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German Pages [433] Year 2019
Heinrich Holze / Kristin Skottki (Hg.)
Verknüpfungen des neuen Glaubens Die Rostocker Reformationsgeschichte in ihren translokalen Bezügen
Academic Studies
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Refo500 Academic Studies Herausgegeben von Herman J. Selderhuis In Zusammenarbeit mit Christopher B. Brown (Boston), Günter Frank (Bretten), Bruce Gordon (New Haven), Barbara Mahlmann-Bauer (Bern), Tarald Rasmussen (Oslo), Violet Soen (Leuven), Zsombor Tóth (Budapest), Günther Wassilowsky (Frankfurt), Siegrid Westphal (Osnabrück).
Band 56
Heinrich Holze/Kristin Skottki (Hg.)
Verknüpfungen des neuen Glaubens Die Rostocker Reformationsgeschichte in ihren translokalen Bezügen
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0165 ISBN 978-3-666-57139-8
Inhaltsverzeichnis Vorwort ............................................................................................................... 7 KRISTIN SKOTTKI / HEINRICH HOLZE
Einleitung ............................................................................................................ 9
Zum Anlass HARTMUT LEHMANN
Das Reformationsjubiläum 2017 als Herausforderung und als Chance............. 13
Aus Rostocks Frömmigkeitsgeschichte JÖRG ANSORGE
pelgrimmatze in de ere des almechteghen godes. Pilgerzeichen und Schriftquellen zum mittelalterlichen Wallfahrtswesen in Rostock................... 29 HEINRICH HOLZE
Rostocks reformatorischer Petrus. Zur heilsgeschichtlichen Deutung Joachim Slüters bei Nikolaus Gryse.................................................................. 85 KRISTIN SKOTTKI
Slüters Tod, oder: Von Rostocker Zauberern und Hexen am Beginn der Reformationszeit........................................................................................ 105
Aus Rostocks Kommunikations- und Mediengeschichte ANNIKA BOSTELMANN / HELLMUT BRAUN
Jn Sassyscher sprake klarer wen tho vorn verduodeschet. Die ältesten niederdeutschen Gesangbücher der Reformation.......................153 THOMAS KLIE
Eyne schone vnd ser nutte Christlikke vnderwysynge allen Christgelouigen mynschen. Die katechetische Selbsterschließung der evangelischen Kirche....................................................................................... 171 JANIS KRESLINS
Scharf auf den Punkt gebracht. Das Rostocker Wort zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit – Paketierung, Kodierung und Transponierung ...............................................................................................185
Mecklenburg und die Universität Rostock in den Wechselfällen der frühen Reformationsgeschichte EIKE WOLGAST
Gemeindereformation und Fürstenreformation in Mecklenburg..................... 199
MATTHIAS ASCHE
Zwischen Beharrung und Transformation. Zur Krise der Universität Rostock in den ersten Reformationsjahrzehnten............................................. 223 MORTEN FINK-JENSEN
Collaboration and Competition: The Universities of Copenhagen and Rostock c.1500–1650................................................................................ 251
Rostocker Studentennetzwerke und das kirchliche Leben im Norden TUIJA LAINE
Die Bedeutung Rostocks für das lutherische kirchliche Leben in Finnland von der Reformation bis zur frühen Orthodoxie.......................... 283 ESKO M. LAINE
Das akademische Erbe von Rostock in Finnland – Zwei Berichte aus der Zeit der langen Reformation........................................ 301 RAIMO RAAG
Vom Rostocker Raum über Est- und Livland nach Schweden. Die betriebsame Tätigkeit dreier Generationen der lutherischen Pastorenfamilie Broocmann............................................................................ 325
Konfessionalisierungskonflikte und die lange Reformation zwischen Rostock und Skandinavien OTFRIED CZAIKA
Konfession und Politik in Mecklenburg und Schweden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts............................................................................. 345 JASON LAVERY
Friedenskonferenzen ohne kriegsführende Parteien: Rostock als Standort für Friedenskonferenzen zwischen Schweden und Dänemark 1563–1576............................................................................... 377 KAJSA BRILKMAN
Petrus Johannis Gothus in Rostock und der Konfessionskonflikt im Schwedischen Reich. Kompilation, Übersetzung und Paratext in De Christiano milite (1592)............................................................................. 391 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren........................................................ 409 Register............................................................................................................ 417
Vorwort
Die in diesem Band versammelten Beiträge stellen eine Auswahl überarbeiteter Vorträge dar, die bei der Wissenschaftlichen Konsultation „Joachim Slüter und die Reformation in Rostock. Voraussetzungen, Aspekte der Durchsetzung und Wirkungen im Ostseeraum“ (Februar 2015) und auf dem Wissenschaftlichen Symposium „Wo das Wort wirkt. Die Rostocker Reformationsgeschichte in ihren translokalen Bezügen“ (Herbst 2016) an der Theologischen Fakultät der Universität Rostock gehalten wurden. Beide Veranstaltungen stießen in der Universität, vor allem aber auch in einer breiteren Öffentlichkeit auf viel Interesse, so dass wir hoffen, dass die Beiträge auch in der nun vorliegenden schriftlichen Form viele geneigte Leser*innen finden werden. Unser besonderer Dank gilt den studentischen Hilfskräften, die zum Gelingen beider Veranstaltungen maßgeblich beigetragen haben, insbesondere Kaja Bradtmöller (Rostock) und Johannes Frankow (Bayreuth), die mit viel Mühe, Fleiß und wachem Blick an der Redaktion dieses Bandes beteiligt waren. Ebenso danken wir ganz herzlich Annika Bostelmann (Rostock) für die finale Erstellung der Satzfahnen. Darüber hinaus möchten wir der Hansestadt Rostock unseren Dank für die finanzielle Unterstützung der beiden Veranstaltungen aussprechen. Zu guter Letzt danken wir Dr. Elisabeth Hernitscheck, Miriam Espenhain und Christoph Spill von Vandenhoeck & Ruprecht für die gute Zusammenarbeit und die Aufnahme in die Reihe „Refo 500“.
Kristin Skottki und Heinrich Holze
Einleitung Verknüpfungen des neuen Glaubens. Die Rostocker Reformationsgeschichte in ihren translokalen Bezügen
Schon während, aber noch viel mehr am Ende der sogenannten Luther- beziehungsweise Reformationsdekade (2008–2017) zeigte sich, dass der Prozess der Reformation nicht nur im Hinblick auf die großen reformatorischen Zentren wie Wittenberg und die allseits bekannten Akteure wie Martin Luther immer wieder neu und kritisch beleuchtet werden kann – oder sogar muss. Insbesondere um geschichtspolitischen und erinnerungskulturellen Verengungen und Einseitigkeiten entgegenzuwirken, die im Rahmen des Reformationsjubiläums beinahe unvermeidlich erschienen, gilt es heute mehr denn je auch in der Breite und Tiefe historisch-kritisch zu evaluieren, wie sich der Prozess der Reformation nicht allein auf lokaler, sondern gleichzeitig auch auf translokaler Ebene vollzog. Eine wichtige deutsche Hansestadt wie Rostock erscheint für ein solches Vorhaben besonders prädestiniert, da bereits zentrale Vorarbeiten geleistet wurden, die Quellenlage gut und doch überschaubar ist, vor allem aber, weil viele Fragen zur Reformation in Rostock bisher noch nicht gestellt wurden beziehungsweise das heute bekannte Bild von Mythenbildung und Meistererzählungen aus den verschiedenen Jahrhunderten geprägt ist. Die in diesem Band versammelten Aufsätze möchten zu einer kritischen Evaluation der Rostocker Reformationsgeschichte und ihrer Deutungen beitragen. Den Auftakt bildet der Aufsatz von Hartmut Lehmann (Kiel, DE). Seine kritische Intervention zum Thema ‚Reformationsjubiläum‘ öffnet den Blick auf das gesamte thematische Feld. Die von ihm formulierten Anfragen sind von bleibender Aktualität, da die Auseinandersetzung mit der Reformationsgeschichte und ihren aktuellen Bezügen selbstverständlich auch nach 2017 weitergeht. Im Fokus der dann folgenden Beiträge steht Rostock, das als geistiges Zentrum der Reformation für ganz Mecklenburg gelten kann. Bereits in den 1520er Jahren wurde die Hansestadt zu einem außerordentlichen Multiplikator des reformatorischen Gedankenguts. Nach bisherigem Kenntnisstand ist dies wohl vor allem dem ersten evangelischen Prediger in Rostock zu verdanken – Joachim Slüter. Freilich gab es keinen scharfen Umbruch, sondern gleitende Übergänge vom alten zum neuen Glauben. Ebenso bleiben die
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Kristin Skottki / Heinrich Holze
Konturen Slüters als Hauptperson des reformatorischen Geschehens in der Warnowstadt auffallend unscharf. Einer stärkeren Konturierung dieses Geschehens widmen sich drei Beiträge unter dem Titel „Aus Rostocks Frömmigkeitsgeschichte“. Jörg Ansorge (Schwerin, DE) bietet zunächst anhand verschiedener materieller Zeugnisse aus Rostock einen Einblick in vorreformatorische Frömmigkeitspraktiken. Heinrich Holze (Rostock, DE) und Kristin Skottki (Bayreuth, DE) widmen sich dann den Deutungen der sagen- und mythenumrankten Figur Joachim Slüters. Folgt man der vorherrschenden Geschichtserzählung, gab Slüter offenbar bereits im Jahre 1525 ein evangelisches Gesangbuch und 1526 ein Gebetbüchlein heraus, die beide in niederdeutscher Sprache verfasst waren und die ältesten bekannten Zeugnisse ihrer Art überhaupt darstellen. Vor allem das Gesangbuch wurde zu einem regelrechten Bestseller auch weit über die Grenzen Mecklenburgs hinaus, so dass die niederdeutschen Kirchenlieder aus Rostock den evangelischen Gemeindegesang besonders nachhaltig in Schweden und Dänemark, aber auch in England und Lettland und in vielen Territorien des Alten Reiches prägten. Unter dem Titel „Aus Rostocks Kommunikations- und Mediengeschichte“ widmen sich die Beiträge von Annika Bostelmann und Hellmut Braun (Rostock, DE) sowie von Thomas Klie (Rostock, DE) auf je eigene Weise den beiden entscheidenden und bekannten Werken Slüters. Janis Kreslins (Stockholm, SE) nimmt uns anschließend mit auf einen Spaziergang durch das Rostock der Reformationszeit, um über die Frage nach Kommunikationsmöglichkeiten und -grenzen zu sinnieren. Die Reformation in Rostock ist selbstverständlich nicht als lokal begrenztes Ereignis zu verstehen. Den Verflechtungen über die Grenzen des Landes hinaus gehen drei Beiträge unter dem Titel „Mecklenburg und die Universität Rostock in den Wechselfällen der frühen Reformationsgeschichte“ nach. Eike Wolgast (Heidelberg, DE) ordnet die Rostocker Ereignisse in den größeren Kontext des reformatorischen Prozesses in Mecklenburg und im Alten Reich ein. Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Universität Rostock, die seit ihrer Gründung 1419 auch und gerade Studenten und Dozenten aus den skandinavischen Königreichen in die Hansestadt zog. Dass die Anfänge der Reformation sich auf diese Institution keineswegs nur positiv auswirkten, zeigt der Beitrag von Matthias Asche (Potsdam, DE), während Morten Fink-Jensen (Kopenhagen, DK) die engen Verbindungen und auch die daraus entstehende Konkurrenz zwischen den Universitäten in Rostock und Kopenhagen aufzeigt. Die vielfältigen translokalen Verflechtungen der Rostocker Reformation lassen sich besonders gut anhand der Lebensgeschichte einzelner Akteure exemplifizieren. Diese brachten zumeist durch ein Studium in Rostock reformatorisches Gedankengut und reformatorische Schriften in ihre Heimatländer und prägten durch ihr späteres Wirken, z.B. in kirchlichen Ämtern, die
Einleitung
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Prozesse von Reformation und Konfessionalisierung in Skandinavien. Solche Beispielstudien bieten die Beiträge von Tuija Laine (Helsinki, FI), Esko M. Laine (Helsinki, FI) und Raimo Raag (Uppsala, SE) unter der Überschrift „Rostocker Studentennetzwerke und das kirchliche Leben im Norden“. Dass die Rostocker Reformation durch ihre vielfältigen Verflechtungen mit den skandinavischen Königreichen auch die politischen Prozesse und die Machtverhältnisse in den jeweiligen Territorien entscheidend prägte und veränderte, erhellen die drei Beiträge im letzten Abschnitt dieses Bandes unter der Überschrift „Konfessionalisierungskonflikte und die lange Reformation zwischen Rostock und Skandinavien“. Otfried Czaika (Oslo, NO), Jason Lavery (Stillwater, OK, USA) und Kajsa Brilkman (Lund, SE) zeigen darin auf, wie zäh und konfliktreich sich die Umsetzung der reformatorischen Neuordnung im 16. und 17. Jahrhundert in Dänemark und Schweden gestaltete. Insgesamt lenken alle Beiträge dieses Bandes aus unterschiedlichen Perspektiven den Blick darauf, wie verschiedenste Akteure (Gelehrte, Prediger, Drucker, Studierende) mit Hilfe unterschiedlichster Textsorten und Medien (Kirchenordnung, Gesangbuch, Geschichtsschreibung, Verträge) ein Netz des neuen Glaubens knüpften, das sich über weite Teile des Alten Reiches und Skandinaviens auch und gerade über den Knotenpunkt Rostock ausbreitete. Vor allem aber machen sie deutlich, wie sehr die späteren theologischen Differenzen und Streitigkeiten sowohl innerhalb des Luthertums als auch im Hinblick auf andere protestantische Strömungen im Reich sich auch auf die politischen, kirchenpolitischen und sozialen Beziehungen und Konstellationen in Skandinavien auswirkten. Um in der Metapher des Netzes zu bleiben – manche Maschen waren eben enger als andere, manche verknotet, manche wurden ganz gelöst und wieder neu verknüpft. Durch den weiten thematischen und chronologischen Bogen, den die Beiträge dieses Bandes schlagen, wird die Dynamik, Farbigkeit und Vielschichtigkeit des reformatorischen Prozesses im Ostseeraum deutlich. Nicht nur werden zahlreiche Verbindungen zwischen der deutschen und skandinavischen Kirchengeschichte aufgedeckt, es werden darüber hinaus Aspekte der Frömmigkeits- und Kommunikationsgeschichte mit der Universitäts- und politischen Ereignisgeschichte ins Gespräch gebracht. Zudem erfolgt eine Einordnung der lokalen Aspekte des reformatorischen Geschehens in Rostock in die Gesamtgeschichte und Zusammenhänge der Reformation in Mecklenburg und den skandinavischen Nachbarländern und auch aktuelle Bezüge werden immer wieder beleuchtet. Die Diversität des historischen Phänomens spiegelt sich nicht zuletzt in der Interdisziplinarität der Beiträge (Geschichte, Theologie, Germanistik, Archäologie, Buchwissenschaften), sondern auch in der Kombination von Überblicksdarstellungen und detaillierten Quellenstudien.
Hartmut Lehmann
Das Reformationsjubiläum 2017 als Herausforderung und als Chance
Ein weites Thema habe ich mir vorgenommen. Wo beginnen? Ich verzichte darauf, die großen Reformationsjubiläen seit 1617 noch einmal Revue passieren zu lassen, samt der jeweils zu beobachtenden Besonderheiten und Einseitigkeiten, also die Lutherfeiern von 1717, 1817, 1883, 1917, 1933, 1946 und 1983. Über jedes dieser Jubiläumsjahre könnte man einen eigenen Beitrag verfassen. Wichtiger ist, so scheint mir, hier und heute der Blick auf das bevorstehende Reformationsjubiläum beziehungsweise auf das bevorstehende Reformationsgedenken 2017. Was für 2017 vorbereitet wurde und was 2017 voraussichtlich gemacht wird und was meiner Meinung nach sinnvollerweise gemacht werden könnte, das ist mein Thema. Darum soll es gehen. 1 Bei den seit dem Jahr 2008 mit viel Aufwand betriebenen Vorbereitungen für das Reformationsjubiläum 2017 spielen, wenn ich mich nicht täusche, drei verschiedene Konzepte eine besondere Rolle. Das sind erstens Planungen für Reisen zu den zentralen Orten der Reformation, konkret: an die Wirkungsstätten von Martin Luther. Das ist zweitens die Herausarbeitung des besonderen protestantischen Profils und der besonderen protestantischen Botschaft in einer Zeit der progressiven Säkularisierung in Europa. Und das ist drittens der vor allem von Politikern mit Verve vorgetragene Hinweis darauf, dass die Reformation ihren Ursprung in Deutschland hatte: dass 1517 also der große weltgeschichtliche Moment der Deutschen war. Der überaus größte Teil aller bisherigen Äußerungen und aller Planungen, auch der Planungen für die großen nationalen Sonderausstellungen, ist zudem auf die Person von Martin Luther bezogen und nur der kleinere Teil auf das Thema Reformation. Seit 2008 läuft die Lutherdekade, nicht eine Reformationsdekade. Luther ist das Gesicht in der Werbung für das große Ereignis. —————
1 Zweierlei vorweg: 1. Der gedruckte Text entspricht mit einigen Änderungen dem Wortlaut des Vortrags, den ich am 29. Oktober 2016 in Rostock gehalten habe. Mit wenigen Ausnahmen habe ich auf Anmerkungen verzichtet. 2. Zwischen dem Zeitpunkt der Tagung, auf der mein Vortrag gehalten wurde, und dem Erscheinen dieses Bandes liegen viele Monate. Was ich ausgeführt habe, bezieht sich deshalb auf die Situation im Herbst 2016. Zu gegebener Zeit werde ich eine Analyse dessen, was wir 2017 erleben konnten, vorlegen.
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Hartmut Lehmann
Das erste Konzept könnte man als die Organisation von Wallfahrten oder von Pilgerreisen ins Lutherland bezeichnen, das zweite als Suche nach einer unverkennbaren protestantischen Botschaft, somit auch als eine Art konfessionelle Selbstvergewisserung, das dritte schließlich als Ausdruck von nationalem Stolz. Alle drei Konzepte sind, so möchte ich hinzufügen, nicht besonders originell. Erinnern wir uns beispielsweise an den 500. Geburtstag von Martin Luther im Jahre 1983. Damals versuchte die Regierung der DDR mit großem Aufwand möglichst viele Touristen, insbesondere aus dem Westen, an die mit nicht unerheblichen Mitteln restaurierten originalen Schauplätze der Reformation zu holen. Es ging, wie wir aus den Akten der damals verantwortlichen Gremien wissen, 2 Honecker und Genossen freilich nicht primär um die Ideen des Rom gegenüber widerborstigen Theologieprofessors aus Wittenberg, sondern vor allem um Devisen – um möglichst viele Devisen in harter Währung. Mich stimmt es deshalb nachdenklich, wenn im Hinblick auf 2017 erneut immer wieder vor allem nur von den Luthertouristen die Rede ist, die der Wirtschaft in Lutherländern wie Sachsen-Anhalt neuen Schwung verleihen sollen. Nichts dagegen, dass Bund und Länder Millionen ausgeben, damit die Lutherstätten 2017 glänzend präsentiert werden können. Die Ankurbelung des Tourismus kann jedoch nicht der eigentliche Sinn des Jubiläums 2017 sein, auch wenn diesen Touristen, wie geplant ist, mit „Toren der Freiheit“ in Wittenberg besondere spirituelle Erlebnisse vermittelt werden sollen. Das zweite Konzept erinnert mich an das erste große Lutherjubiläum, das gefeiert wurde – an 1617. Im unmittelbaren Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges, im Frühjahr 1617, als die konfessionellen Spannungen sich zu einer gefährlichen machtpolitischen Konfrontation gesteigert hatten, machten reformierte Theologen und Politiker aus der Kurpfalz den Vorschlag, die Erinnerung an die 100. Wiederkehr des Beginns der Auseinandersetzungen Luthers mit dem Papsttum im Herbst des gleichen Jahres förmlich zu feiern. Lutherische Politiker und Theologen aus Kursachsen griffen diesen Vorschlag ohne Zögern auf. Aus den Predigten, die im Herbst des Jahres 1617 gehalten wurden, spricht konfessioneller Stolz. Es sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Abgrenzungspredigten gegenüber der Katholischen Kirche. Im Rückblick steht das Jubiläum von 1617 deshalb für eine weitere Verschärfung der konfessionellen Konflikte. Speziell in der Kurpfalz, die bei der Auslösung des Dreißigjährigen Krieges eine unglückliche Rolle spielte, schlug 1617 die Rückbesinnung auf 1517 um in protestantischen Triumphalismus. Will man erfahren, warum es nach 1618 so schwierig war, den Konflikt zu beenden, dann bietet das Jubiläum von 1617 —————
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Vgl. Lehmann, Entstehung, 127‒158.
Das Reformationsjubiläum 2017
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reiches Anschauungsmaterial. 1648 waren es bezeichnenderweise Juristen, die einen Friedensvertrag zustande brachten, während Theologen auch dann noch Einwände erhoben. Kaum nötig anzufügen, dass die heutige konfessionelle Landschaft anders ist. Aber auch heute ist der Schritt von einer durchaus sinnvollen protestantischen Selbstvergewisserung hin zu einem selbstbezogenen Triumphalismus nicht sehr weit. In dem Programm, das die Reformationsbeauftragten der Universitäten Halle, Jena und Leipzig vor einiger Zeit für eine Tagung im August des Jahres 2017 vorgelegt haben, werden beispielsweise als „protestantische Paradigmen“ folgende Begriffe genannt: ‚Bildungsaffinität‘, ‚Individualität‘ und ‚Modernität‘, ‚Selbstreflexivität‘ und ‚Rationalität‘ sowie ‚Toleranz‘ und ‚Bekenntnis‘. Es geht in diesem Programm ganz offensichtlich darum, eine eindeutig positive protestantische Leistungsbilanz zu präsentieren. Der Protestantismus hat nach Ansicht der Reformationsbeauftragten der drei genannten Universitäten gewissermaßen die Kräfte des Fortschritts gepachtet und die Modernisierung von Staat und Gesellschaft vorangetrieben. Grautöne fehlen. Die Prozesse der Reform in der Katholischen Kirche werden ausgeblendet. Muss das so sein? Meines Erachtens könnte 2017 auch eine Gelegenheit sein, darüber nachzudenken, welche Rolle der Antikatholizismus und der Antisemitismus in der protestantischen Tradition spielten und immer noch spielen. Selbstkritik also statt Selbstlob. Das Hinterfragen der eigenen Vergangenheit also statt deren einseitige Verherrlichung. Auch das dritte Stichwort, das die Diskussion im Hinblick auf das bevorstehende Reformationsjubiläum beherrscht, ist nicht eigentlich neu. „Bei dem Reformationsjubiläum im Jahr 2017 handelt es sich um ein kirchliches und kulturgeschichtliches Ereignis von Weltrang“, so wörtlich zu finden in dem von CDU/CSU, SPD, FDP sowie Bündnis 90/Die Grünen getragenen Beschluss des Bundestages vom 6. Juli 2011, mit dem die finanzielle Unterstützung der Vorbereitungen auf 2017 durch den Bund gebilligt wurde. 3 Die Lutherdekade und das Reformationsjubiläum 2017 werden nicht nur ein nationales, sondern [ein] europäisches und internationales Ereignis sein, bei dem Deutschland historischer Ursprungsort der Reformation ist. Deutschland steht dabei im Mittelpunkt der internationalen Vernetzung. 4
Das gelte es im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik nachdrücklich zu betonen. 5 —————
Ein Ereignis von Weltrang. Anträge und Debatten im Deutschen Bundestag zur Lutherdekade und zum Reformationsjubiläum. 4 Ebd. 5 Vgl. Lehmann, Ereignis, 117–130. 3
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Hartmut Lehmann
Bei solchen Ausführungen fühle ich mich unwillkürlich an das Lutherjubiläum von 1883 erinnert. 6 Luther hätte den Weg zur deutschen Einigung unter preußischer Führung und somit zur politischen Größe des Deutschen Reichs im Jahre 1871 gebahnt, wurde damals vollmundig in tausenden Reden und Schriften verkündet; Bismarck sei der kongeniale Nachfolger Luthers; nur die Deutschen seien in der Lage, Luther richtig zu verstehen, so der Historiker Heinrich von Treitschke, dessen damalige Lutherrede zum Bestseller wurde. 7 Nur mit banger Sorge kann man im Rückblick diese selbstbewussten und zugleich naiven Formulierungen lesen. Denn je mehr die Deutschen damals ‚ihren‘ Luther lobten, desto suspekter wurde dessen Erbe den Angehörigen anderer Nationen und anderer Kulturen. Je mehr die Deutschen Luther als ihren exklusiven Besitz reklamierten, desto schwieriger wurde es für die Angehörigen anderer Nationen, sich unbefangen mit Luthers Erbe zu beschäftigen. Und je blinder die Deutschen sich 1883 unter Berufung auf Luthers Leistungen selbst in ein möglichst positives Licht zu rücken versuchten, desto weniger waren sie zu einer Politik der internationalen Verständigung fähig. Was also tun, um 2017 diese Gefahren zu vermeiden? Gibt es denn keine andere Art und Weise, 2017 an 1517 zu erinnern? Lassen Sie mich drei alternative Szenarien knapp skizzieren. Eine erste Möglichkeit bestünde darin, die Erinnerung an den Beginn der Reformation zusammen mit allen Mitgliedern der großen lutherischen Weltfamilie zu feiern. Machen wir uns klar: Am Beginn des 21. Jahrhunderts lebt die Mehrzahl der aktiven Lutheraner nicht mehr in Deutschland, auch nicht mehr in Schweden, Dänemark, Norwegen und Finnland, sondern in Ländern wie Namibia, Tansania, Äthiopien, Indonesien, Nigeria, Madagaskar, Papua-Neuguinea, Brasilien, Chile, Kanada und den Vereinigten Staaten. Gewiss: Nicht alle diese Lutheraner sind eines Sinns und manche mögen aus deutscher lutherischer Sicht gar keine ‚guten‘ Lutheraner sein. In Nordamerika sind nach einer Phase der Zusammenschlüsse in jüngster Zeit außerdem wieder gravierende Spaltungen zwischen einzelnen lutherischen Richtungen zu beobachten. Trotzdem: Gerade außerhalb von Europa sind viele lutherische Gemeinden derzeit lebendiger und aktiver als in den traditionell protestantischen Ländern. Dort wächst das Luthertum erfreulicherweise, während es hier schrumpft. Dort stößt die von Luther formulierte theologische Botschaft offensichtlich auf offene Ohren. Hier leeren sich in evangelischen Kirchen die Bänke. Als die Spitze der EKD (= Evangelische Kirche in Deutschland) vor einigen Jahren eine Reformationsbotschafterin ernannte, hatte ich die Hoff————— 6 7
Vgl. Lehmann, Reformationsjubiläum, 93–116. Ders., Lutherdeutung, 91–103.
Das Reformationsjubiläum 2017
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nung, diese Botschafterin würde nacheinander alle Länder der Welt, in denen es aktive lutherische Gemeinden gibt, besuchen und mit ihnen besprechen, wie sie 2017 mit in die Jubiläumsfeierlichkeiten einbezogen werden könnten. Soweit ich das den Zeitungen entnehmen konnte, war die Reformationsbotschafterin in den letzten Jahren zwar zu Besuch in den USA und beim Lutherischen Weltbund in Genf und auch im Nahen und im Fernen Osten. Von Bemühungen um eine umfassende Einbeziehung der außerdeutschen und außereuropäischen Lutheraner in das für 2017 geplante Geschehen – und zwar nicht als Touristen, sondern als aktive Mitgestalter – von solchen Bemühungen habe ich jedoch bisher noch nichts gelesen. Ich lasse mich in diesem Punkt aber gerne korrigieren. Konkret: Von gemeinsamen Feiern zwischen lutherischen Gemeinden in Deutschland und Europa auf der einen, und lutherischen Gemeinden in außereuropäischen Ländern auf der anderen Seite, könnten, so meine ich, spannende Impulse ausgehen. Nicht mehr lediglich Wittenberg und Berlin stünden dann im Zentrum. Gefeiert würde vielmehr an vielen Orten. Nicht mehr die deutschen Lutheraner beanspruchten die Initiative, geradezu das Monopol in Sachen Lutherfeiern. Gefeiert würde vielmehr von allen, die in Luthers Tradition stehen, gemeinsam. Lutheraner der unterschiedlichsten Couleur würden sich kennenlernen. Die Welt könnte staunend zur Kenntnis nehmen, wie reich, wie bunt und wie vital das Luthertum am Beginn des 21. Jahrhunderts ist. Auch mir ist klar, dass es inzwischen kaum noch möglich sein dürfte, Partnerschaften zwischen allen oder doch den meisten lutherischen Gemeinden aus dem globalen Norden und dem globalen Süden aufzubauen. Noch ist es aber nicht zu spät, um die heute bereits bestehenden Partnerschaften im Hinblick auf 2017 zu aktivieren. Gelänge dies, würde das öffentliche und politische Interesse 2017 nicht mehr primär finanzkräftigen Luthertouristen gelten, sondern den Begegnungen zwischen lutherischen Gemeinden aus verschiedenen Kontinenten. Den eigentlichen Kern der Lutherfeiern 2017 würden dann nicht die vom Fernsehen übertragenen Großveranstaltungen in Wittenberg und Berlin bilden, sondern lokale Feiern hier und draußen in der Welt. Wenn man sich wünscht, dass das große Lutherjubiläum 2017 in allen Gemeinden ankommt und gerade dort gefeiert wird, bietet dieser Vorschlag deshalb vielfältige Möglichkeiten. Ich bin sicher, dass der Lutherische Weltbund entsprechende Bemühungen sehr begrüßen und unterstützen würde. Im Zentrum meines zweiten Vorschlags steht eine Einbeziehung der höchst unterschiedlichen Kirchen, die aus der von Martin Luther begonnenen Reformbewegung sukzessive hervorgegangen sind, in die Planungen für 2017. Stellvertretend nenne ich zunächst die Reformierten sowie die Methodisten und Baptisten. Am deutlichsten äußern bisher die Reformier-
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Hartmut Lehmann
ten ein genuines eigenes Interesse an den Feierlichkeiten von 2017. Vor mehreren Jahren haben sie unter dem Titel „Refo 500“ mit Blick auf 2017 eine eigene Initiative gestartet. Schon der Titel der ersten Tagung, die von „Refo 500“ veranstaltet wurde und deren Ergebnisse jetzt in Buchform vorliegen, war mehr als deutlich. Dieser Titel lautete: „Wem gehört die Reformation?“ 8 Diese Frage nahm die Antwort vorweg: Die Erinnerung an 2017 gehört nach Ansicht der Reformierten eben nicht nur den Lutheranern, sondern allen Protestanten, allen Kindern der Reformation, den ‚braven‘ und den ‚widerborstigen‘; in jedem Fall auch jenen, die selbstbewusst ihren eigenen Weg gehen. Es ist hier nicht möglich, die komplexe Geschichte der unterschiedlichen protestantischen Richtungen, Gruppierungen und Kirchen seit dem 16. Jahrhundert darzulegen. Manche dieser Protestanten waren jahrhundertelang unterdrückt und führten eine mehr oder weniger kümmerliche Existenz im Untergrund. Andere überlebten teils in der Diaspora, teils im Exil, ehe sie sich seit dem späten 17. Jahrhundert in Ländern außerhalb von Europa, vor allem in Nordamerika, entfalten konnten. Viele von ihnen, ich nenne nur die Mennoniten, die Quäker und die Adventisten, verstehen sich seit vielen Jahrzehnten aber als Weltkirchen auf einer Augenhöhe mit den Lutheranern und sind auf allen Kontinenten präsent. Was für die Nordkirche 9 im Hinblick auf 2017 interessant sein könnte, ist die Tatsache, dass viele dieser protestantischen Gruppierungen und Kirchen in unseren Städten und Dörfern seit vielen Jahrzehnten eigene Gemeinden besitzen. Was liegt also näher, als 2017 gemeinsam an die Anfänge der protestantischen Reformbewegung 1517 zu erinnern? Der Reiz dieses zweiten Vorschlags liegt also auch darin, dass er viele Möglichkeiten für eine Verwirklichung von Gemeinschaft in einem lokalen Rahmen bietet. Dafür, dass alle Protestanten 2017 gemeinsam erinnern und feiern können, hat der Lutherische Weltbund eine wichtige Voraussetzung geschaffen. Denn auf ihrer 11. Vollversammlung im Jahre 2010 in Stuttgart entschuldigten sich die Vertreter des Lutherischen Weltbundes offiziell und in aller Form bei der Mennonitischen Weltkonferenz für all das Unrecht, das im Laufe der Jahrhunderte den Mennoniten von den Lutheranern angetan worden ist. Die lutherischen Delegierten äußerten dabei ihr tiefes Bedauern und ihren Schmerz über die Verfolgung der Täufer durch lutherische Obrigkeiten und besonders, dass lutherische Reformatoren diese Verfolgung theologisch unterstützt haben. Bewegt nahmen die Vertreter der Mennoniten diese Worte zur Kenntnis. ————— 8 9
Frank/Leppin/Selderhuis, Reformation. Kurzform für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland.
Das Reformationsjubiläum 2017
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Wie könnte dieser Vorschlag, dass 2017 alle Kinder der Reformation gemeinsam an die Anfänge 1517 erinnern, aber umgesetzt werden? Wichtig scheint mir, dass im Rahmen der ACK (= Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen) sowie aufgrund der jährlichen Allianz-Gebetsgottesdienste an einigen Orten bereits gute Beziehungen zwischen den unterschiedlichen protestantischen Kirchen bestehen. Wenn ich mich nicht täusche, leben die landeskirchlichen Gemeinden und die freikirchlichen Gemeinden an nicht wenigen Orten nebeneinander, wenn nicht gar Rücken an Rücken. 2017 könnte eine gute Gelegenheit sein, um dies zu ändern. Man kann fragen, warum in solchen Begegnungen ein besonderer Reiz liegen könnte. Meine Antwort: In Zeiten der progressiven Säkularisierung speziell in Deutschland sollten diejenigen, denen die christliche Tradition noch etwas bedeutet, näher zusammenrücken. Ferner: In Zeiten der Globalisierung sollte sich der Blick vom Lokalen in die weite Welt richten und dann wieder zurück ins Lokale nach dem Motto: Global verantwortlich sein und lokal handeln. Schließlich: In einer Zeit der extremen Fragmentierung des Christentums sollte die geschwisterliche Liebe besonders gepflegt werden. Mein dritter Vorschlag, wie man dem Reformationsjubiläum von 2017 einen besonderen Sinn verleihen könnte, bezieht sich auf die nach wie vor nur teilweise geglückte Annäherung zwischen den beiden großen Konfessionen in Deutschland. Worum geht es mir in diesem Punkt? Nach Ausrufung der Lutherdekade entwickelte sich zunächst kein konstruktives Gespräch zwischen den in der EKD zusammengeschlossenen lutherischen und unierten Kirchen auf der einen Seite und der Katholischen Kirche auf der anderen Seite. Während die EKD seit 2008 ein großes Fest für 2017 plante, war von katholischer Seite zunächst zu hören, es sei aus ihrer Sicht unmöglich, die Kirchenspaltung zu feiern. Es gelte, auch an die Opfer der Religionskriege zu denken. Kurzum, man könne sich nur vorstellen, sich an einem Reformationsgedenken zu beteiligen, nicht aber an einem Reformationsjubiläum. Während von evangelischer Seite immer wieder auf den Thesenanschlag und auf Luther als den wegweisenden Reformator hingewiesen wurde, orientierte sich die katholische Seite an den Forschungen von Erwin Iserloh. 10 Dieser hatte schon vor mehreren Jahrzehnten dargelegt, dass Luther die Thesen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht an die Tür der Wittenberger Schlosskirche angeschlagen, sondern an seine kirchlichen Oberen mit der Bitte um Prüfung geschickt hatte, kurzum, dass Luther im Herbst des Jahres 1517 nicht als protestantischer Reformator, gar als Rebell 11, anzusehen sei, sondern zwar als kritisch nachfragender Theologe, aber als ————— 10 11
Wolff, Iserloh. Vgl. Schilling, Rebell.
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Hartmut Lehmann
ein in seiner Kirche fest verwurzelter Reformkatholik. Das war lange Zeit der Stand der Dinge. Die Protestanten sprachen von einem Reformationsoder einem Lutherjubiläum, die Katholiken von einem bevorstehenden Reformationsgedenken. Seit über zwei Jahren liegt nun eine gemeinsame Stellungnahme des Lutherischen Weltbundes und des Einheitsrates der Katholischen Kirche vor, die im Hinblick auf eine ökumenische Gestaltung des Reformationsgedenkens neue Akzente setzt. Dieses bemerkenswerte Dokument trägt den Titel „Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Gemeinsames lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017“ 12 (englisch: „From Conflict to Communion“ 13). Es wird darin betont, dass beide Seiten sich 2017 an 1517 in dem Willen erinnern sollten, das, was sie trennt, zu überwinden und das, was sie eint, zu betonen. Es gelte einander zuzuhören im Blick auf die Bedeutung der Ereignisse von 1517 für die jeweils andere Seite. Man solle den Mut aufbringen, sich auch mit den Konflikten der Reformationsgeschichte zu beschäftigen. Zwei Schwerpunkte prägen diese bemerkenswerte Stellungnahme. Zum einen werden die Vorgeschichte der Ereignisse von 1517 sowie die frühe Reformationsgeschichte Schritt für Schritt rekapituliert. Das späte Mittelalter sei keine Zeit des fehlenden Glaubens gewesen, wird beispielsweise betont. Die Punkte, an denen Luther sich gegen die alte Kirche positionierte, werden ebenso herausgearbeitet wie die diversen Markierungen, die Rom gegen ihn setzte. Des Weiteren wird die lutherische Theologie im Hinblick auf Gemeinsamkeiten und Differenzen mit der katholischen Seite befragt, und zwar mit der katholischen Theologie, so wie diese sich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil darstellt. Ich hätte mich gefreut, wenn die Autoren dieses Dokuments noch stärker auch auf einige andere Aspekte eingegangen wären. So wird beispielsweise Luthers Position im Herbst 1517 nur sehr vorsichtig beschrieben. Ja, er habe die Thesen als Beilage zu den Briefen an seine kirchlichen Oberen versandt, heißt es; ja, er habe diese möglicherweise auch an die Tür der Wittenberger Schlosskirche angeschlagen, weil er in Wittenberg eine Disputation über die Thesen führen wollte. Diese Formulierungen klingen so, als ob die katholischen Mitglieder der Kommission der evangelischen Seite deren liebgewordene Vorstellung vom Thesenanschlag nicht absprechen wollten. Man begreift den Luther des Jahres 1517 aber nur, wenn man anerkennt und würdigt, dass er ein loyales Glied seiner Kirche war, erfüllt von der Sorge, der Dominikaner Tetzel könne mit seinem Ablassverkauf dem —————
12 Vgl. Lutherischer Weltbund/Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen (Hg.), Konflikt. 13 Vgl. dies., Conflict.
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Seelenheil von braven Kirchengliedern schaden. Weder im Herbst 1517 noch irgendwann später fand in Wittenberg im Übrigen eine Disputation über die 95 Thesen statt, und Luther hat eine solche auch nie angemahnt. Außerdem fehlen jedwede Beweise dafür, dass es am 31. Oktober 1517 bereits einen ersten Druck der Thesen gegeben hätte, oder dass eine noch so konzise handschriftliche Ausführung des durchaus langen Textes der 95 Thesen überhaupt an die Schlosskirchentür gepasst hätte. Als Professor an der Universität Wittenberg und als Distriktsvikar in seinem Orden war Luther überdies geschäftserfahren. Er wusste, wie man vorgehen muss, wenn man etwas erreichen will. Ein demonstrativer Akt ist da meistens kontraproduktiv. Dass Luther mit seinem diskreten Vorgehen am Ende auch nichts erreichte, bedeutet jedoch nicht, dass er bereits im Oktober 1517 den demonstrativen Bruch mit seiner Kirche anstrebte. Mit anderen Worten: Der Luther vom Herbst 1517 war, wie bereits betont, ein vielleicht energischer, zugleich aber durchaus loyaler Reformkatholik. Erst im Laufe des Jahres 1518 formulierte er die theologischen Positionen, die ihn Schritt für Schritt von Rom trennten. In den 95 Thesen äußerte er jedoch theologische Argumente, auf die sich beide Seiten, Protestanten wie Katholiken, heute durchaus berufen können und die beide Seiten sehr wohl miteinander verbinden. Eine gemischt evangelisch-katholische Kommission mit Experten aus Paderborn und Straßburg bereitet derzeit eine kommentierte Edition der 95 Thesen vor, die 2017 vorliegen soll. Soweit mir das bekannt ist, gibt es dabei keinerlei wissenschaftlichen Streit. Noch einmal zurück zu dem Text „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“. Auf die lange Geschichte der konfessionellen Konflikte und der daraus resultierenden Kirchenspaltung wird in diesem Dokument viel zu knapp hingewiesen. Deshalb wird das ganze Ausmaß der gegenseitigen Verletzungen und Verleumdungen nicht deutlich. Denn mit dogmatischen Abgrenzungen im Zuge der Konfessionalisierung war es nicht getan. Es folgte vielmehr schon relativ früh die Verteufelung der jeweils anderen Seite. Im katholischen Milieu galten Protestanten als charakterlos, unzuverlässig, unmoralisch. Im protestantischen Milieu waren entsprechende Vorurteile und Ressentiments gegenüber Katholiken üblich. Während viele Protestanten Luther folgend im Papst den Antichristen vermuteten, galt guten Katholiken, die der Darstellung von Cochläus glaubten, Luther als Psychopath. Gewiss: Im Zeichen der Aufklärung ging die konfessionelle Polemik im 18. Jahrhundert ebenso etwas zurück wie im 20. Jahrhundert im Zeichen einer gemeinsamen Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus. Zwischen dem 18. und dem 20. Jahrhundert erreichte der konfessionelle Hass aber erneut traurige Höhepunkte, so dass diese Periode von Historikern zurecht als Phase einer zweiten Konfessionalisierung bezeichnet wird.
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Ich möchte an dieser Stelle noch etwas weiter ausholen. Wir alle wissen, welchen schweren moralischen, politischen und humanitären Schaden die Apartheid in Südafrika angerichtet hat. Mir erscheint es deshalb nicht falsch, die strikte konfessionelle Abschottung in Deutschland und einigen anderen Ländern seit der Mitte des 16. Jahrhunderts als eine Art von konfessioneller Apartheid zu bezeichnen. Daraus kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass, um die schlimmsten Schäden der jahrhundertelangen konfessionellen Streitereien zu überwinden, es sich auch, aber nicht nur in Deutschland lohnen würde, im Hinblick auf 2017 wie im Südafrika der Nach-Apartheidzeit eine „Truth and Reconciliation Commission“, eine Wahrheits- und Versöhnungskommission, einzusetzen mit dem einen Ziel: die ganze Wahrheit der konfessionellen Konfliktgeschichte auf den Tisch zu legen, damit eine wirkliche, tiefgreifende und dauernde Versöhnung im Geiste der Ökumene möglich wird. Denn nur wer die Leiden der Opfer tatsächlich kennt, kann um Verzeihung bitten. Dabei wären auf beiden Seiten viele Legendenbildungen zu hinterfragen und wohl vertraute eigene Positionen selbstkritisch zu prüfen. Eine Schwäche der Schrift „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ sehe ich auch darin, dass ausschließlich lutherisch-katholische beziehungsweise katholisch-lutherische Anliegen zur Sprache kommen, nicht aber Probleme, die speziell die Reformierten berühren oder gar andere Kirchen wie die Mennoniten, die Baptisten, die Quäker, die Methodisten und die Adventisten, die ihre je eigene Erinnerung an die Bedeutung und die langfristige Wirkung der Ereignisse von 1517 haben. Man sollte in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass die Verfolgung religiöser Dissidenten wie der Täufer bereits in den frühen 1520er Jahren einsetzte, und dass romtreue Christen und Lutheranhänger in diesem einen Punkt ausnahmsweise einer Meinung waren. Deshalb ist es auch bedauerlich, dass keine Vertreter der Freikirchen in den Wissenschaftlichen Beirat zur Lutherdekade berufen wurden. Nun mag man einwenden, Versöhnung sei ein langwieriger Prozess und erfordere viel Geduld. Ich entgegne: Nur wenn man die verschiedenen Seiten frühzeitig miteinander ins Gespräch bringt, kann die Hoffnung bestehen, dass sich am entscheidenden Tag – und das wäre in unserem Fall der 31. Oktober 2017 – alle Parteien versammeln und sich gemeinsam erinnern, sich gemeinsam um Versöhnung bemühen, ja auch gemeinsam danken, weil von Martin Luther 1517 und in den folgenden Jahren langfristige, irreversible Reformen angestoßen wurden, und weil die Katholische Kirche spätestens mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in einen überaus eindrucksvollen Reformprozess eingetreten ist. In die zweite Hälfte der Lutherdekade, also in die Jahre seit 2013, fallen eine Reihe weiterer Ereignisse, auf die ich kurz eingehen möchte, ehe ich
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zusammenfassen kann. Zunächst gilt es auf die von der EKD im Jahre 2014 publizierte und seither in hoher Auflage verbreitete Schrift „Rechtfertigung und Freiheit“ hinzuweisen. 14 Diese Schrift wird als ‚Grundlagentext‘ für das Reformationsjubiläum 2017 bezeichnet. In seinem Vorwort stellt der damalige Ratspräsident Nikolaus Schneider fest: „Es wäre deshalb verfehlt, das Datum nur als Gedenken an die verlorene Einheit zu begehen. Wir wollen in der Freude über die geistlichen Gaben der Reformation das Jubiläum in ökumenischer Weite feiern.“ 15 Nach Schneider prägte die Reformation „das gesamte private und öffentliche Leben“ bis heute: Sie wirkte als Bildungsimpuls, trug zur Ausbildung der modernen Grundrechte von Religions- und Gewissensfreiheit bei, veränderte das Verhältnis von Kirche und Staat, hatte Anteil an der Entstehung des neuzeitlichen Freiheitsbegriffs und des modernen Demokratieverständnisses – um nur einige Beispiele zu nennen. 16
Die Reformation sei, so Schneider, „für jede Generation“ eine „offene Lerngeschichte“. Heute gehe es „um die Bedeutung der reformatorischen Rechtfertigungslehre und Freiheitserfahrung in einer Zeit verstärkter gesellschaftlicher Umbrüche“. 17 Damit nennt Schneider die beiden Themen, die in der Schrift ausführlich behandelt werden und die in der Folge auf scharfe Kritik stießen. Was die Rechtfertigungslehre angeht, so monierten nicht nur katholische Kritiker, dass in der Schrift „Rechtfertigung und Freiheit“ die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999 nicht erwähnt wird. Dadurch wird ein wichtiger Schritt auf dem Weg der ökumenischen Verständigung übergangen und der Eindruck erzeugt, die EKD sei nach wie vor allein im Besitz der einzig wahren Auslegung der Theologie der Rechtfertigung. Ebenso stieß die Art und Weise, wie die Autoren dieser Schrift das Thema Freiheit behandelten, auf Kritik. Denn auch der Weg der Deutschen hin zur Freiheit wird für Luther und seine Erben reklamiert. Kein Wort von den absolutistisch regierten deutschen Territorialstaaten der Frühen Neuzeit, in denen religiöse Nonkonformisten drangsaliert und diskriminiert wurden; kein Wort von der Ablehnung der Weimarer Republik durch die überwiegende Mehrheit der deutschen Protestanten; kein Wort von deren Begeisterung für Hitlers Drittes Reich; kein Wort von den Verdiensten der Katholiken für die Demokratie in Deutschland. 18 Zunächst schien es, als seien durch diese Schrift alle Wege hin zu einem ökumenischen Gedenken 2017 ————— 14 15
16 17 18
Vgl. EKD, Rechtfertigung. Ebd., 9. Ebd. Ebd. Vgl. Lehmann, Toleranz, 76–80.
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verbaut. Doch das ist erfreulicherweise noch nicht das Ende dieser Geschichte. Denn der neue Ratspräsident der EKD, Professor Dr. Heinrich BedfordStrohm hat sich seit seiner Wahl zusammen mit dem Vorsitzenden der Katholischen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, in den letzten zwei Jahren bemüht, die katholische Seite doch noch in die für 2017 geplanten Festivitäten einzubeziehen. Lassen Sie mich diesbezüglich zwei besonders interessante Initiativen erwähnen: Zum einen den gemeinsamen katholisch-evangelischen Versöhnungs-Gottesdienst mit dem Motto „Healing of Memories“ 19; zum anderen eine gemeinsame Pilgerreise der Spitzen von beiden großen Kirchen nach Jerusalem, dorthin also, wo das Christentum seinen Anfang nahm. „Healing of Memories“ impliziert die Bitte um Vergebung und das Wissen um die eigene Schuld. Der gemeinsame Gottesdienst soll im März 2017 in Hildesheim stattfinden. Die Organisatoren regen an, dass sich auch einzelne Gemeinden unter dem Motto „Healing of Memories“ zusammenfinden können. Ich brauche wohl kaum anzufügen, dass dieser Vorschlag vorzüglich für lokale Initiativen geeignet ist. Es ließen sich, so scheint mir, unschwer weitere lokale ökumenische Initiativen denken. Jugendliche aus benachbarten evangelischen und katholischen Gemeinden könnten gemeinsam erforschen, welche konfessionellen Vorurteile es in ihrer Stadt oder in ihrem Dorf gegeben hat – oder immer noch gibt. Sie könnten konfessionsverschiedene Ehepaare befragen, mit welchen Problemen sie in ihrer Ehe aufgrund dieser Differenz im Laufe der Jahre zu tun hatten, beginnend mit der Trauung und weiter bei der Taufe und Erziehung der Kinder. Schließlich: Gruppen aus benachbarten evangelischen und katholischen Gemeinden könnten gemeinsam die Schrift „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ lesen und diskutieren. Sie könnten sich gemeinsam mit der Geschichte des zunächst gehorsamen und später unbotmäßigen Augustinermönchs Martin Luther beschäftigen, der sich mit Missständen in seiner Kirche nicht abfinden wollte, der mit seinen Vorschlägen auf Widerstand stieß, und der dann einen eigenen Weg suchte. Dadurch würden sie etwas über die Chancen und die Grenzen von kirchlichen Reformvorhaben erfahren. In einer Phase der progressiven Säkularisierung könnten solche Konfessionsgrenzen kritisch reflektierenden und Konfessionsvorurteile überwindenden Projekte den Anstoß zu einer gründlichen Beschäftigung mit der christlichen Tradition in unserem Lande geben. Damit kann ich zusammenfassen. Wie vielen von Ihnen bekannt sein wird, hat die EKD die Planungen für das Festprogramm des nächsten Jahres weitgehend abgeschlossen. Die EKD wird das Reformationsjubiläum zu————— 19
Vgl. dazu die Publikation: DBK/EKD, Erinnerung.
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sammen mit dem Evangelischen Kirchentag feiern. Im Mai des nächsten Jahres sollen in sechs mitteldeutschen Städten regionale Kirchentage stattfinden, deren Teilnehmer sich zu dem einen großen Kirchentag in Wittenberg versammeln. Dort wird am 28. Mai 2017 der Festgottesdienst abgehalten. Wittenberg ist auch der Ort, an dem unter dem Motto „Tore der Freiheit“ eine Serie von Installationen und Veranstaltungen zu sehen sein wird sowie eine der vier großen nationalen Ausstellungen. Es soll in Wittenberg viel gesungen, getanzt und gejubelt werden. Vielfalt wird also das Motto sein. Es soll Freude herrschen. Ganz offensichtlich passt nicht alles, was geplant wird und was wir im nächsten Jahr erleben können, zusammen. 20 Die „Tore der Freiheit“ sind Zeugnis eines eher naiven protestantischen Triumphalismus, der für sich in Anspruch nimmt, aus der Geschichte gelernt zu haben. Der Gottesdienst „Healing of Memories“ zeugt dagegen von Nachdenklichkeit und dem Willen, die ökumenische Gemeinschaft zu fördern. Nicht weiter kommentieren will ich, dass der Festgottesdienst bereits am 28. Mai stattfinden soll und nicht an dem Tag, den wir seit Kindestagen als den Beginn der Reformation erinnern, am 31. Oktober. Wichtiger wäre mir, dass die Erinnerung an 1517 und an die Folgen des von Martin Luther mit seinen 95 Thesen in Gang gesetzten Reformprozesses nicht allein an einigen wenigen zentralen Orten wachgerufen wird, sondern dass dies in möglichst vielen Gemeinden auf unterschiedliche Weise geschieht. So würde ich mir wünschen, dass in jeder Gemeinde ein innovatives Projekt verwirklicht wird, das die vielfältigen internationalen und ökumenischen Dimensionen des Transformationsprozesses widerspiegelt, der vor 500 Jahren begonnen hat – hier dies, da jenes, und dort noch einmal etwas anderes. Das Luthergedächtnis von 2017 würde auf diese Weise nicht eine Angelegenheit der kirchlichen Hierarchie sein, sondern eine Sache der Gemeinden, möglichst vieler Gemeinden. Darin sehe ich die eigentliche Herausforderung des Jubiläums von 2017 und zugleich die Chance, die es bietet. Noch ein letztes Wort. Mit dem Beschluss, sich unzweideutig von den bösartigen Judenschriften des alten Luther zu distanzieren, hat die Synode der EKD im vergangenen November ein Hindernis aus dem Weg geschafft, das es vielen Protestanten schwer gemacht hätte, sich mit Dank an Luther zu erinnern. Denn wir sollten nicht vergessen, dass sich die deutschen Antisemiten seit dem 19. Jahrhundert auf Luther als Kronzeugen beriefen und teilweise immer noch berufen. Unverzeihlich ist zudem, dass die Deutschen Christen mit dem Hinweis auf Luther die nationalsozialistische Politik der —————
So besteht offensichtlich eine gewisse Diskrepanz zwischen den Planungen, die noch aus der ersten Phase der Lutherdekade (2008–2013) stammen, und den Projekten aus der zweiten Phase (seit 2013). 20
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Hartmut Lehmann
Ausgrenzung der deutschen Juden und der anschließenden Vernichtung unterstützten. „Als offene Lerngeschichte ist die Reformation für jede Generation Gestaltungsaufgabe“. Ich habe dieses Wort von Nikolaus Schneider bereits zitiert. Im Fall des Lutherschen Antisemitismus haben die EKD und ihre Gremien tatsächlich aus der Geschichte gelernt und versucht, einen möglichen Konflikt zwischen der für die Deutschen notwendigen Erinnerung an den Holocaust und der für sie ebenso notwendigen Erinnerung an den Beginn der Reformation zu vermeiden. Damit sind sie der vielleicht schwierigsten Herausforderung gerecht geworden, die die Erinnerung an Luther impliziert, und damit haben sie die Chance gewahrt, dass das Luthergedenken 2017 angemessen gefeiert werden kann.
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Quellen und Literatur FRANK, GÜNTER/LEPPIN, VOLKER/SELDERHUIS, HERMAN J. (Hg.), Wem gehört die Reformation? Nationale und konfessionelle Dispositionen der Reformationsdeutung, Freiburg im Breisgau 2013. LEHMANN, Hartmut, Er ist wir selber. Der ewige Deutsche. Zur langanhaltenden Wirkung der Lutherdeutung von Heinrich von Treitschke, in: G. Krumeich/H. Lehmann (Hg.), Gott mit uns. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Göttingen 2000, 91–103. ‒ Zur Entstehung der 15 Thesen über Martin Luther für die Luther-Ehrung der DDR im Jahre 1983, in: ders. (Hg.), Protestantisches Christentum im Prozeß der Säkularisierung, Göttingen 2001, 127–158. ‒ Das Reformationsjubiläum 1883, in: J. Becker (Hg.), Luthers bleibende Bedeutung. Husum 1983, 93–116 [auch in: LEHMANN, HARTMUT, Luthergedächtnis 1817 bis 2017, Göttingen 2012, 59–77]. ‒ Ein Ereignis von Weltrang. Anträge und Debatten zur Lutherdekade und zum Reformationsjubiläum im Deutschen Bundestag 2008 bis 2011, in: Chrétiens et Societés 23, 2016, 117–130. ‒ 1517–2017: Steiniger Weg hin zu politischer und gesellschaftlicher Toleranz, in: K. Abmeier (Hg.), Politik im Zeichen der Reformation – Der lange Schatten von 1517. St. Augustin/Berlin 2017, 76–80. SCHILLING, HEINZ, Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs, München 2012. WOLFF, UWE, Iserloh: Der Thesenanschlag fand nicht statt, Basel 2013. Kirchenamt der EKD (Hg.), Rechtfertigung und Freiheit, 500 Jahre Reformation, Gütersloh 2014. Lutherischer Weltbund/Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen (Hg.), Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Gemeinsames lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017, Leipzig/Paderborn 2013. ‒ From Conflict to Communion. Lutheran-Catholic Common Commemoration of the Reformation in 2017, Leipzig/Paderborn 2013. DBK/EKD (Hg.), Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen. Ein gemeinsames Wort zum Jahr 2017, Hannover 2016.
Jörg Ansorge
pelgrimmatze in de ere des almechteghen godes Pilgerzeichen und Schriftquellen zum mittelalterlichen Wallfahrtswesen in Rostock
Pilgerzeichen aus Blei-Zinn-Legierungen galten im Mittelalter als Belege einer erfolgreich durchgeführten Wallfahrt und als kostbare Mitbringsel dieser oft weiten und teilweise gefährlichen Reisen. Anlass für Wallfahrten waren insbesondere das Streben nach dem Seelenheil, die Gewinnung von Ablass, die Bitte um Heilung von Krankheiten und allen Übeln der Zeit. Viele Pilger waren auch im testamentarischen Auftrag Verstorbener unterwegs, um für deren Seelenheil zu beten und Opfergaben an den Wallfahrtsorten zu überbringen. Die Verurteilung zu Strafwallfahrten verhängten Gerichte zur Sühne von Totschlagsverbrechen, zumeist verbunden mit erheblichen Zahlungen an die Hinterbliebenen aber auch wegen scheinbar trivialer Vergehen wie Ruhestörung und Zänkerei. 1 Wallfahrten entwickelten sich regelmäßig zu Massenbewegungen von Gläubigen und religiösen Eiferern. Besonders in den „Heiligen Jahren“ und den Jahren der öffentlichen Heiltumsweisungen begaben sich hunderttausende Menschen auf Pilgerschaft. Waren in den Anfängen des Wallfahrtswesens vor allem die drei wichtigsten Heiligen Stätten der Christenheit, Jerusalem, Rom und Santiago de Compostela, Ziele von Fernwallfahrten, entstanden ab dem 13. Jahrhundert auch im Heiligen Römischen Reich Wallfahrtsorte, zuerst an den Orten der Aufbewahrung bedeutender Reliquien an Rhein und Maas (Aachen, Köln und Maastricht). Neben der Verehrung der Reliquien zogen ab dem 14. Jahrhundert auch Orte, an denen sich eucharistische beziehungsweise Heilig-Blut-Wunder ereigneten, Pilger in großen Scharen an. Bedeutend für Norddeutschland waren besonders Güstrow (1330), Wilsnack (1383) und Sternberg (1492). Im Lauf des Spätmittelalters nahm die Dichte der Wallfahrtsorte in allen Teilen des Reiches zu, manche verloren nach einer kurzen Blütezeit bald wieder ihre überregionale Bedeutung, andere büßten ihre Attraktivität bis zur Reformation nicht ein. Mit einem gewissen Nachklang erloschen alle Wallfahrten in den evangelisch-reformierten Gebieten Europas. Diese Veränderungen beeinflussten aber auch das katholische Wall————— 1
Vgl. Carlen, Wallfahrt und Recht, 74.
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Jörg Ansorge
fahrtswesen insofern, als zumindest keine Pilgerzeichen in Form von BleiZinn-Güssen mehr verkauft wurden. Diese mittelalterliche Bilderwelt verschwand, bis auf wenige Ausnahmen im Alpenraum (unter anderem Mariazell, Einsiedeln), völlig und wurde durch andere Devotionalien (unter anderem Drucke und geprägte Wallfahrtsmedaillen) ersetzt. Außer den überregional attraktiven Wallfahrtsorten gab es auch in Mecklenburg mit Güstrow, Schwerin, Tempzin, Eichsen und Sternberg Wallfahrtsorte, an denen Pilgerzeichen ausgegeben wurden. Im östlich angrenzenden Pommern lag in Kenz bei Barth ein bekanntes Marienheiligtum, dessen Bedeutung vom hinterpommerschen Gollenberg bei Köslin noch weit übertroffen wurde. Über die Wallfahrt zur Marienkapelle an der Jakobikirche in Greifswald ist nur wenig bekannt. In Bodstedt bei Barth verehrte man in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts den Heiligen Theobaldus als Nothelfer der Seefahrer, ein Heiligblut-Wunder in Wusseken bei Köslin zog seit Beginn des 15. Jahrhunderts Pilger an. 2 Im Westen war das Brigittenkloster in Marienwohlde bei Mölln ein Wallfahrtsort, dessen Pilgerzeichen erst kürzlich identifiziert wurden, 3 sicher auch ein Ziel für mecklenburgische Pilger. In der brandenburgischen Prignitz entstanden im Umfeld Wilsnacks im 15. Jahrhundert Wallfahrten nach Perleberg, Alt Krüssow, Heiligengrabe und Lenzen. 4 Als erstes Massenmedium, noch vor dem Buchdruck, berichten die Pilgerzeichen von den am Wallfahrtsort verehrten Heiligen oder deren Reliquien, oder sie erzählen die Geschichte wundertätiger Ereignisse, die zur Entstehung der Wallfahrt führten. Über die Ziele der Reisen geben uns nicht nur schriftliche Quellen wie Urkunden, Stadt- und Rechnungsbücher, bürgerliche Testamente und frühe Drucke Auskunft, sondern auch die Pilgerzeichen selbst, die, auf Kirchenglocken und Bronzetaufen abgegossen oder im Boden verborgen, die Jahrhunderte überdauerten. In der archäologischen Forschung gehören Pilgerzeichen zu den seltenen Funden, da die Blei-Zinn-Legierungen über die Jahrhunderte nicht sonderlich stabil sind. In Feuchtböden, unter Luftabschluss, haben sie sich dagegen hervorragend erhalten und können bei archäologischen Untersuchungen entsprechender Schichten durch den Einsatz von Metalldetektoren aufgespürt werden. Pilgerzeichen sind in vielen Fällen die einzigen Zeugnisse mittelalterlicher Wallfahrten, deren bauliche und schriftliche Zeugnisse sowie auch die mündliche Überlieferung nach der Reformation verloren gingen oder in Vergessenheit gerieten. ————— 2 3 4
Vgl. Ansorge, Mecklenburg-Vorpommern. Vgl. Kühne/Ansorge, Stade, 37–41. Vgl. Kühne, Spätmittelalterliche.
pelgrimmatze in de ere des almechteghen godes
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Als Beitrag zur Kenntnis des mittelalterlichen Wallfahrtswesens, und damit auch des religiösen Lebens im südlichen Ostseeraum, soll hier den Quellen und Realien am Beispiel der Hansestadt Rostock nachgegangen werden.
Bürgertestamente und andere Rostocker Quellen Die umfassendste Kenntnis der von Pilgern aus den Hansestädten des südwestlichen Ostseeraumes besuchten Wallfahrtsorte erhalten wir aus den mittelalterlichen Testamenten Lübecker und Stralsunder Bürger. Nach Auswertung von etwa 6.000 Lübecker Testamenten durch Jakob von Melle, 5 Norbert Ohler 6 und Heinrich Dormeier 7 konnten 1.865 Pilgerreisen zu 70 Wallfahrtsorten belegt werden. Die 1.017 Stralsunder Testamente mit 385 Pilgerfahrten berichten von 34 Wallfahrtsorten, die zumeist mit den Zielen Lübecker Bürger übereinstimmten (im Folgenden fett hervorgehoben). Nur in Stralsunder Testamenten werden Bari, Stromberg, Alt Krüssow, Hardenberg (Jacobsberg) genannt, ebenso die pommerschen Gnadenorte Bodstedt, Demmin und Rakow. 8 Neben den drei Fernzielen Jerusalem, Rom und Santiago de Compostela, waren Aachen, Einsiedeln in der Schweiz, Thann im Elsass sowie Wilsnack die am häufigsten testamentarisch festgeschriebenen Wallfahrtsorte. Weniger genannt, mitunter auch nur einmal erwähnt, sind: Aardenburg, Ahrensbök, Avignon, Beverley, Blomberg, Bridlington, Canterbury, Düren, Eichsen, Elende, Finisterrae, Gollen, Gottsbüren, Güstrow, Hainholz (bei Hannover), Hamburg (Marienkapelle am Schartor), s’Hertogenbosch, Hildesheim, Hottenberg bei Freienwalde, Kenz, Köln, Königslutter, Kornelimünster, Löwen, Maastricht, Mariendal (Birgittenkloster bei Reval), Marienwohlde, Neuhausen (Vastseliina; Alt-Livland), Obernkirchen, Odilienberg, Oederquart, Osnabrück, Plön, Preußen, Ratzeburg, Riga, Rocamadour, Schleswig, Schwartau, Schwerin, St. Adrian bei Sluis, St. Hulpe bei Geismar, (Neu-) St. Jakob bei Stade (?), St. Josse-surMer, St. Nicolas-de-Port, St. Servatius in Selent, St. Severin „in Nordjütland“, Sternberg, t‘Aschen, Tempzin, Trier, Trondheim, Nikolausberg, Vadstena, Vanen, Verden, Vienne, Walsingham, Wardenburg bei Oldenburg und Zamora. ————— 5 6 7 8
Vgl. Melle, Itineribus. Vgl. Ohler, Seligkeit. Vgl. Dormeier, Pilgerfahrten. Vgl. Heyden, Wallfahrten; Bettin/Volksdorf, Bürgertestamente.
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Jörg Ansorge
Mit dieser Übersicht haben wir auch eine Vorstellung der von Rostocker Bürgern aufgesuchten Wallfahrtsorte, gleichwohl die testamentarische Überlieferung hier deutlich schlechter als in den anderen beiden Hansestädten ist. Die ältesten testamentarischen Verfügungen Rostocker Bürger, die aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammen, hatten Wallfahrten nach Livland zum Gegenstand, die zur Zeit der Kreuzzüge gegen die vermeintlich „aufständischen Heiden“, einer Wallfahrt ins Heilige Land gleichgestellt waren. 9 Zwischen 1254/56 und 1268 gibt es allein zehn entsprechende Einträge im ältesten Rostocker Stadtbuch (Tab. 1). 10 Inwieweit diese Wallfahrten auch eine Teilnahme an kriegerischen Auseinandersetzungen beinhalteten oder tatsächlich zu einer heiligen Maria in Livonia in remissionem peccatorum 11 erfolgten, wie testamentarische Einträge und die Inschrift eines livländischen Pilgerzeichens (SIGNUM S MARIE IN LIVONIA REMISSIONIS PECCATORVM) 12 belegen, konnte bisher nicht geklärt werden. Das livländische Zeichen, allgemein wird eine Ausgabe in Riga erwogen, folgt in seiner Ikonographie den Pilgerzeichen der insbesondere im 13. und 14. Jahrhundert beliebten Wallfahrt der Norddeutschen nach Rocamadour in Frankreich. Ungewöhnlich ist aber, dass kein Gnadenort genannt wird, sondern allgemein Maria, die Patronin des Deutschen Ordens in Livland. 13 Tabelle 1: Wallfahrten Rostocker Bürger nach Livland, nach dem ältesten Rostocker Stadtbuch Datum 1254–1256 um 1260 1261 1262 1266 1266 1267 1267 1268 1268
Personen Henricus de Horneshusen mit Frau und Sohn Conradus Carnifex Thidericus mit Frau Hadewigis Marquardus Hermannus de Kokenhusen Hartwicus de Nycopia mit Frau Walburgis Bernardus Sapiens Lubbertus in Nova Civitate Aleksander Marsialis senex Guleke
————— 9
Quelle RStB 14 I/1, S. 47, Nr. 149 RStB I/4, S. 92, Nr. 78 RStB I/4, S. 91, Nr. 71 RStB I/5, S. 95, Nr. 12 RStB I, S. 130, Nr. 312 RStB I, S. 130, Nr. 314 RStB I, S. 139, Nr. 418 RStB I, S. 139, Nr. 424 RStB I, S. 146, Nr. 504 RStB I, S. 148, Nr. 533
Vgl. Gąssowska, Riga, 150. Vgl. Thierfelder, Stadtbuch. 11 Thierfelder, Stadtbuch, 139, Nr. 424. 12 Funde aus Lübeck (Warncke, Pilgerzeichen; Wittstock, Kunst; ders., Lübeck), Gamla Lödöse (Schweden, Andersson, Pilgrimsmärken) und Wismar (Kaute, Wismar). 13 Vgl. die Diskussion bei Brumme, Wallfahrtswesen, 285f. 14 RStB = (hier wie im Folgenden) Rostocker Stadtbuch. 10
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Etwa zeitgleich mit dem Ende der Stadtbucheintragungen über Wallfahrten nach Livland setzt die Überlieferung der Bürgertestamente ein, die einerseits vor Antritt einer Pilgerfahrt des Testators aufgesetzt wurden, andererseits Dritte mit einer Wallfahrt nach dessen Ableben beauftragten. So erfahren wir aus dem Testament des Evert Woltorp aus dem Jahre 1378, dass jemand nach seinem Tode eine reyse pelgrimmatze […] in de ere des almechteghen godes, Marien, siner leuen moder, vnde vmme gnade vnde zalicheyt miner armen sele, vmme vrochten willen der kranckheyt der minslicken nature, antreten solle. 15 Diese Formulierungen, das Seelenheil betreffend, finden sich nahezu formelhaft in den meisten spätmittelalterlichen Testamenten. Neben dem Reiseziel wurden auch die dafür vorgesehenen Reisesummen und gegebenenfalls zu leistende Opfergaben spezifiziert (vgl. Tab. 2). Tabelle 2: Wallfahrtsbelege aus Rostocker Testamenten und Urkunden Datum 1261 um 1280 um 1280 um 1280 10.04.1317 24.04.1367 06.05.1378
Quelle MUB 2, Nr. 2680 MUB 25, Nr. 13775 MUB 25, Nr. 13776 MUB 25, Nr. 13777 MUB 6, Nr. 3889 MUB 16, Nr. 9625 MUB 19, Nr. 11108
————— 15
Testator Heinrich Windelen Sohn Hermann Gerhard von Laage Tiedemann von Essen Volmarus de Pomerio Johannes Wotzetzke Evert Woltorp
Ziel selbst: ad terram sanctam [Heiliges Land] selbst: ad terram sanctam selbst: ad terram sanctam selbst: ad terram sanctam selbst: reliquias sancti Jacobi in Conpostela verstarb auf der Wallfahrt ad beatum Ewaldum [Thann] selbst: sunte Olave tu Drunthem [Trondheim] im Todesfall stellvertretend: hilghen grave tu Yerhusalem (hundert lub. Mark) Aken (VI Mark) Gholme (III Mark) tween reysen tu dem Gholme (X Mark) wullen und barvot Rome (XXXV Mark) Rome (VI Mark zur Stiftung seines Bruders von XXIX Mark) sunte Clawus tu Olrickeshusen [Nikolausberg bei Göttingen] (III Mark)
MUB (= hier wie im Folgenden: Mecklenburgisches Urkundenbuch) 19, Nr. 11108.
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Jörg Ansorge
27.12.1389
MUB 21, Nr. 12154
Johann Hildebrand
Januar 1390
MUB 21, Nr. 12169
Gerhard Wulf
23.03.1390
MUB 21, Nr. 12188 MUB 21, Nr. 12223 MUB 23, Nr. 13029
Johann Dierkow
Januar 1400 13.01.1400
MUB 24, Nr. 13574 MUB 24, Nr. 13579
Andreas Nienhusen
März 1400
MUB 22, Nr. 12270 MUB 24, Nr. 13676
August 1390 Dezember 1396
24.08.1400
Matthias von Borken Nicolaus Glashagen
Johann Borghardi (rector ecclesie St. Petri in Rostock) Hermannus Koryn Bertold von Minden
selbst: to hilleghen steden, Hildebrandus rotifex war im Heiligen Jahr 1390 in Rom MUB 21 12154n selbst: limina sanctorum (apostolorum Petri et Pauli) [Rom, Apostelgräber] selbst: Rome selbst: limina sanctorum selbst: sanctum domini sepulcrum [Jerusalem], kehrte nach 9 Monaten glücklich zurück selbst: limina sanctorum päpstlicher Dispens zur Umwandlung eines Wallfahrtsgelübdes nach Rom in eine Bauspende selbst: limina sanctorum stellvertretend (XVI Mark): Aken, Wilsinacke, Gholme
Da die mecklenburgischen Urkundenbestände des 15. Jahrhunderts bisher noch nicht gedruckt vorliegen, fallen die Informationen zu Wallfahrten in diesem Zeitraum entsprechend spärlich aus. 1455 stattete Heinrich Bekelin, Doktor der Rechte, Pfarrherr zu St. Marien und Professor an der Universität Rostock, die Brüder Hans und Mathias Heidenrik, seine Eingepfarrten, mit einem Empfehlungsbrief zu ihrer beabsichtigten Wallfahrt nach Rom und Santiago de Compostela aus. 16 Im Jahre 1501 wurde Gerlach Stoll, ein Mitglied der Rostocker Landfahrerkompagnie, neben Zahlungen an die Familie des beim Papageienschießen getöteten Dietrich van Swerte durch die Alterleute und Brüder zu Wallfahrten nach Aachen und Einsiedeln verurteilt, die er selbst auszuführen habe. 17 Nicolaus Gryse, evangelischer Prediger in Rostock, blickte 1593 nicht nur auf die Wallfahrten „zu Zeiten des Papsttums“ zurück, er gab vermutlich auch den einzigen Hinweis auf einen wallfahrtsmäßigen Besuch der Rostocker Marienkirche: ————— 16 17
Vgl. Lisch, Wallfahrtsbrief, 189. Vgl. ders., Landfahrer, 205.
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Ock de Walfarden na den H. Orden vnd Steden in Hispanien, na Compostelle, thor fensteren Sterne, in de Marcke na Wilßnack na dem H. Blode, im Landt tho Meckelenborch na Rostock tho vnser leuen Frowen, edder na Swerin edder Sterneberg na dem H. Blode. 18
Verehrt wurde in der Rostocker Marienkirche eine Pietà-Gruppe, die als Marien thor lating oder auch als Bilde der Losinge eres kindes Jesu Christi vanme Cruce bezeichnet wurde. 19 Bereits 1399 ist in einer Urkunde, die der Pfarrer von St. Marien, Henning Wacholt, mit den Kirchenstruktuaren über die zu erwartenden Opfergaben besiegelte, von Zeichen und Wundern die Rede. 20 Bezug nehmend auf diese Wunder, verlieh Papst Bonifatius IX. am 14. März 1400 der Kirche einen Ablass ad instar San Marco. 21 Der Inhalt des Ablasses wurde den Gläubigen auf zwei Inschriftentafeln an den Pfeilern der Kirche präsentiert. Zwei Steintafeln am Südportal versprachen den Spendern lxxii • werue • C • dage • / aflates vn(de) • lv • karenen. 22 Inwieweit sich hier eine überregional bekannte, mit der Ausgabe von Pilgerzeichen verbundene Wallfahrt entwickelte, bleibt vorerst offen.
Externe Quellen und frühe Drucke Außer den Rostocker Quellen berichten auch Aufzeichnungen und Mirakelbücher an den Wallfahrtsorten selbst über den Besuch aus nah und fern. Insbesondere verzeichnen sie Wunder wie Rettung aus Gefangenschaft oder Seenot sowie die Heilung verschiedenster Gebrechen. So verzeichnet das Mirakelbuch tomus miraculorum des Heiligen Theobaldus in Thann, ein von den Norddeutschen überaus häufig frequentierter Wallfahrtsort, 23 für das Jahr 1450 die Rettung des Heinrich Loesthin vsz der stat von Rostock aus Seenot. 24 Für das Jahr 1461 wird ein Heilungswunder für einen „Unsinningen“ aus Rostock bezeugt. 25 Im Brügger Itinerar, einem Wegweiser aus der Zeit um 1380, finden wir Rostock in die Küstenroute von Lübeck entlang der Hansestädte nach Danzig über die Wallfahrtsorte Kenz (Kense onser Vrauwen) und den Gollen (Cusselin onser vrouwe) eingebunden. 26 ————— 18 19 20 21 22 23 24 25 26
Gryse, Spegel, Bogen M; siehe auch Möhlmann, Sternberg, 71. Vgl. Skottki, Marienkirche, 26. Vgl. MUB 23, 13514, signorum et miraculorum. Vgl. MUB 24, 13612; Frankl, ad instar, 206. 72 x 100 Tage Ablass und 55 Karenen, vgl. Magin, Ablassinschriften, 7–17. Zusammenfassend für Norddeutschland vgl. Röpke, Thann. Vgl. Stoffel, Tomus, 99, Nr. 114. Vgl. Ebd., 115, Nr. 124. Vgl. Lelewel, Epilogue, 285.
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Mit der weiten Verbreitung des Buchdrucks stand zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein neues Massenmedium zur Bekanntmachung und Propagierung von Wundergeschichten an Wallfahrtsorten zur Verfügung. Allein vier solcher ‚Werbeschriften‘ entstanden zwischen 1512 und 1521 in den Rostocker Druckereien von Hermann Barckhusen und Ludwig Dietz. Sie betrafen vier bedeutende norddeutsche Sakramentswallfahrten: Güstrow, 27 Sternberg (Abb. 1), 28 Heiligengrabe 29 und Wilsnack. 30
Abb. 1: Sternberger Hostienwunder. Titelholzschnitt nach Nikolaus Marschalk: Mons Stellarum (Res a iudacis perfidissimis in monte Stellarum gesta). Rostock (Ludwig Dietz für Hermann Barkhusen) 1512 Druck, Fragment (20 Bl.), 16,3 x 12,4°, Universitätsbibliothek Rostock (MK-12246.7).
————— 27 28 29 30
Historia de venerabili sacramento in Gustrow. Marschalk, Mons Stellarum. Van dem ortsprunghe des klosters tom hiligen grave. Van der Vyndinge vnde Wunderwerken des hilligen Sacramentes to der Wilßnack.
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Pilgerzeichen auf Glocken Wie bereits angesprochen, hat man im Mittelalter Pilgerzeichen auch auf Glocken und Bronzetaufen abgegossen. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts begannen Bronzegießer mit unterschiedlichem regionalem Schwerpunkt Pilgerzeichen als Glockenschmuck zu verwenden. Die Zeichen wurden vor dem Guss in die äußere Lehmform eingedrückt, beim Guss verdrängte dann die flüssige Bronze die leicht schmelzbare Blei-Zinn-Legierung, beziehungsweise füllte sie das Negativ des vor dem Guss wieder entnommenen Zeichens, so dass eine Kopie des Pilgerzeichens auf der Oberfläche der Glocke in Bronze zurückblieb. Auch wenn weder die beiden Rostocker Bronzetaufen in St. Marien von 1290 und St. Petri von 1512 sowie die noch erhaltenen mittelalterlichen Bronzeglocken von St. Marien und die Dachreiterglocke der Klosterkirche zum Heiligen Kreuz Pilgerzeichen tragen, liegt uns doch die Abzeichnung der Zier der 1889 zersprungenen Glocke der Dorfkirche von Toitenwinkel vor. Nach Ausweis der Inschrift und des Gießerzeichens schuf der bedeutende Lübecker Bronzegießer Johannes Reborch die Glocke im Jahre 1402. Außer einem nicht bestimmbaren Marienzeichen lässt sich auf der Umzeichnung des Gipsabgusses ein Wilsnacker Pilgerzeichen erkennen (Abb. 2). 31
Abb. 2: Rostock, Toitenwinkel. Umzeichnung der Glockenzier der Reborch-Glocke von 1402, aus Schlie 1898, 344.
In Buchholz, wenige Kilometer südlich von Rostock gelegen, hängt eine weitere, um 1400 geschaffene Reborch-Glocke, die sich bis 1957 in Dütschow (Lkr. 32 Ludwigslust-Parchim) befand. 33 Auf dieser Glocke sind außer Evangelisten-Plaketten und Heiligenfiguren auch ein Kölner Dreikönigszeichen 34 (Abb. 3, 1) sowie ein bisher nicht identifiziertes Kreuzigungszeichen abgegossen. 35 In einem runden Rahmen ist Christus an ein Baumkreuz geschlagen, darunter Maria und Johannes. Der Oberkörper —————
31
Vgl. Schlie, Kunstdenkmäler, 344. Lkr. = (hier wie im Folgenden) Landkreis. 33 Vgl. Schaugstat, Pilgerzeichen, 51. 34 Dieses Zeichen findet sich modelgleich auch auf der 1399 von Johannes Reborch für die Katharinenkirche in Lübeck gegossenen Glocke (Warncke, Pilgerzeichen). 35 Vgl. Ansorge, Mecklenburg-Vorpommern, 115. 32
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Christi und der Kreuzbalken ragen in charakteristischer Weise über den Rahmen hinaus (Abb. 3, 2). Die Herkunft dieses Zeichens ist aufgrund seiner Hauptverbreitung im nordöstlichen Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, insbesondere in Danzig, 36 vermutlich auch in dieser Region zu suchen.
Abb. 3: Pilgerzeichen auf der Glocke des Johannes Reborch in Buchholz (ehemals Dütschow), um 1400: 3.1 Köln, Heilige Drei Könige; 3.2 Baumkruzifix; Foto: Ansorge, Maßstab 1:1.
Eine im 14. Jahrhundert von Johann Schele gegossene Glocke der Rostocker Jakobikirche trug anscheinend mehrere Pilgerzeichen, darunter ein Kölner Dreikönigszeichen. 37 Die Glocke ist im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. 38
Pilgerzeichenfunde aus Rostock Die Anreicherung von Pilgerzeichen in Feuchtbodensedimenten ist auf die Praxis der Entsorgung von sehr persönlichen Rechtsobjekten und Devotionalien wie Siegelstempeln und Pilgerzeichen in Latrinen zurückzuführen, deren Inhalt anschließend in Fließgewässer, umliegende Felder oder Baulandgewinnungsschichten entleert wurde. Entsprechend stammen die meisten Rostocker Funde (20) aus organisch reichen Schichten, vor allem von ————— 36
Vgl. Paner, Gdansk, 141–145, mindestens sieben Funde. Paner verweist diese Zeichen nach Gottsbüren (Hessen), ohne eine lokale Herkunft ausschließen zu wollen. Aus den Niederlanden ist das Zeichen bisher nicht bekannt, vgl. Heilig en Profaan, 1–3. 37 Vgl. Schlie, Kunstdenkmäler, 89. 38 Vgl. Peter, Glocken, 100.
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Flächen östlich der Altstadt, aus dem Gebiet zwischen Gerberbruch und Mühlendamm, das im späten 13. und frühen 14. Jahrhundert aufgeschüttet wurde. Vereinzelte Funde liegen auch aus der Mittel- und Neustadt vor. Mit Ausnahme des Materials aus dem Gerbergraben sind Funde des 15. und frühen 16. Jahrhunderts selten. Auf den Friedhöfen der Jakobikirche in der Rostocker Mittelstadt sowie der Kirche von Warnemünde konnten in Gräbern zwei Jakobsmuscheln als Zeichen einer Wallfahrt nach Santiago de Compostela in Nordwestspanien geborgen werden. 39 Mehrere Gagatperlen von Rosenkränzen, unter anderem mit Darstellungen von Jakobsmuscheln, aus der Breiten Straße 23, sind auch auf den galizischen Wallfahrtsort zu beziehen. 40 Bis Ende 2016 kamen in Rostock 29 Pilgerzeichen aus Blei-Zinn-Legierungen zutage, 41 die alle bei archäologischen Untersuchungen der Landesarchäologie des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern (= LAKD MV) geborgen wurden (Abb. 4).
Abb. 4: Pilgerzeichenfunde aus Rostock im Plan des Johann Tarnow von um 1790, mit Ausweis der Fundplatznummern des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern (Landesarchäologie); Anzahl der Funde in den schwarzen Kreisen.
Das bisher verstreut publizierte Fundmaterial der letzten zwanzig Jahre soll hier nach den Herkunftsorten in den einzelnen Wallfahrtsregionen erstmalig zusammengefasst werden. ————— 39
Vgl. Nagel, Pilgerzeichenfunde, 80–82. Vgl. dies., salicheit, 383. 41 Glöckchen und andere kaum zuzuordnende Objekte werden hier nicht berücksichtigt, vgl. dies., Wallfahrtsdevotionalien. 40
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Rom Rom, eines der Zentren der Christenheit und Sitz des Papstes, besitzt zahllose Heilige Stätten und mit den Pilgerkirchen Orte, an denen Pilgerzeichen ausgegeben wurden. Pilgerzeichen sind außer den Aposteln Petrus und Paulus, Maria im Pantheon, Maria in Trastevere, den Heiligen Laurentius und Stephanus, dem Heiligen Johannes im Lateran, auch dem Schweißtuch der Veronika mit dem Abbild Christi gewidmet. Auch wenn es einen regelmäßigen Strom von Pilgern nach Rom gab, waren es seit 1300 vor allem die Heiligen Jahre, die aufgrund außerordentlicher Ablassgewährung als besonders anziehend für die Besucher galten. 42 Einziger Beleg für eine Romfahrt ist, neben den oben aufgeführten Testamenten, ein Vera Ikon-Zeichen mit dem Abbild Christi aus der Eselföterstraße 25 (Fpl. 43 518), das nach Ausweis der assoziierten Keramik vom Ausgräber in die Jahre um oder kurz nach 1300 datiert wird (Abb. 5, 2). 44
Abb. 5: 5.1 Pilgerzeichen aus Saint-Josse-sur-Mer (Rostock, Fpl. 422, Foto: Ralf Mulsow, Hansestadt Rostock); 5.2 Rom, Vera Ikon (Rostock, Fpl. 518, Foto: Peter Kaute, LAKD M-V); 5.3 Canterbury, Thomas Becket (Rostock, Fpl. 492, Foto: Ansorge); Maßstab 1:1.
Saint-Josse-sur-Mer Bestimmten Stralsunder und Lübecker Bürgertestamente seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts regelmäßig Wallfahrten to sunte Joste in Pi————— 42 43 44
Vgl. d’Onofrio, Romei; Brumme, Rom. Fpl. = (hier wie im Folgenden) Fundplatz. Vgl. Kaute, Fpl. 518.
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ckerdien (Saint-Josse-sur-Mer in der nordfranzösischen Picardie), 45 belegen Pilgerzeichenfunde den Besuch des Heiligen bereits seit der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert. Jodokus (franz. Josse) war ein bretonischer Königssohn, der seinem weltlichen Erbe entsagte, als Priester wirkte und um 670 als Eremit in der Nähe der späteren Abtei Saint-Josse-sur-Mer starb. Der Heilige gilt als Patron der Pilger, als solcher wird er auch auf den Pilgerzeichen dargestellt. Aus der Breiten Straße 3‒5 (Fpl. 422) liegt ein um 1300 in einem Latrinenschacht abgelagertes Jodokus Zeichen vor, das den Heiligen mit Pilgerhut, -stab und -tasche in einem mit Pilgermuscheln bedeckten Mantel zeigt (Abb. 5, 1). 46 Obwohl Saint-Josse in den Testamenten als Einzelwallfahrt ausgeschrieben ist, ging es von hier aus vielleicht weiter nach Santiago oder über den Kanal nach England.
Canterbury, England Als der Heilige Thomas Becket, Erzbischof von Canterbury, 1170 aus dem französischen Exil wieder in seine Heimat zurückkehrte, wurde er heimtückisch vor dem Altar seiner Kirche durch übereifrige Ritter seines Widersachers König Heinrich II. erschlagen. Bereits drei Jahre später wurde Becket heiliggesprochen und seine in einem kostbaren Schrein verwahrten Reliquien 47 in Canterbury zu einer bedeutenden Wallfahrtsstätte. In England fand die Becket-Verehrung mit einer umfangreichen Produktion von Pilgerzeichen, die seine Person und Lebensgeschichte thematisieren, eine tiefe Verankerung, die bis auf den Kontinent und nach Skandinavien ausstrahlte. 48 Vom Küterbruch (Fpl. 492) stammt aus Schichten der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein vollplastisch gegossenes Bischofshaupt (Abb. 5, 3). 49 Eine Zuweisung zu Thomas Becket scheint aufgrund der Art der Ausführung und der frühen Zeitstellung gerechtfertigt und ist zusammen mit einem Neufund aus Wismar aus den 1260er Jahren 50 der einzige Beleg für ein Becket-Pilgerzeichen an der südlichen Ostseeküste. Die von Monika —————
45
Vgl. Melle, Itineribus, 81–85. Vgl. Nagel, Pilgerzeichenfunde, 75, Abb. 2. 47 Außer den sterblichen Überresten wurden Gegenstände seines Ornats, Mantel, Schuhe, Mitra, Handschuhe sowie eines der blutbefleckten Schwerter, mit denen er erschlagen wurde, verehrt, vgl. Lewis, Saints, 78ff. 48 Vgl. Spencer, Badges; Lewis, Saints. 49 Vgl. Ansorge Fpl. 492, 523, Abb. 229, 18. 50 Kaute, Wismar, 401ff. 46
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Schaugstat 51 und Cornelia Oefelein als Becket reklamierten Abgüsse auf mecklenburgischen und brandenburgischen Glocken wurden mittlerweile als Schweriner Pilgerzeichen identifiziert. 52
Rhein-Maas Gebiet Aus dem Rhein-Maas Gebiet stammt allein die Hälfte der Rostocker Pilgerzeichenfunde. Außer Aachen sind Zeichen aus Köln, Maastricht und Steinfeld belegt. Werden die zuerst genannten Wallfahrtsorte, insbesondere Aachen, oft in Bürgertestamenten als Ziele bestimmt, hatte die Benediktinerabtei Steinfeld in der Eifel im späten 13. beziehungsweise frühen 14. Jahrhundert auch das Interesse der Norddeutschen geweckt, allerdings ohne – nach bisherigem Kenntnisstand – Eingang in Testamente oder andere Schriftquellen zu finden.
Aachen Die Anhäufung kostbarer textiler Reliquien, darunter das Kleid Mariens, die Windeln und das Lendentuch Jesu sowie das Enthauptungstuch des Heiligen Johannes – die so genannten vier großen Heiligtümer – sowie die Gebeine des Heiligen Kaisers Karls des Großen und zahlreiche Reliquien anderer Heiliger 53 machten Aachen mit Abstand zum bedeutendsten Wallfahrtsort im Reich. Nach einer ersten urkundlich bezeugten öffentlichen Weisung der Heiligtümer im Jahre 1312, werden diese seit 1349 in einem Siebenjahresrhythmus gezeigt. Fünf Aachener Marienzeichen aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurden zwischen Gerberbruch und Mühlendamm gefunden. Die Aachener Marienzeichen wurden von Hrdina et al. in drei deutlich abgrenzbare Typen A bis C untergliedert, 54 die verschiedene Mariendarstellungen im Aachener Dom als Vorbilder rezipieren. Alle drei Typen finden sich auch im Rostocker Material. Typ A umfasst giebelbekrönte, fünfeckige Plaketten mit vier Ösen. Die bekrönte Maria mit Lilienzepter sitzt auf einem Kissen auf einem Bankthron, links neben ihr steht das Jesuskind frei auf dem Thron. Die Giebelecken sind zumeist mit zwei, seltener drei, oft sekundär abgebrochenen Türmchen bekrönt (Abb. 6, 1‒2). ————— 51 52 53 54
Vgl. Schaugstat, Pilgerzeichen; 32; Oefelein, Brandenburg, 24. Vgl. Kühne, Konjunktur, 92. Vgl. Bock, Aachen. Vgl. Hrdina et al., Aachenfahrt.
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Abb. 6: Marienpilgerzeichen aus Aachen: 6.1‒2 Rostock, Fpl. 511, Foto: Dr. Heiko Schäfer, LAKD M-V; 6.3 Rostock, Fpl. 484; 6.4 Lübeck, Foto: Ansorge; Maßstab 1:1.
Typ B stellt eine bekrönte Marienfigur mit dominantem Schleier, in der rechten Hand eine Kugel haltend, auf einem Bankthron sitzend dar. An ihrer linken Seite steht das Jesuskind, rechts mitunter ein oft abgebrochener Leuchterengel (Abb. 7, 2). Der Blick Mariens ist entweder frontal auf den Betrachter gerichtet oder leicht nach links unten. Vier Ösen dienten der Befestigung des Zeichens an der Kleidung oder dem Hut des Pilgers.
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Abb. 7: Marienpilgerzeichen aus Aachen: 7.1 Rostock, Fpl. 472, Foto: Ansorge; 7.2 Rostock, Fpl. 511, Foto: Dr. Heiko Schäfer, LAKD M-V; Maßstab 1:1.
Typ C ist eine frei auf einem Kissen auf einem Bankthron sitzende bekrönte Marienfigur mit einem breiten Gürtel und prominenter Schnalle. Auch diese Maria trägt einen, wenn auch weniger auffälligen, Schleier. In ihrer Rechten hält Maria ein Lilienzepter, links neben ihr steht das Jesuskind mit einem Reichsapfel in der Hand. Zumeist ist die Szenerie von Engeln an den Seiten des Thrones und einem Adoranten auf der linken Seite begleitet. Dieser Pilgerzeichentyp hat keine Ösen, konnte aber aufgrund des durchbrochen gearbeiteten Gusses aufgenäht werden (Abb. 7, 1). Als Vorbilder der Pilgerzeichen werden die Marienfigur auf dem Marienschrein (Maria mit Kugel) sowie eine thronende, ehemals auf dem Hoch-
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altar befindliche Marienfigur mit Schleier und Lilienzepter angenommen. 55 Mit in die Überlegungen für mögliche Vorbilder aufgenommen werden muss auch die Marienfigur auf dem Karlsschrein, mit ihrem breiten, edelsteinbesetzten Gürtel. In ihrer offenen Rechten hat sie ursprünglich vielleicht ein Lilienzepter gehalten. Nachdem die Grundtypen der Pilgerzeichen geschaffen waren, unterlagen sie einer gewissen Wandlung und künstlerischen Gestaltung durch die Handwerker, die die Gussformen für die Zeichen fertigten, so dass heute eine große Variabilität das Bild mitunter verunklärt. Die aus ikonographischer Sicht oft schon in das frühe 13. Jahrhundert datierten fünfeckigen Plaketten entstanden nach Ausweis der wenigen gut datierten Bodenfunde erst ab dem späten 13. Jahrhundert. 56 Solch eine Datierung ist auch für die wenigen rundgiebeligen Plaketten, wie den Fund aus Braunschweig, 57 anzunehmen, auf denen Maria ebenfalls auf einem Ringpfostenstuhl thront. Das wahrscheinlich älteste Zeichen im Rostocker Fundmaterial ist eine giebelbekrönte Plakette mit vier abgebrochenen Ringösen vom Gerberbruch (Fpl. 511), 58 die Maria mit dem Lilienzepter im rundgewinkelten Arm und das Jesuskind auf einem Bankthron zeigt (Abb. 6, 1). Die in gotischen Majuskeln gehaltene Inschrift ist wahrscheinlich als AVE MARIA GRACIA PLENA DOMINUS TECUM zu rekonstruieren. 59 Die Zuweisung nach Aachen erfolgt vor allem aus ikonographischen Gründen, steht dieses Zeichen doch in der Tradition einer Vielzahl ähnlicher giebelbekrönter Plaketten mit vier Ösen, die Maria in der beschriebenen Position zeigen, wie auch beim nachfolgende Zeichen vom selben Fundort (Abb. 6, 2). 60 Zu diesen zwei Plaketten gesellt sich noch ein dritter Fund eines Aachener Marienzeichens vom Typ B, von dem nur der obere Teil der bekrönten Maria mit Schleier und Kugel erhalten ist (Abb. 7, 2). 61 Aus einer Planierschicht im Bereich eines Holzhauses nördlich des Mühlendamms (Fpl. 473), die sich etwa in die Zeit um 1330 bis 1350 datieren lässt, konnte ein mit großer künstlerischer Fertigkeit gearbeitetes Marien—————
55
Vgl. Hrdina et al., Aachenfahrt, 339; vgl. auch die Diskussion bei Kühne, Rheinland, 75ff. Die wohl älteste archäologisch gut datierte Aachener Marienplakette, Maria auf einem Ringpfostenstuhl, kam um 1280–90 in Greifswald in den Boden, siehe Samariter, Greifswald. Eine fünfeckige Plakette wurde 1327 in einen Brunnen in der Stralsunder Ossenreyerstraße 55 geworfen, vgl. Ansorge/Rütz, Quartier 17, 201. 57 Vgl. Köster, Braunschweiger, 277, Abb. 1. 58 Vgl. Schindler, Fpl. 511. 59 Bisher zeigt keines der Aachen zugewiesenen Zeichen eine Inschrift. Die vergleichbaren französischen Zeichen aus La Bussiere (Côte-d’Or) und Le Puy-en-Velay (Haute Loire), führen die Ortsnamen LA BUSSIERE, bzw. OPODIO in der Umschrift. Für Diskussionen sei Willy Piron, Radboud Universität Nijmegen, NL gedankt. 60 Vgl. Schindler, Fpl. 511. 61 Vgl. Ebd. 56
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pilgerzeichen vom Typ C geborgen werden (Abb. 7, 1). 62 Maria mit Schleiertuch und Lilienkrone thront in einem faltenreichen Gewand auf einem Ringpfostenstuhl mit Kissen, neben dem ein nimbierter Engel kniet. In der rechten Hand hält die Jungfrau ein Lilienzepter, auf dessen Spitze eine Taube, als Symbol des Heiligen Geistes, sitzt. Auf dem linken Knie der Maria steht aufrecht das nimbierte Jesuskind mit einem Reichsapfel in seiner linken Hand. Am Jesuskind steigt ein Pilger, erkennbar an Rucksack, Hut und Pilgerstab, herauf. Der jüngste Fund der Aachener Marienzeichen stammt aus dem Gerbergraben (Fpl. 484) und kann anhand der assoziierten Pilgerzeichenfunde in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert werden. Es handelt sich um das Bruchstück eines großen Kreiszeichens von dem lediglich Christus als Majestas Domini in einer Mandorla erhalten ist (Abb. 6, 3). 63 Ein modelgleicher Fund aus Lübeck (Abb. 6, 4) gibt Auskunft über den Inhalt des Pilgerzeichens. 64 Die von zwei Engeln begleitete Mandorla bildet den oberen Abschluss des Kreiszeichens (Durchmesser 5 cm) mit Darstellung der thronenden Maria, rechts neben ihr ist Karl der Große als Kirchenstifter zu sehen und links von ihr ein heiliger Bischof (Papst Leo) in einer Giebelarchitektur. Als Vorbild für dieses und weitere ähnliche Zeichen ist das Aachener Karlsreliquiar zu sehen. 65 In der Kleinen Wasserstraße (Fpl. 491) wurde in Schichten der Zeit um 1300 das Unterteil eines Aachener Karlszeichens gefunden (Abb. 8, 2). 66 Auf dem erhaltenen Fragment ist ein Ringpfostenstuhl mit den Beinen einer darauf sitzenden Person erkennbar, drei der vier randlich angebrachten Ösen sind erhalten. Nach einem sehr ähnlichen Fund aus Ypern (Belgien) 67 handelt es sich bei dem verlorenen Oberteil um eine Figur des gekrönten Heiligen Kaisers Karls des Großen, der in seiner linken Hand ein auf dem Schoß liegendes Schwert hält (Abb. 8, 1).
—————
62 63 64 65 66 67
Vgl. Ansorge, Mühlendamm, 289f. Vgl. Ansorge/Schindler, Fpl. 484, 204, Abb. 224, 6. Vgl. Wittstock, Kirchliche Kunst, 290; ders., Pilgerzeichen, 17, Taf. 1,7. Vgl. Poettgen, Karl der Große, 82. Vgl. Ansorge, Mecklenburg-Vorpommern, 207f, Abb. 227, 1. Vgl. Heilig en Profaan 3, 143, Abb. 2400.
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Abb. 8: Pilgerzeichen des Heiligen Kaisers Karls des Großen aus Aachen: 8.1 ein Fund aus Ypern, aus Heilig en Profaan 3, 143, Abb. 2400; 8.2 Rostock, Fpl. 491, Foto: Ansorge; Maßstab 1:1.
Ein weiterer Gitterguss vom Gerberbruch (Fpl. 484) wird hier unter Vorbehalt Aachen zugewiesen. Es handelt sich um ein Kreiszeichen von 5,8 cm Durchmesser mit vier um eine zentrale Blüte gruppierten perlrandverzierten Kreisen mit Darstellungen aus dem Marienleben, das im frühen 14. Jahrhundert in den Boden kam (Abb. 9, 1).
Abb. 9: 9.1 Marienpilgerzeichen aus Aachen: Rostock, Fpl. 484, Foto: Ansorge; 9.2 Kästchenbeschlag aus Tournai, aus Grange/Cloquet 1888, 310; Maßstab 1:1.
Die vier Szenen stellen im Uhrzeigersinn, von links oben gesehen, die Geburt Christi, die Verkündigung Mariä (Gabriel und Maria mit Lilie), Mariä
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Heimsuchung (Begegnung mit Elisabeth) und die Kreuzigung Christi (Maria unter dem Kreuz) dar. 68 Für eine Einordnung des Fundes sei auf zwei sehr ähnliche Objekte verwiesen, die sich als Beschläge auf einem hölzernen Reliquienkästchen in der Domschatzkammer in Tournai (Belgien) befinden. Das zur Diskussion stehende Kästchen (ca. 24,5 x 9,3 x 8 cm) wurde 1887 bei der Öffnung des Marienschreins in der Marienkirche von Tournai entdeckt. 69 Es ist mit insgesamt 13 Blei-Zinn-Zeichen beschlagen. 70 Auf den Seitenflächen befinden sich Doppelgiebel mit einer gedrehten Mittelsäule, hinter die jeweils ein sich anschauendes Personenpaar montiert ist – zum einen zwei Mönche sowie in mindestens drei Variationen ein Mönch und eine Dame. Auf der Rückseite gibt es noch einen schildförmigen Zierbeschlag. Das hier interessierende Kreiszeichen von 6,2 cm Durchmesser ist mit zwei modelgleichen Exemplaren zwischen zwei Doppelgiebeln auf den Deckel des Kästchens genagelt. Im Gegensatz zum etwas kleineren Rostocker Fund sind die Szenen aus dem Marienleben in spiegelverkehrter Darstellung angeordnet (Abb. 9, 2). Im Rostocker Fund sind vier Ösen in die Akanthusblätter integriert, die die runden Bilder verbinden. Das Stück aus Tournai hat vier auf den Rand angesetzte Ösen, die beiden seitlichen Akanthusblätter werden durch eine Burg, das Stadtwappen von Tournai, ersetzt. Das Wappen weist das Zeichen als lokales Produkt aus. Wie sich die beiden Zeichen beeinflusst haben, wird sich wohl nicht mehr erschließen lassen. Die gebräuchlichen Motive aus dem Marienleben finden sich sowohl auf dem Marienschrein in Aachen als auch auf dem in Tournai. Aufgrund der engen Wallfahrtsbindung des Reiches an Aachen wird hier eine entsprechende Herkunft vermutet. 71
Köln Aus Rostock liegen bisher zwei Pilgerzeichen mit der Darstellung der Heiligen Drei Könige vor, deren Reliquien seit ihrer Entführung aus Mailand im Jahre 1164 im Kölner Dom aufbewahrt werden. —————
68
Vgl. Ansorge/Schindler, Fpl. 484, 516, Abb. 224, 5. Vgl. La Grange/Cloquet, Tournai, 308–310, siehe auch Soil de Moriamé, Art tournaisiennes, 360, Taf. CLXXXIX. Beide datieren das Reliquiar in das 13. Jahrhundert. Blick, Common Ground Reliquaries, 111, gibt das späte 14. Jahrhundert als Entstehungszeit an. 70 Eine Fotodokumentation des Kästchens erstellte Genevra Kornbluth, Glenn Dale, MD, USA, verfügbar unter http://www.kornbluthphoto.com/TournaiWoodenRel.html (zuletzt geprüft am 15.08.2018). 71 In diese Richtung ist auch das Fragment eines modelgleichen Fundes aus Greifswald, Fpl. 214 zu werten, das mir freundlicherweise von Renate Samariter, LAKD M-V, mitgeteilt wurde, vgl. auch Samariter, Greifswald. 69
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Aus einer Erhöhungsschicht im rückwärtigen Bereich eines Hauses am Fischerbruch (Fpl. 484) stammt das Fragment eines um 1310 bis 1330 zu datierenden Pilgerzeichens. 72 Erhalten hat sich einer der drei Heiligen Könige, der eine Doppelscheuer präsentiert (Abb. 10, 1).
Abb. 10: Pilgerzeichen der Heiligen-Drei-Könige aus Köln: 10.1 Rostock, Fpl. 484, Foto: Ansorge; 10.2 Glockenabguss Oldenstadt, Lkr. Uelzen, Foto: Renate Samariter, LAKD M-V; 10.3 Rostock, Fpl. 511, Foto: Dr. Heiko Schäfer, LAKD M-V; Maßstab 1:1.
Der Gitterguss in Schreinform mit runden Arkaden folgt in der Darstellung dem um 1220 entstandenen Dreikönigsschrein im Kölner Dom. Als Vergleich sei hier auf einen vollständigen Fund aus Braunschweig sowie einen Abguss auf der Bronzetaufe im Kloster Ebstorf (Lüneburger Heide) verwie————— 72
Typ B Ia nach Haasis-Berner und Poettgen. Vgl. Ansorge, Fpl. 484, 407–409, Abb. 203, 3.
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sen, die 1310 von Meister Ulricus gegossen wurde. Aus dieser Zeit stammt auch der Abguss auf der Glocke in Oldenstadt, Lkr. Ülzen (Abb. 10, 2). 73 Ebenfalls in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts, wahrscheinlich aber etwas jünger als der vorstehend beschriebene Fund, ist ein rechteckiger Flachguss vom nördlichen Gerberbruch (Fpl. 511) mit Darstellung der Maria und dem Christuskind huldigenden Heiligen Drei Könige zu datieren (Abb. 10, 3). 74 Es handelt sich hier um den recht häufigen Typ A II nach Haasis-Berner und Poettgen. 75
Maastricht In Maastricht werden in der Basilika St. Servatius die Gebeine des gleichnamigen heiligen Bischofs von Tongern verehrt, der hier im 5. Jahrhundert begraben wurde. 76 Attribute des Heiligen sind der angeblich aus der Hand des Apostels Petrus überreichte Servatiusschlüssel und ein Drache. Entsprechend finden wir auf den frühen Pilgerzeichen die Darstellung des Bischofs im Ornat, dazu treten sein Bischofsstab, zumeist in der rechten Hand, und der silberne Schlüssel mit aufrechtem Bart in der linken. Außer auf den ältesten Zeichen steht Servatius auf einem Drachen als Suppedaneum. Die Darstellung des Servatius folgt, im Gegensatz zu Aachen und Köln, nicht der Heiligendarstellung auf dem entsprechenden Schrein. Servatius steht auf der Stirnseite seines Schreins ohne Stab, Schlüssel und Drachen zwischen den Bischöfen Monulphus und Gondulphus. 77 Vielmehr scheinen die Pilgerzeichen den Servatiusstatuen im Bergportal aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts 78 und der um 1300 geschaffenen Statue auf dem ehemaligen Servatiusaltar 79 zu folgen (Abb. 11, 1).
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73 Weitere Pilgerzeichen von diesem Typ finden sich auf der 1325 gegossenen Glocke in St. Michaelis in Lüneburg sowie auf einer ehemals in Embsen, Lkr. Lüneburg, befindlichen Bronzetaufe, heute im Musée national du Moyen Âge, Paris, Haasis-Berner und Poettgen, Köln, 185f. Hier wäre zu prüfen, ob nicht alle diese Zeichen modelgleich sind und möglicherweise eine Form vom selben Gießer über mindestens 15 Jahre verwendet wurde. 74 Vgl. Schindler, Fpl. 511. 75 Vgl. Haasis-Berner/Poettgen, Köln, 182–184. 76 In der Person des Heiligen Servatius vermischen sich zwei historische Personen, die im 4. und 5. Jahrhundert gelebt haben, vgl. Koldeweij, Sente Servas. 77 Vgl. Kroos, Maastricht. 78 Vgl. Koldeweij, Bergportaal. 79 Vgl. ders., Servatius.
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Abb. 11: Servatiuspilgerzeichen aus Maastricht: 11.1 Entwurf eines gotischen Baldachins für die Servatiusstatue, um 1460, Regionaal Historisch Centrum Limburg, verfügbar unter: https://nl.wikipedia.org/wiki/Doksaal_van_de_Sint-Servaasbasiliek#/media/File: Maastricht,_ontwerptekening_gotische_nis_St-Servaasbeeld_(ca_1460).jpg (zuletzt geprüft am 15.08.2018); 11.2 Rostock, Fpl. 407 aus Kleibscheidel 1999, 379, Abb. 9; 11.3 Rostock, Fpl. 484 Foto: Ansorge; 11.4 Fpl. 445 Foto: Ansorge; Maßstab 1:1.
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Nach Entnahme des Schädels aus dem Schrein und der Stiftung eines kostbaren Büstenreliquiars durch Herzog Heinrich von Bayern im Jahre 1403 veränderten sich auch die Pilgerzeichen, die nun meist die Büste thematisieren. 80 Pilgerzeichenfunde des heiligen Servatius aus dem späten 13. und 14. Jahrhundert sind in Nordostdeutschland viel häufiger, als es die testamentarischen Quellen bezeugen. Außer aus Stralsund, 81 Greifswald 82 und Malchin 83 liegen auch drei Funde der entsprechenden Zeit aus Rostock vor. Aus einer Latrine auf dem Grundstück Kleiner Katthagen 4 (Fpl. 407) stammt eine rechteckige Plakette mit Rundgiebel, die den Bischof mit Krummstab in der rechten und einem überdimensional großen Schlüssel in der linken Hand zeigt (Abb. 11, 2). Die Latrine, Bauzeit 1291 WK, wurde wahrscheinlich um 1300 bereits wieder verfüllt. 84 Eine ähnliche Ablagerungszeit hat eine weitere rundgiebelige Servatiusplakette, die im Bereich des Gerberbruchs beim Aushub des Hauptgrabens gefunden wurde (Fpl. 484). 85 Der Bischof steht im Ornat auf einem Drachen und stößt diesem mit dem schräg gehaltenen Bischofsstab in seiner Rechten in den Rachen. In seiner linken Hand hält er den Schlüssel, der in seiner Gestaltung dem heute noch erhaltenen Reliquienschlüssel mit durchbrochenem, floral verziertem Griff entspricht (Abb. 11, 3). Diese Darstellung wiederholt sich in einem Gitterguss, der den Heiligen in einem türmchenbekrönten gotischen Architekturgehäuse zeigt. Das Zeichen kam um 1330/40 in einer Latrinengrube auf dem Grundstück Neuer Markt 17/18 (Fpl. 445) zur Ablagerung (Abb. 11, 4). 86 Die beiden letzten Funde zeigen einen generellen Wandel in der Herstellung von Pilgerzeichen in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts an, indem die bisher flächig gegossenen Plaketten von durchbrochen gearbeiteten Gittergüssen ersetzt werden. Zugleich folgen die Pilgerzeichen in Maastricht anscheinend recht zügig aktuellen Veränderungen in der Präsentation der Reliquien. Nicht nur die Schaffung des neuen Büstenreliquiars wird aufgenommen, auch erfährt die Darstellung des Servatiusschlüssels an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert eine Umgestaltung. Der Wandel in der Gestaltung des Schlüssels von der auffällig langen Form mit kurzem, rautenförmigen Rahmengriff und einem kreuzförmig durchbrochenen, quadratischen Bart im 13. Jahr————— 80
Vgl. Kühne, Ostensio, 216. Vgl. Ansorge, Ozeaneum, 93; Brüggemann, Fpl. 409, 462, Abb. 350, 3. 82 Vgl. Samariter, Fpl. 214, 389, Abb. 273, 2; Schäfer et al., Fpl. 197, 339, Abb. 135, 1–2; dies., Fpl. 197, Abb. 247, 11; Schindler, Fpl. 194, 335, Abb. 131, 7. 83 Vgl. Schanz, Malchin, 494, Abb. 198, 2. 84 Vgl. Kleibscheidel, Wasserversorgung, 378, Abb. 9. 85 Vgl. Ansorge/Schindler, Fpl. 484, 514, Abb. 224, 2. 86 Vgl. Nagel, Pilgerzeichenfunde, 76. 81
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hundert 87 zu dem Reliquienschlüssel der Zeichen des frühen 14. Jahrhunderts provoziert hier die Frage, ob dieser, zumeist in das 9./10. Jahrhundert datiert, 88 nicht erst eine viele jüngere Neuschöpfung oder Umarbeitung des frühen 14. Jahrhunderts ist und mit der Erschaffung der oben angesprochenen Servatiusstatue um 1300 zusammenfällt.
Steinfeld Eine im späten 13. Jahrhundert auf dem Grundstück Wokrenter Straße 4 (Fpl. 496) in den Boden gekommene Figur lässt nicht vordergründig an ein Pilgerzeichen denken (Abb. 12, 1). 89
Abb. 12: Potentinuspilgerzeichen aus Steinfeld, Eifel: 12.1 Rostock, Fpl. 497, Foto: Dr. Heiko Schäfer, LAKD M-V; 12.2 Lüneburg, Michaeliskloster, aus Ring 2013, 314, Abb. 3; 12.3 Potentinusschrein um 1220‒40, Louvre, Paris, Detail des Potentinus, verfügbar unter: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d7/Paris_Mus%C3%A9e_du_Lo uvre_Potentinusschrein_369.jpg (zuletzt geprüft am 15.08.2018); 12.4 Potentinus als Monumentalwandmalerei in der Klosterkirche Steinfeld, um 1340, Foto: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek um 1943/1945; Funde Maßstab 1:1.
————— 87
Diese Form des Schlüssels folgt der im 12. Jahrhundert verbreiteten Darstellung der Petrusschlüssel, vgl. Schulze-Dörrlamm, Bronzeschlüssel, 199–201. 88 Vgl. Kötzsche, Schlüssel, 216. 89 Vgl. Schindler, Fpl. 194, 527, Abb. 233, 4.
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Vergleiche mit vollständig erhaltenen Zeichen aus Lüneburg, 90 Danzig91 und Dordrecht 92 zeigen, dass es sich offensichtlich um einen geharnischten, nimbierten Ritter handelt, der ursprünglich mit einem Schwert und einer Fahnenlanze gerüstet war (Abb. 12, 2). Weitere Funde aus Aachen 93 und Greifswald 94 belegen eine weite Verbreitung dieser Zeichen an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert. Eine Deutung als Heiliger Potentinus, ein Adeliger des 4. Jahrhunderts aus Aquitanien, dessen Gebeine in einem um 1220 bis 1240 entstandenen Schrein in der Prämonstratenserabtei Steinfeld in der Eifel verwahrt wurden, ist den Bearbeitern des niederländischen Pilgerzeichenkatalogs „Heilig en Profaan“ zu verdanken. 95 Seit der Besetzung der linksrheinischen Territorien durch französische Truppen im Jahre 1802 befindet sich der Schrein in Paris, wo er im Louvre ausgestellt wird. 96 Auf der Stirnseite des Schreins ist der nimbierte Potentinus mit seinen Söhnen Felicius und Simplicius als Ritter im Maschenpanzer dargestellt (Abb. 12, 3). Im Gegensatz zu den Pilgerzeichen trägt Potentinus auf dem Schrein einen Schild. Eine monumentale Wandmalerei aus dem dritten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts auf dem südwestlichen Vierungspfeiler der Steinfelder Kirche zeigt den nimbierten Potentinus gerüstet mit Schwert und Fahnenlanze (Abb. 12, 4), 97 wie auf den Pilgerzeichen, jedoch im Waffenrock. Mit diesen Waffen begegnet uns der Heilige auch in einem spätmittelalterlichen Schnitzwerk auf dem Chorgestühl der Steinfelder Kirche. 98 Die urkundliche Quellenlage zu mittelalterlichen Wallfahrten nach Steinfeld ist sehr schlecht. In den norddeutschen Bürgertestamenten wird Steinfeld nicht genannt, auch sind keine Ablässe aus dem späten 13. und 14. Jahrhundert bekannt. Immerhin liegt mit dem durch den Kölner Erzbischof Walram im Jahre 1340 ausgesprochenen Verbot von Wallfahrten aus den Dekanaten Zülpich und Münstereifel nach Steinfeld ein Hinweis auf eine lokale Frequentierung der Abtei vor. 99 Wahrscheinlich profitierte die Attraktivität Steinfelds für Pilger aus dem Norden des Reiches von der Nähe zu Aachen, liegt es doch nur etwa 40 km ————— 90
Vgl. Ring, Lüneburg, 314f. Vgl. Paner, Gdańsk, 85, dort als Heiliger Jodokus aus Saint-Josse-sur-Mer angesprochen. 92 Vgl. Heilig en Profaan 2, 369, Abb. 1549f. 93 Vgl. Schaub, Pilgerzeichen, 59. 94 Vgl. Samariter et al., Fpl. 214, 389, Abb. 273, 3. 95 Vgl. Heilig en Profaan 2, 369. 96 Vgl. Falke/Frauberger, Schmelzarbeiten, 94; Abbildungen des Schreines im Louvre auch verfügbar unter: http://art.rmngp.fr/fr/library/artworks/chasse-de-saint-potentin_dorure_email-champleve_cuivremetal (zuletzt geprüft am 23.08.2018). 97 Vgl. Clemen, Monumentalmalereien, 169, Tafel 33. 98 Vgl. Wackenroder, Schleiden, 539, Abb. 256. 99 Vgl. Joester, Steinfeld, 206, Nr. 207. 91
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südöstlich, was die Abtei zu einer frühen und dadurch kaum dokumentierten Anschlusswallfahrt der Aachenfahrt machte. Jüngere Wallfahrtsbewegungen nach Steinfeld sind dem Mystiker Hermann Joseph (um 1150‒ 1241/42) gewidmet, dessen Heiligsprechung seit dem 17. Jahrhundert angestrebt und 1958 vollzogen wurde. 100
Einsiedeln Einsiedeln in der Schweiz war (und ist) ein bedeutender Wallfahrtsort, der seit dem späten 14. Jahrhundert regelmäßig in den Bürgertestamenten genannt wird. Eine Fahrt nach Einsiedeln stand häufig am Ende einer Reise, die über die Gnadenstätten im Rhein-Maas Gebiet und über die Wallfahrtsstätten im Elsass (Thann, Niedermünster, Odilienberg) führte. Wallfahrten nach Einsiedeln erfolgten bereits seit dem frühen 14. Jahrhundert. Die älteste testamentarische Überlieferung einer Wallfahrt aus Lübeck liegt aus dem Jahre 1370 vor. 101 Der Legende nach war Christus in Begleitung von Heiligen und Engeln im Jahre 948 vom Himmel herabgestiegen, um die Kapelle eines Einsiedlers, des Heiligen Meinrad, seiner Mutter Maria zu weihen, damit Maria hier einen Gnadenthron besitze. Die Engelweih-Überlieferung wurde zum tragenden Motiv der Wallfahrt, sie wird auch auf den Pilgerzeichen thematisiert. 102 Ein weiteres Zeichen ist dem Kapellengründer selbst, dem Heiligen Meinrad, gewidmet. Die Einsiedler Gnadenkapelle wurde zum eigentlichen Wallfahrtsziel von tausenden Pilgern. Im Jahre 1466 verkaufte man zur Engelweihfeier 130.000 Pilgerzeichen zu 2 Pfennigen das Stück, was dem Kloster Einnahmen von 1.300 Gulden brachte. 103 Aus dem ehemaligen Gerbergraben (Fpl. 484) liegt das Bruchstück eines in das 15. Jahrhundert zu datierenden Engelweihezeichens vor, auf dem Maria im linken oberen Bereich des Zeichens mit einem Teil der kaum leserlichen Minuskel-Inschrift des Rahmens erhalten ist (Abb. 13, 1).104 Obwohl die Engelweihzeichen als Glockenabgüsse (Abb. 13, 2) 105 und Bodenfunde recht häufig sind, handelt es sich bei dem Rostocker Fund um den ersten Beleg eines Originalzeichens aus Mecklenburg-Vorpommern. ————— 100
Vgl. Huber, Hermann Joseph, 651. Vgl. Melle, Itineribus, 59, Testament des Bruno Sprengher. 102 Vgl. Ringholz, Einsiedler. 103 Vgl. Kühne, Rechnungsbücher, 383, FN 1. 104 Vgl. Ansorge/Schindler, Fpl. 484, 516, Abb. 224, 4. 105 In Mecklenburg-Vorpommern u.a. auf den Glocken in Galenbeck und Wietstock (Schaugstat, Pilgerzeichen; Ansorge, Mecklenburg-Vorpommern). 101
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Abb. 13: Pilgerzeichen aus Einsiedeln, Schweiz: 13.1 Rostock, Fpl. 484; 13.2 Glockenabguss Wietstock, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Mitte 15. Jahrhundert, Foto: Ansorge; Maßstab 1:1.
Transitwallfahrtsorte auf dem Weg nach Westen und Südwesten Der Weg in den Westen und Südwesten, mithin auch nach Rom und Santiago, führte die Pilger aus Mecklenburg seit 1383 zuerst über Heilig Blut in Wilsnack 106 und die angeschlossenen Wallfahrtsorte in der Prignitz (Lenzen, Perleberg, Alt Krüssow, Heiligengrabe), die Elbe entlang über Werben und Tangermünde Richtung Magdeburg und Königslutter und sodann nördlich des Harzes entlang auf den Hellweg in Richtung Rheinland. 107 Auf dem Hellweg besuchten die Pilger im 15. Jahrhundert Jakobsberg, Ovenhausen und Blomberg sowie bereits seit dem 13. Jahrhundert auch die Kreuzkapelle in Stromberg.
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Vgl. Kühne/Ziesack, Wilsnackfahrt. Vgl. Kühne, Transitwallfahrten.
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Wilsnack Wilsnack entwickelte sich nach 1383 in kurzer Zeit zu einem der wichtigsten Wallfahrtsorte in Mitteleuropa und war im Volksmund als „Heiliges Blut“ weithin bekannt. Im August 1383 setzte der Ritter Heinrich von Bülow das Dorf Wilsnack samt der Kirche in Brand. Im Brandschutt der Kirchenruine fand der Priester Johannes Cabbuz drei unverbrannte, rot gefärbte Hostien. Die Verfärbung der Hostien, die nach christlichem Glauben den Leib Christi verkörpern, wurde mit dem Austreten des Heiligen Blutes Christi in Zusammenhang gebracht. Nach diesem Hostienwunder statteten Bischöfe und Päpste die Kirche mit reichen Ablässen aus, die jedes Jahr Tausende Pilger anzogen. 108 Entsprechend häufig sind Wilsnacker Pilgerzeichen, 109 die auf den zu einem Dreieck zusammengefügten drei Hostien Szenen aus den Leiden Christi, nämlich Geißelung, Kreuzigung und Auferstehung, thematisieren. Die Hostien sind durch dreieckige, Ösen bildende Stege verbunden, die beiden oberen Hostien tragen jeweils ein Kreuz (Abb. 14, 2). Aus dem Gerberkanal (Fpl. 484) liegt eine isolierte Hostie eines Wilsnackzeichens mit Darstellung der Geißelung vor, die etwa in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert werden kann (Abb. 14, 1). 110
Abb. 14: Pilgerzeichen aus Wilsnack, Mark Brandenburg: 14.1 Rostock, Fpl. 484; 14.2 Stade, Alter Hansehafen, Foto: Ansorge; Maßstab 1:1.
————— 108
Vgl. Kühne/Ziesack, Wilsnackfahrt. Aus Danzig liegen z.B. 79 Funde vor, vgl. Paner, Gdańsk, 148–182; 18 Zeichen aus dem alten Hansehafen von Stade, vgl. Ansorge/Kühne, Stade, 18. 110 Vgl. Ansorge/Schindler, Fpl. 484, 516, Abb. 224, 8. 109
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Königslutter Der den Aposteln Petrus und Paulus gewidmete Kaiserdom in Königslutter am Elm wurde 1135 von Kaiser Lothar III. von Supplinburg als Benediktiner-Abteikirche und Grablege für sich und seine Familie gestiftet und mit vielen Reliquien ausgestattet. 111 Zu Beginn des 15. Jahrhunderts entwickelte sich die Kirche zu einem bekannten Wallfahrtsort. Hauptwallfahrtstag war der 29. Juni, der Peter-und-Pauls-Tag, Namenstag der beiden Apostelfürsten. Königslutter bildete nicht nur eine Station auf dem Weg nach Westen, auch zweigte hier der Weg nach Süden in Richtung Nikolausberg, Elende und Sunt Hulpe (Hülfensberg bei Geismar) ab. 112 Die Pilgerzeichen von Königslutter zeigen in ihrer gesamten Laufzeit bis zur Reformation ein sehr einheitliches Bild. Unter einem krabbenbesetzten Giebel, der von einer stilisierten Lilie gekrönt wird, befindet sich eine dreifigurige Kreuzigungsgruppe. Links neben dem Gekreuzigten steht der Apostel Paulus mit erhobenem Schwert, rechts der Apostel Petrus mit einem großen Schlüssel. In einem halbkreisförmigen Feld darunter befindet sich die gekrönte Büste Kaiser Lothars mit dem Reichsapfel und Lilienzepter. Auf der Fußleiste, auf der mitunter die Inschrift Lutter angebracht ist, steht ein Wappen mit Reichsadler.
Abb. 15: Pilgerzeichen aus Königslutter bei Braunschweig: 15.1 Rostock, Fpl. 484; 15.2 Stade, Alter Hansehafen, Foto: Ansorge; Maßstab 1:1.
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Vgl. Blaich, Königslutter. Vgl. Kühne/Brumme, Ablässe, 58.
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Dem in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts zu datierenden Fund aus dem Gerberkanal (Fpl. 484), der nur mit der oberen Hälfte überliefert ist (Abb. 15, 1), 113 kann ein modelgleicher vollständiger Fund aus dem alten Hansehafen in Stade gegenübergestellt werden (Abb. 15, 2). 114
Stromberg Die im südöstlichen Münsterland gelegene Kirche in der Burg Stromberg gehört zu den ältesten, wichtigsten und bestbezeugten mittelalterlichen Wallfahrtsorten Westfalens. 115 Hier wird ein romanisches Kruzifix mit einer darin verborgenen Partikel vom ‚Wahren Kreuz‘ Jesu in Jerusalem verehrt, das noch heute Ziel jährlicher Wallfahrten ist. Das Kruzifix zählt zu den ältesten Christusdarstellungen in Westfalen. Der aus Eiche geschnitzte, mit einem Silbermantel aus Votivgaben der Pilger überzogene Corpus datiert in die Zeit von 1080 bis 1100. Der Legende nach gelangte das Kruzifix in den Besitz eines Burggrafen zu Stromberg, der für das Kreuz auf der gleichnamigen Höhenburg eine Kapelle errichten ließ. Die 1207 erstmalig erwähnte Kreuzkapelle brannte 1316 ab, das Kruzifix wurde gerettet. 1317 bewilligte Papst Johannes XXII. denen, die beim Wiederaufbau der mit großen Ehren und Wunderzeichen ausgezeichneten Kapelle behilflich sein würden, reiche Ablässe. Weitere Ablässe der Päpste Benedikt XII. und Clemens VI. sowie Opfer der Pilger bewirkten, dass die neue Kreuzkirche 1344 geweiht werden konnte. Ein Stralsunder Testament von 1320 und ein Hinweis von 1292 aus Dänemark bezeugen frühzeitig den hohen Bekanntheitsgrad des Heiligen Kreuzes in Stromberg. 116 Es wurde offensichtlich bevorzugt von Pilgern aus dem Nordosten des Reiches und Skandinavien auf dem Weg in die Wallfahrtsorte Köln und Aachen oder von dort aus auf deren weiterem Weg nach Santiago de Compostela besucht. Nachdem anhand von Funden aus Wismar die Identifizierung von Pilgerzeichen eines romanischen Kruzifixes mit T-förmig erweiterten Enden aus dem westfälischen Stromberg gelang, 117 konnte mit einem Fund vom Rostocker Mühlendamm (Abb. 16, 1) die frühe Bedeutung Strombergs als Wallfahrtsort untermauert werden. 118 —————
113 114 115 116 117 118
Vgl. Ansorge/Schindler, Fpl. 484, 516, Abb. 224, 3. Vgl. Kühne/Ansorge, Stade, 22, Abb. 2, 1. Vgl. Besselmann, Westfälische, 55–66. Vgl. Ansorge, Wismar, 230f. Vgl. ebd., 227–232. Vgl. ders., Mühlendamm, 286–289.
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Abb. 16: Pilgerzeichen aus Stromberg, Westfalen: 16.1 Rostock, Fpl. 474; 16.2 Fpl. 484, Foto: Ansorge; Maßstab 1:1.
