-Engines entwickelte CS:Source auf den Markt, das Spielprinzip änderte sich nicht.
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Das Spiel und die Kosten Für eine Version von CS:Source zahlt man heute circa 30 Euro, inklusive eines STEAM-Accounts. Für die weitere Nutzung des Spiels müssen Sie – außer der Internetverbindung – keine Gebühren bezahlen. Der finanzielle Aufwand hält sich so in überschaubaren Grenzen.
Das Spielprinzip Inhalt des Spieles ist ein stark taktisch geprägter Kampf zwischen zwei Gruppen, den Terroristen (T) und den Counter-Terroristen (CT), einer polizeilichen Sondereinheit. Gespielt wird in einer auswählbaren Spielumgebung, der so genannten »Map«. Es gibt Standardmaps sowie von Spielern selbst erstellte Maps. Die Gruppengröße ist variabel. Bis zur Version 1.6 waren bis zu 32 Spieler pro Map möglich, seit CS:Source sind es 64 Spieler, die gleichzeitig auf einer Map spielen können. Im Unterschied zu »Second Life« erstellen Sie sich in »Counter-Strike« keinen Avatar, sondern wählen sich eine beliebige Spielfigur aus. Die Figuren unterscheiden sich nur optisch, was keinen Einfluss auf das Spielgeschehen hat. Jede der beiden Gruppen hat einen Auftrag auszuführen, wobei diese komplementär sind. Die beiden Gruppen starten an zwei festgelegten Punkten auf der Spielkarte, den »Spawn«-Zonen. Jeder Spieler kann von seinem virtuellen Geldkonto zu Anfang jeder Spielrunde Waffen und sonstige Ausrüstung (Handgranaten, kugelsichere Westen etc.) kaufen. Der zur Verfügung stehende Geldbetrag ist zu Beginn des Spiels bei allen Spielern gleich. Geld lässt sich mit dem Abschießen von gegnerischen Spielfiguren sowie im dem Gewinnen von Spielrunden verdienen. Es gibt drei Auftragsarten: Einmal sollen durch die CT Geiseln befreit werden, wobei die T das zu verhindern suchen. Als Zweites gibt es das Szenario, in dem die Terroristen an einem von zwei festgelegten Punkten eine Bombe legen und zur Explosion bringen sollen, wobei es die Aufgabe der CT ist, das Ab-
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legen zu verhindern oder die gelegte Bombe zu entschärfen. Das dritte Szenario, ein VIP-Begleitschutz, ist in der aktuellen Verkaufsversion nicht mehr enthalten, da es selten gespielt wurde. Das Spiel basiert auf einzelnen Runden auf, deren Spielzeit frei wählbar ist. Werden die Geiseln beispielsweise innerhalb von fünf Minuten nicht befreit, so hat die Gruppe der Terroristen gewonnen. Eine Runde endet, wenn die Missionsziele erfüllt wurden oder nach dem vereinbarten Zeitlimit. Wenn eines der Teams komplett eliminiert wurde, ist die Runde ebenfalls beendet. Spielfiguren, welche während einer Runde eliminiert wurden, können erst wieder in der nächsten Runde mitspielen und sind für den Rest der Runde Zuschauer. Das Spielprinzip ist somit recht einfach. Die große Herausforderung in diesem Spiel besteht im Teamplay. Je genauer die Absprache vor dem Spiel, je variantenreicher agiert und reagiert werden kann, je besser Taktiken eingeübt und Bewegungsabläufe automatisiert sind, desto besser ist die Grundlage für ein erfolgreiches – siegreiches – Gruppenspiel. Einfaches »Drauflosballern« bringt bei diesem Spiel auf Dauer keinen Spielspaß!
Abbildung 3: Counter-Strike
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Die Faszinationskraft Die Faszinationskraft hat sicherlich mehrere Gründe. Da die Entwicklung von »Counter-Strike« ursprünglich aus der Spielergemeinschaft selbst stammte, hatte sich das Spiel innerhalb der über das Internet kommunizierenden Community recht schnell verbreitet, zumal es eine kostenlose Modifikation war. Ein zweiter Grund ist sicherlich das einfache Spielprinzip. Die Steuerung der Spielfigur ist einfach gehalten, das zur Verfügung stehende Waffenarsenal überschaubar. So ist ein schneller Spieleinstig ohne größere Lernphase möglich. Die Rundenbasierung sorgt für schnelle Spielabläufe, auch wenn man ausscheidet, ist man schnell wieder Teil der Spielhandlung. Wenn auch die Möglichkeit besteht, allein gegen vom Computer gesteuerte Spielfiguren zu spielen (Bots), ist die große Herausforderung doch, gegen Spielfiguren menschlicher Mitspieler zu spielen, da die Handlungen – im Gegensatz zu Bots – nicht vorhersehbar sind (für die Handlungen ist die so genannte »künstliche Intelligenz«, KI abgekürzt, zuständig). In unterschiedlichen Befragungen, die es in der Community gegeben
Abbildung 4: Counter-Strike
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hat, wird dies immer wieder zum Ausdruck gebracht: Das »Sichmessen mit anderen« ist wohl der Hauptmotor, der das Spiel bis heute zu einem der meistgespielten Titeln macht. Im Bereich der Computerspiele entwickelten sich schon früh so genannte »Highscorelisten«, in denen der Spieler sich mit anderen Spielern vergleichen konnte. Aus diesen Listen, die es in der Anfangszeit der Computerspiele nur für Einzelspiele gab, entwickelten sich im Mehrspielerbereich Ligen und Turniere. Mit den Ligen und Turnieren entwickelte sich auch ein Regelsystem, das eine gemeinsame Basis für die Vergleiche untereinander ermöglichte. So wird heute oftmals ein Match 5 gegen 5 auf einer ausgewählten Map gespielt. 30 Spielrunden sind internationaler Standart; 15 als Terrorist, 15 als Counter-Terrorist. Wer zuerst 16 Runden gewonnen hat, ist der Matchsieger. So entstanden Spielergemeinschaften rund um »CounterStrike«, so genannte Clans. In Deutschland existieren heute zehntausende Clans mit über einer Millionen registrierter Mitspieler, die sich meist organisierten, um am Wettkampfgeschehen teilzunehmen, sei es in nationalen oder internationalen Ligen. Die größte Bedeutung hat aber die Bindungskraft einer großen Community um das Spiels herum. Es gibt unzählige Internetforen, Clan-Homepages und Community-Plattformen rund um Counter-Strike. Über das Spiel hinaus entwickelte sich außerdem eine Kultur der künstlerischen Beschäftigung mit dem Spiel: Map-Modding (erstellen eigener Spielumgebungen), Comics, Filme und Artwork (Bilder).
Virtuelle und reale Welt Eine starke Einbindung in die reale Welt geschieht über die Clans und die Struktur der Ligen. Die Clans organisieren sich in der realen Welt und haben häufig private Bekanntschaften als gemeinsame Grundlage. Einige wenige Clans organisieren sich aber auch aus professionellem Gründe. Die Ligen unterscheiden sich, wie bei traditionellen Sportarten auch, in Amateurliegen und Profiliegen. Und auch hier gibt es Parallelen: Eine
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Profi-Spielstärke ist für einen Spieler und einen Clan nur dann zu erreichen, wenn die Einbindung des Spiels in das reale Leben einen hohen Stellenwert hat. Tägliche Trainingszeiten, Reisen (national wie international) und professionelles Teamspiel sind Voraussetzungen für einen erfolgreichen Clan. Um dies zu gewährleisten, haben alle professionellen Clans heutzutage Sponsoren, in der Regel aus dem Computerbusiness. Die Spieler erhalten eine monatliche Aufwandsentschädigung und Sonderprämien bei Tunier- und Ligenerfolgen. Der erste Platz im »Counter-Strike«-Wettkampf der WCG (WorldCyberGames) war 2008 mit 50.000 US$ dotiert (2. Platz 25.000 US$, 3. Platz 12.500, Platz 4–10 mit je 10.000 US$). Aber auch die Preise der Ligen sind ansehnlich. So bekommt die Siegermannschaft der ESL (Europäische Liga) in diesem Jahr 15.000 €. Mit den Ligen haben sich ähnliche Strukturen wie in anderen sportlichen Vergleichswettkämpfen herausgebildet: Trainer, Manager, Spieler in unterschiedlichen Spielen, Frauenmannschaften, Sponsoren, viel ehrenamtliche Arbeit bis hin zu Clans, die sich als GmbH oder e. V. organisieren. »Counter-Strike« ist nach dem Amoklauf eines Jugendlichen in Erfurt 2002 in die gesellschaftliche Diskussion geraten. Laut öffentlicher Berichterstattung soll Robert Steinhäuser, der Amokläufer, ein »Counter-Strike«-Spieler gewesen sein. Daraufhin wurde »Counter-Strike« von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) geprüft. Die ausführliche Prüfung ergab, dass die BPjM keine Indizierung des Spiels erlassen wird, da der Aspekt des gemeinsamen Spiels in diesem Spiel hoch zu bewerten ist. Erstmalig nahmen auch, von der Community in einem langen Entscheidungsprozess gewählte, Stellvertreter der Spieler an dem Anhörungsverfahren teil, indem sie die Spielersicht auf das Spiel darstellten. In der Folge von den Taten in Erfurt und Emstetten wurde die »Killerspieldiskussion« begonnen, die bis heute anhält. Nebenbei bemerkt: Abschließende Untersuchungen der vom thüringischen Justizminister eingesetzten Sonderkommission »Gutenberg-Gymnasium« kam zu dem Ergebnis, das Robert Steinhäuser kein »Counter-Strike-Spieler« war, das Spiel habe ihm keinen Spaß gemacht.
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Fazit »Counter-Strike« ist gerade wegen seines hohen Anspruches an das Gruppenspiel ein beliebtes Spiel, auch wenn die graphische Darstellung als veraltet gilt. Die technischen Möglichkeiten würden es ermöglichen, die Spielumgebung realitätsnäher zu gestalten, als dies der Fall ist. Es ist aber nicht das graphisch Realitätsnahe, was die Spieler des Spieles begeistert. Nach Angaben verschiedener Befragungen ist das Zusammenspiel mit anderen Gleichgesinnten das Wichtigste für die Spielerinnen und Spieler, gefolgt von dem Wettkampfelement auf hohem taktischen Niveau. Ein übermäßiges Spielen verbessert die Spielfähigkeit nicht. Erfolgreicher wird man in diesem Spiel durch ein gutes Teamplay. Eine Identifikation mit der Spielfigur findet hier nicht statt, da diese recht beliebig ist und nach jedem kleinen Spieltod in alter Frische neu erscheint. Sie macht keine Erfahrung, kann sich keine neuen schicken Klamotten kaufen, ist als Stellvertreter austauschbar. Wer sich für Spiele mit hohem Gewaltanteil interessiert, findet auf dem Markt eine ganze Reihe anderer Spiele.
World of Warcraft (WoW) »World of Warcraft« ist ein MMORPG (Massivly Multiplayer Online Role Playing Game). Diese Abkürzung steht für einen Spieltypus, bei dem mehrere tausend Spielerinnen und Spieler zeitgleich in ein und derselben Spielumgebung mit- und/oder gegeneinander spielen können. In Europa veröffentlichte die Firma Blizzard Entertainment das Spiel im Jahr 2005. Obwohl es schon lange Zeit vorher MMORPGs gab, erzielte Blizzard mit diesem Titel einen Durchbruch am Markt. WoW war in den Jahren 2005 und 2006 das meistverkaufte Computerspiel in Europa. Laut Blizzard bestanden Ende Dezember 2008 mehr als 11,5 Millionen Accounts weltweit. Die Kerngebiete sind dabei Nordamerika, Europa, Russland sowie der asiatische Raum. Das Spiel gibt es in acht unterschiedlichen Sprachen.
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Das Spiel ist ausschließlich online spielbar und setzt voraus, dass ein gültiger Account zur Verfügung steht. Gespielt wird das Spiel auf einem lokalen Rechner, der mit einem WoW-Server der Firma Blizzard verbunden ist. So stehen in verschiedenen Gebieten Server bereit. Mit einem deutschen Serverzugang lässt sich so im deutschen, englischen, französischen und spanischen Sprachraum spielen. Mit »World of Warcraft« knüpfte Blizzard an eine Spielstory an, die schon seit 1994, allerdings mit einem anderen Spielprinzip (Aufbaustrategie), entwickelt wurde. »Warcraft« ist bis heute im internationalen Computerspieltuniersport (eSport) ein beliebtes Wettkampfspiel. Somit konnte Blizzard auf einem großen Bekanntheitsgrad aufbauen.
Das Spiel und die Kosten Die Spielsoftware wird mit einem Account verkauft, der einen Monat Spielzeit beinhaltet. Anschließend müssen Sie, wenn Sie das Spiel weiterspielen wollen, Ihren Account verlängern. Dies kostet, je nach Verlängerungsdauer, zwischen 10,99 Euro (sechsmonatige Verlängerung) und 13,49 Euro (60 Tage Prepaid-Karte) pro Monat. Da eine Internetverbindung bestehen muss, fallen eventuelle auch hierfür Kosten an. Das Spiel wird ständig erweitert. Kleinere Erweiterungen, so genannte Patches, werden kostenlos zur Verfügung gestellt. Erweiterungen größeren Umfangs, Add-ons genannt, müssen (wenn man die zusätzlichen Spielinhalte nutzen möchte) extra gekauft werden. Bislang sind zwei solcher Add-ons erschienen (Januar 2007 und November 2008).
Das Spielprinzip Das jedem MMORPG zu Grunde liegende Spielziel lautet: Erstelle dir einen Charakter, entwickele ihn und bilde mit anderen Spielern eine Gemeinschaft. Ein definiertes Spielziel gibt es nicht. Somit hat das Spiel auch kein natürliches Ende.
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Eingebettet ist das Spiel in eine Fantasygeschichte. Zwei Gruppen, die sich in der riesigen Fantasiewelt Azeroth verfeindet gegenüberstehen (Allianz und Horde), ringen um die Macht. Bevor Sie einen Charakter erstellen, werden Sie auf diese Geschichte hingewiesen. Einige spielrelevante Entscheidung steht Ihnen nun bevor. Sie müssen sich entscheiden, in welcher Spielumgebung Sie spielen wollen. Neben der Wahl des Sprachraumes haben Sie die Wahl zwischen zwei Servertypen: PvP, PvE. Beide Typen unterscheiden sich durch einen einzigen Umstand: Spielen Sie auf einem PvP-Server (Player versus Player), so ist es möglich, dass ein der gegnerischen Fraktion angehöriger Spieler Sie während des Spieles auch angreifen und eliminieren kann, wenn Sie sich, vereinfacht beschrieben, mit Ihrem Charakter außerhalb Ihres Heimatgebietes befinden. Der weitaus größte Teil der »World of Warcraft« ist solch umkämpftes Territorium. Bei einem PvE-Server (Player versus Environment) ist dies nicht möglich, hier steht der Kampf der Spieler gegen Computergegner im Vordergrund. Für beide Servertypen stehen auch Rollenspielserver zur Verfügung. Diese Servertypen sollen es ermöglichen, dass Spieler sich (noch mehr als dies bei »normalen« Servern der Fall ist) mit ihrem Charakter rollenspieltypisch verhalten (Benutzung der sprachlichen Eigenheiten der Rasse, typischen Verhalten der Klasse etc.). Diese Servertypen (RP-PvP und RP-PvE) bilden eine Minderheit unter den Servertypen. Zur Zeit gibt es im deutschsprachigen Raum 37 PvP-, 32 PvE-, 6 RP-PvP- und 9 RPPvE-Server. Bei der Wahl des Charakters stehen gegenwärtig auf beiden Seiten fünf Völker zur Verfügung, wobei es bei jeder Volk ermöglicht wird, unterschiedliche Klassen zu wählen. So können Sie bei der Erstellung Ihres Charakters aus einer Vielzahl von Möglichkeiten auswählen. Der gewählte Charakter kann anschließend aus einer Reihe von graphischen Optionen individueller gestaltet werden (Haarform, Körperform, Hautfarbe usw.). Nachdem Sie sich für ein Volk (und damit für eine Fraktion) und eine Klasse entschieden haben und sich mit Ihrem Charakter in das Spiel eingeloggt haben, werden Sie mit einem Video auf Ihre Rolle in der Geschichte der »World of Warcraft« vor-
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bereitet. So wird ein stimmungsvoller Einstieg in die Spielwelt geschaffen. Nun beginnt Ihre eigene Geschichte in WoW. Genretypisch erhalten Sie von computergesteuerten Figuren Aufgaben, die Sie erledigen sollen: Es stehen die unterschiedlichsten Aufgabentypen zur Verfügung: »Besorge 10 Bergpumafelle«, »Liefert die Briefe bei Talin ab«, »Säubert den Wasserbrunnen« und viele tausend andere Aufgaben. Für die Erledigung dieser Aufgaben erhalten Sie Erfahrungspunkte, die Sie benötigen, um Ihren Charakter größer und stärker werden zu lassen. Beginnend mit der Charakterstufe 1 können Sie sich inzwischen bis zur Stufe 80 entwickeln. Durch das Erledigen von Aufträgen bekommen Sie auch ab und zu Gegenstände, die Ihr Charakter nutzen kann, um stärker zu werden. So erhalten Sie beispielsweise bessere Rüstungen und bessere Waffen. Diese Gegenstände zu bekommen, ist für viele Spielerinnen und Spieler ein wichtiges Motivationsinstrument. Im Laufe des Spiels werden die Aufgaben immer schwieriger, was Sie dazu veranlasst, sich Mitspieler zu suchen, mit denen
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Sie in der Gruppe Aufgaben erledigen können, die allein nicht machbar wären. Zu Beginn werden es eher spontane, auf einzelne Aufgaben beschränkte Gruppen sein. Im Verlauf des Spiels können Sie aber Aufgaben erledigen, die ein koordiniertes und geübtes Zusammenspiel der unterschiedlichen Klassen erfordern. So ist es genretypisch, dass sich auf das Spiel bezogene Interessengemeinschaften herausbilden. Bei »World of Warcraft« nennen sich diese Spielergemeinschaften »Gilden«. Die Gilde bietet ein wesentliches Gerüst, um im Spielverlauf weiter voranzukommen. Sie bietet Unterstützung, Austausch und ein persönlicheren Kontakt zu anderen Mitspielerinnen und Mitspielern. Wenn Sie sich mit anderen Spielern kommunizieren möchten, steht Ihnen ein Chat oder ein Sprachchat zur Verfügung. Diese Art der Kommunikation ist im Spiel nur für Mitglieder der gleichen Fraktion möglich. Die schwierigsten Aufgaben können nur noch in eingespielten Gemeinschaften bewältigt werden. Ebenso können die besten Gegenstände nur noch von computergesteuerten Gegnern erbeutet werden, die nur in einer eingespielten Gruppe besiegt werden können.
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Diese Gegner befinden sich in der Regel ist so genannten Instanzen. Damit sind Spielumgebungen gemeint, zu denen – außer Ihrer Gruppe – niemand anderes zeitgleich Zugriff hat. Möchte eine andere Gruppe die gleichen Gegner bekämpfen, so wird eine die Instanz kopiert und der zweiten Gruppe zur Verfügung gestellt. So ist es möglich, ungestört agieren zu können. Es gibt Instanzen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade. Manche Instanzen sind in einer Stunde zu schaffen, andere dauern, auch in eingespielten Gruppen, Stunden. Die einfacheren Instanzen können in der Regel von den Charakteren fast ohne Einschränkungen immer wieder besucht werden. Dafür sind in der Regel auch bis maximal 5 Spieler zulässig. Die größeren, langwierigeren Instanzen erfordern eine höhere Anzahl von Mitspielern. So gibt es Instanzen für 40, 25 und 10 Spieler. Die 40er-Instanzen, die in der ersten Version von WoW enthalten waren, werden aber kaum noch von 40er-Gruppen genutzt, da der Organisationsaufwand doch beträchtlich ist. Blizzard hat sich in der weiteren Entwicklung des Spiels auf 10er- und 25er-Instanzen konzentriert. Im Verlauf des Spiels können Sie zwei Hauptberufe und einige Nebenberufe erlernen, um an Produktionsprozessen teilzunehmen zu können. Es gibt beispielsweise Sammelberufe wie Bergbauer, Kürschner oder Kräuterkundiger sowie verarbeitende Berufe wie Schmied, Schneider oder Alchimist. Beide Berufszweige benötigen einander. So entstand innerhalb des Spieles ein Wirtschafts- und Handelskreislauf. Implementiert wurden Auktionshäuser, über die ein Handel mit Waren abgewickelt werden kann. Dem Spieler steht eine Bank zur Verfügung, in der er seine Gegenstände lagern kann. Zusätzlich gibt es eine Gildenbank, die diesen Service auch den Spielergemeinschaften zur Verfügung stellt. »World of Warcraft« bietet so in seiner riesigen Welt (um mit Ihrer Spielfigur von einem Ende zum anderen Ende zu laufen, würden Sie Stunden benötigen!) allen Spielern die Möglichkeit, ihren Charakter zu entwickeln. Sie können auch mehrere Charaktere erstellen und entwickeln, pro Account aber nur mit einem Charakter eingeloggt sein. Da das Spiel nie endet, können Sie sich mit Ihrem Charakter immer in »World of Warcraft« einloggen (Ausnahme: In Zei-
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ten der Serverwartung ist dies nicht möglich!) und weiterspielen. Durch die Möglichkeit der Erweiterungen (Patches und Add-ons) kommen immer wieder neue Inhalte, neue Gegner und Ausrüstungsgegenstände hinzu.
Die Faszinationskraft MMORPG gab es schon vor »World of Warcraft«. Diese wurden allerdings nicht so erfolgreich wie WoW, wenn man es an der Anzahl der Mitspielerinnen und Mitspieler misst. Insgesamt scheint die Story, die graphische Darstellung, das Kampfsystem sowie das Gameplay doch sehr ansprechend sein. Die Faszinationskraft hängt mit unterschiedlichen Motivationen zusammen. Die größte Motivation liegt in dem Zusammenspiel mit anderen realen Menschen in einer abwechslungsreichen und spannenden Spielumgebung, der Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren, zu interagieren und gemeinsam Spaß und Erfolg zu haben. So kann das Bedürfnis, dass Computerspielen insgesamt zu Grunde liegt – erfolgreich Aufgaben bestehen zu können, die einen nicht unter- oder überfordern –, in »World of Warcraft« sehr gut und dauerhaft befriedigt werden. Wird es zu einfach, wählt man schwierigere Herausforderungen, wird es zu schwer, organisiert man sich Mitspieler. Das Bedürfnis nach Anerkennung und Erfolg wird durch das Belohnungssystem unterstützt. Erfahrungspunkte, bessere Ausrüstung sowie finanzielle Belohnungen ermöglichen die Charakterentwicklung und lassen diese nie als beendet erscheinen. Ein weiteres wichtiges Motivationselement ist es auch, dass Eigenschaften, die die reale Person hat (Bildung, Einkommen, Alter, Hautfarbe, Beruf etc.), in der Spielwelt keine Rolle spielen. Man kann auch mal eben in eine Rolle schlüpfen und das tun, was man sonst nie tun kann oder tun würde. Auch das Bedürfnis, sich mit anderen Menschen zu messen, kann mittels WoW befriedigt werden. So kann man sich die Ausrüstungsgegenstände der Mitspieler der gleichen Fraktion im Detail anschauen (geübte Augen erkennen sogar die Ausrüs-
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tungsgegenstände der gegnerischen Fraktion allein auf Grund der graphischen Darstellung!), sich duellieren oder sich in umkämpften Gebieten oder auf Schlachtfeldern und in Arenen mit gegnerischen Spielern im Kampf messen. Strategisches Denken kann in den Prozess der Gruppendiskussion um die richtigen taktischen Vorgehensweisen bei der Bekämpfung von großen, gewaltigen Gegnern eingebracht werden. So ist es in der Regel für jeden Spieler möglich, innerhalb der Gemeinschaft einen Platz zu bekommen, der mit Anerkennung – gerade von anderen Mitspielern – verbunden ist. Eine gewisse Faszinationskraft besteht auch darin, dass man sich hier mit seinen realen kreativen Potentialen künstlerisch betätigen und sich nach außen darstellen kann. So sind beispielsweise unzählige Videos mit Szenen aus WoW über Plattformen wie YouTube oder MyVideo abrufbar. Viele dieser Videos sollen wohl zeigen, wie toll man doch ist!
