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German Pages 246 Year 2023
Schriften zum Internationalen Recht Band 239
Verkehrssicherungspflichten von Netzdienstanbietern in der Volksrepublik China unter besonderer Berücksichtigung der E-Commerce-Plattform-Betreiber
Von
Anne Sophie Ortmanns
Duncker & Humblot · Berlin
ANNE SOPHIE ORTMANNS
Verkehrssicherungspflichten von Netzdienstanbietern in der Volksrepublik China unter besonderer Berücksichtigung der E-Commerce-Plattform-Betreiber
Schriften zum Internationalen Recht Band 239
Verkehrssicherungspflichten von Netzdienstanbietern in der Volksrepublik China unter besonderer Berücksichtigung der E-Commerce-Plattform-Betreiber
Von
Anne Sophie Ortmanns
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany
ISSN 0720-7646 ISBN 978-3-428-18934-2 (Print) ISBN 978-3-428-58934-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2022/23 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Meiner Doktormutter, Frau Professorin Dr. Yuanshi Bu, LL.M. (Harvard), danke ich sehr herzlich für die Betreuung meiner Dissertation, die Gewährung wissenschaftlicher Freiheit bei der Wahl und Erarbeitung des Themas sowie die Einbindung in weitere wissenschaftliche Projekte zum chinesischen Recht. Bei Herrn Professor Dr. Maximilian Haedicke, LL.M. (Georgetown) bedanke ich mich ausdrücklich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Professor Dr. Knut Benjamin Pißler, M.A., wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg und Professor für chinesisches Recht an der Universität Göttingen, bin ich für zahlreiche wertvolle Hinweise zu großem Dank verpflichtet. Besonderer Dank gilt zudem allen meinen Chinesischlehrerinnen und -lehrern, die mir seit der Schulzeit Kenntnisse der chinesischen Sprache vermittelt haben. Darüber hinaus danke ich der Studienstiftung des deutschen Volkes, die es mir durch die Aufnahme in das China-Stipendien-Programm ermöglicht hat, meine Chinesischkenntnisse an der Nanjing University erheblich zu vertiefen, und so zum Gelingen dieser Arbeit maßgeblich beigetragen hat. Für die Aufnahme in die Schriftenreihe „Schriften zum internationalen Recht“ danke ich dem Verlag Duncker & Humblot. Ferner möchte ich der Deutsch-Chinesischen Juristenvereinigung e.V. meinen herzlichen Dank für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses aussprechen. Danken möchte ich weiterhin dem Institut für Internationales Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt Ostasien der Universität Freiburg. Hervorzuheben sind an dieser Stelle meine Büronachbarn Yang-Hun Chung und Anne-Marie Rückel, denen ich herzlich für ihre stete Gesprächsbereitschaft und die äußerst angenehme Arbeitsatmosphäre danke. Dagmar Zeblin danke ich sehr für ihr jederzeit offenes Ohr und die vielen bestärkenden Worte. Großer Dank gebührt ferner Liao Ruili, Maja Ruhl, Reiner Thieme und Dr. Vincent Winkler für ihre wissenschaftliche Neugier sowie einen in fachlicher wie persönlicher Hinsicht überaus gewinnbringenden Austausch während der gesamten Arbeit an meiner Dissertation. Namentlich möchte ich mich auch bei Robin Bein, Dr. Marius Müller, Daniela Schmidt und Jevgenia Tarassova herzlich für ihren emotionalen Rückhalt vor und während der Verwirklichung dieses Projektes bedanken. Nicht zuletzt danke ich Chen Min, Liao Ruili, Song Jing und Wang Bijing:
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Vorwort
Sie haben meine Begeisterung für die chinesische Sprache und Kultur jenseits der Arbeit mit rechtswissenschaftlichen Texten fortleben lassen. Herausragender Dank gilt schließlich meiner Schwester und insbesondere meinen Eltern, die mich in der Schulzeit nicht nur in meinem Entschluss bestärkt haben, intensiv Chinesisch zu lernen, sondern mich bis zum Abschluss meiner Promotion fortwährend in allen Situationen bedingungslos unterstützt haben. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Freiburg im Breisgau, März 2023
Anne Sophie Ortmanns
Inhaltsverzeichnis 1. Teil Einführung
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1. Kapitel Einleitung
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A. Die rechtliche Verantwortung von Netzdienstanbietern im Gefüge staatlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 B. Ausgestaltung der zivilrechtlichen Verantwortung von Netzdienstanbietern . . . . . . . 27 C. Ausblick auf die folgende Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
2. Kapitel Stand der Forschung, Ziel, Methode und Gang der Untersuchung 30 A. Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 B. Eigener Beitrag zum Forschungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 C. Methode der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
3. Kapitel Begrifflicher Gegenstand der Untersuchung 35 A. Verkehrssicherungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I. Hintergründe des Instituts der Verkehrssicherungspflicht im chinesischen Recht 37 II. Besondere Verkehrssicherungspflichten und allgemeine Verkehrssicherungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 III. Rechtsprechung über die Abgrenzung eigener und mittelbarer Rechtsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Entscheidung der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
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Inhaltsverzeichnis
B. Berechtigte und Verpflichtete der im Internet geltenden Verkehrspflichten . . . . . . . 44 I. Netznutzer, E-Commerce-Betreiber und Dienstleistungssubjekte . . . . . . . . . . . 44 1. Netznutzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. E-Commerce-Betreiber und Dienstleistungssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 II. Netzdienstanbieter und E-Commerce-Plattform-Betreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Begriffsbestimmung des Netzdienstanbieters durch das OVG . . . . . . . . . . . . 46 a) Differenzierung zwischen Webtechnologiedienst- und Webinhaltsdienstanbietern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Auswirkungen auf die Haftungsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Charakteristika des E-Commerce-Plattform-Betreibers . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Anforderungen an die Eigenschaft als E-Commerce-Plattform-Betreiber 49 b) Der E-Commerce-Plattform-Betreiber als Mittler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 c) Der E-Commerce-Plattform-Betreiber als Mitgestalter des Handels . . . . . 50 3. Grenzfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Rechtsprechung über Miniprogrammplattformdienste . . . . . . . . . . . . . . . . 52 aa) Sachverhalt und Parteivortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 bb) Entscheidung des Internetgerichts Hangzhou . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 cc) Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Rechtsprechung über Cloud-Dienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 bb) Entscheidung des erstinstanzlich zuständigen Gerichts . . . . . . . . . . . 57 cc) Entscheidung des zweitinstanzlich zuständigen Gerichts . . . . . . . . . . 58 (1) Die Alibaba Cloud Ltd. als Netzdienstanbieterin i. S. v. § 36 DelHaftG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (2) Haftung der Alibaba Cloud Ltd. nach § 36 Abs. 2 DelHaftG . . . . 59 dd) Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 III. Netznutzer, Dienstleistungssubjekte und auf E-Commerce-Plattformen tätige Betreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 IV. Andere E-Commerce-Betreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
Inhaltsverzeichnis
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2. Teil Die Verkehrspflichten im Rahmen des Notice and Takedown-Verfahrens
65
4. Kapitel Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht 65 A. Übernahme des Notice and Takedown-Verfahrens in das chinesische Recht . . . . . . . 66 I. Das Notice and Takedown-Verfahren im US-amerikanischen Recht . . . . . . . . . 66 1. Verfahrensvoraussetzungen und Rechte bei falschen Benachrichtigungen . . 67 2. Haftung für die Nichtergreifung der notwendigen Maßnahmen . . . . . . . . . . . 68 II. Hintergründe und Ablauf des Notice and Takedown-Verfahrens im chinesischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Anfänge und Hintergründe der Übernahme in das chinesische Recht . . . . . . 70 2. §§ 14 ff. und 20 ff. SRVI-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 a) Ablauf des Notice and Takedown-Verfahrens der §§ 14 ff. SRVI-VO . . . . 72 b) Die Safe Harbor-Bestimmungen der §§ 22 f. SRVI-VO . . . . . . . . . . . . . . 73 c) Rechtsdogmatisches Verständnis der §§ 22 f. SRVI-VO . . . . . . . . . . . . . . 74 3. § 36 Abs. 2 DelHaftG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 a) Reichweite der Benachrichtigungsregel des DelHaftG . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Rechtsdogmatisches Verständnis von § 36 Abs. 2 DelHaftG . . . . . . . . . . . 77 c) Pflicht zur Weiterleitung als notwendige Maßnahme i. S. v. § 36 Abs. 2 DelHaftG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4. Das Notice and Takedown-Verfahren der §§ 1195 f. ZGB und §§ 42 f. ECG 80 a) Wesentlicher Inhalt der §§ 1195 f. ZGB und §§ 42 f. ECG . . . . . . . . . . . . 81 aa) Inhalt der Benachrichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 bb) Anforderungen an die zu erbringenden Anfangsbeweise . . . . . . . . . . 83 cc) Weiterleitungspflicht des Netzdienstanbieters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 dd) Notwendigkeit und Angemessenheit der zu ergreifenden Maßnahmen 85 ee) Unverzüglichkeit der zu ergreifenden Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . 87 b) Das Recht zur Gegenanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 aa) Zweck des Rechts zur Gegenanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 bb) Pflicht des Netzdienstanbieters zur Weiterleitung der Gegenanzeige
90
cc) Haftung für die unvollständige Durchführung des Gegenanzeigeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (1) § 1194 S. 1 ZGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (2) Haftung nach § 1165 Abs. 1 ZGB i. V. m. § 1172 ZGB . . . . . . . . 93 B. Rechtsfolge der Haftung der Netzdienstanbieter nach dem ZGB und ECG . . . . . . . 95 I. Dogmatisches Verständnis der Haftungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Verständnis des OVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Verständnis von § 1195 Abs. 2 ZGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
12
Inhaltsverzeichnis b) Verhältnis zwischen § 1195 Abs. 2 ZGB und § 1197 ZGB . . . . . . . . . . . . 98 2. Missverständnis des Safe Harbor-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3. Mögliche Ursachen für das Missverständnis des Safe Harbor-Modells . . . . 100 4. Haftungsbegründungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Folgen des Haftungsbegründungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Kritik an dem Haftungsbegründungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 c) Verschuldensbestimmung im Rahmen des Haftungsbegründungsmodells 105 d) Rechtspolitische Erwägungen für das Haftungsbegründungsmodell . . . . . 106 II. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Das Safe Harbor-Modell im chinesischen Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Ursache für das Missverständnis der Safe Harbor-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 III. Haftung für die nicht erfolgte Weiterleitung der Benachrichtigung . . . . . . . . . . 111
C. Haftung des Absenders falscher Benachrichtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Hintergründe der Haftungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 II. Subjektive Anforderungen an die Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 III. Kriterien zur Feststellung der Arglistigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 IV. Arglistige Sendung von Gegenanzeigen i. S. d. § 43 ECG . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 D. Vergleich der alten und neuen Regelungen des Notice and Takedown-Verfahrens 117 I. Anwendungsverhältnis zwischen dem ZGB und dem ECG . . . . . . . . . . . . . . . . 117 II. Anwendungsverhältnis zwischen der SRVI-VO, dem ECG und dem ZGB . . . . 118 III. Anwendungsverhältnis zwischen den justiziellen Auslegungen des OVG . . . . . 118 IV. Die notwendigen Maßnahmen i. S. d. ZGB, ECG und der SRVI-VO . . . . . . . . . 119 V. Das Recht zur Gegenanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 VI. Der safe harbor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 VII. Haftung des Absenders falscher Benachrichtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 E. Gesamtanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 I. Ausweitung des Anwendungsbereichs des Notice and Takedown-Verfahrens 121 1. Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2. Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 II. Regelung der Weiterleitungspflicht des Netzdienstanbieters . . . . . . . . . . . . . . . 126 III. Regelung der Haftung für falsche Benachrichtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 IV. Exkurs: Die Benachrichtigungsregel im Gefüge des einstweiligen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Interessenungleichgewicht zwischen Rechtsinhabern und Schädigern . . . . . 129 2. § 9 OVG IP E-Commerce i. V. m. §§ 100 f. ZPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3. Änderungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
Inhaltsverzeichnis
13
3. Teil Aktive Prüf- und Sicherungspflichten
138
5. Kapitel Die Wissensregeln des DelHaftG, ZGB, ECG und der SRVI-VO 138 A. Gesetzgebungshistorische Hintergründe zu § 36 Abs. 3 DelHaftG . . . . . . . . . . . . . . 139 B. Neuregelung in § 1197 ZGB und § 45 ECG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 C. Die Pflicht nach § 38 Abs. 1 ECG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 D. Bestimmung des Wissens und Wissenmüssens durch die Gerichte . . . . . . . . . . . . . . 143 I. Begriffliche Klärung durch das OVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. Begriffliche Klärung in der Kommentierung des OVG . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2. § 6 OVG Informationsnetze I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 3. § 8 f. OVG Informationsnetze II und § 9 OVG Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . 146 4. § 11 OVG IP E-Commerce . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 II. Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. Urteil des Gerichts für geistiges Eigentum Beijing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Entscheidung des zweitinstanzlichen Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Rechtsstreit CBCGDF ./. Alibaba et al. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 a) Sachverhalt und Klägervortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 b) Beklagtenvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 c) Entscheidung des Mittleren Volksgerichts Hangzhou . . . . . . . . . . . . . . . . 152 d) Entscheidung des Oberen Volksgerichts Zhejiang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 e) Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 E. § 1197 ZGB und § 45 ECG als Ausdruck des US-amerikanischen Red Flag-Tests 155 I. Chance zur Abkehr von dem US-amerikanischen Red Flag-Test? . . . . . . . . . . 155 II. Einschränkungen des Grundsatzes der Verschuldenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . 156 III. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
6. Kapitel Die Pflichten von E-Commerce-Plattform-Betreibern gemäß § 38 Abs. 2 ECG 160 A. Die Prüfpflicht i. S. v. § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 I. Prüfungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 II. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
14
Inhaltsverzeichnis
B. Die Pflicht zur Gewährleistung der Sicherheit nach § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG . . . . . . 165 I. Tatsächliche Hintergründe für die Schaffung des § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG . . . . 165 II. § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG als allgemeine Verkehrspflicht für den E-Commerce 166 C. Auslegung der in § 38 Abs. 2 ECG geregelten Pflichten im Einzelnen . . . . . . . . . . . 168 I. § 38 Abs. 2 ECG als Zusammenfassung anderer gesetzlicher Pflichten . . . . . . 168 II. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 III. Das Verhältnis von § 38 Abs. 2 ECG zu § 1198 ZGB und § 18 Abs. 2 VSG . . 170 1. Anwendbarkeit von § 38 Abs. 2 ECG neben § 1198 ZGB . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Argumente für die Anwendbarkeit von § 38 Abs. 2 ECG neben § 1198 ZGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) Exklusivitätsverhältnis zwischen § 38 Abs. 2 ECG und § 1198 ZGB . . . . 173 2. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 D. Entsprechende Haftung nach § 38 Abs. 2 ECG als Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . 175 I. Gesetzgebungshistorische Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 II. Die entsprechende Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Verständnis der entsprechenden Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Die entsprechende Haftung als gesamtschuldnerische Haftung . . . . . . . . 177 b) Die entsprechende Haftung als anteilige Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 c) Die entsprechende Haftung als entsprechende Ergänzungshaftung . . . . . . 179 2. Ausgleichsanspruch des Plattformbetreibers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 3. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 E. Abgrenzung von § 38 Abs. 1 und Abs. 2 ECG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 I. Anwendungsbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 1. Sachverhalt und mögliche Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2. Abgrenzung anhand zeitlicher Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3. Abgrenzung anhand der Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung . . . . . . . . . 184 4. Entscheidung des Fallbeispiels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 II. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
4. Teil Schlussbetrachtung
189
7. Kapitel Resümee, Thesen und Handlungsempfehlungen
189
A. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 B. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 C. Handlungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Inhaltsverzeichnis
15
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Gesetzesverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Normenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. a. E. a. F. AGB AGZR ARSP ATZR AusfVO-MarkG Az. BGB BGH BM Internetinformationsdienste BM Onlinehandel I BM Onlinehandel II BM Urheberrecht Internet BT ZGB Cal. L. Rev. chin. CLSR Colum. J.L. & Arts CSG CTLR DelHaftG d. h. DMCA dt. ECG EFFL engl. Fn. GesG GGG GRUR H. R. IP J. Copyr. Soc. U.S.A.
anderer Ansicht Amtsblatt am Ende alte Fassung Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeine Grundsätze des Zivilrechts der VR China Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (Zeitschrift) Allgemeiner Teil des Zivilrechts der VR China Ausführungsverordnung zum Markengesetz der VR China Aktenzeichen Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Behördliche Maßnahmen für Internetinformationsdienste Behördliche Maßnahmen zur Überwachung und Verwaltung des Onlinehandels Behördliche Maßnahmen zur Untersuchung und Behandlung von Verstößen gegen die Lebensmittelsicherheit im Internet Behördliche Maßnahmen zum administrativen Schutz des Urheberrechts im Internet Besonderer Teil der Zivilrechtskodifikation der VR China California Law Review chinesisch (-e, -er, -es) Computer Law and Security Review (Zeitschrift) The Columbia Journal of Law & the Arts Cybersicherheitsgesetz der VR China Computer and Telecommunications Law Review (Zeitschrift) Gesetz der VR China über die deliktische Haftung das heißt U.S. Digital Millennium Copyright Act deutsch(-e, -er, -es) Gesetz über den E-Commerce der VR China European Food and Feed Law Review (Zeitschrift) englisch(-e, -er, -es) Fußnote Gesellschaftsgesetz der VR China Gesetzgebungsgesetz der VR China Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten von Amerika intellectual property Journal of the Copyright Society of the U.S.A.