Anhand der assoziierten Dendroproben war die Ablagerungszeit des intentionell zusammengefalteten Pilgerzeichens ziemlich genau auf um, beziehungsweise kurz nach 1269 festzulegen. Mittlerweile liegen mehrere modelgleiche Zeichen aus Greifswald vor, 119 die den Rostocker Datierungsansatz bestätigen. Damit gehören die Stromberger Kruzifixe zu den ältesten gut datierten Pilgerzeichen in Deutschland. Aus Erhöhungsschichten der Zeit um 1300 bis 1320 am Gerberbruch stammt ein fragmentiertes Stromberger Kruzifixzeichen (Abb. 16, 2), 120 das in seiner Ausgestaltung zwischen den Zeichen des 13. Jahrhunderts und denen aus der Mitte des 14. Jahrhunderts vermittelt. Es ist offensichtlich mit drei Funden aus Stargard in Hinterpommern, 121 Eberswalde (Lkr. Barnim) 122 und Greifswald 123 modelgleich.
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119
Vgl. Samariter, Greifswald. Vgl. Ansorge/Schindler, Fpl. 484, 516, Abb. 224, 7. 121 Vgl. Ansorge, Mühlendamm, 288, Abb. 27, 5; bei Majewski/Rębkowski/Simiński, Pielgrzymki, Abb. 2, 8, in der Abbildungsunterschrift fälschlicherweise als Sternberg bezeichnet. 122 Vgl. Ansorge, Wismar, 229, Abb. 9, 2. 123 Vgl. Schäfer et al., Fpl. 197, 341, Abb. 136, 1. 120
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Mecklenburg Güstrow Die älteste Wallfahrt in Mecklenburg entstand in Güstrow kurz nach 1330, nach einer angeblichen Hostienschändung. 124 Im Jahre 1330 sollen sich Güstrower Juden eine geweihte Hostie verschafft haben, welche sie in der Synagoge kreuzweise zerbrachen, zerstachen und, als sie zu bluten begann, dort im Boden vergruben. Eine bald darauf getaufte Jüdin machte die Tat angeblich bekannt. Nach der Verbrennung der schuldigen Magd und der beteiligten Güstrower Juden durch Johann II., Fürst von Werle, fand der Priester Johann von Warkentin mit Hilfe der getauften Jüdin die blutende Hostie, in ein Leinentuch gewickelt und in einem Gefäß verborgen im Boden der Synagoge. Danach entstand ein großer Zulauf zu der Wunderhostie. Von den Einkünften der geopferten Gaben ließ Johann von Werle eine Kapelle bauen, die mit zwei Vikarien ausgestattet war. In einem Vergleich mit dem Güstrower Domkapitel vom 1. Dezember 1332 sicherte er sich einen bedeutenden Anteil der Opfergaben. Zwischen 1350 und 1383 bestimmten sieben Lübecker Testamente die stellvertretende Aussendung von Pilgern nach Güstrow; davon sollte einer barfuß und in Wolle gekleidet gehen. 125 Bereits 1346 stiftete der schwedische König Magnus Eriksson (1316‒1374) in einem gemeinsamen Testament mit seiner Frau Blanche je einen goldenen Kelch an fünf bedeutende Wallfahrtsorte seiner Zeit: an Rocamadour, Gottesbüren, Aachen, Santiago de Compostela und bemerkenswerterweise Güstrow. 126 Die Wallfahrtskapelle brannte im Jahre 1503 ab. An ihrer Stelle wurde 1509 ein Franziskanerkloster gegründet, während das Heilige Blut mit dem Inventar der Kapelle in den Dom umzog. Hier bemühten sich die Domherren um eine Reaktivierung des Güstrower Kultes, der schon im 15. Jahrhundert seine weiträumige Attraktion eingebüßt hatte, was nicht zuletzt auch mit dem Erfolg der Wallfahrt zum Heiligen Blut in Wilsnack ab 1383 zusammenhängen dürfte. Güstrower Pilgerzeichen sind runde, mit zwei gegenständigen Ösen versehene Plaketten mit einem Durchmesser von etwa 30 mm. Zwei inhaltlich verschiedene Typen thematisieren die Güstrower Wundergeschichte. Der eine zeigt eine gevierteilte Hostie in einer Synagoge, deren Eingang von zwei Palmzweigen flankiert ist. Die Attribute über dem Gebäude erzählen die Geschichte der Hostienschändung. Ein Spaten erinnert an das Vergra————— 124
Die Geschichte ist zeitnah (1378) in der Mecklenburgischen Reimchronik des Ernst von Kirchberg wiedergegeben, Cordshagen/Schmidt, Reimchronik. 125 MUB 25, Nr. 15021. 126 Svenskt Diplomatarium V, Nr. 4069.
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ben der Hostie, wir sehen das Tuch, in das die Hostie eingewickelt, und das Glas, in dem sie im Fußboden vergraben wurde. 127 Die Legende berichtet, dass bei der Auffindung der Hostie auf dem Tuch die Buchstaben ESVD für Ego sum verus deus erschienen seien. In einem Holzschnitt, der der Historia de venerabili Sacramento in Gustrow, 1510 bei Hermann Barckhusen in Rostock gedruckt, beigegeben ist, präsentiert ein Geistlicher den Pilgern die Hostie und die textile Reliquie (Abb. 17, 1). 128 Die in eine gevierteilte Hostie eingeschriebenen Buchstaben charakterisieren den zweiten Pilgerzeichentyp. In der älteren Variante des 14. Jahrhunderts werden fünf über Kreuz angeordnete, gevierteilte Hostien dargestellt. Um 1500 reduziert sich das Bild zu einem Fadenkreuz. Dieser Typ, der jetzt auch mit einem Fund vom Gerberbruch (Fpl. 511) vorliegt, 129 kann anhand eines Abgusses auf der 1491 von Hans Kloet gegossenen Glocke von Warlin (Lkr. Mecklenburgische Seenplatte) in die Zeit um 1500 datiert werden (Abb. 17, 3). Eine Plakette des älteren Typs kam zusammen mit dem oben beschriebenen Maastrichter Servatiuszeichen um 1340 auf dem Grundstück Neuer Markt 17/18 in einer Latrinengrube zur Ablagerung (Abb. 17, 2). 130
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127 128 129 130
Vgl. Ansorge, Wismar; Kühne, Konjunktur. Vgl. Ansorge, Wismar, 240, Abb. 12; Kühne, Konjunktur, Abb. 5. Vgl. Schindler, Fpl. 511. Vgl. Nagel, Pilgerzeichenfunde, 79, Abb. 4.
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Abb. 17: Pilgerzeichen aus Güstrow, Mecklenburg: 17.1 Präsentation der Reliquien im Güstrower Dom, aus Historia de venerabili Sacramento in Gustrow; 17.2 Rostock, Fpl. 445, Foto: Ansorge; 17.3 Rostock, Fpl. 511, Foto: Dr. Heiko Schäfer, LAKD MV; Maßstab 1:1.
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Nach einer ersten Zusammenstellung der Güstrower Pilgerzeichen 131 können nunmehr weitere Funde aus Greifswald, 132 Danzig, 133 und der wüsten Lübeckerkapelle in Dalköpinge bei Trelleborg in Südschweden 134 vermeldet werden. Dass alle bisher bekannten Güstrower Zeichen in verschiedenen Formen gegossen wurden, belegt eine hohe Zahl der hergestellten Plaketten.
Sternberg Der bekannteste mecklenburgische Wallfahrtsort ist Sternberg. Im Jahre 1492 ereignete sich hier angeblich bei einem Hostienfrevel ein Heilig-BlutWunder, in dessen Folge es zur Verbrennung von 27 Juden aus Sternberg und der Ausweisung der Juden aus Mecklenburg und Pommern kam. 135 Der Priester Peter Däne, der den Juden die geweihten Hostien verschafft haben soll, wurde ebenfalls zum Feuertod verurteilt und am 13. März 1493 in Rostock verbrannt. Das Blutwunder und die daran anschließende Wallfahrt fanden schnellen Widerhall im Norden des Reiches und in Skandinavien, von wo die Pilger in Scharen nach Sternberg zogen. Allein in Stralsund sahen 23 Testamente die Aussendung von Pilgern zum Heiligen Blut von Sternberg vor. 136 Da die Ereignisse auch vom aufstrebenden Buchdruck rezipiert wurden, hat sich eine gute Quellenlage erhalten, die maßgeblich von Georg Christian Friedrich Lisch 137 und zuletzt Volker Honemann 138 aufgearbeitet wurde. Eine zusammenfassende Darstellung der Wallfahrt unter Berücksichtigung der inzwischen bekannten Zeugnisse, wie Testamente, Rechnungsbücher und unter Einschluss der Pilgerzeichen, fehlt allerdings. 139
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Vgl. Ansorge, Mecklenburg-Vorpommern, 85–90. Vgl. Schäfer et al., Fpl. 197, 361, Abb. 246, 9. 133 Vgl. Paner, Gdańsk, 194f. 134 Vgl. Statens Historiska Museum, Inv. Nr. SHM 21451:4. In der 1936 durchgeführten Ausgrabung wurde der Fund als „Alphabetplombe“ bezeichnet, siehe: http://mis.historiska.se/mis/sok/fid.asp?fid=117830 (zuletzt geprüft am 15.08.2018). 135 Nach einem freundlichen Hinweis von Kristin Skottki, Bayreuth, ist der konkrete Zusammenhang allerdings umstritten, siehe Konow, Judenverfolgung. 136 Vgl. Heyden, Wallfahrten, 33. 137 Vgl. Lisch, Hauptbegebenheiten. 138 Vgl. Honemann, Hostienschändung. 139 Vgl. Kühne, Konjunktur, 93. 132
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Abb. 18: Pilgerzeichen aus Sternberg: 18.1 Lübeck; 18.2 Rostock, Fpl. 484, Foto: Ansorge; Maßstab 1:1.
Sternberger Pilgerzeichen zeigen eine Hostienmonstranz mit zwei von Engeln gehaltenen Hostien, ein bekrönendes Kruzifix, einen Stern auf dem Fuß und die Minuskelinschrift sterneberch. Die Identifizierung und Lesung der Schrift gelang Jürgen Wittstock an einem archäologischen Fund aus Lübeck, auf dem sich die Inschriftenzeile erhalten hatte (Abb. 18, 1). 140 Bereits 1494 wurden die ersten Sternberger Pilgerzeichen auf Glocken in Mecklenburg abgegossen, so in Pinnow bei Schwerin, in Sülten (Lkr. Demmin) sowie auf der nicht mehr vorhandenen Glocke in Federow (Lkr. Müritz). Bis zur Reformation und dem damit verbundenen Erlöschen der Wallfahrt blieb das Pilgerzeichen unverändert. Die jüngsten datierten Exemplare finden sich auf einer Glocke von 1523 in Nyborg (Fünen, Dänemark) und einer Glocke von 1525 in Stargard in Hinterpommern. 141 Aus Mecklenburg-Vorpommern liegen Bodenfunde Sternberger Pilgerzeichen aus der Baugrube des Ozeaneums in Stralsund 142 sowie aus dem Kloster Malchow vor. 143 Jeweils drei Funde wurden aus dem Kloster Seehausen144 —————
140 141 142 143 144
Vgl. Wittstock, Kunst; ders., Lübeck, 15–21. Zusammenfassend bei Ansorge, Mecklenburg-Vorpommern. Vgl. ders., Ozeaneum, 94, Abb. 3, S11. Vgl. Darjes/Schanz, Malchow, 412, Abb. 300, 3. Vgl. Jaitner/Kohn, Seehausen; Kühne, Seehausen.
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und aus dem Stader Hafen 145, neun Zeichen aus Danzig, 146 zwei aus den Niederlanden 147 beschrieben. Sehen diese Pilgerzeichen auf den ersten Blick aus, als kämen sie alle aus der gleichen Gussform, sind es doch kleinste Details, in denen sich die gut erhaltenen Bodenfunde unterscheiden. Von diesem Haupttyp weicht nun ein unikater Fund vom Rostocker Gerberbruch (Fpl. 484) in deutlichen Merkmalen ab. 148 Es fehlt die Inschriftenleiste, und die die Monstranz teilende Rippe wird mit in den Fußbereich gezogen. Anstatt eines Sterns sind links und rechts der Rippe zwei Sterne zu erkennen (Abb. 18, 2).
Pommern Gollen Die Marienkapelle auf dem Gollen oder Gollenberg (gholme, monte Cholm, poln. Góra Chełmska) bei Köslin (Koszalin) war der bedeutendste Marienwallfahrtsort in Pommern. 149 Eine Kapelle auf dem Gollen entstand nach 1277, als in Köslin das Zisterzienser-Nonnenkloster gestiftet wurde, in dessen Besitz die mit zahlreichen Ablässen Kamminer Bischöfe (1396, 1399, 1401, 1419, 1427) und einer Indulgenz Papst Bonifatius IX. aus dem Jahre 1400 ausgestattete Kapelle war. Dieser Ablass verhieß den Pilgern denselben Umfang, wie zum Beispiel den Pilgern zur Aachener Marienkirche. 150 In Stralsunder, wie auch in Lübecker Testamenten wurden häufig Wallfahrten zum Gollen verfügt. Erstmals wird der Gollen 1353 im Testament des Stralsunders Godekin Huxel erwähnt, der neben einer Wallfahrt nach Aachen auch einen Pilger nach Colmen bestimmt. 151 1367 wird der Gollen im Testament der Wybe de Soltwedel aus Lübeck genannt, 152 von wo aus im 15. Jahrhundert regelmäßig Wallfahrten zum Gollen angeordnet wurden. Die überregionale Bekanntheit des Gollen zeigt sich ferner durch die Nennung in den Wallfahrtstarifen der flandrischen Städte Aalst (onser vrouwen te Cutselm bi Lubeke) und Gent (onser vrouwen te Cusselyn bi —————
145
Vgl. Kühne/Ansorge, Stade. Vgl. Paner, Gdańsk, 183–188. 147 Heilig en Profaan 2, 145, Abb. 129; ebd., 368, Abb. 1545. 148 Vgl. Schindler, Fpl. 484, 482, Abb. 253, 2. 149 Vgl. Wehrmann, Gollen, 78, Buske, Gollen, 1970. 150 Plenarablass ad instar San Marco, Venedig und der Klosterkirche in Belbuck vom 29.12.1400, Repertorium Germanicum RG II 02224, vgl. Frankl, ad instar, 119, 243. 151 Stadtarchiv Stralsund, Testament 188. 152 Vgl. Melle, Iterinibus, 70. 146
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Lubeke) 153 sowie Brüssel. 154 Ein Braunschweiger Stadtbucheintrag aus dem Jahre 1378 berichtet, dass vier vom Gollen zurückkehrende Pilger aus Maastricht durch den Ritter Sivert van Marnholte to Bardorpe (Bahrdorf bei Helmstedt) ausgeplündert wurden. 155 Mit der dänischen Königin Margarethe war offensichtlich auch königlicher Besuch am Gollen, quittierte doch Wedeghe von Buggenhaghen am 20. Dezember 1387 die Rückzahlung von 250 Mark, die er der Königin dort übergeben ließ. 156 Entsprechend der Bedeutung des Gollen als Wallfahrtsort ist dort auch die Herstellung von Pilgerzeichen zu erwarten. Vom Verfasser wurde ein Marienzeichen, das aus der Baugrube des Ozeaneums in Stralsund, von mehreren mecklenburgischen Glocken und sogar von einem Fund aus den Niederlanden bekannt ist, als Gollenzeichen identifiziert. 157 Das Zeichen zeigt eine sitzende Maria mit dem Jesuskind auf dem Schoß in einem quadratischen, giebelbekrönten Rahmen mit vier Ösen. Auf der Giebelspitze und den Giebelecken steht jeweils ein Kreuz. Der Baum links neben der Maria steht vielleicht symbolisch für die schauerlichen Gefahren und Schrecken des dichten Waldes am Gollen, von denen die Legenden berichten. Rechts neben ihrem Kopf symbolisiert ein Stern wahrscheinlich die stella maris, den Meeresstern, unter deren Anrufung Maria den Seeleuten den rechten Weg weist. Ob die Gollenkapelle oder das Gnadenbild im Mittelalter tatsächlich als stella maris bezeichnet wurden, darüber geben die Quellen keine Auskunft. Mit Sicherheit war der Gollenberg mit 137 m Höhe eine wichtige Landmarke für die Seefahrer. Dass die Kapelle auf dem Berg, wie von Hellmuth Heyden mehrfach formuliert, als „Leuchte der Schiffahrt“ ein mit Kerzen betriebenes Leuchtfeuer besaß und deshalb eine stella maris sei, 158 ist durch Fakten nicht zu belegen und wird mittlerweile bezweifelt, 159 hat aber unter
————— 153
Vgl. van Cauwenbergh, Pèlerinages, 226, 229. Vgl. van Herwaarden, Bedevaarten, 696. 155 Chroniken der niedersächsischen Städte VI, 34: Ver pelegrimen van Mastracht […] de da hadden wesen thom Ghollen. 156 Diplomatarium Danicum 4, 3 (1386–1388), Nr. 287: Ik her Wedeghe Buggenhaghen rydder. bekenne openbare an dessem breue. dat ik quit vrig vnde loos late myne gnedeghe vruwe vruwe Marghareten konynginne tu Zweden thu Norweghen vnde thu Dennemarken. druddehalfhundert mark de yk er legh ter do se was thu deme Gholme. Linton, Margareta, 121, FN 35 bringt die Anwesenheit der Königin in Pommern mit Sondierungsgesprächen über die Erbfolge ihres Großneffen Erik von Pommern, dem späteren Unionskönig, nach dem Tod ihres Sohnes Olav II. († 23. August 1387) in Verbindung. 157 Vgl. Ansorge, Mecklenburg-Vorpommern, 100–102. Jüngst wurde auch ein Fund aus London bekannt, https://finds.org.uk/database/artefacts/record/id/805768 (zuletzt geprüft am 23.08.2018). 158 Zuerst Heyden, Wallfahrtswesen, 8. 159 Vgl. Czerner, Gollen. 154
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anderem dazu geführt, dass Anneliese Triller von einem „Muttergottesbild Stella Maris auf dem Gollenberg“ spricht. 160 Die Richtigkeit der Zuweisung der oben angesprochenen, in die Mitte beziehungsweise zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts zu datierenden Pilgerzeichen zum Gollen wird durch mindestens 34 Bodenfunde aus Danzig untermauert. Diese wurden von Henryk Paner als „durchbrochene ‚Danziger‘ Marienzeichen“ (GAPM) bezeichnet und in drei Varianten gruppiert. 161 Von einem Grundstück am nördlichen Fischerbruch in Rostock (Fpl. 484) stammt das Oberteil eines dieser Marienzeichen (Abb. 19, 1). 162 Der Fund entspricht Paners Variante 3 und dürfte modelgleich mit dem Fund Nr. 72 aus Danzig sein (Abb. 19, 2). 163
Abb. 19: Marienpilgerzeichen vom Gollen, bei Köslin in Hinterpommern: 19.1 Rostock, Fpl. 484; 19.2 Danzig aus Paner 2013, 158; 19.3 Rostock, Fpl. 511, Foto: Dr. Heiko Schäfer, LAKD M-V; Maßstab 1:1.
Zwei Details dieser Marienzeichen, der mit drei Kreuzen versehene Giebel und der Stern, verbinden die durchbrochenen Marienzeichen mit Paners „‚Danziger‘ Marienplaketten“ (GPPM), die in acht Varianten und diversen Modifikationen in über 220 Funden aus Danzig vorliegen. 164 Dem GPPM Variante 1 (Maria mit Krone und Schleier) schließt sich ein Fund vom nördlichen Gerberbruch an, dessen bekrönende Kreuze abgebrochen sind (Abb. 19, 3). 165 Die große Ähnlichkeit mit den giebelförmigen Marienplaketten aus Aachen hat in der Forschung, vor Kenntnis der Danziger Funde, zu Ver————— 160 161 162 163 164 165
Triller, Westpreußen, 26, FN 13. Paner, Średniowieczne, 144–163, Gdanskie Azurowe Plakietky Maryine (= GAPM). Vgl. Ansorge, Fpl. 484, 409, Abb. 203, 2. Paner, Średniowieczne, 158, Nr. 72. Vgl. Ebd., 67–143, Gdanskie Pelne Plakietky Maryine (= GPPM). Vgl. Schindler, Fpl. 511.
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wechslungen geführt. Andererseits scheinen die plakettenförmigen Gollenzeichen von den älteren Aachener Vorbildern inspiriert worden zu sein. Die Anfangsdatierung der Marienplaketten fällt wohl mit der ältesten testamentarisch verfügten Gollenfahrt aus Stralsund im Jahre 1353 zusammen und wird durch archäologische Funde aus Stralsund 166 und Danzig 167 untermauert. Durch die Danziger Funde wurde der Verbreitungsschwerpunkt der Gollenzeichen deutlich nach Osten verschoben und unterstreicht die Bedeutung der Kapelle als wichtigstes, nahegelegenes Wallfahrtziel der Danziger. Dieser Befund steht im krassen Gegensatz zu der Tatsache, dass Besuche des Gollens, aber auch Bauspenden und andere Zuwendungen, anscheinend keinen Eingang in Danziger Schriftquellen, insbesondere Testamente gefunden haben. Lediglich aus dem Kanonisationsprozess der aus Danzig stammenden Heiligen Dorothea von Montau erfahren wir, dass diese 1387 und 1388 den Gollen besuchte. 168
Kenz Kenz, circa 5 km südlich von Barth gelegen, entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu einem Marienwallfahrtsort. 169 Bereits um 1380 wird Kense onser Vrauwen im Brügger Itinerar genannt. 170 1397 bestimmte der Stralsunder Bürger Tymmo Schwarte in seinem Testament, dass ein Teil des Geldes unter anderem für Bauvorhaben in Kenz verwendet werden solle. 171 Die einschiffige Wallfahrtskirche entstand wahrscheinlich in relativ kurzer Zeit anstelle eines Vorgängerbaus mit Hilfe der eingehenden Spendengelder. 172 1404 ist das erste Wallfahrtslegat nach Kenz in einem Stralsunder Testament verzeichnet. 173 Die Pilgerfreudigkeit aus dem nahen Stralsund hielt, durch zahlreiche Testamente belegt, bis zur Reformation an. 174 1405 reiste der an der Pest erkrankte Herzog Barnim VI. von Pommern-Wolgast (um 1365‒1405), Heilung erhoffend, nach Kenz, ver-
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Vgl. Samariter, Hafenvorstadt; dies., Frankenvorstadt. Vgl. Paner, Gdansk, 486–494. Vgl. Mozejko, Danziger, 70. Vgl. Buske, Kenz. Vgl. Lelewell, Epilogue. Vgl. Stadtarchiv Stralsund, Testament 471. Schöfbeck, Kirchen, 295, konnte das Dachwerk auf 1398 datieren. Stadtarchiv Stralsund, Testament 486 des Hans Wyf. Zusammenstellung der Wallfahrtslegate bei Buske, Gesundbrunnen, 12.
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starb aber kurz danach auf seinem Hof in Püttnitz bei Damgarten. 175 Barnim VI. wurde in Kenz bestattet, seine gewölbte Gruft im Dezember 2010 bei einer Sanierung des Kirchenfußbodens vor dem Altar entdeckt. 176 Noch heute erhalten ist ein aufklappbares hölzernes Kenotaph von 1410, das eine etwa lebensgroße Figur des Herzogs in zeittypischer Tracht zeigt. 177 Der pommersche Chronist Thomas Kantzow berichtete für das Jahr 1405, dass der Barther Pfarrherr Bernd Moltzan, zu dessen Sprengel Kenz gehörte, 600 Gulden der Opfergelder entnehmen konnte. 178 1408 wurde die erste Lübecker Wallfahrt nach Kenz durch Hans Ludinkhusen bestimmt. 179 Im Jahre 1414 hatte der auf Usedom ansässige Johann von Schwerin zur Sühne eines Totschlages an einem Knecht des Klosters Pudagla unter anderem vier Pilger zur bedevart nach Aachen, Wilsnack, dem Gollen und nach Kenz zu schicken. 180 1418 stattete Papst Martin V. die Kirche mit einem Ablass aus, 181 der 1439 unter Eugen IV. erneuert wurde. 182 Möglicherweise als Reaktion darauf ist eine Welle von Lübecker Wallfahrtslegaten zwischen 1421 und 1439 nach Kenz zu sehen. 183 Oft sollten die Reisen nach Kenz weiter zum Gollen geführt werden. Aus dem Jahre 1437 ist eine Wallfahrt aus dem mecklenburgischen Sternberg nach Aachen, Golm, Wilsnack und Kenz belegt, 184 von 1471 ein Wallfahrtslegat aus Burg auf Fehmarn. 185 Außer einer Pietà, als Maria miraculosa verehrt, war die Maria Pomerana das eigentliche Ziel der Wallfahrt: [Sie] soll unter einem Baldachin bey der Tauffe vor einiger Zeit gestanden seyn, praesentieret sich erect, mit außgeschlagenen Haaren und einem Glanz ums Haupte, das Christ-Kindlein in dem rechten Arme, und den Zepter in der linken Hand haltend, den Mond nebst einigem Gewölcke unter die Füsse. 186
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175 Diese Überlieferung geht auf die lateinische Inschrift des Epitaphs zurück, das Herzog Philipp II. von Pommern für seinen Vorfahren errichten ließ, vgl. Biederstedt, Beiträge, 27f, Übersetzung bei Auge, Epigraphische Zeugnisse, 57f. 176 Vgl. Brandt/Lutze/Schirren, Wallfahrtskirche. 177 Vgl. von Rosen, Barnim VI. 178 Vgl. Kantzow, Pomerania, 437. 179 Vgl. Meyer, Testamente, 108. 180 Vgl. Gollmert, Schwerin, 191, Nr. 258. 181 Vgl. Fink, Repertorium Germanicum, 18 L 15, 122. 182 Vgl. Repertorium Germanicum RG V 00981. 183 Vgl. Melle, Itineribus. 184 Vgl. Lisch, Schriftenkunde, 380. 185 Vgl. Fehmarnsche Urkunden und Regesten, 54. 186 Gerdes, Kentza Crene.
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Dieser Beschreibung entspricht die Maria auf dem um 1430/40 entstandenen mittelalterlichen Glasfenster im Chor der Kirche. Die Glasmalerei zeigt die bekrönte Maria mit einem Lilienzepter und dem Jesuskind auf dem Arm in einem mit Krabben besetzten gotischen Architekturgehäuse (Abb. 20, 1). 187
Abb. 20: Marienpilgerzeichen aus Kenz bei Barth in Vorpommern: 20.1 Kenz, Dorfkirche, Glasgemälde im Chor um 1430/40; 20.2 Krien, Lkr. VorpommernGreifswald, Glockenabguss, Mitte 15. Jahrhundert; 20.3 Rostock, Fpl. 484, Foto: Ansorge; Maßstab 1:1.
Genau diesem Muster folgen zwei Pilgerzeichen auf den Glocken in Krien (Abb. 20, 2) und Rathebur in Vorpommern. Von diesem Schema weichen ähnliche Zeichen ab, die Maria mit einem Kreuz zeigen und vom Verfasser ————— 187
Vgl. von Rosen, Barnim VI., 20.
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aufgrund der Verbreitung auf Glocken des 15. Jahrhunderts in Vorpommern und Mecklenburg-Strelitz ebenfalls nach Kenz verortet wurden. 188 Solch ein Zeichen, mit der Inschrift maria in gotischen Minuskeln in der Fußleiste, liegt in prachtvoller Erhaltung vom Rostocker Gerberbruch vor (Fpl. 484, Abb. 20, 3). 189 Diesem Fund mit vier rechteckigen Ösen ist ein Glockenabguss auf der Glocke in Fincken (Lkr. Mecklenburgische Seenplatte) 190 sehr ähnlich. Ein Rahmen mit der Inschrift maria stammt aus der Baugrube des Ozeaneums in Stralsund. 191 Die Überlegung, dass die hier besprochenen Marienzeichen in Kenz verkauft wurden, wird zusätzlich durch ihr Fehlen im umfangreichen Danziger Fundmaterial untermauert. 192 Nur aus dem südwestlich von Danzig gelegenen Elbing wurde ein entsprechender Fund vermeldet. 193 Das Fehlen dieser Zeichen könnte darauf hindeuten, dass der Landweg von Danzig in die Pilgerzentren des Rhein-Maas-Gebietes, aber auch nach Wilsnack, Schwerin und Güstrow nicht über die Küstenroute, wie der Brügger Wegweiser empfiehlt, sondern weiter südlich, über Stettin, erfolgte.
Unbekannte Herkunftsorte Aus dem Rostocker Fundmaterial bleibt lediglich die Herkunft von zwei Zeichen unbekannt. Zum einen handelt es sich um ein Kruzifix in einem giebelbekrönten, gotischen Gehäuse, mit einem unleserlichen Schriftband am Kreuzstamm (Abb. 21, 1). Das im Gerberkanal (Fpl. 484) gefundene Zeichen kann in das 15. Jahrhundert datiert werden. 194 Der zweite unbestimmte Fund wurde in der Grubenstraße (Fpl. 411) geborgen und die Ablagerungszeit auf vor 1340 datiert. 195 Es handelt sich um eine 4 cm hohe Heiligenfigur in langem Gewand, die in der rechten ein Szepter und in der linken Hand ein Kreuz hält, der Kopf ist abgebrochen (Abb. 21, 2). Anhand eines sehr ähnlichen Fundes aus Riga (spätes 13. Jahrhundert), kann die Figur wahrscheinlich als Himmelskönigin angesprochen werden, die ein Lilienzepter trägt. 196 ————— 188 189 190 191 192 193 194 195 196
Vgl. Ansorge, Mecklenburg-Vorpommern, 103–107. Vgl. Schindler, Fpl. 483, 484, Abb. 253, 3. Vgl. Schaugstat, Pilgerzeichen, Abb. 13a. Vgl. Ansorge, Ozeaneum, 99. Vgl. Paner, Średniowieczne. Vgl. Rebkowski, Pielgrzymki, 174, Fig. 15. Vgl. Ansorge/Schindler, Fpl. 484, 516, Abb. 224, 10. Vgl. Nagel, Pilgerzeichenfunde, 80. Vgl. Ose, Riga, 477, Abb. 1.
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Abb. 21: Unbekannte Pilgerzeichen aus Rostock: 21.1 Fpl. 484, Foto: Ansorge; 21.2 Fpl. 411, Foto: Ralf Mulsow, Hansestadt Rostock; Maßstab 1:1.
Für eine eindeutige Zuordnung der Funde ist die Erhaltung jedoch zu fragmentarisch und das Verbreitungsmuster der zwei Zeichen bestenfalls ein Trend. Die Fundorte im Nordosten des Reiches, beziehungsweise im Ordensstaat, könnten ein Hinweis auf eine Lokalisierung des Wallfahrtsortes im Territorium des Deutschen Ordens sein. Hier ist vielleicht an eine Herkunft aus der Marienkirche in der Marienburg zu denken, die möglicherweise an der Stelle einer älteren Marienwallfahrt entstand. Der Deutsche Orden hatte auf der Marienburg zahlreiche Reliquien angehäuft, deren Besuch um 1400 mit einem bedeutenden Ablass verbunden war. 197 Ein weiteres Indiz in diese Richtung könnte das Testament des Rostocker Ratsherrn Wilhelm de Pomerio (Baumgarten) vom 24. Oktober 1270 sein, das er vor einer nicht näher spezifizierten Reise nach Preußen (versus Prusciam) aufsetzen ließ. 198
Ausblick Die hier vorgestellten Pilgerzeichen aus Rostock sind eine Momentaufnahme in der Pilgerzeichenforschung. Weitere archäologische Untersuchungen in Rostock erbringen ständig neue Funde, die den Kenntnisstand verdichten. 199 Eine gezielte Auswertung von spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Schriftquellen in Bezug auf das Wallfahrtswesen könnte möglicher————— 197 198 199
Vgl. Zacharias, Marienburg, 22. Vgl. MUB 2, Nr. 1203. Kaute/Rütz/Zorn, Rostock.
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weise auch neue Erkenntnisse zur lokalen Präferenz einheimischer Wallfahrtsorte in Mecklenburg und Pommern bringen. Der Besuch überregionaler Wallfahrtsstätten lässt sich mit anderen Hansestädten vergleichen. Der Blick nach Osten, über Pommern hinaus, ins Ordensland, bleibt ein weiteres Desiderat der Wallfahrts- und Pilgerzeichenforschung.
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Heinrich Holze
Rostocks reformatorischer Petrus Zur heilsgeschichtlichen Deutung Joachim Slüters bei Nikolaus Gryse
Wer war Nikolaus Gryse? Einen ersten Eindruck vermittelt uns das um 1620 entstandene Ölgemälde, das im Kreuzgang des Kulturhistorischen Museums Rostock hängt. 1 Es ist ein Teil des Epitaphs aus St. Katharinen, das für Gryse wenige Jahre nach seinem Tod errichtet wurde. Der unbekannte Maler stellt Gryse in aufrechter Haltung dar, bekleidet mit einem Predigertalar, versehen mit einer Halskrause und einer dunklen Kopfbedeckung. Das Licht fällt auf sein Gesicht, dessen ernster Blick am Betrachter vorbei in eine weite Ferne zielt. Der lange, spitz zulaufende Bart lenkt unsere Wahrnehmung auf die beiden Hände. Sie umklammern die Bibel. Der Zeigefinger der rechten Hand ist in das Buch geschoben, wodurch dieses sich ein wenig öffnet und den Betrachter anregt, darüber nachzudenken, woran Gryse ‒ oder sein hagiographischer Maler ‒ wohl gedacht haben mag. War es eine messianische Verheißung bei den Propheten? War es der Römerbrief des Apostels Paulus? Was wir über das Leben von Nikolaus Gryse wissen, zeigt ihn als streitbaren Vertreter der lutherischen Orthodoxie. 2 Geboren 1543 in Rostock, wurde er 1559/60 an der Universität Rostock immatrikuliert. 3 Als er 1574 im Alter von 31 Jahren als Prediger an die Kirche des ehemaligen Franziskanerklosters St. Katharinen berufen wurde und wenig später außerdem die Ämter als Diakon an der Pfarrkirche St. Petri und als Prediger des Klosters zum Hl. Kreuz übernahm, geriet er mitten hinein in die konfessionellen Konflikte des späten 16. Jahrhunderts, die auch an Rostock nicht spurlos vorübergingen. Das betraf zunächst die innerlutherischen Dispute, die mit der Unterzeichnung der Konkordienformel (1577) nur vordergründig beendet worden waren. Gryse sah sich jedenfalls noch Jahre später zu „Hochnötige(n) Bußpredigten über den Propheten Jona“ 4 veranlasst und ermahnte —————
Abdruck des Gemäldes in dem Rostocker Ausstellungskatalog: Kulturhistorisches Museum Rostock, Netz, 79. 2 Vgl. Krause, Slüter, 470–473; Schmaltz, Kirchengeschichte, 14–27; Pettke, Slüter, 507; Wolgast, Slüter, 282–288. 3 Vgl. Matrikel der Universität Rostock, verfügbar unter: http://purl.uni-rostock.de/matrikel/ 100025384 (zuletzt geprüft am 15.08.2018). 4 Gryse, Bothpredigen. 1
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darin seine Hörer zu einem gehorsamen Leben im evangelischen Glauben. Noch mehr aber forderten die römische Kirche, das Konzil von Trient und die jesuitische Gegenreformation seinen Widerspruch heraus. Erst 1584 war das Zisterzienserinnenkloster, zu dessen Prediger er einige Jahre zuvor ernannt worden war, in ein evangelisches Frauenstift umgewandelt worden. Von der heftigen Polemik der konfessionellen Lutheraner zeugt Gryses „Spiegel des antichristlichen Papsttums und Lutherischen Christentums, darin die lügenhaftige Lehre des Römischen Papstes und seiner Jesuiten aus ihren Büchern klärlich geoffenbart und gründlich widerlegt wird“. 5 Beide Schriften, die vom Rostocker Drucker Steffen Müllman verlegt wurden, zeigen einen streitbaren, kampfeslustigen Prediger, der um starke Worte nicht verlegen war und der es als seine Lebensaufgabe ansah, das lutherische Bekenntnis gegen altgläubige Widersacher zu verteidigen. In den konfessionellen Konflikten des ausgehenden 16. Jahrhunderts stand Gryse nicht allein. Eine wichtige Rolle spielten die Theologen der Rostocker Universität, von denen einige auch überregional bekannt wurden. 6 An erster Stelle ist David Chytraeus (1530‒1600) zu nennen, der nach seinen Studien in Wittenberg, in denen er Luther hörte, dann aber vor allem bei Philipp Melanchthon lernte, seit 1551 für fast ein halbes Jahrhundert an der Universität wirkte. Chytraeus hatte die Erste Fürstliche Professur für Theologie inne, war wiederholt Rektor der Universität und maßgeblich an der Abfassung der Konkordienformel beteiligt. Durch seine rhetorischen, theologischen und kirchlichen Schriften trug er wesentlich zur Fernwirkung der lutherischen Reformation, insbesondere ins schwedische Königreich, bei. 7 Neben ihm stand zunächst Tilemann Heshusius (1527‒1588). Heshusius hatte die Zweite Fürstliche Professur für Theologie inne. In Rostock wirkte er von 1556 bis 1557 als Pastor an St. Jacobi und danach in Heidelberg, Bremen und Magdeburg. Einer weiteren Öffentlichkeit wurde er bekannt durch seine Streitschrift „Ursache und Grund, warum ein treuer Pfarrherr einen unbußfertigen Sünder als Gotteslästerer, halsstarrigen Papisten, überführten Calvinisten [...] bei der Hl. Taufe nicht soll Gevatter stehen lassen noch ihm das Hl. Abendmahl reichen.“ 8 Nach seinem Weggang folgte auf der Professur Simon Pauli (1534‒1591), der zunächst in Rostock und dann in Wittenberg bei Melanchthon studiert hatte und von 1560 bis zu seinem Tod mehrmals zum Rektor der Universität ernannt wurde und auch als Pastor an St. Jacobi und als Stadtsuperintendent in Rostock wirkte. Von —————
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Gryse, Spegel. Vgl. Kaufmann, Konfessionalisierung, 129ff. Vgl. auch Krabbe, Universität, 632ff. Vgl. Czaika, Chytraeus. Heshusius, Vrsach. Vgl. Barton, Erbe.
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den Inhabern der beiden rätlichen Professuren für Theologie, die auf die eine oder andere Weise an den konfessionellen Konflikten teilnahmen, ist vor allem Lucas Bacmeister der Ältere (1530‒1608) erwähnenswert. Auch er hatte in Wittenberg studiert und war auf Empfehlung Melanchthons 1562 nach Rostock berufen worden, wo er bis zu seinem Tode als Professor und Superintendent wirkte. Bacmeister meldete sich mit dogmatischen Schriften zu Wort, etwa mit dem Traktat „Über die Norm der Wahrheit und die Gewissheit der Lehre und des Kultus in der Kirche Gottes“. 9 Außerdem war er Herausgeber des Rostocker Gesangbuchs (1577), Mitverfasser der mecklenburgischen Kirchenordnung sowie Autor weiterer Schriften. 10 In dieser Zeit des späten 16. Jahrhunderts trat ein neues Thema auf die Tagesordnung der reformatorischen Theologen: die Geschichte. Luther war sehr zurückhaltend, was den Gebrauch der Geschichte für die Sache der Reformation betraf. 11 Zwar verwies er in seinen Schriften auf Vorbilder des Glaubens, die er besonders in den ersten Jahrhunderten der Kirchengeschichte fand, aber er blieb ihrer Bedeutung gegenüber grundsätzlich skeptisch eingestellt: Gottes Wort lege sich selbst aus und bedürfe keiner zusätzlichen Legitimation. Anders war dies bei Philipp Melanchthon, der als Humanist der Geschichte mit großem Respekt begegnete und sich mit ihren Quellen intensiv beschäftigte. 12 Mit der strikten Abgrenzung von der katholischen Kirche und dem Aufkommen innerreformatorischer Gegensätze wuchs der Bedarf an Vergewisserung. Ein frühes Beispiel ist Georg Rörer (1492–1557), der durch seine Aufzeichnungen zum Chronisten der Wittenberger Reformation wurde. 13 Noch bekannter wurde der Jenenser Theologe Matthias Flacius (1520‒1575), der als Initiator der Magdeburger Centurien (1559‒1574) das großangelegte Projekt einer reformatorischen Geschichtsschreibung anregte. 14 Auch die Gründung der Universität Helmstedt mit Kirchengeschichte als eigenständiger Disziplin fällt in diese Zeit (1576). 15 Die Rostocker Theologen nahmen ebenfalls an diesem geschichtstheologischen Diskurs der späten Reformationszeit teil. Eine herausragende Rolle spielte der bereits erwähnte, vom Denken Philipp Melanchthons geprägte David Chytraeus. 16 Ein zentrales Anliegen seines akademischen Unterrichts war die Einführung in die Geschichte. 17 In seinen Büchern behandelte er ————— 9
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Bacmeister, Norma. Vgl. Pettke, Bacmeister. Vgl. Holze, Urteil, 56‒86. Vgl. Dingel/Kohnle, Melanchthon. Vgl. Michel/Speer, Rörer. Vgl. Scheible, Entstehung. Vgl. Maaser, Humanismus, 58‒83, v.a. 62ff. Vgl. Bollbuck, Krantz, 55‒79, v.a. 67ff. Vgl. Chytraeus, lectione.
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immer wieder historische Themen, u.a. schrieb er eine Chronik Sachsens und benachbarter Völker 18 sowie zwei Darstellungen zur Geschichte der Confessio Augustana. 19 Wichtig war auch der bereits erwähnte Lucas Bacmeister der Ältere, der einen chronikalen Bericht über die Einführung der Reformation in Rostock und Mecklenburg verfasste, der offenbar aber erst posthum gedruckt wurde. 20 Nikolaus Gryse fügte dieser reformatorischen Aneignung der Geschichte mit seiner Historia von Leben, Lehre und Tod Joachim Slüters eine neue literarische Gattung hinzu: die Biographie. 21 Das in hagiographischer Absicht geschriebene Werk wird bei ihm zu einem literarischen Mittel der konfessionellen Vergewisserung. Die Tatsache, dass es in niederdeutscher Sprache verfasst wurde, unterstreicht, dass Gryse mit ihm nicht nur die Theologen seiner Zeit, sondern möglichst viele Menschen erreichen wollte. Das klingt bereits auf dem Titelblatt an. Zwei Bibelworte bilden den Einstieg. Zunächst wird Psalm 78 zitiert: Ick wil mynem Mundt updon tho Spreken / und olde Gescheffte uthspreken, und dann 1. Thess 5,21: Proͤvet oͤverst alle dinck / und dat gude beholdet. 22 Mit beiden Bibelworten deutet Gryse an, dass die Geschichte für die Verkündigung wichtig ist, aber nicht unterschiedslos herangezogen werden darf. Sie soll erzählt, aber auf ihren Wert für die Gegenwart hin befragt werden. Diese Gegenwart deutet Gryse als Endzeit: Wenn sick ein Christgeloͤviger nu ein weinich in disse itzige Weldt ummeher suͤth / und dersuͤlven thostandt erweget / so befindet he also balde dat ydt in der warheit war sy / wat der H. Evangeliste unde Apostel S. Johannes im 2. Cap. syner ersten Epistelen gewissaget hefft / dat noͤmlyken darinne sy / lust des Fleisches / lust der Ogen / und ein hoverdiges levent […] So sluͤth he daruth dat itz de aller leste tyde der Weldt ghar kort vor dem Juͤngsten dage syn moͤten. 23
Warum deutet Gryse die Gegenwart als Endzeit? Worin bestehen die Anfechtungen der Christen? Zur Erklärung greift Gryse auf die Deutungskategorien des konfessionellen Luthertums zurück. Anknüpfend an Art. 12 der Konkordienformel (1577) verurteilt er nicht nur Wedderdoͤper / Zwinglianer und dergelyken 24, sondern beklagt auch die vordoͤmlyken Papistischen duͤsternisse 25. Mit —————
Vgl. Chytraeus, Chronicon. Vgl. ders., Historia Augustanae; ders., Confession. 20 Vgl. Bacmeister, Historia Ecclesiae. Vgl. Kaufmann, Bacmeister, 22‒26; Pluns, Universität Rostock. 21 Vgl. Gryse, Historia. 22 Ebd., 25. 23 Ebd., 25f. 24 Ebd., 29. 25 Ebd., 35. 18 19
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seiner summarischen Aufzählung geht es ihm freilich nicht um eine theologische Auseinandersetzung, sondern um eine eschatologische Zeitdeutung, in der Calvinisten und Jesuiten als Exponenten des Antichristen auftreten: Denn wenn wy myt vlyte betrachten / wo hefftigen der Duͤvel dorch syne mennigerley Rotten unde Secten / vornemlyken dorch de Calvinisten und Jesuwidersche Papisten uns etlyke jar her an bordt gelegen hefft und licht / dat wordt der warheit so Godt vor 60. jaren an disse oͤrde uth gnaden gesandt und gegeven / tho vorfelschende und entlyken hen wech tho nemende / Und darjegen ock behertigen / wo krafft gnedichlyken der Sohn Gades syne Christgeloͤvige und uns beschuͤttet und erholden hefft / So koͤnnen wy uns nicht genochsam daraver vorwunderen und em darvor dancken. 26
Das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also in der Zeit des Neuluthertums, entstandene Ölgemälde des mecklenburgischen Malers Andreas Kielmann (1825‒1873) „Güstrower Prinzenraub“, das im Güstrower Schlossmuseum zu sehen ist, 27 kann als eine bildliche Illustration von Gryses kämpferischer Haltung gedeutet werden: Es zeigt Adolf Friedrich I., der aus Sorge um die konfessionelle Einheit des Landes im Januar 1637 seinen vierjährigen Neffen, den späteren Herzog Gustav Adolf von MecklenburgGüstrow, gewaltsam an sich reißt, um zu verhindern, dass dieser durch Eleonora Maria, die Witwe von Herzog Johann Albrecht II., im calvinistischen Glauben erzogen wird. In seinem Kampf gegen Calvinisten und Jesuiten misst Gryse Luther eine heilsgeschichtlich qualifizierte Rolle zu. Gryse bezeichnet den Wittenberger Reformator nicht nur als begnadeten Prediger und kämpferischen Theologen, sondern als dat uterwelde wercktuͤch Gades 28, als den Duͤdischen Propheten und lesten Eliam. 29 Mit dieser Anknüpfung an die Tradition biblischer Propheten wird der Wittenberger Reformator den Koordinaten menschlicher Geschichte enthoben und zu einer Gestalt der Heilsgeschichte. Gryse macht ihn zum Gründungsmythos einer neuen Zeit, die sich an Luther als Maßstab orientiert und vergewissert. Kein Wunder, wenn er in der Historia immer wieder darauf verweist, dass es darum gehe, syn reines H. wordt, das Gott gegeben habe, lutterrein by uns beth an den Juͤngsten dach zu erhalten. 30
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Gryse, Historia, 27. Abbildung in Mecklenburg-Vorpommern: Virtuelles Museum zur Landesgeschichte, verfügbar unter: https://www.landesmuseum-mecklenburg.de/exponate/museum-guestrow/andreas-kielmannguestrower-prinzenraub/ (zuletzt geprüft am 25.07.2018). 28 Gryse, Historia, 41. 29 Ebd., 37, auch 26, 29. 30 Ebd., 27. 26 27
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Wie ordnet Gryse unseren Lutterischen Sluͤter 31 in die Reformationsgeschichte ein? Im Abschnitt über das Jahr 1523 gibt er, nachdem er zuvor den Stand der Reformation an anderen Orten Nord- und Ostdeutschlands beschrieben hat, mehrere Hinweise. Gleich zu Beginn betont Gryse, dass Slüter ein Schüler Luthers, des Lutheri Discipel 32, gewesen sei. Diese Feststellung war ihm wichtig und sie spielt im weiteren Verlauf seiner Darstellung eine zentrale Rolle. 33 Gryse begründet die Bedeutung und Art der Beziehung Slüters zu Luther mit zwei Argumenten: Das erste lautet, dass dersuͤlve frame Godt, der Luther, den Duͤdischen Propheten und lesten Eliam, zum Prediger zu Wittenberg erwählt habe, nun auch Slüter erwecket / und densuͤlven Anno 1523 tho synem Dener erwelet habe, damit dieser alhyr syn H. wordt lutterrein offentlyken tho Predigende. 34 Es ist also keine Rede davon, dass Slüter in Wittenberg studiert oder Luthers Schriften gelesen habe, auch findet sich bei Gryse kein Hinweis auf eine Begegnung beider Prediger, dafür aber die schlichte, aber theologisch gewichtige Aussage über die Erwählung Gottes. Ein und derselbe Gott hat Luther und Slüter berufen ‒ für Gryse ist es eine heilsgeschichtliche Ebene, die die Verbindung Slüters mit Luther begründet und sich auch in der Namensgebung des Slütersohnes spiegelt, den he Eliam hefft noͤmen laten / wegen des ersten Eliae / de grote vorfolgung hefft moͤten uthstan / und des lesten Eliae D. Lutheri / so nu vor dem juͤngsten dage vorhanden / unde sick hoͤren leth. 35 Das zweite ‒ deutlich irdischere ‒ Argument bezieht Gryse aus der Semantik der Geographie, wenn er schreibt: Van der Elve her / an welckerem water de Stadt Wittenberch gelegen, sei Slüter von Gott berufen worden, gebaren in einem Stedeken in dissem lande tho Meckelnborch an der Elve belegen / mit namen Doͤmitz 36. Der Gedanke ist deutlich: Die Elbe verbindet Wittenberg und Dömitz. Luthers Geist ist also gewissermaßen die Elbe hinabgeflossen und hat mit Gottes erwählender Gnade Slüter zum lutterreinen 37 Prediger erweckt. Gleich im Anschluss daran klärt Gryse den Leser über den Namen Slüters auf und er macht auch hier deutlich, dass nichts zufällig und alles von heilsgeschichtlicher Bedeutung ist: Slüter habe eigentlich Kutzer oder Kutzker geheißen, doch als sein Vater, ein Fährmann, gestorben sei, habe sich seine Mutter erneut vorehlyket mit einem erlyken Manne / mit namen Sluͤter. Deswegen habe man den Sohn nicht nach synem rechten Vader —————
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Gryse, Historia, 34. Ebd., 37. Vgl. Bosinski, Slüter und Luther, 67‒109, bes. 69f. Gryse, Historia, 37. Ebd., 59. Ebd., 37. Ebd.
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Kutzker / sondern na synem Steffvader Sluͤter geheten / und ys also darher alwege und alderwegen Jochim Sluͤter genoͤmet 38. Joachim habe sich offt geweyert unde geweret / unde anfencklyken ydt gerne gesehen hedde / dat man en nicht Sluͤter / sondern Kutzker genoͤmet hedde, also nach seinem leiblichen Vater. Schließlich aber habe er den Namenswechsel akzeptiert, doch nicht aus irdischen Gründen, sondern weil der Vater im Himmel dieses so gewollt habe. Gryse schreibt: Welckes Godt ane twyfel also geschicket / dewyle im Pawestdom S. Peter vor des Hemmels Sluͤter [= also als Schließer des Himmels] geholden / he ock alhyr in S. Peters Kercke / ja in der gantzen Stadt / allen botferdigen / den vam Antichristischen Roͤmischen Paweste thogeslatenen Hemmel / anfencklyken hefft wedderumme upsluten moͤten. 39
Eine kühne, semantisch gleichwohl gelungene Deutung: Joachim Kutz(k)er ist der Rostocker Petrus, der Slüter bzw. Schließer also, dem die Petrus verheißene Schlüsselgewalt übertragen ist. Das heißt zugleich: Rostock wird bei Gryse zum Rom des Nordens und Slüter sein göttlicher Himmelsschließer, sozusagen der reformatorische Papst, der mit seiner Predigt die Verheißung von Matthäus 16,18 erfüllt. Wenige Zeilen später ‒ noch im gleichen Kapitel ‒ beschreibt Gryse die Umstände, unter denen Slüter in Rostock gewirkt hat. Wir wissen darüber nicht viel, was damit zusammenhängt, dass nur wenige Dokumente darüber erhalten geblieben sind. Eines der noch vorhandenen Zeugnisse ist der Brief Martin Luthers an Den erbarn, ersamen und weysen Burgermeystern und Radt der Stadt Rostoch, unsern gunstigen Freunden, vom 20. November 1531. 40 Darin bezieht sich Luther auf das Gespräch, das Johannes Bugenhagen mit Slüter im Sommer 1531 in Lübeck geführt hatte und in dem es um die in der Rostocker Pfarrerschaft umstrittene Einführung liturgischer Reformen sowie um den Gebrauch der niederdeutschen Sprache im Gottesdienst gegangen war. 41 Auch Urbanus Rhegius war vom Rostocker Rat um ein theologisches Gutachten gebeten worden. 42 Luther hatte diese Auseinandersetzungen vor Augen, als er ‒ ohne Slüter beim Namen zu nennen ‒ vor einem zenckisch prediger warnte, der Zwispallt unter den evangelischen Predigern verursacht habe, weil er der priuata verhor und absolutio entgegen ist und sunst vergeblich zancket von andern ewren Cerimonien, so doch zu leyden sind. Man müsse ihn darum freundtlich vermane und sonst —————
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Gryse, Historia, 37f. Ebd., 38. WA Br 6, 225, 6.16f.24.30. (Nr. 1883). Vgl. Wichmann, Zwist, 140‒155. Vgl. Pettke, Gutachten, 93‒103.
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aus ewr stadt frundlich ziehen lassen, also aus der Stadt ausweisen. 43 Mit seinem Votum positionierte sich Luther unmissverständlich gegen Slüter. Ohne auf dessen Anliegen näher einzugehen, stellte er ihn auf die Seite derer, die den Erfolg der Reformation gefährden und darum abgewiesen werden müssen. Vermutlich erblickte er in Slüter einen der Vertreter des sog. linken Flügels der Reformation, die aus seiner Sicht nur Unruhe und Konflikte mit sich brachten. Gryses Historia ‒ mehr als ein halbes Jahrhundert nach den Geschehnissen geschrieben ‒ vermittelt einen völlig anderen Eindruck. Bei ihm ist Slüter nicht der exzentrische Außenseiter, sondern zentraler Akteur in der Rostocker Reformation, dessen Wirken zu einem heilsgeschichtlichen Wendepunkt führt: Ja der Duͤvel suͤlvest / […] / hefft nicht gerne uth dissem synen warmen neste wyken willen / […] / Daruth kanstu lichtlyken sluten / wo vele der leve Sluͤter alse ein Confessor und Martyr Christi / hefft anfencklyken lyden und uthstan moͤten. Denn em hefft Fuͤr unde Water / Windt und Regen under de Ogen gestormet / Men heffte em heimlyck und offentlyken gelestert / gehoͤnet und gesmehet / […] / dat he offt in synem Huse des Nachtes nicht sekerlyken hefft slapen koͤnnen / noch alleine up der straten ghan doͤren / […] / Alse denn ock vor S. Peters Dore / mennige Nacht thor Samertydt mit weheklagende und suͤchtende hefft thogebracht / wegen der Papisten Tyrannye / dartho denn entlyken ock dyt gekamen / dat he ein Exul Christi geworden unde uth der Stadt hefft wyken / und aver dre verendel Jares hefft blyven moͤten […]. 44
Wenig später fügt er hinzu, dieses sei dorch Gades tholatunge 45 passiert, also nicht zufällig, sondern in der Heilsgeschichte begründet. Slüter in Rostock ‒ Gryse stellt uns ein Szenario vor Augen, in dem nicht die Menschen das Heft des Handelns in der Hand haben, sondern höhere Mächte, zunächst der Teufel, vor allem aber Gott, der Slüter als Confessor und Martyr Christi den Weg des Leidens und der Passion Christi gehen lässt. Unter dem Jahr 1526 berichtet Gryse von Slüters Predigt in Rostock nach seiner Rückkehr aus dem Wismarer Exil. Das Szenario erhellt die Mauern und Grenzen sprengende Kraft der Evangeliumspredigt. Dort heißt es: Wat oͤverst unsem vorgedachten H. Jochim Sluͤter alhyr belangende deit / so ys dersuͤlve wedderumme alhyr tho Rostock upt nye van Hertoch Hinrick tho Meckelnborch dem Christlyken Foͤrsten an synen voͤrigen ordt tho S. Peter hengeordent / und hefft mit yverigem Geiste Gades luttereins wordt alse thovorne frygmoͤdigen geprediget /dartho denn ock Godt der Here / rycklyken synen Geist und krafft gegeven / dat van dage tho dage / der tall der geloͤvigen sick also vermeret hefft / dat de Kercke tho S. Peter / tho dersuͤlven Samertydt so huͤpigen vul thohoͤrer geworden / dat he nicht
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WA Br 6, 225, 6.16f.24.30. (Nr. 1883). Gryse, Historia, 39. Ebd.
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alleine van den Papisten / […] / in syner Predigen nicht mochte vorstoͤret und vorhindert werden / […] / sondern ock / van wegen des groten gedrenges und der Samerhitte / und der domals sehr groten und wydt uthgebreideden schoͤnen linden / an der Norden syde up dem Kerckhave / na S. Peters dore / up einen darhen undergesetteden Predigstole geprediget hefft / dar denn de luͤde huͤpigen syn ummehergestan / etlyke up dem Kerckhave umme den Predigstol her / etlyke up des Kerckhaves Muͤren / Ja etlyke up der groten Linden / andere up den Boͤnen und in den Vensteren / in synem und der thor luͤchteren handt liggenden Huͤseren gestanden und geseten welckere alle mit sonderlykem vlyte upgemercket / wat de Here dorch em geredet hefft. 46
Wiederum beschreibt Gryse Gott als den eigentlich Handelnden des Geschehens, das diesmal freilich durch ein wichtiges Attribut der Volksfrömmigkeit erweitert wird. Es ist die Linde, die die bildliche Szenerie bestimmt. Gryse lokalisiert die Linde auf der Nordseite der Kirche auf dem Kirchhof, also dort, wo die Toten der Gemeinde begraben sind, nun aber durch die Evangeliumspredigt im Glauben neues Leben erweckt wird. Natürlich erwähnt er die Linde nicht ohne Grund. Seit langem hatte sie eine religiöse und mythologische Bedeutung: Bei den Germanen war sie der Göttin Freya geweiht, der Göttin der Liebe, der Schönheit und der Fruchtbarkeit. Außerdem galt sie als Symbol für Gerechtigkeit, Liebe und Treue ebenso wie für Heilung und Erneuerung. 47 Im späten Mittelalter wurde sie darüber hinaus zu einem Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit, für die Gemeinde und das einfache Volk. 48 Die Linde wird bei Gryse zum Symbol für die Öffnung der Kirche zu den Menschen hin. Mehrfach weist er in seiner Historia darauf hin, dass Slüter so viele Hörer gehabt habe, dass der Kirchenraum dafür nicht ausgereicht habe, und er betont, dass diese von einfacher Herkunft gewesen seien. Gryse spricht von dem gemeinen Manne und amptluͤden / ock den Handtwerckes Gesellen und knechten, verortet also arme geringe vorechtlyke luͤde im Umfeld Slüters, während de groten Ryken ihn gemieden und zu den etablierten Predigern an den anderen Rostocker Kirchen gegangen seien. 49 Gryse belässt es bei diesen allgemeinen Angaben. Worum es ihm geht, zeigt sein Hinweis auf die Linde, durch die er das Szenario der Slüterpredigt vor den Augen der Leser ausschmückt. Die Menschen hätten ‒ so schreibt er ‒ van wegen des groten gedrenges und der Samerhitte auf den Ästen der domals sehr groten und wydt uthgebreideden schoͤnen linden gesessen, um zu lauschen, wat de Here dorch em —————
Gryse, Historia, 42f. Vgl. Beuchert, Symbolik; Laudert, Mythos Baum. 48 Im altdeutschen Kartenspiel, das 1472 erstmals erwähnt wird, zeigt das Lindenblatt den freien Bauernstand (vgl. Vescoli, Baumkalender). 49 Gryse, Historia, 55. 46 47
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geredet hefft. 50 Die Linde taucht an dieser Stelle der Erzählung nicht zufällig auf. Mit ihren mythologischen Bezügen wird sie bei Gryse zu einem Symbol dafür, dass die Verkündigung des Evangeliums nicht mehr an den Kirchenraum und die traditionelle Liturgie gebunden ist, sondern hinausgeht in die Welt zu den Menschen, die von weither kommen, um das Wort zu hören. Damit wird sie bei Gryse zu einem Symbol der Rostocker Reformation. Das im 19. Jahrhundert entstandene Gemälde „Slüters Reformationspredigt in Rostock“ (1857) des mecklenburgischen Historienmalers Bernhard Reinhold (1824‒1892) 51 zeigt die ikonographische Ausstrahlung dieses Motivs: Es zeigt Slüter auf einem Predigtstuhl unter der Linde auf dem Kirchhof von St. Petri in vollmächtiger Predigtgeste; in der rechten Hand hält er die Bibel, während er mit der linken Hand zum Himmel weist; auf die Szenerie fällt helles Licht; unzählige, dicht gedrängt stehende Menschen haben sich versammelt, um der Predigt Slüters aufmerksam zuzuhören. Bernhard Reinhold bildete mit seiner Darstellung keine Ausnahme. Zahlreiche Beispiele lassen sich anführen, die zeigen, dass die Linde im späten 19. Jahrhundert als ein Symbol der Volksreformation Luthers gedeutet wurde. 52 Gryse hat bei seiner Darstellung der Predigt Slüters unter der Linde natürlich die eigene Gegenwart im Blick. Ihm geht es um die Vergewisserung des lutherischen Bekenntnisses in den Konfessionskonflikten des ausgehenden 16. Jahrhunderts: He [= Slüter] hefft oͤverst nicht anders geredet und geleret in allen synen Predigen / alse noch huͤtiges dages Godt loff in allen Kercken alhyr geleret wert / noͤmlyken Gades wordt lutter und rein / bote und vorgevinge der Suͤnden in Christi namen / […] / Ock hefft he de Hochwerdigen H. Sacramente na Christi insettung vorrichtet / und dat H. aventmal under beyderley gestalt den Communicanten vorreket / und also den Minschen den rechten wech thom ewigen levende gewyset / ock gantz flytich unde sehr truͤwlick de luͤde van der valschen lere der Papisten affthostande vormanet / und mit guden grunde der H. schrifft eigentlyken dargedan / unde mit Gades worde duͤdtlyken bekrefftiget / dat de Luttherische lere / de rechte Evangelische warheit were. 53
Für Gryse ist Slüter, der Schüler des Wittenberger Reformators, die das Luthertum der Konkordienformel legitimierende geschichtliche Autorität, denn ‒ so seine Argumentation ‒ bereits er hat so gepredigt, wie es die ————— 50 51
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Gryse, Historia, 43. Abdruck des Gemäldes im Ausstellungskatalog: Kulturhistorisches Museum Rostock, Netz,
Vgl. Blick in die Geschichte: Lutherbäume ‒ eine lebendige Tradition, verfügbar unter: https://www.mdr.de/sachsen/geschichte-der-lutherbaeume-refjahr100.html (zuletzt geprüft am 25.07.2018). 53 Gryse, Historia, 43f. 52
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lutherischen Theologen im ausgehenden 16. Jahrhundert getan haben. Gryse illustriert den hohen Einsatz für die Wahrheit mit konkreten Zahlenangaben: So worde men sick thom hoͤgesten vorwunderen / dar nu in dissem lande / der Formula Concordiae truͤwe prediger und Christi dener 446. hebben Anno 1580. underschreven / dar hedde men domals wol der Antichristes dener aver 14.000. by namen gefunden. 54
In den Angaben kommt Stolz zum Ausdruck, denn tatsächlich konnte man, wie der Blick ins benachbarte Pommern zeigt, auch ohne die Formula Concordiae lutherischen Glaubens sein. Indem Gryse jedoch auf Slüter verweist und ihn zum Schüler des Wittenberger Reformators erhebt, unterstreicht er seine Überzeugung, dass das auf dem Boden des Konkordienbuchs begründete Luthertum Mecklenburgs das wahre, vollständige und unverfälschte Erbe des Evangeliums ist, wie es durch die Reformatoren wiederentdeckt wurde. Eines der Motive, das Gryses Historia durchzieht, ist, dass Slüters Leben von Anfeindungen und Verfolgungen geprägt gewesen sei. So schreibt er: Men hefft ydt oͤverst sick offt undernamen / M. Sluͤter dorch vorgifft dat levent tho nemende / welckes doch van en nicht ehr hefft gescheen koͤnnen / ehr na vyff jaren / do ydt en Godt thogelaten hefft. 55 Unter dem Jahr 1526 berichtet die Historia von einem Giftanschlag, der bei einem Mahl im Gasthaus der Franziskaner verübt worden sei. Slüter sei der Einladung der Altgläubigen gefolgt, weil er dorch Gades huͤlpe gehofft habe, erer etlyke thobekerende / unde etlyke im anfangenen Christlyken Luttherdom unde rechten geloven thosterckende. 56 Er habe nicht geahnt, dass er dorthin na Phariserischer art und Judas wyse gelockt wurde, 57 sei dem Anschlag jedoch entkommen, weil ein armes kindt, ein Zeichen für die Stimme Gottes, ihn auf dem Wege zum Gastmahl gewarnt und dadurch vor dem Tod bewahrt habe. 58 Noch aber durfte Slüter nicht sterben und damit der Heilsgeschichte vorgreifen, eine Einsicht, die Gryse seinem Helden in den Mund legt, wenn er ihn sagen lässt, dat men Godt nicht scholde vorsoͤken / und geferlicheit leven. 59 Sieben Jahre später aber ist die Zeit gekommen: Ein neuer Anschlag wird verübt, der diesmal ein anderes Ende nimmt. Gryse schreibt, die Gegner Slüters hätten ihn sowie zwei andere Personen, die nur beiläufig erwähnt werden, unter einem Vorwand zu einer Mahlzeit eingela—————
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Gryse, Historia, 49. Ebd., 50. Ebd. Ebd., 51. Ebd., 50. Ebd., 51.
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den und das Getränk vergiftet. 60 Die beiden Personen seien bereits kurz nach dem Essen gestorben, nicht jedoch Slüter. Gryse beschreibt das Szenario: Nademe oͤverst M. Sluͤter dorch den vorgifft / denn de vorgifftigen Papisten em dorch Gades tholatinge hebben bygebracht / ein verendeel jares gequinet hefft / und sehr gekrencket ys geworden / unde also geswecket / dat he van dage tho dage an lyves krefften hefft affgenamen / so ys he doch starck im Geiste und geloven beth an syn lestes ende vorharret.61
Wieder sind es also die als Papisten bezeichneten katholischen Priester, die als Gegner identifiziert werden, und es ist das Gift ihrer Lehre, das sie Slüter nach dem Leben trachten lässt. Warum aber tun sie es zu einem Zeitpunkt, da doch die lutherische Reformation in Rostock mit der Einführung der Kirchenordnung (1531) gesiegt hatte? Gryse bietet dafür folgende Erklärung, die auf Mk 16,18 verweist: Efftwol de Papisten offt tho vorne ydt vorsocht / M. Sluͤter dorch vorgifft ummethobringende / so hebben se idt doch nicht ehr de de tydt gekamen / don koͤnnen / Sondern hefft ock an em Christi thosagen moͤten erfuͤllet werden / So gy wat doͤdtlykes drincken werdet / so wert ydt doch juw nicht schaden / oͤverst alse de stunde gekamen und syn ende en Godt also bescheret / hebben se ydt vollenbracht. 62
Der letzte Weg Slüters wird also nach dem Schema von Verheißung und Erfüllung gedeutet. War es Slüter in Erfüllung der Verheißung Christi zunächst verwehrt zu sterben, so war dafür jetzt die Zeit gekommen. Weil Gott wollte, dass er für den rechten Glauben stürbe, lässt er ihn am Gift der Papisten sterben und gibt damit seinem Tod eine geistliche Legitimation. Das zeigt sich zum einen am Judas-Motiv, das bereits an früherer Stelle aufgegriffen wurde, um die Gegner Slüters zu charakterisieren. 63 Über Joachim Niebuhr, den Gryse des Anschlags auf Slüter beschuldigt, heißt es in der Historia, er sei ein Papistische(r) Pape und swartkuͤnstiger toͤverer, der nach Ausführung der Tat aus der Stadt geflohen sei und habe nergent trost finden koͤnnen / beth dat he sick an einen telgen / alse Judas hefft erhangen. 64 Zur Passion des leidenden Gerechten gehört der Verrat des Judas. Dessen Rolle wird in dem von Gryse gezeichneten Szenario dem altgläubigen Priester Niebuhr zugewiesen. Gleichzeitig öffnet der Weg ins Leiden das Tor zum Himmelreich. Die heilsgeschichtliche Dramaturgie in Gryses Historia sieht vor, dass Slüter im Unterschied zu seinen beiden Begleitern, die gleichzeitig mit ihm das Gift ————— 60 61 62 63 64
Vgl. dazu auch den Beitrag von Kristin Skottki in diesem Band. Gryse, Historia, 77. Ebd., 78. Ebd., 56. Ebd., 78.
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eingenommen haben und na weinich dagen gestorven syn 65, noch mehrere Wochen leben muss. Ihm ist es zugedacht, ein Zeugnis für die Kraft des Wortes Gottes zu sein, das in der vergänglichen menschlichen Hülle umso heller aufscheint. Gryse schreibt: Ja he hefft sick ock offt in syner swackheit up den Predigstol leiden laten / dar he ock syn ampt in syner groten amach dorch Goͤdtlyke stercke krefftichlyken hefft vorrichtet. 66 Gryses Darstellung lässt Slüter zu einem Nachfolger des Apostels Paulus werden, der sein Leiden passionstheologisch mit dem Gotteswort „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2 Kor 12,9) gedeutet hatte. In Analogie zu Paulus muss auch Slüter schwach sein, damit Gott in ihm stark sein kann. Wenig später ist dieser Zeugnisdienst vollbracht. Gryse schreibt: Dewyle oͤverst M. Sluͤters schwackheit de averhandt genamen / und syn sterffstuͤndelin gegen den Pingsten sick heran nalede / hefft he sick tho bedde gelecht / und nevenst syner Seelen / ock syne Scheplin / daraver Christus em thom Herden gesettet / Christo wedderumme befahlen / und sick also geduͤldich in den gnedigen willen Gades ergeven / unde dewyle disser Sluͤter ein sonderlick Organon S. Sancti, ein wercktuͤch des H. Geistes gewesen / So hefft ydt sick ock also geschicket / dat he am H. Pingstdage / an welckerem der H. Geist den Apostelen gegeben / twischen twen unde dren up den namiddach im Heren salichlyken entslapen ys. 67
Gryse geht es bei diesen zeitlichen Angaben, die erstmals nicht nur Jahre oder Monate, sondern sogar Stunden eines einzigen Tages benennen, nicht um eine historische Aussage, sondern um eine heilsgeschichtliche Deutung: Der Tod in der achten und neunten Stunde, also der Sterbestunde Christi, beglaubigt Slüter als treuen Nachfolger seines Herrn. Und wie die Passion Christi durch Karfreitag zur österlichen Auferstehung führt, so führt Slüters Passionsweg zur Gründung der Kirche der Reformation am Pfingstfest in der Ausgießung des Hl. Geistes. Die lateinische Inschrift auf dem Grabstein bei der Petrikirche lautet: Sepultura M. Joachim sluter qui / Anno domini MDXXIII evangelion in / hac civitate pure predicare incepit / propter quod intoxicatus obiit in die pen-/tecostes anno XXXII. Gryse fasst sie in seiner Historia in wenigen Worten zusammen. In der Inschrift bündelt sich seine theologische Deutung des Geschehens, die auf die Predigt des Evangeliums, den Märtyrertod Slüters und die Gründung der Kirche zu Pfingsten ausgerichtet ist. Es spricht viel dafür, dass die Vermutung, der Stein sei kurz nach dem Tode Slüters von seiner Frau Katharina Jelen gelegt worden, zugunsten der Auffassung korrigiert werden muss, dass dies erst im Ausgang des Jahrhunderts geschehen ist. 68 ————— 65 66 67 68
Gryse, Historia, 78. Ebd., 77. Ebd., 78. Vgl. dazu ebenfalls den Beitrag von Kristin Skottki in diesem Band.
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Gryse lässt Slüter an früherer Stelle andeuten, dass er mit seiner Person kein Ende, sondern einen Anfang gegeben sieht. Dafür legt er ihm ein Wort Johannes des Täufers in den Mund, in dem dieser von sich selbst weg auf Christus weist (Mt 3,11). Bei Gryses Slüter wird daraus ein Verweis auf die Gegenwart des Autors: Ick bin nu ein geringer Man und dener Christi / Na my oͤverst wert Godt grote Doctores, und vele hochgelerde Menner und Prediger in disse Stadt / beyde in der Universiteten und hogen Scholen / und ock in der Kercken und dem Predigtampte erwecken / des Schoͤler Ick ytzundes kume bin tho noͤmende / ock nicht werdt / dat ick en de Schoremen uploͤsen scholde / dardorch wert Godt syne ehre und lere vele rycklyker uthbreiden laten / alse de Papisten ytz meinen und manniger geloͤvet. 69
Gryse beschließt diese Worte Slüters mit der Feststellung: Alse denn ock solcke demoͤdige wyssagunge Godt loff erfuͤllet und wahr geworden ys. 70 Mit diesen Worten lässt Gryse seinen Slüter, so wie Johannes auf Jesus gezeigt hat, auf die nachfolgenden Generationen lutherischer Prediger und damit auch auf sich selbst verweisen. Auf diese Weise konstruiert er eine reformatorische Überlieferungsgeschichte, die vom heilsgeschichtlichen Deutungsschema Verheißung und Erfüllung geprägt ist. Wenn wir an den Anfang der Darstellung zurückblättern, lesen wir, welches literarische Ziel Gryse mit seiner Darstellung verfolgt. Es gehe ihm, wie er in der Einleitung betont, darum, up dat ock dardorch Gades Almacht / grote Wyßheit und unsprecklyke leve / erkandt und offentlyken bekandt / Ock ein yder hyrdorch tho desto mehr dancksaginge gegen Godt / wegen synes Goͤdtlyken und uth gnaden geapenbaredes salichmakendes wordes / und rechtem gebruke der Hochwerdigen Sacramenten / thom waren geloven / und gebede / thom Hilligen levende / unde thor Christlyken vullstendicheit und Godtsaligen Iver mochte geleydet / angereitzet und erholden werden. 71
Es ist also ein homiletisch-katechetisches Interesse, das Gryse zur Feder greifen lässt. Mit seiner Darstellung will er die Leser thom waren geloven führen, den Joachim Slüter, des ersten reinen Evangelischen Predigers alhyr, exemplarisch verkörpert. 72 Zum literarischen Konzept Gryses gehört der Anspruch einer historisch begründeten Darstellung. Das zeigt sich darin, dass der Autor die SlüterErzählung mit zeitgeschichtlichen Bezügen, durch den Verweis auf Reichstage sowie Geschehnisse und Personen der allgemeinen Geschichte anreichert und zugleich chronologisiert. Gleichwohl kann Gryse nicht leugnen, ————— 69 70 71 72
Gryse, Historia, 57. Ebd. Ebd., 28. Ebd.
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dass er den eigentlichen Gegenstand seiner Darstellung gar nicht persönlich kannte und H. Joachim Sluͤter myn levedage nicht mit ogen gesehen noch gekanndt hebbe / Sondren elven Jhar na synem Dode / Anno 1543. an S. Catharinen dage alhyr tho Rostock gebaren ist. 73 Auch muss er einräumen, dass zu ytziger tydt sehr weinich Luͤde leven de in erer Joͤget en gekendt und syne Predige gehoͤrt hebben 74, es mehr als 60 Jahre nach dem Tode Slüters also kaum noch Menschen gibt, die Slüter persönlich begegnet sind. Wenn Gryse dennoch am Postulat historischer Faktizität festhält, greift er einen in der mittelalterlichen Historiographie üblichen literarischen Topos auf. Demnach verwies ein Autor, wenn er seinen Protagonisten nicht persönlich kannte, auf alte, bewährte Augenzeugen, um die Verlässlichkeit seiner Darstellung zu belegen. 75 In diesem Sinne betont Gryse, er habe by synen vorwanten und bekanden / ock van anderen Godtsaligen olden vorstendigen Mennern / Geistlykes und Weldtlykes standes Personen / so M. Sluͤter gesehen / mit em offt geredet und umme geghan syn / und en velemal hebben Predigen gehoͤret, Informationen eingeholt. 76 Außerdem habe er sich uth loffwerdigen boͤkeren / ock uth synen [= Slüters] eigenen na gelatenen tuͤchenissen / und offentlick gedruckeden schrifften ein Urteil gebildet. 77 Gleichwohl ist es kein Zufall, wenn Gryse uns im Unklaren darüber lässt, mit welchen Personen er geredet und welche Schriften er gelesen haben will. Ihm geht es, wie er betont, nicht primär um die historischen Ereignisse, sondern um die Verkündigung des Evangeliums, up dat yderman sehen und erkennen moͤge / wo Godt syn H. wordt uns gegeven / und by uns sonderlyken vor des Pawestes gruͤwel erholden hefft. 78 Diese Verkündigung wird durch den Verweis auf die Zeugen der Geschichte in Zeit und Raum beglaubigt. Geschichte wird damit zur Verkündigung des Evangeliums, die Verkündigung konkretisiert sich als Nacherzählung von Geschichte. Fassen wir zusammen: Gryses Geschichte ist eine gedeutete Lebensgeschichte, oder ‒ wie es in der Literaturwissenschaft heißt ‒ eine mit fiktionalen Erzählelementen gestaltete Biographie. Theologisch gesprochen: Ihn interessiert nicht die Ereignisgeschichte, sondern die Heilsgeschichte. An Geschehnissen, Personen, Konflikten, Auseinandersetzungen mit ihren Ursachen und Wirkungen erfahren wir nur, was Gryse in seinen theologi—————
Gryse, Historia, 28. Ebd. 75 Ein Beispiel dafür ist die Vita der Hl. Elisabeth des Dietrich von Apolda, in der dieser im Jahre 1289, also 59 Jahre nach Elisabeths Tod, scheibt: „[...] habe ich Mönchsklöster und Nonnenklöster besucht, ich bin in Dörfer, Städte und auf Burgen gegangen und habe sehr alte und glaubwürdige Personen befragt [...].“ Rener, Elisabeth, 25. 76 Gryse, Historia, 28f. 77 Ebd., 29. 78 Ebd. 73 74
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schen Deutungsrahmen stellen kann und will. Alles andere ist für ihn ohne Gewicht. Es gibt für ihn keine neutrale Geschichte. Was in Rostock in den Anfängen der Reformation geschah, können wir bei Gryse nicht erfahren. Sein Interesse ist nicht auf die Vergangenheit Slüters gerichtet, sondern auf die eigene Gegenwart im ausgehenden 16. Jahrhundert, die von konfessionellen Auseinandersetzungen um Luthers Erbe geprägt ist. Was hätte ihm, dem überzeugten Vertreter des konkordistischen Luthertums, in den konfessionellen Konflikten seiner Zeit mehr Legitimation verschaffen können als der Verweis auf das Leben von Joachim Slüter, der nach seiner Überzeugung als Schüler Luthers und damit als Rostocks reformatorischer Petrus den Weg aus der Gefangenschaft der römischen Kirche gewiesen und durch seine vollmächtige Predigt den im Papsttum verschlossenen Himmel wieder geöffnet hat?
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Slüters Tod, oder: Von Rostocker Zauberern und Hexen am Beginn der Reformationszeit 1 Giftmord zu Pfingsten Kaum ein ‚Fakt‘ zum Leben des evangelischen Predigers Joachim Slüter ist wohl so bekannt wie sein angeblich gewaltsam und heimtückisch herbeigeführter Tod am Pfingstsonntag (19. Mai) des Jahres 1532. 1 Das offensichtlichste und eindrücklichste Zeugnis der Giftmordlegende stellt die lateinische Inschrift auf dem Gedenkstein beziehungsweise der Grabplatte am Slüter-Denkmal bei der Petrikirche in der Rostocker Altstadt dar: Sepultura • M • Joachim • sluter • qui / A[n]no • d[omi]ni • M • D • XXIII • eva[n]gelion • in / hac • civitate • pure • predicare • i[n]cepit / propter • quod • i[n]toxicat[us] • obijt • i[n] • die • pe[n]/tecostes • an[n]o • XXXII 2
Dabei handelt es sich allerdings nicht um die Originalinschrift aus dem 16. Jahrhundert, sondern um eine (historisierende) Neufassung aus dem Jahre 1862. 3 Fraglich ist zudem, wie zeitgenössisch diese Grabplatte überhaupt ist, denn vieles deutet darauf hin, dass sie erst aus den 1590er Jahren stammt. 4 Doch wie kam diese Legende vom Giftmord zu Pfingsten überhaupt in die Welt? Und viel wichtiger noch: Wie konnte diese Legende eine solche Plausibilität erreichen, dass die Grabplatte als eine die Jahrhunderte überdauernde öffentliche Anklage sie bis heute lebendig hält? 5 —————
1 Die bislang einzigen ausführlichen und kritischen Auseinandersetzungen mit diesem Thema finden sich bei Koppmann, Vergiftung und Pettke, Fragen. 2 [Hervorhebung K. S.] Vgl. auch die Übersetzung, die auf einer schwarzen Granitplatte angebracht ist, die zugleich die erste Stufe des modernen Slüter-Denkmals von 1995 bildet: „Grabmal des Magisters Joachim Slueter, welcher im Jahre des Herrn 1523 das Evangelium in dieser Stadt rein zu predigen anfing, deshalb vergiftet ward, und am Pfingsttage 1532 starb.“ 3 Vgl. Schlie, Denkmäler, Bd. 1, 116–118. 4 Vgl. Pettke, Offene Fragen, 83–87. Ebenfalls aus den 1590er Jahren stammt eine weitere, hochdeutsche (!) Inschrift, die in Versform eine leicht abweichende Darstellung bietet. Die Platte ist in die Stadtmauer direkt hinter dem Denkmal eingelassen: ALS • MAN • ZALT 1523 • IAHR / M • IOACHIMVS • SCHLVTER • IST • WAHR / ANGEFAHEN • ERSTLICH • GOTTS • WORT / ZV • PREDDIGEN • AN • DISEM • ORT / BIS • IN • DAS • 1532 • IAHR • / DA • ER • DAN • ON • SCHVLT • SCHENTLICH • ZWAR / VON • DEM • PAPISTEN • WART • VERGEBN / VND • HAT • MVSSEN • LASSEN • SEIN • LEBN / GESTORBEN • AM • PFINGST • FEIRTAGE / CHRISTI • STIM • WARTET • OHN • ALL • KLAG / R • S • FECIT 1598 • [Erneuert 1899]. 5 Vgl. etwa nur die jüngste literarische Auseinandersetzung mit dem Thema bei Schlößer, Reformator.
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Die Urheberschaft dieser Legende ist wohl ohne größere Bedenken dem evangelischen Geistlichen und Theologen Nikolaus Gryse (1543–1614) zuzuschreiben, dessen Werk „Geschichte von der Lehre, dem Leben und dem Tode Magister Joachim Slüters, des ersten Predigers zu Rostock“ aus dem Jahre 1593 als die ‚Biographie‘ Slüters schlechthin gilt. 6 In seinem Beitrag zu diesem Tagungsband hat sich Heinrich Holze bereits ausführlich mit diesem Werk auseinandergesetzt und deutlich aufgezeigt, dass man Gryses Darstellung nicht so sehr als Biographie und stattdessen vielmehr als einen hagiographischen Text verstehen sollte. An dieser Stelle sollen aber weniger die kühnen theologischen Deutungen Gryses interessieren, als das vermeintlich authentische, historische Szenario, das Gryse für das Jahr 1532 entwirft. Der besseren Verständlichkeit halber sei hier die Übersetzung von Karl Koppmann zitiert: Obwohl aber Mag. Slüter – so heißt es zum Jahre 1532 – in Folge des Giftes, das die giftigen Papisten ihm nach Gottes Zulassung beigebracht haben, ein Vierteljahr lang gesiecht hat, abgemattet und so sehr geschwächt worden ist, daß er von Tage zu Tage an Leibeskräften abgenommen hat, so ist er doch bis zu seinem letzten Ende im Geiste und Glauben stark geblieben; ja er hat sich oft in seiner Schwäche auf den Predigtstuhl führen lassen und auf demselben sein Amt trotz seiner großen Ohnmacht durch die Stärke Gottes kräftig verrichtet. Das Gift aber ist ihm von dem papistischen Pfaffen, von denen Herr Jochim Nyebur der eigentliche Thäter gewesen ist und Mag. Slüters Buchbinder, dem derselbe viel Vertrauen schenkte, überredet und dazu vermocht hat, in der Weise beigebracht worden, daß, als Mag. Slüter bei frommen Christen zu Gaste gewesen ist, sein Buchbinder vor dem Tische gestanden und eingeschenkt und nach Beendigung der Mahlzeit das zubereitete Gift heimlich in die Kanne gethan hat, aus der Mag. Joachim Slüter zuerst trinken sollte, wie es auch geschah; und nächst ihm hat Jochim Swarnekow, ein Böttcher, und nach diesem ein Wollenweber getrunken, welche beiden Bürger ebenfalls hingesiecht und nach wenigen Tagen gestorben sind. – Der vorgedachte papistische Pfaffe, Herr Joachim Nyebur, ist ein schwarzkünstlerischer Zauberer gewesen, und obwohl er mit einem alten Zauberer, welcher hernach, am Mittwoch vor Martini dieses Jahres, nebst einer Frau Namens Fischersche wegen Zauberei beim Galgen verbrannt worden, gefänglich eingezogen und eine Zeit lang gefangen gehalten ist, so ist er doch als geistlicher Meßpfaffe von einigen vornehmen Leuten losgebeten und so weit begnadigt worden, daß er aus der Stadt gewichen ist; aber Gottes Ungnade ist ihm entgegengetreten, denn als er nicht weit von Güstrow gewesen ist, ist ihm sein Gewissen erwacht, hat sich umgesehen und hat nirgends Trost finden können, bis er sich an einem Ast, wie Judas, erhängt hat. 7
————— 6
Gryse, Historia. [Hervorhebung K. S.] Koppmann, Vergiftung, 38f. Das Original ist als Digitalisat (Exemplar VD16 G 3837) verfügbar unter http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0002/bsb00022131 /images/ (zuletzt geprüft am 12.10.2017), hier: Bildnr. 75 und 76; vgl. auch die Edition Gryse, Historia von Lehre, Leben und Tod, 77f. 7
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Karl Koppmann verwies zu Recht auf die Tatsache, dass in dieser Giftmordgeschichte (mindestens) zwei unterschiedliche Überlieferungsstränge ineinander verwoben sind. Denn zum einen wird der altgläubige Priester Jochim Nyebur als der eigentliche Missetäter von Gryse ‚entlarvt‘, während jedoch Slüters Buchbinder – der nicht namentlich identifiziert wird – als derjenige beschrieben wird, der Slüter und zwei andere an dem Gastmahl beteiligte Bürger durch Gift im ausgeschenkten Getränk (vermutlich Bier) tötete. Gryse löst diesen offensichtlichen Widerspruch nicht auf, da er keine Verbindung zwischen Slüters Buchbinder und dem Priester Nyebur konstruiert. Das muss aber vielleicht insofern nicht verwundern, da es ein typisches Kennzeichen vormoderner Historiographie und Hagiographie ist, dass scheinbare Fakten und überzeugende Erklärungs- und Deutungsmuster, die aus unterschiedlichen Quellen stammten, von den Geschichtsschreibern meist nicht harmonisiert, sondern einfach kompiliert wurden. Koppmann ging davon aus, dass die Geschichte um den vergifteten Trunk, der Slüter und den anderen Teilnehmern des Gastmahls von dessen Buchbinder gereicht wurde, auf eine mündliche Tradition zurückzuführen sei, die man sich 1593 wohl noch in Rostock erzählte. Zumindest sind bis heute keine schriftlichen Zeugnisse bekannt, die diese Version der Geschichte bestätigen. Gegen ein rein fiktionales, von Gryse erdachtes Erzählelement spricht aber zum einen, dass es eben im Widerspruch zur Anklage gegen Nyebur steht und dennoch ausführlich berichtet wird; zum anderen, dass ein weiteres Opfer – der Böttcher Jochim Swarnekow – namentlich erwähnt wird. Dies könnte darauf hindeuten, dass diese Erzählung möglicherweise von den Angehörigen der Familie Swarnekow weitertradiert wurde. Anders verhält es sich jedoch mit dem von Gryse Hauptangeklagten – Jochim Nyebur, oder besser: Joachim Nigebur. Denn in diesem Fall haben wir das seltene Glück, dass bis heute zwei urkundliche Zeugnisse aus Slüters Todesjahr im Rostocker Stadtarchiv erhalten sind, die tatsächlich Joachim Nigebur mit Slüter in Verbindung bringen – eines davon sogar von Nigebur selbst geschrieben und als Autograph erhalten. Diese beiden Zeugnisse sollen im Folgenden näher untersucht werden.
2 Der Kettenprozess gegen Hexen und Zauberer von 1532 Das erste Zeugnis ist das sogenannte Ordelbuch (‚Urteilsbuch‘) des städtischen Niedergerichts, in dem von 1508 bis 1557 die Geständnisse der Angeklagten und die jeweils verhängten Strafen für eine ganze Reihe sehr
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unterschiedlicher Straftaten protokolliert wurden. 8 Auf fol. 30r bis 38r befinden sich insgesamt acht Protokolle aus dem Jahre 1532, von denen sieben in direktem Zusammenhang stehen, da insgesamt sechs Personen „um ihrer Zauberei willen“ (umme erer/siner touerie willen) und eine um ihrer „Untat willen“ (Giftmord) vor Gericht kamen und sich gegenseitig besagten. 9 Katrin Moeller hat darauf hingewiesen, dass dieser erste große Kettenprozess wegen Hexerei beziehungsweise Zauberei für Rostocker Verhältnisse ganz ungewöhnlich ist – nicht nur hinsichtlich der akribischen Nachforschung nach Mitwissern und Mittätern, sondern auch hinsichtlich der harten Bestrafungen, da immerhin vier der sieben Verurteilten mit dem Feuertod auf dem Scheiterhaufen bestraft wurden, und die anderen drei mit einer Schand- oder Körperstrafe und Stadtverweis. 10 Dazu sei aber angemerkt, dass nicht klar ist, ob diese harten Urteile auch tatsächlich in dieser Weise vollstreckt wurden, da der Rat der Stadt den Verurteilten „seine Gnade erweisen“ und die Urteile abmildern konnte. 11 Solche Gnadenerweise wurden in der Regel aufgrund der Intervention von einflussreichen Familienangehörigen oder Mitgliedern von Zünften, Bruderschaften oder Ähnlichem gewährt, wenn denn der oder die Verurteilte über solche sozialen Netzwerke verfügte. Im Falle der sieben hier verurteilten Personen sind jedoch keine entsprechenden Quellen erhalten und deren Begnadigung erscheint auch eher unwahrscheinlich, da es sich vermutlich um sozial eher —————
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Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts. Ob für diese Geständnis- und Urteilsprotokolle die Bezeichnung ‚Urgicht‘ angemessen ist, bleibt fraglich, da diese eine Territion (= Androhung der Folter) bzw. peinliche Befragung (= Folter) voraussetzt, die aber im Falle der hier vorliegenden Protokolle nirgends erwähnt wird. 9 ‚Besagung‘ ist ein Fachterminus, der das Denunzieren anderer vermeintlicher Hexen und Hexer durch eine(n) Angeklagte(n) während der (meist peinlichen) Befragung im Rahmen eines Hexenprozesses bezeichnet. Bei der achten Person handelt es sich um einen gewissen Klaus Hucksdorf (fol. 36r–36v, Protokoll Nr. 66). Er kam am gleichen Tag wie Hans und Margarete Schönebeck (wohl falsch datiert auf den 6. November) vor Gericht um syner deverie und waltsamen dat willen. Wegen mehrerer schwerer Raub- und Diebstahldelikte sowie einer Vergewaltigung wurde er zum Tod durch Köpfen verurteilt. Sein Fall zeigt jedenfalls keine offensichtlichen Verbindungen zu den anderen auf; siehe auch die Tabelle im Anhang. 10 Vgl. Moeller, Hexerei, 26–28. Koppmann, Kriminal-Gerichtsbarkeit, 88f. verweist auf die eigentümliche Formulierung in den drei Fällen des Stadtverweises: dat me se/em midt redde holten ut deme dor leden schole und de stadt forsweren up iiij mile na. Koppmann vermutete, dass es sich beim midt redde holten wohl um eine Schandstrafe handelte, bei der der/die Verurteilte die Pritsche, auf der zuvor vermutlich eine Stäupung (= Körperstrafe) stattgefunden hatte, durch die Stadt tragen musste. Die genaue Bedeutung ist aber unklar, da es nahezu keine anderen Belege für diesen Ausdruck gibt. 11 In der Urteilsklausel heißt es jeweils sunder de heren willen eme/er gnade bewisen. Ob bei dem Kettenprozess von 1532 auch schon davon ausgegangen werden muss, dass die Urteile des Niedergerichts vor der endgültigen Urteilsvollstreckung nochmals einer höheren Rechtsinstanz vorgelegt werden mussten, bleibt fraglich, vgl. dazu Rösler, Persohn, 22.
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niedrigstehende Personen handelte. Genauere Aussagen über sie zu treffen ist nahezu unmöglich, da die Quellenlage für die Geschichte der Hansestadt Rostock in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts insgesamt sehr dürftig ist. Für Personenkreise, die nicht der städtischen Oberschicht angehörten – also weder Universitätsangehörige waren noch Teil der ‚alten Geschlechter‘ oder der ‚Funktionselite‘ der Hansestadt – lassen sich nur in den seltensten Fällen weitergehende biographische Informationen einholen. So erfahren wir aus dem Ordelbuch über die Angeklagten lediglich, dass Nr. 2, Jürgen Hartzow, Altschneider 12 auf dem Mühlendamm gewesen sei und wohl gebürtig aus Preußen stammte. 13 Über die Angeklagten Nr. 3 und 4, das Ehepaar Hans und Margarete Schönebeck, erfährt man, dass sie in der Schwaanschen Straße wohnten und wohl früher einmal in Steinfeld (bei Broderstorf) lebten. 14 Der einzig fassbare Beruf ist also der des Altschneiders. In der Regel waren Altschneider beziehungsweise Altflicker unzünftig, im Gegensatz zu den (Neu-)Schneidern, Gewandschneidern und Krämern, deren Ware neue Stoffe beziehungsweise Kleidungsstücke waren. 15 Da es den Altschneidern nur gestattet war, bereits im Gebrauch befindliche Kleider auszubessern, und sie außerdem keine Gesellen oder Lehrlinge haben durften, muss man sie innerhalb der sozialen Hierarchie der städtischen Handwerker sehr weit unten ansiedeln. Vermutlich reichte das Einkommen eines Altschneiders häufig gerade einmal zur Überlebenssicherung seiner Familie. Dass Hexerei beziehungsweise Zauberei den hier angeklagten Personen also auch zum ‚Broterwerb‘ 16 diente, muss daher nicht weiter verwundern. Wie zu zeigen sein wird, scheinen auch alle anderen Angeklagten einen ähnlich niedrigen sozialen Rang gehabt zu haben wie Jürgen Hartzow, und vermutlich schlugen sie sich vor allem als Tagelöhner, Dienstmägde und mit anderen Erwerbstätigkeiten im – modern gesprochen – ‚Niedriglohnsektor‘ durch. Wie ebenfalls zu zeigen sein wird, mag aber die Zauberei beziehungsweise Hexerei von einigen auch als Möglichkeit gesehen worden sein, nicht nur das eigene Einkommen aufzubessern, sondern auch eine gewisse Art von sozialem Prestige zu erlangen. —————
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Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 31r: de olt scroder up deme molendamme und ebd.: de olt schröder. „Schröder“ ist die niederdeutsche Variante von „Schneider“, siehe dazu die Ausführungen weiter unten in diesem Abschnitt. 13 Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 32r: boidich(?) in prußen. 14 Vgl. Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 30r. Steinfeld als Wohnort bzw. Wirkungsstätte von Hans Schönebeck wird allerdings nur von Joachim Nigebur ins Spiel gebracht, siehe Archiv der Hansestadt Rostock, Urfehde von Joachim Nigebur: Item H[er] Joachim nigebur hefft apenbar bekant dat he tome stenfelde is ghewesen by || hans schonebeken. 15 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Diestelkamp, Entwicklung, 30–33. 16 So auch der entsprechende Erklärungsansatz in Moeller, Hexerei.
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Doch bevor die Geständnisse dieser sieben Personen im Einzelnen betrachtet werden, muss erst noch das Delikt der Zauberei beziehungsweise Hexerei generell erläutert werden. Die genaue Abgrenzung der beiden Delikte für den Beginn des 16. Jahrhunderts ist schwierig. In der modernen Hexenforschung 17 unterscheidet man beide Begriffe in folgender Weise: ‚Zauberei‘ bezeichnet in der Regel magische Praktiken, mit deren Hilfe Menschen versuchen, sich selbst oder anderen – zumeist gegen Bezahlung – im weitesten Sinne Vorteile zu verschaffen (Gesundheit, Reichtum, Glück, Liebe, Schutz etc.), oder auch anderen Menschen zu schaden (Schadenszauber gegen bestimmte Personen, deren Angehörige, deren Vieh, deren Feldfrüchte etc.). Während der Schadenszauber kulturübergreifend, beispielsweise auch schon im antiken Rom, als todeswürdiges Verbrechen galt, 18 wurden die ‚harmloseren‘ magischen Praktiken in der Regel weder verfolgt noch bestraft. Es ist vor allem als Eintrag theologischer Spekulationen über die Wirkmacht des Bösen, insbesondere in der Personifikation des Bösen im Teufel beziehungsweise in Dämonen, zu betrachten, dass sich seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts aus dem Zaubereidelikt allmählich das Hexereidelikt entwickelte, das so fast ausschließlich im Bereich des römisch-lateinischen Christentums anzutreffen ist. 19 Das ‚Grundlagenwerk‘ für die neue Hexenlehre bildete der vom Dominikaner und Inquisitor Heinrich Kramer (Institoris) 1487 erstmals veröffentlichte „Hexenhammer“ (Malleus maleficarum). 20 Darin definierte Kramer nicht nur das neuartige Verbrechen der vermeintlichen Hexensekte, sondern forderte auch die Verlagerung der Hexenprozesse von geistlichen Inquisitionsgerichten an weltliche Gerichte, um die der Hexerei überführten Delinquenten direkt mit dem Tode bestrafen zu können. Der neue, kumulative Hexereibegriff umfasste dabei insgesamt fünf Komponenten: Schadenszauber, Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft, Hexensabbat und Hexenflug. Für das so aufgebaute Bedrohungsszenario war entscheidend, dass die vermeintlichen Hexen nicht alleine und nicht durch irgendwelche ihnen innewohnenden, übernatürlichen Fähigkeiten handelten. Laut Kramer hatten sie sich aktiv von Gott abgewandt (Aposta—————
17
Als guter Einstieg in die Thematik seien empfohlen Rummel/Voltmer, Hexenverfolgung und Voltmer, Hexen. Die hier gebotene Darstellung folgt dem allgemeinen Forschungskonsens – einzelne Aspekte werden von manchen Wissenschaftler*innen anders gewichtet, sind aber für die Argumentation an dieser Stelle nicht weiter von Belang. 18 Vgl. dazu etwa die Beiträge in Becker et al., Hexentribunal. 19 Vgl. die umfassende Studie von Clark, Thinking. Jedenfalls in historischer Perspektive – die Bedeutung des christlichen Hexereikonzepts für gegenwärtige Hexenverfolgungen in afrikanischen Ländern, aber auch in Südamerika und Asien ist noch vergleichsweise schlecht erforscht. Vgl. aus (vornehmlich protestantisch) theologischer Sicht dazu Währisch-Oblau/Wrogemann, Witchcraft. 20 Kramer (Institoris), Hexenhammer.
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sie) und dem Teufel selbst beziehungsweise seinen Dämonen verschrieben. Das Bündnis zwischen Hexe und Teufel wurde, analog zur Ehe, durch Geschlechtsverkehr (‚Teufelsbuhlschaft‘) besiegelt. 21 Als besonders bedrohlich musste es erscheinen, dass die Hexen sich regelmäßig zusammenfanden (‚Hexensabbat‘), auf diesen Versammlungen auch neue Mitglieder für die Hexensekte ‚rekrutierten‘ und durch ihre Fähigkeit zu fliegen in rasanter Geschwindigkeit von einem zu einem anderen Ort gelangen konnten. Während der Glaube an die Realität der ersten vier Komponenten sich sehr bald in vielen europäischen Territorien durchsetzte, war die Realität des Hexenfluges, ebenso wie die Realität von Tierverwandlungen, lange umstritten. 22 Bekanntermaßen waren systematische Hexenverfolgungen ein Phänomen, das seinen Höhepunkt erst in der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts erreichte. Neben den „Hexenhammer“ als theologische (oder auch ideologische) Basis trat nämlich ab 1532 eine neue Prozessordnung, die Carolina 23, die zumindest im Heiligen Römischen Reich – mithin dem Kerngebiet der europäischen Hexenverfolgungen – erst die berühmtberüchtigten Kettenprozesse ermöglichte. Zwar ist auch in der Carolina immer noch die Rede von „Zauberei“ und nicht von „Hexerei“, und als mit dem Tode zu bestrafendes Verbrechen wird weiterhin nur der Schadenszauber benannt, dennoch legitimierte die Carolina drei Vorgehensweisen, die regelrechte Verfolgungswellen auslösten: Erstens konnten weltliche Gerichte „von Amts wegen“ der Hexerei verdächtige Personen festnehmen und verhören, ohne dass eine Einzelperson als Ankläger oder auch nur als Denunziant auftreten musste. 24 Zweitens wurde den Gerichtsherren als Mittel der Wahrheitsfindung die Androhung (‚Territion‘) und das Einsetzen der Folter (‚peinliche Befragung‘) gestattet, was erklärlicherweise zu vielen erpressten Falschaussagen führte und im 17. Jahrhundert auch zum Hauptkritikpunkt der Gegner von Hexenverfolgungen wurde. 25 Drittens waren die —————
21 Im Hinblick auf die Geschlechterfrage ist unumstritten, dass Kramers Misogynie die neue Hexendefinition maßgeblich beeinflusste, und daher prozentual gesehen auch wesentlich mehr weibliche als männliche Hexen verfolgt und hingerichtet wurden – in der Regel wird das Verhältnis von 80% Frauen zu 20% Männern angenommen. Der dennoch in bestimmten Regionen und zu bestimmten Zeiten vergleichsweise hohe Prozentsatz an verurteilten männlichen Hexen ist nach wie vor erklärungsbedürftig. Vgl. dazu die Beiträge in Ahrendt-Schulte et al., Geschlecht. 22 Vgl. Tschacher, Flug. 23 Schroeder, Gerichtsordnung. 24 Dies stellt eine Übernahme des Inquisitionsverfahrens anstelle des vorher üblichen Akkusationsverfahrens aus dem geistlichen Bereich dar. Vgl. zum juristischen Rahmen insgesamt auch Lorenz, Hexenprozeß. 25 Hexerei bzw. Zauberei galt als ‚heimliches Verbrechen‘, da die zauberische Ursache von Unglücken und Schädigungen nun einmal nicht als klassisches Beweismittel vorgelegt werden konnte, so dass das öffentliche Geständnis des/der Angeklagten die unabdingbare Voraussetzung für das Urteil in einem solchen Verfahren darstellte. Vgl. zu den vielfältigen Faktoren, die das
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Gerichtsherren dazu aufgefordert, die Delinquenten genauestens nach Mitwissern und Mittätern zu befragen, besonders aber danach, wer die Angeklagten das Zaubern gelehrt habe, und wem sie selbst das Zaubern beigebracht hätten – durch diese ‚Besagungen‘ wurden überhaupt erst Kettenprozesse ermöglicht. 26 Darüber hinaus verweist das sektenartige Element, welches sich aus den Besagungen ergab, offensichtlich auf das neue Hexereidelikt. Während im Hinblick auf das rechtliche Prozedere der Rostocker Kettenprozess von 1532 ohne Umstände als Hexenprozess bezeichnet werden kann, ist dies im Hinblick auf die gestandenen Verbrechen deutlich schwieriger. 27 Wie zu sehen sein wird, spielen die meisten Komponenten des kumulativen Hexereibegriffs in den Geständnissen kaum eine Rolle, und wenn, dann eher nur andeutungsweise. Im Vordergrund stehen bei diesem Prozess deutlich zauberische Handlungen. Sinn und Zweck der sich nun anschließenden ausführlichen Analyse der Geständnisse ist es, die Aussagen von Hans Schönebeck (Angeklagter Nr. 3) und Joachim Nigebur (Angeklagter Nr. 8) besser kontextualisieren und damit auch die historischen Hintergründe für die Slütersche Giftmordlegende besser erhellen zu können. 2.1 Angeklagte Nr. 1: Katharina Schwarz/Kattrine Swarten 28 Am 20. September 1532 kam Katharina Schwarz als erste Person in diesem Jahr wegen Zauberei beziehungsweise Hexerei vor Gericht. 29 Ihr Geständnis umfasst ganze 19 Punkte. Der erste Geständnispunkt hat es sogleich in sich: Nicht nur besagt sie als allererstes Hans Schönebeck (Angeklagter Nr. 3) als einen Zauberer, der ihr den Umgang mit dem Teufel beigebracht habe; sie erklärte auch, dass die Zauberpraktiken, die Schönebeck ihr beibrachte, stets in „des Teufels Namen“ oder „in aller Teufel Namen“ auszuführen waren. Zumeist habe Katharina diese Praktiken aber gar nicht selbst ausgeführt, sondern sich lediglich als „Ratgeberin“ beziehungsweise „Wissensvermittlerin“ betätigt, denn „die Leute“, die Katharina aufsuchten, —————
Ende der Hexenverfolgungen und schließlich auch des Hexenglaubens selbst ermöglichten, die Beiträge in Lorenz et al., Ende. 26 Vgl Schroeder, Gerichtsordnung, §§ 21, 44–46, 52 und 109. 27 Vgl. Moeller, Willkür, 360: „In Rostock und Wismar ist bei den frühen Prozessen keine eindeutige Klassifizierung nach Zauberei- und Hexenprozessen möglich. Obwohl den Prozessen noch weitgehend die Züge des elaborierten Hexenbegriffes fehlten, wurde bereits sehr früh bruchstückhaft nach den neuen Maßgaben prozessiert.“ 28 Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 30r–31v (Protokoll Nr. 62). 29 Laut Moeller, Hexerei, 26 kamen bereits 1487 drei Frauen und ein Mann in Rostock wegen touerie vor Gericht; dann nochmals 1519 drei Frauen.
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sollten diese Praktiken jeweils selbst durchführen. Bemerkenswert ist auch, dass die in den ersten drei Geständnispunkten beschriebenen Praktiken zwar durch die Anrufung des Teufels Wirksamkeit erlangen sollten, aber nur zum Schutz beziehungsweise zur Heilung des Viehs respektive zum Gelingen des ehelichen Beischlafs dienten. Zugleich wird schon hier am Anfang deutlich, dass Katharina offenbar eine stadtbekannte Hexe war, da sie ständig Personen aufsuchten, die sie um Hilfe baten. Ihre zauberischen Fähigkeiten erlangte sie nach eigener Aussage (Punkt 4) dadurch, dass sie den Teufel mit Hilfe eines Spiegels in ein wassergefülltes Gefäß bannen konnte. Die Beschreibung ihres Verhältnisses zum Teufel ist auch insgesamt bemerkenswert, entspricht es doch so gar nicht dem – vor allem vom „Hexenhammer“ geprägten – Klischee einer schwachen, einfältigen Frau, die von einem mächtigen Dämon verführt und beherrscht wird. Der Teufel, wie er auch von den anderen Angeklagten in diesem Prozess beschrieben wird, entspricht eher dem klassischen Bild eines spiritus familiaris („Hausgeistes“), was als Indiz dafür gewertet werden kann, dass sowohl bei den Angeklagten als auch bei den Anklägern das neue Hexereidelikt mit einem förmlichen Teufelspakt und einer anschließenden Teufelsbuhlschaft noch keine Rolle spielte. Entsprechend sagt Katharina laut Protokoll auch aus, dass sie den im Wasser gebannten Teufel so lange stäupte, bis er ihr sagte, was sie von ihm wissen wollte. Und schließlich beschreibt sie, wie sie sich stets den Lohn für ihre Auskünfte und Praktiken mit dem Teufel teilte. Hier ist beachtenswert, dass sich Katharina und ihr Teufel im Normalfall mit Geld bezahlen ließen, und nicht etwa mit Naturalien, so dass sie an einem Tag, an dem sie die Hilfe des Teufels in Anspruch nahm, „nichts anderes mehr arbeiten musste“ (Punkt 5). Daher liegt die Vermutung nahe, dass Katharina sich in der Regel als Tagelöhnerin durchschlug, als stadtbekannte Hexe aber auch von ihren zauberischen ‚Dienstleistungen‘ leben konnte. Sie präsentiert sich somit als ein Paradebeispiel für das Thema ‚Hexerei als Broterwerb‘. 30 In Punkt 6 gab sie nicht nur an, einen Sud (auch wieder unter Anrufung des Teufels) hergestellt zu haben, um damit Vieh zu vergiften, also um damit einen Schadenszauber durchzuführen, sondern auch, dass sie davon jedem erzählte, den sie traf. Sie ging also mit ihren schadenszauberischen Fähigkeiten offen in der Stadt hausieren, was möglicherweise ein Grund für ihre Verhaftung gewesen sein könnte. Wahrscheinlich ist jedoch der Hauptauslöser für ihre Verhaftung im Geständnispunkt 7 zu finden: Dort liest man, dass sie im Auftrag der Witteschen, der Trägerin, ein Zaubermittel
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Moeller, Hexerei.
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herstellte, das unter anderem dazu dienen sollte, dass Herrn 31 Jakob Nettelenblat (oder Nettelbladt) sein Bier verderbe. Dieser Anschlag zielte direkt auf die Haupteinkunftsquelle der Familie und bedrohte somit ihre Lebensgrundlage. 32 Der Ratsherr Jakob Nettelbladt war nun aber nicht irgendein Opfer, sondern (zusammen mit Heinrich Boldewan) einer der beiden Gerichtsherren im gesamten Rostocker Kettenprozess von 1532. 33 Dass ein Richter, der über eine Angeklagte zu befinden hat, zugleich deren Opfer ist, widerspricht dem heutigen Rechtsprinzip der Unbefangenheit, aber zu Beginn des 16. Jahrhunderts scheint man diesem Prinzip noch nicht stringent gefolgt zu sein. Welche Schlussfolgerungen sich aus der Verhaftung von Katharina Schwarz über die Hintergründe des gesamten Prozesses ziehen lassen, wird am Ende dieses Beitrags nochmals ausführlich diskutiert. In Punkt 8 berichtet Katharina, dass sie mit Jürgen Hartzow (Angeklagter Nr. 2) auf dem Kessiner Berg – der den Rostocker Hexen offenbar als Blocksberg diente – zauberte. Sie beschreibt Hartzow ebenfalls als eine Art Lehrmeister, obwohl sie ihre eigenen magischen Fähigkeiten wiederum hervorhebt, da ihr ihr eigener Teufel sehr gehorsam gewesen sei, im Gegensatz zu dem von Jürgen Hartzow, der diesem nicht allzu fügsam gewesen sei. Diese Unterschiede erklärt sie damit, dass Jürgen Hartzows Teufel namens „Leion“ einer von den Königen und der Herr von 15.000(?) 34 weiteren Teufeln gewesen sei – ihren Teufel benennt sie dagegen als „Mastrock und Pelsebuck Lusefer“. 35 Heutige Leser und Leserinnen mag es überraschen, dass der Teufel in diesen Aussagen wieder nicht als der große, mächtige Widersacher Gottes präsentiert wird – obwohl Katharina ihren Teufel mit der bedeutungsschwangeren Kombination der Gattungsnamen ‚Beelzebub‘ und ‚Luzifer‘ benennt –, sondern als individualisierter Erfüllungsgehilfe und Bündnispartner der Hexen, wobei die Machtverhältnisse zwischen der/dem Hexe/r und ihrem/seinem Teufel scheinbar ständig neu ausgehan—————
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In den Protokollen werden offenbar ausschließlich sozial hochstehende und angesehene Persönlichkeiten mit dem Titel ‚Herr‘ gekennzeichnet. 32 Vgl. Koppmann, Jakob Nettelbladt, 90f. Nach dem Tod seiner ersten Frau fiel Jakob Nettelbladt 1517 u.a. ein Brauhaus in der Langen Straße zu. 33 72 x 100 Tage Ablass und 55 Karenen, vgl. Magin, Ablassinschriften, 7–17. Ebd., 90: „Jakob Nettelbladt […] wurde in den Rath gewählt 1525, war Gerichtsherr 1525, 1526, 1528, 1529, 1532 und kommt als solcher 1532 (Mittwoch nach Martini) Nov. 13 zuletzt vor. Er war zweimal verheirathet und hinterließ aus der ersten Ehe 4, aus der zweiten 6 Kinder.“ 34 Das Fragezeichen in Klammern verweist auf Stellen im Ordelbuch, bei deren Lesung ich mir nicht sicher bin. 35 Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 30v: und den || duvel den he hedde de wolde eme nicht horsam sin sunder den duvel den kattry||ne swarten hedde waß er ghehorsamer alse sin wente idt waß van den kony||ngen een und hedde yc [= 15.000?] ander duvel under sick und hete leion de ander hete mastrock und pelsebuck lusefer.
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delt werden mussten. 36 Die Diskrepanz zwischen dem, was Dämonologen und Hexentheoretiker als Teufelsbund imaginierten, und dem, was sich die vermeintlichen Zauberer und Hexen darunter vorstellten, erscheint mir als ein noch unzureichend erforschtes Phänomen innerhalb der Hexenforschung. Dass der männliche Hexer in diesem Fall einen viel mächtigeren Teufel besitzt als die weibliche Hexe, entspricht zwar einerseits dem Geschlechterklischee; dass aber Katharina im Gegensatz zu Jürgen ihren Teufel im wahrsten Sinne des Wortes im Griff hat, hintertreibt dieses Klischee und passt einmal mehr in Katharinas Selbstdarstellung als machtvolle Hexe. Der Rufname „Leion“, also „Löwe“, für Jürgens Teufel erscheint aufgrund der ihm zugeschriebenen Position innerhalb der Dämonenhierarchie relativ sinnfällig. 37 Der Rufname „Mastrock“ für Katharinas Teufel ist dagegen etymologisch schwer nachvollziehbar. 38 In den übrigen zehn Geständnispunkten ist dann vom Teufel gar nicht mehr die Rede, sondern Katharina berichtet von einem Ehepaar, sieben Frauen und einem Mann, die sie um Rat beziehungsweise ihre Hilfe baten. Unter Punkt 12 berichtet sie nur von der magischen Praktik des Geldgrabens in einem Wohnhaus in Kessin, bei der auch Jürgen Hartzow wieder dabei gewesen sei. Im Falle eines Schadenszaubers gegen Vieh wird ihre Rolle nicht klar (Punkt 9). Zwei Mal wird sie für die Herstellung von Gift respektive Zaubertränken von ihren Auftraggeberinnen mit Geld entlohnt (Punkt 16 und 19). Für ihre Ratschläge im Hinblick auf eine Schüttung mit Totenerde, um die Beziehung eines Ehemannes zu dessen Magd (im Auf—————
36 Zur Unterscheidung von nomen appellativum (Gattungsname) und nomen proprium (Eigenname), die Irmtraud Rösler und Katrin Moeller ihrer quantitativen Erhebung zu den Teufelsnamen in mecklenburgischen Gerichtsakten zugrunde gelegt haben, vgl. Rösler/Moeller, Teufel, 361. 37 Jürgen Hartzow selbst nennt ihn übrigens „Baron“, vgl. Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 32v: Tome vj hefft he apenbar bekannt Dat he eine[n] gest beswor ghenomet || baron Dat de gest don scholde wat he wolde. Als eine wichtige mittelalterliche Quelle für die scholastische Lehre von der Dämonenhierarchie gilt Aegidius Romanus, De ecclesiastica potestate. 38 Sollte es sich dabei, wie auch bei den anderen Teufelsnamen, um Einträge aus der scholastischen Dämonologie handeln, erscheint eine Herleitung vom lateinischen mastruca möglich. Damit wurde in der Antike zunächst ein sardisches Gewand aus Schafspelz bezeichnet, vgl. Hurschmann, Mastruca. Eine Bemerkung von Isidor von Sevilla, dessen „Etymologien“ als eines der wichtigsten Referenzwerke des Mittelalters gelten, ermöglicht aber auch eine semantische Verknüpfung zur Hexerei, siehe Isidor, Etymologiae, XIX, xxiii, 4: Mastruca uestis Germanica ex pelliculis ferarum, De qua Cicero pro Scauro: ‚Quem purpura regalis non commouit, eum Sardorum mastruca mutauit?‘ Mastruca autem quasi monstruosa, eo quod qui ea induuntur quasi in ferarum habitum transformantur (vgl. die Edition: Lindsay, Isidori Hispalensis episcopi). Nicht nur schreibt Isidor dieses Kleidungsstück den Germanen zu, sondern er meint auch, dass man es als „monströs“ bezeichnen könne, denn wer es trage, würde sich sozusagen in die Gestalt eines wilden Tieres verwandeln. Im Rezeptionsprozess könnte Isidors metaphorischer Sprachgebrauch verloren gegangen und das Wort somit in das semantische Feld der Tierverwandlung eingegangen sein.
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trag der Ehefrau) zu beenden, erhält sie als Lohn eine Elle Leinentuch (Punkt 14). Für den Rat zur Herstellung eines Giftes, mit der die Auftraggeberin einen Edelmann vergiften wollte, der „nach deren Gütern trachtete“, bekommt sie wiederum Geld (Punkt 17); ebenso wie für den Ratschlag zum Vergraben eines Zaubertopfes, mit dem sich die Auftraggeberin gegen zauberische Anschläge ihrer Schwester zu schützen hoffte (Punkt 18). In Punkt 13 gibt sie an, dass sie der Langermannschen, einer Bäckerin vom Alten Markt, Rattengift aus der Apotheke besorgte, womit diese ihren Mann vergiften wollte. Als Lohn erhielt Katharina einen halben Scheffel Brot. Merkwürdig daran ist, dass Frau Langermann angab, man würde ihr in der Apotheke kein Rattengift verkaufen, weshalb sie damit Katharina beauftragte – diese war jedoch eine stadtbekannte Hexe. Bemerkenswert ist auch, dass Katharina zwei Mal davon berichtet, wie sie sich ihren Auftraggebern verweigerte. So wollte die Frau von Herrn Nikolaus Frese sie dazu überreden, einem gewissen Klaus Proppe etwas Böses anzutun (Punkt 10), doch sie weigerte sich, wohl einerseits, da sie von Klaus Proppe einen Hasen erhalten hatte, und andererseits, da sie früher schon einmal mit Frau Frese wegen Geldstreitigkeiten vor Gericht gestanden hatte. 39 Außerdem wollte sie der Ribnitzer Bürgermeister Heinrich Louve(?) nach Ribnitz holen, um ihm bei einem Schadenszauber zu helfen (Punkt 15). Sie lehnte das zwar ab, erhielt aber als Bezahlung dennoch drei Gulden, da Katharina ihn an eine andere Hexe (die Krogersche aus Bentwisch) verwies, die ihm dann wohl auch tatsächlich bei der Umsetzung seines Plans half. Warum sie dem Bürgermeister ihre Hilfe verwehrte, wird nicht thematisiert. Eine naheliegende Erklärung wäre die räumliche Distanz von rund 30 km zwischen Rostock und Ribnitz. Jedoch berichtet Katharina selbst, dass sie nach Sehlendorf 40 bei Güstrow gereist war, um sich dort Zauberzutaten von einer gewissen Annike Berners zu besorgen (Punkt 6), und auch für die Herstellung des Giftes für Anschläge auf die Nachbarn einer gewissen Frau Gültzow reiste sie extra nach Sarmstorf bei Güstrow (Punkt 19), das rund 35 km von Rostock entfernt liegt. Diese Beobachtung verweist auch darauf, dass Katharina offenbar nicht nur in Rostock, sondern weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt war – so lebte ihre Auftraggeberin Frau Fritze von dem Berge „jenseits der Elbe“ (Punkt 16) und die Hansche, die den Edelmann vergiften wollte, wohnte in Basedow 41 (Punkt 17). Möglicherweise verweigerte sie in diesem Fall ihre Zusammenarbeit eher —————
39 Da deren Ehemann mit „Herr“ bezeichnet wird, handelte es sich bei den Freses offenbar um eine sozial höherstehende Familie. Scheinbar ging es bei dem früheren Streit um Schulden, die Katharina nicht zurückbezahlt habe – sie betont hier aber, dass dies nicht wahr sei, wie sie es schon damals vor dem ehrbaren Rat ausgesagt habe. 40 Nicht mehr genau zu lokalisierende Wüstung. 41 Ein Dorf südwestlich von Malchin, rund 64 km von Rostock entfernt.
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deshalb, weil ihr Auftraggeber als Bürgermeister von Ribnitz eine öffentliche und sozial hochstehende Persönlichkeit war und sie diese Zusammenarbeit daher als gefährlich einschätzte. Dass sie aber allein für ihre Vermittlung an eine andere Hexe drei Gulden vom Ribnitzer Bürgermeister erhielt, verweist zugleich darauf, dass Katharina ihre Bezahlung offensichtlich an die finanziellen Möglichkeiten ihrer Auftraggeber anpasste, denn für die Herstellung von Zauberpulver erhielt sie von Frau Fritze von dem Berge lediglich einen Gulden und von anderen Auftraggeberinnen ließ sie sich sogar in Naturalien bezahlen. Katharinas Geständnisse führten schließlich zum Todesurteil durch Verbrennen auf dem Scheiterhaufen. In der Logik der Zeit hatte sie sich mehrere todeswürdige Verbrechen zu Schulden kommen lassen – mindestens acht Mal selbst ausgeführter beziehungsweise Mithilfe bei Schadenszauber, mindestens zwei Mal Anstiftung zu Heilungs- und Schadenszauber mit Hilfe des Teufels und mindestens ein Mal Beihilfe zum Giftmord. 2.2 Angeklagter Nr. 2: Jürgen Hartzow 42 Noch am gleichen Tag wie Katharina Schwarz, am 20. September 1532, kam Jürgen Hartzow als zweite Person in diesem Jahr wegen Zauberei beziehungsweise Hexerei vor Gericht. Dass beide am gleichen Tag verhört und verurteilt wurden, macht es meines Erachtens unwahrscheinlich, dass er (allein) aufgrund von Katharinas Besagung gefangen genommen wurde. Stattdessen scheinen beide schon vorher festgesetzt worden zu sein. Der Hinweis, dass Jürgen gebürtig aus Preußen kam, also ein Zugezogener war, legt nahe, dass er kein etabliertes soziales Netzwerk in der Stadt besaß und daher nicht auf Fürsprecher hoffen durfte. Sein Geständnis umfasst 10 Punkte. Es beginnt mit einem erstaunlichen Ritual, das er für einen Wahrsagezauber benutzte (Punkt 1). Dazu schnitt er drei Binsenrohre zurecht und sprach – seine Beschwörungsformel ist in wörtlicher Rede wiedergegeben: Es gingen drei dumme Jungfrauen, es gingen drei weise Jungfrauen; sie wollten in den Busch gehen und suchten die Binsen, oft hatten sie sie dort gefunden. Dass Jesus wurde geboren von einem reinen Kinde mit denselben Worten der Wahrheit, so beschwöre ich diese Binsen mit den wahren Worten, damit du mir die Wahrheit sagst. 43
————— 42
Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 32r–33r (Protokoll Nr. 63). Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 32r: […] und sede id ginge[n] iij dum[m]e junckfrouwe[n] idt gingen iij wise jun||ckvrouwe[n] se wolden gan in den busck und soken dat rusck offte se dat kond[en] find[en] || Dat jesuß wer gheboren van eneme 43
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Diese Adaption und Interpretation des Gleichnisses von den klugen und törichten Jungfrauen (Mt 25,1–13) in Verbindung mit dem bis in die griechische Mythologie zurückreichenden Glauben an die ‚Weisheitsflüsterei‘ von Binsen (daher auch der Ausdruck ‚Binsenweisheit‘), fällt in den Bereich des Böten – niederdeutsch für Segnen beziehungsweise Segensprechen. 44 Wie Irmtraud Rösler bemerkte, ist es typisch, dass Böte- und Zaubersprüche in den Verhörprotokollen als Zitate in direkter Rede wiedergegeben werden. 45 Entsprechend bietet der Begründer der Rostocker Germanistik, Karl Bartsch, im zweiten Band seiner „Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg“ von 1880 nicht nur zahlreiche historische Beispiele aus frühneuzeitlichen Hexenprozessakten 46, sondern auch noch sage und schreibe 528 zeitgenössische Beispiele für „Zauber und Segen, Besprechungen“ beziehungsweise „Besprechungen gegen Krankheiten“. 47 Dass ausgerechnet die Bötesprüche wortwörtlich verzeichnet wurden, die einen explizit christlichen, und eben keinen dämonischen respektive teuflischen Charakter haben, ist durchaus bemerkenswert. Vor allem aber offenbaren sie, dass die uns heute so selbstverständlich erscheinende Grenze zwischen außerkirchlicher, privater Frömmigkeitspraxis und als illegitim gebrandmarkten (schadens-)zauberischen Praktiken für viele Zeitgenossen im 16. und 17. Jahrhundert scheinbar keine Rolle spielte. Segen und Fluch, Schaden und Heilung wurden von den gleichen Personen ausgesprochen und gewirkt. Jürgen Hartzows Geständnis steht auch insgesamt gesehen am Anfang einer ganzen Reihe von erstaunlichen Erzählungen innerhalb dieses Kettenprozesses, in denen das Zusammenwirken von christlichen Frömmigkeitspraktiken und zauberischen Handlungen thematisiert wird – eine Beobachtung, die es am Ende des Beitrags noch einmal aufzugreifen gilt. Fragt man sich nun, was denn überhaupt am Böten als anstößig empfunden werden konnte, dann kann die Antwort nur auf theologischer Ebene gefunden werden – denn juristisch gesehen konnte das Sprechen einer Segensformel wohl kaum problematisch sein. Dass auch religiöse Laien durch Segensformeln ihren ‚Alltag heiligen‘ ist zumindest aus Sicht der katholischen Praktischen Theologie ganz unproblematisch. 48 Als anstößig musste aber die Zweckbestimmung erscheinen, da Jürgen Hartzow die gesegneten Bin—————
reinen kinde mid den sulvest[en] word[en] || der warheit so beswere ick dyt rusck mid den ware[n] worde[n] Dat du my di wa||rheit sechst. 44 Vgl. dazu und insgesamt zu den magischen Praktiken, die typischerweise in Mecklenburgischen Hexenprozessen genannt wurden: Moeller, Willkür, 177–190. 45 Rösler, Zauberinne, 15f. 46 Vgl. vor allem für den Zeitraum 1576–1587: Bartsch, Sagen, 10–33. 47 Ebd., 318–460. 48 Vgl. das aufschlussreiche Handbuch Mödl/Steiner, Alltag.
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sen dazu nutzen wollte, eine Wahrheit zu erfahren, die das Maß der menschlichen Erkenntnis übersteigt. Allein das anmaßende Ziel verkehrte somit aus Sicht der Zeitgenossen etwas Christliches in etwas Unchristliches. Der Unterschied zwischen einer christlichen Frömmigkeitspraktik und einer zauberisch-magischen Praktik kann also in einem solchen Fall nicht daran festgemacht werden, wer hier wirkt – Gott und die Heiligen gegen den Teufel und seine Dämonen –, sondern lediglich daran, ob der Mensch damit das ihm zustehende Maß an Erkenntnis, Wissen, Wohlstand, Gesundheit, Glück etc. zu überschreiten trachtet. In diesem Sinne wird dann Zauberei vor allem zu einem Problem der Gesinnungsethik. Recht ähnlich gelagert ist dann auch Jürgens dritter Geständnispunkt, in dem er davon berichtet, wie er mit Hilfe eines christlichen Gebetes eine Wünschelrute ‚aktivierte‘, die vergrabene Schätze anzeigen sollte. Dazu sprach er: […] fünf Vater Unser und fünf Ave Maria und beschwor die [Wünschelrute – Anm. K. S.] beim Vater Unser und bei den Hl. Drei Königen; dass sie ihm die rechte Wahrheit weisen und nahebringen solle, so wie auch die Hl. Drei Könige den Herrn Jesus in der rechten Wahrheit fanden: ‚so beweise auch du die rechte Wahrheit im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen‘. 49
Dass dieses Gebet respektive die Böteformel (und vielleicht auch diejenige aus Punkt 1) vermutlich nicht Jürgens eigene Erfindungen waren, legt Punkt 4 nahe, in dem er aussagt, dass er zwei „Pfaffen“ aus Teterow darum bat, ihm einen Zettel zu schreiben mit der Anleitung zur ‚magischen Aktivierung‘ seiner Wünschelrute. Die Zusammenarbeit mit Geistlichen wird nochmals ausführlich am Ende seines Geständnisses thematisiert (Punkt 10). So sollen sein unter Punkt 9 genannter Komplize Hans Bekeman ebenso wie Hans Schele (Angeklagter Nr. 5) die Fähigkeit des Wahrsagens mit Hilfe eines Kristalls von dem „langen Priester namens Herr Johann Brun aus dem Pockenhaus“ 50 gelernt haben. Jürgen gibt hier des Weiteren an, dass er im Auftrag eines gewissen Herrn Joachim Lusschow (Edel-)Steine aus Erfurt holen sollte, die dieser dann auf eine Reise nach Dambach im Böhmerwald mitnehmen wollte, um sie dort von einem „Meister“ magisch aktivieren zu lassen, und um noch ————— 49
Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 32r: […] sprack v pater n[oste]r und v ave maria und beswor se by deme pater noster || und by den hillighen iij konynghen Dat se eme de rechte warheit wyszen || Und na bringhen so werliken alze de hillige[n] iij konynge den hern jesum || funden in der recht[en] warheit so bewise ok do rechte warheit in deme || name[n] deß faderß un[d] des sonß un[d] deß hillig[en] gesteß Ame[n]. 50 Vgl. ebd. Das St. Lazarus-Hospital befand sich damals in der Nähe des Katharinenklosters und Mönchentores.