Virtuelle und reale Welt Die Spielergemeinschaften (Gilden) bilden sich zwar im Spiel, die wesentliche Austauschplattform ist das Internet mit seinen interaktiven Möglichkeiten. Gilden nutzen zur Diskussion Foren, zur Abstimmung von Instanzenbesuchen virtuelle Terminplaner und Homepages für die Außendarstellung. Über die Gilden hinaus sind unzählige Communities entstanden, die das Erleben in und um »World of Warcraft« in dem Mittelpunkt stellen. Allein die Suche nach »World of Warcraft Gilde« führt bei Google zu 53.500 Treffern. Ein weiterer Schnittpunkt ist das Wirtschaftssystem in »World of Warcraft. Durch das integrierte Handelssystem werden Güter (beispielsweise Waffen und Rüstungen) sowie Dienstleistungen (Herstellung einer Rüstung) mit virtuellem Gold gehandelt. Dieses Gold erhält man durch geschicktes Handeln, durch die Erledigung von Aufgaben und das Eliminieren von manchen computergesteuerten Gegnern. Durch die Größe der »World of Warcraft« ist eine Fortbewegung zu Fuß unvorstellbar. Als Folge davon möchte jeder Spie-
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ler ein Reit- und Flugtier besitzen, mit dem man sich schneller fortbewegen kann. Entsprechend hohe Beträge müssen in der höchsten Stufe angelegt werden, um eines der schnellen Flugtiere zu erhalten und nutzen zu können. Aber auch seltene Waffen und Rüstungen werden zu hohen Preisen über das Auktionshaus angeboten. Es haben sich im realen Wirtschaftskreislauf Organisationen gebildet, die speziell für Online-Rollenspiele (WoW ist nur eines davon!) Gelder erspielen und gegen reales Geld verkaufen. So können Sie sich beispielsweise bei eBay gegenwärtig ab 10 Euro 1000 WoW-Gold erkaufen, die Ihnen im Spiel über das integrierte Postsystem zugesendet werden. Nicht nur der Handel mit virtuellem Gold scheint lukrativ. Es gibt eine Reihe von Firmen, die gegen entsprechende Bezahlung mit realem Geld einen Charakter Ihrer Wahl auf das Höchstlevel spielen. Der momentane Preis für einen Charakter der Stufe 80 liegt aktuell zwischen 50 und 300 Euro. Viele dieser Organisationen sind im asiatischen Raum ansässig. »World of Warcraft« ist in die gesellschaftliche Diskussion geraten. Die Debatte steckt noch in den Kinderschuhen, Forschungen in dieser Richtung sind noch rar. Dennoch gibt es Anzeichen dafür, dass Verhaltensweisen auftreten, die mit denen anerkannter Süchte vergleichbar sind.
Fazit »World of Warcraft« ist ein sehr beliebtes MMORPG. Das hängt sicherlich einerseits mit der Spielstory zusammen. Ein weiterer Punkt, der zum Erfolg beigetragen hat, sind die relativ geringen Anforderungen an die Hardware. Das Spiel lässt sich heute auf den meisten Rechnern problemlos spielen, die in bundesdeutschen Haushalten stehen. In einem Interview gab Paul Sams (Chief Operations Officer der Firma Blizzard) bekannt, dass mehr als die Hälfe der Spieler, die bei der Kündigung ihres Accounts den Umstieg auf Warhammer Online (ein anderes MMORPG) angaben, inzwischen zu WoW zurückgekehrt sind.
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Wenn man sich Forenbeiträge durchliest, wird schnell klar, warum »World of Warcraft« einen solchen Erfolg hat: Das Spiel bietet eben viele Möglichkeiten der Charakterentwicklung und ist, dank seiner langen Zeit am Markt, schon sehr ausgereift und an die Bedürfnisse der Spielerinnen und Spieler bestens angepasst. Als entscheidend wird aber häufig die Integration in eine bestehende Spielergemeinschaft angegeben.
Schlussbetrachtungen Ich hoffe, dass ich Ihnen den Spielinhalt und die Faszinationskraft verdeutlichen konnte. Natürlich unterscheiden sich virtuelle Welten. Die in Büchern wie »Pippi Langstrumpf« dargestellte Welt ist, wie in Büchern üblich, eine statische Welt. Auch hier gibt es Erweiterungen, die die Geschichte mitunter vorantreiben. Die Bilder entstehen dabei in unseren Köpfen, zum Teil werden sie über das Medium Film auch in bewegte Bilder umgesetzt. Im Gegensatz zu Computerspielen oder virtuellen Umgebungen wie »Second Life« bleiben sie aber immer erzählte Geschichten. Ob als Leser oder Zuschauer, die Nutzer eignen sich die Inhalte eher passiv an. Auch wenn Computerspiele selbst keine freien Welten sind, es sind ebenfalls programmierte Umgebungen mit programmierten Möglichkeiten, so lassen sich Handlungen aktiv gestalten, der Spieler entscheidet über seine Handlungen. Dies ist mitunter der größte Unterschied zwischen den statischen und interaktiven Medien. Die begonnene gesellschaftliche Debatte um Zugangsbeschränkungen oder gar -verbote für diese virtuellen Welten wird auf dem Hintergrund der unterschiedlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse fortgesetzt werden. Ich kann Sie an dieser Stelle nur ermuntern, diese virtuellen Umgebungen einmal persönlich zu erkunden. In »Second Life« ist dies problemlos möglich, das Angebot lässt sich kostenlos nutzen. Bei »World of Warcraft« (oder einem anderen MMORPG) gibt es (meist) die Möglichkeit, für eine paar Tage einen Probeaccount zu erstellen. »Counter-Strike« ermöglicht dies leider nicht.
Angelika Beranek, Uta Cramer-Düncher und Stefan Baier
Das Online-Rollenspiel »World of Warcraft« aus subjektiver Sicht jugendlicher Spieler
Zusammenfassung Anhand von Fallinterviews mit drei Jugendlichen im Alter von 13, 15 und 18 Jahren wird der Blick auf die Sicht der Spielenden gelenkt. Hierdurch soll ein Einblick in die Spielerwelt und den Alltag der User gewonnen werden. Die Interviewten berichten von ihren Erfahrungen im Spiel, ihren Charakteren, der Faszination des Spiels und ihrem Spielverhalten. Betrachtet wird die Spielwelt als Sozialraum, die Identifikation mit Spielfiguren, die Bedeutung der Peergroup und der Stellenwert, den »World of Warcraft« im Leben der Jugendlichen einnehmen kann. Besonderes Augenmerk wird auf die Anziehungskraft und die sozialen Bedingungen sowie gruppendynamische Prozesse innerhalb und außerhalb des Spiels gelegt.
Einleitung Mit Hilfe der Interviews von drei Jugendlichen möchten wir folgend Struktur und Ablauf des Massen-Multiplayer-Online-Rollenspiels (MMORPG) »World of Warcraft« (WoW) sowie exemplarisch das Erleben von Spielern bei diesem Spiel aufzeigen. Dabei gab es für uns eine Reihe von Ausgangsfragen, für die wir hoffen, über die Interviews einige Antworten gefunden zu haben: – Was macht die besondere Faszination der Internetwelten und -rollenspiele aus? – Wie konnten solche Spiele zu einem Massenphänomen werden? – Wie erleben sich die Jugendlichen, wenn sie spielen?
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– Inwieweit sind sie in der Lage, das Spiel und ihr Tun kritisch zu reflektieren? – Was ist der Unterschied zwischen Online-Rollenspielen in virtuellen Welten und sonstigen kindlichen Rollenspielen? – Wirken sie sich in anderer Weise auf die kognitive und seelische Entwicklung aus? Die interviewten Jugendlichen sind Besucher der medienpädagogischen Jugendeinrichtung »Infoc@fé« der Stadt Neu-Isenburg. Insofern haben wir es mit Jugendlichen zu tun, die vermutlich nicht besonders typisch sind für eine Spielerszene, in der es üblich ist, selbst entscheiden zu können, wann, wo und wie viel gespielt wird. Die interviewten Jugendlichen suchen die persönlichen sozialen Kontakte im Café, halten sich dort an begrenzte Spielzeiten und werden sozial- und medienpädagogisch betreut. Spieler, die exzessiv und suchtartig spielen und sich durch Computerspielen selbst gefährden, fügen sich in so ein Setting gewöhnlich nicht ein. Insofern sind unsere Jugendlichen ziemlich »normale User«. Hätten wir die Interviews mit exzessiven Spielern geführt, hätte sich sicher ein anderes Bild ergeben. Stefan Baier hat Christian (13 Jahre) und Markus (15 Jahre) interviewt, Uta Cramer-Düncher sprach mit Tobias (18 Jahre). Christian spielt WoW seit Januar 2008 und nur im Café, Markus spielt seit Weihnachten 2007 und Tobias seit der Veröffentlichung des Spieles 2004. Die beiden älteren Jugendlichen spielen sowohl im Jugendzentrum als auch zu Hause. Christian spielt zweimal pro Woche jeweils rund zwei Stunden, Markus etwa jeden Tag eine Stunde. Tobias meint auf die Frage nach seiner Spielnutzung: »Das ist unterschiedlich – ich bin jeden Tag wenigstens kurz im Spiel, um zu schauen, was sich getan hat und ob ich irgendwas verpasst habe. Wie lang ich dann im Spiel bleibe, hängt ganz davon ab, was ich den Tag noch vorhab, also wenn ich Zeit habe und sehe, da kommt jetzt die nächsten zwei, drei Stunden nichts auf mich zu, dann setz ich mich halt bequem hin, mach Musik an und tauch einfach ein bisschen ein.«
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Die Spielfiguren in WoW – die »Avatare« Charaktere Ein wichtiges grundlegendes Element, das das Spielerleben entscheidend beeinflusst, ist die Erstellung eines »künstlichen« Charakters, Avatar genannt, den ein Spieler braucht, um überhaupt die Spielwelt betreten zu können. Ein Avatar ist in der Enzyklopädie Wikipedia definiert als eine künstliche Person oder ein graphischer Stellvertreter einer echten Person in der virtuellen Welt, beispielsweise in einem Computerspiel. Der Einstieg in das Spiel besteht also darin, dass ein Spieler einen Wunschcharakter zu erstellen hat, den er nach seinen Wünschen, Ideen und Phantasien ausstattet – so schlüpfen Jugendliche, die in ihrer Stadt vor allem standardisierte Fußgängerzonen kennen, im Spiel in die mystischen Rollen von Tauren, Trollen, Untoten, Nachtelfen und vielem mehr. Die meisten Spieler haben mehrere Avatare. Bei der ersten Konfrontation mit dem Spiel werden diese oft willkürlich und spontan gewählt. Wenn Spieler das Spiel näher kennen, wählen sie oft noch einen zweiten oder dritten Charakter. Die später gewählten Charaktere sind oft systematischer und bewusster gemäß den Erfahrungen, die Spieler innerhalb des Spieles gemacht haben, gewählt und zusammengestellt: Welche Fähigkeiten fanden sie bei anderen gut und möchten sie jetzt auch haben? Oder sie möchten ein bestimmtes Schwert besitzen, das zum Beispiel nur Krieger tragen dürfen, und bauen sich deswegen einen solchen Krieger. Doch auch die Mitarbeit in Spieler-Teams, die innerhalb des Spieles Gilden heißen, beeinflusst die Wahl neuer Charaktere. Hier stellt sich dann oft die Frage: Was fehlt in der Gilde? Manchmal nutzen Spieler einzelne Charaktere, um auch in den Reihen der Gegner selbst vertreten zu sein. Gründe finden Spieler somit genug, um mit einer Reihe von Charakteren im Spiel vertreten zu sein. Innerhalb des Spieles geht es für jeden der Charaktere darum, Aufgaben zu bewältigen, die das Spiel bereithält – Quests genannt –, und auf diese Weise vom Anfangslevel aufzusteigen in höhere Levels. Im Spiel konnte man bei der Erstveröffent-
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lichung auf einen Maximallevel von 60 kommen. Dieser Level wurde und wird in späteren Ergänzungen erhöht, um Spielern neue Herausforderungen zu bieten. In höheren Levels werden die Charaktere schrittweise mit Attributen ausgestattet, die ihnen mehr Möglichkeiten und mehr Macht verleihen. Die Aufgaben, die sie in den höheren Levels zu bewältigen haben, werden dementsprechend auch vielfältiger und anspruchsvoller. Sehen wir, was Tobias zu seinen Spiel-Charakteren zu sagen hat: »Es ist ja so, dass das Spiel bisher in zwei Zeitebenen gegliedert war. Also von Anfang bis Anfang 2007 hatte man eine Etappe. Da ging’s von Stufe 1–60 und danach kam’s dann mit einer Erweiterung, dass man dann das Levelmaximum von 60 auf 70 erhoben hat. Ich hab damals halt zwei, drei Charaktere auf ’s Maximallevel gebracht, das war 60 zu der Zeit, und seitdem sind die Charaktere auf Level 60 geblieben. Ich bin ziemlich zur zweiten Etappe meiner Gilde beigetreten und hab dann halt komplett von vorne angefangen. Seitdem haben es drei Charaktere auf ’s Maximallevel neuerdings 70 geschafft und der vierte ist auf dem Weg.«
Tobias stellt seinen Lieblingscharakter vor: »Da ist am Anfang mein Orkschamane. Goardral ist sein Name. Alter Verteidiger der alten Sitten der Orks. Es ist in der Spielgeschichte so gewesen, dass die Orks ein schamanistischer Stamm, also ein schamanistisches Volk aus einer anderen Welt waren, die dann durch einen Unfall nach Azeroth, also in die Welt der Menschen, gelangt sind und dort einen Pakt mit Dämonen geschlossen haben. Dieser Pakt mit den Dämonen hat die Orks dann so korrumpiert, dass sie ihrer selbst nicht mehr Herr waren. Sie wurden zu blutrünstigen Maschinen. So ist es jetzt aber bei den Schamanen so, dass sie probieren, zu den alten schamanistischen Wegen, zu den Geistern der Natur wieder zurückzufinden.«
Warum hat Tobias diesen Charakter gewählt? »Ich mag den Aspekt der Natur dahinter. Es gefällt mir der Gedanke, dass diese Geister wirklich einen Einfluss auf die Welt haben können. Und dass die Schamanen es schaffen, diese Energien zu bündeln und sie zu benutzen.«
Tobias hat noch einen weiteren Charakter, der ihm am Herzen liegt: »Das ist Moti, eine Draenei. Eine Außerirdische, die durch irgendwelche merkwürdigen Geschichtsänderungen mit einem Raumschiff durch die
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Galaxie geflogen und dann auf der Welt Azeroth abgestürzt ist. Zu ihrem Charakter: Sie ist eine alte verbitterte Frau, die durch den Absturz ihr Kind und ihr linkes Auge verloren hat. Also ein sehr dramatischer Charakter. Was mir an ihr gefällt, ist einfach die Repräsentation einer starken Frau. Und da passt die Klasse Krieger sehr gut dazu, die mit brutaler Waffengewalt den Gegner zerschmettern wollen.«
Fabian und Kevin erzählten auf die Frage, welche Figuren sie spielen und welche besonderen Fähigkeiten sie haben: Fabian: »Hier im Infoc@fé bin ich im Moment auf Level 15 und da kann ich am besten Nahkampf. Also mit meiner Axt oder mit meinem Hammer einfach nur draufschlagen. Schnelle Angriffe, langsame Angriffe, je nachdem – sie lähmen auch.« Kevin: »Mein höchster Spieler, den ich jetzt habe, der ist Level 27. Das ist halt ein Jäger, der schießt von der Ferne, und sein Tier, was er gezähmt hat, das schickt er dann auf den Gegner drauf. Und es kann sogar sein, dass er soviel Damage macht, dass der Gegner dann gleich umfällt, bevor der Gegner überhaupt dann bei einem da ist.«
Identifikation mit dem Charakter Der Bezug, den die Spieler zu ihrem Avatar aufbauen, wird bei Online-Rollenspielen ebenso wie bei anderen Rollenspielen als semantische Identifikation beschrieben. Bei dieser handelt es sich um »eine am Inhalt ausgerichtete Form der Verschränkung von Spieler und Spielfigur. Der Spieler identifiziert sich mit dem Spielinhalt, als habe er für sich eine Bedeutung« (Fritz, 2008, S. 99). Es kann in solchen Spielen passieren, dass der Spielende »mit ›seinem‹ Avatar so stark verschmilzt, als sei es ein ›Parallelcharakter‹ von ihm selbst« (Fritz, 2008, S. 99). Im Interview mit Tobias wird dies deutlich: »Dass ich mich probiere ins Spiel zu projizieren, das ist richtig. Ich gebe jedem der Charaktere so ein Stück von mir mit. Das ist bei dem Orkschamanen der Sinn für alte Werte, Treue und für ein gewisses Familienwesen. Bei der Frau ist das der Beschützerinstinkt.«
So kann jeder Charakter eines Spielers einen anderen Teil seines (Wunsch-) Selbst repräsentieren. Ein »Verlierer« im echten Leben kann im Spiel zum Gewinner, der Schüchterne zum Draufgänger
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werden, selbst das Geschlecht lässt sich frei wählen. Jeder kann die Person sein, die er oder sie im realen Leben gerne wäre – aber vielleicht nicht ist. Spieler können ihren Avataren gleichermaßen gesellschaftlich erwünschte Eigenschaften mitgeben oder auch Dispositionen, die im echten Leben nicht angesehen sind und sich kaum ausleben lassen. Die virtuelle Welt des Online-Rollenspiels bietet somit ein Experimentierfeld für die Entwicklung der eigenen Identität. Ob das am Ende der Selbstfindung von Jugendlichen dienen kann oder ob negative Folgen zu befürchten sind, lässt sich heute noch nicht endgültig zu beantworten.
Faszination des Spielens Real Life versus virtuelle Realität Neben der bereits beschriebenen Freiheit, sich selbst zu entwerfen, sind es die unbegrenzten und vor allem folgenlosen Möglichkeiten des Tuns, die faszinieren. Die beiden jüngeren Spieler erklären den Unterschied zum realen Leben so: Markus: »Also da kann man zum Beispiel Leute umbringen, ohne dass man bestraft wird, und da sieht man halt auch kein Blut. Und man kann da verschiedene Berufe ausführen, wo man im echten Leben gar nicht dazu kommt. Ja und da kann man zum Beispiel Sachen verzaubern oder so.« Christian: »Also ich seh’s auch wie der Markus: Im echten Leben gibt’s ja sowas wie Magie nicht; also Zaubersprüche auf andere schicken, Feuerbälle, Eisblitze und so. Und im Spiel kann man das. Da fühlt man sich einfach so wie ›diesen Gegner will ich jetzt, also setz ich mal meinen Zauberspruch auf ihn ein‹. Da kann man ihn dann, wenn’s ein schwacher Gegner ist, schon aus der Ferne killen.«
Selbstwirksamkeit und unmittelbares Feedback Das Spiel bietet also Freiräume und das Sprengen von Grenzen, wie sie im echten Leben nicht möglich sind. Kindliche Allmachtsphantasien werden befriedigt; es kann mit Magie experimentiert werden. Hinzu kommt, dass auf jede Handlung direkt ein Feedback folgt. Dies führt zum Erleben großer Selbstwirk-
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samkeit – und große Selbstwirksamkeit ist zweifellos für Jugendliche wichtig, um ihre Welt zu erobern. Tobias schätzt das in folgender Weise ein: »Es ist schneller. Ganz simpel. Man hört oft davon, dass viele Leute in diese virtuelle Welt flüchten, um schnelle Erfolgserlebnisse zu haben. Das ist auf jeden Fall ein Faktor, der ausgenutzt wird von den Entwicklern und auch von den Spielern akzeptiert wird. Man versucht eben, sich selbst ein wenig Befriedigung dadurch zu schaffen, dass man sagt, dass man heute ein neues Level erreicht, und kann dadurch eben in neue Gebiete, neue Questen erfüllen, neue Gegenstände anziehen und einfach mehr unternehmen. Und man probiert einfach, durch dieses Vorankommen seinen Horizont zu erweitern im Spiel, und das macht einfach einen großen Teil aus, dass man schaut, wie kann ich möglichst viel aus dem Spiel herausholen. Man holt sich schnell diese gewünschten Erfolgserlebnisse und erlebt einfach was. Man macht dasselbe, wenn man Bücher liest, man will sich selbst ein bisschen verlieren und im Prinzip in ’ne andere Person eintauchen.«
Einen Teil der Faszination macht also die schnelle und vereinfachte Wunscherfüllung aus, die Möglichkeit, sich zu verlieren, etwas zu erleben und abzuschalten: »Die Anerkennung, die Spieler für Erfolge in der Spielwelt erhalten, ist nicht ungefährlich, denn einen besonderen Rüstungsgegenstand, ein hohes Level des eigenen Avatars etc. zu erreichen ist schneller und einfacher als die Anerkennung in einer Gruppe von Gleichaltrigen im wirklichen Leben« (Wenz, 2008, S. 191). Im Interview wird auch deutlich, wie vielseitig die Möglichkeiten im Spiel sind. Je nach Interessenlage der Spieler kann die Belohnung, die das Spiel bietet, durch Levelaufstieg, Erkundung neuer Gebiete, den Erwerb neuer Gegenstände oder anderes erfolgen. Jeder findet individuelle, zu ihm passende Gratifikationsmöglichkeiten vor. Für Tobias zum Beispiel ist es wichtig, sich innerhalb des Spieles in einer Tradition zu sehen: »Für mich ist ein großer Faktor, dass diese Geschichte, die ja im Laufe dieser Etappen erweitert wird, schon vor WoW passiert ist. Es gab drei Spiele vorher, das waren eben Warcraft 1, 2 und 3, die eben vorher schon von Blizzard herausgebracht wurden. Das war ein Spiel, mit dem ich in meiner Kindheit recht schnell konfrontiert worden bin. Die Story war einfach so gigantisch, dass man sich drin verlieren konnte. Es hat einfach Spaß gemacht, dieser Zeitlinie zu folgen.«
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Hinzu kommt, dass ein Spieler mit seinen Avataren Einfluss auf die weitere Geschichte nehmen kann. Noch einmal Tobias: »Der Spieler hat jetzt für sich die Freiheit, zu schauen, wie weit möchte er, wie weit kann er kommen mit seinem Charakter. Im Spiel, im Endbereich des Spiels ist es dann so, dass man im Prinzip alleine nichts mehr erreicht. Man ist dann halt wirklich soweit, dass man sagt, ich nehm’ mir halt 24 andere Leute, mit denen ich dann halt wirklich epische Schlachten vollführe. Also Schlachten vollführe, die halt ähnlich sind denen, die im Echtzeitstrategiespiel schon geführt wurden.«
Macht und Wettbewerb »In jeglichem Spiel haben ›Macht‹ und in den meisten auch ›Wettbewerb‹ zentrale Bedeutung. Spiele greifen so Elemente auf, die das Leben von Menschen grundsätzlich prägen.[…] Computerspiele bieten dem menschlichen Bedürfnis, im Spiel Ohnmacht zu überwinden, Macht zu erfahren, Kontrolle auszuüben und sich im Wettbewerb zu bewähren, eine geeignete Bühne« (Wenz, 2008, S. 5). Der Wettbewerb mit anderen Spielfiguren oder Gruppen und die guten Vergleichsmöglichkeiten durch die Zeit, die jeder einzelne investiert, um ein neues Level zu erreichen, spornen die Jugendlichen an. Aufgaben sind nicht so schwer, dass sie nicht gemeistert werden könnten, aber auch nicht so leicht, dass das Erfolgserlebnis fehlt. Die Spieler erleben sich als mächtig, schwache Gegner sind leicht besiegbar und Siege verschaffen so Erfolgserlebnisse.
Emotionale Gratifikation Durch diese Spielmechanismen besitzen virtuelle Spielwelten einen emotionalen Gratifikationscharakter: »Sie machen ein ›gutes Gefühl‹ und werden daher als ›emotionale Selbstmedikation‹ (mehr oder weniger bewusst) verwendet (Fritz, 2004, S. 256). So können Spiele helfen, Misserfolge im Leben zu verarbeiten oder auch, neue Strategien zu entwickeln im Umgang mit Enttäuschungen und fehlender Selbstwirksamkeit.