Abkürzungsverzeichnis Journal of Changzhou University Journal of Chongqing University Journal of Chongqing University of PT Journal of Chongqing University of Technology Journal of Dalian University of Technology Journal of Fujian Normal University Journal of Shanghai University of Political Science and Law Journal of University of Science and Technology Beijing Journal of Yunnan University JuS Kap. krit. LSG Ltd. MarkG Mio. Mrd. MTLR m. w. N. n. F. NJW NVK OVG OVG Informationsnetze I
OVG Informationsnetze II
OVG IP E-Commerce OVG-Replik IP Internet
17
Journal of Changzhou University (Social Science Edition) Journal of Chongqing University (Social Science Edition) Journal of Chongqing University of Posts and Telecommunications (Social Science Edition) Journal of Chonqing University of Technology (Social Science Edition) Journal of Dalian University of Technology (Social Sciences) Journal of Fujian Normal University (Philosophy and Social Sciences Edition) Journal of Shanghai University of Political Science and Law (The Rule of Law Forum) Journal of University of Science and Technology Beijing (Social Science Edition) Journal of Yunnan University (Law Edition) Juristische Schulung (Zeitschrift) Kapitel kritisch Gesetz der VR China über die Lebensmittelsicherheit Limited Company (Kapitalgesellschaftsform) Markengesetz der VR China Million(en) Milliarde(n) Michigan Technology Law Review mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nationaler Volkskongress der VR China Oberstes Volksgericht der VR China Bestimmungen des OVG zu einigen Fragen der Rechtsanwendung bei der Behandlung ziviler Streitfälle über die Verletzung von persönlichen Rechten und Interessen durch die Nutzung von Informationsnetzwerken Bestimmungen des OVG zu verschiedenen Fragen der Rechtsanwendung bei der Verhandlung ziviler Streitfälle, die eine Verletzung des Rechts auf Verbreitung durch Informationsnetze betreffen Bekanntmachung des OVG über die Herausgabe von Leitlinien für die Verhandlung von Zivilprozessen über geistiges Eigentum, an denen E-Commerce-Plattformen beteiligt sind Replik des OVG zu verschiedenen Fragen der Rechtsanwendung bei Streitigkeiten über die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums im Internet
18 OVG Urheberrecht
Abkürzungsverzeichnis
Auslegung des OVG über die Anwendung von Gesetzen bei der Verhandlung zivilrechtlicher Streitigkeiten über das Urheberrecht OVStA Oberste Volksstaatsanwaltschaft PatG Patentgesetz der VR China RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rep. Report RIW Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Science of Law (Zeitschrift) Science of Law (Journal of Northwest University of Political Science and Law) SLPR Stanford Law & Policy Review (Zeitschrift) SRVI-VO Verordnung zum Schutz des Rechts auf Verbreitung durch Informationsnetzwerke StGB Strafgesetzbuch s. u. siehe unten u. a. unter anderem/-n UrhG Urheberrechtsgesetz der VR China Urt. Urteil UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb der VR China v. vom VersR Versicherungsrecht (Zeitschrift) VG Vertragsgesetz der VR China VR China Volksrepublik China VSG Gesetz der VR China zum Schutz der Rechte und Interessen von Verbrauchern WG Werbegesetz der VR China Wuhan University Law Wuhan University Journal (Philosophy and Social Science) Journal ZChinR Zeitschrift für Chinesisches Recht ZGB Zivilgesetzbuch der VR China ZPG Zivilprozessgesetz der VR China
1. Teil
Einführung 1. Kapitel
Einleitung Mit einem Umsatz von etwa 2,64 Billionen US-Dollar im Jahr 2021 ist die VR China der weltweit führende E-Commerce-Markt, und eine Fortsetzung dieses Trends ist im Lichte der rapiden technologischen Entwicklung des Landes trotz der derzeitigen globalen Krisen auch in den kommenden Jahren zu erwarten.1 Dabei hat sich der Wandel vom Offline- zum Onlinehandel in keinem anderen Land der Welt so rasant vollzogen wie in der VR China und erstreckt sich auf sämtliche Lebensbereiche.2 So ist die Zahl sog. Taobao villages3 von 212 registrierten Dörfern im Jahr 2014 auf 3.202 im Jahr 2018 angewachsen.4 Neben dem Onlinehandel nimmt die VR China eine Vorreiterrolle bei der Zurverfügungstellung anderer digitaler Dienste ein, die aus dem alltäglichen Leben der chinesischen Bevölkerung nicht mehr wegzudenken und in den letzten Jahren in einer Vielzahl neuartiger Erscheinungsformen wie beispielsweise sog. Livestreamings5 zutage getreten sind. Diese digitale Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft führt angesichts der Anonymität und Reichweite des Internets zu einem starken Anstieg online begangener Rechtsverletzungen wie der Verbreitung urheberrechtsverletzender Werke und des Verkaufs 1 Lohmeier, „E-Commerce-Umsatz im Einzelhandel in China in den Jahren 2018 bis 2021 sowie eine Prognose bis 2026“, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/237852/umfrage/ umsatz-des-e-commerce-in-china/, zuletzt eingesehen am 25. 5. 2023. Im Jahr 2026 wird mit einem Umsatz von 3,99 Billionen US-Dollar gerechnet. 2 Xu Tian/Engelhardt, ZChinR 2020/2, 126, 137. 3 AliResearch, der Forschungszweig der Alibaba Group, definiert diese als reale Dörfer, in denen jährlich ein Mindestumsatz im E-Commerce von 10 Mio. Yuan generiert wird und mindestens 100 aktive Onlineshops auf der von der Alibaba Group betriebenen E-CommercePlattform Taobao existieren, vgl. Wang Jing, „Taobao Villages Driving ,Inclusive Growth‘ in Rural China“, https://www.alizila.com/taobao-villages-driving-inclusive-growth-rural-china/, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022. 4 Kong, in: Song/Zhou/Hurst (Hrsg.), The Chinese Economic Transformation: Views from Young Economists, 2019, S. 134. 5 Über diese Seiten werden in Echtzeit Inhalte verschiedener Art übertragen. Streamingseiten gehören in der Zwischenzeit zu der populärsten Art von Internetseiten in der VR China, Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 10.
20
1. Teil: Einführung
gefälschter Waren.6 Dabei ist in den letzten Jahren insbesondere die Problematik, inwieweit neben den unmittelbaren Schädigern auch E-Commerce-Plattform-Betreiber und andere Netzdienstanbieter7 rechtlich zur Verantwortung gezogen werden, zunehmend in den Fokus des chinesischen Gesetzgebers geraten. Emotional an Fahrt aufgenommen hat der Diskurs über die Verantwortlichkeit von Netzdienstanbietern durch Fälle wie jenen, in dem ein über die Ridehailing-Plattform8 DiDi vermittelter Fahrer die 20-jährige Zhao Peichen9 im August 2018 in der kreisfreien Stadt Yueqing vergewaltigte und ermordete.10 Bereits seit den 2000er-Jahren haben der Gesetzgeber, das OVG und die Behörden diese Entwicklung im Blick und mit dem Erlass diverser Gesetze, justizieller Auslegungen11 und behördlicher Maßnahmen auf sie reagiert. Gesetzlicher Meilenstein ist die sog. „Internetklausel“12 des am 1. 7. 2010 in Kraft getretenen § 36 DelHaftG. Diese wurde durch die inhaltlich angepassten und detaillierteren, am 1. 1. 2021 in Kraft getretenen §§ 1194 ff. der ersten zusammenhängenden Zivilrechtskodifikation in der Geschichte der VR China13 ersetzt, vgl. § 1260 ZGB. Was andere Netzdienstanbieter betrifft, ist daneben vor allem die am 1. 3. 2013 in Kraft getretene Verordnung zum Schutz des Rechts auf Verbreitung durch Informationsnetzwerke im Bereich des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts von Bedeutung. Speziell mit Blick auf den E-Commerce zeigt das am 1. 1. 2019 in Kraft getretene Gesetz über den E-Commerce der VR China, in dem die Rechtsverhältnisse der am E-Commerce Beteiligten in grundlegender Weise geregelt werden,14 dass der chinesische Ge6 Vgl. Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 2; Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 137, ist der Auffassung, dass im Internet begangene deliktische Handlungen zu den am häufigsten begangenen in der modernen Gesellschaft geworden seien. 7 Zur Definition der Netzdienstanbieter s. u., 3. Kap., B. II. Netzdienstanbieter und ECommerce-Plattform-Betreiber. 8 Durch diese Plattformen werden Personen vermittelt, die mit privaten Kfz Beförderungsdienste anbieten. Bekannte US-amerikanische Beispiele sind Uber und Lyft. 9 Chinesische Namen werden in dieser Arbeit in der Reihenfolge Nachname Vorname angegeben, da dies dem gängigen chinesischen Sprachduktus entspricht. 10 Ma Gengxin, Oriental Law 2021/2, 86, 87. 11 Diese, durch das OVG und die OVStA erlassenen Auslegungen gehören zur konkreten Anwendung des Rechts bei der Rechtsprechung bzw. der Arbeit der Staatsanwaltschaft. Sie müssen hauptsächlich auf konkrete gesetzliche Paragrafen gerichtet sein und mit dem Zweck, den Prinzipien und dem ursprünglichen Willen der Gesetzgebung übereinstimmen, § 104 Abs. 1 S. 1 GGG. Durch dieses, in drei verschiedenen Formen auftretende Instrument werden allgemein gehaltene Vorschriften konkretisiert, Regelungslücken geschlossen und den Gerichten wird Orientierungshilfe bei der Anwendung neuer Gesetze geleistet, Bu, Einführung in das Recht Chinas, 2017, § 4 Rn. 3 f.; zu Einzelheiten und Hintergründen der justiziellen Auslegungen auch Ahl, ZChinR 2007/3, 251, 251 ff. 12 , Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 52. 13 Vgl. Su Yeong-chin, in: Bu (Hrsg.), Das chinesische Zivilgesetzbuch – Gesamtstruktur und Einzelfragen, 2022, S. 69, 70. 14 So bezeichnet Yang Lixin, Journal of Shandong University (Philosophy and Social Sciences) 2019/2, 110, 110, das ECG als „Grundgesetz für Transaktionen im E-Commerce“
1. Kap.: Einleitung
21
setzgeber sich der zunehmenden Bedeutung des E-Commerce für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung des Landes bewusst ist. Das E-Commerce-Gesetz ist das erste rechtsgebietsübergreifende Gesetz zum E-Commerce15 und wurde gemäß § 1 ECG erlassen, „um die Rechte und Interessen aller am E-Commerce beteiligten Subjekte zu gewährleisten, das Verhalten im E-Commerce zu regeln, die Marktordnung zu wahren und die anhaltende und gesunde Entwicklung des E-Commerce zu fördern.“16 Erklärtes Ziel des Gesetzgebers mit Erlass dieses Gesetzes war dabei im Besonderen die Regulierung von E-Commerce-Plattformen durch die Festlegung der Pflichten ihrer Betreiber.17 Hintergrund des neueren Regulierungsbestrebens des chinesischen Gesetzgebers auf internationaler Ebene ist auch das im Januar 2020 von der VR China und den USA unterzeichnete, als Phase One Trade Agreement bezeichnete Wirtschafts- und Handelsabkommen18, das in Abschnitt E Produkt- und Markenpiraterie auf E-Commerce-Plattformen thematisiert und im Lichte des in den letzten Jahren zwischen den USA und China geführten Handelsstreits als bedeutender Etappensieg gewertet wird.19 Gegenstand der folgenden Arbeit ist die Analyse der in den chinesischen Vorschriften normierten deliktischen Verkehrssicherungspflichten mit Fokus auf dem Immaterialgüterrecht.
); auch von dem „Grundgesetz des E-Commerce“ ist die Rede ( bei Li Xiaocao, Journal of Law Application 2020/13, 124, 126. 15 Vgl. Chen Xing/Yang Xiaoyi, Journal of Chongqing University of PT 2020/4, 36, 36, die das Gesetz wörtlich als erstes „gebietsübergreifendes Gesetz“ ( ) bezeichnen. 16 Originalwortlaut s. Anhang, Normenverzeichnis. 17 Verfassungs- und Rechtsausschuss des NVK, „Bericht über die Umstände der Revision des Entwurfs des ECG“ [ ( ) ], http://www.npc.gov.cn/zgrdw/npc/lfzt/rlyw/201808/31/content_2060824.htm, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022. 18 Economic And Trade Agreement Between The Government Of The United States Of America And The Government Of The People’s Republic Of China, abrufbar unter https://ustr. gov/sites/default/files/files/agreements/phase%20one%20agreement/Economic_And_Trade_ Agreement_Between_The_United_States_And_China_Text.pdf, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022. 19 So Xu Tian/Engelhardt, ZChinR 2020/2, 126, 126.
22
1. Teil: Einführung Übersicht über die wichtigsten relevanten Rechtsquellen
Rechtsquelle Gesetzliche Regelungen §§ 1194 – 1197 ZGB; vormals § 36 DelHaftG20 §§ 38 Abs. 1, 83 ECG21
§§ 38 Abs. 2, 83, 85 ECG22
§§ 42 – 45, 84 ECG23
§ 44 Abs. 1 S. 2 VSG
20
Sachlicher Anwendungsbereich
Persönlicher Anwendungsbereich
Schutz ziviler Rechte und Interessen anderer
alle Arten von Netzdienstan- 1. 1. 2021 bietern, die nicht durch das ECG und die SRVI-VO erfasst sind E-Commerce-Plattform-Be1. 1. 2019 treiber i. S. v. § 9 Abs. 2 ECG; Verbraucher; auf der Plattform tätige Betreiber i. S. v. § 9 Abs. 3 ECG
Pflicht zum Schutz der Rechte und Interessen von Verbrauchern, insbesondere Gewährleistung der persönlichen Sicherheit oder Vermögenssicherheit bei Waren und Dienstleistungen Prüfpflicht hinsichtlich der Qualifikation auf der Plattform tätiger Betreiber bei Waren und Dienstleistungen mit Bezug zu Leben oder Gesundheit von Verbrauchern; Pflicht zur Gewährleistung der Sicherheit der Verbraucher Pflicht zum Schutz von Rechten des geistigen Eigentums
Pflicht zur Herausgabe der Kontaktinformationen des auf der Plattform tätigen Betreibers, der die Rechte oder Interessen eines Verbrauchers geschädigt hat
Zeitpunkt des Inkrafttretens
E-Commerce-Plattform-Be1. 1. 2019 treiber i. S. v. § 9 Abs. 2 ECG; Verbraucher; auf der Plattform tätige Betreiber i. S. v. § 9 Abs. 3 ECG
E-Commerce-Plattform-Be1. 1. 2019 treiber i. S. v. § 9 Abs. 2 ECG; auf der Plattform tätige Betreiber i. S. v. § 9 Abs. 3 ECG; Berechtige an Rechten des geistigen Eigentums Betreiber von Internet-Han15. 3. 2014 delsplattformen24 ; Verbraucher
Mit Inkrafttreten des ZGB am 1. 1. 2021 aufgehoben, vgl. § 1260 ZGB. Hier ist das ordnungsrechtliche Haftungspendant geregelt. 22 S. o., Fn. 21. 23 S. o., Fn. 21. 24 . Im VSG selbst wird dieser nicht definiert, es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Definition mit der des E-Commerce-Plattform-Betreibers in § 9 Abs. 2 ECG übereinstimmt. Keine Differenzierung trifft insoweit etwa auch Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 70 ff. Zur Definition des E-Commerce-Plattform-Betreibers ausführlich unten, 3. Kap., B. II. 2. Charakteristika des E-Commerce-Plattform-Betreibers. 21
1. Kap.: Einleitung Rechtsquelle § 44 Abs. 2 VSG
§ 131 Abs. 1 LSG a. E.
§ 131 Abs. 2 LSG
Regelungen in Verordnungen §§ 14 ff., 20 ff. SRVI-VO
Justizielle Auslegungen des OVG OVG Informationsnetze I
OVG Informationsnetze II
25
23
Sachlicher Anwendungsbereich Pflicht zur Ergreifung notwendiger Abhilfemaßnahmen bei Kenntnis oder Kennenmüssen von Rechtsverletzungen, die unter Ausnutzung der Plattform begangen werden Registrierungs-, Untersuchungs- und Meldepflicht; Pflicht zur Einstellung der erbrachten Dienste bei gravierenden Rechtsverletzungen zur gesamtschuldnerischen Haftung mit dem Lebensmittelhändler Pflicht zur Herausgabe der Kontaktinformationen des auf der Plattform tätigen Betreibers, der die Rechte oder Interessen eines Nutzers geschädigt hat
Persönlicher Anwendungsbereich Betreiber von Internet-Handelsplattformen25 ; Verbraucher
Zeitpunkt des Inkrafttretens 15. 3. 2014
Betreiber von Drittplattformen zum Onlinehandel mit Lebensmitteln; auf der Plattform tätige Betreiber
29. 4. 2021
Betreiber von Drittplattformen zum Onlinehandel mit Lebensmitteln; auf der Plattform tätige Betreiber; Nutzer der Plattform
29. 4. 2021
Schutz des Rechts auf Verbreitung durch Informationsnetze
Urheberrechtsinhaber, s. im Einzelnen § 1; Netzdienstanbieter, s. im Einzelnen §§ 14, 20
1. 3. 2013
Schutz von persönlichen Rechten und Interessen wie dem Recht am eigenen Namen, Titel, auf Schutz des Rufs, der Ehre, des eigenen Bildes oder auf Privatsphäre in Informationsnetzen, § 1 Schutz des Rechts auf Verbreitung durch Informationsnetze26
Inhaber der in § 1 genannten Rechte; Netzdienstanbieter; Netznutzer
1. 1. 2021
Netzdienstanbieter und Netznutzer; Inhaber von Verbreitungsrechten, vgl. § 3
1. 1. 201327
S. o., Fn. 24. In § 6 werden Informationsnetze neben dem Internet definiert als Rundfunk- und Fernsehnetze, feste Kommunikationsnetze und mobile Kommunikationsnetze mit Computern, Fernsehgeräten, Festnetztelefonen, Mobiltelefonen und anderen elektronischen Geräten als Empfangsgeräten sowie der Öffentlichkeit zugängliche lokale Netze. 27 Teilweise geändert durch die am 29. 12. 2020 verkündete und am 1. 1. 2021 in Kraft getretene „Entscheidung des OVG zur Revision von achtzehn justiziellen Auslegungen zum geistigen Eigentum einschließlich der ,Justizielle[n] Auslegung des OVG zu verschiedenen Fragen der Rechtsanwendung bei der Verhandlung von Streitigkeiten über die Verletzung von Patentrechten (II)‘“ ( ( ) ). 26
24
1. Teil: Einführung
Rechtsquelle OVG IP E-Commerce
OVG-Replik28 IP Internet
Behördliche Maßnahmen BM Internetinformationsdienste BM Onlinehandel I
BM Onlinehandel II
BM Urheberrecht Internet
Sachlicher Anwendungsbereich Schutz von Rechten des geistigen Eigentums auf ECommerce-Plattformen Schutz von Rechten des geistigen Eigentums im Internet
Internetinformationsdienste, §1 Verkauf von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen im Internet oder durch andere Informationsnetze, § 2 Abs. 1; § 2 Abs. 2 schließt soziale Netzwerke und Livestreamings explizit ein Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit im Internet, §1
Persönlicher Anwendungsbereich E-Commerce-Plattform-Betreiber und auf Plattformen tätige Betreiber i. S. v. § 9 Abs. 2 und Abs. 3 ECG, vgl. § 2 E-Commerce-Plattform-Betreiber und andere Netzdienstanbieter; Berechtigte an Rechten des geistigen Eigentums und Verletzende von Rechten des geistigen Eigentums, vgl. § 1
Zeitpunkt des Inkrafttretens 10. 9. 2020
14. 9. 2020
Anbieter von Internet8. 1. 2011 informationsdiensten, § 2 Handeltreibende im Internet,29 1. 5. 2021 s. im Einzelnen § 7
Drittplattformen zum Online- 1. 6. 2021 handel mit Lebensmitteln; Lebensmittelhersteller und -händler, die sich am Handel durch die Drittplattformen oder selbst eingerichtete Webseiten beteiligen, § 2 Schutz des Rechts auf VerAnbieter automatischer Up30. 5. 2005 breitung durch Informations- load-, Speicher-, Verlinkungsnetze, § 1 oder Suchdienste für Werke oder audiovisuelle Aufzeichnungen, § 2 Abs. 1
A. Die rechtliche Verantwortung von Netzdienstanbietern im Gefüge staatlichen Handelns Bei der Betrachtung der rechtlichen Regulierung des Internets stellt sich unweigerlich die Frage nach dem durch den Gesetzgeber gewählten Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Regulierung. Wurde der Verbraucherschutz in China früher noch als originär staatliche Aufgabe gesehen und 28
Eine solche Replik ( ) ergeht, wenn ein Oberes Volksgericht oder ein Militärgericht das OVG um eine Stellungnahme zur Rechtsanwendung in einem konkreten Fall ersucht, Bu, Einführung in das Recht Chinas, 2017, § 4 Rn. 4. 29 .