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mehr von diesem Meister zu lernen. Dieser Meister habe auch Lusschows (Zauber-)Buch promoviert (promoferde[?]). Jedenfalls scheint Jürgen in Rostock in dem Ruf gestanden zu haben, über therapeutisches Heilwissen zu verfügen, denn laut Punkt 5 wandte sich ein gewisser Laurenz Keding an ihn, da dessen Frau sehr krank war. Laurenz hatte von einer Heilerin aus dem Dorf Thelkow (rund 35 km von Rostock entfernt) gehört und Jürgen begleitete den Hilfesuchenden dorthin, wofür er auch entlohnt wurde. Es scheint allerdings, als ob Jürgens hauptsächliche Motivation darin lag, seine eigene finanzielle Situation aufzubessern, wie schon der Hinweis auf die Wünschelrute nahelegt. In Punkt 2 berichtet er zum Beispiel von einem missglückten Versuch des Geldgrabens und benennt dabei als Mittäter einen gewissen Petruß Ir(?), Peter Homot, Hans Schele (Angeklagter Nr. 5) und Katharina Schwarz (Angeklagte Nr. 1). Geldgraben ist auch Gegenstand von Geständnispunkt 9, demnach Jürgen zusammen mit seinem Komplizen Hans Bekeman nicht nur mehrmals in Rostock nach Geld grub, sondern dafür sogar bis in die Umgebung von Barth reiste – das sind immerhin über 50 km Entfernung. In Punkt 6 besagt er dann nochmals Katharina Schwarz und einen gewissen Ulrich aus Güstrow, und bestätigt dabei bis zu einem gewissen Grad Katharinas Geständnispunkt 8. Denn zwar gibt er bestätigend an, dass er mit diesen Personen auf dem Kessiner Berg war und sich dort in einen Dornenbusch (sic!) verwandelte, doch spricht er nicht von der Hilfe des Teufels, sondern von einem Geist namens Baron, den er beschwor, „damit dieser das tun sollte, was er von ihm wollte“. 51 Ein drittes Mal besagt er Katharina schließlich in Punkt 7, mithin dem einzigen Punkt, in dem er von einem Sud berichtet, den er zusammen mit seiner Ehefrau, einem gewissen Gert Wyman und der Köchin Ruchgel im Namen des Teufels angefertigt habe. Diesen Sud hätte die Gruppe dann auch für Vergiftungsversuche, wie beispielsweise gegen die Köchin von Herrn Soveneken, genutzt, und Katharina Schwarz habe von diesen Umtrieben gewusst. 52 Der Komplize Gert Wyman wurde aber laut Geständnispunkt 8 schließlich selbst zum Opfer. Denn eine Gruppe, die sich aus Jürgen und seiner Ehefrau, Wymans Ehefrau Tilsche, einem gewissen Hese und Katharina Gammelen (Angeklagte Nr. 6) zusammensetzte, versuchte Gert Wyman mit Hilfe eines Breis zu vergiften, den sie nach Anleitung aus einem Buch von ————— 51
Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 32v: Dat he eine[n] gest beswor ghenomet || baron Dat de gest don scholde wat he wolde. 52 Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 32v: Dit waß kattrine swarten mede wytlik.
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Katharina Gammelen hergestellt hatten. Da dieser Anschlag fehlschlug, habe Tilsche schließlich sogar versucht, ihren Mann mit dessen eigenen Kleidern zu ersticken, was aber auch nicht gelang. Offenbar war also Tilsche Wyman die treibende Kraft hinter diesem doppelt fehlgeschlagenen Mordversuch, Jürgen gab aber immerhin an, Mitwisser des zweiten Mordversuches gewesen zu sein. Auch Jürgen Hartzows Geständnisse führten schließlich zum Todesurteil durch Verbrennen auf dem Scheiterhaufen. Stellt man sich noch einmal die einzelnen Punkte vor Augen, hat auch er sich – aus Sicht der Zeitgenossen – einiger todeswürdiger Verbrechen schuldig gemacht. Über harmlose magische Praktiken aus dem Bereich des Reichtumszaubers gehen die beiden Giftanschläge auf die Köchin von Herrn Soveneken und auf Gert Wyman hinaus, an denen Jürgen seine Beteiligung zugab. Schwerwiegend war wohl auch der Umstand, dass das Zaubermittel bei ersterem im Namen des Teufels hergestellt wurde und im zweiten Fall offenbar mit Hilfe eines Zauberbuches. Als das schwerwiegendste Verbrechen dürfte aber jenes auf dem Kessiner Berg angesehen worden sein. Auch wenn Jürgen in dieser Geschichte seinen „Baron“ vermutlich absichtlich als „Geist“ und nicht als „Teufel“ bezeichnete, hat er hier indirekt gleich drei Delikte der Hexerei zugegeben: Teufelspakt, Beteiligung am Hexensabbat – wie man die Zusammenkunft dieser Gruppe am Kessiner Berg auch bezeichnen könnte – und Verwandlung. Dies in Kombination mit den beiden schadenszauberischen Anschlägen konnte die Gerichtsherren, aus der Logik der Zeit gesehen, nur zum Todesurteil führen. 2.3 Angeklagte Nr. 3 & 4: Das Ehepaar Hans und Margarete Schönebeck/Sconebeken 53 Die Protokolle des Ehepaars Schönebeck datieren beide auf den Mittwoch vor Martini, also den 6. November 1532, doch dabei scheint es sich um einen Fehler zu handeln. Denn die Urfehde 54 von Joachim Nigebur (siehe unten Abschnitt 3), die sich explizit auf die Aussage von Hans Schönebeck bezieht, datiert auf den Donnerstag nach Galli (= 17. Oktober). Die Urteile gegen Hans Schele und Katharina Gammelen, die im Ordelbuch auf die Protokolle des Ehepaars Schönebeck folgen, datieren auf den Freitag nach Galli (= 18. Oktober). Die Schönebecks müssen also konsequenterweise an einem Mittwoch nach dem 20. September und vor dem 17. Oktober ausge————— 53
Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 33r–35r (Protokoll Nr. 64) und 35v–36r (Protokoll Nr. 65). 54 Zur Erklärung dieses Begriffs siehe unten Abschnitt 3.
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sagt haben. Beide kamen ebenfalls „um ihrer Zauberei willen“ vor Gericht. Hans Schönebecks Aussage mit insgesamt 18 Geständnispunkten ist nach Katharina Schwarz‘ Aussage die zweitlängste in diesem Kettenprozess; die Aussage von Margarete Schönebeck umfasst hingegen nur sechs Geständnispunkte. Anders, als man es von Katharina Schwarz‘ erstem Geständnispunkt her erwarten würde, präsentiert sich Hans Schönebeck zu Beginn seines Geständnisses nicht als schadenszauberischer Hexenmeister, sondern als therapeutischer Heiler; allerdings gibt er gleich im ersten Punkt an, Güsse und Waschungen für Gegen- respektive Heilungszauber im Namen des Teufels vollführt zu haben. Besonders bemerkenswert ist, dass sogleich in Punkt 2 und 3 Herr Joachim Nigebur als Schönebecks Komplize auftritt, der bei Gegen- und Heilungszaubern vor allem durch das Lesen der Absolution und anderer christlicher Gebete für krankes Vieh und kranke Menschen, die als verzaubert galten, half. Die Punkte 5 und 6 legen nahe, dass die Kombination aus Waschungen mit dem Teufelswasser durch Hans Schönebeck mit anschließendem Absolutionsgebet durch Joachim Nigebur ein regelrechter Verkaufsschlager der beiden war und viele Rostocker und Rostockerinnen die beiden aufsuchten, um von bestehenden Verhexungen geheilt zu werden. 55 Dass Schönebeck seine Fähigkeiten aber nicht nur für ‚gute Zwecke‘ einsetzte, belegen bereits die Punkte 4 und 7. In Punkt 4 gibt er an, dass er seine Ehefrau nicht nur dazu nötigte, Teufelswasser zu holen und es durch Waschungen zuzubereiten, sondern sie musste es auch einem gewissen Pawel Swager vor die Tür gießen. Dies, so gab Schönebeck weiter an, habe er getan, da Pawel Swager heimlich eines seiner Schweine erschlagen und irgendwo verkauft hatte, was er allerdings nicht beweisen konnte. Es handelte sich also um einen Racheakt. Auch habe der zauberische Anschlag Wirkung gezeigt, denn, so wie beabsichtigt, sei Swager nach dem Guss „nicht mehr viel Gutes widerfahren“. In Punkt 7 wird zudem deutlich, dass Schönebeck wohl des Öfteren ein falsches Spiel spielte. Denn dort gesteht er, dass er selbst zuerst Heinrich Sasses Koppel (der in Punkt 1 noch sein Komplize war) mit einem Guss verzauberte, so dass das darauf stehende Vieh krank wurde, um sie anschließend wieder von der Verzauberung zu lösen, so dass das Vieh wieder gesundete. In diesem Falle begleitete ihn nicht sein üblicher Komplize Joachim Nigebur, sondern ein junger Mann namens Johannes, den Schönebeck als seinen Schüler bezeichnete, der aber ————— 55
Vgl. nur Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 33v: Dat he || hanß eggerdeschen und ere kinder und ander mer de he || ock so ghewasschen hefft mid deme sulve[n] water wo bane[n] || ghescreve[n] und sindt sundt gheword[en] und sindt ok alle ab||solutien dar aver geleßen to iij tid[en] uppe iij sondage.
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eigentlich zu einem gewissen Dr. Bonge gehörte. Da dieser Hexenlehrling die Absolution las, liegt die Vermutung nahe, dass es sich ebenfalls um einen Geistlichen handelte. In Punkt 13 erfährt man erstmals von dem Liebespaar Klaus Burow und Tilsche Fischer (Angeklagte Nr. 7), die deren Ehemann, Klaus Fischer, mit Rattengift töten wollten. Sie gaben Schönebeck zwei Gulden, um das Rattengift in der Apotheke zu kaufen. Wieder wundert man sich, warum die beiden glaubten, ein offenbar stadtbekannter Hexer (wie auch Katharina Schwarz) würde das Gift problemlos erhalten. Doch offenbar weigerte man sich in der Apotheke, Schönebecks Anliegen nachzukommen, worauf er einen gewissen Peter Homode „und noch einen (anderen Mann)“ dorthin schickte. Diese beiden Männer entlastet Schönebeck jedoch umgehend mit seinem Geständnis, da er darauf hinweist, er habe beide absichtlich getäuscht und behauptet, er brauche das Gift tatsächlich zum Töten von Ratten. 56 Auch eine Gürtlerin, die Ehefrau des Hans Elrebeke(?), habe ihn immer wieder (wie es heißt, „über hundert Mal“) mit der Bitte belagert, ihr ein Kraut zu besorgen, mit dem sie ihren Ehemann vergiften könne, doch Schönebeck weigerte sich – einen Grund nennt er nicht (Punkt 14). In den Punkten 15 und 16 beschreibt er, wie der Organist Herr Matties über einen Zeitraum von einem oder sogar vier Jahren Schönebeck um eine ‚Ausbildung‘ zum Zauberer bat, um sich mit Hilfe eines Geistes so viel Geld zu beschaffen, dass er für den Rest seines Lebens ausgesorgt hätte. Doch die nächtliche Geisterbeschwörung sei wegen Herrn Matties Ungeduld fehlgeschlagen. Daran anschließend berichtet Schönebeck, dass drei Priester (namentlich wird nur ein Gert Bade genannt) zuerst insgesamt neun Messen über die Bücher des Herrn Matties – gemeint sind vermutlich Zauberbücher – lasen, die Bücher dann tauften und salbten „wie einen Menschen“. Ob Schönebeck an diesen Vorgängen überhaupt beteiligt war, bleibt unklar. Zuletzt berichtet er in diesem Zusammenhang noch von einem Priester aus Kröpelin, der den Teufel jederzeit „laden“ (herbeirufen) konnte, wann er wollte (Punkt 17). Schönebeck scheint dagegen (wie es auch Katharina Schwarz über Jürgen Hartzow aussagte) Probleme bei der Beschwörung des Teufels gehabt zu haben – worauf auch die fehlgeschlagene Geisterbeschwörung in Punkt 15 hinweist. Entscheidend für die Frage nach Slüters Tod sind Schönebecks Geständnispunkte 8 bis 12 und 18, die ich erst im nächsten Abschnitt („Der Zauberer Schönebeck, der Priester Nigebur und der Kampf gegen die Reformation?“) genauer betrachten möchte, da sie auch deutlich aus der Logik der bisherigen Geständnisse herausfallen. ————— 56
Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 34v: Desse ij hefft he entscuddig[et?] || Dat se sine qwade upsate nicht en wüsten.
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Auch Hans Schönebeck wurde von den Rostocker Gerichtsherren zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Die Liste seiner – aus Sicht der Zeitgenossen – todeswürdigen Verbrechen ist lang: Schon die Zaubermittel für therapeutischen Zauber habe er im Namen aller Teufel hergestellt, außerdem leistete er Beihilfe zum Giftmord, stiftete seine Frau zum Schadenszauber an, führte selbst Schadenszauber durch, den er dann wieder durch therapeutischen Zauber unschädlich machte, was ihn aber zugleich als Betrüger respektive Schwindler entlarvt. Vor allem aber versuchte er eine Geisterbeschwörung, und schließlich war er zusammen mit Joachim Nigebur für die zauberischen Anschläge mit Totenerde gegen vier evangelische Prediger der Stadt Rostock verantwortlich, um die es gleich noch im Detail gehen wird. Ähnlich wie Katharina Schwarz scheint Hans Schönebeck ein stadtbekannter Zauberer beziehungsweise Hexenmeister gewesen zu sein – nicht nur wird er von immerhin fünf der acht an diesem Prozess beteiligten Personen besagt, auch seine Erzählungen über die bei den Rostockern enorm begehrten Waschungen mit seinem Teufelswasser legen das nahe. Dass seine Geständnisse schließlich solch (kirchen-)politische Brisanz entfalteten, mag vielleicht erklären, warum dann noch drei Personen vor Gericht erscheinen mussten, die im Vergleich zu den ersten drei Angeklagten maximal als Komplizen betrachtet werden können. Margarete Schönebeck, Hans Schönebecks Ehefrau, erscheint von Anfang an lediglich als Handlangerin, wenn nicht gar als Opfer ihres Ehemanns, der sie zwingt, sich an seinen bösen Taten zu beteiligen, oder sich zumindest der Mitwisserschaft schuldig zu machen. So berichtet sie in den Punkten 1 und 2 von einem schadenszauberischen Guss, den sie auf Geheiß ihres Mannes zubereitete und den er dann gegen eine gewisse Trude aus der Schwaanschen Straße geschüttet habe – dieser Anschlag sei insofern gelungen, als fortan tatsächlich niemand mehr Trudes Bier trinken wollte und ihr somit Nahrung und Verdienst ausgingen. In Punkt 3 widerspricht sie dem Geständnis ihres Mannes (dessen Punkt 4), sie habe Pawel Swager einen Guss gemacht, denn sie sagt aus, Hans habe dies selbst getan. In Punkt 4 lassen die Gerichtsherren sie ausführlich von einem harmlosen Butterzauber berichten, der wieder in den Bereich des Böten fällt, da für das Gelingen der Butter „die Heilige Jungfrau Sankt Woltbrecht“ 57 angerufen wird – gemeint ist offenbar Maria, die mit einem niederdeutschen epitheton ornans belegt wird. Auch in Punkt 5 berichtet sie allgemein vom Böten des kranken Viehs. —————
57 Der Bötespruch ist auch hier als wörtliches Zitat wiedergegeben, siehe Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 35v: hir gete ick dit unge||solt[en] in dat eken De hillige junckfrow sunte woltbrecht steidt in || allen boken hillige junckfrow sunte woltbrecht De heve sick up || in den wolken und hale my my[n] molken und hale my dat myn || und lat enem andern dat sin.
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Bemerkenswert ist dann aber noch einmal Punkt 6. Dort berichtet Margarete, dass die Trude, die laut Margaretes erstem Geständnispunkt Opfer eines schadenszauberischen Gusses ihres Ehemannes wurde, sich von de moneken int frater huß, also den Brüdern vom Gemeinsamen Leben (= Michaelisbrüdern) vier Oblaten geben ließ, damit ihr nichts Böses geschehe und es ihr auch nicht an Nahrung und Verdienst mangele. Offenbar nutzte Trude die von den Brüdern konsekrierten Hostien, um damit den Schadenszauber von Hans Schönebeck aufzuheben. Von den vier Oblaten habe Trude ihr, also Margarete Schönebeck, zwei abgegeben, damit auch ihr nichts Böses oder ein Unglück geschehe. Scheinbar waren beide Frauen miteinander befreundet und beide befürchteten, Hans Schönebeck könne seine Fähigkeiten auch gegen seine eigene Ehefrau einsetzen. Besonders aufschlussreich ist dann aber der folgende Satz: „Aber sie [Margarete] wusste nicht welcher Mönch ihr [Trude] die Oblaten gegeben hatte.“ 58 Offenbar fragten die Gerichtsherren hier noch einmal ganz gezielt nach und das wohl aus mehreren Gründen: Spätestens seit 1531 lässt sich beobachten, wie der Rat zunehmend Druck auf die Brüder ausübte. Erst am 28. Juni 1532, also nur rund vier Monate zuvor, waren der Hausarrest für Rektor Martin Hillemann und die Gefängnisstrafe für den Drucker Johann von Holt gegen das Schwören einer Urfehde aufgehoben worden. 59 Beide waren laut Urfehde inhaftiert worden, weil sie von Anschlagsplänen gegen die Stadt und speziell gegen Stadtsyndikus Johann Oldendorp erfahren, dies aber nicht gemeldet hatten, und weil sie trotz Verbotes das sogenannte Emser Testament 60 und eine lubesche breve gedruckt hatten. Die Brüder standen also ohnehin unter Beobachtung, so dass die Aufdeckung eines Handels mit Sakramenten für den Rat von besonderem Interesse sein musste. Beachtenswert ist auch, dass im Protokoll von „Oblaten“ und nicht etwa von Hostien, vom „Sakrament“ oder vom „heiligen Leichnam“ die Rede ist, wie es für konsekrierte Hostien normalerweise üblich war. Ob dies als ‚evangelischer Eintrag‘ der Gerichtsherren oder als Zeichen für einen bereits allgemein veränderten Sprachgebrauch gewertet werden kann, muss offen bleiben. Jedenfalls scheint es für Margarete etwas ganz Normales gewesen zu sein, geweihte Hostien von den Brüdern als Amulette respektive Talismane für den Hausgebrauch erhalten zu können. Letztendlich gelang es Margarete jedenfalls, das Gericht von der vergleichsweisen Geringfügigkeit ihrer Vergehen zu überzeugen, so dass ihr Urteil aus mit redde holten und einem Stadtverweis um ihrer Zauberei wil—————
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Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 35v–36r: men se [36r] wuste nicht welleker monick[e] er de abbelat[en] gheve[n] hadd[e]. 59 Abgedruckt in Lisch, Urkunden, 261–263 (Nr. XXII). 60 Vgl. dazu Strand, Luther‘s Condemnation.
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len bestand. Ob sich Margarete durch die Art ihrer Geständnisse nur geschickt selbst entlastete, oder ob sie tatsächlich auch ein indirektes Opfer ihres Mannes war, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Erinnert sei aber daran, dass Katrin Moeller zurecht darauf hinwies, dass angesichts der tatsächlichen Geringfügigkeit von Margaretes Vergehen (ein Mal Zubereitung eines teuflischen Gusses, ein Mal Mitwisserschaft bei einem Schadenszauber) der Stadtverweis immer noch ein ungewöhnlich hartes Urteil war. 2.4 Angeklagte Nr. 5, 6 & 7: Hans Schele, Katharina Gammelen & Tilsche Fischer 61 Die Protokolle von Hans Schele und Katharina Gammelen datieren beide auf den Freitag nach Galli, also den 18. Oktober; das Protokoll von Tilsche Fischer auf den Mittwoch nach Martini, also den 13. November 1532. Die beiden ersten kamen „um ihrer Zauberei willen“ vor Gericht und weil sie von Jürgen Hartzow besagt wurden, während Tilsche Fischer „um ihrer Untat willen“ vor Gericht kam, da sie von Hans Schönebeck besagt wurde. Hans Scheles Geständnis umfasst sechs Punkte, ebenso wie das von Katharina Gammelen, während Tilsche Fischers Geständnis lediglich drei Punkte umfasst. Hans Schele belastet gleich zu Anfang seines Geständnisses im Grunde den gesamten – offenbar katholischen – Klerus von St. Jacobi, da er angibt, dass Johann Brun, Herr Matthies der Organist und viele andere der Geistlichen dort wahrsagen könnten und in Erfüllung gehen ließen, was immer man sich wünsche. Dazu würden sie unter anderem Messen lesen, den Erzengel Gabriel anrufen und alle gleichzeitig die Hostien konsekrieren. Hier nun ist die Grenze zwischen kirchlich-sakramentaler Praxis und Zauberei endgültig ad absurdum geführt, da die Geistlichen zwar einerseits nur ihren liturgischen Aufgaben nachzukommen scheinen, diese aber scheinbar mit ‚Heilsversprechungen‘ belegen, die über den Rahmen der legitimen kirchlichen Heilsvermittlung hinausgehen. Fraglich ist an dieser Stelle aber vor allem, wer deren Handlungen eigentlich in dieser Weise interpretiert – haben die Geistlichen sich tatsächlich selbst als Wahrsager und ‚Wunscherfüller‘ präsentiert? Oder haben Gläubige wie Hans Schele deren Handeln einfach nur fehlinterpretiert? Oder haben gar die Gerichtsherren durch Suggestivfragen Hans Schele dahin geleitet, die ganz alltägliche liturgische Praxis des katholischen Klerus als Zauberei zu diffamieren? Eine eindeutige ————— 61
Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 36v–37r (Protokoll Nr. 67), fol. 37r–37v (Protokoll Nr. 68) sowie fol. 38r (Protbokoll Nr. 69).
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Antwort ist wiederum kaum möglich. Dass aber zumindest die beiden namentlich benannten Personen offenbar mit dem Rostocker ‚Hexenzirkel‘ in Kontakt standen, wird dadurch wahrscheinlich, dass Johann Brun auch schon von Jürgen Hartzow (dessen Punkt 10) und der Organist Herr Matthies von Hans Schönebeck (dessen Punkt 15) besagt wurde. Sich selbst belastet Hans an dieser Stelle übrigens überhaupt nicht, da über sein Verhältnis zu diesen Personen nichts ausgesagt wird. Stattdessen schildert er in den Punkten 2 bis 5, dass er mit unterschiedlichsten Komplizen immer wieder nach Geld grub, doch dies niemals zum Erfolg führte. Interessant ist an Punkt 4, dass er neben zwei anderen Komplizen auch den Priester Joachim Nigebur (Angeklagter Nr. 8) besagt, der nicht nur „in den Kristall geschaut“ habe, sondern auch ein Buch besessen habe, aus dem man zum Zwecke des Geldgrabens vorlas – es handelte sich also offenbar um ein Zauberbuch respektive ein Buch mit Beschwörungsformeln. Somit bestätigt auch Hans Schele die Aussagen von Hans Schönebeck (Angeklagter Nr. 3) über die erwerbsmäßige Zauberei des Joachim Nigebur. Dass Hans Schele selbst für seine magischen Fähigkeiten in Rostock bekannt war, legt sein letzter Geständnispunkt nahe, demnach eine gewisse Frau Pasewalk ihn mit einem Kristall aufsuchte, mit dessen Hilfe er wahrsagen sollte, wo sich deren Mann genau aufhalte – er habe den Aufenthaltsort des Schiffers dann auch tatsächlich richtig lokalisiert. Wenn man bedenkt, dass in Hans Scheles Geständnissen überhaupt nicht die Rede vom Teufel ist, und er auch nur die Beteiligung an harmlosen Wahrsage- und Reichtumszaubern gesteht, verwundert es schon, dass er durch mit redde holten und einem Stadtverweis um seiner Zauberei willen vergleichsweise hart bestraft wurde. Auch in der Besagung von Jürgen Hartzow wird Hans Schele lediglich des Geldgrabens bezichtigt (dessen Punkt 2), und dass er zusammen mit Jürgen Hartzow und einem gewissen Hans Bekeman von dem Priester Johann Brun in die Wahrsagekunst des Kristallsehens eingeführt wurde (dessen Punkt 10). Die vorletzte Angeklagte in diesem Kettenprozess, Katharina Gammelen, wurde offenbar vor Gericht geladen, da Jürgen Hartzow sie in seinem Geständnis (Punkt 8) recht schwer belastete, da sie nicht nur an der Giftmischerei beteiligt gewesen sei, die Gert Wymans Tod herbeiführen sollte, sondern es auch ihr Zauberbuch gewesen sei, aus dem man das Rezept für den giftigen Brei entnahm. Sie wiederum belastet durch ihre Aussage Jürgen Hartzow nicht, sondern gibt im ersten Geständnispunkt an, dass ein gewisser Magister Johann Tymen sie darum bat, Rat bei Katharina Schwarz (Angeklagte Nr. 1) einzuholen, um ihn von einem körperlichen Gebrechen zu heilen. Offenbar ging also der Gelehrte davon aus, dass beide Frauen sich kannten, auch wenn er den direkten Kontakt mit der stadtbekannten Hexe Katharina Schwarz zu
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vermeiden suchte. Näheres über das Verhältnis der beiden Frauen erfahren wir nicht. Am stärksten belastet Katharina Gammelen allerdings Magister Joachim Luskow, von dem sie in den Geständnispunkten 2 und 4 berichtet. Joachim Luskow (oder wie er dort heißt: Lutschow/Lusschow) war bereits von Jürgen Hartzow (Angeklagter Nr. 2) besagt worden (dessen Punkt 10), und dort als ein erfahrener Zauber geschildert. Laut Jürgen Hartzow sei er dazu in der Lage gewesen, mithilfe von Edelsteinen wahrzusagen und außerdem habe er Zauberbücher besessen – bei Jürgen Hartzow erscheint Luskow also geradezu wie ein klassischer Renaissancegelehrter mit magischen Vorlieben. Katharina Gammelen berichtet nun unter Punkt 2, dass sie von Joachim Luskow einen (magischen) Freibrief gekauft habe, der sie vor Armut schützen sollte. Offenbar haben die Gerichtsherren dann nochmals gezielt nach diesem Freibrief gefragt, da sie in Geständnispunkt 4 ausführlich davon berichtet, wie man einen solchen Freibrief magisch aktiviere. Und diese Aktivierung ist wiederum einigermaßen überraschend, handelt es sich doch im Grunde um ein gutes, frommes Bußwerk, das wiederum die Grenze zwischen katholischer Frömmigkeitspraxis und Zauberei in Frage stellt. Denn Joachim Luskow habe Katharina gelehrt, dass man zur Aktivierung des Briefes drei Messen in St. Nikolai stiften solle: bei den ersten beiden Messen sollten insgesamt sechs arme „Jungfrauen“ mit einer Mahlzeit und einem Geldstück versorgt werden sowie drei Kerzen gespendet werden, bei der letzten sollte dies in gleicher Weise mit drei armen Männern geschehen. Dazu habe Luskow gesagt: „Wie man denn auch unsern Herrn Gott und den guten Herrn Sankt Nikolaus um etwas bittet, das solle einem widerfahren.“ 62 Wieder fragt man sich – wie schon beim ersten Geständnispunkt von Hans Schele –, wer hier eigentlich aus welchem Grund ein frommes Bußwerk als Teil eines zauberischen Rituals darzustellen versucht. Hat Katharina Luskows Heilsvermittlung falsch, d.h. zauberisch, gedeutet? Hat Luskow selbst die frommen Werke in den Kontext der Magie gerückt, um sie besser anpreisen zu können? Oder waren es vielleicht doch die Suggestivfragen der Gerichtsherren, die auf diese Weise versuchten, Sakramentalien und fromme Stiftungen als Hexenwerk zu diskreditieren? Wie dem auch sei, insgesamt erscheint es so, als habe sich Katharina Gammelen in erster Linie magischen Praktiken zugewandt, um sich selbst vor Krankheit, Armut und Unheil zu schützen. So habe sie sich in Biestow – wohl von einer bekannten Hexe – ein schützendes Kraut herstellen lassen —————
62 Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 37v: Dit hefft || er er mester jochim lutskow gelert wor me ok denne um[m]e || unsen heren got und den gud[en] heren sunte nicolawß biddet dat || Dat sal eme wedder faren.
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(Punkt 5) 63 und von drei verschiedenen Altarbehängen habe sie sich gewirkte Knoten abgeschnitten, um sich einerseits vor dem potentiellen Unmut ihres Wirtes zu schützen, wenn sie sich einmal mehr irgendwo als Dienstmagd verdingte, und andererseits, um sich vor Unstetigkeiten(?) zu schützen oder zu Zeiten, in denen die „weißen Weiber regierten“. 64 Der letzte Hinweis ist besonders spannend, gibt hier doch eine Frau an, die immerhin wegen Hexereiverdachts vor Gericht steht, sich durch apotropäisch wirksame ‚Sakralmaterie‘ (eben die Knoten von Antependien) vor den sagenhaften ‚weißen Weibern‘ schützen zu wollen, die heute als eine entscheidende Wurzel für den Glauben an nächtlich umherfliegende Hexen gelten. 65 Der einzige Geständnispunkt, mit dem sich Katharina tatsächlich selbst belastet, ist Punkt 3, denn dort gesteht sie, dass sie Totenerde vom St. Jürgen Kirchhof geholt habe, damit sie sie zwischen zwei Menschen werfen könne, die miteinander Unzucht beziehungsweise Ehebruch trieben, so dass die beiden einander gram würden. Dies habe sie dann auch einmal im Auftrag der alten Hofmutter, der Frindischen, getan, bei einem Herrn namens Herman der Kellerer(?) aus Doberan und „einer Person“ namens Margarete Unwand aus Rostock. Katharina Gammelen vollführte also einen LiebesSchadenszauber, da sie die Liebe (respektive Begierde) durch die Schüttung von Totenerde (von einem unehrenhaft Verstorbenen, denn der Leichnam sei der eines Geköpften gewesen) ersterben ließ. Allerdings wurde der Zauber dazu benutzt, ein aus damaliger Sicht sozial-gesellschaftlich geächtetes Vergehen zu bestrafen, nämlich Unzucht beziehungsweise Ehebruch, wenn nicht sogar Prostitution, da die Geschädigte als „eine Person“ bezeichnet wird, was mindestens auf ihren Status als ‚Buhlerin‘ hinweist. Ähnlich wie bei Hans Schele überrascht, dass Katharina wegen solch geringfügiger Delikte ebenfalls zu mit redde holten und einem Stadtverweis um ihrer Zauberei willen bestraft wurde. Immerhin aber wurde der LiebesSchadenszauber von den Zeitgenossen vermutlich als recht schweres Verbrechen betrachtet. Außerdem hatten sie mindestens zwei Personen wegen ihrer magischen Kenntnisse und Fähigkeiten um Rat gefragt, was dafür spricht, dass sie in Rostock als Hexe bekannt war. Der letzte Fall dieses Kettenprozesses fällt zwar insofern aus dem Rahmen, als dass die Angeklagte, Tilsche Fischer, nicht „um ihrer Zauberei —————
63 Wurde vom Gerichtsschreiber nicht nummeriert, so dass der nächste Punkt im Protokoll als Nr. 5 geführt wird. 64 Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 37v: […] dat hefft se in || meny[n]ge bi sick ghedrag[en] offte se wor to unsted[en] ginge edder || dar de witt[en] wive regerd[en] dat er nen qwat en schege. 65 Vgl. zur ‚Wilden Jagd‘, zur ‚Nachtschar‘ und ähnlichem Material vor allem das – durchaus umstrittene – Standardwerk Ginzburg, Hexensabbat sowie Behringer, Chonrad Stoeckhlin.
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willen“, sondern wegen „ihrer Untat“, nämlich Giftmischerei mit Tötungsabsicht und -erfolg, vor Gericht kam. Es gilt aber zu bedenken, dass Giftmischerei zum klassischen Hexenstereotyp gehört und aufgrund der Hinterhältigkeit des Verbrechens auch in gleicher Weise wie Schadenszauber bestraft wurde. Außerdem wurde man der Angeklagten überhaupt nur habhaft, da sie von dem Zauberer Hans Schönebeck (Angeklagter Nr. 3) in dessen Punkt 13 entsprechend besagt wurde. Wenig überraschend gesteht Tilsche Fischer dann auch gleich im ersten Punkt, dass sie Hans Schönebeck gebeten habe, ihr Rattengift aus der Apotheke zu besorgen, womit sie Schönebecks Aussage bestätigt. Denn, so heißt es weiter, sie sei mit Klaus Burow übereingekommen, dass sie ihren Ehemann, Klaus Fischer, vom Leben zum Tode bringen wollten. Bemerkenswerterweise gibt sie dann aber an, dass der eigentliche Akt der Vergiftung von Klaus Burow ausgeführt wurde, der das Rattengift dem Opfer unter dessen Warmbier gemischt habe. Als Lohn habe Schönebeck für seine Mithilfe zwei Gulden erhalten. In Punkt 2 gibt sie an, wie sie und Burow das restliche Rattengift verschwinden ließen und somit die eigentlichen Beweise ihrer Missetat vernichteten. In Punkt 3 berichtet sie schließlich davon, dass die Vergiftung ihres Mannes sie und Schönebeck sehr gereut habe, weshalb sie beide nach einer Möglichkeit suchten, ihre Tat zu beichten und zu büßen, so dass sie eine Wallfahrt nach Sternberg unternehmen wollten, doch dazu sei es nicht mehr gekommen – gemeint ist vermutlich beider Verhaftung als Hinderungsgrund. Auch hier stellt sich natürlich sofort die Frage – ähnlich wie bei Margarete Schönebeck –, ob sie durch die Art ihrer Aussage von sich abzulenken versuchte, indem sie die Hauptschuld auf Klaus Burow abwälzte, oder ob Burow tatsächlich die eigentliche, treibende Kraft hinter dem Giftmord war und deshalb auch keine Reue zeigte. Angesichts des harten Urteils – Tod durch Verbrennen auf dem Scheiterhaufen – darf man wohl davon ausgehen, dass das Gericht ihr nicht glaubte. Bemerkenswert ist noch, dass ihr Hinweis auf die geplante Wallfahrt nach Sternberg einer der letzten Belege für die seit 1492 bestehende Heilig-Blut-Wallfahrt nach Sternberg aus dem Mecklenburger Raum ist. Allgemein geht man davon aus, dass der Kult um die angeblich von Juden geschändeten Hostien bereits in den 1520er Jahren zum Erliegen kam – auch und gerade wegen der Kritik Martin Luthers an solchen „wilden Kapellen“. 66 Das Ergebnis der Analyse dieses Kettenprozesses ist einigermaßen erschütternd – immerhin vier Todesurteile durch Verbrennen auf dem Scheiterhaufen und drei Stadtverweise inklusive mit redde holten für das Verbre————— 66
Die historisch-kritische Aufarbeitung der Sternberger Wallfahrt steht erst am Anfang. Als Überblick ist empfehlenswert Gramenz/Ulmer, Sternberg, 11–37.
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chen der Zauberei beziehungsweise Hexerei (respektive ein Mal wegen Giftmordes) innerhalb eines Zeitraumes von weniger als acht Wochen. Wie oben erwähnt, bleibt allerdings unklar, ob auch wirklich alle Urteile in dieser Härte vollstreckt wurden.
3 Der Zauberer Schönebeck, der Priester Nigebur und der Kampf gegen die Reformation? Wie oben angekündigt, gebe ich hier die Geständnispunkte 8 bis 12 und 18 von Hans Schönebeck vollständig in meiner eigenen Übersetzung wieder: Zum 8. hat er offenbar bekannt, dass er auf einen Kirchhof gegangen ist, wo ein junger Mensch begraben war. Dort nahm er zuerst eine Handvoll Totenerde in aller Teufel Namen, dann noch eine und noch eine dritte Handvoll Totenerde in aller Teufel Namen und darauf habe er gesprochen: ‚Du edler Tote, du starbst wider Willen [durch Gewalt]. Leihe mir von deinem Tuch(?). Ich will alles Gute in Böses verwandeln.‘ Diese Erde habe er auf Bitten und nach Herrn Joachim Nigeburs Forderung Meister Joachim Slüter, dem Prediger zu St. Petri, vor seine Wedeme [= seine Pfarrwohnung] geschüttet. Und Herr Joachim (Nigebur) sei auch mitgegangen und habe ihm dabei zugesehen, um sicher zu gehen, dass es auch vollbracht werde. Dies habe Herr Joachim darum getan, da er es nicht leiden/ertragen konnte, dass Meister Joachim Slüter auf ‚Platten und Kappen‘ [= Mönche und Priester] herumscholt. Herr Joachim sei auch selbst mitgegangen vor die Türe der nachgenannten Prediger, damit er Hans Schönebeck die Häuser weisen/zeigen konnte, die Schönebeck selbst nicht kannte; und auch, damit das böse Werk, das er im Sinne hatte, weiter vorankommen möge. Zum 9. hat er offenbar bekannt, dass er und Herr Joachim Nigebur dem Prediger Herrn Barthold zu St. Jacobi, der jetzt in Riga lebt, dieselbe vorher beschriebene Totenerde auch vor seine Tür geschüttet haben, mit der Absicht, dass ihm nichts Gutes widerfahren sollte. So wie ihm dann auch nach der Zeit nicht mehr viel Gutes widerfuhr, denn nach der Zeit musste er dem Predigtstuhl fernbleiben. Dies tat Herr Joachim Nigebur auch um des Wortes Gottes willen, das er nicht straflos erdulden konnte. Zum 10. hat er offenbar bekannt, dass er und Herr Joachim Nigebur dieselbe zuvor beschriebene Totenerde zu St. Nikolai dem Prediger Herrn Tönnies [= Antonius] vor seine Tür geschüttet haben, auch aus dem Grund, dass er Gottes Wort predigte. Und nach der Schüttung entfiel Herrn Tönnies die Sprache und die Leute wurden seines Sermons gram. Dass niemand mehr gerne dorthin ging, um ihn zu hören, das wollte Herr Joachim Nigebur gerne so haben. Zum 11. hat er offenbar bekannt, dass er und Herr Joachim Nigebur die mehrmals beschriebene Totenerde vor die Wedeme zu Unser Lieben Frau [= St. Marien] schütteten. Den dortigen Prediger kannte Hans Schönebeck aber nicht und weiß bis heute nicht, wem dieses böse Werk galt. Es geschah aber auch um des Wortes Gottes willen, das Herr Joachim Nigebur nicht ertragen konnte. Zum 12. hat er offenbar bekannt, dass Herr Joachim Nigebur ihn außerdem noch dazu überreden wollte, mit derselben vorher genannten Totenerde noch einmal umherzugehen vor den Türen der Prediger in allen Kirchspielen. Aber
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das wollte Hans Schönebeck gleichwohl nicht tun und meinte, es wäre doch bereits genug. Außerdem habe aber Herr Joachim von Hans Schönebeck noch begehrt, dass er Herrn Joachims Nachbarin, mit Namen die Krogersche, auch dieselbe Totenerde vor die Tür werfen solle. Das wollte dieser gleichwohl nicht tun.“ 67 […] Zum 18.68 hat er offenbar bekannt, dass er mit Herrn Joachim Nigebur in guter Absicht ‚in colacien‘ [bei einem Abendtrunk?] gesessen habe und mit ihm über die neue Weise geredet habe, wie man nun das Sakrament zu gebrauchen/genießen pflegt; auch darüber, ob es genauso wahrhaftig sei wie es der alte Brauch war. Darauf gab Herr Joachim zu Antwort, dass das Neue nichts sei, und es sei überhaupt nicht mehr, als ob er einen Zipfel von einem Wecken [= Fastenbrot] abbeiße. Wegen dieser (neuen) Weise hätten sich Schönebeck und seine Frau wohl mindestens ein Jahr oder vielleicht vier des Sakramentes enthalten. Und dies habe Herr Joachim über tausend Mal gesagt, dass das Evangelium und der neue Brauch klar eitel Betrug und Lüge(?) und Ketzerei seien. 69
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[Hervorhebung K. S.] Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 33v– 34v: Tome viij hefft he apen||bar bekant dat he hefft ghegan up ene[n] kerckhoff dar || ein junck mynsche ghegrave[n] waß und nam erst[en?] ene [34r] handvul van der dod[en]erde in aller duvel name[n] und dar na || noch enß ene handt ful erd[e] gename[n] in aller duvel name[n] und dar na || de drudde handt ful erd[e] ok gename[n] in aller duvel name[n] und hefft ge||spraken Du eddel dode du storvest node lene my fan dyneme doke ick || wil alle gudt to qwade maken Desse erde hefft he ut bede und forde||rynghe her iochim nygeburß mester jochim sluter preddeker to || sunte peter vor syne wedeme geschuddet und her jochim hefft midt || eme ghegan und toghesen offt idt ok so fulle[n]bracht wurde dit dede || her iochim dar um[m]e Dat he dat nicht lid[en] konde Dat mester iochim || sluter schalt up kappen und platten her um[m]e hefft her jochim sulvest || mede ghegan und vor desse na gescreve[n] preddeker doren ock so dat he eme || de huse wisede de hanß sconebeke sulvest nicht en wuste und ok dat dat || qwade warck vort gan mochte dat he in deme synne hedde. Tome ix || hefft he apenbar bekandt Dat he und her iochim nigebur hebben her Bertelde to sunte iacop deme preddeker de nu to ryge iß desse sulve for ge||screve[n] dod[en] erde ock vor sine dore geschudd[et] in meny[n]ge dat eme nen || gudt schen solde alse eme ock na der tidt nicht vele gudeß en schach || wente he na der tidt van deme preddeck stole blyve[n] moste dit dede her || jochim nigebur ock u[m]me deß wordeß gadeß wille[n] Dat he nen straffent(?) || lid[en] konde. Tome x. hefft he apenbar bekant Dat he und her jochim || nigebur hebben desse sulve vor ghescreve[n] dod[en] erde to sunte nicolauß || vor her tonnieß des preddekerß vor sine doren ok gedan in der meny[n]ge dat(?) || he gadeß wort preddekede und na der erd[en] schuddinge entfel her ton[n]y||geß de sprake und de lude ward[en] sineme sermone gram Dat dar || noch nu[m]me[n]t gerne henne(?) geidt de ene hort Dat forderde her jochim || nigebur also wo vor. Tome xi he apenbar bekandt Dat her joch||im nigebur de sulve[n] vaken(?) gescreve[n] dod[en] erde schudden vor de wede||me to unser leve[n] frouve[n] men de preddeker kande hanß sconebeke || nicht und kenteß ok noch nicht Deme dat qwade to gedacht || waß ok al um[m]e dat wort gad[es] wille[n] Dat her jochim nigebur || nicht lid[en] konde. [34v] Tome xij hefft he ape[n]bar bekant Dat her iochim nyge||bur ene dar noch enß to hebben wolde dat he midt der sulven for||gedacht[en] dod[en] erde noch enß um[m]e ginge vor der preddeker doren || in allen kerspelen men dat wolde ha[n]ß sconebeke allike wol nicht || don und mende idt wer dar alle genoch me[n?] und noch begerde her || jochim dat hanß sconebeke her jochimeß[e] nabersce de krogersce geno||met ok de sulven dod[en] erde vor de doren werpen Dat he allike wol || Denne nicht don wolde. 68 Im Protokoll steht fälschlicherweise 17. 69 Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts, fol. 35r (von anderer Hand): Tome xvij(!) hefft he bekant Dat he mid her Jochim nigebur hefft geset[en] || in colacien in guder meny[n]ghe mid eme gheredet offte de nige wise alze || mid deme sacrame[n]te dat me nu brukende
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Diese Geständnispunkte sind insofern bemerkenswert und fallen aus dem Rahmen, da ihnen ganz klar ein (proto-)konfessioneller Konflikt zu Grunde liegt und der Einsatz von Zauberei nicht aus den üblichen niederen Beweggründen erfolgt. Während die Zusammenarbeit zwischen Schönebeck und Nigebur angesichts der zahlreichen anderen Geständnispunkte, in denen Schönebeck das Ineinandergreifen ihrer zauberischen Praktiken beschrieb, kaum überrascht, wird hier doch sehr deutlich, wie Schönebeck versucht, sich in diesen Punkten mindestens als Mittäter wider Willen, wenn nicht sogar als Opfer von Nigeburs schlechten Absichten darzustellen. Wie in vielen anderen Geständnissen – man denke etwa an den Geständnispunkt 3 von Katharina Gammelen (Angeklagte Nr. 6) –, gibt auch Schönebeck an, das Zaubermittel der Totenerde für eventuelle Schadenszauber quasi auf Vorrat hergestellt zu haben. Zum Einsatz kommt es dann auf Bitten von Joachim Nigebur, der damit den evangelischen Predigern Rostocks schaden wollte. Man könnte Nigeburs Motiv für diese zauberischen Anschläge wohl als Rache für seinen Berufsstand bezeichnen, da Schönebeck angibt, Nigeburs Grund für den ersten Anschlag gegen Joachim Slüter sei es gewesen, dass dieser öffentlich Kleriker und Mönche attackierte. Während dieses Motiv noch einigermaßen überzeugend klingt, ist die Wortwahl bei der Beschreibung der anderen Anschläge verräterisch – so heißt es bei den drei anderen Opfern, dass dies geschah, weil Joachim Nigebur „das Wort Gottes nicht leiden/ertragen“ konnte. Nahezu ausgeschlossen ist, dass Nigebur die neue, evangelische Predigt selbst mit einem solch ehrvollen Begriff wie „das Wort Gottes“ bezeichnet haben wird, vor allem, da es sich dabei um eine genuin evangelische Deutung der Predigt beziehungsweise des Wortgottesdienstes handelt. Ebenfalls recht unwahrscheinlich ist, dass Schönebeck diesen Begriff selbst gewählt hat, da er in Punkt 18 klar zu erkennen gibt, wie kritisch und distanziert er der neuen evangelischen Lehre gegenüberstand. Somit bleiben nur noch die Gerichtsherren, die durch ihre Suggestivfragen die antievangelische Motivation Nigeburs deutlich protokolliert haben wollten. Auf die Rolle der Gerichtsherren wird gleich noch näher einzugehen sein. Dieser Eindruck wird jedenfalls auch durch das Verhältnis bestärkt, in dem der Geständnispunkt 18 zum Rest der Aussagen von Schönebeck steht. Da hier die Hand des Schreibers wechselt, könnte dies auf eine längere Pause zwischen den Verhören hinweisen. Offenbar war man sich inzwi—————
iß offtet ok warafftich wer alß || me oldeß brukende waß so gaff her iochim vor antwart up Dat dat ny||ghe nichten were und wer nicht mer wen offte he c(?) ane[n?] tympe[n] fan || enem wegge bete mid desser wise hefft sick schonebeke und sin frouwe || sick wol etlike ein jar edder iiij deß sacramenteß sick enthold[en] und dit || hefft her iochim aver dusent mal gesecht Dat dat ewangelin und den ny||gen ghebruk clar jdel drogerie und l/h(?)overie wer und ketterie.
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schen der kirchenpolitischen Brisanz der Geständnispunkte 8 bis 12 bewusst geworden, denn dieses ‚Geständnis‘ bezieht sich überhaupt nicht auf Schönebecks Zauberei. Stattdessen scheint es so, als sei er am Ende des Verhörs nochmals ganz explizit danach gefragt worden, ob er von vornherein über Nigeburs antievangelische Anschlagsserie im Bilde gewesen sei. Er lässt aber lediglich erkennen, dass er häufig mit Nigebur über die neue Lehre sprach, und wohl vor allem im Hinblick auf den Wechsel von der Eucharistie zum Abendmahl verunsichert war (ebenso wie seine Frau). Zwar wird deutlich, wie sehr Nigebur offenbar die neue Lehre verabscheute, der Anschlagsplan wird aber auch in Punkt 18 nicht direkt benannt. Dass es Nigebur aber vielleicht gar nicht ausschließlich um den Kampf gegen die reformatorische Lehre ging, sondern er mit Hilfe der Totenerde und eines erfahrenen Zauberers wie Schönebeck viel eher versuchte, mit einem Schlag alle Menschen zu schädigen, die er – aus welchen Gründen auch immer – nicht ausstehen konnte, mag der Hinweis auf seine Nachbarin nahe legen, die zu bezaubern sich Schönebeck ebenso weigerte wie die übrigen evangelischen Prediger Rostocks. Anders herum könnte es aber auch darauf hindeuten, dass Nigebur im Anschluss an den Kampf gegen die evangelischen Prediger die offenbar so wirksame Totenerde dann auch gleich noch gegen weitere ‚Feinde‘ eingesetzt sehen wollte. Wie bereits eingangs erwähnt, haben wir es in diesem Fall mit dem erstaunlichen Umstand zu tun, dass eine Gegenüberlieferung erhalten ist – nämlich die von Joachim Nigebur selbst geschriebene Urfehde, die zum Abgleich der Aussage Schönebecks herangezogen werden kann. Sie wurde erst bei einem Urkundenfund am 6. Mai 1899 wiederentdeckt, so dass Karl Koppmann seine These von 1890 – im Ordelbuch fehle Nigeburs Geständnis, da er als Geistlicher der städtischen Gerichtsbarkeit entzogen gewesen sei –, 70 revidieren musste. 71 ‚Urfehde‘ bezeichnet im Übrigen ein rechtliches Dokument, welches als Versicherung diente, dass ein Verurteilter auf Rache an seinen Anklägern und Richtern verzichtete, also auf sein Recht, eine Fehde zu führen, indem er die über ihn verhängte Strafe als gerecht und angemessen anerkannte. Diese Dokumente wurden besonders häufig im Zusammenhang mit dem Urteil des Stadtverweises aufgesetzt, so wie auch im Falle Nigeburs. Die Urfehde, die auf den Donnerstag nach Galli, also den 17. Oktober 1532, datiert, beginnt folgendermaßen: Ich, Herr Joachim Nigebur, Priester im Stift Schwerin, bekenne und bezeuge offenbar, mit dieser meiner eigenen Handschrift, dass die nachfolgenden Artikel [= Geständnispunkte], die hier nachfolgen, dass ich diese öffentlich bekannt habe in Ge-
————— 70 71
Koppmann, Vergiftung, 45. Ders., Urkundenfund, xxvi.
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genwart/Anwesenheit der Richter Herr Hinrick Boldewan und Herr Jakob Nettelenblat und der erbgesessenen Bürger Peter Brugghe und Bernd Bremer. [Auch bekenne ich], dass diese wahr sind, und das Bekenntnis, welches Hans Schonebeken über mich abgegeben hat, [ebenfalls]. Und wegen meines eigenen Bekenntnisses und der scheinbar/offensichtlich gewordenen Tat wurde ich gefänglich eingezogen und in den Finkenbauer gebracht. Und obwohl ich aufgrund meines eigenen Bekenntnisses und meiner offensichtlichen Tat eine besondere und schwere Leibesstrafe verdient hätte, so hat mich doch der Ehrbare Rat in die Freiheit und freien Fußes entlassen, wofür ich mich dienstbereit und höflichst(?) bedanke. Und ich habe mich verpflichtet und eingewilligt, und dies mit den leiblichen Fingern meiner rechten Hand gegenüber Gott und seinen fünf Heiligen [bezeugt und] geschworen, dass ich weder der Stadt Rostock noch ihren Gütern/Besitzungen mich auf vier Meilen nähern werde, da alles, was mir angetan wurde und geschehen ist, rechtens war. 72
Leider ist das Geständnis von Hans Schönebeck im Ordelbuch falsch datiert, so dass sich nicht plausibel machen lässt, wie bald nach dessen Geständnis Joachim Nigebur gefangen genommen wurde. Nach Schönebecks kirchenpolitisch brisanter Aussage hatte man es aber offensichtlich eilig, auch Nigebur festzusetzen, denn er wird bereits am 13. Oktober entlassen, obwohl der Kettenprozess da noch gar nicht zu Ende ist – schließlich, wenige Tage später, am 18. Oktober, besagt dann tatsächlich Hans Schele Joachim Nigebur noch wegen magischer Praktiken (dessen Punkt 4). In seinen sechs Geständnispunkten bestätigt Nigebur weitestgehend nur das, was bereits Schönebeck über deren Zusammenarbeit aussagte. In Punkt 1 und 2 scheint es allerdings um zauberische Schriftstücke zu gehen, die dem Gericht als Beweismittel vorlagen, und von denen Nigebur zugibt, sie für Hans Schönebeck aufgesetzt zu haben. Er besteht allerdings darauf, dass seine Beteiligung an den Zaubereien Schönebecks immer nur dazu diente, diese wieder aufzuheben. Er selbst bezichtigt sich also lediglich kirchlicher
—————
72 Archiv der Hansestadt Rostock, Urfehde von Joachim Nigebur: Ich her Joachim Nigebur prester imme Swerinchen Stifte bekenne und betughe apenbar || in dusser myner eghen hantschrifft dat desse naghescreven artikel welker hyr || na volgehn Dat yck apentlyken bekannt hebbe an ieghenwardicheyt der richter || alze her hinrick boldewan und her Jacob nettelenblat und twigher beseten || borger Alze peter brugghe und bernt bremer war sin und de begutenisse hans || schonebeken aver my ghedan hefft und uth desser myner eghen bekantenysse || und scheinbaren daeth byn yck vencklyck anghegrepen tho rostock in dat vincke[n]||bur ghesettet und wowol yck na sullekener myner eghen bekantnisse und || scheinbaren daeth averkelike und sware lyffstraffe vordent hedde szo hefft doch || my eyn Ersamen Raeth uth sunderlyker gnade quyt frie uppe frie vote kamen || Des yck en denstlyck und hochlyck bedancke und my vorplychtet und wilget || myt mynen lyfflyken vingeren rechter ghestander eder(?) tho gade und fyven || hillig[en] geheswaren und wyl my na dessem daghen der Stath Rostocke edder || in ereme gude uppe iiii mile wegher nicht vinden laten wente alle dar || genne(?) my alze burgher(?) myt rechte gheschen ys.
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Weihehandlungen und Exorzismen, vor allem des Lesens der Absolution, die gegen Verzauberung/Verhexung eingesetzt wurden. 73 Erst in seinem sechsten Geständnispunkt geht es dann um die Verhexung der evangelischen Prediger. Dort liest man: Zum 6. hat er bekannt, dass er mit Hans Schönebeck ‚in colacien‘74 zusammengesessen und dabei von den evangelischen Predigern gesprochen, die auf ‚Platten und Kappen‘ schelten; da habe Hans Schönebeck gesagt, er wüsste wohl ein (unglückliches) Ereignis herbeizuführen, wenn ihm Herr Joachim die Türen der Prediger weisen wolle. So sei er denn mit ihm den Beginenberg hinuntergegangen und habe ihm zuerst die Wohnung von Herrn Antonius gewiesen. Und nachdem Schönebeck dort seine böse Absicht dargetan hatte, seien sie zur Tür von Herrn Joachim Slüter bei St. Petri gegangen, wo Schönebeck ebenfalls seine böse Absicht vollbracht habe, wie Schönebeck es auch selbst bekannt habe. Danach gingen sie vor die Wedem von St. Marien (Unser Lieber Frauen), wo Schönebeck ebenfalls seine bösartige Absicht bewiesen habe – ganz wie nach seinem Bekenntnis. Aber bei St. Jakobi habe er Schönebeck die Tür des Predigers nicht gewiesen. Dies oben Geschriebene hat er alles bekannt, dass er mit Schönebeck Eintracht machte, wie oben beschrieben. 75
Nigebur dreht also nicht nur die Chronologie der Ereignisse um, sondern – wenig überraschend – auch die Frage nach der Hauptschuld. So stilisiert er nun vielmehr sich selbst als Mittäter wider Willen, wenn nicht gar als Opfer des bösartigen Zauberers Schönebeck, so wie dieser es zuvor in genau umgekehrter Weise getan hatte. Da Nigebur die Gespräche mit Schönebeck über die reformatorischen Umbrüche in Rostock hier als Ausgangspunkt, als Anlass für die zauberischen Anschläge auf die evangelischen Prediger inszeniert, liefert er nicht nur eine besser nachvollziehbare Kausalkette, sondern kann auch Schönebeck sinnvoll zum Hauptinitiator erklären. Wie oben bemerkt, fällt auf, dass der Geständnispunkt 18 bei Schönebecks Ver—————
73 Während seine Aussagen in Punkt 3 (bezogen auf die Hermansche) und Punkt 4 den Geständnispunkten 5 und 3 von Schönebeck direkt entsprechen, stimmen sie im Hinblick auf Heinrich Sasse und dessen verhexte Koppel nicht überein (bei Nigebur Punkt 3 und 5; bei Schönebeck Punkt 1 und 7). 74 Laut Koppmann „beim Bier“, vielleicht aber auch einfach „zu Tisch“, vgl. Koppmann, Urkundenfund, xxvii. 75 [Hervorhebung K. S.] Archiv der Hansestadt Rostock, Urfehde von Joachim Nigebur: Tome sosten heft he bekant dat he myt hans schonebeken hefft he gheseten in || colacien und van dingen ghesecht Alze de ewangelische[n] preddekeren dede uppe platte[n] || und cappen schuld[en] so hedde schonebeke gesecht he wuste wo euetur(?) wen her || Joachim eme der preddeker doren wysen wolde So ys he myd eme ghegaen || den baginen barch hendale und hefft eme ghewyset her Antonies syne wany[n]ge || unde do schonenbeke synen bosen wyllen dar gedan hedde syn se ghegaen vor || her Joachim sluters tho sunte peter syne doer und dar ock schonenbeke synen || bosen wyllen dar wullenbracht so schonenbeke bekant hefft Do ghynghen || se vort tho unser leven vrowen vor de wedeme dar schonenbeke ock synen || qwaden wyllen bewysede na syner bekantenisse Sunder tho sunte Jacobe hefft he || schonenbeke des preddekers doren nicht ghewyset. Dit baven screven hefft he || bekant Dat he myd schonenbeken endracht makede wo banen screven.
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hör wohl erst mit einigem zeitlichen Abstand nachgetragen wurde. Möglicherweise weil, nachdem Nigebur sein Geständnis abgelegt hatte, man Schönebeck noch einmal nach den Gesprächen in colacien befragen wollte, um auch diesen Punkt von beiden bestätigt zu finden. Aber erwartungsgemäß hatte sich Schönebeck dort nur als aufmerksamer Zuhörer des eifernden Nigeburs dargestellt. Nigebur vermeidet in seinem Geständnis in auffälliger Weise direkt zu benennen, wie sich das „unglückliche Ereignis“, das herbeizuführen Schönebeck sich anschickte, überhaupt aussehen sollte, und in welcher Weise genau Schönebeck denn überhaupt „seine böse Absicht“ dartat. Auch die Liste der Opfer verändert Nigebur (bewusst?). Der Reihe nach sind es: Antonius Becker zu St. Nikolai, Joachim Slüter zu St. Petri, der evangelische Prediger zu St. Marien (gemeint ist offenbar Peter Hakendal). 76 Den evangelischen Prediger zu St. Jakobi (gemeint ist Magister Barthold Langen, s.u.) habe Nigebur absichtlich verschont. Fraglich bleibt, warum er die beiden letzten nicht namentlich benennt, denn tatsächlich dürfte er deren Namen doch sehr wohl gekannt haben. Laut Hans Schönebeck dagegen waren die Opfer der Reihe nach Joachim Slüter zu St. Petri, Barthold zu St. Jacobi, Antonius Becker zu St. Nikolai sowie der Prediger zu St. Marien, dessen Namen Schönebeck nicht kannte. Auf die Prediger wird gleich noch einzugehen sein. Nigeburs (vermeintlichen?) Plan, auch allen anderen evangelischen Predigern in sämtlichen Kirchspielen Rostocks diese Schüttung zu machen, erwähnt Nigebur in seinem Geständnis ebenso wenig wie die Schüttung für seine unliebsame Nachbarin. Trotz dieser offensichtlichen Diskrepanzen zwischen beiden Aussagen gelang es Nigebur offenbar, das Gericht von der vergleichsweisen Geringfügigkeit seiner Vergehen zu überzeugen, denn, anders als Hans Schönebeck, der für seine Zauberei auf dem Scheiterhaufen sterben sollte, erhielt Nigebur ‚lediglich‘ einen Stadtverweis – auch ohne vorherige Körper- und Schandstrafe. Führt man sich andererseits vor Augen, was Nigebur hier im Einzelnen zugab (und eben auch nicht zugab), erscheint ein Stadtverweis wiederum als außergewöhnlich harte Strafe. Schließlich habe er nach seiner Selbstdarstellung nur kirchliche Riten als therapeutische Maßnahmen vollzogen und sei lediglich Mittäter respektive Mitwisser bei Schönebecks Anschlägen gewesen. Insgesamt gesehen bieten die Geständnisse von Schönebeck und Nigebur dann doch ein überraschendes Bild von den möglichen historischen Hintergründen für die Giftmordlegende, wie sie Nikolaus Gryse populär machte. ————— 76
Vgl. Koppmann, Prediger.
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4 Zur Genese der Giftmordlegende Besonders auffällig an den Geständnissen von Nigebur und Schönebeck ist, dass Joachim Slüter hier keineswegs als alleiniges und nicht einmal als prominentes Ziel der zauberischen Anschläge präsentiert wird. Die Schüttungen galten einer ganzen Reihe, oder vielleicht sogar allen evangelischen Predigern Rostocks. Hinzu kommt, dass aus Sicht der Zeitgenossen eine Schüttung mit Totenerde durchaus ein schwerwiegendes Verbrechen war, aber keine der zahlreichen von den Angeklagten genannten Schadenszauberformen zielte direkt auf den Tod des Opfers – immer heißt es nur, dass den Opfern des Zaubers „nichts Gutes“ oder „etwas Böses“ geschehen solle. Sollte ein Mensch tatsächlich sterben, so war aus Sicht der Zeitgenossen der Giftmord die praktikabelste und naheliegendste Wahl. Nicht nur sahen wir das im Fall von Tilsche Fischer (Angeklagte Nr. 7), die ihren Mann mit Rattengift tötete, sondern auch im Bericht von Katharina Schwarz (Angeklagte Nr. 1), die aussagte, dass die Bäckerin Langermann ihren Ehemann mit Rattengift töten wollte (Punkt 13), ebenso wie Frau Fritze von dem Berg (Punkt 16), die mit selbsthergestelltem Gift einen Menschen töten wollte, und auch die Hansche aus Basedow, die mit Hilfe eines Giftes, das Katharina ihr herstellen sollte, einen Edelmann töten wollte (Punkt 17), so wie schließlich der Hexenclan um Jürgen Hartzow (Angeklagter Nr. 2) einen giftigen Brei herstellte, um damit Gert Wyman im Auftrag seiner Ehefrau zu töten (Punkt 8). Mit Giftmord lassen sich aber weder Hans Schönebeck noch Joachim Nigebur in Verbindung bringen. Auffälligerweise wird auch in beiden Aussagen gar nicht erwähnt, dass die Schüttung vor Slüters Tür irgendwelche Folgen zeitigte. Das ist umso erstaunlicher, da Schönebeck – oder ergänzend der Gerichtsschreiber – für immerhin zwei der Anschlagsopfer sehr wohl Folgen angibt: Dem Predikanten Magister Barthold von St. Jakobi sei, wie erwünscht, nach der Schüttung „nichts Gutes widerfahren“, so dass er dem Predigtstuhl fern bleiben musste (Punkt 9). Damit wird offenbar auf die tatsächliche Absetzung des Predikanten Magister Barthold Langen angespielt, der erst am 17. September 1531 den ersten evangelischen Gottesdienst an der Stiftskirche St. Jakobi (in Zusammenarbeit mit Antonius Becker) feierte, und schon am „Mittwoch nach Oculi“, also am 6. März 1532 von der „Ratskommission für Religionsfragen“ wieder abgesetzt wurde. Dies geschah wohl nicht allein auf Drängen seiner altgläubigen Kollegen an St. Jakobi, sondern auch wegen Beschwerden seiner evangelischen Amtskollegen, obwohl die genauen Umstände sich nicht mehr rekonstruieren lassen. 77 ————— 77
Vgl. dazu Koppmann, Magister Barthold und die Hinweise bei Pettke, Antonius Becker.
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Über Antonius Becker, den Kaplan an St. Nikolai, sagte Schönebeck aus, die Schüttung habe ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlagen, so dass niemand mehr seine Predigten hören wollte (Punkt 10). Für eine solche Erkrankung (einen Schlaganfall?) im Zeitraum 1531/32 finden sich in den zeitgenössischen Quellen jedoch keine Belege. Becker war seit 1520 als katholischer Geistlicher in Rostock aktiv, wechselte aus unbekannten Gründen um 1527/28 zur evangelischen Seite und wirkte dann ununterbrochen 17 Jahre lang als Kaplan an St. Nikolai. 78 Ab Neujahr 1531 trat er als besonders eifriger Verfechter der evangelischen Neuordnung aller Gottesdienste, vor allem auch an St. Jakobi, in Rostock ein und wurde schließlich 1533 Opfer einer Schmähkampagne – wohl vornehmlich von evangelischer Seite –, die er jedoch weitestgehend unbeschadet überstanden zu haben scheint. 79 Alle drei namentlich genannten Prediger – Joachim Slüter, Barthold Langen und Antonius Becker – waren nach übereinstimmenden Zeugnissen der Zeit überaus erfolgreiche Vorkämpfer der evangelischen Neuordnung in Rostock und somit auch exponierte Vertreter dieses Transformationsprozesses, der sich alles andere als schnell und konfliktfrei gestaltete. Darauf wird weiter unten noch einmal einzugehen sein. Kommen wir aber zuerst zurück zu Gryse: Wie oben dargestellt, verband Gryse Informationen über Joachim Nigebur, den er für den eigentlichen Mörder Slüters hielt, mit einer Giftmordlegende, in deren Zentrum Slüters Buchbinder als Täter stand. Erinnert sei an die Details, die Gryse in Anschluss an die Giftmordgeschichte über Nigebur liefert: Der vorgedachte papistische Pfaffe, Herr Joachim Nyebur, ist ein schwarzkünstlerischer Zauberer gewesen, und obwohl er mit einem alten Zauberer, welcher hernach, am Mittwoch vor Martini dieses Jahres, nebst einer Frau Namens Fischersche wegen Zauberei beim Galgen verbrannt worden, gefänglich eingezogen und eine Zeit lang gefangen gehalten ist, so ist er doch als geistlicher Meßpfaffe von einigen vornehmen Leuten losgebeten und so weit begnadigt worden, daß er aus der Stadt gewichen ist […]. 80
Gleicht man also noch einmal die beiden zeitgenössischen Gerichtsdokumente mit der hagiographischen Slüter-Biographie Gryses von 1593 ab, ————— 78
Vgl. ebd. Vgl. Pettke, Auseinandersetzungen. 80 Koppmann, Vergiftung, 39 bzw. Gryse, Historia von Lehre, Leben und Tod, 78: Der vorgedachte Papistische Pape H. Jochim Nyebur / ys ein swartkuͤnstiger toͤuerer gewesen / vnde efft he wol mit einem olden toͤuerer / so herna des middewekens vor S. Marten in dissem jare neuenst einer Frowen mit namen Vischersche / we-gen der Toͤuerye by dem Galgen vorbrandt syn / gefencklick ys genamen / und eine tydt[l]anck ingeseten hefft / So ys he doch alse ein Geistlyker mißpape / van etlyken vornemen luͤden loßgebeden / vnd hefft so vele gnade erlanget / dat he vth der Stadt vorwyset ys. 79
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scheint es so, als habe Gryse das Ordelbuch zwar als Quelle benutzt, aber mit bewussten Auslassungen und Uminterpretationen, oder aber vermittelt durch eine (?) andere Quelle, die den Prozess von 1532 bereits entsprechend verkürzt zusammenfasste. Dass Gryse ausgerechnet neben „einem alten Zauberer“ auch die Fischersche, also Tilsche Fischer erwähnt, die beide am Mittwoch vor St. Martin, also am 6. November, wegen ihrer Zauberei auf dem Scheiterhaufen hingerichtet worden seien, zieht gleich mehrere Dinge zusammen. „Der alte Zauberer“ kann als Hans Schönebeck identifiziert werden, der laut Ordelbuch an besagtem Mittwoch vor St. Martin zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurde. Wie ich oben zu zeigen versucht habe, muss diese Datierung fehlerhaft sein, was aber wiederum die These untermauert, dass Gryse sich auf die Angaben im Ordelbuch stützte. Tilsche Fischer wurde dagegen erst am Mittwoch nach St. Martin, also am 13. November, hingerichtet und eben nicht wegen Zauberei, sondern wegen Giftmord. Woher Gryse die Informationen hat, oder besser – vorgibt zu haben, dass „einige vornehme Leute“ sich für Nigeburs Begnadigung eingesetzt hätten, vor allem aus dem Grund, da er ein „geistlicher Meßpriester“ gewesen sei, bleibt unklar. Diese Erklärung erscheint zudem wenig tragfähig beziehungsweise überflüssig, da oben gezeigt werden konnte, dass angesichts der geringen Vergehen, die Nigebur gestand, schon der Stadtverweis eine außergewöhnlich harte Strafe war. Als ‚Gnadenerweis‘ konnte die Verbannung aus Rostock nur erscheinen, wenn man – wie Gryse – Nigebur die Ermordung Slüters zu Lasten legte. Doch dafür gibt es, wie hoffentlich aus der Darstellung klar geworden sein dürfte, keinerlei Beweis. Schon Karl Koppmann hatte 1890 aufgezeigt, dass es für die Vergiftung und überhaupt einen unnatürlichen Tod Slüters keine Beweise gibt. Seine Beweisführung sei hier um ein paar zusätzliche Hinweise ergänzt. Noch 1985 wunderte Ingrid Ehlers sich, warum die Gerichtsherren es 1532 versäumt hatten, Hans Schönebeck nach der Vergiftung Slüters zu fragen. 81 Eine einfache Erklärung liegt nahe: weil die Giftmordlegende zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht in der Welt war. Wie bereits zu Anfang dieses Beitrages skizziert, ist einer der prominentesten Belege für die Giftmordlegende Slüters Grabplatte vor der Petrikirche, die aber erst auf 1592 datiert. Sabine Pettke hat gezeigt, wie merkwürdig die Umstände sind, unter denen dieses Grabmal errichtet wurde. 82 Bedenkt man zusätzlich, dass Gryses Slüter-Biographie aus dem Jahre 1593 stammt und die zweite (hochdeutsche) Inschriftenplatte an der Petrikirche auf 1598 datiert, so liegt die Vermutung nahe, dass es die innerstädtischen und konfessionellen Gegebenheiten der 1590er Jahre waren, die zumindest eine kleine Gruppe von ————— 81 82
Vgl. Ehlers, Zauberei, 23. Vgl. Pettke, Offene Fragen, 84f.
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Personen dazu veranlasste, Joachim Slüter zu dem Reformator Rostocks hochzustilisieren und seinen Tod durch die Giftmordlegende zu dramatisieren. Allerdings hat Johannes von Walter 1931 darauf hingewiesen, dass die Grabplatte nicht der älteste Beleg für die Giftmordlegende ist, sondern diese sich mindestens bis 1540 zurückverfolgen lässt, und zwar zu einer Predigt des ersten Rostocker Superintendenten Heinrich Techen. 83 Dieser kritisierte darin vor allem die zögerliche Haltung des Rostocker Rates, sich endlich für die konsequente Durchsetzung der Reformation einzusetzen, und – man höre und staune – schließlich unterstellte er dem Rat, dieser habe Slüters unnatürlichen Tod durch eine vergiftete Suppe zu verantworten. 84 Techen benutzte diese Version der Geschichte dazu, die Rostocker Bürger vor den Umtrieben des Rates zu warnen und sich selbst als möglichen Märtyrer zu inszenieren. Von Nigebur ist hier entsprechend natürlich nicht die Rede. Daher ist es sinnvoller zu fragen, warum dann Gryse unbedingt Joachim Nigebur zum eigentlichen Mörder Slüters aufbauen wollte. Zwei Gründe scheinen im Vordergrund zu stehen: Da Slüter in Gryses Geschichte nicht nur ‚Luther-förmig‘, sondern eben auch ‚Christus-förmig‘ präsentiert wird, braucht es entsprechend auch einen Judas, der den Herrn verrät. Diese Verknüpfung macht Gryse auch ganz explizit, indem er davon berichtet, dass sich Nigebur auf seiner Flucht nahe Güstrow eben wie Judas an einem Baum aufgehängt habe, da sein Gewissen ihn wegen der Ermordung Slüters so sehr plagte. 85 Wie gesehen, gibt es dafür aber keinerlei historische Anhaltspunkte. Der zweite Grund dürfte in der extrem antikatholischen Haltung Gryses zu finden sein, dessen gesamtes Lebenswerk vom Kampf gegen „papistische Überbleibsel“ geprägt war. 86 In diesem Sinne erschien es ihm für die Slüter-Hagiographie wohl kaum ausreichend, einen einfachen Buchbinder zum Mörder des Rostocker Reformators zu erklären. Dagegen bot der Hexereiprozess von 1532 ein ideales Hintergrundszenario für die Diskreditierung der katholischen Geistlichkeit und für das Grundmotiv der ständigen Bedrohung des Lebens Slüters und der Ausbreitung des Evangeliums in Rostock. Gryse berichtet schließlich auch schon von früheren Giftmordanschlägen, vor allem durch katholische Geistliche und Mönche, denen Slüter ————— 83
Vgl. Walter, Reformation, 42. ßo ße my eine soppe makende wurden als men mester Jochim deden ßo wete gy worumme jdt schut. Die Quelle ist ein Zeugenbericht über eine Predigt Heinrich Techens [Rostock, 20.06.1540, oder kurz danach], AHR 1.1.3.13. 320, hier zitiert nach Pluns, Universität Rostock, 298, Anm. 1031. 85 Siehe Beleg in Anm. 7 oben. 86 Vgl. neben dem Beitrag von Heinrich Holze in diesem Band vor allem Pettke, Nikolaus Gryse. 84
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dank göttlicher Gnade immer wieder entgangen sei. 87 Auch um der SlüterHagiographie willen nutzt Gryse wohl das Potential der Aussage von Hans Schönebeck nicht ganz aus, denn eigentlich wäre dessen Aussage zu Nigeburs Anschlagsplänen gegen sämtliche evangelische Prediger in Rostock doch perfekt geeignet gewesen, um nochmals zu einem Rundumschlag gegen die katholische Geistlichkeit auszuholen. Diese Beobachtung führt zuletzt noch zu der alles entscheidenden Frage: Ging es im Kettenprozess von 1532 vornehmlich um den Kampf gegen Hexerei oder nicht doch um eine frühkonfessionellen Religionskonflikt, der unter dem Deckmantel der Hexereibeschuldigungen ausgefochten wurde?
5 Zauberei als Mittel der Konfliktbewältigung Letzterer Theorie scheint man zumindest in der jüngeren Forschung den Vorzug gegeben zu haben. So meinte Katrin Moeller 2007: Sehr viel eher [als zum Beispiel ein Zusammenhang mit Epidemien etc.] ließe sich für Rostock feststellen, dass Hexenprozesse vermehrt im Anschluss an Zeiten starker innerstädtischer Spannungen geführt wurden. Gleichzeitig ergibt sich für die Prozesswelle 1532 ein direkter Zusammenhang mit Vorgängen zur Durchsetzung der Reformation 1531. Den Angeklagten wurde eine ‚katholische Verschwörung‘ unterstellt. Gemeinschaftlich sollten sie für die zauberische Vergiftung des Rostocker Reformators Joachim Slüter gesorgt haben. 88
Noch ausführlicher äußerte sie sich in einem Aufsatz von 2005 zu diesem Fall. 89 Dort meinte Moeller, das spezifische Verfolgungsinteresse, das sich hier erkennen lasse, sei dem Drängen des Rates nach einer „Klärung der Umstände des Todes des bekannten Reformators“ geschuldet gewesen. 90 Es ist zwar durchaus denkbar, dass der Tod Slüters im Mai 1532, der von Gryse als ein langsames Siechtum beschrieben wird, für Gerüchte und Spekulationen in Rostock sorgte, denn auch im 16. Jahrhundert war der Tod eines Mannes Anfang 40 nicht der Normalfall. Insbesondere die zweite Hälfte der 1520er und die erste Hälfte der 1530er Jahre scheinen zudem enorm turbulente Zeiten für Rostock gewesen zu sein. Nicht nur kam es zu offenen Anfeindungen und Handgreiflichkeiten zwischen Altgläubigen und Evangelischen, wie eine ganz Reihe von entsprechenden Urfehden belegt, 91 —————
87
Vgl. die Geschichte vom vergifteten Braten, mit dem die Franziskaner von St. Katharinen Slüter schon im Jahre 1526 umbringen wollten, Gryse, Historia von Lehre, Leben und Tod, 50f. 88 Moeller, Willkür, 360. 89 Dies., Hexerei, 26–28. 90 Ebd., 28. 91 Vgl. Pettke, Rostocks Reformation.
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sondern auch innerhalb der reformatorischen Fraktion kam es zu zahlreichen Auseinandersetzungen, vor allem im Hinblick auf die Zeremonienfrage und die Gottesdienstsprache. 92 Die offizielle Einführung der Reformation durch die „Rostocker Ratsordnung in Religionssachen“ vom 3. Januar 1531 beendete die Konflikte keineswegs, sondern fachte sie vermutlich sogar noch an. 93 In diesem Klima mag es durchaus möglich sein, dass der Druck auf den Rat während des Sommers 1532 derart anwuchs, nun endlich die Todesumstände Slüters zu ermitteln, so dass im September der ausführlich besprochene Kettenprozess in Gang kam. Doch diese These wirft sogleich eine ganze Anzahl von Fragen auf: Da die Urgichten 94 von Katharina Schwarz und Jürgen Hartzow am gleichen Tag (20. September) ausgestellt wurden, liegt die Vermutung nahe, dass beide auch zum gleichen Zeitpunkt verhaftet wurden. Wie oben gezeigt wurde, waren beide offenbar stadtbekannte Zauberer beziehungsweise Hexen(meister). Warum aber wurden im September ausgerechnet diese beiden Personen ausführlichst verhört, die offenbar nichts von Anschlägen auf evangelische Prediger zu berichten wussten, und scheinbar auch gar nicht danach gefragt wurden? Der Verfolgungsdruck, der zu Katharinas Festnahme führte, entstand meines Erachtens vor allem aus drei Gründen: erstens aus ihrer selbstbewussten, öffentlichen Selbstidentifikation als machtvolle Hexe respektive Zauberin; zweitens aus der Anerkennung beziehungsweise Bestätigung dieser Selbstzuschreibung durch die Rostocker Bevölkerung, die Katharina wegen ihrer Fähigkeiten aufsuchte und sie für ihre zauberischen Dienstleistungen bezahlte; drittens aus einer sozialen Grenzverletzung, da ihre Schadenszauber sich gegen eine angesehene, sozial hochstehende Persönlichkeit der Rostocker Stadtelite, den Ratsherrn Jakob Nettelbladt, richtete. Denkbar ist also auch ein ganz persönliches Motiv dieses Ratsherrn, der seinen Lebensunterhalt durch Bierbrauen verdiente und entweder tatsächlich glaubte, dass eine Hexe seinen Brauerfolg behinderte, oder einen Hexenprozess dazu nutzen wollte, eine Schuldige für seinen mangelnden Erfolg öffentlich zu brandmarken. Da jedoch größere historische Ereignisse fast nie monokausal erklärt werden können und auch die Verhaftung von Jürgen Hartzow gegen solch einen gezielten Rachefeldzug eines einzelnen Ratsherrn spricht, müssen noch andere Gründe auf ihre Plausibilität hin geprüft werden. Man scheint auch auf Hans Schönebeck überhaupt erst durch die Besagung von Katharina Schwarz gestoßen zu sein. Andererseits ist es möglich————— 92 93 94
Vgl. Pettke., Briefe Bugenhagens. Vgl. dies., Datierung. Zum Begriff vgl. Anm. 8 oben.
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erweise kein Zufall, dass sie gleich im ersten Geständnispunkt Hans Schönebeck als mächtigen Zauberer und als ihren Hexenlehrmeister besagte. Dieser Umstand könnte tatsächlich darauf hindeuten, dass das Gericht ihn schon im Visier hatte und sie konkret nach ihm fragte. Als Hintergrund würde ich aber weniger Slüters Tod vermuten, als vielmehr den Umstand, dass sich Hans Schönebeck ebenfalls als stadtbekannter und höchst erfolgreicher Zauberer und Therapeut präsentierte. Schönebeck wiederum gestand die zauberischen Anschläge gegen die Prediger erst, nachdem er bereits in sieben Punkten über zahlreiche andere Zaubereidelikte berichtet hatte. Auch wenn man bei der Auswertung solcher Prozessprotokolle immer leicht Gefahr läuft, bestimmte Dinge als Selbstaussagen zu werten, die in Wirklichkeit aufgezwungene und abgepresste, falsche Geständnisse waren, erwecken die selbstbewussten Aussagen von Katharina Schwarz, Jürgen Hartzow und Hans Schönebeck doch den Eindruck, als ob diese Gruppe tatsächlich für ihre magischen Fähigkeiten in Rostock und Umgebung bekannt war und mit Böten, Heilungszauber und auch Schadenszauber große Teile ihres Lebensunterhalts bestritt. Auch die drei anderen Angeklagten, Margarete Schönebeck, Hans Schele und Katharina Gammelen, waren nach Aussage dieser Angeklagten in ihre Gruppe und ihre Aktivitäten eingebunden, wenn auch zweifellos in einem viel geringeren Umfang. Gerade Margarete Schönebeck scheint tatsächlich eher das Opfer ihres Ehemannes gewesen zu sein, der sie zur Mittäterschaft und Mitwisserschaft nötigte. Dass andere Mittäter und Mitwisser, denen von mehreren Angeklagten ebenfalls eine machtvolle Rolle zugeschrieben wurde, wie beispielsweise Peter Homot/Homode (besagt von den Angeklagten Nr. 2 & 3), der Priester Johann Brun von St. Lazarus (besagt von Nr. 2 & 5), Herr Joachim Lutschow/Lusschow/Luskow (besagt von Nr. 2 & 6) und der Organist Herr Matthies von St. Jacobi (besagt von Nr. 3 & 5), nicht verurteilt wurden, mag zwei einfache Gründe haben: Entweder wurde man ihrer nicht habhaft, da sie sich durch Flucht dem Gericht entzogen, oder sie wurden tatsächlich verurteilt, doch die entsprechenden Quellen haben sich schlichtweg nicht erhalten. Wenn es in diesem Prozess tatsächlich in erster Linie um die Anschläge auf die Prediger gegangen wäre, warum wurden dann noch Margarete Schönebeck, Hans Schele und Katharina Gammelen ausführlich verhört, die doch in keinem Zusammenhang mit diesen Anschlägen stehen? Weder Hans Schönebeck noch Joachim Nigebur besagten sie im Hinblick auf dieses Thema. Mir erscheint es deshalb wenig wahrscheinlich, dass das Gerücht einer zauberischen Vergiftung, oder auch überhaupt eines unnatürlichen Todes Joachim Slüters, diesen Kettenprozess auslöste. Die wenigen Indizien, die das Ordelbuch liefert, deuten aber meines Erachtens dennoch darauf hin, dass dieser Rostocker Zaubereiprozess in vie-
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lerlei Hinsicht so besonders ist, weil der spezifische Verfolgungsdruck durch die konfessionellen Spannungen in der Stadt verstärkt wurde. Man denke nur an die auffällig häufige Erwähnung von katholischen Geistlichen als Mittelsmänner oder gar Mitwisser und Mittäter, für die mindestens zwei Beobachtungen von Bedeutung zu sein scheinen: Zum ersten dürfte zumindest der Ratsherr Heinrich Boldewan, der zusammen mit Heinrich Nettelbladt allen acht Prozessen als Gerichtsherr vorsaß, ein spezifisches Interesse daran gehabt haben, die Nähe zwischen Hexen, Zauberern und katholischen Geistlichen herauszustreichen. 95 Er kann wohl mit Fug und Recht als einer der aktivsten Rostocker Ratsherren bezeichnet werden, die sich für die Sache der Reformation einsetzten. Nicht nur war er an der Aufsetzung der „Rostocker Ratsordnung in Religionssachen“ vom 3. Januar 1531 beteiligt, 96 sondern auch ‚Gründungsmitglied‘ der „Ratskommission für Religionsfragen“, die am 11. September 1531 ihre Arbeit aufnahm, zu deren Aufgaben vor allem die Auseinandersetzung mit den Gottesdienstordnungen sowie die Einstellung von evangelisch gesinnten Predigern und die Feststellung ihrer Gehälter gehörten, aber auch die „Bestrafung von ungehorsamen (altgläubigen) Priestern“ und die Entlassung von unliebsam gewordenen (evangelischen) Predigern. 97 Um nun eine konsequente Abschaffung und Bekämpfung katholischer ‚Zeremonien‘ zu beschleunigen, bildete die Aufdeckung der bis zur Unkenntlichkeit verschwommenen Grenze zwischen kirchlichen Riten und magischen Praktiken bei – scheinbar – einem Großteil der altgläubigen Rostocker Bevölkerung eine ideale Argumentationsbasis. Der immer wieder beobachtete Eintrag einer evangelischen Perspektive beziehungsweise Sprache („Wort Gottes“, „Oblaten“) in die Protokolle könnte meines Erachtens auf Boldewan zurückzugehen. In diesem Zusammenhang wäre auch noch einmal überlegenswert, ob nicht die Anklagen gegen die Brüder vom gemeinsamen Leben auch als auslösender Faktor für diesen Prozess in Betracht gezogen werden müssten. Immerhin heißt es in der Urfehde von Rektor Martin Hillemann und Drucker Johann von Holt vom 28. Juni 1532, wie oben bemerkt, dass sie beim Besuch beim Herzog von Anschlagsplänen gegen Johann Oldendorp und die ganze Stadt Rostock erfahren hätten, dies aber nicht dem Rat gemeldet,
—————
95
„Boldewan, Hinrick († 1556), 1527 erwähnt als Kirchenvorsteher an St. Marien, 1530 Ratsherr, 1530–1532 Propst am Kloster zum Heiligen Kreuz, 1537 Bürgermeister in Rostock“, siehe Pettke, Berichte, 9, Anm. 3. Vgl. auch die näheren Informationen zu seiner Rolle als Klosterprobst in dies., Rostocker Kloster, 54–59. 96 Vgl. dies., Datierung. 97 Pettke, Predigerbesoldung, 117f.
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sondern diese wichtigen Nachrichten ganz vertuscht hätten. 98 In der Logik der Zeit hätte es sich dabei durchaus wahrscheinlich um magische Anschläge handeln können, für die man auf bekannte, einheimische Hexen und Zauberer hätte zurückgreifen können. Dass dann ausgerechnet die als „hartnäckige Papisten“ geltenden Brüder Informationen über die Anschlagspläne vertuschten, könnte in der Tat bestätigen, dass zumindest Heinrich Boldewan einer ‚katholischen Verschwörung‘ gegen die Durchsetzung der Reformation in Rostock auf der Spur war. Gegen eine größere Bedeutung der Brüder für diesen Prozess spricht allerdings, dass sie erst ganz am Ende des Geständnisses der sechsten Angeklagten, Katharina Gammelen, zur Sprache kommen und dort auch nur als Verkäufer von Sakramenten für den Hausgebrauch. Zum zweiten sollte man aber vielleicht auch nicht unterschätzen, dass die Sehnsucht der Menschen nach Möglichkeiten, sich selbst vor Unheil zu schützen, ihre Lebensumstände zu verbessern, aber auch Konflikte mit Hilfe von magischen Praktiken zu bewältigen, für viele Zeitgenossen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein probates, vernünftiges Mittel darstellten. Gerade bei Personen, die ‚Hexerei als Broterwerb‘ betrieben und gewohnheitsmäßig und in allen Lebenslagen zu magischen Praktiken griffen, wie eben Joachim Nigebur und Hans Schönebeck, sollte es doch nicht verwundern, dass sie auch auf einen so grundlegenden Konflikt wie die Einführung der Reformation mit magischen Mitteln reagierten. Ich halte es, ebenso wie Katrin Moeller, 99 für durchaus wahrscheinlich, dass Joachim Nigebur sich tatsächlich von der Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse und den grundlegenden Veränderungen in der Gottesdienstpraxis, die schließlich auch direkt seinen Hauptberuf als Meßpriester betrafen, bedroht fühlte und darauf mit schadenszauberischen Handlungen reagierte. Zu guter Letzt mag der Zusammenhang zwischen dem Zaubereiprozess und der Einführung der Reformation also tatsächlich grundlegend gewesen sein, aber auf einer anderen Ebene als normalerweise vermutet. So wie Experten wie Sabine Pettke, Johannes von Walter und andere die Stimmung zu Beginn der 1530er Jahre beschreiben, wäre es nicht verwunderlich, wenn der Rat mit einer konsequenten und öffentlichen, ja wortwörtlichen ‚Hexen————— 98
Abgedruckt in Lisch, Urkunden, 262: […] dat nha dem vnd alsdenne ick itzgedachte Johan vth beuel des paters vnd myner medebroder iungst by hertoch Albrecht Emsers testamente haluen tho druckende ghewesen byn vnd dar suluest itliche rede vnd handele gehort, de doctor Johan Oldendorpe, syndico des ersamen rhades tho Rostock, vnd folgende der gantzen Stadt tho lyues vnd gudes schaden vnd nhadele kamen vnd reken mochte, luth myner er Johannes bekentnisse, dar vp mith eigener handt geschreuen, vnd de suluigen rede vnd wort dem ersamen rhade alse der ouericheit, dat sie sick dar van tho gewarden hadden, gentzlich vortuschet vnd vorswegen hebbe, vnd de wile ick vpgemelte pater inn heimkumpst gedachten Johannis nha syner an my ghedanen vormeldinge de suluige verliken handel ock nicht geborliker wyse nhagesecht vnd vormeldet […]. 99 Vgl. Moeller, Hexerei, 28.
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jagd‘ versucht hätte, seinen Ordnungswillen, seine Handlungsfähigkeit und sein Durchsetzungsvermögen zu demonstrieren, warf man ihm doch sowohl von altgläubiger als auch von evangelischer Seite Wankelmütigkeit, mangelnden Einsatz oder auch schlichtes Versagen vor. 100 Da der Einsatz von Magie auch immer – wenigstens bis zu einem gewissen Maße – eine Infragestellung der offiziellen, kirchlich und obrigkeitlich legitimierten Mittel der Konfliktlösung und des Schutzes darstellt, konnte ein hartes Durchgreifen gegen einen stadtbekannten Hexenclan zu einer durchaus effektiven Machtdemonstration des Rates gereichen. Slüters Tod dürfte wohl kaum ‚ein Hexenwerk‘ gewesen sein. Die Legende vom Giftmord, die sich vielleicht schon kurz nach Slüters Tod herausbildete und verschiedenen Personen(-kreisen) später dazu diente, ihre jeweiligen (realen und imaginären) Gegner zu diffamieren, hat mit dem Kettenprozess von 1532 vermutlich nur indirekt etwas zu tun. Die zeitgenössischen Quellen verraten uns aber dennoch viel über den sozialen Kontext, in dem Slüter zu Beginn des 16. Jahrhunderts wirkte, und in dem Magie ebenso wie die Bekämpfung von magischen Praktiken machtvolle Instrumente der Konfliktbewältigung darstellten.
—————
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Vgl. dazu vor allem die Gründung des Bürgerausschusses der „Vierundsechziger“ im Jahre 1534, siehe Pettke, Rostocks Vierundsechziger.
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Tabelle: Die Angeklagten des Kettenprozesses von 1532 1.
2.
3.
4.
Die Angeklagten (AGK) Katharina Schwarz / Kattrine Swarten (w) Jürgen Hartzow (m) Altschneider auf dem Mühlendamm; gebürtig aus Preußen Hans Schönebeck (m) wohnhaft in der Schwaanschen Straße; Ehemann von Nr. 4; wohnte früher in Steinfeld (bei Broderstorf) Margarete Schönebeck (w) wohnhaft in der Schwaanschen Straße; Ehefrau von Nr. 3
5.
Hans Schele (m)
6.
Katharina / Kattrine Gammelen (w)
7.
Tilsche Fischer (w)
8.
Joachim Nigebur (m) Priester „im Schwerinschen Stift“
Urteil und Besagungsstruktur Urteil vom 20.09.: Verbrennen auf dem Scheiterhaufen um ihrer Zauberei willen besagt von Nr. 2 & Nr. 6 Urteil vom 20.09.: Verbrennen auf dem Scheiterhaufen um seiner Zauberei willen besagt von Nr. 1 Urteil vom 06.11. (falsch datiert): Verbrennen auf dem Scheiterhaufen um seiner Zauberei willen besagt von Nr. 1, Nr. 4, Nr. 5, Nr. 7 & Nr. 8 Urteil vom 06.11. (falsch datiert): mit redde holten und Stadtverweis um ihrer Zauberei willen besagt von Nr. 3 Urteil vom 18.10.: mit redde holten und Stadtverweis um seiner Zauberei willen besagt von Nr. 2 Urteil vom 18.10.: mit redde holten und Stadtverweis um ihrer Zauberei willen besagt von Nr. 2 Urteil vom 13.11.: Verbrennen auf dem Scheiterhaufen um ihrer Untat willen besagt von Nr. 3 Urteil vom 17.10.: Stadtverweis (als Gnadenerlass des Rates) besagt von Nr. 3 & Nr. 5
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Annika Bostelmann und Hellmut Braun
Jn Sassyscher sprake klarer wen tho vorn verduodeschet Die ältesten niederdeutschen Gesangbücher der Reformation Synget dem heren alle ertryke, vorkuendygeth van daghe tho daghe synen heyl. 1
Schon das Titelblatt des auf den ersten Blick unscheinbaren Bändchens im Oktavformat, das mit der Signatur MK-7290 in der Universitätsbibliothek Rostock aufbewahrt wird, macht deutlich, mit welchem Ziel es produziert worden ist: Es handelt sich um ein gesangk boek, das Texte beinhaltet, die den Menschen zu dagelyker oevinge gegeben werden und sich aus Christliker und Evangelischer schryfft speisen. Mit diesem Titel knüpft das Büchlein, dessen Drucker und Entstehungsjahr ebenfalls gleich prominent zu Beginn vermerkt werden – dorch Ludowych Dyetz Gedruockt 1525 – und das somit nach Rostock weist, 2 direkt an ähnliche Unternehmungen in den Jahren zuvor an, die im Wittenberger Kreis um Luther entstanden sind. 3 Die Besonderheit des hier behandelten Gesangbuchs ergibt sich nun aus einem weiteren Zusatz auf dem Titelblatt, der vermerkt, dessen Texte seien jn Sassyscher sprake klarer wen tho vorn verduodeschet worden, also sowohl klarer – in Bezug auf die Vorlagen deutlicher – formuliert als auch jn Sassyscher sprake – auf Niederdeutsch – verfasst. Somit liegt mit dem kleinen —————
1 Alle Zitate aus dem Gesangbuch werden leicht normalisiert nach dem Druck aus der Universitätsbibliothek Rostock wiedergegeben. Die Normalisierungen betreffen zunächst den Ausgleich des Schaft-s zugunsten des Rund-s und den Ausgleich der Grapheme und . Superskripte werden dem Vokal, über dem sie stehen, nachgestellt, Abkürzungen aufgelöst, und es wird eine vorsichtige Interpunktion eingefügt. 2 Auch wenn Ludwig Dietz mindestens für die Jahre 1531 bis 1534 als Drucker in Lübeck nachweisbar ist, kann kaum bezweifelt werden, dass das Niederdeutsche Gesangbuch von 1525 in Rostock gedruckt worden ist. Vgl. Reske, Buchdrucker, 867. 3 So verweist das Titelblatt des „Achtliederbuchs“ von 1524 (VD VD16 L 4700) ebenfalls auf die textuelle Grundlage der Lieder: Etlich Criſtlich lider Lobgeſang / vn̅ Pſalm / dem rainen wort Gottes gemeß / auß der heylige̅ ſchrifft; und auch die Erfurter „Enchiridien“ von 1524 (Färbefass: VD16 E 1151/ VD16 E 1152; Schwarzes Horn: VD16 E 1153) kündigen sich gleich auf den Titeln als Sammlungen geyſtlicher geſenge vnd Pſalmen an, die zu ſtetter vbung vnd trachtung dienen möchten. Die dezidierte Bezeichnung als „Gesangbuch“ findet sich im Rahmen dieses Liederkomplexes zuerst als Titel des Geyſtliche[n] geſangk Buchleyn[s] von Johann Walter (Wittenberg 1524, VD16 L 4776).
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gesangk boek ein in zweifacher Hinsicht bemerkenswertes Dokument vor: Es handelt sich zunächst um die älteste bisher bekannte Sammlung von Liedern der Reformation in niederdeutscher Sprache; 4 außerdem versammeln sich in dem Gesangbuch recht vorlagengetreue Übersetzungen aller bis 1525 veröffentlichten Lieder der neuen Bewegung. 5 Das Büchlein bietet insgesamt über fünfzig sangbare Texte, die von einem Vorwort, erläuternden Bibelstellen, kurzen biblischen Ausdeutungen sowie liturgischen Stücken für die Verwendung im Gottesdienst begleitet werden. Im Gegensatz zu seinen mutmaßlichen hochdeutschen Vorlagen enthält es jedoch keine gedruckten Noten, dafür aber die zeittypischen Tonangaben, also Hinweise auf die gesangliche Umsetzung. 6 Der Autor des Gesangbuchs, der bei den meisten Stücken vielmehr als Übersetzer und Kompilator gewirkt hat, nennt sich nicht ausdrücklich mit seinem Namen; die Vorrede ist jedoch mit den Initialen J. S. (Bl. 1v) überschrieben, sodass der Band in der Forschung in aller Regel dem Rostocker Reformator Joachim Slüter zugewiesen wird. Als Indiz dafür kann die veränderte und um einen zweiten Teil erweiterte Ausgabe des Gesangbuchs dienen, die 1531 erschien 7 und in deren Vorrede dezidiert ein Joachim Sluter für die Herausgabe verantwortlich zeichnet. Ein eindeutiger Nachdruck des Gesangbuchs von 1525 erfolgte 1526 durch den Kölner Drucker Peter Quentel: 8 Hier wurden die Initialen J. S. mit J. Speratus aufgelöst – vermutlich irrtümlich, da Slüter in Köln wohl als unbekannt angenommen werden muss und so stattdessen der bekannte reformatorische Autor Paul Speratus heran—————
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Vgl. Bosinski, Schrifttum, 66: „Slüter hat also sein Buch aus verschiedenen Quellen nach eigenen Gesichtspunkten zusammengestellt. Eine Anzahl von Liedern war bekannt, wahrscheinlich lag auch einiges niederdeutsch gedruckt vor. Ein früheres Gesangbuch in der Art des unseren anzunehmen, ist jedoch nicht nötig.“ 5 Vgl. die in Anm. 3 genannten Drucke; einige Lieder finden sich jedoch nur hier und sind möglicherweise für das Niederdeutsche Gesangbuch selbst verfasst worden. Vgl. dazu Bosinski, Schrifttum, 45. 6 Ein Kölner Nachdruck aus dem Jahr 1526 enthält allerdings zwei Melodien zu den Stücken Dyt synt die hylgen theyn gebot und Nu frouwet iw leven Chrysten gemeyn. Genauere Angaben zu diesem Druck s.u. 7 Das Gesangbuch von 1531 ist zweigeteilt: In einem ersten Teil überliefert es einen getreuen Abdruck des Klugschen Gesangbuchs von 1529, in einem zweiten eine eigenständige Zusammenstellung von Liedern. Vgl. Bosinski, Schrifttum, 173–217. Das einzige bekannte erhaltene Exemplar des Druckes (VD16 G 930/VD 16 S 6672) befindet sich heute in der Lüneburger Ratsbücherei (Signatur: Inc 8° 741). Ein Faksimile des Druckes hat Carl Michael Wiechmann-Kadow bereits 1858 vorgelegt (Wiechmann-Kadow, Rostocker Gesangbuch). 8 Diese Ausgabe wurde von Wackernagel benutzt und in die Forschung eingeführt (Wackernagel, Kirchenlied). Sie galt jedoch bis vor kurzem als verschollen. Im Zuge der konzeptionellen Arbeit für eine digitale Edition der ältesten niederdeutschen Gesangbücher (vgl. Anm. 13) konnte aber ein Exemplar dieses Nachdrucks in der Biblioteka Jagiellońska (Krakau) nachgewiesen werden (Signatur: Libri impr. rari oct. 163). Zur Zuordnung des Druckes vgl. Bosinski, Gesangbuch 1525, 114 sowie Bosinski, Schrifttum, 41.
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gezogen wurde. Letzte Gewissheit über die Autor- bzw. Herausgeberschaft Joachim Slüters insbesondere bezüglich des Büchleins von 1525 besteht freilich nicht. In der Forschung hat das niederdeutsche Gesangbuch von 1525 bisher keine große Berücksichtigung erfahren. Die einzige nennenswerte Ausnahme bilden die Untersuchungen von Gerhard Bosinski, der sich in verschiedenen Beiträgen mit dem Schrifttum Joachim Slüters beschäftigt hat, die dann 1971 in einem Band zusammengefasst worden sind. 9 Zudem hat er 1986 ein Faksimile des Rostocker Exemplars des Gesangbuches von 1525 veröffentlicht, das durch einzelne Seiten aus dem Exemplar von 1526 ergänzt worden ist. 10 Der mutmaßliche Autor und Herausgeber, Joachim Slüter, war hingegen bereits vielfach Gegenstand der Forschung; in diesem Zusammenhang sind insbesondere die zahlreichen Arbeiten von Sabine Pettke und Gerhard Bosinski zu nennen. 11 Das Leben Joachim Slüters hat darüber hinaus schon bei seinen Rostocker Zeitgenossen großes Interesse hervorgerufen. Dies zeigt sich insbesondere an der Lebensbeschreibung des Rostocker Reformators von Nicolaus Gryse aus dem Jahr 1593 – circa 60 Jahre nach dem Tod Slüters –, die in den folgenden Jahrhunderten immer wieder rezipiert worden ist. 12 Es steht außer Frage, dass Bosinskis grundlegende Erschließung der Gesangbücher den Ausgangspunkt jeder weitergehenden Beschäftigung mit den Drucken bilden muss, gleichwohl verbleiben zahlreiche Desiderata hinsichtlich ihrer kritischen Edition und Erforschung. 13 —————
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Bosinski, Schrifttum. Ders., Gesangbuch 1525. Über die grundsätzliche Situation niederdeutscher Zeugnisse in der Gesangbuchforschung s. u. auf S. 157. 11 Pettke, Reformation; Pettke/Prowatke, Linde; Pettke, Offene Fragen; dies., Anmerkungen; dies., Slüter, Joachim, Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon; dies., Nicolaus Gryse; dies., Slüter, Joachim, Neue Deutsche Biographie; Bosinski/Pettke, Nachwirkungen; Bosinski, Reformator; ders., Joachim Slüter und Martin Luther; ders., Schrifttum; ders., Luthers Gesangbuch; ders., Niederdeutsch; ders., Gesangbuch 1525. 12 HISTORIA Van der Lere / Leuende vnd Dode. M. Joachimi Sluͤters des erſten Euangeliſchen Predigers tho Roſtock / neuenſt einer Chroniken darinne kortlick vormeldet / wo wunderlick Godt ſyn Hilliges Wordt Anno 1523. alhyr geapenbaret vnd beth in dyt 1593. jhar erholden hefft. Geſtellet vnd geordenet dorch NICOLAVM GRYSEN Predigern darſuͤlueſt in Roſtock. Rostock: Stephan Möllemann, 1593 (VD16 G 3837), Titelblatt transkribiert nach dem Exemplar: München, Bayerische Staatsbibliothek: 4 H, ref. 391 k. Vgl. auch: Niehenck, Lebensgeschichte; Arndt, M. Joachim Schlüter; Serrius, M. Joachim Schlüter; Pettke, Nicolaus Gryse. Die Historia von Gryse kann dabei nur schwerlich als Biographie im engeren Sinne gelten. Es handelt sich vielmehr um die Beschreibung des Lebens eines mustergültigen Christen, die (mutmaßliche) Lebensstationen mit geistlichen Ausdeutungen und Zuschreibungen verbindet, vgl. dazu auch den Beitrag von Heinrich Holze in diesem Band. 13 Eine Arbeitsgruppe am Institut für Germanistik der Universität Rostock unter Leitung von Prof. Dr. Franz-Josef Holznagel arbeitet derzeit an der Konzeptionierung eines Projektes, welches zum einen die kritische Edition der drei niederdeutschen Gesangbücher von 1525, 1526 und 1531 10
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Reformatorische Kirchenlieder und Gesangbücher als Gegenstand der Forschung Das mediale Format ‚Gesangbuch‘ kann mit Rückgriff auf die Definition von Martin Rößler verstanden werden als: gedrucktes Liederbuch mit christlichen volkssprachigen Gesängen, in metrischer Form und strophischem Bau, in poetisch-musikalischem Ensemble und variablem Wort-Ton-Verhältnis, für kirchliche Gemeinden, Gruppen oder einzelne Gläubige zu wiederholtem gottesdienstlichen oder persönlichem geistlichen Gebrauch bestimmt. Durch Sammeln und Sichten aus einer umfänglichen Liedproduktion ausgewählt, stellt es die Sozialisationsform des vom Glauben bewegten Singens dar. 14
Somit unterscheidet sich das Gesangbuch von den mittelalterlichen handschriftlichen Sammlungen geistlicher Lieder, die oftmals für eine mehr private Andachtspraxis im klösterlichen Kontext hergestellt worden sind oder als größere repräsentative Codices eher bewahrenden Charakter hatten. Das reformatorische Gesangbuch und die in ihm enthaltenen Kirchenlieder sind im 19. und 20. Jahrhundert Gegenstand einer fast unzählbaren Menge an Untersuchungen gewesen. 15 Die große Bedeutung des deutschsprachigen Kirchenliedes für die Durchsetzung der Reformation ist dabei verschiedentlich in der Forschung betont und detailliert herausgearbeitet worden; beispielhaft stehen dafür unter anderem die Arbeiten von Friedrich Spitta, Walter Blankenburg, Friedrich Blume, Inge Mager oder Dorothea Wendebourg. 16 Es bleibt allerdings zu konstatieren, dass ungeachtet der großen Unternehmungen zur Edition des historischen Kirchenliedes – zunächst von Wackernagel 1864 bis 1877 17 und dann insbesondere mit der umfassenden kritischen Gesamtausgabe der Kirchenliedmelodien 18 – der —————
als auch auf dieser Basis aufbauende Untersuchungen umfassen soll. Jene wird neben den hergestellten Texten auch zeichengenaue Transkriptionen, Stellenkommentare sowie Übersetzungen in ein modernes Neuhochdeutsch umfassen; die Erarbeitung erfolgt als digitale Edition nach dem rezenten (Quasi-)Standard für die digitale Editionsphilologie, den TEI-Guidelines (TEI Consortium, TEI P5). Aus dem semantischen Markup können dann zwei Präsentationen für unterschiedliche Anwendungszwecke generiert werden (Single-Source-Publishing): Zum einen eine unter Open-Access-Bedingungen zu veröffentlichende Webausgabe für die Scientific Community, zum anderen eine zweisprachige und mit Noten versehene Leseausgabe in gedruckter Form, die zum Beispiel in der Gemeindepraxis Anwendung finden könnte. Im Frühjahr 2018 erschien zudem eine CD mit Einspielungen von Liedern aus dem niederdeutschen Gesangbuch von 1525, Holznagel/Langer/Möller, Wie klingt die Reformation. 14 Rößler, Gesangbuch, 1289. 15 Vgl. z.B.: Korth, Kirchenlied, 62 oder den Forschungsüberblick bei Veit, Kirchenlied, 3–5. 16 Vgl. u.a.: Spitta, Lieder Luthers; Blankenburg, Liedgesang; Blume, Kirchenmusik; Blankenburg, Johann Walters Chorgesangbuch; Mager, Lied und Reformation; Wendebourg, Martin Luther. 17 Wackernagel, Kirchenlied. 18 Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Edition des Deutschen Kirchenliedes, Kirchenlied.
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Schwerpunkt der Forschung bisher vielfach auf Martin Luther und seinem Liedschaffen gelegen hat. Dies gilt zunächst bezogen auf die Bereitstellung edierter Texte mit der Edition der Luther-Lieder von Wilhelm Lucke von 1923 19, deren Revision 1985 von Markus Jenny 20 und den Ausgaben von Konrad Ameln 21 und Gerhard Hahn 22, aber auch auf der Ebene von Einzeluntersuchungen. 23 Eine Aufweitung des Feldes ist dann in den vergangenen Jahren insbesondere dem Interdisziplinären Arbeitskreis Gesangbuchforschung an der Universität Mainz sowie dessen Publikationsreihe „Mainzer Hymnologische Studien“ zu verdanken. 24 Für das Kirchenlied des 16. Jahrhunderts gilt jedoch weiterhin ein starker Fokus auf Luther und die Zentren, in denen er wirkte; andere Autoren und Orte nehmen hingegen in aller Regel eine Randstellung ein oder werden lediglich in ihrer Beziehung zu Luther beurteilt. Die Bedeutung niederdeutscher Kirchenlieder und Gesangbücher und der Beitrag, den sie zur Verbreitung der Reformation in Nordeuropa leisten konnten, ist bisher nur in Ansätzen untersucht worden. 25 Ohnehin sind für die Geschichte der Reformation bisher nur einige wenige niederdeutsche Quellen stärker in den Fokus der Forschung geraten. Ein markanter Schwerpunkt kommt dabei der Übersetzung der ersten niederdeutschen Vollbibel zu, die 1534 bei Ludwig Dietz gedruckt wurde, der sogenannten ‚Bugenhagen-Bibel‘; 26 sie diente jedoch vor allem linguistischen Analysen als Gegenstand. 27 Im Vergleich zur niederdeutschen Bibel stechen das Gesangbuch von 1525 und sein Nachdruck von 1526 als sehr frühe niederdeutsche Rezeptionszeugnisse der Wittenberger Reformation im Norden hervor, und auch das spätere Gesangbuch entstand im März 1531 gerade rechtzeitig zur Einführung der Reformation in Rostock. 28 —————
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Lucke, Lieder Luthers. Jenny, Geistliche Lieder und Kirchengesänge. 21 Ameln, Luthers Kirchenlieder. 22 Hahn, Martin Luther. 23 Vgl. z.B. Blankenburg, Luther und die Musik; Hahn, Evangelium; Veit, Kirchenlied; Block, Verstehen durch Musik. 24 Seit 2000 sind unter der Herausgeberschaft von Hermann Kurzke 28 Bände erschienen, vgl. z.B. Möller, Kirchenlied und Gesangbuch; Block, Verstehen durch Musik; Harzer, In dulci iubilo; Greule, Sakralität oder zuletzt Falkenroth, Passion Jesu Christi. 25 Hinweise finden sich unter anderem bei Johannes Bachmann, Johann Diedrich Bellmann, Gerhard Bosinski, Inge Mager und Severin Widding, vgl. z.B.: Bachmann, Geschichte, 21–59; Bellmann, Niederdeutsch; Bosinski, Niederdeutsch; Bosinski/Pettke, Nachwirkungen; Mager, Lied und Reformation; Widding, Verbindung. 26 Lübeck: Ludwig Dietz, 1533/1534 (VD16 B 2840). 27 Vgl. hier v.a. die Beiträge im Begleitband zu den Bugenhagen-Tagungen in Barth und Greifswald: Garbe/Kröger, Johannes Bugenhagen sowie die Untersuchungen von Ingrid Schröder: Schröder, Übersetzungsleistung; dies., Bugenhagenbibel; dies., Johannes Bugenhagen. 28 Vgl. u.a. Koppmann, Geschichte, 132–138. 20
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Ansätze zur sytematischen Gesangbuch-Analyse Methodische Grundlagen Wenn auch eine sorgfältige textkritische Edition und eine Übersetzung in das Neuhochdeutsche zu einer umfassenderen Wahrnehmung des niederdeutschen Gesangbuchs von 1525 und seinen späteren Ausgaben führen kann, und sich bei Bosinski bereits erste Hinweise zur Einordnung und Interpretation des Corpus finden 29, erscheint doch eine noch umfassendere und strukturiertere Untersuchung notwendig, um das spezifische Profil dieser Sammlungen – insbesondere auch im Vergleich zu ihren hochdeutschen Vorlagen – herauszuarbeiten. Markus Jenny stellte 1960 in seinem Aufsatz „Die Bedeutung der Gesangbuchgeschichte innerhalb der Hymnologie“ fest: Zwar stehen die Gesangbücher an Bedeutung für die Hymnologie allen andern Quellen [...] weit voran, aber die Hymnologie beschäftigt sich mit ihnen in weit überwiegendem Maße nur, soweit sie ein Lied zum erstenmal oder in einer bemerkenswerten neuen Form enthalten. 30
Jenny regt an, man möge aus diesem Grund anstreben, die Gesangbücher in ihrer „Leistung als ganze, nach Inhalt und Gestalt“ einzuschätzen, und schlägt dafür sechs Kriterien vor, hinsichtlich derer Liedcorpora solcherart untersucht werden sollten: Zuerst möge man sich der Auswahl des Liedgutes innerhalb eines Gesangbuchs zuwenden, um herauszuarbeiten, welcher „Ausschnitt“ 31 aus der Gesamtheit des reformatorischen Kirchenliedes im Einzelfall gegeben ist. Daran anschließend wird nach der konkreten Anordnung des Liedstoffs und der Einrichtung des Druckes 32 zu fragen sein; die Gemeinschaft von Auswahl und Anordnung der Texte sowie der äußeren Gestalt des Druckes erlaubt dann einen Einblick in die spezifische Konfiguration des Gesangbuchs. Hinsichtlich der musikalischen Gestaltung einer Sammlung regt Jenny an, diese auch in solchen Fällen zu analysieren, in denen keine musikalische Notierung abgedruckt ist und dazu den stattdessen oftmals vorhandenen Verweis auf die Melodien zu prüfen. 33 Auch sollte der Frage nachgegangen werden, welche Fassungen der Einzeltexte und ————— 29
Vgl. bes. Bosinski, Schrifttum, 43–55. Auch wenn die Menge der Forschungsarbeiten zum reformatorischen Gesangbuch, dessen Liedern und Quellen seit 1960 in beachtlicher Zahl gewachsen ist, hat sich an diesem Befund inhaltlich bis heute nichts Wesentliches geändert. 31 Jenny, Bedeutung, 111. 32 Jenny schlägt vor, an dieser Stelle auch die Verzeichnung der Verfasser von Texten und Melodien zu untersuchen (vgl. ebd., 112). 33 Ebd., 112f. Dabei sollten nicht nur konkrete Notierungen geprüft, sondern auch die Verteilung der Melodien auf die Texte in den Blick genommen werden. 30
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Melodien (sofern vorhanden) ein Gesangbuch bietet. Die Analyseergebnisse in Bezug auf die konzeptionelle Gestaltung und die inhaltliche Ausprägung des Gesangsbuchs sollten abschließend zusammengeführt, mit anderen, ähnlichen Corpora verglichen – und auf diese Weise die grundsätzliche Tendenz der Sammlung hinsichtlich ihrer kirchen- und dogmengeschichtlichen Stellung bestimmt werden. 34 Exemplarische Analyse auf der Grundlage des niederdeutschen Gesangbuchs von 1525 Im Rahmen eines kurzen Aufsatzes wird eine umfassende Analyse des niederdeutschen Gesangbuchs von 1525 (und seiner Nachfolger) nicht zu leisten sein. Aus diesem Grunde sollen an dieser Stelle nur einige Hinweise erfolgen, die sich an den von Jenny vorgeschlagenen Kriterien orientieren. Eine Detailstudie müsste dann im Rahmen eines größeren Projekts in Angriff genommen werden, denn erst die detaillierte Untersuchung der einzelnen Drucke hinsichtlich ihrer Einrichtung, Textanordnung und Textgestalt wird auch eine Einschätzung ermöglichen, ob es sich bei den niederdeutschen Gesangbüchern im Kern um eine Sammlung handelt, die 1525 zusammengestellt, 1526 nachgedruckt und 1531 neu übersetzt, anders kompiliert und in der Anlage verändert worden ist, oder ob zumindest mit dem 1525er und dem 1531er Gesangbuch eigenständige Sammlungen vorliegen. Zentral sollte dabei in Auseinandersetzung mit der älteren Forschung auch der Ansatz sein, von der Frage nach dem mutmaßlichen Autor beziehungsweise Verfasser der Sammlungen – hier Joachim Slüter – ein ganzes Stück weit abzurücken. 35 In den Fokus rücken sollte stattdessen der Drucker des Gesangbuchs von 1525: Ludwig Dietz. Dietz war nach dem Urteil von Dieter Lohmeier „wohl der bedeutendste Drucker Norddeutschlands in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts“. 36 Mit Rücksicht auf sein Engagement im Zusammenhang mit der Reformation in Norddeutschland wird dieses Urteil nachvollziehbar: So stammen aus der Offizin von Dietz neben dem Gesangbuch einige der zweifellos einflussreichsten niederdeutschen Drucke der Reformation: der Katechismus (1531, VD16 L 4394), der Psalter (1533, VD16 B 3368) und nicht zuletzt die Vollbibel (1534, VD16 B 2840). 37 Bei diesen handelt es sich zugleich um niederdeutsche Übersetzungen von —————
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Jenny, Bedeutung, 113. In der bisherigen Forschung wird immer auch die Frage verhandelt, welchen Anteil Joachim Slüter als mutmaßlicher Verfasser an dem Gesangbuch von 1525 hatte und wie seine Biographie die Arbeiten daran beeinflusste (vgl. u.a. Bosinski, Schrifttum). 36 Lohmeier, Ludwig Dietz, 86. 37 Vgl. Anm. 26. 35
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hochdeutschen Vorlagen aus Luthers Feder. Vor einem solchen Hintergrund erscheint es umso bemerkenswerter, dass die Werkstatt von Dietz‘ in der Reihe der Druckzentren, die Robert Peters für die ins Niederdeutsche übersetzten Lutherschriften nennt 38, gänzlich unerwähnt bleibt. Dieser Befund entspricht indes der allgemeinen Feststellung Lohmeiers, dass „Dietz Tätigkeit noch nicht geschlossen untersucht und dargestellt worden ist“. 39 Dieser Beitrag legt nun den Fokus allein auf das Gesangbuch von 1525, eine erste Grundlage bieten dafür die Untersuchungen von Bosinski. 40 Die späteren Auflagen von 1526 und 1531 (sowie dessen spätere Nachfolger) finden nur in solchen Fällen Erwähnung, in denen sie zum Vergleich herangezogen werden; gleiches gilt für die möglichen hochdeutschen Vorlagen, die bis 1525 erschienen sind. Auswahl des Liedgutes: Das Gesangbuch von 1525 beinhaltet in seinem heutigen Erhaltungszustand noch 53 Lieder, von denen 45 namentlich bekannten Autoren zugeordnet werden können. 41 Der größte Teil – allein 24 Lieder – werden in der Forschung Luther zugeschrieben, die übrigen verteilen sich auf dessen Weggefährten. 42 Der Band beinhaltet dabei alle Lieder des „Achtliederbuches“ sowie der Erfurter „Enchiridien“ und des „Waltherschen Gesangbuches“. Es fasst somit die wesentlichen Lieder der Wittenberger Reformation, die zu der Zeit zirkulierten, zusammen, ergänzt diese aber durch weitere Stücke; immerhin 22 der hier zusammengetragenen Lieder haben in ihrer hochdeutschen Variante später den Weg in das „Evangelische Gesangbuch“ (EG) gefunden, also eine gewisse längerfristige Popularität erreicht. 43 Neun Texte können derzeitig als anonym gelten, —————
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Peters, Johannes Bugenhagen, 256. Lohmeier, Ludwig Dietz, 86. 40 Bosinski, Schrifttum, 35–68. 41 Das Exemplar der Universitätsbibliothek Rostock bricht nach Bl. 51 ab, inmitten der sechsten Strophe von Eyn nyge leth wy heven an. Auch in der Mitte, nach Bl. 37, ist Textverlust zu verzeichnen. Wenn man davon ausgeht, dass der Druck den gleichen Textbestand aufweist wie der Kölner Nachdruck von 1526, dann muss ursprünglich mindestens noch ein weiteres Lied vorhanden gewesen sein (O Gy knechte lauet den heren, Bl. 28v). Der Kölner Druck überliefert zudem anschließend noch De dudeſche Veſper sowie ein alphabetisches Textregister. 42 Vgl. die Übersicht bei Bosinski, Schrifttum, 39f. 43 Es sind dies folgende Nummern des EG: 4 („Nun komm, der Heiden Heiland“), 23 („Gelobet seist du, Jesu Christ“), 67 („Herr Christ, der einig Gotts Sohn“), 101 („Christ lag in Todesbanden“), 102 („Jesus Christus, unser Heiland, der den Tod überwand“), 124 („Nun bitten wir den Heiligen Geist“), 125 („Komm, Heiliger Geist, Herre Gott“), 126 („Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist“), 138 („Gott der Vater steh uns bei“), 179 („Allein Gott in der Höh sei Ehr“), 183 („Wir glauben alle an einen Gott“), 214 („Gott sei gelobet und gebenedeit“), 215 („Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt“), 231 („Dies sind die heilgen Zehn Gebot“), 273 („Ach Gott, vom Himmel sieh darein“), 280 („Es wolle Gott uns gnädig sein“), 297 („Wo Gott der Herr nicht bei uns hält“), 299 („Aus tiefer Not schrei ich zu dir“), 341 („Nun freut euch, lieben Christen g’mein“), 342 („Es ist das Heil uns kommen her“), 518 („Mitten wir im Leben sind“), 519 („Mit Fried und Freud ich fahr dahin“). 39
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sieben von ihnen sind nicht vorher aus anderen Quellen bekannt. Zum Teil handelt es sich bei ihnen um niederdeutsche Psalmlieder oder um Übersetzungen älterer lateinischer Texte. Anordnung des Liedstoffs: Hierbei soll für einen ersten Einblick den Hinweisen von Bosinski gefolgt werden, der grundsätzlich eine dreiteilige Gliederung des Corpus feststellt: Der erste Teil bis einschließlich Lied 23 folgt dem Gebrauch im Gottesdienst. Der zweite Teil beginnt mit dem Hinweis: Volgen etlyke Psalmen, jn der Metten tho syngende (Bl. 28r), dieser Teil enthält also im Wesentlichen tagzeitlich gebundene Lieder; dabei handelt es sich zunächst um Psalmen und schließlich um Hymnen, die nach dem Kirchenjahr geordnet sind. Allerdings wird in der Überschrift des dritten Teils – leicht polemisch – betont, dass das Singen der Stücke nicht nur zu den vorgegebenen Zeiten erfolgen müsse, sondern diese angestimmt werden können wenneer de geyst Gades uth jnnicheyt dy dar tho vorvoerdert (Bl. 37r). Einrichtung des Druckes: Ausgehend von dem Exemplar der Universitätsbibliothek Rostock besteht der Druck heute noch aus 52 Blatt. Bosinski ergänzt in seinem Faksimile die mutmaßlichen fehlenden Seiten aus dem Druck von 1526, aber gerade am Schluss kann nicht gesichert eingeschätzt werden, wie viele Blätter verlorengegangen sind. Dem Druck ist ein Titelblatt vorangestellt, das Drucker und Druckjahr benennt; ein Kolophon ist nicht überliefert. Einzelne größere Textelemente sowie Strophen sind abgesetzt, Verse mit Virgeln getrennt, aber nicht einzeln abgesetzt, sondern fortlaufend gedruckt. Das Gesangbuch ist mit paratextuellen Elementen ausgestaltet, die in einer Auszeichnungsschrift gedruckt sind; dabei handelt es sich neben Überschriften zu den Liedern zunächst um Randglossen, die Bibelstellen verzeichnen. Sie beziehen sich anscheinend nicht auf den genauen Vers, neben dem sie stehen, sondern charakterisieren eher die Strophe im Ganzen. Außerdem sind vielen Texten Ausdeutungen beigegeben, die in Petitdruck abgesetzt und mit Uthduodynge deutlich gekennzeichnet sind. Es wird noch im Einzelnen zu klären sein, ob sich diese auf Vorlagen zurückführen lassen, oder ob sie zuerst und ausschließlich in dem niederdeutschen Gesangbuch abgedruckt sind. Der Nachdruck von 1526 bietet zwar ebenfalls die Glossierungen, diese stimmen aber im Detail nicht immer mit dem Druck von 1525 überein. Im Gesangbuch von 1531 fehlen beide Glossierungen. Der Druck enthält vereinzelt Schmuckelemente wie Blattranken und vergrößerte Initialen jeweils am Textbeginn, die hier deutlich sorgfältiger ausgestaltet scheinen als in dem Exemplar von 1526. Besonders ausgeschmückt ist die Initiale am Beginn der Vorrede. Ohnehin ist der Satzspiegel im Nachdruck am oberen Rand deutlich größer und die Schriftgröße kleiner als in der Vorlage, was grundsätzlich einen unruhigen, gedrängten
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Eindruck erzeugt. Als Nutzungshinweis ist nicht zuletzt den Drucken von 1526 und 1531 ein Register beigegeben – in dem jüngeren gemeinsam für beide Teile –, das in dem ältesten Exemplar fehlt, aber vermutlich einmal vorhanden war. Grundsätzlich handelt es sich bei dem Gesangbuch von 1525 um einen eher aufwändiger ausgestatteten Druck, der viele Elemente der Nutzerlenkung und -unterweisung enthält. Musikalische Ausgestaltung: Wie bereits angegeben, überliefert das niederdeutsche Gesangbuch von 1525 keine Melodien. Dass die sangliche Umsetzung dennoch immer mitgedacht wurde, zeigen die zahlreichen Tonangaben, die wie selbstverständlich auf mutmaßlich bekannte Melodieparallelen oder direkte Vorlagen verweisen. 44 Neben den Tonangaben kann – gerade auch für die Texte, von denen keine hochdeutschen Parallelen mit Melodie vorhanden sind – die Analyse der metrisch-musikalischen Struktur wertvolle Hinweise darauf liefern, auf welche Melodien die Lieder möglicherweise gesungen worden sind. Dies gilt insbesondere für diejenigen Texte, für die keine hochdeutschen Vorlagen bezeugt und keine Tonangaben genannt sind. Zudem kann auf diese Weise der Kompilationsprozess mancher Stücke besser nachvollzogen werden, wenn zum Beispiel in der sechsten und im Vergleich zur hochdeutschen Vorlage zusätzlichen Strophe von UTh deper noth roep jck tho dy (die in der Ausgabe von 1531 dann wieder fehlen wird) festgestellt werden kann, dass sie in den Kadenzen und in der Anzahl der Verse vom Bau der anderen Strophen dieses Liedes abweicht. Unter der Vorgabe, dass die letzte Melodiezeile wiederholt wird, kann diese Strophenvariante, die zunächst unpassend wirkt, aber dennoch auf die Melodie von Luthers Psalmlied gesungen werden. Fassung der Texte und Melodien: An dieser Stelle sollen wenige Hinweise zur spezifischen Gemachtheit der einzelnen Lieder gegeben werden. Grundsätzlich muss dabei zunächst der Strophenbestand für jedes einzelne Lied aufgenommen und verglichen werden – dies betrifft die Anzahl und die Reihung. Bezüglich der Strophenanzahl fällt auf, dass einige Lieder im Gesangbuch von 1525 zusätzliche doxologische Schlussstrophen erhalten haben. 45 Hinsichtlich ihrer Reihung richten sich zumindest die Luther—————
44 Zum Beispiel Bl. 3v: So ist DYt synt de hylgen theyn gebot überschrieben mit dem Hinweis: De theyn Ghebade Gades, tho syngen up de wyse ßo men plecht tho syngenn: Jnn gades namen varenn wy. 45 Bereits erwähnt wurde die zusätzliche sechste Strophe von UTh deper noth roep jck tho dy (Bl. 16r/v); am Schluss von WEre God nicht myt uns duesse tiidt erfolgt ein Rückverweis auf die letzte Strophe des vorangehenden Liedes (ACh God van hemmel ße dar jn, Bl. 24v–25r), die man auch auf diese Melodie singen könne: Ere sy godt vader alle tydt etc., alse am ende des vi. psalmen steyt (Bl. 25v–26r).