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Soziale Strukturen: Peergroup Wie bereits erwähnt gewinnen Teams, Gilden genannt, in höheren Levels des Spiels an Bedeutung: Spieler schließen sich zusammen, um Aufgaben gemeinsam zu meistern. Hier gibt es die Möglichkeit, sich in lockeren Verbänden nur für einzelne Aufgaben zu organisieren oder – was häufiger geschieht – in festen Spielerverbänden, die zeitgleich anderswo an ihren Computern sitzen. Horst Pohlman beschreibt die Funktion der Gilden folgendermaßen: »Fortan spielt der Spieler nicht mehr vornehmlich für seine eigenen Ziele und die Entwicklung seines Spielcharakters, sondern er agiert innerhalb der Interessen der Gruppe inklusive der damit verbundenen Rechte und Pflichten. […] So wird das Spielen an sich zum Spielziel« (Pohlmann, 2008, S. 265). In höheren Levels ist es dann keine Ausnahme mehr, dass sich 40 Spieler, die über Deutschland verteilt an ihren Bildschirmen sitzen und sich im Spiel per Chat oder auch per Headset akustisch verständigen, zur Bewältigung einer schwierigen Spielaufgabe verabreden. Solche Aufgaben müssen auch gemeinsam zu Ende gebracht werden: Sie können einige Stunden bis zu mehreren Tagen (an denen jeweils einige Stunden gespielt werden müssen) in Anspruch nehmen. »Fehlt eine Spielfigur, ist oft die fein abgestimmte Balance aus Angriff, Verteidigung und Hilfestellung nicht mehr vorhanden und das Team scheitert. Hieraus ergibt sich oft ein Zwang für den Spieler, mit seiner Spielfigur zu verabredeten Zeiten präsent zu sein und die Gemeinschaft nicht im Stich zu lassen« (Pohlmann, 2008, S. 267). Hier wird also eine soziale Dimension innerhalb des Spieles etabliert, die Spieler zugleich an das Spiel bindet und ihnen dabei auch die Kontrolle über die aufgewandte Zeit einschränkt oder entzieht. Das kann so weit gehen, dass virtuelle Bindungen zur Gilde wichtiger werden als reale soziale Bindungen. Tobias sagt zu seiner Gilde: »Meine Gilde besteht seit Anfang des Spiels und ich bin Ende 2006 dazugestoßen über diverse Bekannte, die ich schon vorher kannte und zu denen ich im Spiel den Kontakt vertieft habe. Mit dieser Gilde bin ich jetzt konstant seit zwei Jahren am Spielen und ich kann mir nicht vorstellen, jetzt noch zu spielen, wenn ich diese Leute nicht hätte.«
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Für Tobias werden Aufgabe und Gilde zu einem untrennbaren Ganzen, das ihn beim Spielen fasziniert: »Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, das war jetzt noch vor der zweiten Etappe, dass wir wirklich, damals noch mit 40 Mann, einen Boss besiegt haben, an dem wir wirklich zwei Monate zwei, drei Abende in der Woche effektiv drangegangen sind, konzentriert mit 39 anderen Mann, mit denen man sich wirklich gut verstanden hat; und nach zwei Wochen dann einfach zu sagen ›so, jetzt sind diese letzten 5 %, die der Boss an Leben hatte, wirklich in Sekundenschnelle verschwunden‹. Da ging wirklich fünf Minuten nur Geschrei im Voicechat, also es war ein riesiges Gejubel. Es war ein Feiern, das man sonst kennt, wenn – was weiß ich – zum Beispiel Deutschland in der EM ein Tor schießt. Das ist ein Gefühl, das lässt sich nicht beschreiben, das ist pure Euphorie. Und wenn man so was wirklich mit anderen Menschen teilen kann, das ist wirklich was Großartiges.«
Die Erfolgserlebnisse, die die Verbände miteinander erleben, schweißen sie zusammen. Der Medienpädagoge Jürgen Fritz beschreibt das so: »Computerspiele, die semantische Identifikation anbieten, lösen die Anmutung bei den Spielern aus, als ginge es um die Simulation menschlichen Verhaltens in sozialen Situationen« (Fritz, 2008, S. 99). Das emotionale Erleben von Spielern kann somit über die Spielsituation hinaus eine Verbundenheit mit anderen Spielern erzeugen. Darüber hinaus entwickeln sich über Treffen von Gildenmitgliedern auch in etlichen Fällen reale soziale Kontakte.
Reale Kontakte Tobias erzählt uns von realen Begegnungen mit WoW-Spielern: »Ich bin seit zwei Jahren in meiner Gilde, ich war mittlerweile auf zwei offiziellen Gildentreffs. Die fanden jetzt bisher in Köln und Bayern statt. Also wir haben uns getroffen und ein Wochenende absolut offline einfach unterhalten, Spaß gehabt und bemerkt, dass diese Personen also auch wirklich real sind. Das ist wirklich ein Unterschied zu den Personen, die man auch wirklich aus dem Spiel kennt. Weil man sie halt immer teilweise mit den Charakteren assoziiert.«
Wie oft und wie weitgehend kommt es nach Tobias’ Erfahrung zu echten Begegnungen von Spielern?
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»Ich kenne keine Gilde, die nicht schon mindestens zwei-, drei offline Treffen gemacht hat. Dass sich da jetzt mehr Freundschaften bilden, als da vorher schon im Game entstanden sind, wage ich zu bezweifeln, das ist eher die Ausnahme. Mir ist es passiert, ich habe wirklich gute Freunde aus dem Spiel mitgenommen.«
»Ob sich die virtuellen sozialen Kontakte zu realen weiterentwickeln, hängt vom Interesse, vom Spielertyp und vom Zeitbudget der Spieler ab« (Pohlmann, 2008, S. 269). Wenn das Interesse an realen Kontakten besteht, beschreiben Spieler das reale Kennenlernen als einfacher als bei fremden Personen, weil man sich aus dem Spiel heraus durchaus bereits einzuschätzen gelernt hat.
Suchtaspekt Auch in der Gemeinschaft der Spieler ist es bekannt, dass einige Spieler die Kontrolle über ihr Spielen verlieren und deswegen gravierende Probleme bekommen. Maßgeblich erscheint dabei nicht in erster Linie die Zeit, die Spieler für das Spielen aufwenden. Wichtiger erscheint, ob Spieler durch ihr Spielverhalten Lebensaufgaben ausweichen oder wegen des Spielens in Schwierigkeiten geraten. Der nachfolgende Abschnitt soll die Meinung der Spieler zum Thema darstellen und einen Einblick in suchtfördernde Mechanismen im Spiel geben.
Jugendliche und das Vielspielen Tobias hat früher sehr viel gespielt, er hat sein Spielen aber mittlerweile reduziert. Im Vorgespräch verwahrte er sich aber dagegen, dass er ein Problem mit dem Computerspielen gehabt habe. Das Wort »Problem« wollte er in diesem Kontext nicht verwendet wissen. Wir einigten uns dann auf die Formulierung »viel gespielt«. Wie sieht Tobias das heute? »Wenn ich in der Retrospektive darauf zurückguck, ist es wirklich so, dass mein gesamtes soziales Umfeld ziemlich darunter gelitten hat. Ich hatte ein Ersatzfeld sozusagen im Spiel, das es halt leichter gemacht hat, mich von
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dem Rest abzukapseln. Aber es war doch nie wirklich dasselbe. Ich habe zu viel gespielt, ja. Das lag aber nur einerseits am Spiel, andererseits einfach aus absoluter Faulheit. Ich bin ein sehr fauler Mensch. Das ist vielleicht eine der Nichttugenden, die ich habe, dass ich einfach oft gesagt habe: ›Dann setz ich mich jetzt einfach hin und spiel einfach.‹ Dann ist der Tag an mir vorbei geflossen. Ich war mir zu dieser Zeit auch schon bewusst, dass es nicht das Klügste ist, was ich tue, aber wie gesagt, ich war zu faul, daran etwas zu ändern. Es hat funktioniert. Ich bin nicht wirklich schlechter geworden in der Schule – meine Mutter hatte nicht wirklich Probleme damit, dass ich spiele. Es war wirklich mehr so ein Nagen im Hinterkopf, dass ich wusste, ich machte nicht unbedingt das Klügste; aber mach ich’s halt, so lange es funktioniert.«
Hier wird deutlich, dass vor allem die schnelle und einfache Verfügbarkeit des Spiels als Mittel gegen Langeweile eine große Rolle spielt. In Beratungsgesprächen und den Kontakten mit Jugendlichen wird dieser Faktor immer wieder erwähnt. Auch ein anderer Spieler, mit dem wir gesprochen haben, beschreibt den Faktor »Langeweile« als zentral: »Ein einfacher, aber zentraler Motivationsfaktor ist die Überwindung der Langeweile. Das Computerspiel treibt den Spieler oder die Spielerin von einer Aufgabe und einer Herausforderung zur nächsten. So füllt das Spiel die Zeit der Nutzenden aus und die Langeweile wird nicht mehr als solche wahrgenommen« (Hilpert, 2006, S. 3). Online-Spielen ist äußerst bequem und benötigt keine Vorbereitung – Freizeitplanung, Verabredungen, Vorbereitung sind unnötig. Einschalten des Rechners und Einloggen in die virtuelle Welt ist der einzige Aufwand, den man betreiben muss, um der Langeweile zu entgehen. Je nach der Situation kann der Spieler dann mit Bekannten spielen, wenn von denen niemand online ist, spielt er eben mit unbekannten Mitspielern. Anders als im realen Leben braucht der Spieler keine Angst vor Ablehnung zu haben: Meistens werden Anfragen auf gemeinsames Spielen angenommen. Doch selbst wenn das mal nicht der Fall ist, wird eine Zurückweisung im Spiel bei weitem nicht als so schmerzhaft und verletzend empfunden wie im realen Leben.
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Spielen als Realitätsflucht Ist das Spielen eine Flucht vor den Schwierigkeiten des realen Lebens? Tobias hält da eine differenzierte Betrachtung für notwendig: »Niemand, der erfolgreich durch sein Leben geht und mit 30 anfängt, WoW zu spielen, wird sich auf einmal abkapseln. Dafür fehlt einfach irgendwas in dem Menschen, dass er einfach sagt, ich brauch das Spiel, um mein Leben zu ersetzen. Leute, die generell Probleme im Leben haben, die eventuell Eltern haben, die keinerlei Verständnis für die Kinder aufbringen, Leute, die aus irgendeinem Grund aus der Schule geflogen sind und ’ne schlechte Ausbildung haben … Dass diese Leute eher dazu tendieren, sich in der virtuellen Welt einzuschließen, das kann man nicht absprechen. Ich hatte selbst ’nen Bekannten, der sein Medizinstudium abgebrochen hatte, weil er WoW spielen wollte. Die schnellen Erfolgserlebnisse, von denen ich vorher gesprochen habe, sind natürlich auch ein Grund, dort hinzugehen. Diese Erfolgserlebnisse, die man im realen Leben nicht hat, dort zu suchen und vor allem auch zu finden.«
Auch in der Spieler-Community ist es also bekannt, dass manche Spieler mit dem Spiel aus der realen Welt flüchten. Kaum einer der Spieler sagt das aber von sich selbst. Insgesamt zeichnet sich allerdings durchaus ab, dass Jugendliche, die Probleme zuhause oder in der Schule haben, die sich von Eltern, Lehrern oder Gleichaltrigen unverstanden fühlen, das Spiel oftmals als »emotionale Selbstmedikation« einsetzen, um sich wohler zu fühlen und die Defizite im realen Leben zu überdecken. Sie nutzen die Spielsituation als »Kurzurlaub«, wie sich auch bei Jürgen Fritz nachlesen lässt: »Ein weiterer Nutzen des Computerspielens liegt in der Möglichkeit, Distanz zu sich und seinen Problemen zu gewinnen, ›Urlaub vom Alltag‹ machen zu können, sich in eine andere Welt versetzt zu fühlen, abzuschalten und Stress abzubauen« (Fritz, 2008, S. 103).
Süchtig spielen? Wie schätzen nun die Spieler selbst die Suchtgefahr ein? Kennen sie andere, die aus ihrer Sicht heraus süchtig spielen? Dazu sagt Kevin:
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»Also ich könnte jetzt zwei aufzählen. Der eine, wenn er krank ist, spielt der von morgens bis abends. Und der andere spielt, so oft er kann, also wenn ein Computer frei ist oder so. Gleich dransetzten, gucken, ob WoW dran ist. Man hört über ihn, dass er viele Probleme mit seiner Mutter hat. Und der andere ist auch nicht mehr so gut in der Schule, wie er mal war. Also durch die Sucht nach WoW verschlechtert man sich schon in allem Möglichen.«
Süchtiges Verhalten sehen Spieler manchmal durchaus – aber nicht bei sich selbst. Im Gegenteil reagieren viele Spieler auf das Thema erbost. Denn viele Spieler werden von Erwachsenen schnell und ohne für sie nachvollziehbaren Grund als »süchtig« bezeichnet. Durch diese Abwertung gezeichnet verteidigen sie sofort ihre Position. Eine Stigmatisierung der Jugendlichen aufgrund ihres Spielverhaltens kann die Gefahr mit sich bringen, dass der Kontakt zu ihnen komplett abbricht.
Eltern und Lehrer Wie sollten sich Eltern, Lehrer verhalten, wenn sie die Befürchtung haben: mein Kind oder mein Schüler spielt zu viel und ist gefährdet, sich im Netz zu verlieren? Hören wir Tobias: »Es ist wichtig, dass man versteht, was das Kind tut. Dass man probiert, sich mit dem Kind zu unterhalten und dahinterzukommen. Und man sollte differenzieren, ist der Sohn, das Kind einfach ein Vielspieler oder ist er wirklich suchtgefährdet? Das lässt sich ganz leicht herausfinden wenn man sagt: Können wir die Spielzeit reduzieren? Können wir sie eingrenzen? Können wir dem Kind Alternativen bieten? Wenn das Kind absolut keine Alternativen in Betracht zieht, ist es wirklich Zeit zu sagen: Stopp, wir müssen uns unterhalten.«
Spieler akzeptieren die Haltung von Eltern oder Lehrern oft deswegen nicht, weil diese das Spiel in der Regel von außen betrachten und bewerten: Sie erkennen dann weder die Struktur des Spieles, noch die Faszination, die sich innerhalb des Spieles erleben. Wenn Eltern hingegen auf ihr Kind zugehen – so zeigt die Erfahrung aus der Beratung –, erklären sie gern, in welcher Welt sie sich da bewegen.
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Suchtfördernde Aspekte Klimmt (Klimmt, zit. nach Fritz, 2008, S. 104 f.) unterscheidet im Spielprozess die folgenden drei Ebenen: 1. narrativer Inhalt (erfahrbare Spielgeschichte), 2. Selbstwirksamkeitserleben, 3. Spannung und Lösung Narrativer Inhalt: Das Spiel WoW existiert als persistente Spielwelt. Das heißt, im Gegensatz zu lokal gespeicherten Spielen verändert sich die Spielewelt auch dann, wenn der Nutzer nicht online ist oder spielt: »So gibt es ständig etwas Neues zu entdecken und zu tun, was den Spieler zusätzlich anspornt, möglichst viel Zeit in der Parallelwelt zu verbringen oder zwischendurch nach dem Rechten zu sehen« (Pohlmann, 2008, S. 266). Die Angst, etwas Wichtiges zu verpassen, ist groß. Des Weiteren befriedigt das Spiel das Bedürfnis nach Zeitvertreib, das Bedürfnis, die Langeweile zu besiegen. Befriedigen Medienangebote solche Bedürfnisse besser als Offline-Angebote, ist die Gefahr einer Habituierung oder gar einer Abhängigkeit gegeben. Selbstwirksamkeitserleben: Weiterhin finden Spieler innerhalb des Spieles eine geordnete soziale Struktur, in der sie sich einordnen können. Wolfgang Bergmann beschreibt dies so: »Auch hier wieder finden wir bei allem Fantastischen eine geradezu penible Ordnung vor. Es ist gar nicht zu übersehen, dass bei diesen Spielern angesichts dieser zerrissenen, unüberschaubaren realen Wirklichkeit der Wunsch nach einer stabilen sozialen Struktur durchschimmert, in der alles – die äußeren Regeln und sozialen Hierarchien ebenso wie die inneren Fähigkeiten und Chancen – exakt angegeben, geordnet, vorgeschrieben ist« (Bergmann, 2006, S. 21). Klare Ordnung und transparente Regeln führen dazu, dass Spieler sich schnell und gut im Spiel orientieren und dass sie erfolgreich handeln können: Es gibt klare Belohnungen, klare Reaktionen auf die im Spiel verbrachte Zeit. Es ist sicher, dass man, wenn man die Aufgabe erledigt, entsprechend mit Gold, Gegen-
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ständen, sozialer Anerkennung oder Fähigkeiten belohnt wird. Jede Handlung im Spiel zieht Folgen nach sich, man ist mächtig, hat Einfluss auf das Spielgeschehen und die eigene Entwicklung und kann all dies auch noch genau an den Leveln, Eigenschaften etc. seines Charakters ablesen. Im Ergebnis wird das Selbstwirksamkeitserleben von Spielern gesteigert. Spannung und Lösung: »Das Computerspielen ist eine leistungsorientierte Aktivität, die mit dem Gefühl des völligen Aufgehens in dieser Tätigkeit verbunden sein kann. Für diese Form des gefühlsmäßigen Erlebens ist der Begriff ›Flow‹ geprägt worden. Im Flow-Zustand folgt Handlung auf Handlung, und zwar nach einer inneren Logik, welche kein bewusstes Eingreifen von Seiten des Handelnden zu erfordern scheint. Er erlebt den Prozess als ein einheitliches ›Fließen‹ von einem Augenblick zum nächsten, wobei er Meister seines Handelns ist und kaum eine Trennung zwischen sich und der Umwelt, zwischen Stimulus und Reaktion, oder zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verspürt. […] Der Handelnde geht völlig in seiner Aktivität auf« (Fritz, 2008, S. 101). Computerspiele sind typischerweise daraufhin ausgerichtet, dass Flow- und Frustrationsperioden sich abwechseln, sodass beide Erlebnisformen regelmäßig eintreten. Der Spieler wird also sowohl enttäuscht, herausgefordert, wie letztlich auch belohnt. »Durch Frust werden nicht erlangte Spielinhalte immer begehrlicher und Flow schöpft aus den positiv-emotionalen Spielfolgen die Erwartung, dass diese ›Lust‹ sich immer wieder herstellen lässt« (Fritz, 2008, S. 109). Doch die Aufgaben müssen sich lösen lassen und dürfen nicht zu schwer werden: »Die Hoffnung, die Frustration zu überwinden, zieht den Spielenden in den Bann des Computerspieles. Sind dann die Frustrationen überwunden und hat man gelernt, das Spiel zu beherrschen und Kontrolle auszuüben, steigt die Motivation, die Erfolge immer wieder zu bestätigen und zu erneuern« (Hilpert, 2008, S. 5).
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Fazit Virtuelle Rollenspiele, die sich heute bei vielen Menschen, die sie gleichzeitig online spielen, regen Zuspruchs erfreuen, sind jenen Rollenspielen aus früheren Generationen, die Kinder in der Nachbarschaft gespielt oder denen sie in der Phantasie, oft getragen von den Inhalten von Büchern oder Fernsehserien, nachgegangen sind, von der Struktur her verwandt. In andere Identitäten zu schlüpfen, scheint somit ein tiefes Bedürfnis vieler Menschen zu befriedigen – in welchem Medium sich solch ein Rollenwechsel auch immer vollzieht. Rollenspiele befriedigen offensichtlich Sehnsüchte nach Abenteuer, Wettkampf, Gemeinschaft und vielem mehr, die im wirklichen Leben oftmals kaum einen Platz haben. Dass besonders solche Spielinhalte gefragt sind, die ganz archaische und grundlegende Werte zeigen, dass es da oft um Treue, Verlässlichkeit oder Ehre geht, dürfte Außenstehende überraschen. Doch letztlich zeigt sich im Interesse vieler Jugendlicher an solchen Computerspielen wie »World of Warcraft« in hohem Maße eine Sehnsucht nach einer gerechten, geordneten und kalkulierbaren Welt, in der ein Jugendlicher noch Einfluss haben und mitwirken kann, in der seine Stimme und Partizipation gefragt sind. Kommt darin nicht zum Ausdruck, dass Kinder und Jugendliche heute kaum noch Räume finden, in denen sie ihre Phantasien ausleben oder Abenteuer erleben können? Die virtuelle Welt hingegen bietet weitaus größere Möglichkeiten, in Rollen und Verkleidungen zu schlüpfen oder jederzeit Gefährten und Gleichgesinnte zu finden. Dass solche Rollenwechsel nicht »am eigenen Leib« erfahren werden, ist für viele der Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind, ebenso normal, wie vor zwei bis drei Generationen das graue Wählscheibentelefon der Post zur Selbstverständlichkeit wurde: Virtuell sind telefonische Kontakte letztlich ebenso wie solche, die über Internetspiele entstehen. Auch wenn Spiele wie WoW insofern weitergehen, als sie die möglichen Erfahrungswelten gleichsam standardisieren und vereinheitlichen in einer Weise, wie wir auch gewohnt sind, in den Großstädten der ganzen Welt dieselben Ladenketten von Starbucks über BurgerKing bis Benetton vorzufinden – unabhängig von der un-
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mittelbar benachbarten Umwelt. Doch zeigt sich darin letztlich, dass die sinnlich erfahrbare Welt insgesamt für eine wachsende Anzahl von Menschen durch zunehmende Vereinheitlichung, Technisierung und Partialisierung in immer kleinere, spezialisierte Aufgabenbereiche, mit denen Menschen konfrontiert sind, in den Hintergrund tritt: Kühe sind lila, Essen gibt’s in der Supermarkttheke oder bei McDonald’s. Mit den weiteren Zusammenhängen haben immer mehr Menschen immer weniger zu tun. Wie sollten in einer solchen entfremdeten Welt körperliche Erfahrungen vermisst werden? Spiele wie WoW passen in eine solche Gesellschaft – und wenn sie am Ende nach Jahren zu langweilig werden, werden Nachfolger bereitstehen, die eine Zeitlang den nötigen Kick vermitteln werden. Das Computerspielen ist für die Spielenden in erster Linie ein Hobby. Das heißt auch, dass sie viel Zeit damit verbringen – um Pause vom Alltag zu machen oder der lauten stressigen Welt ein wenig zu entkommen. Gerade nach der Schule und dem Lärm, den Mitschülern, dem Druck dort nutzen sie das Computerspielen, um abzuschalten und für sich zu sein. Ebenso wie bei anderen Hobbys, zum Beispiel Fußballspielen, findet auch vor und nach dem Spielen eine gedankliche Beschäftigung mit dem Spiel statt. Beim Fußballspielen besucht man die Seiten der einzelnen Vereine, informiert sich über Ergebnisse und Aufstellungen. Bei WoW beschäftigt man sich mit zusammen verbrachten Schlachten, zukünftigen Ereignissen, Neuerungen im Spiel und Publikationen rund um das Spiel. Diese gedankliche Beschäftigung allein lässt noch nicht, wie von vielen Eltern vermutet, auf eine Sucht schließen. Computerspielen ist ein Teil der heutigen Wirklichkeit – den wir, weil er ist, wie er ist, akzeptieren sollten. Dabei dürfen wir darauf vertrauen, dass Heranwachsende früher oder später ihre Herausforderungen im »real life« sehen werden und dass die Faszination virtueller Internetwelten in den allermeisten Fällen die Zeit des Überganges von der Kindheit zum Erwachsenensein prägt. In der »Generation Internet« befinden sich viele kulturelle Codes und Verhaltensmuster in rasantem Wandel – der Bezug zur realen Erfahrungswelt wird distanzierter, der Informations-
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stand in vielen Lebensbereichen hingegen weitaus besser. Bei den Computerspielern müssen wir zugleich im Blick behalten und Handlungsstrategien entwickeln, wenn Spieler vollständig in die Virtualität abzugleiten drohen. Bei den Betroffenen werden wir dabei – wie bei allen Verhaltensexzessen oder Suchterkrankungen – mit Bagatellisierung und Widerstand rechnen müssen. Und ein Teil des zu erwartenden Widerstands dürfte sogar gesund und notwendig sein – weil Jugendliche damit ihre Erfahrungswelt verteidigen gegen die Perspektive der Alten. Solange Helfer daher den neuen Medien Internet und Computerspiel akzeptierend – und nicht dämonisierend – begegnen, werden sich Wege finden lassen, um gefährdete Spieler zu unterstützen. Die Generation der Eltern der Computerspieler wird auf diesem Weg dazulernen.