1. Kap.: Einleitung
25
hielt man die Ausübung von Regulierungsbefugnissen durch Private mit dem Anschein öffentlicher Gewalt im Lichte möglicher Interessenkonflikte für unverantwortlich, so hat sich dieses Verständnis im Zuge der Entwicklung der „sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung“ und der Entstehung von E-CommercePlattformen im Besonderen gewandelt.30 Die in § 6 ECG geregelte Rolle des Staatsrats bei der Übernahme von Verantwortung für die Entwicklung des E-Commerce umfasst die Überwachung und Verwaltung der Pflichterfüllung von ECommerce-Plattform-Betreibern.31 Der Pflicht des Staates zur Gewährleistung der Sicherheit von E-Commerce-Plattformen wird zudem als grundrechtlicher Schutzpflicht Bedeutung beigemessen.32 In der Zwischenzeit sieht man jedoch zugleich die Notwendigkeit, Plattformen in die Regulierung des Rechtsverkehrs im Internet einzubeziehen. Dabei wird die gesamtgesellschaftliche Verantwortung des Plattformbetreibers mit dem aus seiner Tätigkeit resultierenden Profit legitimiert33 und besonders in sensiblen Bereichen wie der Lebensmittelsicherheit34 und dem Umweltschutz35 betont. Plattformbetreiber erfüllen damit gleichsam eine Doppelrolle. Sie fungieren zum einen als eigenverantwortliche Marktsubjekte, die den Staat bei der Prävention und Verfolgung rechtswidrigen Handelns unterstützen,36 zum anderen als Subjekte staatlicher Kontrolle.37 Im Einklang mit diesem Verständnis ist in § 7 30 Vgl. Yao Hui/Que Zibing, Seeking Truth 2020/4, 90, 95, die auf S. 101 zwar ebenfalls auf die Gefahren privater Rechtsdurchsetzung von Plattformbetreibern hinweisen, zugleich indes auch Beispiele aus der Rechtsprechung nennen, die zeigen, dass eine effektive Kontrolle der Plattformen durch die Verwaltungsbehörden und die Justiz funktioniert. Zu der in jüngster Vergangenheit tendenziell eher wieder erstarkenden Rolle des Staates beim Verbraucherschutz insgesamt Pißler, ZChinR 2019/4, 355, 372. 31 Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 285. 32 Zeng Lei/Jin Yuanyuan, Social Sciences in Shenzhen 2022/3, 116, 117. 33 Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 2. 34 Xiao Pinghui, EFFL 2018/4, 313, 320. 35 S. hierzu unten, 5. Kap., D. II. 2. Rechtsstreit CBCGDF ./. Alibaba et al. 36 S. zu der Durchführung staatlicher Aufgaben durch Private im Einzelnen Gao Qinwei, ECUPL Journal 2014/1, 38, 38 ff. Das Potenzial der Einbeziehung der Plattformen in die repressive Tätigkeit des Staates betont auch Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 68, der zugleich auf die Gefahr hinweist, dass Plattformbetreiber jenseits des für sie tatsächlich Möglichen für Rechtsverstöße haftbar gemacht werden, die über die Plattform begangen werden. 37 Vgl. auch Xiao Pinghui, EFFL 2018/4, 313, 320 f.; Yao Hui/Que Zibing, Seeking Truth 2020/4, 90, 95 sowie das Urteil des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai ( ), Az.: 2018 01 6286 . Zur Bedeutung der chinesischen Aktenzeichen instruktiv Pißler, in: Pißler (Hrsg.), Handbuch des chinesischen Zivilprozessrechts, 2018, S. 23 ff. Das Gericht stellte fest, dass die beteiligte E-Commerce-Plattform einerseits die Pflicht zur Gewährleistung der Ordnung und Sicherheit von Transaktionen habe, ihr andererseits aber auch das Recht zustehen müsse, Regeln über Qualitäts- und Sicherheitsstandards von Waren und Dienstleistungen und den Schutz der Rechte und Interessen von Verbrauchern sowie die Art und Weise der Streitbeilegung und die Sanktionen für Rechtsverstöße festzulegen. Die grundsätzliche Notwendigkeit der Einbeziehung privater Plattformen zur Regulierung des E-Commerce betonen angesichts der Größe des im Internet im Umlauf befindlichen Transaktionsvolumens und der Nähe der Plattformbetreiber zu den Händlern und Informa-
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1. Teil: Einführung
ECG vorgesehen, dass der Staat ein den Besonderheiten des E-Commerce entsprechendes System der gemeinsamen Verwaltung errichtet und die Bildung eines Systems der Regulierung des E-Commerce-Marktes vorantreibt, an dem unter anderem die zuständigen Abteilungen und E-Commerce-Betreiber38 gemeinsam teilnehmen. Im Lichte der hier anklingenden Synergien zwischen staatlichen Organisationen und Privaten im E-Commerce ist im chinesischen Schrifttum von einem „Kooperationsverhältnis“ zwischen E-Commerce-Plattform-Betreibern und den zuständigen staatlichen Behörden die Rede.39 Mit ihrer regulierenden Funktion wird gerechtfertigt, dass Plattformbetreibern quasi-legislative und verwaltungsrechtliche Befugnisse eingeräumt werden;40 auf der Durchsetzungsebene wird nach wie vor zwischen behördlichen Maßnahmen und jenen von Plattformbetreibern differenziert, die nicht in demselben Maße an notwendige gesetzliche Verfahrensvorschriften gebunden sind.41 Im Rahmen dieses kooperativ-partizipativen Regulierungskonzepts wird zugleich betont, dass letzte Instanz für die Beilegung von Streitigkeiten immer noch die Gerichte seien, da die Mechanismen für eine ausschließlich kooperative, soziale Regulierung der Plattformen und Verwaltung ungeachtet ihrer Zunahme zur Regulierung des E-Commerce nicht ausreichten.42 Die Überlappung von Privatrecht und öffentlichem Recht tionen über sie sowie ihrer Technologie auch Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 68, und Dai Xin/Shen Xinwang, China Law Review 2016/4, 89, 100. 38 Der Oberbegriff des E-Commerce-Betreibers umfasst gemäß § 9 Abs. 1 ECG auch ECommerce-Plattform-Betreiber, hierzu ausführlich s. u., 3. Kap., B. I. 2. E-Commerce-Betreiber und Dienstleistungssubjekte. 39 Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 285; vgl. auch Yao Hui/Que Zibing, Seeking Truth 2020/4, 90, 101. 40 Jirimutu, Tribune of Social Sciences 2021/4, 130, 137. Ausdruck dessen sei auch § 32 ECG, der den Plattformbetreibern die Festlegung von Handelsregeln und einer Dienstleistungsvereinbarung auferlegt. Da diese nur die Vertragsparteien binden, ist jedoch zweifelhaft, inwieweit insoweit von quasi-legislativen und verwaltungsrechtlichen Befugnissen der Plattformbetreiber die Rede sein kann. Xiao Pinghui, EFFL 2018/4, 313, 320, bezeichnet ECommerce-Plattformen, über die Lebensmittel vertrieben werden, als „super institution[s] with three separate powers (legislative, executive and judicial powers) in one“, da sie eigene Regeln für die auf ihnen tätigen Betreiber aufstellten, diese durch eigene Sanktionsmaßnahmen durchsetzten und eine Rolle bei der Streitbeilegung übernähmen. 41 Yao Hui/Que Zibing, Seeking Truth 2020/4, 90, 97, die dies durchaus problematisch sehen, da Nutzer insoweit auch nicht denselben verfahrensrechtlichen Schutz wie bei behördlichen Maßnahmen genössen. Zhao Peng, ECUPL Journal 2017/1, 60, 67 und Liu Jinrui, Oriental Law 2017/4, 84, 92, kritisieren zudem, dass Behörden durch die Abwälzung regulatorischer Pflichten auf private Plattformen Verantwortung entzogen werde und die Plattformen sich so unangemessenen Belastungen ausgesetzt sähen; krit. insoweit bzgl. der Sicherungspflicht des § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG auch Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 113. Auch Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 71, konstatiert, private Plattformbetreiber könnten staatliche Behörden bei der Regulierung des E-Commerce nicht ersetzen, sondern nur durch die Möglichkeit der Prüfung mit geringeren Kosten und technischen Vorteilen sowie einem leichteren Zugang zu Informationen unterstützend tätig werden. Du Ying, Electronics Intellectual Property 2021/4, 4, 12. 42 Du Ying, Electronics Intellectual Property 2021/4, 4, 12.
1. Kap.: Einleitung
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im Bereich der Haftung von Netzdienstanbietern und darunter E-Commerce-Plattform-Betreibern im Besonderen steht in engem Zusammenhang mit dieser Funktionsteilung, die im Rahmen des gewählten kooperativen Regulierungsmodells stattfindet, sowie der ausgeprägten staatlichen Aufsicht über Bereiche, die das Leben und die Gesundheit betreffen. Ausdruck der Entschlossenheit des Gesetzgebers, gegen E-Commerce-Plattform-Betreiber vorzugehen, die es versäumen, die erforderlichen Maßnahmen gegen die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums zu ergreifen, ist auch Art. 1.14 Nr. 1 in Abschnitt E des Phase One Trade Agreements zwischen China und den USA43. Somit besteht das neue Regulierungsparadigma der VR China im Antlitz des globalen Wettbewerbs um einen gleichermaßen Schutz bietenden wie wachstumsfördernden Regulierungsrahmen einerseits darin, Netzdienstanbieter als Partner bei der staatlichen Regulierung zu sehen, denen eine zentrale Rolle an der Schnittstelle zwischen den einzelnen Beteiligten zukommt. Andererseits sieht der Gesetzgeber durch den Wandel des E-Commerce-Plattform-Betreibers von einem bloßen Vermittler zu einem Gestalter des Onlinehandels tendenziell die Notwendigkeit einer Haftungsverschärfung.44
B. Ausgestaltung der zivilrechtlichen Verantwortung von Netzdienstanbietern Die Herausforderung bei der zivilrechtlichen Regelung der Haftung von Netzdienstanbietern liegt darin, eine Vielzahl konfligierender Interessen in Ausgleich zu bringen. Je komplexer ein Gefüge aus verschiedenen Interessen und je ausgeprägter das Machtgefälle zwischen den verschiedenen Beteiligten ist, desto weniger ist dabei die Selbstregulierung als primitivster Mechanismus der Ordnungsbildung und gleichsam Naturzustand45 dazu geeignet, dem Bedürfnis nach der Herstellung eines Interessenausgleichs gerecht zu werden.46 Die Haftung von Netzdienstanbietern wird rechtspolitisch mit den aus ihrer organisatorischen Komplexität resultierenden Risiken für die Beteiligten begründet und ebnso mit den Einnahmen, die sie durch Werbung und Wertsteigerungsdienste erzielen.47 Zu den im Einzelnen zu berück43
S. o., Fn. 18. Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 68. Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 73, stellt diese Beobachtung auch im Hinblick auf andere Netzdienstanbieter an und sieht eine allmähliche Verschiebung der gesetzgeberischen Maßnahmen von einem Schutz der Informationsindustrie hin zu einer verstärkten Aufrechterhaltung der Netzsicherheit. 45 Du Ying, Electronics Intellectual Property 2021/4, 4, 12. 46 S. zu der Rolle des Netzdienstanbieters als Subjekt staatlicher Kontrolle auch oben unter A. Die rechtliche Verantwortung von Netzdienstanbietern im Gefüge staatlichen Handelns. 47 Xue Jun, China Information Security 2020/10, 81, 82 f., der festhält, die Übernahme von Verkehrssicherungspflichten durch Netzdienstanbieter entspreche geradezu der inneren Logik des Konzepts der Verkehrssicherungspflicht; vgl. auch Zhang Xinbao, Journal of Law Appli44
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1. Teil: Einführung
sichtigenden Interessen bei der Ausgestaltung der zivilrechtlichen Haftung gehört das Interesse der Netzdienstanbieter an Pflichten, deren Erfüllung sich im Rahmen des technisch Möglichen bewegen. Wenngleich die fortschreitende Entwicklung künstlicher Intelligenz auch bei der Filterung potenziell rechtsverletzender Inhalte im Internet für Erleichterung gesorgt hat,48 bleibt eine umfassende Prüfung angesichts der sich über Internetplattformen ergießenden Datenflut für Netzdienstanbieter eine kaum zu bewältigende Herausforderung.49 Dies gilt vor allem für technisch über weniger Möglichkeiten verfügende kleinere Plattformen, sodass es notwendig erscheint, abstrakte Rechtssätze durch die Verwendung weit gefasster Rechtsbegriffe individuell nachzujustieren, um einzelfallgerechte Ergebnisse zu erzielen. Mit diesen Interessen der Netzdienstanbieter sind das Interesse der Netznutzer an dem Schutz ihrer zivilen Rechte und dem freien Zugang zu bereitgestellten Diensten sowie das Interesse von Inhaltsanbietern und E-Commerce-Betreibern an einer möglichst störungsfreien Entfaltung ihrer unternehmerischen Tätigkeit in Ausgleich zu bringen. Dabei ist die Frage nach der Haftung von Netzdienstanbietern für Geschädigte auch deswegen von Interesse, weil sich die Identifikation der unmittelbaren Schädiger aufgrund der Möglichkeit zur Nutzung von VPN-Diensten und der so geschaffenen Anonymität oft schwierig oder gar unmöglich gestaltet.50 Von besonderer Relevanz ist die Frage nach der konkreten rechtlichen Ausgestaltung der Haftung von Netzdienstanbietern für Geschädigte vor allem auch, weil Netzdienstanbieter gegenüber direkten Schädigern oftmals die solventeren Anspruchsgegner sein dürften. Das Ziel des Gesetzgebers war es, mit diesem Wissen das Spannungsfeld, das aus dem Wunsch nach Innovationsförderung einerseits und dem Schutz schwächerer Parteien andererseits resultiert, durch die Schaffung eines fein nuancierten, der sozioökonomischen Entwicklung zuträglichen Regelungsregimes abzumildern.51 Die folgende Untersuchung thematisiert den Versuch des Gesetzgebers an diesem Balanceakt. Die deliktsrechtlichen Verkehrssicherungspflichten bilden die rechtliche Grundlage bei der Ausgestaltung der zivilrechtlichen Haftung von Netzdienstanbietern.52 Hintergrund hierfür ist, dass Netzdienstanbieter selbst in der Regel keinen direkten Tatbeitrag zu den auf der Plattform begangenen Rechtsverletzungen leisten. cation (Judicial Case) 2018/12, 98, 101; Liu Wenjie, Peking University Law Journal 2012/2, 395, 403. 48 Hierzu ausführlich unter 6. Kapitel: Die Pflichten von E-Commerce-Plattform-Betreibern gemäß § 38 Abs. 2 ECG. 49 So auch Ling Yao Fan/Yu Ling, Competition Policy Research 2021/6, 47, 53; Xue Jun, China Information Security 2020/10, 81, 84, der beispielhaft anführt, dass die Zurechnung des aus einem Unfall resultierenden Schadens, der sich während einer Reise ereignet, welche über eine Internetplattform gebucht wurde, eine unangemessene Ausweitung der rechtlichen Verantwortung des Plattformbetreibers darstellen würde. 50 Vgl. auch Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 139. 51 Li Xiaocao, Journal of Law Application 2020/13, 124, 126. 52 Vgl. Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 68.
1. Kap.: Einleitung
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Bei den meisten dieser Pflichten, die auch aus Sicht des chinesischen Zivilrechtswissenschaftlers als Verkehrssicherungspflichten53 bezeichnet werden, wird die Rechtsfolge der gesamtschuldnerischen Haftung des Netzdienstanbieters mit dem unmittelbaren Schädiger angeordnet. Dies liegt darin begründet, dass das Verhalten des Netzdienstanbieters als Beihilfe zur Rechtsverletzung des unmittelbaren Schädigers verstanden wird.54 Diese wird konkret darin gesehen, dass der Netzdienstanbieter durch die Benachrichtigung eines Rechtsinhabers oder unabhängig hiervon von der Rechtsverletzung weiß oder hätte wissen müssen und dennoch keine Maßnahmen zur Abhilfe ergreift.55
C. Ausblick auf die folgende Untersuchung Gegenstand dieser Arbeit sind die terminologische Klärung relevanter Rechtsbegriffe sowie die Aufbereitung der zwischen den einschlägigen Vorschriften bestehenden Anwendungsverhältnisse. Im Rahmen der Begriffsbestimmung wird im Besonderen untersucht, wie das Konzept besonderer Verkehrssicherungspflichten und einer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht im chinesischen Recht verstanden und wie neuartige Erscheinungsformen von Netzdienstanbietern rechtlich eingeordnet werden. Im Fokus der Untersuchung steht das sog. Notice and TakedownVerfahren56, das für das urheberrechtliche Verbreitungsrecht und das Immaterialgüterrecht insgesamt jeweils spezialgesetzlich geregelt ist und durch die §§ 1194 ff. auf sämtliche zivilen Rechte ausgeweitet wurde. Dieses Verfahren bietet Nutzern die Möglichkeit, Netzdienstanbietern über deren Plattform begangene Verletzungen 53
Hierzu ausführlich s. u., 3. Kap., A. Verkehrssicherungspflicht. Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 135; krit. Feng Chuqi, Journal of Law Application 2020/14, 71, 73 f. m. w. N., die die hierdurch faktisch erfolgte Anerkennung einer „fahrlässigen Beihilfehandlung“ unter Rekurs auf das deutsche Recht als dogmatisch unschlüssig bezeichnet. Von einem Fall deliktischer Beihilfe sprechen auch das OVG, Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 282, die Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 121, Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern, 2018, S. 102 f. Feng Shujie, China Legal Science 2016/4, 179, 179 ff., begründet die Haftung dogmatisch demgegenüber mit der fahrlässigen mittelbaren Rechtsverletzung des Plattformbetreibers. Zhu Dong, Peking University Law Journal 2019/5, 1340, 1341 ff., sieht die einzig schlüssige dogmatische Begründung der Haftung des Plattformbetreibers in dessen eigener Rechtsverletzung durch Unterlassen. Grundsätzlich wurde im Hinblick auf die Verschuldensform bei der Beihilfe und Anstiftung i. S. v. § 9 Abs. 1 DelHaftG indes überwiegend direkter oder indirekter Vorsatz vorausgesetzt, vgl. Binding, Das Gesetz der VR China über die deliktische Haftung, 2012, S. 59, das OVG hat durch das Wissenmüssen in § 1197 ZGB jedoch für im Internet begangene Rechtsverletzungen anerkannt, dass insoweit Fahrlässigkeit ausreicht, s. hierzu im Einzelnen auch unten, 4. Kap., B. II. 2. Ursache für das Missverständnis der Safe Harbor-Regel. 55 Vgl. Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 72. 56 Synonym hierzu wird der Begriff der Benachrichtigungsregel verwendet. S. zu den im chinesischen Schrifttum darüber hinaus synonym verwendeten Begriffen unten, 4. Kap., A. II. Hintergründe und Ablauf des Notice and Takedown-Verfahrens im chinesischen Recht. 54
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1. Teil: Einführung
ihrer Rechte zu melden und von ihnen zu fordern, dass sie notwendige Abhilfemaßnahmen ergreifen. Besondere Aufmerksamkeit erfährt dabei die Diskussion, ob das geltende Recht sich von dem US-amerikanischen Ursprung seiner Vorgängerregelungen entfernt hat. Konkret stellt sich die Frage, ob die Ergreifung der notwendigen Abhilfemaßnahmen als gesetzliche Pflicht oder als Voraussetzung für einen Eintritt in den sog. safe harbor zu verstehen ist, mithin als Haftungsausschlussregel, die allein keine Aussage über die Haftbarkeit der Netzdienstanbieter trifft.57 Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Frage, wann ein Netzdienstanbieter von einer Rechtsverletzung wissen muss. Das „Wissenmüssen“58 von einer über den Netzdienst begangenen Rechtsverletzung wird teils als negative Voraussetzung für den Eintritt in den safe harbor gesehen, teils als hiervon unabhängige Tatbestandsvoraussetzung, die die Haftung des Netzdienstanbieters aktiv mitbegründet. Speziell mit Blick auf E-Commerce-Plattform-Betreiber spielt die Bestimmung des Wissenmüssens von Rechtsverletzungen auch in dem verbraucherschützenden § 38 Abs. 1 ECG eine Rolle. Diskutiert wird im Besonderen, wie § 38 Abs. 1 ECG von § 38 Abs. 2 ECG abzugrenzen ist, der eine Prüf- und Sicherungspflicht der E-Commerce-Plattform-Betreiber anordnet und sich insbesondere durch seine umstrittene Rechtsfolge der „entsprechenden Haftung“59 von § 38 Abs. 1 ECG unterscheidet. 2. Kapitel
Stand der Forschung, Ziel, Methode und Gang der Untersuchung In der folgenden Arbeit werden die allgemeinen deliktischen sowie immaterialgüterrechtlichen Verkehrssicherungspflichten von Netzdienstanbietern im chinesischen Zivilrecht untersucht.
A. Stand der Forschung Die Regelungen über Verkehrssicherungspflichten von Netzdienstanbietern erfreuen sich angesichts ihrer praktischen Relevanz einer regen Diskussion in der chinesischen rechtswissenschaftlichen Literatur. Insbesondere werden Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen einzelner Haftungsregeln in juristischen Fachzeitschriften erörtert. Monographien und Sammelbände existieren vor allem zu 57
geln. 58 59
S. hierzu im Einzelnen unten, 4. Kap., B. I. Dogmatisches Verständnis der Haftungsre. .
2. Kap.: Stand der Forschung, Ziel, Methode und Gang der Untersuchung
31
den einzelnen für die Thematik relevanten Regelwerken wie dem ECG und dem ZGB. Richtungsweisend ist die Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB60, die aufschlussreiche Einblicke in das Regelverständnis des höchsten Gerichts der VR China bietet und damit als Kompass bei der Navigation durch die verschiedenen Auslegungspfade des Schrifttums eine wertvolle Funktion erfüllt. Im deutschen Schrifttum findet sich bis dato keine umfassende Publikation, in der die aktuellsten Regelungen detailliert dargestellt werden. So wird in der Dissertationsschrift von Yang Fei61 die Haftung von Plattformbetreibern für die Mitwirkung an fremden Rechtsverletzungen rechtsvergleichend im deutschen und chinesischen Recht analysiert; in die Untersuchung aus dem Jahr 2018 haben jedoch naturgemäß weder das am 1. 1. 2019 in Kraft getretene ECG noch das vom 1. 1. 2021 an angewandte ZGB Eingang gefunden. Im englischsprachigen Schrifttum existieren einige Aufsätze in Fachzeitschriften, die vorwiegend von chinesischen Wissenschaftlern verfasst wurden. Diese Aufsätze bieten entweder einen eher kursorischen Überblick über das ECG als Ganzes oder behandeln konkrete Einzelaspekte der Netzdienstanbieter treffenden Pflichten. Eine eingehende, systematische Analyse der Thematik fehlt bislang indes auch im englischsprachigen Schrifttum.