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Lieder sämtlich nach den hochdeutschen Vorlagen, für die übrigen Lieder bleibt dies noch zu prüfen. Ein genauerer Blick müsste in einer vertieften Untersuchung dann auch auf die Schreibsprachen gelenkt werden, in denen die Übersetzungen angefertigt worden sind: Ganz grundsätzlich scheint es sich hierbei um ein Nordniederdeutsch mit ostniederdeutscher Prägung zu handeln, darauf weisen insbesondere die -Graphie für tonlanges /o/ – zum Beispiel in gades oder laven – oder der Einheitskasus auf Dativbasis hin. Da es sich bei den meisten Texten gesichert um Übersetzungen aus dem Hochdeutschen handelt, ist zudem mit zahlreichen Interferenzphänomenen zu rechnen. An dieser Stelle scheint insbesondere der Vergleich zwischen den einzelnen Ausgaben des niederdeutschen Gesangbuchs interessant, da schon Gerhard Bosinski darauf hinwies, dass für das Gesangbuch von 1531 teilweise anscheinend neue Übersetzungen von Liedern angefertigt wurden, die sich bereits im Gesangbuch von 1525 finden. 46 Wie die sprachliche Gestalt im Einzelnen variiert, und ob sich die Einschätzung Bosinskis auf den gesamten älteren Bestand übertragen lässt oder ob von Stück zu Stück differenziert werden muss, bleibt zu untersuchen. Die Tendenz des Gesangbuches hinsichtlich seiner kirchen- und dogmengeschichtlichen Stellung kann hier lediglich angedeutet werden: Einerseits lehnt sich das beschriebene Corpus sehr eng an hochdeutsche Drucke mit ähnlichem Textbestand an, die Übertragung der Lieder in das Niederdeutsche scheint in vielen Fällen nahe bei den mutmaßlichen Vorlagen zu bleiben. Dennoch entwickelt das Gesangbuch von 1525 durchaus ein eigenständiges Programm, das sich vor allem in der großzügigen Glossierung der Texte und somit ihrer Auslegung zeigt. Einen weiteren wichtigen Hinweis auf die Auslegung und Einordnung des Gesangbuches gibt dann abschließend das Vorwort, das dem theologischen Verständnis des Kompilators der Sammlung Ausdruck verleiht und die richtige Anwendung des Büchleins beschreibt. 47 Ausdrücklich wird die intendierte Zielgruppe dann gegen Ende der Einleitung mit den werckluoden (Bl. 2v) noch genauer bestimmt. Diese hätten aufgrund ihrer von Gott gegebenen Arbeit nicht die Zeit, durch Lektüre der heiligen Schrift an die Kenntnis des göttlichen Heilsplanes zu —————
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Vgl. Bosinski, Schrifttum, 212f. Bl. 2v: Der orßake halvenn mynen leven broder unde alle Chrystgeloevyghenn wyl hebben vormaneth ynn Christo, unnßem leuen heren, dath syck eyn yderman ßodaner Psalmen unde geystlyker gesenge nicht entleddige. Men tho eyner stedlyker oevynge voreynige unnd anholde. Dede myt flyte und nicht geringem arbeyde myt der hylgen schrifft (ßo vele alße van noeden) bevestyghet sint. Up dat de blynden, vorstockeden Gadeslasterer und vyende des hylghen Evangelii (eyne krafft Gades, tho der salicheyt allen geloevyhen) moegen ßeen, voelen unde tasten, dat ße uth egen vorstande nicht erdichtet synt, wo se syck laten beduencken. 47
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gelangen. 48 Darum benötigten sie diese geistlichen Gesänge, up dat ere gemoete belustygen unde eren licham yn erlykem arbeyde, yn geystlyker froelycheyt vorlychteth werde (Bl. 2v). Mit dem Gesangbuch werden somit zwei Dimensionen des lutherisch-protestantischen Kirchenmusikverständnisses für seine Nutzer impliziert, wie sie Dorothea Wendebourg für das Gemeindelied grundsätzlich vorschlägt: Das Gemeindelied als Gesang, der ein Geschenk Gottes sei und den Menschen Freude bringe, sowie das Gemeindelied als medium salutis, welches allen Menschen die Aufnahme des Gotteswortes, des Evangeliums, ermögliche. 49
Die niederdeutschen Gesangbücher als Vermittler der Reformation in Nordeuropa? Von der intendierten Wirkung, welche die niederdeutschen reformatorischen Gesangbücher auf ihr mutmaßliches Publikum entfalten sollten, wird nun ein abschließender Brückenschlag zum Thema des vorliegenden Bandes versucht, indem nach der Bedeutung dieser Werke für die Ausbreitung der Reformation in (Nord-)Europa gefragt wird. Bevor jedoch beantwortet werden kann, ob und in welchem Maße die niederdeutschen Gesangbücher die Durchsetzung der reformatorischen Idee in Nordeuropa und im nördlichen Teil Westeuropas maßgeblich beeinflusst haben, muss zunächst eine Betrachtung der sprachlichen Verhältnisse im Norden des deutschsprachigen Raums vorangestellt werden. Dieser war noch zu Beginn der Frühen Neuzeit von einer hohen diatopischen Diversität gekennzeichnet, die sich insbesondere durch die Trennung zwischen dem Hoch- und dem Niederdeutschen ausdrückte. Die Texte Martin Luthers und der übrigen Wittenberger Reformer konnten aufgrund ihrer Schreibsprache, Ostmitteldeutsch mit zunehmendem Einfluss des Oberdeutschen, 50 nicht beziehungsweise nur mit Hilfsmitteln in den übrigen Dialektgebieten des Heiligen Römischen Reichs rezipiert werden: Während im oberdeutschen Raum anscheinend vor allem die Lexik als Verständnishürde gesehen wurde, wie das Glossar fremd empfundener Wörter im 1523 erschienenen Druck des von Luther übersetzten Neuen Testaments durch den Basler Adam Petri zeigt, bedurfte das Niederdeutsche aufgrund der sprachlichen Ferne gänzlich der —————
48 Bl. 2v: Wente de werckluode, dorch tydlyken arbeyd tho erer notrofft unde des neghesten van Gade ynghesettet werden vorhyndert, ßo dat ene de tydt, de hyllige schriyfft dorch tholesende nycht wert vorg[u]nnet. 49 Wendebourg, Martin Luther, 237–243. 50 Besch, Luther, 35.
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Übersetzung. 51 Dies war umso wichtiger, da einerseits das Niederdeutsche seine Funktion als Verkehrssprache der Hanse erst im Laufe des 16. Jahrhunderts verlor 52 und andererseits zumindest noch zur Zeit der Reformation als Kirchensprache in Norddeutschland durchaus etabliert war – freilich endete auch dies zum Ende des Jahrhunderts, da dann die mitteldeutschen Universitäten als Hauptausbildungsstätten für reformatorische Prediger dienten und so en passant das Ostmitteldeutsche als Kirchensprache ‚exportiert‘ wurde. 53 Bis dahin war es jedoch vonnöten, die wichtigste reformatorische Literatur in das Niederdeutsche zu übersetzen oder neu zu verfassen. Neben dem herausragenden Beispiel der von Johannes Bugenhagen übertragenen Bibel (s.o.) steht so unter anderem das mutmaßlich von Joachim Slüter kompilierte und übersetzte Gesangbuch als weiteres Werk zur Vermittlung des reformatorischen Glaubens. Die Übertragung hochdeutscher Texte in das Niederdeutsche bot neben der Verständlichkeit im norddeutschen Sprachraum noch einen weiteren Vorteil: Die Möglichkeit, die übersetzten Texte wiederum als Ausgangsbasis für eine Übertragung in das Englische oder in eine der skandinavischen Sprachen zu verwenden. Dies wird begünstigt durch die größere Nähe des Niederdeutschen zu diesen im Vergleich zum Hochdeutschen. 54 Die sich daraus ergebende Fragestellung, ob die niederdeutschen Gesangbücher zumindest teilweise in ihre englischen oder skandinavischen Pendants eingegangen sind, wurde schon von mehreren Forschern zu beantworten versucht, könnte den Gesangbüchern dann doch ein Anteil an der Ausbreitung der Reformation in diesen Ländern nachgewiesen werden. 55 Severin Widding und Robin Leaver stellen diese Überlegungen für das jeweils älteste Gesangbuch in Dänemark (auch aufgenommen von Bosinski 56) respektive England an: Im Jahr 1528 gaben Claus Mortensen Tøndebinder und Hans Olufsen Spandemager das erste dänische Gesangbuch heraus, welches allerdings nur als Rostocker Nachdruck (1529) von Ludwig Dietz auf uns gekommen ist. Es enthalte viele Lieder des niederdeutschen Gesangbuchs von 1531, die noch nicht in der Ausgabe von 1525/1526 enthalten seien, sodass eine uns bis jetzt unbekannte Ausgabe des niederdeutschen Gesangbuchs zwischen ————— 51 Besch, Luther, 59–64; er weist darauf hin, dass die erste Auflage dieses Druckes 1522 noch ohne Register erschien (ebd., 59). 52 Gabrielsson, Verdrängung, 119f. 53 Bellmann, Niederdeutsch, 616. 54 Vgl. Moss, Sprachzusammenhänge, 660–662; Hyldgaard-Jensen, Mittelniederdeutsch, 666– 668. 55 Die Ausbreitung der Reformation (in Skandinavien) wird hier nach Otfried Czaika als „Kulturtransfer“ verstanden, also nicht als einheitlicher, unidirektionaler Vorgang, sondern als Nebeneinander verschiedener auch bidirektionaler Prozesse (vgl. Czaika, Ausbreitung, 79–81). 56 Bosinski, Gesangbuch 1525, 113.
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1526 und 1528 existieren müsse, die dann wiederum dem Kompilator des dänischen Gesangbuchs vorgelegen habe. 57 Dies setzt natürlich voraus, dass das Slütersche Gesangbuch – welches auch immer – die einzige Quelle für das dänische Gesangbuch darstellte; ebenfalls möglich wäre zum Beispiel eine weiteres Gesangbuch, das sowohl dem dänischen als auch dem niederdeutschen Gesangbuch (von 1531) als zusätzliche Quelle diente. Davon abgesehen betont Widding aber die Funktion des niederdeutschen Gesangbuchs als Vermittler der neuen protestantischen Kirchengesänge aus Wittenberg, Nürnberg und Straßburg nach Dänemark beziehungsweise Norwegen. 58 Mit den Goostly Psalmes verfasste Myles Coverdale (vermutlich) 1535 59 das erste englischsprachige Gesangbuch der Reformation. Dieses enthalte vor allem Übersetzungen der bis 1535 veröffentlichten Luthertexte, die „mit plattdeutschen Versionen des Klugschen Gesangbuchs aus Wittenberg verwandt“ seien, also vermutlich mit dem ersten Teil des niederdeutschen Gesangbuchs von 1531. 60 Da diese Forschungsarbeiten vor allem überblicksartig argumentieren und teilweise aufgrund ihres Alters wenig auf andere Literatur oder genaue Ausgaben der Texte verweisen, bleibt eine wirklich umfassende Untersuchung der Überlieferungsbeziehungen zwischen den ersten niederdeutschen Gesangbüchern und den jeweiligen Vertretern aus dem englischen sowie skandinavischen Raum daher noch ein Desiderat – auch um die Frage zu beantworten, ob sich wirklich „in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts […] mit Joachim Slüter als Hauptgestalt eine norddeutsche reformatorische Singbewegung“ 61 entwickelte. Eine erste Grundlage für eine solche Untersuchung könnte die kritische Edition der frühen niederdeutschen Gesangbücher bilden.
—————
57 58 59 60 61
Widding, Verbindung, 97–99. Ebd., 98–100. Vgl. Leaver, Datierung. Ders., Hymnodie, 223f. Bohlin, Singbewegung, 49.
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Thomas Klie
Eyne schone vnd ser nutte Christlikke vnderwysynge allen Christgelouigen mynschen Die katechetische Selbsterschließung der evangelischen Kirche 1. Ein evangelischer Katechismus – was ist das? Evangelische Religion ist eine Bildungsreligion. 1 Verschiedene sozial- und frömmigkeitsgeschichtliche Verwerfungen haben diesen Initialakzent des Evangelischen zwar immer wieder verundeutlicht, aber solange dieses Kirchensystem die kulturelle Kraft aufbringt, sich an seine ureigene Lehrund Lerngeschichte zu erinnern, wird es sich auch immer wieder reformieren können. Denn die Reformation und ihre Wirkungen gingen hervor aus dem Geist religiöser Unterweisung. Luther und Melanchthon waren Hochschullehrer, und was sie zum Zwecke kirchlicher Rückbesinnung erdachten, entsprang allererst akademischer Lehre. Diese in der Lehre entstandene Neuerungsbewegung hatte natürlich auch all die bekannten religionskulturellen Wirkungen für die Liturgie, die Kirchenleitung, die Wortkunst und die Ästhetik, aber sie kommt gewissermaßen im Bereich der Religionsdidaktik immer wieder zu sich selbst. Dieser theologische und religiöse Eigensinn des Evangelischen verdichtete sich symbolisch in Luthers Katechismen von 1529. Ganze Generationen wackerer Lutheranerinnen und Lutheraner haben im Modus dieses hoch stilisierten didaktischen Arrangements ihren Glauben gelernt – und ihn darüber tradiert. In dieser Form erwiesen sich protestantische Gewissheiten über Jahrhunderte hinweg als gut vermittelbar: im Dreischritt aus Bibel- beziehungsweise Lehr-Satz, dessen Infragestellung durch die berühmte „Was ist das?“-Frage und den präzisen Antworten aus der Feder des Wittenberger Reformkatholiken. Was sich hier über die einprägsamen und vor allem dann natürlich auch einzuprägenden Wortlaute in einer Art Konsensdialektik aus Tradition, Befragung und Interpretation darstellt, hat sich als eine der wirkmächtigsten evangelischen Grundkonstanten erwiesen. Es kann eben nur selbstverständlicher Bestandteil protestantischer Identität werden, was seine Selbstverständlichkeit immer wieder neu und begrün————— 1
Vgl. im Folgenden Klie, Curriculum, 230–235.
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det in Frage zu stellen vermag. Dieses Grundmuster einer sich immer und überall fraglichen Selbstreferenz auf die eigene Religion ist ein Indiz für die reflexive Stärke der lutherischen Spielform des Christlichen, aber es markiert natürlich auch immer eine latente Gefährdung des Protestantismus als Religion. Im permanenten „Was ist das?“-Modus sich selbst, seinem Glauben und seiner Mitwelt zu begegnen, gleicht der von Ulrich Beck treffend beschriebenen Verunsicherung des spätmodernen Menschen, der, besessen vom Ziel der Selbstoptimierung, sich immer wieder selbst aus der Erde herausreißt, nur um nachzusehen, ob seine Wurzeln auch wirklich gesund sind. 2 „Was ist das?“ – Das ist evangelisch. Wenn wir uns nach diesem eher grundsätzlichen religionshermeneutischen Einstieg im Folgenden mit der Joachim Slüter zugeschriebenen „Christlichen Unterweisung“ 3 befassen, dann tun wir gut daran, die Kriterien für unsere Relecture zunächst an Luthers klassischer Lehrkunst zu schärfen. Ich versuche mich als Praktischer Theologe in dieser religionspädagogischen Geschichtsbetrachtung, das heißt mein Metier ist weniger das akribische Quellenstudium als vielmehr die synchrone fundamentalkatechetische Vergewisserung. Was also ist ein evangelischer Katechismus – und wie funktioniert er? Zunächst ist festzuhalten, dass die lutherische Religionsdidaktik einen familialen Nucleus voraussetzt. Der „Hausvater“ ist für Luther die evangelisch schlechthin entscheidende Traditionsagentur; die „Pfarrherrn oder Prediger“ sind allenfalls die Vermittler – heute würde man von ‚Multiplikatoren‘ sprechen. Dies ist eine in ihrer soziologischen beziehungsweise familienreligiösen Dimension kaum zu unterschätzende Setzung, die allerdings mit der Verkirchlichung des Luthertums mehr und mehr in Vergessenheit geraten ist. Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass die Tradierungskrise des Protestantismus weniger in Milieuverengungen zu suchen ist als in der Stagnation gerade der familialen Religionsproduktivität. Als in der Reformationszeit die alten Gewissheiten in zum Teil chaotischen und krass antiinstitutionellen Affekten erodierten, war an eine strukturierte kirchliche Vermittlung noch kaum zu denken. Es blieb also kaum etwas anderes übrig, als die Weitergabe des sich gerade erst abzeichnenden neuen Denkens an den Lernort Familie zu delegieren. Und so äußert sich die reformatorische Katechetik als eine mehrfach gestufte didaktische Schleife. Der Pfarrherr soll den Hausvätern den Grundkurs des Glaubens nahebringen, damit diese dann ihr allgemeines Priestertum im Kreise ihrer Lieben verantwortlich wahrnehmen können. Und um die Pfarrherrn in die Lage zu versetzen, diese Vermittlungsleistung auch ————— 2 3
Vgl. Beck, Risikogesellschaft, 156. Slueter, Christlike underwysynge.
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theologisch und didaktisch kompetent zu erbringen, verfasst der Hochschullehrer Luther sein Enchiridion, wörtlich: sein Handbuch. 4 Auf jeder dieser lutherischen Lehr-Stufen ist die jeweilige Lern-Gestalt mit bedacht: der Theologieprofessor schreibt und gibt den Pfarrern zu lesen, die Pfarrer bilden sich in der Lektüre und geben den Hausvätern zu wissen, die Hausväter hören und memorieren. Und die evangelische Familiengemeinde tut es ihnen darin gleich. Maria Montessori hat übrigens gut 400 Jahre nach Luther dieses selbsttätige, nicht-professionelle Lehr-Lernen zu einem Eckpfeiler ihrer Pädagogik gemacht. 5 Der Sitz im Leben von Luthers Katechismus ist ein massives religionstheoretisches Defizit. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts sieht man sich landauf, landab schlicht nicht informiert „von der Christlichen Lehre“. Diese Analyse, die der Reformator seinem Lehrbüchlein voranstellt, lässt sich durchaus bildungstheoretisch verallgemeinern. Der institutionelle Zweck säkularer wie religiöser Bildung ist eben die Behebung von Unbildung. Schule gibt es, weil vieles nicht gewusst wird. Und so sind Glaubenskurse in der Reformationszeit von Nöten, weil die (neue) Lehre noch nicht gewusst wird. (Heute muss es sie geben, weil die [alte] Lehre nicht mehr gewusst wird.) Die katechetische Methodik hatte sich seinerzeit jedenfalls an einer grundlegenden Differenzerfahrung zu orientieren. Es war gewissermaßen eine religiöse Absetzbewegung didaktisch in Szene zu setzen: Evangelisch ist nicht – beziehungsweise nicht mehr – katholisch. Evangelische Religion ist anders als die Religion, die zu Luthers Zeiten die Lernenden sehr wohl kannten und in der sie aufgewachsen waren. Evangelisches Lernen war also in seinen Anfangsgründen nicht nur ein Neulernen, sondern zu weiten Teilen allererst ein Umlernen und Verlernen. „Was ist das?“ heißt also immer auch: Was ist das unterscheidend Evangelische? Dieses Umlernen, dieses Lernen an einer kulturell präsenten Kontrastfolie ist einer der ganz starken roten Fäden, die von dem Joachim Slüter zugeschriebenen Lehrwerk von 1525 zu Luthers Katechismen von 1529 führen. Die Educandi sollten sich ihre neue religiöse Welt eben nicht nur im Fragen und Verlauten, sondern vor allem auch im Widersprechen und in der Beanstandung erschließen können. Dazu kommt ein letztes Merkmal – das der Form. Es war eine von Luthers Grundeinsichten, dass man nicht formlos evangelisch sein kann. Zugespitzt wird man im Blick auf den spätmodernen Protestantismus sagen können, dass eine Religion, die ihre Anästhetik kultiviert, dies sogar für das unterscheidend Evangelische gegenüber ihrer katholischen Mutterkirche hält, sich nicht nur als überaus erosionsanfällig erweist, sie ist auch luthe—————
4 5
Luther, Enchiridion. Montessori, Grundsätze des Erziehens.
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risch auf dem Holzweg. Im sogenannten ‚Anhang‘ an den Kleinen Katechismus findet sich eine kleine Reihe evangelischer Ausdruckshandlungen, die um den Preis einer Dogmatisierung der ‚Hauptstücke‘ bezeichnenderweise kirchlich kaum tradiert werden. Im Evangelischen Gesangbuch hat man beispielsweise diese evangelischen Ausführungsbestimmungen kommentarlos abgetrennt. 6 Dieser Trennvorgang ist überaus folgenreich, denn hier im Anhang wird der Hausvater gelehrt, wie und was sich evangelisch zeigt: Beim Morgen- und Abendsegen, beim Tischgebet sowie im Verhalten religiös Berufener. Der „Was ist das?“-Schematismus ist hier aufgehoben zugunsten von Zeigehandlungen. Deixis statt Lexis, Performanz als Hermeneutik. Dass der kirchliche Unterricht bei der großen Mehrheit der zu Unterrichtenden nicht auf einen Vorlauf religiöser Erziehung und religiösen Kenntniserwerbs in Familie und Kirche rechnen kann, hatte damals (und hat heute) Folgen nicht nur für den Gehalt, sondern auch für die Gestalt der Unterrichtsinhalte. Denn es kann nicht reflektiert werden, was nicht auch gelebt wird beziehungsweise lebbar ist. Ohne Praxis pietatis keine religiöse Alphabetisierung, ohne Liturgie keine Gegenstände, zugespitzt: ohne Außen kein Innen. Auch hier, auf dem Terrain der Religionspraxis, auf dem Terrain der gestalteten Gotteskommunikation gibt es enge Verbindungen zwischen Slüter und Luther. Nachdem wir nun gewissermaßen von Luthers Katechismen aus als dem protestantischen Archetypus auf die Slüter zugeschriebene Christlikke vnderwysynge zurückgeschaut haben, wollen wir uns im Folgenden diese bemerkenswerte Schrift von 1525 genauer ansehen.
2. Slüters Katechismus – eine evangelische Pseudepigraphie Nach allem, was wir heute historisch sagen und belegen können, ist der Rostocker Capellan an St. Petri, Joachim Slüter, nicht der Verfasser der „Christlichen Unterweisung“. Es sprechen aber gute Gründe dafür, dass Slüter dieses Lehrwerk herausgegeben, das heißt übersetzt und mit biblischen Anmerkungen kommentiert hat. Slüter war vermutlich der Redaktor, nicht der Autor. Die Geschichte dieses Katechismus liegt allerdings einigermaßen im Dunkeln. Glaubt man dem Hamburger Pastor und Privatgelehrten Johannes Geffcken 7, dann ist diese „in mehrfacher Hinsicht merkwürdige katechetische Schrift“ 8 wohl nur in einem einzigen Exemplar original erhalten. 9 —————
6 7 8
Evangelisches Gesangbuch (EG), 905. Dr. Johannes Geffcken (1803–1864) wirkte als lutherischer Pastor an St. Michaelis, Hamburg. Montessori, Grundsätze des Erziehens.
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Geffcken war es 1858 auch, der für diese anonyme niederdeutsche Schrift als erster die Verfasserschaft des Rostocker Reformators Slüter ins Spiel brachte. Das Titelblatt des Katechismus selbst führt keinen Verfassernamen, wohl aber wird auf der letzten Druckseite der umtriebige Rostocker Buchdrucker und Verleger Ludwig Dietz erwähnt. 10 Geffcken mutmaßt: Es liegt gewiss sehr nahe, an Slüter zu denken, der damals auf alle Weise von den Papisten verfolgt wurde und wohl Bedenken tragen mochte, seinen Namen zu nennen. Die schöne Ausführung von der Rechtfertigung durch den Glauben ist seiner ganz würdig. 11
Er räumt allerdings auch sofort ein, dass „(d)er Verfasser [...] ohne Zweifel den sogenannten Katechismus der böhmischen Brüder vor sich gehabt“ hatte. 12 Auch der Titel lässt den Schluss zu, es handele sich um Slüter selbst, denn der vorliegende Katechismus und das Slütersche Gesangbuch haben auffallende Ähnlichkeiten in der Überschrift. 13 Das Gesangbuch wird überschrieben mit Eyn gantz schone und seer nutte gesangboek und der Katechismus mit Eyne schone vnd ser nutte Christlike vnderwysynge – beide Kirchenbücher werden, durchaus im Unterschied zu vergleichbaren Publikationen, als „schön und sehr nützlich“ bezeichnet. Was also läge näher, als beide Bücher ein und demselben Autor zuzuschreiben? Katechismus und Liederbuch wurden auch in der Folgezeit als zusammengehörig gesehen, denn man verband sie in der „Ordnung der Messe“ (1541/45) 14 miteinander zu einer Liturgie: Nha dem gebede, wen syn gesungen de gebade, die Geloue, Vader vnse, schal de Kerckher anfangen, denn klenen Catechismum D. Lutheri, Wo he jn den Sanck böken steyt, vnde den beth thom ende vorlesen. 15 Dazu kommt ein drittes interessantes Indiz: Auf dem Titelblatt werden nach dem lateinischen zwei Bibelstellen ausgesetzt: die Antwort Jesu an den Satan aus Mt 4 („du sollst den Herrn fürchten und ihm allein dienen“), —————
In der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel; vgl. Geffcken, Katechismus, 52. Ebenso auch Sieden, Katechismen, 7. 10 Gedruckt vnde volendet am leste dage Februarij. Anno des rungeren tals jm vyffvndtwyntyghesten [= im laufenden Jahrhundert im 25. Jahr – Anm. TK]. Ludowich Dyetz. Dietz kam wohl 1504 nach Rostock und starb dort 1559. Vgl. Anm. 3. 11 Geffcken, Katechismus, 55. 12 Ebd., 53. 13 Zum Gesangbuch vgl. auch den Beitrag von Annika Bostelmann und Hellmut Braun in diesem Band. 14 Ordeninge der misse, wo de van den kerckheren unde seelsorgern ym lande tho Meckelnborch [...] schal geholden werden, in: Sehling, Kirchenordnungen, 150ff. 15 Zitiert nach Reu, Quellen, 357. 9
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zugleich ein Zitat aus Dtn 6. 16 Direkt darunter aber findet sich ein Vers aus Jes 40, 8: Dat wordt gades blyfft ewyglick. Dieser Vers war zugleich auch die Inschrift, die Slüter über sein Haus, das kleine spätere Orgelistenhaus an der Nordseite der Petrikirche hat setzen lassen. Nicolaus Gryse 17 weiß dazu folgende Anekdote zu berichten: Einige Wochen hernach kommt ein kecker papistischer Priester mit einem in Wagenschmiere wohl eingetunkten Wedel oder Quast und löschet die über M(agister) Slüters Tür an der Mauern mit großen Buchstaben geschriebenen Worte ‚Gottes Wort bleibet in Ewigkeit’ ganz aus. 18
Es sind also im Wesentlichen insgesamt drei Argumente, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts für die Verfasserschaft Slüters geltend gemacht wurden: 1. die Anonymität (aus Gründen der Gefährdung), 2. die Analogie mit der Titulatur des Gesangbuchs und 3. die Zitation von Slüters Hausspruch. Es war der niedersächsische Konsistorialrat und Superintendent Ferdinand Cohrs, der in seiner umfangreichen Quellensammlung von 1900 19 die These von der Verfasserschaft Slüters widerlegte. Cohrs führte den Nachweis, dass der Rostocker Katechismus zusammen mit einem zeit- und nahezu wortgleichen Katechismus aus Magdeburg auf einen gemeinsamen Vorläufer zurückgeht: Die sogenannten ‚Kinderfragen‘ der böhmischen Brüder. 20 Seit spätestens 1502 besaßen die Böhmischen Brüder ein Lehrbuch für die religiöse Unterweisung der Kinder. 1521/22 erschien es im Umfeld reformatorischer Gemeinden in deutscher Übersetzung. 21 Belegt sind diese Drucke in Nürnberg, Augsburg, Wittenberg, Erfurt und Straßburg. Sie wurden allerdings nicht unerheblich redigiert im Sinne der sich dann bald konstituierenden lutherischen Lehre. Klar ist, dass dieser Katechismus der Böhmischen Brüder unabhängig von, weil vor der lutherischen Reformation, entstanden ist. Eine seiner niederdeutschen Übersetzungen erschien 1524 in Magdeburg – auch sie behandelt ihre brüdergemeindliche Vorlage sehr frei. 22 Der Magdeburger Redaktor titelt sein achtseitiges Opus mit Eyn buchleyn wie man die kinder lerenn schal [...]. Die 10 Gebote übernimmt der Magdeburger Redaktor aus seiner Vorlage, ebenfalls das Vaterunser. Die Seligpreisungen, die soge—————
Dieser Satz erscheint auf Latein mit der Angabe beider Bibelstellen: dominum deum tuum timebis et illi soli servies (Dt 6, 13; Mt 4, 10). 17 Vgl. Gryse, Historia. 18 Zitiert nach Sieden, Katechismen, 10. 19 Vgl. Cohrs, Katechismusversuche, 103ff. Cohrs (1864–1933) war Studiendirektor am Predigerseminar Erichsburg und Superintendent der Grafschaft Hohnstein. 20 Ein christliche untterweysung Der klaynen Kinder jm Glauben, durch ein weyß einer Frag; vgl. dazu Müller, Deutschen Katechismen; Zezschwitz, Waldenser. 21 Vgl. Cohrs, Katechismusversuche, 9. 22 Vgl. Ebd., 103. 16
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nannten sechs Gebote Christi und die sieben Todsünden lässt er allerdings aus, ebenso das Apostolikum. Letzteres wird durch lose inhaltliche FrageAntworten ersetzt. Im Februar 1525 wird dann diese anonyme Magdeburger Version des Brüder-Katechismus ohne wesentliche inhaltliche Abweichungen fast wörtlich von Dietz in Rostock nachgedruckt. Der Schweriner Oberkirchenrat Julius Sieden bezeichnet 1930 dieses kleine Religionsbuch als „den ältesten evangelischen Katechismus Mecklenburgs“. 23 Bemerkenswert ist der Zeitpunkt der Neuerscheinung: 1525 war die reformatorische Bewegung in Rostock keineswegs schon etabliert. Slüter war erst seit zwei Jahren Prediger an St. Petri – irgendwann 1525 musste er Rostock für längere Zeit verlassen. Nach seiner Rückkehr heiratete er Katharina Jelen (1528) und erst 1531 wurde Rostock evangelisch. Julius Sieden vertritt die These, Slüter habe sich während seiner wohl erzwungenen Flucht aus Rostock in oder bei Magdeburg aufgehalten, dort den besagten Katechismus kennengelernt und bei seiner Rückkehr mit nach Rostock gebracht. 24 Er schließt dies daraus, dass der Magdeburger Katechismus allein in Rostock rezipiert wurde – andere Nachdrucke oder Umarbeitungen sind jedenfalls nicht bekannt.
3. Slüters editorische Arbeit am Magdeburger Katechismus Der Rostocker Katechismus besteht aus 39 Fragen und Antworten. Thematisch lässt er sich wie folgt gliedern: Geschöpflichkeit (Frage 1‒3); Bekenntnis des Glaubens (Frage 4‒5); Werkgerechtigkeit (Frage 6‒7); Toter und lebendiger Glauben (Frage 8); Zehn Gebote / Nächstenliebe (Frage 9‒ 14); Glaube an den dreieinigen Gott (Frage 15‒21); Beten und Vaterunser (Frage 22‒26); Anbetungsverbote (Frage 27‒39): vs. Kreaturen (27‒30), vs. Jungfrau Maria (31‒33), vs. Heilige (34‒39). Der Katechismus hat also ein eminent praktisches Gefälle: vom Glauben über die Gebote zum Gebet. Er hat damit eine „kernfeste und lebendige Frömmigkeit hineingetragen in das Land“ 25 und er entspricht in seiner religionspraktischen Abzweckung exakt dem Lutherischen Doppelwerk. Es fällt auf, dass der Rostocker Katechismus kein vollständiges Apostolikum enthält; auch die 10 Gebote werden nur paraphrasiert. Anklänge an das Credo finden sich nur im Zusammenhang mit der Unterscheidung von lebendigem (= tätigem) Glauben und totem (= untätigem) Fürwahrhalten. —————
Sieden, Katechismen, 7. Vgl. Ebd., 18: „So stehen wir vor der auffallenden Tatsache, daß der Rostocker Katechismus Slüters unmittelbar auf Magdeburg hinweist, und zwar in der Form, daß diese Magdeburger Bearbeitung offenbar nur nach Rostock hin sich ausgewirkt hat.“ 25 Ebd., 14. 23 24
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Die fides quae creditur muss mit der fides qua creditur korrespondieren. Dies ist vermutlich der Grund für die inhaltliche Paraphrase des Credo. Die Frage-Antwort-Struktur zieht sich von Anfang bis Ende durch: Auf kurze, präzise Fragen folgen meist eher ausführliche, dogmatisch inspirierte Ausführungen. Julius Sieden ist wohl Recht zu geben, dass diese Sentenzen eher nicht „zum Auswendig-Lernen bestimmt gewesen sind“. 26 Wenn Slüter der Herausgeber des Katechismus von 1525 war, dann bleibt die Frage, wie hat er gearbeitet und was hat er an seiner Vorlage verändert. Die Änderungen, die der Rostocker Redaktor an seiner Magdeburger Vorlage vorgenommen hat, beziehen sich auf drei beziehungsweise vier Aspekte: Zunächst die Rezipienten, dann die Übersetzung, die biblischen Verweisstellen und schließlich die sprachlichen Präzisierungen. 3.1 Die Rezipienten und die Sprache Beim Blick auf den Titel des Katechismus fällt sofort auf, dass der Rostocker Text trotz zum Teil wortwörtlicher Übereinstimmung in weiten Passagen in der Titulatur in charakteristischer Weise von seiner Vorlage abweicht. Der vollständige Titel des Magdeburger niederdeutschen Katechismus lautet: Eynn buchleyn, wie man die kinder lerenn schal yhn dem rechtenn Gelouen dorch eyne wyse eyner Frage vnd Antwort vnder wysewnde. Die Rostocker Version weicht hiervon ab: Eyne schone vnd ser nutte Christlikke vnderwysynge allen Christgelouigen mynschen und in Klammern wird in deutlicher Abgrenzung beziehungsweise Erweiterung der Vorlage hinzugefügt: (nicht allene denn kynderen vnde jungen lüden) sunder ock den olden wol antomerckede / na der wyse eyner vrage vn antwordt. Johann Michael Reu urteilt: Wäre nicht der Titel ein anderer und wären nicht am Rand die betreffenden Bibelstellen beigegeben, könnte man auf den Gedanken kommen, Dietz habe das Buch einfach aus buchhändlerischem Interesse der Magdeburger Vorlage frei nachgedruckt. 27
Klar ist zumindest: Das Rostocker Gesangbuch und der Rostocker Katechismus sollten – anders als die ‚Kinderfragen‘ der böhmischen Brüder und der Magdeburger Katechismus – auch und gerade den Erwachsenen dienen, damit sie ihn dann ihrerseits ihren Kindern vermitteln können, aber auch, um sich in einer Zeit, als es in der Stadt Rostock durchaus noch streitbar bikonfessionell zuging, argumentativ zu behaupten. Die neue Lehre war in —————
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Sieden, Katechismen, 13. Reu, Quellen, 356.
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dieser Zeit für die Erwachsenen in den zum Teil auch sehr handfesten städtischen Querelen mindestens so wichtig wie für die Kinder in der Pfarrschule St. Petri. In Magdeburg erreichte die antiklerikale Stimmung schon 1524 ihren Höhepunkt. Bürgermeister Nicolaus Sturm rief Luther nach Magdeburg, der dann auch am 26. Juni in der Magdeburger Johanneskirche predigte. 28 Noch im gleichen Jahr wurde die katholische Messe abgeschafft. In Rostock waren die Machtverhältnisse andere, es gab schlicht noch einen großen Verständigungs- und Klärungsbedarf, der nicht allein über das flüchtige Predigtwort darstellbar war. In einem Katechismus konnte man die Grundwahrheiten nachlesen beziehungsweise hören und mündlich repetieren (wie die wohl mehrheitlich analphabetischen Bewohner des Rostocker Petriviertels). Das katechetische Lernen setzte – zumindest in der Anfangsphase der Reformation – auf eine mündliche Aneignung. Die veränderte Gebrauchsanweisung des Katechismus war also speziell auf die Rostocker Situation zugeschnitten. Dies schließt nicht aus, dass dieser Katechismus auch und gerade an den Schulen benutzt wurde, vor allem natürlich an der Petri-Schule, wie Julius Sieden wohl mit Recht annimmt. 29 Ob der Katechismus auch an Schulen über Rostock hinaus Gebrauch fand, lässt sich nicht mehr nachweisen. Die Adaption auf die Rostocker Situation betrifft auch die Sprache. Vergleicht man den Magdeburger Katechismus mit dem Rostocker, dann lässt sich verallgemeinernd sagen, dass dieser – ungeachtet der großen sprachlichen Übereinstimmung – das Niederdeutsche der Magdeburger Gegend, jener dagegen das des Rostocker Umlands repräsentiert. 30 So heißt in der Magdeburger Version Antwort 5, dass alle unse sunde vorslindet werden, in der Rostocker Version werden die Sünden uthgedeltgeth (ausgetilgt). Der Magdeburger Katechismus spricht von mynsk – der Rostocker von minsche (z.B. bei Frage 1: Mensch). 31 3.2 Die biblische Kommentierung und die sprachliche Präzisierung Eine Besonderheit unseres Katechismus gegenüber seiner Magdeburger Vorlage sind die durchgängigen biblischen Randnotizen. Bei 39 Fragen und Antworten summieren sie sich auf insgesamt 87 Bibelstellen. Unabhängig von der Frage, ob diese Kommentierung auf Slüter zurückgeht, wird man —————
Vgl. Buchholz, Magdeburg. Vgl. Sieden, Katechismen, 13. 30 Vgl. Bosinski, Schrifttum, 70. 31 Cohrs hat 140 sprachliche Unterschiede festgestellt, die mit den dialektalen Unterschieden des Magdeburger und Rostocker Niederdeutsch zu tun haben (Cohrs, Katechismusversuche, 105‒108). 28 29
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doch schlussfolgern können, dass sie in jedem Fall auf einen kundigen Theologen zurückgehen. Diese biblischen Randnotizen haben eine doppelte Funktion: Sie affirmieren die dogmatischen Inhalte des Katechismus biblisch und weisen ihn somit gegenüber den Altgläubigen als schriftgemäß aus. 32 Die Bezeichnung der Stellen (es werden nur die Kapitel, nicht die Verse angeführt) geschieht nach der Vulgata. Für die evangelischen Leser erhält das Lehrwerk dadurch die Funktion einer Laienbibel, 33 denn kehrt man die Leserichtung um, dann bilden die Fragen und Antworten des Katechismus eine Art hermeneutischen Kommentar der Heiligen Schrift. 34 Ich gebe an dieser Stelle nur zwei Beispiele für diese Art der biblischen Kommentierung: VRaghe. Wat bist du? Antwerdt. Eyn vornufftich und sterfflick minsche / eyn creatur van gade geschapen. – Dazu ist angegeben Gen 1.
Das zitierte Kapitel hat natürlich einen erheblichen Deutungsüberschuss gegenüber diesem schlichten Katechismussatz. Dazu kommt, dass der lapidare Antwortsatz so wortwörtlich natürlich nicht in Gen 1 steht. Es verlangt also von den Rezipienten, in diesem Fall vom Leser, eine nicht geringe hermeneutische Anstrengung, Katechismus und Bibel aufeinander abzubilden. Gleiches gilt auch für mein zweites Beispiel: Bei den Fragen 33, 34 und 35, in denen es um die evangelischen Möglichkeiten geht, die Jungfrau Maria beziehungsweise die Heiligen zu verehren, finden sich Lk 1, Eph 1 und Röm 8. Alle drei Kapitel sind sehr voraussetzungsvoll und im Falle von Eph 1 und Röm 8 auch keine selbsterschließenden narrativen Kontexte. Hier ist eindeutig ein theologisch kundiger Leser im Blick – Slüter führt den Beweis der Schriftgemäßheit. 35 Für die biblische Ausrichtung der Slüterschen Übersetzung spricht auch, dass hier sehr oft die Magdeburger Vorlage der biblischen Version angeglichen wurde. 36 —————
In der Vorrede zum Gesangbuch begründet Slüter die Bibelstellen so: „[...] damit die blinden, verstockten Gotteslästerer und Feinde des Evangeliums [...] mögen sehen, fühlen und mit Händen greifen, daß die Lieder nicht aus eigenem Verstande erdichtet sind, wie jene sich dünken lassen Vielmehr ruhen sie auf dem Grund, der durch den Heiligen Geist, unseren Führer [...] gelegt ist.“ Zitiert nach Bosinski, Slüter, 117. 33 Diese These vertritt z.B. Julius Sieden (Sieden, Katechismen, 13). 34 Ausführlich widmet sich Bosinski der Schriftzitation Slüters in Bosinski, Schrifttum, 74ff. 35 Zu diesem Urteil kommt auch Bosinski, Schrifttum, 75. 36 Vgl. Ebd., 76. 32
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Abschließend lässt sich resümieren: Der unbekannte Verfasser des Magdeburger Katechismus intendierte in der theologischen Auseinandersetzung eine Konzentration auf die reformatorischen Kernaussagen, die er als schriftgemäß darstellte. Das war es, was Joachim Slüter gern übernahm, übersetzte und durch Schriftstellen am Rande unterstrich: für die Gegner das Zeugnis, auf dem Grund der Schrift zu stehen, und für die Anhänger eine Hilfe für Glauben und Leben. 37
4. Epilog – evangelische Buch-Religion Wie ich meine Ausführungen zum Rostocker Katechismus mit einigen grundsätzlichen Anmerkungen zum katechetischen Lernen begonnen habe, die an Luthers Enchiridion geschärft wurden, so will ich auch mit Luther enden, um den praktisch-theologischen Bogen zu schlagen. Ich lasse hier einen Altmeister der Katechetik zu Wort kommen, Christoph Bizer: Luthers Kleiner Katechismus, Enchiridion genannt, also ein kleines Büchlein, in eine Hand zu nehmen. Du wiegst dieses Büchlein auf dem Handteller, lässt es dann, aufgeschlagen und laut gelesen oder auswendig gesprochen, um dich herum erklingen: so umgibt dich die christliche Religion und du bist in ihr drin. Ein Büchlein ist zum Lesen da und gelesen wird im 16. Jahrhundert noch mit der eigenen Stimme, die den Leib des Sprechenden in körperlichen Resonanzen mitschwingen lässt. Was das Büchlein enthält, christliche Religion auf evangelische Weise, wird den Lesenden förmlich durchziehen. Das ist die Verheißung, die von Luthers Enchiridion ausgeht, bevor wir noch darin gelesen haben. Derselbe Befund lässt sich auch auf das Büchlein hin zuspitzen. Ist sein Leser in der christlichen Religion drin, dann muss das Büchlein selbst diese Religion im Strom ihres Lebens in sich aufgefangen haben; die Religion ist in ihm geprägte Form geworden. Wird sie sich mir, wenn ich sie meinerseits aufnehme, lebend weiter entwickeln? 38
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Bosinski, Schrifttum, 84. Bizer, Katechismus, 88‒130, hier 95.
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Quellen BOSINSKI, GERHARD (Hg.), Joachim Slüter: Ein gar schönes und sehr nützliches Gesangbuch, 1525 / Eine schöne und sehr nützliche christliche Unterweisung, 1525, Leipzig 1986. Evangelisches Gesangbuch (EG), Ausgabe für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs, Berlin/Leipzig 1993. GEFFCKEN, JOHANNES, Der niedersächsische Katechismus vom Jahre 1525, in: C. M. Wiechmann-Kadow, Joachim Slüter’s ältestes Rostocker Gesangbuch vom Jahre 1531 und der demselben zuzuschreibende Katechismus vom Jahre 1525, Schwerin 1858, 52‒55. GRYSE, NICOLAUS, Historia van der Lere, Lewende und Dode Magistri Joachimi Sluters, Rostock 1593. LUTHER, MARTIN, [Enchiridion. Der Kleine Catechismus für die gemeine Pfarrherr vnd Prediger] Der kleine Katechismus 1529. Text und Lesarten, hg. von O. Albrecht/O. Brenner/J. Luther (D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, 30/1), Weimar 1910, 239–425. MÜLLER, JOSEPH TH., Die Deutschen Katechismen der Böhmischen Brüder. Kritische Textausgabe mit kirchen- und dogmengeschichtlichen Untersuchungen und einer Abhandlung über das Schulwesen der böhmischen Brüder, Berlin 1887. REU, JOHANN M. (Hg.), Quellen des kirchlichen Unterrichts in der evangelischen Kirche Deutschlands zwischen 1530 und 1600, Bd. 3: Ost-, Nord- und Westdeutsche Katechismen, 1. Abt., 1. H., Gütersloh 1927. SLUETER, JOACHIM, Eyne schone unnd ser nutte Christlike underwysynge allen Christgelovigen mynschen (nicht allene denn kynderen vnde jungen lüden) sunder ock den olden wol antomer-ckeede, na der wyse eyner vrage unn antwordt [...] M.D.XXv; hg. von Carl M. Wiechmann [Nachdruck der Ausg. Rostock: Dyetz] 1858. SEHLING, EMIL (Hg.), Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. 5: Livland, Estland, Kurland, Mecklenburg, Leipzig 1913. ZEZSCHWITZ, K.A. GERHARD VON, Die Katechismen der Waldenser und Böhmischen Brüder als Documente ihres wechselseitigen Lehraustausches. Kritische Textausgabe mit kirchen- und literargeschichtlichen Untersuchungen, Erlangen 1863.
Literatur BECK, ULRICH, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt am Main 1986. BIZER, CHRISTOPH, Luthers Kleiner Katechismus, im Blick auf den Konfirmandenunterricht aufs Neue gelesen, in: B. Dressler/Th. Klie/C. Mork (Hg.), Konfirmandenunterricht. Didaktik und Inszenierung, Hannover 2001, 88‒130. BOSINSKI, GERHARD, Das Schrifttum des Rostocker Reformators Joachim Slüter, Berlin 1971.
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Buchholz, Ingelore (Hg.), Martin Luther in Magdeburg. Eine Sammlung von Quellen und Aufsätzen. Aus Anlaß des Lutherjahres 1996 (Magdeburger Gesprächsreihe 8), Oschersleben 1996. COHRS, FERDINAND, Die evangelischen Katechismusversuche aus den Jahren 1522‒ 1526, Bd. 1: Die evangelischen Katechismusversuche vor Luthers Enchiridion, Berlin 1900. KLIE, THOMAS, Curriculum fidei, in: Praktische Theologie 48, 2013, 230–235. MONTESSORI, MARIA, Zehn Grundsätze des Erziehens, Freiburg/Basel/Wien 72012. SIEDEN, JULIUS, Katechismen und Katechismusunterweisung in Mecklenburg seit der Reformation bis zu Anfang des 18. Jahrhunderts, Schwerin 1930.
Janis Kreslins
Scharf auf den Punkt gebracht. Das Rostocker Wort zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit – Paketierung, Kodierung und Transponierung
Tief verwurzelt und fest begründet im Bewusstsein der meisten Wissenschaftler ist die Überzeugung, dass historische Verläufe und Nachwirkungen durch eine unendliche Menge von historischen Quellen dargelegt und belegt werden müssen, um sowohl tiefere historische wie auch geistige Einsichten zu gewinnen ‒ als ob unsere eigene Eigenwahrnehmung und Eigensensibilität keinen Einblick in die komplexen und wechselhaften Identitätsfindungsprozesse ermöglichen würde. Gerade deswegen sollten wir, um die Bedeutung Rostocks für den europäischen Nordosten während der Frühen Neuzeit aus einem anderen, mehr kommunikationspsychologischen Blickwinkel zu erfassen und die Sprachtopographie in einem neuen Spiegel zu betrachten, unsere Perspektive wechseln und die Aufforderung ‚aus Nabelschau die ganze Welt‘ ernst nehmen. Grundlegend für diese andere Perspektive werden meine eigenen persönlichen Begegnungen mit dem frühneuzeitlichen Rostock sein ‒ Begegnungen, die während der letzten mehr als dreißig Jahre unerwartete und überraschende Wendungen genommen und ständig neue Konstellationen gebildet haben. Diese Begegnungen haben in mir ein neues Verständnis für die kommunikative Rolle der Stadt und eine neue Sensibilität für die Atmosphäre, die dort um die Jahrhundertwende zum 17. Jahrhundert herrschte, erweckt. In diesen Begegnungen entspinnen sich die Charakteristika der Stadt, die selten zusammenhängend in der wissenschaftlichen Literatur berücksichtigt wurden. Sie bilden eine Kommunikationsplattform und einen Raum, die aufgrund ihrer immateriellen Natur in einer historischen Perspektive schwer zu beschreiben sind. In diesen Begegnungen entfaltet sich nämlich eine Geschichte, die darüber berichtet, wie Menschen Kommunikation konsumierten und gestalteten. Deshalb müssen wir nicht nur die Quellen ausgraben, sondern auch darüber nachdenken, wie wir selbst kommunizieren – auch mit Menschen, denen wir nicht gegenüberstehen. Genauso wichtig ist es, wie wir Ideen untereinander fördern und Impulse vermitteln. Ich werde meinen persönlichen Werdegang mit dem historischen Verlauf verflechten – weil ich selbst der Stadt und ihrer kreativen Energie nicht strikt chronolo-
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gisch begegnet bin. In der Forschung ist es uns immer mehr erlaubt, genau dieses zu tun, um neue Einsichten zu gewinnen. Nicht selten entstehen durch die persönliche Widerspiegelung unserer Erfahrungen Neuzusammenstellungen und Neuinterpretationen. Ich selbst passierte die Stadttore Rostocks zum ersten Mal während des zweiten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts in Begleitung des jungen kurländischen Pfarrersohnes Georgius Mancelius. 1 Der berufliche Werdegang von Mancelius illustriert, wie eng zu dieser Zeit Rostock mit der Peripherie – in diesem Fall mit Estland, Livland und Kurland ‒ verbunden war. Rostock war keine ferne und fremde Realität, die man hauptsächlich nur physisch wahrnehmen konnte. In verschiedensten Teilen Estlands, Kurlands und Livlands war Rostock nicht nur allgegenwärtig und nahm bereits deshalb eine Sonderstellung ein, sondern war auch ein Sinnbild der Globalisierung und seinerseits selbst von jener kulturellen Mannigfaltigkeit geprägt. 2 Aber Rostock war nicht nur ein Treffpunkt, ein Ort des Austauschs, ein Schnittpunkt der Netzwerke der verschiedensten Menschen, sondern bildete auch einen Knotenpunkt einiger bedeutender frühneuzeitlicher Kommunikationsräume. 3 Meine eigene Reise zu den engen, marktschreierischen und von jungen Menschen, Hafenarbeitern und Seeleuten überschwemmten Straßen Rostocks war wegen der Zeitlücke und des damit verbundenen Kulturschocks verwirrend und verlockend zugleich. Ich war durch die Zeit dorthin gereist, um zu erforschen, ob diese Stadt irgendeine Bedeutung für die Sprachentwicklung im europäischen Nordosten während des 17. Jahrhunderts gehabt hatte – ein Jahrhundert, in dem eine regelrechte Kommunikationsrevolution im deutschen Sprachraum stattfand. 4 Bei meinem ersten Besuch war ich bloß ein Beobachter, hauptsächlich deshalb, weil sich der vorhandene Nährboden und die Kulturlandschaft in meinen Augen recht eintönig und nichtssagend ausnahmen. Mir fehlte noch die richtige Brille – die sprachtheoretische Basis, die für eine differenzierte ————— 1
2 3
Vgl. Viiding, Porträt, 37‒46. Vgl. auch Kreslins, Dominus.
Vgl. Tering, Euroopa.
In Pluns, Universität Rostock, wird ein strukturierter Überblick über die Rolle der Universität in der damaligen Gesellschaft gegeben. Besonders stark gemacht wird in dieser Darstellung die kollektive Mentalität der Stadt – wie etwa der Gemeinnutzen und das Gemeingut über die Eigeninteressen Einzelner gestellt wurden. Weniger werden die vielfältigen regionalen Differenzierungen und Bildungslandschaften untersucht. Luebke hat diese als „civic concord as a means to preserve unity against the tidal forces of religious pluralization“ charakterisiert (Luebke, Ritual, 498). Pluns hebt die Bedeutung von personellen Netzwerken (23f), Stipendien (26) und der landsmannschaftlichen Zusammenschlüsse (3) hervor. 4 Nicht nur auf der Straße, sondern auch an der Universität waren die Mannigfaltigkeit und die sozialen Unterschiede unter den Studenten sehr breit gefächert. Vgl. Asche, Bildungslandschaften, 1‒44.
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Wahrnehmungsweise notwendig ist. Ich suchte ziemlich einfache Lösungen – schriftliche Quellen, die sowohl praktisch-gestaltend als auch reflektierend waren, die als Dokumentation angesehen werden konnten, die, durch Worte überliefert, alles einfach auslegen würden. Aber wie wir wissen, arbeiten wir am häufigsten mit materiellen Gegenständen, die selten Zeugnis darüber ablegen, wie Kommunikationsnetzwerke und Strukturen wirklich funktionierten. 5 Nach der ersten Begegnung war ich genauso verwirrt wie zu Beginn. Wie sollte ich die Indizien deuten, falsche Schlussfolgerungen identifizieren, Vermutungen und Annahmen handhaben? Würde ich je echte Beweise finden? Woher sollte ich erfahren, was diese Stadt wirklich verbarg? Zu diesem Zeitpunkt fehlten mir fast vollständig solche Quellen, die mir die Feingliedrigkeit eines frühneuzeitlichen Kommunikationsraums illustrieren konnten. Die meisten Quellen aus dieser Zeit waren entweder fragmentarisch oder erlaubten mir nur, an der Oberfläche zu kratzen ‒ sie erzählten aber nicht das, worüber ich am liebsten etwas hören und wissen wollte. Die meisten Quellen zeigten wenig von den übergreifenden und radikalen Zusammenstößen in der Kommunikationskultur auf, die grundlegend für diese Zeit waren. Sie machten nicht die kulturellen Unterschiede innerhalb dieser Kommunikationskultur deutlich. Sie berichteten nicht über die Besonderheiten in den Gepflogenheiten und Umgangsformen verschiedener gesellschaftlicher Schichten und Strukturen und sie schwiegen über deren Herausbildung. Vom ersten Besuch in Rostock und der Begegnung mit dem jungen Mancelius bin ich mit leeren Händen heimgekehrt. Niemand schien an meiner Fragestellung interessiert zu sein. Ich hatte das Gefühl, dass ich in eine Art ‚Gelehrtenghetto‘ geraten war. Rostock erwies sich nicht gleich als Inkubator im weitesten Sinne. Die schriftlichen Quellen waren wenig mitteilsam – ich wollte erfahren, was im Kopf eines jungen Studenten herumschwirrte und was für Impulse und Anliegen die Rostocker Umgebung an ihn abgegeben hatte. An der obligatorischen Fachliteratur bin ich nicht vorbeigekommen, aber sie hat mir kaum weitergeholfen. 6 Nichts über die identitätsbildende Kraft der Sprache, nichts über die verschiedenen Kommunikationsräume, nichts über die Vielfalt von Kognitionen und Emotionen, die zu betrachten mir wichtiger erschien als rein geschäftliche Gegebenheiten und als rein kognitives, professionell vermittelbares Wissen. Würden wir unsere heutigen Identitätskonstrukte theoretisch nur mit Hilfe —————
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Zur Bedeutung regionaler Variationen, siehe Sbordoni, Theories. Ganz wesentlich für die Darstellung ist die Wahrnehmung des kommunikativen Raums in der Frühen Neuzeit, vgl. Schlögl, Kommunikation. 6 Vgl. Asche, Bürgeruniversität.
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schriftlicher Darlegungen befriedigend erklären und deuten können? Deswegen suchte ich Gesprächspartner, die mir vielleicht durch die Begegnung über die Jahrhunderte hinweg wichtige Aufschlüsse und zudem auf tieferer Ebene die Besonderheiten der sprachlichen Umgebung in Rostock vermitteln könnten. Wohin ich auch blickte, überall begegnete mir David Chytraeus, mein zweiter Halt. Nicht, weil David Chytraeus etwas Besonderes über die Kommunikationskultur geäußert hätte, sondern weil er in der Forschungstradition allgegenwärtig ist. Mit Hilfe von Chytraeus konnte ich die intellektuelle und schriftliche Topographie des europäischen Nordostens neu zeichnen. Wie Otfried Czaika es so effektiv veranschaulicht hat (leider erschien diese Arbeit mehr als ein Jahrzehnt nach meiner ersten Entdeckungsreise), ist David Chytraeus in unserem Sinnbild Rostock und Rostock ist David Chytraeus. 7 Als superber Netzwerker war er wie ein heutiger PR-Berater – er sorgte dafür, dass in der Folge alles dazu gehörte, dass alles auf ihn selbst zurückfiel. Er wirkte wie ein Firmenchef, vermittelte Kontakte. Sein Netz wob er einer Spinne gleich, beeinflusste diesen Prozess nebenbei, bildete Studenten von nah und fern aus. Aber er war kaum am Wirkungsbereich der Sprachlichkeit und Sozialität, dem Herzstück meiner Suchbewegung, interessiert. Für ihn war die Sprachsituation im Ostseeraum irgendwie selbstverständlich, aber das war sie nicht für mich. Als ich ihn traf, hatte er schon seit langem nichts über die Sprachverflechtung geäußert. Er war an einer anderen Art der Kommunikation interessiert, nämlich der schriftlichen. Und es begab sich, als ich auf dem Feld (eher am Hafen) war, dass ich den Bruder von David Chytraeus traf – meinen dritten Halt. David hatte nie die Chance, auszurufen „Woher soll ich wissen, wo mein Bruder ist“, bevor mir eine nachdenkliche und besonnene Gestalt im Chaos, das im Hafen herrschte, auffiel, und ich dachte gleich, da steckt mehr dahinter. Dieser Nathan ging mit offenen Ohren herum, nahm ab und an seinen kleinen Notizzettel zur Hand und schrieb etwas auf. Dieser Mann erregte meine Aufmerksamkeit – er sah dem Aussehen nach gebildet aus, aber mischte sich gleichzeitig ungezwungen unter die Hafenarbeiter. Als ich ihn ansprach, lachte er über das ganze Gesicht, als ob er lange auf mich gewartet hätte. Seine Geisteshaltung und Gemütsstimmung waren verlockend. Viel mehr als sein Bruder öffnete Nathan Chytraeus meine Augen für neue Welten. 8 Unser Kontakt steigerte in der Folge meine Sensibilität für die sprachliche Topographie der Stadt und enthüllte alles, was dahinter lag. Als ich mich mit seinen Beobachtungen in dem von ihm zusammengestell—————
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Vgl. Czaika, Chytræus; Kaufmann, Brüder. Vgl. Elsmann, Nathan Chytraeus. Für wichtiges Quellenmaterial siehe Pettke, Quellen.
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ten lateinischen-niederdeutschen Wörterbuch, Nomenclator Latinosaxonicus, 9 vertraut machte (und später bin ich zu dieser Quelle wiederholt zurückgekehrt) und so erfuhr, dass die Hafenarbeiter in Rostock frei zwischen sechs verschiedenen Sprachen und Dialekten wechselten, fühlte ich mich wie vor den Kopf gestoßen. Welche Rolle spielte eigentlich die Sprache für die frühneuzeitliche Identität? War ich hier einer ganz anderen Welt als in den schriftlichen Quellen begegnet? Was waren die Komponenten dieser Welt? Mein erster Gesprächspartner, Georgius Mancelius, hatte eigentlich ein Bild vom Wesen einer dieser im Hafen gesprochenen Sprachen destilliert und diesem eine Idee von Bedeutung zugeordnet. Nathan Chytraeus spielte eine Aufnahme dieser Sprache auf seinem Handy ab – eine Sprache ohne Umriss und Profilform. Seit diesem kurzen Gespräch mit Nathan Chytraeus verstand ich, dass die frühneuzeitlichen Identitäten wirklich eine Fülle von unterschiedlichen Komponenten besaßen. Sie waren austauschbar und auf alle möglichen Situationen übertragbar. Es gab eine erstaunlich hohe horizontale und vertikale Mobilität, die so nur möglich war, weil Identität keine feste Form hatte. Aber in der Mitte des 16. Jahrhunderts ist etwas Grundlegendes und Bahnbrechendes geschehen: Plötzlich konnte man die Andeutungen eines neuen Identitätsmusters im europäischen Nordosten spüren. Diese neue Identität war weder literarisch noch kulturell; sie war jenseits aller uns bekannter kultureller Setzungen; eine komplexe Gliederung von miteinander verwobenen Kulturtechniken, mit Zwischenverbindungen und Mehrfachkategorien ‒ wirklich eine Erscheinung eines polymorphen Kulturraums. Der Prozess ihrer Entwicklung wurde durch Anregungen und Impulse von außen beschleunigt. Eine Universitätsstadt wie Rostock war ein idealer Platz, an dem eine solche Identität sprießen konnte. Die dafür nötigen Vorbedingungen waren erfüllt und alle Ingredienzen zugänglich. Nathan Chytraeus war Sprachwissenschaftler, der sich mit den großen sprachlichen Veränderungen der Frühen Neuzeit beschäftigte. Er war sich der weit auseinanderklaffenden Unterschiede zwischen den verschiedenen Sprachsphären bewusst – der isolierten Welt der Akademie und des Lateinischen einerseits und der des Alltags anderseits. Diese forderten dazu auf, die Dynamiken innerhalb wie auch zwischen den Sphären zu erfassen und diese Grenzen ständig zu überqueren. 10 Auf jeder Seite des Zaunes gab es zwei ganz verschiedene Kommunikationssysteme ‒ eine Welt der Schriftlichkeit und eine der Mündlichkeit. Und wo auch immer man sich befand, —————
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Vgl. Chytraeus, Nomenclator, A5v. Parallellaufend ist ein Übergang von Nieder- zu Hochdeutsch in eher offiziellen, nichtakademischen Zusammenhängen zu beobachten. Dazu, wie dieser Prozess verlief, siehe Heinsohn, Eindringen. 10
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so waren die Kirschen in Nachbars Garten doch immer süßer. Der Reiz eines globalen, wenn auch begrenzten Gelehrtennetzwerkes stand gegen die Anziehungskraft einer Unmittelbarkeit und Fassbarkeit der mündlichen Welt. Innerhalb dieser Welt war die Grenze zwischen den Erfindungs- und Wahrnehmungsbereichen fließend. Die Schriftwelt war langsam und vorsichtig vorantastend; die mündliche dagegen lud zur direkten Begegnung ein. Die vielleicht wichtigste Grenze war die Haustür. Nirgendwo war der Abstand größer als zwischen dem Kolleg oder Konvikt und der Straße. Nathan Chytraeus bewegte sich unaufhörlich in der Welt der Sprachen ‒ sowohl als Professor für die lateinische Sprache an der Universität als auch für seine Arbeit vor Ort. Er hatte ein besonderes Interesse für das Niederdeutsche und mit „der Publikation der mittelniederdeutschen Verse des Lübecker Totenztanzes betrat er philologisches Neuland und schuf die älteste philologische Ausgabe eines niederdeutschen Textes“. 11 Er hat auch neulateinische Dramen geschrieben. In seiner Tätigkeit als erster, der sich der lettischen Sprache systematisch näherte, wies Mancelius deutliche Ähnlichkeiten zu Nathan Chytraeus auf. Wie sollte man sich eines mündlichen Sprachsystems überhaupt bemächtigen? Diese Arbeit erforderte großes Geschick und viele Untersuchungen vor Ort. Chytraeus gab seine Professur zugunsten einer Studienreise auf, angeblich um lateinische Inschriften zu sammeln, aber vermutlich war er süchtig nach Feldforschung. Als er nach Rostock zurückkehrte, wurde er Professor für Poetik. In der Tätigkeit von Nathan Chytraeus griffen einige Linien ineinander: Einerseits war er Wissenschaftler und Akademiker, anderseits ein Forscher, der im Feld, in der Alltagspraxis arbeitete. Wie setzte die akademische Welt Studenten in Kenntnis von dieser anderen Welt? Alle waren sich aus eigener Erfahrung ihrer Kraft bewusst, aber ihren sprachlichen Reichtum und ihre performative Kreativität, ihre weitgehende Unbestimmtheit und Komplexität in einem Behälter einzufangen und in ein schriftliches Medium zu überführen, ohne dass sie ihre Lebendigkeit und Gefühlstiefe verliert – das war eine wahrhaft schwierige Aufgabe! Im schriftlichen Bereich kodifiziert und systematisiert man; im mündlichen sind die Kodes und Normen von der Performativität abstrahiert. 12 Nathan Chytraeus sollte ein Vorbild für alle werden, die sich mit mündlichen Kommunikationsräumen beschäftigen; deswegen ist es höchst wahrscheinlich, dass Mancelius das nathanische Erbe zumindest teilweise vertraut war. Meines Erachtens ist es kein Zufall, dass Nathan Chytraeus sich für das Poetische und Dichterische interessierte, da Poesie immer grundlegend für das Weltbild der Mündlichkeit gewesen ist. Er identifizierte am deutlichs————— 11 12
Prowatke, Sprachen, 85. Vgl. Thurn, Rezeption, 1097‒1108.
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ten, wo diese zwei Welten in der Tat ineinandergriffen. Die Poetik als Fach war tief in der Schriftlichkeit verankert, aber als Grund hatte sie eine Materie, die am besten mündlich vorgeführt wurde. Dass das mündliche Phänomen eine Spontanität ausstrahlen kann, überrascht kaum. Aber warum war es so problematisch, ein mündlich konzipiertes Gedicht zu verschriftlichen, ohne diese Dimension zu verlieren? Und wie bemühte man sich, dieses Problem zu überwinden? Um die letzte Frage zu beantworten, suchte ich eine Hochzeitsfeier auf, wo neben einer mündlichen Performativität, einem in situ-Verfahren, die Schriftlichkeit mit Hilfe der Gelegenheitsdichtung auf Niederdeutsch in die mündliche Welt eingedrungen war. Diese Feier war mein vierter Halt. Erst hier entdeckte ich zu meiner großen Überraschung, wie groß in der Tat die Kluft zwischen der schriftlichen und mündlichen Welt war. Genau wie in den nicht deutschen, anderen nordosteuropäischen mündlichen Sprachmilieus, sind beinah alle unsere Zeugnisse jener mündlichen Ausdrucksweise von Personen verfasst worden, die sehr tief in einer schriftlichen Kommunikationspraxis verwurzelt waren. Man schrieb beinahe ausnahmslos auf Niederdeutsch, selbst wenn man das auch auf Latein hätte tun können. Man schrieb auf Niederdeutsch, um eine Wirkung zu erzielen. Ich ging von der Konzeption aus, dass die niederdeutsche, verschriftlichte mündliche Redeweise für Routineunterhaltung und dementsprechend für das Dürftige und Uninteressante stehen würde. Viel wies jedoch darauf hin, dass dem nicht so war. Als ich in Rostock an der frühneuzeitlichen Hochzeit teilnahm, entdeckte ich, dass die Benutzung von verschriftlichten mündlichen Sprachgütern einige sehr interessante Komponenten besaß. 13 Als ich zu Tisch saß und den Reden, die oftmals in dichterischer Form gestaltet wurden, zuhörte, wurde mir klar, dass die mündliche Ausdrucksweise eine besondere Ausdruckskraft hatte. Um etwas gelassen und gedämpft zu vermitteln, benutzte man nie niederdeutsch. Aber wenn die Situation einer Erheiterung bedurfte, wechselte man die Sprache, und dadurch wurde die decorum-Regel 14 außer Kraft gesetzt. Es schien, als ob man, sobald man zu einer mündlichen Redewendung griff, die gewöhnlichen Gesetze der Anständigkeit außer Acht lassen konnte. Plötzlich bekam diese verschriftlichte mündliche Sprache das, was stilistisch gewöhnlicher Weise nicht akzeptiert wurde. Besonders Gefühlsausdrücke wurden plötzlich als Würzmittel betrachtet, die die Farbigkeit und Dringlichkeit des Textes zur Geltung brachten. Der Sarkasmus wurde schneidender. Es schien, als ob die verschriftlichte Mündlichkeit die ————— 13
Vgl. Deiter, Gelegenheitsgedichte, 371‒378; Baumgartner, Hochzeitsgedichte, 61‒95, zur Performativität siehe ders., 86‒88. 14 Zur decorum-Regel siehe Mühlmann, Natur der Kulturen, bes. 62–70.
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Zuhörer leichter als trockene Vernunftargumente zum Handeln brachte. Niederdeutsch konnte man wie eine Narrenkappe benutzen. Dies hat auch zu einer weiteren Entwicklung beigetragen: Die mündliche Sprache, besonders in ihrer schriftlich fixierten Form, eignete sich leicht für einen burlesken, launigen Ton und gab der Sprache eine sehr deutliche Performativität. Dies wurde durch den Gebrauch von Hyperbeln, Häufungen und phantasievollen Vergleichen verstärkt. Niederdeutsch wurde benutzt, um das Publikum miteinzubeziehen. Diese Einbeziehung erzielte man am besten durch Normverstoß. Meine Begegnung mit der Verschriftlichung des Niederdeutschen führte mich zu einem neuen Verständnis des frühneuzeitlichen Resonanzraumes. Dieser Raum war nicht zweigeteilt, wie ich mir das früher vorgestellt hatte, sondern dreigeteilt. Er bestand nämlich aus drei Kammern: Zwei waren mir zu diesem Zeitpunkt schon bekannt. In der ersten wurden die Denkformen durch Schriftlichkeit vermittelt und rezipiert. Daneben lag eine zweite Kammer, in welcher hauptsächlich Strategien des mündlichen Kommunizierens benutzt wurden, um Ideen zu verbreiten und Gemeinschaft zu befestigen. In der dritten herrschte eine sekundäre Oralität. 15 Das mündliche Kommunizieren unterschied sich von der sekundären Oralität dadurch, dass die Initiierung und Abarbeitung von Handlungsmustern nicht strikt linear erfolgte. In der Welt der sekundären Oralität konnte man eine bestimmte Rolle wählen – entweder die des Produzenten oder die des Rezipienten. 16 Auszeichnend für die sekundäre Oralität war die fehlende Simultanität von Produktion und Rezeption. Mit dieser Dreiteilung wurden auch Texte in Medienereignisse verwandelt. Es ist eine Sache, etwas im Dialekt auf einer Hochzeit zu präsentieren; es ist aber eine ganz andere, diese in Schrift zu verwandeln, was der Hauptgedanke hinter der sekundären Oralität ist. Und dieses Ereignis leitete seine Stärke ursprünglich von einer sehr konkreten Materialität ab, die für beinah jeden in irgendeiner Form tastbar und im konkreten Sinn fühlbar war, auch für die nicht Lese- und Schreibkundigen. Durch die sekundäre Oralität entstand eine besonders geartete enge Tuchfühlung mit Druckwerken. Wir wissen, wie schnell man das, was man gehört oder gelesen hat, vergessen kann. Nur ein Bruchteil kerbt sich in das Gedächtnis ein. Die Empfindung verblasst genauso schnell, wie sie aufgetaucht ist. Um einen beständigen Eindruck zu machen, musste man auf andere Techniken auch bei der Herstellung von Texten zurückgreifen. Das Ziel war, den Leser oder Zuhörer des vorgelesenen Textes nicht nur zu packen, sondern auch länger—————
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Für den Begriff ‚secondary orality‘ siehe Ong, Orality, 2, 132; „Real speech and thought always exist essentially in the contest of struggle“ (Ong, Word, 28). 16 Vgl. Beißwenger, Sprachhandlungskoordination, 132.
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fristig zu fesseln. Dies schuf eine neue Art des Textes, eine Textform, die sich durch gesteigerte Unmittelbarkeit und Vertrautheit auszeichnete und den Leser mit einem schlichten Doppelnelson-Ringergriff erwischte. Diese Textart entstand nur aus einer an Literarität orientierten Mündlichkeit. In seinen Anfangsgründen benutzt die Schriftlichkeit eine Sprache der Distanz, während die Mündlichkeit eine Sprache der Nähe vermittelt. Der Sprache der sekundären Mündlichkeit konnten unabhängig von ihrer medialen Präsentationsform beide Eigenschaften zugeschrieben werden. Um die Sprache wirklich unmittelbar und nachhaltig zu machen, musste man ‒ laut der frühneuzeitlichen Textexperten ‒ der mündlichen Sprache zugeschriebene Charakteristika finden und ihre Entsprechungen in die literarisierte Redesprache transponieren – das heißt ein literarisches Idiom benutzen, das eher additiv als subordinierend, eher redundant und nachahmend als analytisch und linear war. Wir können hier von einer Simulation von Mündlichkeit sprechen, von Sprechakten im Medium der Schrift. Diese Mündlichkeitssimulationen findet man am besten in der Predigt, die als Darbietung, als Schrift und als ein Zwischending Charakterzüge von allen drei Kommunikationsformen aufweist. Um die ars concionandi zu erforschen, machte ich mich mit Paul Tarnow und seinem Vorgänger Lucas Bacmeister bekannt und vertiefte mich in ihre Schriften – meine fünfte Begegnung. Rostock war ein wichtiges Labor für den theoretischen Grund dieser Form der sekundären Oralität. Die Quellengattung der Predigten nutzte ich für umfangreiche Untersuchungen, inwiefern das Schriftliche und das Mündliche im Territorium der sekundären Oralität landen, so dass sie für mich die vielleicht wichtigste Quellenart in meinem Streben, die Textgeschichte des europäischen Nordostens zu deuten, wurde. 17 Als Handbücher waren sie Führer für alle, die sich mit dem Herstellen der Texte in scriptura populorum beschäftigten ‒ Sprachen, deren schriftliche Varianten noch nicht systematisiert und standardisiert waren, wie etwa sächsisch, nordestnisch, südestnisch, lettisch, samisch, ingermanländisch, teilweise finnisch, und einige sprachliche Varianten, die noch heute keine gesicherte und ausreichende Verankerung in der schriftlichen Welt haben. Von besonderer Bedeutung in diesem Bereich war De sacrosancto ministerio des Paul Tarnow – und dies nicht nur wegen seines Umfangs und seines grenzüberschreitenden Charakters. Ich möchte hier zwei Aspekte hervorheben: Erstens beschrieb Tarnow Ähnlichkeiten zwischen einer medizinischen Untersuchung und dem Konzipieren eines Textes, der sich in der Tat in einem Sprachakt gründet. Er schreibt, dass die Form exposita secundum rationem corporalis medicinae sein sollte. Das bedeutet, dass die —————
17
Vgl. Kaufmann, Universität, 240‒247, 477‒493.
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Gestaltung einer schriftlichen Sprachvariante keine rein technische Übung ist. Es sei notwendig, die species afflictionis, die conditio afflictorum, den medicus/Minister, den modus consolandi und zuletzt die forma generalis und forma specialis miteinzubeziehen. 18 Zweitens hat er angegeben, dass das Begriffspaar ‚Form‘ und ‚Substanz‘, das auf Aristoteles zurückgeht, von großer Bedeutung für jedes sprachliche Unternehmen sei. Textherstellung setze viel mehr voraus als eine rein technische Fähigkeit. Die Sprache ist nicht nur ein Medium oder bloßer Ausdruck des Denkens! Mit seiner ars concionandi lenkte Paul Tarnow meine Aufmerksamkeit darauf, dass es nicht nur eine tiefere Ebene für das Herstellen von Texten gibt, was wir heute für ziemlich selbstverständlich halten, sondern auch, dass der Aristotelismus, den wir in Rostock zu dieser Zeit fanden, auch ganz unerwartete Dimensionen aufzeigte. Um all dies zu begreifen und zu verarbeiten, suchte ich Daniel Cramer auf – meine sechste Begegnung. 19 Dieser Cramer, der während des letzten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts nach Rostock kam, war der erste, der die aristotelische Metaphysik in die Lehrpläne der lutherischen Universitäten integrierte. Und dies ist zuerst in Rostock geschehen! Viele von Aristoteles’ Arbeiten hatten einen selbstverständlichen Platz in den lutherischen Lehrplänen gefunden, wie zum Beispiel seine Schrift über den Aussagesatz und der Abriss der Poetik, in welchem er die erste systematische wissenschaftliche Grammatik vorlegte. Auch seine methodologischen Untersuchungen wurden bereits rezipiert. Die Metaphysik erwies sich dagegen als problematischer. In der Metaphysik stellte Aristoteles Begriffe wie ‚Form‘/‚Materie‘, ‚Akt‘/‚Potenz‘, ‚Wesen‘/‚Sein‘ dar. Wie unterschied sich reines Sein von dem Göttlichen? Besonders relevant für meine Recherchen waren seine Überlegungen zu Substanz und Form – nicht einzelne Seiende oder Seiensgebiete, sondern alles, was das Seiende an sich zum Gegenstand hatte. In seiner Metaphysik kam Aristoteles nicht nur zu dem Schluss, dass die Form etwas Seiendes ist und dass diese Form serielle Charakteristika aufweist, sondern auch, dass es die Form ist, die diese Spannung zwischen einem einzelnen Gegenstand und einer übergeordneten Kontinuität verkörpert. Die Form ist also erst dann vollendet, wenn die Aufeinanderfolge der Einzelbilder so perfektioniert wird, dass man sie als solche nicht mehr erkennen kann. Jeder, der sich mit den Grundbausteinen der mündlichen Kommunikation beschäftigt, sollte hier leicht die Berührungspunkte mit den aristotelischen Überlegungen über die Form erkennen. Die Form ist im aristotelischen Sinn —————
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Vgl. Tarnow, ministerio, A3r, 664, 721f, 741. Vgl. Harms/Schilling, Cramer; Kathe, Fakultät, 206‒210; Mödersheim, Domini, 46‒48; Wundt, Schulmetaphysik, 51‒60; Leinsle, Ding, 165‒175. 19
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erst dann vollendet, wenn sie in einer verflochtenen Wissenstopographie entsteht, in der keine eindeutige Trennung zwischen verschiedenen Wahrnehmungsmustern existiert. Es gibt verschiedene Gegenstände, aber die Form kann man am deutlichsten erleben, wenn man die einzelnen Gegenstände irgendwie überblicken kann. Und dies geschieht sehr deutlich im mündlichen Kommunikationsraum. Es gibt keinen einzelnen entscheidenden Gegenstand und keine Substanz, in welcher das Seiende lokalisiert ist. Die Form manifestiert sich im Ganzen des Daseins auf mannigfache Weise. Die mündliche Kommunikation ist von Serialisierung, Aneinanderreihung und Kontinuität geprägt. Aber die Kommunikation ist erst dann effektiv, wenn die einzelnen Bestandteile ihre Qualität als Bestandteile verlieren und wenn der Kommunikationsraum allgegenwärtig ist, aber kein spezielles Aussehen in jedem separaten Augenblick vermittelt. Bezeichnend für die mündliche Kommunikation ist die Gleichzeitigkeit von Produktion und Rezeption. Die wirkliche Form manifestiert sich in der Performativität und es ist gerade diese Performativität, die der Sprache ihre ‚Sprachlichkeit‘ verleiht. Wenn etwas Augenblickliches aufgeführt wird, bekommt es durch die Performativität eine Permanenz, durch die Wiederholung und durch die Anhäufung eine enge Verbindung mit dem ‚das, was es ist‘, nicht was sich offenbart. In einem mündlichen Sprechakt, im Gegensatz zu einem schriftlichen, ist es schwierig, die einzelnen Teile voneinander zu trennen. In der schriftlichen Welt konzentriert man sich auf die divisio, in der mündlichen auf das Zusammengefügte und das, was ohne Anfang und Ende ist. Die Teilnehmer dieser Kultur mussten diese Permanenz wahrnehmen. Diese Permanenz kennzeichnete eine Welt, die eine ganz andere Vorstellung von Fortschritt und Entwicklung hatte. In dieser Welt manifestierte sich etwas, was die aristotelische Form verkörperte. Aus dieser Welt kam Georgius Mancelius. Er ist nach Rostock gekommen, um sich in die Schriftwelt zu vertiefen. Er hat Rostock in einer ganz anderen ‚Form‘ verlassen ‒ mit dem Willen, sich diese Form irgendwie intellektuell anzueignen. Um das Denken zu strukturieren, musste er Wörter einsetzen, weil nur im Gespräch eine Aussage beachtet werden kann. Für Mancelius war dieser Prozess dreigeteilt: Zuerst stellte er das erste Wörterbuch der lettischen Sprache zusammen. 20 Dazu hatte er eine Phraseologie hinzugefügt. 21 Sodann hatte er Alltagsgespräche inszeniert, das lebendigste, was man im schriftlichen Format wiedergeben kann. Was —————
20
Vgl. Mancelius, Lettus. Vgl. ders., Phraseologia – mit zehn beigefügten parallelen Gesprächen, teils Gesprächsabschrift, teils fingiertes Gespräch. Ein solches Gespräch bleibt konzeptuell mündlich, während ein vorgelesener Text konzeptuell schriftlich bleibt.
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fehlte? Die Dauerhaftigkeit. Diese konnte man mit Hilfe einer Postille verwirklichen. Ein 1.200 Seiten langes perpetuum mobile, das wegen seiner Periodizität und dem Fehlen von Kontinuitätstrennungen weder einen richtigen Anfang noch ein richtiges Ende hatte und demzufolge die wahrhaftige Form darstellte. Und all dies auf Lettisch, einer nicht standardisierten Sprache. 22 Wenn es auch letztendlich schwierig wird, sich in seinem eigenen Sprachgebrauch von dem Gebrauch des mündlich angeeigneten und schriftlich gesehenen Textes zu trennen, wenn die Grenze in Nebel gehüllt ist, ist die Form das, was sie ist. Und wenn alles scharf auf den Punkt gebracht wird, ist die Form auch im Koffer übertragbar und umsetzbar.
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Vgl. Mancelius, Postille.
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Gemeindereformation und Fürstenreformation in Mecklenburg
Um einleitend die beiden Begriffe des Titels zu definieren, so wie sie im Folgenden verwendet werden sollen: Gemeindereformation im Territorium bedeutet Reformation von unten, Reformation an der Basis, in lokaler Vereinzelung. Gemeindereformation kann zwei Ausprägungen haben: 1. Abschaffung des bisherigen Kirchenwesens und stattdessen Übernahme reformatorischen Gedankenguts und evangelischer Kirchenorganisation durch die politisch-kirchliche Ortsgemeinde; 2. formaler oder informeller Zusammenschluss der evangelisch Gesinnten eines Ortes als ecclesiola in ecclesia, als eine eigene Glaubensgemeinschaft oder als Personalgemeinde, neben der die herkömmliche Pfarrkirchenorganisation mit ihren materiellen Ressourcen weiterbesteht. Fürstenreformation bedeutet Reformation von oben, planmäßige und organisierte flächendeckende Einführung der evangelischen Lehre und der entsprechenden Organisationsformen im gesamten Territorium. Fürstenreformation ist obrigkeitliches Handeln, durch das die bisherige Kirchenorganisation gezielt und vollständig von einer neuen Lehr- und Kirchenorganisation abgelöst wird. 1 Gemeindereformation und Fürstenreformation verlaufen in den Territorien des Heiligen Römischen Reiches nicht parallel, sondern folgen zeitlich aufeinander. Aber diese Abfolge ist nicht zwingend. Nicht jede Gemeindereformation führt zu einer Fürstenreformation, und nicht jede Fürstenreformation setzt Gemeindereformationen voraus. Wenn der Landesfürst nicht bereit ist, das Bekenntnis zu wechseln, verbleibt die Gemeindereformation in ihrer Isolierung und erliegt über kurz oder lang der staatlichen Repression. Umgekehrt kann der Fürst – ohne Vorbereitung durch Gemeindereformationen – die Reformation in seinem Territorium einführen, so zum Beispiel in Württemberg 1534 und im Herzogtum Sachsen 1539. ————— 1
Als Vorarbeit zum Thema vgl. Wolgast, Weg, 39‒59. Allgemein vgl. ders., Einführung (über Mecklenburg vgl. 188‒197).
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Die Geschichte der Reformation in Mecklenburg zeigt jedoch den üblichen Verlauf der Reformationseinführung: Predigtbewegung – Gemeindereformation – Fürstenreformation. Unüblich ist jedoch, dass sich der Prozess bis zum Beginn der Fürstenreformation über ein Vierteljahrhundert hinzieht. Die entscheidenden Daten in diesem Prozess sind 1520 (Landesteilung), 1534 (Einführung einer Bikonfessionalität im Gemeinschaftsteil), 1549 (Einführung der Fürstenreformation) und 1560 (Fixierung der Lehrgrundlage). Der Forschungsstand ist für die Reformation in Mecklenburg, auf das Ganze gesehen, durchaus befriedigend. Die kirchenordnenden Texte liegen im fünften Band der von Emil Sehling begründeten Sammlung „Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts“ seit 1913 vor, 2 Karl Schmaltz hat 1936 mit dem zweiten Band seiner „Kirchengeschichte Mecklenburgs“ eine verlässliche quellengestützte Darstellung verfasst. 3 Schon 1900 ist von Heinrich Schnell der Band „Mecklenburg im Zeitalter der Reformation 1503‒1603“ erschienen. 4 Kleinere Überblicksdarstellungen und Untersuchungen zu Spezialfragen sind, angefangen von Friedrich Lischs Publikationen einzelner Aktenstücke seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, in großer Zahl veröffentlicht worden. 5 Von herausragender Bedeutung für die landesgeschichtliche Forschung ist das 2016 erschienene Werk „Mecklenburgisches Klosterbuch“. 6 Dringend erforderlich wäre auch eine Edition der Kirchenvisitationsakten des 16. Jahrhunderts, da sie Aufschluss geben könnten, wann in den einzelnen Orten die evangelische Predigt einsetzt und welchen Erfolg sie hatte. 7 Die politische Voraussetzung für den Verlauf der Reformation in Mecklenburg bildete die relative Landesteilung 1520. Seit 1503 hatte Heinrich V. 8 das Gesamtherzogtum regiert, bis der jüngere Bruder Albrecht VII. 9 nach seiner Volljährigkeit auf eine Teilung drängte. Im Neubrandenburger Hausvertrag von 1520 einigten sich die Herzöge auf eine Mischform von Gemeinschaftsregierung und Nutzungsteilung. 10 Jeder der beiden Brüder erhielt zur selbständigen Regierung und Nutzung einen – allerdings in sich nicht geschlossenen – Territorialteil, bestehend aus mehreren Ämtern, während die zwölf, später dreizehn größten Städte des Landes gemeinschaftlich regiert —————
2
Vgl. Sehling, EKO, 127‒316. Vgl. Schmaltz, Kirchengeschichte. 4 Vgl. Schnell, Zeitalter. 5 Vgl. etwa Haendler, Mecklenburg; Schrader, Mecklenburg; Wolgast, Reformation. 6 Vgl. Huschner u.a., Klosterbuch. 7 Zu den Visitationen vgl. Schütt, Kirchenvisitationsprotokolle; Cordshagen, Kirchenvisitationen; Rudert, Versuch. 8 Zusammenfassend vgl. Sellmer, Heinrich V., 116-120; ferner Stuth, Höfe, 81‒88. 9 Zusammenfassend vgl. Sellmer, Albrecht VII., 9‒13; vgl. ferner ders., Grafenfehde; Stuth, Höfe, 82‒88. 10 Vgl. Sachsse, Urkunden, 188‒194. 3
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wurden. 11 Ungeteilt blieben die Landstände mit den drei Kurien Prälaten, Ritter (Mannen) und Städte, die 1523 eine eigene Union eingingen, 12 sowie die Universität Rostock. Auch das Hochstift Schwerin war ausgenommen, da es nominell reichsunmittelbar war. 13 Heinrich V. hatte jedoch 1516 seinen siebenjährigen Sohn Magnus II. zum Bischof wählen lassen und übte bis zu dessen Volljährigkeit die Verwaltung des Stiftsgebiets (vor allem um Bützow und Warin) aus. 14 Für das Schicksal der Reformation im Land wurde entscheidend, dass die Herzöge unterschiedliche konfessionelle Optionen vornahmen. Seit Mitte der zwanziger Jahre wurde Albrecht VII. zum entschiedenen Verfechter des bisherigen Kirchenwesens, während Heinrich V. wie nicht wenige Fürsten der ersten Generation, an ihrer Spitze Friedrich der Weise von Sachsen und Ludwig V. von der Pfalz, bis in die dreißiger Jahre hinein uneindeutig-neutral blieb. Er behandelte zwar, wenn er darum gebeten wurde, die neue Bewegung wohlwollend, aber nur, sofern sie sich auf die Wortverkündigung beschränkte und die traditionellen Zeremonialformen nicht antastete. Noch 1531 forderte er die evangelische Gemeinde in Bützow auf, beabsichtigte Änderungen in der Gottesdienstpraxis nicht vorzunehmen, und verlangte im Januar 1532 von den Parchimer Evangelischen, derartige Änderungen rückgängig zu machen. 15 Der Herzog nahm noch 1529 an der Fronleichnamsprozession in Schwerin teil und besuchte Weihnachten 1532 die traditionelle Messe. 16 Sein Kanzler Kaspar von Schöneich blieb bis zu seinem Tode 1547 altkirchlich gesinnt. Andererseits war Heinrich V. durchaus bereit, auf Bitten evangelischer Gemeinden oder Gruppen Prädikanten einzusetzen und im Amt zu schützen, auch gegen seinen Bruder. Da der Landesfürst in der Reformationszeit – bis 1648 – die Letztentscheidung über eine Veränderung des kirchlichen Status in der Hand hatte, konnte wegen der unterschiedlichen Glaubensausrichtung der beiden Herzöge eben diese Entscheidung nicht fallen, jedenfalls nicht für den Gemeinschaftsteil der zwölf Städte. Den Anhängern beider Glaubensrichtungen bot diese konfessionelle Unentschiedenheit die Möglichkeit, in konkreten Konflikten einen Herzog gegen den anderen auszuspielen und bei Herzog Albrecht Schutz ————— 11
Zu den jedem Teil zugewiesenen Ämtern und Vogteien vgl. Hamann, Mecklenburgische Geschichte, 258f. Gemeinschaftsstädte waren Rostock, Wismar, Schwerin, Parchim, Güstrow, Sternberg, Malchin, Teterow, Waren, Röbel, Neubrandenburg, Friedland sowie seit 1534 Woldegk. 12 Vgl. Sachsse, Urkunden, 214‒216; vgl. auch Behncke, Erbteilungsstreit, 60‒158. 13 Zum Hochstift Schwerin vgl. Wolgast, Hochstift, 120f, 227‒237; Brodkorb, Bistum Schwerin, 670‒675. Vgl. auch Traeger, Bischöfe; ders., Stiftsland. 14 Vgl. Traeger, Bischöfe, 174‒183; ders., Magnus, 450f; Wolgast, Magnus III., 162‒165. 15 Vgl. Lisch, Bützow, 132; Schnell, Heinrich V., 15. 16 Vgl. Schmaltz, Kirchengeschichte, 43.
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vor der proevangelischen Indulgenz Heinrichs und bei diesem Schutz gegen altkirchliche Repressivmaßnahmen Albrechts zu suchen. Die reformatorische Bewegung erfasste das Herzogtum bereits in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre, im Osten von den pommerschen Städten her, im Westen durch die großen Hansestädte befördert. Träger der Predigtbewegung waren Vikare, Kaplane und Prädikanten, daneben Mönche, die ihr Kloster verlassen hatten, aber durchaus auch Laien. Die Rezipienten fanden sich an den meisten Orten wohl zu informellen Vereinigungen zusammen. Die Malchiner Evangelischen bezeichneten sich in einer Eingabe an Heinrich V. 1531 als vorsamlynge des gotlyken wordes unde Bekenner des Euangeliums Christi tho Malchynn, 17 nahmen also nicht den Begriff Gemeinde für sich in Anspruch. Anders sah es in Rostock und Wismar aus. Hier setzte sich die evangelische Lehre in der politischen Gemeinde durch. 18 Auch wenn sich Rat und Honoratioren anfangs ablehnend verhielten, wurde die Reformation schließlich durch Ratsdekret eingeführt. In Rostock verhalf Joachim Slüter, den Heinrich V. 1523 zum Kaplan an der Petrikirche ernannt hatte (das Pfarramt war vakant), durch seine Predigten der evangelischen Lehre zur Massenwirksamkeit. 19 Nachdem sich in Hamburg und Lübeck bereits 1528 beziehungsweise 1530 das evangelische Bekenntnis durchgesetzt hatte, erklärte auch der Rostocker Rat in einem Mandat vom 3. Januar 1531 die neue Lehre für verbindlich. Ungegrundet Zeremonien sollten ane unstumicheit unde vorstoringe veler conscientien mit der tid abgeschafft werden. 20 In Wismar hielt der Franziskaner Heinrich Never seit Ostern 1524 evangelische Predigten. 21 Die Reformationsbewegung verlief hier synchron mit politischen Unruhen der Bürgerschaft gegen die Ratsherrschaft. Wie stark eine Predigerpersönlichkeit wirken konnte, lässt sich an Heinrich Never eindrucksvoll zeigen. Als er Anfang der dreißiger Jahre heterodoxes Gedankengut übernahm, wurde er durch seine Anhänger geschützt und behauptete sich gegen alle Autoritäten: die lutherischen Geistlichen in Wismar, Herzog Heinrich von Mecklenburg und Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen, die Hanse sowie gegen Luther und Bugenhagen. Never war der bei weitem eigenständigste Theologe, den Mecklenburg in der Reformationszeit hervorgebracht hat. Vom Luthertum ging er zur oberdeutsch-zwinglianischen Abendmahlslehre über und entwickelte in den dreißiger Jahren auf biblischer Grundlage ————— 17
Lisch, Malchin, 113. Zur Reformationseinführung in Rostock und Wismar vgl. Schmaltz, Kirchengeschichte, 9‒32; Techen, Wismar, 129‒149; Troßbach, Unterschiede, 118‒165. Vgl. auch Ulpts, Bettelorden, 345‒ 374; Pettke, Vierundsechziger, 163‒192. 19 Zusammenfassend vgl. Wolgast, Slüter, 282‒288. 20 Sehling, EKO, Bd. 5, 281. 21 Zusammenfassend vgl. Wolgast, Never, 222‒227. 18
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ein ganz neues Taufverständnis: Christus hat die Taufe des Johannes aufgehoben und an ihre Stelle am Vorabend der Passion die Fußwaschung als neues Sakrament eingesetzt: „Solches tut einander, wie ich euch getan habe“ (Joh. 13,15) – in dieser Bibelstelle fand Never die Basis für seine Lehre. Luther verurteilte diesen Gedanken als Grillen im Kopf, die zuvor noch nie gehöret noch gelesen worden waren, und bezeichnete Never als Teufelsboten. 22 Dennoch blieb Never unbehelligt – aus Furcht der lokalen und territorialen Autoritäten vor seiner großen Anhängerschaft. Auf dem Hansetag 1535 erklärten die Rostocker Ratsboten, es sei zwecklos, Never vorzuladen; die Gemeinde werde ihn nicht verlassen, als scholden ße ock darumme sterven. 23 Seine Sakramentsauffassung hat Never aber nicht praktiziert, sondern sich mehrere Jahre der Sakramentsspendung überhaupt enthalten. Gleichwohl verschwieg er seine Lehren nicht, denn noch 1562 bekannten sich in Wismar Glaubensabweichler zu seiner Abendmahlslehre oder waren auf Grund seiner Predigten Täufer geworden, auch wenn Never selbst die Wiedertaufe wie überhaupt die Taufe ablehnte und stattdessen eine Kindersegnung empfahl. Erst anlässlich der Visitation 1541 wurde Never mit seinem Gesinnungsgenossen, dem Prädikanten Zimmermann, als Sacramentarius und Anabaptist verurteilt und beiden ewiges Stillschweigen auferlegt. 24 Zurückgezogen, aber unbehelligt und in seinem Amt als Guardian (= Klostervorsteher) respektiert, lebte er im Franziskanerkloster bis zu seinem Tod 1553. Wie Never war im Übrigen auch Slüter mit den Wittenberger Autoritäten wegen abweichender Meinungen in Konflikt geraten. Da es wegen der Frage der Ohrenbeichte und des Gebrauchs des Lateinischen im Gottesdienst – beides wurde von Slüter abgelehnt – 1531 zum Streit mit seinen Rostocker Amtskollegen kam, beklagten diese sich über ihn bei Bugenhagen, der sich damals in Lübeck aufhielt. Der Rat holte ein Gutachten bei Luther ein, das für Slüter negativ ausfiel: Wenn sich der Prädikant – Slüter wurde nicht namentlich genannt – nicht der Mehrheit fügen wollte, sollte er trotz seines großen Anhangs aus der Stadt verwiesen werden. 25 Slüter unterwarf sich, er starb im folgenden Jahr. Slüter und Never sind offenbar die einzigen Fälle devianten Verhaltens in Mecklenburg gewesen, die den Wittenbergern zur Beurteilung unterbreitet wurden. Wie in Rostock und Wismar sind auch in den Landstädten seit 1523 evangelische Prediger bezeugt, zumeist ausgetretene Mönche, in Ribnitz 1525 aber auch ein Schmiedeknecht. Die Pfarrer der Stadtkirchen versagten sich ————— 22
Martin Luther, Weimarer Ausgabe Briefe (im Folgenden: WA Br.), Bd. 7, 459f (an Heinrich V. von Mecklenburg, 4. Juli 1536). 23 Friedland/Wentz, Hanserezesse, Abt. 4, Bd. 2, 118 § 283. 24 Dornkaat Koolman, Täufer, 31. 25 Vgl. WA Br., Bd. 6, 223‒226 (an den Rat zu Rostock, 10. Nov. 1531).
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fast durchweg dem neuen Glauben und wurden in dieser Haltung von Albrecht VII. unterstützt. Da die städtischen Kirchen nicht zur Verfügung standen, waren beliebte Predigtorte die Hospitalkapellen, die der Verfügung der Magistrate unterstanden. 26 In der Bischofsstadt Schwerin predigte seit 1526 Martin Oberländer, den Luther auf Bitten Herzog Heinrichs geschickt hatte – sein Predigtort war die städtische Georgenkapelle. Ihm folgte 1528 Ägidius Faber, dem der Herzog ein Privathaus für seine Predigten zur Verfügung stellte. 1533 nahm Heinrich V. ihn als Hofprediger an. Im gleichen Jahr veröffentlichte Faber eine massive Polemik „Von dem falschen Blut und Abgott im Dom zu Schwerin“, die Luther werbewirksam mit einer Vorrede versah. Aber erst 1540 kündigte Herzog Heinrich den vier von ihm für die Blutskapelle angestellten Kaplänen ihre Stellen auf, zwei Jahre später war die Kapelle geschlossen. Die Reliquie wurde jedoch erst bei der Visitation 1552 beseitigt. Faber attackierte auch die Wallfahrt zum Heiligen Blut in Sternberg. Allerdings war der Zustrom der Pilger nach Sternberg, das zu den zwölf Städten des Gemeinschaftsteils gehörte, schon vor Fabers Angriff offensichtlich massiv eingebrochen, da der herzogliche Vikar 1532 berichtete, dass für das Ewige Licht nicht mehr genügend Opfer einkämen. Ab 1533 wurde in Sternberg evangelisch gepredigt, wenngleich die Kapelle mit der Reliquie noch lange bestehen blieb – noch 1562 schickte die Ribnitzer Äbtissin sieben Pilger auf die Wallfahrt nach Sternberg. Die Stellung des Adels zur Reformation war bis in die dreißiger Jahre uneinheitlich. Mehrfach wurde darüber geklagt, dass Adlige Kirchengüter einzogen und die Pfarrstellen nur unzureichend oder gar nicht versorgten. Der Ribnitzer Chronist Slaggert hielt dagegen 1526 fest, „daß viele des Adels verlaufene Mönche und gottesvergessene Priester beschirmen und auf ihren Schlössern das Evangelium predigen lassen, ja sie heimlich [d.h. ohne bischöfliche Konfirmation] in den Kirchen, die sie zu verleihen haben, halten“. 27 Besonders im Klützer Winkel begünstigte der Adel evangelische Prädikanten. Der Ratzeburger Dompropst klagte im gleichen Jahr 1526: De Papen im Klutzer Orde stellen sick seltsam an, nemen Wieber, schelden up de Hilligen, Missen, Papen und Moneke. 28 Der energische Bischof von Ratzeburg, Georg von Blumenthal, bemühte sich nach Kräften um die Aufrechterhaltung des alten Glaubens; 1529 ließ er den Prediger Thomas Aderpul in Gressow gefangen nehmen; erst im folgenden Jahr kam Aderpul wieder frei. Da Heinrich V. dem Bischof die Unterstützung verweigerte, im Gegenteil —————
26
Zum Folgenden vgl. Schmaltz, Kirchengeschichte, 35f, 45f. Zu Sternberg vgl. Lisch, Hauptbegebenheiten. 27 Schmaltz, Kirchengeschichte, 37. 28 Ebd., 38. Zum Folgenden vgl. Lisch, Aderpul, 57‒97; Wolgast, Klützer Ort, 314-319.
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gegen die Behandlung Aderpuls protestierte, hatte Blumenthal jedoch letztlich keinen Erfolg dabei, die evangelische Predigt einzudämmen. Seit Ende der zwanziger Jahre machte sich die konfessionelle Uneinigkeit der herzoglichen Brüder immer deutlicher geltend und schürte Unzufriedenheit, Unsicherheit und Unruhe im Land. Während im Heinrichsteil die Reformation begünstigt oder wenigstens toleriert wurde, blieb sie im Albrechtsteil unterdrückt. Im Gemeinschaftsteil setzte Heinrich V. auf Bitten evangelischer Gemeinden Prädikanten ein, die Albrecht dann wieder vertrieb. Von September 1533 liegt ein Zustandsbericht über die konfessionelle Lage im Herzogtum vor. Mit gleichlautenden Schreiben wandte sich Albrecht VII. an König Ferdinand, Kurfürst Joachim I. von Brandenburg und Herzog Georg von Sachsen, um sich über die Verletzung seiner Rechte in den Gemeinschaftsstädten zu beklagen. 29 Er berief sich auf den Nürnberger Religionsfrieden von 1532, der den konfessionellen Status quo festgeschrieben hatte; dem zuwider habe Heinrich zwei lutherische Prädikanten an der Güstrower Pfarrkirche und einen in Sternberg eingesetzt. Sein Hofprediger Faber habe ein Schmähbuch gegen die Schweriner Blutreliquie veröffentlicht. Die Wismarer hätten das Dominikanerkloster verschlossen, das heißt von der Außenwelt isoliert, und an der Marienkirche – einem Bollwerk des alten Glaubens, während in den anderen Kirchen bereits evangelisch gepredigt wurde – einen Prädikanten eingesetzt. Die Rostocker hätten alle Klöster verschlossen und in den Pfarrkirchen die alten Zeremonien abgeschafft. Heinrich habe in den Gemeinschaftsstädten Friedland, Malchin, Neubrandenburg und Parchim sowie in einigen Nonnenklöstern Prediger eingesetzt. Nachdem Albrecht sie verjagt habe, seien sie von Heinrich inn eigener Personn zurückgeführt worden. Herzog Albrecht teilte seinen Korrespondenten auch mit: Unser Bruder hat die lutterische lere angenomen. Im evangelischen Lager galt Heinrich V. trotz aller Zurückhaltung auf reichspolitischer Ebene schon 1529 als Anhänger der Reformation. So appellierten die Räte Kurfürst Johanns von Sachsen an ihn als jemanden, der dem heiligen Ewangelion und göttlichem Wort hochlich geneigt. 30 Nachdem der Bischofsadministrator Magnus im September 1532 die Verwaltung des Hochstifts selbst übernommen hatte, mochte sich Heinrich weniger gehindert fühlen, seiner gewachsenen evangelischen Neigung Ausdruck zu geben. 1533 empfing er das Abendmahl unter beiderlei Gestalt – wann genau und wo, ist unbekannt, jedenfalls geschah es vor September diesen Jahres. Er zog aber nicht die Konsequenz, in seinem ————— 29
Vgl. Lisch, Malchin, 116f, 119f; Jadatz/Winter, Akten, 637f. WA Br., Bd. 5, 186 (25. Nov. 1529). Mit ihrem Schreiben unterstützten die Räte die Bitte Luthers, der Herzog möge den Druck des Neuen Testaments mit den Glossen und Zusätzen Hieronymus Emsers, den die Offizin der Brüder vom gemeinsamen Leben in Rostock veranstaltete, unterbinden. Heinrich V. entsprach dieser Bitte. 30
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Landesteil offiziell die Reformation einzuführen, sondern begnügte sich wie im Gemeinschaftsteil mit fallweisem Handeln. Obwohl Albrecht VII. von König Ferdinand ein Pönalmandat gegen seinen Bruder wegen der Verletzung des Religionsfriedens erbat, hatte er selbst bereits den Weg zum konfessionellen Kompromiss im Gemeinschaftsteil geebnet. Am 30. Juli 1533 ließ sein Schwiegervater, der altkirchlich gesinnte Joachim I. von Brandenburg, Herzog Heinrich wissen, Albrecht habe ihm persönlich gesagt, es sei „nie seine Meinung gewesen, seinem Bruder zum Verdruß die Prediger, die das Wort Gottes verkündigten, zu verjagen“. 31 Vielmehr sei es ihm nur darum gegangen, die Zwinglianer in Wismar – gemeint war Never – und an anderen Orten zu bekämpfen. Er sei bereit, in den Gemeinschaftsstädten, die über zwei Pfarrkirchen verfügten, eine seinem Bruder zu überlassen; jedoch dürfe keine Kanzelschmähung oder Aufruhrpredigt erfolgen. 32 Neben dem innenpolitischen Motiv, zu einer Befriedung zu kommen und ernsthafte Unruhen zu verhindern, haben sehr wahrscheinlich vor allem Albrechts außenpolitische Ambitionen eine Rolle bei diesem Angebot gespielt. Der Herzog wollte sich am Wettbewerb um den dänischen Thron, der gerade durch den Tod Friedrichs I. vakant geworden war, beteiligen. Seit 1534 war er in den dänischen Bürgerkrieg verwickelt und begab sich 1535 selbst nach Kopenhagen. Unklar bleibt, warum er dann zwei Monate nach seinem Angebot seinen Bruder wegen des Verstoßes gegen den Religionsfrieden bei den führenden altkirchlichen Fürsten Nord- und Mitteldeutschlands und beim Römischen König denunzierte. Anfang 1534 einigten sich Heinrich und Albrecht jedenfalls auf einen Zustand der Bikonfessionalität und auf Simultannutzung von Kirchen in den Gemeinschaftsstädten. 33 Außer in Rostock und Wismar, wo sich die Reformation schon zur Gänze durchgesetzt hatte, erhielten in Städten mit zwei Pfarrkirchen Altkirchliche und Evangelische je eine zur alleinigen Verfügung – das traf auf Friedland, Parchim, Röbel und Waren zu, die aus Alt- und Neustadt zusammengewachsen waren. In den Städten mit nur einer Pfarrkirche wurde ein Simultaneum eingeführt: An Sonn- und Feiertagen sowie – wenn in die Woche kein weiterer Feiertag fiel – mittwochs und freitags durften die evangelischen Prädikanten von sechs bis acht Uhr vor der Messe Gottesdienst halten und sollten auch die erforderlichen Vasa sacra und die liturgischen Gewänder benutzen dürfen. Die übrige Zeit stand der anderen priesterschafft, Predigern und Geistlichen […] zu irhen Ampten, Predigen,
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Lisch, Malchin, 103. Zum Einigungsprozess vgl. Schnell, Mecklenburg, 91‒93. Vgl. Lisch, Malchin, 121; Sehling, EKO, Bd. 5, 266f.
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Gesengen und Cerimonien zur Verfügung. 34 Diese Regelung galt für Güstrow, Malchin, Neubrandenburg, Sternberg, Teterow sowie Woldegk, das bei der gleichfalls 1534 vereinbarten Verlängerung des Teilungsvertrags von 1520 als dreizehnte Stadt zu den Gemeinschaftsstädten hinzugenommen wurde. Ob die Regelung auch für Schwerin galt, wo der Dom zugleich Pfarrkirche war, ist nicht klar. In Güstrow erhielten die Evangelischen noch im gleichen Jahr die Pfarrkirche zur alleinigen Benutzung, während der Dom den altkirchlichen Gläubigen verblieb. Eine Teilung des Kirchengutes zwischen den beiden Bekenntnisgruppen wurde nicht vereinbart, so dass in den Simultanstädten das Vermögen offenbar weiterhin ungeschmälert den Altgläubigen zufloss und die evangelischen Geistlichen nicht an den pfarrherrlichen Einkünften partizipierten. Gegenseitige Kanzelschmähungen waren verboten. Mit dem innermecklenburgischen Religionsfrieden von 1534 waren die Stagnation des Reformationsprozesses im Gemeinschaftsteil und die Diskriminierung der Neugläubigen beendet, auch wenn diese außer bei Überlassung einer Pfarrkirche mit deren Einkünften materiell weiterhin benachteiligt waren. Für das übrige Territorium blieben die Verhältnisse wie bisher: Begünstigung der neuen Lehre im Heinrichsteil, Unterdrückung im Albrechtsteil. Die beiden Herzöge einigten sich 1534 auch auf eine gemeinsame Visitation derjenigen Kirchen des Landes, über deren Patronat sie verfügten. 35 Die Visitationskommission war paritätisch zusammengesetzt: der evangelisch gesinnte Dompropst von Güstrow und ein strikt altkirchlicher Kanoniker aus Rostock. Sie sollten vor allem Erhebungen über das Kirchenvermögen anstellen und Entfremdungen zurückfordern. Zudem sollte der Konfessionsund Bildungsstand der Pfarrer überprüft werden. Das Ergebnis war materiell sehr unerfreulich: Vielfach hatten sich Adlige kirchlichen Besitz einschließlich der liturgischen Geräte angeeignet, die Gläubigen leisteten Geldabgaben nur noch spärlich. Die Konfessionsverteilung war für den neuen Glauben ernüchternd – nur wenige herzogliche Patronatspfarrer hatten sich der Reformation angeschlossen: Im Albrechtsteil einer von 33 – Albrecht entließ ihn sofort –, im Heinrichsteil von 39 immerhin 14, im Gemeinschaftsteil (außer Rostock und Wismar sowie Güstrow und Schwerin) von 60 nur sechs. Deutlich wird an diesen Zahlen, dass die evangelische Predigt weiterhin vor allem eine Sache der Prädikanten war, die zumeist materiell schlecht ausgestattet waren. Während sein Bruder sich in Dänemark aufhielt, nahm Heinrich V. 1535 erneut eine Visitation vor, die sich auf die Städte im Heinrichsteil und auf die —————
34 35
Vgl. Lisch, Malchin, 121 (Instruktion für den Malchiner Klerus, 25. Jan. 1534). Vgl. Schmaltz, Kirchengeschichte, 49‒53.
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Gemeinschaftsstädte erstreckte, soweit in ihnen bereits evangelisch gepredigt wurde 36 – von 38 Städten des Heinrichsteils waren dies 28. Die Visitation sollte jetzt vor allem der theologischen Überprüfung der Geistlichen dienen. Dementsprechend bestand die Kommission aus den zwei evangelischen Theologen Ägidius Faber und dem Neubrandenburger Prädikanten Nikolaus Kutzke. Zur Vorbereitung der Visitation ließ der Herzog die damals vielbenutzte Brandenburg-Nürnberger Kirchenordnung, die seit 1534 in niederdeutscher Sprache vorlag, in fast 300 Exemplaren an die Geistlichen verteilen. Wie 1534 handelte es sich bei der Visitation von 1535 um eine Bestandsaufnahme und noch nicht um die offizielle Einführung der Reformation. 1538 versuchte der Schweriner Bischofsadministrator Magnus, die Herzöge, also seinen Vater und seinen Onkel, zu einem entscheidenden Schritt zu bewegen. Auf dem Landtag in Parchim forderte er sie auf, in der religion sachen […] eine guthe ordinantz in diessem lande und furstenthum einzuführen. 37 Statt der eigentlich zuständigen geistlichen Autoritäten waren sie seiner Auffassung nach hilfsweise verpflichtet, sich um die Kirche zu kümmern. Er selbst sah sich dazu nicht in der Lage, weil seine Diözese nur einen Teil des Landes umfasste; andere Teile unterstanden Ratzeburg, Kammin und Havelberg. Wie weit der Vorstoß von Bischof Magnus bei den weltlichen Ständen Unterstützung fand, ist unbekannt, eine gemeinsame Initiative der Herzöge kam wegen ihrer unterschiedlichen konfessionellen Ausrichtung jedenfalls nicht zustande. In der Folgezeit konzentrierte sich Magnus daher auf das Hochstiftsterritorium und führte dort die Reformation ein. Möglicherweise geht es aber auf den Appell des Bischofsadministrators zurück, dass Herzog Heinrich seine landesfürstliche Autorität nun entschiedener als bisher für das evangelische Bekenntnis einsetzte. Zum ersten Mal ging er dabei über die traditionellen kirchlichen Organisationsstrukturen hinweg, indem er 1540 Johann Riebling, einen Braunschweiger Prediger, der schon 1537 vorübergehend in herzoglichen Diensten tätig gewesen war, als Superintendenten für seinen Landesteil bestellte; zugleich erhielt Riebling das Pfarramt von St. Georgen in Parchim. 38 Zur Vorbereitung einer weiteren Visitation ließ der Herzog 1540 erneut die Brandenburg-Nürnberger Kirchenordnung nachdrucken, diesmal mit dem Titelblatt Kerkenordeninghe, wo idth van den evangelischen Predican-
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36 Alleine der orte, dar das wort gads zu predigen angefangen ist; die Visitationsinstruktion vgl. Sehling, EKO, Bd. 5, 147f; den Bericht der Visitatoren vgl. Schnell, Heinrich V., 38‒50; vgl. auch Schmaltz, Kirchengeschichte, 53‒55. 37 Ordinantz = Ordnung. Vgl. Cordshagen, Mecklenburg, 36f; Mejer, Kirchenrechte, 88‒90. Vgl. auch WA Br., Bd. 8, 426‒430. 38 Vgl. Wurm, Riebling, 217‒219.
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ten und kerkendeners mit den ceremonien und gadesdensten in deme forstendome Meykelnborch geholden schall werden. 39 Riebling arbeitete auch eine Gottesdienstordnung aus, deren Druck allerdings erst 1545 vollendet war: Ordeninge der misse, wo de van den kerkheren unde seelsorgern im lande to Meckelnborch, im fürstendom Wenden, Swerin, Rostock unde Stargharde schall geholden werden. 40 Die Agende war sehr konservativ gehalten und schrieb unter anderem Messgewänder und Versehgang beim Krankenabendmahl vor. Die Elevation der Hostie wurde allerdings ausdrücklich untersagt. Beide Texte, Kirchenordnung und Ordnung der Messe, waren auf Niederdeutsch abgefasst und wurden in Rostock gedruckt. Die Visitation von 1541/42 erstreckte sich wiederum nur auf den Heinrichs- und den Gemeinschaftsteil, diente hier jedoch jetzt der gezielten Einführung der Reformation. 41 Dementsprechend trug die Kommission deutlicher als früher offiziellen Charakter: der Superintendent Riebling und der Schweriner Hofprediger Joachim Kükenbieter wurden vom herzoglichen Sekretär Simon Leupold begleitet; hinzu traten jeweils die lokalen fürstlichen Beamten sowie die städtischen Magistrate. Die Kommission sollte überall die gottesdienstlichen Zeremonien in evangelischem Sinne umgestalten und vereinheitlichen; zudem wurde die Predigt auf der Basis der Kirchenordnung verbindlich gemacht. Traditionen waren zu respektieren, wenn sie „unschädlich“ waren – daher wurden die Geistlichen angewiesen, sich nicht abfällig über die Heiligen zu äußern, sondern ehrerbietig von ihnen als hervorragenden Gliedern Christi zu sprechen. Zur Begründung seines Vorgehens berief sich Heinrich V. auf seine Pflicht als christliche Obrigkeit und auf das Beispiel anderer Fürsten. In seiner Rede vor dem Rat in Wismar, die vermutlich überall so oder ähnlich gehalten wurde, verwies Riebling auf die Heroen des Alten Testaments und auf Kaiser Konstantin als Beispiele für kirchliches Handeln weltlicher Obrigkeiten, durch die sich der Herzog zu seinem Vorgehen legitimiert sah. Der Herzog habe sich das gantz unde gar furgenamen, dass er sampt anderen cristlichen fursten deutschen nation de hillige warheit pis an sin ende lieben, der anhangen, schutzen unde hanthaben unde gnedich dazu wachten [will], das de ewige warheit rein unde clar rechtschaffen iren underdanen allenthalben muge getreulich geprediget werden. Rat und Gemeinde wurden vom Herzog ermahnt, beständig in der Wahrheit zu bleiben, und ihnen wurde zugesagt: Darbei wil s.f.g. euch nicht alleine als ein christlicher furste schutzen unde ————— 39
Vgl. Sehling, EKO, Bd. 5, 148. Vgl. ebd., 150‒161. 41 Die Visitationsinstruktion vgl. ebd., 148‒150; zum Ergebnis der Visitation vgl. Schmaltz, Kirchengeschichte, 58‒62. 40
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hanthaben, sondern auch mit euch pis an sin ende in der hilligen warheit vorharren unde sein ende darmit beschlessen. 42 Das Resultat der Visitation von 1541/42 zeigte, dass sich gegenüber 1535 deutliche Veränderungen ergeben hatten. Vor allem die Städte waren durchweg mit evangelischen Pfarrern versorgt, während von 204 Dorfpfarrern, die in die jeweils nächstgelegene Stadt zitiert worden waren, noch 63 für „papistisch“ befunden wurden. Besonders die Patronatspfarreien von Dom- und Kollegiatstiften sowie Klöstern waren im Allgemeinen noch mit altkirchlichen Priestern besetzt, ebenso viele Adelspfarreien. Zwei Drittel der Pfarrer waren evangelisch, viele verheiratet – etwa die Hälfte erhielt das Zeugnis „fromm und gelehrt“. Nur ein Geistlicher wurde entlassen, während die meisten Priester sich bereit erklärten, die Kirchenordnung anzunehmen und den Zölibat aufzugeben. Residuen der Altgläubigkeit blieben die Stifte und Klöster. Mit der Visitation war im Heinrichs- und im Gemeinschaftsteil die Fürstenreformation durchgeführt. Von einem Protest Albrechts gegen die faktische Aufhebung von Bikonfessionalität und Simultaneum ist nichts bekannt. Da der Albrechtsteil jedoch strikt beim alten Glauben festgehalten wurde, war das Herzogtum seit 1542 konfessionell gespalten. Diese Situation änderte sich erst, als Albrecht VII. im Januar 1547 starb. Zwar hatte er seine Söhne zur Aufrechterhaltung des bisherigen Kirchenstatus verpflichtet, aber sein Nachfolger Johann Albrecht I., der am Hof Joachims II. von Brandenburg erzogen worden war, war dessen Wechsel zum evangelischen Bekenntnis gefolgt. 43 Er übernahm für seine vier Brüder die Regierung im Albrechtsteil und die Mitregierung im Gemeinschaftsteil. Noch 1547 berief er mit Johann von Lucke (Lucanus) einen evangelischen Kanzler und ernannte den Lüneburger Hofprediger Gerd Oemeke zum Superintendenten des Albrechtsteils und zum Güstrower Dompropst. 44 Dass der Regierungswechsel auch einen Konfessionswechsel bedeuten sollte, machte die positive Antwort der Söhne Albrechts, Johann Albrecht, Ulrich und Georg, deutlich, als die Stände im Lande Wenden bei ihrer Erbhuldigung 1548 während des Augsburger Reichstags baten, „das reine Wort Gottes im Lande verkündigen zu lassen und die Untertanen bei der wahren Religion zu beschützen“. 45 Die freigewordenen Kirchengüter sollten ausschließlich für Kirche und Schule, nicht aber für weltliche Zwecke verwendet werden. Allerdings unterschrieben die drei Brüder wenig später den Abschied des Augsburger Reichstags, der das Interim bestätigte. Sie erwiesen —————
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Vgl. Sehling, EKO, Bd. 5, 308‒310, hier 309. Zusammenfassend vgl. Sellmer, Johann Albrecht I., 134‒137. Vgl. Goeters, Gerd Oemeken, 67‒90; Wurm, Omeken, 231–234. Vgl. Schirrmacher, Johann Albrecht I., Bd. 1, 25.
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sich dem Kaiser willfährig, um die Belehnung zu erhalten und die Schulden Albrechts, die er im Dienst für die Habsburger gemacht hatte, bezahlt zu bekommen. Im Übrigen unterschrieb auch der Gesandte Heinrichs V. den Abschied. Wie sehr Johann Albrecht in machtpolitischen Kategorien dachte, zeigt sich darin, dass er seinen evangelischen Vetter Magnus von Schwerin beim Kaiser denunzierte, weil dieser geheiratet hatte. Karl V. sollte ihn absetzen und Johann Albrechts jüngeren Bruder Ulrich wählen lassen, damit eine weitere Landesteilung vermieden werden könne. 46 Der innerdynastische Streit wurde jedoch beigelegt. Als Magnus 1550 starb, wurde Ulrich unter Beachtung aller Formalien vom Schweriner Domkapitel zu seinem Nachfolger gewählt und ließ sich die niederen Weihen erteilen. 1556 heiratete er die Witwe seines Vorgängers. Karl V. sah Mecklenburg 1548 offensichtlich bereits als evangelisches Territorium an. Deswegen forderte er Heinrich V. auf, das Interim im Herzogtum einzuführen. Heinrich V. und Johann Albrecht I. waren von vornherein entschlossen, ihre Entscheidung für das evangelische Bekenntnis durch die Landstände abstützen zu lassen. Ob bereits auf dem Wismarer Landtag vom 24. Juni 1548, also noch vor Erlass des Interims, den Johann Albrecht wegen der schlechten Finanzsituation abhielt, über die Religionsfrage gesprochen worden ist, bleibt offen 47 – Beschlüsse wurden jedenfalls nicht gefasst. Heinrich erklärte Herzog Philipp von Pommern im Sommer 1548 auf dessen Frage, wie er sich zum Interim stellen solle, er sei bedacht, diese allergroßmächtigste Sache, die Ehre Gottes und der Seelen Heil betreffende, mit unserer Landschaft zu bereden und ihren Rath dazu zu haben und zu gebrauchen. 48 Die Antwort an Karl V. zögerte er hinaus, indem er auf die Einbeziehung der Stände hinwies, die aber wegen der Pest nicht zusammengerufen werden könnten. Erst auf ultimative Forderungen Karls V. hin beriefen Heinrich V. und Johann Albrecht I. den Landtag zum 19. Juni 1549 an die Sagsdorfer Brücke bei Sternberg. Zusätzlich zu den drei Ständen, die so zahlreich wie nie zuvor erschienen waren, waren die Universität Rostock und die beiden evangelischen Superintendenten anwesend. Das Einladungsschreiben band die Stände in die konfessionelle Entscheidung ein: Unter Berufung auf das kaiserliche Schreiben sachenn halben, unsern Christlichen glawben, ewre und unsern aller gemeine wohlfart betreffent, sollten sie ihren Rat in
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46
Vgl. Wolgast, Hochstift, 232f. Über Ulrich vgl. zusammenfassend Sellmer, Ulrich III., 231‒235. Vgl. Schirrmacher, Johann Albrecht I., Bd. 1, 27. Im Protokoll des Landtags von 1552 wird der Landtag von 1548 erwähnt; vgl. Pettke, Umgang, 89; vgl. auch Schnell, Bekenntnis, 12. 48 Mejer, Kirchenrechte, 93. Vorausgegangen war das zweite Mahnschreiben Karls V., eindeutig Stellung zum Interim zu beziehen; vgl. Schnell, Bekenntnis, 12f. Das erste Schreiben an die Reichsstände vgl. bei Dingel, Controversia, 973f. 47
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dieser allerhochwichtigesten Sachen, die selen selickeit belangendt, erteilen. 49 Unser Bild vom Landtag an der Sagsdorfer Brücke ist geprägt durch die suggestive Historienmalerei von Wilhelm Grewe in der Turmhalle der Sternberger Kirche aus dem Jahre 1896. 50 Die inhaltlichen Vorgaben hatte der Ortspfarrer Karl Schmitt gemacht und sich dabei offensichtlich vor allem auf seine Phantasie verlassen, ohne sich um die Fakten zu kümmern. Denn: Die Quellen zum Landtag von 1548 sind äußerst dürftig und bieten keinerlei ausreichende Basis für das theatralische Spektakel auf dem Fresko. Außer dem Einladungsschreiben und einer Bemerkung im Vorwort der Herzöge zum „Bekenntnis“, in dem pauschal die Anwesenheit der geistlichen und weltlichen Stände sampt den superintendenten und teologen [der Rostocker Universität] 51 erwähnt wird, ist nur ein kurzer Bericht in der Aufzeichnung über den nächstfolgenden Landtag von 1552 überliefert. 52 Dass die Stände sich in Gegenwart der Herzöge versammelten oder gar berieten, ist ganz unwahrscheinlich, entsprach jedenfalls nicht den Gepflogenheiten der Ständezusammenkünfte. Nach Vortrag der landesherrlichen Proposition durch den Kanzler verhandelten die Stände immer ohne die Landesherren und Beamten unter sich, möglichst nach Kurien getrennt, und verkehrten mit den fürstlichen Beamten schriftlich über die Punkte der Tagesordnung solange durch Austausch von Schriftstücken, bis eine Einigung erreicht war. Dass die Stände 1549 abschließend versicherten, sie hätten mit iren f. g. sick voreinigett, vorgeliechen und de zusag getan, 53 bedeutete nicht, dass Stände und Herzöge mündlich und unmittelbar kommuniziert haben. Über die Beratungen der Stände wissen wir gar nichts, nur deren Ergebnis ist bekannt: Die Stände sagten den Herzögen zu, mit Irer f. g. by der Reinen Evangelischen und Apostolischen lere zuplieben, Mit untherteniger bith, das se von Irer f. g. darby muge beschutzet werden. Darzu se als de getruwen unthertanen by Irer f. g. lieb [= Leib], guedt und bluet zusetzen erputtich – so der Bericht von 1552. 54 Nur drei Personen, so der papistischen lehre zugethan, schlossen sich der Mehrheit nicht an – wer diese waren, ist unbekannt. Es müssen nicht drei Prälaten gewesen sein, wie immer vermutet worden ist, 55 sondern auch
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Das Ausschreiben vom 6. Mai 1549 vgl. bei Hegel, Geschichte, 200f. Piersig, Entstehung, 13‒47. Schnell, Bekenntnis, 22. Vgl. Pettke, Umgang, 89; vgl. auch Hegel, Geschichte, 202f. Pettke, Umgang, 89. Vgl.ebd. So Wolgast, Reformation, 24; Pettke, Umgang, 89.
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altkirchlich gesinnte Ritter können abweichend votiert haben. Eine Anwesenheitsliste gibt es nicht; 56 es ist also unklar, ob der Prior des Kartäuserklosters Marienehe und die Zisterzienseräbte von Dargun und Doberan überhaupt zum Landtag erschienen waren und ob der Bischofsadministrator Magnus anwesend war. Vom folgenden Tag, den 20. Juni, und aus Sternberg datiert Der fursten von Meklenborgk confession, Keiss. Mat. zugeschickt. Als Christen und E. Keiss. Mat. gehorsame fursten und unterthanen haben die Herzöge und Landstände es vor notwendig geachtet, E. Keiss. Mat. ein bekentnis unsers glaubens, lere, ceremonien, kirchen- und der hochwirdigsten sakrament gebreuch, so bis anhero in unssern landen und kirchen geleret, geglaubet und gehalten worden, unterthenigst anzuzeigen. 57 Das Bekenntnis geht auf einen Text aus dem Herzogtum Braunschweig-Lüneburg zurück, der aus dem gleichen Anlass angefertigt, vom Kaiser aber bereits zurückgewiesen worden war. Das mecklenburgische Bekenntnis enthielt die Kernstücke lutherischer Theologie (Rechtfertigung, Sakramentenlehre, Christologie), ohne aber ausdrücklich das Augsburger Bekenntnis von 1530 oder Luther zu erwähnen. Stattdessen wurden betont die Kontinuitäten zum Bisherigen herausgestellt, vor allem bei Zeremonien, Fasten- und Feiertagsregelungen sowie bei den Kirchenornaten. Vermutlich ist vor der Übergabe des Textes an den Berater Karls V., Kardinal Granvelle, in Brüssel der Rat Philipp Melanchthons eingeholt worden; jedenfalls begab sich unmittelbar nach Schluss des Landtags ein herzoglicher Beamter nach Wittenberg. 58 Mit dem Bekenntnis von 1549 wurde der bisherige Zustand konfessioneller Uneindeutigkeit für das Gesamtherzogtum beendet und auch für den Albrechtsteil die obrigkeitliche Einführung der Reformation eingeleitet. Mecklenburg war seither auch nach außen hin ein evangelisches Territorium. Allerdings folgte die praktische Durchsetzung der Fürstenreformation erst drei Jahre später. Die Gründe für diese Verzögerung sind unbekannt. Vielleicht wollte Heinrich V. den bisherigen informellen Modus weiterverfolgen, vielleicht wollte Johann Albrecht die Durchführung der Entscheidung außenpolitisch absichern. Er beteiligte sich jedenfalls 1552 am Fürstenaufstand gegen Karl V. und dessen Kirchenpolitik. Heinrich V. verpflichtete sich, Land und Leute seines Neffen während dessen Abwesenheit auf dem Kriegszug, der zu errettunge der bedruckten christen und unsers lieben vaterlandes unternommen werde, zu schützen. 59 Erst Ende 1551 gaben beide Herzöge eine Kirchenordnung in Auftrag, deren Vollendung Heinrich V. nicht mehr erlebte, ————— 56 In der Aufzeichnung von 1552 heißt es nur: gemeine Landtschafft in grosser anzall als nye by einander gesehen. 57 Vgl. Schnell, Bekenntnis, 22f. 58 Vgl. ebd., 18. 59 Vgl. Schirrmacher, Johann Albrecht, Bd. 2, 140f.