Literatur Fritz, J. (2004). Das Spiel verstehen. Weinheim: Juventa. Bergmann, W., Hüther, G. (2006). Computersüchtig. Kinder im Sog der modernen Medien. Düsseldorf: Walter Verlag. Hilpert, W. (2006). Reiz und Risiken von Computerspielen. BPJM-Aktuell 2006. Fritz, J. (2008). Zwischen Lust und Frust – warum Computerspiele faszinieren können. In F. Jürgen (Hrsg.), Computerspiele(r) verstehen. Zugänge zu virtuellen Spielwelten für Eltern und Pädagogen (S. 97–111). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Pohlmann, H. (2008). Entwicklungen von Beziehungsnetzen in »World of Warcraft. In F. Jürgen (Hrsg.), Computerspiele(r) verstehen. Zugänge zu virtuellen Spielwelten für Eltern und Pädagogen (S. 263–276). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Wenz, K. (2008). Mein Leben als Rollenspielerin – Erfahrungsbericht aus virtuellen Spielwelten. In Jürgen, F. (Hrsg.), Computerspiele(r) verstehen. Zugänge zu virtuellen Spielwelten für Eltern und Pädagogen (S. 187–193). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Antje Hornung und Helmut Lukesch
Die unheimlichen Miterzieher – Internet und Computerspiele und ihre Wirkungen auf Kinder und Jugendliche
Zusammenfassung Es existieren überzeugende empirische Befunde, nach denen mit Art und Ausmaß der Medienbetätigung eine Reihe gesellschaftlich unerwünschter Effekte verbunden sind, die aus der Nutzerperspektive aus verschiedenen Gründen (z. B. »Third-Person«-Effekt) nicht unbedingt erkannt werden. Diese »dunklen Seiten der Spielenutzung« können mit folgenden Schlagworten charakterisiert werden: 1. Gewaltwirkungen, 2. Lernbeeinträchtigungen, 3. körperliche Effekte (Zunahme von Übergewicht und mangelnder körperlicher Fitness) und 4. Suchtwirkungen. Zu den ersten drei Aspekten wird unter Verweis auf aktuelle Forschungsbefunde ein kurzer Überblick gegeben. Hingegen wird die Thematik der Computer- und Internetsucht ausführlich dargestellt. Nach einer begrifflichen Erläuterung werden Kriterien für suchtartiges Verhalten und mögliche Einordnungen in die klinischen Klassifikationssysteme (ICD-10, DSM-IV) vorgenommen. Ausführlich werden die bislang entwickelten Verfahren zur Diagnose von Computer- und Internetsucht dargestellt. Auf deren Basis können auch Angaben zur Epidemiologie und zum Verlauf von Computer- und Internetsucht gemacht werden, wobei die konkreten Zahlen je nach einbezogener Stichprobe und Diagnoseverfahren sehr stark schwanken. Abschließend werden weitere Korrelate der Computer- und Internetsucht angesprochen und im Sinne von ätiologischen Modellvorstellungen interpretiert.
Die »dunklen Seiten« der Mediennutzung Die rasante technische Entwicklung von Computer und Internet hat bei deutschen Kindern und Jugendlichen zu einer hohen Bindung an diese Medien geführt. Ein Blick in die KIM- und
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Antje Hornung und Helmut Lukesch
JIM-Studien (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2007, 2006) macht deutlich, dass sich in den letzten acht Jahren die zumindest wöchentliche Nutzung des Computers bei Kindern von 34 auf 84 % gesteigert hat (Anstieg der Internetnutzung von 31 auf 57 %); bei Jugendlichen ist die tägliche bzw. mehrmalige Nutzung pro Woche von 48 auf ebenfalls 84 % angestiegen (Anstieg der Internetnutzung von 18 auf 77 %). Bei Kindern steht die On- oder Offline-Nutzung des Computers für Spiele an der ersten Stelle, bei Jugendlichen liegt die Benutzung dieser Medien für Spiele immerhin an der zweiten Stelle der Verwendungen. Nicht übersehen sollte man, dass bei Jugendlichen (Frage: »Am wenigsten verzichten kann ich auf …«) bereits jetzt die Bindung an Computer und Internet (25 %) höher ist als an das Fernsehen (15 %) (JIM-Studie, 2007). Es ist trivial festzustellen, dass die Computerspiele aufgrund ihrer formalen Gestaltung und ihrer inhaltlichen Ausgestaltung den Nutzern Spaß bereiten und zur Entstehung einer sozial vernetzten Gamer-Szene geführt haben; tägliche Computernutzungszeiten von fünf Stunden und mehr bei 11 % der Mädchen und Jungen (Jugendliche aus der JIM-Studie 2007) sprechen hier eine deutliche Sprache. Diese subjektiven Einschätzungen sagen allerdings nichts über die mit der Spielenutzung tatsächlich verbundenen psychischen und sozialen Wirkungen aus. Gerade Jubelmeldungen spielefreundlicher Presseorgane zeigen aber1, dass 1 Beispielhaft ist eine Meldung von »rp-online« vom 13.05.2008: Computerspiel ist Verkaufsschlager: »Das Videospiel ›Grand Theft Auto IV‹ (GTA) entwickelt sich schon in der ersten Woche zu einem echten Verkaufsschlager. Seit dem Verkaufsstart am 29. April gingen schon mehr als sechs Millionen Spiele über die Ladentheke, teilte der Hersteller Take-Two Interactive Software mit. Der Umsatz beläuft sich auf weltweit mehr als 500 Millionen Dollar.« Oder die »Süddeutsche Zeitung« titelt am 26.04.2008: »Die Freiheit, durch fremde Welten zu surfen. Das Videospiel ›Grand Theft Auto IV‹ gilt als Sensation, weil es die Grenzen seines Genres überwindet.« Dass mit dem Spiel gegen zentrale grundgesetzliche Wertvorstellungen – wie die Würde des Menschen [GG, Art. 1] oder die Garantie auf Leben und körperliche Unversehrtheit [GG, Art. 2 (2)] – verstoßen wird, scheint nicht weiter aufzufallen.
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vor allem die problematischen Effekte des Computerspielens nicht gesehen, heruntergespielt oder ohne Sachkompetenz auch schlicht und einfach geleugnet werden. Verlässt man hingegen die Froschperspektive der GamerSzene und der Spieleentwickler, dann zeigt eine Einschätzung dieser Freizeittätigkeit auf empirisch-wissenschaftlicher Basis, dass damit gesellschaftlich negative Konsequenzen verbunden sind. Diese »dunklen Seiten der Spielenutzung« können mit folgenden Schlagworten charakterisiert werden: 1. Gewaltwirkungen, 2. Lernbeeinträchtigungen, 3. körperliche Effekte (Zunahme von Übergewicht und mangelnder körperlicher Fitness) und 4. Suchtwirkungen. In Bezug auf Gewaltwirkungen haben experimentelle Studien, längsschnittlich angelegte Untersuchungen (Gentile et al., 2004; Hopf, Huber u. Weiß, 2008; Krahé, Möller u. Berger, 2006) und zusammenfassende Darstellungen bzw. auch Metaanalysen (Lukesch, 2005; Anderson, 2004) klare aggressionsstimulierende und zugleich empathiereduzierende Effekte der Gewaltspiele deutlich gemacht. In der aktuellsten Arbeit zu diesem Thema (Anderson, 2004) sind die Ergebnisse von 44 experimentellen oder korrelativen Studien mit ca. 6000 Probanden eingegangen. Die Wirkeffekte liegen für alle untersuchten Bereiche (AVs) deutlich über der Zufallserwartung (vgl. Abbildung 1). Aggressives Verhalten, aggressive Kognitionen und aggressive Affekte steigen deutlich mit dem Konsum gewalthaltiger Spiele an, Prosozialität bzw. das Hilfeverhalten nimmt deutlich ab. Zudem kommt es durch die Spiele zu einer Zunahme an physiologischer Erregung (was wiederum Voraussetzung für entsprechend ungehemmtes Verhalten ist). Gerade die Effekte in Richtung einer reduzierten Empathiefähigkeit sind bedenklich, da es sich hier um langfristige Folgen handelt (Funk et al., 2003). Damit nimmt die Einfühlung in die Opfer von Gewalthandlungen im Spiel ab und es werden reale Gewalthandlungen leichter möglich (Klimmt u. Trepte, 2003).
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0.3 0.2 0.1 0
K=7 N=683 K=32 N=5240
K=19 N=2567
Aggr. Beh.
Aggr. Cog.
K=19 N=2016
K=9 N=508
- 0.1 - 0.2 - 0.3 Aggr. Aff.
Help. Beh.
Phys. Aro.
Outcome Variable Abbildung 1: Effekte gewalthaltiger Computerspiele auf aggressives Verhalten, aggressive Kognitionen, aggressive Affekte, Hilfeverhalten und physiologische Erregung (Anderson, 2004, S. 119; K = Anzahl der analysierten Studien, N = Anzahl der einbezogenen Probanden)
Auch wenn in manchen Studien der Einfluss vorheriger Gewaltbereitschaft auf die Spielenutzung herausgearbeitet wurde (vgl. hierzu die so genannte Medienselektionsthese: Kirsten, 2005; Oppl, 2005), so ist dies kein Gegenargument, da bidirektionale Effekte die eindeutigen Belege für die gewaltstimulierenden Effekte des Spielens einschlägiger Computerspiele keinesfalls widerlegen.2 Diese bidirektionalen Beziehungen können letztendlich mit einem »Downward spiral model« (also als ein quasi abwärtsgerichteter Teufelskreis) treffend beschrieben werden (Slater et al., 2003). Belege für lernbeeinträchtigende Wirkungen des Computerspielens lassen sich sowohl aufgrund der zeitlichen Verdrän2 In der Studie von Gentile et al. (2004) wurde etwa überprüft, ob die bereits hoch aggressiven Kinder mehr durch gewalthaltige Medien beeinflusst werden als die weniger aggressiven; statt eines Interaktionseffektes ließ sich aber nur das additive Zusammenwirken beider Bedingungen (Persönlichkeit und Medienkonsum) bestätigen.
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gungseffekte (bei hoher Verfügbarkeit von Geräten und zeitlich ausgedehnter Nutzung bleibt weniger Zeit für die intensive Beschäftigung mit schulischen Lernanforderungen; Pfeiffer et al., 2007), der einseitigen Interessensverlagerung auf den Spielebereich sowie wegen der negativen Gedächtniseffekte aufgrund der Erregungswirkungen von Computerspielen finden. Diese Effekte deuten sich auch bei Kindern an, die aus Familien mit gutem Bildungshintergrund stammen, die eine gute Beziehung zu ihren Eltern und die keine Gewalterfahrungen in der Familie gemacht haben (Mößle et al., 2006). Schulnoten sind demnach bedeutend schlechter, – wenn Kinder einen eigenen Fernseher in ihrem Zimmer haben, – wenn sie lange fernsehen, – wenn sie Vielspieler von Computerspielen sind oder – wenn sie Spiele spielen, die erst ab 16 oder 18 freigegeben sind (Mößle et al., 2006, S. 12 f.). All dies lässt sich auch in einem pfadanalytischen Modell abbilden, das heißt unter Berücksichtigung konkurrierender Bedingungsvariablen (Baier, Pfeiffer u. Windzio, 2006). Eine weitere Frage ist, ob auch eine Zunahme von Übergewicht und mangelnder körperlicher Fitness etwas mit dem Medienkonsum und speziell der Computerspielhäufigkeit zu tun hat. Eine der großen gesundheitspolitischen Herausforderungen in den Industrieländern stellen die Ausbreitung von Übergewicht und Adipositas sowie der Rückgang an körperlicher Fitness dar. Beides hat mit geänderten Ernährungsgewohnheiten (Angebot an hochkalorischen Nahrungsmitteln, die zudem noch aggressiv beworben werden) und mit einer zunehmenden »sitzenden« Lebensweise zu tun. Die mit mangelnder körperlicher Fitness und mit Übergewicht einhergehenden körperlichen und psychischen Risiken sind bekannt (Samitz u. Baron, 2002; Pate et al., 1997) und bestehen in einer Zunahme von Koronarerkrankungen, einem steigenden Risiko für Herzinfarkt, Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes, Fettleber, Osteoporose, Darmkrebs, orthopädische Probleme, Angststörungen und Depressionen. Ebenfalls weiß man über die Vorteile körperlicher Fitness sehr
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Antje Hornung und Helmut Lukesch
gut Bescheid (Zunahme an Beweglichkeit, weniger Rückenschmerzen, seltenere Arbeitsunfähigkeit, psychische Ausgeglichenheit). Hinsichtlich des Problems der Adipositas und des Übergewichts ergeben sich in Bezug auf Kinder und Jugendliche für Deutschland die gleichen Trends wie etwa in den USA: Nach dem Kindheits- und Jugendgesundheitssurvey (Lampert et al., 2007; KiGGS des Robert Koch-Instituts) hat sich der Anteil der Adipösen in einem Siebenjahreszeitraum sowohl bei den Mädchen wie auch den Jungen von 3 auf 6,4 % verdoppelt. Und hier stellt sich naheliegender Weise die Frage nach dem Stellenwert des Medienkonsums für diese Entwicklungen. Bereits aus der Fernsehforschung ist bekannt, dass bei Vorschulkindern eine Erhöhung der Prävalenzrate für Übergewicht um 6 % pro Stunde Fernsehdauer eintritt (Dennison, Erb u. Jenkins, 2002). Wenn ein Kind noch dazu einen Fernseher im eigenen Zimmer stehen hat, erhöht sich die Übergewichtsrate um zusätzliche 31 % pro Stunde Fernsehdauer; zudem sehen Vorschulkinder mit einem eigenen Fernseher im Zimmer um 4,8 Stunden in der Woche mehr fern als Kinder ohne eigenes Fernsehgerät. Anhand der im Rahmen des »Third National Health and Nutrition Examination Survey« (NHANES III) zwischen 1988–1994 erhobenen Daten analysierten Crespo, Smit, Troiano, Bartlett, Macera und Andersen (2001) den Zusammenhang zwischen der im Sitzen verbrachten Zeit, der Energieaufnahme, der sportlichen Aktivität und dem Adipositasstatus amerikanischer Kinder im Alter von 8 bis 16 Jahren und kamen dabei zu folgenden Ergebnissen: – Die geringste Adipositasprävalenz zeigten Kinder, die eine Stunde pro Tag oder weniger fernsahen. – Bei Kindern, die vier oder mehr Stunden pro Tag fernsahen, wurde die höchste Prävalenz festgestellt. – Nach Abgleich mit der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen ethnischen Gruppen, dem Alter, dem BMI, dem Familieneinkommen und der wöchentlichen sportlichen Aktivität korrelierte die Höhe des Fernsehkonsums bei Mädchen (r = 0,43) stärker als bei Jungen (r = 0,26) mit der Energiezufuhr.
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Die unheimlichen Miterzieher
Für Deutschland sind in dieser Hinsicht aussagekräftige Befunde in dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (Lampert et al., 2007) enthalten. Danach erhöht sich die Wahrscheinlichkeit körperlich-sportlicher Inaktivität bei sechs- und mehrstündiger täglicher Mediennutzung bei Jungen um den Faktor 2,66 und bei Mädchen verdoppelt sich diese Wahrscheinlichkeit in dieser Mediennutzungsgruppe (vgl. Tabelle 1). Tabelle 1: Zusammenhang zwischen Medienkonsum und körperlichsportlicher Inaktivität (nach Lampert et al., 2007, S. 649) Erhöhung körperlich-sportlicher Inaktivität durch
Jungen (ORs)1)
Mädchen (ORs)
dreistündigen Fernsehkonsum
1,73
1,54
drei- und mehrstündige tägliche Computer- und Internetnutzung
1,95
1,70
drei- und mehrstündige tägliche Spielkonsolennutzung
2,37
2,66
sechs- und mehrstündige tägliche Mediennutzung
2,66
2,07
Anmerkungen: 1) ORs = Odd Ratios (geben die Wahrscheinlichkeit an, mit der ein Ereignis im Vergleich zu einer Grundwahrscheinlichkeit eintritt)
Ebenso lassen sich entsprechende Beziehungen zur Adipositasprävalenz finden (vgl. Tabelle 2). Die Folgen eines sechs- und mehrstündigen täglichen Medienkonsums sind besonders für die Mädchen gravierend: Bei diesen verdreifacht sich das Risiko einer Adipositas, bei den Jungen verdoppelt sich dieses Risiko. Tabelle 2: Zusammenhang zwischen Medienkonsum und Adipositas (nach Lampert et al., 2007, S. 651) Erhöhung von Adipositas durch
Jungen (ORs)
Mädchen (ORs)
dreistündigen Fernsehkonsum
2,10
1,47
drei- und mehrstündige tägliche Computer- und Internetnutzung
1,33
2,75
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Erhöhung von Adipositas durch
Jungen (ORs)
Mädchen (ORs)
drei- und mehrstündige tägliche Spielkonsolennutzung
0,94
1,33
sechs- und mehrstündige tägliche Mediennutzung
2,09
3,49
Angesichts dieser klaren Belege ist es nicht zu leugnen, dass der Medienkonsum sowohl die körperliche Fitness beeinträchtigt wie auch Übergewicht fördert. Es ist daher dringend geboten, nach anregenden Alternativen gerade hinsichtlich des Medienkonsums Ausschau zu halten. Eine weitere kritische Bewertung der Computerspiele ergibt sich aus den Befunden zum Suchtpotential dieser Spiele. Die Angaben zur Verbreitung der Computer- und anderen Varianten der Internetsucht variieren zwar von Studie zu Studie je nach einbezogener Stichprobe und den verwendeten Einschlusskriterien, sie zeigen aber, dass ein bedeutsamer Teil der Spieler davon betroffen sind: Nach Wölfling, Thalemann und Grüsser (2007) können immerhin 6,3 % der Schüler aus 8. Schulstufen als süchtig gelten, aufgrund einer Studie von Quant und Wimmer (2008) sind es 5 % der befragten 14- bis 64-jährigen Onlinespieler. Nach Hahn und Jerusalem (1999) können nach Daten aus einer sehr umfangreichen Studie 3 % der Befragten als internetsüchtig und weitere 7 % als suchtgefährdet angesehen werden. Dass die Spielzeiten dieser Gruppen 35 bzw. 29 Stunden wöchentlich betragen, ist nur ein Aspekt. Schlimmer sind die damit verbundenen suchtspezifischen Verhaltens- und Erlebnisweisen wie der Kontrollverlust, die auftretenden Entzugserscheinungen, die Toleranzentwicklung sowie die Inkaufnahme negativer Konsequenzen in Bezug auf soziale Beziehungen außerhalb der Spielergemeinschaft sowie in Bezug auf Arbeit und Leistung. Diese Spiele sind zudem Anlass zu gravierenden Auseinandersetzungen in den Familien, da Eltern, vor allem Mütter, es nicht einfach hinnehmen wollen, dass ihre Kinder den Anschluss an Schule und Beruf verlieren. Die gesellschaftlichen Kosten der Spielsucht zeigen sich am deutlichsten in dem Land, das als Paradies der Gamer-
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Szene gepriesen wird, nämlich in Südkorea, wo es bereits 96 Kliniken zur Behandlung von Computerspielsucht gibt und wo die Kosten für Beratung und Therapie der Computerspielsucht höher sind als die Kosten für Alkohol- und Drogensucht (Pfeiffer, persönliche Mitteilung am 25.09.2008). Da das Suchtpotential des Internets in der letzten Zeit vermehrt sowohl in der Politik, den Medien als auch in Wissenschaftskreisen Beachtung findet, werden in den folgenden Kapiteln einige ausgewählte Aspekte der aktuellen Diskussion zusammengefasst.
Pathologische Internetnutzung Die für die Definition vieler psychologischer Phänomene typische babylonische Sprachverwirrung beginnt bei dem Thema Internetsucht bereits bei der Begriffsfindung. Da ist im englischsprachigen Raum von (Inter-)Net Addiction, Online Addiction, Internet Addiction Disorder (IAD), Pathological Internet Use (PIU) oder Cyberdisorder die Rede. In deutschsprachigen Veröffentlichungen findet man Begriffe wie Internetsucht, Onlinesucht, Internetabhängigkeitssyndrom (IAB), Pathologischer Internetgebrauch (PIG) oder Internetabhängigkeit. Als Kritik an vielen dieser Begriffe wird geäußert, dass diese »das Internet als Ursprung und Ursache der Verhaltensstörung festzumachen scheinen« (Seyer, 2004), während das Internet in Wirklichkeit nur der Austragungsort sei, an dem die Sucht ausgeübt wird. Auch besteht keine Einigkeit darüber, ob es so etwas wie eine »allgemeine« Internetsucht gibt, oder ob in Abhängigkeit von den Inhalten verschiedene Typen unterschieden werden müssten. So sollten nach Meinung einiger Autoren (Schorr, 2008) in Weiterentwicklung der Subtypen von Young (1999) die folgenden Erscheinungsformen mit jeweils unterschiedlicher Ätiologie, Pathogenese und Therapiemöglichkeiten berücksichtigt werden: – Informationsüberbelastung (»Information Overload«): Hierbei handelt es sich um ein zwanghaftes Surfen im Internet sowie exzessive Suchmaschinenbenutzung, um bestimmte Informationen abzurufen.
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– Onlinespielesucht (»Online Gaming Addiction«): Viele der in der letzten Zeit veröffentlichten Studien beschäftigen sich mit dem Thema Computerspielsucht und untersuchen hauptsächlich das Suchtpotenzial von Rollenspielen wie »World of Warcraft« oder der 3D-Simulation einer relativ lebensechten, interaktiven Gemeinschaft »Second Life«. Problematisch bei diesen neuen Onlinespielen ist zum einen der hohe »Gruppendruck« durch die Organisation der Spieler in so genannten Gilden und zum anderen der Umstand, dass sich die Charaktere und deren Umfeld rund um die Uhr weiterentwickeln und so immer wieder neue Herausforderungen an den Spieler stellen. – Zwanghafte Nutzung von Netzinhalten (»Net Compulsion«): Unter dieser Kategorie können all jene Nutzer subsumiert werden, die das Internet nutzen, um Störungen auszuleben, welche auch im nichtmedialen Umfeld vorkommen. Hierzu gehören zum Beispiel das Ausleben der Kaufsucht auf Internetauktionsbörsen oder über Onlineverkaufshäuser, der Besuch von pornographischen Seiten im Zusammenhang mit einer Sexsucht (Young formuliert dies als eigenen Subtyp der »Cyber-sexual Addiction«) oder die Teilnahme an virtuellen Pokerrunden im Rahmen einer pathologischen Glücksspielsucht. Da es in diesem Bereich bisher nur wenig Forschung gibt, ist unklar, welche Rolle das Internet bei der Pathogenese der verschiedenen Störungen spielt. Sicherlich müssen zukünftige Studien der Fragestellung nachgehen, ob hier eine bereits vorhandene Störung lediglich in einem neuen Umfeld ausgeübt wird oder ob es sich um ein eigenes Krankheitsbild handelt. – Virtuelle Beziehungssucht (»Cyber-relationship Addiction«): Diese Art der pathologischen Internetnutzung ist dadurch gekennzeichnet, dass Betroffene Zuneigung und Beziehungen mit Menschen im Internet suchen, die sie im realen Leben, zum Beispiel aufgrund von Schüchternheit, nicht finden. Sie verbringen die meiste Zeit in Chat-Räumen und/oder Communities (deutsch: Gemeinden) und sorgen sich dort um ihre Freunde. Die zwischenmenschlichen Beziehungen in Chatrooms sind in den letzten Jahren vermehrt zum wissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand geworden.
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Jerusalem und Hahn (2001a) definieren Internetsucht oder Internetabhängigkeit als eine stoffungebundene Abhängigkeit, die dann als vorhanden gilt, wenn die folgenden fünf Kriterien erfüllt sind: – Einengung des Verhaltensraums: Über längere Zeitspannen wird der größte Teil des Tageszeitbudgets mit Internetnutzung verbracht (hierzu zählen auch verhaltensverwandte Aktivitäten wie beispielsweise Optimierungsarbeiten am Computer). – Kontrollverlust: Die Person hat die Kontrolle über ihre Internetnutzung weitgehend verloren bzw. Versuche, das Nutzungsausmaß zu reduzieren oder die Nutzung zu unterbrechen, bleiben erfolglos oder werden erst gar nicht unternommen (obwohl das Bewusstsein für dadurch verursachte persönliche oder soziale Probleme vorhanden ist). – Toleranzentwicklung: Die »Verhaltensdosis« zur Erreichung der angezielten positiven Stimmungslage musste im zeitlichen Verlauf gesteigert werden. – Entzugserscheinungen: Als Folge zeitweiliger, längerer Unterbrechung treten Beeinträchtigungen der psychischen Befindlichkeit (Unruhe, Nervosität, Unzufriedenheit, Gereiztheit, Aggressivität) und das psychische Verlangen (»Craving«) nach weiterer Internetnutzung auf. – Negative soziale und personale Konsequenzen: Wegen der Internetaktivitäten treten negative soziale Konsequenzen in den Bereichen Arbeit, Schule und Leistung sowie in sozialen Beziehungen (z. B. Ärger mit Freunden oder Arbeitgeber) ein. Die vorgeschlagenen Kriterien sollen dabei als normativ-deskriptive Merkmale der Phänomenologie der Internetsucht verstanden werden und keine ätiologischen Merkmale thematisieren.