B. Eigener Beitrag zum Forschungsgegenstand Die nachfolgende Untersuchung hat das Ziel, das in der VR China geltende, die allgemeinen deliktischen und immaterialgüterrechtlichen Verkehrssicherungspflichten von Netzdienstanbietern betreffende Recht zu erschließen und somit einen Beitrag zum Verständnis des chinesischen Rechts im deutschsprachigen Raum zu leisten. Motiv sind sowohl ein akademisches als auch praktisches Interesse des deutschsprachigen Lesers an dem Inhalt und den rechtlichen Folgen dieser Pflichten. So birgt der Blick in die fremde Rechtsordnung der VR China die Möglichkeit zur akademischen Reflexion eigener Regelungsmodelle und erscheint angesichts des am 1. 8. 2021 in Kraft getretenen, heftig diskutierten Urheberrechts-DiensteanbieterGesetzes62 sowie des Digital Services Act der EU,63 besonders lohnenswert in Bezug auf die Haftung von Netzdienstanbietern für auf Plattformen begangene Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums. Der Auseinandersetzung mit der 60
Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020. Diese Kommentierung ist Bestandteil einer Kommentierung des OVG zum gesamten ZGB („Verständnis und )). Anwendung des ZGB“ ( 61 Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern für die Mitwirkung an fremden Rechtsverletzungen nach deutschem und chinesischem Recht – Eine Untersuchung zum UrheberMarken- und Lauterkeitsrecht, 2018. 62 Gesetz vom 31. 5. 2021 (BGBl. I S. 1204, 1215). 63 Ziel dieses Gesetzesvorhabens ist neben der grundsätzlichen Beibehaltung geltender Haftungsprivilegierungen für Netzdienstanbieter sowie der Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Netzdienstanbietern die Erweiterung ihrer Pflichten je nach Größe und Funktion, Spindler, GRUR 2021, 545, 545.
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1. Teil: Einführung
chinesischen Rechtsordnung mag das Potenzial innewohnen, neuartige Argumente bei der Diskussion eigener Regelungsansätze aufzuzeigen und diese so zu bereichern.64 Ein praktisches Interesse folgt insbesondere mit Blick auf den E-Commerce mittelbar aus der Beteiligung deutscher Investoren an chinesischen E-CommercePlattformen, von unmittelbarem Interesse sind die Verkehrssicherungspflichten für all jene, die sich die Erschließung und Teilhabe an dem gleichermaßen gegenwärtig florierenden als auch zukunftsträchtigen chinesischen E-Commerce-Markt zum Ziel eigener unternehmerischer Tätigkeiten gesetzt haben.65 Praktisch relevant ist die Frage nach den Verkehrssicherungspflichten von Netzdienstanbietern in der VR China zudem im Lichte multi- oder bilateraler Vereinbarungen zwischen der VR China und anderen Staaten, die das chinesische Recht für anwendbar erklären können.66 Aus rechtstatsächlicher Perspektive ist auf den deutlichen Anstieg der Anzahl eingeleiteter und abgeschlossener Verfahren hinzuweisen, der auf einen Umbruch in der erfolgreichen Durchsetzung speziell von Rechten des geistigen Eigentums in der VR China schließen lässt.67 Dies gilt auch für ausländische Unternehmen, die von staatlichen Schutzmechanismen zur Verteidigung ihrer Rechte jüngst zunehmend Gebrauch gemacht haben.68 Das Interesse an einer eingehenden Erörterung bestehender Pflichten von Netzdienstanbietern besteht überdies im Lichte des Konglomerates an Regelungen, die verstärkt auch in jüngerer Vergangenheit erlassen wurden. Zwar sind die 2021 und 2019 ergangenen Normen des ZGB und ECG inhaltlich nicht gänzlich neuartiger Natur und wurzeln teils auf bestehenden, andernorts schon vor deren Erlass gesetzlich niedergelegten Bestimmungen, jedoch finden sich punktuell Änderungen, die besondere Aufmerksamkeit verdienen.69 Angesichts der engen Verzahnung zwischen den Vorgängerregelungen und jenen des ZGB besteht daher nach wie vor das Bedürfnis nach einer begrifflichen Klärung und Handhabe dieses Regelungsgefüges,70 und die Nachzeichnung der sich insoweit in den letzten Jahren vor und seit Inkrafttreten des ZGB vollzogenen Entwicklung der chinesischen Gesetzgebung steht im Fokus der folgenden Untersuchung. Die Herausarbeitung dieser Gesamtentwicklung, nicht jedoch die Erörterung aller die Thematik betreffenden Detailfragen, steht im Fokus dieser Arbeit, welche als Darstellung jener Verkehrssiche64
Über dieses Potenzial der Auseinandersetzung mit dem fremden Recht zur erfolgreichen Suche nach der „besseren Lösung“ auch Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 1996, S. 14. 65 So beispielsweise schon Aldi, DM und Rossmann, die über die von der Alibaba Group betriebenen E-Commerce-Plattform Taobao Waren vertreiben. 66 Vgl. Xue Hong, CTLR 2019/4, 107, 107 f. 67 So Xu Tian/Engelhardt, ZChinR 2020/2, 126, 127 m. w. N. 68 Xu Tian/Engelhardt, ZChinR 2020/2, 126, 132. 69 Für einen überblicksartigen Vergleich der alten und neuen Rechtslage s. u., 4. Kap., D. Vergleich der alten und neuen Regelungen des Notice and Takedown-Verfahrens. 70 So befürchtet Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 132, dass die vor Erlass des ZGB bestehende Verwirrung in die Zeit nach Erlass der Kodifikation hineingetragen wird.
2. Kap.: Stand der Forschung, Ziel, Methode und Gang der Untersuchung
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rungspflichten zu verstehen ist, die entweder wegen ihres jungen Alters oder ihrer besonderen inhaltlichen Relevanz analysiert werden. Das Bedürfnis nach einer Aufarbeitung ausgewählter Pflichten besteht insbesondere auch, weil das hiermit in Verbindung stehende System als eines der verwirrendsten und in der Praxis am uneinheitlichsten verstandenen im chinesischen Recht gilt.71 Ziel dieser Arbeit ist es zum einen, aufzuzeigen, weshalb das chinesische Regelungsgefüge so empfunden wird und ob diese Wahrnehmung unvermeidlich ist. Zum anderen wird untersucht, ob die gesetzgeberische Einschätzung zutreffend ist, bei dem neuen Notice and Takedown-Verfahren des ECG handele es sich „nicht mehr nur um einen bloßen Mechanismus zur Begrenzung der Haftung für oder Verteidigung gegen Rechtsverletzungen, sondern um eine nie dagewesene Maßnahme zur Regulierung im Internet begangener Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums.“72 Neben der akademischen und praktischen Relevanz der Thematik besteht auch insofern ein Interesse, als es an einer umfassenden Aufarbeitung der Materie in deutscher und englischer Sprache bis dato fehlt.73 Verstärkt wird dieser Aspekt durch die Fehlerhaftigkeit bestehender Übersetzungen in englischer Sprache.74 Das Erfordernis der begrifflichen Klärung, das sich aus dem Wesen der Rechtswissenschaft als „Begriffs“-Wissenschaft75 ergibt, wird aus Sicht des deutschsprachigen Juristen in dieser Arbeit gleichsam um eine zusätzliche Ebene erweitert, da der weit überwiegende Anteil der Rechtstexte und Quellen, die dieser Untersuchung zugrunde liegen, chinesischsprachig ist.
C. Methode der Untersuchung Methodisch im Vordergrund steht mit der Erschließung der die Thematik betreffenden Fragen und etwaiger Antworten durch die chinesische Literatur und Rechtsprechung eine genuine Auseinandersetzung mit dem chinesischen Zivilrecht. Im Fokus der untersuchten Quellen stehen neben den gesetzlichen Regelungen und justiziellen Auslegungen des OVG als Rechtsquellen vor allem in chinesischen 71 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 132. Auch Zeng Lei/Jin Yuanyuan, Social Sciences in Shenzhen 2022/3, 116, 117, monieren, die Verkehrssicherungspflichten seien verstreut und uneinheitlich geregelt, was zu anhaltenden Kontroversen in der rechtwissenschaftlichen Lehre und Verwirrung bei der Rechtsanwendung in der Praxis geführt habe. Auf die aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Vorschriften resultierende Komplexität macht ferner Li Xiaocao, Journal of Law Application 2020/13, 124, 126, aufmerksam. 72 „[…] “, Lü Zushan/Peng Sen/Yin Zhongqing (Hrsg.), Erläuterung des ECG, 2018, S. 128. 73 Hierzu auch oben unter A. Stand der Forschung. 74 So Xue Hong, CTLR 2019/4, 107, 107, der kritisiert, bestehende Übersetzungen seien nicht akkurat und teils sogar falsch. 75 Kelsen, ARSP 1957, 161, 168.
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1. Teil: Einführung
Fachzeitschriften veröffentlichte Aufsätze.76 Ein besonders hoher Stellenwert wird überdies der Darstellung und Analyse einschlägiger Rechtsprechung eingeräumt, um auch aus rechtstatsächlicher Sicht Erkenntnisgewinn zu erzielen.77 Zur möglichst akkuraten Erschließung des chinesischen Rechts wird versucht, die bei der Beschäftigung mit dem fremden Recht unerlässliche „,negative Seite‘ des Funktionalitätsprinzips“ zu beherzigen und nicht den Fehler zu begehen, „in den Begriffen [der] eigenen [deutschen] Dogmatik verhaftet zu bleiben“.78 Punktuell werden Parallelen und Divergenzen zwischen dem chinesischen und dem deutschen Recht sowie die Ursprünge einzelner Regelungen im US-amerikanischen Recht und deren Unterschiede zu den Vorschriften des chinesischen Rechts aufgezeigt. Diese dienen jedoch keinem Selbstzweck, sondern sollen den Leser primär bei der Erfassung des chinesischen Rechts unterstützen. Jene Auslegungsmethoden, die in der deutschen Rechtswissenschaft verwendet werden, wurden in China Mitte der 1990er-Jahre popularisiert, sodass auch in der chinesischen Literatur inzwischen vielfach auf die Auslegung nach dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte, der gesetzlichen Systematik und dem Telos zurückgegriffen wird.79 Bei der Auslegung der chinesischen Vorschriften wird daher dieser, dem deutschen Juristen vertraute Auslegungskanon zugrunde gelegt. Da der anvisierte Leserkreis nicht zwingend über Vorkenntnisse des chinesischen Rechts verfügt, wird an jenen Stellen, an denen eine Kenntnis der Grundlagen Voraussetzung für das Verständnis der Ausführungen ist, auf hierzu weiterführende Literatur verwiesen.
D. Gang der Untersuchung Die Arbeit beginnt im folgenden 3. Kapitel mit einer Klärung der für den Untersuchungsgegenstand wesentlichen Begrifflichkeiten. Es wird der Begriff der Verkehrssicherungspflicht im chinesischen Recht untersucht sowie auf die Beteiligten und Verpflichteten im Rahmen der im Internet geltenden Verkehrssicherungspflichten eingegangen. In diesem Zusammenhang liegt ein Fokus auf der rechtlich umstrittenen Einordnung sog. Miniprogrammplattformdienste und CloudDienste. Sodann wird im 2. Teil der Untersuchung die Ausgestaltung von Verkehrssicherungspflichten im Rahmen des sog. Notice and Takedown-Verfahrens dargestellt. Im 76
Bu, ZChinR 2019/4, 263, 268, bezeichnet die rechtswissenschaftlichen Aufsätze unter allen Literaturgattungen als qualitativ am hochwertigsten. 77 Zur Wichtigkeit der Darstellung der Rechtswirklichkeit im chinesischen Recht im Besonderen Bu, ZChinR 2019/4, 263, 268. 78 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 1996, S. 34. 79 Oei, Rechtsmethodik in China, 2022, S. 34 f. m. w. N. S. hier instruktiv auch zur Auslegung durch die chinesischen Gerichte und den Gesetzgeber selbst. Zur Geschichte der Rezeption deutscher Rechtsmethodik in China auch Shen Weixing, in: Bu (Hrsg.), Juristische Methodenlehre in China und Ostasien, 2016, S. 104 ff.
3. Kap.: Begrifflicher Gegenstand der Untersuchung
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4. Kapitel wird auf die gesetzgebungshistorischen Hintergründe der Übernahme des Verfahrens in das chinesische Recht eingegangen. Dabei werden das US-amerikanische Recht, dem die Regelung des chinesischen Rechts entlehnt ist, kurz dargestellt und die Vorgängervorschriften des aktuell geltenden Rechts analysiert, die für das Verständnis des letzteren eine wichtige Grundlage bilden. Die Darstellung der Vorgängerregelungen ist auch für die Nachzeichnung der Rechtsentwicklung unerlässlich. Nach einer Untersuchung der Neuregelungen über das Notice and Takedown-Verfahren liegt ein Schwerpunkt des 4. Kapitels auf der Analyse der dogmatischen Einkleidung der Rechtsfolgen, die Netzdienstanbieter für nicht ergriffene Abhilfemaßnahmen treffen. Gegenstand des 3. Teils der Arbeit sind die das Notice and Takedown-Verfahren flankierenden aktiven Prüf- und Sicherungspflichten von Netzdienstanbietern. Dabei werden im 5. Kapitel die durch den Gesetzgeber geschaffenen Wissensregeln untersucht, die dazu führen, dass ein Netzdienstanbieter für mittelbare Rechtsverletzungen haftet, wenn er von diesen weiß oder wissen muss. Im Fokus steht hierbei die Analyse einschlägiger Rechtsprechung, um dem Leser ein Gefühl für die Handhabe des unbestimmten Rechtsbegriffs des Wissenmüssens in verschiedenen Fallkonstellationen zu vermitteln. Berücksichtigung finden auch in diesem Kapitel zwecks Zeichnung eines umfassenden Bildes die Vorgängervorschriften der aktuell geltenden Regeln, die für die Anwendung letzterer faktisch nach wie vor von Bedeutung sind. Im 6. Kapitel wird auf die im Rahmen des Erlasses des ECG geschaffenen Pflichten des § 38 Abs. 2 ECG eingegangen. Dabei wird im Besonderen herausgearbeitet, wie deren Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolge der „entsprechenden Haftung“ in Literatur und Rechtsprechung verstanden werden. Ein Schwerpunkt in diesem Kapitel liegt ferner auf der viel diskutierten Abgrenzung zwischen § 38 Abs. 1 und Abs. 2 ECG. In der abschließenden Schlussbetrachtung werden zunächst die wichtigsten gewonnenen Erkenntnisse resümiert. Anschließend werden Thesen formuliert und konkrete Handlungsempfehlungen ausgesprochen, die sich aus den Ergebnissen ableiten lassen. 3. Kapitel
Begrifflicher Gegenstand der Untersuchung Der Begriff der Verkehrssicherungspflicht, der in der deutschen Zivilrechtswissenschaft und Rechtsprechung im Laufe der Zeit nach und nach inhaltlich präzisiert wurde, beschreibt den Umstand, dass jeder, der Gefahrenquellen schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutze anderer Personen zu treffen hat.80 Inzwischen hat dieses Institut im chinesischen 80
BGH, Urt. v. 19.12.1989 – VI ZR 182/89, NJW 1990, 1236, 1236 m. w. N.
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1. Teil: Einführung
Recht eine ähnlich plastische Aufbereitung durch die rechtswissenschaftliche Literatur und Rechtsprechung erfahren.81 Im Folgenden werden die Wesensmerkmale dieser Verkehrssicherungspflichten im Allgemeinen sowie Hintergründe zu den Verkehrssicherungspflichten von Netzdienstanbietern im Besonderen beleuchtet. Zur Abgrenzung zwischen eigenen und mittelbaren Rechtsverletzungen wird exemplarisch ein Urteil erörtert. Es folgt eine Darstellung der einzelnen am E-Commerce Beteiligten, die sich an der Terminologie orientiert, welche der Gesetzgeber in den einschlägigen Gesetzen gewählt hat. Aus § 92 GGG, § 11 ZGB ergibt sich, dass der Grundsatz lex specialis derogat legi generali grundsätzlich auch im chinesischen Recht gilt.82 Dies gilt gemäß § 92 GGG auch für den Grundsatz lex posterior derogat legi priori. Das ZGB ist gegenüber dem ECG und der SRVI-VO das neuste und allgemeinste Gesetz, während das ECG wiederum allgemeiner und neuer als die SRVI-VO ist, die zudem als Verwaltungsvorschrift normhierarchisch niedriger angesiedelt ist als das ZGB und ECG.83 Was den Schutz des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts im Internet betrifft, ist daher die speziellere SRVI-VO anzuwenden, es sei denn, die darin enthaltenen Vorschriften sind nicht mit jenen des ZGB und ECG vereinbar.84
A. Verkehrssicherungspflicht Die Begriffe Verkehrssicherungspflicht85, Verkehrspflicht86, Sicherungsgewährleistungspflicht87 und Sicherungspflicht88 werden in der folgenden Arbeit, wie zumeist auch im chinesischsprachigen Schrifttum, synonym verwendet.89 Der chinesische Gesetzgeber rezipiert das Konzept der Verkehrssicherungspflicht aus dem 81 Vgl. Xue Jun, China Information Security 2020/10, 81, 81; anders noch Binding, Das Gesetz der VR China über die deliktische Haftung, 2012, S. 36. 82 S. hierzu auch Bu, RIW 2015, 781, 786. 83 Vgl. Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 59, der anstelle des ZGB noch über das DelHaftG schreibt, das mit Inkrafttreten des ZGB aufgehoben wurde, vgl. § 1260 ZGB. § 1194 S. 2 ZGB enthält zudem eine Öffnungsklausel für speziellere Vorschriften. 84 Vgl. insoweit auch Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 59 f., und das klarstellende Urteil des Gerichts für geistiges Eigentum Beijing ( ), Az.: 2017 73 1194 . Zu letzterem ausführlich unten unter b) Rechtsprechung über Cloud-Dienste. S. für eine Übersicht über die relevanten Vorschriften auch die Tabelle im 1. Kapitel: Einleitung. 85 . 86 . 87 . 88 . 89 So etwa Feng Chuqi, Journal of Law Application 2020/14, 71, 71 ff., bei der alle vier Begriffe auftauchen. Anders Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutschchinesischen Vergleich, 2020, S. 125 f., der die allgemeine Verkehrspflicht als Oberbegriff bezeichnet, der die Sicherheitsgewährleistungspflicht umfasse.
3. Kap.: Begrifflicher Gegenstand der Untersuchung
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deutschen Recht und nahm es erstmalig im Jahr 2003 in § 6 der justiziellen Auslegung des OVG zu verschiedenen Fragen der Rechtsanwendung bei der Verhandlung von Schadensersatzfällen mit Personenschäden in ein Regelwerk auf.90
I. Hintergründe des Instituts der Verkehrssicherungspflicht im chinesischen Recht Nach wohl überwiegender Auffassung in der chinesischen rechtswissenschaftlichen Literatur stellt die schuldhafte Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht einen Anwendungsfall der deliktischen Verschuldenshaftung dar, deren hauptsächliche Rechtsfolge eine Schadensersatzpflicht ist.91 Auch im chinesischen Recht wird die rechtsdogmatische Notwendigkeit dieses Instituts in der Haftungsbegründung speziell in Fällen deliktischen Unterlassens gesehen.92 Aus der sog. Gefahrkontrolltheorie93 wird gefolgert, dass dem eine Gefahrenquelle Eröffnenden die Kontrolle über diese Gefahrenquelle angesichts seiner Möglichkeiten hierzu auch zugemutet wird.94 Die Haftung für ein Unterlassen setzt voraus, dass eine Pflicht zum Handeln besteht, sodass es sich bei den Verkehrssicherungspflichten abstrakt gesehen um Verhaltenspflichten handelt.95 Ferner geht es bei Fällen, in denen die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht vorliegt, auch im chinesischen Recht um Fälle mittelbarer Rechtsverletzungen.96 Aus dem Erfordernis der Verletzung dieser Pflichten für eine daraus folgende Haftung wird zugleich ein Verschuldenserfordernis in Gestalt des Außerachtlassens der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt abgeleitet.97 Neben der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht wird als Haftungsvoraussetzung das Bestehen eines adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt verlangt, was insbesondere in Fällen
90 Bu, in: Bu (Hrsg.), Chinese Civil Law, 2013, S. 154, die feststellt, der Gesetzgeber habe sodann mit Erlass des § 37 DelHaftG denselben Ansatz verfolgt; Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 119. 91 Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 120 m. w. N. Zu den darüber hinaus möglichen Rechtsfolgen der unerlaubten Handlung Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 117 f. 92 Bu, in: Bu (Hrsg.), Chinese Civil Law, 2013, S. 154; Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 121. 93 . 94 Rong Zhenhua, Northern Legal Science 2018/4, 26, 27. 95 Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 120. 96 Vgl. Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 120 m. w. N. 97 Vgl. Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 120 m. w. N.