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da er 72-jährig am 6. Februar 1552 starb. Schon im April 1552 wies Johann Albrecht seine Räte an, im Albrechtsteil eine Visitation durchzuführen. Die Visitatoren sollten das alte Kirchenwesen und seine Träger endgültig und flächendeckend beseitigen, indem sie die abgotterei und papistische diener allethalben abschafften und die reine gotliche Lehr und christliche ceremonien aufrichteten, christliche predicanten verordnen, Inen auch und den schulmeistern notturftige, ziemliche unterhaltung festsetzten. 60 Die Kirchenordnung wurde von Johann Riebling und dem Rostocker Theologieprofessor Johann Aurifaber ausgearbeitet und von Melanchthon durchgesehen und ergänzt. Vor allem fügte Melanchthon einen umfangreichen ersten Teil über die Lehrgrundlagen hinzu, das sogenannte Examen ordinandorum, und verschaffte der mecklenburgischen Kirchenordnung damit überregionale Autorität. Publiziert wurde die Ordnung allein unter Johann Albrechts Namen, da Heinrich ohne regierungsfähige Nachkommen gestorben war: Kirchenordnung, so in unsern, Johan Albrechts, von gottes gnaden herzogen zu Meckelnburg, fürsten zu Wenden, graven zu Swerin, der lande Rostock und Stargard herrn, fürstenthumen und landen sol gehalten werden. 61 Um die Ordnung als amtlichen Text zu autorisieren, wurde das fürstliche Wappen auf das Titelblatt gesetzt. Die Lehrnorm bestimmte Johann Albrecht am Schluss des ersten Teils eindeutig lutherisch: außer der Heiligen Schrift und den altkirchlichen Symbola sowie dem Augsburger Bekenntnis der Katechismus und die Schmalkaldischen Artikel Luthers. Die Ordnung bestand aus fünf Teilen: Von der Lehre (Examen ordinandorum); Predigtamt; Gottesdienstordnung (im Wesentlichen der Agende Rieblings von 1540/45 folgend); Schulen; Sicherung des Kirchengutes für geistliche, soziale und Bildungszwecke. Der zweite Teil über das Predigtamt enthielt auch ausführliche Anordnungen über Stifte und Klöster. 62 Sie durften bestehen bleiben, mussten aber ihre traditionellen Andachtsformen und Gottesdienste aufgeben. Heiligenverehrung, Gelübde und Ordenstracht wurden abgeschafft. Über Mönchsklöster wurde ein Verbot verhängt, Novizen aufzunehmen; Frauenklöster durften dagegen weiterhin junge jungfrauen aufnehmen, wenn auch ohne Gelübde und Ordenstracht.
————— 60
Lisch, Regierungs-Verordnung, 54. Vgl. Sehling, EKO, Bd. 5, 161‒219; vgl. auch Schmaltz, Kirchengeschichte, 77‒79. – Zur Beteiligung von Melanchthon an der inhaltlichen Gestaltung der Kirchenordnung vgl. Gummelt, Einfluß, 192‒194. 62 Vgl. Sehling, EKO, Bd. 5, 196. Zum Schicksal der Stifte und Klöster vgl. Huschner, Klosterbuch; vgl. auch Creutz, Bibliographie; Schreiber, Johann Albrecht I., 24‒32; Schmaltz, Kirchengeschichte, 74f, 85‒92; Ulpts, Bettelorden, 335‒418. 61
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Allerdings war die Klosterlandschaft im Jahre 1552 nicht mehr intakt. 1520 hatten im Herzogtum 19 Männerklöster und 11 Frauenklöster bestanden. Seither waren die Bettelordensklöster in mehreren Städten verschwunden; sie hatten sich selbst aufgelöst, nachdem das Terminierverbot ihnen die Lebensgrundlage entzogen hatte, oder waren aufgehoben worden. In einigen Städten bestanden Restkonvente weiter, so im Rostocker Dominikanerkloster, dessen letzter Prior erst 1578 starb. Das Wismarer Dominikanerkloster hielt sich bis 1562. Von den Kollegiatstiften wurde das Güstrower Domstift 1550 auf Betreiben Oemekes aufgehoben, in Rostock blieb das Stift an St. Jakobi bis zum Aussterben der letzten katholischen Stiftsherren in den sechziger Jahren bestehen. Noch vor der Visitation einigten sich die Äbte der großen und vermögenden Feldklöster Dargun und Doberan sowie der Vorsteher der Antoniterpräzeptorei Tempzin mit dem Herzog und übergaben ihre Klöster mit allem Zubehör. Der Abt von Dargun verheiratete sich und wurde Pfarrer, die meisten Mönche traten aus und ergriffen bürgerliche Berufe. Der Doberaner Abt übergab sein Kloster, in dem nur noch fünf alte Mönche lebten, „ungezwungen und ungedrungen“, wie es ausdrücklich hieß, 63 und zog sich mit einer jährlichen Rente von 100 fl. in das Filialkloster Pelplin zurück. Die Kartause Marienehe wurde dagegen von 300 Bewaffneten gewaltsam geräumt – die Mönche zogen sich in das Rostocker Dominikanerkloster zurück. Der letzte Mönch übergab 1575 dem Rat alle Urkunden und Gerechtsame des Klosters. Im Zusammenhang mit der Visitation wurden 1552 bis 1554 alle übrigen Klöster als geistliche Institutionen aufgehoben, wenngleich die Konvente bis zum Aussterben im Kloster unterhalten wurden, aber ohne altkirchlichen Gottesdienst. Widerstand leisteten insbesondere die Frauenklöster Dobbertin, unterstützt von der Witwe Albrechts VII., Anna, die bis zu ihrem Tod 1567 im nahegelegenen Amt Lübz residierte, und Ribnitz – dieses Kloster wurde von Herzogin Ursula, einer Tochter Heinrichs V., als Äbtissin geleitet und blieb bis zu ihrem Tod 1586 unangefochten beim alten Glauben. Im Rostocker Zisterzienserinnenkloster war noch 1562 die Priorin katholisch. Für die erste landesweite Visitation, die Johann Albrecht im April 1552 anordnete und die, ohne das Gesamtterritorium vollständig erfasst zu haben, bis 1554 dauerte, erging im November 1552 eine Instruktion. 64 Die Visitation war dazu bestimmt, neben der Prüfung von Lehre und Lebenswandel der Geistlichen und ihrer Gemeinden, die Sicherstellung des Kirchengutes zu gewährleisten. Es wurde inventarisiert, danach wurden die für Unterhalt von ————— 63
Schmaltz, Kirchengeschichte, 74. Vgl. Sehling, EKO, Bd. 5, 219‒224 (Instruktion und Processus visitationis), hier 220. Zur Visitation vgl. Schmaltz, Kirchengeschichte, 79‒81.
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Kirche und Schule erforderlichen Summen ausgeschieden. Für den Rest behielt sich der Herzog mit radt der landrethe, also der Ständevertreter, die Verwendung vor. Die Visitatoren hatten auch die Aufgabe, die zahlreichen Überreste des alten Kirchenwesens zu beseitigen: Abgotterei, Bilderverehrung, Wallfahrten, Fahnen, Prozessionskreuze, Sakramentshäuschen und Nebenaltäre. Die unanstößigen Bilder sollten zur Erbauung und Unterrichtung des Gemeinen Mannes an den Wänden befestigt werden. Kirchen und Kapellen, die nicht mehr für Gottesdienste gebraucht wurden, sollten abgebrochen oder umgebaut werden, um als Predigerwohnungen oder Kornspeicher zu dienen. Die Friedhöfe waren vor die Stadt zu verlegen. Die Visitationskommission war hochrangig besetzt: die beiden Superintendenten, ein Theologe und ein Jurist von der Universität Rostock sowie der im Visitationsgeschäft erfahrene herzogliche Sekretär Leupold. In den einzelnen Orten traten der zuständige Amtmann und ein Mitglied des Adels hinzu. Seit dem Tod Heinrichs V. hatte sein Neffe Johann Albrecht I. das Gesamtterritorium regiert. Nach langen Streitigkeiten mit seinem Bruder Ulrich, dem Bischofsadministrator von Schwerin, erfolgte 1555 im Wismarer Gemeinschaftsvertrag eine neue Nutzungsteilung auf der Basis von 1520. 65 Johann Albrecht übernahm den bisherigen Heinrichsteil mit Schwerin als Residenz, Ulrich erhielt den Albrechtsteil mit Güstrow. Der Gemeinschaftsteil aus 13 Städten blieb unverändert; dasselbe galt für die Gemeinschaftseinrichtungen, zu denen jetzt noch die Kirchenhoheit kam. Der Klosterbesitz wurde hälftig geteilt – lediglich 3.500 fl. wurden für den Unterhalt der Universität und das künftige Konsistorium ausgeschieden. Die Teilung sollte bis zur Volljährigkeit der Brüder Christoph und Karl dauern – diese wurden aber später mit den Hochstiften Riga und Ratzeburg abgefunden. Erst 1621 wurde der Gemeinschaftsteil bei der ersten Realteilung des Herzogtums beseitigt. Die Fürstenreformation stärkte in Mecklenburg in erster Linie nicht die Fürsten, sondern die Landstände. Sie protestierten auf dem Güstrower Landtag im Juli 1552 dagegen, dass die Prälaten als Landstand nicht mehr eingeladen waren und dass auf Befehl des Herzogs das mobile Vermögen von Klöstern und Kirchen (Silberwerk, Kleinodien) beschlagnahmt worden war. 66 Ritter und Städte verlangten Mitsprache bei der Regelung kirchlicher Fragen, so beim Erlass einer Kirchenordnung und bei der Verteilung des Klostergutes. 1555 erreichte der Adel, dass ihm drei Nonnenklöster (seit 1572 Dobbertin, Malchow und Ribnitz) zur Versorgung seiner unverheirateten Töchter übertragen wurden; dazu kam das Heiligkreuzkloster in Rostock für Bürgertöchter. —————
65 66
Vgl. Sachsse, Urkunden, 230‒236. Vgl. Hegel, Geschichte, 203f; Schmaltz, Kirchengeschichte, 77.
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Auf dem Landtag 1555 mussten die Herzöge auf das ius reformandi, also das Recht, die Religion ihres Landes nach eigenem Ermessen festzusetzen, verzichten, noch bevor es der Augsburger Religionsfrieden den weltlichen Fürsten zuerkannte. Denn als Gegenleistung für die Übernahme von fast 500.000 fl. Schulden verpflichteten sich die Herzöge Johann Albrecht und Ulrich, das lutherische Bekenntnis des Landes nicht zu verändern. Die Stände wurden damit Garanten des Konfessionsstandes im Herzogtum Mecklenburg. 67 Das Hochstift Schwerin, das heißt das Bischofsland um Bützow und Warin sowie die Domfreiheit in Schwerin, gestaltete die Organisation des neuen Kirchenwesens selbständig. 68 Bischof Magnus hatte die Reformation eingeführt, der Administrator Ulrich setzte sie mit einer Visitation 1558 endgültig durch, nachdem er sich schon im Teilungsvertrag verpflichtet hatte, den kirchlichen Stand des geistlichen Territoriums dem Augsburger Bekenntnis und der mecklenburgischen Kirchenordnung anzupassen. 1561 wurde in Schwerin ein eigener Superintendent für das Hochstift eingesetzt. 1557 nahmen die Herzöge Johann Albrecht und Ulrich erneut eine Visitation vor, die diesmal ohne Aussparung das ganze Territorium erfasste. Grundlage bildete wiederum die Kirchenordnung von 1552, die zur Visitation – mit einigen verschärfenden Zusätzen in der Frage der Kirchenzucht – 1557 neu gedruckt wurde. Nach Abschluss der Visitation erließen Johann Albrecht und Ulrich am 13. Januar 1560 ein Mandat, durch das sie alle Prediger, Kirchen- und Schuldiener erneut auf die Kirchenordnung von 1552/57 verpflichteten. Wer dazu nicht bereit war – und das richtete sich jetzt mehr gegen die Reformierten als gegen die Katholiken –, musste innerhalb von zwei Wochen das Land verlassen. 69 Damit war der Prozess der Reformationseinführung endgültig abgeschlossen und die neue Landeskirche dogmatisch konsolidiert – vierzig Jahre, nachdem die ersten evangelischen Prediger im Herzogtum aufgetreten waren. Die doktrinelle Ausrichtung auf ein orthodoxes Luthertum bekräftigte Herzog Ulrich Ende 1579 mit der Unterschrift unter die Konkordienformel für sich und als Vormund der Kinder Herzog Johann Albrechts, der 1576 gestorben war. Der organisatorische Ausbau der Landeskirche wurde 1570/71 abgeschlossen. 1570 wurde das Konsistorium mit Sitz in Rostock errichtet. Es verwaltete die herzoglichen iura in sacra und war zuständig für Lehrstreitigkeiten, Ehefragen, öffentliche Unzucht und Zauberei, Streit zwischen Kirchenbediensteten und Klagen gegen sie, für Fragen des Kirchengutes sowie ————— 67
Vgl. Sachsse, Urkunden, 239. Die Zusage der Herzöge wurde 1561 und 1572 wiederholt; vgl. ebd., 256, 271. 68 Vgl. Schmaltz, Kirchengeschichte, 110‒114. 69 Vgl. Sehling, EKO, Bd. 5, 137f.
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für das gesamte Personalwesen der Geistlichkeit. Detailliert wurde die Kirchenzucht geregelt – der Exkommunizierte verlor auch seine bürgerlichen Rechte. 1571 wurde die längst zerfallene Diözesan- und Archidiakonatseinteilung (mit zwanzig Sprengeln) ersetzt durch sechs Superintendenturen, deren Sprengel die alten Herrschaftsbestandteile widerspiegelten: Wismar für das Land Mecklenburg, Güstrow und Parchim für das Land Wenden, Schwerin für die gleichnamige Grafschaft, Rostock für das gleichnamige Land, Neubrandenburg für Stargard. 70 Fazit: Verglichen mit anderen evangelischen Territorien verlief die Reformation in Mecklenburg als Spätreformation. Die Phase der Gemeindereformation ohne landesherrliche Direktion dauerte fast zwanzig Jahre, bis mit der Visitation von 1541/42 der seit 1533 offen evangelische Herzog Heinrich V. in seinem und im Gemeinschaftsteil organisiert und flächendeckend die Reformation einführte. Für das Gesamtherzogtum begann die Fürstenreformation erst mit der Grundsatzentscheidung von 1549 sowie mit Kirchenordnung und Visitation 1552. Damit war die für Deutschland singuläre Phase der Bikonfessionalität (in den Gemeinschaftsstädten) auch offiziell überwunden und die evangelische Landeskirche begründet, deren Lehreinheit durch das herzogliche Mandat von 1560 und die Unterschrift unter die Konkordienformel 1579 endgültig sichergestellt wurde.
————— 70
Vgl. Sehling, EKO, Bd. 5, 231‒247 (Konsistorialordnung) und 247f (Superintendentenordnung).
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Matthias Asche
Zwischen Beharrung und Transformation Zur Krise der Universität Rostock in den ersten Reformationsjahrzehnten
Die Universitätsgeschichtsforschung ist ein Feld mit nur wenigen Forschungskontroversen. Die Rostocker Historiographiegeschichte bildet hier jedoch eine Ausnahme. Die im Folgenden knapp zu skizzierende Kontroverse ist beinahe so alt wie die Universität selbst – erste Positionierungen gehen noch auf den Humanisten Albert Krantz vor nunmehr schon rund einem halben Jahrtausend zurück, 1 und die historiographisch zuweilen in Schärfe ausgetragenen Konflikte verweisen seit jeher auf eminent politische Dimensionen. In der genannten Kontroverse geht es im Kern um das Verhältnis der Universität einerseits zu den Landesherren, also den mecklenburgischen Herzögen, andererseits zum Rat der Stadt Rostock. Beide Akteure hatten die Universität an der Warnow schon sehr früh gewissermaßen zu einem Nebenkriegsschauplatz ihres politischen Antagonismus gemacht, was eben auch zu einem profilierten Niederschlag in Form einer pro-herzoglichen und pro-rätlichen Geschichtsschreibung führte. 2 Bei diesem grundlegenden, bis zur endgültigen Unterwerfung der zuvor weithin autonomen Stadt Rostock unter das landesherrliche Regiment im Zweiten Rostocker Erbvergleich von 1788 3 anhaltenden Gegensatz spielte die mecklenburgische Landesuniversität durch die Jahrhunderte immer wieder eine zentrale Rolle, angefangen mit der sogenannten ‚Domfehde‘ (1483–1492), in welcher es um die Umwandlung der Rostocker St. Jakobi-Kirche in ein Kollegiatstift und damit um wachsende Einflussnahme der mecklenburgischen Herzöge auf die Stadt ging, 4 bis hin zum Höhepunkt, der verhängnisvollen Spaltung in eine nach Bützow verlegte herzogliche Universität und eine an der Warnow verbliebene rätliche Universität für 29 Jahre (1760–1789). 5 Dass es zur Teilung des Rostocker Lehrkörpers in ein herzogliches und ein rätliches Kollegium – ein Collegium Professorum Ducalium und ein Col————— 1 2 3 4 5
Vgl. zuletzt Bollbuck, Geschichts- und Raummodelle. Vgl. Pluns, Universität, 18ff; zudem ders., Universitätsgeschichte, 159–168. Vgl. bei der Wieden, Rostock, 111–132. Zur sogenannten ‚Domfehde‘ vgl. zuletzt Graßmann, Lübeck, 7–20. Zur kurzlebigen Universität Bützow vgl. zuletzt Asche, Bützow, 133–147.
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Matthias Asche
legium Professorum Senatorium – kam, war das Ergebnis der zähen Verhandlungen zwischen den mecklenburgischen Herzögen und dem Rostocker Rat um das Patronat über die Universität. In der sogenannten Formula Concordiae von 1563 einigten sich beide Seiten auf ein Kompatronat über die Universität, was dazu führte, dass es fortan zwei rechtlich getrennte und nebeneinander agierende Professorencorpora gab. 6 Dies war übrigens ein bemerkenswertes verfassungsrechtliches Alleinstellungsmerkmal Rostocks innerhalb der deutschen Universitätsgeschichte, das bis zum Jahre 1827 Bestand hatte, als nämlich der Rostocker Rat vom Großherzog endgültig aus der Pflicht zur Finanzierung und dem Recht zur Berufung von Professoren entlassen wurde und somit als Kompatron der Landesuniversität endgültig ausgeschieden war. 7 Der Formula Concordiae von 1563 war jedenfalls ihrerseits ein jahrzehntelanges erbittertes Ringen zwischen den mecklenburgischen Herzögen und dem Rostocker Rat vorangegangen. Diese gravierenden Konflikte sollten sich für einen raschen Aufbau der seit den 1520er Jahren daniederliegenden Universität als enorme Belastung erweisen – zusätzlich zu den auch an praktisch allen anderen mittel- und nordeuropäischen Universitäten in dieser Zeit auftretenden Problemen. 8 Zu den bekannten Äußerungen der Zeitgenossen über den Niedergang der Universitäten gehört die Klage von Erasmus von Rotterdam in einem Brief an seinen Humanisten-Freund Willibald Pirckheimer in Nürnberg aus dem Jahre 1528: Ubicunque regnat Lutheranismus, ibi litterarum est interitus. 9 Die Rostocker Immatrikulation ist typisch für den Frequenzverlauf der mittel-, ostmittel- und nordeuropäischen Universitäten der 1520er, 1530er und 1540er Jahre. Denn auch andernorts folgte auf den vielzitierten „Bildungsaufbruch des 15. Jahrhunderts“, 10 der mit zahlreichen Universitätsneugründungen, einer Expansion des städtischen Lateinschulwesens und der Ordensstudien sowie mit einer bis dato ständig steigenden Zahl von Studenten einherging, ein dramatischer Einbruch der Immatrikulationszahlen. Für die erste Existenzkrise des mitteleuropäischen Universitätswesens werden noch immer die Folgen der Reformation verantwortlich gemacht, welche sich negativ auf das Bildungswesen ausgewirkt hätten. Auch in Rostock waren ähnliche Positionen wie bei Erasmus von den altgläubigen Professoren zu vernehmen, ————— 6
Die Formula Concordiae ist ediert bei Michael, Recht, 201–216, vgl. dazu die Hinweise bei ders., Verfassung und ders., Rechtsquellen, 111ff, zudem Pluns, Universität, 472ff. 7 Vgl. Blanck, Sammlung, 352–360, hier 354 (§II,1). 8 Zu den allgemeinen Ursachen für den Verfall der deutschen Universitäten in den frühen Reformationsjahrzehnten vgl. Asche, Frequenzeinbrüche, 53–96; Immenhauser, Universitätsbesuch, 69– 88; Gramsch, Überfüllungskrise, 55–79. 9 Brief aus Basel vom 20. März 1528 bei Allen/Allen/Garrod (Hg.), Opus, 366. 10 So etwa bei Schubert, Motive, 36.
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etwa in einem Bericht der Mitglieder des Universitätskonzils an den herzoglichen Kanzler Caspar von Schöneich über den Zustand der Universität Rostock vom April 1530. 11 Hierin heißt es beispielsweise, dass die Martinianssche lere vnnd faction der Grund für den Niedergang der Universitäten sei, denn dar durch dat groter deell der steden bewagen, ere kindere heym to holdende vnnd in de vniversiteten nicht gesandt worden syn. Mit dem Studentenmangel verbunden sei die Armut der Collegiaten vnnd Doctoren, die ganz wesentlich dorch intitulaturen vnnd promotion […] stipendiert, mithin von Immatrikulations-, Hörer- und Promotionsgebühren abhängig seien. Weiter wurde im Bericht des Konzils vermerkt, dass vele herlike tapper manne sick van vnns hebben geuen moten. 12 Zudem wiesen die Rostocker Konzilsmitglieder darauf hin, dass auch Ordensleute unter den Rostocker Lehrkräften na eren heymen vnnd anderen orden sick gegeuen hebben. Dramatisch sei auch der Verfall der vier Bursen. 13 Insgesamt fehle es an Geld – so die Konzilsmitglieder weiter –, weil den Klerikern, Kirchen und damit auch der Hochschule insgesamt die Pfründenhebungen abhandengekommen seien. Hier zeigen sich die wirtschaftlich-fiskalischen Folgen der Reformation für die Universität. Martin Luther die Schuld am Niedergang der Universität zu geben, wird ihm freilich nicht gerecht – im Gegenteil: 14 Er sah dem Bildungsverfall ebenfalls mit Schrecken entgegen, weshalb er in seinen zentralen pädagogischen Schriften, An die Ratsherren aller Städte deutsches Lands, daß sie christliche Schulen erhalten und aufrichten sollen (1524) und Eine Predigt, daß man Kinder zur Schule halten soll (1530), die Obrigkeiten an ihre Pflicht ermahnte, christliche Schulen und Universitäten zu erhalten und niedergegangene wieder aufzurichten. Der Auflösung der Klöster sowie – damit verbunden – dem Verlust dieser traditionellen Institution der Bildung und deren Karrieremöglichkeiten trauerte Luther freilich nicht hinterher. Dezidiert stellte er sich gegen die Position der sogenannten ‚Schwärmer‘, welche mit der Forderung nach Unmittelbarkeit des Geistes zu Gott die akademischen Studien, Grade und Würden verachteten. 15 Als Humanist plädierte er vielmehr – ebenso wie sein Wittenberger Mitstreiter und Bildungsreformer Phi—————
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Die folgenden Zitate nach Lisch, Concilium, 193–195. Im Bericht werden acht Professoren und lesende Magister aufgezählt: der Theologe Gerhard Vrilde, die Juristen Caspar Hoyer, Andreas Becker und Martin Glöde, der Mediziner Johann Brandes sowie die Artisten Johann Tetezen, Albert Trempen und Jacob Trempen. 13 In Rostock wurden diese Studentenhäuser als Regentien bezeichnet: Einhorn-, Halbmond-, Adlerburse und die St. Olafs-Burse. Zu den Bursen vgl. die Hinweise bei Münch, Universitätsgebäude, 175–198, zudem Mulsow, Professorenhäuser, 433–438. 14 Zu Luther und dessen pädagogischen Ideen ist viel gearbeitet worden, vgl. etwa Schluß, Reformation, 69–89, noch pointierter ders., Bildungskritik, 30–35. 15 Immenhauser, Universitätsbesuch, 80ff. 12
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lipp Melanchthon – neben der Bibellektüre natürlich auch für die Beschäftigung mit antiken Wissensbeständen. Die Verbindung von beidem – bei Melanchthon geradezu programmatisch als sapiens atque eloquens pietas bezeichnet 16 – sollte angesichts der Kostspieligkeit von Bildung zur zentralen Aufgabe der jeweiligen Obrigkeiten, mithin der Fürsten und der Stadtmagistrate, werden. Den relativ abrupt, 17 gleich am Beginn der 1520er Jahre einsetzenden Niedergang der Studien in Rostock 18 belegen neben der einbrechenden Immatrikulationsfrequenz (vgl. Abb. 1) auch die für die Krisenjahrzehnte überlieferten Zahlen der Baccalaureats- und Magisterpromotionen. 19 Demnach wurden in der Artistenfakultät noch bis zur Mitte der 1520er Jahre jährlich bis zu fünfzehn Baccalaurei und rund fünf Magister promoviert. 20 Danach brachen die Graduierungszahlen in der Artistenfakultät aber vollends ein und erholten sich erst um die Mitte der 1540er Jahre wieder etwas. Wie es sich mit den – ohnehin selteneren – Promotionen in den drei oberen Fakultäten (Theologie, Jurisprudenz, Medizin) verhielt, ist für diese Zeit nicht überliefert. Wahrscheinlich hat dort überhaupt keine Doktorpromotion stattgefunden. Überliefert ist jedoch, dass seit etwa 1530 bis zur Berufung des Melanchthon-Schülers Heinrich Smedenstede (†1554) 21 im Jahre 1542 keinerlei theologische Vorlesungen in Rostock stattfanden, weil es nämlich ab 1530 dort keine Theologieprofessoren mehr gab. 22 Regelmäßigen Unterricht gab es seit den späten 1520er Jahren bis in die frühen 1540er Jahre offenbar nur noch in der Jurisprudenz und in den artistischen Fächern. 23 Die Medizinprofessoren – es gab immer nur einen Mediziner zurzeit, mit hoher personeller Fluktuation – hielten sich schon früher eher selten in Rostock auf, sondern amtierten vor allem als Leibärzte der Herzöge. 24 In den 1530er Jahren wurde eine Reihe ————— 16
Zum humanistischen Reformprogramm Melanchthons vgl. zuletzt aus universitätsgeschichtlicher Perspektive Asche, Melanchthon, 75–94; aus kirchengeschichtlicher Feder etwa Wriedt, Bildung, 141–154. 17 Dass noch im Jahre 1520 die Universität Rostock in voller Blüte stand, zeigt der überlieferte Lektionskatalog, vgl. die Edition mit Kommentar von Wagner, Observantia; zudem ders., Jubiläum, 137–152. 18 Eine ausführliche Beschreibung der Verfallsmomente der Rostocker Universität bei Pluns, Universität, 171ff. 19 Die Angaben aus den Dekanatsbüchern der Fakultäten zu den Graduierungen sind vom Herausgeber der Rostocker Universitätsmatrikeln mitediert worden, vgl. Hofmeister, Matrikel. 20 Zur Einordnung der Befunde vgl. Kändler/Wagner, Studienverhalten, 385–410. 21 Bedauerlicherweise liegt noch immer keine Biographie des ersten evangelischen Rostocker Theologieprofessors vor, vgl. deshalb Krause, Schmedenstedt, 632f. 22 Gerhard Vrilde war vor 1530 aus Rostock weggegangen, vgl. Anm. 12. Barthold Moller (um 1460–1530) verstarb bereits im selben Jahr, vgl. zu Moller zuletzt Pettke, Moller, 41–48. 23 Asche, Bürgeruniversität, 48. 24 Im Jahre 1545 wurde mit dem Niederländer Peter Stratagaeus (genannt Capitanaeus; 1512–1557) der erste promovierte Mediziner vom Rostocker Rat berufen. Vor ihm las für kurze Zeit der 1542
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auswärtiger Magister an der Artistenfakultät rezipiert, 25 wohl wegen der zu geringen Zahl eigener Absolventen. Dies verweist darauf, dass zumindest ein gewisser Vorlesungsbetrieb in der Artistenfakultät aufrechterhalten werden konnte, vermutlich auf dem Niveau einer Lateinschule. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Berufung der beiden ehemaligen herzoglichen Prinzenerzieher im Jahre 1532: den Melanchthon-Schüler Arnold Burenius (1485–1566) 26 und den später zum Rostocker Domherrn aufgerückten Konrad Pegel (1487–1567). 27 Beide dürfen als die ersten entschiedenen Anhänger der Reformation im Rostocker Lehrkörper gelten. Das Universitätskonzil war bis zum Jahre 1538 ausschließlich mit Altgläubigen besetzt. 28 Dann wurde mit Konrad Pegel der erste Protestant in das Konzil aufgenommen, der übrigens noch in jenem Sommersemester 1538 das Rektorat bekleidete. Maßgeblicher altgläubiger Widerstand kam weiterhin aus dem Kreis des gemäß Statuten eigentlich aus 16 stimmberechtigten Mitgliedern bestehenden Universitätskonzils. 29 Dies setzte sich allerdings im Wintersemester 1539/40 nur noch aus vier Personen zusammen: 30 den Juristen Petrus Boye (um 1478–1542) 31 und Lambert Takel († nach 1544) sowie den Artisten Andreas Eggerdes (um 1500–1550) und Konrad Pegel, die allesamt am Kollegiatstift St. Jakobi 32 bepfründet waren. Gegen die Reformation agierten bis zum Beginn der 1540er Jahre vor allem die beiden Rechtsprofessoren Boye und Takel, während der Logiker Eggerdes in den Folgejahren notgedrungen eine vermittelnde Position einnahm 33 und der Rhetoriker Pegel offen die evangelische Sache vorantrieb. Zwischen dem Sommersemester 1530 und dem Wintersemester 1535/36 übte der Kanonist Nikolaus Löwe (†1536) ununterbrochen das halbjährliche Rektorat aus. Danach wechselte —————
aus Köln stammende Magister Gisbert Longolius (von Langerack; 1507–1543) über Medizin, vgl. zuletzt Kinzelbach, Longolius, 7–20. 25 Im Dekanatsbuch der Philosophischen Fakultät sind zwischen 1520 und 1540 elf auswärtige Magister nachgewiesen, die ihre akademischen Grade ganz überwiegend an altgläubigen Universitäten erworben hatten (Köln, Löwen, Wien, Paris, Oxford, Kopenhagen, Frankfurt an der Oder). Nur zwei der rezipierten Magister wurden in Wittenberg promoviert: im Wintersemester 1536/37 der aus Lingen im Emsland stammende Mathematiker Heinrich Welpius (Wulf; †1560) und im Wintersemester 1539/40 Heinrich Levetzow aus Rostock, der vermutlich ein Sohn des gleichnamigen Reichskammergerichtsassessors war. Erst ab der Mitte der 1540er Jahre nahm die Zahl der aus Wittenberg rezipierten Magister signifikant zu. 26 Zu Burenius vgl. zuletzt Asche, Burenius, 29–35. 27 Zu Pegel vgl. noch immer die maßgebliche biographische Skizze von Hofmeister, Pegel, 55–62, zuletzt noch knapp Straßburg, Pegel, 10f. 28 Vgl. Pluns, Universität, 202. 29 Zu den Funktionen des Konzils vgl. zuletzt Michael, Universitätskonzil, 61ff. 30 Pluns, Universität, 288ff. 31 Zu Boye, vgl. zuletzt Röpcke, Allerlei, 99–118. 32 Zum Kollegiatstift St. Jakobi vgl. jetzt Wagner, Kollegiatstift, 899–922. 33 Die Anhänglichkeit von Andreas Eggerdes zur alten Kirche betont Pluns, Universität, 288f.
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bis zum Sommersemester 1540 das Dekanat öfter unter den wenigen verbliebenen Konzilsmitgliedern Peter Boye, Egbert Harlem (eigentlich Egbert Johannis aus Haarlem; †1536), Konrad Pegel und Andreas Eggerdes. Die Reformation muss als fundamentalste Krise des deutschen, mithin des mittel- und nordeuropäischen Universitätswesens vor der Zeit der Massenschließungen im Kontext der Säkularisationen und der damit verbundenen territorialen Neuformationen in den Jahrzehnten um 1800 34 begriffen werden. 35 Diese generelle Krise bestand – nicht nur in Rostock – im Wesentlichen aus einer Summe von mehreren Einzelphänomenen: 1. einer ‚Frequenzkrise‘, also einer stark rückläufigen Besucherfrequenz, aufs Engste verbunden mit 2. einer ‚Finanzkrise‘ durch die beständig schrumpfende finanzielle Dotierung der Lehrkräfte, 36 und 3. einer ‚personellen Krise‘ durch die Abwanderung von (teilweise verheirateten) Lehrkräften sowie schließlich 4. einer ‚grundsätzlichen Legitimationskrise‘ des Universitätswesens bezüglich der theologisch-dogmatischen Zuverlässigkeit dieser Institution. 37 Für Rostock kam zusätzlich zu den vier genannten Punkten noch das Spannungsverhältnis zwischen den Herzögen und dem Rat der Stadt hinzu. Eine ähnliche Situation gab es übrigens auch an der Universität Trier, wo ebenfalls der Kurfürst und der früh zum evangelischen Glauben übergegangene Stadtrat um den Einfluss auf die Universität rangen. 38 Der Studentenbesuch in —————
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Zum ‚Massensterben‘ deutscher Universitäten vgl. zuletzt Asche, Universitätssterben, 25–48. Die Zäsurhaftigkeit der Reformation für die Universitätsgeschichte ist auch fächerübergreifend Konsens der Forschung, vgl. etwa aus der Perspektive der Historischen Bildungsforschung Roth, Zäsur, 707–724. 36 Vgl. Pluns, Universität, 163ff., vgl. auch Jügelt, Güttern, 205–214. 37 Zu einer offiziellen Verwerfung der neuen Lehre durch die Universitäten, wie in Löwen (1520) und Paris (1521), kam es nur an wenigen deutschen Hochschulen, etwa in Köln. Vielmehr wurden in aller Regel die weiteren reformationsgeschichtlichen Ereignisse abgewartet. Die Universität Rostock bekundete noch im Wintersemester 1523/24 – nach der Aufforderung Papst Hadrians VI. an den Schweriner Bischof, gegen die Häresien vorzugehen, vgl. Schnitzler, Leben, 100 – ihre Anhänglichkeit an die katholische Lehre durch die Wahl des Schweriner Weihbischofs Dietrich Huls, dem Administrator für den minderjährigen Schweriner Bischof Magnus von Mecklenburg, zum Rektor, vgl. Traeger, Huls, 214–217. 38 Wie im Falle Rostocks besaß auch der Trierer Stadtrat Rechte an der Universität, vgl. Matheus, Verhältnis, 60–139. Der Trierer Erzbischof hatte bei der Eröffnung der Universität seine Patronatsrechte förmlich an die Stadt Trier übertragen und nahm seither im Wesentlichen nur noch das ihm zustehende Kanzleramt wahr. 35
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Rostock war am Beginn der 1520er Jahre stark eingebrochen (vgl. Abb. 1). Dies hielt bis zum Ende der 1530er Jahre an. Erst in den 1540er Jahren stabilisierte sich die Besucherfrequenz wieder, wenngleich auf weit niedrigerem Niveau als vor der Reformation. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts stiegen dann die Immatrikulationszahlen wieder kontinuierlich an und erreichten an der Wende zum 17. Jahrhundert – als Rostock zu einem bedeutenden Zentrum späthumanistischer Gelehrsamkeit wurde – wieder das vorreformatorische Niveau. 39 In den Krisenjahrzehnten nach der Reformation änderte sich die regionale Zusammensetzung der Rostocker Studenten (vgl. Tab. 1) insofern, als dass in den späteren 1520er und in den 1530er Jahren traditionelle regionale Besuchergruppen der Universität Rostock zeitweise (vor allem Studenten aus den skandinavischen Ländern und aus den Territorien und Städten in Niedersachsen und Westfalen) oder auf Dauer (niederländische Studenten) den Rücken kehrten. Weitgehend stabil blieb hingegen der Studentenbesuch aus Mecklenburg sowie aus den wendischen und baltischen Hansestädten. Die Universität an der Warnow war seit ihrer Gründung vom studentischen Zuzug aus den Hansestädten geprägt, vor allem aus den wendischen und pommerschen, aber auch aus den niedersächsischen, westfälischen und den livländischen. 40 Die Rostocker Universität war regional und sozial im „hansischen Wirtschafts-, Verkehrs- und Kommunikationsraum“ 41 und in den dortigen bürgerlichen Eliten verankert. Diese starke Einbindung in die hansischen Kontexte war übrigens bis weit ins 17. Jahrhundert durchweg und signifikant stärker als dies für die benachbarte, nur wenige Jahrzehnte später gegründete pommersche Hochschule in Greifswald gilt, die stets im Schatten der bedeutenderen mecklenburgischen Schwester stand. 42 Greifswald vermochte mithin vor der Reformation noch nicht einmal dem Status als pommersche Landesuniversität voll gerecht zu werden. Dies lag daran, dass zum regionalen Einzugsbereich Rostocks nicht ausschließlich das Herzogtum Mecklenburg gehörte, sondern auch das Diözesangebiet des Schweriner Bischofs. Bereits bei der Gründung der Universität Rostock im Jahre 1419 wurde vom Schweriner Bischof Heinrich von Wangelin in seiner Funktion ————— 39
Zur allgemeinen Frequenzentwicklung der Universität Rostock vgl. Asche, Bürgeruniversität, 151ff. 40 Zum hansischen Charakter der Universität Rostock vgl. zuletzt noch profiliert bei Münch, Hanse, 47ff.; vgl. auch Schnitzler, Universitätsgeschichte, 354–387; Olechnowitz, Universität Rostock, 239–249; und Wernicke, Rostocker, 17–33. 41 Begriff nach Asche, Bürgeruniversität, 6 u.ö.; zum weiteren Kontext vgl. Henn, Innerhansische, 255–268. 42 Zum Gesamtzusammenhang vgl. Asche, Konkurrenz, 7–22; zum Einzugsbereich der Universität Greifswald vor der Reformation vgl. Link, Landesuniversität.
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als Universitätskanzler 43 Petrus Stenbeke als erster Rektor 44 eingesetzt. Rostock ist vor der Reformation somit nicht nur eine maßgeblich vom hansestädtischen Bürgertum getragene mecklenburgische Landesuniversität, sondern eben auch eine typische ‚Diözesanuniversität‘ gewesen, 45 also eine Universität für die Schweriner Diözese, deren Grenzen bis unmittelbar vor die Tore der Stadt Greifswald reichten und somit auch die wichtigen vorderpommerschen Hanse- und Hafenstädte Stralsund, Barth, Grimmen und Tribsees umfassten. Diese gehörten zum sogenannten ‚Tribseeser Archidiakonat‘ des Schweriner Bischofs, dessen Zuständigkeit auch das Festlandgebiet des ehemaligen Fürstentums Rügen betraf. 46 Erst seit 1536 wurden in einem Visitationsrezess die Ansprüche des Schweriner Bischofs auf das Festlandgebiet des Fürstentums Rügen abgewehrt, während die Insel selbst zur Diözese Roskilde gehörte. Diese Diözesaneinteilung hatte allerdings insofern noch eine Bedeutung für die Reformationsgeschichte, zumal als sich in Stralsund die evangelische Bewegung artikulierte und der Stadtrat bei der Übernahme des Kirchenregiments im Sinne einer typischen ‚Stadtreformation‘ 47 argumentierte, er verstünde sich als Rechtsnachfolger der Schweriner Bischöfe und eben nicht als Untertan des pommerschen Herzogs. 48 Folglich wurde Johannes Bugenhagen im April 1535 die Kirchenvisitation in der Stadt verweigert. Bezeichnenderweise führte auch der erste Stralsunder Stadtsuperintendent Johannes Knipstro – der spätere erste pommersche Generalsuperintendent – anfangs noch ganz bewusst den Titel eines ‚Archidiakons von Tribsees'. Mit diesem kleinen Exkurs sollte deutlich gemacht werden, wie sich der starke Besuch der Stralsunder und Barther Bürgersöhne an der Universität Rostock erklären lässt. Der Besuch pommerscher Studenten in Rostock ging erst mit der Wiedereröffnung der zwischen 1525 und 1539 geschlossenen Universität Greifswald zurück. 49 Demgegenüber scheint die noch bis in die 1540er Jahre hinein finanziell unzureichend fundierte Universität Frankfurt
—————
43 Der Schweriner Bischof hatte als Universitätskanzler neben den mecklenburgischen Herzögen und dem Rostocker Rat einen eigenen Anteil am Gründungsvorgang der Universität, vgl. zu den Akteuren bei der Rostocker Universitätsgründung Pluns, Universität, 31ff. 44 Vgl. Schmidt, Stenbeke, 73. 45 Begriff nach Asche, Funktionen, 66. 46 Zur kirchlichen Gliederung Pommerns vgl. Billwitz/Buchholz, Historischer, 34–37, Karte 7 und Gatz, Atlas, 130, dazu Brodkorb, Bistum, 670–675, auch von Brünneck, Verbindung, und Grotefend, Grenze, 219–266. 47 Nach der klassischen Studie von Moeller, Reichsstadt, deren Ergebnisse auch auf die weitgehend autonomen (Hanse-)Städte übertragen wurden. 48 Vgl. Heyden, Kirchen Stralsunds, 31ff., vgl. auch Berwinkel, Macht, 45ff. 49 Vgl. Alvermann, Neubeginn, 29ff.
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an der Oder nicht in der Lage gewesen zu sein, als brandenburgische Landesuniversität maßgeblich die Landeskinder an sich zu binden. 50 Namentlich aus den – weit von der Frankfurter Viadrina entfernt liegenden – prignitzischen und altmärkischen Städten wie Wittstock, Pritzwalk, Havelberg, Kyritz, Perleberg, Salzwedel, Stendal und Tangermünde entschieden sich offenbar zahlreiche Studierwillige für ein Studium im benachbarten Rostock. Die diesem Befund zugrundeliegenden Ursachen wären freilich noch weiter zu prüfen, wobei zu betonen ist, dass es sich bei diesen Städten teilweise ebenfalls um ehemalige Hansestädte handelt. Für Studenten aus den norddeutschen Territorien an Ost- und Nordsee war die Universität Rostock seit ihrer Gründung der zentrale geistige Bezugspunkt und der Ersatz für eine fehlende Universität in der Heimat, mithin eine „Quasi-Landesuniversität“, 51 vor allem für Studenten aus den Herzogtümern Schleswig, Holstein und Sachsen-Lauenburg, ähnlich auch für diejenigen aus den welfischen Herzogtümern und aus den Grafschaften Oldenburg und Ostfriesland sowie aus vielen westfälischen Städten, 52 aber vor allem für die großen Hansestädte Lübeck, Hamburg und Bremen und für die livländischen Städte Riga, Reval und Dorpat. Dies sollte sich erst mit der Verdichtung des Netzes von Universitäten (Königsberg, Helmstedt, Dorpat, Kiel) sowie von nicht privilegierten Hohen Schulen und Akademischen Gymnasien in Norddeutschland und entlang der südlichen Ostseeküste ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sukzessiv verändern. 53 Wichtig waren auch die von Beginn an traditionell engen Beziehungen der Universität Rostock zu den Niederlanden, die sich vor der Reformation durch einen regen Studentenbesuch ausdrückten. Dahinter standen nicht nur enge Handelsbeziehungen, sondern auch personelle Beziehungen zwischen der Universität Rostock und den Dominikanern, vor allem aber zu den Brüdern vom gemeinsamen Leben in den Niederlanden und dem angrenzenden westlichen Westfalen. 54 Nach der Reformation brachen diese Kontakte weitgehend ein, was freilich auch mit den bekenntnismäßigen Sonderentwicklungen und den bald danach ausbrechenden Kriegsereignissen in den Niederlanden zu tun hatte. Dänen, Norweger und Isländer gehörten wie Schweden und Finnen seit dem 15. Jahrhundert ebenfalls zur traditionellen Rostocker Besucherklientel. —————
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Zur schleppenden Reform der Universität Frankfurt an der Oder nach der Krise der 1520er und 1530er Jahre vgl. Höhle, Reformation, 440ff. 51 Begriff nach Asche, Bürgeruniversität, 250 u.ö. 52 Zum geographischen Einzugsbereich der Universität Rostock vgl. grundlegend ebd., 249ff. 53 Zur Bedeutung von Neugründungen von Universitäten für den regionalen Einzugsbereich von Rostock vgl. ebd., 191ff. 54 Zu den Rostocker Brüdern vom gemeinsamen Leben (Fraterherren) vgl. die Hinweise bei Hinz, Brüder.
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An der Universität gab es seit jeher einschlägige personelle Netzwerke in den nordeuropäischen Raum hinein. 55 Die in den späten 1470er Jahren gegründeten Universitäten Kopenhagen und Uppsala hatten in den frühen Reformationsjahrzehnten mit ebensolchen Problemen zu kämpfen wie die mitteleuropäischen, nur mit dem Unterschied, dass beide Institutionen lange Zeit keine große Wertschätzung seitens der Krone erfahren hatten – Uppsala noch weniger und noch länger als Kopenhagen. Bis weit in das 16. Jahrhundert betrieb etwa die schwedische Krone lieber einen Bildungstransfer, stiftete mithin lieber Reisestipendien für die Landeskinder zugunsten der protestantischen Universitäten auf dem Kontinent, als sich um den Wiederaufbau der eigenen Landesuniversität zu kümmern – was freilich die Peregrinatio academica und die adligen Kavalierstouren schwedischer und finnischer Studenten auf den Kontinent im Laufe des 16. Jahrhunderts nur umso mehr förderte. 56 Angesichts des hier nur knapp skizzierten, maßgeblich vom (hansischen) Bürgertum dominierten Besucherprofils sollte deutlich geworden sein, dass Rostock seit jeher eben gerade keine Adelsuniversität war – in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts lag der durchschnittliche Adelsanteil bei etwa ein bis zwei Prozent. 57 Auch gab es in Rostock, anders als an typischen Adelsuniversitäten wie Ingolstadt, keine ausgeprägte Praxis des adligen Ehrenrektorates. 58 Abgesehen von Graf Wolfgang von Eberstein-Naugard (1483–nach 1527) – dem zeitweiligen Koadjutor des Camminer Bischofs – im Sommersemester 1509, ist bis zur ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts lediglich ein Adliger, Herzog Erich von Mecklenburg († 1508), der jüngere Bruder der Reformationsherzöge Heinrich V. und Albrecht VII., als Rektor nachweisbar (Sommersemester 1499, Wintersemester 1499/1500, Sommersemester 1502). Abschließend sollen noch kurz die Etappen des Wiederaufbaus, mithin die wichtigsten Aspekte des in den 1530er und 1540er Jahren virulenten Konfliktes zwischen den Herzögen und dem Rostocker Rat aufgezeigt und nachgezeichnet werden. 59 Dabei wird insofern eine von der bisherigen Forschung etwas variierende Interpretation der Ereignisse versucht, als neben dem Rostocker Rat und dem seit 1532 öffentlich als Bekenner des neuen Glaubens —————
55 Hier ist insbesondere auf die vom letzten Trondheimer Erzbischof Olav Engelbrektsson gestiftete St. Olafs-Burse (Bursa Olavi, auch Collegium Norvegianorum oder Trondhjemshus) für norwegische Studenten hinzuweisen, vgl. Czaika, David Chytræus, 387f. 56 Vgl. Giese, Studenten, 201. 57 Vgl. Asche, Bürgeruniversität, 387ff; vgl. für die ältere Zeit Fischer, Adel, 50–60. 58 Zur Praxis adliger Ehrenrektorate vgl. Müller, Universität, 133ff. 59 Im Wesentlichen fußt das Folgende auf der ausführlichen Darstellung der Reorganisationsmaßnahmen bei Pluns, Universität, 194ff.
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auftretenden Herzog Heinrich V. 60 auch dessen im humanistischen Geist erzogener Sohn Magnus (1509–1550) 61 als ein Akteur der Universitätsreform betont wird. Diese Deutung legt zumindest der überlieferte Briefwechsel Melanchthons nahe. 62 Herzog Magnus, der älteste Sohn Heinrichs V., wurde schon früh auf ein geistliches Amt vorbereitet. Bereits im Jahre 1516 wurde der erst siebenjährige Magnus zum Schweriner Bischof postuliert. Zwar sollten nach dem Willen des Papstes Leo X. die Schweriner Franziskaner den jungen Magnus erziehen. Tatsächlich bestellte sein Vater aber zuerst den Rostocker Magister Konrad Pegel (1514), dann den Melanchthon-Schüler Arnold Burenius (ab 1524) als Prinzenerzieher. Mit der Berufung dieser beiden Personen wurden die Weichen für die zunächst noch bibelhumanistischkirchenreformerische und schließlich offen evangelische Position des jungen Postulatus gestellt, der im Jahre 1532 Administrator des Hochstifts Schwerin wurde – zu einer förmlichen Bischofsweihe kam es nicht mehr –, zeitgleich mit der Berufung von Pegel und Burenius an die Universität Rostock. Philipp Melanchthon hatte den Prinzen Magnus wohl schon 1526 in Torgau kennengelernt, als Herzog Heinrich V. dem Torgauer Bund beigetreten war. 63 Seither ist ein Briefwechsel überliefert, worin er den jungen Prinzen mehrfach ermahnte, nicht nur seine gelehrten Studien fortzusetzen, sondern auch die niederliegenden Wissenschaften zu fördern. 64 Der Wittenberger sah ganz offenbar dessen Potential sowohl für die energische Durchsetzung der Reformation im Hochstift Schwerin, 65 als auch für eine Wiederherstellung der Rostocker Universität, 1532 pries er den Administrator ausdrücklich als Förderer der Wissenschaften. Kontakt mit dem Prinzen hielt Melanchthon über den mit dem Wittenberger fast gleichaltrigen, mit der ungünstigen Situation in Rostock sehr unzufriedenen 66 Arnold Burenius, der nach 1532 zur wichtigsten Kontaktperson nach Wittenberg wurde. Er war nachweislich für eine Reihe von herzoglichen Professorenberufungen verantwortlich, etwa für diejenige der beiden ersten evangelischen Theologen Heinrich Smedenstede —————
60 Zur Reformation in Mecklenburg vgl. zuletzt die Studien von Wolgast, Reformation; ders., Herzogtum, 145–171 und ders., Weg, 39–59, zudem dessen Beitrag in diesem Sammelband. 61 Zur Biographie von Herzog Magnus vgl. ders., Magnus III., 162–165. 62 Der Briefwechsel Melanchthons liegt mittlerweile in Regestenform auch online vor, vgl. Melanchthons Briefwechsel – Regesten Online, verfügbar unter: https://www.haw.uni-heidelberg.de/forschung/forschungsstellen/melanchthon/mbw-online.de.html (zuletzt geprüft am 25.08.2018). Zur Bedeutung Melanchthons für die Reform der Universität Rostock, vgl. zusammenfassend Rhein, Ostseeküste, 95–102. 63 Vgl. Melanchthon Briefwechsel (wie Anm. 62), Regest-Nr. 554 (ca. 04.06.1527). 64 Vgl. ebd., Regest-Nr. 705 (25.08.1528), 750 (Januar/Februar 1529), 869 (Februar 1530). 65 Zur Reformation im Hochstift Schwerin, vgl. zuletzt Wolgast, Hochstift, 227ff und ders., Reformation, 31ff. 66 Vgl. Melanchthon Briefwechsel (wie Anm. 62), Regest-Nr. 2877 (12.01.1542).
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1542 und Johannes Aurifaber (Goldschmidt; 1517–1568) acht Jahre später. 67 Melanchthon begrüßte zwar die Bereitschaft der wendischen Hansestädte Lübeck, Hamburg und Lüneburg, sich auf Bitten des Rostocker Rates nach dem Hansetag von 1540 an der Finanzierung von Professoren zu beteiligen.68 Aber der Praeceptor Germaniae missbilligte die Bemühungen des Rates, Lehrkräfte von der Universität Köln nach Rostock einzuladen, denn Köln sei kein Ort für Vertreter der humanistischen Wissenschaften, wie er 1543 seinem Humanisten-Freund Joachim Camerarius nach Leipzig schrieb. 69 Zum Hintergrund ist anzumerken, dass der Rostocker Rat erst in den frühen 1540er Jahren – also fast ein Jahrzehnt später als der Herzog – eigene Strategien zum Aufbau der Universität entwickelt hatte: Zum einen bemühte sich der Rat auf den Hansetagen um die finanzielle Beteiligung der Hansestädte, da er zurecht davon ausging, dass dort ein Interesse für die traditionelle Ausbildungsstätte der sozialen Eliten vorhanden sein musste. Zum anderen konnte der Rostocker Rat erfolgreich zumindest kirchenreformerisch gesinnte Lehrkräfte von der altgläubigen Universität Köln berufen. 70 Diese drei Humanisten – die Philosophen Johannes Noviomagus (von Bronchhorst; 1494–1570) und Gisbert Longolius (van Langerack; 1507–1543) sowie der Jurist Johannes Strubbe († 1558) – wurden im Wintersemester 1542/43 in das bis dato mehrheitlich altgläubige Konzil aufgenommen, das zu diesem Zeitpunkt nur noch aus drei Personen bestand: dem Juristen Lambert Takel sowie den Artisten Andreas Eggerdes und Konrad Pegel. 71 Unter diesen dreien war Pegel nicht nur der einzige offene Anhänger des neuen Glaubens, sondern auch der einzige Vertrauensmann des Herzogs im Konzil. Dies war symptomatisch für die Verhältnisse in Rostock, zumal das maßgeblich vom Rostocker Rat bestimmte Konzil sämtlichen herzoglich berufenen Professoren den Zutritt zum Konzil verweigerte und damit den dominanten Einfluss des Rates auf die Universität weiter zementierte. So versuchten etwa die drei vom Rostocker Rat aus Köln berufenen Professoren Arnold Burenius und seinem Schwiegersohn Heinrich Welpius (Wulf; † 1560) die Erlaubnis zu privaten Vorlesungen in der Regentie Adlersburg zu entziehen. 72 ————— 67
Vgl. Melanchthon Briefwechsel (wie Anm. 62), Regest-Nr. 2967 (18.05.1542) und 5548 (28.05.1549), vgl. auch 5754 (17.03.1550) und 5802 (17.05.1550). Dagegen scheiterten die Versuche der Berufung von Erhard Schnepf aus Jena (1549) und Friedrich Staphylus aus Königsberg (1550), vgl. ebd., Regest-Nr. 5442 (09.02.1549), 5518 (04.05.1549), 5754 (17.03.1550). 68 Vgl. ebd., Regest-Nr. 2434 (19.05.1540), vgl. dazu Pluns, Universität, 309ff. 69 Vgl. Melanchthon Briefwechsel (wie Anm. 62), Regest-Nr. 3249 (23.05.1543). 70 Vgl. Pluns, Universität, 327ff. 71 Vgl. ebd., 340. 72 Burenius war als akademischer Lehrer wohl sehr geschätzt, vgl. die Hinweise in der Autobiographie des späteren Stralsunder Bürgermeisters Bartholomaeus Sastrow, der ausführlich über seine Studienzeit bei diesem in der Adlersburg berichtete, vgl. Trauner, Identität, 53ff.
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Der skizzierte Konflikt zwischen Herzog und Rat verschärfte sich zusätzlich dadurch, dass, während der Herzog – wie beschrieben – unter Vermittlung Burenius’ und auf Empfehlung Melanchthons konsequent Lehrkräfte aus Wittenberg berief, die Personalpolitik des Rostocker Rates und damit praktisch alle rätlichen Aufbauversuche scheiterten (vgl. Tabelle 2): Bewusst hatte sich der in reformatorischer Hinsicht gemäßigt und abwartend auftretende Rostocker Rat dazu entschlossen, keine Lehrkräfte mit Wittenberger Bildungshintergrund zu berufen, sondern er bemühte sich um – offenbar reformkatholisch gesinnte, allenfalls mit dem neuen Glauben sympathisierende – Professoren aus den Niederlanden. Denn, anders als die herzoglichen Professoren, blieben nicht nur die 1542 aus Köln, bezeichnenderweise unter Vermittlung von Andreas Eggerdes, der selbst dort studiert hatte, berufenen Lehrkräfte, sondern fast alle rätlichen Professoren nur für kurze Zeit in Rostock. Zudem hatten sich auch die Beziehungen des in reformatorischer Hinsicht lavierenden Rates zu den Hansestädten Hamburg und Lübeck insbesondere vor dem Hintergrund des Schmalkaldischen Krieges und des Augsburger Interims 73 dermaßen verschlechtert, dass, vermutlich auf Betreiben des Lübecker Superintendenten Hermann Bonnus, die drei Hansestädte schließlich ihre Zahlungen an die Universität einstellten. 74 Als Dauerprobleme für die Universität erwiesen sich die Weigerung des Konzils, die herzoglichen Professoren zu kooptieren sowie die nach wie vor ungeklärte finanzielle Situation bei der Professorenbesoldung. Das Tauziehen zwischen den Nachfolgern der 1547 beziehungsweise 1552 verstorbenen Herzöge Albrecht VII. und Heinrich V. – Johann Albrecht I. und Ulrich I. – und dem Rostocker Rat zog sich noch mehrere Jahre hin, bis die Frage der Finanzierung geklärt werden konnte. Die beiden jungen Herzöge verpflichteten sich schließlich im Dotationsbrief von 1557, 75 jährlich 3.500 fl. aus Domanialämtern zur Besoldung der Professoren bereitzustellen. Im Gegenzug forderten sie vom Rostocker Rat, dass die herzoglichen Professoren in das Konzil aufgenommen und vom Rat jährlich 600 fl. zur Dotation von Professuren bereitgestellt werden sollten, was dieser jedoch verweigerte. 76 Daneben suchte Herzog Johann Albrecht I. bei Kaiser Ferdinand I. um die Erneuerung der Universitätsprivilegien nach, zumal die päpstliche Stiftungsbulle von 1419 als nicht mehr ausreichend empfunden wurde.
—————
73 74 75 76
Vgl. Hauschild, Widerstand, 253–264. Vgl. Pluns, Universität, 385ff. Der Dotationsbrief ist ediert bei Aepinus, Urkündliche, Beilage 49. Vgl. Pluns, Universität, 435ff.
236
Matthias Asche
Mit der Confirmatio von 1560 wurde Rostock nochmals ausdrücklich rechtlich mit anderen Universitäten im Reich gleichgestellt, allerdings auch den Herzögen das alleinige Berufungsrecht zugesichert. 77 Die Lösung der Dotations- und damit auch der Patronatsprobleme erbrachte erst die Formula Concordiae von 1563, nachdem der herzogliche Druck auf den Rat – teilweise von Zwangsmaßnahmen gegen die Ratsherren begleitet – erhöht worden war und es schließlich in den Jahren 1562/63 zu ernsthaften Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien kam. Die Formula Concordiae von 1563 schrieb, wie bereits eingangs erwähnt, zwei getrennte Professorencorpora auch für das Konzil fest. Zum nunmehr auf dieser rechtlichen Grundlage erzielten, geradezu rasanten Aufstieg der Universität zu einem der bedeutendsten Zentren späthumanistischer Gelehrsamkeit im Heiligen Römischen Reich trugen insbesondere die nach 1550 berufenen einflussreichen Wittenberger Melanchthon-Schüler bei (vgl. Tabelle 2), allen voran der Theologe David Chytraeus, der maßgeblich die neuen Universitätsstatuten entwarf, die auch für die 1576 gegründete welfische Samtuniversität in Helmstedt zum Vorbild werden sollten. 78
————— 77
Die Confirmatio academiae Rostochiensis ist ediert bei Aepinus, Urkündliche, Beilage 50. Die Confirmatio Kaiser Ferdinands I. war die erste Privilegienbestätigung für eine alte, nunmehr protestantisch gewordene Universität. Sie gehört in denselben Kontext wie die Privilegienerteilung an die Universität Jena drei Jahre zuvor, war mithin Ausdruck des kaiserlichen Entgegenkommens gegenüber protestantischen Reichsständen, vgl. Walther, Privileg, 117–136. Die beiden kaiserlichen Privilegienerteilungen für Jena und Rostock sind im Übrigen bezeichnenderweise nahezu wortgleich, vgl. Meyhöfer, Stiftungsprivilegien, 393. 78 Zur überragenden Rolle von David Chytraeus als Universitätsorganisator vgl. zuletzt Bollbuck, David Chytraeus, 314–342.
Zwischen Beharrung und Transformation
237
Abbildung 1: Immatrikulationen an der Universität Rostock zwischen 1520 und 1550 Die Immatrikulationszahlen sind für einzelne Jahre insofern unsicher, als im gesamten Zeitraum der 1520er bis 1540er Jahre die in den Originalmatrikeln aufgeführten Immatrikulationen vielfach ohne exakte Tages- oder Monatsangabe, sondern nur als undatierte Namensliste nach Rektoratssemestern verzeichnet sind. Die hier präsentierten jährlichen Immatrikulationszahlen weichen zwar zum Teil erheblich von den – offenbar nach einem anderen Prinzip ermittelten – Zahlen des Statistikers Franz Eulenburg ab, 79 können aber dennoch den generellen Trend des Frequenzverlaufs abbilden.
————— 79
Vgl. Eulenburg, Frequenz, 288.
238
Matthias Asche
Tabelle 1: Regionale Herkunft der Rostocker Studenten in den 1520er, 1530er und 1540er Jahren 80 Rostock Mecklenburg (ohne Rostock) 81 SchleswigHolstein 82 Niedersachsen 83 Brandenburg Pommern Westfalen übrige Reichsterritorien Niederlande 84 Skandinavien Preußen und die baltischen Lande übrige europäische Länder unbekannte Herkunft 85 Summe
1520–24 23 = 5% 69 = 14%
1525–29 2 = 4% 5 = 9%
1530–34 34 = 29% 19 = 16%
1535–39 33 = 17% 31 = 16%
1540–44 55 = 17% 30 = 9%
1545–49 39 = 8% 40 = 9%
75 = 15%
9 = 17%
20 = 17%
38 = 19%
59 = 18%
113 = 25%
51 = 10%
3 = 6%
5 = 4%
10 = 5%
35 = 11%
65 = 14%
44 = 9% 35 = 7% 23 = 5% 6 = 1%
3 = 6% 1 = 2% 2 = 4% 2 = 4%
2 = 2% 7 = 6% 2 = 2% 4 = 3%
16 = 8% 39 = 20% 9 = 5% 3 = 2%
15 = 5% 25 = 8% 11 = 3% 9 = 3%
33 = 7% 15 = 3% 18 = 4% 13 = 3%
70 = 14% 26 = 5% 14 = 3%
13 = 24% 8 = 15% 1 = 2%
7 = 6% 1 = 1% 6 = 5%
3 = 2% 4 = 2% 5 = 3%
22 = 7% 11 = 3% 26 = 8%
40 = 9% 38 = 8% 7 = 2%
0 = 0%
0 = 0%
0 = 0%
0 = 0%
3 = 1%
3 = 1%
51 = 10%
5 = 9%
9 = 8%
9 = 5%
30 = 9%
36 = 8%
487
54
116
200
331
460
Anzahl der Studenten > 50 Studenten 40–49 Studenten 30–39 Studenten 20–29 Studenten 10–19 Studenten
————— 80
Herkunftsorte (* Hansestädte): Rostock* (186); Lübeck* (103); Hamburg* (88) Wismar* (46); Stralsund* (41) Lüneburg* (33); Bremen* (31) Wittstock (26); Riga* (23); Husum (21) Braunschweig* (17); Barth, Parchim (je 16); Güstrow, Stade* (je 15); Groningen* (14); Hadersleben, Schwerin (je 13); Flensburg, Minden*, Reval* (je 12); Emden, Hildesheim*, Utrecht (je 11); Leeuwarden, Neubrandenburg, Zwolle* (je 10)
Grundlage der Auswertung bildet die Rostocker Matrikeledition von Hofmeister. Mit Hochstift Ratzeburg. 82 Mit Reichsstadt und Hochstift Lübeck, Hamburg und dem Herzogtum Sachsen-Lauenburg. 83 Mit Stadt und Erzstift Bremen, Hochstift Verden sowie den Grafschaften Oldenburg, Hoya und Diepholz. 84 Mit Friesland (niederländische Provinz Friesland, Grafschaft Ostfriesland). 85 Ohne Ortsangabe oder nicht eindeutig zuzuordnen. 81
239
Zwischen Beharrung und Transformation
Tabelle 2: Berufungen herzoglicher und rätlicher Professoren in chronologischer Reihenfolge (1525–1563) 86 Professoren mit Amts- und Lebensjahren (herzoglich [H] oder rätlich [R] berufener Professor) (H) 1526–1527 Janus Cornarius (1500–1558)
Fakultät (* Konzilsmitglied)
Herkunft
Studienorte
Medizin
Zwickau
(H) 1527–vor 1531 Stephan Schone (H) 1531–vor 1535 Johannes Hiso (H) 1532–1566 Arnold Burenius (Warwick) (1485–1566) (H) 1532–1567 Conrad Pegel (1487–1567) (R) 1532–1550 Andreas Eggerdes († 1550) (H) 1532–vor 1541 Jacob Philipp Oeseler (H) 1535–vor 1539 Johannes Pellemontanus
Medizin
?
Leipzig, Wittenberg, Italien ?
Medizin
?
?
Philosophie
Emsbüren (bei Lingen)
Wittenberg
Philosophie* (Rhetorik)
Wismar
Rostock, Wittenberg
Philosophie* (Logik)
Rostock
Rostock, Köln
Jurisprudenz
Tübingen
?
Medizin
?
(H) 1536–1560 Heinrich Welpius (Wulf) († 1560) (R) 1539–1575 Heinrich Arsenius (Pauli) († 1575) (H) 1539–1542 Thomas Zeger (um 1495–1542)
Philosophie (Mathematik)
Abtei Werden o. Velbert (bei Essen) Lingen
Philosophie
Arcen (bei Venlo)
Rostock
Medizin
Kleve
Basel
(R) 1539–1540 Christoph Hegendorf (um 1500–1540)
Jurisprudenz
Leipzig
Leipzig
————— 86
akademische Tätigkeit vorher
akademische Tätigkeit nachher
Medizinprofessor, Marburg
† in Rostock (Domherr St. Jacobi, Rostock) (Domherr St. Jacobi, Rostock)
Wittenberg
† in Rostock † in Rostock
† in Rostock (Fraterherr, Rostock)
† in Rostock Medizinprofessor, Kopenhagen
Diese Tabelle ist eine Ergänzung – und teilweise auch eine Korrektur – der Übersicht über die Entwicklung der Lehrstühle (seit 1563) bei Asche, Bürgeruniversität, 597ff.
240
Matthias Asche
(H) 1541–vor 1547 Jodocus Maen (Mann) (H) 1541–vor 1547 Lorenz Siebenecker (H) 1542–1543 Georg Curio (Kleinschmidt) (1498–1556) (R) 1542–1543 Gisbert Longolius (van Langerack) (1507–1543) (R) 1542–1546 Johannes Noviomagus (van Bronkhorst) (1494–1570) (R) 1542–1545 Johannes Strubbe († 1558) (R) 1542–vor 1546 Walter Elisracaeus (van Elsrach) (H) 1542–1548 Heinrich Smedenstedt († 1554) (H) 1544–1547 Joachim Mellis (R) 1545–1546 Peter Stratagaeus (gen. Capitanaeus) (1512–1557) (R) 1547–1548 Paul von Eitzen (1521–1598) (H) 1547–vor 1548 Sigismund Kroll (1502–1572) (R) 1546–1553 Adam Tratziger (1523–1584)
Jurisprudenz
?
?
Jurisprudenz
Diözese Eichstätt
?
Medizin
Schauenstein (bei Hof)
Leipzig, Padua
Professor, Wittenberg
Medizinprofessor, Greifswald
Philosophie* (liest Medizin)
Utrecht
Köln, Bologna, Ferrara
Professor, Köln
† auf einer Reise nach Köln
Philosophie* (Mathematik)
Nijmegen
Köln
Professor, Köln
Jurisprudenz*
Deventer
Köln
Professor, Köln
Jurisprudenz
Niederlande
Löwen
Theologie
Lüneburg
Wittenberg
Medizin
Nijmegen
Trier
Medizin*
Middelburg
Löwen, Paris, Valence
Philosophie (Dialektik)
Hamburg
Wittenberg
Medizin
Regensburg
?
Jurisprudenz*
Nürnberg
Leipzig
(R) 1546–1549 Albert Knoppert († 1570)
Jurisprudenz
Zwolle
Löwen
(H) 1547–1557 Johann Hoffmann
Jurisprudenz
Breslau
?
? Professor, Wittenberg
Theologieprofessor, Greifswald
Professor, Köln
Medizinprofessor, Kopenhagen
Professor, Frankfurt an der Oder
Rechtsprofessor, Kopenhagen Rechtsprofessor, Königsberg
241
Zwischen Beharrung und Transformation (R) 1548–vor 1550 Johannes Chrysius (Golt) († nach 1556) (H) 1550–1567 Bernhard Mensing (um 1520–1567) (H) 1550–1554 Johannes Aurifaber (Goldschmidt) (1517–1568) (R) 1550–1557 Jacob Bording sen. (1511–1560)
Medizin
Zwolle
Wittenberg
Medizinprofessor, Leipzig
Philosophie* (Logik)
Lübeck
Rostock, Wittenberg
Theologie
Breslau
Wittenberg
Medizin
Antwerpen
(H) 1550–1560 Gerhard Nennius (Artopoeus; Becker) († 1566) (R) 1550–1559 Matthaeus Röseler († 1569)
Philosophie (Mathematik)
Schleiden (Luxemburg)
Löwen, Paris, Montpellier, Bologna Wittenberg, Rostock
Medizin*
Luckau (Lausitz)
Wittenberg
(R) 1551–1560 Johannes Draconites (Drach, Trach) (1494–1566) (R) 1551–1553 Anton Freudemann († nach 1587) (H) 1551–1561 David Chytraeus (1531–1600)
Theologie*
Karlstadt (Franken)
Erfurt, Wittenberg
Jurisprudenz*
Halle
Wittenberg
Philosophie (Christliche Katechese)
Ingelfingen (Kraichgau)
Tübingen, Wittenberg
Professor, Wittenberg
(H) 1553–1577 Andreas Wesling (†1577) (R) 1553–1591 Johannes Posselius sen. (1528–1591) (R) 1552–1561 Andreas Martini (um 1520–1561) (R) 1555–1568 Heinrich Warenius († 1582)
Philosophie* (Hebräische Sprache) Philosophie* (Griechische Sprache)
Osnabrück
Köln, Wittenberg
Parchim
Rostock
Professor, Königsberg
Theologie*
Rostock
Rostock, Wittenberg
† in Rostock
Philosophie* (Moral)
Rostock
Rostock
Philosophieprofessor (Mathematik), Rostock
(Domherr St. Jacobi, Rostock) Professor, Wittenberg
† in Rostock Theologieprofessor, Königsberg Medizinprofessor, Kopenhagen
Professor, Marburg
Medizinprofessor, Rostock † in Rostock Rechtsprofessor, Rostock † in Rostock
Theologieprofessor, Rostock † in Rostock † in Rostock † in Rostock
242
Matthias Asche † in Rostock
(H) 1556–1557 Tilmann Heshusius (1527–1588) (H) 1556–1557 Georg Venetus (von Venediger) (um 1525–1574)
Theologie
Wesel
Wittenberg
Theologie
Königsberg, Wittenberg
(R) 1556–1559 Wilhelm Novesianus (von Neyß) († nach 1559) (H) [1557]–1559 Joachim Gripswold († 1559) (H) 1558–1566 Johannes Boukius († nach 1571) (H) 1558–1565 Johannes Tunnichaeus (Tönnich, Tunnecken) (um 1530–1565) (H) 1558–1565 Johannes Bocerus (Böker, Bödecker) (1516–1565)
Jurisprudenz
Venedien (bei Liebemühl, Herzogtum Preußen) Neuss (bei Köln)
Jurisprudenz
Lüneburg
Wittenberg
Jurisprudenz*
Hamburg
Rostock
Medizin
Herzogtum Preußen
?
† in Rostock
Philosophie* (Poesie und Geschichte)
Hausberge (bei Minden)
† in Rostock
(H) 1559–1580 Lorenz Kirchhof (1528–1580) (R) 1559–1565 Matthaeus Röseler († 1569) (H) 1559–1595 Bartholomaeus Klinge (1535–1610)
Jurisprudenz*
Rostock
Jurisprudenz*
Luckau (Lausitz)
Wittenberg, Leipzig, Frankfurt an der Oder Rostock, Leipzig, Köln Wittenberg
Philosophie* (Dialektik und Rhetorik)
Koblenz
Rostock
(R) 1559–1565 Joseph Wurtzler († 1565) (H) 1560–1591 Simon Pauli sen. (1534–1591) (H) 1560–1594 Lorenz Panklow (†1594)
Philosophie* (Physik und Metaphysik) Theologie*
Thüringen
Wittenberg
Schwerin
Rostock, Wittenberg
† in Rostock
Jurisprudenz
Rostock
?
† in Rostock
Professor, Königsberg
?
† in Rostock
† in Rostock Medizinprofessor, Rostock
† in Rostock Rechtsprofessor, Rostock † in Rostock † in Rostock
243
Zwischen Beharrung und Transformation (H) 1560–1566 Gerhard Nennius (Artopoeus Sledanus; Becker) († 1566)
Medizin*
Schleiden (Luxemburg)
Wittenberg, Rostock
(R) 1560–1568 Levin Battus (1545–1591)
Philosophie* (Mathematik)
Gent
Wittenberg, Rostock, Italien
(H) 1561–1600 David Chytraeus (1531–1600)
Theologie*
Ingelfingen (Kraichgau)
Tübingen, Rostock
(R) 1560–1562 Johannes Kittel (1519–1590)
Theologie*
Wittenberg
(R) 1561–1565 Eberhard Lothmann († 1565) (R) 1562–1608 Lucas Bacmeister sen. (1530–1608) (H) 1563–1591 Friedrich Hein (1533–1604)
Jurisprudenz*
Jüterbog (bei Magdeburg) Osnabrück
Theologie*
Lüneburg
Jurisprudenz*
Neubrandenburg
(H) 1563–1565 Johannes Caselius (1533–1613)
Philosophie* (Philosophie und Rhetorik)
Göttingen
(R) 1563–1565 Peter Sasse († 1565) (R) 1564–1565 Heinrich Strevius († 1565)
Philosophie* (Arithmetik)
Wismar
Theologie*
Zilly (bei Halberstadt)
Philosophieprofessor (Mathematik), Rostock
Philosophieprofessor (Christliche Katechese), Rostock
† in Rostock
Medizinprofessor, Rostock † in Rostock † in Rostock
Rostock, Wittenberg, Löwen Wittenberg
† in Rostock
Rostock, Frankfurt an der Oder, Wittenberg, Pisa Wittenberg, Leipzig
† in Rostock
Rostock
† in Rostock
† in Rostock
Philosophieprofessor (Rhetorik), Helmstedt
244
Matthias Asche
Quellen AEPINUS, ANGELIUS JOHANN DANIEL, Urkündliche Bestättigung der Herzoglich-Mecklenburgischen hohen Gerechtsamen über Dero Academie und Rath zu Rostock, besonders in Absicht der vieljährigen, zwischen beyden vorwaltenden Streitigkeiten. Mit Einhundert und acht und dreissig Beylagen, o.O. 1754. ALLEN, PERCY S./ALLEN, HELEN M./GARROD, HEATHCOTE W. (Hg.), Opus episcolarium Des. Erasmi Roterodami, Bd. 7, Oxford 1928 [ND Oxford 1992]. BLANCK, JOHANN FRIEDRICH, Sammlung der Rostockschen Gesetzgebung aus den Jahren 1783 bis 1844 incl. nebst den älteren Erbverträgen und einigen andern Erlässen, Rostock 1846. HOFMEISTER, ADOLPH (Hg.), Die Matrikel der Universität Rostock, Bd. 2, Rostock 1891 [ND Nendeln 1976]. LISCH, GEORG CHRISTIAN FRIEDRICH (Hg.), Das Concilium der Universität Rostock berichtet an den Canzler Caspar von Schöneich über die Ursachen des Verfalles der Universität. D. d. 1530. April 24, in: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde 16, 1851, 193–195. MICHAEL, SUSI-HILDE, Recht und Verfassung der Universität Rostock im Spiegel wesentlicher Rechtsquellen (1419–1563), Bd. 1, Rostock 2013. ‒ Recht und Verfassung der Universität Rostock im Spiegel wesentlicher Rechtsquellen (1419–1563), Bd. 2, Rostock 2013. WAGNER, WOLFGANG ERIC (Hg.), Observantia lectionum in universitate Rostochiensi (1520). Das älteste gedruckte Vorlesungsprogramm der Universität Rostock, Hamburg 2011.
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Zwischen Beharrung und Transformation
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Matthias Asche
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Morten Fink-Jensen
Collaboration and Competition: The Universities of Copenhagen and Rostock c.1500‒1650
The importance of Rostock University in the shaping of learned culture, educational ideals and theology in the Nordic countries both before and after the Reformation has received increasing acknowledgement in recent years. 1 In the kingdom of Denmark-Norway, the influence of Rostock University meant that it almost played the part of a second university to Copenhagen. The process of transfer of learned culture was not, however, a oneway traffic. Rostock University was in turn influenced by the Nordic world and its institutions and in the period between around 1500 and 1650 perhaps by none more than the University of Copenhagen. In the following, this intricate relationship between the two universities will be traced by taking a closer look at student travels between the two universities; the circulation and exchange of knowledge and ideas as part of a wider trade network, including the book trade; the career opportunities for academics, from students to established professors; educational strategies for sons of the nobility; matters of royal patronage and prestige; and university relations as a part of wider political and ecclesiastical struggles in the region. Taken together, these examples highlight the transnational nature of the early modern world of learning, while at the same exposing how the relationship between two leading universities in Northern Europe was one both of collaboration and of competition.
The early years (1419‒1536) From the very beginning, the question of whether to compete or collaborate took centre stage in the relationship between Rostock and Copenhagen. Rostock University had been founded in 1419 in a successful bid to establish the first university in Northern Europe whose influence might be extended into the Baltic and Scandinavian countries. Rostock raced ahead of —————
1 As Matthias Asche has put it: “Kulturell und wissenschaftlich wurden die skandinavischen Länder zwischen Island und Finnland neben Wittenberg maßgeblich durch humanistische und theologische Einflüsse der Universität Rostock geprägt” (Asche, Ostseeraum, 15).
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the Danish king Erik VII, who had had similar plans. 2 The King had received permission from the Pope to establish a Nordic university in 1419, but the plans were not seen through, perhaps because he quite simply lost out to Rostock, where a university was founded later that year. 3 A Danish university was not established until 1479 in Copenhagen, and by then, the first Nordic university had already been founded two years previously in Uppsala, Sweden. After 1419, Rostock quickly became one of the universities most frequently attended by Scandinavian students. 4 Even after the foundation of the University of Copenhagen in 1479, many Danish students continued to attend Rostock, and until the Danish Lutheran Reformation of 1536, Copenhagen remained a small, somewhat local university. Due to the lack of records, exact student numbers are not known, but prior to 1536 there were probably no more than 40 to 60 students per year in Copenhagen. That is considerably less than Rostock, where there were an average of 222 students per year. 5 King Hans of Denmark tried to boost university attendance in Copenhagen when on 10 May 1498 he issued a decree forbidding Danish students to travel to a foreign university – except for Uppsala – unless they had completed three years of studies in Copenhagen first. It is not clear how long this decree was upheld, and at any rate, it seems to have had only a limited effect. A substantial number of Danish students continued to attend Rostock University in the following years, and it is unlikely that they had all studied for the required three years in Copenhagen first. 6 In the early sixteenth century, Rostock had become of the utmost importance for the intellectual elite in Denmark, and a number of students returned here to play a pivotal part in the early Reformation movement. Hans Tausen, the leading Danish Evangelical preacher of the 1520s, matriculated in Rostock in 1516 and in 1519 obtained his master’s degree there. In 1520, he lectured on Aristotle in Rostock; in 1521 he studied Theology in Copenhagen, and from there he went on to Leuven/Louvain and, finally, to Wittenberg in 1523. 7 A major influence exerted on students in Rostock such as Tausen came from the strong Humanist movement at the university. In particular, the Danish author and poet laureate Petrus Parvus Rosæfontanus, who returned from
—————
2
Cf. Olechnowitz, 1419, 7‒9; Pluns, Universität, 31‒33. The permission was granted to King Erik to establish a university within his realms, not specifically in Copenhagen (cf. Lausten, Universitet, 27‒30). 4 Cf. Bagge, Nordic, 13; Czaika, David Chytræus, 73. 5 Cf. Pinborg, Universitas, 14f. 6 Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, 16; Krabbe, Rostock, 290f. 7 Cf. Rørdam, Tavsen, 67‒70. 3
Collaboration and Competition
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studying at Rostock in 1519, is credited for his importance in the burgeoning Humanist movement in Denmark. 8 Rostock was by far the most popular university city among Scandinavian students because of its proximity. In her survey of Scandinavian matriculations at German universities between 1372 and 1536, Ellen Jørgensen lists 2.843 matriculations. More than half of these (1.488) were matriculations at Rostock. 9 Danish students in particular attended Rostock in great numbers. Of the total of 1.488 students, 1.060 were Danes. This means that 37 per cent of all Scandinavian matriculations in Germany (between 1372 and 1536) were of Danes studying in Rostock. The number of Swedes in Rostock in the same period was 273, and that of Norwegians only 155. From 1479, students from Norway mostly studied in Copenhagen. But, as had been customary since the early fifteenth century, Norwegian students also attended Rostock. Housing was provided for them here (and likely for other Scandinavians too) in a designated college – ‘St Olafs-Burse’ or Regentia S. Olavi. 10 Norwegian students can also be found in Rostock after the Reformation of 1536, but not in great numbers. At most, four or five students from Norway were registered in Rostock per year in the sixteenth century. 11 Even fewer Norwegians attended Wittenberg, where only six Norwegian students can be found in the period between 1502 and 1560.12 Not one Norwegian studied in Wittenberg prior to 1549, or at least none are listed in the matriculation register. 13 After 1550, the number of Scandinavian students in Rostock increased, and in 1563 the university asked the kings of Denmark and Sweden to contribute to the rebuilding of a boarding house, the ‘Crescent Moon’ (Regentie Halbmond), to house students from the Nordic kingdoms. 14 Other boarding houses in Rostock, such as the ‘Red Lion’ (Roter Löwe), also housed Scandinavian students. The university continued, with some success, to appeal to the Nordic kings for help in maintaining the buildings in the following decades: in 1584, for instance, when help was successfully requested from the Danish king with covering the costs of the renovation of the ‘Crescent Moon’. 15 In 1618, Rostock University applied to Christian IV for financial support to build a new library. It was stressed that with so many Danes ————— 8
Cf. Paulli, Petrus Parvus, 165f. Cf. Jørgensen, Bemærkninger, 201. For a larger area comprising Germany, the Netherlands and Eastern Europe, see the numbers of students quoted by Bagge, Nordic, 13f. 10 Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, I, 354; Daae, Matrikler, 33; Czaika, David Chytræus, 103‒108. 11 Cf. Lange, Matrikel, 81–90. 12 Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, I, 354. 13 Cf. Jørgensen, Bemærkninger, 202; Rørdam, Reformationstiden, 467–474; Rørdam, Studeringer, 72f. 14 Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, II, 286; Pluns, Universität, 488. 15 Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, II, 287; Czaika, David Chytræus, 115‒119. 9
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studying in Rostock, and therefore likely to be future library users, the Danish king might reasonably wish to contribute. 16
The Reformation and student travels In 1531 the Reformation was introduced in Rostock, in particular through the work of Joachim Slüter. 17 In Denmark-Norway the Reformation was established in 1536 and, just as in Rostock, the university in Copenhagen became all-important in the effort to train Reformation pastors. 18 As they became centres for the training of the clergy after the Reformation, both Rostock and Copenhagen experienced a “student explosion” during the second half of the sixteenth century. 19 Close connections between Copenhagen and Rostock were strengthened by a mutually Melanchthonian approach to teaching and study programmes. After the Reformation in Denmark, the University of Copenhagen received a new charter in 1539. This, drafted mainly by Johannes Bugenhagen, firmly placed the teaching in Copenhagen on a Melanchthonian ground for years to come. 20 Similarly, leading figures in Rostock, such as the theologians David Chytraeus and Lucas Bacmeister, had been pupils of Melanchthon, whose theological and humanist outlook they sought to continue. 21 The theological controversy that later emerged around the Philippist legacy of Melanchthon in the second half of the sixteenth century, which led to the advent of Lutheran orthodoxy, was – according to Chytraeus – not based on any real disagreement between the teachings of Martin Luther and Philipp Melanchthon, but was due to the misinterpretations of fanatics. He refused to condemn Philippism and instead continued to promote a humanist reform theology in the spirit of Melanchthon. 22 The rather tolerant academic environment in Rostock meant that “intellectual inquisitiveness was not quenched immediately”, and that probably appealed to many young students. 23 Chytraeus’s successors in the faculty of theology in the seventeenth —————
16
Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, III, 437. I have not been able to determine whether the appeal to the king was successful or not. 17 Cf. Asche, Bürgeruniversität, 41‒44; Kaufmann, Brüder, 104. 18 Cf. Lausten, Church History, 109‒111. 19 Cf. Bagge, Nordic, 17. 20 Cf. Fink-Jensen, Influence, 439‒464; Lausten, Kopenhagen, 99‒113. 21 Cf. Fuchs, Chytraeus, 36. On Chytraeus’s educational philosophy see also Kaufmann, Universität, 255‒285. 22 “In und außerhalb Rostocks hat David [Chytraeus] immer im Sinne seines großen Lehrers gewirkt, einem humanistisch-reformatorischen Frömmigkeits-und Bildungsideal verpflichtet” (Fuchs, Chytraeus, 42). 23 Cf. Kreslins, Haven, 37.
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century (e.g. Paul and Johann Tarnow, both Johann Quistorp the Elder and the Younger, Lucas Bacmeister the Younger) continued in this particular ausgleichende vein of Chytraeus. 24 Similarly, the influence of Melanchthon at the University of Copenhagen stretched far into the seventeenth century. 25 Students from Denmark (and to a lesser extent Norway) flocked to Rostock in increasing numbers after the Reformation in 1536. Rostock did a good job marketing itself as a first-rate teaching institution. This was important, because Rostock was primarily an undergraduate university. 26 Between 1536 and 1660 1.326 Danish and Norwegian students (including a few Icelanders) matriculated here. This number was significantly higher than the number of matriculations at the second, third and fourth most popular universities among Danish-Norwegian students – namely Wittenberg (with 962 Danish-Norwegian students in that period), Leiden (with 582 students), and Padova (with 355). 27 According to Vello Helk, 3.586 students from Denmark-Norway studied abroad between 1536 and 1660, with 37 per cent of them matriculating in Rostock. 28 Some of them were recipients of the royal travel grant, Stipendium Regium, introduced by King Frederik II in 1569. It should be noted, however, that a matriculation does not disclose how long the student stayed at a given university. The study period could be short, and sometimes might last only a few weeks before the student moved on. The steady rise in the number of Scandinavian students in Rostock continued into the seventeenth century, as the following numbers show, but the Scandinavian and in particular the Danish-Norwegian influence peaked between 1551 and 1600. In this period, 14.2 per cent of all students in Rostock came from Scandinavia: 29 Period
1501‒1550
1551‒1600
1601‒1650
Total number of students
5.556
7.540
10.729
Danes/Norwegians
323 (5.8%)
819 (10.9%)
415 (3.9%)
Swedes/Finns
110 (2.0%)
251 (3.4%)
317 (3.0%)
Total percentage of Scan-
7.8%
14.2%
6.8%
dinavian students
————— 24
Cf. Olechnowitz, 1419, 61. Cf. Fink-Jensen, Book, 82‒98. 26 Cf. Kreslins, Haven, 32, 39. 27 Numbers compiled by Helk, Studierejser, 42f. 28 Cf. ibid., 44. 29 Numbers from Czaika, David Chytræus, 427f. On Scandivanian students in Rostock, cf. also Asche, Bürgeruniversität, 317‒330. 25
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Rostock University was larger than its Danish counterpart in several respects. This is most evident when student numbers are compared. The student population remained constant at around 800 to 1.000 students in the Hanseatic city, which had around 12.000 to 14.000 inhabitants at that time. 30 This was probably somewhat smaller than Copenhagen, where the city population neared 20.000 towards the year 1600. But the University of Copenhagen had fewer students. The matriculation registers for Copenhagen are only extant from the year 1611, and from then until 1651 they reveal a total of 6.270 students. 31 This makes for about 500 to 700 students per year in Copenhagen, and, with the increase in numbers in Copenhagen as the seventeenth century wore on, in all likelihood slightly fewer than 500 students per year in the second half of the sixteenth century. All in all, Rostock would most likely have had twice as many students as Copenhagen in the second half of the sixteenth century. Yet Rostock did not have twice the number of chairs. In the mid-sixteenth century Rostock had a total of nineteen chairs: four in theology, three in law, two in medicine, and ten in the arts. 32 By comparison, Copenhagen’s complement of chairs was sixteen: three in theology, one in law, two in medicine, and nine in the arts. University students could take advantage of the proximity of Rostock and Copenhagen in a number of ways, for instance to obtain the coveted testimonium or letter of recommendation from a professor, which was of paramount importance for an academic in order to obtain a position. The case of the Danish student Thor Marcussen (Theodorus Marcius) is instructive in this regard. 33 In 1576 Marcussen had spent five years studying at the University of Copenhagen, the maximum duration for which students could enjoy full boarding at the Kommunitet, funded by a scholarship established by Frederik II in 1569. Lacking sufficient independent means, Marcussen was faced with leaving the university and looking for a position. However, in order to enhance his credentials and prolong his studies he managed to move to Rostock University, where he matriculated in June 1576. 34 In Rostock, David Chytraeus wrote a letter of recommendation on his behalf to the Danish nobleman and royal secretary Arild Huitfeldt, whom Chytraeus had recently become acquainted with in Güstrow, where they both attended a visit by the Danish king Frederik II. Simon Pauli the Elder, a colleague of Chytraeus in Rostock’s faculty of theology, also wrote a letter recommending Marcussen to the attention of all bishops, pastors and magistrates in ————— 30 31 32 33 34
Cf. Olechnowitz, 1419, 52; Kaufmann, Brüder, 104. Cf. Helk, Studierejser, 44. Cf. Olechnowitz, 1419, 32. Cf. Rørdam, Levnedsløb, 616‒636. Rendered as Theodori Marci Danus (Hofmeister, Matrikel, 189).
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Denmark, urging them either to employ him in a Latin school or in the service of the Church or, alternatively, to support him in his further studies. Marcussen might have been able to attain similar letters of recommendation from professors in Copenhagen, but letters from Chytraeus and Pauli clearly carried more weight. The letters also appear to have had the desired effect, as Marcussen did indeed obtain financial support that allowed him to continue his studies abroad. By 1578 he was studying in Wittenberg; the following year, he secured a stipend from King Frederik II which allowed him to obtain the master’s degree in Wittenberg. In 1580 he returned to Copenhagen equipped with yet another letter of recommendation, this time from the rector of the university in Wittenberg, Johannes Mathesius the Younger. Despite royal support and the international letters of recommendation, Marcussen initially found it hard to secure a position in Denmark until, after a few years, he was given the post of warden at the Kommunitet. Here he met misfortune in 1584 when he left a nearby inn in a seemingly drunken state and got into a fight with a student, whom he ended up stabbing in the arm. Though Marcussen apparently acted in self-defence, the incident nonetheless cost him his position as warden. In the following years he seems to have lived off charity from the university while looking – in vain – for a new position in Denmark. Eventually he returned to Rostock in 1589, whereupon the rector of the University of Copenhagen wrote to Simon Pauli the Elder, urging his colleagues in Rostock to support this scholar in any way they could and likening Marcussen to the much-travelled Ulysses. 35 Marcussen managed to make a living in the Hanseatic city, perhaps as a tutor, while he continued to apply for positions in Denmark, and to that end, he published laudatory Latin poems directed at possible employers. Two of these poems survived – one to the magistrates of the town of Odense, the other to King Christian IV. Both were printed by Augustin Ferber, in 1591 and 1595 respectively. 36 The latter poem paid off, in the sense that in 1596 the King awarded Marcussen a small gratuity to be paid every year. 37 Small gratuities of this kind also continued to come from the University of Copenhagen, to which Marcussen continually applied for help, even though it would seem that he mainly resided in Rostock. Thus, an entry from the —————
35
Lavdatur a principe poëtarum Ulysses, qvod mores multorum vidit et urbes: idqve non injuria. Hinc enim hominis pars generosissima, ratio ipsa, ita confirmatur, ut non facile aberret. The letter is reproduced in Rørdam, Levnedsløb, 631f. 36 De virtutibus Otthoniensium, Carmen consecratum Prudentissimis Dominis Consulibus ac Senatoribus, Magno Henrici et Sivardo Petri, omnibusq. eiusdem Reipub. incolis integerrimis, Augustin Ferber, Rostock 1591; Syncharistikon qvo... Christiano eius nominis quarto, Daniæ... Regi,..., Pro Felici imperio, Humilimus et subiectissimus gratulatur, Augustin Ferber, Rostock 1595. 37 Cf. Rørdam, Levnedsløb, 621.
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minutes of the university Senate (Konsistorium) from 1604 reveals how Marcussen applied for help with clothing and food “until his return from Rostock”. 38 At some point after 1604 he appears to have permanently settled in Copenhagen, where he died in 1609. By that time, he had been applying – unsuccessfully – for a position as teacher or pastor for some 25 years. Regardless of Marcussen’s lack of career success, his life shows how students – and not just elite students – could make use of the universities of Copenhagen, Rostock, and Wittenberg in a transnational strategy intended to position themselves in a Nordic world of learning. It also shows how such a strategy was only made possible by the consent and active support of the universities involved and their professors, as well as by the royal Danish court. Even when Marcussen was little more than a poor master of arts, the universities of Copenhagen and Rostock continued to form a joint basis for his existence. Thor Marcussen was far from being the only student or academic who made use of these two universities simultaneously. One could also point to the Norwegian student Andreas Andreae Asloensis, who was expelled from Oslo’s Latin school sometime before 1616 and was therefore unable to present a suitable testimonium from that school, which alone would have permitted him to study at the University of Copenhagen. To meet this shortcoming, Asloensis entered the service of a pastor from whom he finally obtained the coveted testimonial. With this in his possession, Asloensis chose to enter the world of academia by travelling to Rostock, where he matriculated in May 1616. 39 Rostock evidently only served as a detour en route to Copenhagen, because later that same month Asloensis tried for matriculation in Copenhagen by referring to his admission to Rostock. The Senate debated the matter on 25 May, but concluded that he could not be admitted so soon. 40 Already the next month Asloensis reapplied, but was once again rebuffed by the Senate on 19 June. 41 Eventually, he was accepted in Copenhagen, where he matriculated on 19 April 1617, after obtaining permission from the Senate. 42 Unlike Marcussen, who had utilized the Rostock connection to boost his credentials towards the end of his studies, Asloensis followed a different strategy, using his matriculation in Rostock as a lever to gain access to studies in Copenhagen. Asloensis’s reasoning appears to have been that if Rostock University had admitted him to the —————
38
donec rediret Rostochio (Rørdam, Levnedsløb, 636). Cf. Hofmeister, Matrikel, III, 21. 40 Cf. Rørdam, Forhandlinger, IV, 266. 41 Cf. ibid., 274. 42 Andreas And. Asloënsis, prius Rostochij depositus, receptus est in matriculam hanc, indultu S. Academici (Birket-Smith, Matrikel, I, 28). 39
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academic world, the University of Copenhagen could have no grounds for refusing his matriculation there. Many Scandinavian students travelled to Rostock, but not so many appear to have travelled in the other direction. In the absence of the university matriculation register from Copenhagen prior to the year 1611, it is impossible to state with certainty how many students from countries outside the Danish-Norwegian kingdom studied in Copenhagen before that date. A group of students who travelled back north were Scandinavian students who had initiated their university studies abroad. From 1611 onwards, it can be documented that a small number of such Danish or Norwegian students matriculated in Copenhagen each year after previously being enlisted in Rostock or elsewhere. They appear in the matriculation register through the years, either with short entries such as Iohannes Nicolai Grammius, Rostochii depositus (8 November 1615) 43 or more elaborate entries, such as Iohannes Lemmichius Bergensis Norwegus. Rostochij deposuit, et post, commendatus a Capitulo Bergensi, ad nos appulit (27 March 1619). 44 Considering the overall number of Nordic students in Rostock, it is no surprise that the majority of these returning students arrived from Rostock, while considerably fewer students came from other universities such as Heidelberg, Gießen, Helmstedt, Greifswald and Wittenberg. 45 This reflects, on the one hand, the preference of many Danish and Norwegian students for Rostock as the place to begin their studies (or end their studies abroad) and, on the other, the manner in which the close ties between the universities of Rostock and Copenhagen made transition between them easy for their students. Only from 1620 onwards do students from Germany and the Eastern Baltic begin to appear in the Copenhagen matriculation register on a regular basis. As the Thirty Years War dragged on, the number of foreign students in Copenhagen, which lay outside the war zone, steadily increased during the 1620s and 1630s. These included students from Rostock, Leipzig, Frankfurt, Bohemia, Königsberg, and the Eastern Baltic regions. This did not, however, signal a reversal of Scandinavian student movement: in the years between 1611 and 1650, 306 Danes and Norwegians matriculated in Rostock. 46
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Birket-Smith, Matrikel, I, 21. Ibid., 36. Other examples cf. 20, 22, 27, 30. 45 An example from 17 August 1616: Laurentius Petri Hegelundus, depositus ante qvinqvennium in academia Giessena, deinde Vitebergæ studuerat, vnde nuper redierat (ibid., 26). 46 Cf. Helk Studierejser, 43; Kornerup, Biskop, II, 20. 44
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Circulation of knowledge and book trade All over Northern Europe, people travelled and brought with them ideas, knowledge, and techniques, all of which helped to create an environment of cultural interchange or “Kulturtransfer” in the Nordic region. 47 Trade routes played a crucial part in making this interchange possible, as merchants brought passengers along with them as well as letters and books, thereby helping to sustain networks within the learned world. As a thriving and wealthy Hanseatic city owing its progress mainly to the trade with Scandinavia, and in the second half of the sixteenth century in particular with Denmark-Norway, Rostock was pivotal in this movement. One of, if not the most important of the city’s exports was beer. 48 It is therefore no coincidence that a shipment of beer is involved in the anecdote that follows which points to the Rostock–Copenhagen connection as a major route for cultural exchange and academic networking across the Baltic Sea. The story is provided by the travels of Michael Franck, born in 1569 in Gusa near Frankfurt an der Oder, where he began attending university in 1584. During the years 1586–1592, Franck completed four journeys in Europe, taking him to Prague and Vienna, Denmark, the territories of Saxony, and Italy. He undertook his travels mainly on foot as a poor wandering scholar, visiting the universities he reached on the way, but he evidently also travelled with the purpose of seeking adventure and satisfying his curiosity. He chronicled his experiences and impressions in a detailed journal, from which the following offers a few glimpses. 49 In the spring of 1590, on his journey en route to Denmark, Franck travelled across Pomerania and Mecklenburg. In early May he reached Rostock, where he lodged with a friend and former fellow student from Frankfurt. At the university Franck attended a lecture on Ovid by Nathan Chytraeus and met with Simon Pauli the Elder, who signed his autograph book (Stammbuch), and David Chytraeus, who despite lying ill at home allowed Franck into his study (in sein Musäum) for an interview. 50 Chytraeus quizzed his guest for news from the university in Frankfurt, and when he learned that Franck was soon off to Denmark, entrusted him with the task of delivering some of Chytraeus’s printed works to the lawyer Johannes Knoppert, who was gov————— 47
Cf. Czaika, Ausbreitung, 76‒100. Cf. Kaufmann, Brüder, 104. 49 A brief outline of Franck’s travels is provided by Knothe, Schülers. Only short extracts from the journal have been published, cf. Kahl, Beschreibung, 239f; Taetz, Mitternacht, 258. TroelsLund, Rejse, which contains the part of Franck’s journal that describes his visit to Denmark, is not mentioned by any of the German scholars who have written about Franck’s travels. 50 Cf. von Bülow, Wanderung, 86. 48
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ernor of Ringsted Abbey some 60 km southwest of Copenhagen. 51 Finally, on 5 June Franck left Rostock for Copenhagen on board a Danish ship with a cargo of the all-important commodity of beer. 52 As the ship cleared land and headed for the open sea, the crew and all passengers knelt to pray for a safe passage. Franck, however, suffered badly from seasickness, and it was with relief that after three days he saw the spires of Copenhagen. 53 It is possible that he had in mind to study at the University of Copenhagen, which he briefly describes. 54 He mentions however that only students who were subjects of the Danish king were eligible for the Kommunitet. Realizing this would make it hard for him to sustain a living as a student in Copenhagen, he continued to Ringsted to conduct his business with Johannes Knoppert. In Ringsted, Franck enjoyed the hospitality of his host and Henrik Knoppert, his host’s brother. He was able to bring them news not just from Rostock, but also from Frankfurt an der Oder, where the Knoppert brothers had studied in the 1560s. 55 After a week or two spent on sightseeing, walks in the Abbey’s pleasure garden, squirrel hunting, ballgames und anderen dänischen lustspielen, he returned to Copenhagen. There he met up with the skipper who had taken him to Copenhagen and who was now setting sail for Rostock again – probably to fetch more beer. 56 Just as he had brought books with him from Rostock to Denmark, Franck now returned with books as gifts from Johannes Knoppert. By letters and oral communication he would convey tidings and messages from people he had met during his Danish sojourn, which lasted about four weeks. Franck’s travels in Europe to a large extent followed established trade routes, and his trip to Denmark underlines how trade connections —————
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Johannes Knoppert was the son of Albert Knoppert (died 1576), the former student and lecturer in Rostock who in 1549 had become professor of Law in Copenhagen (see further below). Johannes Knoppert had begun his studies in Rostock in 1567 and he later became a Doctor of Law (cf. Hofmeister, Matrikel, II, 163; Rørdam, Kjøbenhavns, I, 627). According to Franck, there was even some relation between Johannes Knoppert and Franck’s host in Rostock, Henricus Cilianus, whom he calls Knoppert’s friend and cousin (seinen Freundt und vetter), cf. Troels-Lund, Rejse, 269. 52 The date 5 July is given by Franck, but it appears to be a mistake (cf. von Bülow, Wanderung, 92). In his journal Franck commented that beer from Rostock, as well as beer from Lübeck and Hamburg, was a much sought-after commodity in Copenhagen due to the ghastly quality of the Danish beer (cf. Troels-Lund, Rejse, 268). Franck also appraised the quality of the beer in many of the German places he visited (cf. von Bülow, Wanderung, 61). 53 Cf. ibid., 96–98; Troels-Lund, Rejse, 266. 54 Cf. ibid., 267. 55 Besides Rostock (1567) and Frankfurt an der Oder (1568), Johannes Knoppert also studied in Leipzig (1572) and Jena (1573). Henrik Knoppert was probably born in Rostock: the Frankfurt matriculation register in 1566 calls him Rostochiensis. In 1568 he studied in Wittenberg (cf. Helk, Studierejser, 278). In his journal Franck does not mention the brothers’ connection with Frankfurt. 56 Cf. Troels-Lund, 270–274.
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could facilitate cultural interchange and academic contacts between Rostock and the Nordic world. 57 Another example of how the trajectories of certain individuals also point to the circulation of knowledge between Denmark and Rostock comes with Morten Sixten von Møinichen. Born in 1599 in Ystad in the Danish province of Scania, Morten Møinichen was the son of the barber surgeon Sixtus Andersen von Møinichen. 58 The family came from Rostock, where Morten’s father had been born in 1550. After attending the German school in Ystad, and later also the town’s Latin school, Morten was ready to begin his training as a barber surgeon. In 1614 he arrived in Rostock, where he entered into the service of the barber surgeon Hans Köster for a year; then, for almost another year, he worked with Hans’s brother Jacob Köster, also a barber surgeon in Rostock. From Rostock, Morten Møinichen travelled extensively to expand his education and knowledge in the service of barber surgeons in cities such as Riga, Gdańsk, Ueckermünde, Wrocław, Leipzig and Nuremberg. Via Rostock he returned to Denmark in 1623, after spending almost nine years abroad. Møinichen’s example shows how the circulation of knowledge in the North (even outside the academic world to which Michael Franck belonged) was heavily dependent on Rostock as a hub of contact between Scandinavian, German, Polish, and Baltic centres of expertise. Perhaps the best example of the circulation of knowledge and the importance of knowledge as a commodity is provided by the book trade, particularly the licensed university booksellers and printers. After the Reformation, book trade and printing in Copenhagen was heavily influenced by printers and merchants with close ties to Rostock. Their books, pamphlets and broadsheets were widely circulated in Scandinavia and thus contributed to establishing Rostock as a cultural capital of Northern Europe. 59 Some of these printers and merchants set up business in Copenhagen, most notably Ludwig Dietz, who printed the first complete Danish translation of the Bible in 1550, and the partnership of Johann Stöckelmann and Andreas Gutterwitz, who became book printers for the University of Copenhagen in 1574. 60 In the second half of the sixteenth century, the Rostock printers Jacob Lucius, Augustin Ferber the Elder and, in particular, Stephan Möllmann, who had acquired Dietz’s printing house in 1560, also printed ————— 57
The importance of established trade routes for travels to Scandinavia in general is underlined by Taetz, Mitternacht, 95–121. On cargo vessels carrying passengers between Rostock and Denmark, cf. ibid., 96f. 58 Cf. Jørgensen, Familien, 141‒168. 59 Cf. Kaufmann, Brüder, 104. 60 Cf. Benzing, Buchdrucker, 370.
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works by university professors from Copenhagen. 61 The Danish publisher Hans Aalborg, who became the university’s bookseller in Copenhagen in 1582, had also studied in Rostock, where he took his master’s degree under the supervision of David Chytraeus. Prior to entering the book trade, Hans Aalborg worked as a professional tutor to young Danish noblemen for twenty years, accompanying them on their travels abroad. This took him back to Rostock on several occasions, and during one particular stay in Rostock from 1566 to 1567 he was also tutor to the astronomer Tycho Brahe (see below). In 1572, Aalborg published Chytraeus’s lectures on Cicero’s De Senectute in Rostock. 62 The book trade connection between Rostock and Copenhagen continued after Aalborg’s death in 1619. In March 1622 the Rostock-based book trader Augustin Ferber the Younger presented himself to the Senate of the University of Copenhagen and applied to become the university’s bookseller. This included an offer to publish any material given to him by the Copenhagen professors, free of charge. Ferber was duly engaged, and as was customary at the time, he was provided with a stall among the city’s other booksellers in Our Lady’s Church. 63 Competition among the booksellers was fierce, and Ferber complained to the Senate that some of his rivals deceived their costumers by re-binding old prints and passing them off as new publications. He even claimed to have been violently attacked and beaten up by three assistants of one of his rivals – the university printer and Hans Aalborg’s former business partner, Henrik Waldkirch. A few years later, in 1626, the Rostock bookseller Johann Hallervord sent a local sales representative, Joachim Moltke, to Copenhagen. 64 Moltke soon settled permanently in Copenhagen, where he became the university’s bookseller in his own right. Moltke, too, had a stall in Our Lady’s Church, but being dissatisfied with it (naming theft among other things), he applied to the university’s Senate in November 1627 to have his stall moved to a better location in the church, preferably the Chapel of St Roch. This site, however, was already occupied by the university book printer, Salomon Sartor. Moltke was offered the chance to move to the northern chapel by the choir instead, a site that had apparently been left vacant by a Scottish book —————
61
Cf. Nielsen, Bibliografi, IV, 75‒77. M. Tullii Ciceronis Cato Maior seu de senectute libellus cum dispositione argumentorum et annotationibus, per Johannem Alburgensem exceptis ex prælectionibus D. Davidis Chytraei, Rostock 1572. The printer was Jacob Transsylvanus (i.e. Lucius). Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, III, 668f. 63 Cf. Rørdam, Aktstykker, 134. 64 Ioachimus Moltichen, Rostoch appears in the matriculation register of the University of Copenhagen on 29 June 1626 (Birket-Smith, Matrikel, I, 79). 62
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trader. 65 Moltke’s desire to oust Sartor from his spot in the church probably also had to do with the competition between the two. In December 1628 Moltke once again, on Hallervord’s behalf, complained to the Copenhagen Senate about Sartor, who owed him money for a shipment of books sent to Copenhagen from Rostock in 1620. When asked to comment on the allegations, Sartor replied that the books had sunk at sea with the ship that carried them. 66 Therefore he did not feel obliged to pay for them in full, since he had never received the books and accordingly could not make any money from them. In the early seventeenth century, both Ferber and Hallervord worked with several professors from Copenhagen who opted to have their books printed in Rostock rather than Copenhagen. However, at least one author was not entirely satisfied with the printer’s efforts: In 1624, professor of medicine Ole Worm wrote to Hallervord sharply criticizing him for not having proofread his commentary on Aristotle before commencing to print it. There was “hardly a page which isn’t disfigured by mistakes”, Worm lamented. 67 Worm stressed that his good reputation as a scholar was at stake, and furthermore that he was especially disappointed with Hallervord because unlike everybody else (Worm implied), he had not asked the printer for money on handing over his manuscript. Worm had only expected to receive “one hundred copies on fine paper”. 68 Students in Copenhagen could take advantage of being able to acquire books from Rostock directly – whether they bought them there in the course of their studies or had them shipped to Copenhagen. Some students ended up as debtors, and in 1615 the Senate of Rostock University wrote to their Copenhagen colleagues about a student who owed money to a bookseller in Rostock. The Copenhagen Senate promised to get the student to pay up within a week. 69
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som Skotten plejer at have (Rørdam, Aktstykker, 136). Cf. ibid., 136. 67 Der er næppe en Side, som ikke vansires af Fejl (Schepelern, Breve, I, 88). The work in question was Liber Aureus Philosophorum Aquilae Aristotelis De Mundi Fabrica, Rostock 1624. The printer was Moritz Sachs, who in 1627 was appointed printer at Sorø Academy in Denmark. It is not clear if he ever came to Sorø, or if he worked out of Rostock in his short stint as printer by the academy. Already in 1628, he relocated his printing house to Stralsund (cf. Larsen, Provinstryk, I, 42; Benzing, Buchdrucker, 371, 408). 68 Schepelern, Breve, I, 89. 69 Cf. Rørdam, Forhandlinger, IV, 259. 65 66
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Academic career opportunities across borders The cultural transfer and circulation of knowledge between the universities in Copenhagen and Rostock naturally also involved the ambitions of their professors as well as the career opportunities (or politically motivated restrictions) set by the ruling authorities. As transpires from the following, the chances of a successful career move between Rostock and Copenhagen were best around the middle of the sixteenth century. The first doctor’s degree conferred by the faculty of law in Copenhagen after the Reformation was that awarded to Rembert Gilsheim (the Younger) in 1544. Shortly afterwards (probably in 1545), he was appointed professor of law in Copenhagen. 70 Gilsheim was born and educated in Rostock, where his father and namesake (Rembertus Giltzheim) was professor of medicine. 71 In 1542 or 1543, King Christian III’s personal physician, Cornelius van Hamsfort (Amersfoort), was the first to be made Doctor of Medicine in Copenhagen. 72 In 1544 he matriculated in Rostock, but soon returned to pursue his career in Denmark. 73 Hamsfort was but one among a number of Dutchmen who sought career or educational opportunities in Rostock and Copenhagen. Peter Capeteyn from Middelburg, who held a doctorate in medicine from Valence, had become professor of medicine in Rostock in May 1545. In autumn 1545 he became rector in Rostock, but no later than August 1546 he opted to leave for Copenhagen, where he was appointed to a chair in medicine. 74 Albert Knoppert from Zwolle (whose sons Michael Franck would later visit) had studied in Rostock since 1546 and obtained a doctorate in law there. In 1549 he lectured in Rostock on Roman law, and it appears that he simultaneously applied for chairs in Rostock and Copenhagen. 75 While his application to the Rostock council came to nothing, he was successful in Copenhagen, where he became professor of law in autumn 1549. 76 Someone else from Zwolle was Johannes Golt, who in 1548 arrived in Rostock, where he lectured before taking up a position as personal physician to the Danish King Christian III in 1554. 77 —————
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Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, I, 169, 605. Gilsheim, Jr. matriculated in Rostock in 1535 (cf. Hofmeister, Matrikel, II, 96). 72 Cf. Rørdam, Monumenta, I, 670f. 73 Hamsfort appears (as Cornelius Amesfordiensis) in the Rostock University matriculation register on 8 October 1544 (cf. Hofmeister, Matrikel, II, 107). 74 Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, I, 614; Krabbe, Rostock, 459f. 75 Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, I, 624. 76 Cf. ibid., 624. 77 Cf. ibid., II, 9f; Hofmeister, Matrikel, II, 115. 71
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Another Rostock professor of medicine who, like Peter Capeteyn before him, left in 1557 for a similar chair in Copenhagen was Jacob Bording. Born in Antwerp in 1511, Bording studied in Paris and Montpellier and took his doctorate in medicine in Bologna. He practised medicine in Antwerp from 1541 to 1545, before leaving for Hamburg because of his Protestant leanings. There he practised until he became professor of medicine in Rostock in 1550. In 1557 he moved to Copenhagen, where he died in 1560. Bording was a good friend of Philipp Melanchthon, who used him as a principal contact in Copenhagen. 78 According to the Rostock professor of medicine Levinus Battus, who wrote a preface to an edition of a work by Bording in 1591, the students in Rostock tried to acquire copies of Bording’s lectures given in Copenhagen. 79 The stories of these professors show that Copenhagen was in a position to attract academic staff from Rostock by the mid-sixteenth century. Only one scholar was apparently given the opportunity to travel in the opposite direction and leave Copenhagen for Rostock. This was Thomas Zeger of Cleve, who in 1538 became professor of medicine in Copenhagen. Prior to his appointment he had been professor of mathematics in Marburg (1529‒ 1532) and physician in Hamburg (1532‒1537). After only one year in Copenhagen, he left for Rostock to take up a chair of medicine. However, he returned to Copenhagen in 1542 to take up his former post. 80 While Christian III had some success in attracting men from Rostock in the fields of medicine and law, attracting theologians proved to be more difficult altogether. Probably several factors lay behind this: The King regularly used law professors as counsellors and as envoys on diplomatic missions, which could be appealing assignments. Professors of medicine had the opportunity to practise privately as physicians, and being consulted by the Danish court and nobility could yield an attractive income. Apparently, it was less obvious to Rostock theologians why a move to Copenhagen would help their careers or, for that matter, render better service to God. Nonetheless the Danish King made great efforts to appoint theologians from Germany (and not just Rostock). ————— 78
Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, I, 271. Cf. ibid., 646. The work in question was Jacob Bording: Physiologia. Ygieine. Pathologia. Prout has medicinæ partes in inclytis Academiis Rostochiensi et Haffniensi, publice enarrauit, Rostock 1591. Battus’s edition of Bording’s works was dedicated to the professors of the University of Copenhagen. According to the university’s accounts, Battus had already been presented with a gift worth 29 thaler as a token of the university’s gratitude on 3 April 1590 (cf. ibid., IV, 312). Battus was also author of numerous almanacs which were translated into Danish and printed in Copenhagen. 80 Cf. ibid., I, 537. 79
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In 1552, the King offered the still only 22-year-old David Chytraeus a position as professor of theology in Copenhagen. 81 This was only after more notable theologians, such as Georg Major in Wittenberg, Martin Bucer in Strasbourg and Johann Brenz in Württemberg, had already been offered the position. They had all declined, as did Chytraeus, and the King eventually had to settle for a Danish theologian, Niels Hemmingsen. Hemmingsen went on to prove himself a theologian of international calibre, but this did not discourage the King from continuing his attempts to convince German theologians of some repute to come to Copenhagen whenever there was a vacant chair at the university. This happened, for example, with the death of Johannes Machabeus (John MacAlpine) in December 1557. Machabeus was a Scottish theologian who had studied in Wittenberg and had secured his engagement in Copenhagen on recommendation to the King by Bugenhagen and Melanchthon in 1542. 82 The King tried once again to persuade David Chytraeus to take up the vacant position in Copenhagen, 83 and also had Tilemann Hesshus in mind, another theologian with ties to Rostock. 84 Hesshus had been pastor and professor in Rostock until 1557, when he was forced to leave after becoming embroiled in a dispute over the observation of the Sabbath which caused him to attempt to excommunicate the city mayors. Hesshus subsequently took up residence in Copenhagen and won the favour of the king. 85 He declined the offer to stay, however, and opted instead for the office of general superintendent offered to him by the Elector of the Palatinate. Once again, as had been the case in 1552, the King had to settle for a Dane. Hans Albertsen became professor of theology in 1558. 86 The controversy that surrounded a Gnesio-Lutheran like Hesshus did not discourage the King, and he also attempted to lure other German theologians to Copenhagen, including some, not least Victorin Strigel of Jena in 1559, who were no strangers to dogmatic controversy. Strigel excused himself – he did not want to leave Jena. At the time Strigel was already an outspoken opponent of his colleague in Jena, the Gnesio-Lutheran Matthias Flacius Illyricus. 87 By 1559 Strigel would have emerged as a Philippist theologian, quite the opposite of Hesshus. Neither Johann Brenz 88 nor —————
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Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, I, 191. Cf. ibid., 589. 83 The letter to Chytraeus, dated 26 February 1558, is printed in Wegener, Aarsberetninger, I, 292. 84 Cf. Rosin, Hesshus, II, 237f. 85 Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, I, 273. 86 Cf. ibid., 272‒274. 87 Cf. Russell, Strigel, IV, 119f. 88 Cf. Estes, Brenz, I, 214f. 82
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Georg Major, in their turn, were strangers to controversy. 89 In light of this, what David Chytraeus wrote to Christian III in 1558 seems ironic: He praised to the skies how the Church in Denmark flourished because of its true doctrine, a thorough Church discipline, the excellent consensus among the clergy, and especially the desire of the population to attend services, which – according to Chytraeus – were held with a dignity and beauty superior to what could be found in most German churches. 90 Considering the King’s repeated attempts to appoint German theologians with very different opinions to chairs in Copenhagen, this rose-coloured consensus (which Chytraeus greatly exaggerated) appears to have been something of a lucky chance. Frederik II too, on becoming king in 1559, offered university positions to Rostock professors, but he fared no better than his father. Thus in the 1560s, Lucas Bacmeister several times declined the offer of a chair in theology in Copenhagen, 91 and Jacob Bording the Younger, who held a chair in the faculty of law in Rostock, declined the offer of a similar post in Copenhagen in 1578. Bording had been a student in Copenhagen at the time his father was professor there, and he appears to have given the Danish king’s offer serious consideration. But in a clear-cut case of competition between Copenhagen and Rostock, Duke Ulrich of Mecklenburg promptly offered Bording a raise in a successful bid to keep him in Rostock. 92 This did not prevent the Danish king from making use of Bording’s services by appointing him councillor. Much later, in 1642, the Rostock professor of theology Enoch Hutzing declined an invitation from Christian IV to become professor of theology at the knights’ academy established by the King in Sorø in 1623. 93 There were, however, other professors from Rostock who accepted the offer of a chair at Sorø. One of the first teachers to be appointed to Sorø was Johannes Lauremberg, who swapped his chair in poetry in Rostock for one in mathematics at Sorø in 1623. 94 Johannes Lauremberg was one of two sons to Wilhelm Lauremberg, professor of medicine in Rostock from 1581 until his death in 1612, who found employment in Denmark. The other son, Wilhelm Lauremberg the Young—————
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Cf. Kolb, Georg Major, II, 501f. Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, I, 284f. 91 Cf. ibid., II, 17f. 92 Cf. ibid., 180f, and IV, 293‒295 (a letter dated 18 July 1578 from Bording to the University of Copenhagen regarding the offer). 93 Cf. Bricka, Fridericia, Kong Christian, V, 229f. 94 Cf. Norvin, Undervisning, I, 596. Johann Raue, professor of eloquence in Rostock, left Rostock for Sorø in 1639, cf. ibid., 601. See also n. 67 above for the appointment of the Rostock printer Moritz Sachs to Sorø in 1627. 90
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er, received the doctor’s degree in medicine in Rostock in 1628 and settled in Copenhagen as a physician in 1630. A similar career path was followed by Joachim Schele (Scheel). Born in Rostock, where he earned his doctorate of medicine in 1625, he would go on to become city physician in Copenhagen from 1635 until 1639. 95 These examples suggest how the Rostock physicians and their sons regarded Denmark, and in particular Copenhagen, as an attractive place to pursue a viable career. Two final examples, namely the connected lives of Jacob Fabricius and Simon Pauli the Younger, will further demonstrate this. When the Danish astronomer Tycho Brahe set up his unique research facility on the island of Hven in 1576, a new and substantially different seat of learning began to challenge the hegemony of the universities in Copenhagen and Rostock, but at the same time taking advantage of their proximity. Tycho would attract university students to Hven as assistants, where they gathered valuable scientific insight and made useful personal contacts with other students and researchers. One Rostock student who utilized this possibility was Jacob Fabricius. Fabricius, born in Rostock in 1576, spent three or four years as assistant to Tycho on Hven from 1592 to April 1596. 96 This engagement was the result of a letter sent by Tycho to Rostock University asking for recommendations of bright young men who might assist him on Hven. 97 After further studies across Europe, Fabricius received his MD in Jena in 1602 and later became physician to Sophie, regent of the Duchy of Mecklenburg-Schwerin. From 1612 until 1637, Fabricius was professor of medicine in Rostock. He then returned to Denmark as physician to King Christian IV. Fabricius died in Copenhagen in 1652 after a professional life that had been divided between Mecklenburg and Denmark. His body was transferred to Rostock and buried in St. Mary’s church. Jacob Fabricius’s daughter, Elisabeth, married the Rostock physician Simon Pauli the Younger in 1635. Pauli, too, was to divide his academic career between Rostock and Copenhagen. In 1639 he became professor of anatomy, surgery, and botany in Copenhagen, until relinquishing his chair to Thomas Bartholin in 1648. Shortly thereafter, Pauli joined his father-in—————
95
Cf. Carøe, Lægestand, I, 110. According to Christianson, Island, 276, Fabricius stayed in the service of Tycho Brahe on Hven until 9 April 1596. However, Fabricius had already matriculated in Rostock on 26 September 1595 (cf. Hofmeister, Matrikel, II, 251). Fabricius does not appear to have matriculated in Rostock prior to his leave for Hven. 97 In his funeral sermon for Fabricius, the Rostock professor and pastor at St. Mary’s Church, Johannes Corfinius, stated that Fabricius began his studies at Rostock University in his sixteenth year. He continued: Daher es dann geschehen, dass da umb diese zeit … Tycho Brahe … an diese Academiam geschrieben, dass man ihm Qualificirte junge Leute, die er in Observationibus Astronomicis und was dem Anhängig, gebrauchen könte, commendiren und zuschicken möchte (Corfinius, Triumph-Lied, sign. G 3v.‒G 4r). 96
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law Jacob Fabricius as physician to the Danish king. Pauli was the son of the Rostock professor of medicine Heinrich Pauli, who had left the university in 1604 to become physician in Denmark to the Queen Dowager Sophie at her court in Nykøbing on the island of Falster. Sophie, Duchess of Mecklenburg, was married to Frederik II of Denmark in 1572; both as Queen and, from 1588, as Queen Dowager, she maintained strong relations with Mecklenburg and Rostock. After his father’s death in 1610, the nine-year-old Simon Pauli returned with his mother from Falster to Rostock, where he would eventually matriculate at the university. During his studies he was continually financially supported by the Danish Queen Dowager. Upon her recommendation, he spent the years 1626 to 1629 tutoring young noblemen at the Sorø Academy. After receiving his MD in Wittenberg, he practised medicine in Lübeck before eventually becoming professor of medicine in Rostock in 1634. After five years, he once again left for Denmark to the aforementioned chair in Copenhagen. In his capacity as professor in Copenhagen, it fell to Pauli to oversee the establishment of an anatomy theatre at the university, and it was Pauli himself who performed the first ever public dissection in Copenhagen in 1645. 98 The lives and careers of Fabricius and Pauli clearly illustrate how closely educational strategies and career opportunities were connected within what might be viewed as a complementary Danish-Mecklenburgian part of the world of learning.
David Chytraeus and the education of Danish nobles In 1572 the University of Copenhagen presented David Chytraeus with a silver ewer as a token of gratitude, perhaps because Chytraeus had dedicated a book to the Danish university. A correspondence followed, during which Chytraeus, on 8 August 1572, wrote to Niels Hemmingsen, who held the office as rector, voicing his concerns over the animosity among theologians in Germany. Chytraeus stated as his wish that the theologians would simply follow the teachings of Luther and Melanchthon rather than quarrelling among themselves. 99 Though Hemmingsen could only concur, he himself was eventually to fall victim to the heated theological disputes of the 1570s between Gnesio-Lutherans and Philippists, accused of promoting crypto-Calvinism. This charge led to Hemmingsen’s dismissal from his chair in Copenhagen in 1579. 100 ————— 98 99 100
Cf. Fink-Jensen, Bartholin, 14‒17. Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, II, 124f. Cf. Lyby/Grell, Consolidation, 120‒122.
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Frederik II had Hemmingsen removed from the university primarily as an attempt to appease criticism coming from Saxony, where the Elector August was married to the King’s sister. The King was also put under pressure by his mother-in-law, Duchess Anna of Mecklenburg. The King’s removal of Hemmingsen from office did not, however, mean that he endorsed the Gnesio-Lutheran orthodoxy. On the contrary, both the Formula of Concord (1577) and the Book of Concord (1580) were banned in Denmark. Frederik II basically followed the sentiments of Chytraeus, which were in line with what had been policy in Denmark since 1536: namely, that a middle course could be followed which rendered any supplement to the Augsburg Confession either superfluous or harmful. The fact that Rostock University endorsed the Formula of Concord (of which Chytraeus was one of the principal authors) did not, however, scupper its strong relationship with Copenhagen. Neither did this work trigger a decline in the esteem in which Chytraeus was held in Denmark. Perhaps it was to ensure that things remained this way that Chytraeus dedicated his book on the history of Joshua to Frederik II in 1577. 101 Chytraeus’s dedication of a new edition of his Onomasticon theologicum to Bishop Jens Skjelderup in 1578, in which he heaped plenty of praise on Skjelderup for his piety and zeal in his episcopal office, may also perhaps have been an attempt to placate the Danish Church. 102 Chytraeus and Skjelderup were old acquaintances from Rostock. In 1549 Skjelderup was appointed professor of physics (natural philosophy) in Copenhagen. He married a daughter to Peter Capeteyn and probably had set his sights on a chair of medicine in Copenhagen. In 1556 Skjelderup travelled to Rostock to obtain a doctorate in medicine. Capeteyn set his Rostock connections to use and wrote to Jacob Bording to secure his help in expediting the matter. Indeed, Bording presided over Skjelderup’s promotion. But despite sealing his degree, Skjelderup did not become professor of medicine. Instead, he was appointed Bishop in Bergen, Norway, in 1557. 103 In 1610 the Rostock professor of theology Eilhard Lubinus dedicated his commentary on Galatians (In divi apostoli Pavli ad Galatas epistolam exercitationes theologicæ) to the three professors of theology in Copenhagen: Peder Winstrup, Hans Poulsen Resen and Cort Aslaksen. 104 The dedication was a token of friendship, but it can also be understood as an indication of the consensus which —————
101 David Chytraeus: Historiae Iosvae Imperatoris Populi Israel, Rostock 1577. The printer was Stephan Möllmann. The work was also printed by Johannes Crato in Wittenberg in 1577. 102 Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, I, 636. 103 Cf. Fink-Jensen, Influence, 439‒441. 104 Cf. Kornerup, Biskop, I, 400. See also ibid., 65, n. 1 for further examples of book dedications by Rostock authors to Danish and Norwegian theologians.