Klassifikation Derzeit finden sich keine Kriterien in den üblichen Diagnosemanualen (ICD-10 bzw. DSM-IV), die eine Einordnung der Symptome der exzessiven Internetnutzung unter einer der fir-
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mierenden Begrifflichkeiten erlauben. Allerdings ist eine Klassifikation in beiden Manualen unter der Gruppe der »Störungen der Impulskontrolle« möglich. Als Störungen der Impulskontrolle werden Verhaltensweisen bezeichnet, bei denen die Betroffenen nicht in der Lage sind, dem Impuls zu widerstehen, eine Handlung auszuführen, die für sie selbst oder andere schädlich ist. Das entscheidende diagnostische Kriterium liegt hierbei im subjektiv erlebten inneren Spannungszustand vor der Handlung und in der Entlastung nach der Handlung (Herpertz, 2001) – auch wenn nach der Handlung eventuell Reue, Selbstvorwürfe oder Schuldgefühle auftreten können. Schwerer mit dem Konstrukt der alleinigen Impulskontrollstörung zu vereinbaren ist jedoch die bei exzessiven Verhaltensweisen berichtete Toleranzentwicklung, die Zentrierung der Lebensinhalte um das Suchtmittel sowie die längere Vorbereitungszeit. Die Einordnung der pathologischen Internetnutzung unter die Störung der Impulskontrolle erweist sich demnach als unzureichend und kann verhindern, dass geeignete Behandlungsmaßnahmen aus dem Bereich suchtkranker Patienten angewendet werden (Grüsser et al., 2007). Autoren, welche sich bei der Entwicklung von Erhebungsinstrumenten an der bisherigen therapeutischen Praxis, exzessive Internetnutzung als »Störung der Impulskontrolle« zu klassifizieren, orientieren, modifizieren häufig die in den Manualen aufgeführten diagnostischen Kriterien des pathologischen Spielens. So empfehlen zum Beispiel Zimmerl und Panosch (2006) aufgrund ihrer Online-Studie in einem deutschsprachigen Chatsystem mit 473 Teilnehmern die folgenden diagnostischen Kriterien: 1. häufiger unwiderstehlicher Drang, sich ins Internet einzuloggen; 2. Kontrollverluste (= länger als intendiert online verweilend), einhergehend mit Schuldgefühlen; 3. negative soziale Auffälligkeit im engsten Umkreis; 4. nachlassende Arbeitsfähigkeit; 5. Verheimlichung des Ausmaßes der Online-Zeiten; 6. psychische Irritabilität bei Verhinderung, online zu sein; 7. mehrfache vergebliche Versuche der Einschränkung.
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Hinzu kommen irreversible psychosoziale Folgeschädigungen (wie Jobverlust, Trennung von Partner/Familie, soziale Selbstisolierung, inadäquate Verschuldung durch exorbitante Telefonkosten) und allfällige somatische Schäden (Schädigung des Sehapparates, Schädigung der Wirbelsäule). Anhand der Dauer und der Anzahl der vorliegenden Kriterien schlagen die Autoren folgende diagnostische Einteilung vor: – Gefährdungsstadium (mindesten drei Kriterien über eine Dauer von bis zu sechs Monaten), – kritisches Stadium (mindesten vier Kriterien über eine Dauer von bis zu sechs Monaten), – chronisches Stadium (vier oder mehr Kriterien über eine Dauer von mehr als sechs Monaten). Andere Autoren, wie zum Beispiel Jerusalem und Hahn (2001a), verzichten auf eine Einordnung in die bestehenden, ätiologiegebundenen Kategorien der Klassifikationssysteme als »Störung der Impulskontrolle«, Zwangsstörung oder psychosomatische Erkrankung. Stattdessen schlagen sie vor, Internetsucht als »eine moderne Verhaltensstörung und eskalierte Normalverhaltensweise im Sinne eines exzessiven und auf ein Medium ausgerichteten Extremverhaltens« (S. 165) zu verstehen. Eine Klassifikation wäre dann über den Umweg der technologischen Süchte als eine Unterkategorie verhaltensbezogener, stoffungebundener Abhängigkeiten möglich. Einen Überblick über die aktuell diskutierten Klassifikationsmöglichkeiten gibt Abbildung 2. Für die neuen Ausgaben beider Klassifikationssysteme gibt es bereits verschiedene Bestrebungen, die Internetabhängigkeit als eigenständiges Störungsbild aufzunehmen (Jerald, 2008). So gibt es zum Beispiel einen Vorschlag, eine eigene Kategorie »Obsessive-Compulsive Spectrum Disorders, OCSD« (Zwangsspektrumsstörungen) mit einer Untergruppe »Impulse Control Disorders« einzurichten, in welcher dann unter anderem auch die »Compulsive-Impulsive (C-I) Internet Usage Disorder« zu klassifizieren wäre. Ob diese Anregungen Erfolg haben, hängt nicht zuletzt auch von den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien ab.
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Normales Verhalten
Pathologisches Verhalten Ausweichverhalten
Interne Fa ktoren:
Abhä ngigkeitsstörung:
x Persönlichkeitsmerkma le x z. B. Impulsivität
x nicht-stofflich Störung der Impulskontrolle: x ä hnlich pa tholog. Spielen
Externe Fa ktoren: x neues Medium x Jugendalter
Begleitsymptom psych. Störungen: x z. B. Depression
Abbildung 2: Überblick der aktuellen Klassifikationsversuche der exzessiven Internetnutzung
Diagnostik und diagnostische Verfahren Im alltagspsychologischen Verständnis von Sucht wird diese häufig über die Menge des konsumierten Stoffes – im Falle des Internets anhand der dafür aufgewendeten Zeit – definiert. Im Gegensatz zu besorgten Eltern und Lehrkräften weiß der wissenschaftlich orientiert Psychotherapeut jedoch, dass nicht jede Verhaltensweise, die über einen längeren Zeitraum hinweg exzessiv durchgeführt wird, immer gleich als pathologisches Verhalten einzustufen ist (Wölfling, 2008). So weist eine Verweildauer von 2,5 Stunden täglich bei einem 17-jährigen Jugendlichen, anders als von dem ihm nahestehenden Erwachsenen vielleicht angenommen, für sich allein noch nicht auf eine Internetsucht hin, sondern liegt innerhalb der durchschnittlichen täglichen Verweildauer von 159 Minuten der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen im Jahre 2008 (ARD/ZDF Onlinestudie, 2008). Dass Eltern diese Zeit schon als alarmierend empfinden, kann zum Beispiel an einer Orientierung an deren eigenem Internetkonsum (die Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigen verbrachte im Jahr 2008 im Durchschnitt 115 Minuten im Internet) oder an Auswirkungen auf das Familienklima liegen, ist zunächst jedoch nur aufgrund der Zeitangabe kein Indikator für
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ein klinisch relevantes Verhalten. So kann exzessive Internetnutzung, so lange diese nicht mit subjektiven oder objektiven Einschränkungen verbunden ist, als normales Verhalten im Jugendalter (häufiges Aufsuchen von Diskotheken im Alter zwischen 16 und 25 Jahren zieht auch nicht die Diagnose einer »Diskosucht« nach sich), als Ausdruck individueller Persönlichkeitsmerkmale oder als funktionales Ausweich- oder Copingverhalten gesehen werden. In der Fachliteratur wird somit auch nicht die aufgewendete Zeit als Indikator für eine Internetsucht verwendet, sondern zwischen exzessiver Mediennutzung (kein Kontrollverlust, kaum negative Folgen im Alltag), exzessiv-dysfunktionaler Mediennutzung (subjektiv erlebter Kontrollverlust, deutlich negative Folgen im Alltag in den Bereichen Leistung und soziale Beziehungen) und süchtiger Mediennutzung (Sucht nach DSM-IV bzw. ICD-10) unterschieden (Schorr, 2008). Wie bei vielen anderen psychologischen Phänomenen auch gibt es im Internet mittlerweile einige online bearbeitbare Selbsttests, an deren Aussagekraft aufgrund nicht überprüfter diagnostischer Gütekriterien jedoch gezweifelt werden darf. Als Screening-Verfahren können jedoch die folgenden Online-Tests zum Einsatz kommen: – http://www.psychiater.org/open.php5?page=internet-sucht-test – http://www.stangl-saller.at/ARBEITSBLAETTER/SUCHT/ InternetsuchtTest.shtml Im Folgenden werden aus der Vielzahl diagnostischer Instrumente, welche bisher in den unterschiedlichsten Studien zum Einsatz kamen, drei Fragebögen vorgestellt, deren Einsatz in der therapeutischen Arbeit als sinnvoll erscheint. Methodisch am besten abgesichert ist die in Anlehnung an die Definition der substanzgebundenen Abhängigkeiten nach ICD-10 und DSM-IV von Hahn und Jerusalem (2001b) entwickelte Skala zur Erfassung der Internetsucht (vgl. Tabelle 3). Insgesamt umfasst die Internetsuchtskala 20 Items, wobei jeweils vier Items den fünf Subskalen a) Kontrollverlust, b) Entzugserscheinungen, c) Toleranzentwicklung, d) negative Konsequenzen im Bereich soziale Beziehungen und e) negative Konsequenzen im Be-
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reich Arbeit und Leistung zugeordnet sind. Die Antwortskala wurde vierstufig konstruiert und unterscheidet zwischen den Antwortalternativen 1 = »trifft nicht zu«, 2 = »trifft kaum zu«, 3 = »trifft eher zu« und 4 = »trifft genau zu«. Zur Auswertung der Daten werden Mittelwerte für jede Subskala und die Gesamtskala berechnet. Die internen Konsistenzen sind zufriedenstellend. Cronbachs Alpha lag in der ersten Studie für die Gesamtskala bei .93 und für die fünf Subskalen bei über .81. Die theoretische Struktur des Instruments wurde in konfirmatorischen hierarchischen Faktorenanalysen kreuzvalidiert. Zur internen Validierung haben Niesing (2000) und Hecht (2001) in zwei weiteren Teilprojekten die Reliabilität und die faktorielle Struktur der Skala repliziert. Um die drei theoretisch angenommenen Suchtgruppen zu identifizieren, wurden Cut-off-Points für normales, gefährdetes und süchtiges Internetverhalten ermittelt. Zur Festsetzung des Cut-off-Points wurde das folgende Verfahren eingesetzt: Die Teilnehmer, die auf der vierstufigen Antwortskala im Mittel einen Gesamtsuchtscore größer 3.0 erreichten, wurden als »internetsüchtig« diagnostiziert. Lagen die Antworten der Netznutzer zwischen 2.5 und 3.0, gehörten sie zur Gruppe der »gefährdeten« Netznutzer. Wurde die Antwortskala mit einem durchschnittlichen Gesamtscore kleiner 2.5 beantwortet, gehörten die Untersuchungsteilnehmer zur Gruppe der »unauffälligen« Netznutzer (Hahn u. Jerusalem, 2001a). Tabelle 3: Items der Subskalen der Skala zur Erfassung der Internetsucht von Hahn und Jerusalem (2001a) (M, SD und Cronbachs Alpha) Soziale Beziehungen (M = 5,60, SD = 2,28, Cronbachs Alpha = 0,82) – Mir wichtige Menschen sagen, dass ich mich zu meinen Ungunsten verändert habe, seitdem ich das Netz nutze. – Seitdem ich das Internet nutze, haben sich einige Freunde von mir zurückgezogen. – Mir wichtige Menschen beschweren sich, dass ich zu viel Zeit im Netz verbringe. – Seitdem ich die Online-Welt entdeckt habe, unternehme ich weniger mit anderen.
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Kontrollverlust (M = 8,03, SD = 3,08, Cronbachs Alpha = 0,82) – Beim Internet-Surfen ertappe ich mich häufig dabei, dass ich sage: Nur noch ein paar Minuten, und dann kann ich doch nicht aufhören. – Ich verbringe oft mehr Zeit im Internet, als ich mir vorgenommen habe. – Ich habe schon häufiger vergeblich versucht, meine Zeit im Internet zu reduzieren. – Ich gebe mehr Geld für das Internet aus, als ich mir eigentlich leisten kann. Entzugserscheinungen (M = 6,04, SD = 2,40, Cronbachs Alpha = 0,83) – Ich beschäftige mich auch während der Zeit, in der ich nicht das Internet nutze, gedanklich sehr viel mit dem Internet. – Meine Gedanken kreisen ständig um das Internet, auch wenn ich gar nicht im Netz bin. – Wenn ich längere Zeit nicht im Internet bin, werde ich unruhig und nervös. – Wenn ich nicht im Internet sein kann, bin ich gereizt und unzufrieden. Arbeit/Leistung (M = 5,72, SD = 2,40, Cronbachs Alpha = 0,83) – Ich bin so häufig und intensiv mit dem Internet beschäftigt, dass ich manchmal Probleme mit meinem Arbeitgeber oder in der Schule bekomme. – Meine Leistungen in der Schule/im Beruf leiden unter meiner InternetNutzung. – Ich vernachlässige oft meine Pflichten, um mehr Zeit im Internet verbringen zu können. – Wegen des Internets verpasse ich manchmal wichtige Termine/ Verabredungen. Toleranzentwicklung (M = 8,88, SD = 3,30, Cronbachs Alpha = 0,81) – Mittlerweile verbringe ich mehr Zeit im Internet als zu Beginn meiner Online-Aktivitäten. – Die Zeit, die ich im Internet verbringe, hat sich im Vergleich zur Anfangszeit ständig erhöht. – Mein Verlangen danach, mehr Zeit im Internet zu verbringen, hat sich im Vergleich zu früher ständig erhöht. – Mein Alltag wird zunehmend stärker durch Internet-Aktivitäten bestimmt.
Für Kinder scheint dieser Fragebogen jedoch aufgrund der verwendeten Formulierungen eher nicht geeignet. Hier sei auf den
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Fragebogen zum Computerspielverhalten bei Kindern (CSVK) verwiesen (Grüsser, Thalemann, Albrecht u. Thalemann, 2005), welcher sich an den Kriterien für pathologisches Glücksspiel nach den internationalen Klassifikationssystemen DSM-IV und ICD-10 orientiert. Die Items umfassen zum Beispiel Dauer und Häufigkeit sowie Funktion des Computerspielens, die Vernachlässigung von Verpflichtungen sowie negative soziale Folgen aufgrund des Computerspielens und die gedankliche Beschäftigung mit dem Computerspielen. Um als »auffällig« charakterisiert zu werden, muss ein Kind alle sieben formulierten Kriterien erfüllen und jedes Item überdurchschnittlich im Sinne der Kriterien beantworten, das heißt in der Summe mindestens 19 Punkte erreichen. Dabei gilt: Je höher der Wert, umso größer die Gefährdung – die maximal erreichbare Punktzahl beträgt 28. Wenn bei der Diagnostik nicht so viel Wert auf die Erfüllung der wissenschaftlichen Gütekriterien gelegt wird, sondern ein ressourcenorientiertes Arbeitsmittel für die Beratung von Eltern und Kindern im Vordergrund steht, sei abschließend noch auf die im Buch »Computerspielsüchtig? Rat und Hilfe« (Grüsser u. Thalemann, 2006) enthaltenen und online unter www.verlaghanshuber.com/downloads/computerspielsucht als Kopiervorlage verfügbaren Checklisten zur Verhaltensbeobachtung für Eltern und Kinder verwiesen. Eine genaue Beschreibung zur Auswertung und Interpretation findet sich in dem Buch, welches auch als Literaturhinweis für betroffene Eltern empfehlenswert ist.
Epidemiologie und Verlauf »Kaum zu glauben, aber bereits die Frage nach der Häufigkeit des Merkmals Internetsucht in der Population der Internetnutzer kann die bisherige Forschung nicht zufriedenstellend beantworten« (Hahn u. Jerusalem, 2001a, S. 165). Leider muss diesem Zitat auch heute noch zugestimmt werden. Denn auch wenn die Anzahl der Studien zum Thema pathologische Internetnutzung in den letzten Jahren zugenommen hat, sind die
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wissenschaftlichen Kenntnisse zu diesem Gebiet immer noch als eher gering zu betrachten. Die Ursachen hierfür liegen in verschiedenen Gründen. So ist der Schwerpunkt der Großteil der aktuellen Untersuchungen (vgl. Tabelle 4) nicht die »Internetsucht« sondern der Untertyp des Computerspielverhaltens. Befunde zur pathologischen Internetnutzung oder zu den anderen Untertypen wie zum Beispiel Onlinesex- oder Onlinekaufsucht sind bisher für den deutschsprachigen Raum nicht vorhanden. Weiterhin beruhen fast alle Studien auf Gelegenheitsstichproben, so dass eine Generalisierung der Befunde auf die Population der Internetnutzer nur sehr selten möglich ist. Zudem erschweren sowohl die Unterschiede zwischen den häufig selbstentwickelten Erhebungsinstrumenten und den verschiedenen, mehr oder weniger willkürlich festgelegten Cut-OffPunkten die Aussagen zur Prävalenz erheblich. Und auch wenn die methodischen Schwächen geringer werden, so bleibt trotzdem anzumerken, dass der Hauptteil der Untersuchungen Mängel bei der psychometrischen Messung (keine Angaben zur Reliabilität, Validität oder Objektivität der Diagnostik) aufweist (Hahn u. Jerusalem, 2001a). Aus den genannten Gründen sind somit auch die Ergebnisse der in Tabelle 4 vorgestellten aktuellen nationalen Studien unter der kritischen Berücksichtigung von Stichprobe, Erhebungsinstrument und Teilnehmerakquise zu betrachten. In fast allen der in Tabelle 4 vorgestellten Studien wurden Unterschiede der Prävalenz hinsichtlich Alter und Geschlecht gefunden mit einer Tendenz der höchsten Gefährdung für männliche Jugendliche. So belegte die Altersgruppe der unter 19-Jährigen mit 7,1 % Internetsüchtigen (männlich: 7,3 %, weiblich: 5,7 %) den ersten Platz in der Untersuchung von Jerusalem und Hahn (2001b), gefolgt von der Gruppe der 20- bis 29-Jährigen mit 2,3 % Süchtigen. Lediglich Quandt und Wimmer (2008) fanden zumindest hinsichtlich der Nutzungszeit von Onlinespielen eher unerwartete Ergebnisse. So spielten die weiblichen Teilnehmer mehr als die männlichen und auch zwischen erwachsenen und jugendlichen Spielern gab es keine Unterschiede.
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Tabelle 4: Überblick zu den Ergebnissen aktueller nationaler Studien zum Ausmaß der Medienabhängigkeit (Internet-/Online- und Computerspielsucht) Autoren/Jahr
Methodik/Stichprobe
süchtiges Verhalten
Risikoverhalten
Hahn u. Jerusalem, 2001b
standardisierte Onlinebefragung zur Internetsucht 7091 Internetnutzer bis 60 Jahre
3,2 % gewichtet: 2,7 %
6,6 % gewichtet: 5,9 %
Grüsser, Thalemann, Albrecht u. Thalemann, 2005
Fragebogenuntersuchung zum exzessiven Computerspielverhalten 321 Kinder, Alter: 11–14 Jahre
9,3 %
Cypra, 2005
Online-Fragebogen zu OnlineRollenspielen 11445 Online-Spieler, Alter: M = 22,5 Jahre
5%
Grüsser, Thalemann u. Griffiths, 2007
Onlinebefragung zur Computerspielsucht 7069 erwachsene registrierte Nutzer eines Online-Spielmagazin
11,9 %
Wölfling, Thalemann u. Grüsser-Sinopoli, 2007
Fragebogenuntersuchung zum pathologischen Computerspielverhalten 221 Jugendliche, Alter: 13–16 Jahre
Jäger u. Moormann, 2008
Onlinebefragung zum pathologischen Computerspielverhalten 688 Jugendliche, Alter: 9–20 Jahre
Quandt u. Wimmer, 2008
793 Onlinespieler 14–64 Jahre
21 %
6,3 %
11,3 %
5%
48 %
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Ursachen und Korrelate von Internetsucht In Abhängigkeit davon, unter welchem Oberbegriff exzessive Internetnutzung von verschiedenen Forschungsgruppen subsumiert wird (vgl. Abbildung 2), ergeben sich unterschiedliche Forschungsfragen zu möglichen Korrelaten. Bisher untersucht wurden: – Stressbewältigung: Einige Studien weisen darauf hin, dass Internetsüchtige oder exzessiv Computerspielende vorwiegend vermeidende Stressverarbeitungsstrategien verwenden (Yee, 2006; Wan u. Chiou, 2006). Das Spiel oder Internetverhalten wird als Copingversuch eingesetzt, wobei die durch die Vermeidung empfundene Belohnung das Vermeidungsverhalten weiter verstärkt. – Sensation Seeking: Für den Zusammenhang von exzessiver Computernutzung und einem hohen Bedürfnis nach Stimulation und Abwechslung mag es möglicherweise das Phänomen geben, dass es eine Gruppe von Computersüchtigen oder Internetsüchtigen gibt, die durch schnelle Bildinformationen bzw. durch Medieninhalte extremer Art (Pornographie, Gewaltdarstellungen) eine für sie optimale Stimulation suchen (Lin u. Tsai, 2002; Weisskirch u. Murphy, 2004). – Kontrollüberzeugungen: Chak und Leung (2004) fanden bei Internetsüchtigen eine geringe Kontrollüberzeugung. Je stärker der Glaube an die überwältigende Macht der anderen war und umso mehr eine Person glaubte, der Zufall würde den eigenen Lebensweg bestimmen, umso wahrscheinlicher war eine Internetabhängigkeit. Zudem können die Spieler im Spiel Kontrolle ausleben. Die Erfahrung von Kontrolle wird häufig als Motiv von exzessiv online Spielenden genannt (Wan u. Chiou, 2006; Yee, 2006). – Soziale Kompetenz: Im Zusammenhang mit mangelnden sozialen Kompetenzen stehen die Befunde zu Unsicherheit im Sozialkontakt/soziale Angst/Schüchternheit (Hahn u. Jerusalem, 2001b; Chak u. Leung, 2004; Caplan, 2007). Internetabhängige/computersüchtige Probanden mit geringen sozialen Kompetenzen erleben eher frustrierende soziale Kontakte
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und entwickeln daher eher eine soziale Angst/Schüchternheit/Unsicherheit im Sozialkontakt. – Selbstwertschätzung: In vielen Studien zu Computer- oder Internetsucht zeigen sich bei exzessiven Anwendern geringere Werte bezüglich ihrer Selbstwertschätzung (Ko et al., 2005; Hahn u. Jerusalem, 2001b). – Impulskontrolle: In weiteren Studien zur Internetsucht findet sich bei exzessiven Nutzern eine verminderte Impulskontrolle (Hahn u. Jerusalem, 2001b). – Komorbidität: Einige Autoren sind der Meinung, dass nicht das Internet per se süchtig mache, sondern der Anwender damit Depressionen, Angstzustände oder Dysphorie bekämpfe. Kratzer (2006) fand in ihrer Studie mit 61 Versuchspersonen, dass 90 % der pathologischen Internetnutzer mindestens fünf der sechs Kriterien für psychische Störungen erfüllten. Im Vergleich dazu lagen nur bei 23 % der nicht-pathologischen Nutzer höchstens zwei der sechs Kriterien vor. Eine weitere Studie zu diesem Thema findet sich in diesem Band (vgl. den Beitrag von Wölfing).
Therapie Zwar ist die Zahl der Kliniken, Therapeuten und Selbsthilfegruppen für die von Internetsucht Betroffenen in den letzten Jahren angestiegen, allerdings sind bisher nur wenige Veröffentlichungen zum Thema vorhanden (ein Beitrag findet sich in diesem Tagungsband). Da eine ausführliche Beschäftigung mit dem Thema den Rahmen des Beitrags sprengen würde, wird im Folgenden nur eine kleine Auswahl möglicher Anlaufstellung sowohl für Patienten als auch zum fachlichen Austausch vorgestellt: – Kompetenzzentrum Verhaltenssucht am Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (http://www.verhaltenssucht. de), – Charité Berlin (http://www.isfb.org/Beratung.html), – Klinik Schweriner See (http://www.ahg.de/Schwerin), – Bredstedt Fachkrankenhaus Nordfriesland gGmbH (http:// www.spielsucht-therapie.de),
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– Liste von Therapeuten und Kliniken (http://www.webaholic. info/hilfe/behandlung/psychologen/), – Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) (http://www. dhs.de), – Fachverband Sucht e. V. (http://www.sucht.de/), – HSO e. V. – Hilfe zur Selbsthilfe für Onlinesüchtige (http:// www.onlinesucht.de, http://www.hso-gildenhaus.de), – Elterninitiative von und für Eltern von betroffenen OnlineRollenspielern (http://www.rollenspielsucht.de), – Verein gegen Mediensucht e. V. (http://www.aktiv-gegen-medien sucht.de), – Weißes Kreuz e. V. (http://www.internet-sexsucht.de).
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Hinderk M. Emrich
Internet- und Computerspielabhängigkeit: Kulturwissenschaftliche Anmerkungen und zwei Kasuistiken
Zusammenfassung Auf der Grundlage der Frage nach der Bedeutung von elektronischen Medien für unsere Gesellschaft und die individuelle Entwicklung von Personen wird die Entwicklung von Abhängigkeitsprozessen beschrieben und anhand von zwei Fallbeispielen gezeigt, in welcher Weise Medienabhängigkeit zu Vereinsamungen und Beziehungsabbrüchen führt und wie hier therapeutisch interveniert werden kann.