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1. Teil: Einführung
problematisch ist, in denen ein Dritter den Schaden unmittelbar verursacht.98 Um solche Fälle handelt es sich auch bei der in dieser Arbeit analysierten Haftung von Netzdienstanbietern für unmittelbare Rechtsverletzungen von Netznutzern.
II. Besondere Verkehrssicherungspflichten und allgemeine Verkehrssicherungspflicht Regelungen einzelner Verkehrssicherungspflichten sind im Laufe der Zivilgesetzgebungsgeschichte der VR China zusehends sichtbar geworden.99 So regelte der Gesetzgeber in den §§ 37 ff. DelHaftG100 zahlreiche besondere Sicherheitsgewährleistungspflichten.101 Auch § 36 DelHaftG über die Haftung von Netzdienstanbietern wird als Beispiel einer Haftung aufgrund der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht gesehen.102 Dabei ist eine Tendenz der Ausweitung bestehender spezieller Verkehrssicherungspflichten erkennbar.103 Beispiel hierfür ist die Einführung einer allgemeinen Produktbeobachtungspflicht in § 46 DelHaftG104, mit welcher der Gesetzgeber die Pflicht von Unternehmen zur Gewährleistung der Sicherheit ihrer Waren und Dienstleistungen i. S. v. § 18 VSG signifikant erweitert hat.105 Eine allmähliche Ausweitung rechtlicher Pflichten auf E-Commerce-Plattform-Betreiber ist nunmehr in § 38 ECG erkennbar.106 Inhalt und Umfang der Verkehrssicherungspflichten werden zumeist rechtsfortbildend durch die Gerichte geklärt, die wiederum einschlägige Verwaltungsbestimmungen heranziehen, soweit solche existieren.107 Mitunter wird zwischen jenen Pflichten differenziert, die sich darauf beziehen, dass 98
Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 120 m. w. N. 99 Binding, Das Gesetz der VR China über die deliktische Haftung, 2012, S. 36. 100 Mit Inkrafttreten des ZGB aufgehoben, vgl. § 1260 ZGB, und nunmehr in den §§ 1198 ff. ZGB geregelt. 101 Binding, Das Gesetz der VR China über die deliktische Haftung, 2012, S. 36. 102 Bu, in: Bu (Hrsg.), Chinese Civil Law, 2013, S. 155. 103 Binding, Das Gesetz der VR China über die deliktische Haftung, 2012, S. 36 m. w. N.; gesetzgeberische Tendenz der Ausweitung bestehender Verkehrssicherungspflichten auch im Zuge des Erlasses des ZGB betont unter Rekurs auf aktuelle Beispiele Xue Jun, China Information Security 2020/10, 81, 82. 104 Mit Inkrafttreten des ZGB aufgehoben, vgl. § 1260 ZGB, und nunmehr um eine Regelung zur Übernahme notwendiger Kosten für Rückrufmaßnahmen ergänzt geregelt in § 1206 ZGB. 105 Binding, Das Gesetz der VR China über die deliktische Haftung, 2012, S. 36. 106 So auch Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 67. Zu § 38 Abs. 2 ECG ausführlich im 6. Kapitel: Die Pflichten von E-Commerce-Plattform-Betreibern gemäß § 38 Abs. 2 ECG. 107 Vgl. Binding, Das Gesetz der VR China über die deliktische Haftung, 2012, S. 36; Xue Jun, China Information Security 2020/10, 81, 84, legt dar, dass der Inhalt der Sicherungspflichten immer je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu bestimmen sei.
3. Kap.: Begrifflicher Gegenstand der Untersuchung
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direkt auf die Gefahrenquelle eingewirkt wird, wie z. B. Aufsichts- oder Fürsorgepflichten, sowie jenen, die keine direkte Einwirkung auf die Gefahrenquelle beinhalten, sondern dazu dienen, den potenziell Geschädigten die Möglichkeit zu bieten, mit der Gefahr umzugehen oder mögliche Verletzungen zu vermeiden, z. B. Warnund Fürsorgepflichten.108 Bei der Konkretisierung der Sicherheitsgewährleistungspflicht im Einzelfall werden in der Literatur und Rechtsprechung verschiedene Faktoren berücksichtigt, zuvörderst wird auf die Gefahrenhöhe abgestellt.109 Eine Absicherung der Gefahrenquelle gegen alle denkbaren Schadensfälle wird nicht für erforderlich gehalten. Vielmehr werden jene Vorkehrungen für notwendig erachtet, die voraussehbare Gefahren betreffen, welche durch ein bestimmungsgemäßes Inkontakttreten mit der Gefahrenquelle entstehen.110 Als Einschränkung dient dabei auch im chinesischen Recht der Schutzzweck der Norm.111 Ein Verletzungserfolg kann dem Schädiger danach nur dann zugerechnet werden, wenn dieser gegen eine Verhaltensnorm verstoßen hat, die gerade darauf gerichtet ist, den Eintritt des konkreten Erfolges zu verhindern.112 Ungeachtet dieser vielerorts im Gesetz angesiedelten einzelnen Haftungstatbestände, welche sich auf der Verletzung einer speziell gearteten Verkehrssicherungspflicht gründen, ist die Existenz einer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht nach dem Vorbild der deutschen Rechtsprechung bislang nicht vollumfänglich anerkannt worden.113 Inzwischen betrachten allerdings weite Teile der chinesischen Fachliteratur die Sicherheitsgewährleistungspflicht als Parallele zur Verkehrssicherungspflicht im deutschen Recht und sprechen sich dafür aus, eine allgemeine Verkehrspflicht als eine wichtige Quelle von Verhaltenspflichten anzuerkennen.114 Wang Meng sieht die allgemeine Verkehrspflicht als einen Oberbegriff und die Sicherheitsgewährleistungspflicht im Rahmen dieses Oberbegriffs als einen der Un108 Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 123 m. w. N. 109 Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 123 f. m. w. N. 110 Binding, Das Gesetz der VR China über die deliktische Haftung, 2012, S. 36 m. w. N. 111 Binding, Das Gesetz der VR China über die deliktische Haftung, 2012, S. 36. 112 Binding, Das Gesetz der VR China über die deliktische Haftung, 2012, S. 36 m. w. N. 113 Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 127 f.; gegen die Existenz einer allgemeinen Verkehrspflicht nach deutschem Vorbild auch noch Binding, Das Gesetz der VR China über die deliktische Haftung, 2012, S. 36 m. w. N., der jedoch davon ausging, dass zukünftig über die gesetzlich bestimmten Fälle hinaus aus einer Gesamtbetrachtung der Tatbestände eine allgemeine Verkehrssicherungspflicht im chinesischen Recht anzuerkennen sein werde. Bu, Einführung in das Recht Chinas, 2017, § 13 Rn. 31, bezeichnet die Vorgängervorschrift von § 1198 ZGB, § 37 DelHaftG, als allgemeine Verkehrssicherungspflicht für die dort aufgezählten Personen. Lin Huanmin, Modern Law Science 2020/6, 195, 208, bezeichnet § 1165 Abs. 1 ZGB als allgemeine Verkehrssicherungspflicht. 114 Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 127 m. w. N.
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1. Teil: Einführung
tertypen der Verkehrspflichten.115 Da die Verkehrspflichten im deutschen Deliktsrecht allgemeiner Natur sind und es keine Beschränkung hinsichtlich des Pflichtenträgers gibt, sei die Sicherheitsgewährleistungspflicht, deren Träger sich auf bestimmte Personenkreise beschränke, hiervon abzugrenzen.116
III. Rechtsprechung über die Abgrenzung eigener und mittelbarer Rechtsverletzungen Da sich die Abgrenzung zwischen eigenen und mittelbaren Rechtsverletzungen bzw. zwischen Täterschaft und Teilnahme117 darauf auswirkt, wie die Haftung des Netzdienstanbieters im Ergebnis ausfällt, ist von Interesse, wie diese Differenzierung in der Praxis erfolgt. Das in zweiter Instanz ergangene, rechtskräftige Urteil des Gerichts für geistiges Eigentum118 Beijing vom 5. 11. 2021, das wegen seiner für Beteiligte an sog. Livestreamings119 orientierungsstiftenden Funktion in der Sammlung typischer Fälle auf der Website des Gerichts aufgeführt wird,120 zeigt, dass die sich im Rahmen der Analyse von Verkehrssicherungspflichten stellende Frage der Abgrenzung zwischen eigenen und mittelbaren Rechtsverletzungen von Netzdienstanbietern nicht immer eindeutig beantwortet wird.121 Gegenstand des Urteils ist die unautorisierte Aufführung eines Liedes über eine LivestreamingPlattform. 1. Sachverhalt Die Klägerin, die Beijing Kirin Tong Culture Communications Co., Ltd., produzierte und veröffentlichte das Album mit dem von zwei Songwritern geschrie115 Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 125 f. m. w. N. 116 Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 125 f. m. w. N. 117 Zur Heranziehung des Modells der gemeinschaftlichen Rechtsverletzung zur Begründung der Haftung für mittelbare Rechtsverletzungen s. o., Fn. 54; ausführlich s. u., 4. Kap., B. Rechtsfolge der Haftung der Netzdienstanbieter nach dem ZGB und ECG und 4. Kap., B. I. Dogmatisches Verständnis der Haftungsregeln. 118 Diese in Beijing, Shanghai und Guangzhou eingerichteten Gerichte sind in der Instanzenhierarchie auf der Ebene der Mittleren Volksgerichte angesiedelt und sollen zu einer Vereinheitlichung der landesweiten Rechtsprechung besonders in technisch anspruchsvollen Streitfällen dienen, Ganea, ZChinR 2017/4, 288, 290. 119 Hierzu s. o., Fn. 5. 120 Internetgericht Beijing, „Livestreaming platforms commit contributory infringement by allowing hosts to perform unauthorized songs“, https://english.bjinternetcourt.gov.cn/2 021-12/22/c_497.htm, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022. 121 ), Az.: 2021 73 Gericht für geistiges Eigentum Beijing ( 598 .
3. Kap.: Begrifflicher Gegenstand der Untersuchung
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benen Lied Xiao Tiao Wa.122 Sie war Inhaberin von dessen Urheberrechten. Durch jahrelange kommerzielle Tätigkeiten und Investitionen hatte sie dafür gesorgt, dass das Lied einen guten Ruf genoss, sich auf dem chinesischen Markt weit verbreitete und der Marktwert entsprechend gestiegen war. Die beklagte Wuhan Douyu Network Technology Co., Ltd. betrieb Livestreaming-Studios sowie die durch sie selbst entwickelte, zugehörige Internetplattform Douyu, deren Urheberrechtsinhaberin sie war. Zwischen ihr und den in den Studios und auf der Plattform der Beklagten tätigen Livestreaming-Hosts bestanden vertragliche Vereinbarungen, in denen festgelegt war, dass die Beklagte die Rechte des geistigen Eigentums und andere relevante Rechte und Interessen aller durch die Hosts während des Livestreamings auf ihrer Plattform durchgeführten Vorgänge erwirbt oder über eine ausschließliche, unwiderrufliche und kostenlose Lizenz gemäß der in diesen Fällen entsprechend geänderten Version des Vertrages verfügt. Ohne die Erlaubnis der Klägerin und ohne die Zahlung von Lizenzgebühren führten zwölf Livestreaming-Hosts das Lied Xiao Tiao Wa 16 Mal in voller Länge in den von der Beklagten betriebenen LivestreamingStudios mit Begleitung der Originalversion auf und übertrugen die Videos über die Plattform Douyu. Das rechtsverletzende Video wurde auf der Website zur Verfügung gestellt und gespeichert sowie den Nutzern die Möglichkeit eingeräumt, das Video jederzeit abzuspielen, herunterzuladen und zu verbreiten. Hierdurch sowie durch die gleichzeitig stattfindende Interaktion mit den Zuschauern und deren finanzielle Zuwendungen erzielte die Beklagte einen Gewinn in beträchtlicher Höhe. Die Klägerin beantragte neben der Löschung der rechtsverletzenden Inhalte die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 2.000 Yuan pro Rechtsverstoß123 sowie Anwaltskosten in Höhe von 18.000 Yuan. 2. Entscheidung der Gerichte Einen der Schwerpunkte des Falles sahen die Gerichte124 in der Frage, ob die Beklagte selbst das Aufführungsrecht der Klägerin i. S. v. § 10 Nr. 12 UrhG a. F.125 sowie das Verbreitungsrecht i. S. v. § 3 OVG Informationsnetze II verletzt hat und daher nach § 48 Nr. 1 UrhG a. F. i. V. m. § 49 UrhG a. F. auf Ersatz des der Klägerin entstandenen Schadens haftet. In § 3 OVG Informationsnetze II ist eine Haftung des Netzdienstanbieters für die unerlaubte Aufführung von Werken des Urheberrechtsinhabers bzw. die Zurverfügungstellung urheberrechtsverletzender Werke 122
). „Kleiner springender Frosch“ ( Die Klägerin änderte die Klageforderung insoweit von Schadensersatz für anfänglich geltend gemachte 59 Aufführungen in Schadensersatz für 16 Aufführungen. 124 Das zweitinstanzliche Gericht bestätigte das Urteil des erstinstanzlich zuständigen Internetgerichts Beijing ( ), Az.: 2019 0491 23409 , nach § 170 Abs. 1 Nr. 1 ZPG. 125 Gemeint ist die revidierte Fassung vom 1. 4. 2010, chinesisch-englische Version abrufbar unter lawinfochina.com [ ]/pkulaw.cn [ ], Indexnummer CLI.1.127326. 123
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1. Teil: Einführung
durch sein Informationsnetzwerk vorgesehen.126 Zur Begründung für die Bejahung des Anspruchs stützten sich die Gerichte auf die zwischen der Beklagten und den Hosts geschlossene vertragliche Vereinbarung. Nach dem Grundsatz der Kohärenz von Rechten und Pflichten127 verfüge die Beklagte nicht nur über die damit einhergehenden Rechte, sondern sei auch Adressatin der daraus resultierenden Pflichten und trage daher die rechtliche Verantwortung für die durch diese Ergebnisse verursachten Folgen. Daher habe sie eine Rechtsverletzung begangen und die entsprechende Haftung zu tragen. Indem das Gericht für geistiges Eigentum Beijing das erstinstanzlich ergangene Urteil nach § 170 Abs. 1 Nr. 1 ZPG bestätigte, schloss es sich dem Einwand der Beklagten nicht an, sie habe lediglich einen neutralen Netzdienst zur Verfügung gestellt, ihre Aufsichtspflicht nicht schuldhaft verletzt und daher gemäß § 4 S. 2 OVG Informationsnetze II nicht zu haften. § 4 S. 2 OVG Informationsnetze II sieht vor, dass ein Netzdienstanbieter nicht zu einer Rechtsverletzung beiträgt, wenn er nachweisen kann, dass er nur Netzdienste wie die automatische Verbindung oder Übertragung, die Zurverfügungstellung von Informationsspeicherplatz, Such- und Verlinkungsdiensten oder Filesharing-Technologie anbietet. Auch das Gericht für geistiges Eigentum Beijing verwies zur Anspruchsbegründung auf den zwischen der Beklagten und den Moderatoren des Livestreamings geschlossenen Vertrag zur Übertragung aller Rechte an den Vorgängen während des Livestreamings. Hieraus werde das Interesse der Beklagten an dem Streaming deutlich, aus dem eine Prüfpflicht erwachse, welche sie vorliegend nicht erfüllt habe. Bei der Bestimmung der Schadenshöhe berücksichtigte das erstinstanzliche Gericht entsprechend § 25 OVG Urheberrecht128 i. V. m. § 49 Abs. 2 UrhG a. F. im Rahmen seines Ermessens den Grad subjektiven Verschuldens der Beklagten, den Marktwert des in Rede stehenden Liedes, den Umfang der Verbreitung und den Einfluss des fraglichen Videos sowie die Tatsache, dass es sich um mehrere Rechtsverletzungen handelte. Neben Prozesskosten verurteilte das Gericht die Beklagte zur Zahlung von
126
Es ist davon auszugehen, dass das Gericht § 3 Abs. 1 OVG Informationsnetze II meint. . Der Ursprung dieses Grundsatzes, auf den die Gerichte mitunter argumentativ zurückgreifen, wird auf Art. 33 der Verfassung der VR China zurückgeführt, der vorsieht, dass jeder Bürger die in der Verfassung und den Gesetzen vorgesehenen Rechte genießt und gleichzeitig die dort vorgesehenen Pflichten erfüllen muss. Hintergrund sei die dem sozialistischen Recht inhärente Angleichung der Rechte und Pflichten der Bürgerinnen und Bürger, vgl. den Eintrag „Der Grundsatz der Kohärenz der Rechte und Pflichten ]“, https://baike.baidu.com/item/% der Bürgerinnen und Bürger [ E5%85%AC%E6%B0%91%E6%9D%83%E5%88%A9%E4%B9%89%E5%8A%A1%E7% 9B%B8%E4%B8%80%E8%87%B4%E5%8E%9F%E5%88%99/22794460, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022. 128 Teilweise geändert durch die am 29. 12. 2020 verkündete und am 1. 1. 2021 in Kraft getretene „Entscheidung des OVG zur Revision von 18 justiziellen Auslegungen zum geistigen Eigentum einschließlich der ,Justizielle[n] Auslegung des OVG zu verschiedenen Fragen der Rechtsanwendung bei der Verhandlung von Streitigkeiten über die Verletzung von Patentrechten (II)‘“ ( ( ) ). 127
3. Kap.: Begrifflicher Gegenstand der Untersuchung
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24.000 Yuan als Ersatz für den der Klägerin entstandenen wirtschaftlichen Schaden und von Anwaltskosten in Höhe von 18.000 Yuan.129 3. Analyse Da mit der vertraglichen Vereinbarung weitreichende Gewinne einhergehen, ist die Begründung einer entsprechend erhöhten Sorgfaltspflicht der Beklagten nachvollziehbar, passt aber nicht recht zu der Anordnung der Haftung der Beklagten für eine eigene Urheberrechtsverletzung nach § 48 Nr. 1 UrhG a. F. Schlüssiger sind die nicht rechtsverbindlichen Ausführungen in der englischsprachigen Zusammenfassung des Internetgerichts Beijing, in denen zwischen der unmittelbaren Rechtsverletzung der Livestreaming-Hosts und der mittelbaren Rechtsverletzung der Beklagten durch die Nichterfüllung ihrer Prüfpflicht differenziert wird.130 Unmittelbare Teilnehmer an dem beanstandeten Livestreaming waren die Hosts; die Beklagte war demgegenüber lediglich Anbieterin von Livestreaming-Technologien. Dafür, dass die Beklagte an der Planung und Organisation der Livestreaming-Sitzungen beteiligt war oder Einfluss auf die Terminierung oder den Inhalt der Sitzungen hatte, wurden keine Beweise vorgebracht, weshalb eine unmittelbare Rechtsverletzung der Beklagten ausscheidet.131 Hinsichtlich der Frage, ob eine mittelbare Rechtsverletzung vorlag, wird ausgeführt, dass die Hosts durch das Anbieten von Diensten wie Kommentaren zu Spielen und künstlerischen Darbietungen in den Studios der Beklagten Gewinne erzielten, was bedeute, dass die Nutzung der entsprechenden Darbietungsressourcen unvermeidlich sei und somit ein hohes Risiko für Rechtsverletzungen bestehe. Zur Erfüllung ihrer Verkehrspflicht hätte die Beklagte beispielsweise in den mit den Hosts geschlossenen Verträgen festlegen können, dass diese sich die entsprechenden Genehmigungen einholen müssen, bevor sie die für das Livestreaming benötigten Ressourcen einsetzen dürfen. Dies erscheint insofern schlüssiger, als durch die vertragliche Vereinbarung zwischen der Beklagten und den Moderatoren zwar eine Übertragung aller mit dem Livestreaming in Verbindung stehenden Rechte erfolgte, die Beklagte selbst aber nicht unmittelbar an den schädigenden Handlungen beteiligt war.