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generally existed between the theological faculties in Copenhagen and Rostock after the Reformation. Rostock professors also used book dedications as a way to cultivate their connections with Danish noblemen. In 1585 Johann Caselius, professor of eloquence, dedicated his edition of Phalereus sive de elucutione liber to the Danish chancellor Niels Kaas. 105 In 1593, Opus logicum in organon Aristotelis Stagiritae by the professor of logic Matthias Flacius Jr., was published with a dedication to the young Danish nobleman Holger Rosenkrantz. 106 In the same year, David Chytraeus dedicated the fourth book of his Chronicon Saxoniae to Rosenkrantz, who had just left Rostock after three years of study. 107 Rosenkrantz later became active in setting up the Sorø Academy, and it was him who personally secured the above-mentioned appointment of Johannes Lauremberg in 1623. 108 The importance of David Chytraeus in maintaining the close contacts between the cultural elites of Denmark-Norway and Rostock was fundamental. During his almost fifty years as professor in Rostock, and until his death in 1600, Chytraeus corresponded with Danish kings, high-ranking noblemen, professors and bishops. 109 Their ranks were joined by many other members of the learned world, based from Iceland to Constantinople, with whom Chytraeus corresponded and through which, without deviating from his essentially Lutheran theology, he contributed to a “transconfessional” network across borders and confessions. 110 In the Nordic context, many members of Chytraeus’s network would in turn seek his advice on educational matters, not least noble families who asked Chytraeus to recommend a teacher or a tutor for their children. Chytraeus was not alone in undertaking these duties and through them amassing great influence in Denmark. In this respect, his influence was rivalled by that of Lucas Bacmeister the Elder. 111 While studying theology in Wittenberg, Bacmeister had in 1552 secured a post as teacher to the Danish King Christian III’s youngest sons, Duke Magnus and Duke Hans. Bacmeister returned to Wittenberg in 1555 to finish his studies, but upon the death of Christian III in 1559, he went to Denmark once again and became court chaplain in Kolding to the Queen Dowager Dorothea. In 1562 ————— 105
Cf. Kornerup, Biskop, I, 79. Cf. Andersen, Rosenkrantz, 21f. Further examples of books by Chytraeus dedicated to Scandinavians are given by Czaika, David Chytræus, 450‒453. 107 Cf. Andersen, Rosenkrantz, 23f. 108 Cf. Norvin, Undervisning, I, 596. 109 Some of them figure on the list of recipients provided by Czaika, David Chytræus, 446‒449. 110 Cf. Kaufmann, Brüder, 112. 111 Other Rostock professors, who in that respect were of importance to Danish or Scandinavian students, include Johannes Boukius, Johannes Caselius, Nathan Chytraeus and Johannes Posselius. 106
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he became professor of theology in Rostock. 112 His reputation and connections in Denmark immediately made him a sought-after contact for Scandinavian students – and their parents – when it came to organize a period of stay in Rostock. Quite a number of young nobles flocked to Bacmeister’s house. When Holger Rosenkrantz arrived in Rostock in 1590 to study, it was to the house of Bacmeister he came to live for the next three years. Here too, the future chancellor to King Christian IV, Christian Friis of Borreby, spent five years of his early education, between the ages of 10 and 15 (1566‒1571). Bacmeister also organized studies directly at the behest of the Danish king. In 1587, Frederik II wrote to Bacmeister about a young Danish nobleman, Frederik Skovgaard, whose education the King wished to oversee, instructing Bacmeister to admit the young man into his house and teach him in the private school he ran (und ihn in die Particular Schule bei Euch bestellen). 113 This episode underlines the importance of professors’ private tutelage as a supplement to the institutional history of universities. The noble students used their professor’s residence as an alternative venue for instruction, which kept them apart from the auditoriums, which were crowded with common students. Incidentally, Bacmeister charged one and a half thaler per week for students’ lodgings. 114 It was also with Bacmeister that Tycho Brahe, the most famous Danish nobleman to study in Rostock, stayed. In 1559 Tycho Brahe had matriculated in Copenhagen, leaving the university in 1562 to continue his studies abroad. After stays in Leipzig and Wittenberg, he arrived in Rostock on 24 September 1566. 115 A few months later, he fell out with another young Danish nobleman, Manderup Parsberg, who was also staying in Bacmeister’s house. The dispute, which appears to have been about astrology, was eventually settled by a duel, which resulted in a part of Tycho Brahe’s nose being hacked off by Parsberg’s rapier. 116 As a consequence of his misfortune, Tycho Brahe famously began to wear a nosepiece of gold and silver, kept in place by an adhesive salve that he took with him wherever he went. Not until 1597 would he return to Rostock, leaving Denmark for good after falling from favour with the Danish King. Before eventually settling in Prague, Tycho Brahe spent the first months of his exile in Rostock. He was greeted by David Chytraeus, who in a letter welcomed him back to the “City of the Roses”. 117 —————
112 113 114 115 116 117
Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, II, 17; Holtz, Bacmeister, 508f. Rørdam, Kjøbenhavns, II, 346. Cf. Kornerup, Biskop, I, 70. Cf. Thoren, Uraniborg, 22. Cf. ibid., 22f. Thoren, Uraniborg, 376.
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The nobles who stayed in Bacmeister’s house, or took up residence with other professors, were always accompanied by a tutor (Tycho Brahe’s tutor, Hans Aalborg, has already been mentioned). These tutors often were senior (non-noble) students who, while keeping an eye on the boys entrusted in their care, were thus given an opportunity to study abroad. This not only improved their qualifications, but also brought them closer to the upper circles of society. This could prove an invaluable asset in the struggle for positions in the world of academia. Hans Poulsen Resen, for instance, who became professor of theology in Copenhagen in 1597 and bishop of Zealand in 1615, had the advantage of having been tutor to Frederik Rosenkrantz during his period of study in Rostock from 1584 to 1586. Resen had already studied for a short period in Rostock in 1581, but this time he returned to stay in the house of the respected Bacmeister and in the company of Rosenkrantz and other future secular decisionmakers. 118 Resen’s predecessor as professor and bishop, Peder Winstrup, also studied in Rostock (c. 1572‒74), and the same goes for a large number of Copenhagen professors in the sixteenth and early seventeenth centuries. Rostock was simply one of the more opportune places to be for Danish students who hoped for a university career in Copenhagen. Some of those who were successful in that regard and who had studies in Rostock on their CV include the humanist and poet Erasmus Lætus, who became professor in Copenhagen in 1554; Christen Michelsen, who became professor of Greek in 1584; Anders Christensen, professor of medicine in 1585; Laurits Klausen Skavbo (Laurentius Nicolai Scavenius), who was professor in Copenhagen before his eventual appointment as bishop in Stavanger in Norway in 1605; and Klaus Theophilius, who studied five years in Rostock before becoming Doctor of Law in 1569. Theophilius, appointed professor of law in Copenhagen in 1580, remained, like many of his colleagues, in close contact with David Chytraeus through letters. 119
Royal patronage and influence With the marriage of Frederik II and Sophie of Mecklenburg in 1572, Rostock University was added to the sphere of influence of the Danish Oldenburg monarchy. With this development, the potential both for collaboration and competition between the universities of Copenhagen and Rostock intensified. Frederik II supported a number of Rostock professors financially —————
118
Cf. Kornerup, Biskop, I, 64‒83. Frederik Rosenkrantz would enter the service of Christian IV and go on to become provincial governor. 119 Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, II, 633.
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in return for their assistance in both academic and diplomatic affairs. Among these were Lucas Bacmeister, David and Nathan Chytraeus, Johannes Boukius, Simon Pauli the Elder, and Jacob Bording. These professors were, in fact, cultural ambassadors to the Danish king. This followed a tradition established by Christian III, who in particular had supported the theologians of Wittenberg. 120 Every year, the King had sent money or goods to Martin Luther, Philipp Melanchthon, Johannes Bugenhagen, Justus Jonas and Georg Major; and they repaid the king by looking after Danish students who travelled to Wittenberg (just as Bacmeister, Chytraeus, and others did in Rostock), and by recommending to the king those students they deemed worthy of his further support. The attention paid by Sophie as Queen Dowager to Rostock University has already been mentioned, and this probably had implications even in matters relating to the judicial system in Denmark, as can be seen in a case about a suspicious death on Falster, which was part of her estate. In 1593 a pastor, Herr Oluf, had complained to his colleague, Herr Christopher, in the neighbouring parish, of an illness from which he was suffering. Christopher, known for having medical expertise, prepared an electuary which he sent in a jar to Oluf the next day. Immediately after consuming some of the remedy, Oluf began to suffer from cramps, and within an hour he was dead. Before he died, he accused Christopher of causing his suffering. The death was deemed suspicious by the authorities, and Christopher was suspended. The provincial governor decided to send the jar for inspection at a medical faculty, but – perhaps surprisingly from a modern perspective – chose to send it to Rostock rather than Copenhagen. The Rostock medical faculty deemed the remedy Christopher had prepared for Oluf to be appropriate and harmless. Only then was the medical faculty in Copenhagen asked for a second opinion. They agreed with the assessment previously given by their Rostock colleagues. Eventually the charges against Oluf were dropped.121 With the distance between Rostock and Falster being considerably shorter than that between Falster and Copenhagen, the case shows that from an administrative point of view, in that part of Denmark it was just as natural to turn to Rostock as to Copenhagen for university experts’ advice. After the turn of the century, the ties between Rostock University and the Danish monarchy were even formalized. In 1603, Ulrich, son of King Frederik II and Sophie of Mecklenburg, became Prince-Bishop Ulrich II of Schwerin and thereby also chancellor (Kanzler) of Rostock University. 122 To coincide with his accession, Sophie, now Queen Dowager, bestowed —————
120
Cf. Lausten, Beziehungen, 247–254. Cf. Rørdam, Kjøbenhavns, III, 350‒354. 122 Cf. Fussing, Ulrik 1578, XV, 168f. 121
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1.000 guilders on the refectory (Kommunität) in Rostock. Upon Ulrich II’s death in 1624, he was succeeded by his namesake Ulrich III, son of King Christian IV and Queen Anne Catherine of Brandenburg. 123 But as Ulrich III was only a 13-year-old boy, Christian IV appointed the Rostock professor of Greek, Johann Huswedel, to serve as chancellor in his stead. 124 The Danish monarchy’s hold on the Prince-Bishopric ended in 1629 after its conquest by Wallenstein during the Thirty Years War. The war also disrupted the connections between Copenhagen and Rostock; yet the idea that Rostock held intellectual pre-eminence in the Nordic world lingered on. One final case illustrates this. It concerns the tribulations of Jørgen (Jürgen) Friis, who was a pastor in the village of Sevel, near Viborg, in Jutland.125 Friis was removed from office in 1642 after being charged with the crime of disregarding prayer. Friis held that praying to God was the duty of a good Christian, but that praying too much, being too devout, smacked of Catholicism and the idea of ‘justification by works’. Friis made his views public, preaching them from the pulpit and holding onto them in conversations with the local nobility, who finally alerted Friis’s ecclesiastical superiors. The matter was eventually brought to the attention of King Christian IV, who immediately declared Friis to be a rebel and deemed the case a matter of principle regarding the doctrines of the Danish Lutheran Church. Simply put, the King feared that Friis’s opinion could lead to indifference to prayer among the population. At this time during the Thirty Years War, when the King was backing the Danish Church to intensify its efforts to spread piety throughout the realms, this scenario would be catastrophic. By order of the King, Friis was arrested and brought to Copenhagen, where he was imprisoned in the castle and interrogated. In 1643 he was put on trial before a special tribunal consisting of the bishops of Denmark and the members of the faculty of theology of the University of Copenhagen. The King stated that he had also considered getting an expert opinion from a German university, although he did not reveal which university he had in mind. Just like Christian III and Frederik II before him, Christian IV was inclined to hold German theologians in particularly high esteem. The trial ended with Friis being condemned as a heretic. Initially the King wished for Friis to be executed, but after two further years of imprisonment, Friis was exiled in 1645. He was given a passport so he could leave the country, and he immediately used his freedom of leave to travel to Rostock, where he appealed to the faculty of theology to review his case. It was very likely Rostock’s reputation, dating from Chytraeus’s time, for staying —————
123 124 125
Cf. Fussing, Ulrik 1611, XV, 169f. The letter of appointment (dated 11 May 1624) is printed in Rørdam, Forhandlinger, IV, 110. The case is discussed in Appel/Fink-Jensen, Når, 150‒194.
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clear of hard-line Lutheran orthodoxy that appealed to Friis. Furthermore, in the 1640s, a clerical movement was building in Rostock concerned with ‘Reform Orthodoxy’ and the importance of the practice of Christian piety rather than confessional doctrine. 126 This might have contributed to creating a theological environment in Rostock that would look favourably on Friis. He handed over a number of transcripts from his case, along with other documents and statements, to the theological faculty and was interrogated for three hours. In the end, the faculty declared his teachings to be orthodox – that is, truly Lutheran – and they deemed him to be a devout and pious Evangelical preacher. The Rostock dean, the professor of theology Johannes Cothmann, set it all down in a document, Facultatis Theologiæ Rostochiensis Censura, dated 27 June 1646, which even warned Friis’s persecutors that they would have to answer to God if they persisted in their apparent wrongdoing. 127 These persecutors were, of course, none other than the King and the Church of Denmark. The Rostock document did not immediately alter Friis’s predicament in Denmark, but the weak and ageing Christian IV had evidently lost interest in the case. Towards the end of 1647, Friis was permitted to return to Denmark, though barred from holding any office in the Church. In the end, Friis left Denmark again of his own accord; in 1650 he travelled to Stockholm with the aim of becoming pastor in Halland, a Danish province, but occupied by Sweden since 1645. Friis was approved, and the document issued by the Rostock faculty in his support undoubtedly proved decisive. In 1652 Friis settled in Halland, and here in his parish near Varberg he died in 1688. The fact that the Rostock document did not hold sway in Denmark was perhaps a signal of the waning influence of Rostock University around 1650. 128 The steady flow of Danish and Norwegian students to the Hanseatic city decreased dramatically as the middle of the seventeenth century approached. Fewer than five Danish and Norwegian students matriculated per year in Rostock in the 1640s, and before the end of the century, there would be years without the matriculation of a single new student from Denmark-Norway. 129 This was in stark contrast to the heyday of collaboration and competition between Copenhagen and Rostock in the sixteenth century. ————— 126
Cf. Strom, Orthodoxy, 85. Document in the Danish National Archive, Collection of Manuscripts, sign. V. Q. 15. A selection of the documents from the case against Friis (but not the Rostock censura) is printed in Dänische Bibliothec 2, 1738, 209‒43. 128 Cf. Asche, Bürgeruniversität, 65‒79. 129 A total of 43 students from Denmark-Norway matriculated in Rostock between 1641 and 1650, whereas 232 had matriculated between 1581 and 1590, cf. Helk, Studierejser, 43. Between 1691 and 1700 the number was down to six students, cf. Helk, Studierejser 1661, I, 84. 127
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Tuija Laine
Die Bedeutung Rostocks für das lutherische kirchliche Leben in Finnland von der Reformation bis zur frühen Orthodoxie Die Forschungsaufgabe Schon bald nach der Reformation wuchs im Schwedischen Reich auch unter finnischen Studenten die Bedeutung deutscher Universitäten als Peregrinationsziel, da aus konfessionellen Gründen ein Besuch katholischer Universitäten nicht mehr infrage kam. Im Folgenden gehe ich der Frage nach, welche finnischen Studenten gegen Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts an der Universität Rostock studierten. In welcher Weise waren sie während ihres Studiums und danach literarisch aktiv, welche persönlichen Kontakte knüpften sie und welche Bedeutung hatte ihr Studium für das aufkeimende Luthertum in ihrem Heimatland? Ich nehme dabei jene Studenten genauer in den Blick, deren Aktivitäten auch darüber hinaus im Lichte der genannten Kriterien bedeutsam sind. Zudem greife ich auch ein paar weitere Autoren heraus, die ihre Schriften in Rostock drucken ließen, auch wenn sie selbst nicht an der Universität Rostock studiert hatten.
Der Studienaufenthalt finnischer Studenten an deutschen Universitäten vor Gründung der Akademie von Turku Die erste Universität in Finnland, die Akademie von Turku, wurde 1640 gegründet. Vorher mussten alle, die an einer Universität studieren wollten, sich entweder an der Universität in ihrem Heimatland, das heißt im Schwedischen Reich an der Universität von Uppsala, oder an einer anderen europäischen Universität bewerben. Einer der beliebtesten Studienorte im Mittelalter war Paris, das bei finnischen Studenten vor der Gründung deutscher Universitäten geradezu eine Monopolstellung genoss. Die erste deutsche Universität wurde Ende des 14. Jahrhunderts in Prag (1348) gegründet. Die Gründung der Universitäten von Leipzig (1409), Rostock (1419) und Greifswald (1456) verbesserte die Studienmöglichkeiten finnischer Studen-
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ten, da sie geographisch näher lagen, die Studienzeit dort kürzer und das ganze Studium somit kostengünstiger war. 1 Die Reformation teilte auch die Universitäten in unterschiedliche Lager. Die Spaltung Europas in katholische und protestantische Königreiche und Fürstentümer spiegelte sich in der Bevorzugung einzelner Studienfächer und im Inhalt der theologischen Lehre an den Universitäten wieder. Zentrum der Reformation war die Universität Wittenberg. Dort lehrte als einer der wichtigsten Professoren Martin Luther. Als die Reformation das Schwedische Reich erreichte, zunächst als Folge der Aktivitäten König Gustav Vasas, gelangte die Universität Wittenberg auch in den Fokus finnischer Studenten. Von 1531 bis 1568 brachen sechzehn Finnen auf, um an ausländischen Universitäten zu studieren. Mit einer Ausnahme entschieden sich alle für Wittenberg. Allerdings studierte davon ein Teil noch zusätzlich auch an einer anderen lutherischen Universität. Nachdem diese Studenten in ihre Heimat zurückgekehrt waren, führte dies zu einem Erstarken des Luthertums in Schweden, da ehemalige Wittenberger Studenten häufig hohe kirchliche und schulische Positionen erlangten, so auch im Bistum Turku. 2 An die zweite Stelle, gerechnet nach den eingeschriebenen Studenten, trat Rostock, wo von 1542 bis 1568 insgesamt sieben finnische Studenten immatrikuliert waren. Allerdings war Rostock zu jener Zeit nicht mehr als eine Zwischenstation auf dem Weg nach Wittenberg. Auch verfassten die Studenten während ihres Studiums in Rostock noch keine bedeutsamen Schriftstücke, beziehungsweise sind diese der Nachwelt nicht erhalten geblieben. 3 Erst mit Beginn der 1580er Jahre gewann Rostock auch als tatsächlicher Studienort unter finnischen Studenten stärkere Bedeutung. An der Universität waren in den 1580ern fünf, in den 1590ern sieben und im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts zehn finnische Studenten immatrikuliert. Während der 1610er Jahre war es ruhiger. Zu jener Zeit waren nur vier Studenten aus Finnland eingeschrieben, aber bereits im darauffolgenden Jahrzehnt stieg die Zahl erneut auf neun an. Von diesen 35 Studenten haben etwa die Hälfte noch heute bekannte Druckwerke aus ihrer Rostocker Zeit hinterlassen: ein Oratorium, eine Dissertation oder ein Glückwunschgedicht. Auf der Synode von Uppsala 1593 wurde das Luthertum als staatliche Konfession in Schweden festgeschrieben. 4 Danach bestimmten Wittenberg und Rostock souverän die ausländischen Studienaufenthalte der Finnen. 5 Wahrscheinlich —————
1
Vgl. Nuorteva, opinkäynti, 438f. Vgl. ebd., 155, 187. 3 Vgl. ebd., 187. 4 Vgl. dazu auch den Beitrag von Otfried Czaika in diesem Band. 5 Vgl. SKB (hier und im Folgenden: Suomen kansallisbibliografia. Finlands nationalbibliografi = Finnische Nationalbibliographie); Nuorteva, opinkäynti, 288, 491. 2
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war Rostock vor allem aufgrund der guten Verkehrsverbindungen besonders bei Studenten, die aus dem in Ostfinnland gelegenen Bistum stammten, beliebt, wenngleich auch Studenten aus den westlich von Turku gelegenen Gegenden ihren Weg dorthin fanden.
Die Universität Rostock als Bildungsstätte finnischer Bischöfe in der Zeit der Frühorthodoxie Gegen Ende des 16. und zu Anfang des 17. Jahrhunderts studierten nicht nur in Wittenberg, sondern auch in Rostock zahlreiche Finnen, die später nach ihrer Rückkehr nach Finnland bedeutende kirchliche Ämter bekleideten. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war es bereits ein ungeschriebenes Gesetz, dass für Leitungsaufgaben im sogenannten Domkapitel ein Universitätsstudium unverzichtbar war, und umgekehrt ein Studium in der Regel einen Posten im Domkapitel garantierte. 6 Teilweise waren die Absolventen aus Rostock sowohl während ihres Studiums als auch in ihrem späteren Leben literarisch sehr aktiv. Bei vielen entstanden die wichtigsten Schriftstücke erst nach ihrer Rückkehr in die Heimat, als die Lehren der Reformation an die neue kirchliche Umgebung angepasst werden mussten. Die zentrale Herausforderung lag dabei vor allem in der kirchlichen Volksbildung und in der diese fördernde Literatur. Olaus Erici (Elimaeus, etwa 1570–1629), der aus Pyhtää (Elimäki) in der Provinz Uusimaa stammte, wurde 1597 in die Matrikel der Universität Rostock eingeschrieben. Zuvor hatte er bereits in seinem Heimatland Schweden an der Universität Uppsala studiert, wo er sich 1595 eingeschrieben hatte. Von Rostock führte ihn der Weg noch weiter an die Universitäten von Wittenberg (1601) und Helmstedt (1601). Zumindest in zeitlicher Hinsicht war Rostock für Elimaeus am bedeutendsten, denn dort studierte er die längste Zeit. In Rostock verteidigte er auch im August 1596 seine Dissertation, also bereits vor seiner offiziellen Einschreibung an der dortigen Universität. Nach Wittenberg ging Elimaeus Anfang März 1601, um bereits Ende April desselben Jahres nach Helmstedt weiterzuziehen, auch wenn – aller Wahrscheinlichkeit nach – Wittenberg sein eigentliches Ziel blieb. Seinen Studienaufenthalt in Wittenberg beendete er im März 1602 mit dem Ablegen der Magisterprüfung. Bereits 1603 war er dann bekanntermaßen Schulmeister in Enköping. Elimaeus’ Studium wurde durch seine finanziell abgesicherte Stellung erleichtert – 1596 erhielt er das Erbe seines Onkels —————
6
Vgl. Heininen, Humanisti, 22f.
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Erik Mattson, das ihm die Aufnahme seiner Studien im Ausland ermöglichte. 7 Elimaeus verfasste während seines Studiums nur wenige Schriften. In Rostock verteidigte er seine Dissertation De physicae definitione, divisione, & doctrinae ordine im Fach Physik bei Johannes Sturmius. Auch drei schwedische Studenten verteidigten mit ihm in die gleiche Kategorie fallende Dissertationen. Es ist zudem bekannt, dass Elimaeus 1601 in Wittenberg einen Eintrag in das Stammbuch des Reichskanzlers Axel Oxenstierna geschrieben hat. Neben einem lateinischen Satz bedachte er Oxenstierna auch mit einem finnischen Sprichwort, in dem zur Suche nach Weisheit aufgefordert wird. Das Sprichwort war Elimaeus offensichtlich wichtig, denn er schrieb es auch später noch, als er bereits Hauptpfarrer von Stockholm war, ins Stammbuch seines „lieben Zimmergenossen“ Olaus Laurelius. 8 Elimaeus wurde 1618 zum Bischof von Wiborg ernannt. Er war dort nur elf Jahre im Amt und davon die letzte Zeit wegen einer Erkrankung in schlechter Verfassung. Er setzte die Linie seines Vorgängers Paulus Juustens fort, den Bedarf seines Bistums an Literatur in der Volkssprache zufriedenzustellen. Elimaeus veröffentlichte ein Evangelienbuch bereits unmittelbar nach seiner Ernennung, also schon vor seiner persönlichen Ankunft in Wiborg 1618. Das Werk erfuhr 1622 eine Neuauflage. Diese war auch nötig, da im Zuge einer Überarbeitung der Agende 1614 auch die Messe neu gestaltet worden war. 9 Die damalige Agende trug die Handschrift des Turkuer Bischofs Ericus Erici Sorolainen (etwa 1556–1625), der ebenfalls in Rostock studiert hatte, aber Elimaeus verfasste bald auch eine eigene Agende. Die Agende Käsikiria, jossa on käsitetty, millätawalla Jumalan palvelus, christilisten ceremoniain ia kirconmenoin cansa, Somen seuracunnis pidhettämän pitä erschien 1629 in Stockholm in der Druckerei Christoph Reusners, wo auch das zuvor erschienene Evangelienbuch gedruckt worden war. Verleger dieser Agende war der in Estland geborene Hauptpfarrer der finnischen Gemeinde in Stockholm, Thomas Georgii, der auch die Veröffentlichung des Werks in Stockholm beaufsichtigte. Das Buch unterschied sich von der Agende des Ericus Erici Sorolainen sowohl durch die Verwendung des karelischen Dialekts als auch durch einige sachliche Änderungen, die Eli—————
7
Vgl. Anthoni, Elimaeus, 335; Nuorteva, opinkäynti, 303–305, 447; Laasonen, Elimaeus. Vgl. Elimaeus, Disputatio; Leinberg, Dissertationes, Nummer 238; Nuorteva, muistokirjat, 25f. Das Sprichwort lautet: Etzi wisaus wisusta Tawat tutki taitawasta Nijn sä mailla mainitahan Monin paikoin paluellahan. Das Laurelius zugedachte Sprichwort hat einen etwas anderen Wortlaut, der Anfang ist aber gleich: Etzi wisahus wisusta Tawat tutki taitawasta Eij wara wenehtä kadha Särge mieli miehen pääta. SKB, Nummer 3487; Nuorteva, opinkäynti, 303. 9 Vgl. SKB, Nummer 1051, 1078f; Heininen, hiippakunta, 53. 8
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maeus offensichtlich gemeinsam mit dem Domkapitel seines Bistums einbrachte. Im Vorwort der Agende spricht er davon, das Buch im Vergleich zu seinem Vorgänger stärker an die Leitlinien der Reformation angepasst zu haben. Dazu wäre man vorher noch nicht in der Lage gewesen, weil dem Volk noch nicht in genügendem Umfang die neue Lehre beigebracht worden wäre. Die Lehre habe aber jeder Veränderung der Gebräuche vorauszugehen, andernfalls, so Elimaeus, würden Verärgerung und Aufruhr im Volk entstehen. In der Agende des Elimaeus hielt man sich genauer an das Vorbild des schwedischen Pendants von 1614 als in der finnischen Agende. Auch wenn das Buch mit Blick auf das Bistum Wiborg verfasst worden war, scheint es auch im Bistum Turku in Gebrauch gewesen zu sein. Neben den genannten Büchern war Elimaeus auch an der Erstellung des 1621 erschienenen Gesangbuchs beteiligt. Die Hauptverantwortung für dessen Zusammenstellung trug Jacobus Petri Finno, der ebenfalls an den Universitäten in Wittenberg (eingeschrieben 1563) und Rostock (1567) studiert hatte. 10 Dass die Reformationszeit allmählich zu einer vergangenen Zeit wurde, lässt sich daran ablesen, dass der Begriff ‚Messe‘ in den Agenden des 17. Jahrhunderts bereits durch den Begriff ‚Gottesdienst‘ ersetzt worden war. Diese Veränderung zeigt eine Verlagerung des Schwerpunktes vom Abendmahl auf die Predigt mit dem Eintritt in die Zeit der Orthodoxie an. Jussi Nuorteva hat festgestellt, dass die aus dem Bistum Turku stammenden Studenten zwar bereits in den 1530er Jahren die Ziele der Reformation verinnerlicht hatten, dabei aber vor allem Empfänger und Vermittler von Ideen waren. Sie verfassten weder wissenschaftliche Texte noch beteiligten sie sich am internationalen theologischen oder philosophischen Diskurs. Auch Ericus Erici Sorolainen, ein Zeitgenosse Elimaeus’ auf dem Bischofssitz in Turku, veröffentlichte während seines Studienaufenthaltes in Rostock keine einzige Zeile. Als er jedoch das Bischofsamt in Turku übernahm, ließ er dort Bücher zur Unterweisung des Volkes drucken. Nach dem Vorbild Luthers verfasste er einen kleinen Katechismus für das Volk sowie einen großen Katechismus für die Pfarrerschaft. Der große Katechismus erschien 1614 und der kleine, dessen Erstauflage nicht erhalten geblieben ist, zwischen 1614 und 1621. Außerdem veröffentlichte er noch die vorgenannte Agende sowie eine zweiteilige finnischsprachige Evangelienpostille – die erste ihrer Art. Ericus Erici starb vor dem Erscheinen des zweiten Teils der Postille. Dieser erschien postum in seinem Sterbejahr 1625. Vor allem die Veröffentlichung der Postille war eine bemerkenswerte Tat. Sie zeigt, dass Ericus Erici die deutsche Postillenliteratur seiner Zeit gut kannte, wozu sicher auch sein Studienaufenthalt im Ausland beigetragen hatte. —————
10
Vgl. Elimaeus, Käsikirja, A2r.; Simolin, Bång, 78; SKB, Nummer 1008, 1078f, 4215; Knuutila, cantiones, 125–127; Nuorteva, opinkäynti, 186, 478; Heininen, hiippakunta, 23; Laasonen, Elimaeus.
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Erkki Kouri hat mit seinen Forschungsarbeiten herausgefunden, dass Ericus Erici beim Verfassen seiner Postille auf mindestens neun deutsche Postillen zurückgegriffen hat, als Hauptquelle dabei die dreiteilige Evangelienpostille des Nathanael Tilesius Evangeliorum anniversariorum Analysis. Christliche, Richtige, vnd deutliche Erklärung aller Evangelien (Erstausgabe 1613– 1614). Wahrscheinlich hatte er sich zumindest einen Teil seiner Quellen während seines Studienaufenthalts in Rostock beschafft, denn sie sind beispielsweise weder in den Bücherverzeichnissen der Domkirche in Turku noch der dortigen Kathedralschule aufgeführt. Kouri hält es für wahrscheinlich, dass Ericus Erici zumindest die Postille seines Lehrers Simon Pauli Postilla, Das ist Ausslegung der Episteln und Euangelien, an Sontagen vnd fürnemsten Festen (1577) in Rostock erworben hatte. 11 Die Volksbildung lag dem Bischof sehr am Herzen, aber sein Publikationsdrang scheint teilweise auch mit seinem Wunsch, sich als lupenreiner Vertreter der lutherischen Lehre zu erweisen, erklärbar zu sein. Sorolainen war nämlich ein Anhänger des liturgischen Reformprogramms Herzog Johanns und dadurch bei Herzog Karl in Ungnade gefallen. Er hatte unter anderem Johanns Liturgie sowie weitere für seine religiöse Haltung bezeichnende Dokumente ins Altgriechische übersetzt, was zudem seine ausgezeichneten Griechischkenntnisse belegt. Auf der Versammlung in Uppsala 1593 sagte sich Ericus Erici jedoch von der Linie Herzog Johanns los. Im Domkapitel und der Kathedralschule von Turku herrschte Ende der 1570er und Anfang der 1580er Jahre eine der Liturgie Johann III. wohlgesonnene philippistische Gruppierung. Deshalb verwundert es nicht, dass viele Studenten und künftige Kirchenführer jener Zeit diese Richtung unterstützten. In Schweden war der Unterschied zwischen philippistischen und orthodoxen Lutheranern klar – wer in Wittenberg studiert hatte, vertrat die philippistische Richtung, Rostocker Studenten hingen dem orthodoxen Luthertum an. In Finnland gab es keine so scharfe Trennung. Viele finnische Studenten besuchten beide Universitäten, und auch sonst gab es unter den finnischen Studenten zahlreiche Anhänger der Liturgie Johanns. In den 1590er Jahren änderte sich die Lage, und die Vertreter des orthodoxen Luthertums konnten ihre Position festigen. An der Universität Wittenberg begann die Veränderung hin zur Orthodoxie bereits 1574 und wurde bis zum Ende des Jahrhunderts immer stärker. 12 Wie für Elimaeus und Ericus Erici Sorolainen wurde Rostock auch für Nicolaus Magni Carelius zum hauptsächlichen Peregrinationsziel. Nicolaus ————— 11
Vgl. Kouri, käyttökirjallisuuden, 18f, 41f, 62–70; Nuorteva, opinkäynti, 189; SKB, Nummer 1050–1054; Kouri, Sorolainen. Die erste erhaltene Ausgabe des kleinen Katechismus von Ericus Erici stammt aus dem Jahre 1629. 12 Vgl. Heininen, Humanisti, 16, 220; Paarma, Hiippakuntahallinto, 153–155; Nuorteva, opinkäynti, 241, 266, 269.
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Magni Carelius hatte sein Studium 1592 an der Universität Jena begonnen, und wenig später in Uppsala und auch in Greifswald abgeschlossen, jedoch an diesen Orten kaum Möglichkeiten gefunden, seinen persönlichen Studieninteressen nachzugehen. Aus Jena musste er wegen finanzieller Schwierigkeiten abreisen, und als er später 1596 mit Hilfe eines königlichen Stipendiums seine Finanzierung gesichert hatte, arbeitete er eine Zeit lang als Mentor für die Studenten Gustav und Gabriel Oxenstierna, in der damaligen Terminologie als deren Praeceptor. Sein Engagement bei der Vorbereitung der Studienreise der beiden nach Uppsala und die Betreuung ihres Studiums in Greifswald ließen ihm keine Zeit für sein eigenes Studium. Im Oktober 1598 war seine Aufgabe beendet und er zog nach Rostock, wo er bereits im Februar 1599 eine öffentliche Oratio mit dem Titel De optima repvblica abhielt. Er widmete diese Oratio seinen Schülern, den Brüdern Oxenstierna, die er als „meine Gönner und Freunde“ bezeichnete. Auch er verfasste 1601 einen Eintrag in das Stammbuch Axel Oxenstiernas, worin er auch diesen seinen Gönner und besten Freund nannte. Die Studenten aus dem näheren Umkreis Oxenstiernas erlangten in ihrer Heimat hohe kirchliche Positionen, unter anderem wurden Elimaeus und Nicolaus Magni Carelius Bischöfe von Wiborg. Es ist nicht bekannt, ob Nicolaus Magni in Rostock oder Wittenberg, wo er 1600 ankam, eine Dissertation öffentlich verteidigt hatte, aber eine solche Dissertation ist wahrscheinlich, denn er wurde in Wittenberg am 22. September 1601 zum Magister der Philosophie promoviert. Nach Elimaeus wurde er 1630 zum Bischof von Wiborg gewählt, doch blieben ihm bis zu seinem Tod nur noch zwei Jahre in diesem Amt gegönnt. 13
Kirchenlieder, Katechismen und Glückwunschgedichte Im Laufe der Geschichte gab es in Finnland zahlreiche Familien mit dem Namen Ruuth. Junge Männer aus diesen Familien studierten gegen Ende des 16. und zu Anfang des 17. Jahrhunderts auch in Rostock. Anfang der 1580er Jahre zog es den aus Wiborg stammenden Christianus Bartholdi Ruuth (1580) und seinen Verwandten, Theodoricus Petri (Didrik Persson) Ruuth aus dem Kirchspiel Porvoo (1581) nach Rostock. Für beide blieb Rostock der einzige ausländische Studienort. Mögliche Publikationen des Christianus Bartholdi sind der Nachwelt nicht erhalten geblieben, aber während seines Aufenthalts in Rostock schrieb er mindestens einen Eintrag in das Stammbuch des Petrus Petri Helsingius; so wie unter anderem auch Abraham Angermannus und Petrus Johannes Gothus. Wie man weiß, inte————— 13
Vgl. Leinberg, Orationes, Nummer 61; Nuorteva, muistokirjat, 75; SKB, Nummer 795; Nuorteva, opinkäynti, 289–292, 477; Heininen, hiippakunta, 23; Heininen, Carelius.
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ressierte ihn vor allem das Studium der Exegetik. Dieses Fach studierte er auch keineswegs umsonst, denn 1602 ernannte ihn Herzog Karl zum Mitglied des von ihm eingesetzten finnischen Bibelübersetzungskomitees. Er wurde 1584 bei der gleichen Promotionsfeier zum Magister ernannt wie auch der mit ihm verwandte Theodoricus Petri Ruuth. Anlässlich dieser Promotion ließen Freunde des Christianus Bartholdi Ruuth ihm zu Ehren zwei Glückwunschbücher mit zahlreichen in den klassischen alten Sprachen verfassten Gedichten drucken. Unter den Gratulanten war natürlich auch Theodoricus Petri Ruuth. Nach seiner Rückkehr nach Finnland wurde Christianus Bartholdi Schulmeister der Schule von Wiborg und das gelehrteste Mitglied des Domkapitels. 14 Theodoricus Petri Ruuth wurde vor allem als Herausgeber der Piae cantiones, einer Sammlung von Schulliedern, bekannt. Die Sammlung erschien in Greifswald nur ein Jahr nachdem sich Ruuth an der Universität Rostock eingeschrieben hatte. Es ist daher wahrscheinlich, dass Theodoricus Petri damit schon vor seiner Abreise aus Finnland beauftragt worden war. Die eigentliche Zusammenstellung der Lieder besorgte Jacobus Petri Finno, dessen Aufgabe vor allem darin bestand, die Lieder in eine mit dem lutherischen Glauben im Einklang stehende Fassung zu bringen. Im Jahre 1568 wurde Finno zum Rektor der Kathedralschule von Turku ernannt, und später wurde er Hauptpfarrer von Maaria, einem Nachbarort Turkus. Auch er war ein Verfechter der liturgischen Reformbestrebungen Johanns III. Nur ein Jahr nach der Veröffentlichung der Liedersammlung erschien von Finno auch das erste finnischsprachige Kirchengesangbuch. Vom Stil her war es eher farblos, geradezu unbeholfen; trotzdem sollte es die Grundlage späterer finnischsprachiger Gesangbücher bilden. Neben dem Gesangbuch veröffentlichte Finno im gleichen Jahr noch ein Gebetbuch, das unbestreitbar zu dem am weitesten verbreiteten Gebetbuch im Finnland des 17. Jahrhunderts avancierte. Das Buch war ein Schritt hin zur lutherischen Orthodoxie – kennzeichnend dafür waren der erzieherische und belehrende Tonfall, die Dreiständelehre sowie die Hervorhebung zentraler Grundsätze der Reformation. Beide Bücher wurden in Stockholm gedruckt, wie auch offensichtlich der von Finno zur gleichen Zeit verfasste Katechismus. Dieser Katechismus war in Gebrauch, bis derjenige Ericus Ericis erschien und ihn verdrängte. 15 Die Sammlung Piae cantiones spiegelt Ruuths Affinität zur lateinischen humanistischen Dichtung wider, die eine Fortsetzung in vier von ihm ver————— 14
Vgl. SKB, Nummer 3106; Nuorteva, muistokirjat, 93; Nuorteva, opinkäynti, 480; Heininen, hiippakunta, 51; Petersson/Sandén, undergången; Autio, Ruuth; Heininen, Ruuth; Johansson, Helsingius; Matrikelportal Rostock. 15 Vgl. SKB, Nummer 1113, 1115, 3058, 4213; Nuorteva, opinkäynti, 273; Kajanto, Ruuth; Lempiäinen, Finno.
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fassten Glückwunschgedichten fand. Durch sie hält man ihn für den ersten echten humanistischen Dichter Finnlands. Zwei der Gedichte sind jungen Leuten gewidmet, die ihr Studium abschließen und die Universität verlassen, darunter auch das für Christianus Bartholdi Ruuth geschriebene Gedicht von 1584. Mit zwei weiteren Gedichten beglückwünschte er Freunde zu ihrer Hochzeit. Ruuth beendete jedoch seine poetischen Aktivitäten mit der Aufnahme des Studiums in Rostock. Später war er unter anderem als Mitglied der Grenzkommission des Friedens von Täyssinä tätig. Im Jahre 1602 wurde er des Landes verwiesen, da man ihn verdächtigte, sich der Auffassung Sigismunds, der katholisch war, angeschlossen zu haben. Während seiner Verbannung ließ er sich in Danzig nieder. Die politischreligiöse Situation im Schwedischen Reich war nämlich in den 1590er Jahren wegen des Machtkampfes zwischen Sigismund und Herzog Karl äußerst brenzlig. Sie strahlte besonders in die Stellung des Pfarrerstandes hinein. Dieser bemühte sich um Loyalität gegenüber dem rechtmäßigen König, aber gleichzeitig auch darum, am evangelischen Glauben, der den Schutz Herzog Karls genoss, festzuhalten. Einzelne Theologen wurden leicht für Anhänger der einen oder anderen Seite gehalten, sodass die jeweils andere Partei sie zu verfolgen begann oder ihnen zumindest misstraute. 16 Mitglieder der Familie Ruuth waren auch noch während der nächsten Generation an der Universität Rostock vertreten. Der Sohn Bertil Pedersons, des Bürgermeisters von Wiborg, Johannes Bartholdi Ruuth, schrieb sich im November 1606 an der Universität ein, und ein Jahr später folgte ihm sein Cousin, der in Helsinki geborene Petrus Laurentii Ruuth, welcher sein Auslandsstudium bereits 1589 an der Universität Helmstedt begonnen hatte. Theodoricus Petri und Christianus Bartholdi waren jeweils Onkel Johannes Bartholdis. Johannes Bartholdi promovierte 1610 im Fach Logik bei Magister Hermannus Heltbergius, der selbst nur ein Jahr zuvor, im Oktober 1609, an der Universität Rostock immatrikuliert worden war. Zusammen mit anderen Freunden und Bekannten gratulierte er seinem Cousin Petrus Laurentii Ruuth anlässlich dessen Hochzeit 1614 mit einem in Lübeck veröffentlichten Glückwunschgedicht. Das hauptsächliche Studium absolvierte Petrus Laurentii jedoch in Helmstedt, wo er die Prüfung als Kandidat der Medizin ablegte. Er blieb in Deutschland und war bekannt für sein Talent bei der Anleitung von Studenten, starb aber schon zwei Jahre nach seiner Hochzeit im Jahre 1616. 17 ————— 16
Vgl. Heininen, Humanisti, 43; SKB, Nummer 1042, 1044, 3106, 3288; Kajanto, Ruuth. Vgl. Leinberg, Dissertationes, 242; Nuorteva, opinkäynti, 279–281, 299, 480; Matrikelportal Rostock: zu Wiburgensis vgl. http://purl.uni-rostock.de/matrikel/100020868, zu Heltbergius vgl. http://purl.uni-rostock.de/matrikel/100021559 (beide zuletzt geprüft am 15.09.2018). 17
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Der Sohn des Hauptpfarrers von Sysmä, Simon Johannis Carelius, schrieb sich im Juli 1605 an der Universität Rostock ein. Er promovierte zweifach, in den Jahren 1605 und 1607, bei dem Professor der Theologie Lucas Bacmeister dem Jüngeren (1570–1638). Die erste Disputation fand schon sehr bald nach seiner Ankunft in Rostock statt, im Dezember des gleichen Jahres. Als weitaus wichtigeren Verdienst als die öffentliche Verteidigung seiner Dissertationen muss man ihm jedoch seine 1607 in Rostock veröffentlichte erste Übersetzung von Luthers Katechismus sowie sein finnischsprachiges Gesangbuch anrechnen. Die Bücher waren dafür vorgesehen, in einem Band zusammengebunden zu werden. In einer umfangreichen Vorrede zum Katechismus beleuchtet Carelius den Hintergrund seines Projekts: Der neunjährige Kronprinz Gustav Adolf hatte ihn schon drei Jahre zuvor um einen finnischsprachigen Katechismus gebeten, um mit dessen Hilfe die finnische Sprache erlernen zu können. 18 Simon Johannis Carelius war damals Pfarrer der finnischen Gemeinde in Stockholm. Er wusste, dass auch ansonsten nicht viele finnischsprachige Katechismen im Umlauf waren und machte sich bald daran, neue Auflagen des Katechismus und des Gesangbuchs anzufertigen. Seine Ausgabe des Katechismus widmete er dem Prinzen. Er selbst fungierte auch als Verleger des Katechismus. Simon Johannis hoffte, dass Jung und Alt den Katechismus gebrauchen würden, und dass das Vorbild des Prinzen auch andere zur fleißigen Lektüre des Katechismus anregen würde. Der Katechismus enthält die gleichen Spuren des karelischen Dialekts wie auch die Agende des Elimaeus und andere religiöse Werke, die später für das östliche Bistum verfasst wurden. 19 Es ist wahrscheinlich, dass diese ausdrücklich für die Belange des Bistums Wiborg veröffentlicht wurden. Sonst wäre nicht verständlich, weshalb im gleichen Zeitraum auch in Stockholm ein finnischsprachiges Gesangbuch gedruckt wurde. Letzteres, das Gesangbuch Hemminki Maskulainens (1605), Nachfolger des finnischsprachigen Gesangbuchs Finnos, sollte wohl vor allem im Bistum Turku Verbreitung finden. Das Gesangbuch des Carelius war eine Neuauflage des Gesangbuchs Finnos und Hemminki Maskulainens, wie aus seinem Titelblatt hervorgeht. 20 Nach seiner Rückkehr nach Finnland bekam Carelius die erst kurz vorher, 1607, im Lyzeum von Wiborg eingerichtete Stelle eines Lektors der Theologie. 21 Die Erhältlichkeit von Büchern war ein Dauerproblem im Bistum Wiborg, weil die Wege nach Turku, wohin Handelswaren sowohl aus dem —————
18 Leinberg, Dissertationes, 240; SKB, Nummer 617, 618; Nuorteva, opinkäynti, 293, 477; Matrikelportal Rostock: zu Carelius vgl. http://purl.uni-rostock.de/matrikel/100020481 (zuletzt geprüft am 15.09.2018). 19 Vgl. Luther, Catechimus, A10f; Nuorteva, opinkäynti, 293, 477. 20 Yxi wähä suomenkielinen wirsikirja, A1r. 21 Vgl. Heininen, hiippakunta, 51.
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schwedischen Mutterland als auch aus dem Ausland hauptsächlich transportiert wurden, sehr weit waren. Man versuchte dieses Problem im Osten des Schwedischen Reiches auf verschiedene Weisen zu lösen: Einerseits wurden Bücher aus Turku importiert, was sehr mühsam war. Andererseits publizierten die Bischöfe in Wiborg, wie bereits gezeigt wurde, im 16. und besonders im 17. Jahrhundert mit Blick auf ihr Bistum eigene religiöse Literatur. Den überwiegenden Teil dieser Bücher musste man allerdings noch in Stockholm drucken lassen, denn die Druckerei der Turkuer Akademie wurde erst 1642 gegründet. Die genannten Beispiele zeigen aber auch, dass Bücher nicht selten sogar in Deutschland gedruckt wurden. Der dritte Beschaffungskanal für Bücher bestand in direkten Verbindungen nach Deutschland. Viele ausländische Buchhändler und Hausierer, die nach Turku kamen, reisten über das Baltikum aus Deutschland an, und machten auf ihrer Reise auch in Wiborg Station, um dort ihre Waren zu verkaufen. Für die Publikation des Katechismus hatte Simon Johannis den Auftrag des Prinzen, aber das Gesangbuch hatte er möglicherweise völlig aus eigenem Antrieb mit Blick auf dessen Verwendung im eigenen Bistum herausgebracht. Das Gesangbuch wurde offensichtlich in großer Eile gedruckt, weil Johannis sich im Nachwort für die verbliebenen Fehler mit dem Hinweis entschuldigt, dass diese Exemplare von einem der Sprache nicht mächtigen ausländischen Drucker in Eile gedruckt wurden. 22 Der Vater von Lucas Bacmeister dem Jüngeren, bei dem Simon Johannis seine Dissertation verteidigte, Lucas Bacmeister der Ältere (1530–1608), hatte sowohl das „Rostocker Gesangbuch“ herausgebracht, als auch selbst Kirchenlieder geschrieben. In der Zeit, als das finnische Kirchengesangbuch publiziert wurde, war Bacmeister noch am Leben und es ist gut möglich, dass Simon Johannis Carelius vom Vater seines Lehrvaters den Anstoß zur Herausgabe eines finnischen Kirchengesangbuchs bekommen hatte. Immerhin wohnten eine Reihe von Studenten aus Skandinavien bei Bacmeister und nahmen an den von ihm angeleiteten Gesprächen teil. 23 Mit Übersetzungen tat sich auch der Bruder des Simon Carelius, Henrik Jönsson Carelius (Careell), hervor. Dieser hatte offenkundig zwar nicht an einer Universität studiert, war aber als Kammerschreiber tätig gewesen, beherrschte das Schwedische und Russische gut und war in seiner Eigenschaft als Schreiber auch an Verhandlungen mit Russen beteiligt. Er war offensichtlich von Hofkanzler Nils Chesnecopherus beauftragt worden, die Lex Politica Dei ins Schwedische zu übersetzen. Ihm standen bei dieser Aufgabe einige Helfer zur Seite, zumindest sein Bruder Simon Johannis ————— 22
Vgl. Yxi wähä suomenkielinen wirsikirja, V6v; Stenberg, Kirjakauppoja, 102; Vallinkoski, history, 77. 23 Leinberg, Handlingar, IV, 57; Takala, Lex, 155.
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Carelius, der sich auch um organisatorische Fragen beim Druck des Werkes kümmerte. Das Buch erschien 1607 in Rostock, also zwei Jahre nachdem Simon sein Studium an der Universität Rostock begonnen hatte. Die Entscheidung für Rostock als Druckort des Buches fiel vielleicht deshalb, weil Simon Johannis Carelius dort lebte und schon einige Erfahrung mit der Veröffentlichung von Büchern in dieser Stadt gemacht hatte. Karl IX., für dessen Belange die Lex Politica Dei übersetzt worden war, ernannte Simon Carelius bereits im Jahre 1607 zum Rektor der Schule in Wiborg und belohnte ihn so für seine Mühen, die er mit der Veröffentlichung des Buches gehabt hatte. 24 Nach Rostock kamen auch finnische Gelehrte, die nicht an der dortigen Universität studiert hatten. Einer von ihnen war der vielseitig gebildete Sigfridus Aronus Forsius, der in Helsinki geboren worden war und sich vor allem als Verfasser der ersten finnischen Almanache einen Namen gemacht hat. Er übte diverse kirchliche Ämter in Finnland und dem schwedischen Mutterland aus, und war auch einige Jahre an der Universität Uppsala Professor für Astronomie, nachdem er zunächst als vermeintlicher Anhänger Sigismunds eine Gefängnisstrafe in der Burg Örebro abgesessen hatte. Er hatte früher in Deutschland studiert, war zwischenzeitlich aber wieder in sein Heimatland zurückgekehrt. Seine Karriere als Verfasser von Almanachen, die auch der Nachwelt erhalten geblieben sind, begann mit dem Werk Prognosticon astrologicum für 1606, das 1605 in Rostock gedruckt wurde. In Rostock lernte er auch Simon Johannis Carelius kennen. Das Almanachprivilegio, das alleinige Recht, Almanache zu veröffentlichen, erhielt Forsius von Seiner Königlichen Majestät 1613. Nachdem er 1619 ein Buch mit verbotener, zukünftige Ereignisse vorhersagender Astrologie geschrieben hatte, wurde er vor das Domkapitel zum Verhör einbestellt. Am Ende dieser Abfolge von Ereignissen wurde Forsius die Arbeit im kirchlichen Dienst verboten, und er dürfte auch den Ehrentitel eines Hofastronomen verloren haben. Gegen Ende seines Lebens wurde er jedoch trotzdem zum Hauptpfarrer von Tammisaari ernannt, wo er 1624 verstarb. Ihm gelang es, zwölf Almanache für die Jahre 1608 bis 1613 zu berechnen und zu veröffentlichen, dazu neun prophetische Bücher für die Jahre 1603 bis 1623 sowie eine Reihe anderer Bücher. In Rostock wurde 1603 auch das anticalvinistische Opus Elenchvs des Marcus Henrici Helsingius (etwa 1565–1609) gedruckt, der auch in Wittenberg studiert hatte (Immatrikulation 1592) und schließlich Rektor der Kathedralschule von Turku geworden war. Es ist nicht näher bekannt, warum Rostock zum Druckort dieses Buches wurde, da Helsingius damals schon in Turku lebte. Wahrscheinlich war es aber sicherer, das Buch außerhalb der —————
24
Vgl. Takala, Lex, 178–183.
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Grenzen Schwedens drucken zu lassen, wurde Herzog Karl (ab 1604 Karl IX.) doch der Begünstigung des Calvinismus bezichtigt. 25
Die Bedeutung Rostocks für das kirchliche Leben in Finnland Die Universität Rostock hatte als Bildungsstätte der finnischen gebildeten Elite zumal in der Reformationszeit und während der früheren Orthodoxie große Bedeutung. Sie wurde in jener Zeit neben der Universität Wittenberg zum wichtigsten sogenannten Peregrinationsziel der Finnen. Ein Teil der Studenten studierte auch an beiden Universitäten. Für Rostock interessierten sich vor allem Studenten, die aus den östlichen Gebieten des Reiches, aus der Gegend von Wiborg, kamen. Einige Studenten kannten einander schon, bevor sie nach Deutschland abreisten, oder Verwandte hatten bereits vor ihnen an den gleichen Universitäten studiert. Andererseits gelang es den Studenten, sich auch während ihres Studiums effizient zu vernetzen. Das bezeugen zahlreiche gegenseitig füreinander verfasste Glückwunschgedichte und Eintragungen in Stammbüchern. Da es in Rostock zur gleichen Zeit auch Studenten direkt aus Schweden gab und auch ansonsten zwischen den einzelnen Teilen des Schwedischen Reichs Kontakte bestanden, gehörten auch Schweden zum Freundeskreis der finnischen Studenten, die nach der Rückkehr in die Heimat hohe kirchliche Ämter bekleideten. Die Vernetzung und die Aufrechterhaltung von Kontakten wurde über die Studienzeit hinaus auch bis ins spätere Leben gepflegt. Viele Rostock-Besucher unterstützten kirchenpolitisch die Reformbestrebungen Johanns III., und ein Teil von ihnen wurde sogar der Anhängerschaft Sigismunds verdächtigt. Dies verschaffte ihnen einerseits kirchliche Karrieremöglichkeiten zur Zeit König Johanns, aber nachdem Herzog Karl den Thron bestiegen hatte, wurde ihre Loyalität stark angezweifelt, was ihren Handlungsspielraum einschränkte. Ein Teil der Studenten publizierte während seines Aufenthalts in Rostock Orationen, verteidigte Dissertationen oder schrieb Glückwunschgedichte. Bedeutsamer als ihre literarischen Aktivitäten während des Studiums sind allerdings die Publikationen, die sie hauptsächlich nach Beendigung ihres Studiums und nach ihrer Rückkehr nach Finnland veröffentlichten. Bei einigen konzentrierte sich die Arbeit auf die Übersetzung von Büchern, unter anderem als Mitglieder von Bibelübersetzungskomitees; ein Teil veröffentlichte beziehungsweise beförderte die Veröffentlichung von Büchern zum Zwecke der Volksbildung, für die nach Abschluss der Reforma—————
25
Vgl. Heininen, Humanisti, 143; Takala, Lex, 183; SKB, Nummer 1295–1306, 1316–1323; Nuorteva, opinkäynti, 294; Heininen, Helsingius; Kiiskinen, Forsius.
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tion besonders im östlichen Bistum ein gewaltiger Bedarf bestand. Bei einem Teil verlief der Weg zurück in heimatliche Gefilde – jedoch über das Mutterland Schweden –, weshalb die Einflüsse aus Deutschland sich nicht immer sofort im kirchlichen Leben und in der Arbeit der Domkapitel in Finnland niederschlugen. Um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert wurde Rostock auch zu einem wichtigen Publikationsort für finnische und von Finnen verfasste Literatur. Dabei war weder alle in Rostock veröffentlichte Literatur für akademische Zwecke bestimmt, noch hatten alle dort publizierenden Finnen an der Universität Rostock studiert. Für eine Veröffentlichung in Rostock gab es zahlreiche Gründe: Ausschlaggebend mochten sowohl die bestehenden Kontakte zu den Buchdruckereien der Stadt als auch der Wunsch gewesen sein, aus unterschiedlichen Gründen ein Werk außerhalb der Grenzen Schwedens herauszubringen.
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‒ Art. Carelius, Nicolaus Magni (noin 1570–1632), in: Kansallisbiografiaverkkojulkaisu. Studia Biographica, Bd. 4, Helsinki 1997–, verfügbar unter: http://urn.fi/urn:nbn:fi:sks-kbg-000476 (zuletzt geprüft am 23.08.2018). ‒ Art. Helsingius, Marcus Henrici (noin 1565–1609), in: Kansallisbiografiaverkkojulkaisu. Studia Biographica, Bd. 4, Helsinki 1997–, verfügbar unter: http://urn.fi/urn:nbn:fi:sks-kbg-000461 (zuletzt geprüft am 23.08.2018). JOHANSSON, PER OLOF, Art. Petrus Petri Helsingius, in: Geni. A MyHeritage Company, verfügbar unter: https://www.geni.com/people/Petrus-Petri-Helsingius/6000000021511819835 (zuletzt geprüft am 23.08.2018). KAJANTO, IIRO, Art. Ruuth, Theodoricus Petri (noin 1560–1617), in: Kansallisbiografia-verkkojulkaisu. Studia Biographica, Bd. 4, Helsinki 1997–, verfügbar unter: http://urn.fi/urn:nbn:fi:sks-kbg-003847 (zuletzt geprüft am 23.08.2018). KIISKINEN, TERHI, Art. Forsius, Sigfridus Aronus (noin 1560–1624), in: Kansallisbiografia-verkkojulkaisu. Studia Biographica, Bd. 4, Helsinki 1997–, verfügbar unter: http://urn.fi/urn:nbn:fi:sks-kbg-002290 (zuletzt geprüft am 23.08.2018). KOURI, ERKKI, Saksalaisen käyttökirjallisuuden vaikutus Suomessa 1600-luvulla. Ericus Ericin postillan lähteet (Suomen kirkkohistoriallisen seuran toimituksia 129), Helsinki 1984. ‒ Art. Ericus Erici Sorolainen (noin 1546–1625), in: Kansallisbiografiaverkkojulkaisu. Studia Biographica, Bd. 4, Helsinki 1997–, verfügbar unter: http://urn.fi/urn:nbn:fi:sks-kbg-000450 (zuletzt geprüft am 23.08.2018). LAASONEN, PENTTI, Art. Elimaeus, Olaus Erici (noin 1570–1629), in: Kansallisbiografia-verkkojulkaisu. Studia Biographica, Bd. 4, Helsinki 1997–, verfügbar unter: http://urn.fi/urn:nbn:fi:sks-kbg-000475 (zuletzt geprüft am 23.08.2018). LEMPIÄINEN, PENTTI, Art. Finno, Jacobus (noin 1540–1588), in: Kansallisbiografiaverkkojulkaisu. Studia Biographica, Bd. 4, Helsinki 1997–, verfügbar unter: http://urn.fi/urn:nbn:fi:sks-kbg-002310 (zuletzt geprüft am 23.08.2018). NUORTEVA, JUSSI, Suomalaiset muistokirjat ja muistokirjamerkinnät ennen isoavihaa (Historiallisia tutkimuksia 23), Helsinki 1983. ‒ Suomalaisten ulkomainen opinkäynti ennen Turun akatemian perustamista 1640 (Bibliotheca Historica 27 & Suomen kirkkohistoriallisen seuran toimituksia 177), Diss. Helsinki 1997. PAARMA, JUKKA, Hiippakuntahallinto Suomessa 1554–1604 (Suomen kirkkohistoriallisen seuran toimituksia 116), Diss., Helsinki 1980. PETERSSON, ERIK/SANDÉN, ANNIKA, Mot undergången: Ärkebiskop Angermannus i apokalypsens tid, Stockholm 2012. SIMOLIN, ALBIN, Petrus Bång. En biografisk studie (Finlands kyrkohistoriska samfundets handlingar 10), Helsinki 1912. SKB = Suomen kansallisbibliografia. Finlands nationalbibliografi. Finnische Nationalbibliographie 1488–1827 & Hakemisto. Register, hg. von Tuija Laine/Rita Nyqvist (Helsingin yliopiston kirjaston julkaisuja 59–60/Suomalaisen Kirjallisuuden Seuran Toimituksia 642–643), Helsinki 1996. STENBERG, A. W., Kirjakauppoja ja kirjakauppiaita Helsingissä, Porvoossa ja Viipurissa, Helsinki 1943.
Die Bedeutung Rostocks für das lutherische kirchliche Leben in Finnland 299 TAKALA, MARTTI, Lex Dei – Lex Politica Dei. Lex Politica Dei – teos ja Kaarle IX:n lainsäädäntö (Historiallisia tutkimuksia 169 & Suomen kirkkohistoriallisen seuran toimituksia 160), Diss. Helsinki 1993. VALLINKOSKI, JORMA, The history of the University Library at Turku I. 1640–1722 (Diss. Publications of the University Library at Helsinki 21), Helsinki 1948.
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Das akademische Erbe von Rostock in Finnland – Zwei Berichte aus der Zeit der langen Reformation I Ericus Erici Sorolainen 1573 Im Oktober 1573 immatrikulierte sich in Rostock ein Finne, welcher im Alter von 27 längst nicht mehr ein halbwüchsiger junger Knabe war. Er hieß Ericus Erici, zehn Jahre später war er Bischof von Turku. Sein Name (Ericus Erici) steht zuhinterst in der Rostocker Matrikel unter den 48 Studenten, die sich in diesem Jahr in Rostock immatrikulieren ließen. Laut des Eintrages in der Matrikel nannte er sich weder ‚Finne‘ noch ‚Schwede‘, sondern Laedalensis (siehe Abbildung 1), was den Herausgebern der Universitätsmatrikel später ‚einen Floh ins Ohr setzte‘ und die Frage aufwarf, was das für ein Ort sei und wo dieser liege. Die richtige Identifikation ist Christoph Wegner erst im Jahre 2013 gelungen. 1
Abb. 1: Matrikel der Universität Rostock: Immatrikulationen im Sommersemester 1573, Nummer 48. Hier Detail aus http://rosdok.uni-rostock.de/resolve?id=rosdok _document_000000000176&img&page=0415 (zuletzt geprüft am 15.09.2018) – zu sehen sind Nummer 47 und 48. Siehe auch http://purl.uni-rostock.de/matrikel/100030556 (zuletzt geprüft am 15.09.2018).
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Siehe Abb.1. Zu Ericus Erici vgl. auch den Beitrag von Tuija Laine in diesem Band.
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Ericus Erici wurde im Südwesten Finnlands geboren, in der Kirchengemeinde Laitila (swe. Letala), etwa 60 Kilometer von Turku in Richtung der Stadt Rauma (Nord-West) entfernt. 2 Im Spätmittelalter gab es auf dem Gebiet, wo die heutige Gemeinde Laitila liegt, etwa 40 kleinere, anspruchslose Dörfer mit nur wenigen Häusern in jedem Dorf, von welchen die Hälfte „unter dem schwedischen Gesetz“ lagen. Das heißt, dass die andere Hälfte der Häuser in Laitila noch einer älteren Gewohnheitsrechtsordnung unterlag, trotz der Bemühungen der schwedischen Vormacht, das schwedische Gesetz im ganzen Land geltend zu machen. Am Ende des 14. Jahrhunderts verfügten diese Dörfer „unter dem schwedischen Gesetz“ schon über deutliche Grenzen im Vergleich zu anderen, wodurch auch langsam die Landgemeinde Laitila entstanden ist. Zur Zeit der Reformation war in Laitila ein Neuansiedlungsprozess im Gange, aber die mittelalterlichen Strukturen der Gemeinde hatten sich noch nicht auffallend verändert. 3 Laut den Steuerverzeichnissen, die der finnische Historiker Olavi Koivisto ausgewertet hat, überschritt die Einwohnerzahl in der ganzen administrativen Gemeinde Laitila im Jahre 1568 die Anzahl von 1.600 Personen vermutlich nicht. 4 Wegen der unsicheren Quellenlage ist dies allerdings nur eine grobe Schätzung. Mit Ericus Erici immatrikulierte sich auch ein anderer Finne, Petrus Henrici Melartopaeus (Mislepaeus) 5, ein Bürgersohn aus Turku. Auch er wollte in Rostock lieber an seinen Geburtsort Turku (Aboënsis) als an das Schwedische Reich erinnern, als er in die Matrikel eingetragen wurde – siehe Abbildung 1. Somit scheint diese Praxis in Rostock ziemlich typisch gewesen zu sein, obwohl sich ein dritter Schwede, Clemens Laurentii, später im selben Jahr anstatt mit seinem Geburtsort lieber mit der Bestimmung Suecus in die Matrikel eintragen ließ. 6 —————
Ein Student, Pfarrerssohn Gabriel Erici Leander, erklärte im Jahr 1664, dass der Name mit dem finnischen Wort Laita (deu. Kante) zu verbinden sei, welches auf die alte Tischlerkultur im Ort hinweise. Die neuere Forschung nimmt dagegen an, dass sich hinter dem Namen ein alter deutscher Vorname (Laidicke, Laitha, Laitu, Lethu, Ledi) verberge. Vgl. Koivisto, Historiallinen, 79‒ 83; Paikkala, Laitila, 216. 3 Vgl. Koivisto, Historiallinen, 103–108. 4 Vgl. Ebd., 215–217; Lamberg/Lahtinen/Niiranen, Maallisen, 205f. 5 Matrikel der Universität Rostock: Immatrikulationen im Sommersemester 1573, Nr. 47, siehe http://purl.uni-rostock.de/matrikel/100030555 (zuletzt geprüft am 15.09.2018). In Wittenberg immatrikulierte sich Petrus Henrici am 21. Februar 1576 mit dem Beinamen Meselpeip. Der Anfang seines Familiennamens Melarto bildete er aus den griechischen Wörtern μέλι (Honig, finn. mesi) und άρτος (Brot, Kuchen, fin. leipä, kakku). Der Beiname Mislepaeus (= mesileipä, mesikakku, deu. Honigkuchen) in der Rostocker Matrikel lässt sich ebenso herleiten. Zum Honig vgl. auch Sprüche 16:24. Matinolli, Turun, 78. 6 Matrikel der Universität Rostock: Immatrikulationen im Sommersemester 1573, Nr. 32, siehe http://purl.uni-rostock.de/matrikel/100030540 (zuletzt geprüft am 15.09.2018). 2
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Eine Erklärung für die abwechslungsreichen Definitionen der Herkunft bei der Immatrikulation (Laedalensis, Aboensis, Suecus) könnte die Uneindeutigkeit des Begriffs ‚Vaterland‘ zur Zeit der Reformation bieten. Michael Agricola kannte das germanische Wort ‚Vaterland‘ aus seinen deutschen und schwedischen Quellen und übersetzte es in seiner finnischen Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Jahre 1548 wortwörtlich als isänmaa (Isenmaa) 7. Der Sinn des finnischen Wortes ist aber enger gefasst als der des deutschen bei Luther oder in der schwedischen Bibel von 1541. Es verweist bei Agricola erstens auf den Himmel als „Vaterland der Gläubigen“, danach auf den Geburtsort desjenigen, der dieses Wort benutzt, und drittens auf das Land des Vaters in der Bedeutung, dass zum Beispiel jemand ein Haus auf dem Land oder auf dem Baugrundstück seines Vaters (Isense maalla) hatte. 8 Also war laut Agricolas Sprachgebrauch die Kirchengemeinde Laitila – neben dem Himmel – für Ericus Erici sein eigentliches Vaterland, weil er dort geboren war und weil sein Vater dort ein Haus besaß. Der finnische Historiker Marko Lamberg hat diejenigen, die in der Frühen Neuzeit „eine finnische Identität“ zur Sprache bringen, in zwei Gruppen geteilt: Diejenigen, die in die erste Gruppe fallen, nennt er „Träger pragmatische[r] Identität“, die anderen Träger einer „patriotischen Identität“. Seiner Meinung nach war die „patriotische Identität“ trotz der ersten volksprachlichen finnischen Bücher im 16. Jahrhundert nur mit der ausgebildeten Elite, nicht mit dem einfachen, leseunkundigen Volk zu verknüpfen. Diese frühe Elite verfasste Texte entweder auf Finnisch oder brachte ihre Heimat wann immer möglich zur Sprache. 9 Ob es auch in diesen Fällen um das Ausdrücken einer „patriotischen Identität“ ging, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Es ist ebenso möglich, dass das ‚Vaterland‘ für Ericus Erici wie auch bei Agricola eher den Geburtsort als eine administrative Einheit anzeigte, ‚Vaterland‘ also im pragmatischen Sinne des Wortes benutzt wurde. Alexander Schmidt hat wiederum darauf hingewiesen, dass die affektive Loyalität, die die Wörter Patria oder ‚Vaterland‘ auslösen können, im 16. Jahrhundert noch nicht national monopolisiert war. Beide Begriffe konnten daher ein umfangsreiches Spektrum unterschiedlich lokalisierbarer geographisch-politischer Einheiten bezeichnen: so etwa eine Stadt, die Heimatprovinz oder das eigene Territorium. 10 Die Frage, ob diese zwei Studenten aus dem hohen Norden, Ericus Erici und Petrus Henrici, sich schon früher kennengelernt hatten oder sich erst ————— 7 Im heutigen Finnischen bedeutet isä ‚Vater‘ und maa ‚Land‘. Vgl. Lerbom, Svenskhetens, 95– 102. 8 Vgl. Jussila, Vanhat, 70; Laine, Borghari, 508f. 9 Vgl. Lamberg, Reformaatio, 70–75. 10 Vgl. Schmidt, Konfession, 17.
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unterwegs anfreundeten, bleibt auch ungewiss. Wir wissen ebenso nicht, wie alt Petrus Henrici war, als er nach Rostock kam. Simo Heininen hat vermutet, dass er vielleicht im Jahre 1550 in Turku geboren wurde, und allem Anschein nach seine Studien wie Ericus Erici in der Kathedralschule ebendort begann. Wenn dies stimmt, war er also etwa vier oder fünf Jahre jünger als Ericus Erici. Beide waren im Jahre 1573, als sie ihre Studien im Ausland aufnahmen, deutlich älter als die übrigen Studenten in Rostock. 11 Ericus Erici blieb wahrscheinlich bis zum Jahre 1577 in Rostock, bis er eine Stellung als Rektor in Gävle bekam. 12 Im Gegensatz zu seinem Studienreisebegleiter hat Petrus Henrici schon nach einem Jahr in Rostock seinen deutschen Studienaufenthalt in Wittenberg fortgesetzt. Trotz des kurzen Aufenthaltes in Rostock hat er laut Jussi Nuorteva den größten Teil seines Auslandsstudiums dort und nicht in Wittenberg absolviert. 13 Obwohl man später den Titel eines Magisters an seinen Namen angefügt hat, sind keine Informationen über eine Promotion in Wittenberg erhalten. Auch der Zeitpunkt seiner Rückkehr aus dem Heiligen Römischen Reich ist unbekannt. Im Jahre 1579 14 taucht er zum ersten Mal in Schweden als Konrektor in Strängnäs auf. Von Strängnäs berief Ericus Erici ihn im Jahre 1594 zu seinem Gehilfen nach Turku, wo er als Mitglied der Bibelübersetzungskommission eingesetzt wurde. Wie Ericus Erici scheint auch er insbesondere von der Theologie des David Chytraeus beeinflusst gewesen zu sein. 15 Die Finnen waren aus verschiedenen Gründen im Rostock der 1570er Jahre kein alltägliches Phänomen mehr – im Gegensatz zum Beispiel zu den baltischen Studenten, deren Anzahl zwischen 1571 und 1580, trotz eines kleinen Abfalls im Vergleich zum vorherigen Jahrzehnt (44 Personen), bei 37 Studenten lag. Vor Ericus Erici und Petrus Henrici war der letzte Student aus Finnland in Rostock ein hochadliger junger Mann, Nicolaus Fleming (suecus), welcher zwei Jahre früher, im Oktober 1571, in die Stadt gekommen war. 16 Zur Zeit der Reformation war ein Drittel aller finnischen Studenten in Rostock und Wittenberg von adeliger Herkunft. In den 1570er und 1580er Jahren stieg ihr Anteil noch einmal an, obwohl die Gesamtzahl finnischer Studenten an deutschen Universitäten im Schatten der Gegenre————— 11
Vgl. Heininen, Melartopaeus, 639. Vgl. Nuorteva, Suomalaisten, 269 13 Vgl. ebd., 266. 14 Nach Bergholm (Melart, 868) erhielt Petrus Henrici Melartopaeus die Bestellung zum Konrektor in Strängnäs erst im Jahr 1587, nach Matinolli (Turun, 78) schon im Februar 1584. 15 Vgl. Pirinen, Keskiajan, 96f; Bergholm, Melart, 868f; Nuorteva, Suomalaisten, 264, 266; Heininen, Melartopaeus, 638f. 16 Matrikel der Universität Rostock: Immatrikulationen im Wintersemester 1571‒1572, Nr. 6, siehe http://purl.uni-rostock.de/matrikel/100030540 (zuletzt geprüft am 15.09.2018). Tering, Europa, 684. Die Anzahl baltischer Studenten in Rostock scheint vom Anfang der 1570er Jahre bis 1600 ziemlich stabil gewesen zu sein. 12
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formation ziemlich klein blieb. Das ging so weit, dass in manchen Jahren die Hälfte aller finnischen Studenten in Rostock und Wittenberg aus adeligen Familien stammte. 17 Das gilt allerdings auch für die Studenten, die aus Estland, Livland und Kurland nach Rostock kamen. Unter ihnen dominierten die Studenten von adliger Herkunft insbesondere in den Jahren 1561 bis 1630. Zum Beispiel hatten unter den aus Livland kommenden Studenten 62 Prozent einen adligen Hintergrund; bei den Esten lag der Anteil bei 52 Prozent. 18 Seit dem Beginn der Reformation in Deutschland bis zum Jahre 1571 hatten insgesamt nur acht Finnen vor dem obengenannten Nicolaus Fleming ihre Namen in die Matrikel der Universität Rostock eintragen lassen. 19 Ericus Erici ist als Sohn eines wohlhabenden zweiten Pfarrers in Laitila, Ericus Jacobi, vermutlich im Jahre 1546 20 im Dorf Sorola zur Welt gekommen. Den Vornamen seiner Mutter kennen wir nicht, nur ihren Vatersnamen, Halvarsdotter (deu. Tochter von Halvar). Daraus lässt sich schließen, dass Ericus Erici mütterlicherseits wahrscheinlich bäuerlicher Herkunft war. Über den sozialen Hintergrund des Vaters wissen wir ebenso kaum etwas. Den Beinamen Sorolainen haben Ericus Erici und seine Nachkommen aufgrund des Besitzes des Geburtshofes von Ericus Erici bekommen. 21 Zur Zeit seiner Geburt bis zum Jahre 1680 gab es in Laitila, wie in allen Gemeinden in der ganzen Kirchenprovinz, nur ein Pfarrhaus für den Hauptpfarrer; die übrigen Geistlichen mussten ihre Wohnungen für sich und ihre Familien anderswo innerhalb der Gemeinde suchen. Es war für einen zweiten Pfarrer im Finnland der Frühen Neuzeit keine Selbstverständlichkeit, sich einen eigenen Bauernhof kaufen zu können. Sie haben sich oft lediglich etwas Ackerland leisten können, um ihre Familien neben geringen Einkünften aus dem Zehnten und von Gebühren für Taufen, Trauungen und Beerdigungen durch Ackerbau ernähren zu können. 22 Wenn dem zweiten Pfarrer von Amts wegen kein Pfarrhaus gestellt wurde, war er zum Bezug eines zusätzlichen Heuzehnten berechtigt. Spätestens in der Zeit der Orthodoxie, das heißt im Laufe des 17. Jahrhunderts, verpflichtete sich die weltliche Obrigkeit darüber hinaus dazu, Geistlichen in Not wüste Bauernhöfe mit vorhandenem Wohnraum urkundlich zu überlassen, damit sie mit ihren oft kinderreichen Familien wörtlich ein Dach über Kopf finden und sich in —————
17
Vgl. Nuorteva/Heininen, Finland, 77f; Pirinen, aatevirtausten, 53, 56. Vgl. Tering, Europa, 59. 19 Vgl. Nuorteva, Suomalaisten, 125f, 187f, 500. 20 Vgl. Matinolli, Turun, 52; Kouri, Ericus Erici, 623. Früher wurde 1545 als sein Geburtsjahr vermutet, siehe Ruuth, Eerik Eerikinpoika, 528. 21 Vgl Koivisto, Historiallinen, 487–490; Kouri, Ericus Erici, 623, 627. 22 Vgl. Cederlöf, prästerskapets, 44f, 51; Pirinen, Kirkkoreduktio, 63; Koivisto, Historiallinen, 472. 18
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schwerer ökonomischer Lage zurechtfinden konnten. Mit diesen Rechten versuchte man die schwierigen Lebensumstände der niederen Geistlichkeit zu erleichtern. 23 In Ericus Ericis Jugend wurde sein Vater 1554 zum Hauptpastor in Laitila gewählt. Die Familie ist damals von Sorola ins Pfarrhaus in Laitila umgezogen, jedoch ohne ihren Hof zu verkaufen. Später hat sie sogar mit Erfolg einen Steuererlass für ihn beantragt. 24 Von der Größe des Pfarrhauses in Laitila wird berichtet, dass es im Jahre 1569 auch als Gerichtsgebäude benutzt wurde. 25 Die Hauptpfarrer bezogen zur Zeit der Reformation ihr Einkommen vorwiegend aus dem Zehnten. Im Mittelalter hatte insbesondere Butter die Hauptrolle im Zehnteinkommen des geistlichen Standes gespielt. Butter war im Spätmittelalter eine der wichtigsten Export- und Gebrauchswaren in Finnland. Durch die von König Gustav Vasa durchgeführte Kirchenreduktion verlor die Pfarrerschaft jedoch einen Großteil dieser Einkünfte. Die Krone beanspruchte den Löwenanteil (zwei Drittel) von allen Einnahmen aus dem Zehnten für sich, während die Pfarrerschaft und die Kantoren sich mit einem Drittel (Tertial) begnügen mussten. Da die weltliche Obrigkeit ihnen zudem die früher so gewinnbringende Butter in Gänze vorenthielt, führten diese beiden Maßnahmen am Anfang der Reformation zu großen Verlusten in der finnischen Pfarrerschaft und waren Anlass für kontinuierliche Beschwerden des ‚Lehrstandes‘. Im Laufe der Zeit, besonders in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, konnte die Pfarrerschaft jedoch ihren Verlust an Buttereinkommen durch einen zusätzlichen Getreidezehnten kompensieren. Die finnischen Wirtschaftshistoriker Ilkka Nummela und Petri Karonen haben auf Grundlage der Steuerverzeichnisse aus der Provinz Häme aus den Jahren 1541 bis 1617 berechnet, dass der reale Wert des Getreides wegen der Inflation im westlichen Teil des Landes während der Amtsperiode von Ericus Jacobi beträchtlich stieg. Die instabilen und unterentwickelten ökonomischen Strukturen verursachten jedoch hin und wieder unabsehbare, bedeutende Schwankungen in der Preisentwicklung und folglich im Einkommen der Pfarrerschaft. 26 Von entscheidender Bedeutung für die Vermögensverhältnisse von Ericus Jacobi war auch, dass die Einziehung von sogenanntem ‚zusätzlichen Eigentum der Kirche‘ durch die Krone (Ackerland, Schmuck, Edelmetall, ————— 23
Vgl. Cederlöf, prästerskapets, 51f; Laine, Papisto, 159; Hiljanen, Kirkkoherrojen, 123. Vgl. Nationalarchiv Finnlands 7145, 118: Einwohnersteuerrolle 1635 (Laitila); Cederlöf, prästerskapets, 48. 25 Die Reihe der von Ericus Jacobi eigenhändig unterzeichneten Gehaltsabrechnungen für seine Tätigkeit als Hauptpastor im Predigtamt in Laitila beginnt im Jahre 1555. Holmström, Eerikki Eerikinpoika, 8‒10; Koivisto, Historiallinen, 489. 26 Vgl. Cederlöf, prästerskapets, 56, 134–139; Nummela/Karonen, Hinnat, 45–49. 24
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Seide usw.) in der Kirchenreduktion von König Gustav Vasa nicht den privaten Grundbesitz der Pfarrer betraf. Zusammenfassend kann man also sagen, dass es Ericus Jacobi trotz der drohenden Gefahr einer ökonomischen und sozialen Katastrophe gelang, sein nicht gerade geringes Einkommensniveau ziemlich stabil zu halten. Er konnte sogar ein gewisses Vermögen aufbauen, was eine notwendige Voraussetzung für den Studienaufenthalt seines Sohnes im Ausland darstellte. 27 Nach dem sogenannten Silbersteuerverzeichnis von 1571 besaß Ericus Jacobi unter anderem vier Pferde, acht Stiere, sieben Ziegen, zehn Schweine, 14 Kühe, 16 Färsen und 34 Schafe. In Gänze stieg der Wert des steuerpflichtigen Anteils seines Eigentums auf 681 Mark, was damals ein relativ beachtliches, doch nicht völlig ungewöhnliches Vermögen war. Ilkka Nummela hat mit Hilfe der Silbersteuerverzeichnisse berechnet, dass es in der Provinz Varsinais-Suomi im Jahre 1571 insgesamt 7.098 steuerpflichtige und steuerzahlungsfähige Bauernhöfe mit 7.063 Pferden gab. Das heißt natürlich nicht, dass jeder Besitzer eines Bauernhofes auch ein Pferd besaß, obwohl dies durchaus nicht ungewöhnlich war. Neben einem Pferd besaßen die Bauern in Varsinais-Suomi im Durchschnitt vier Kühe, ein paar Färsen, eine Ziege und vier Schafe. Beinahe jeder Hof hatte ein Schwein, aber ein eigener Stier war nur auf jedem zweiten Hof vorhanden. 28 Unter den 25 Hauptpfarrern in der Kirchenprovinz Varsinais-Suomi gab es im Jahre 1571 sieben, die nach den Angaben des obengenannten Silbersteuerverzeichnisses als noch wohlhabender als Ericus Jacobi gelten müssen. Die meisten von ihnen besaßen ähnliche Herden und hatten einen gleichen Bestand an Edelmetallen (Silber oder Gold), wofür sie bei der Steuererhebung von 1571 10 Prozent Steuer entrichten mussten. 29 Die Kluft zwischen den Hauptpastoren und der übrigen Geistlichkeit war im Finnland des 16. Jahrhunderts auffallend. Zum Beispiel entsprach der Eigentumswert des zweiten Pfarrers in Laitila im Jahre 1571 kaum einem Siebtel (90 Mark) des Vermögens des Hauptpfarrers. Dies entsprach vielmehr dem durchschnittlichen Eigentumswert eines gewöhnlichen Bauern. Der zweite Pfarrer in Laitila war jedoch der einzige unter seinen Kollegen in der gesamten Kirchenprovinz, der bei der Steuererhebung von 1571 überhaupt über steuerpflichtiges Eigentum verfügte. 30 ————— 27
Vgl. Välimäki, kirkollisveroon, 65–67; Hiljanen, Kirkkoherrojen, 116–122. Vgl. Nummela, Asutus, 150–157. 29 Väänänen, Ericus Jacobi; Juva, seurakuntaelämä, 116; Pirinen, Kirkkoreduktio, 62f. Laut Silbersteuerverzeichnis des Jahres 1600 betrug der Steuersatz damals nur 2 Prozent. In der älteren Forschung wurde daher vermutet, dass wegen des hohen Steuersatzes im Jahr 1571 einige Pfarrer eventuell wenigstens einen Teil ihrer Wertsachen versteckt hätten, Hiljanen, Kirkkoherrojen, 115, 127. 30 Vgl. Pirinen, Kirkkoreduktio, 60f. 28
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Alle steuerfähigen Höfe, außer denjenigen in adligem Besitz, waren verpflichtet, den Zehnten zu bezahlen. Unter ihnen befand sich auch der Hauptpfarrer Ericus Jacobi (Erich Jacobsson), weil er, wie bereits erwähnt, einen Hof im Dorf Sorola besaß – siehe Abbildung 2. Durch die Reformation verlor die Pfarrerschaft ihre Steuerfreiheit.
Abb. 2: Detail aus dem Verzeichnis der Zehnt-Zahlungen in Laitila 1569. Quelle: Nationalarchiv Finnlands, 1132: 27. Steuerbücher aus Nord-Finnland (1569).
In der Matrikel der Universität Rostock findet sich am 21. Juni 1505 der Name Iacobus Erici de Holmis. 31 Dass dieser mit Ericus Jacobi verwandt war (eventuell dessen Großvater), ist unwahrscheinlich, aber diese Möglichkeit ist nicht ganz auszuschließen. Von den Brüdern des Ericus Erici kennen wir dagegen zwei mit Namen: Gregorius und Nicolaus Erici. Der ersterwähnte ist dem Vater im Dienst in Laitila (1589‒1620) nachgefolgt, der letztgenannte machte Karriere als Hauptpfarrer in Sääksmäki in Häme. 32 Gregorius Erici, Ericus Ericis Bruder, scheint das Vermögen der Familie noch durch den Kauf eines Hofes im Dorf Salo in Laitila erweitert zu haben. 33 Nach dem Verzeichnis der Ausgleichsabgaben bei der Steuererhebung von 1589 gehörte er neben seinen Kollegen aus Mynämäki, Taivassa—————
31
Matrikel der Universität Rostock: Immatrikulationen im Sommersemester 1505, Nr. 52, siehe http://purl.uni-rostock.de/matrikel/100008306 (zuletzt geprüft am 15.09.2018). 32 Vgl. Kouri, Ericus Erici, 623. 33 Nationalarchiv 7164: 176, Einwohnersteuerrolle 1636 (Laitila, Dorf Salo); Väänänen, Gregorius Erici. Nach den sog. Beschwerdeakten gegen den finnischen Adel, von Jaakko Teitti 1555 bis 1556 verfasst (Valitusluettelo, 106) lag der Bauernhof, welchen Gregorius Erici kaufte, im Dorf Letalaby. Es ist kaum wahrscheinlich, jedoch nicht völlig ausgeschlossen, dass er sich zwei Höfe kaufen konnte.
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lo und Halikko zu der Gruppe von Hauptpfarrern, die die höheren Steuern von 20 Mark bezahlen mussten. Der Wohlstand summierte sich bei den Hauptpfarrern in der Kirchenprovinz Varsinais-Suomi überhaupt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In Laitila genoss der Hauptpfarrer ebenfalls den ganzen Anteil des Zehnten des Kantors. Anstatt einen Kantor einzustellen, verteilte er die meisten der zahlreichen Aufgaben eines Kantors an die Knechte des Amtshauses, ohne sie für diese zusätzliche Arbeit zu bezahlen. 34 Jussi Nuorteva hat den Namen Gregorius Erici in der Matrikel des Jesuitenkollegiums in Braunsberg gefunden, doch ohne irgendeine weitere, ergänzende Auskunft. Ob dieser Gregorius Erici identisch mit dem Bruder von Ericus Erici Sorolainen ist, lässt sich nicht sicher sagen. Auch Nuorteva hat die Frage offengelassen, ob dieser Student überhaupt ein Finne war. 35 Die Tatsache, dass der Sohn von Ericus Erici Sorolainen, Petrus (Petrosa) Erici, sich 1594 mit Sicherheit in die Matrikel des Braunsberger Jesuitenkollegiums eintragen ließ, 36 könnte darauf hinweisen, dass die Familie Sorolainen hinter verschlossenen Türen eventuell noch heimliche Sympathien gegenüber ‚anderen‘, in Finnland verbotenen Möglichkeiten (wie etwa dem Katholizismus) hegte. Die Gründe, warum der jüngere Sorolainen die Glaubensüberzeugungen seines Vaters hinterging und ihn öffentlich verriet, indem er sich von Jesuiten unterrichten ließ, sind wohl eher in seiner Persönlichkeit als in seiner Weltanschauung oder Erziehung zu suchen. Schon am Anfang seiner Studienreise in Uppsala trat er als Frauenheld auf und stürzte sich in ein verschwenderisches und leichtsinniges Leben. Nachdem er durch Streitigkeiten, zuerst in der Trivialschule in Stockholm und danach in der Universität in Uppsala, in Schweden alle Brücken hinter sich abgebrochen hatte, war es eindeutig, dass er sehr wenige Alternativen hatte ‒ zumal beide Fälle jeweils zu einem Verweis führten. In dieser Situation fühlte er sich zu Recht dazu gezwungen, Stockholm beziehungsweise Uppsala zu verlassen. In dieser Zwangslage entschied er, das Vaterland hinter sich zu lassen und sich mit zwei Kameraden den Jesuiten zuzuwenden. Nach drei Jahren in Braunsberg hat er seine Studien in Vilnius fortgesetzt. In der Matrikel des dortigen Jesuitenkollegiums ist sein Name zum ersten Mal im Jahre 1598 belegt. Nach kurzer Zeit kam es aber auch in Vilnius zum Zerwürfnis, da er sich mit seinen Lehrern in theologischen Fragen überworfen hatte. 37 ————— 34 35 36 37
Vgl. Pirinen, Kirkkoreduktio, 61–63, 70. Vgl. Nuorteva, Suomalaisten, 228f. Vgl. ebd., 233f. Vgl. Paarma, Hiippakuntahallinto, 361; Nuorteva, Suomalaisten, 241–247.
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Petrosa Erici war nicht der einzige Sohn eines finnischen Bischofs, der im Zeitalter der Reformation an einer von Jesuiten geleiteten Universität studierte. Auch Caspar Pauli, der Sohn von Bischof Paulus Petri Juusten – der Nachfolger Agricolas auf dem Bischofsstuhl in Turku – hatte sich drei Jahre vor Petrosa Erici, im Jahre 1591, im Braunsberger Jesuitenkollegium immatrikuliert. 38 Dessen Vater, Paulus Juusten, der Ericus Erici vor seiner Studienreise in Turku unterrichtet und anscheinend auch zum Priester geweiht hatte, studierte selbst in Wittenberg unter Leitung von Philipp Melanchthon. Einen Tag vor seiner Abreise aus Wittenberg, am 11. März 1546, schrieb Melanchthon selbst Juusten einen Empfehlungsbrief. Unterwegs nach Wittenberg, im Herbst 1543 – 30 Jahre vor Ericus Erici ‒, war auch Juusten nach Rostock gekommen, aber seinen Namen sucht man vergebens in der Rostocker Universitätsmatrikel. Nach kurzem Aufenthalt in Rostock ist er mit einem anderen finnischen Studenten, Laurentius Johannis Frese aus Turku, weitergezogen. Frese, welcher zu einer reichen bürgerlichen Familie gehörte, hatte sich ein Jahr früher, im August 1542, in Rostock immatrikuliert. 39 Die ‚Schande‘ seines Sohnes hat Juusten, anders als Ericus Erici Sorolainen, nicht selbst erfahren müssen, weil er bereits 1575 starb. 40 Ericus Erici Sorolainen hat seine Studien in der Kathedralschule von Turku laut Erkki Kouri unter dem Einfluss von Philippismus und Humanismus begonnen. 41 Der Rektor, Ericus Matthäi Härkäpää (lat. Herkepaeus), sein Lehrer, hatte auch zwei Jahre in Rostock studiert, 42 obwohl er wie Juusten – dem er auch in Rostock begegnete ‒ seine Prüfung zur Erlangung der Magisterwürde erst später in Wittenberg ablegte. 43 Als begabter Schüler Michael Agricolas wurde er zusammen mit einem anderen Studenten, Jacobus Laurenti Teitt, ins Heilige Römische Reich geschickt. Wegen des Krieges im Reich konnten sie aber nicht sofort ihr Reiseziel, die Academia Leucorea in Wittenberg, erreichen. 44 Jussi Nuorteva und Otfried Czaika haben bemerkt, dass Rostock für die nach Wittenberg reisenden finnischen Studenten vor dem Jahre 1551 ‒ also vor der Zeit David Chytraei ‒ oft nur eine Durchgangsstation war, wo man —————
38
Vgl. Nuorteva/Heininen, Finland, 78; Nuorteva, Suomalaisten, 229, 236f. Matrikel der Universität Rostock: Immatrikulationen im Sommersemester 1542, Nr. 40, siehe http://purl.uni-rostock.de/matrikel/100016582 (zuletzt geprüft am 15.09.2018). 40 Matinolli, Turun, 51f; Paarma, Hiippakuntahallinto, 142; Nuorteva, Suomalaisten, 173; Czaika, Chytraeus, 78; Kouri, Ericus Erici, 623; Heininen, perintö, 26–31, 35f, 40f. 41 Vgl. Kouri, käyttökirjallisuuden, 17f; Kouri, Ericus Erici, 623. 42 Matrikel der Universität Rostock: Immatrikulationen im Wintersemester 1546‒1547, Nr. 53 (Ericus Herchiepe), siehe http://purl.uni-rostock.de/matrikel/100017445 (zuletzt geprüft am 15.09.2018). 43 Palola, Härkäpää, 224. 44 Vgl. Heininen, Studenten, 23; Palola, Härkäpää, 224. 39
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mitgebrachte Lebensmittel zu Geld machen konnte. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts veränderte sich die Entwicklung. Nach Czaika konnte die Universität Rostock in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts „einen unangefochtenen Spitzenplatz bei den Studienreisen der Skandinavier einnehmen, welcher mit ihrer großen Zeit im vorreformatorischen Jahrhundert vergleichbar war“. 45 Für die Jahre 1550 bis 1600, als Chytraeus in Rostock tätig war, kann man in der Universitätsmatrikel die Namen von insgesamt 20 finnischen Studenten finden. Von diesen studierten lediglich acht ausschließlich in Rostock, während die meisten, wie Ericus Matthäi Härkäpää und Jacobus Laurenti Teitt, nach Wittenberg weiterreisten. 46 Bis zum Jahre 1563 war das Reiseziel aller finnischen Studenten Wittenberg, aber jeder zweite finnische Student immatrikulierte sich außerdem in Rostock und verbrachte somit auch eine kurze Zeit in der „Stadt der Rosen“. 47 Im April 1547 immatrikulierten sich diese zwei vinlandenses, Ericus Matthäi Härkäpää und Jacobus Laurenti Teitt, in Rostock. 48 Der Aufenthalt dort erwies sich bald als teurer als erwartet, und schon nach zwei Jahren, im Sommer 1549, war Jacobus Laurenti Teitt gezwungen, nach Stockholm zurückzukehren, um von Seiner Königlichen Majestät finanzielle Unterstützung für das Studium zu erbitten. Der König, Gustav Vasa, schätzte die Theologie – bekanntermaßen ‒ nicht sonderlich. Dennoch bewilligte er beiden eine kleine Subvention, aber bereits nach zwei Jahren mussten sie wiederum um Hilfe ersuchen. Diesmal war Ericus Matthäi an der Reihe, sich an die Majestät zu wenden. Er hatte ein Empfehlungsschreiben von Philipp Melanchthon bei sich, worin dieser Ericus Matthäis Kenntnisse des Lateinischen, Griechischen und Hebräischen hervorhebt und auf dessen theologische Bildung verweist. Wahrscheinlich hat der König die Bitte jedoch diesmal abgelehnt, da Ericus Matthäi schon im selben Jahr als Lehrer in der Kathedralschule in Turku tätig war. 49 Aus Wittenberg und Rostock brachte Ericus Matthäi Härkäpää sehr gute Kenntnisse in den klassischen Sprachen mit. Insbesondere das hohe Niveau des Griechischen, welches an der Kathedralschule von Turku vermittelt wurde, resultierte aus dem Unterricht, den Matthäi an diesen zwei deut————— 45
Nuorteva, Suomalaisten, 187f; Czaika, Chytraeus, 80. Vgl. Pirinen, aatevirtausten, 51f; Nuorteva, Suomalaisten, 175–177, 242, 500f; Czaika, Chytraeus, 78–80. 47 Nuorteva/Heininen, Finland, 79, 81. 48 Zu ersterem siehe Fußnote 42. Zu letzterem: Matrikel der Universität Rostock: Immatrikulationen im Wintersemester 1546‒1547, Nr. 52 (Iacobus Teitus), siehe http://purl.unirostock.de/matrikel/100017446 (zuletzt geprüft am 15.09.2018). 49 Vgl. Heininen, Studenten, 23f; Paarma, Hiippakuntahallinto, 146; Nuorteva, Suomalaisten, 177f, 300; Palola, Härkäpää, 224f; Czaika, Ausbreitung, 86–90. 46
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schen Universitäten genossen hatte. Zudem war Griechisch ein untypisches Unterrichtsfach in den schwedischen Schulen zur Zeit König Eriks XIV. Gewöhnlich ermutigte man die Schüler nicht, sich in Fächern, die entweder als zu anspruchsvoll oder als nutzlos angesehen wurden, zu engagieren. In Turku war es die Regel, dass die aus dem Ausland Zurückkehrenden die Stellung des Rektors an der Kathedralschule bekamen, auch wenn jemand anderes das Amt bereits innehatte. Als Ericus Matthäi Härkäpää wieder nach Turku kam, verdrängte er Henricus Jacobi aus seiner Stellung als Rektor der Kathedralschule. Er arbeitete dort vom Zeitpunkt seiner Heimkehr, 1562, bis zum Jahre 1568, als er zum Bischof von Wyborg gewählt wurde. Auch sein Nachfolger im Dienst in der Kathedralschule, Jacobus Petri Finno, war ein Alumnus aus Rostock. 50 Laut Universitätsmatrikel kam Jacobus Petri Finno (Finlandensis Suecus) im Januar 1567 nach Rostock, nachdem er vier Jahre lang Schüler Melanchthons in Wittenberg gewesen war, aber er blieb nur ein Jahr in Rostock. 51 Auf jeden Fall sieht es so aus, dass Ericus Erici wenigstens zwei Lehrer (Ericus Härkäpää, Paulus Juusten) hatte, die sich ihre Gelehrsamkeit in Rostock angeeignet hatten. Ein vierter Mann, neben dem obengenannten Petri Finno aus dem Umfeld des jungen Ericus Erici, war der Turkuer Dompropst und Superintendent Henricus Canuti, der ebenfalls zu den einflussreichen Männern der Reformationszeit Finnlands gehörte, die in Rostock studiert hatten. Henricus Canuti war, im Gegensatz zu den anderen Lehrern Ericus Ericis, von schwedischer Herkunft – geboren in Strängnäs (Stregnensis). Mit dieser Herkunftsangabe wurde er auch am 2. August 1552 in die Rostocker Matrikel eingetragen. 52 Nach dem Studium in Rostock hat er, wie die meisten anderen Schweden und Finnen, seine Studien in Wittenberg fortgesetzt, bis er im Jahre 1556 wieder nach Schweden zurückkehrte und in Nyköping und später auch in Strängnäs als Lehrer tätig war. In Turku hatte er in den 1570er Jahren eine besonders einflussreiche Stellung, weil nach dem Tode
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50
Vgl. Matinolli, Turun, 95; Paarma, Hiippakuntahallinto, 76f, 142f; Nuorteva, Suomalaisten, 185, 203, 262. Henricus Jacobi hatte 1554 in Wittenberg und 1557 bis 1559 in Jena studiert. 51 Matrikel der Universität Rostock: Immatrikulationen im Wintersemester 1566‒1567, Nr. 10 (Iacobus Petri Finlandensis Suecus), siehe http://purl.uni-rostock.de/matrikel/100028198 (zuletzt geprüft am 15.09.2018); Matinolli, Turun, 95; Pirinen, Keskiajan, 82; Paarma, Hiippakuntahallinto, 143. Arvo Tering (Europa, 42f) hat beobachtet, dass eine doppelte Angabe zur Herkunft (Narva-Livonus, Arensburg-Livonus, Curo-Livonus, Mitavia-Livonus) unter denen aus Livland nach Rostock gegangenen Studenten typisch war. 52 Matrikel der Universität Rostock: Immatrikulationen im Sommersemester 1552, Nr. 101, siehe http://purl.uni-rostock.de/matrikel/100018836 (zuletzt geprüft am 15.09.2018); Matinolli, Turun, 78. Über die Karriere von Henricus Canuti, siehe Paarma, Hiippakuntahallinto, 57‒61, 142.
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von Juusten 1575 53 das Bischofsamt in Turku absichtlich vakant gehalten wurde, offenbar wegen der Verhandlungen zwischen dem schwedischen König Johann III. und dem Heiligen Stuhl. Als Superintendent war Henricus Canuti auch für das östliche Bistum in Wyborg verantwortlich. Dort blieb das Bischofsamt nach dem Tode von Ericus Härkäpää ebenfalls von 1578 bis zum Jahre 1618 vakant. 54 Als die Verhandlungen zwischen König Johann III. und dem Heiligen Stuhl im Jahre 1583 erfolglos endeten, entstand eine neue Situation. Der König war nun endlich bereit, das Bischofsamt in Turku neu zu besetzen. Henricus Canuti galt als selbstverständlicher Kandidat, aber der König war anderer Meinung: Majestät überging den loyalen Henricus Canuti und wählte anstatt seiner den 20 Jahre jüngeren Ericus Erici, der nach seiner Rückkehr als Rektor der Gävle-Schule in Schweden tätig gewesen war. Im Jahre 1583 wurde er zum Bischof von Turku und Administrator des Bistums Wyborg ernannt. Dieses Amt bekleidete er bis zu seinem Tode im Jahre 1625. In der östlichen Diözese dauerte seine Amtsperiode insgesamt 36 Jahre. Niemand von seinen Vorgängern oder Nachfolgern in Wyborg hat eine längere Amtszeit aufzuweisen. 55 Früher hat man die scheinbar überraschende Bestellung Ericus Ericis für das Bischofsamt in Turku 1583 als Alleingang des Königs interpretiert. Jukka Paarma ist jedoch zu dem Schluss gekommen, dass keine Intrige hinter diesem Fall steckt. Wegen des langen Zeitraums, in dem das Bischofsamt vakant blieb, hatte der König einfach nur zwei alternative Möglichkeiten zur Auswahl. 56 Seine Entscheidung war also in erster Linie eine zugunsten Ericus Ericis, aber nicht unbedingt durch eine bewusste Benachteiligung von Henricus Canuti motiviert. Interessant an diesem Fall ist außerdem, dass beide Konkurrenten einen ähnlichen theologischen Hintergrund hatten: sie vertraten beide das Rostocker theologische und philosophische Profil, das David Chytraeus in Rostock verkörpert hatte. Sein moderater und besonnener (Alt-)Philippismus in der Theologie, sein Philipporamismus in der Philosophie und seine irenische Einstellung gegenüber religiösen Konflikten – die „doppelte
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53
Die ältere, bis zu Johannes Messenius zurückgehende Tradition hat behauptet, dass Paulus Juusten 1576 und nicht schon 1575 gestorben sei, was allerdings nicht stimmt. Pirinen, Keskiajan, 87. 54 Vgl. Kjöllerström, Biskopstillsättningar, 31f; Matinolli, Turun, 78; Pirinen, Keskiajan, 84, 87, 89‒91; Paarma, Hiippakuntahallinto, 76. 55 Vgl. Kjöllerström, Biskopstillsättningar, 31; Nuorteva, Suomalaisten, 270; Andrén, kyrkohistoria, 183f, 186–194; Paarma, Henricus Canuti, 761f; Heininen, Melartopaeus, 19. 56 Vgl. Juva, seurakuntaelämä, 109f; Paarma, Henricus Canuti, 761f.
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Verpflichtung gegenüber der Wahrheit und dem Frieden“ ‒ zeichneten den Weg für die finnische Reformation vor. 57 Als Bischof wollte Sorolainen die literarische Arbeit von Michael Olai Agricola weiterführen. Wie Agricola und Juusten war auch er literarisch produktiv und begabt. 1614 hatte er das im selben Jahr auf Schwedisch erschienene Kirchenhandbuch ins Finnische übersetzt. Zur gleichen Zeit gab er auch seinen Katechismus heraus, welcher für den Klerus bestimmt war. Was noch fehlte, war eine Evangelienpostille. Seine letzten Jahre von 1621 bis 1625 widmete er dieser literarischen Arbeit. Als Ergebnis dieser Bemühungen gab er eine zweibändige Postille heraus, um die Qualität der Predigten in seinem Bistum erhöhen zu können. Dieses Werk, eine Evangelienpostille von über 2.200 Seiten, war sein Hauptwerk. 58 Bis zur Veröffentlichung der Postille von Johannes Wegelius dem Jüngeren (1747‒1749) war es die einzige Postille in finnischer Sprache. In dieser Postille treten die pädagogischen und didaktischen Intentionen im Geiste von David Chytraeus deutlich zutage. Unter den finnischen Forschern hat besonders Erkki Kouri die Quellen der Postille Sorolainens ausführlich analysiert. Kouri hat gezeigt, dass sich Sorolainen dabei nicht der nordischen Predigtliteratur bediente, sondern sich an den deutschen evangelischen Postillen orientierte. Seine Abhängigkeit von deutschen Vorbildern ist deutlich nachweisbar, da sich etwa ein Fünftel der Texte direkt deutschen Quellen zuordnen lassen. Laut Kouri gibt es insgesamt 328 Parallelstellen in der Postille Sorolainens und den deutschen Vorlagen. 59 Trotz des starken deutschen Einflusses war die Postille keine Kompilation, sondern ein selbständiges Werk. Lediglich 18 Prozent des gesamten Textes basieren auf einer direkten, rekonstruierbaren Vorlage. Kouri relativiert diesen Befund jedoch angesichts bekannter Lücken im Quellenbestand: Trotz intensiver Recherchen in Bibliotheken verschiedener Länder konnten nicht alle benutzten Vorlagen ermittelt werden. 60 Zur Theologie Sorolainens bemerkt Kouri Folgendes: In seiner Rostocker Studienzeit habe Sorolainen sich die vom moderaten Konfessionalismus geprägte humanistische und zugleich durch Melanchthon geprägte „orthodox-philippistische“ (wie Kouri sie nennt) Anschauung zu eigen gemacht, die sein Denken auch in den ersten Jahren nach seiner Rückkehr in die Heimat bestimmte. 61 Dieser Einschätzung schließe ich mich gerne an. Dagegen bin ich etwas skeptisch gegenüber der Entwicklung, die laut Kouri —————
57
Vgl. Heininen, Studenten, 21f; Andrén, kyrkohistoria, 159, 211; Czaika, Chytraeus, 379f, 382, 384. 58 Vgl. Kouri, käyttökirjallisuuden, 18–20; Kouri, Ericus Erici, 626f. 59 Vgl. ebd., 296f. 60 Vgl. ebd. 61 Vgl. ebd., 300.
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bei Sorolainen danach eingesetzt habe: „Während seines Episkopats setzte sich auch in Finnland mehr und mehr die Frühorthodoxie durch, und obwohl direkte Hinweise fehlen, darf man annehmen, dass auch seine Haltung sich in diese Richtung wandelte.“ 62 Dieser Meinung kann ich mich leider nicht anschließen. Eine unbestreitbare und augenfällige Hinwendung zur Orthodoxie ist meiner Meinung nach in der Postille nicht erkennbar. Stattdessen habe ich den Eindruck, dass Ericus Erici irgendwie mit den wachsenden Konsens- und Unitätsforderungen umzugehen versuchte. Zum Beispiel spielt die für die lutherische Orthodoxie typische konfessionelle Polemik in seiner Postille lediglich eine minimale Rolle, und an den Stellen, an denen sie vorkommt, vermeidet Ericus Erici zumeist auffällige Dramatisierungen und Zuspitzungen. Der Übergang von der Reformation zur Orthodoxie war im Schwedischen Reich fließend. Otfried Czaika hat in seinen Überlegungen zur Konfessionalisierung Schwedens auf Werner Buchholz hingewiesen, welcher den Konfessionalisierungsprozess im Schwedischen Reich schon auf das Jahr 1560 datiert. 63 Czaika selbst betont die Komplexität des Prozesses der Konfessionalisierung im schwedischen Kontext. Einerseits versucht er die Reformation mit der Person des Herrschers – Gustav Vasa – zu verknüpfen, anderseits kommt er jedoch zu der Schlussfolgerung, dass, „wer nach einer staatsrechtlichen Verankerung der Reformation im Schwedischen Reich für eine Definition des Beginns des konfessionellen Zeitalter sucht, der wird bei Synode und Reichstag von Uppsala im Jahre 1593 fündig“. 64 Dennoch ist es nach Czaika „am plausibelsten“, dass der Übergang von der Reformation zur Konfessionalisierung im Schwedischen Reich beim Tod von Gustav Vasa und dem Regierungsantritt Eriks XIV. anzusetzen ist. 65 Es gibt noch ein weiteres Argument für die „verspätete Konfessionalisierung“ in Finnland: die Begriffsgeschichte. Viele der für den Konfessionalismus entscheidenden Begriffe erscheinen in den finnischsprachigen Quellen nicht vor dem Beginn des 17. Jahrhunderts. Zum Beispiel Begriffe wie ‚Gotteslästerer‘ (fin. Jumalan pilkkaaja), ‚Konfession‘ (fin. Kirkkokunta), ‚(Kirchen-)Ordnung‘ (fin. [Kirkko]järjestys), ‚Jesuit‘ (fin. Jesuiitta), ‚Wiedertäufer‘ (fin. Anabaptisti), ‚Calvinist‘ (fin. Kalvinilainen), ‚Sektierertum‘ (fin. Lahkokunta), ‚Kirchenrecht‘ (fin. Kirkkooikeus), ‚Kirchenrat‘ (fin. Kirkkoraati), ‚Kirchenbuch‘ (fin. Kirkonkirja), ‚Nation‘ (fin. Kansakunta), ‚Bekenntnisbuch‘ (fin. Tunnustuskirja) sind als Neologismen in schriftlicher Gestalt frühestens ab den 1620er Jahren im Finnischen nachweisbar. 66 ————— 62 63 64 65 66
Kouri, käyttökirjallisuuden, 300. Vgl. Buchholz, Schweden, 107–243. Czaika, Konfessionalisierung, 77f. Vgl. ebd., 77. Vgl. Jussila, Vanhat, 30, 72, 74, 85, 102, 275.
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In der Weise wie Ericus Erici Sorolainen seine Postille verfasste, tritt uns ein besonderes Beispiel der „verspäteten Konfessionalisierung“ entgegen. Wegen seiner Irenik versuchte er, wie Chytraeus, die konfessionelle Verschärfung zu vermeiden, anstatt sie mit Absicht zu provozieren ‒ dennoch bewegte er sich innerhalb der Grenzen der beginnenden Orthodoxie. Die Hauptthemen des Konfessionalismus, wie zum Beispiel die enge und unmittelbare Beziehung zwischen der weltlichen Macht und der Kirche, das Ringen um einheitliche konfessionelle Standpunkte sowie die Auseinandersetzung mit Calvinisten und reformkatholischem Gedankengut, nehmen auf den Seiten der Postille nur den Raum ein, der ihnen in den 1620er Jahren unbedingt zugestanden werden musste. Der Unterschied zwischen Ericus Erici und seinen deutschen Vorlagen wird besonders dort deutlich, wo es um sozial-gesellschaftliche Themen betrifft. So geht er beispielsweise härter als seine Quellen mit den Missständen in der Provinz- und Gemeindeverwaltung, in der Justiz und im Militärwesen ins Gericht. 67 Die Predigten spiegeln auf dieser Ebene meist persönliche Erfahrungen ihres Verfassers wider. Ein Beweis für die Auffassung betreffend eventueller Veränderungen in der Theologie Ericus Erici Sorolainens sieht Kouri in der Wahl der Quellen für die Postille begründet. Zum Beispiel gehört die Postille von Natanael Tilesius schon der Frühorthodoxie an. 68 Kouri hat Recht, dass Sorolainen vor allem Tilesius verpflichtet ist, und dass dieser wegen der starken humanistischen Prägung und geringen Polemik in der Postille kein typischer Vertreter der Frühorthodoxie war. Es stimmt ebenfalls, dass Sorolainen viele Details humanistischen Inhalts wiedergibt, was wiederum typisch für Tilesius ist. Ob er so aufgrund des Drucks der entstehenden Frühorthodoxie handelte, ist jedoch eine andere Frage. Meines Erachtens durchzieht die Postille als roter Faden eher eine Kontinuität der ganz moderaten Form des Konfessionalismus, verknüpft mit einer praktischen Orientierung, als dass darin eine Vorstufe der Frühorthodoxie zu erkennen ist. Seinen humanistischen Ahnherren hat Ericus Erici auch in seinen letzten Jahren nicht abgeschworen. Dieser moderate Konfessionalismus, dessen Wurzeln im Philippismus und in Rostock zu finden sind, hat meiner Meinung nach die finnische evangelische Theologie überhaupt bis in die Zeit der Hochorthodoxie hinein geprägt, als die Via Media zur Zeit Gezelius des Älteren in den 1660er Jahren durch den Durchbruch der Theologie von Abraham Calov(ius) und Johann Conrad Dannhauer in Frage gestellt wurde. 69 —————
67 68 69
Vgl. Kouri, käyttökirjallisuuden, 302. Vgl. ebd., 300. Vgl. Laasonen, Johannes Gezelius, 481f.
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II Isaacus Petri Laurbecchius Ericus Erici Sorolainen versuchte also, die moderate Orthodoxie auf der Basis der Theologie des David Chytraeus aufzubauen. Etwa 100 Jahre später kam ein anderer Finne nach Rostock, der das alles zerschlagen wollte. Ende Mai des Jahres 1699 hatte Isaacus Laurbecchius alles bekommen, was die Alma Mater an der Aura (Turku) zu geben hatte. Die Zukunft lag im Ausland. Um die notwendigen Mittel für seinen Peregrinatio zu erhalten, wandte sich der Vater, der ehemalige Professor für Theologie in Turku, Petrus Laurbecchius, in seiner Funktion als Bischof an die Königliche Majestät, um den Reiseplan seines Sohnes vorzustellen, alles bestens zu erklären und um finanzielle Unterstützung für die Reise zu bitten. Das alles war notwendig, weil das Religionsplakat vom Jahre 1655 betonte, dass niemand ohne notwendige, strenge Kontrolle im Ausland studieren sollte. Das Plakat setzte auch die finanzielle Unabhängigkeit des Studenten voraus, damit er nicht aus Mangel an Geld „verdächtige Universitäten“ aufsuchen müsste in der Hoffnung auf höhere Stipendien. 70 Am 25. Oktober 1700 immatrikulierte sich in Rostock ein Bischofssohn aus Wyborg, ein gelehrter, aber eifernder junger Mann, der bereits das Lizenziat für Theologie in Altdorf durch die Verteidigung von zwei Dissertationen, De Christi ad inferos Maiestas und De annis Ministerii Christi, erlangt hatte. In diesen beiden Dissertationen war sein Pietismus bereits angelegt. Dieser Mann hieß Isaacus Laurbecchius. 71 In seiner Antwort an die Akademie in Turku brachte der König zum Ausdruck, dass er die Studienpläne des jüngeren Laurbecchius für sehr ehrenvoll halte und dass Majestät nichts dagegen habe, wenn die Akademie ihn „in irgendeiner Weise“ (auf Schwedisch: med någon understöd) fördern würde. Ob die Akademie diese königliche Anweisung beachtete, ist unklar. In den Rechnungsbüchern der Akademie gibt es jedenfalls keinen Beweis dafür. Es ist jedoch möglich, dass der junge Laurbecchius eine kleine Subvention aus der sogenannten Pecunia diligentiorium erhielt. Diese Kasse war zur Förderung besonders begabter Studenten gegründet worden und das Konsistorium konnte frei über diese Mittel verfügen. 72 Im Herbst waren die Reisepläne der beiden Laurbecchii, des Vaters und des Sohnes, beinahe fertig. Nur an Geld und an Lebensmitteln mangelte es ————— 70
Vgl. Stiernman, Samling, 69f; Laine, Isaacus Laurbecchius, 234f. Matrikel der Universität Rostock: Immatrikulationen im Sommersemester 1700, Nr. 72 (Isaacus Petri Laurbecchius), siehe http://purl.uni-rostock.de/matrikel/100000310 (zuletzt geprüft am 15.09.2018). Laurbecchius, Christi; Kansanaho, Hallen, 118; Callmer, studenter, 66 (Nr. 1057); Laine, Isaacus Laurbecchius, 235f. 72 Vgl. ebd., 235. 71
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noch. Falls diese anderswo nicht zu beschaffen wären, versprach der Bischof seinem Sohn die noch fehlenden Mittel aus der Kasse des Bistums zur Verfügung zu stellen. In jedem Bistum sammelte man nämlich jährlich Spenden für Studenten. Von diesen Mitteln nahm der junge Laurbecchius im Jahre 1699 einen Löwenanteil. Die Studienreise des jüngeren Laurbecchius fing in Altdorf an. Von Altdorf reiste er nach Gießen. Der Ruf der Universität Gießen war wegen des dort herrschenden Pietismus nicht besonders gut in Schweden, aber Christian Callmer hat gezeigt, dass dennoch wenigstens 16 schwedische und finnische Studenten bis zum sogenannten ‚Edikt von Lusuck‘ von 1706, welches den Pietismus in Schweden-Finnland zum ersten Mal kriminalisierte, dort studierten. 73 Von Gießen aus reiste Laurbecchius nach Rostock, wo er im Oktober 1700 ankam. In Rostock traf er Professor Johannes Fecht, dessen Vorlesungen er hörte und an dessen Seminarium er teilnahm. Diese Begegnungen spielten für Laurbecchius eine entscheidende Rolle. 74 Vor seiner Karriere in Rostock hatte Fecht in Straßburg unter Conrad Dannhauer, der auch der Lehrer Philipp Jakob Speners gewesen war, studiert. Fecht und Spener hatten sich in Straßburg miteinander angefreundet und der erstgenannte respektierte seinen Freund auch dann noch, als die beiden in Streit geraten waren. 75 In seinen Vorlesungen, praelectiones in novissimos theologorum controversias im Jahre 1696, machte Fecht einen deutlichen Unterschied zwischen dem radikalen und dem kirchlich-besonnenen Pietismus. Trotz des um ihn versammelten Kollegium Anti-pietisticum, wollte er nie Spener persönlich beleidigen. Für ihn war er longe meritissimus, maxime reverendi, amplisime & excellentissime homo und in Christo Vater. 76 Dagegen schreckte Fecht nicht davor zurück, Gottfried Arnold und „die Böhmisten“ (Anhänger von Jakob Böhme) in seinen Vorlesungen „unanständige Lügner“ zu nennen. Noch im Jahre 1727 erschien Fechts Historia et examen novae theologia indifferentisticae sive Religionis Vniversalis, in dem er gegen Gottfried Arnold ganze 85 Mal polemisierte, während der Name Speners in diesem Buch nur fünf Mal auftaucht – jedes Mal ohne polemische Absichten und kränkende Formulierungen. Von der Korrespondenz zwischen Fecht und
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73 Vgl. Göransson, studieresorna, 136; Callmer, studenter, 66–70; Laine, Isaacus Laurbecchius, 236. 74 Vgl. Laasonen, Gezelius d. J., 161f; Laine, Isaacus Laurbecchius, 237. 75 Vgl. Wallmann, Kommentar, 177–179. 76 Universitätsbibliothek Rostock, Mss. theol.131. Praelectiones von Fecht im Jahre 1696 (3), 10. Collegium 1701.
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Spener aus den Jahren 1687 bis 1694 sind im Archiv der Franckeschen Stiftungen insgesamt 10 Briefe von Fecht an Spener erhalten. 77 Als Laurbecchius Turku verließ, kannte er persönlich nur den radikalen Pietismus, der in Turku unerwartet im Herbst 1688 in Gestalt von Laurentius Ulstadius aufgetaucht war. Auch die schwedische Gesetzgebung kannte keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Strömungen innerhalb des Pietismus. Das ganze Phänomen, der „sogenannte Pietismus“ (thet så kallade pietisteri), war verboten, da es sich vermeintlich gegen die sogenannten „guten Absichten des schwedischen Reichs“ richtete. Fecht eröffnete Laurbecchius den Weg zum moderaten kirchlichen Pietismus anstelle des radikalen Pietismus, den dieser spätestens in Gießen kennengelernt hatte. Es war insbesondere Fecht, der Laurbecchio die Tür zum Pietismus in der Kirche eröffnete, obwohl man in dessen Theologie sehr viele antipietistische Aspekte und Elemente erkennen kann. 78 Als Laurbecchius aus Rostock heimkehrte, war er vom kirchlichen Pietismus überzeugt. Laurbecchius war der erste in Finnland, der dort öffentlich eine pietistische Predigt hielt. 79 Auch für seine geistige Entwicklung waren die Jahre in Rostock entscheidend, obwohl das theologische Erbe von Rostock für Sorolainen und für Laurbecchius kaum unterschiedlicher hätte sein können.
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Vgl. Laine, Isaacus Laurbecchius, 239. Vgl. Salminen, Vapaudenajan, 46; Laasonen, Gezelius d. J., 228f; Laine, Isaacus Laurbecchius, 236f. 79 Vgl. CAP, protokoll, IX, 216–218; Laine, Isaacus Laurbecchius, 240f, 269f. 78
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Vom Rostocker Raum über Est- und Livland nach Schweden Die betriebsame Tätigkeit dreier Generationen der lutherischen Pastorenfamilie Broocmann Einleitung Der ganz selbstverständliche Hauptort der Reformation ist Wittenberg, aber neben dieser Lutherstadt erlangten andere Orte im Heiligen Römischen Reich beachtenswerte Bedeutung als transnationale Wirkungszentren für die sich rasch ausbreitende kirchliche Erneuerungsbewegung, die von Martin Luther ausging. Ein solches Wirkungszentrum war Rostock und die hier gelegene Universität, die dank ihrer geographischen Lage an der südlichen Ostseeküste für die Länder und Völker im Ostseeraum lange Zeit eine besonders einflussreiche Position einnahm. Die Bedeutung der Rostocker Universität für Schweden hat der schwedische Historiker Sten Carlsson präzise zusammengefasst: Rostock ist „zweifelsohne die deutsche Universität, die für die schwedische Kulturgeschichte die wichtigste Rolle gespielt hat“. 1 Dabei bezog Carlsson sich in erster Linie auf die Studenten aus Schweden-Finnland, die scharenweise die Universität in der Warnowstadt besuchten. 2 Daneben übte Rostock eine starke Anziehungskraft auf Studenten aus den zu Schweden gehörenden Provinzen Estland und Livland aus. In der zweiten Hälfte des 16. und im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts war die Universität Rostock für aus Estland und Livland stammende Studenten die wichtigste (d.h. die am meisten besuchte) Ausbildungsstätte überhaupt. Erst durch die Gründung einer ‚einheimischen‘ livländischen Universität in Dorpat im Jahre 1632 wurde die mecklenburgische Universität von der Führungsposition auf einen zweiten Platz verdrängt. 3 —————
1
Carlsson, Förord, 3 (im Original: „utan tvivel det tyska universitet som har spelat den största rollen i svensk kulturhistoria“). 2 Der Zusammenstellung Carlssons zufolge wurden zwischen den Jahren 1550 und 1700 insgesamt 722 Studenten aus dem schwedischen Mutterland in Rostock immatrikuliert (Carlsson, Förord, 5). 3
Vgl. Tering, Euroopa, 1561–1798, 298 und 301; Asche, Bürgeruniversität, 301–306; Tering, Studenten, 56–70; Kaufmann, Universität, 329–335.
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Neben den Bewegungen von Norden nach Süden zu Zwecken des Studiums gab es auch den umgekehrten Migrationsablauf, eine seit dem 12. Jahrhundert andauernde kleine, aber kontinuierliche Abwanderungsbewegung von Menschen hauptsächlich aus norddeutschen Gegenden in das Gebiet des heutigen Estlands und Lettlands. Anfangs handelte es sich um Kaufleute und Missionare, aber als deren Vorhaben im östlichen Ostseeraum nicht nach Wunsch verlief, wurde der Schwertbrüderorden als Machtmittel ins Land gerufen, der fast das ganze Gebiet des heutigen Estlands und Lettlands unter seine Herrschaft brachte. Der darauf folgende Landesaufbau wurde teils mit der Einrichtung einer Reihe gleichgeordneter Bistümer, teils mit Stadtgründungen, teils mit der Etablierung ritterlichen Großgrundbesitzes verbunden. Die meist deutschsprachigen Einwanderer und deren Nachkommen, die im Großen und Ganzen etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes ausmachten, blieben auf die Ritterschaft, die Geistlichkeit und das städtische Bürgertum des Landes beschränkt, die gesellschaftlich bis ins 19. Jahrhundert hinein der leibeigenen einheimischen Bauernschaft gegenüberstanden. 4 Die Reformation brachte einen Bedarf an evangelischen Geistlichen mit sich, der durch Zuwanderung meist aus den evangelischen Gebieten des Heiligen Römischen Reiches und aus Schweden-Finnland gedeckt wurde. In adligen und bürgerlichen Familien wurden auch Hofmeister aus dem Heiligen Römischen Reich angestellt. Um den Stellenwert der Wanderungsbewegungen im Ostseeraum nachzuweisen und seine Verflochtenheit in der Frühen Neuzeit zu konkretisieren, werde ich in diesem Beitrag die Tätigkeit dreier Vertreter einer Familie aus dem Rostocker Raum ins Blickfeld nehmen. Die drei hier zu behandelnden Vertreter der drei Generationen trugen jeweils den gleichen Namen: Reinerus Reineri Broocmann 5. Aus diesem Grunde werde ich die drei mittels eines Zusatzes auseinanderhalten: der Ältere für den Vater, der Jüngere für seinen Sohn und der Jüngste für den Enkelsohn.
1. Vom Rostocker Raum nach Estland: Reinerus Reineri Broocmann der Ältere (Vater) Reinerus Reineri Broocmann der Ältere wurde am 28. April 1609 im mecklenburgischen Schwaan geboren, weil sein gleichnamiger Vater dort und in ————— 4
Vgl. Palli, Eesti, 31, 59, 92. Die Schreibung des Familiennamens variiert in den Quellen sowie in der einschlägigen Literatur: Broc-, Brock-, Broock-, Brooc- bzw. -mann, -man, -mannus in beliebigen Kombinationen. Im Folgenden werde ich die Form Broocmann verwenden. 5
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dessen incorporirten filialen Grenz und Wiendorf evangelischer Pfarrer war. 6 Zuerst wurde er zu Hause bei seinem Vater unterrichtet und danach besuchte er die Stadtschule in Rostock. Dort wurde er im August 1623, das heißt als 14-Jähriger, auch an der Universität unter dem Namen Reinholdus Brockman, Suanensis immatrikuliert. 7 Später ging er nach Wismar, um seine Kenntnisse der griechischen Sprache zu erweitern und zuletzt nach Hamburg, möglicherweise weil sein Onkel (der Bruder der Mutter), Zacharias Scheffters, dort Rektor der Stadtschule und des Gymnasiums war. Als der junge Mann in Hamburg studierte, verlor er seine Eltern; zuerst starb die Mutter am 8. September 1625 und ein knappes Jahr später der Vater am 23. Juli 1626. Aus Anlass des Todes seines Vaters schrieb Broocmann der Ältere ein Trauergedicht in griechischer Sprache, das in der gedruckten Leichenpredigt erschien. 8 Weitere Universitäten scheint Broocmann der Ältere nicht besucht zu haben. Im Jahre 1633, als 24-Jähriger, bekam er den Ruf an das Revaler Gymnasium in Estland und reiste im folgenden Jahr in die estländische Gouvernementshauptstadt, wo er am 19. Juni 1634 in die Stelle des Professors für griechische Sprache eingeführt wurde. 9 Der Ruf nach Reval kam dem jungen Universitätsabsolventen sicherlich sehr gelegen, weil die Stellung nicht nur ein sicheres Auskommen erwarten ließ, sondern auch ein Leben fern der Heimat und des Heiligen Römischen Reiches bedeutete; dort tobte der Dreißigjährige Krieg, von dessen Kriegshandlungen Estland verschont blieb. Die Berufung nach Reval erfolgte durch Heinrich Vulpius den Älteren, der im Revaler Gymnasium Rektor und Professor für Theologie war. Vulpius und Broocmann kannten sich schon früher: Als Broocmann die Schule in Rostock besuchte, war Vulpius dort Rektor und außerordentlicher Professor für Philosophie. 10 Darüber hinaus hatte Vulpius ein lateinisches Epikedeion in der Leichenpredigt über die Mutter von Broocmann dem Älteren verfasst, 11 was darauf hindeuten dürfte, dass Vulpius zum sozialen Netzwerk der Familie Broocmann gehörte. —————
6 In der bisherigen Literatur werden (neben Schwaan) „Gränz- und Wigendorf“ als die Ortschaften genannt, wo der Vater Broocmanns des Älteren seine kirchlichen Amtspflichten ausübte. Meine Identifizierung mit den heutigen Namensformen (Groß) Grenz bzw. Wiendorf dürfte unproblematisch sein. Dass die Pfarrei in Schwaan auch incorporirte filialen umfasste, geht aus dem Titel der gedruckten Leichenpredigt anlässlich des Todes von Broocmanns des Älteren Vater (vgl. Anm. 8) hervor. 7 Vgl. Matrikelportal Rostock, verfügbar unter: http://purl.uni-rostock.de/matrikel/100044019 (zuletzt geprüft am 15.09.2018). 8 Vgl. Bacmeister, TrostSpiegel, 44. Das Gedicht von Broocmann dem Älteren wird in der bisherigen Forschung mehrmals erwähnt, aber der Text war bis jetzt nicht bekannt oder neu gedruckt, auch nicht in den gesammelten Werken von Broocmann dem Älteren, vgl. Priidel, Reiner Brockmann. 9 Vgl. Klöker, Reval, 301. 10 Vgl. ebd., 352. 11 Vgl. Bacmeister, Leichpredigt, D3v.