Von dem Chanson-Sänger Georg Kreisler stammt das Lied (Auszug): »Hab ich geschlafen? Hab ich geträumt? Gab ich nicht acht? War’s eine Fliege, die mich plötzlich geweckt hat? Oder der Sessel, auf dem ich saß, hat er gekracht? War’s eine Hupe, die von fern mich erschreckt hat? Jedenfalls tut es mir leid, wenn ich schlief, denn es ist doch erst dreiviertel zehn, lange vor Mitternacht, also zu zeitig, um endgültig schlafen zu gehn. […] Dreh das Fernsehen ab, Mutter, es zieht! […] Irgendwer schreit. Irgendwer flieht. Dreh das Fernsehen ab, Mutter, es zieht!«
Dieses Lied konfrontiert die abendliche ganz persönliche Atmosphäre charakteristischer Eigenwelt und Subjektivität mit einem modernen öffentlichen elektronischen Medium, in der Weise, dass gesagt wird »es zieht«, das heißt, hier kommt etwas ins
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Spiel, das von Außen her kommt, die Atmosphäre verändert. Von der Zugluft hat man von alters her gemeint, dass sie Schaden bringen kann, krank machen kann: Was hat es damit auf sich? Es wird eine Welt der Anonymität geschildert, die gefahrvoll ist: »Irgendwer schreit, irgendwer flieht.« Es ist eine eigentümlich Weise der Anonymisierung und Abstrahierung unserer Wirklichkeit, die unauthentisch, jederzeit beliebig und auswechselbar erscheint; und in dieser Wirklichkeit geht es um Gefahr und um Aggressivität … Lassen Sie mich einen Sprung machen, einen Sprung hin zu einem der berühmtesten Theoretiker der soziologischen Medienpsychologie der 1950er Jahre, nämlich zu dem Medientheoretiker Marshall McLuhan, der in einem seiner Texte ausführt (1951): »Wir leben in einem Zeitalter, in dem zum ersten Mal Tausende höchst qualifizierter Individuen einen Beruf daraus gemacht haben, sich in das kollektive öffentliche Denken einzuschalten, um es zu manipulieren, auszubeuten und zu kontrollieren.« Moderne Massenkommunikationsmedien sind nicht nur gut für »Information«, für die Befriedigung des Wissensdurstes einer »wissenssoziologisch« orientierten Gesellschaft: Vielmehr geht es um die Beeinflussung vom Meinungen durch »Wissen«, es geht um gezielte Lenkung in politischer und ökonomischer Hinsicht. McLuhans Bedeutung liegt aber nicht allein darin, die Prinzipien der Manipulation von Massen entdeckt zu haben – das war eher das Anliegen von Joseph Goebbels –, sondern seine Bedeutung liegt darin, die Bedeutung des Mediums »als Medium« herausgearbeitet zu haben; zuerst anhand der Charakterisierung des »linearen Denkens« in dem, was er »die Gutenberg-Galaxie« genannt hat, nämlich die Tatsache, dass durch die massenhafte Verbreitung von Druckmaterial, Büchern, Zeitschriften etc. die Logik »linearer Texte« in massenhafter Form verfügbar wurden. Nach McLuhans Überzeugung ist das »lineare Medium« dabei eben nicht nur Träger, sondern in der formalen Struktur der Wissensvermittlung liegt bereits eine Inhalte mittransportierende kognitive Struktur, nämlich die lineare Struktur von sprachlich dominierten »Texten«. Für McLuhan ist das Medium Fernsehen weniger linear, sondern assoziativ, und in der Art, wie ein Medium kulturell funktio-
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niert, sei die soziologische Bedeutung des Mediums stärker ausgeprägt als in dem Inhalt als solchem. So findet sich in dem New Yorker Magazine vom 1966 eine Karikatur mit dem Satz: »Sieh mal, Vati, Professor McLuhan sagt, dass die Umwelt, die der Mensch sich schafft, zu seinem Medium wird, in dem er seine Rolle definiert. Die Erfindung des Buchdrucks schuf das lineare oder folgernde Denken, wobei das Denken sich vom Handeln löste. Heute mit dem Fernsehen und Folk-Singing kommen sich Denken und Handeln wieder näher und das gesellschaftliche Engagement wird größer. Wir leben wieder in einem Dorf. Klar?« Dieses ironisch gemeinte »Dorf« ist nun weiter extrem virtualisiert worden durch Cyberspace, durch Computerspiele und durch Internet-Abhängigkeit und das Folk-Singing wird etwas rarer. Was sind die Phänomene, die wir als Psychiater und Psychotherapeuten dabei beobachten? Bevor wir die Bedeutung der Medien stärker ins Auge fassen, lassen Sie mich zuerst zu einer philosophischen Betrachtung kommen, die mit der Entstehung und Begründung der abendländischen Philosophie zu tun hat, nämlich mit dem platonischen Sokrates. Sokrates sagt in einem seiner Dialoge: »Das Buch muss immer seinen Vater bei sich haben.« Und zwar dies deshalb, weil es sonst zu einer Entfremdung des Geistes kommt. Das Buch kann man nicht für Rückfragen verwenden, wenn es Unklarheiten und Widersprüche in dem Text des Buches gibt. Das Wesen der sokratischen Methode ist aber eben der Dialog: das Frage- und Antwort-Geschehen. Die Grundidee ist, zu sagen: »Oida ouden eidos.« Diese bedeutet, dass der ja kein feststehendes Wissen habende Philosoph jederzeit Fragen stellen können muss. Kann man aber einen Fernsehredakteur während der Sendung unterbrechen und ihm Fragen stellen: und zwar als Zuschauer des Fernsehens? Kann man eine Zeitung oder einen Rundfunksprecher als Hörer unterbrechen und nachfragen? Wir haben uns längst daran gewöhnt, dass man nur von Medien berieselt wird, aber eben nicht nachfragen kann. Wegen der fehlenden Rückfragemöglichkeit hat Sokrates sich geweigert, Bücher zu schreiben. Er sah die philosophische Aufgabe, die Chance der Wahrheitssuche im »authentischen Moment«, nicht
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in der entfremdeten Vermittelung. Entweder unmittelbare, ab ovo Vermittlung des authentischen Kairos oder gar keine Vermittelung. So sah es Sokrates. Und so heißt es im Phaidros des Plato als Rede des Sokrates: »Jede Rede, wenn sie nur einmal geschrieben, treibt sich allerorts umher, gleicherweise bei denen, für die sie nicht passt, und sie selbst weiß nicht, zu wem sie reden soll, zu wem nicht. Gekränkt aber und zu Unrecht betadelt, bedarf sie immer der Hilfe des Vaters, denn selbst vermag sie sich weder zu wehren noch zu helfen.« Sein Dialogpartner und Autor Plato sah es anders: Er glaubte an das Medium »Vorlesung« im Rahmen der von ihm gegründeten philosophischen Akademie und an das Vorlesungsmanuskript, an das Buch. Aber das Buch war damals eben noch ein Unikat. Es konnte nur abgeschrieben werden. Der Buchdruck von Gutenberg, das Gutenberg-Universum McLuhans, war noch über 1500 Jahre weit weg. Fragen wir nach großen Theoretikern unseres heutigen Themas, nach Medialität und Vermittelung im Sinne von modernen Medien, so fallen uns einige wenige große Namen ein: das Buch von Walter Benjamin »Die Bedeutung des Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«, dann das Werk von Horkheimer und Adorno »Dialektik der Aufklärung« von 1969, ein Buch, in dem die beiden Philosophen und Soziologen das Massenmedium Fernsehen dahingehend kritisieren, dass die fundamentalen Änderungen, die sich aus den manipulativen Rückwirkungen des Fernsehens ergeben, zu Schädigungspotentialen führen können, die sie allerdings durch quantifizierende Studien und qualitative Erhebungen noch nicht absichern konnten. Ein weiterer wichtiger Medientheoretiker ist zweifellos Vilem Flusser, ein Philosoph, der über die Bedeutung des Gegenwartsprojekts »Medialität und Vermittelung« tief nachdachte und über dessen Kulturkritik ich in Köln an der Hochschule für Neue Medien einen Abendvortrag gehalten habe. Hierzu möchte ich abschließend zwei Fallbeispiele vorstellen. Ein hoher, inzwischen pensionierter Richter im Raum Hannover ruft mich eines Tages an, bei seinem damals 31 Jahre alten Sohn sei eine merkwürdige Veränderung des Lebens eingetreten. Sein irgendwie gescheitertes Leben werde völlig vom Computer und von Computerspielen beherrscht.
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Hinderk M. Emrich
Der Patient selbst berichtet dann über seine Computerabhängigkeit nach einem gescheiterten Jurastudium, das ihn im Grunde nicht wirklich interessiert habe (»ich hätte da wesentlich mehr Leitung bringen können und müssen«). Er sei nun seit drei Jahren in ambulanter analytischer Psychotherapie wegen einer depressiven Symptomatik; emotional gehe es ihm besser, aber inzwischen habe er (allein lebend in eigener Wohnung in der Nähe der Eltern) einen total »zerfahrenen Alltag« mit schwerer Störung des Tag-Nacht-Rhythmus. Er habe im Internet Telefonkontakte, gute Bekannte, aber keine Freunde, Leute, die über ganz Deutschland verteilt seien. Er lebe in einer Ersatzwirklichkeit, die depressive Symptomatik sei früher ausgeprägter gewesen als jetzt, jetzt lebe er aber in einer völlig virtuellen Welt, einmal im Internet, zum anderen in der bisher abgelaufenen psychoanalytischen Behandlung mit dem »künstlich imaginierten Raum«. Aber in das wirkliche Leben trete er nicht hinein.
Hier fungiert das Internet als eine Art Selbstschutz, als eine Art Surrogat-Kommunikationsfeld, es handelt sich darum, dass der junge Mann nur in Pseudobeziehungen lebt, es geht darum, im Nichtertragen der Einsamkeit zu leben und doch allein zu sein. Es geht um Virtualität als Selbstillusion, um ein »Sichverstecken«. So trägt er immer eine Schirmmütze, wie ein Regisseur am Set, dies aber Tag und Nacht, aber er verbirgt dabei seine Schwierigkeit, seinen Haarausfall zu ertragen. Es kommt zu einer schweren Antriebsstörung, er kann nichts arbeiten, er lebt in einer depressiven Reaktion und die Therapie bei mir erfolgt nun mit antidepressiv wirkenden Medikamenten und mit Gesprächen in einer vorwiegend psychosozialen Coachingfunktion. Im Rahmen dieser niederfrequenten verhaltenstherapeutisch orientierten ambulanten Therapie mit medikamentöser Unterstützung von zwei Jahre kommt es zu einer sehr deutlichen Besserung der Situation, der Patient ist in der Lage, täglich morgens aufzustehen und sich als Hospitant in einem Verlag auf den möglichen Beruf eines Publizisten/Journalisten vorzubereiten. Nun zum 2. Fall: Die Mutter eines 34 Jahre alten Patienten ruft an, weil ihr Sohn ein Doppelleben führt. In der Funktion 1 handelt es sich um ein Berufsleben eines erfolgreichen Managers in einem großen Einzelhandelskonzern, er ist noch in der Lage, diesen Beruf erfolgreich auszuüben. In der Funktion 2 handelt es sich um ein häusliches Chaos, der Betroffene lebt allein, er öffnet keine Briefe mehr, er geht kaum ans Telefon, er kann kein Essen herrich-
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ten, er macht keinen Haushalt, er lebt nur in einer Welt der Internetspiele, mit denen er sich bis in die frühen Morgenstunden beschäftigt, wobei er nach kurzer Schlafenszeit dann umschaltet, um wieder arbeiten zu gehen. Bei diesem Fall ließ sich folgendes nosologisches Modell entwickeln und plausibilisieren: Zuerst kam es am Arbeitsplatz zu einer psychosozialen Enttäuschung und Demütigung. Hieraus entstand eine depressive Anpassungsstörung mittleren Schweregrades. Der Patient kompensierte dies nun durch eine Spielabhängigkeit im Internet mit einer 1. positiven motivationellen Seite – er konnte hier gewissermaßen zeigen, »was er leisten kann«, außerdem 2. führte diese neue Lebensform bei ihm zu einer Situation mit mehr Geborgenheit und emotionalem Halt. Zugleich führte dies allerdings dazu, dass der Patient seine realen sozialen Beziehungen praktisch vollständig auflöste.
Im ersten Fall liegt eine Kompensationswirkung des Internet vor im Sinne eines Versuches, die gravierende Persönlichkeitsstörung und Kommunikationsstörung auszugleichen. Im zweiten Fall liegt bezüglich der Symptomatik durchaus eine Sogwirkung vor, die Sogwirkung des Mediums, die Sogwirkung der Internetspiele, die Sogwirkung der Spielsucht. Die Profile in psychopathologischer Hinsicht sind deutlich verschieden, aber die Internetabhängigkeit führt letztlich zu ähnlichen Wirkungen auf die Lebenswelt.
Stefanie Lampen-Imkamp und Bert Theodor te Wildt
Phänomenologie, Diagnostik und Therapie der Internet- und Computerspielabhängigkeit
Zusammenfassung Für die Psychiatrie und Psychotherapie stellt das Phänomen der Internetund Computerspielabhängigkeit, von dem besonders junge Menschen betroffen sind, eine neue Herausforderung dar. Momentan kann die Frage, ob Medienabhängigkeit eher als Symptom bekannter psychischer Störungen oder als Grund für die Entwicklung einer neuartigen Psychopathologie zu verstehen ist, wenn überhaupt nur im Einzelfall entschieden werden. Eigene Studien und Erfahrungen sprechen dafür, dass wir es in diesem Zusammenhang vor allem mit Menschen mit frühen Bindungsstörungen zu tun haben, die einer intensiven psychotherapeutischen bisweilen auch psychopharmakologischen Behandlung bedürfen. In diesem Beitrag werden auf dem Hintergrund klinischer Untersuchungen die Bedeutung des Phänomens der Internet- und Computerspielabhängigkeit sowie seine diagnostischen und therapeutischen Implikationen dargestellt und diskutiert.
Epidemiologie der Internetabhängigkeit Spiele gibt es seit vielen hundert Jahren. Eine anerkannte Definition für das Spiel stammt von dem niederländischen Kulturanthropologen Johan Huizinga. In seinem Hauptwerk »Homo ludens« schreibt er: »Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ›Andersseins‹ als das ›gewöhnli-
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che Leben‹« (Huizinga, 1938/1991). Ein Computerspiel ist demnach ein interaktives Medium, ein Programm auf einem Computer, das es einem oder mehreren Benutzern ermöglicht, ein Spiel durch implementierte Regeln zu spielen, sozusagen eine Weiterentwicklung der bisherigen Möglichkeiten der Gesellschaftsspiele. Der Cyberspace ist ein interaktives Großmedium geworden, dass den Usern die Möglichkeit der interaktiven Vernetzung und Kommunikation bietet. Aus dem beruflichen Alltag ist das Internet nicht mehr wegzudenken. Laut EITO nutzen Anfang 2008 1,23 Milliarden Menschen das Internet. In der EU nutzen Anfang 2008 mehr als die Hälfte (51 %) der 500 Millionen EU-Bürger regelmäßig das Internet (BITKOM, 2008). Nicht nur die Zahl der Internetnutzer nimmt deutlich zu, auch das Alter der User hat sich beachtlich verändert. Computer halten Einzug in Kinderzimmer und Vorschulen. Dass diese Verschiebung der sozialen Beziehung Angst macht, ist verständlich. Populär wurde das Thema Internet- und Computerspielabhängigkeit schließlich endgültig, als die »New York Times« das Phänomen im Jahre 1996 aufgriff. Die Amerikanerin Kimberley Young wurde zur Pionierin auf dem Forschungsgebiet der Internetabhängigkeit (Young, 1996). Sie war die erste Forscherin, die das Phänomen in zahlreichen Studien systematisch und kritisch untersuchte. In den letzten Jahren hat die Zahl an Studien zum Thema Internet- und Computerspielabhängigkeit deutlich zugenommen. Die Untersuchungsinstrumente, die für die Untersuchung von pathologischer Internetnutzung genutzt werden, sind allerdings zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausreichend validiert, um im klinischen Sinne psychisch kranke Internetabhängige von gesunden Nutzern zu unterscheiden. Ein großer Teil der epidemiologischen Studien arbeitet mit Fragebögen, oft auch in Form von Onlinebefragungen, ohne persönliche klinisch-psychiatrische Untersuchung der Studienteilnehmer. Insofern sind epidemiologische Ergebnisse solcher Studien mit Vorbehalt zu betrachten. In Deutschland zeigte sich in einer großen Studie von Hahn und Jerusalem (2001) mit 7500 Probanden, die mit Hilfe der von ihnen entwickelten Internetsuchtskala untersucht wurden, bei
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Internetnutzern eine Abhängigkeitsrate von 3,2 %. Diese Zahl liegt unter den Ergebnissen aus zwei anderen deutschen Studien, die exzessives Computerspielverhalten von Kindern und Jugendlichen untersuchten. Bei Heranwachsenden fanden Thalemann et al. (2004) Abhängigkeitsraten von 6 % und Mößle et al. (2007) 9,3 %. Eine vergleichbare Untersuchung in Großbritannien zeigte bei Jugendlichen eine Prävalenz von 9,1 % exzessiven Computerspielverhaltens (Griffiths, 2004). Auch in Taiwan lagen die Ergebnisse bei einer Untersuchung taiwanesischer Studenten aus dem Jahre 2002 bei 11,7 % und somit deutlich über den deutschen Durchschnittswerten (Lin, 2002). Kulturelle und wirtschaftspolitische Unterschiede müssen bei der Betrachtung dieser Ergebnisse bedacht werden. Internetzugänge werden hier aus wirtschaftspolitischen Gründen vom Staat für alle Bürger subventioniert, so dass die Verfügbarkeit des Mediums in jedem Haushalt gegeben ist. Bei der Betrachtung dieser Ergebnisse müssen neben den bereits beschriebenen methodischen Unterschieden, den unterschiedlichen Zielvariablen und Instrumenten auch die zunehmende Nutzung der neuen elektronischen Medien bedacht werden. Längst gehört die Internetznutzung sowohl in den beruflichen wie auch in den privaten Alltag. Die im Internet zugebrachte Zeit stieg in den letzten Jahren bei den Bürgern deutlich an. Umso wichtiger erscheint eine qualifizierte, differenzierte klinische Medienforschung mit validierten psychometrischen Untersuchungsinstrumenten.
Nosologie der Internet- und Computerspielabhängigkeit Zum jetzigen Zeitpunkt gilt Internet- bzw. Computerspielabhängigkeit in den psychiatrischen Klassifikationssystemen DSM-IV (Sass, 1998) und ICD-10 (Dilling, 2000) nicht als eigenständiges Krankheitsbild. Bis auf Weiteres wäre es ebenso wie das pathologische Glücksspiel den so genannten Störungen der Impulskontrolle zuzuordnen. Aus historischer Sicht stammen erste Ansätze des heutigen Impulskontrollstörungskonzepts aus dem Jahr 1896 von Krae-
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pelin. Dieser prägte damals den Begriff des »impulsiven Irreseins« und versuchte damit Krankheitszustände darzustellen, bei denen Betroffene einem nicht mehr kontrollierbaren Impuls folgen, durch dessen Durchführung es zu einer inneren Erleichterung und Befriedigung kommt. Zeitgleich entwickelte Magnan die französische Degenerationstheorie, gemäß welcher eine erhöhte Impulsivität sowohl als spontane Energieentladung als auch als Mangel an Willenskontrolle verstanden wurde. Differenziert wurde diese Theorie als »schnelles und heftiges Antworten auf Reize versus Zurücklehnen und Planen vor dem Handeln« und »Widerstand leisten versus Nachgeben gegenüber Trieben, Impulsen und Motivationen« (Buss, 1975). Ergänzend zu dieser Differenzierung unterschieden Herpertz und Sass (1997) die Antriebs- und die Kontrolldimension. Ein Verhalten wird demnach als ein Resultat für ins Bewusstsein tretende Kräfte und Gegenkräfte von Antrieb und Hemmung verstanden. Daraus wurde schließlich die im DSM-IV und ICD-10 genannte Kategorie der »Störung der Impulskontrolle« entwickelt. Hier wird ein Verhalten beschrieben, bei dem sich der Betroffene nicht von einem potentiell selbst- oder fremdschädigenden Handlungsimpuls distanzieren kann. Hierzu gehören neben dem pathologischen Glücksspiel (»Spielsucht«), das pathologische Zündeln (Pyromanie), Stehlen (Kleptomanie) und Haare ausreißen (Trichotillomanie). Analog wäre Internetabhängigkeit als »näher bezeichnete abnorme Gewohnheit oder Störung der Impulskontrolle« im Sinne einer »pathologischen Internetnutzung« einzuordnen. Die Zuordnung des Erkrankungsbildes in die Gruppe der Impulskontrollstörungen erscheint aber aus vielerlei Gründen als problematisch. Abgesehen vom pathologischen Glücksspiel, welches allerdings auch in vielen Ländern verboten ist, beziehen sich die angeführten Impulskontrollstörungen auf Verhaltensweisen, die für sich genommen schon pathologisch beziehungsweise kriminell sind. Im Gegensatz dazu ist Internet- und Computerspielnutzung keinesfalls per se problematisch. Lediglich in seiner exzessiven Form kann es eine pathologische Dimension annehmen. Vielmehr scheint es doch so, dass die Verhaltensweisen pathologisches Stehlen, Zündeln, Trichotillomanie und nicht-stoffge-
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bundenen Anhängigkeiten als Symptom für eine psychische Erkrankung dienen. Für diese Annahme würde auch sprechen, dass bei vielen psychischen Erkrankungen Impulskontrollstörungen symptomatisch auftreten (Grant, 2005). Bei Zwangserkrankungen, Manie oder Persönlichkeitsstörung vom Impulsivoder Borderline-Typ gehört eine erhöhte Impulsivität – zum Teil auch Abhängigkeitsphänomene – zu den Kennzeichen der Grunderkrankung.
Studien zur Diagnostik und Einordnung der Computerspiel- und Internetabhängigkeit Eine großangelegte Untersuchung zur phänomenologischen und diagnostischen Einordnung von Internetabhängigkeit setzt sich aus einer Hauptstudie und drei Zusatzstudien zusammen. Initial wurden 25 Patienten untersucht, die sich in der Sprechstunde für medienassoziierte Störungen in der psychiatrischen Poliklinik I der Medizinischen Hochschule Hannover primär mit einer Internetabhängigkeit und einem erkennbaren klinischen Leidensdruck vorstellten. Im Rahmen einer ausführlichen psychiatrischen Untersuchung wurde zunächst eine diagnostische Einschätzung vorgenommen. Diese wurde mit Hilfe des Strukturierten Klinischen Interviews nach DSM-IV (SKID 1) überprüft und gegebenenfalls modifiziert. Darüber hinaus bearbeitete jeder der Probanden eine psychometrische Testinstrumentenreihe, die sowohl spezifische psychiatrische Phänomene als auch allgemeine psychopathologische Variablen beinhalteten. Hauptinstrumente waren die Internetsuchtskala (ISS) und die deutsche Version der Barrat Impulsiveness Scale (BIS). Die Internetsuchtskala beinhaltete Fragen zum Kontrollverlust (SKV), sowie zu den Bereichen Entzugserscheinungen (SEE), Toleranzentwicklung (STS), negative soziale Konsequenzen (SNS) und Konsequenzen im Bereich Leistung/Arbeit. Außerdem wurden die diagnostischen Kriterien für pathologischen Internetgebrauch nach Young (1999) und die Zusatzkriterien für pathologische Internetnutzung (Young u. Beard, 2001) angewendet.
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Tabelle 1: Diagnostische Kriterien für pathologische Internetnutzung/ Internetabhängigkeit von Young (1996) modifiziert von Beard (2001) Alle folgenden Kriterien (1–5) müssen vorliegen: 1. Ständige gedankliche Beschäftigung mit dem Internet – Gedanken an vorherige Online-Aktivitäten oder Antizipation zukünftiger OnlineAktivitäten. 2. Zwangsläufige Ausdehnung der im Internet verbrachten Zeiträume, um noch eine Befriedigung zu erlangen. 3. Erfolglose Versuche, den Internetgebrauch zu kontrollieren, einzuschränken oder zu stoppen. 4. Ruhelosigkeit, Launenhaftigkeit, Depressivität oder Reizbarkeit, wenn versucht wird, den Internetgebrauch zu reduzieren oder zu stoppen. 5. Längere Aufenthaltszeiten im Internet als ursprünglich intendiert. Zumindest eines der folgenden Kriterien (6–8) muss vorliegen: 6. Aufs-Spiel-Setzen oder Riskieren einer engen Beziehung, einer Arbeitsstelle oder eines beruflichen Angebots wegen des Internets. 7. Belügen von Familienmitgliedern, Therapeuten oder anderen, um das Ausmaß und die Verstrickung mit dem Internet zu verbergen. 8. Internetgebrauch als ein Weg, Problemen auszuweichen oder dysphorische Stimmungen zu erleichtern (wie Gefühle von Hilflosigkeit, Schuld, Angst, Depression).