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Die Löschung war vor Erlass des Urteils bereits erfolgt. Internetgericht Beijing, „Livestreaming platforms commit contributory infringement by allowing hosts to perform unauthorized songs“, https://english.bjinternetcourt.gov.cn/2 021-12/22/c_497.htm, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022. S. im Einzelnen zu den chinesischen Internetgerichten Pißler, ZChinR 2019/4, 355, 365 ff. 131 So auch in der Zusammenfassung des Internetgerichts, s. o., Fn. 130. 130
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1. Teil: Einführung
B. Berechtigte und Verpflichtete der im Internet geltenden Verkehrspflichten Die genaue Tätigkeitsbestimmung der einzelnen an Transaktionen im Internet Beteiligten ist für die Wahl der konkret anwendbaren Vorschriften entscheidend. So findet beispielsweise das ECG keine Anwendung auf Dienstleistungen in Bezug auf Nachrichten, Audio- und Videoprogramme sowie Verlags- und Kulturprodukte, die durch Informationsnetzwerke zur Verfügung gestellt werden, auf die vorrangig die SRVI-VO angewandt wird, vgl. § 2 Abs. 3 S. 2 ECG.132 Im Folgenden werden die durch den Gesetzgeber in jenen Vorschriften gewählten Begrifflichkeiten, welche die hier untersuchten Verkehrssicherungspflichten betreffen, im Einzelnen dargestellt. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf Grenzfällen, in denen die Eigenschaft der Beteiligten nicht eindeutig bestimmbar ist.
I. Netznutzer, E-Commerce-Betreiber und Dienstleistungssubjekte Während im ZGB von Netznutzern133 die Rede ist, hat der Gesetzgeber des ECG den Begriff des E-Commerce-Plattform-Betreibers134 gewählt. In der SRVI-VO wird insoweit der Begriff des Dienstleistungssubjekts135 verwendet. 1. Netznutzer Unter Netznutzern i. S. d. §§ 1194 ff. ZGB versteht das OVG sowohl natürliche als auch juristische Personen.136 Juristische Personen sind nach § 57 ZGB Organisationen, die Zivilrechtsfähigkeit und Zivilgeschäftsfähigkeit besitzen und Träger ziviler Rechte und Pflichten sind. Mit dem Begriff „Netz“137 bezeichnet das OVG Kommunikationssysteme, die den elektronischen Austausch von Informationen zwischen verschiedenen Computern und anderen Geräten mit Informationsverarbeitungsfunktionen ermöglichen, einschließlich des Internets und lokaler Netze.138 In der SRVI-VO ist insoweit von Berechtigten an Rechten des geistigen Eigentums die Rede, im ECG mitunter alternativ von Verbrauchern.
132 Klarstellend insoweit auch das Obere Volksgericht Shanghai ( Az.: 2021 804 . 133 . Im Folgenden auch als „Nutzer“ bezeichnet. 134 . 135 . 136 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 262. 137 . 138 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 264.
),
3. Kap.: Begrifflicher Gegenstand der Untersuchung
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2. E-Commerce-Betreiber und Dienstleistungssubjekte E-Commerce-Betreiber sind eine spezielle Form des Netznutzers. Nach § 9 Abs. 1 ECG sind E-Commerce-Betreiber natürliche und juristische Personen sowie Organisationen ohne Rechtspersönlichkeit, die durch Informationsnetzwerke wie dem Internet Geschäftstätigkeiten in Gestalt des Verkaufens von Waren oder des Erbringens von Dienstleistungen nachgehen. Eingeschlossen sind dabei E-Commerce-Plattform-Betreiber139, auf Plattformen tätige Betreiber und andere E-Commerce-Betreiber, die durch eine selbst errichtete Webseite oder andere Internetdienste Waren verkaufen oder Dienstleistungen anbieten.140 Der Begriff des ECommerce-Betreibers fungiert damit als Oberbegriff für auf E-Commerce-Plattformen tätige Betreiber sowie E-Commerce-Plattform-Betreiber. Voraussetzung für die Eigenschaft als E-Commerce-Betreiber ist gegenüber dem sonstigen Nutzer der Plattform ferner, dass operativen Geschäften nachgegangen wird.141 In der SRVI-VO ist insoweit von dem Dienstleistungssubjekt die Rede, das Inhalte über einen Netzdienst zur Verfügung stellt. Was die Definition des E-Commerce selbst betrifft, findet sich eine Regelung in § 2 Abs. 2 ECG. Dort wird E-Commerce definiert als eine Geschäftstätigkeit in Gestalt des Warenverkaufs oder der Zurverfügungstellung von Dienstleistungen durch das Internet oder andere Informationsnetze. Andere Informationsnetze als das Internet sind beispielsweise Kabelfernsehnetze und Mobilfunknetze.142 Ein typisches Beispiel sind Mobilfunknetze, durch die E-Commerce-Plattformen zur Verfügung gestellt werden.143 Im Unterschied zum herkömmlichen Handel ist Gegenstand des E-Commerce der Austausch von Transaktionsinformationen durch das Internet als technischem Mittel, um eine effiziente Informationsübertragung und Vermittlung von Angebot und Nachfrage zu ermöglichen, womit der E-Commerce sowohl eine Form der Informationsübertragung als auch eine Form der Organisation von Handelsaktivitäten ist, deren Verantwortlicher der E-Commerce-PlattformBetreiber ist.144 Zweck des Handels kann sowohl der Verkauf von Waren als auch die Erbringung von Dienstleistungen sein, wobei diese Tätigkeiten auf Dauer angelegt 139
Hierzu ausführlich unter 2. Charakteristika des E-Commerce-Plattform-Betreibers. Eine ähnliche, allgemeiner gefasste Vorschrift findet sich in Bezug auf Handeltreibende ) in § 7 Abs. 1 BM Onlinehandel I. im Internet ( 141 Yang Lixin, Journal of Shandong University (Philosophy and Social Sciences) 2019/2, 110, 111. 142 Yang Lixin, Journal of Shandong University (Philosophy and Social Sciences) 2019/2, 110, 111. In § 6 OVG Informationsnetze II werden Informationsnetze neben dem Internet definiert als Rundfunk- und Fernsehnetze, feste Kommunikationsnetze und mobile Kommunikationsnetze mit Computern, Fernsehgeräten, Festnetztelefonen, Mobiltelefonen und anderen elektronischen Geräten als Empfangsgeräten sowie der Öffentlichkeit zugängliche lokale Netze. 143 Yang Lixin, Journal of Shandong University (Philosophy and Social Sciences) 2019/2, 110, 111. 144 Jirimutu, Tribune of Social Sciences 2021/4, 130, 133. 140
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1. Teil: Einführung
sein und mit Gewinnerzielungsabsicht erbracht werden müssen, d. h. den Anforderungen einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu entsprechen haben.145
II. Netzdienstanbieter und E-Commerce-Plattform-Betreiber In den §§ 1194 ff. ZGB, die im Internet begangene Rechtsverletzungen regeln, hat der Gesetzgeber zur Bezeichnung desjenigen, der Nutzern eine Plattform zum Nachgehen bestimmter Tätigkeiten bietet, den Begriff des Netzdienstanbieters146 gewählt. E-Commerce-Plattform-Betreiber sind ein Spezialfall des Netzdienstanbieters.147 Da die Vorschriften des ZGB und ECG, die die Haftungsfrage von Netzdienstanbietern und E-Commerce-Plattform-Betreibern betreffen, sich stellenweise unterscheiden und das ECG im Zweifel als lex specialis Anwendungsvorrang genießt,148 sind die begriffliche Klärung sowie Abgrenzung dieser beiden Entitäten nicht nur theoretisch von Interesse, sondern auch praktisch von Bedeutung. 1. Begriffsbestimmung des Netzdienstanbieters durch das OVG Das OVG stellt heraus, dass es sich bei dem Begriff des Netzdienstanbieters eher um ein rechtliches Konzept als um einen IT-Fachbegriff handelt und für diesen Begriff in den bestehenden Verwaltungsvorschriften und justiziellen Auslegungen unterschiedliche Bezeichnungen verwendet werden.149 Insoweit seien beispielhaft der „Netzdienstanbieter, der Inhaltsdienste anbietet“,150 der „Anbieter von Inhaltsdiensten“,151 der „Anbieter von Internetzugangsdiensten“,152 der „Anbieter von Internetinformationsdiensten“153 und der „Websitebetreiber“154 genannt. Das OVG 145
Zheng Jianing, Modern Law Science 2020/3, 166, 167. . 147 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 140; Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 6; Yang Lixin, Journal of Shandong University (Philosophy and Social Sciences) 2019/2, 110, 113; auch Jirimutu, Tribune of Social Sciences 2021/4, 130, 132, bezeichnet den E-Commerce-Plattform-Betreiber als eine Art von Netzdienstanbieter, da logischer Ausgangspunkt für die Einführung des Notice and Takedown-Verfahrens in das ECG gewesen sei, dass der Gesetzgeber die von E-Commerce-Plattformen erbrachten Dienste als eine Art Netzdienst angesehen habe. Das Notice and Takedown-Verfahren war für Netzdienstanbieter vor Inkrafttreten des ECG in § 36 DelHaftG geregelt; hierzu ausführlich unten, 4. Kap., A. II. 3. § 36 Abs. 2 DelHaftG. 148 Hierzu auch unter 3. Kapitel: Begrifflicher Gegenstand der Untersuchung. Zu den Anwendungsverhältnissen insgesamt s. u., 4. Kap., D. Vergleich der alten und neuen Regelungen des Notice and Takedown-Verfahrens. 149 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 262 f. 150 . 151 . 152 . 153 . 146
3. Kap.: Begrifflicher Gegenstand der Untersuchung
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weist in diesem Zusammenhang auch auf die Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Netzdienstanbietern in der SRVI-VO hin. Diese seien hauptsächlich die in § 14 SRVI-VO aufgezählten Anbieter von Informationsspeicherplatz, Suchund Verlinkungsdiensten und die in den §§ 20 ff. SRVI-VO genannten Anbieter automatischer Zugangs-, Übertragungs- und Speicherdienste.155 a) Differenzierung zwischen Webtechnologiedienstund Webinhaltsdienstanbietern Zur besseren Greifbarkeit schlägt das OVG eine Differenzierung im Rahmen des weit gefassten Terminus „Netzdienstanbieter“ in „Webtechnologiedienstanbieter“156 und „Webinhaltsdienstanbieter“157 vor.158 Der Begriff des Webtechnologiedienstanbieters beziehe sich auf Webeinrichtungen, die einen Zugang, die Möglichkeit einer Zwischenspeicherung, Speicherplatz sowie Such- und Verlinkungsdienste anbieten und den Nutzern nicht direkt Informationen zur Verfügung stellen.159 Demgegenüber seien Webinhaltsdienstanbieter Einheiten, die aktiv Inhalte für Nutzer zusammenstellen.160 Das OVG verweist insoweit auch auf die Definition in § 2 Abs. 1 BM Urheberrecht Internet. Dort wird ein Netzdienstanbieter als Internetinformationsdienstanbieter161 bezeichnet, der auf Anweisung des Inhaltsanbieters automatisch Funktionen wie das Hochladen, Speichern und Verlinken von Inhalten wie Werken, Audio- und Videoaufzeichnungen vornimmt, ohne diese selbst auszuwählen, zu bearbeiten oder zu ändern. Der grundlegende Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Netzdienstanbietern liegt mithin darin, dass Webtechnologiedienstanbieter lediglich einen Kanal oder eine Plattform zur Verfügung stellen, während Webinhaltsdienstanbieter den Netznutzern Inhalte oder Produkte direkt zur Verfügung stellen, die sie selbst bearbeiten, organisieren und ändern.162 Angesichts der Vielfalt der im Internet angebotenen Dienste betont das OVG trotz dieser Zweiteilung, dass stets die konkreten Umstände des Einzelfalls zur Begründung einer deliktischen Haftung maßgeblich seien.163 Gleichwohl schafft das OVG mit der Zweiteilung der Netzdienstanbieter in Webtechnologiedienst- und Webinhalts154
. Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 263. 156 . 157 . 158 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 263. So auch Ning Yuan, Journal of Chongqing University 2020/5, 156, 159. 159 Als Beispiele für Webinhaltsdienstanbieter nennt das OVG die Websites Sohu und Sina, die neben technischen Diensten auch damit verbundene Inhalte anbieten, Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 265. 160 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 263. 161 . 162 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 263. 163 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 265. 155
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1. Teil: Einführung
dienstanbieter eine Orientierungshilfe für den Rechtsanwender bei der Prüfung der konkret anwendbaren Vorschriften, die in Anlehnung an die Unterscheidung im Urheberrecht erfolgte und daher nur bedingt verallgemeinerungsfähig ist. b) Auswirkungen auf die Haftungsfolge Das OVG legt in einem nächsten Schritt dar, wie sich diese Differenzierung auf die Haftung der Netzdienstanbieter auswirkt.164 Da Webinhaltsdienstanbieter die auf ihren Webseiten bereitgestellten Informationen selbst bearbeiteten und organisierten, sei ihr rechtlicher Status mit jenem von Herausgebern vergleichbar und sie hätten direkt für die Verletzung der Rechte und Interessen anderer zu haften, wie beispielsweise für die Veröffentlichung rechtsverletzender Werke. Webtechnologiedienstanbieter hafteten demgegenüber mit Ausnahme der Bestimmungen der §§ 1195 ff. ZGB in der Regel nicht für die Verletzung von Rechten und Interessen anderer durch Informationen, die von Netznutzern veröffentlicht wurden. Indes hafteten sie nach § 1194 ZGB, wenn sie selbst die Initiative ergreifen, um rechtsverletzende Handlungen zu begehen, wie beispielsweise die Beseitigung technischer Schutzmaßnahmen anderer.165 Als rein deklaratorisch bezeichneten demgegenüber viele Wissenschaftler § 1194 ZGB während des Kodifikationsprozesses des ZGB und schlugen daher seine Streichung vor.166 Zwar wurde die Vorschrift letztlich beibehalten, wird überwiegend aber nach wie vor als deklaratorisch betrachtet.167 2. Charakteristika des E-Commerce-Plattform-Betreibers Gemäß § 9 Abs. 1 ECG sind E-Commerce-Plattform-Betreiber eine Art von ECommerce-Betreiber. Genauer sind E-Commerce-Plattform-Betreiber nach § 9 Abs. 2 ECG juristische Personen oder Organisationen ohne Rechtspersönlichkeit, die dem zwei- oder mehrseitigen Handel im E-Commerce Dienste wie das Anbieten von Geschäftsplätzen im Internet, die Handelsvermittlung und die Bekanntmachung 164
Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 263 f. Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 263 f. 166 Huang Wei (Hrsg.), Erläuterung der deliktischen Haftung im Entwurf des Zivilgesetzbuchs der Volksrepublik China, 2020, S. 119. Zu § 1194 ZGB auch unten, 4. Kap., A. II. 4. b) Das Recht zur Gegenanzeige. 167 Huang Wei (Hrsg.), Erläuterung der deliktischen Haftung im Entwurf des Zivilgesetzbuchs der Volksrepublik China, 2020, S. 119. Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 135, weist auf die Ähnlichkeit zu § 2 Abs. 1 DelHaftG hin, der lediglich hinweisenden ). Auch § 2 Abs. 1 DelHaftG habe keinen allgemeinen Grundsatz Charakters sei ( der verschuldensunabhängigen Haftung für unerlaubte Handlungen in China eingeführt, Wang Liming/Zhou Youjun/Gao Shengping, Kurs im chinesischen Deliktsrecht, 2010, S. 91; vgl. hierzu auch Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 112. Zweck der Vorschrift sei lediglich, die besonderen Haftungssubjekte bei im Internet begangenen Rechtsverletzungen herauszustellen, um so eine Grundlage für die folgenden Vorschriften zu schaffen. 165
3. Kap.: Begrifflicher Gegenstand der Untersuchung
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von Informationen anbieten, um die eigenständige Durchführung von zwei- oder mehrseitigen Geschäftstätigkeiten zu ermöglichen. Diese Definition des E-Commerce-Plattform-Betreibers ähnelt bereits bestehenden Definitionen in anderen Rechtstexten wie beispielsweise der des § 7 Abs. 2 BM Onlinehandel I.168 Voraussetzung für die Errichtung und den Betrieb einer E-Commerce-Plattform ist mithin die Gründung einer Kapitalgesellschaft169, eines Partnerschaftsunternehmens170, eines Einzelpersonenunternehmens171 oder einer Organisation ohne Rechtspersönlichkeit.172 a) Anforderungen an die Eigenschaft als E-Commerce-Plattform-Betreiber Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Netzdienstanbieter zugleich die Eigenschaften des E-Commerce-Plattform-Betreibers erfüllt, werden sowohl subjektive als auch objektive Faktoren herangezogen.173 Subjektiv ist die Absicht erforderlich, verwaltend für die Nutzer der Plattform tätig zu werden.174 Dies lässt sich auf den Wortlaut des § 9 Abs. 2 ECG stützen, der für die Eigenschaft als E-CommercePlattform-Betreiber voraussetzt, dass objektiv bestimmte Dienste erbracht werden und subjektiv mit der Intention gehandelt wird, die eigenständige Durchführung von zwei- oder mehrseitigen Geschäftstätigkeiten zu ermöglichen. Ausschlaggebend für die Eigenschaft als E-Commerce-Plattform-Betreiber ist daher letztlich auch die Frage, ob die Nutzer bei ihrer Tätigkeit auf der Plattform ein wirtschaftliches Interesse verfolgen.175 Unter einer verwaltenden Tätigkeit werden der Erlass und die Durchsetzung der auf der Plattform zwischen E-Commerce-Betreibern und Nutzern geltenden Transaktionsregeln verstanden.176
168
Zheng Jianing, Modern Law Science 2020/3, 166, 167. . Gemeint sind im chinesischen Inland errichtete Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Aktiengesellschaften, vgl. § 2 GesG. Zum Begriff der Gesellschaft und dem numerus clausus der Gesellschaftsformen in der VR China s. auch Bu, Einführung in das Recht Chinas, 2017, § 16 Rn. 1 f. m. w. N. 170 . 171 . 172 Yang Lixin, Journal of Shandong University (Philosophy and Social Sciences) 2019/2, 110, 113 f. 173 Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 10. 174 Xue Hong, CTLR 2019/4, 107, 109. 175 Jirimutu, Tribune of Social Sciences 2021/4, 130, 133. 176 Xue Hong, CTLR 2019/4, 107, 109. Gegenstand dieser Regelungen hätten die Rechte und Pflichten in Bezug auf den Zugang zu und das Verlassen der Plattform zu sein, die Sicherstellung der Qualität der Produkte und Dienstleistungen, der Schutz der Rechte und Interessen der Nutzer sowie der Schutz persönlicher Informationen. 169
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1. Teil: Einführung
b) Der E-Commerce-Plattform-Betreiber als Mittler Aus der Legaldefinition des § 9 Abs. 2 ECG geht ferner das Hauptmerkmal des ECommerce-Plattform-Betreibers als Medienintermediär hervor.177 Nutzt ein ECommerce-Plattform-Betreiber seine Plattform, um auf ihr eigenen Geschäftstätigkeiten nachzugehen, wird er nicht in seiner Eigenschaft als Plattformbetreiber tätig178 und ist anderer E-Commerce-Betreiber i. S. v. § 9 Abs. 1 ECG. Erfolgt eine Tätigkeit in beiden Eigenschaften, trifft den Plattformbetreiber nach § 37 Abs. 1 ECG die Pflicht, diese Geschäfte deutlich von denen anderer Betreiber abzugrenzen. In § 37 Abs. 2 ECG wird zudem klargestellt, dass der E-Commerce-Plattform-Betreiber für die als selbst gekennzeichneten Geschäfte wie ein Warenverkäufer oder Dienstleister haftet. Durch die Rolle des Plattformbetreibers bei der Beilegung von Streitigkeiten zwischen Nutzern und auf Plattformen tätigen Betreibern wird er ferner als eine Art Schiedsrichter gesehen, der Rechte des geistigen Eigentums gleichermaßen wie die Rechte der auf der Plattform tätigen Betreiber durch die Prüfung der Kreditwürdigkeit der Nutzer zu schützen und sich dabei gerecht und neutral zu verhalten hat.179 Vor diesem Hintergrund war im Vorentwurf des ECG noch von sog. Drittplattformen180 die Rede; schlussendlich einigte man sich indes auf den Begriff des ECommerce-Plattform-Betreibers als standardisiertem Rechtsbegriff.181 c) Der E-Commerce-Plattform-Betreiber als Mitgestalter des Handels Da Plattformbetreiber selbst Dienstleistungen wie die Bereitstellung von Suchfunktionen, Indexierung und Empfehlungsalgorithmen, Bonitätsprüfungen und Beschwerde- und Streitbeilegungsmechanismen erbringen, um einen geordneten Informationsaustausch zu gewährleisten und der zwischen Händlern und Nutzern bestehenden Informationsasymmetrie entgegenzuwirken, werden sie jedoch nur eingeschränkt als passive, neutrale Dritte gesehen.182 Dass E-Commerce-Plattform177 So auch Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 10; Zhang Defen, Intellectual Property 2019/3, 41, 45; auch Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 66, bezeichnet den Plattformbetreiber als Intermediär; vgl. auch Jirimutu, Tribune of Social Sciences 2021/4, 130, 132. 178 Yang Lixin, Journal of Shandong University (Philosophy and Social Sciences) 2019/2, 110, 113. 179 Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 116, 121. 180 . 181 Du Ying, Electronics Intellectual Property 2021/4, 4, 6. 182 Jirimutu, Tribune of Social Sciences 2021/4, 130, 133, 141, der beispielhaft die Einrichtung oder Beauftragung von Drittanbieter-Zahlungsdiensten nennt, um die Transaktionssicherheit zu gewährleisten; auch Ning Yuan, Journal of Chongqing University 2020/5, 156, 157 f., bestreitet die Neutralität der Netzdienstanbieter, da sie nicht mehr nur reine Übertragungskanäle und Speicherplätze seien, sondern durch ihre Organisation, Bearbeitung und
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Betreiber nicht zwingend rein vermittelnd tätig werden, findet gesetzlich in § 46 S. 2 ECG Ausdruck. Gemäß § 46 S. 2 ECG können E-Commerce-Plattform-Betreiber außer den in § 9 Abs. 2 ECG geregelten Dienstleistungen zwischen Betreibern gemäß der Dienstleistungsvereinbarung und den Handelsregeln Dienstleistungen wie die Lagerung, Logistik, Zahlungsabwicklung und Lieferung zur Verfügung stellen.183 3. Grenzfälle Im Zuge der fortschreitenden technologischen Entwicklung tauchen immer wieder Fälle auf, in denen die Subsumtion bestimmter Netzdienstanbieter unter die bestehenden Vorschriften zur Regelung im Internet begangener Rechtsverletzungen Probleme bereitet. So werden Geschäfte in der heutigen Zeit auch durch verschiedene neuartige Formen sozialer Medien wie Streamingseiten eingegangen.184 Es drängt sich die Frage auf, ob jene sozialen Medien Netzdienstanbieter i. S. d. §§ 1194 ff. ZGB, §§ 20 – 23 SRVI-VO oder E-Commerce-Plattform-Betreiber i. S. v. § 9 Abs. 2 ECG und somit Adressaten der in den verschiedenen Regelwerken teils unterschiedlich ausgestalteten Pflichten sind.185 Was die Eigenschaft als E-Commerce-Plattform-Betreiber betrifft, wird im Schrifttum auf das Kriterium des ECommerce-Plattform-Betreibers als Intermediär abgestellt, wonach sich die meisten sozialen Medien und Streamingseiten für die Eigenschaft als Plattformbetreiber qualifizieren würden, da Nutzer über soziale Medien und Streamingseiten in der Regel unabhängig Tätigkeiten nachgehen könnten.186 Dass auch das Erfordernis einer verwaltenden Tätigkeit erfüllt wird, geht aus den eigenen Regelungen einiger Websites hervor.187 Gleichwohl fehlt es für die Eigenschaft als E-Commerce-Plattform-Betreiber oftmals an Transaktionen, die auf der Plattform stattfinden, und daher Anordnung hochgeladener und gespeicherter Inhalte einen wichtigen Beitrag zur Entstehung und Vergrößerung des Risikos von im Internet begangenen Rechtsverletzungen leisteten. So auch der Chinesische Verbraucherverband, der die fehlende Neutralität des Plattformbetreibers mit dessen erzieltem Gewinn und Kontrollmöglichkeiten begründet, vgl. die „Stellungnahme des Chinesischen Verbraucherverbandes zur Durchführung und Umsetzung des ECG zum wirksamen Schutz der legalen Rechte und Interessen der Verbraucher“ [ ], http://www.chinatt315.org.cn/tfzx/20189/27/37120.html, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022. A. A. Du Ying, Electronics Intellectual Property 2021/4, 4, 5, die die neutrale, marktschaffende, für Verkäufer und Käufer gleichermaßen attraktive Funktion der E-Commerce-Plattformen hervorhebt. Auch laut Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 58, kommt dem Plattformbetreiber lediglich eine Verfahrensrolle zu. 183 Zur Einbindung der Plattformbetreiber in die sich offline vollziehende Vertragserfüllung unten, 6. Kap., B. I. Tatsächliche Hintergründe für die Schaffung des § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG. 184 Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 10. Zu den sog. Livestreamings s. o., Fn. 5. 185 So auch Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 10. 186 Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 10. 187 Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 10.