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Als Professor für Griechisch am kurz zuvor gegründeten Gymnasium in Reval musste Broocmann sich in erster Linie um den Unterricht in seinem Fach kümmern, aber der Umstand, dass er später auch Geschichte, Latein und Theologie unterrichtete, 12 zeugt von sowohl Energie als auch Arbeitswilligkeit. Aber weil er aus einer Pastorenfamilie stammte, theologisch ausgebildet war und, wie sich später erweisen sollte, eine innere Berufung für das Pastorenamt hatte, interessierte er sich für die Predigten, die die Pastoren in den Kirchen der Stadt hielten. In der Heiliggeistkirche, die seit 1531 der estnischen Gemeinde gehörte, hörte er Predigten auf Estnisch, 13 einer Sprache, mit der er sich intensiv befasste und die er rasch lernte. Der religiöse Zustand in Estland und Livland war damals schlecht. Die Reformation wurde zwar schon früh – Anfang der 1520er Jahre – eingeführt und Mitte des Jahrhunderts auch durch einen Beschluss zur Glaubensfreiheit im Landtag zu Wolmar im Januar 1554 formell akzeptiert. Weil aber das Land kurz danach während einer Periode von sechs Jahrzehnten durch immer wieder nur kurz unterbrochene Kriege zwischen Russland, Schweden, Dänemark und Polen-Litauen verwüstet wurde und überdies eine Rekatholisierung erlebte, die mit Hilfe der Jesuiten durchgeführt wurde, konnte der lutherische Glaube sich bei der Bevölkerung nicht durchsetzen. Die Glaubensvorstellungen und religiösen Praktiken bei der ländlichen Bevölkerung – den ‚undeutschen‘ Esten und Letten – trugen teils vorchristliches, teils katholisches Gepräge. 14 Ein knappes Jahr nachdem Broocmann der Ältere sich in Reval niedergelassen hatte, im Januar 1635, stattete der Herzog von Schleswig-HolsteinGottorf, Friederich III., der Stadt einen Besuch ab. Der Herzog machte auf dem Heimweg von einer Reise nach Moskau und Persien in Reval Zwischenstation. Zur Gesandtschaft des Herzogs gehörten als Mediziner der Dichter Paul Fleming und als Sekretär Adam Olearius, der später (1647) eine ausführliche Beschreibung der Reise veröffentlichte. Als der Herzog Ende Januar Reval verließ, wurde Fleming mit einem Teil der Gesandtschaft dort zurückgelassen und verbrachte das ganze Jahr 1635 bis in den März des folgenden Jahres in der estländischen Gouvernementshauptstadt. 15 Hier gründete der kürzlich zum poeta laureatus gekrönte Dichter nach der Sitte der Zeit einen dichterischen Verein, eine literarische Schäfergesellschaft, zu der auch Broocmann der Ältere und seine Professorenkollegen gehörten. 16 Broocmann und Fleming wurden eng miteinander befreundet. ————— 12
Vgl. Telschow, Curriculum vitae, 34. Vgl. ebd. 14 Vgl. Loit, Reformation, 69–77, 94, 107–109; Tarvel, Kirche, 21–36; Westling, Estland, 335; Wittram, Livland, 51; Sild, kirikulugu, 65. 15 Vgl. Amelung, Fleming, 377. 16 Vgl. Salu, Rootsiaegne, 155–157; Lepajõe, Anfänge, 325f. 13
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Die freundschaftliche Beziehung zwischen ihnen geht aus mehreren gegenseitig gewidmeten Versen und dem späteren Briefwechsel hervor. 17 Als Broocmann sich am 20. April 1635 mit der 22-jährigen Pastorentochter Dorothea Temme verheiratete, veröffentlichte Fleming eine pastorale Hochzeitschrift, die nach dem Vorbild von Martin Opitz gestaltet war. 18 Seinem Freund Broocmann vertraute Fleming an, dass er sich in die Revaler Kaufmannstochter Elsabe Niehusen verliebt hatte, heiraten und in Reval sesshaft werden wollte; Pläne, die von seinem frühen Tod in Hamburg 1640 durchkreuzt wurden. 19 Broocmann hielt sich selbst kaum für einen Dichter. Dementsprechend ist sein literarischer Nachlass nicht groß. In seinen gesammelten Werken sind 43 lateinische, deutsche, griechische und estnische Gedichte verzeichnet. 20 Durch seine fünf auf Estnisch verfassten Gelegenheitsgedichte sicherte er sich allerdings eine ehrenvolle Stellung in der estnischen Kulturgeschichte als der Erste, der in dieser Sprache profane Gedichte verfasste. Von Broocmann stammt auch das erste Gedicht in estnischer Sprache überhaupt, das Hochzeitsgedicht Carmen Alexandrinum Esthonicum ad leges Opitij poëticas compositum, veröffentlicht 1637, das nur vier Jahre nachdem Broocmann nach Reval übergesiedelt war, gedruckt wurde. 21 Nach fünfjährigem Dienst als Gymnasialprofessor in Reval entschloss sich Broocmann dazu, eine neue Laufbahn zu beginnen. Schon viermal hatte er eine Berufung zum Predigeramt abgelehnt, aber als er zum fünften Mal berufen wurde, stimmte er doch zu, damit Er sein Gewissen nicht beschweren möchte, wie es in seiner Leichenpredigt heißt. 22 Am 12. Februar 1639 zog er in den Landkreis Wierland östlich von Reval, um Pastor zu St. Katharinen in Tristfer zu werden. Hier widmete er sich den Amtspflichten eines Seelsorgers, verfasste ab und zu Gelegenheitsgedichte und übersetzte mehrere Kirchenlieder ins Estnische. 23 1642 wurde er Vizepropst und am 26. Februar 1643 Propst zu Wierland. Weil er als ein guter Kenner der estnischen Sprache galt, ernannte die Synode ihn am 1. Februar 1645 zum Vorsitzenden eines Komitees, das die Revision einer estnischen Übersetzung des Neuen Testaments durchführen sollte, 24 eine Arbeit, die durch den frühen Tod Broocmanns abgebrochen wurde. Wie aus der Leichenpredigt ————— 17
Vgl. Klöker, Reval, 302f; Priidel, Brockmann, 272f. Vgl. Klöker, Reval, 302. 19 Vgl. ebd., 303f. 20 Abgedruckt in: Priidel, Brockmann, 59–175. 21 Das Gedicht wurde vom Rostocker Buchdrucker Christoph Reusner dem Älteren gedruckt, der 1634 seine Druckerei von Stockholm nach Reval verlegt hatte; vgl. z.B. Reimo, Verlagswesen, 31–33. 22 Vgl. Sandhagen, Tod, 374. 23 Abgedruckt in: Priidel, Brockmann, 178–217. 24 Vgl. Recke/Napiersky, Allgemeines Schriftsteller- und Gelehrten-Lexikon, 8. 18
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an ihn hervorgeht, wurde er in seinem Pfarrhof in Tristfer mit Leibes Schwachheit von dem lieben GOTT heimgesucht, starb am 29. November 1648 und wurde am 14. Januar des folgenden Jahres in der Marienkapelle der Revaler Olaikirche beigesetzt, 25 in derselbe Kirche, wo er und Dorothea Temme zwölf Jahre zuvor getraut worden waren. Als er starb, war Broocmann der Ältere nur 38 Jahre alt. Die Witwe heiratete später einen gewissen Joachim Wiebold und starb 1687 in Reval. 26
2. Von Estland nach Livland: Reinerus Reineri Broocmann der Jüngere (Sohn) Broocmann der Ältere ließ nicht nur seine Frau Dorothea, sondern auch vier Kinder zurück: drei Töchter und einen Sohn – Reinerus Reineri Broocmann den Jüngeren. 27 Über die frühen Jahre des Sohnes wissen wir gar nichts, nicht einmal Geburtsort oder Geburtsdatum sind bekannt. Es wird vermutet, dass er in Tristfer geboren wurde, 28 folglich nach Februar 1639, als die Familie nach Wierland gezogen war. 29 Die ersten Angaben zu seiner Biographie sind in der Matrikel der Universität Rostock zu finden: Im Mai 1662 wurde (höchstwahrscheinlich) er unter dem Namen Reinholdus Brokman, Revalia-Livonus immatrikuliert. 30 Ebenda wird sein Geburtsjahr angegeben: 1647. Wenn diese Angabe stimmt, wurde Reinerus Reineri Broocmann der Jüngere im zarten Alter von einem Jahr vaterlos – und immatrikulierte sich als 14- oder 15-Jähriger, was damals allerdings nicht selten war. Nach einem dreijährigen Studium an der Rostocker Universität kehrte Broocmann der Jüngere ins Heimatland zurück. Im März 1666 wurde er Pastor zu Lais in Livland, nördlich der Universitätsstadt Dorpat. 31 Um diese Zeit, genauer gesagt am 28. Juni 1666, ging er auch die Ehe ein. 32 Seine Auserwählte hieß Sophia (oder Sophie) Forselius und gehörte einer schwedischen Pastorenfamilie an, die in Estland lebte und wirkte. Der in Umeå in —————
25 26 27 28
88.
Vgl. Sandhagen, Tod, 374. Vgl. Aarma, Põhja-Eesti, 36. Vgl. Sandhagen, Tod, 374. Vgl. Kõpp, Laiuse, 106; Recke/Napiersky, Allgemeines Schriftsteller- und Gelehrten-Lexikon,
29 Das Geburtsjahr „um 1640“ wird z.B. von Sulev Vahtre angenommen: Vahtre, Leben und Werk, 228. Worauf diese Zeitangabe sich gründet, wird freilich nicht angegeben. 30 Vgl. Matrikelportal Rostock, verfügbar unter: http://purl.uni-rostock.de/matrikel/100031531 (zuletzt geprüft am 15.09.2018). 31 Vgl. Kõpp, Laiuse, 106. 32 Vgl. Klöker, Reval, 652.
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Schweden geborene Vater von Sophia war Pastor in St. Matthias im Landkreis Harrien. Sophia hatte zwei Brüder: Andreas und Bengt Gottfried Forselius. Der Letztere ist in der estnischen Kultur- und Sprachgeschichte bekannt als Gründer des estnischen Volksbildungswesens und Reformer der estnischen Rechtschreibung. Er gab auch estnische Fibeln heraus – die ältesten, die auf die Nachwelt gekommen sind –, bevor er im November 1688 im nicht vollendeten dreißigsten Lebensjahr auf einer Seereise von Stockholm nach Reval ertrank. 33 Der ältere Schwager von Broocmann dem Jüngeren, Andreas Forselius, hatte erst in der livländischen Universitätsstadt Dorpat, danach in Greifswald und Rostock studiert, und wirkte seit 1661 als Pastor in Oberpahlen, 34 einer Ortschaft nicht weit entfernt von Dorpat. Da Andreas Forselius mit Anna Katharina Broocmann, der Tante von Broocmann dem Jüngeren, verheiratet war, waren die Familien Broocmann und Forselius durch doppelte Ehebande vereinigt. Ganz wie sein Vater hat Broocmann der Jüngere sich eine ehrenvolle Stellung in der estnischen Kulturgeschichte gesichert, wenngleich aus anderen Gründen als der Vater, der Gelegenheitsdichter und Kirchenliedübersetzer. Broocmann der Jüngere war beteiligt an einer Pionierarbeit ersten Ranges: Die Übersetzung des Buchs der Bücher ins Estnische. Außerdem setzte Broocmann der Jüngere sich für den Ausbau des bäuerlichen Volksschulwesens ein. Während seiner 26-jährigen Amtszeit als Propst zwischen 1678 und 1704 wurden in seiner Propstei mehrere Schulen für Bauernkinder gegründet, wodurch die Zahl der dort befindlichen Bauernschulen eine der höchsten im Gouvernement Estland und im estnischen (d.h. nördlichen) Distrikt Livlands wurde. 35 An der Sache ist darüber hinaus bemerkenswert, dass von den zwei Bauernschulen, die Broocmann der Jüngere in seinem eigenen Sprengel Lais einrichtete, eine für Mädchen war; im Jahre 1692 besuchten 17 Bauernmädchen diese Schule. 36 Die Mädchenschule in Lais ist vermutlich die zweite ihrer Art im ganzen damaligen Schwedischen Reich; die erste Mädchenschule in Schweden wurde 1632 vom Bischof Johannes Rudbeck in Västerås eingerichtet. Die kirchliche Neuordnung in Livland in den 80er und 90er Jahren des 17. Jahrhunderts, an der Broocmann der Jüngere beteiligt war, wurde vom —————
33 Über Forselius und sein Werk: Põldvee, Forselius; Aarma, Volksbildung, 389–414; Andresen, Kirjamees; Wieselgren, Grundlegung, 63–128; Westling, Beiträge, 3–67. 34 Vgl. Klöker, Reval, 670. 35 Broocmanns des Jüngeren Propstei umfasste elf Sprengel (Pillistfer, Groß-St. Johannis, KleinSt. Johannis, Oberpahlen, Talkhof, Lais, St. Bartholomäi, Torma-Lohhusu, Koddafer, St. MarienMagdalenen und Ecks); im Schuljahr 1687/1688 gab es nur in Talkhof keine Schule, vgl. Naber, Koolid, 165 (Karte). 36 Vgl. Liiv, Lisandmeid, 247.
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Generalsuperintendenten Johann Fischer organisiert und geleitet. Fischer war in Lübeck geboren, hatte unter anderem in Rostock, Helmstedt und Leiden studiert und stand den frühpietistischen Strömungen nahe; er war mit Philipp Jacob Spener befreundet und unterhielt von Riga aus einen Briefwechsel mit diesem. 37 1673 ernannte König Karl XI. von Schweden Fischer zum Superintendenten in Riga, und fünf Jahre später zum Generalsuperintendenten für ganz Livland. 38 Im selben Jahr wurde Broocmann der Jüngere Propst im dritten Teil des Kreises Dorpat und bekleidete dazu noch das Amt des Präses über die dritte Abteilung des Dorpatschen Unterkonsistoriums. 39 Als Propst und Präses lernte Fischer ihn zweifelsohne kennen und, wie es scheint, auch ihn wertzuschätzen. Um die Übersetzung der Bibel ins Lettische und Dorpatestnische – die zwei Hauptsprachen im schwedischen Livland – zu befördern, organisierte Fischer Konferenzen, zuerst für die Übersetzung ins Lettische, danach ins Estnische. Die erste Konferenz fürs Estnische fand im August und September 1686 auf Gut Lindenhof (im heutigen Lettland) statt, das der König dem Superintendenten Fischer geschenkt hatte. Die zweite Bibelkonferenz (im Januar und Februar 1687) fand aber im Pastorat Pillistfer statt, 40 das heißt in dem Kirchenbezirk, den Broocmann der Jüngere als Propst leitete. Dies könnte darauf hindeuten, dass Broocmann der Jüngere vom Generalsuperintendenten Fischer nicht nur für einen Propst unter mehreren anderen Pröpsten in Livland, sondern für einen zuverlässigen und engeren Mitarbeiter gehalten wurde. Die letzten Lebensjahre Broocmanns des Jüngeren wurden von harten Prüfungen verdunkelt. In drei aufeinanderfolgenden Jahren (1695–1697) missriet die Ernte, was die größte Hungersnot in der Geschichte Estlands zur Folge hatte – etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung verhungerte. Der Sprengel Lais war einer der am härtesten betroffenen Gegenden. Weiter wurde das Leben in Estland und Livland erheblich vom Großen Nordischen Krieg beeinflusst. Hungersnot und Krieg brachten die Pflicht und Schuldigkeit mit sich, nicht nur für Waisen, Arme und Kriegsflüchtlinge zu sorgen, sondern auch Truppen zu beherbergen und zu verproviantieren – König Karl XII. hielt sich mit seinen Truppen Anfang 1701 fünf Monate in Lais auf. Darüber hinaus wurde Lais mehrfach vom Feind verheert. Nicht nur die Dörfer und Ortschaften in der Nachbarschaft, sondern auch die Kirche und das Pastorat in Lais wurden niedergebrannt. 41 Um Pfingsten 1704 starb —————
37 Vgl. Wieselgren, Fischer, 294; Wallmann, Pietismus, 49–87; von Rauch, Dorpat, 17–19, 188– 189; von Rauch, Fischer, Johann, 189. 38 Vgl. Westling, Beiträge, 13, 17. 39 Vgl. Recke/Napiersky, Allgemeines Schriftsteller- und Gelehrten-Lexicon, 89. 40 Vgl. Pahtma/Tafenau, Piiblikonverentsid; Kask, kirjakeele, 65; Westling, Beiträge, 45. 41 Vgl. Kõpp, Mõningaid, 209.
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Broocmann der Jüngere an einem Schlaganfall. An seine Stelle als Pfarrer im Sprengel Lais trat sein Sohn Reinerus Reineri Broocmann der Jüngste.
3. Von Livland nach Schweden: Reinerus Reineri Broocman der Jüngste (Enkelsohn)42 Reinerus Reineri Broocmann der Jüngste wurde 1677 in Lais geboren. Nach Studien im Rigaer Lyzäum und an den Universitäten in Dorpat und Wittenberg kehrte er im Frühling 1699 zurück in die Heimat, um seinem Vater als Hilfsgeistlicher beizustehen. Zeitweilig füllte er auch vakante Pastorenstellen in Nordlivland aus. 1701 verheiratete er sich mit Anna Catharina Goldhahn, Tochter des Pfarrers im Sprengel Talkhof. Als der Schwiegervater im Winter (vor April) 1701 verstarb, beantragte Broocmann der Jüngste die vakant gewordene Stelle, aber ohne Erfolg; sein Leben sollte eine andere Wendung nehmen. Am 10. Januar 1701 befahl der König in seiner temporären Residenz im Schloss Lais den Generalgouverneuren von Estland und Livland Landmilizbatallione aufzustellen, um die Verteidigung der Ostseeprovinzen zu stärken. Der König beabsichtigte mit seiner Armee zuerst nach Süden zu marschieren, um August den Starken in Polen als König abzusetzen, und danach weiter gegen Russland zu kämpfen. Zur Verteidigung der Ostseeprovinzen sollten nur wenige Truppen und die Landmilizbatallione zurückgelassen werden. Auf Befehl des Generalgouverneurs war jedes Pastorat in Livland dazu verpflichtet, den Landmilizbatallionen einen komplett ausgerüsteten Dragoner zu stellen (kleinere Pastorate einen halben). Im Herbst 1701 schloss sich der 24-jährige Broocmann der Jüngste als Feldprediger Oberstleutnant Berendt Wilhelm Taubes Landmilizbatallion an und zog ins Feld. Nach einem Jahr kehrte er nach Lais zurück, um seinem bis über beide Ohren in Arbeit steckenden alten Vater beizustehen und darüber hinaus eine kürzlich vakant gewordene Pfarrstelle im benachbarten Sprengel Lohhusu anzutreten. Als der Vater Broocmanns des Jüngsten um Pfingsten 1704 verstarb, trat dieser an seine Stelle als Pfarrer in Lais. Weil die Lage sich aber schon im Sommer 1704 durch die russische Belagerung Dorpats beträchtlich verschlimmerte, nahm die Familie Broocmann ihre Zuflucht vor feindlicher Gewaldt und Tyranneij in sichere Schutz in Reval. 43 Kurz danach zog Broocmann der Jüngste noch einmal ins Feld, aber —————
42
Die neueste und gründlichste Beschreibung seiner Lebensgeschichte: Raag, Broocman, 871– 908. 43 RA (Schwedisches Reichsarchiv in Stockholm), Livonica II:416, Reinerus Broocmann an das Livländische Oberkonsistorium, 02.08.1704.
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der Kriegsgott begünstigte die schwedischen militärischen Verbände der Ostseeprovinzen nicht. Nachdem russische Truppen im Sommer 1710 Livund Estland besetzt hatten, kündigten die baltischen Ritterschaften und Städte bei der Kapitulation ihre beschworene Treue zur Krone Schwedens auf. Wie Broocmann der Jüngste später in einem Brief an den schwedischen Statthalter Gustav Adolf Strömfelt behauptete, wollte er seine Treue zum König beweisen und entschloss sich deshalb dazu, mit seiner Familie die Flucht zu ergreifen. 44 Die Familie (der Familienvater, seine Frau Anna Catharina Goldhahn, zwei noch lebenden Kinder und zwei Dienstmädchen) floh nach Nyland in Finnland und traf Anfang 1712 völlig verarmt in Stockholm ein. Im Sommer desselben Jahres wurde Broocmann nach Norrköping im Verwaltungsbezirk (Län) Östergötland als Hilfsprediger der deutschen Gemeinde berufen, worauf die Familie nach Süden zog. Kaum hatte die Familie Broocmann sich in ihrer neuen Heimatstadt zurechtgefunden, als der ordentliche deutsche Pfarrer, ein Lübecker namens Johannes Andræ Köhler (oder Coelerus), erkrankte und im Herbst im Alter von 71 Jahren verstarb. Sein mehr oder weniger natürlicher Nachfolger im Amt war Reinerus Broocmann, der mit der Zeit auch die erforderliche königliche Ernennung bekam – der König hielt sich damals im Osmanischen Reich auf, weswegen der Postverkehr zwischen ihm und den Behörden in Stockholm viel Zeit in Anspruch nahm. Norrköping zählte zwar zu den größten und wirtschaftlich bedeutendsten Städten Schwedens, die Umstände waren damals aber zufälligerweise nicht glücklich: Kurz vor der Ankunft der Familie Broocmann hatte die Bevölkerung Norrköpings sich wegen des Ausbruchs einer Epidemie dezimiert – von etwa 5.000 Einwohnern starben 2.000. Dadurch war die wirtschaftliche Lage der Stadt, mit ihren Wollmanufakturen, Messinggießereien, Waffenschmieden und anderen industriellen Anlagen, sehr angespannt und sollte sich erst mehrere Jahre später wieder erholen. Als Broocmann der Jüngste an die Spitze der deutschen Kirchengemeinde kam, wurde er rasch eines sehr beunruhigenden Umstands gewahr: Die deutsche Gemeinde war wegen tiefer Verschuldung in einer sehr traurigen finanziellen Lage und stand kurz vor dem Ruin. Es sollte sich aber herausstellen, dass der neue Seelenhirte nicht nur für Wirtschaftsführung talentiert, sondern auch gesellschaftlich sehr fähig war und darüber hinaus die Überredungskunst gut beherrschte. Dank großzügiger Spenden von wohlsituierten Gemeindemitgliedern konnte die deutsche Kirchengemeinde sich allmählich finanziell erholen. Mit der Zeit fing Broocmann der Jüngste an, sich mit dem Gedanken zu tragen, Christian Scrivers sechsbändige Predigtsammlung Seelen-Schatz ins —————
44
Vgl. RA, Ekonomiståthållarens i Dorpat:14, Reinerus Broocmann an G.A. Strömfelt 08.05.1711.
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Schwedische zu übersetzen und drucken zu lassen. Im März 1719 wurde ihm dazu ein zehnjähriges Privilegium von der Königin Ulrika Eleonora erteilt, aber unglückliche Umstände führten dazu, dass er die Pläne auf Eis legen musste. Der Große Nordische Krieg war noch nicht zu seinem Ende gekommen. Im Sommer desselben Jahres lief eine russische Flotte von 394 Schiffen in den Motalaström, den Fluss zwischen Motala am Vättern-See und Norrköping an der Ostsee, ein. Den wenigen schwedischen Soldaten in Norrköping gelang es nicht, die russischen Truppen daran zu hindern, die Stadt fünf Tage lang zu brandschatzen; nur drei Gebäude in der Stadt blieben vom Feuer verschont. Zum zweiten Mal hatte Broocmann der Jüngste erlebt, wie das feindliche Heer seine Kirche und sein Pastorat niederbrannte: erst in Lais, jetzt in Norrköping. Er resignierte aber keinesfalls, sondern beschaffte derart fleißig finanzielle Spenden sowohl vom Staat als auch von engagierten und reichen Privatpersonen, dass die Kirche schnell wieder aufgebaut werden und ab November 1721 abermals für Gottesdienste geöffnet werden konnte. Die Geldspenden, die Broocmann für den Neuaufbau der Kirche eingesammelt hatte, ergaben sogar einen Überschuss von 15.000 Talern Kupfermünze, die für künftige Bedürfnisse der deutschen Kirchengemeinde zurückgelegt wurden. In Anerkennung von Pastor Broocmanns Leistung bestellte die Gemeinde nach seinem Tod ein Portrait in Lebensgröße, das immer noch an der Wand unter der Orgelempore in der Hedwigkirche hängt. Als der Krieg mit dem Frieden von Nystad im August 1721 endete und die schlimmsten Spuren des Krieges in Norrköping beseitigt waren, fing Broocmann der Jüngste wieder an, seine Pläne für eine schwedische Übersetzung von Christian Scrivers Seelen-Schatz zu verwirklichen. Weil sich das Drucken in der königlichen Druckerei in Stockholm nach Broocmanns Meinung zu sehr in die Länge zog, beantragte er beim König Friedrich I. (der auch Landgraf von Hessen-Kassel war) eine Genehmigung zur Gründung einer Druckerei in Norrköping, was ihm Mitte August 1723 gestattet wurde. Damit wurde die erste permanente Druckerei in Norrköping Realität. Im selben Jahr wurde Broocmann zum Propst ernannt. Die Druckerei Broocmanns des Jüngsten entfaltete eine rege Aktivität. Die praktische Arbeit wurde von Broocmanns ältestem Sohn Adam Reinhold Broocman geleitet, bis der zweitälteste Sohn, Carl Fredric Broocman, nach Studien in Wittenberg in die Heimatstadt zurückkehrte und die Stelle als Faktor übernahm; auch alle Privilegien wurden an Carl Fredric überführt. 45 Von der Gründung 1724 bis zum Tod Broocmanns des Jüngsten im Jahre 1738 erschienen im Verlag Broocmanns insgesamt 81 Schriften, —————
45
Vgl. Backman, bokförläggare, 912; Raag, Broocman junior, 72; Klemming/Nordin, boktryckeri-historia, 263.
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einschließlich Neuauflagen. 46 Zusätzlich kommt eine unbekannte Anzahl von Werbedrucken, Prospekten und Gelegenheitsdrucken hinzu, deren Anzahl gleichwohl als beträchtlich eingeschätzt kann. Der Schwerpunkt der Buchproduktion lag auf Drucken religiösen Inhalts. Ein Lieblingsschriftsteller zur Lebzeiten Broocmanns des Jüngsten war Christian Scriver (1629–1693), dessen sechsbändige Predigtsammlung Seelen-Schatz sogar zweimal (1724–27 und 1728–31) herausgegeben wurde. Auch Scrivers Gottholds vierhundert zufällige Andachten erlebte zwei schwedische Auflagen im Verlag Broocmanns (1727 und 1733). Darüber hinaus ließ Broocmann vier weitere Schriften von Scriver erscheinen. Nebst Scriver publizierte er auch Werke von anderen Pietisten oder pietistisch orientierten Schriftstellern, meist von Deutschen (Ahasver Fritsch, Johann Jacob Schütz, Lampert Gedicke, Johann Jakob Rambach und Johann Arndt), wenige auch von Schweden (Herman Schröder und Josias Cederhielm), und nur die eines einzigen Dänen (Jens Dinesen Jersin). Die pietistischen Ideen waren im ganzen Schwedischen Reich seit Ende des 17. Jahrhunderts wohl bekannt und hatten zahlreiche Sympathisanten und Sympathisantinnen. 47 Auch mehrere Pfarrer in Schweden schlossen sich der pietistischen Frömmigkeit an, obwohl die offizielle Einstellung der schwedischen Kirche und des geistlichen Standes im Ständetag gegenüber dem Pietismus (sowie anderen neueren religiösen Strömungen) negativ war; der Pietismus wurde unter anderem durch das Konventikelverbot 1726 gesetzlich unterdrückt. 48 Mit anderen Worten war das Publizieren von pietistischen Schriften im damaligen Schweden nicht unproblematisch. Bei Broocmann dem Jüngsten war es sicherlich so, worauf Helena Backman hinweist, dass er gut erkannte, welche Literatur sich auf dem Markt behaupten konnte. Auch durch seine für die Zeit bemerkenswert intensive Werbung (und, so muss hinzufügt werden, sein dichtes Netzwerk von Wiederverkäufern und Kommissionären) waren seine Produkte weit verbreitet, obwohl seine Druckerei weder in der Hauptstadt noch in einer bischöflichen Stadt lag. 49 Andererseits lässt sich nicht leugnen, dass es manches in Broocmanns des Jüngsten Biographie gibt, das in Richtung Pietismus deutet. Schon im Elternhaus hatte er durch seinen Vater mit dem Generalsuperintendenten Johann Fischer – der erwiesenermaßen Pietist und mit Philipp Jacob Spener befreundet war und auch aus seiner pietistischen Neigung keinen Hehl machte – in Livland verkehrt, weil der Vater ein Mitarbeiter —————
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Die Anzahl ist errechnet aus dem Verzeichnis der Drucke aus der Broocmannschen Druckerei: Backman, bokförläggare, 927–933. 47 Vgl. Lenhammar, kyrkohistoria, 20–22. Für das Gouvernement Estland vgl. Westling, Meddelanden, 304–315. 48 Vgl. Lenhammar, kyrkohistoria, 58–60; Pleijel, kyrkans historia, 163–168, 175–181. 49 Vgl. Backman, bokförläggare, 917.
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Fischers unter anderem bei der Übersetzung der Bibel ins Estnische war. Als Lyzealschüler in Riga und Student an der Dorpater Universität wurde Broocmann der Jüngste von Lehrern beziehungsweise Professoren unterrichtet, die Anhänger des Pietismus waren. Vielleicht deshalb zeigte er späterhin, wenn er auch selbst möglicherweise kein Anhänger des Pietismus war, gegenüber Pietisten und pietistisch orientierter Literatur doch keine ablehnende Haltung. 50 Weiterhin ist es vermutlich kaum ein Zufall, dass einige Personen, die im Zusammenhang mit der Broocmannschen Druckerei und dem dazugehörigen Verlag figurieren, eine direkte oder indirekte Verbindung zu Livland oder Estland hatten. 51 Von einem regelrechten Netzwerk von Personen, die aus den Ostseeprovinzen ins schwedische Mutterland umgezogen oder geflüchtet waren, ist kaum die Rede, aber eine Sympathie für seine Geburtsprovinz Livland und Estland ist bei Broocmann dem Jüngsten spürbar und verständlich. Wirtschaftlich erzielte die Druckerei Broocmanns des Jüngsten offenbar Profite, denn schon fünf Jahre nach der Gründung erwarb er Himmelstalund, einen Gutshof auf einer Landzunge im Motalaström unweit der Stadtmitte. Der Gutshof war von russischen Truppen 1719 niedergebrannt worden, weshalb Broocmann, oder sein Sohn Carl Fredric, ein völlig neues Hauptgebäude aus Stein errichten ließ. Ganz in der Nähe von Himmelstalund hatte der Norrköpinger Kreisphysikus 1708 eine mineralhaltige Quelle entdeckt, die rasch weithin als Heilbrunnen bekannt und besucht wurde. Über der Quelle wurde durch Broocmann ein Kursaal errichtet. In einem Schreiben an den Landeshauptmann (schwedisch: landshövding) im Januar 1733 erklärte er, wie arm an Heu Himmelstalund sei, weshalb es für ihn problematisch sei, für sein Vieh und seine Pferde genügend Futter zu erhalten. Damals wurde Schlempe, ein Restprodukt der Spiritusfabrikation, mit Hechsel gemischt an das Vieh verfüttert. Als Grundbesitzer hatte Broocmann das Recht, für den Hausbedarf etwas Branntwein zu brennen, aber das Quantum an Schlempe, das aus der erlaubten Hausbedarfsration von Branntwein zu erhalten war, erwies sich nach Broocmanns Erachten als unzureichend für die Fütterung der Tiere. Deshalb ersuchte er beim Landeshauptmann um Erlaubnis, mehr Spiritus zu brennen als gesetzlich gestattet war, so dass seinen Bedürfnissen abgeholfen werde. Weiter bat er auch um Erlaubnis, eine Gaststätte zu eröffnen, um Absatz für das Übermaß an Branntwein zu finden. Alles wurde ihm gewährt unter der Voraussetzung, —————
50 Vgl. Raag, Broocman, 876f; Backman, bokförläggare, 917–919; Raag, Broocman junior, 66f; vgl. auch Nordstrandh, litteratur, 76f, 113, 130, 133, 136, 152, 162, 164. 51 Vgl. Raag, Broocman, 893f; Raag, Broocman junior, 66.
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dass er eine jährliche Abgabe von acht Talern Silbermünze an den Fiskus leistete. Gegen Ende seines Lebens wurde Broocmann der Jüngste auch selbst als Verfasser tätig. 1736 veröffentlichte er den ersten Teil eines umfangreichen Werkes über alle Aspekte der Haus- und Landwirtschaft. Dieses Werk gilt als End- und Höhepunkt der schwedischen Hausväterliteratur. Es war aber dem Verfasser nicht vergönnt, das Erscheinen des zweiten Teils zu erleben. Sein Gesundheitszustand war seit längerer Zeit nicht der beste; schon 1734 war er deshalb von seinem Dienst als Pfarrer und Propst zurückgetreten und hatte die Pfarrei seinem Schwiegersohn Johann Samuel Eckstein – auch er ein Absolvent der Rostocker Universität – überlassen. Am 3. März 1738 starb Broocmann. Nach seinem Tode wurde das Haus- und Landwirtschaftsbuch von seinem Sohn Carl Fredric vollendet und erschien nur ein Jahr später. Unter schwedischen Fachleuten ist es immer noch bekannt und wurde kürzlich von der Königlichen Akademie der Forst- und Landwirtschaft in Stockholm in zwei Bänden inklusive einer gründlichen Darstellung über das Werk und seinen Verfasser neu herausgegeben. 52
4. Schlussbetrachtung Wie wir aus dem oben dargestellten biographischen Exposé über die drei Vertreter des Geschlechts Broocmann entnehmen können, spielte der Rostocker Raum und die Stadt Rostock mit ihrer Universität während des 17. Jahrhunderts eine zentrale Rolle im religiösen und kulturellen Transfer nach Nordeuropa. Der erste Vertreter des Geschlechts auf estnischem Gebiet, Reinerus Reineri Broocmann der Ältere, gehörte zu dem Personenkreis, der dort erstmals die von Martin Opitz festgelegten Regeln und Grundsätze der Dichtkunst anwendete und darüber hinaus deutsche Kirchenlieder ins Estnische übersetzte. Für seinen Sohn, Reinerus Reineri Broocmann den Jüngeren, war Rostock sicherlich die selbstverständliche Wahl des Studienorts; möglicherweise wohnten dort sogar noch Verwandte von ihm. Während seiner langjährigen Berufsausübung als Pfarrer und Propst setzte er sich zielbewusst für die Volksbildung der Esten und eine Bibelübersetzung ins Estnische ein. Dadurch, dass sein Vorgesetzter Johann Fischer, Generalsuperintendent in Livland, Pietist war, wurde Broocmann der Jüngere sicherlich mit den Ideen dieser Bewegung bekannt. Eine pietistische Neigung ist allerdings beim dritten Vertreter des evangelischen Pastorengeschlechts Broocmann, Reinerus Reineri Broocmann dem Jüngsten, deutlicher erkennbar. Als Drucker und Verleger in Norrköping scheint er ————— 52
Tunón, Fulständig.
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geneigt gewesen zu sein, pietistische Schriften herauszugeben. Zweifelsohne hat er dadurch dazu beigetragen, die neue protestantische Bewegung innerhalb Schwedens bekannt zu machen, wenn dies auch damals in Schweden nicht unproblematisch war. Damit stellen sich die drei betriebsamen Vertreter der lutherischen Pastorenfamilie Broocmann als gute Beispiele von Akteuren dar, die durch ihre evangelischen Netzwerke Rostock und den Rostocker Raum mit dem Baltikum und Skandinavien verbanden. Geographische Parallelnamen Dorpat Ecks Groß-St. Johannis Harrien Klein-St. Johannis Koddafer Lais Lindenhof Lohhusu
Tartu (estnisch, Universitätsstadt in Livland) Äksi (estnisch, Sprengel in Livland) Suure-Jaani (estnisch, Sprengel in Livland) Harjumaa (estnisch, Landkreis in Estland) Kolga-Jaani (estnisch, Sprengel in Livland) Kodavere (estnisch, Sprengel in Livland) Laiuse (estnisch, Sprengel in Livland) Liepa (lettisch, Gutshof in Livland) Lohusuu (estnisch; subordinierter Sprengel in Livland, s. Torma) Nyland Uusimaa (finnisch, Landschaft in Finnland) Nystad Uusikaupunki (finnisch; Stadt in Finnland) Oberpahlen Põltsamaa (estnisch, Ort in Livland) Pillistfer Pilistvere (estnisch, Sprengel in Livland) Reval Tallinn (estnisch, Gouvernementshauptstadt in Estland) St. Bartholomäi Palamuse (estnisch, Sprengel in Livland) St. Marien-Magdalenen Maarja-Magdaleena (estnisch, Sprengel in Livland) St. Matthias Madise (estnisch, Sprengel in Estland) Talkhof Kursi (estnisch, Sprengel in Livland) Torma-Lohhusu Torma-Lohusuu (estnisch, Sprengel in Livland) Tristfer Kadrina (estnisch, Sprengel in Estland) Wierland Virumaa (estnisch, Landkreis in Estland)
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Raimo Raag
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Otfried Czaika
Konfession und Politik in Mecklenburg und Schweden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts I. Peregrinatio Academica Die Geschichte Mecklenburgs und Skandinaviens ist im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit auf vielfältige Art und Weise miteinander verwoben, politisch, wirtschaftlich und nicht zuletzt auch geistig. Von 1364 bis 1389 war Herzog Albrecht III. von Mecklenburg (um 1338‒ 1412) schwedischer König. 1 Seine Regentschaft endete glücklos mit einer militärischen Niederlage, Gefangennahme, der Freigabe aus dänischer Gefangenschaft und der erzwungenen Übergabe der Regierungsgeschäfte an die dänische Königin Margarethe I., die somit ganz Skandinavien in der sogenannten Kalmarer Union in Personalunion regierte. 2 Nur wenige Jahre nach Albrechts Tod wurde 1419 die Universität Rostock gegründet. 3 Die Stadt Rostock bekam somit eine prominente Funktion, nicht nur als Hafen- und Handelsstadt, sondern auch als Zentrum für Theologie und Bildung im Ostseeraum. Obwohl erst 1419 gegründet, war Rostock schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts „die von Skandinaviern mit Abstand meistbesuchte Universität“. 4 Bis zum Ende des Jahrhunderts entfielen etwa 50% der skandinavischen Immatrikulationen an ausländischen Lehranstalten auf die Universität in der Warnowstadt: „Nach Rostock reisten zwei von drei norwegischen Studenten, jeder zweite Däne, jeder dritte Schwede, jeder vierte Finne und auch die einzigen Isländer, die man aus mittelalterlichen Matrikeln identifizieren kann [...].“ 5 Auch wenn die Universität Rostock – so wie zahlreiche andere Universitäten – zu Beginn des 16. Jahrhunderts als ein „Bollwerk des Althergebrachten“ 6 beschrieben werden kann, so war das geistige Umfeld in Rostock von guten Kontakten zu humanistischen Netzwerken gekennzeichnet: In den 1480er Jahren hielt sich Conrad Celtis (1459‒1508) an der Universität der —————
1
Vgl. Tunberg, Albrekt; Fromm, Albrecht III., 273–276; Maybaum, Albrecht III., 167. Vgl. hierzu u.a.: Etting, Margrete I; Larsson, Kalmarunionens. 3 Zur Gründung der Universität Rostock vgl. insbesondere Krabbe, Universität Rostock, 28‒73; Fleischhauer/Guntau/Sens, Universität Rostock, 9‒29; Pluns, Universität Rostock, 31‒51. 4 Czaika, David Chytraeus, 73. 5 Heininen, Sammanfattning, 211. Übersetzung des Zitates aus dem Schwedischen durch den Verfasser. Vgl. auch: Czaika, David Chytraeus, 75. 6 Kaufmann, Konfessionalisierung, 12. 2
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Otfried Czaika
Warnowstadt auf. 7 Hermann von dem Busche (1468‒1534), der gleichzeitig mit Erasmus von Rotterdam die Schule in Deventer besucht hatte, führte 1501 bis 1502, während seiner Zeit als akademischer Lehrer in Rostock, Studien in klassischer Literatur in den Lehrplan ein. Von dem Busche war auch lebhaft an bibelwissenschaftlicher Arbeit interessiert, seine Vorlesungen wurden jedoch von der mehrheitlich konservativ eingestellten Alma Mater missbilligt. 1502 wurde er Lektor an der soeben gegründeten Leucorea und kam später über Köln und Leipzig nach Marburg. 8 Im Jahre 1509 hielt sich Ulrich von Hutten in Rostock auf. Zu dem intellektuellen Umfeld der Stadt trugen auch die Brüder vom gemeinsamen Leben bei, die unter anderem durch ihre im Michaeliskloster betriebene Druckerei eine wichtige Bedeutung für den Buchmarkt in Skandinavien erhielten. 9 Skandinavische Studenten trafen also während ihres Aufenthalts in Rostock nicht nur auf konservative Wissenschaftlichkeit, sondern kamen dort auch mit der devotio moderna und humanistischem Gedankengut in Berührung. 10 Die Kontakte zur spätmittelalterlichen Frömmigkeitskultur und zu humanistischen Gedanken schufen bei schwedischen Studenten in Rostock, wie zum Beispiel dem späteren Bischof von Skara, Sveno Jacobi, der 1508 an der Hochschule der Warnowstadt immatrikuliert wurde, eine theologische Disposition, die sie mittel- und langfristig ins Lager der Reformation führte. 11
II. Gesangbücher und Buchdruck von 1483 bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts Obwohl also die Universität in Rostock noch lange von altgläubigen Lehrern dominiert wurde 12 und die Reformation nur vergleichsweise langsam in der Urbs Rosarum Einzug hielt, so bekam sie dennoch durch die Tätigkeit ihres Reformators Joachim Slüter als Kompilator niederdeutscher Gesangbücher eine immense Bedeutung für den Transfer einer frühen evangelischen Frömmigkeitskultur nach Nordeuropa: Insbesondere die schwedischen Gesangbü-
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Vgl. Krabbe, Universität Rostock, 258; Rupprich, Celtis, 181‒183. Vgl. Trusen, Busch, 61f. Vgl. Undorf, Gutenberg, 21f, 76f, 232‒236 et al. Vgl. Pluns, Universität Rostock, 331. Vgl. Czaika, Sveno Jacobi. Vgl. Pluns, Universität Rostock, 240‒250, 280‒290, 325‒327, 331‒333, 362f.
Konfession und Politik in Mecklenburg und Schweden
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cher und frühen Kirchenlieddrucke bis 1536, aber auch ihre dänischen Entsprechungen, sind in ihrem Textbestand 13 nachhaltig von den niederdeutschen Kirchenliedern Joachim Slüters beeinflusst. 14 Unter anderem wurden somit zahlreiche evangelische Kirchenlieder, nicht zuletzt solche, die der Feder Martin Luthers entsprungen waren, über Rostock nach Nordeuropa vermittelt. Spuren der reformatorischen, vermutlich von Rostock und Slüter ausgehenden, Singbewegung finden wir in Gottesdienstordnungen, Gesangbüchern und vornehmlich in Städten wie Bergen, Malmö, Stockholm und Västerås. 15 In der bis 1658 dänischen Stadt Malmö und am dänischen Hof beförderten die Kontakte innerhalb des hansischen Netzwerkes 16 die Ausbreitung der Reformation im Dänischen Reich. Marten Reinhard, der zeitweilig Hofprediger bei Christian II. war, hatte Kopenhagen über Rostock erreicht und vermittelte reformatorisches Gedankengut nach Norden. 17 Der Malmöer Reformator Claus Mortensen orientierte sich bei der Umgestaltung des Gottesdienstes ebenso an Joachim Slüter und der Rostocker Reformation wie bei der Abfassung des ersten erhaltenen Gesangbuchs 18 für Malmö (1529), das zudem bei Ludwig Dietz in Rostock gedruckt wurde und dessen Entstehung viel dem Rostocker Bürger Hans Meyer, der als Buchbinder, Buchhändler und Buchführer tätig war, zu verdanken hatte. 19 Die Umgestaltung der Horengottesdienste in Malmö zu Predigtgottesdiensten illustriert ebenso wie die Aufnahme von Slüters Gesangbuchschaffen bei Mortensen – unter anderem die Rekurse auf die Nürnberger Messe – die Diffusion reformatorischer Lehre und des evangelischen Gemeindegesangs von Rostock in den angrenzenden Ostseeraum. 20 Eine weitere im Jahr 1533 in Malmö gedruckte Auflage von Mortensens Gesangbuch enthielt sodann wie das von Joachim Slüter auch ein Kalendarium. 21 „[Dies fehlte] bei Luther […]. Da aber Slüters Gesangbuch —————
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Allerdings muss die musikalische Notation auf alternativen Wegen vermittelt worden sein, da Slüters Gesangbücher aus den Jahren 1525 und 1531 keine musikalische Notation enthalten. Dies wird thematisiert in: Czaika, Slüter. Vgl. hierzu: ders., Psalmeboken sowie den Beitrag von Bostelmann und Braun in diesem Band. 14 Vgl. Ingebrand, Songer. Vgl. hierzu auch die Hinweise bei: Andersen, Salmebog, 40‒47. Wie auch die schwedischen Gesangbücher des 16. Jahrhunderts sowie Slüters Gesangbücher, so enthalten auch die ersten dänischen Gesangbücher keine Noten. Vgl. ebd., 16‒22. 15 Vgl. Bohlin, Singbewegung, 49‒52; ders., Studier; Andersen, Aleneste, 75‒94; Grell, Reformation, 129‒130. 16 Vgl. ders., Malmø, 311‒393. 17 Vgl. Schlyter, Bedeutung, 95. 18 Eine kurz zuvor in Magdeburg erschienene Auflage des Gesangbuches kann nur sekundär erschlossen werden. Andersen, Salmebog, 16‒19; Schlyter, Bedeutung, 100‒102. 19 Vgl. Andersen, Salmebog, 40‒47. 20 Vgl. Schlyter, Bedeutung, 101. 21 Vgl. Kroon, Malmø-Salmebogen.
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schon 1526 ein solches hatte, ist es wahrscheinlich, daß Mortensen die Anregung hierzu von Slüter bekommen hat.“ 22 Auch die zusammen mit einer Agende im Jahr 1536 publizierte revidierte und erweiterte Ausgabe des dänischen Gesangbuches steht wie ihre Vorgänger nicht nur in inhaltlicher Abhängigkeit zum Werk Joachim Slüters, sondern wurde wiederum in Rostock bei Ludwig Dietz gedruckt. 23 In eher ländlichen Gebieten wie zum Beispiel Dalarna war man sich zumindest der rasanten Ausbreitung des reformatorischen Singens bewusst, wie eine bei Gustav Vasa eingereichte und gegen evangelische Predigt und Gemeindegesang in Stockholm gerichtete Klageschrift der Bauern in Dalarna aus dem Jahre 1527 belegt, die auch umgehend vom schwedischen König beantwortet wurde. 24 Mit den ersten gedruckten dänischen Gesangbüchern, die auch produktiv Teile von Slüters Kirchenliedschaffen weiterverarbeiteten und zudem häufig in Rostock gedruckt wurden, knüpfte Rostock an seine schon seit etwa einem halben Jahrhundert bestehende Rolle als Impulsgeber für den skandinavischen Buchdruck an. Johann Snell, der bei den Brüdern vom gemeinsamen Leben im Michaeliskloster in Rostock seine Ausbildung zum Buchdrucker erhalten hatte, kam als herumreisender Drucker in den 1480er Jahren nach Dänemark und Schweden. Im Jahre 1482 druckte er das erste Buch auf dänischem Boden, Gilhelmus Caoursins De obsidione et bello Rhodiano. Kurz darauf gab er ein Breviarium für das dänische Bistum Odense heraus. 25 Nach einem kurzen Aufenthalt in Lübeck finden wir Snell in Stockholm, wo er seine Druckerei im Franziskanerkloster auf Riddarholmen installierte. Der schwedische Erzbischof Jakob Ulvsson hatte ihn mit dem Druck des Missale Uppsalense beauftragt, das dann auch im Jahre 1484 erschien. Bereits ein Jahr zuvor hatte Snell mit Dyalogus creaturarum moralizatus das erste Buch auf schwedischem Boden gedruckt. 26 Rostock sollte das gesamte 16. Jahrhundert hindurch seine Rolle als paradigmatischer Hauptort für den skandinavischen Buchdruck behalten. In den Jahren 1526 und 1527 stellten die Brüder vom gemeinsamen Leben in Rostock zwei Schriften des altgläubigen dänischen Karmelitermönchs Poul Helgesen (Paulus Helie) her, die gegen die neuen Lehren gerichtet waren. 27
—————
22
Schlyter, Bedeutung, 103. Vgl. Andersen, Salmebog. 24 Vgl. GVR [= hier und im Folgenden: Gustav Vasas registratur] 1527, Stockholm 1868, 173f. 25 Vgl. Lindberg, Johan Snell, 26f; Undorf, Gutenberg, 21f, 76f, 232‒236 et al. 26 Vgl. Lindberg, Johan Snell, 27‒30; ders., Svenska, 7‒9. Der Dyalogus creaturarum moralizatus wurde 1983 als Faksimile herausgegeben: Bernström, Dyalogus. 27 Vgl. Helgesen, Cristelig; ders., Breff. Vgl. auch Reske, Buchdrucker, 792. 23
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Der bereits oben erwähnte Ludwig Dietz, der um 1510 als Novize im Kartäuserkloster Marienehe bei Rostock seine ersten Drucke angefertigt hatte, 28 arbeitete in den kommenden Jahrzehnten immer wieder für den nordeuropäischen Buchmarkt. Im Jahre 1530 fertigte er in seiner Rostocker Offizin eine Auflage von Erasmus von Rotterdams Novum Testamentum an. Ein Teil der Auflage war für den schwedischen Markt bestimmt. Eine Variante dieses Druckes weist nämlich auf dem Titelblatt das schwedische Reichswappen auf. 29 Dietz, der zwischenzeitlich auch in Lübeck tätig war, wurde vom dänischen König Christian III. nach Kopenhagen berufen, wo er für den Druck der ersten dänischen Gesamtbibel verantwortlich zeichnete, die im Jahr 1550 erschien. 30 Nach Ludwig Dietz’ Tod im Jahre 1559 übernahm Stephan Möllemann dessen Offizin. Auch Möllemann druckte für den Buchmarkt in Nordeuropa. Insbesondere ist die weitere schwedische Buchgeschichte mit den Namen Andreas Gutterwitz und Christoph Reusner verbunden. Johann Stöckelmann († 1575) und Gutterwitz († 1610) hatten Anfang der 1570er Jahre in Rostock ihre Laufbahn als Drucker begonnen und dort unter anderem auch einige Schriften in schwedischer Sprache gedruckt. Bereits 1574 gingen beide zusammen nach Kopenhagen, wo sie Universitätsbuchdrucker wurden. Nach Stöckelmanns Tod druckte Gutterwitz seit 1575 nun ohne Kompagnon mindestens 94 Werke in Kopenhagen, darunter mehrmals (1580, 1581 und 1582) Johannes Bugenhagens Passio, Nils Hemmingsens Postille (1576) und Donatus’ Methodus (1578 und 1580). Gutterwitz wurde 1582 vom schwedischen König Johann III. nach Stockholm berufen, wo er mit der königlichen Druckerei die einzige Offizin im ganzen Reich übernahm. Der erste Druck, den Gutterwitz in Stockholm anfertigte, war eine Neuauflage der schwedischen Übersetzung von Martin Luthers Kleinem Katechismus. Bis zu seinem Tod im Jahre 1610 druckte Gutterwitz knapp 200 Werke in Stockholm, meist mit Typen, die aus Rostock stammten. Nach Gutterwitz’ Tod löste der schwedische König die Offizin für 500 Taler aus und schenkte die gesamte königliche Druckerei, die bis dato die einzige Druckerei im ganzen Land geblieben war, der Universität Uppsala. 31 Nach Stockholm zog jedoch praktisch zeitgleich mit Gutterwitz’ Tod ein anderer, vorher in Rostock tätiger Drucker zu: Christoph Reusner d.Ä. (1575‒1637). Er war bereits 1608 vom schwedischen König Karl IX. nach Stockholm berufen worden. In Stockholm war Reusner allerdings von Anfang an nun auch der Konkurrenz von zwei anderen Druckern, Ignatius Meurer und Eskil Mattson, ————— 28 29 30 31
Vgl. Reske, Buchdrucker, 792. Vgl. Collijn, Bibliografi, Bd. 2, 5‒8. Vgl. Bach-Nielsen/Schjøring, Kirkens historie, 123‒126; Reske, Buchdrucker, 792f. Vgl. Czaika, Gutterwitz, 110‒117.
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ausgesetzt. Dies dürfte auch der Grund für Reusners Wegzug nach Reval in den 1630er Jahren gewesen sein. Estland mit seiner wichtigsten Stadt Reval war damals ein Teil des schwedischen Reiches. Zwei Söhne von Christoph Reusner d.Ä. führten das Handwerk ihres Vaters weiter: Christoph Reusner d.J. (ca. 1600‒1558) übernahm die väterliche Druckerei in Stockholm, Johann Reusner (1598‒1666) war zunächst in Rostock und dann später in Königsberg als Drucker tätig. 32 Wie bereits eingangs erwähnt, lehnten sich zunächst dänische, später dann auch schwedische Gesangbuchdrucke an das Vorbild von Slüters Gesangbuch an, indem sie am Anfang der Werke einen ewigen Kalender vorschalteten. Auch die ersten Jahreskalender, die in dänischer und schwedischer Sprache für das Jahr 1570 beziehungsweise 1584 erschienen, entstanden durch Rostocker Beteiligung: Es sind volkssprachliche Varianten der Kalender des Rostocker Medizinprofessors Levinus Battus, der an der Universität der Warnowstadt in den Jahren von 1567 bis 1591 wirkte. Der schwedische Kalender für 1584 wurde übrigens von dem uns bereits bekannten Andreas Gutterwitz gedruckt. 33 Abgesehen von den ersten dänischen Gesangbuchdrucken spielte Rostock als Druckort für die Produktion von Gesangbüchern für das Dänische und Schwedische Reich im 16. Jahrhundert kaum mehr eine Rolle; es war aber wiederum Gutterwitz, der in seiner Stockholmer Offizin 1586, 1589, 1591 und 1594 Neuauflagen des schwedischen Gesangbuches herausgab. 34 Gutterwitz war es auch, der 1583 in Stockholm die Erstausgabe von Jaakko Finnos Yxi vähä suomenkielinen wirsikiria, 35 des ersten Gesangbuches in finnischer Sprache, produzierte. Eine Neuauflage dieses Gesangbuches erschien dann im Jahre 1607 in Rostock bei Stephan Möllemann, gleichzeitig mit der ersten Übertragung von Martin Luthers Kleinem Katechismus ins Finnische (Catechimus [!] Se on christilisen opin pääcappaleet, d. Martinus Lutherin vlostoimituxen cansa, soomen kielen tulkitut). 36 Vom Ende des 15. bis in die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts wurden also nicht nur in Rostock selbst zahlreiche skandinavische Werke gedruckt, sondern es waren auch Rostocker Buchdrucker, die es regelmäßig nach Norden zog und die dort Offizinen unterhielten. Gerade diese Buchdrucker, die ————— 32
Vgl. Czaika, Reusner, 212‒216. Vgl. Collijn, Bibliografi, Bd. 3, 11. 34 Vgl. Czaika, Psalmeboken, 23f. 35 Bibliographische Angaben sowie Digitalisat sind verfügbar unter: http://www.doria.fi/handle/10024/117847 (zuletzt geprüft am 28.08.2018). 36 Bibliographische Angaben sowie Digitalisat sind verfügbar unter http://www.doria.fi/handle/10024/117848 (zuletzt geprüft am 28.08.2018). Beide Drucke wurden erst vor wenigen Jahren von der finnischen Hymnologin Suvi-Päivi Koski in der Staats- und Universitätsbibliothek Dresden entdeckt, siehe https://www.reformaatio2017.fi/uutta-tietoa-suomalaisen-virsikirjan-varhaishistoriasta/ (zuletzt geprüft am 28.08.2018). 33
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ihre Tätigkeit in die skandinavischen Reiche verlegten, machten sich um die Druckgeschichte Nordosteuropas verdient. Zahlreiche theologische Werke, meist eher praktisch-religiöser Prägung wie Gesang-, Gebet- und Andachtsbücher, aber auch Werke für den Schul- und Universitätsgebrauch wurden von diesen Druckern veröffentlicht, die somit auch zur Konsolidierung der vera doctrina lutherana im europäischen Nordosten beitrugen. 37 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als Rostock und David Chytraeus eine immense Bedeutung für die Konfessionalisierung im Schwedischen Reich bekamen, treffen wir zudem in Petrus Johannis Gothus einen Verleger, der Rostock als Verlagsort für zahlreiche schwedische Drucke nutzte. 38 Von Petrus Johannis Gothus wird sogleich zu berichten sein.
III. Rostock als Universitätsstadt ca. 1550‒1600 Ab etwa 1550 bekam Rostock durch die doppelte Funktion als Universitätsstadt und Verlagsort eine nicht zu überschätzende Bedeutung für Nordosteuropa, insbesondere für das Schwedische Reich. Die bedeutendsten Namen in diesem Zusammenhang sind der Theologe und Polyhistor David Chytraeus sowie der schwedische Übersetzer, Verleger und Verfasser Petrus Johannis Gothus. Bei David Chytraeus, der 1550 als Lehrer nach Rostock kam, studierten nicht nur zahlreiche schwedische Studenten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, darunter alle sieben schwedischen Erzbischöfe in der Periode von 1574 bis 1646. Chytraeus hatte auch beste Kontakte zum schwedischen Hochadel und an den schwedischen Hof. König Johann III. hatte in den 1580er Jahren Chytraeus damit beauftragt, die schwedische Geschichte in sein großangelegtes Geschichtswerk Saxonia einzuarbeiten, das seinerseits eine continuatio, also Fortsetzung, von Albert Krantz’ historischem Schaffen darstellte. Albert Krantz – der selbst in den 1480er Jahren in Rostock studiert hatte, dort wiederholt Dekan der Artistenfakultät war und 1482/83 auch Kanzler der Universität – und David Chytraeus wurden durch ihre historischen Arbeiten zu Vätern des Gotizismus. 39 ————— 37
Vgl. Collijn, Bibliografi; ders., 1600-talet; Rudbeck, Skrifter. Vgl. dazu auch den Beitrag von Kajsa Brilkman in diesem Band. 39 Die vermeintliche oder vielleicht auch wirkliche Abstammung von den Goten wurde insbesondere im Schweden der Großmachtzeit (cum grano salis also dem 17. Jahrhundert) ein wichtiger Bestandteil der protonationalen schwedischen Identität. Das schwedische Volk und seine Könige – so die zentrale Idee des Gotizismus – stammten in direkter Linie von den Goten ab. Da diese das Römische Reich zerstört hatten, seien sie bedeutender gewesen (so etwa Albert Krantz) als die Römer selbst. Vgl. Czaika/Holze, Vorbemerkungen, 9‒14. Zu Albert Krantz vgl. Bollbuck, Raummodelle; Grobecker, Krantz, 673f; Bertheau, Albert Krantz, 43f. Zu Krantz’ Biographie vgl. auch Andermann, Albert Krantz, 33‒71. Zum Gotizismus siehe auch: Schmidt-Voges, De antiqua claritate. 38
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Seit etwa 1580 liefen bei David Chytraeus in Rostock die Fäden der nordosteuropäischen res publica litteraria zusammen. Dieses gelehrte Netzwerk bestand zum einen aus den skandinavischen Studenten, die Chytraeus’ Unterricht genossen hatten oder zum Teil auch in engerem persönlichen Kontakt mit ihm standen. Zum anderen waren es gelehrte Persönlichkeiten, zumeist Angehörige des Adels und gleichzeitig politisch höchst einflussreiche Personen, die mit dem Rostocker Professor korrespondierten. Im Dänischen Reich ist diesbezüglich insbesondere Heinrich Rantzau (1526‒1598), der Statthalter des dänischen Königs in den Herzogtümern Schleswig und Holstein, zu nennen. 40 Im Schwedischen Reich war Chytraeus’ wichtigster Korrespondenzpartner der langjährige schwedische Reichskanzler Erik Sparre (1550‒ 1600). Von Rantzau und Sparre – aber auch von anderen skandinavischen Korrespondenzpartnern wie zum Beispiel Sekretären des schwedischen Königs – erhielt Chytraeus Quellen zur neuesten skandinavischen Geschichte, die er eilfertig in seine historischen Darstellungen, insbesondere die Saxonia, einarbeitete. Im Gegenzug kommentierten Rantzau und Sparre beziehungsweise Sparre und der gesamte schwedische Reichsrat Chytraeus’ historiographische Arbeiten. Im Jahre 1586 reagierte der Rostocker Professor auf die Kritik Heinrich Rantzaus und ließ einige Seiten seines Chronicon Saxoniae mit Änderungen neu setzen. 41 Ein ähnlich gelagerter Fall lässt sich 1592 nachweisen, als Chytraeus den Änderungswünschen Sparres und des schwedischen Reichsrates entgegenkam und eine Seite seiner Chronik nicht nur neu drucken ließ, sondern bereits gedruckte und an „Freunde“ verschickte Probedrucke wieder zurückforderte. 42 Den Widmungsvorreden zu David Chytraeus’ verschiedenen Ausgaben des Chronicon Saxoniae nach zu urteilen, haben sowohl Rantzau als auch Sparre als Mäzene zur Herausgabe dieses Geschichtswerkes beigetragen. 43 Mit Hinblick auf Chytraeus’ historiographische Arbeiten können Rantzaus Bedeutung für die Kontakte mit dem Dänischen Reich und Sparres für jene mit dem schwedischen durchaus verglichen werden. Allerdings tritt bei Chytraeus’ Kontakten mit Rantzau ein Aspekt hinzu, der bei Sparre höchstens ansatzweise zum Tragen kommt: Heinrich Rantzau war nicht nur Buchsammler 44 und gelehrter Kontaktpartner für Chytraeus, sondern gleichzeitig Verfasser zahlreicher, zum Teil anonym erschienener Schriften. 45 So nahm Chytraeus etwa orthographische Korrekturen an —————
40 Vgl. Zeeberg, Heinrich Rantzau, 138‒150; Steinmetz, Humanismus. Einen Abriss über Heinrich Rantzaus Biographie gibt Reimer Hansen in Hansen, Friedensplan, 359‒362. 41 Vgl. Zeeberg, Heinrich Rantzau, 145f. 42 Vgl. Czaika, David Chytraeus, 285‒294; ders., Censur, 78‒97. 43 Vgl. ders., David Chytraeus, 450‒452. 44 Vgl. Collijn, Beiträge; ders., Rester, Bd. 26, 125‒153, Bd. 27, 179‒238, Bd. 28, 1‒14. 45 Vgl. Zeeberg, Heinrich Rantzau, 140‒150.
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Rantzaus Texten vor, überwachte den Druck der Rostocker Ausgabe von dessen Descriptio pompae funebris 46 und schickte diesen Druck, der die Leichenprozession anlässlich des Begräbnisses von Friedrich II. von Dänemark beschrieb, auch an Partner in seinem Netzwerk. 47 Auch hier finden wir also wieder einen Beleg für Rostocks auch gegen Ende des 16. Jahrhunderts immense Bedeutung als Druck- und Verlagsort für Nordosteuropa. 48 Erik Sparre hingegen war – von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen – kein Verfasser von humanistisch-gelehrten Texten wie zum Beispiel poetischen Werken in lateinischer Sprache. Sparres literarisches Œuvre besteht fast ausschließlich aus konstitutionellen Arbeiten und eher tagesaktuellen politischen Traktaten. 49 Sogar noch durch seinen Tod sollte David Chytraeus bedeutsam für die frühneuzeitliche Frömmigkeitskultur in Schweden werden: Lucas Bacmeisters Leichenpredigt über seinen Kollegen David Chytraeus wurde von Petrus Johannis Gothus umgehend, vermutlich noch im Jahr 1600, ins Schwedische übersetzt und in Rostock im Druck herausgegeben. 50 Zusammen mit der ebenfalls von Gothus ins Schwedische übersetzten und ebenfalls 1600 in Rostock gedruckten Leichenpredigt, die Polycarp Leiser über David Chytraeus’ Nichte Regina gehalten hatte, ist Bacmeisters Text die erste in schwedischer Sprache gedruckte Leichenpredigt. 51 Zwei Jahre zuvor, 1598, war in Rostock bereits die Leichenpredigt über Elisabeth Vasa, Tochter des schwedischen Königs Gustav Vasa und Herzogin von Mecklenburg, gedruckt worden. Diese in der Deutschen Kirche zu Stockholm gehaltene Leichenpredigt ist freilich in deutscher Sprache abgefasst. 52 Durch diese um 1600 in Rostock gedruckten Leichenpredigten begann die Rezeption dieser Textgattung als Druckerzeugnis im Schwedischen Reich. Der Weg zu einer umfangreichen einheimischen Produktion von Leichenpredigten war somit vorgezeichnet. 53 Für die Rezeption der Textgattung der Leichenpredigt im Dänischen Reich spielte Rostock allerdings keine mit dem Schwedischen Reich vergleichbare Rolle. Diese Textsorte hatte nämlich schon Jahrzehnte zuvor in Dänemark Eingang gefunden, was vermutlich durch die guten Kontakte der dänischen Könige nach Wittenberg gefördert worden war. Immerhin existieren auch eine Reihe von Schnittstellen zwischen Rostock, und insbesondere David —————
46
Vgl. Rantzau et al., Descriptio. Vgl. Zeeberg, Heinrich Rantzau; 140‒150. 48 Andere Werke, bei denen Rantzau als Verfasser oder Beiträger tätig war und die in Rostock gedruckt wurden, sind: Coronaeus, Vita; Lindeberg, Hypotiposis; Rantzau, Somnijs. 49 Vgl. Eriksson Janbrink, Erik Sparre, 725. 50 Vgl. Bacmeister, Lijkpredican. 51 Vgl. Leiser, Christelig Lijkpredikan. 52 Vgl. Bornerus, Klagpredigt. 53 Vgl. Czaika, Anfänge, 135‒152; ders., Början, 29‒60. 47
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Chytraeus, und sepulkralen Texten im Dänischen Reich. Auf den Umstand, dass Chytraeus Heinrich Rantzau bei der Herausgabe von dessen Schrift Descriptio Pompae funebris behilflich war, wurde bereits oben verwiesen. Mit Hinblick auf die Konfessionskultur des Dänischen Reiches ist zudem von Interesse, dass der dänische Adlige Jacob Ulfeldt, der seinerseits ein Teil des gelehrten Netzwerks des Heinrich Rantzau war, im Jahre 1591 eine dänische Übersetzung von David Chytraeus De morte et vita aeterna publizierte. 54 Nicht zuletzt muss hier auch auf Georg Ludwig Frobenius’ Epistolae Consolatoriae verwiesen werden. Diese Sammlung von Trostbriefen an Heinrich Rantzau, der vier seiner fünf Söhne im Kindesalter verloren hatte, enthält auch eine Reihe von Briefen aus Chytraeus’ Feder. 55 Offensichtlich wirkte Chytraeus insbesondere durch eher erbauliche Werke auf die einheimische literarische Produktion in Skandinavien, nicht nur durch die Veröffentlichung der auf ihn gehaltenen Leichenpredigt, sondern auch durch die Descriptio Pompae funebris sowie die dänische Version von De morte et vita aeterna. In dieses Muster fügt sich nahtlos der Umstand ein, dass Martinus Laurentius Aschanaeus im Jahre 1612 eine Übersetzung ins Schwedische von David Chytraeus’ trostspendendem Werk Capita doctrinae de patientia et consolationibus in cruce veröffentlichte: Hufvud lärdom om tolamod, uthi allhanda kors och bedröfvelse. 56 Der nun schon mehrfach erwähnte Petrus Johannis Gothus war übrigens seit den 1570er Jahren (mit einigen Unterbrechungen) als Übersetzer und Verleger in der Warnowstadt tätig. 57 Seine Tätigkeit war von nicht zu überschätzender Bedeutung für den Transfer religiöser Werke ins Schwedische Reich und setzte zudem indirekt Rostocks Rolle als einer der wichtigsten Druck- und Verlagsorte für die an die Ostsee grenzenden Gebiete fort. Neben zahlreichen eher erbaulichen Schriften, die Gothus bis zu seinem Tod im Jahre 1616 herausgab, ist insbesondere die erste Übersetzung der Confessio Augustana ins Schwedische zu erwähnen, die von Gothus im Jahre 1581 anlässlich der Hochzeit von Elisabeth Vasa und Christoph von Mecklenburg in Stockholm angefertigt wurde. 58 Die Herausgabe dieser ersten schwedischen Übersetzung der Confessio Augustana war nicht nur theologisch bedeutsam, sondern insbesondere auch ein politisches Signal. Christoph von Mecklenburg konnte somit auf die Bekenntnistreue seiner Gemahlin verweisen. Gleichzeitig dürfte diese erste —————
54
Vgl. Czaika, David Chytraeus, 464; Zeeberg, Heinrich Rantzau, 147. Vgl. Frobenius, Epistolae. Andere Ausgaben dieses Werkes wurden 1593 und 1595 in Frankfurt am Main gedruckt [VD 16 F 3049 und VD16 F 3051]. Vgl. auch: Zeeberg, Heinrich Rantzau, 142. 56 Vgl. Aschanaeus, Hufvud. Vgl. dazu auch: Czaika, David Chytraeus, 367. 57 Vgl. ders., Gothus. Zu Petrus Johannis Gothus vgl. auch: Schück, Gothus, 1‒81. 58 Vgl. Czaika, Elisabet Vasa, 13‒19. 55
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Übersetzung der Confessio Augustana ins Schwedische eine klare Abgrenzung zur Kirchenpolitik des schwedischen Königs Johann III. darstellen. Dieser hatte in den 1570er Jahren einen kirchenpolitischen Schlingerkurs gefahren, der irgendwo im theologischen Niemandsland zwischen Cassanders Vermittlungstheologie, römischer Theologie und evangelischer Lehre anzusiedeln ist und entsprechend heftige Reaktionen, insbesondere im Herzogtum seines Bruders Karl, in Södermanland, hervorgerufen hatte. 59
IV. Krieg und Frieden Nicht nur in den dynastischen Verbindungen Mecklenburgs mit den schwedischen Vasas, der Heirat von Christoph mit Elisabeth, sondern auch schon in den Jahrzehnten zuvor, lässt sich Rostocks Bedeutung für die politische Gemengelage im europäischen Nordosten ablesen: Bereits nach dem Tod des dänischen Königs Friedrich I. (1533) war ein Konflikt um die Herrschaft in Dänemark ausgebrochen, der nicht nur Dänemark in einen Bürgerkrieg stürzte, sondern nahezu den ganzen Ostseeraum involvierte: Die mittlerweile evangelischen Hansestädte Lübeck, Wismar, Rostock und Stralsund versuchten durch eine Eroberung Dänemarks ihr Handelsmonopol im Ostseeraum wiederherzustellen. Nach dem Befehlshaber der hansischen Truppen, dem Grafen Christoph von Oldenburg, erhielt der Krieg den Beinamen „Grafenfehde“ (1534‒1536). 60 Nach außen hin stellten die Verbündeten, darunter übrigens auch der katholische Herzog von Mecklenburg, Albrecht VII., den Krieg gegen Dänemark als Kampf um die Freiheit des Evangeliums gegen die noch im Katholizismus verharrenden dänischen Bischöfe und als Restitution der Herrschaft des abgesetzten Königs Christian II. dar. Nach anfänglichen Erfolgen, die den Verbündeten die Kontrolle über nahezu das gesamte Dänemark bescherten, wurden die Angreifer jedoch 1535/36 von einer schwedisch-dänisch-preußischen Allianz zurückgeschlagen. Der schwedische König Gustav Vasa hatte im Bündnis mit Albrecht von Preußen, den pommerschen Herzögen Philipp I. und Barnim IX. sowie dem evangelischen Herzog Heinrich von Mecklenburg zu Gunsten Christians III., des Sohnes von Friedrich I., in den Konflikt eingegriffen, da die gegnerische Allianz Albrecht von Mecklenburg im Falle eines Erfolges die schwedische Krone in Aussicht gestellt hatte. Auch wenn die Annäherung von Schweden und Dänemark im Zuge der Grafenfehde nur von kurzer Dauer war, so festigte sie dennoch – eigentlich ganz im Sinne des von den hansischen Verbündeten vorgeschobenen Grundes – die „Freiheit des Evangeliums“, das Luthertum ————— 59 60
Vgl. Czaika, Elisabet Vasa, 21‒28. Vgl. Sellmer, Albrecht VII.; Czaika, Scandinavie, 146‒149.
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im Ostseeraum. Unter dem Eindruck der militärischen Erfolge Lübecks zu Beginn der Grafenfehde sahen sich etwa die Herzöge von Pommern im Frühjahr 1534 zur Einführung der Reformation veranlasst. Als Folge der Grafenfehde entfernte der Dänenkönig Christian III. die katholischen Bischöfe aus ihren Ämtern und sicherte sodann die Reformation kirchenrechtlich ab. Albrecht VII. versuchte noch einmal, im Zuge der sogenannten Dackefehde 1542/1543, im Bündnis mit Pfalzgraf Friedrich nach der schwedischen Krone zu greifen, indem er die zeitweilig höchst erfolgreichen Aufständischen in Småland unter der Führung des Bauern Nils Dacke unterstützte. 61 Der Versuch scheiterte ebenso wie der vorherige, da Gustav Vasa die zur Unterstützung der Aufständischen gesammelten Truppen durch einen Präventivschlag auf mecklenburgischem Terrain im Frühjahr 1543 zerschlagen konnte. Herzog Albrecht starb 1547 „als Gescheiterter“ 62. Sein Nachfolger, Johann Albrecht, den er dazu verpflichtet hatte, der römischen Kirche treu zu bleiben, wurde dessen ungeachtet evangelisch. Damit war der Weg nicht nur frei für Mecklenburg als evangelisches Territorium, sondern auch zu normalisierten Beziehungen zum Schwedischen Reich, das unter Gustav Vasa de facto ein evangelisches Land geworden war. In den 1560er Jahren sollte Rostock gleich mehrmals Ort für die Friedensverhandlungen im Nordischen Siebenjährigen Krieg (auch ‚Dreikronenkrieg‘, 1563‒1570) werden, in dem Schweden und Dänemark vordergründig um das Recht kämpften, die drei Kronen im Staatswappen tragen zu dürfen. Letztendlich konkurrierten die beiden Mächte aber um die Hegemonie im Ostseeraum. 63 1563, im selben Jahr, in dem die erste der beiden Rostocker Friedenskonferenzen stattfinden sollte, war der Verlobte der schwedischen Prinzessin Elisabeth Vasa, Christoph von Mecklenburg, der dritte Sohn Albrechts und Koadjutor des Erzbistums Riga, in eine schließlich sechs Jahre währende polnische Gefangenschaft geraten. Aufgrund dessen wurde die geplante Eheschließung auf Eis gelegt, und ab etwa 1570 wurde die Verlobung von Johann III. als praktisch gelöst angesehen. Erst nachdem es Johann III. nicht gelungen war, seine Schwester Elisabeth anderweitig unter die Haube zu bringen, zauberte er Ende der 1570er Jahre den ursprünglich geplanten und mittlerweile verwitweten Bräutigam wieder aus dem Hut. 64 Die beiden für Rostock geplanten Friedenkonferenzen, 1563 und 1563/64, intensivierten nicht nur die diplomatischen Kontakte zwischen dem Reich und den skandinavischen Mächten, in Sonderheit Schweden, sie beförderten —————
61
Zum Aufruhr unter Nils Dacke vgl. u.a.: Berntson, Mässan, 188‒206, 330‒333; Larsson, Gustav Vasa, 234‒268; Svalenius, Gustav Vasa, 233‒247; Wikberg, Gustav Vasa, 39‒61. 62 Wolgast, Herzogtum Mecklenburg, 159. 63 Zum Nordischen Siebenjährigen Krieg vgl. Lavery, Challenge, vgl. auch dessen Beitrag in diesem Band. 64 Vgl. Sellmer, Christoph, 48‒51; Czaika, Elisabet Vasa, 12‒18.
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auch persönliche Kontakte von Personen aus dem Schwedischen Reich mit David Chytraeus in Rostock und leiteten zu einer Phase über, in der Stadt und Universität Rostock immer wieder diplomatische und politische Bedeutung für Nordosteuropa erhielten. Auch gegen Ende des Nordischen Siebenjährigen Krieges sollte Rostock wieder Verhandlungsort werden, was jedoch durch weitere Kriegshandlungen verunmöglicht wurde. Universität und Stadt Rostock lösten schließlich im Jahr 1572 (mit zwei nachfolgenden Verhandlungen 1573 und 1575) die strittige Frage des sowohl von Dänemark als auch von Schweden beanspruchten Reichswappens mit den drei Kronen: Letztendlich durften beide Könige, der Dänenkönig Friedrich II. und Johann III. von Schweden, die drei Kronen im Wappen führen, allerdings durften sie daraus keinerlei Gebietsansprüche auf Territorien des jeweils anderen Reiches herleiten. 65 Auch in den folgenden Jahren war Rostock immer wieder das diplomatische Zentrum zur Behandlung skandinavischer und baltischer Politik. 66 In den 1560er und 1570er Jahren reiste also nicht nur ein stetiger Strom von skandinavischen Studenten in die Warnowstadt, um dort akademische Meriten zu erwerben, sondern auch zahlreiche Diplomaten im Auftrag ihrer jeweiligen gekrönten Häupter. Auch die Eheschließung von Christoph von Mecklenburg und Elisabeth Vasa wurde 1577 durch diplomatische Kontakte vorbereitet. Hiervon zeugt unter anderem der Stammbucheintrag Christophers von Mecklenburg im Album des schwedischen Adligen Gustav Banér aus dem Jahre 1577. 67 Mit dem Stettiner Frieden können wir auf den oben bereits erwähnten Heinrich Rantzau zurückkommen. Denn es war vermutlich gerade dieser Friedenschluss gewesen, 68 der Rantzaus Skepsis gegenüber Kriegführung als legitimem Mittel der (Konfessions-)Politik wachsen ließ. Seit den 1580er Jahren reifte in ihm daher ein – für seine Zeit utopischer – Friedensplan heran: Ein europaweiter Generalfrieden, der alle Mächte und Konfessionen ————— 65
Vgl. Lavery, Challenge, 131. Vgl. Ebd., 107f, 131‒144. 67 Gustav Banér besaß neben diesem Stammbuch, einem durchschossenen Exemplar von Musculus’ Precationes, auch noch zwei weitere Bücher, die eine ähnliche Funktion wie ein Stammbuch hatten, nämlich eine schwedische Ausgabe der Psalmen Davids, (Dauids Psaltare, Stockholm 1536) sowie eine schwedische Ausgabe des Neuen Testaments (Thet Nyia Testamentet, Stockholm 1550). Vgl. Collijn, Bibliografi, Bd. 2, 43‒45, 182‒185. Das Stammbuch (Musculus’ Precationes) ist im Besitz des Vereins Samfundet Djursholms Forntid och Framtid in Djursholm bei Stockholm (vgl. Norberg/von Stedingk, Banérbiblioteket, 132). Gustav Banérs Psalter befindet sich in der Bibliothek des Schlosses Skokloster, das Neue Testament in der Rålambska Samlingen der Kgl. Bibliothek zu Stockholm. Simone Giese benutzt in ihrer Dissertation ein Verzeichnis von Stammbüchern schwedischer Adliger – dieses Verzeichnis umfasst allerdings weder Banérs Stammbuch, noch die beiden anderen Bücher, die ähnlich wie ein Stammbuch benutzt wurden. Vgl. Giese, Studenten, 731–733; Stenbock, Dag, 229–238; Lindberg, Ingeborg Totts, 221–241. 68 Rantzau selbst war bei den gescheiterten Verhandlungen in Stralsund im Jahre 1567 zugegen. Vgl. Lavery, Challenge, 110. 66
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umschließen und zudem Glaubens- und Gewissensfreiheit in Europa garantieren sollte. 69 Rantzau nutzte seine diplomatischen Kanäle, diesen Plan der katholischen wie evangelischen Seite zu präsentieren. Und auch hier wieder spielte Mecklenburg eine hervorragende Rolle: Herzog Ulrich von Mecklenburg sollte den Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen Rantzaus Friedensplan weiterleiten. Ulrich von Mecklenburg war zwar der Sache gegenüber prinzipiell positiv eingestellt, allerdings weniger enthusiastisch als Rantzau und eher an den real durchsetzbaren Gegebenheiten orientiert. Die ganze Sache verlief im Sand – denn die Zeichen standen eher auf Sturm als auf konfessioneller und politischer Entspannung. Dass der Statthalter des dänischen Königs dem Herzog von Mecklenburg einen derartigen Friedensplan unterbreitete, geschah sicherlich keinesfalls zufällig. Mecklenburg war – wie oben dargestellt – an den politischen Entwicklungen im europäischen Nordosten nicht nur interessiert, sondern selbst mit diesen verwoben. Rantzaus Friedensplan atmet zudem den Geist einer melanchthonisch-irenischen Linie, wie sie nicht nur von zahlreichen Theologen in Skandinavien in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vertreten wurde, sondern insbesondere auch von David Chytraeus. Obzwar Chytraeus selbst beim Zustandekommen der Formula concordiae mitgewirkt hatte, distanzierte er sich später zunehmend vom Konkordienwerk und nahm eine irenische Haltung an, die auch die „Freiheit der Dissentierenden“ gewährleistet sehen wollte. Chytraeus’ theologische Position, die Luther und Melanchthon weitestgehend als Einheit betrachtete und die Bedeutung der Confessio Augustana herausstrich, war insbesondere im Dänischen und Schwedischen Reich gut kommunizierbar, da keines der skandinavischen Reiche im 16. Jahrhundert die Konkordienformel als Bekenntnisschrift rezipierte, sondern einzig die Confessio Augustana als zeitgenössisches verbindliches Dokument wertete. Rantzaus Friedensplan atmet also einen Geist, in welchem die Theologie des David Chytraeus und richtungsweisende konfessionspolitische Entscheidungen in Skandinavien einen gemeinsamen Nenner hatten. Die Studienreisen schwedischer und finnischer Studenten an die Universität der Warnowstadt, die diplomatischen und dynastischen Verbindungen zwischen Mecklenburg und Schweden und nicht zuletzt die guten Kontakte, die David Chytraeus zu skandinavischen Führungseliten etabliert hatte, sollten gegen Ende des 16. Jahrhunderts eine hervorragende (kirchen-)politische Bedeutung im Schwedischen Reich entfalten. 70
————— 69 70
Vgl. Hansen, Friedensplan, 359‒372. Vgl. Czaika, David Chytraeus ,178‒358; ders., Betydelse, 23‒30; ders., Censur, 78‒97.
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V. Uppsala möte 1593 ‒ Rechtliche Absicherung der religio lutherana in Schweden 71 Als nach dem Tod Johanns III. die schwedischen Stände 1593 in Uppsala zusammenkamen (die sogenannte Uppsala möte), mussten sie eine konstitutionelle Meisterleistung vollbringen: 72 Einerseits sollte das Bekenntnis des schwedischen Reiches zum ersten Mal verpflichtend für das gesamte Reich niedergeschrieben werden, andererseits die Thronbesteigung von Johanns Sohn, dem katholischen König von Polen, Sigismund Vasa, vorbereitet werden. Die konstitutionelle Lösung, die in Uppsala 1593 und im folgenden Jahr im Vorfeld der Krönung Sigismunds zum schwedischen König gefunden wurde, sah vor, dass der Reichstag das dominium directum innehatte und somit das Recht besaß, die lutherische vera doctrina als Konfession des Reiches für alle Untertanen verpflichtend festzulegen. Allerdings konnte ein konfessionell divergierender König, in diesem Falle der Katholik Sigismund, als Herrscher akzeptiert werden, sofern er sich in seinem Krönungseid darauf verpflichtete, das lutherische Bekenntnis des Reiches und damit gleichzeitig die absolute Verfügungsgewalt der Stände über das Reich nicht anzutasten. Dass die 1593 und 1594 gefundene konfessionelle Lösung, unter anderem aufgrund von Sigismunds Doppelzüngigkeit (er hatte vor Ablegen des Krönungseides eine reservatio mentalis bei seinem Beichtvater abgelegt, die es ihm erlauben sollte, seinen Eid brechen zu dürfen) sowie an dem Machthunger seines Bruders Herzog Karl von Södermanland (dem künftigen König Karl IX.) scheiterte, soll uns im Folgenden nicht interessieren. 73 Viel interessanter in diesem Zusammenhang ist die Bewertung, die Synode und Reichstag in Uppsala 1593 sowie Sigismunds Königsversicherung in der neueren Geschichtsschreibung gefunden haben. Traditionell – und ich schließe hier ausdrücklich meine bisherigen Publikationen nicht aus – wird nämlich auf die Differenz zur rechtlichen Situation im Alten Reich seit dem Augsburger Religionsfrieden verwiesen. So schreibt Birgit Stolt etwa: —————
71 Die folgenden Abschnitte zur schwedischen Verfassungspolitik orientieren sich weitgehend wortgetreu an: Czaika, Uppsala möte, 63‒81. 72 In der Literatur ist es umstritten, ob die Versammlung von Uppsala 1593 eine Synode oder ein Reichstag war. Karl Hildebrand wertet die Versammlung von Uppsala 1893 als eine rein kirchliche Angelegenheit, ergo eine Synode. Vgl. Hildebrand, Undersökningar, 89‒122. Ich folge hier in Sonderheit Hans Cnattingius und Ingun Montgomery, die den „Doppelcharakter“ (Montgomery, Uppsala möte, 19) von Uppsala möte als politische und kirchliche Versammlung herausstreichen. Vgl. Cnattingius, Kyrkostyrelsen, 41; Montgomery, Varjostånd, 94‒96; dies., Uppsala möte, 13‒19. Auch Harry Hermerén hält fest, dass die Versammlung in Uppsala „mehr als eine gewöhnliche Synode war“. Hermerén, Uppsala möte, 193 (Übersetzung des Zitates durch den Verfasser). 73 Zur Uppsala möte u.a.: Montgomery, Värjostånd, 83‒121; Czaika, David Chytraeus, 64‒67, 309‒346; ders., Emot, 77‒79; Buchholz, Schweden, 203‒208; Hägglund, Återställandet, 148‒156.
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Cuius regio, ejus religio, nach dem die Religion des Herrschers die des Landes bestimmt, galt in Schweden nicht. Sigismund konnte offiziell als katholischer König ein protestantisches Land regieren (1592‒1599). Die Aufgabe als custos ecclesiae, Beschützer der Kirche, konnte er jedoch nicht ausüben, diese wurde Herzog Karl übertragen. 74
Markku Heikkilä und Simo Heininen halten fest: Das Europa der Reformationszeit hatte nämlich die Streitigkeiten zwischen den Bekenntnisgruppen durch den Gegensatz wessen Land, dessen Religion entschieden: Die Untertanen hatten ihrem Herrscher in den [sic!] Religion zu folgen. 75
In meiner Dissertation schreibe ich: Das cuius regio, eius religio des Augsburger Religionsfriedens wurde durch die Beschlüsse von Uppsala und durch ihre offizielle Annahme auf dem Reichstag dortselbst im nächsten Jahr in das Gegenteil verkehrt: Das historisch gewachsene Bekenntnis eines Staates stellte man über die Religion des Herrschers. Sigismund wurde zwar zugestanden, ein von der Staatskirche divergierendes Bekenntnis zu haben, er war aber seines ius reformandi verlustig gegangen. Die seit Gustav Vasa geltende Maxime, dass der König die letztgültige Entscheidung in kirchlichen Fragen besaß, war damit außer Kraft gesetzt. 76
Die ältere schwedische Forschung ist an derartigen komparatistischen Annäherungen meist wenig oder gar nicht interessiert – oder betont, wie etwa Hilding Pleijel 77 oder Hans Cnattingius 78 recht einseitig die bekenntnismäßige Bedeutung der Versammlung von Uppsala und zieht in erster Linie Vergleiche zum Konkordienwerk im Alten Reich. Hjalmar Holmquists und Knut B. Westmans Fokus liegt auch nicht auf dem Vergleich oder konstitutionellen Implikationen. Dennoch betonen auch sie den Umstand, dass „das schwedische Volk“ 79 hier die Fäden der Politik zog, beziehungsweise „die Versammlung in der Geschichte als ein Zeugnis dient, was eine Volkskirche für ihr Land tun kann, wenn es ihr erlaubt ist, sich mit angemessener Freiheit zu —————
74
Stolt, Wort, 46. Bereits 1986 hatte Ingun Montgomery den Augsburger Reichstag als tertium comparationis zur Religionspolitik von Karl IX. herangezogen. Den Stockholmer Reichstag im Jahre 1602, bei dem es den Ständen im Unterschied zu der Versammlung von Uppsala 1593 nicht gelang, dem Herrscher das Bekenntnis vorzuschreiben, kommentiert sie wie folgt: „Nicht die Untertanen hatten das Recht, die Religion des Herrschers zu bestimmen, vielmehr bestimmte der Fürst die Religion seines Landes nach der auf dem Augsburger Reichstag 1555 prinzipiell, wenn auch nicht wörtlich festgelegten Regel cuius regio, eius religio. So mißlang dieser Versuch der Stände, dem Regenten seine Religion vorzuschreiben“ (Montgomery, Cura religionis, 282). 75 Heikkilä/ Heininen, Kirchengeschichte, 78. 76 Czaika, David Chytraeus, 345. 77 Vgl. Pleijel, Bekännelsen, 137‒154. 78 Vgl. Cnattingius, Uppsala möte, 129‒134. 79 Kring Uppsala mötes beslut samlades alltså Sveriges folk. Westmann, Betydelse, 27 (Übersetzung des Zitates durch den Verfasser).
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bewegen.“ 80 Holmquists und Westmans Wertung der Versammlung in Uppsala atmet den Geist ihrer Zeit – der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Insbesondere der Begriff des „Volkes“ beziehungsweise der „Volkskirche“ hebt auf Einar Billings Theologie ab, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts eine schwedische „Volkskirche“ 81 (schw. Folkyrkan) propagierte. 82 Allerdings wird auch – vollständig zu Recht – auf die starke Involvierung der Pfarrerschaft in Schweden in die Reichspolitik, insbesondere ihr Agieren während des Reichstages verwiesen. Der in der sogenannten D-Quelle zur Versammlung in Uppsala überlieferte und dem Vorsitzenden Nicolaus Olai Bothniensis zugeschriebene Satz: „Jetzt ist Schweden ein Mann geworden, und alle haben wir einen Herren und Gott“ 83 sowie die überaus zahlreichen (um 2.000) im ganzen Reich eingesammelten Unterschriften unter die Beschlüsse
————— 80
Holmquist, Reformationstidevarvet, 166 (Übersetzung des Zitates durch den Verfasser). Allerdings ist in keiner Weise eine „völkische“ Kirche gemeint. Billing sieht in der Territorialgemeinde und dem Kirchenbau an sich die basalen Faktoren, in denen sich das Gnadenangebot Gottes gegenüber dem Individuum manifestiert. Dies bezeichnet er mit dem Begriff der Volkskirche. „Das Primäre in dieser Gesamtschau [...] ist die Territorialgemeinde, das Sekundäre das Volk.“ (Wingren, Gestalt, 107). Vgl. Deppe, Wächter, 47ff, 29‒84. Billing wies die später verwässerte Verwendung des Begriffes „Volkskirche“ (d.h. unter Ausblendung der individuellen Züge) ebenso wie die Inanspruchnahme dieser Bezeichnung durch die Nationalsozialisten in Deutschland ‒ möglicherweise in Anlehnung an Karl Holl, sicherlich aber in gewollter Abgrenzung zu Emanuel Hirsch ‒ weit von sich: „[I]ch bin mehr als einmal, wenn ich theologische Versuche las, die dieses Volkskirchenideal zu rechtfertigen suchten, wie unter einem Peitschenhieb zusammengezuckt, wenn sich deren Argumente zuweilen in solche Schlagworte verdichteten, die frappierend unserem eigenen alten Losungswort glichen: Schwedens Volk ‒ ein Gottesvolk. Eine irgendwie geartete Tendenz in der Richtung, zu allerletzt in der Richtung, aus unserem Volk ein vor allen anderen Völkern privilegiertes Volk zu machen, gab es ‒ das können wir in aller Ruhe versichern ‒ nicht.“ Billing, Folkkyrkan, 142 (Übersetzung des Zitates nach Wingren, Gestalt, 88). 82 Vgl. Billing, Församlingsprincipen; ders., Herdabref, 85ff; ders., Folkkyrkan. Zu Billings Theologie vgl. u.a.: Wingren, Gestalt; Deppe, Wächter, 47ff; Eckerdal, Kropp. 83 Die Echtheit dieser Quelle war umstritten. Gunnar Westin meinte etwa, dass die hier zitierte Aussage rein inhaltlich eher in die schwedische Großmachtzeit im 17. Jahrhundert passt. Allerdings kann der Inhalt der auf das späte 17. oder frühe 18. Jahrhundert zu datierenden D-Quelle auf das bedeutend jüngere sog. Odensjömanuskript (schw. Odensjöhandskriften) und eine ebenfalls jüngere Abschrift im schwedischen Reichsarchiv zurückgeführt werden. Pleijel, Kjöllerström und Svalenius datieren das Odensjömanuskript auf die Zeit um 1600 ‒ also in zeitliche Nähe zur Versammlung von Uppsala. Cnattingius konnte als Schreiber des Odensjömanuskriptes Magnus Petri aus Stigtomta in Södermanland († 1614) identifizieren, der auch selbst bei der Versammlung von Uppsala zugegen war. Anhand des Wasserzeichens des verwendeten Papiers und anderer, insbesondere textueller Merkmale, macht Cnattingius glaubhaft, dass Magnus Petri das Odensjömanuskript als eine Abschrift einer früheren Quelle zwischen 1598 und 1605 anfertigte. Pleijel, Bekännelsen, 151f, insbesondere Anmerkung 2 und 3; Cnattingius, D-källan, 292‒339; Westin, Bothniensis; Hermerén, Uppsala möte, 42‒73; Andrén, Strängnäs-beslutet, 1‒22 [mir liegt die ursprünglich unpaginierte Korrekturfahne des Verfassers Å. Andrén vor]. Die Quellen zur Versammlung von Uppsala sind herausgegeben in: Hildebrand, Handlingarna, 1‒149. 81
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von Uppsala 1593 84 belegen den ungemein starken Rückhalt, den sie – zumindest in der Pfarrerschaft und den politischen Eliten des Landes – hatten. Unter anderem Ingun Montgomery85 verweist im Anschluss an Hans Cnattingius 86 darauf, dass Pfarrerschaft und Reichsrat – wenn auch gegebenenfalls aus einer unterschiedlichen (kirchen-)politischen Grundhaltung heraus – gegen Herzog Karl von Södermanland das Ideal der libertas ecclesiae erfolgreich verteidigten. Hier finden wir also zwar nicht explizit, so aber dennoch implizit einen Hinweis darauf, dass es letztendlich die in Uppsala versammelten Repräsentanten waren, die das dominium directum, die absolute Verfügungsgewalt, über das Reich ausübten und nicht der Monarch. 87 Allerdings ist der verschiedentlich – auch von mir getätigte – Vergleich zum Alten Reich zu modifizieren. Die Frage von frühneuzeitlicher Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit ist intrikater als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn auch im föderal organisierten Alten Reich – unter anderem in Mecklenburg – konnte nach denselben konstitutionellen Maßgaben entschieden werden wie in Schweden in den Jahren 1593 und 1594.
VI. Die Bekenntnisverpflichtung in Mecklenburg und Schweden Anfang Februar 1555 trat in Augsburg der Reichstag zusammen. Am 25. September wurde zwischen Kaiser Karl V., der durch seinen Bruder Ferdinand I. vertreten wurde, und den Reichsständen der Augsburger Religionsfriede geschlossen. 88 Bereits auf dem Landtag an der Sagsdorfer Brücke bei Sternberg war am 19. Juni 1549 „[d]ie Entscheidung über die Zukunft des neuen Kirchenwesens“ 89 in Mecklenburg getroffen worden. Die Herzöge Heinrich V. und Johann Albrecht I. lehnten hier mit Rückendeckung der mecklenburgischen Stände und durch impliziten Rekurs auf die lutherische vera doctrina (allerdings ohne Nennung Martin Luthers oder der Confessio Augustana) das Interim ab. Die bisherige konfessionelle Unbestimmtheit in Mecklenburg war damit beendet. Die mecklenburgische Landespolitik kreuzte sich im Jahr 1555 mit den Ereignissen der Reichspolitik, dem Augsburger Reichstag und dem Religionsfrieden. Auf dem Güstrower Landtag manifestierten die mecklenburgischen Stände (die allerdings nur noch aus Ritterschaft und Städten bestanden) —————
84 Insgesamt 1.934 Personen unterzeichneten die Beschlüsse der Versammlung von Uppsala, Andrén, Kyrkohistoria 2, 221. 85 Vgl. Montgomery, Värjostånd, 96f. 86 Vgl. Cnattingius, Uppsala möte, 113. 87 Vgl. hierzu Barudio, Zeitalter, 25‒44. 88 Vgl. Ruhbach, Religionsfrieden, 157. 89 Wolgast, Herzogtum Mecklenburg, 160, vgl. auch dessen Beitrag in diesem Band.
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ihre durch die Reformation gestärkte Position. Dies fand nicht nur im ständischen Steuerbewilligungsrecht, sondern auch in den Bestimmungen zur konfessionellen Ausrichtung des Landes ihren Ausdruck. Die Stände fungierten als Garant der wahren Religion, der Augspurgischen Confession. 90 Eike Wolgast merkt hierzu an: Die Landesfürsten verloren damit das ius reformationis, das den weltlichen Obrigkeiten mit der Reformation einen beträchtlichen Kompetenzzuwachs eingebracht hatte; das Mitentscheidungsrecht der Stände in Kirchenfragen durchlöcherte das Prinzip von ‚cuius regio, eius religio‘, das der Augsburger Religionsfrieden von 1555 den weltlichen Fürsten zubilligte. [...] Die Konfessionsgarantie musste in der Folgezeit jedes Mal wiederholt werden, wenn die Herzöge die Stände zur immer erneut notwendig werdenden Schuldentilgung bewegen wollten. 91
Was hier also landesrechtlich in Mecklenburg etwa zeitgleich mit dem Augsburger Reichstag geschah, war eine Steilvorlage für die schwedische Reichspolitik in den 1590er Jahren und im 17. Jahrhundert. Die Bekenntnisverpflichtung von Uppsala sicherte die lutherische Konfession unter dem katholischen Sigismund. Nachdem es den Ständen nicht gelungen war, beim Stockholmer Reichstag im Jahre 1602 König Karl IX. bei seiner Thronbesteigung auf die Beschlüsse von Uppsala zu verpflichten, 92 mussten sich allerdings dessen Sohn Gustav II. Adolf im Jahre 1611 und auch später Karls Enkelin Christina unter expliziter Bezugnahme auf die Versammlung von Uppsala 1593 auf die religio lutherana als Religion des Reiches verpflichten. Diese Religionsversicherung, die die schwedischen Monarchen abzugeben hatten, erklärt unter anderem auch, dass Christina erst nach erfolgter Abdikation zum Katholizismus konvertieren konnte. Eine Konversion im Amt wäre einem Eides- und Rechtsbruch von Seiten der Königin gleichgekommen und hätte ungeahnte innenpolitische Konsequenzen gehabt, die letztendlich auch Leib und Leben der Monarchin hätten bedrohen können. Natürlich können die Parallelen in der rechtlichen Verfassung des Herzogtums Mecklenburg und des Königreichs Schweden auf fundamentale Strukturen mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Staatlichkeit und ebenso auf elementare Konflikte um staatslenkende Kompetenzen zurückgeführt werden. Mecklenburg und Schweden partizipierten letztendlich an einer gemeinsamen europäischen rechtlichen und politischen Kultur. Dennoch scheint mir hier keine zufällige Parallelentwicklung vorzuliegen. Dass die Versammlung in Uppsala zumindest eine gute Portion an Inspiration von den landesrechtlichen Entwicklungen in Mecklenburg einige Jahrzehnte zuvor erhielt, ist nur ————— 90
Sachsse, Mecklenburgische Urkunden, 239, zitiert nach: Wolgast, Herzogtum Mecklenburg, 167. Vgl. Baumgarten, Krisis, 126; Hegel, Geschichte, 139‒145. 91 Wolgast, Herzogtum Mecklenburg, 167. 92 Vgl. Montgomery, Cura religionis, 282‒287.
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allzu wahrscheinlich. Die bereits oben erwähnten Studienreisen schwedischer Studenten nach Rostock und die guten dynastischen wie diplomatischen Verbindungen zwischen Mecklenburg und Schweden prägten nämlich nicht nur die Versammlung in Uppsala 1593, sondern auch ihr Ergebnis mehr als nachhaltig. Der Vorsitzende der Versammlung von Uppsala, Nicolaus Olai Bothniensis, hatte ebenso bei David Chytraeus in Rostock studiert wie die beiden Sekretäre der Synode (Ericus Jacobi und Olaus Martini) und der Aktuar (Laurentius Paulinus Gothus). Neun oder sogar zehn der zwölf Assessoren waren ehemalige Studenten des Rostocker Professors. Auch die Mehrzahl der schwedischen Reichsräte war entweder persönlich mit Chytraeus bekannt (z.B. Erik Sparre und Nicolaus Guldenstern sowie die Brüder Sten und Gustav Banér), kannten sein Werk, oder hatten zumindest in den vergangenen Jahren brieflichen Kontakt mit dem Rostocker gehabt. 93 Kein Wunder also, dass der Beschluss der Versammlung von Uppsala vollständig auf der Linie von David Chytraeus’ Theologie lag: Die Väter der Versammlung in Uppsala 1593 übernahmen die Bewertung der Confessio Augustana als viertes Symbolum und sahen, wie ihr Rostocker Lehrer beziehungsweise Korrespondenzpartner, in ihr das maßgeblichste Dokument der religio lutherana. 94 Dass man sich in Uppsala 1593 nicht nur theologisch, sondern auch staatsrechtlich und politisch an den Vorgaben aus Mecklenburg orientierte, ist also auch gerade ob der langjährigen und guten Kontakte schwedischer Adliger mit Mecklenburg nur allzu wahrscheinlich. Nicht zuletzt wirft der Güstrower Landtag nicht nur seinen Schatten auf die Versammlung von Uppsala voraus, sondern auch auf die 1581 erschienene erste schwedische Übersetzung der Confessio Augustana. Die von mir vor einigen Jahren nur nebenbei angesprochene Funktion dieser Übersetzung als Beleg für die Bekenntnistreue von Herzog Christophs Braut Elisabeth 95 erscheint im Licht des Güstrower Landtags von 1555 sowie der Funktion der mecklenburgischen Stände als Garant der konfessionellen Ausrichtung des Landes in einem umso klareren Licht: Christoph von Mecklenburg konnte mit Hilfe der schwedischen Übersetzung der Confessio Augustana die Rechtgläubigkeit seiner künftigen Gattin bestätigen und damit gleichzeitig seine (konfessionelle) Treue den mecklenburgischen Ständen gegenüber unterstreichen.
————— 93
97. 94 95
Dieser Teil ist eine Paraphrase von Czaika, David Chytraeus, 325f. Vgl. auch ders., Censur, 78‒ Vgl. ders., David Chytraeus, 336‒346. Vgl. ders., Elisabet Vasa, 24f.
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VII. Augsburg 1555 und Uppsala 1593: cuius regio, eius religio, nicht cuius princeps, eius religio Der Augsburger Religionsfriede kennt die später sprichwörtlich gewordene Formulierung cuius regio, eius religio nicht. Diese ist erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts von dem Greifswalder Juristen Joachim Stephani (1544‒1623) geprägt worden. Stephani schreibt freilich in seinen Institutiones juris canonici von 1612: ut cuius sit regio, hoc est ducatus, principatus, territorium seu ius territorii, eius etiam sit religio, hoc est ius episcopale seu iurisdictio spiritualis. 96 Diese Formulierung rekurriert inhaltlich auf die Formel Ubi unus dominus ibi una sit religio, die die Altgläubigen auf dem Augsburger Reichstag der evangelischen Forderung nach allgemeiner Freistellung der Religion entgegenhielten, und die sich ihrerseits an Eph. 4,5 der Vulgata (ubi unus dominus, ibi una religio) anlehnt. 97 Auch der Begriff des ius reformandi ist erst während des Dreißigjährigen Krieges sekundär in den Religionsfrieden hineininterpretiert beziehungsweise aus diesem herausgelesen worden, 98 insbesondere in die präsentische und futurische Formulierung aufgericht oder nochmals aufrichten möchten von § 15 des Religionsfriedens. 99 Dass der Obrigkeit eine wichtige Funktion für die Einführung oder Nicht-Einführung der Reformation zukam, war 1555 bereits ein Faktum, nicht zuletzt, da die „erste[n] reichsrechtliche[n] Spuren des cuius-regio-Prinzips“ 100 in den Reichstagen von 1526 und 1529 auszumachen sind. Dennoch ist festzuhalten, dass der Religionsfrieden von 1555 nicht das beschreibt, was später – und nicht nur im 17. Jahrhundert, sondern bis in unsere Zeit – als ein zentraler Begriff frühneuzeitlicher Konfessionspolitik gewertet wird: Das Recht des Fürsten, über die Religion der Untertanen zu bestimmen. Denn auch Stephani beschreibt eben nicht ein cuius princeps, eius religio 101, sondern definiert regio als hoc est ducatus, principatus, territorium seu ius territorii. 102 Und eben ————— 96
Zitiert nach Feil, Religio, 175, Anm. 90. Vgl. Kästner, Schriften, 53. Vgl. auch Gotthard, Religionsfrieden, 105; Heckel, Schriften, 104. 98 „Als Endpunkt dieser ersten Phase normiert der Augsburger Religionsfriede der Sache nach das ius reformandi, ohne dieses obrigkeitliche Recht in einer Einzelnorm explizit und eindeutig zu umschreiben oder gar beim ‒ noch nicht existenten ‒ Namen zu nennen.“ Schneider, Ius reformandi, 8. 99 Zitiert nach der Online-Ausgabe des Augsburger Reichsabschiedes, verfügbar unter: https://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/finde/langDatensatz.php?urlID=739&url_tabelle=tab_quelle (zuletzt geprüft am 29.08.2018). Vgl. hierzu: Zippelius, Staat, 86. 100 Gotthard, Religionsfrieden, 212. 101 Diese Formulierung wird immer wieder in Forschungen, die in romanischen Sprachen publiziert sind, benutzt. Allerdings wird dabei cuius princeps, eius religio nicht zwangsläufig auf das Zeitalter der Konfessionalisierung bezogen, sondern wie z.B. von de Oliveira Marques auf Spanien und die spanische Inquisition vor der Reformation, de Oliveira Marques, Ibérico, 41. 102 Vgl. etwa Feil, Religio, 175f: „Aus dieser präzisen Formulierung folgt also nicht einfach und direkt das ‚Ius reformandi‘ und schon gar nicht der jeweilige Wechsel der Konfession mit dem 97
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hier, bei der territorialrechtlichen Verortung, ist anzusetzen, will man das, was in Uppsala 1593 oder in Güstrow 1555 geschah, adäquat beschreiben – und nicht in Termini, die späteren staats- und kirchenrechtlichen Diskursen entsprungen und die von absolutistischen Tendenzen zumindest überformt sind. Die Versammlung in Uppsala emanierte das vom schwedischen König Christoph von Bayern 1442 revidierte Landrecht (schw. landslag). Damit hatte „man ein Modell [gefunden], das dem in Europa üblichen Erblehen entsprach.“ 103 Der Dynastie wurde zwar die Erbfolge in Gut und Amt zugestanden, den Ständen kam allerdings ein Wahlelement beim Königswechsel zu, das einen – durch den künftigen Herrscher zu beeidenden – Vertragsakt vorsah. Die absolute Verfügungsgewalt über das Reich, das dominium directum kam eben nicht dem Monarchen zu. Dieser konnte das dominium utile, ein Nutz- und Nießrecht, sowie die majestas personalis, die Verwaltung des Reiches, für sich beanspruchen, nicht jedoch die majestas realis, das heißt über die Konstitution des Reiches bestimmen, zu der eben auch die Religion gehörte. 104
—————
Wechsel eines Herrschers, falls dieser einer anderen Konfession als die (Mehrheit der) Bürger anhängt. [...] In sich besagt also das vielzitierte ‚Cuius regio eius religio‘ nur, daß eigentlich und von Amts wegen der jeweilige Bischof in seiner Diözese die Kompetenz hat, die ‚religio‘ zu ordnen. [...] Die verkürzte Formel, die auf Stephani zurückgeführt wird, hat also einen anderen Sinn, als uns allenthalben vermittelt worden ist. Von daher erweist sich auch die kurze Zusammenfassung als falsch, daß dieses politische Sprichwort ‚dem Landesherrn das Recht (zu)schreibt, den Bekenntnisstand seines Gebietes (zu) bestimmen‘, wie es auch nicht zutrifft, daß ‚die einprägsame Formel […] von dem Greifswalder Kanonisten Joachim Stephani (stammt)‘. Es ist sehr aufschlußreich, daß die Formel nicht nur im simplifizierten Allgemeinwissen, sondern auf hohem juristischem Niveau in diesem Sinne falsch interpretiert worden ist.“ Oder auch Schneider, Ius reformandi, 312: „Stephani selbst schon ist – immer angesichts viel späterer Unterscheidungen und Kategorisierungen – einigermaßen unklar. Denn, nachdem er die breit ausgeführten kanonischen Episkopalrechte den Landesherren zugeschrieben hat, bemerkt er, daß man zu seiner Zeit sagen könne, die Religion hafte der Region, also dem Land an, ‚ut cuius sit regio, hoc est ducatus, principatus, territorium seu ius territorii, eius etiam sit, hoc est ius episcopale seu iurisdictio spiritalis.‘ Damit ist der Spruch ‚cuius regio, eius et religio‘ geboren, der sehr bald auf das Reformationsrecht bezogen werden wird. Stephani handelt an dieser Stelle aber nicht vom Reformationsrecht (allein), sondern von den Episkopalrechten allgemein. Es ist eine Ironie der Kirchenrechtsgeschichte, daß man sehr viel später die Episkopalrechte größtenteils als ‚iura in sacra‘ begriff, hingegen das ius reformandi samt der Formel ‚cuius regio, eius et religio‘ den ‚iura circa sacra‘ zuwies. Gerade am Reformationsrecht wird aber auch deutlich, wie schwierig die Trennung der beiden ‚Systeme‘ ist: Denn selbst wenn man es als ein Episkopalrecht begreift (was nur wenige tun), muß man es territorialrechtlich verorten [...].“ Vgl. hierzu: Heckel, Staat, 80. 103 Barudio, Zeitalter, 25. 104 Nach ebd., 25f.
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Dies bedeutet aber schließlich, dass die Differenz, die zwischen Uppsala 1593 und Augsburg 1555 konstatiert worden ist, nur dann existiert, wenn man cuius regio mit einem Herrscher, princeps, gleichsetzt. Versteht man regio hingegen als Gebiet oder Recht über ein Gebiet, dann weist das, was in Uppsala 1593 geschah, keinesfalls eine Differenz zum Augsburger Religionsfrieden auf.
VIII. Fazit Die Hansestadt Rostock hatte im Spätmittelalter und während der Reformationszeit eine vielgestaltige Bedeutung für den kulturellen Transfer nach Skandinavien. Handelsbeziehungen und akademische Peregrinationen zwischen der Warnowstadt und Nordeuropa legten den Grund dafür, dass Humanismus, Reformation und konfessionelle lutherische Theologie sowie verfassungspolitische Maßgaben nicht nur im Dänischen, sondern vor allem auch im Schwedischen Reich nach 1550 rezipiert wurden. Abschließend sollte jedoch auf zwei Dinge verwiesen werden: Erstens ist Rostock beziehungsweise Mecklenburg sicherlich für Skandinavien ein paradigmatischer, möglicherweise gar der paradigmatische Hauptort respektive das paradigmatische Hauptterritorium des kulturellen wie auch theologischen Transfers; zahlreiche Fäden liefen in Rostock zusammen, und es dürfte wohl kaum zu viel gesagt sein, dass keine andere Stadt beziehungsweise kein anderes Territorium im Heiligen Römischen Reich eine ähnliche Bedeutung als Umschlagplatz für den Ideentransfer nach Norden hatte. Rostock war aber nicht der einzige Akteur in einem filigranen und weit verzweigten Transfernetzwerk zwischen Zentral- und Nordeuropa. Andere wichtige Orte für Skandinavien waren neben Wittenberg als Studienort skandinavischer Studenten und primus motor der Reformation z.B. Königsberg und Preußen, oder auch Oberdeutschland. Zweitens ist die hier immer wieder gemachte Einteilung in Schubladen wie Studienreisen, Buchdruck, reformatorischer Gemeindegesang, Theologie oder Politik ein unzureichender Notbehelf, Dinge zu kategorisieren und beim Namen zu nennen. In Wirklichkeit interagieren alle diese in Schubladen geordneten und damit künstlich voneinander getrennten Dinge miteinander – nicht zuletzt auf der persönlichen Ebene. Ehemalige Rostocker Studenten kannten nicht nur die Rostocker Professorenschaft, sondern hatten auch entsprechende Kontakte zu Handwerkern, Kaufleuten oder Buchdruckern in der Warnowstadt, die somit den Transfer von religiösem oder politischem Ideengut erleichterten, wenn nicht gar überhaupt erst ermöglichten.
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Dass Rostock insbesondere im 17. Jahrhundert diese immense Bedeutung als paradigmatischer Hauptort für den Kulturtransfer nach Skandinavien entfalten konnte, dürfte schließlich auf drei Faktoren beruhen: Rostock verfügte über einen Hafen und gehörte dem hansischen Netzwerk an. In der Warnowstadt existierte zudem eine Universität, die dank der geographisch exponierten Lage Rostocks als „Fenster zur Ostsee“ seit dem 15. Jahrhundert zahlreiche skandinavische Studenten anzog. Nicht zuletzt hatte die lutherische Theologie in David Chytraeus einen genialen Kommunikator, der sich nicht nur als begnadeter Pädagoge für skandinavische Studenten einsetzte, sondern auch lebhaft an der Geschichte Nordosteuropas, inklusive des Dänischen und Schwedischen Reiches, interessiert war und die religiöse und politische Entwicklung dort nicht nur mitverfolgte, sondern auch mit Augenmaß mitgestaltete.
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Jason Lavery
Friedenskonferenzen ohne kriegsführende Parteien: Rostock als Standort für Friedenskonferenzen zwischen Schweden und Dänemark 1563–1576
Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 beendete Jahrzehnte politischer und religiöser Konflikte im Heiligen Römischen Reich. Mit diesem Friedensschluss akzeptierten die Reichsstände weitreichende verfassungsrechtliche Änderungen. Unter anderem wurden die katholischen und evangelisch-lutherischen Glaubensbekenntnisse rechtlich geschützt, daher wurde das Reich die erste offiziell bikonfessionelle politische Ordnung in Europa. Der Augsburger Religionsfrieden beendete über ein Jahrhundert dauernde Reformversuche, stärkere zentrale Reichsinstitutionen aufzubauen. Der Religionsfrieden übertrug die Hauptverantwortung für die Friedenssicherung im Reich auf die einzelnen Reichsstände. 1 Es herrscht die weit verbreitete Annahme, dass der Augsburger Religionsfrieden ein zerbrechlicher Waffenstillstand gewesen sei in einem Konflikt, der später als Dreißigjähriger Krieg wieder aufbrach. Diese Annahme ignoriert jedoch viele auffällige Aspekte des Religionsfriedens: Erstens dauerte dieser Waffenstillstand 63 Jahre, länger als viele ‚ewige‘ Friedensschlüsse im Mittelalter oder in der Frühen Neuzeit. Zweitens verankerte die Augsburger Vereinbarung Kriegsgewinne für viele Reichsstände, und daher genoss der Religionsfrieden breite Unterstützung. Drittens hielt die Augsburger Vereinbarung viele auswärtige Belastungen aus: die andauernde „Türkengefahr“, die französischen Religionskriege und den Kampf zwischen Dänemark und Schweden um die Vorherrschaft im Ostseeraum. 2 Dieser Beitrag behandelt die Vermittlungsversuche deutscher Fürsten während des Nordischen Siebenjährigen Krieges (1563‒1570) zwischen Schweden und Dänemark und die von ihnen geplanten – aber immer wieder ‚geplatzten‘ – Friedenskonferenzen in Rostock. Die gescheiterten Friedenskonferenzen in Rostock sind Beweis für einen breiten und andauernden po—————
1
Für eine ausführliche Behandlung der Reichsreform, vgl. Angermeier, Reichsreform; zur Friedenssicherung im Reich nach dem Augsburger Religionsfrieden siehe Lanzinner, Friedenssicherung. 2 Vgl. Lavery, Challenge, ix.
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litischen Willen im Reich, sich für eine friedliche Lösung des Konfliktes einzusetzen. Außerdem befestigte die Wahl Rostocks als Standort für diese Friedenskonferenzen den Ruf der Stadt als ‚Skandinaviens Tor zu Deutschland‘. Der Nordische Siebenjährige Krieg wurde überall in Europa beobachtet; kein anderer Konflikt in der europäischen Frühneuzeit war Gegenstand so vieler Vermittlungsversuche. Deutsche Fürsten, manchmal in gemeinsamen Initiativen mit Spanien, Frankreich und Polen, versuchten diesen Krieg zu beenden. Er wurde als Sicherheitsrisiko für das europäische Staatensystem angesehen. Wirtschaftlich bedrohte der Krieg den lebenswichtigen Getreidehandel vom Ostseeraum nach Westeuropa und im Allgemeinen den Seehandel in Nordeuropa. Sowohl protestantische als auch katholische Reichsfürsten nahmen an den Vermittlungsversuchen Teil aus Angst, dass der Krieg den inneren Frieden des Reiches stören könnte. 3
Kriegsausbruch in Skandinavien 1563 Spannungen zwischen Schweden und Dänemark (oder Dänemark-Norwegen) waren eine Konstante in der europäischen Diplomatie der Frühen Neuzeit. Trotzdem hatten beide Seiten einen bewaffneten Konflikt in den 40 Jahren seit dem Zusammenbruch der Kalmarer Union der skandinavischen Königreiche vom Anfang der 1520er Jahre vermeiden können. Beide Königreiche waren geeint durch gemeinsame äußerliche Bedrohungen. Der um 1523 abgesetzte Christian II., der letzte König der Kalmarer Union, und später seine Töchter, versuchten, die skandinavische Krone wiederzugewinnen. Auch Lübecks Einfluss auf deren Außenhandel hat die skandinavischen Königreiche gegen die Hansestadt vereinigt. Beide Königreiche haben darüber hinaus die deutschen Protestanten in ihren Kriegen gegen den Kaiser unterstützt. 4 Gegen Ende der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts war die Zeit dieser gemeinsamen Aktionen vorbei, und von da an sahen Schweden und Dänemark einander immer mehr als Feinde. 1557 fand der schwedische König Gustav Vasa heraus, dass König Christian III. von Dänemark das Symbol der drei Kronen in sein eigenes Wappen eingegliedert hatte. Schwedische Könige hatten seit dem 14. Jahrhundert dieses Symbol in ihrer Heraldik verwendet. Die Dänen argumentierten, dass die Monarchen der Kalmarer Union die drei Kronen verwendet hatten, und das Wappen daher auch Dänemark gehöre.
————— 3 4
Vgl. Lavery, Challenge, xf. Vgl. Landberg, Brömsebroförbundet; Lausten, Religion; Roberts, Early Vasas, 144f.
Friedenskonferenzen ohne kriegsführende Parteien
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Gustav Vasa deutete das dänische Vorgehen als Zeichen, dass Dänemark beabsichtigte, Schweden zu erobern. 5 Christian III. und Gustav Vasa starben 1559 beziehungsweise 1560. Sie überließen den Streit ihren Söhnen Friedrich II. von Dänemark und Erik XIV. von Schweden. Friedrich hatte den Frieden von Brömsebro zwischen Dänemark und Schweden nicht erneuert, obgleich der Vertrag ihn als neuen König zur Erneuerung verpflichtete. Dieser Verbund war 1541 abgeschlossen worden, um gemeinsame Bedrohungen der skandinavischen Königreiche abzuwehren. 6 Mit der Auflösung des livländischen Ordensstaates in den 1550er Jahren begannen Dänemark und Schweden mit Polen und Russland um diesen östlichen Teil des Ostseeraumes zu konkurrieren. 1559 kaufte König Friedrich die Bistümer Kurland und Ösel für seinen Bruder Magnus. Friedrich wollte Magnus’ Erbe und dessen Ehrgeiz von Holstein nach Livland transferieren. Im Januar 1561 nahm König Erik XIV. von Schweden die Stadt Reval und deren Umgebung auf Bitten der ortsansässigen Eliten unter seinen Schutz. Beide Könige versuchten, ihren Einfluss in Livland zu vergrößern. 7 Letzten Endes aber waren weder Erik noch Friedrich bereit, ihre Streitigkeiten friedlich zu lösen. Im Ostseeraum war Dänemark die status-quoMacht, die versuchte, ihre Hegemonialstellung zu behalten. Schweden, eine revisionistische Macht, strebte eine für sich günstige Änderung der Machtverhältnisse im Ostseeraum ‒ und später in ganz Europa ‒ an.
Die Friedenskoalition der Reichsfürsten Die erste Phase der Vermittlungsversuche aus dem Reich umfasste die Jahre 1563 und 1564. In diesen Jahren versuchte eine Koalition bestehend aus den Reichsfürsten durch ein Zusammentreffen der kriegsführenden Parteien in Rostock zwischen den skandinavischen Königen zu vermitteln. Der Grundstein der Koalition war die Zusammenarbeit zwischen Kurfürst August von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen. Schon vor dem Ausbruch des Krieges im Sommer 1563, bemühten sich Kurfürst August und Landgraf Philipp, einen skandinavischen Krieg zu vermeiden. Die beiden protestantischen Reichsfürsten hatten gute Voraussetzungen für ihre Mission. August war mit dem dänischen König Friederich II. verschwägert. König Erik XIV. von Schweden war bereits 1562 in Verhandlungen mit Philipp getreten, um Philipps Tochter Christine zu heiraten. Kaiser Ferdinand und sein Sohn König ————— 5
Vgl. Roberts, Early Vasas, 152‒154. Eine eingehende Behandlung des Vertrages findet sich in Landberg, Brömsebroförbundet; Roberts, Early Vasas, 210f. Der Vertrag ist abgedruckt in Rydberg, Sveriges traktater, Bd. 4, 207‒ 224. 7 Vgl. Roberts, Early Vasas, 202‒210. 6
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Maximilian unterstützten diese Bemühungen, und im Sommer 1563 luden August und Philipp Herzog Heinrich von Braunschweig und Kurfürst Joachim von Brandenburg zur Teilnahme an der Vermittlung ein und erweiterten so die Basis für den Friedensversuch. Kurfürst Joachim von Brandenburg folgte Augusts Führung in sicherheitspolitischen Fragen. Herzog Heinrich von Braunschweig war einer der letzten katholischen Fürsten in Norddeutschland. Ab Ende 1562 bemühte er sich, die Streitigkeiten zwischen Polen und Schweden zu schlichten. 8 Diese überkonfessionelle Zusammenarbeit kann als eine Verwirklichung des Augsburger Religionsfriedens gesehen werden. Der Friedensschluss bedeutete nicht nur ein Ende der Konflikte im Reich, sondern etablierte auch einen Mechanismus gegen künftige Bedrohungen, wobei jeder Reichsstand Verantwortung für die Friedenssicherung übernehmen sollte. Die Zusammenarbeit zwischen den katholischen Kaisern (zuerst Ferdinand, und dann von 1564 bis 1576 Maximilian) und dem evangelischen Kurfürsten August von Sachsen war daher Teil einer größeren Friedenssicherungspolitik im Reich nach dem Augsburger Religionsfrieden. 9 Diese Friedenskoalition hatte bereits im Juni 1563 die skandinavischen Königreiche zu einer Friedenskonferenz für Ende Juli 1563 nach Rostock eingeladen. Vertreter der Fürsten und sogar ein Gesandter der spanischen Regierung in Brüssel kamen im August und September nach Rostock. Sie erwarteten Vertreter aus den Ländern, die sich schon für Krieg entschieden hatten. 10 Ende Mai griffen dänische und schwedische Kriegsschiffe einander in der Nähe der Insel Bornholm an. Im August griff der Krieg auf das Land über. Die Reichsstadt Lübeck und Polen, die ihre eigenen Beschwerden gegen Schweden hatten, schlossen Allianzen mit Dänemark im Juli beziehungsweise Oktober 1563. 11 Die dänische Marine verhinderte die Einreise der schwedischen Gesandtschaft in Rostock, und die Dänen selbst weigerten sich, eine Gesandtschaft nach Rostock zu schicken. So scheiterte die erste Friedenskonferenz. Kurz danach trat Philipp von Hessen aus der Friedenskoalition aus. Dänemark fand heraus, dass Erik gleichzeitig die englische Königin Elizabeth I. und Philipps Tochter Christine gefreit hatte. Die Heirat und die von Erik vorgeschlagene hessisch-schwedische Allianz wurden nicht verwirklicht. Auch Philipps Vermittlungsinteresse kam so zum Erliegen. 12 Die übrigen Reichsfürsten planten dann eine zweite Konferenz für Juni 1564, ebenfalls in Rostock. Außer deren Gesandten kamen zur Konferenz Frankreichs Botschafter in Dänemark, Charles Dançay, ein Gesandter der ————— 8 9 10 11 12
Vgl. Lavery, Challenge, 31‒34; Schwabe, Heirathspläne, 38‒58. Vgl. Lanzinner, Friedenssicherung. Siehe auch Luttenberger, Kurfürsten. Vgl. Lavery, Challenge, 36‒40. Vgl. ebd., 14‒16, 41. Vgl. Andersson, Erik XIV, 107; Schwabe, Heirathspläne, 54‒58.
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spanischen Regierung in Brüssel sowie Gesandte der pommerschen Herzöge. Die Dänen schickten diesmal eine Gesandtschaft, aber die Schweden erneut nicht. Im Oktober 1564 verließen die Gesandten Rostock. Gegen den Willen der kriegsführenden Mächte konnten die Reichsfürsten die skandinavischen Königreiche nicht dazu zwingen, Frieden zu schließen. Nach dem zweiten Rostocker Zusammentreffen löste sich die Friedenskoalition auf. Im Juli 1564 starb Kaiser Ferdinand. Als neuer Kaiser hatte Maximilian andere Sorgen und Aufgaben. Herzog Heinrich, Kurfürst Joachim und Kurfürst August zeigten fortan ebenfalls kein besonderes Interesse daran, an erneuten Friedensinitiativen teilzunehmen. 13
Rostock am Rande des Krieges Es gibt keine Quellen, die spezifisch erklären, warum die Fürsten Rostock als Standort für Friedenskonferenzen auswählten. Wir wissen auch nicht, inwiefern die Behörden in Rostock über die geplanten Konferenzen im Voraus informiert wurden. Die Wahl Rostocks deutet aber darauf hin, dass die Fürsten dessen Wichtigkeit für die Skandinavier, besonders für die Schweden, als ‚Tor ins Reich‘ erkannten. Die Rostocker Universität war schon in den 1550er Jahren ein beliebter Studienort für Studenten aus Dänemark und Schweden. 14 Während des Krieges hielten sich schwedische Agenten, Diplomaten und Amtsleute in Rostock auf. Zum Beispiel befand sich der schwedische Kanzler Nils Gyllenstierna im September 1563 in Rostock ‒ zu der Zeit, als die Vermittler auf Gesandtschaften aus Schweden und Dänemark warteten. Gyllenstierna erledigte seit Anfang 1563 diplomatische Aufgaben für König Erik im Reich, unter anderem Verhandlungen am Kaiserhof und die Vorbereitung der Heirat zwischen König Erik und Christine von Hessen. Im Juni 1564 begegneten die Vertreter König Maximilians Gyllenstierna in Rostock, als die Vermittler sich nochmals dort versammelten. Gyllenstierna behauptete ihnen gegenüber, dass er keine Vollmacht von seinem König besäße, einen Frieden mit Dänemark zu verhandeln. 15 In Rostock versuchten schwedische Agenten auch, deutsche Truppen anzuwerben. Im Frühling 1564 berichtete einer von Kurfürst Augusts Söldnerkapitänen, Georg Kegell, dass er während seines dortigen Aufenthalts vielen Hauptleuten begegnete, die versuchten, Truppen für Schweden anzuwerben.
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13 14 15
Vgl. Lavery, Challenge, 61‒64. Vgl. Czaika, David Chytraeus, 70‒177. Vgl. Lavery, Challenge, 34f, 49, 62.