Die Zusatzkriterien (6–8) ermöglichen eine umfassendere Beurteilung der Internetnutzung. Während die ersten fünf Kriterien durchaus mit einem geregelten Alltagsleben einhergehen können, gehen die Zusatzkriterien auf die emotionalen und sozialen Aspekte ein und geben der Internetnutzung bei Erfüllung der Kriterien eine pathologische Dimension. Die acht Kriterien setzten sich in Klinik und Forschung in modifizierter und nicht-modifizierter Form durch, mehr noch als die Kriterien der
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»American Psychological Association«, deren Liste von zehn Items praktisch alle acht Young-Kriterien enthält und zusätzlich zwei weitere recht redundante Kriterien beinhaltet, die ganz allgemein danach fragen, ob es Entzugserscheinungen gibt und ob die Internetaktivitäten trotz bewusster negativer Folgen fortgeführt werden (APA, 1999). Um einen Vergleich zu stoffgebundenen Abhängigkeitserkrankungen herstellen zu können, wurden mit denselben Mitteln zusätzlich 25 Alkoholabhängige einer klinischen und psychometrischen Untersuchung unterzogen. Darüber hinaus wurden jeweils 25 Patienten mit depressiven Störungen und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) auf pathologische Mediennutzungsmuster psychometrisch erfasst. Alle vier Patientengruppen wurden jeweils mit einer in Bezug auf Alter, Geschlecht und Schulbildung gleichsinnig verteilten Gesundengruppe verglichen. Die untersuchten internetabhängigen Probanden waren überwiegend männlich (76 %), durchschnittlich 29,4 Jahre alt und hatten trotz eines leicht überdurchschnittlichen Schulabschlusses vergleichsweise selten eine Berufsausbildung oder Arbeitsstelle. Sie nutzten das Internet durchschnittlich 6,5 Stunden am Tag und beschäftigten sich dort überwiegend mit Online-Spielen, insbesondere mit Rollenspielen in komplexen virtuellen Parallelwelten. Keiner der untersuchten Internet- und Computerspielabhängigen nutzte ausschließlich PC- oder Konsolenspiele, die nicht über das Internet mit anderen gespielt werden. Dies spricht dafür, dass gerade die vom Internet ins Mediale eingeführte Beziehungsdimension das besondere Abhängigkeitspotential ausmacht. Im Vergleich signifikant höhere Ergebnisse wiesen die Internetabhängigen unter anderem in den Merkmalen Impulsivität (BIS), Depressivität (BDI) und ADHS-Symptomen (CAARS-Index) auf. Alle der 25 untersuchten Internetabhängigen erfüllten in der klinischen Untersuchung und im SKID-I die Kriterien für eine bekannte psychische Störung, die das pathologische Mediennutzungsverhalten im Sinne eines gescheiterten neurotischen Konfliktlösungsversuchs als komplexes Symptom verständlich werden ließen. In diesem Zusammenhang wurden vor allem depressive Störungen und in geringerem
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Ausmaß auch Angsterkrankungen und Persönlichkeitsstörungen, insbesondere narzisstische und emotional-instabile (Cluster B), diagnostiziert. Bei den Alkoholabhängigen ergaben sich im Rahmen desselben Untersuchungsparadigmas ähnliche Diagnosen, wobei die Komorbiditätsrate vergleichsweise niedrig ausfiel. Lediglich 44 % der Alkoholabhängigen erfüllten die Kriterien einer anderen psychischen Erkrankung. In der Gruppe der Depressiven erfüllten sechs Probanden (24 %) die Kriterien für eine pathologische Internetnutzung. Diese primär depressiven Internetabhängigen wiesen im Hinblick auf soziodemographische Merkmale gegenüber den sich primär mit einer Internetabhängigkeit vorstellenden Patienten starke Ähnlichkeiten auf. Eine pathologische Internetnutzung fand sich zudem bei sechs der untersuchten ADHS-Patienten (24 %). Und gegenüber den jeweiligen Kontrollgruppen wiesen sowohl die Depressiven als auch die ADHS-Patienten in der Internetsuchtskala hochsignifikant höhere Ergebnisse für pathologische Internetnutzung auf. Anders als bei der als eigenständiges Störungsbild geltenden Alkoholabhängigkeit kann eine Internetabhängigkeit eher als neuartiges Syndrom im Rahmen bekannter psychischer Störungen verstanden werden, auch wenn es durchaus phänomenologische Parallelen zur substanzgebundenen Abhängigkeit und zu den Störungen der Impulskontrolle gibt. Betroffen sind vor allem junge Männern, die auf dem Weg von der Adoleszenz in ein selbstbestimmtes Erwachsenenleben schulisch, beruflich oder privat scheitern und sich gekränkt, selbstunsicher und zumeist depressiv in virtuelle Parallelwelten zurückziehen, um dort die Helden zu spielen, die sie in der konkret-realen Welt nicht sein können. Im Sinne eines postmodernden Symptomwandels ist zu erwarten, dass sich Psychopathologien auf diese Weise nicht nur bei Depressiven, Angsterkrankten und ADHS-Patienten sondern prinzipiell bei allen psychisch Erkrankten auf eine virtuelle Ebene verlagern können und dort eine Eigendynamik entfalten.
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Stefanie Lampen-Imkamp und Bert Theodor te Wildt
Therapie von Computerspiel- und Internetabhängigkeit Da die aktuelle Forschung zur Deutung und diagnostischen Einschätzung der Internetabhängigkeit noch am Anfang steht, gibt es zum jetzigen Zeitpunkt noch keine evidenzbasierten Therapieempfehlungen. Bisherige Therapieansätze lassen sich in den großen psychotherapeutischen Richtungen finden. Aktuell werden sowohl verhaltenstherapeutische als auch tiefenpsychologische Therapieverfahren eingesetzt. Die auf der Lerntheorie basierende Verhaltenstherapie, die Internetabhängigkeit als Suchterkrankung einstuft, empfiehlt die verhaltenstherapeutischen Verfahren, die sich in der Behandlung von Menschen mit stoffgebundenen Abhängigkeiten bewährt haben. Dem gegenüber stehen die psychoanalytischen Erkenntnisse der tiefenpsychologischen Therapieverfahren, die stoffungebundene Abhängigkeitsphänomene als Symptome bekannter psychischer Störungen verstehen. Wenn die vorgängigen beziehungsweise komorbiden psychischen Störungen mit einem entsprechend hohen Leidensdruck einhergehen, können zusätzlich auch somatische Therapieansätze, insbesondere die Gabe von Psychopharmaka, angezeigt sein. Im Folgenden werden die bisherigen Vorschläge für die Behandlung von Internetabhängigkeit entsprechend der vorangegangenen Erklärungsansätze vorgestellt. Neurobiologische Therapieansätze können sich, wie bereits angedeutet, in einer auch psychopharmakologischen Behandlung einer hintergründigen beziehungsweise komorbiden psychischen Störung begründen. Da es sich hierbei hauptsächlich um Depressionen und Angstsyndromen handelt, werden hier – neben Beruhigungsmitteln in Akutphasen – langfristig Antidepressiva eine besondere Rolle spielen. Allerdings gibt es auch Hinweise dafür, dass Antidepressiva auch unabhängig vom Auftreten eines depressiven Syndroms im engeren Sinne bei der Behandlung von Abhängigkeitserkrankten generell positive Effekte erzielen. Substanzen, die explizit das Craving bei Abhängigkeitserkrankungen vermindern sollen, wurden auch schon erfolgreich zur Abstinenzerhaltung bei pathologischen Glücks-
Internet- und Computerspielabhängigkeit
129
spielern eingesetzt. Ob diese Opiatantagonisten einen Platz in der Behandlung von Internetabhängigkeit haben werden, bleibt abzuwarten. Kognitiv-behaviorale Therapieansätze, die sich an der Behandlung von stoffgebundenen Abhängigkeiten orientieren, sind die in der Literatur am häufigsten empfohlenen Therapieverfahren zur Behandlung von Internetabhängigkeit. Dies gilt nicht nur für die zunächst führenden Forscher aus dem angloamerikanischen Bereich (Young, 1999; Greenfield, 1999), sondern auch für deutsche Forscher, insbesondere der Arbeitsgruppe um Grüsser und Wülfing (Grüsser u. Thalemann, 2006). Der kognitive Therapieanteil setzt dabei auf die Analyse und Veränderung pathologischer Denkprozesse im Hinblick auf die Erkennung positiver Verstärker (virtuelle Belohnungen) und negativer Verstärker (reale Kränkungen). Der verhaltenstherapeutische Teil zielt mehr auf die konkrete Veränderung von Verhaltensweisen ab, wobei es vor allem darum geht, das pathologische Mediennutzungsverhalten durch positive Erlebnis- und Verhaltensweisen in der konkret-realen Umwelt zu ersetzen. Psychodynamische Ansätze versuchen erst einmal zu eruieren, was an der konkret-realen Welt so kränkend bzw. krankmachend ist und was in der virtuellen Welt als so positiv empfunden und gesucht wird (te Wildt, 2004). Diese Fragen spielen bereits für die Diagnostik der tiefer liegenden Störungen eine entscheidende Rolle. Mit der Aufdeckung der dahinter liegenden Psychodynamik, die die Bewegung aus der realen in die virtuelle Welt beschreibt, ergibt sich die Möglichkeit, zu dieser eine Distanz zu finden. Dabei spielt die Beziehungserfahrung mit dem Psychotherapeuten eine besondere Rolle, weil diese in der konkret-realen Welt geschieht. Im Rahmen dieser Beziehung können neue Erfahrungen und Affekte erschlossen und erlebbar gemacht werden, was sich schließlich auch auf das Lebensumfeld der Klienten übertragen lässt. Welche psychotherapeutischen Verfahren sich langfristig bei der Behandlung von Internetabhängigkeit als hilfreich erweisen werden, kann sich erst herausstellen, wenn das Störungsbild selbst in seinen Grundzügen besser erforscht ist; vermutlich werden beide Hauptverfahren bei verschiedenen Patienten
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Stefanie Lampen-Imkamp und Bert Theodor te Wildt
und in unterschiedlichen Krankheitsphasen einen Nutzen entfalten.
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Internet- und Computerspielabhängigkeit
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Klaus Wölfling
Ambulante Gruppenpsychotherapie bei Computerspielsucht
Zusammenfassung Aus gesundheitspolitischer Sicht hat die suchtartige Nutzung von Computerspielen und des Internets nunmehr an Gewicht gewonnen. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene zeigen – unter Berücksichtigung von Fallzahlen aus dem Suchthilfesystem – häufiger ein entgleitendes und psychopathologisch auffälliges Onlinenutzungsverhalten. In der Diskussion um Nosologie, Pathogenese und Ätiologie dieses Phänomens wird häufig auf die Multimorbidität der Patienten verwiesen. Komorbid häufig auftretende Störungen (z. B. juvenile Depression, sozialphobische Störungen, ADHS-Symptomatik) werden als ursächlich oder sekundär bedingt beschrieben. Der Beitrag gibt einen Überblick über erste empirische Daten zur Evaluation der Psychotherapie bei Computerspielsucht in der »Ambulanz für Spielsucht« am Uniklinikum Mainz. Die Kausalitätsbeziehungen zwischen den diagnostizierbaren Folgeerscheinungen auf körperlicher, psychischer und sozialer Ebene und der subklinischen bis pathogenen Hintergrundsymptomatik werden näher beleuchtet.
Einführung Aus gesundheitspolitischer Sicht hat die suchtartige Nutzung des Internets in den letzten Jahren an Umfang gewonnen. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene scheinen immer häufiger ein sich verlierendes, entgleitendes und in Extremfällen psychopathologisch auffälliges Onlinenutzungsverhalten in den virtuellen Räumen des Internets oder in Online-Spielwelten zu zeigen. Diese Tendenz der sich häufenden suchtartigen Nutzung des Internets lässt sich anhand von Fallzahlen aus dem Suchthilfesystem und ersten epidemiologischen Erhebungen unter-
Ambulante Gruppenpsychotherapie bei Computerspielsucht
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mauern (Wessel, Müller u. Wölfling, 2009). Auffällig ist, dass die Internetnutzung unter bestimmten Voraussetzungen die Entwicklung und Aufrechterhaltung von abhängigem Verhalten zu fördern scheint. Hierbei treten vor allem exzessiv ausufernde Verhaltensweisen, wie die Präsenz in Online-Communities oder Chatforen, die Suche nach pornographischem Material oder jeglicher Art von Informationen, Online-Kaufverhalten, die Nutzung von Glücksspielen im Internet oder das Computerspielen in Online-Universen auf. Im Suchthilfesystem treten von den genannten Verhaltensweisen überwiegend und vermehrt Fälle mit suchtartigem Computerspielverhalten in Erscheinung. Online-Computerspielen scheint daher ein besonders ausgeprägtes Suchtpotenzial innezuwohnen. Diese virtuellen Spielplattformen, die rund um die Uhr betretbar sind, erfahren unter Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen allgemein einen enormen Zuspruch. Eine hohe Spielbindung wird dabei häufig durch eine monatlich fällige Gebühr, die ständige Verfügbarkeit des Spiels und die Tatsache, dass das Geschehen nicht pausierbar ist, erreicht. Der hohe zeitliche Einsatz wird durch Fortschritte im Spiel, ein innerhalb der Spielergemeinschaft (welche unter den Spielern in Form von so genannten Gilden, also sozialen Zusammenschlüssen, entsteht) steigendes soziales Prestige und vertiefte soziale Bindungen innerhalb der Gilde belohnt. Die meisten OnlineComputerspiele sind so angelegt, dass bestimmte, teilweise für das Weiterkommen im Spiel benötigte Aufgaben nicht allein zu bewältigen sind, so dass die Spieler aufeinander angewiesen sind. Diese sozialen Bindungen innerhalb des Spiels scheinen wiederum Verpflichtungen und Versäumnisängste zu erzeugen. Weiterhin scheint die Möglichkeit in diesen virtuellen Welten unkompliziert unzählige nicht-reale Beziehungen einzugehen, die Verdichtung beziehungsweise die Ausweitung von Zeiterleben während der Spielhandlung, der Verlust an Orientierung im virtuellen Raum (der so genannte »Tunnelblick« vor dem Monitor) sowie die Chance sozialen Status unabhängig von materiellen oder persönlichen Voraussetzungen zu erringen, einer exzessiven beziehungsweise suchtartigen Nutzung dieser Spiele Vorschub zu leisten. Häufig entsteht erst durch die abrupte
134
Klaus Wölfling
Verhinderung des Computerspielens oder durch die bei chronisch-exzessivem Gebrauch auftretenden Folgeerscheinungen (Vernachlässigung von Pflichten, Leistungseinbußen, psychische und physische Beeinträchtigungen) für die Betroffenen beziehungsweise deren Angehörigen ein Krankheitsbewusstsein für das Störungsbild Computerspielsucht. Diese zeitliche Verzögerung leistet sukzessiv einer schleichenden und damit chronifizierenden Störungsgenese Vorschub. Bisher besteht trotz zunehmender Fallzahlen in der Bevölkerung ein Defizit in der psychiatrisch/psychologischen Diagnostik und Intervention. So finden sich nur ersatzweise und damit unzureichend anwendbare Diagnoseschlüssel in den aktuellen Versionen von ICD-10 (»International Classification of Diseases«; Dilling, Mombour u. Schmidt, 2000) und DSM-IV-TR (»Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders«; Saß, Wittchen, Zaudig u. Houben, 2003), die ein derartiges Störungsbild in seiner klinischen Ausprägung näherungsweise klassifizieren könnten. Häufig werden in der Praxis, die im ICD-10 aufgeführten Diagnoseschlüssel ICD-10 F63.8 (sonstige abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle) und ICD-10 F63.0 (pathologisches Glücksspiel) auf den umschriebenen Symptomkomplex diagnostisch angewendet. Auf Initiative der AMA (»American Medical Association«) wurde im Jahre 2007 ein Fachkollegium einberufen, das den Bedarf der Aufnahme einer Diagnose »Computer- und Videospielsucht« in den Kriterienkatalog psychischer Störungen prüfen sollte. Der wissenschaftliche Beirat, der die medizinisch-psychiatrische Relevanz des Themas einzuschätzen hatte, forderte im Ergebnis seiner Arbeit die forcierte Durchführung von empirisch ausgerichteten Untersuchungen zum Symptombild, um die Aufnahme einer derartigen Diagnose bei der nächsten Revision des DSM im Jahr 2012 mittels einer wissenschaftlich abgesicherten Entscheidung treffen zu können (CSAPH-Report, 2007). Eine Anerkennung des Störungsbildes »Computerspiel-/ Onlinesucht« im DSM wäre auch für Deutschland auf gesundheitspolitischer Ebene richtungweisend, da sich die im deutschen Sprachraum angewendeten Diagnosekriterien psychischer Störungen inhaltlich nah an denen des DSM orientieren.
135
Ambulante Gruppenpsychotherapie bei Computerspielsucht
Prävalenz Fundierte wissenschaftliche Befunde zur Online-/Computerspielsucht sind derzeit im deutschen Sprachraum nur wenig vertreten. Viele der durchgeführten epidemiologischen Studien weisen qualitative Nachteile auf, bzw. sind nur schwer generalisierbar, da sehr unterschiedliche Operationalisierungen des Störungsbegriffs Computerspielsucht herangezogen wurden oder diagnostische Kriterien zum pathologischen Computerspielverhalten auf nur sehr unzureichende Art und Weise angewendet wurden. In nationalen wie internationalen Studien finden sich weit divergierende Angaben zur Prävalenz von Computerspielsucht. Beispielsweise berichten Griffiths und Hunt (1998) Werte von 19,9 %, während Hahn und Jerusalem (2001) einen weit vorsichtigeren Schätzwert von 2,7 % angeben. Unter Berücksichtigung der inhaltlichen Ähnlichkeit exzessiven Computerspielens mit stoffgebundenen Abhängigkeitserkrankungen, adaptierten Wölfling, Thalemann und Grüsser (2008) Kriterien der stoffgebundenen Abhängigkeitserkrankungen auf den Bereich des pathologischen Computerspielens. Einen Überblick über die wesentliche Studien zur Prävalenzrate von Online-/Computerspielsucht findet sich in Tabelle 1. Tabelle 1: Nationale und internationale Prävalenzstudien zur Internet-/ Online- und Computerspielsucht Autoren/Land
Jahr
Methodik/Stichprobe
süchtiges Verhalten
Fischer (GBR)
1994
Prävalenzschätzung, Suchtskala für Videospiele (467 Schulkinder, Alter: 11–16 Jahre)
6%
Greenfield (USA)
1999
Onlinebefragung, adaptierte DSM-IV-Kriterien pathologisches Glücksspiel (18000 Internetnutzer)
6%
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Klaus Wölfling
Autoren/Land
Jahr
Methodik/Stichprobe
süchtiges Verhalten
Anderson (USA)
2001
Fragebogenuntersuchung zum Internetverhalten (1078 Internet nutzende Studenten)
9,8 %
Tsai u. Lin (TPE)
2001
Fragebogenuntersuchung zur Internetsucht (753 Jugendliche, Alter: 16–17 Jahre)
11,9 %
Hahn u. Jerusalem (GER)
2001
standardisierte Onlinebefragung zur Internetsucht (7091 deutsche erwachsene Internetnutzer)
2,7 %
Johansson u. Götestam (NOR)
2004
Fragebogenuntersuchung zur Internetsucht, repräsentative Stichprobenauswahl (1463 Jugendliche, Alter: 12–18 Jahre)
2,7 %
Griffiths et al. (GBR)
2004
Onlinebefragung (540 jugendliche (1) und erwachsene (2) Nutzer von Online-Rollenspielen)
(1) 9,1 % (2) 2.5 %
Grüsser et al. (GER)
2005
Fragebogenuntersuchung zum exzessiven Computerspielverhalten (321 Kinder, Alter: 11–14 Jahre)
9,3 %
Niemz et al. (GBR)
2005
Fragebogenuntersuchung, Skala zur pathologischen Internetnutzung (371 Studenten)
18,3 %
Grüsser et al. (GER)
2007
Onlinebefragung zur Computerspielsucht (adaptierte ICD-10-Kriterien der Substanzabhängigkeit) (7069 erwachsene registrierte Nutzer Online-Spielmagazin)
11,9 %
Mößle et al. (GER)
2007
Fragebogenuntersuchung zur Online-/Computerspielsucht (14301 Jugendliche, Durchschnittsalter: 15 Jahre)
(1) 3,6 % (2) 1,5 %
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Ambulante Gruppenpsychotherapie bei Computerspielsucht Autoren/Land
Jahr
Methodik/Stichprobe
süchtiges Verhalten
Wölfling et al. (GER)
2008
Fragebogenuntersuchung zum pathologischen Computerspielverhalten (221 Jugendliche, Alter: 13–16 Jahre)
6,3 %
Batthyany et al. (AUT)
2008
Fragebogenuntersuchung zum pathologischen Computerspielverhalten (1068 Jugendliche, Alter: 13–18 Jahre)
2,7 %
In vielen Untersuchungen wird die Internetnutzung global erfasst. Wegen der hohen inhaltlichen Variationsbreite der verschiedenen Bereiche exzessiver Computer- und Internetnutzung ist es jedoch dringend notwendig, die Verbreitung des pathologischen Ausprägungsgrades der einzelnen Auftretensformen (Computerspiel, Kaufen, Informationssuche, Sex, Glücksspiel) getrennt voneinander zu erfassen. Ebenso erscheint es wichtig, missbräuchliches und abhängiges Nutzungsverhalten diagnostisch differenzieren zu können, um eine genauere Einschätzung der vorliegenden Problematik machen zu können. In vorausgegangenen Studien der »Ambulanz für Spielsucht« (Uniklinikum Mainz) konnten entsprechende Punktprävalenzschätzungen sowie klinische Trennwerte für missbräuchliches bzw. psychopathologisch auffälliges Computerspielverhalten ermittelt werden (siehe Tabelle 2). Tabelle 2: Schätzungen zur Punktprävalenz der Computerspielsucht Studie
Abhängigkeit Missbrauch
Alter der Befragten
N
Wölfling, Thalemann u. Grüsser (2008)
6,3 %
Entfällt
13–16
221
Batthyány et al. (2008)
2,7 %
9,4 %
13–18
1061
Wölfling u. Müller (in Vorb.)
1,2 %
7,2 %
13–18
642
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Klaus Wölfling
Terminologie Aus dem Vergleich der methodischen Herangehensweise in verschiedenen Untersuchungen zu psychopathologischen Auffälligkeiten im Bereich der »Internetsucht« erscheint die Anwendung der adaptierten Diagnosekriterien der substanzgebundenen Abhängigkeiten als diagnostisches Screening zur Charakterisierung des Symptomkomplexes Computerspielsucht sinnvoll. Daher können folgende Kriterien für die diagnostische Einordnung herangezogen werden: – das unwiderstehliche Verlangen, am Computer zu spielen; – die verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich Beginn, Beendigung und Dauer des Computerspielens; – Entzugserscheinungen (Nervosität, Unruhe, Schlafstörungen) bei verhinderter Computerspielnutzung; – der Nachweis einer Toleranzentwicklung (Steigerung der Häufigkeit oder Intensität/Dauer des Computerspielens); – fortschreitende Vernachlässigung anderer Tätigkeiten oder Interessen; – anhaltendes exzessives Computerspielen trotz nachweislich eindeutiger schädlicher Folgen (z. B. Übermüdung, Leistungsabfall in der Schule, auch Mangelernährung).
Diagnostik Die Diagnostik der Computerspielsucht basiert auf einer multidimensionalen Erfassung unter Berücksichtigung von Informationsquellen aus drei verschiedenen Perspektiven. Mit dem CSV-R-Screener (Wölfling, Müller u. Beutel, in Vorb.), einem Selbsteinschätzungsverfahren, werden mit 15 Items Aspekte computerspielsüchtigen Verhaltens auf fünfstufigen Likertskalen erhoben. Dieses Instrument, welches sich inhaltlich an den Fragebogen zum Computerspielverhalten bei Kindern und Jugendlichen (CSVK, Thalemann, Albrecht, Thalemann u. Grüsser, 2004) orientiert, operationalisiert süchtiges Verhalten über die in der Praxis bereits langjährig etablierten Kriterien zur stoffgebundenen Abhängigkeit, welche in den Internationalen Klas-
Ambulante Gruppenpsychotherapie bei Computerspielsucht
139
sifikationssystemen Psychischer Störungen (DSM-IV-TR, Saß et al., 2003 bzw. ICD-10, Dilling et al., 2000) festgehalten sind. Um höchstmögliche Inhaltsvalidität zu gewährleisten, werden alle genannten Kriterien durch mindestens ein Item abgedeckt (vgl. Tabelle 3). Darüber hinaus wurde ebenfalls der Aspekt der Emotionsregulation durch das maladaptive Verhalten berücksichtigt, welcher in verschiedenen vorgeschalteten Untersuchungen nachgewiesen werden konnte (z. B. Batthyàny, Benker, Müller u. Wölfling, 2008). Tabelle 3: Im CSV-R-Screener operationalisierte Aspekte süchtigen Verhaltens Item
Suchtkriterium
Wie stark bist du am Tag gedanklich mit Computerspielen beschäftigt?