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der Gewinnerzielungsabsicht.188 Im Schrifttum wird daher festgehalten, die über soziale Medien verfolgten Aktivitäten seien eher kommunikativer als wirtschaftlicher Natur, sodass sie de lege lata regelmäßig keine E-Commerce-Plattform-Betreiber i. S. v. § 9 Abs. 2 ECG sein könnten. Würden über die Plattform hingegen beispielsweise Waren verkauft, spiele es keine Rolle, ob dies durch eine spezifisch auf den Verkauf von Waren gerichtete Webseite oder andere Mittler erfolge.189 Vor diesem Hintergrund wird gefordert, das Konzept des E-Commerce-Plattform-Betreibers weiter zu fassen und gleichzeitig die auf herkömmliche E-CommercePlattform-Betreiber ausgerichteten Regeln an neuartige Formen von Betreibern anzupassen.190 a) Rechtsprechung über Miniprogrammplattformdienste Einer der Grenzfälle, in denen die Charakteristika eines Internetdienstes im Besonderen diskutiert wurden, sind die in Verbindung mit der Plattform WeChat191 erstmalig im Jahr 2017 auftretenden und seitdem stetig zunehmenden und mitunter auch als Appletdienste bezeichneten Miniprogrammplattformdienste. Diese Dienste sind Apps, die genutzt werden können, ohne dass sie auf das Endgerät heruntergeladen werden müssen. Der Nutzer kann auf die gesamten Funktionen der entsprechenden Applets über die Benutzeroberfläche von WeChat zugreifen, nachdem er den QR-Code des Applets gescannt oder nach dessen Namen gesucht hat.192 Ein solcher Appletdienst war Gegenstand des Urteils des Internetgerichts Hangzhou193, das den Fall als dritten in seine Zusammenstellung der zehn typischen Fälle aus dem 188
Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 10. Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 10; vgl. auch Lan Hao, Journal of Shanghai University of Political Science and Law, 2020/4, 87, der hervorhebt, WeChat werde in dem Moment zur E-Commerce-Plattform, in dem die ursprünglich primär kommunikativen Zwecken dienende App zusätzlich über eine Handelsfunktion verfüge. 190 Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 12. Eine Tendenz, auch Anbieter sozialer Netzwerke als E-Commerce-Plattform-Betreiber zu betrachten, ist auch aus § 7 Abs. 4 S. 1 BM Onlinehandel I erkennbar. Hiernach müssen Anbieter von Netzdiensten wie sozialen Netzwerken und Webcasting, die Dienste wie die Zurverfügungstellung von Online-Geschäftsräumen, Warensuche, Auftragsgenerierung und Onlinezahlung anbieten, die Pflichten der Betreiber von Internethandelsplattformen erfüllen. 191 . Dieser, innerhalb der VR China meistgenutzte Messenger-Dienst, umfasst neben der Möglichkeit des Nachrichtenaustauschs beispielsweise auch Zahlungsdienste. Im zweiten Quartal 2022 betrug die Zahl monatlich aktiver Nutzer weltweit ca. 1,3 Mrd., Rabe, „Anzahl der monatlich aktiven Nutzer (MAU) von WeChat weltweit vom 2. Quartal 2011 bis zum 2. Quartal 2022“, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/311381/umfrage/anzahl-der-monat lich-aktiven-nutzer-von-wechat-weltweit/#:~:text=Anzahl%20der%0monatlich%20aktiven%2 0Nutzer,Quartal%202022&text=Die%20von%20Tencent%20entwickelte%20Nachrichten,Mil liarden%20monatlich%20aktive%20Nutzer%20weltweit, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022. 192 Hao Lei/Wan Fucheng/Ma Ning/Wang Yicheng, Journal of Physics: Conference Series 1087 062040, 2018/6, 1, 1. 193 ), Az.: 2018 0192 7184 . Internetgericht Hangzhou ( 189
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Jahr 2021 aufnahm, die E-Commerce-Plattformen betreffen.194 Es stellte dort heraus, dass es sich hierbei um den ersten entschiedenen Fall handelte, in dem es um einen WeChat-Miniprogrammplattformdienst ging. Das Mittlere Volksgericht Hangzhou erhielt das Urteil als Berufungsinstanz aufrecht.195 aa) Sachverhalt und Parteivortrag In dem Sachverhalt, der den Gerichtsentscheidungen zugrunde liegt,196 war das klägerische Unternehmen Inhaberin des Verbreitungsrechts an dem Werk „Wu Zihongs Psychologiekurs“. Die Beklagte stellte ohne Genehmigung und eigenmächtig über die in ihrem Eigentum stehende und durch sie selbst betriebene Miniprogrammplattform die Online-Übertragungsdienste „hören und lesen“ und „replay“ zur Verfügung. Die Klägerin war der Auffassung, die Beklagte habe durch diese Handlung ihr Verbreitungsrecht verletzt. Auch habe die ebenfalls beklagte Tencent Holdings Ltd.197, die die Zurverfügungstellung des Applets über den durch sie betriebenen Kommunikationsdienst WeChat ermöglicht hatte, ihre Pflicht zur Prüfung des Inhalts des Miniprogramms verletzt und der Beklagten so Hilfe geleistet. Die drei rechtsverletzenden Dienste seien sofort zu löschen, und Tencent treffe gemeinsam mit der Beklagten eine Schadensersatzhaftung. Das klägerische Unternehmen beantragte auf dieser Grundlage die Verurteilung beider Beklagten zur Löschung der rechtsverletzenden Inhalte sowie zur Leistung von Schadensersatz für den durch die Verbreitung erlittenen wirtschaftlichen Verlust. Tencent argumentierte demgegenüber, bei dem Miniprogrammdienst handele es sich um einen technischen Dienst für den mobilen Seitenzugriff und damit nicht um einen Netzdienst im herkömmlichen Sinne, sondern um einen grundlegenden technischen Dienst. Die durch den Miniprogramm-Anbieter zur Verfügung gestellten Dienste würden nicht auf der Miniprogrammplattform gespeichert und es werde somit kein Informationsspeicherdienst erbracht. Die Inhalte des Miniprogramms würden dem Nutzer direkt durch den Inhaltsanbieter bereitgestellt und es bestehe seitens des Anbieters technisch keine Möglichkeit, Maßnahmen gegen diese
194 , abrufbar unter lawinfochina.com [ ]/pkulaw.cn [ ], Indexnummer CLI.C.317949012. 195 Mittleres Volksgericht Hangzhou ( ), Az.: 2019 01 4268 . 196 Grundlage für die folgende Sachverhaltsdarstellung ist der Aufsatz von Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 52 f. 197 Die Tencent Holdings Ltd. ist ein in der VR China gegründetes, börsennotiertes Internetunternehmen, dessen Tätigkeitschwerpunkt auf sozialen Netzwerken und Instant-Messaging-Diensten liegt, Rabe, „Statistiken zu Tencent“, https://de.statista.com/themen/3106/ten cent/#dossierKeyfigures, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022. Der Markenwert Tencents im Jahr 2022 beträgt 214 Mrd. US-Dollar und ist damit der fünfthöchste weltweit, vgl. den Eintrag „Ranking der 25 wertvollsten Marken nach ihrem Markenwert im Jahr 2022“, https://de. statista.com/statistik/daten/studie/6003/umfrage/die-wertvollsten-marken-weltweit/, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022.
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1. Teil: Einführung
Inhalte zu ergreifen. Daher habe Tencent ihre Pflichten durch die Offenlegung der wichtigsten Informationen über den Inhaltsanbieter umfassend erfüllt. bb) Entscheidung des Internetgerichts Hangzhou Das Internetgericht Hangzhou führte in seinem Urteil aus, der Appletdienst von WeChat ähnele den in § 20 SRVI-VO genannten Diensten für einen automatischen Zugang und eine automatische Übertragung und gehöre damit zu den grundlegenden Netzdiensten, auf die das Notice and Takedown-Verfahren der SRVI-VO198 nicht anwendbar sei. Der Begriff des Netzdienstanbieters in § 36 Abs. 2 DelHaftG, der das Notice and Takedown-Verfahren für all jene Netzdienstanbieter regelt, die nicht von der SRVI-VO erfasst sind,199 sei in diesem Fall restriktiv und an den Bestimmungen der SRVI-VO orientiert auszulegen. Gleichwohl untersuchte das Gericht die Frage nach den notwendigen Maßnahmen i. S. v. § 36 Abs. 2 DelHaftG und stellte diesbezüglich fest, dass es die Speicherung des über das Applet abrufbaren Inhalts auf dem Server des vermeintlichen Urhebers unmöglich mache, den rechtsverletzenden Inhalt punktgenau vom Server des vermeintlichen Urhebers zu entfernen. Technisch möglich sei nur die vollständige Schließung des Kommunikationskanals zwischen Nutzern und Inhaltsanbietern und somit die vollständige Löschung des Applets gewesen, die jedoch keine gezielte Entfernung und daher auch keine notwendige Maßnahme gewesen sei. Kernmaßnahmen des Notice and Takedown-Verfahrens seien die Entfernung rechtsverletzender Inhalte oder die Sperrung von Links zu diesen und nicht die unmittelbare Unterbindung des automatischen Zugriffs, der Übertragung oder Zwischenspeicherung von Informationen. Daher gab das Gericht der Klage auf Löschung des in Rede stehenden Miniprogramms sowie Zahlung von Schadensersatz nur gegenüber der unmittelbaren Schädigerin, nicht aber gegenüber der Tencent Holdings Ltd. statt. In seiner Zusammenstellung der zehn typischen Fälle aus dem Jahr 2021200 fasste das Internetgericht zusammen, dass Tencent lediglich grundlegende Dienste für den Zugriff auf das Miniprogramm zur Verfügung gestellt habe und der Inhalt des Programms auf dem Tencent nicht zugänglichen Server von dessen Entwickler gespeichert worden sei. Daher sei der von Tencent erbrachte Dienst unspezifisch, rein technisch und passiv gewesen. Da Tencent weder Speicherplatz noch Such- oder Verlinkungsdienste angeboten habe, sei die Benachrichtigungsregel weder gemäß § 22 Nr. 5 SRVI-VO noch § 23 SRVI-VO anwendbar gewesen. Durch diesen Fall sei ferner klargestellt worden, dass Voraussetzung für die Anwendung des Notice and Takedown-Verfahrens der §§ 36 Abs. 2 DelHaftG und 22 SRVI-VO die Möglichkeit 198 Dieses Verfahren dient der Benachrichtigung von Netzdienstanbietern über auf Plattformen begangene Rechtsverletzungen, damit diese die notwendigen Maßnahmen zur Beseitigung der Rechtsverletzung ergreifen können; hierzu ausführlich unten, 4. Kap., A. II. Hintergründe und Ablauf des Notice and Takedown-Verfahrens im chinesischen Recht. 199 Vgl. nunmehr § 1195 Abs. 2 ZGB. 200 S. o., Fn. 194.
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des Netzdienstanbieters zu sein habe, Kontrolle über die rechtsverletzenden Inhalte auszuüben und sie tatsächlich zu löschen. cc) Analyse Die Einordnung des Appletdiensts als ähnlicher Dienst wie der in § 20 SRVI-VO geregelte automatische Zugriffsdienst und die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift überzeugen vor dem Hintergrund, dass die Inhalte als solche nicht auf dem Server von Tencent, sondern extern gespeichert wurden.201 Dass das Gericht betonte, eine Haftung scheide aus, da die Benachrichtigungsregel nicht anwendbar sei, ist insofern ungenau, als es sich jedenfalls bei dem Notice and Takedown-Verfahren der SRVI-VO um eine Haftungsausschlussregel handelt, die keine Handlungspflichten der Netzdienstanbieter auslöst, sondern lediglich eine Aussage darüber trifft, dass die Haftung des Netzdienstanbieters ausgeschlossen ist, wenn entsprechende Maßnahmen zur Beseitigung der Rechtsverletzung ergriffen werden.202 Prüft man hingegen die Anwendbarkeit von § 36 Abs. 2 DelHaftG, dessen Notice and Takedown-Verfahren nach überwiegender Auffassung als Haftungsbegründungsvorschrift verstanden wird,203 erscheint einleuchtender, dass das Gericht die Frage nach der Anwendbarkeit des Notice and Takedown-Verfahrens im Hinblick auf die Haftung von Tencent vorliegend für relevant hielt. Dass überhaupt Anstrengungen unternommen wurden, den Begriff des Netzdienstanbieters in § 36 Abs. 2 DelHaftG restriktiv auszulegen, überrascht jedoch insofern, als die SRVI-VO angesichts des urheberrechtlichen Charakters des Falles in sachlicher Hinsicht nach § 92 GGG vorrangig anzuwendendes Spezialgesetz ist.204 § 36 Abs. 2 DelHaftG für anwendbar zu erklären, sodann aber eine Auslegung im Einklang mit den Vorschriften der SRVI-VO 201 Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 60 f., differenziert zwischen verschiedenen Arten von Applets. So existierten zum einen rein schnittstellenbasierte Applets, auf die über den Netzdienstanbieter nur zugegriffen werde und die daher automatischen Zugangsdiensten ähnelten, dies sei aber nicht zwingend. So gebe es auch Applets, die sich auf die Applet-Service-Plattform stützten, um Wiedergabe- und Anzeigedienste zur Verfügung zu stellen. Ob die Benachrichtigungsregel auf letztere ebenfalls definitiv nicht anzuwenden sei, sei jedenfalls erörterungswürdig. 202 Hierzu ausführlich unten, 4. Kap., A. II. 2. c) Rechtsdogmatisches Verständnis der §§ 22 f. SRVI-VO. 203 Liang Zhiwen, Science of Law 2017/4, 100, 105; Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 138; Yang Ming, Journal of the East China University of Political Science and Law 2010/3, 123, 127; Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 24 f., der hervorhebt, dass dies unabhängig davon gelte, dass § 36 Abs. 2 DelHaftG das Wort „muss“ nicht enthält. Hierzu ausführlich unten, 4. Kap., A. II. 3. b) Rechtsdogmatisches Verständnis von § 36 Abs. 2 DelHaftG. 204 Dass diese Auslegung im Sinne des Gesetzgebers ist, lässt sich auch auf § 2 Abs. 3 S. 2 ECG stützen, der eine Anwendbarkeit des gegenüber dem ZGB spezielleren ECG auf die dort aufgezählten Sachverhalte ebenfalls ausschließt. Zu den Anwendungsverhältnissen auch unten, 4. Kap., D. Vergleich der alten und neuen Regelungen des Notice and Takedown-Verfahrens.