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Er fügte hinzu, dass diese Werbungen zu nichts führten, weil kein Herrscher in Norddeutschland die Truppen versammeln ließ. 16 Rostock war auch ein Handelspartner Schwedens. Seit Beginn des Krieges hatten Dänemark und Lübeck eine Blockade gegen die schwedische Küste verhängt. Diese Blockade schadete Schwedens Außenhandel bis in den Sommer 1565, als die schwedische Flotte sie aufbrach. Gleichzeitig versuchten Schwedens Feinde, den Handel zwischen den deutschen Ostseestädten und Schweden zu unterbinden, allerdings ohne großen Erfolg. Im April 1564 beschwerte sich König Friedrich beim Rostocker Rat wegen des Handels zwischen Schweden und Rostock. 17 In den Ratsprotokollen findet man den Beleg, dass im Herbst 1563 eine Entscheidung für die Fortsetzung des Handels mit Schweden getroffen wurde. Der Rat gab als Begründung lakonisch an, dass die Stadt verhältnismäßig geringen Handel mit Schweden betreibe. 18 Die Rostocker, wie auch die anderen Hansestädte außer Lübeck wollten die Handelsbeziehungen mit Schweden offenbar einfach nicht einstellen. Rostocks Haltung schützte sie allerdings nicht vor schwedischen Angriffen auf ihren Seehandel. Im Jahre 1566 lieferte zum Beispiel der Rostocker Schiffsbesitzer Claus Hermens Bier von einer Rostocker Brauerei nach Gotland. Als Hermens Gotland erreichte, verweigerte der Kunde die Annahme der Bierlieferung. Er begründete dies damit, dass das Bier minderwertig sei. Hermens segelte nach Rostock zurück, reichte beim Stadtrat eine Beschwerde gegen die Brauerei ein und verlangte eine Entschädigung von ihr. Der Rat wiederum verlangte von dem gotländischen Handelspartner einen Nachweis über die niedrige Qualität des Bieres. So musste Hermens wieder nach Gotland segeln. Auf seiner Reise nach Gotland nahm ein schwedisches Kriegsschiff Hermens in Gefangenschaft. Er war siebzehn Wochen in schwedischer Haft. Diese war bereits Hermens zweite Kriegsinhaftierung in Schweden. 19 Schweden spielte auch eine Rolle in den Spannungen zwischen Rostock und Herzog Johann Albrecht I. von Mecklenburg. Die Stadt war gespalten zwischen dem Rat, der das hauptsächlich altgläubige Patriziat repräsentierte, und dem Ausschuss der Vierundsechziger, der die Interessen des evangelischen niedrigen Bürgertums vertrat. Der Rat versuchte in diesem Machtkampf die Unterstützung von Herzog Johann Albrecht im Kampf gegen die —————
16
Vgl. Säch. HSTA Loc. 8526/2, fol. 30r‒31v, Dresden, 22. April 1564: Georg Kegell an Kurfürst August. 17 Vgl. AHR 1.1.3.8. Nr. 100, unfol., Kopenhagen, 30. April 1564: König Friedrich an Rostock. 18 Vgl. AHR Ratsprotokolle 1563, 249‒256, 14.‒15. Oktober 1563. Und dazu Jensen, Danmarks konflikt, 75f; Lanzinner, Friedenssicherung, 517; Petri, historia, 126f. 19 Vgl. AHR Rat 42, unfol., Wismar, 26. Januar 1567: Ulrich an Rostocker Stadtrat; Wismar, 6. Januar 1567: Hermens an Rostocker Stadtrat.
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Vierundsechziger zu gewinnen. 20 Im Mai 1565 schickte der Herzog eine Gesandtschaft an König Erik, die dieser am 27. Juli empfing. 21 Die Quellen geben den Inhalt der Diskussionen nicht preis, aber ein Hilfsgesuch Herzog Johann Albrechts für einen Angriff gegen Rostock ist nicht auszuschließen. Nach dem Zusammentreffen von Erik und den Gesandten Johann Albrechts streute der Herzog Gerüchte, dass es eine Allianz zwischen ihm und Schweden gegen Lübeck gäbe. Damit wollte Herzog Johann Albrecht die Aufmerksamkeit von seinen Plänen gegen Rostock ablenken. Das gelang ihm auch. Ende 1565 griff der Herzog die Stadt Rostock an ‒ ohne schwedische Hilfe.22
Die skandinavische Gefahr für das Reich Der Krieg zwischen den skandinavischen Königreichen stellte in vielerlei Hinsicht eine Gefahr für das Reich dar. Im Reich wurde Schweden als die größere Gefahr angesehen. Vor allem befürchtete man große Truppenbewegungen nach Skandinavien. Es war eine weit verbreitete Ansicht, dass Schweden einen ‚Silberkuchen‘ hatte, das heißt, große Silberreserven, die für Truppenwerbungen im Reich genutzt werden konnten. Diese Idee geht zurück auf das Kirchensilber, das Eriks Vater Gustav Vasa von Schwedens Kirchen konfisziert hatte. 23 Nach dem Augsburger Frieden durften auswärtige Mächte Truppen im Reich nur dann anwerben, wenn sie außerhalb des Reichsgebietes eingesetzt werden würden. Die verhältnismäßig friedliche Situation im Reich und in Europa insgesamt in der Mitte der 1560er Jahre machte indes viele Söldner arbeitslos. Letzten Endes hat Schweden jedoch viel weniger Soldaten im Reich angeworben als Dänemark (1.000 gegenüber 20.000). 24 Einen so großen ‚Silberkuchen‘ hatte der schwedische König offenbar doch nicht. Der Dänenkönig hatte es leichter, Truppen im Reich anzuwerben. König Friedrich hatte nicht nur einen geographischen, er hatte auch einen politischen Vorteil, da er außerdem Herzog von Holstein und daher deutscher Fürst im niedersächsischen Reichskreis war. Sein Einfluss in
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20
Vgl. Münch, Reformation, 57‒75. Vgl. AP.Sz. AKS I/732, 5‒8, Fegermoo, 27. Juli 1565: König Erik an Johann Albrechts Gesandten Gotloff Rotermunt; Blümcke, Pommern, Teil 1, 342f. 22 Vgl. DRA TKUASD Tyskland Sachsen A I, 7, unfol., Torgau, 24. Oktober 1565: August an Friedrich; Blümcke, Pommern, Teil 1, 342f; Schirrmacher, Johann Albrecht I., Bd. 1, 512. 23 Vgl. Säch. HStA Geh. Arch. Loc. 8521/2, fol. 39r‒40v, 18. Juli 1563: Mordeisen an Kurfürst August; Jensen, Konflikt, 103; Odén, Kronohandel, 63. 24 Jensen, konflikt, 75f; Lanzinner, Friedenssicherung, 517; Petri, historia, 126f. 21
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Norddeutschland machte es schwierig für Schweden, dort Truppen anzuwerben. Er erhielt jedoch für Truppenwerbungen Kredite von seinen Schwägern Kurfürst August und Herzog Ulrich von Mecklenburg. 25 Während des Krieges versuchte König Erik Beziehungen zu möglichen Verbündeten im Reich aufzubauen. Wie erwähnt, pflegte er Beziehungen zu Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg. Es gab in den ersten Jahren des Krieges viele Gerüchte in Norddeutschland, dass Herzog Johann Albrecht dem Schwedenkönig Räume für Truppenwerbungen gegen Dänemark oder Polen zur Verfügung stellte. Johann Albrecht wies diese Gerüchte jedoch stets zurück. 26 Angeblich wollte König Erik Holstein mit einer deutschen Söldnerarmee angreifen. Im Frühling 1563 sammelte Herzog Erich II. von Braunschweig-Lüneburg (auch Landesherr des Fürstentums Calenberg-Göttingen) im Auftrag von Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg Truppen für den polnischen König Sigismund II. August. Im Mai 1563 wollte dieser aus finanziellen Gründen die Truppen nicht mehr. Herzog Erich hatte inzwischen eine Armee von 8.000 Fußsoldaten und 1.500 Kavalleristen zu bezahlen. Deshalb führte er mit seinen Truppen einen Raubzug durch, wobei er Geld vom Münsteraner Bischof und den Grafen von Tecklenburg und Diepholz erpresste. 27 Gleichzeitig versuchte Erich die Dienste seiner Armee an fremde Mächte zu verkaufen. England und Spanien lehnten Erichs Angebote ab. Friedrich II. von Dänemark war bereit, Erichs Armee für ein Jahr zu beschäftigen, unerklärlicherweise lehnte Erich dieses Angebot ab. Im August versuchte Erich dann, mit seinen Truppen in Polen einzumarschieren. Sie hatten schon die Weichsel erreicht, lösten sich aber auf, als sie den Truppen von Herzog Albrecht von Preußen begegneten. 28 In Norddeutschland wurde vermutet, dass Herzog Erich in schwedischem Lohn stünde. Der einzige mögliche Beweis dafür ist ein Brief, datiert auf den 9. September 1563, von König Erik an Herzog Heinrich von Braunschweig. In diesem Brief bittet der König den Herzog um eine Durchzugserlaubnis für Erichs Truppen nach Schweden. Herzog Erichs Armee war allerdings bereits aufgelöst, als Herzog Heinrich diese Bitte erhielt. 29
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25
Vgl. Säch. HStA Copial 321, fol. 191v‒192v, Dresden, 10. Oktober 1563: Kurfürst August an Heinrich Rantzau; Eppenstein, Beiträge, 290f; Jensen, Konflikt, 75f, 85f, 103f; Lanzinner, Friedenssicherung, 79, 517; Odén, Kronohandel, 63; Petri, historia, Bd. 1, 126f; Zeumer, Quellensammlung, Bd. 2, 290, 292, 296. 26 Vgl. Lavery, Challenge, 32; Lohmeyer, Johann Albrecht, 7. 27 Vgl. Fischer, Nußkrieg, 46‒48, 51. 28 Vgl. ebd., 56‒68; Häfner, Geschichte, 22‒25; Jensen, Konflikt, 103. 29 Vgl. NSW 1 Alt 6 Nr. 313, fol. 160r‒161v, Linköping, 9. Sept. 1563: König Erik an Herzog Heinrich; Fischer, Nußkrieg, 50, 60.
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Schwedens vermuteter Reichtum und anscheinender Wille, die Machtverhältnisse im Ostseeraum zu verändern, waren im Reich auch denjenigen bekannt, die dessen inneren Frieden zu stören drohten. Dies bedeutete zugleich eine Bedrohung für Dänemark und auch für dessen Hauptverbündeten im Reich, Kurfürst August von Sachsen. In den Jahren 1563 bis 1566 baute Schweden Beziehungen zu Kursachsens und Dänemarks Feinden im Reich auf, zum Beispiel zu Herzog Johann Friedrich II. von Sachsen, dem Oberhaupt der ernestinischen Linie der Wettiner. Diese Linie hatte im Schmalkaldischen Krieg die Kurwürde an Augusts albertinische Linie verloren. Johann Friedrich versuchte, die Kurwürde wiederzuerlangen. Zum Entsetzen Dänemarks und Kursachsens drohte 1565 ein Bündnis zwischen Schweden, Johann Friedrich, Johann Friedrichs Schützling – dem vom Kaiser geächteten Reichsritter Wilhelm von Grumbach – und der Herzogin Christine von Lothringen, dem letzten überlebenden Kind des abgesetzten Unionskönigs Christian II. Gerüchten zufolge hatte Schweden schon im Frühjahr 1565 Geld an Christine geschickt, mit dem sie und Johann Friedrich Truppen anwerben konnten. Johann Friedrich hätte dann August angreifen und ihn als Kurfürst absetzen, und Christines Heer hätte Dänemark erobern und sie selbst den Thron besteigen sollen. Es ist unklar, ob Erik wirklich Geld schickte. Tatsache ist, dass Schweden bereits 1564 mit Christine über eine Heirat zwischen Erik und Christines Tochter Renate verhandelte. Als Gegenleistung sollte Erik Christines Anspruch auf den dänischen Thron anerkennen, Christine aber auf ihren Anspruch auf die schwedische Krone verzichten. Beide Seiten stritten sich lange über die Bedingungen des Bündnisses, und die Diskussionen endeten erst 1566. 30 Als Maßnahme gegen Schweden hatte August Dänemarks Vorschlag eines Handelsembargos des Reiches gegen Schweden zugestimmt. Dänemark, Lübeck und Sachsen hatten von Ende 1564 bis November 1565 den Kaiser unter Druck gesetzt, ein Handelsembargo gegen Schweden zu erklären. Maximilian dagegen meinte, dass ein Embargo ohne die Teilnahme der anderen Handelsmächte Europas nur dem Handel des Reiches und seiner Autorität als Kaiser schaden würde. Ferner war er der Meinung, dass das Embargo ohne die Zustimmung der Kurfürsten und der nördlichen Reichsstände nicht beachtet werden und Unruhe im Reich verursachen würde. Im Oktober 1565 drohte August dem Kaiser, er würde im Frühling 1566 nur nach Augsburg zum Reichstag kommen, wenn der Kaiser das Handelsembargo erlassen würde. Der Reichstag war Maximilians erster als Kaiser. Er konnte nicht riskieren, den Autoritätsverlust in Kauf zu nehmen, den die Abwesenheit seines wichtigsten protestantischen Verbündeten verursachen würde. Der Kaiser ————— 30
Vgl. Andersson, Ingvar, Erik XIV och Lothringen, 23‒62; Lavery, Challenge, 103f.
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kapitulierte vor dem Kurfürsten und am 5. November 1565 führte er ein Handelsembargo gegen Schweden ein. 31 Die Folgen waren wie Maximilian vermutet hatte: das Embargo beschränkte keineswegs den Handel mit Schweden. Stattdessen stieß es fast überall in Norddeutschland auf offene Ablehnung. Die Bürger Stralsunds, zum Beispiel, zerrissen das an ihre Stadt geschickte Exemplar der kaiserlichen Verordnung. Stettins Exemplar wurde zwar öffentlich aufgehängt, musste aber von bewaffneten Wächtern geschützt werden. 32 Heinrich von Braunschweig vertraute dem Erzbischof von Magdeburg an, dass er überlege, ob er das Embargo in seinen Ländern überhaupt veröffentlichen sollte. 33 Die Opposition im Reich gegen das Embargo trat während des Reichstages vollends zu Tage, da viele Reichsstände es kritisierten, und ein von Lübeck gestelltes Gesuch, das Mandat zu verschärfen, wurde abgelehnt. 34 Aber letzten Endes brauchte August kein effektives Handelsembargo. Im Herbst 1566 belagerte er Gotha. Grumbach und Johann Friedrich II., die in der Stadt weilten, wurden beide im April 1567 verhaftet. Grumbach wurde hingerichtet und Johann Friedrich saß bis an sein Lebensende in einem Gefängnis in Kärnten. 35
Die Vermittlungen werden fortgesetzt Kaiser Maximilian hatte seine Vermittlungsversuche trotz des gescheiterten Embargos gegen Schweden nicht aufgegeben. Im Jahr 1567 berief er eine Friedenskonferenz in Stralsund ein, wieder ohne Erfolg. 36 Seine erneute Friedensinitiative im Sommer 1568 scheiterte daran, dass die skandinavischen Könige jetzt bereit waren, direkt miteinander zu verhandeln. 37 Im September 1568 wurde König Erik von seinem Bruder Herzog Johann gestürzt. Johanns Machtübernahme in Schweden änderte dessen diplomatische Stellung völlig. Johann war von 1563 bis 1567 Eriks Gefangener gewesen, also von diesem Krieg unbelastet. Johann war der Meinung, dass Schwedens größter Feind Russland sei und nicht Dänemark. König Sigismund II. August von Polen war Johanns Schwager. Daher beendete Johanns Machtübernahme den —————
31
Vgl. Lavery, Challenge, 65‒87. Vgl. Blümcke, Pommern, Teil 1, 377f. 33 Vgl. NSW 1 Alt 8 Nr. 444, fol. 3r‒4v, Halle, 23. Dez. 1565: Erzbischof Sigismund an Herzog Heinrich. 34 Vgl. Lavery, Challenge, 81‒87. 35 Vgl. ebd., 103‒106; Ortloff, Geschichte, Bd. 3, 349, 374, Bd. 4, 155‒157, 207. 36 Vgl. Lavery, Challenge, 107‒111. 37 Vgl. ebd., 113‒115. 32
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Kriegszustand zwischen Polen und Schweden. Kurz vor Eriks Sturz schickte Johann dem Dänenkönig ein Verhandlungsangebot. 38 Dänemark und Lübeck verhandelten in der dänischen Stadt Roskilde im November 1568 einen Frieden mit Schweden. Die Verträge folgten den dänischen und lübeckischen Bedingungen für Frieden. Im Hinblick auf Lübeck setzte Schweden dessen seit dem Mittelalter bestehenden Handelsprivilegien in Schweden wieder ein. Diese Privilegien verliehen Lübeck ein tatsächliches Monopol über Schwedens Außenhandel. Schweden versprach, den Handel mit dem russischen Hafen Narva nicht mehr zu blockieren. Es akzeptierte auch, Kriegsentschädigungen an Lübeck zu bezahlen. Die Schweden erlaubten den Dänen das Führen der drei Kronen und Dänemark bekam Schwedens einzigen Hafen zur Nordsee, Älvsborg, als Pfand, bis die Schweden Dänemark Kriegsentschädigungen bezahlen konnten. 39 Für Johann waren die Verhandlungen und die Verträge nur ein Mittel, nach seiner Machtübernahme Zeit zu schinden, um seine Stellung als König zu festigen. Im Jahre 1569, mit der Unterstützung der schwedischen Stände, wies Johann die Verträge zurück. Jedoch waren die kriegsführenden Parteien offenbar am Ende ihrer Kräfte. Nach zahlreichen Grenztreffen zwischen Johanns und Friedrichs Vertretern, und nach noch einem gescheiterten Konferenzversuch in Rostock im Jahre 1569, nahmen die skandinavischen Mächte einen kaiserlichen Vorschlag für eine Friedenskonferenz in Stettin an. 40 Vertreter der kriegsführenden Parteien, des Kaisers, Kurfürst Augusts, Polens sowie der französische Gesandte Dançay trafen in Stettin im Herbst 1570 zusammen. Im Dezember hatte Schweden getrennte Friedensverträge mit Dänemark und Lübeck abgeschlossen. Die Stettiner Verträge erlegten Schweden härtere Bedingungen auf als der Roskilder Vertrag. Wie dort musste Schweden Kriegsentschädigungen an Dänemark bezahlen. Die Dänen erhielten die schwedische Stadt Älvsborg als Pfand. Zusätzlich musste Schweden den Großteil seines Besitzes in Livland an Friedrich abtreten. Friedrich seinerseits erkannte Maximilian als Lehnsherren seiner livländischen Besitzungen an. Seit dem Ende des livländischen Ordensstaates in den 1550er Jahren suchten sowohl Kaiser Ferdinand als auch Kaiser Maximilian Anerkennung für ihre Ansprüche auf Livland als einen Teil des Reiches. 41 In dem Vertrag mit Lübeck musste Schweden die gleichen Bedingungen akzeptieren wie im Friedensvertrag von Roskilde. 42 —————
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Vgl. Jensen, Konflikt, 259f. Vgl. Laursen, Traktater, Bd. 2, 166‒185. 40 Vgl. Jensen, Konflikt, 262f. 41 Vgl. Hellmann, Livland. 42 Vgl. Laursen, Traktater, Bd. 2, 411‒424; Roberts, Early Vasas, 252; Rydberg, Sveriges traktater, Bd. 4, 424‒432. 39
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Obgleich der Friedensvertrag zwischen Schweden und Dänemark in Stettin geschlossen wurde, sollte der darauffolgende Friedensprozess in Rostock stattfinden. Dem Vertrag nach sollten die kriegsführenden Parteien im Mai 1571 in Rostock Instrumente der Vertragsratifizierung besprechen. Für die Lösung des noch ungeklärten Problems des Dreikronenwappens sollten die Schweden und Dänen in den Jahren 1572 bis 1575 ihre Argumente vor einem Schlichtungskomitee aus Rostocker Stadträten und Universitätsprofessoren an der Universität Rostock präsentieren. Nach diesem Verfahren sollte ein Komitee, bestehend aus Kaiser Maximilian und anderen Reichsfürsten, eine endgültige Entscheidung über das Wappen treffen. 43 Wie bereits während des Krieges, weigerten sich die kriegsführenden Parteien, in Rostock zusammenzutreffen. Statt auf einer Ratifizierungskonferenz im Mai in Rostock, wechselten Schweden, Dänemark und Lübeck schon im März 1571 in einem Grenztreffen die Ratifizierungsinstrumente. Weder Schweden noch Dänemark hat am Schlichtungsprozess wegen der drei Kronen teilgenommen. Ein erfolgreiches Zusammentreffen von Schweden und Dänemark in Rostock ist erst im Sommer 1574 zustande gekommen. Zu dieser Konferenz kam die schwedische Gesandtschaft, um mitzuteilen, dass Schweden seine livländischen Eroberungen weder an Friedrich noch an Maximilian abgeben würde. Johanns Entscheidung hat dem Friedensprozess nicht geschadet – Friedrich selbst wollte sein Engagement in Livland zurückfahren. 44 Ansonsten klärten die skandinavischen Königreiche viele der übrigen Streitpunkte nach dem Krieg untereinander. Was die drei Kronen betrifft, so haben sie den Streitpunkt einfach ignoriert. 45 Diese Vereinbarungen bildeten die Grundlage für einen über 40 Jahre dauernden Frieden zwischen Schweden und Dänemark. Und der Frieden entsprach dem Hauptziel der friedensstiftenden Fürsten im Reich: die Verhinderung eines schwedischen Sieges. Obgleich die für Rostock geplanten Friedenskonferenzen fast nie zustande kamen, waren die gescheiterten Konferenzversuche ein deutlicher Beweis für den breiten Willen im Reich, den inneren Frieden auch vor auswärtigen Verwicklungen zu schützen. Die friedensstiftenden Reichsfürsten glaubten, Rostock sei ein günstiger Standort für Friedenskonferenzen zwischen den skandinavischen Königreichen.
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43
Vgl. Laursen, Traktater, Bd. 2, 237‒242. Die anderen Reichsfürsten im Komitee waren die Kurfürsten August und Joachim, Herzog Julius von Braunschweig und Pfalzgraf Georg Hans von Veldenz. 44 Vgl. Lavery, Challenge, 136‒144. 45 Vgl. Palme, Sverige, 1‒102.
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Ungedruckte Quellen Archiv der Hansestadt Rostock (= AHR) ‒ 1.1.3.8. Nr. 100. ‒ Ratsprotokolle 1563. ‒ Rat 42. Archiwum Panstwowe w Szczecinie, Szczecin (= AP.Sz.) ‒ AKS I/732. Niedersächsisches Staatsarchiv, Wolfenbüttel (= NSW) ‒ NSW 1 Alt 6 Nr. 313, 444. Rigsarkivet, Kopenhagen (DRA) ‒ Tyske Kancellis Udenrigske Afdeling (= TKUASD). ‒ Tyskland Sachsen A I, 7. Sächsisches Hauptstaatsarchiv, Dresden (= Säch. HStA) ‒ Copial 321. ‒ Geh. Arch. Loc. 8521/2, Dr. Mordeisens Schrifften an Churfurst Augustum II 1563, 64. ‒ Geh. Arch. Loc. 8526/2, Das andere Buch der churfurstlichen sechsischen Obristen Rittmester Haubt- unnd Ambtleute... Schreiben 1563‒1569.
Gedruckte Quellen LAURSEN, LAURS RASMUS (Hg.), Danmarks-Norges Traktater 1523‒1750, Bd. 2, Kopenhagen 1912. RYDBERG, OLOF SIMON (Hg.), Sveriges traktater med främmande magter jemte andra dithörande handlingar, Bd. 4, Stockholm 1888. ZEUMER, KARL (Hg.), Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichsverfassung im Mittelalter (Quellensammlung zum Staats-, Verwaltungs-, und Völkerrecht 2), Leipzig 1904.
Literatur ANDERSSON, INGVAR, Erik XIV. En biografi, Stockholm 1935. ANGERMEIER, HEINZ, Die Reichsreform 1410‒1555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart, München 1984. BLÜMCKE, OTTO, Pommern während des nordischen siebenjährigen Krieges, Teil 1, in: Baltische Studien 40, 1890, 134‒480. CZAIKA, OTFRIED, David Chytraeus und die Universität Rostock in ihren Beziehungen zum schwedischen Reich, Helsinki 2002. EPPENSTEIN, LISA, Beiträge zur Geschichte des auswärtigen Kriegsdienstes der Deutschen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 32, 1920, 283‒367.
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Jason Lavery
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Kajsa Brilkman
Petrus Johannis Gothus in Rostock und der Konfessionskonflikt im Schwedischen Reich Kompilation, Übersetzung und Paratext in De Christiano milite (1592)
Die Theologieprofessoren sind als wichtigste nicht politische Träger des lutherischen Konfessionalisierungsprozesses beschrieben worden. 1 Diese Einschätzung bezieht sich auf die Rostocker Professoren und die lutherische Konfessionalisierung Mecklenburgs, kann aber auch außerhalb dieses Territoriums Gültigkeit beanspruchen. Für die Konfessionalisierung Schwedens – mindestens bis 1593 – dürfte dies aber nicht zutreffen.2 Der Betrieb an der Universität Uppsala lag seit den 1520er Jahren darnieder, auch wenn eine höhere Ausbildung ab den 1570er Jahren am Collegium regium Stockholmense angeboten wurde. 3 Da es an einer Landesuniversität in Schweden fehlte, kam den Theologieprofessoren in benachbarten Landesuniversitäten eine höhere Bedeutung zu. Vor allem David Chytraeus (1530–1600) in Rostock, mit seinen Kontakten zu schwedischen Studenten und zum schwedischen Könighaus, muss in diesem Zusammenhang genannt werden. 4 Dieser Beitrag wendet sich einem anderen Träger der Konfessionalisierung zu – dem in Rostock tätigen schwedischen Übersetzer, Autor und Verleger Petrus Johannis Gothus (1536–1616). 5 In diesem Beitrag wird seiner im November 1592 erschienen Schrift De Christiano milite. Om then christeliga riddaren, medh hwad fiender han här strijda moste. En litin berättelse vthaff Gudz ord, och helga scrifft 6 (Deutsch: De Christiano milite. Über den christlichen Ritter, mit welchem Feinde er hier kämpfen muss. Eine —————
Ich möchte mich bei JunProf. Dr. Kristin Skottki (Bayreuth) und stud. phil. Johannes Frankow (Bayreuth) für die sprachliche Überarbeitung meines Beitrags herzlich bedanken. 1 Vgl. Kaufmann, Universität, 605. Damit ist ihre Mitwirkung am Aufbau „einer einheitlichen kirchlichen Organisationsstruktur, eines verbindlichen Bekenntnisstandes, einer standardisierten und regulierten Ausbildung der Geistlichkeit und der Schüler, einer Überprüfung der sittlich-religiösen Konvention qua konsistorialer Kirchengerichtsbarkeit“ gemeint (siehe ebd., 610). 2 Schmidt, Professoren im Norden. 3 Vgl. Lindroth, Uppsala universitet, 25f. 4 Vgl. Czaika, David Chytræus. 5 Vgl. ders., Gothus. Es fehlt aber an einer größeren Untersuchung seiner Tätigkeit. 6 Gothus, De Christiano milite.
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Kajsa Brilkman
kleine Erzählung aus Gottes Wort und der Heiligen Schrift), die als Erbauungsliteratur zu klassifizieren ist, und in der er das Thema des Kampfes des Gläubigen gegen verschiedene Anfechtungen verarbeitet, als Beispiel für sein Mitwirken an der Konfessionalisierung Schwedens nachgegangen. Petrus Johannis Gothus’ Tätigkeit als ein Träger der Konfessionalisierungsprozesse wird durch eine Analyse seiner Übersetzungs- und Kompilationstätigkeit zu Tage gefördert. 7 Paratexte, Kompilationen und Übersetzungen sind in den letzten Jahren verstärkt hervorgehoben worden als Werkzeuge der Autoren, um Bedeutung zu schaffen. 8 Kompilationsliteratur war eine während der gesamten Frühen Neuzeit weit verbreitete Textsorte, da sie der Verbreitung von Wissen diente. Durch Kompilationen, manchmal nur aus Teilen eines Textes, wurden alte Texte immer wieder neu verwertet und in neue Zusammenhänge eingefügt. 9 Die frühneuzeitlichen Übersetzungen unterscheiden sich von modernen Vorstellungen des Übersetzens insofern, als dass man im 16. Jahrhundert Übersetzungen nicht in erster Linie als genaue, wortwörtliche Wiedergabe eines Originaltextes verstand. Die Beziehung zwischen Originaltext und übersetztem Text war freier. 10 Paratexte sind Texte rund um den Haupttext, die Informationen über den Haupttext an den Leser transportieren, zum Beispiel in Form von Titeln, Untertiteln und Widmungen. 11 Eine besonders wichtige Form des Paratextes in der Frühen Neuzeit war die Vorrede, die „die Funktion der Erläuterung und Präsentation des Werkes, implizit auch der werbenden Ankündigung und der Legitimation“ übernahm. 12 Kaum ein Werk wurde ohne Vorrede gedruckt. 13 Zusammengenommen ermöglichten die Kompilations- und Übersetzerpraktiken einen Gestaltungsfreiraum des Übersetzers, der dadurch etwas Neues schuf. Im Folgenden geht es darum, diesen Gestaltungsfreiraum in der Arbeit von Petrus Johannis Gothus an seinem De Christiano milite zu untersuchen und danach zu fragen, wie er diese Möglichkeit nutzte. Dabei geht es mir besonders um die Frage, wie die politische und konfessionelle Situation in Schweden Einfluss auf Petrus Johannis Gothus’ Gestaltung des Werkes nahm. Wie also verhält sich das Werk zum Konfessionalisierungsprozess in Schweden? Welche neuen Bedeutungszusammenhänge entstanden durch Übersetzung, Kompilation und Vorwort? —————
7 Für ähnliche Zusammenhänge zwischen publizistischer Tätigkeit und Konfessionalisierung siehe Schnurr, Religionskonflikt und als Überblick Weber, Buchdruck. 8 Vgl. Brilkman, Circulation. Zu Übersetzungen siehe u.a. auch Hosington, Translation and print culture. 9 Vgl. Heß, Florilegien; Blair, Too Much to Know, 173–230. 10 Vgl. u.a.: Toepfer, Antike Historiographie, 55. Siehe auch die Beispiele in Newman/Tylus, Translation und Burke/Po-Chia Hsia, Cultural Translation. 11 Vgl. Belle/Hosington, Thresholds of Translation. 12 Vgl. Schwitzgebel, Vorrede, 1–3. 13 Ebd.
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Konfessionskonflikt in Schweden Um die Zusammenhänge zwischen De Christiano milite und der Konfessionalisierung in Schweden zu erkennen, muss erst die konfessionelle und politische Lage Schwedens im Jahr 1592 beschrieben werden. Das Werk wurde in einer politisch sehr aufgeladenen Situation herausgegeben – und zwar von einem, wie unten zu zeigen ist, Verleger und Übersetzer mit einem deutlich lutherischen Profil. Die letzte Hälfte des 16. Jahrhunderts war in Europa von Konfessionalisierung und Konfessionskonflikten geprägt. 14 Der Augsburger Religionsfrieden wurde immer mehr außer Kraft gesetzt, und ab den 1580er Jahren spitzten sich die konfessionellen Konflikte in ganz Europa zu. 15 Die Lutheraner nahmen diese Entwicklung als bedrohlich wahr, da einerseits in der letzten Hälfte des Jahrhunderts die reformierte Konfession viele Siege feierte – unter anderem mit spektakulären Konversionen lutherischer Fürsten zum reformierten Glauben –, andererseits hatte die katholische Kirche nach dem Konzil von Trient neue Impulse bekommen und war in Europa wieder auf dem Vormarsch. 16 In diesem Zusammenhang wurde die Verfolgungs- und Bedrohungsthematik in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu einem Merkmal des Luthertums. 17 Der Vormarsch der Katholiken und die zunehmende Wahrnehmung einer Bedrohung für die Lutheraner schlugen sich auch im Schweden der 1590er Jahre nieder. Der Tod des Königs Johann III. (1537–1592) im November 1592 wurde zu einem Katalysator für den dortigen Konfessionalisierungsprozess. Johann hatte als König versucht, das Land durch eine schwierige politische und konfessionelle Lage zu navigieren. 18 Während seiner Regierungszeit finden sich deswegen wichtige Maßnahmen zur Etablierung einer konfessionell lutherischen schwedischen Kirche (wie zum Beispiel durch die Kirchenordnung von 1571), aber auch Rekatholisierungsversuche. Vor allem die Nova Ordinantia, eine Erklärung zur Kirchenordnung von 1571, und die neue Liturgie verursachten Auseinandersetzungen und Klärungsbedürfnisse. Durch den liturgischen Streit waren Pfarrer in Schweden genötigt worden, die „Liturgie“ zu benutzen, das heißt die Gottesdienstordnung, die König Johann III. 1576 drucken ließ und die mehrere Zeremonien erlaubte, die von lutherischer Seite als katholisch wahrgenommen wurden. Dies hatte zu heftigem Widerstand geführt. Johanns Bruder, Herzog Karl (1550–1611), ge—————
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Vgl. Schilling, Reformierte Konfessionalisierung; Rublack, Lutherische Konfessionalisierung; Reinhard/Schilling, Katholische Konfessionalisierung. 15 Vgl. Schilling, Konfessionalisierung im Reich, 24. 16 Vgl. Bireley, Refashioning. 17 Vgl. Kaufmann, Konfession. 18 Vgl. Ericson, Johan III, 177–212.
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hörte zu den Kritikern und setzte durch, dass die „Liturgie“ in seinem Herzogtum nicht als verpflichtend beachtet werden musste. Stattdessen wurde sein Herzogtum mit der Zeit ein Zufluchtsort für die Antiliturgisten. 19 Die Streitigkeiten offenbarten die Notwendigkeit einer Klärung der konfessionellen Frage. Johanns ambivalentes Verhältnis zu den Konfessionsfragen seiner Zeit hinterließ nach seinem Tod ein offenes Schlachtfeld verschiedener Interessen. Als Johann im November 1592 starb, war die Konfession Schwedens nicht festgelegt und die Zukunftsaussichten waren offen. Johanns Nachfolger auf dem Thron, sein Sohn Sigismund (1566–1632), war katholisch erzogen worden und seit 1587 König von Polen. Sigismunds Thronbesteigung veranlasste eine Vereinbarung zwischen Johann und Sigismund über das Verhältnis zwischen Schweden und Polen. Im Falle einer Personalunion wurde festgehalten, dass die beiden Reiche weiter getrennt regiert werden sollten, sodass die Konfession Polens deswegen nicht bestimmend für die Konfession Schwedens werden sollte. Nicht alle Untertanen des neuen Königs hatten jedoch Vertrauen in ihn – darunter auch sein Onkel, Herzog Karl. 20 Vor allem das steigende Konfliktpotential zwischen den verschiedenen Konfessionsparteien südlich des Schwedischen Reiches erhöhte das Misstrauen zwischen Katholiken und Lutheranern. Der Begriff der ‚Konfessionalisierung‘ wird in der schwedischen Forschung oft als Synonym für die frühneuzeitliche Staatsbildung und Sozialdisziplinierung verwendet. Konfessionalisierung ist demnach dann zu beobachten, wenn die Konfession dem Staat Werkzeuge liefert, um die Gesellschaft zu durchdringen und zu vereinheitlichen. 21 Der Prozess der Konfessionalisierung konnte sich in der Tat genauso gestalten. Aber wie schon die frühe Forschung zur Konfessionalisierung herausgearbeitet hat, war das nicht der einzige Weg der Konfessionalisierung. Konfessionalisierung – das heißt, Bildung von Konfessionen und der Versuch, diese gesamtgesellschaftlich durchzusetzen – konnte auch in Konflikten münden. Solche Konfessionskonflikte konnten partikuläre Kräfte stärken, so dass der frühneuzeitliche Staatsbildungsprozess – kurzfristig gesehen – gebremst wurde. 22 Wenn man, wie der Historiker Heinz Schilling, der Konfessionsbildung die gleiche oder sogar eine höhere Bedeutung zukommen lässt als der Armee oder dem Hof in der frühneuzeitlichen Verdichtung des Staatlichen, 23 dann muss dies nicht als eine bewusst und gezielt hervorgebrachte Entwicklung —————
19
Vgl. Strömberg-Back, Lagen, 193–215. Montgomery, Värjostånd. 21 Vgl. Ekedahl, Förkunnelse. Für eine kritische Auseinandersetzung siehe Brilkman, Konfessionalisering. 22 Vgl. Schilling, Konfessionskonflikt, 367f. 23 Vgl. ebd., 365f. 20
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verstanden, sondern kann auch als eine unvorhersehbare Folge des Konfliktes interpretiert werden. In diesem Sinne will ich den Begriff der Konfessionalisierung verwenden – vor allem mit Blick auf Konfessionskonflikte als einem für den Staatsbildungsprozess produktiven Teil der Konfessionalisierung.
Petrus Johannis Gothus in Rostock und sein schwedisches Publikum Wie schon angedeutet, war der Autor des De Christiano Milite in einem lutherischen Milieu tätig. Petrus Johannis Gothus wurde 1536 in Norrköping geboren, studierte während der zweite Hälfte der 1560er Jahre in Rostock und fing danach an, bis zu seinem Tod 1616 als Übersetzer, Autor und Verleger zu arbeiten. Für lange Zeit scheint er in Stockholm und Rostock gleichermaßen tätig gewesen zu sein, aber 1596 zog er dauerhaft nach Rostock. 24 Gothus wird in der Forschung als bedeutender Übersetzer gewürdigt und insbesondere seine Rolle als Vermittler der lutherischen Theologie nach Schweden wird hervorgehoben. 25 Besonderer Bedeutung kommt der Übersetzung der Confessio Augustana ins Schwedische von 1581 zu, die im Zusammenhang mit der damals bevorstehenden Hochzeit der schwedischen Prinzessin Elisabeth Vasa (1549–1597) mit Christoph zu Mecklenburg (1537–1592) stand. Die Übersetzung sollte das eindeutig lutherische Profil der Prinzessin bezeugen, 26 etablierte aber auch Petrus Johannis Gothus als lutherischen Autor und Übersetzer. Die Herausgabe von De Christiano milite 1592 wurde von den Bedingungen auf dem schwedischen Buchmarkt geprägt. In der schwedischen Kirchenordnung von 1575 wurde festgelegt, dass keine im Ausland gedruckten Bücher herausgegeben werden dürften, wenn nicht ein Bischof oder ein anderer Gelehrter den Inhalt vorher kontrolliert hatte. Es wurde verboten, Bücher ohne solch ein Privileg zu verkaufen und zu kaufen. 27 Gothus scheint nicht von den Zensurmaßnahmen betroffen gewesen zu sein. Seine erste Schrift von 1572 ist mit Cvm Gratia Et Privilegio Regiæ Maiestatis 28 herausgegeben worden – er hatte das königliche Privileg dafür eingeholt und es ist ————— 24
Siehe Anm. 5. Allgemein zu Übersetzungen in Schweden während des 17. Jahrhunderts: Hansson, Afsatt. Zu Gothus’ Übersetzungen: Collijn, Sveriges bibliografi, 256f; Ingebrand, Predikan under reformationstiden, 259; Holmquist, Kyrkans historia, 2, 208; Lindroth, Lärdomshistoria, 264, sieht dagegen Gothus’ Übersetzungen als „re-katholisierend“ an; Schück, Förlagsbokhandelns historia, 96–102. 26 Vgl. Czaika, Elisabet Vasa, 21–28. 27 Vgl. Kyrko-ordningar, 200. 28 Vgl. Schück, Gothus, 11. 25
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anzunehmen, dass seine publizistische Tätigkeit danach weiter geduldet wurde. Petrus Johannis Gothus gilt als erster schwedischer Autor oder Verleger, der von seiner publizistischen Tätigkeit leben konnte. Über 40 Jahre bediente er den Markt für lutherische Erbauungsliteratur in Schweden. Seine Kontakte zur Führungselite der Rostocker Universität, vor allem zu seinem Lehrer David Chytraeus, 29 müssen hierfür entscheidend gewesen sein. In Rostock konnte er auch den deutschen Buchmarkt überblicken und Texte aussuchen, die er einer Übersetzung für würdig erachtete.
Erasmus, Spangenberg und Slüter als Vorlagen In De Christiano milite knüpft Petrus Johannis Gothus an die im Christentum häufig vorkommende Metapher des ‚christlichen Ritters‘ an. 30 In der Metapher ist die Frage verkörpert, „wie die Stellung des Christen gegenüber den weltlichen Herausforderungen im Verhältnis zu den Ansprüchen, die der Glaube stellt, zu bewältigen sei“. 31 Die Metapher fand im frühen Christentum zahlreiche Verwendung, ebenso während des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. 32 Das Enchiridion militis Christiani von Erasmus von Rotterdam (1466–1536) war ihre bekannteste Umsetzung im 16. Jahrhundert. Wie Erasmus verknüpfte Petrus Johannis Gothus die Metapher des christlichen Ritters mit der Geschichte Hiobs und schrieb im Vorwort: „[W]ie ein Krieger muss jeder Christenmensch immer streiten und kämpfen gegen die bösen Geister und Teufels Werk und Wesen, gegen die böse Welt und gegen das eigene Fleisch.“ 33 De Christiano milite, welches im November 1592 in Rostock herausgegeben und von Stephan Mölleman gedruckt wurde, 34 ist eine Kompilation aus drei übersetzten Texten, die im Original drei verschiedene Entstehungskontexte haben. Der Inhalt kann folgendermaßen aufgeteilt werden: Zuerst begegnet dem Leser ein kombiniertes Vorwort und eine Widmung an Per Andersson, Bürgermeister von Söderköping, unterzeichnet von Petrus Johannis ————— 29
Vgl. Czaika, Gothus, 92, 95. Vgl. Kolb, A booklet, 24f. 31 Wang, Miles Christianus, 21. 32 Ebd. 33 Gothus, De Christiano milite, A2v. Vgl. Erasmus, Enchiridion, 56f. Die Bibelstelle ist Hiob 7:1. Originalzitat: såsom en Strijdzman ‚så måste‘ hwor Christrogen meeniska altijd strijda och kempa emot the onda Andarna emoot Dieffuulens werk och wesende emoot thenna arga Werldena och emoot sitt egit Kött. Die deutschen Übersetzungen sind, wenn nicht anders gekennzeichnet, hier und im Folgenden meine eigenen. 34 Vgl. Collijn, Sveriges bibliografi, 140f. 30
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Gothus. 35 Der erste Text ist Om den kristliga riddaren (Deutsch: Über den christlichen Ritter), 36 der zweite Sentenser ur Erasmus Enchiridio (Deutsch: Sententier aus Erasmus Enchiridion) 37 und der dritte Undervisning av vår kristendoms lära (Deutsch: Unterweisung in unserer christlichen Lehre). 38 Im Vorwort berichtet Gothus über die Schriften, die ihm als Vorlagen dienten. Besonders genau erklärt er, wo die Originaltexte herkommen, wer der jeweilige Autor ist und wann das jeweilige Werk erschien. Der erste Text, Om den kristliga riddaren, ist eine Übersetzung des Vom Christlichen Ritter, gedruckt 1541 in Wittenberg. 39 Im Vorwort wird der Text dem Leser als „was der selige Magister Cyriacus Spangenberg geschrieben und vor 51 Jahren gedruckt hat, das war im Jahre 1541“ vorgestellt. 40 Petrus Johannis Gothus hat hier jedoch zwei Personen verwechselt: Der Text von 1541 wurde von Johann Spangenberg (1484‒1550) 41 geschrieben, nicht von seinem Sohn Cyriacus Spangenberg (1528‒1604). Spangenberg benutzte in diesem Werk die Metapher des christlichen Ritters, um „Luthers Verständnis vom christlichen Leben als Kampf gegen die Sünde und das Böse in seinen allerlei Erscheinungen“ vorzustellen. 42 Auch der Ursprung des zweiten Textes, Sentenser ur Erasmus Enchiridio, wird dem Leser erläutert. Gothus schreibt, dass Erasmus von Rotterdam „vor 74 Jahren, das war im Jahre Christi 1518“ 43 den Text geschrieben habe. Der Text geht auf das schon genannte Enchiridion militis Christiani von Erasmus zurück. Erasmus’ Werk war als Brief von ihm an einen Freund konzipiert. Der Freund suchte demnach Unterstützung und Rat, um ein wahrhaft christliches Leben führen zu können. Das Enchiridion beantwortet dessen Fragen und handelt von der praktischen Frömmigkeit. Erasmus benutzte dazu die
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35 Vollständiger Titel: Erligh och wälförståndig man Per Andersson Borgemestare i Söderköping minom synnerliga goda Wen och gunstiga Befordrare ganska wenliga, A2r‒A8v. 36 Vollständiger Titel: Om then Christeliga Riddaren medh hwad Fiender han här strijda måste een liten berättelse vthaff gudz Ord och h. Scrifft, B1r‒F7r. 37 Vollständiger Titel: Fölia nu några merkeliga SEntentier och helsosamma meningar om wår CHRJstendoms h. Leffuerne vthdragne aff Erasmis Roterodami ENCHIRIDIO som han schriffuit haffuer de Milite Christiano, hwilka hwar och en Christrogen flitigt bör achta och sitt lefferne ther effter retta, F7v‒J5v. 38 Vollständiger Titel: Een Sköön liten underwijsning om wår Christendoms h. Lära/ allom Christrognom meniskio ganska nyttig/ Stäldt vthi Spörsmål och Swaar. Fordom vthgångin aff prentet/ och nu medh några fåå Spörsmål och Swar förmeerat. Aff Petro Iohannis Gotho, J4r‒L7v. 39 Vgl. Kolb, A booklet; ders., Spangenbergs „Christlicher Ritter“. 40 Gothus, De Christiano milite. A3v. Originalzitat: hwilken saligh Magister Cyriacus Spangenberg haffuer scriffuit och aff prenter utgåå låtit för 51. År thet är Anno 1541. 41 Vgl. Kolb, A booklet, 12‒18.; ders., Spangenbergs Christlicher Ritter, 62–66. 42 Ebd., 79. 43 Gothus, De Christiano milite. A4r. Originalzitat: for 74 åhr. thet är An: Christi 1518.
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Metapher des christlichen Ritters, der mit der Bibel als Waffe gegen die inneren und äußeren Glaubensfeinde kämpft. 44 Erasmus’ Enchiridion militis Christiani wurde, anders als Gothus es angibt, das erste Mal 1503 in Antwerpen herausgegeben, als einer von mehreren Texten in einem Buch. 1515 wurde es erstmals als eigenständiger Text gedruckt. In Basel erschien 1518 eine von Erasmus selbst bearbeitete Auflage mit einem neuen Vorwort. Dieser Text war sehr erfolgreich, wurde 1519 neu herausgegeben und im selben Jahr ins Tschechische übersetzt. Während der 1520er und 1530er Jahre wurde das Enchiridion, welches vorher nicht viel Aufmerksamkeit erregt hatte, ein sehr populärer Text und nicht nur auf Latein herausgegeben, sondern auch auf Niederländisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch, Französisch und Englisch. 45 Die erste deutsche Übersetzung wurde 1520 in Basel gedruckt und es folgten weitere Auflagen 1521 in Basel, 1525 in Köln und 1543 in Augsburg. 46 Es war also ein sehr erfolgreicher und oft herausgegebener Text, den Petrus Johannis Gothus 1592 übersetzte. 47 Der letzte Text in der Kompilation ist Undervisning av vår kristendoms lära. Gothus schreibt im Vorwort, dass der Text schon einmal erschienen sei: „nicht nur in Stockholm in unserer schwedischen Sprache, sondern auch hier in Rostock in deutscher Sprache gedruckt von Ludwick Deck vor 67 Jahren, das war im Jahre Christi 1525“. 48 Das Buch, auf welches er sich hier bezieht, ist Eyne schone vnd ser nutte Christlike vnderwysynge, 49 herausgegeben in Rostock 1525 50 von dem Rostocker „Reformator“ Joachim Slüter (1490‒ 1532). 51 Dieses Werk wurde ein Jahr später ins Schwedische übersetzt und in Stockholm unter dem Namen Een sköön och nyttugh vndervisning herausgegeben, vermutlich von Olaus Petri (1493‒1552). 52 —————
44
Vgl. Stupperich, Das Enchiridion. Vgl. Galle/Sarx, Erasmus-Rezeption. 46 Vgl. zur Entstehungsgeschichte, Druckgeschichte und zum Inhalt: Fantazza, Handbook, 2‒7; Welzig, Einleitung, VIII‒XIII.; Wang, Miles Christianus, 158–163. Die deutschen Übersetzungen sind im VD16 verzeichnet: Basel 1520, VD16 E2787; Basel 1521, VD16 E2788; Köln 1525, VD16 E2789; Augsburg 1543, VD16 E 2795. 47 Isak Collijn meint, dass Gothus mit der Ausgabe von 1543 gearbeitet hat (Collijn, Sveriges bibliografi, 141). 48 Gothus, De Christiano milite. A4v. Orginalzitat: icke alenast i Stockholm vppå wårt Swenska tungomål vthan också här i Rostock vppå thet tyska tungomål prentat aff Ludwick Deck for 67 åhr, thet är An: Christi 1525. 49 Vollständiger Titel: Eyne schone vnd ser nutte Christlike vnderwysynge allen Christgelougien mynschen (nicht allene denn kynderen vnde jungen lüden) sunder ock den olden wol antomerckende na der wyse eyner vrage vnd antwordt (VD16 ZV 2194). Vgl. Bosinski, Schrifttum, 71f. 50 Zur Entstehung von Slüters Katechismus vgl. ebd., 69‒84, vor allem 77, 82‒84. Vgl. aber auch den Beitrag von Thomas Klie in diesem Band. 51 Pettke, Nachträge zu Joachim Slüter. 52 Vgl. Westman, Inledning, XXI. Der Text ist ediert in Petri, Vndervijsning, 141‒149. 45
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Petrus Johannis Gothus’ De Christiano milite war, wie hier deutlich geworden sein dürfte, ein Buch, das aus verschiedenen übersetzten Texten aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhundert bestand. Er hat dafür drei erfolgreiche Beispiele der Erbauungsliteratur ausgewählt, die aber alle an ihren Entstehungskontext gebunden waren. Erasmus’ Text war schon vor der Reformation geschrieben worden, aber erlangte erst nach 1518 große Popularität. 53 Er war eine Anleitung für ein christliches Leben der Laien, aber auch andere Themen wurden angesprochen, polemisch etwa zu den Mönchsorden und zu verschiedenen Zeremonien der Kirche. Dieser Fokus auf der Frömmigkeit der Laien, kombiniert mit heftiger Kritik an Institutionen und Praktiken der bestehenden Kirche, passte perfekt zur Argumentation der Reformatoren, so dass Erasmus’ Werk im Zusammenhang mit der Reformation an Aktualität gewann. Spangenbergs und Slüters Texte waren eher direkte Produkte der Auseinandersetzung der Reformatoren mit der universellen Kirche. Sie beide gehen das hart an, was sie als trügerische Frömmigkeit verstehen. Gothus’ Übersetzung der Texte von 1592 reproduziert aber nicht nur diese Bedeutung, sondern stellt die Originaltexte in einen neuen Zusammenhang. Sie sind nicht mehr Texte, die allein die Auseinandersetzung mit der universellen Kirche behandeln, sondern werden Teil einer konfessionellen Polemik.
Verfolgung des wahren Christen und Kritik am König Um Petrus Johannis Gothus’ Rolle als Träger der Konfessionalisierung herauszuarbeiten, muss De Christiano milite im Zusammenhang mit der politischen und konfessionellen Situation in Schweden im Herbst 1592 gelesen werden. Er schuf sein Werk nicht nur als Erbauungsliteratur, sondern auch als Argument im Konflikt über die schwedische Konfession. Besonders im Vorwort wird dies deutlich. Frühneuzeitliche Vorworte haben drei Funktionen: die Werkfunktion, damit sind Aussagen über das Thema des Werkes gemeint; die Autorfunktion, also die Möglichkeit des Autors sich über seine Arbeit zu äußern und sich vorzustellen; und die Leserfunktion, damit sind die Textelemente gemeint, die einen Kontakt zwischen Leser und Autor ermöglichen sollen. Neben diesen drei Funktionen können frühneuzeitliche Vorreden auch „zum Medium der Auseinandersetzungen mit primär theologischen, moral-didaktischen oder gesellschaftlichen Themen“ 54 werden. Deswegen bieten sie einen Zugang zur Konfessionalisierung. Gothus nutzte die Werk-, Autor- und Leserfunk—————
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Zur Popularität des Erasmus vgl. Galle/Winterhager, Erasmus-Rezeption. Schwitzgebel, Vorrede, 5.
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tion der Vorrede, aber ging auch darüber hinaus, indem er Stellung zu konfessionellen Fragen bezog. Er schrieb, dass Gott „so reichlich unserem lieben Vaterland, dem Schwedischen Reich“ sein heiliges Wort geschenkt habe, und damit das weiterhin so bleibe, damit also Gottes Gaben geachtet werden und nicht missbraucht und Gott sie dem Schwedischen Reich nicht wieder entziehe, habe er das Werk gedruckt. Er beschreibt auch Gelehrte, die unentschlossen gewesen seien, was der Grund dafür sei, dass die Schweden so viele Anfechtungen ausstehen mussten. 55 Gothus spricht hier die Situation in Schweden 1592 an. Im Text macht er zwei Gruppen auf – die Unentschlossenen und die Wahrheitsliebenden. Er schreibt, dass manche unentschlossen gewesen seien, und dass er durch seine Arbeit hoffe, denjenigen Menschen zu helfen, die die Wahrheit lieben. Gothus, der schon früher als ein Vertreter der Lutheraner aufgetreten war, vor allem durch seine Veröffentlichung der Confessio Augustana, stellt auf diese Weise die Befürworter der neuen Liturgie und andere, die in Zukunft die lutherische Konfession Schwedens gefährden könnten, als die Feinde des christlichen Ritters dar. Das Hauptthema des Werkes, der Kampf gegen Anfechtungen, der für den christlichen Menschen als ein immerwährender Kampf gegen das Böse beschrieben wird, deutet Gothus eben nicht nur als einen Kampf jedes einzelnen Menschen, sondern auch als Kampf seiner Landsleute gegen solche Anfechtungen. Er schreibt, dass man in Schweden von diesen Anfechtungen besonders hart getroffen worden sei. Dass der christliche Glaube in Schweden besonders gefährdet gewesen sei, ist nicht anzunehmen. In den 1590er Jahren war jedoch das Luthertum in ganz Europa unter Druck geraten. Daher ist anzunehmen, dass Gothus einer im ganzen Luthertum vorhandenen Weltanschauung Ausdruck verleiht und sie als Interpretationsraster benutzt, um den Kampf der Lutheraner gegen die Liturgie für seine Leser verständlich zu machen. Nicht nur das Vorwort, sondern auch die Übersetzungen offenbaren, dass Gothus Veränderungen an den Originaltexten vorgenommen hat. Diese zeigen sich, wenn die Übersetzungen mit den Originaltexten verglichen werden. Der dritte Text, Om vår kristendoms lära, wurde, wie schon beschrieben, dem Leser als eine Übersetzung eines Textes, der 1525 in Rostock von Ludwig Dietz gedruckt wurde, vorgestellt und dieser wurde später auch in Stockholm durch Olaus Petri herausgegeben. Der Text ist durch Fragen und Antworten gegliedert. Petrus Johannis Gothus folgte in seiner Übersetzung eng der Arbeit Olaus Petris und Slüters, fügte aber auch eigene Teile hinzu. Er schrieb in der Vorrede, dass sein Originaltext „die Irrlehren, die in der Papstkirche im Gebrauch waren, und jetzt durch das gnädige Licht und die Lehre —————
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Gothus, De Christiano milite, A6r‒A7v. Originalzitat: så rijkeliga haffuer begåffat wårt kära Fädernesland Suerigis Rijke, A6r.
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von Gottes Wort abgeschafft sind“ behandele, und dass er deswegen das Buch mit einem Abschnitt über „die Irrlehren, die es jetzt in unserer Zeit unter den Christen gebe“ erweitert habe. 56 Eine nähere Analyse zeigt, dass Petrus Johannis Gothus’ Text den Ausgaben von Stockholm und Rostock bis zu der Frage „Worin sich die Menschen heute irren?“ folgt. 57 Gothus’ Antwort kombiniert die Antworten Slüters und Olaus Petris, indem er meint, dass die heutigen Irrlehren und Missbräuche denen der Vorfahren „im Papsttum“ entsprechen. Gothus beschreibt dann die für ihn gegenwärtigen Irrlehren und Missbräuche und stellt die vermeintlichen Gefahren, die von ihnen ausgingen, dar. Er fragt entsprechend: „Wie wird Gottes Name in dieser Zeit befleckt?“ 58 Die Antwort lautet, dass die Gottesfurcht gering sei und dass die wahren Diener Gottes unterdrückt werden. Er schreibt weiter, dass es viele gäbe, die die Verbreitung des Wortes Gottes verhindern und unterdrücken würden – besonders litten die Männer, die dem Wort dienen und der Wahrheit treu bleiben wollten angesichts dieser Verfolgungen. 59 Gothus meinte, dass 1592 besonders viele, die in der Wahrheit bleiben wollten – also der lutherischen Konfession angehörten –, Verfolgung und Behinderung durch die Taten und falsche Lebensweise anderer erfuhren. Besonders gelte das für die Männer, die dem Wort Gottes dienten. Das Thema der Verfolgung ist zentral für die gesamte Christentumsgeschichte, erhielt aber in unterschiedlichen historischen Kontexten verschiedene Ausformungen. 60 Die Identitätsform der „Bewährung der Wahrheit in der Verfolgung“ 61 wurde von großer Bedeutung für Weltbild und Selbstdeutung in der schwedisch-lutherischen Konfessionskultur. Diese ist als eine Übertragung eines im deutschen Luthertum entwickelten Diskurses zu verstehen. Die Übertragung ist aber auch kontextbedingt und es ist angemessen, Petrus Johannis Gothus hier als einen Akteur anzusehen, der gezielt gewisse Texte auswählte, die er für passend hielt. Das Verfolgungsthema half ihm im ————— 56
Ebd. A4v‒A5r. Originalzitat: the wilfarelser som tå i Påwadomet woro i bruk och nu affskaffade äre iaenom Gudzh Ords nådiga liws och lära und the wilfarelser som nu i thenna wår tijd ibland the Christrogna finnas. 57 Vgl. ebd. K3r. Originalzitat: Hwar vthi fara Christne menniskor wille på thenne tijden. Vgl. Petri, Vndervijsning, 147:3: [...] huar innan fara christna menniskor wille på thenna tijdh? Bosinski, Schrifttum, 81, Frage 29: Wor inne erren de Christen mynschen yglides? 58 Gothus, De Christiano milite. K4r. Originalzitat: Huru warder Gudz h. Nampn på theña tijden wanärat? 59 Ebd. K4r‒K4v. Originalzitat: [...] flere finnes the thet förhindra och förtryckia genom theres ogudachtiga werk stemplingar och onda leffuerne. Såsom the fattige män som wil ordzens tienst i thenna tijden kallade äre wid retferdigheetena och sanningena bliffuaa wilia icke vthan qwijda och mykna wedernöda beklaga och bekenna moste. Ther om mykit talas skulle när tijden thet så lijda wille. 60 Vgl. dazu die Beiträge in Ingesman, Religion. 61 Vgl. Kaufmann, Ende.
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Fall der Agitation gegen die „Liturgie“ Stellung zu beziehen und mit seinem Werk De Christiano milite auch für die lutherische Seite zu werben. Auf den dann folgenden Seiten legt er dar, worin die oben benannten Irrlehren bestünden und welche Folgen sie hätten; ebenso kommt er immer wieder auf die Gefahr zurück, die von „den Ungläubigen“ ausgehe. Hauptsächlich benennt er Gefahren, die auf katholische Einflüsse zurückzuführen seien. Am Ende seiner Auslegung paraphrasiert er den zweiten Petrusbrief und schreibt, dass „die, die der Unreinheit dieser Welt durch die Kenntnis Jesu Christi entkommen seien“ und sich später „wieder zu ihr hinbewegten“, verloren seien. 62 Gothus wollte 1592, als König Johann III. im Sterben lag und es klar war, dass sein Sohn, der katholische Sigismund, Schwedens König werden würde, die schwedischen Untertanen vor den Gefahren, welche die Gläubigen erwarteten, warnen. Besonders davor, dass sie sich nicht gegen die lutherische Wahrheit wenden sollten, nachdem sie sie erblickt hatten, um zur katholischen „Irrlehre“ zurückzukehren. Erasmus’ Enchiridion militis Christiani war „eine Unterweisung in der Kunst des christlichen Kriegsdienstes. […] Wie der Soldat im Krieg, so muß sich der Christ in der Welt bewähren.“ 63 Gothus hat nicht das gesamte Werk des Erasmus übersetzt, sondern nur „ein paar denkwürdige Sentenzen“.64 Eine nähere Analyse zeigt, dass es sich um einen bestimmten Teil des Textes handelt, nämlich allein um die Opiniones Christiano dignae. 65 Es war nicht ungewöhnlich, lediglich Teile des Enchiridion militis Christiani zu übersetzen und herauszugeben. Zum Beispiel wurde 1545 in England eine Zusammenfassung einer schon ins Englische übersetzten Ausgabe des Enchiridion publiziert. Durch den Titel A shorte Recapitulation or abridgement of Erasmus Enchiridion war für die Käufer klar zu erkennen, dass es sich um eine Zusammenfassung handelte. Diese Art und Weise, einen Text neu zu kontextualisieren, kann als Teil der Verkaufsstrategie verstanden werden. Ein schon bekannter und beliebter Text versprach einen guten Umsatz. 66 Dass ähnliche Überlegungen auch Gothus’ Ausgabe motivierten, ist anzunehmen. Dennoch beinhalten die Opiniones Christiano dignae auch Argumente, die Gothus als nützlich für den Konfessionskonflikt in Schweden ansehen konnte. Sie beschreiben eine christliche Lebensweise voller Demut und Nächstenliebe. Das Grundthema des christlichen Ritters wird in den Opiniones auf die —————
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Gothus, De Christiano milite, L2v‒L3r. Bibelstelle: 2. Petr 2. Originalzitat: [t]he som thenna werldennes oreenligheet vndkomne äre genom Jesu Christi kennedom und begeffua sigh åther ther til. 63 Welzig, Einleitung, XIV. 64 Gothus, De Christiano milite, A4r. Originalzitat: några merkeliga Sententier. 65 Vgl. Erasmus von Rotterdam, Enchiridion, 268‒303. 66 Vgl. Parker, Religious Polemics, 95.
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Fragen, wie ein Herrscher sein soll und wie sich das Verhältnis von geistlicher und weltlicher Macht gestalten soll, übertragen. Der Herrscher ist demnach immer Gott unterstellt und wird eines Tages Rechenschaft vor Gott ablegen müssen, denn „das Volk ist dir zu vielem verpflichtet, aber du bist ihm zu allem verpflichtet.“ 67 Auch die weltliche Macht der Kleriker und der Missbrauch von Macht werden scharf kritisiert – auch sie werden vor Gott Rechenschaft ablegen müssen. Petrus Johannis Gothus hat dementsprechend einen Teil des Erasmustextes gewählt, der explizit die Verantwortung des Fürsten gegenüber seinen Untertanen behandelt, und in dem herausgearbeitet wird, dass das Handeln des Fürsten unter göttlicher Beobachtung stehe. Das Thema der Rechtfertigung fürstlichen Handelns war im Christentum sehr verbreitet. Als Beispiel aus dem Schwedischen Reich kann Olaus Petris Predigt im Zusammenhang mit der Krönung Gustav Vasas 1528 genannt werden. 68 Gothus baute aber hier auf die im Vorwort beschriebene Situation in Schweden auf und kritisierte durch seine Übersetzung implizit König Johann III. und dessen Versuche, Schweden unter katholischen Einfluss zu bringen. Der Fürst scheint dementsprechend seiner Pflicht gegenüber den Untertanen, die wahre Lehre zu schützen, bei Gothus nicht gerecht zu werden. Die gerade zitierte Stelle kann aber auch als eine Warnung an Sigismund gelesen werden. Auch er muss – obwohl er Katholik ist – die wahre, das heißt für Gothus, die lutherische, Lehre im Schwedischen Reich schützen und pflegen und darf die Untertanen nicht daran hindern, den lutherischen Glauben auszuüben. Mit dem Buch wandte sich der Autor aber nicht in erster Linie an Johann III. und Sigismund, sondern an seine Leser, die Bürger, die er ermutigen wollte, standhaft im lutherischen Glauben zu bleiben.
Resultate Der in Rostock ausgebildete und später in Schweden tätige Übersetzer, Autor und Verleger Petrus Johannis Gothus ist in diesem Beitrag als ein wichtiger nicht-politischer Träger der Konfessionalisierung Schwedens beschrieben worden. Dabei ist zu betonen, dass er durch seine Arbeit nicht die Konfessionalisierung im Sinne des Aufbaus einer einheitlichen kirchlichen Organisationsstruktur oder des Schaffens eines verbindlichen Bekenntnisstandes unterstützt hat, sondern dass er durch seine publizistische Tätigkeit vielmehr als Akteur im Konflikt um Schwedens Konfession in den 1590er Jahren wirkte. —————
67 Gothus, De Christiano milite, H7r‒H7v. Originalzitat: [f]olket är tigh mykit plichtig/ men tu äst alt plichtig them. 68 Vgl. Petri, En Christelighen formaning.
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Kompilatorische Praktiken benutzte er, als er aus Erasmus’ Enchiridion militis Christiani den Teil Opiniones Christiano dignae wählte, um dadurch die Verantwortung des Fürsten gegenüber seinen Untertanen zu behandeln und um herauszuarbeiten, dass das Handeln des Fürsten unter göttlicher Beobachtung steht. Dadurch wird die Pflicht des neuen katholischen Königs, die lutherische Lehre nicht einzuschränken, angedeutet und die lutherischen Untertanen indirekt auf die Möglichkeit des Widerstandes hingewiesen. Die frühneuzeitliche Praxis des freien Übersetzens setzte Gothus ein, als er Slüters und Olaus Petris Texte transferierte und ergänzte, um die Gefahren für den Christen in seiner eigenen Gegenwart anzusprechen. Vor allem ging es ihm um die angebliche Verfolgung, der die Männer des Wortes ausgesetzt waren. Der Möglichkeiten des Paratexts, neue Bedeutungszusammenhänge entstehen zu lassen, bediente er sich, als er im Vorwort das Thema der Anfechtungen des christlichen Ritters in das Interpretationsraster der Lutheraner einfügte und dadurch eine Bedrohung der wahren Christen im Schwedischen Reich durch die Katholiken andeutete. Petrus Johannis Gothus’ Kompilations- und Übersetzungswerk De Christiano milite ist als ein Medium im Konfessionskonflikt zu deuten, mit dem er für die Festigung der lutherischen Konfession in Schweden argumentierte und als Agitator und Multiplikator lutherischer Selbstwahrnehmung und Weltanschauung agierte.
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Ansorge, Jörg (Dr. rer. nat., Greifswald): studierte an der Universität Greifswald Geologie und Paläontologie und wurde dort 1996 mit einer Arbeit über „Die fossilen Insekten aus dem oberen Lias von Grimmen“ im Fach Paläontologie promoviert. Er arbeitet seit 1994 als Grabungsleiter für das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern (Landesarchäologie) und war bei über 100 stadtarchäologischen Ausgrabungsprojekten tätig. Neben der materiellen Kultur des 13. bis 19. Jahrhunderts gilt sein besonderes Interesse mittelalterlichen Pilgerzeichen. Entsprechende Publikationen von Funden aus den Hansestädten Stralsund, Rostock, Wismar und Stade liegen vor. Ein weiteres Interesse gilt der Erfassung und Dokumentation von Pilgerzeichen als Abgüssen auf mittelalterlichen Glocken und Bronzetaufen. Asche, Matthias (Dr. phil., habil., Tübingen): ist seit 2017 Professor für Allgemeine Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Potsdam. Seine Dissertation „Von der reichen hansischen Bürgeruniversität zur armen mecklenburgischen Landeshochschule. Das regionale und soziale Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow in der Frühen Neuzeit (1500–1800)“ erschien 2000 beim Franz Steiner Verlag Stuttgart (2. Aufl., 2010). Seine Habilitationsschrift „Neusiedler im verheerten Land. Kriegsfolgenbewältigung, Migrationssteuerung und Konfessionspolitik im Zeichen des Landeswiederaufbaus. Die Mark Brandenburg nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts“ ist 2006 beim Aschendorff Verlag Münster erschienen. Seine Forschungsinteressen umfassen die Geschichte Alteuropas, des Alten Reiches und seiner Territorien und Städte in der Frühen Neuzeit; die Vergleichende Bildungs-, Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte; die Bildungs-, Wissens- und Kulturtransferforschung in Alteuropa; die Vergleichende Reformations- und Konfessionsgeschichte und die Sozial- und Kulturgeschichte der Migration im Alten Reich und in Alteuropa; die vergleichende Minderheiten- und Elitengeschichte in der Frühen Neuzeit sowie Krieg und Frieden, Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit. Bostelmann, Annika (Doktorandin, Rostock): ist Mitarbeiterin an der Universitätsbibliothek Rostock. Sie war beschäftigt in den Projekten „Digitales Archiv zum Rostocker Liederbuch“ und „Künstlike Werltspröke und Schönes Rimbökelin. Erschließung und digitale Edition niederdeutscher
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Spruchsammlungen des 16. Jahrhunderts“ sowie als Wissenschaftskoordinatorin des Departments „Wissen – Kultur – Transformation“ der Interdisziplinären Fakultät an der Universität Rostock. Ihr Dissertationsprojekt befasst sich mit den Transformationsprozessen in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschsprachigen Lyrik am Beispiel des sog. ‚Bremberger‘-Tons. Sie ist Mitherausgeberin des Sammelbandes „Sprechen, Schreiben, Handeln. Interdisziplinäre Beiträge zur Performativität mittelalterlicher Texte“ (Waxmann 2017) und Vorsitzende im Arbeitskreis mediävistischer NachwuchswissenschaftlerInnen an der Universität Rostock. Braun, Hellmut (Doktorand, Rostock): ist Lehrbeauftragter am Institut für Germanistik und am Historischen Institut der Universität Rostock. Sein Dissertationsvorhaben beschäftigt sich mit der frühen Sangspruchdichtung des 12. Jahrhunderts im Vergleich zu den okzitanischen Sirventes und der lateinischen sog. ‚Vagantenlyrik‘. Von 2016 bis 2018 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Projekten „Künstlike Werltspröke und Schönes Rimbökelin. Erschließung und digitale Edition niederdeutscher Spruchsammlungen des 16. Jahrhunderts“ und „Historische Kirchenbibliotheken in Mecklenburg-Vorpommern. Modelle der Vernetzung, Erschließung, Erhaltung und Nutzung“ beschäftigt. Brilkman, Kajsa (Fil. Dr., Lund): forscht seit 2016 im Projekt „Mare Lutheranum. Bokmarknaden och den lutherska konfessionskulturen runt Östersjön 1570–1620“ an der Universität Lund. Ihre Dissertation zu politischen und theologischen Diskursen der schwedischen Reformation legte sie 2013 vor. Sie hat mehrere Beiträge zur Reformation und Konfessionalisierung in Schweden veröffentlicht, unter anderem „När och hur inleddes reformationen i det svenska riket? Ett kulturhistoriskt perspektiv på ett gammalt problem“ (in: Scandia 82, 2016, 2). Sie ist Mitglied im Verein für Reformationsgeschichte und als Koordinatorin im Nationella forskarskolan för historiska studier tätig, einem nationalen Netzwerk für Doktorand*innen der Geschichtswissenschaften. Zurzeit arbeitet sie zum Entstehungskontext der schwedischen Übersetzungen von Luthers Werken im 16. Jahrhundert. Czaika, Otfried (Dr. theol., Helsinki): ist seit 2013 Professor für Kirchengeschichte mit Schwerpunkt Reformation an der privaten MF Norwegian School of Theology, Religion and Society (vormals: MF Det teologiske menighetsfakultet) in Oslo. Er wurde 2002 in Helsinki promoviert mit einer Arbeit zu „David Chytraeus und die Universität Rostock in ihren Be-
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ziehungen zum schwedischen Reich“, übernahm danach eine Lehrstuhlvertretung in Linköping (2003–2007) und war als Forscher und Bibliothekar an der schwedischen Nationalbibliothek in Stockholm tätig (2007– 2013). Seine Forschungsinteressen liegen neben der Bildungs- und Buchgeschichte unter anderem in den Bereichen Geschichte des schwedischen Gesangbuchs im 16. Jahrhundert, Migration und Kulturtransfer im Nordosten Europas sowie in der Verfassungsgeschichte der nordischen Länder. Im Zuge des Reformationsjubiläums 2017 hat er unter anderem an der Ausstellung „Der Luthereffekt“ des Deutschen Historischen Museums in Berlin mitgearbeitet sowie zahlreiche Beiträge publiziert, die verschiedene Aspekte der Reformation behandeln. 2018 erscheint bei der finnischen Gesellschaft für Kirchengeschichte (Suomen kirkkohistoriallinen seura) eine Quellenausgabe eines schwedischen Lieddruckes aus dem Jahre 1536 (Några wijsor om Antikristum) und 2019 im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht eine Anthologie zur schwedischen Buchgeschichte (Mitherausgeber: Wolfgang Undorf). Fink-Jensen, Morten (Ph.D., Copenhagen): is an associate professor of history at the University of Copenhagen. His research mainly deals with the history of the Reformation and the Early Modern cultural and intellectual history in Northern Europe. Key areas of interest include the history of science and universities, the history of education, church history, and the history of magic and witchcraft. His publications in Danish and English include “Medicine, Natural Philosophy, and the Influence of Melanchthon in Reformation Denmark and Norway” (in: Bulletin of the History of Medicine 80, 2006, 3), and the contribution “Latinskoler, Universitet og Videnskabssyn” (in: “Reformationen”, ed. by O. Høiris/P. Ingesman, Aarhus University Press 2017). Together with Charlotte Appel he has co-edited “Religious Reading in the Lutheran North. Studies in Early Modern Scandinavian Book Culture” (Cambridge Scholars 2011) and co-authored volume one of the five-volume “History of Danish Schools” (“Dansk Skolehistorie”, Aarhus University Press 2013–2015). Holze, Heinrich (Dr. theol., Göttingen; habil., Bethel-Bielefeld): ist seit Oktober 1995 als Professor für Kirchengeschichte an der Universität Rostock tätig. Seine Veröffentlichungen behandeln Themen des Mittelalters, wie „Erfahrung und Theologie im frühen Mönchtum“ (1992) und „Die abendländische Kirche im hohen Mittelalter“ (2003). Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Geschichte der Neuzeit, wobei der Blick auf die Vernetzungen und Rezeptionen gerichtet ist, wie in „Die Kirchen des Nordens in der Neuzeit“ (2011) und „Migration und Kulturtransfer im Ostseeraum während der Frühen Neuzeit“ (zusammen mit Otfried Czaika, 2012). Er war
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Gründungsmitglied des DFG-Graduiertenkollegs „Kulturkontakt und Wissenschaftsdiskurs“ an der Universität Rostock (2005–2014), ist Mitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie und gehört zum Editorial Board der Zeitschriften „Kirchliche Zeitgeschichte" (Göttingen) und „Kyrkohistorisk Årsskrift“ (Uppsala). Aktuell beschäftigt er sich mit Fragen der Geschichte und Historiographie der Rostocker Reformation. Klie, Thomas (Dr. theol., Göttingen; habil., Bonn): ist seit 2004 Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Rostock. Er wurde 1999 in Göttingen mit einer Arbeit zum Religionsunterricht an Berufsschulen promoviert. 2002 hat er sich in Bonn mit einer Arbeit zu „Zeichen und Spiel. Semiotische und spieltheoretische Rekonstruktion der Pastoraltheologie“ habilitiert. Seine Forschungsschwerpunkte liegen neben der Pastoralästhetik und Liturgik im Bereich der spätmodernen Religionskultur und Religionshybride (Kulturhermeneutik) auf den Formen zivilreligiöser und liturgischer Performanz (Spieltheorie) und auf der aktuellen Sepulkralkultur. Die jüngsten Veröffentlichungen beschäftigen sich mit den religiösen Aspekten des Kunsthandwerks („Kunsträume. Sprechende Formen und religionshybride Praxis“, hg. von A. Mickan/dems./ P. A. Berger, transcript 2018), der Kasualkultur („On demand. Kasualkultur der Gegenwart“, hg. von dems./F. Fendler/H. Gattwinkel, EVA 2017) und der Erinnerungskultur („Erinnerungslandschaften. Friedhöfe als kulturelles Gedächtnis“, hg. von dems./S. Sparre, Kohlhammer 2016). Von 2004 bis 2017 nahm er das Amt des Universitätspredigers an der Universität Rostock wahr. Kreslins, Janis (Dr. phil., Stockholm): ist von seiner Ausbildung her Sprachwissenschaftler und Religions- und Kulturhistoriker. In seiner Arbeit mit den umfangreichen und vielfältigen historischen Beständen der Königlichen Bibliothek beziehungsweise Nationalbibliothek Schwedens, die durch ihre Dynamik immer neue Herausforderungen und Vorgehensweisen mit sich gebracht haben, hat er versucht, aus festgefahrenen Denkmustern auszubrechen um neue Erkenntnisse in unser Gedankengut einzulagern und sie mit einer Gegenwartsperspektive zu versehen. Er hat sich immer für die Auseinandersetzung mit den verschiedenen mündlichen und schriftlichen Traditionen im Wandel der Zeiten interessiert, und sich besonders mit der Umwandlung der Kommunikationskultur der Frühen Neuzeit im europäischen Nordosten beschäftigt. Im Umgang mit dem Material strebt er danach, eine neue Zeitsensibilität zu entwickeln, die helfen kann, die vielfältigen frühneuzeitlichen Kommunikationsräume – die nicht nur in vielerlei Hinsicht mündlich waren und sich nur zu einem Bruchteil in
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schriftlichen Quellen niedergeschlagen haben, und die nicht zuletzt auffallend viele Parallelen zu unserer digitalen Welt aufweisen – auch über die Grenzen der Spezialisten hinaus anschaulich vorzustellen und zu erschließen. Laine, Esko M. (Dr. theol., Helsinki): ist Privatdozent für Kirchengeschichte an der Universität Helsinki und der Universität Ost-Finnlands. In den Jahren 1991 bis 2002 war er als wissenschaftlicher Assistent und AkademieForscher (Finnische Akademie der Wissenschaften) im Fachbereich Kirchengeschichte an der Universität Helsinki tätig. Momentan arbeitet er an der Geschichte des Finnischen Pfarrerverbandes. 1996 wurde er mit einer Arbeit über den finnischen Pietismus zur schwedischen Zeit promoviert und hat sich danach vor allem mit Bildungs- und Gelehrtengeschichte, Gemeindegeschichte und Kirchengeschichte (insbesondere der Geschichte der Erweckungen in Finnland) beschäftigt und zu diesen Themenbereichen publiziert. Zurzeit widmet er sein Forschungsinteresse vor allem der Buchgeschichte unter sozialhistorischen Aspekten. Laine, Tuija (Dr. theol., Helsinki): hatte von 2012 bis 2016 eine zeitlich befristete Professur im Fachbereich Buchgeschichte an der Universität Helsinki inne. Momentan ist sie stellvertretende Professorin für Ältere Kirchengeschichte ebenfalls in Helsinki. Im Jahr 2000 wurde sie mit einer Arbeit über die englische Erbauungsliteratur in Finnland zur schwedischen Zeit promoviert und hat danach verschiedene Themenbereiche der Buch- und Kirchengeschichte erforscht. In den letzten Jahren hat sie mehrere Monographien vorgelegt: über den Erweckungsprediger Henrik Renqvist (1815–1866) als Buchhändler und -verleger (2005); über den Buchhandel in Finnland bis 1800 (2006); über Carl Fredrik Fredenheim (1748– 1803) als Neuhumanist (2010) sowie über das religiöse Lesen in Finnland im 17. und 18. Jahrhundert (2017). 2018 publizierte sie ein digitales Lehrbuch zur Buchgeschichte und zur buchgeschichtlichen Forschung. Zurzeit beschäftigt sie sich vor allem mit der älteren protestantischen Missionsgeschichte in medien- und kommunikationsgeschichtlicher Hinsicht. Lavery, Jason (Ph.D., Yale): ist seit 1997 als Professor an der Oklahoma State University tätig. Seit 2010 ist er zudem Dozent für finnische und skandinavische Kirchengeschichte an der Universität Helsinki. Er hat zwei Monographien im Brill-Verlag veröffentlicht: „Germany’s Northern Challenge: The Holy Roman Empire and the Scandinavian Struggle for the Baltic 1563–1576“ (2002) und „Reforming Finland: The Diocese of Turku in the Age of Gustav Vasa 1523–1560“ (2017). 2006 veröffentlichte er im
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Greenwood-Verlag „The History of Finland“. Darüber hinaus hat er zahlreiche Beiträge zum Ostseeraum im 16. Jahrhundert publiziert. Aktuell beschäftigt er sich vor allem mit den religiösen Konflikten in Finnland in den Jahren 1560 bis 1611. Lehmann, Hartmut (Dr. phil., Wien; habil., Köln): war von 1969 bis 1987 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Kiel, Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Instituts in Washington, D.C. (1987–1993) sowie Direktor am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen (1993–2004). Er ist Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften und Foreign Honorary Member der American Academy of Arts and Sciences, zudem Drs. theol. h.c. der Universitäten Basel, Lund und Helsinki. Seit 1993 ist er Honorarprofessor an den Universitäten Göttingen und Kiel. Forschungsaufenthalte absolvierte er an der University of Chicago, dem Institute for Advanced Study in Princeton, an der Princeton University und der Australian National University in Canberra; Gastprofessuren hatte er an der UCLA, in Harvard, an der Emory University, am Dartmouth College, in Berkeley und an der Pennsylvania State University inne. Zu seinen neuesten Publikationen zählen „Luthergedächtnis 1817–2017“ (Vandenhoeck & Ruprecht 2012) und „Das Christentum im 20. Jahrhundert. Fragen, Probleme, Perspektiven“ (EVA 2012). Raag, Raimo (Dr. phil., Uppsala): ist seit 2001 Professor für finno-ugrische Sprachwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung des Estnischen an der Universität Uppsala. Seine bevorzugten Forschungsgebiete sind die Kultur- und Sprachkontakte im Ostseeraum sowie Schriftsprachentstehung, Verschriftung und Alphabetisierung, Schriftgeschichte, Sprachplanung und Sprachpolitik. Er hat u.a. eine Monographie über die Entwicklung der estnischen Schriftsprache von den 1850er Jahren bis 1999 vorgelegt (Schwedisch: „Från allmogemål till nationalspråk“, 1999; Estnisch: „Talurahvakeelest riigikeeleks“, 2008; Englisch: „From Peasant Idioms to National Language“, in Vorbereitung). Darüber hinaus hat er Beiträge wie „One Plus One Equals One: the Forging of Standard Estonian“ (1999), „The Multilingual Parliament: Language Choice by non-Estonian Members of Parliament in Parliamentary Debates in Estonia 1919–1934“ (2004) und „Regionalism in Language Policy: the Case of Võru“ (2010) veröffentlicht. Weitere Publikationen beschäftigen sich mit der estnischen Schriftsprache in der Frühen Neuzeit, wie „Die Literatur der Esten im Zeichen von Reformation und Konfessionalisierung“ (2009) und „Die christliche Terminologie und die Verbreitung christlicher Personennamen im Estnischen und Lettischen im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung“ (zusammen mit Pēteris Vanags, 2010). Zusammen mit Bo
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Andersson hat er den Tagungsband „Från Nyens Skans till Nya Sverige. Språken I det Svenska Riket under 1600–talet“ (Übersetzung: „Von Nyenschanz zur Kolonie Neuschweden: Die Sprachen im Schwedischen Reich im 17. Jahrhundert“, 2012) herausgegeben. Momentan beschäftigt er sich vor allem mit zwei kürzlich entdeckten Gelegenheitsgedichten, die insbesondere für die estnische Kulturgeschichte interessant sind. Skottki, Kristin (Dr. rer. rel., Rostock): ist seit Oktober 2016 als Juniorprofessorin für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Bayreuth tätig. Ihre Dissertation erschien 2015 im Waxmann Verlag als „Christen, Muslime und der Erste Kreuzzug. Die Macht der Beschreibung in der mittelalterlichen und modernen Historiographie“. Zusammen mit Annika Bostelmann, Doreen Brandt und Hellmut Braun hat sie den Band „Sprechen, Schreiben, Handeln. Interdisziplinäre Beiträge zur Performativität mittelalterlicher Texte“ (Waxmann 2017) herausgegeben. Sie hat mehrere Beiträge zu den Themengebieten Kreuzzugshistoriographie, (Deutungs-)Geschichte der christlich-muslimischen Beziehungen in Vergangenheit und Gegenwart sowie zu Identitäts- und Alteritätskonstruktionen veröffentlicht. Momentan beschäftigt sie sich hauptsächlich mit dem Hostienfrevelprozess (1492) und der Heilig-Blut-Wallfahrt im mecklenburgischen Sternberg sowie mit der intersektionalen Analyse mittelalterlicher Texte. Weiterhin treibt sie die Frage nach der Bedeutung von Mittelalterbildern, insbesondere in gegenwärtigen akademischen, politischen und gewalttätigen Kontexten um. Wolgast, Eike (Dr. phil. habil., Göttingen): war von 1976 bis 2004 ordentlicher Professor für Neuere Geschichte an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; seit 2011 ist er zudem Dr. theol. h.c. der Universität Kopenhagen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die politische und Geistesgeschichte des 16. und 20. Jahrhunderts sowie die Universitätsgeschichte. Gegenwärtig ist er mit einer Studie zu den „Evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts“ als kodifizierte Reformation und Fundament des landesherrlichen Kirchenregiments beschäftigt.
Register Aachen 29, 31, 33–34, 42–48, 50, 54, 59, 61, 66, 68–70 Aalborg, Hans 263, 274 Aalst 66 Aardenburg 31 Aderpul, Thomas 204 Adolf Friedrich I. (Herzog zu Mecklenburg) 89 Aegidius Romanus 115n37 Älvsborg 387 Äthiopien 16 Agricola, Michael Olai 303, 310, 314 Ahrensbök 31 Albertsen, Hans 267 Albrecht III. (Herzog zu Mecklenburg) 345 Albrecht VII. (Herzog zu Mecklenburg) 199–218, 232, 235, 355–356 Albrecht (Herzog von Preußen) 355, 384 Altdorf (bei Nürnberg) 317–318 Alt Krüssow 30–31, 56 Andersson, Per 396 Angermannus, Abraham 289 Anna (Prinzessin von Brandenburg) 215, 276 Anna (Herzogin zu Mecklenburg) 271 Antwerpen (auch Antwerp) 241, 266, 398 Apolda, Dietrich von 99n75 Aquitanien 54 Arcen bei Venlo 239 Aristoteles (auch Aristotle) 194, 264 Arndt, Johann 336 Arnold, Gottfried 318 Arsenius, Heinrich (auch Pauli) 239 Aschanaeus, Martinus Laurentius 354 Asien 110n19 Aslaksen, Cort 271 Asolensis, Andreas Andreae 258–259 Augsburg 176, 362, 365, 367, 385, 398
August II. (König von Polen-Litauen, als Friedrich August I. auch Kurfürst von Sachsen, auch August der Starke) 333 August (Kurfürst von Sachsen) 271, 379–381, 384–387, 388n43 Aurifaber, Johann (auch Goldschmidt) 214, 234, 241 Avignon 31 Bacmeister der Ältere, Lucas 87–88, 193, 243, 254, 268, 272–275, 293, 353 Bacmeister der Jüngere, Lucas 255, 292–293 Bahrdorf bei Helmstedt 67 Baltikum (auch Baltic countries und Eastern Baltic) 238, 251, 260, 293, 339 Banér, Gustav 357, 364 Barckhusen, Hermann 36, 62 Bari 31 Barnim VI. (Herzog von PommernWolgast) 69 Barnim IX. (Herzog von PommernStettin) 355 Barnim (Landkreis) 60 Barth 70, 120, 230, 238 Bartholin, Thomas 269 Bartsch, Karl 118 Basedow 116, 138 Basel 239, 398 Battus, Levinus (auch Levin) 243, 266, 350 Beck, Ulrich 172 Becker, Andreas 225n12 Becker, Antonius 137–139 Becket, Thomas 41 Bedford-Strohm, Heinrich 24 Belbuck 66n150 Belgien 46, 48
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Benedikt XII. (Papst) 59 Bentwisch 116 Bergen 259, 271, 347 Berlin 17 Beverley 31 Biestow 128 Billing, Einar 361 Bismarck, Otto von 16 Blanche von Namur 61 Blomberg 31, 56 Blumenthal, Georg von 204–205 Bocerus, Johannes (auch Böker und Bödecker) 242 Bodstedt bei Barth 30–31 Böhme, Jakob 318 Böhmen (auch Bohemia) 260 Boldewan, Heinrich (auch Hinrick Boldewan) 114, 135, 145–146 Bologna 240–241, 266 Bonifatius IX. (Papst) 35, 66 Bonnus, Hermann 235 Bording der Ältere, Jacob 241, 266, 271, 275 Bording der Jüngere, Jacob 268 Bornholm 380 Bothniensis, Nicolaus Olai 361, 364 Boukius, Johannes 242, 272n111, 275 Boye, Petrus (auch Boye, Peter) 227– 228 Brahe, Tycho 263, 269, 273–274 Brandenburg (auch Mark Brandenburg und Kurfürstentum Brandenburg) 57, 238, 358 Brandes, Johann 225n12 Brasilien 16 Braunsberg 309–310 Braunschweig 45, 49, 58, 67, 238 Braunschweig-Lüneburg 213 Bremen 86, 238 Brenz, Johann 267 Breslau (auch Wroclaw) 240–241, 262 Brindlington 31 Brömsebro 379 Broocmann, Adam Reinhold 335 Broocmann, Anna Katharina 331 Broocmann, Carl Fredric 335, 337–338
Broocmann der Ältere, Reinerus Reineri 326–331, 338 Broocmann der Jüngere, Reinerus Reineri 326, 330–333, 338 Broocmann der Jüngste, Reinerus Reineri 326, 333–339 Brüssel 67, 380–381 Brun, Johann 119, 126–127, 144 Bucer, Martin 267 Buchholz 37–38 Bülow, Heinrich von 57 Bützow 201, 217, 223 Bugenhagen, Johannes 91, 157, 165, 202–203, 230, 254, 267, 275, 349 Buggenhagen, Wedeghe von 67 Burenius, Arnold 227, 233–235, 239 Bursche, Hermann von dem 346 Cabbuz, Johannes 57 Calovius, Abraham 316 Camerarius, Joachim 234 Canterbury 31, 41 Canuti, Henricus 312–313 Caoursin, Gilhelmus 348 Capeteyn, Peter 265–266, 271 Carelius, Henrik Jönsson 293 Carelius, Nicolaus Magni 288–289 Carelius, Simon Johannis 292–294 Caselius, Johannes (auch Johann) 243, 272 Cassander, Georg 355 Cederhielm, Josias 336 Celtis, Conrad 345 Chesnecopherus, Nils 293 Chile 16 Christensen, Anders 274 Christian II. (König von Dänemark) 347, 355, 378, 385 Christian III. (König von Dänemark) 265–267, 272, 275–276, 349, 355– 356, 378–379 Christian IV. (König von Dänemark) 253, 257, 268–269, 273, 274n118, 276–277 Christina (Königin von Schweden) 363
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Christine (Prinzessin von Dänemark, Herzogin von Lothringen, auch Christina) 385 Christine (Prinzessin von Hessen) 379– 381 Christoph III. (König von Schweden, auch Christoph von Bayern) 366 Christoph (Herzog zu Mecklenburg) 216, 354–357, 364, 395 Christoph (Graf von Oldenburg) 355 Chrysius, Johannes (auch Golt) 241, 265 Chytraeus, David 86–87, 188, 236, 241, 243, 254–257, 260, 263, 267–268, 270–276, 304, 310–311, 313–314, 316–317, 351–354, 357–358, 364, 368, 391, 396 Chytraeus, Nathan 188–190, 260, 272n111, 275 Cicero 115n38, 263 Cilianus, Henricus 261n51 Clemens VI. (Papst) 59 Cochläus, Johannes 21 Coelerus, Johannes Andræ (auch Köhler) 334 Corfinius, Johannes 269n97 Cornarius, Janus 239 Cothmann, Johannes 277 Coverdale, Myles 166 Cramer, Daniel 194 Crato, Johannes 271n101 Curio, Georg (auch Kleinschmidt) 240
Danzig (auch Gdańsk) 35, 38, 54, 64, 66, 68–69, 72, 262, 291 Dargun 213, 215 David (biblischer König) 357n67 Demmin (Landkreis) 31, 65 Deutsche Demokratische Republik (auch DDR) 14 Deutschland (auch Deutsches Reich und Germany) 13, 15–17, 19, 22– 23, 60, 218, 253, 260, 266, 270, 291, 293–296, 305, 361n81, 378 Deutschordensstaat (auch Ordensland und Ordensstaat) 73–74, 379 Deventer 240, 346 Diepholz 238n83 Dietz, Ludwig (auch Ludowych Dyetz und Ludwick Deck) 36, 153, 157, 159–160, 165, 175, 177–178, 262, 347–349, 398, 400 Dobbertin 215–216 Doberan 129, 213, 215 Dömitz 90 Dordrecht 54 Dorothea von Montau (Heilige) 69 Dorothea von Sachsen-Lauenburg 272 Dorpat (auch Tartu) 231, 325, 330–333, 339 Dorpat, Universität 333, 337 Draconites, Johannes (auch Drach und Trach) 241 Düren 31 Dütschow 37–38
Dacke, Nils 356 Däne, Peter 64 Dänemark (auch Dänisches Reich, Denmark und Kingdom of Denmark-Norway) 10–11, 16, 59, 65, 165–166, 207, 251–277, 328, 347– 348, 350, 352–358, 367–368, 377– 388 Dalarna 348 Dalköpinge bei Trelleborg 64 Dançay, Charles 380, 387 Dambach im Böhmerwald 119 Dannhauer, Johann Conrad 316, 318
Eberstein-Naugard, Wolfgang von 232 Eberswalde 60 Ebsdorf 49 Eckstein, Johann Samuel 338 Eggerdes, Andreas 227–228, 234–235, 239 Eichsen 30–31 Eichstätt 240 Einsiedeln 30–31, 34, 55–56 Eitzen, Paul von 240 Elbe 56, 90, 116 Elbing 72 Elende 31, 58
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Eleonora Maria von Anhalt-Bernburg 89 Elia (Prophet) 89–90 Elisabeth (Heilige, Mutter Johannes des Täufers) 48 Elisabeth von Thüringen (Heilige) 99n75 Elisabeth I. (Königin von England, auch Elizabeth) 380 Elisabeth Wasa (Herzogin zu Mecklenburg, auch Vasa) 353–357, 364, 395 Elisracaeus, Walter (auch van Elsrach) 240 Elsass 31, 55 Embsen 50n73 Emden 238 Emsbüren bei Lingen 239 Emser, Hieronymus 205n30 England 10, 41, 165, 384, 402 Enköping 285 Erasmus von Rotterdam 224, 346, 349, 396–399, 402, 404 Erfurt 119, 176, 241 Erich II. (Herzog von BraunschweigLüneburg) 384 Erich (Herzog zu Mecklenburg) 232 Erici, Olaus (auch Elimaeus) 285–289, 292 Erik VII. (König von Dänemark, auch Erik/Erich von Pommern) 67n156, 252 Erik XIV. (König von Schweden) 312, 315, 379–381, 383–387 Estland 186, 286, 305, 325–339, 350 Eugen IV. (Papst) 70 Europa (auch Europe) 13, 16–18, 164, 238, 260–261, 269, 284, 358, 360, 366, 377–379, 383, 385, 393, 400 Faber, Ägidius 204–205, 208 Fabricius, Jacob 269–270 Falster 270, 275 Fecht, Johannes 318–319 Federow 65 Fehmarn 70 Felicius (Heiliger) 54
Ferber der Ältere, Augustin 257, 262– 264 Ferdinand I. (Kaiser) 205–206, 235, 236n77, 362, 379–381, 387 Ferrara 240 Fincken 72 Finisterrae 31 Finnland 16, 251n1, 283–296, 301, 306–309, 312, 315, 319, 334 Finno, Jacobus Petri (auch Jaako) 287, 290, 292, 312, 350 Fischer, Johann 332, 336–338 Flacius, Matthias 87, 267, 272 Fleming, Nicolaus 304–305 Fleming, Paul 328–329 Flensburg 238 Forselius, Andreas 331 Forselius, Bengt Gottfried 331 Forselius, Sophia (auch Sophie) 330– 331 Forsius, Sigfridus Aronus 294 Franck, Michael 260–262, 265 Frankfurt am Main 260, 354n55 Frankfurt an der Oder 240, 242–243, 260–261 Frankfurt an der Oder, Universität 227n25, 230–231, 260 Frankreich 32, 378, 380 Frederik I. (König von Dänemark, auch Friedrich) 206, 355 Frederik II. (König von Dänemark, auch Friedrich) 255–256, 268, 270– 271, 273–276, 353, 357, 379, 382– 384, 387–388 Frese, Laurentius Johannis 310 Freudemann, Anton 241 Freya 93 Friedland 201n11, 205–206 Friedrich (König von Schweden) 335 Friedrich III. (Kurfürst von der Pfalz) 356 Friedrich III. (Kurfürst von Sachsen, auch Friedrich der Weise) 201 Friedrich III. (Herzog von SchleswigHolstein-Gottorf) 328 Friesland 238n84
Register Friis, Jørgen 276–277 Friis von Borreby, Christian 273 Fritsch, Ahasver 336 Frobenius, Georg Ludwig 354 Fünen 65 Gabriel (Erzengel) 47, 126 Gävle (auch Gefle) 304, 313 Galenbeck 55n105 Gedicke, Lampert 336 Genf 17 Gent 66, 243 Georg (Herzog von Sachsen) 205 Georg von Mecklenburg 210 Georg Johann I. (Pfalzgraf von PfalzVeldenz, auch Georg Hans) 388n43 Georgii, Thomas 286 Gezelius der Ältere, Johannes 316 Gießen 318–319 Gießen, Universität 259, 318 Gilsheim der Ältere, Rembert 265 Gilsheim der Jüngere, Rembert 265 Glöde, Martin 225n12 Göttingen 243 Goldhahn, Anna Catharina 333–334 Gollen (auch Gollenberg bei Köslin, Colmen und Góra Chelmska) 30– 31, 33–35, 66–70 Gondulphus 50 Gotha 386 Gothus, Laurentius Paulinus 364 Gothus, Petrus Johannis (auch Johannes) 289, 351, 353–354, 391–404 Gotland 382 Gottsbüren (auch Gottesbüren) 31, 38n36, 61 Granvelle Antoine Perrenot de 213 Greifswald 30, 45n56, 48n71, 52, 54, 60, 64, 229–230, 240, 289–290, 331 Greifswald, Universität 259, 283, 289 Gressow 204 Grewe, Wilhelm 212 Grimmen 230 Gripswold, Joachim 242 Groningen 238 Grumbach, Wilhelm von 385–386
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Gryse, Nicolaus 34, 85–100, 106–107, 137, 139–142, 155, 175 Güstrow 29–31, 36, 61–64, 72, 89, 106, 116, 120, 141, 201n11, 205, 207, 216–217, 238, 256, 366 Guldenstern, Nicolaus 364 Gusa 260 Gustav I. Wasa (König von Schweden) 284, 306–307, 311, 315, 348, 353, 355–356, 360, 378–379, 383, 403 Gustav II. Adolf (König von Schweden) 292–293, 363 Gustav Adolf (Herzog zu Mecklenburg) 89 Gutterwitz, Andreas 262, 349–350 Gyllenstierna, Nils 381 Hadersleben 238 Hadrian VI. (Papst) 228n37 Häme 306, 308 Härkäpää, Ericus Matthäi (auch Herkepaeus) 310–313 Hainholz (bei Hannover) 31 Hakendal, Peter 137 Halikko 309 Halland 277 Halle 241 Halle, Universität 15 Hallervord, Johann 263–264 Hamburg 31, 174n7, 202, 234–235, 238, 240, 242, 261n52, 266–267, 327, 329 Hamsfort, Cornelius van (auch Amersfoort) 265 Hardenberg 31 Harlem, Egbert 228 Harz 56 Hausberge bei Minden 242 Havelberg 208, 231 Hegendorf, Christoph 239 Heidelberg 86 Heidelberg, Universität 259 Heilige Drei Könige 38, 48–50, 119 Heiligengrabe 30, 36, 56 Hein, Friedrich 243 Heinrich II. (König von England) 41
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Register
Heinrich XVI. (Herzog von Bayern) 52 Heinrich II. (Herzog zu BraunschweigLüneburg) 380–381, 384, 386 Heinrich V. (Herzog zu Mecklenburg) 92, 199–218, 232–233, 235, 355, 362 Helie, Paulus (auch Poul Helgesen) 348 Helmstedt 243, 332 Helmstedt, Universität 87, 231, 236, 259, 285, 291 Helsingius, Marcus Henrici 294 Helsingius, Petrus Petri 289 Helsinki 291, 294 Heltbergius, Hermannus 291 Hemmingsen, Niels (auch Nils) 267, 270–271, 349 Hermann Joseph (Heiliger) 55 s’Hertogenbosch 31 Heshusius, Tilemann (auch Hesshus) 86, 242, 267 Hildesheim 24, 31, 238 Hillemann, Martin 125, 145 Hiob (biblische Person) 396 Hirsch, Emanuel 361n81 Hiso, Johannes 239 Hitler, Adolf 23 Hoffmann, Johann 240 Holl, Karl 361n81 Holstein 231, 352, 379, 383–384 Holt, Johann von 125, 145 Honecker, Erich 14 Hottenberg bei Freienwalde 31 Hoya 238n83 Hoyer, Caspar 225n12 Hülfensberg bei Geismar (auch Sunt Hulpe) 58 Huitfeldt, Arild 256 Huls, Dietrich 227n37 Husum 238 Huswedel 276 Hutten, Ulrich von 346 Hutzing, Enoch 268 Hven 269 Indonesien 16 Ingelfingen 241, 243
Ingolstadt, Universität 232 Isidor von Sevilla 115n38 Island 251n1, 272 Italien (auch Italy) 239, 243, 260 Jacobi, Ericus 364 Jacobi, Sveno 346 Jakobsberg 56 Jelen, Katharina 97, 177 Jena 267, 312n50 Jena, Universität 15, 234n67, 236n77, 261n55, 269, 289 Jersin, Jens Dinesen 336 Jerusalem 24, 29, 31, 34, 59 Jesus Christus (auch Jesus, Christus, Heiland und Jesuskind) 37–38, 40, 42–44, 46–48, 50, 55, 57–59, 67, 70–71, 89, 92, 94–98, 117, 119, 141, 160n43, 163n47, 175, 177, 203, 209, 318, 402 Joachim I. (Kurfürst von Brandenburg) 205–206 Joachim II. (Kurfürst von Brandenburg) 210, 380–381, 388n43 Jodokus (Heiliger, auch Josse) 41, 54n91 Johann I. (auch Hans, König von Dänemark) 252 Johann III. (König von Schweden, auch Herzog Johann) 288, 290, 295, 313, 349, 351, 355–357, 359, 386–388, 393–394, 402–403 Johann II., Fürst von Werle 61 Johann der Jüngere, (Prinz von Dänemark, auch Hans) 272 Johann Albrecht I. (Herzog zu Mecklenburg) 210–211, 213–217, 235, 356, 362, 382–384 Johann Albrecht II. (Herzog zu Mecklenburg) 89 Johann Friedrich I. (Kurfürst von Sachsen) 202, 205 Johann Friedrich II. (Herzog zu Sachsen) 385–386 Johannes XXII. (Papst) 59 Johannes (Apostel) 37, 40, 88
Register Johannes der Täufer 42, 98, 203 Jona (Prophet) 85 Jonas, Justus 275 Josua (auch Joshua) 271 Judas (Apostel) 95–96, 106, 141 Julius (Herzog zu Braunschweig-Wolfenbüttel) 388n43 Jüterbog bei Magdeburg 243 Jütland (auch Jutland) 276 Juusten, Caspar Pauli 310 Juusten, Paulus Petri 286, 310, 312– 314 Kaas, Niels 272 Kärnten 386 Kammin 208 Kanada 16 Kantzow, Thomas 70 Karl der Große 42, 46–47 Karl V. (Kaiser) 211, 213, 362 Karl IX. (König von Schweden, auch Herzog Karl und Karl von Södermanland) 288, 290–291, 294–295, 349, 355, 359–360, 362–363, 393– 394 Karl XI. (König von Schweden) 332 Karl XII. (König von Schweden) 332– 333 Karl I. (Herzog zu Mecklenburg) 216 Karlstadt 241 Kegell, Georg 381–382 Kenz bei Barth 30–31, 35, 69–72 Kessin (auch Kessiner Berg) 114–115, 120–121 Kiel, Universität 231 Kielmann, Andreas 89 Kirchberg, Ernst von 61n124 Kirchhof, Lorenz 242 Kittel, Johannes 243 Kleve (auch Cleve) 239, 266 Klinge, Bartholomaeus 242 Kloet, Hans 62 Klützer Winkel 204 Knipstro, Johannes 230 Knoppert, Albert 240, 261n51, 265 Knoppert, Henrik 261
423
Knoppert, Johannes 260–261 Koblenz 242 Köln 29, 31, 38, 42, 48–50, 59, 154, 234–235, 239–242, 346, 398 Köln, Universität 227n25, 228n37, 234 Königsberg 240–242, 260, 350, 367 Königsberg, Universität 231, 234n67 Königslutter 31, 56, 58 Köslin 66, 68 Köster, Hans 262 Köster, Jacob 262 Konstantin I., der Große (römischer Kaiser) 209 Konstantinopel (auch Constantinople) 272 Kopenhagen (auch Copenhagen) 10, 206, 240–241, 251–277, 347, 349 Kopenhagen, Universität (auch University of Copenhagen) 10, 227n25, 232, 251–277 Kornelimünster 31 Krakau 154n8 Kramer, Heinrich 110–111 Krantz, Albert 223, 351 Krien 71 Kröpelin 123 Kroll, Sigismund 240 Kükenbieter, Joachim 209 Kurland 186, 305, 379 Kurpfalz 14 Kutzke, Nikolaus 208 Kyritz 231 La Bussiere (Côte d’Or) 45n59 Lætus, Erasmus 274 Lais 330–333, 335 Laitila 302–303, 305–309 Langen, Barthold 137–139 Laurbecchius, Isaacus Petri 317–319 Laurbecchius, Petrus 317–318 Laurelius, Olaus 286 Lauremberg, Johannes 268, 272 Lauremberg der Ältere, Wilhelm 268 Lauremberg der Jüngere, Wilhelm 268–269 Laurentii, Clemens 302
424
Register
Laurentius (Heiliger) 40 Leander, Gabriel Erici 302n2 Leeuwarden 238 Leiden 255, 332 Leipzig 239–243, 260, 262, 273, 346 Leipzig, Universität 15, 261n55, 283 Leiser, Polycarp 353 Lenzen 30, 56 Leo I. (Papst) 46 Leo X. (Papst) 233 Le Puy-en-Velay (Haute Loire) 45n59 Letalaby 308n33 Lettland 10, 326, 332 Leucorea, siehe Wittenberg, Universität Leupold, Simon 209, 216 Levetzow, Heinrich 227n25 Limburg 51 Lingen im Emsland 227n25, 239 Livland 32–33, 186, 305, 312n51, 325, 328, 330–334, 336–339, 379, 387– 388 Löwe, Nikolaus 227 Löwen (auch Leuven und Louvain) 31, 227n25, 228n37, 240–241, 252 London 67n157 Longolius, Gisbert (auch van Langerack) 227n24, 234, 240 Lothar III. von Supplinburg (Kaiser) 58 Lothmann, Eberhard 243 Lubinus, Eilhard 271 Lucius, Jacob 262, 263n62 Luckau 241–242 Lucke, Johann von (auch Lucanus) 210 Ludwig V. (Kurfürst von der Pfalz) 201 Ludwigslust-Parchim, Landkreis 37 Lübeck 31, 32n12, 35, 37n34, 46, 55, 61, 65–66, 70, 91, 153n2, 202–203, 234–235, 238, 241, 261n52, 270, 291, 332, 348–349, 355–356, 378, 380, 382–383, 385–388 Lübz 215 Lüneburg 50n73, 53–54, 234, 238, 242–243 Lüneburger Heide 49
Luskow, Joachim (Lutschow und Lussow) 128, 144 Luther, Martin 9, 13–26, 85–100, 130, 141, 153, 157, 160, 162–164, 171– 175, 179, 181, 202–204, 205n30, 213–214, 225, 254, 270, 275, 284, 287, 292, 303, 325, 347, 349–350, 358, 362, 397 Maaria 290 Maas 42, 55, 72 Maastricht 29, 31, 42, 50–52, 62, 67 Machabeus, Johannes (auch John MacAlpine) 267 Madagaskar 16 Maen, Jodocus (auch Mann) 240 Magdeburg 56, 86, 176–177, 179, 347n18 Magister Barthold (evangelischer Prediger) 131, 137–138 Magnus II. Eriksson (König von Schweden) 61 Magnus III. (Bischof von Schwerin, Herzog zu Mecklenburg) 201, 205, 208, 211, 213, 217, 228n37, 233 Magnus (Prinz von Dänemark) 272, 379 Mailand 48 Mainz, Universität 157 Major, Georg 267–268, 275 Malchin 52, 116n41, 201n11, 202, 205, 207 Malchow 65, 216 Malmö 347 Mancelius, Georg (auch Georgius) 186–187, 189–190, 195 Marburg 239, 241, 266, 346 Marcussen, Thor (auch Theodorus Marcius) 256–258 Margarethe I. (Königin von Dänemark) 67, 345 Maria, Mutter Jesu (auch Gottesmutter, Himmelskönigin und Mutter Gottes) 33, 35, 37, 40, 42–48, 50, 55, 67–68, 70–72, 119, 124, 177, 180 Mariazell 30
Register Marienburg 73 Mariendal 31 Marienehe bei Rostock 213, 215, 349 Marienwohlde bei Mölln 30–31 Markus (Evangelist, auch San Marco) 35 Marschalk, Nikolaus 36 Martin V. (Papst) 70 Martini, Andreas 241 Martini, Olaus 364 Marx, Reinhard Kardinal 24 Maskulainen, Hemminki 292 Mathesius der Jüngere, Johannes 257 Matthäus (Evangelist) 91 Mattson, Erik 286 Mattson, Eskil 349 Maximilian II. (Kaiser) 380–381, 385– 388 Mecklenburg 9–11, 30, 35, 56, 61, 63– 64, 74, 88, 92, 95, 118, 130, 175n14, 177, 199–200, 202–203, 205, 209, 211, 213–218, 229, 238, 260, 269– 270, 345, 355–356, 358, 362–364, 367, 391 Mecklenburgische Seenplatte (Landkreis) 62, 72 Mecklenburg-Strelitz 72 Mecklenburg-Vorpommern 39, 55, 65, 71 Meinrad (Heiliger) 55 Melanchthon, Philipp 86–87, 171, 213– 214, 225–227, 233–236, 254–255, 266–267, 270, 275, 310–312, 314, 358 Melartopaeus, Petrus Henrici (auch Mislepaeus) 302–304 Mensing, Bernhard 241 Meurer, Ignatius 349 Meyer, Hans 347 Michelsen, Christen 274 Middelburg 240, 265 Minden 238 Mitteldeutschland 206 Mitteleuropa (auch Zentraleuropa) 57, 367 Møinichen, Morten Sixten von 262
425
Møinichen, Sixtus Andersen von 262 Möllmann, Stephan (auch Möllemann und Müllmann) 86, 262, 271n101, 349–350, 396 Moller, Barthold 226n22 Moltke, Joachim 263–264 Moltzan, Bernd 70 Montessori, Maria 173 Montpellier 241, 266 Monulphus 50 Mortensen, Claus 347–348 Moskau 328 Motala 335 Motalaström 335, 337 Münstereifel 54 Münsterland 59 Müritz (Landkreis) 65 Musculus, Andreas 357n67 Mynämäki 308 Namibia 16 Narva 387 Nennius, Gerhard (auch Artopoeus und Becker) 241, 243 Nettelenblat, Jakob (auch Nettelbladt) 114, 135, 143, 145 Neubrandenburg 201n11, 205, 207, 218, 238, 243 Neuss 242 Never, Heinrich 202–203, 206 Niebuhr, Joachim (auch Nyebur und Nigebur) 96, 105–148 Niederlande 38n36, 66–67, 231, 235, 238, 240 Niedermünster 55 Niedersachsen 229, 238 Nigeria 16 Nijmegen 240 Nikolaus von Myra (Heiliger) 128 Nikolausberg bei Göttingen 31, 33, 58 Nordamerika 16, 18 Norddeutschland 8n9, 52, 90, 159, 165, 206, 231, 380, 382, 384, 386 Nordeuropa (auch Northern Europe) 157, 164, 251, 260, 262, 338, 346– 347, 349, 367, 378
426
Register
Nordsee 231 Norrköping 334–335, 338, 395 Norwegen (auch Norway) 16, 166, 253, 255, 271, 274 Novesianus, Wilhelm (auch von Neyß) 242 Noviomagus, Johannes (auch von Bronckhorst) 234, 240 Nürnberg (auch Nuremberg) 166, 176, 224, 240, 262 Nyborg 65 Nykøbing (auch Nyköping) 270, 312 Nystad (auch Uusikaupunki) 335, 339 Oberdeutschland 367 Oberländer, Martin 204 Obernkirchen 31 Oberpahlen (auch Pöltsamaa) 331 Odense 257, 348 Odilienberg 31, 55 Odysseus (auch Ulysses) 257 Oederquart 31 Oemeke, Gerd 210, 215 Örebro 294 Ösel 379 Oeseler, Jacob Philipp 239 Östergötland 334 Olav II. (König von Dänemark) 67n156 Olav Engelbrektsson (Erzbischof von Trondheim) 232n55 Oldenburg 231, 238n83 Oldendorp, Johann 125, 145, 146n98 Oldenstadt 49–50 Olearius, Adam 328 Opitz, Martin 329, 338 Oslo 258 Osnabrück 31, 241, 243 Ostdeutschland 90 Ostfriesland 231 Ostsee (auch Ostseeraum und Baltic Sea) 11, 31, 41, 188, 231, 260, 325– 326, 335, 345, 347, 354–356, 368, 377–379, 385 Overhausen 56 Ovid 260 Oxenstierna, Axel 286, 289
Oxenstierna, Gabriel 289 Oxenstierna, Gustav 289 Oxford 227n25 Paderborn 21 Padua (auch Padova) 240, 255 Panklow, Lorenz 242 Papua-Neuguinea 16 Parchim 201, 205–206, 208, 218, 238, 241 Paris 50n73, 53–54, 227n25, 228n37, 240–241, 266, 283 Parsberg, Manderup 273 Pauli, Heinrich 270 Pauli der Ältere, Simon 86, 242, 256– 257, 260, 275, 288 Pauli der Jüngere, Simon 269–270 Paulus (Apostel) 40, 58, 85, 97, 271 Pegel, Konrad (auch Conrad) 227–228, 233–234, 239 Pellemontanus, Johannes 239 Pelplin 215 Perleberg 30, 56, 231 Persien 328 Petri, Adam 164 Petri, Magnus 361n83 Petri, Olaus 398, 400–401, 403–404 Petrus (Apostel) 40, 50, 58, 85, 100 Pfalz 267 Philipp I. (Herzog von Pommern-Wolgast) 211, 355 Philipp II. (Herzog von Pommern) 70n175 Philipp I. (Landgraf von Hessen) 379– 380 Picardie 41 Pinnow bei Schwerin 65 Pirckheimer, Willibald 224 Pisa 243 Plön 31 Polen-Litauen (auch Polen) 328, 333, 359, 378–380, 384, 386–387, 394 Pommern (auch Hinterpommern und Pomerania) 30, 64–66, 67n156, 68, 74, 95, 230n46, 238, 260 Porvoo 289
Register Posselius der Ältere, Johannes 241, 272n111 Potentinus (Heiliger) 53–54 Poulsen Resen, Hans 271, 274 Prag (auch Prague) 260, 273, Prag, Universität 283 Preußen 31, 73, 109, 117, 148, 238, 242, 367 Prignitz 56 Pritzwalk 231 Pudagla 70 Püttnitz bei Damgarten 70 Pythää (auch Elimäki) 285 Quentel, Peter 154 Quistorp der Ältere, Johann 255 Quistorp der Jüngere, Johann 255 Rakow 31 Rambach, Johann Jakob 336 Rantzau, Heinrich 352–354, 357–358 Rathebur 71 Ratzeburg 31, 204, 208, 216, 238n81 Raue, Johann 268n94 Rauma 302 Reborch, Johannes 37–38 Regensburg 240 Reich, Altes (auch Reich, Heiliges Römisches und Reich) 10–11, 29, 38, 42, 72, 164, 199, 236, 238, 304, 310, 325–327, 356, 359–360, 362, 367, 377–388 Reich, Drittes 23 Reich, Osmanisches 334 Reinhard, Marten 347 Reinhold, Bernhard 94 Renate (Herzogin von Bayern, auch Renata) 385 Reusner der Ältere, Christoph 286, 329n21, 349–350 Reusner der Jüngere, Christoph 350 Reusner, Johann 350 Reval, siehe Tallinn Rhein 42, 72 Rheinland 56 Ribnitz 116–117, 203, 215–216
427
Riebling, Johann 208–209, 214 Rieger, Urban (auch Urbanus Rhegius) 91 Riga 31–32, 72, 131, 216, 231, 238, 262, 332–333, 337, 356 Ringsted 261 Rocamadour 31–32, 61 Röbel 201n11, 206 Rörer, Georg 87 Röseler, Matthaeus 241–242 Rom 14, 20–21, 29, 31, 33–34, 40, 56, 91, 110 Rosæfontanus, Petrus Parvus 252–253 Rosenkrantz, Holger 272–273 Rosenkrantz, Frederik 274 Roskilde 230, 387 Rostock (auch Stadt der Rosen) 9–11, 29, 30–74, 85–100, 105–148, 153, 155n12, 157, 175n10, 177–179, 185–196, 201n11, 202–203, 205n30, 206–207, 209, 214–218, 223–243, 251–277, 283–296, 301– 302, 304–305, 310–313, 316–319, 325, 327, 331–332, 338–339, 345– 357, 364, 367–368, 377–388, 391, 395–396, 398, 400–401, 403 Rostock, Universität (auch University of Rostock und Rostock University) 10, 34, 155n13, 186n3, 190, 194, 201, 211–212, 216, 223–243, 251– 277, 283–296, 301, 305, 308, 311, 325, 327, 330, 338, 345–346, 350– 351, 357–358, 368, 381, 388, 396 Rudbeck, Johannes 331 Rügen 230 Russland 328, 333, 379, 386 Ruuth, Bertil Pederson 291 Ruuth, Christianus Bartholdi 289–291 Ruuth, Johannes Bartholdi 291 Ruuth, Petrus Laurentii 291 Ruuth, Theodoricus Petri (auch Didrik Persson) 289–291 Sachs, Moritz 264n67, 268n94
428
Register
Sachsen (auch Kursachsen und Saxony) 14, 88, 199, 260, 271, 358, 385 Sachsen-Anhalt 14 Sachsen-Lauenburg 231, 238n82 Sääksmäki 308 Salo 308 Salzwedel 231 Santiago de Compostela (auch Santiago) 29, 31, 34–35, 39, 41, 56, 59, 61 Sarmstorf bei Güstrow 116 Sartor, Salomon 263–264 Sasse, Peter 243 Sastrow, Bartholomaeus 234n72 Schauenstein bei Hof 240 Scheffters, Zacharias 327 Schele, Joachim (auch Scheel) 269 Schele, Johann 38 Schleiden 241, 243 Schleswig 31, 231, 352 Schleswig-Holstein 238 Schmitt, Karl 212 Schneider, Nikolaus 23, 26 Schnepf, Erhard 234n67 Schöneich, Kaspar von 201, 225 Schone, Stephan 239 Schonen (auch Scania) 262 Schröder, Hermann 336 Schütz, Johann Jacob 336 Schwaan 326 Schwartau 31 Schweden (auch schwedisches Königreich, Schwedisches Reich, Schweden-Finnland und Sweden) 10–11, 16, 64, 86, 252–253, 277, 283–285, 291, 293, 295–296, 302, 304, 309, 312–313, 315, 318–319, 325–326, 328, 331, 333–334, 336, 339, 345– 368, 377–388, 391–404 Schweiz 31, 55–56 Schwerin (auch Swerin) 30–31, 35, 72, 134, 201, 204, 207, 209, 214, 216– 218, 233, 238, 242, 275 Scriver, Christian 334–336 Seehausen 65
Seeland (auch Zealand) 274 Servatius (Heiliger) 50–53, 62 Sevel 276 Siebenecker, Lorenz 240 Sigismund II. August (König von Polen) 384, 386 Sigismund III. (König von Polen und Schweden) 291, 294–295, 359–360, 363, 394, 402–404 Simplicius (Heiliger) 54 Skandinavien (auch Scandinavian countries und Scandinavia) 11, 41, 59, 64, 165n55, 238, 251, 255, 260, 262, 293, 339, 345–346, 354, 358, 367–368, 378, 383 Skara 346 Skavbo, Laurits Klausen (auch Laurentius Nicolai Scavenius) 274 Skjelderup, Jens 271 Skovgaard, Frederik 273 Slaggert, Lambrecht 204 Slüter, Joachim 9–10, 85–100, 105– 106, 123, 131–133, 136–144, 147, 154–155, 159, 165–166, 171–181, 202–203, 254, 346–348, 350, 396, 398–401, 404 Småland 356 Smedenstede, Heinrich (auch Smedenstedt) 226, 233, 240 Snell, Johann 348 Söderköping 396 Södermanland 355, 361n83 Sophia von Schleswig-Holstein-Gottorf (auch Sophie) 269 Sophie von Mecklenburg (Königin von Dänemark) 270, 274–275 Sorø 264n67, 268, 270, 272 Sorola 305–306, 308 Sorolainen, Ericus Erici 286–288, 290, 301–319 Sorolainen, Ericus Jacobi 305–308 Sorolainen, Gregorius 308–309 Sorolainen, Nicolaus Erici 308 Sorolainen, Petrus Erici (auch Petrosa) 309–310 Spandemager, Hans Olufsen 165
Register Spangenberg, Cyriacus 396–397 Spangenberg, Johann 397, 399 Spanien (auch Hispanien) 35, 365n101, 378, 384 Sparre, Erik 352–353, 364 Spener, Philipp Jacob 318–319, 332, 336 Speratus, Paul 154 St. Adrian bei Sluis 31 St. Hulpe bei Geismar 31 St. Jakob bei Stade 31 St. Josse-sur-Mer 31, 40–41, 54n91 St. Nicolas-de-Port 31 St. Servatius in Selent 31 St. Severin in Nordjütland 31 Stade 57–59, 66, 238 Staphylus, Friedrich 234n67 Stargard in Pommern 60, 214, 218 Stavanger 274 Steinfeld bei Broderstorf 109, 148 Steinfeld in der Eifel 42, 53–55 Stenbeke, Petrus 230 Stendal 231 Stephani, Joachim 365, 366n102 Stephanus (Heiliger) 40 Sternberg 29–31, 35–36, 60n121, 64– 65, 70, 130, 201n11, 204–205, 207, 211, 213, 362 Stettin 72, 357, 386–388 Stigtornta 361n83 Stockholm 10, 277, 286, 290, 292–293, 309, 311, 329n21, 331, 334–335, 338, 347–350, 353–354, 357n67, 395, 398, 400–401 Stöckelmann, Johann 262, 349 Strängnäs (auch Stregnensis) 304, 312 Stralsund 31, 45n56, 52, 59, 64–67, 69, 72, 230, 238, 264n67, 355, 386 Straßburg (auch Strasbourg) 21, 166, 176, 267, 318 Stratagaeus, Peter (auch Capitanaeus) 226n24 Strevius, Heinrich 243 Stringel, Victorin 267 Strömfeld, Gustav Adolf 334 Stromberg 31, 56, 59–60
429
Strubbe, Johannes 234, 240 Sturm, Nicolaus 179 Sturmius, Johannes 286 Stuttgart 18 Südafrika 22 Südamerika 110n19 Sülten 65 Swarnekow, Jochim 106–107 Sysmä 292 Täyssinä 291 Taivassalo 308–309 Takel, Lambert 227, 234 Tallinn (auch Reval) 31, 231, 238, 327– 331, 333, 339, 350, 379 Tammisaari 294 Tangermünde 56, 231 Tansania 16 Tarnow, Johann 255 Tarnow, Paul 193–194, 255 Taube, Berendt Wilhelm 333 Tausen, Hans 252 Techen, Heinrich 141 Teitti, Jaakko (auch Jacobus Laurenti Teitt) 308n33, 310–311 Temme, Dorothea 329–330 Tempzin 30–31, 215 Teterow 119, 201n11, 207 Tetzel, Johann 20 Tetzen, Johann 225n12 Thann 31, 33, 35 Thelkow 120 Theobaldus (Heiliger) 30, 35 Theophilius, Klaus 274 Thüringen 242 Tilesius, Nathanael 288, 316 Toitenwinkel 37 Tøndebinder, Claus Mortensen 165 Torgau 233 Tournai 47–48 Tratziger, Adam 240 Treitschke, Heinrich von 16 Trempen, Albert 225n12 Trempen, Jacob 225n12 Tribsees 230 Trient 86
430
Register
Trier 31, 228 Tristfer (auch Kadrina) 329–330, 339 Trondheim 31, 33 Tübingen 239, 241, 243 Tunnichaeus, Johannes (auch Tönnich und Tunnecken) 242 Turku (auch Aboënsis) 283–296, 301– 302, 304, 310–313, 317, 319 Tymen, Johann 127 Ueckermünde 262 Uelzen (Landkreis) 49–50 Ulfeldt, Jacob 354 Ulrich III. (Herzog zu Mecklenburg, auch Ulrich I., Administrator des Bistums Schwerin) 210–211, 216– 217, 235, 268, 358, 384 Ulrich (Prinz von Dänemark, als Ulrich II. Administrator des Bistums Schwerin) 275–276 Ulrich (Prinz von Dänemark, als Ulrich III. Administrator des Bistums Schwerin) 276 Ulrika Eleonora (Königin von Schweden) 335 Ulstadius, Laurentius 319 Ulvsson, Jakob 348 Umeå 330 Uppsala 284, 288–289, 309, 315, 359– 367 Uppsala, Universität 232, 252, 283, 285, 289, 294, 309, 349, 391 Ursula (Herzogin zu Mecklenburg) 215 Usedom 70 Utrecht 238, 240 Uusimaa (auch Nyland) 285, 334, 339 Vadstena 31 Västerås 331, 347 Vätternsee 335 Valence 240, 265 Vanen 31 Vastseliina (auch Neuhausen) 31 Varberg 277 Varsinais-Suomi 307, 309 Velbert bei Essen 239
Venedien 242 Venedig 66n150 Venetus, Georg (auch von Venediger) 242 Verden 31, 238n83 Vereinigte Staaten (auch USA) 16–17 Veronika (Heilige) 40 Viborg 276 Vienne 31 Vilnius 309 Vorpommern 71–72 Vorpommern-Greifswald (Landkreis) 56, 71 Vrilde, Gerhard 225n12, 226n22 Vulpius der Ältere, Heinrich 327 Waldkirch, Henrik 263 Wallenstein, Albrecht von 276 Walram (Erzbischof von Köln) 54 Walsingham 31 Walter, Johann 153n3 Wangelin, Heinrich von (Bischof von Schwerin) 229 Wardenburg bei Oldenburg 31 Waren 201n11, 206 Warenius, Heinrich 241 Warkentin, Johann von 61 Warin 201, 217 Warlin 62 Warnemünde 39 Warnowstadt, siehe Rostock Wegelius der Jüngere, Johannes 314 Weichsel 384 Weimarer Republik 23 Welpius, Heinrich (auch Wulf) 227n25, 234, 239 Wenden 209–210, 214, 218 Werben 56 Werden bei Essen 239 Wesel 242 Wesling, Andreas 241 Westeuropa 164, 378 Westfalen 59–60, 229, 231, 238 Wiborg (auch Wyborg) 283–296, 312– 313, 317 Wien (auch Vienna) 260
Register Wien, Universität 227n25 Wierland 329–330 Wietstock 55n105, 56 Wilsnack 29–31, 34–36, 56–57, 61, 70, 72 Winstrup, Peder 271, 274 Wismar 41, 59, 92, 112n27, 201n11, 202–203, 206–207, 209, 218, 238– 239, 243, 327, 355 Wittenberg 9, 14, 17, 19–21, 25, 86–87, 90, 153n3, 166, 176, 213, 227n25, 233, 235, 239–243, 251n1, 252– 253, 257, 261n55, 267, 270, 271n101, 272–273, 275, 285–286, 289, 294, 302n5, 304–305, 310– 312, 325, 335, 353, 367, 397 Wittenberg, Universität 21, 255, 258– 259, 284–285, 287–288, 295, 333, 346
431
Wittstock (auch Wietstock) 55n105– 56, 231, 238 Woldegk 201n11, 207 Wolmar 328 Worm, Ole 264 Württemberg 199, 267 Wurtzler, Joseph 242 Wusseken bei Köslin 30 Ypern 46–47 Ystad 262 Zamora 31 Zeger, Thomas 239, 266 Zilly bei Halberstadt 243 Zülpich 54 Zwickau 239 Zwolle 238, 240–241, 265