Craving, Aspekt: Gedankenkreisen
Wie häufig hast du schon gespielt, obwohl du dir vorgenommen hattest, nicht zu spielen?
Kontrollverlust
Fühlst du dich schlecht, wenn du keine Computerspiele spielen kannst?
Entzug
Hast du bemerkt, dass du immer häufiger oder länger spielen musst, um dich wieder gut zu fühlen?
Toleranzentwicklung
Wie stark ist dein durchschnittliches Verlangen nach Computerspielen?
Craving
Wie häufig erscheint dir dein Verlangen nach Computerspielen so übermächtig, dass du diesem nicht widerstehen kannst?
Craving
Wie häufig hast du bisher versucht, dein Computerspielverhalten einzuschränken oder aufzugeben?
Kontrollverlust/Abstinenzversuche
Wie häufig vermeidest du negative Gefühle durch Computerspiele?
Emotionsregulation
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Klaus Wölfling
Item
Suchtkriterium
Wie häufig hast du schon etwas Wichtiges vergessen, weil du Computerspiele gespielt hast?
Einschränkungen des Lebensbereichs
Wie häufig hattest du schon das Gefühl, zu viel oder zu lange gespielt zu haben?
Kontrollverlust (persönlicher Leidensdruck)
Sind auf Grund deines Computerspielverhaltens Probleme in verschiedenen Bereichen aufgetreten (z. B. familiär, beruflich, sozial, gesundheitlich)?
negative Konsequenzen
In umfangreichen Validitätsuntersuchungen an mehreren (klinischen und epidemiologischen) Stichproben wurde dieses Verfahren getestet, psychometrisch optimiert und auf seine Gütekriterien hin geprüft. Hinsichtlich der Kriteriumsvalidität fanden sich substanzielle Zusammenhänge zu objektiven Außenkriterien wie Spielzeiten, Nutzungsverhalten des PC, Besitz von Multimediageräten, bzw. Online-Rollenspiel-Accounts und Freizeitpräferenzen. Bezüglich der Konstruktvalidität ergaben sich signifikante Korrelationen zu bereits psychometrisch anerkannten Verfahren, wie beispielsweise dem Fragebogen zur Allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung (Schwarzer u. Jerusalem, 1995) und der Skala »Soziale Unsicherheit« des Eating Disorder Inventory (EDI-2, Thiel, Jacobi, Horstmann, Paul, Nutzinger u. Schüssler, 1997). Die faktorielle Validität wurde über explorative und – im Rahmen einer Kreuzvalidierung – konfirmatorische Faktorenanalysen getestet, welche eine Einfachstruktur, Faktor pathologisches Computerspielverhalten, nahe legen. Weitere zentrale Kennwerte zur psychometrischen Qualität wie Homogenität, Schwierigkeit und Trennschärfen fallen ebenso zufriedenstellend aus wie die ermittelten Reliabilitätsmaße, zum Beispiel die interne Konsistenz: Cronbachs Alpha liegt unter Berücksichtigung mehrerer vergleichbarer Stichproben bei α = .86. Das zweite eingesetzte diagnostische Instrument, welches bei der Diagnostik der Online- und Computerspielsucht in der Am-
Ambulante Gruppenpsychotherapie bei Computerspielsucht
141
bulanz für Spielsucht zum Tragen kommt, ist eine ExpertenRatingverfahren (CSV-Checklist). Diese weist eine inhaltliche Orientierung am CSV-R-Screener auf, beinhaltet jedoch darüber hinaus eine genauere Einschätzung der einzelnen Kriterien auf verschiedenen Subskalen. Bei Klienten der Ambulanz für Spielsucht fanden sich substanzielle Korrelationen zwischen der CSV-Checklist und dem CSV-R-Screener (r = -.27). Somit kann davon ausgegangen werden, dass die CSV-Checklist ein brauchbares Instrument ist, um den Symptomkomplex Online- und Computerspielsucht durch Experten zu objektivieren. Das dritte standardmäßig eingesetzte Instrument ist ein Fremdbeurteilungsverfahren für Angehörige (Eltern, andere Verwandte, Lebenspartner), der so genannte CSV-VIEW (Müller u. Wölfling, in Vorb.). Dieses ausführliche Inventar dient dazu, in schwierigen Fällen einen Abgleich zwischen der Wahrnehmung des Betroffenen und dessen Angehörigen vornehmen zu können. Dieses Verfahren wird derzeit eingehenden testtheoretischen Analysen unterzogen. Alle drei Instrumente dienen der Diagnostik, sie sind jedoch einzeln keine hinreichenden Instrumente, da die Diagnose eines missbräuchlichen oder abhängigen Online- oder Computerspielverhaltens erst zulässig ist, wenn auf allen drei Instrumenten bestimmte klinische Cut-offs erfüllt werden.
Klassifikation Bei entwicklungspsychopathologischen, klinischen Fragestellungen im Kindes- und Jugendbereich ist es dringend notwendig, eine exakte Differenzierung zwischen verschiedenen Stadien interventionsbedürftiger psychopathologischer Auffälligkeiten und lediglich entwicklungsbedingten Anpassungsdevianzen vorzunehmen. So ist aus entwicklungspsychologischer Sicht bekannt, dass sich ein großer Anteil Jugendlicher in pubertären und post-pubertären Entwicklungsphasen vermehrt in verschiedensten Risikoverhaltensweisen übt (so genanntes »risk taking behavior«; Seiffge-Krenke, 1998). Diese Risikoverhaltensweisen, welche sich häufig auch im Konsum psychotroper Sub-
142
Klaus Wölfling
stanzen äußern, führen nicht zwangsläufig in eine Abhängigkeitsstörung, sondern werden oftmals nur in einem zeitlich sehr begrenzten Umfang ausgeübt. Der entwicklungspsychologische Hintergrund dieser Risikoverhaltensweisen ist darin zu sehen, dass der Jugendliche zum einen Verhaltensweisen aus der Peergroup nach dem Prinzip des Modelllernens imitiert, um seinen eigenen Status innerhalb der Peergroup zu bestimmen bzw. zu festigen und sich dementsprechend einen sozialen Status aufzubauen. Nach erfolgreicher Beendigung dieser Entwicklungsaufgabe kann in der überwiegenden Mehrheit der Fälle davon ausgegangen werden, dass das beschriebene Problemverhalten eine sukzessive Abschwächung erfährt, bis es schließlich vollständig zum Verschwinden kommt (Seiffge-Krenke, 1998). Fasst man exzessives Computerspielen als eine neue Form des »risk taking behavior« auf, so liegt auf der Hand, dass es notwendig ist, möglichst akkurat zwischen entwicklungsbedingtem regelmäßigem oder auch exzessivem Konsum (Problemkonsum) und psychopathologisch auffälligem Konsum (missbräuchlicher oder abhängiger Konsum) zu differenzieren. Über den Screener zum Computerspielverhalten (CSV-RScreener; Wölfling et al., in Vorb.), welcher nach aktuellem Stand der Forschung ein ökonomisches, gleichzeitig jedoch objektives, reliables und valides klinisch-diagnostisches Instrument zur Feststellung der Computerspielsucht darstellt, ist es möglich, Computerspielverhalten in verschiedene Ausprägungsgrade zu unterteilen. Dieses Instrument, welches als Kurzform des Fragebogens zum Computerspielverhalten bei Kindern (CSVK; Thalemann et al., 2004) entwickelt wurde, ist durch umfangreiche statistische Analysen erprobt, psychometrisch optimiert und kreuzvalidiert worden. Ebenso wurden klinische Cut-offs definiert, die die angeführte Differenzierung zwischen pathologischem und lediglich regelmäßigem Computerspielverhalten erlaubt. Inhaltlich orientiert sich auch der CSV-R-Screener an den in den internationalen Klassifikationssystemen psychischer Störungen (DSM-IV-TR; Saß et al., 2003 bzw. ICD-10; Dilling et al., 2000) aufgeführten Kriterien zu stoffgebundenen Abhängigkeit. Problematisches Computerspielverhalten liegt demnach vor, wenn noch kein hinreichender objektiver Leidensdruck
Ambulante Gruppenpsychotherapie bei Computerspielsucht
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zu verzeichnen ist, jedoch bereits deutlich merkbare negative Konsequenzen in verschiedenen Lebensbereichen feststellbar sind. Von missbräuchlichem Computerspielverhalten kann ausgegangen werden, wenn der Betroffene erhöhte Ausprägungen auf suchtspezifischen Kriterien, wie zum Beispiel Toleranzentwicklung, Vorliegen von Entzugserscheinungen, Craving oder deutliche Einschränkungen des persönlichen Lebensbereichs aufweist. Eine Abhängigkeit von Computerspielen liegt vor, wenn die Person bereits in überdurchschnittlichem Maße Kriterien süchtigen Verhaltens aufweist und darüber hinaus Defizite in verschiedenen Lebensbereichen (leistungsbezogenen und/oder sozialen) bestehen. Neben der in Tabelle 3 dargestellten Version für Kinder und Jugendliche existiert zudem ein vergleichbares Screeninginstrument zur Diagnose onlinesüchtigen Verhaltens (OSV-Screener, Wölfling, Müller u. Beutel, in Vorb.).
Psychische Komorbidität In der Diskussion um Nosologie, Pathogenese und Ätiologie dieses Phänomens wird häufig auf die Multimorbidität der Patienten verwiesen. Komorbid auftretende Störungen wie juvenile Depression, sozialphobische Störungen und anamnestisch belegte ADHS-Symptomatik werden als ursächlich oder auch sekundär bedingt beschrieben. Die Kausalitätsbeziehungen zwischen den diagnostizierbaren Folgeerscheinungen auf körperlicher, psychischer und sozialer Ebene und der subklinischen bis pathogenen Hintergrundsymptomatik scheinen bisher weitgehend ungeklärt. Aus der Behandlung der Computerspielsucht in der Ambulanz für Spielsucht konnten inzwischen Daten gesammelt werden, die ein genaueres Bild über komorbide Störungen dieses Symptomkomplexes ermöglichen. So zeigt die Auswertung des Symptom-Checkliste (SCL-90 R; DeRogatis u. Cleary, 1977) deutliche Auffälligkeiten in allen psychometrisch abgebildeten Spektren (vgl. hierzu Abbildung 1).
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Klaus Wölfling Computerspielsucht Kontrollpersonen
Psychotizismus Paranoides Denken Phobische Angst Aggressivität Ängstlichkeit Depressivität Soziale Unsicherheit Zwanghhaftigkeit Somatisierung 0
0,25
0,5
0,75
1
1,25
1,5
Abbildung 1: Ausprägungen auf den Subskalen der SCL-90 R bei Patienten mit Computerspielsucht (N = 45)
Sämtliche aus Abbildung 1 ersichtliche Unterschiede fallen statistisch signifikant aus. Es zeigt sich, dass insbesondere hinsichtlich Depressivität, Zwanghaftigkeit, soziale Unsicherheit und Psychotizismus bemerkenswerte Unterschiede zwischen computerspielsüchtigen Patienten und gesunden Kontrollprobanden zu verzeichnen sind. Die dargestellten Gruppenunterschiede lassen ebenfalls auf eine höhere allgemeine Symptombelastung bei Patienten mit Computerspielsucht schließen. Diese Vermutung bestätigt sich bei Betrachtung des Globalen Symptomindex (GSI), welcher sich bei gesunden Kontrollprobanden auf 0.36, bei computerspielsüchtigen Patienten hingegen auf 0.78 beläuft und damit statistisch bedeutsam ausfällt (t(64) = 3.38, p < .001). Darüber hinaus konnten weitere ausgeprägte Symptombelastungen bei bestehender Computerspielsucht nachgewiesen werden. Diese betreffen eine höher ausfallende soziale Unsicherheit (M = 24.7; SD = 5.57)1, operationalisiert über die Skala »Soziale Unsicherheit« des Eating Disorder Inventory (EDI-2; Thiel et al., 1997), eine im Vergleich zur Normstichprobe (M = 29.1, SD 1 Die Normstichprobe weist folgende Werte auf: M = 22.7, SD = 5.10
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= 4.00) geringer ausgeprägte Kompetenzerwartung (M = 24.0, SD = 2.88), operationalisiert über die Skala zur Allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung (SWE, Schwarzer u. Jerusalem, 1995), sowie eine überdurchschnittliche hohe Belastung durch Erschöpfungszustände, gemessen über den Gießener Beschwerdefragebogen (GBB; Brähler, Hinz u. Scheer, 2008). An mehreren epidemiologischen Studien an Schülern im Alter zwischen 13 und 18 Jahren konnten diverse weitere Belastungsmomente und Komorbiditäten nachgewiesen werden. Es fanden sich beispielsweise statistisch bedeutsame Zusammenhänge zu ausgeprägter Schulängstlichkeit, empfundenem Notendruck, regelmäßigem Schulverweigern, berichtete Konzentrationsdefizite und psychosomatischer Symptombelastung bei Jugendlichen mit einer bestehenden Computerspielsucht. Daneben konnte eine Reihe motivationaler Faktoren identifiziert werden, denen möglicherweise eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung des abhängigen Verhaltens zukommt. So berichten pathologische Computerspieler nicht nur von signifikant stärker empfundener Langeweile nach dem Beenden eines Computerspiels, sie weisen zudem eine spezielle Form von dysfunktionaler Copingstrategie auf, welche als medienfokussiertes Coping bezeichnet werden kann. Weitere statistisch signifikante Unterschiede finden sich im Anlass, ein Computerspiel zu beginnen. Hier nennen computerspielsüchtige Jugendliche häufiger den Beweggrund, negative Gefühle auszublenden bzw. durch das Spiel eine generelle Stimmungsverbesserung anzustreben. Außerdem konnten die bereits erwähnten Ergebnisse zur allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung und sozialen Unsicherheit an diesen nicht-klinischen Stichproben repliziert werden. Hier ergab sich, dass computerspielsüchtige Jugendliche durch eine signifikant herabgesetzte Kompetenzerwartung und eine erhöhte soziale Unsicherheit charakterisierbar sind. Erste Befunde aus der neurowissenschaftlicher Forschung existieren aus unserer Arbeitsgruppe zu neurobiologischen Suchtmechanismen. So konnten Thalemann, Wölfling und Grüsser (2007) nachweisen, dass dem Störungsbild der Computerspielsucht vergleichbare kortikale Reizverarbeitungsprozesse unterliegen, wie sie auch im Bereich stoffgebundener Abhängigkeiten
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bereits mehrfach nachgewiesen werden konnten und als Nachweis des so genannten Suchtgedächtnisses diskutiert werden. In der erwähnten hirnphysiologischen Studie wurden computerspielsüchtige und lediglich regelmäßig spielende Versuchspersonen mit verschiedenen visuellen Stimuli konfrontiert, deren kortikale Verarbeitung mittels EEG aufgezeichnet wurde. Die verwendeten Stimuli wurden aus dem IAPS (»International Affective Picture System, Center of the Study of Emotion and Attention«, 1995) entnommen und repräsentierten die Kategorien neutral, emotional positiv, emotional negativ und computerspielbezogen (Beispiel: Spielszene aus einem OnlineRollenspiel). Die Datenauswertung ergab spezifische kortikale Verarbeitungscharakteristiken zwischen den Spielergruppen. Personen mit Computerspielsucht verarbeiteten die dargebotenen computerspielbezogenen Reize mit einer vergleichbaren Intensität – operationalisiert über die Amplitudenausprägung der evozierten Potenziale sowie des »Late Positive Complex« (EKP und LPC) – wie emotional hoch erregende Stimuli, wohingegen bei den lediglich regelmäßigen Spieler die Verarbeitungsmuster der spielbezogenen Reize der neutralen Kategorie entsprach. Die Ergebnisse untermauern die These, dass bei bestehender Computerspielsucht eine besonders tiefe emotionale Verarbeitung suchtbezogener Stimuli festzustellen ist (»Depthof-Processing«-These; Craik u. Lockhart, 1972), was den Schluss nahe legt, dass auch bei Verhaltenssüchten eine Sensibilisierung des mesolimbischen dopaminergen Belohnungssystems besteht, welchem bei der Aufrechterhaltung des süchtigen Verhaltens eine zentrale Rolle zukommt.
Behandlung Anfang März diesen Jahres startete im Rahmen der Eröffnung der »Ambulanz für Spielsucht« an den Kliniken der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ein zwölfmonatiges Modellprojekt, das Gruppentherapien zur Behandlung der Computerspielsucht für Jugendliche und junge Erwachsene anbietet. In der vorrangig verhaltenstherapeutisch ausgerichteten Therapie steht
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die individuelle Analyse des Problemverhaltens und seiner aufrechterhaltenden Bedingungen im Vordergrund, wie auch in den kognitiv verhaltenstherapeutischen Ansätzen von Young (2007) und Shaw und Black (2008), welche sich in einer Untersuchung nach der Effizienz von kognitiver Verhaltenstherapie für Internetsüchtige als erfolgreich herausgestellt haben (Young, 2007). In dieser, auch durch die »Ambulanz für Spielsucht« praktizierten Form von Therapie werden gedankliche, emotionale, körperliche und verhaltensbezogene Aspekte des Computerspielverhaltens der Betroffenen in einer »sekundengenauen« Analyse beleuchtet. Ebenso sollen Wünsche, Ängste und Motivationen der Patienten hinterfragt und die intrinsische Motivation zur Reduktion von (Online-)Spielzeiten aufgebaut werden. Hauptziel der Behandlung der Computerspielsucht ist die starke Reduzierung der Online-Zeiten auf ein normales Maß. Parallel sollen alternative Verhaltensweisen (wieder-)erlernt werden, wie zum Beispiel vernachlässigte Aktivitäten bzw. Hobbys, und die Aufnahme (realer) sozialer Kontakte gefördert werden. Darüber hinaus stellen psychoedukative Elemente und die Vermittlung funktionaler Stressbewältigungsstrategien einen zentralen Bestandteil des therapeutischen Angebots dar. Das Modellprojekt setzt auf ein ambulantes Behandlungskonzept, da die Konfrontation mit den häuslichen Lebensbedingungen und auch das Erleben von Misserfolgserlebnissen (wie z. B. Rückfälle) direkt in den therapeutischen Prozess mit einbezogen werden können. Ebenso bietet sich das Gruppensetting als Therapieform besonders an, da gerade der Austausch der Betroffenen untereinander die Chance bietet, am Modell des Anderen zu lernen und Rückhalt in der Gruppe zu finden. Geplant ist auch eine Exposition der Patienten mit dem direkten Spielgeschehen. Hintergrund ist, dass die Entscheidung, (wieder und wieder) zu spielen, für die Betroffenen von teilweise nicht sofort erkennbaren gedanklichen, emotionalen und physiologischen (also insgesamt vor- bzw. unbewussten) Prozessen beeinflusst wird. In der individuellen Beobachtung des Spielverhaltens soll anhand bestimmter Spielsequenzen herausgearbeitet werden, welche individuellen Prozesse an der Entscheidung, das Spiel fortwährend aufzusuchen, beteiligt sind. Diese Vorgehensweise ist der verhaltenstherapeu-
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tischen Behandlung des pathologischen Glücksspiels entlehnt, in der eine Exposition/Konfrontation mit dem Spielgeschehen zu den erfolgversprechenden Behandlungsmethoden gehört. Da es sich, wie bereits erwähnt, bei der Behandlung suchtartigen Computerspielverhaltens um ein Modellprojekt handelt, erscheint es nach dem derzeitigen Stand der Dinge schwierig, Indikatoren wie Behandlungserfolg oder Rückfallwahrscheinlichkeiten konkret abschätzen zu können. Aus Therapieevaluationen zur Behandlung des pathologischen Glücksspiels weiß man jedoch, dass 72 % der Behandelten nach einem Katamnesezeitraum von sechs Monaten Kontrolle über ihr Spielverhalten behalten hatten (Walker, 1992). Was die Rückfallquote anbetrifft, so erscheinen Zahlen um 60 % als vorsichtiges Schätzmaß wahrscheinlich (Hodgins u. Petry, 2004).
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Die Autorinnen und Autoren
Angelika Beranek, geboren 1980, Studium der Sozialpädagogik, ist seit 2005 Medienpädagogin im »Infoc@fé« der Stadt Neu-Isenburg und seit 2006 freie Referentin für Internetsicherheit, Mediensucht, Cyberbullying und verwandte Themen. Hinderk M. Emrich, geboren 1943, ist Arzt und Professor für Neurologie und Psychiatrie/Klinische Pharmakologie, Psychotherapeut, Psychoanalytiker und war von 1992 bis Oktober 2008 Leiter der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover. Promotion in Philosophie 1999; Venia legendi für Philosophie an der Universität Hannover seit 2002. Thomas Graf, Diplom-Sozialpädagoge, ist seit 2008 Leiter des Projektes »Netz mit Web-Fehlern« der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen und seit 2005 Fachreferent für präventiven Jugendmedienschutz in Hessen. Er war 2004 bis 2007 Leiter der medienpädagogischen Jugendeinrichtung Infoc@fé in Neu-Isenburg. Michael Grunewald, geboren 1959, studierte Soziologie und Pädagogik an der Universität Frankfurt, während er sich in seiner Freizeit mit Computersimulationen komplexer Abläufe beschäftigte. Seit zwanzig Jahren befasst er sich mit Computerspielen, theoretisch sowie praktisch. Er ist im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau für den Fachbereich »Bildung und Jugend« tätig sowie Gutachter bei der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK). Antje Hornung, Diplom-Psychologin, Studium der Psychologie an der Universität Regensburg, 2005 bis 2007 Mitarbeit am Projekt »Virtualisierung der Beratungslehrkräfteausbildung in Bayern«. Seit 2008 ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie der Universität Regensburg. Stefanie Lampen-Imkamp ist seit 2004 Assistenzärztin in der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover und seit zwei Jahren Mitglied der Forschungsgruppe
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Die Autorinnen und Autoren
für medienassoziierte Störungen. Darüber hinaus bietet Stefanie LampenImkamp eine coachingorientierte Kurzzeittherapie für medienabhängige Jugendliche und junge Erwachsene an. Helmut Lukesch, geboren 1946, Studium von Psychologie, Pädagogik und Philosophie an den Universitäten Innsbruck und Salzburg; 1976 Habilitation für das Fach Psychologie an der Universität Konstanz. Stellvertretender Projektleiter des Projektes »Vergleichsuntersuchungen in NordrheinWestfalen« im Zentrum I für Bildungsforschung/SFB 23 der Universität Konstanz bis 1979. Ab 1978 Lehrstuhlvertretung im Fach Psychologie an der Universität Regensburg bzw. C 4-Professor für Psychologie ab 1979. Forschungsschwerpunkte: Medienforschung – Mediennutzungs- und Wirkungsstudien bei Kindern und Jugendlichen, Lernen mit neuen Medien und E-Learning; Psychologische Diagnostik – Testentwicklung (u. a. Testdatenbanksystem psytkom), Familien- und Gesundheitspsychologie. Bert Theodor te Wildt ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er leitet die Poliklinik der Abteilung für Klinische Psychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Seit Ende des Medizinstudiums an der Universität Witten/Herdecke beschäftigt er sich insbesondere mit den psychischen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Medien. Aktuelle Forschungsprojekte untersuchen die klinischen Implikationen von Medienabhängigkeit und die Wirkung von Gewaltdarstellungen auf die Empathiefähigkeit des Menschen. Seine Dissertation über »Magisches Denken bei Menschen mit Multipler Sklerose« erhielt den Preis der Stiftung Lebensnerv 2001. Für die in diesem Buch enthaltene Arbeit erhielt Bert te Wildt im Jahre 2005 den ersten Preis der WilhelmBitter-Stiftung. Klaus Wölfling, Jahrgang 1971, Diplom-Psychologe, Fachreferent und Ausbilder in Psychotherapie, Studium der Psychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, hatte die stellvertretende Leitung der Interdisziplinären Suchtforschungsgruppe Berlin (ISFB) um Frau Prof. Grüsser-Sinopoli an der Charité-Universitätsmedizin Berlin inne und war seit 2007 Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent für Medizinische Psychologie im Fachbereich Medizin. Seit März 2008 ist er Psychologischer Leiter der »Ambulanz für Spielsucht« an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum der Johannes GutenbergUniversität Mainz.