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1. Teil: Einführung
zu fordern, erscheint methodisch unsauber, da viel dafür spricht, dass der allgemein gefasste § 36 DelHaftG gerade Fälle abdecken soll, die von der SRVI-VO nicht erfasst werden. Auch im Schrifttum wird weder ein praktisches Bedürfnis noch eine rechtswissenschaftliche Grundlage für die restriktive Auslegung von § 36 Abs. 2 DelHaftG gesehen, die Vorschrift aber neben der SRVI-VO ebenfalls für anwendbar erklärt, da die Benachrichtigungsregel des § 14 SRVI-VO nicht ausreiche, um den ständig neuen Arten von Netzdienstanbietern gerecht zu werden.205 Die gegenüber § 14 SRVI-VO weitere Vorschrift des § 36 Abs. 2 DelHaftG sei daher ergänzend anzuwenden. Methodisch überzeugender sei es, den Appletdienst in dem vorliegenden Fall als Netzdienst i. S. v. § 36 Abs. 2 DelHaftG zu verstehen und sodann auf Rechtsfolgenseite festzustellen, dass Tencent alle notwendigen Maßnahmen ergriffen habe.206 Dass das Gericht trotz der entsprechenden Anwendung von § 20 SRVIVO und restriktiven Auslegung von § 36 Abs. 2 DelHaftG ebenfalls auf die Notwendigkeit der zu ergreifenden Maßnahmen eingeht, war angesichts der restriktiven Auslegung des Begriffs des Netzdienstanbieters i. S. v. § 36 Abs. 2 DelHaftG demgegenüber nicht notwendig und ist eher als obiter dictum zu werten. Im Ergebnis ist die Entscheidung indes zu begrüßen, da die Haftbarkeit der Appletdienstanbieter ausufern würde, wenn man sie zur Prüfung sämtlicher Inhalte verpflichtete, auf die über den erbrachten Dienst zugegriffen werden kann. b) Rechtsprechung über Cloud-Dienste Ein weiterer diskutierter Grenzfall ist die rechtliche Stellung von sog. CloudDiensten. Dabei ist je nach in der Cloud zur Verfügung gestellter Ressource und dem Abstraktionsgrad zwischen den drei Kategorien infrastructure as a service, platform as a service und software as a service zu differenzieren.207 Die Anbieter erstgenannter Dienste stellen ihren Nutzern in der Regel lediglich eine IT-Infrastruktur bereit, die es ihnen etwa ermöglicht, in der Cloud ein eigenes Betriebssystem zu installieren, verschiedene Datenformate zu verwenden sowie sämtliche selbst gewählte Anwendungen und Rechenleistungen zu betreiben.208 Während die Nutzer selbst für die Administration der von ihnen eingerichteten Systeme zuständig sind, beschränkt sich der Dienst der Anbieter darauf, für die Funktionsfähigkeit der physischen Hardware, ihre Einbindung in die Cloud durch die Virtualisierung sowie 205 ), Az.: 2020 73 Das Gericht für geistiges Eigentum Beijing ( 260 , wendet die Vorschriften der SRVI-VO und des DelHaftG ebenfalls parallel an. 206 Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 61. 207 Kroschwald, Informationelle Selbstbestimmung in der Cloud – Datenschutzrechtliche Bewertung und Gestaltung des Cloud Computing aus dem Blickwinkel des Mittelstands, 2016, S. 11 f. m. w. N.; diese Differenzierung nimmt auch das Gericht für geistiges Eigentum Beijing ( ), Az.: 2020 73 260 , vor. 208 Kroschwald, Informationelle Selbstbestimmung in der Cloud – Datenschutzrechtliche Bewertung und Gestaltung des Cloud Computing aus dem Blickwinkel des Mittelstands, 2016, S. 12 m. w. N.
3. Kap.: Begrifflicher Gegenstand der Untersuchung
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die Anbindung an das öffentliche Netz zu sorgen.209 Rechtlich handelt es sich bei der Zurverfügungstellung eines Cloud-Dienstes um eine Vermietung der Cloud.210 Um einen Cloud-Dienst der Kategorie infrastructure as a service ging es in dem Urteil des Gerichts für geistiges Eigentum Beijing.211 Das OVG nahm diesen Fall in seine Bekanntmachung zehn wichtiger Fälle im Bereich des Rechts des geistigen Eigentums und der 50 Musterfälle auf, die im Jahr 2019 durch chinesische Gerichte verhandelt wurden.212 aa) Sachverhalt Die Klägerin war Inhaberin der Rechte an einem Computerspiel, für das die beklagte Websitebetreiberin in der von der Beklagten im Ausgangsverfahren und Rechtsmittelklägerin, der Alibaba Cloud Ltd., zur Verfügung gestellten Cloud Download- und Aufladedienste anbot und dadurch das Vervielfältigungs-, Verbreitungs- und Übertragungsrecht der Klägerin verletzte. Da die Klägerin die Identität der Websitebetreiberin nicht ausfindig machen konnte, wandte sie sich an die beklagte Anbieterin des Cloud-Dienstes und forderte sie dazu auf, die rechtsverletzenden Inhalte durch die Trennung der Verbindung hierzu zu entfernen, den Vermietungsdienst gegenüber der Websitebetreiberin einzustellen und ihr Informationen über die Identität der Websitebetreiberin zukommen zu lassen. bb) Entscheidung des erstinstanzlich zuständigen Gerichts Das erstinstanzlich zuständige Gericht213 entschied auf Tatbestandsebene, dass § 36 DelHaftG214, der die Haftung von Netzdienstanbietern für Rechtsverletzungen regelt, die über seinen Dienst begangen werden, alle Netzdienstanbieter und somit 209 Kroschwald, Informationelle Selbstbestimmung in der Cloud – Datenschutzrechtliche Bewertung und Gestaltung des Cloud Computing aus dem Blickwinkel des Mittelstands, 2016, S. 12. 12 f. Hiervon zu unterscheiden seien Speicherdienste wie Dropbox, die häufig bereits auf einer Anwendungsumgebung und vorgefertigten Strukturen zum Upload, der Datenverwaltung und Zugriffserteilung basierten. 210 ), Az.: 2017 73 Gericht für geistiges Eigentum Beijing ( 1194 . 211 Gericht für geistiges Eigentum Beijing ( ), Az.: 2017 73 1194 . Grundlage für die folgende Sachverhaltsdarstellung ist der Aufsatz von Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 53 f. 212 2019 10 50 ; abrufbar unter lawinfochina.com [ ]/pkulaw.cn [ ], Indexnummer CLI.3.341560. 213 Urteil des Unteren Volksgerichts Beijing Shijingshan ( ), Az.: 2015 ( ) 8279 . 214 Nach geltendem Recht wäre dieser Fall nach § 1194 f. ZGB zu entscheiden, in denen wie in § 36 DelHaftG die Bezeichnung des Netzdienstanbieters ( ) gewählt wurde.
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1. Teil: Einführung
auch die Alibaba Cloud Ltd. umfasse. Die Alibaba Cloud Ltd. vermiete die Cloud zur Nutzung durch Dritte, die entsprechende Inhalte selbst hochladen, und sei als Anbieter eines Servers nicht dazu verpflichtet, im Voraus zu prüfen, ob die in der Cloud gespeicherten Inhalte rechtsverletzend sind. Die Alibaba Cloud Ltd. treffe für den Fall, dass gewichtige Interessen anderer mittels des zur Verfügung gestellten Speicherdienstes verletzt werden, jedoch nach Erhalt einer Benachrichtigung i. S. v. § 36 Abs. 2 DelHaftG die Pflicht, die erforderlichen, geeigneten und angemessenen Maßnahmen zu ergreifen, um der Rechtsverletzung entgegenzuwirken und die Vergrößerung des hierdurch entstandenen Schadens zu verhindern. Teil dieser notwendigen Maßnahmen seien die Entfernung der mutmaßlich rechtsverletzenden Inhalte, die Befragung des rechtsverletzenden Nutzers, die Weiterleitung der Benachrichtigung des Rechtsinhabers an den Nutzer sowie die Ergreifung weiterer notwendiger Maßnahmen auf der Grundlage der Reaktion des Nutzers. Dass die Alibaba Cloud Ltd. nach der ersten Benachrichtigung der Klägerin acht Monate untätig blieb, wertete das Gericht als eine Verletzung dieser Pflicht, weshalb sie nach § 36 Abs. 2 DelHaftG gesamtschuldnerisch mit der die rechtsverletzenden Inhalte hochladenen Nutzerin für die Vergrößerung des Schadens zu haften habe. cc) Entscheidung des zweitinstanzlich zuständigen Gerichts Während sich das zweitinstanzliche dem erstinstanzlich zuständigen Gericht in Bezug auf die Eigenschaft der Alibaba Cloud Ltd. als Netzdienstanbieterin i. S. v. § 36 DelHaftG anschloss, entschied es hinsichtlich der Haftung der Alibaba Cloud Ltd. abweichend. (1) Die Alibaba Cloud Ltd. als Netzdienstanbieterin i. S. v. § 36 DelHaftG Auch das Gericht für geistiges Eigentum Beijing215 qualifizierte die Alibaba Cloud Ltd. als Netzdienstanbieterin i. S. v. § 36 DelHaftG, weshalb die Benachrichtigungsregel des § 36 Abs. 2 DelHaftG anzuwenden sei. Die Vermietung von Cloud-Diensten sei nicht mit der Zurverfügungstellung von Informationsspeicherplatz i. S. v. § 14 SRVI-VO gleichzusetzen. Die Anbieter von Cloud-Vermietungsdiensten hätten im Allgemeinen nur die Möglichkeit, den Speicherplatz auf ihren Servern insgesamt abzuschalten oder freizugeben, d. h., alle auf den Servern befindlichen Daten zwangsweise zu löschen. Sie hätten aus datenschutzrechtlichen Gründen demgegenüber nicht die Möglichkeit, die auf den Servern gespeicherten Inhalte direkt zu kontrollieren. Ferner sei die Alibaba Cloud Ltd. auch keiner der in den §§ 20 ff. SRVI-VO genannten Anbieter automatischer Zugangs-, Übertragungsund Speicherdienste. Dies begründete das Gericht unter anderem damit, dass CloudDienste im Gegensatz zu automatischen Speicherdiensten nicht zu dem Zweck in Anspruch genommen würden, die Effizienz der Übertragung zu verbessern und von anderen Netznutzern bezogene Werke, Darbietungen sowie audiovisuelle Auf215
Zu diesen Gerichten s. o., Fn. 118.
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zeichnungen automatisch zu speichern. Vielmehr werde die Cloud gemietet, um anderen Nutzern Webseiten, Plattformen und Anwendungen zur Verfügung zu stellen und somit selbst Inhalte anzubieten. Da § 36 DelHaftG Cloud-Dienste nicht explizit ausschließe, fielen diese folglich unter § 36 DelHaftG. (2) Haftung der Alibaba Cloud Ltd. nach § 36 Abs. 2 DelHaftG Anders als die Ausgangsinstanz hielt das Gericht zweiter Instanz die technisch allein mögliche Entfernung aller durch die Websitebetreiberin in der Cloud gespeicherten Inhalte oder die Einstellung des gesamten Dienstes gegenüber der Websitebetreiberin nicht für eine notwendige Maßnahme i. S. v. § 36 Abs. 2 DelHaftG, da andernfalls die Funktionsfähigkeit des angebotenen Dienstes gefährdet werde. Das Herunterfahren des Servers oder das Löschen aller auf dem Server befindlichen Daten wiege weitaus schwerer als die in § 36 Abs. 2 DelHaftG beispielhaft genannten Maßnahmen und sei daher unangemessen. Daher habe die Alibaba Cloud Ltd. die Anforderungen an den hinsichtlich der Ergreifung der notwendigen Maßnahmen anzulegenden Sorgfaltsmaßstab erfüllt, die bei Cloud-Diensten der Kategorie infrastructure as a service am geringsten ausfielen. Übereinstimmend mit dem erstinstanzlichen hielt das zweitinstanzliche Gericht jedoch ebenfalls die Weiterleitung der Benachrichtigung für eine notwendige Maßnahme i. S. v. § 36 Abs. 2 DelHaftG.216 Da die vorliegende Benachrichtigung der Klägerin indes nicht den Voraussetzungen des § 5 OVG Informationsnetze I a. F.217 entsprochen habe und daher unwirksam gewesen sei, habe die Alibaba Cloud Ltd. in diesem Fall keine Weiterleitungspflicht getroffen. dd) Analyse Dass § 36 DelHaftG eine Auffangfunktion zuerkannt wird und die Gerichte keine besonderen Anforderungen an die Eigenschaft des Netzdienstanbieters stellen, überzeugt angesichts des gegenüber den verschiedenen Arten von Netzdienstanbietern in der SRVI-VO gewählten allgemeineren Begriffs des Netzdienstanbieters. Indem das zweitinstanzliche Gericht auf Rechtsfolgenseite zusätzlich zur Notwendigkeit der zu ergreifenden Maßnahmen deren Angemessenheit forderte, legte es den einseitig auf den Schutz der Interessen von Netznutzern gerichteten Begriff der Notwendigkeit zugunsten eines zwischen Nutzern und Inhaltsanbietern bestehenden Interessengleichgewichts einschränkend aus.218 Da eine Haftung der Alibaba Cloud 216 Hierzu ausführlich unten, 4. Kap., A. II. 3. c) Pflicht zur Weiterleitung als notwendige Maßnahme i. S. v. § 36 Abs. 2 DelHaftG. 217 Gemeint ist die am 23. 6. 2014 verkündete und am 10. 10. 2014 in Kraft getretene Fassung. 218 Diese Vorgehensweise befürwortet auch Feng Shujie, Intellectual Property 2015/5, 10, 16, der betont, der Wortlaut des § 36 Abs. 2 DelHaftG sehe nur die Notwendigkeit der zu ergreifenden Maßnahmen vor, der Begriff der Notwendigkeit sei aber im Ergebnis ebenfalls
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1. Teil: Einführung
Ltd. schon an der wirksamen Benachrichtigung der Klägerin scheiterte, sind die Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts in Bezug auf die Notwendigkeit der Maßnahmen als obiter dictum zu werten. c) Fazit Die Bereitstellung von Appletdiensten sowie Cloud-Speicherdiensten gehören zu den neuen Arten über das Internet angebotener Dienstleistungen, die im Zuge jüngerer Entwicklungen in der Internettechnologie und Etablierung neuer Geschäftsmodelle entstanden sind.219 Die entscheidenden Gerichte lehnten eine Haftung der Netzdienstanbieter wegen einer Verkehrspflichtverletzung in beiden Fällen ab, begründeten dies jedoch jeweils unterschiedlich.220 Bei dem über die App WeChat zur Verfügung gestellten Miniprogrammplattformdienst behalfen sich die Gerichte methodisch durch eine analoge Anwendung221 des § 20 SRVI-VO. Demgegenüber stützten sich die Gerichte bei dem durch Alibaba bereitgestellten Cloud-Speicherdienst auf eine einschränkende Auslegung222 der im Rahmen des Notice and Takedown-Verfahrens angeordneten Rechtsfolge des § 36 Abs. 2 DelHaftG, welcher der Sache nach für anwendbar erklärt wurde.223 Die Entscheidungen zeigen den unterschiedlichen Umgang der Gerichte mit dem in § 36 Abs. 2 DelHaftG gewählten, allgemein gefassten Begriff des Netzdienstanbieters. Während das Internetgericht Hangzhou auf Tatbestandsseite die Anwendbarkeit des § 36 Abs. 2 DelHaftG auf Miniprogrammplattformdienste ausschloss, überzeugte die Vorgehensweise des Gerichts für geistiges Eigentum Beijing stärker. Das Gericht für geistiges Eigentum erklärte Cloud-Speicherdienste zwar für Netzdienstanbieter i. S. v. § 36 Abs. 2 DelHaftG, ermittelte die zu ergreifenden Maßnahmen auf Rechtsfolgenseite jedoch durch eine konkrete Abwägung der Interessen aller Beteiligten, indem es den Begriff der Notwendigkeit einschränkend auslegte und zusätzlich deren Angemessenheit forderte.224 Da im Zuge der fortschreitenden technologischen Entwicklung ständig neue Arten von Netzdienstanbietern hinzutreten und das Recht letztlich nur ex post auf als verhältnismäßig auszulegen, indem es für die Bestimmung der Notwendigkeit sowohl auf die Wirksamkeit als auch die Angemessenheit der Maßnahmen ankomme. 219 So auch Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 54. 220 Vgl. auch Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 54. 221 Besteht eine Regelungslücke, so wird diese auch im chinesischen Recht u. a. mithilfe von Analogiebildungen geschlossen, Oei, Rechtsmethodik in China, 2022, S. 115 m. w. N. 222 . Hierbei handelt es sich methodisch um eine teleologische Reduktion, die auch im chinesischen Recht zur rechtlichen Argumentation verwendet wird, Oei, Rechtsmethodik in China, 2022, S. 177 m. w. N. 223 Dies fasst auch Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 54, zusammen. 224 So auch das Fazit von Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 56.
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diese Entwicklungen reagieren kann, ist ein methodisch gerechtfertigter Erkenntnisgewinn, wie durch das Internetgericht Hangzhou und das Gericht für geistiges Eigentum Beijing jedenfalls in Ansätzen vorgezeichnet, der einzig gangbare Weg, um das durch neuartige Erscheinungsformen von Netzdienstanbietern unvermeidlich entstehende rechtliche Vakuum auf eine möglichst rechtssichere Art und Weise zu füllen. Gleichwohl wäre eine klare gesetzliche Regelung von Fällen wie den zuvor diskutierten zugunsten einer vorhersehbaren Rechtsanwendung wünschenswert.225
III. Netznutzer, Dienstleistungssubjekte und auf E-Commerce-Plattformen tätige Betreiber Während in den §§ 1194 ff. ZGB allgemein von Netznutzern und in den §§ 15 ff. SRVI-VO von Dienstleistungssubjekten226 die Rede ist, hat der Gesetzgeber des ECG zur Bezeichnung desjenigen, der über eine E-Commerce-Plattform Waren verkauft oder Dienstleistungen zur Verfügung stellt, den Begriff des auf der E-CommercePlattform tätigen Betreibers227 gewählt, § 9 Abs. 3 ECG. Mithin zeichnen die auf Plattformen tätigen Betreiber sich dadurch aus, dass sie E-Commerce-Plattformen nutzen, um ihren Geschäftstätigkeiten nachzugehen.228 Im Schrifttum wird weiter ausgeführt, dass sie nicht zu den Eigentümern der Plattform gehören und mit den ECommerce-Plattform-Betreibern einen Dienstvertrag schließen, um ein Besitz- und Nutzungsrecht an einem Teil des durch die E-Commerce-Plattform bereitgestellten virtuellen Raumes zum Betrieb eines Onlineshops zu erhalten. Dabei zögen sie keinen unmittelbaren Nutzen aus dem Besitzrecht an der Plattform, sondern durch die Geschäftstätigkeiten, denen sie auf der Plattform nachgehen.229 Bei auf Plattformen tätigen Betreibern kann es sich um natürliche Personen, juristische Personen und Organisationen ohne Rechtspersönlichkeit handeln, § 9 Abs. 1 ECG. Das Erste Mittlere Volksgericht Shanghai stellt klar, dass es für die Eigenschaft als ein auf der Plattform tätiger Betreiber i. S. v. § 9 Abs. 1 und Abs. 3 ECG darauf ankommt, dass tatsächlich Waren über die Plattform vertrieben oder Dienstleistungen angeboten werden. Unerheblich sei demgegenüber, ob der auf der Plattform tätige Betreiber sich
225 In diesem Sinne wohl auch Li Xiaocao, Journal of Law Application 2020/13, 124, 127, der die Einfachheit der Regelungen bedauert, die zu Schwierigkeiten bei der Rechtsanwendung geführt hätten. Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 54, betont demgegenüber, die bestehenden Regelungen könnten nicht für jede Art von Netzdienstleistung geändert werden. 226 . 227 . 228 Yang Lixin, Journal of Shandong University (Philosophy and Social Sciences) 2019/2, 110, 115. 229 Yang Lixin, Journal of Shandong University (Philosophy and Social Sciences) 2019/2, 110, 115.
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1. Teil: Einführung
nach § 27 Abs. 1 ECG auf der Plattform registriert habe.230 Das Gericht stützt seine Auffassung auf § 2 Abs. 1 OVG IP E-Commerce, in dem klargestellt wird, dass die Volksgerichte in Fällen, in denen es um Streitigkeiten über Rechte des geistigen Eigentums auf E-Commerce-Plattformen geht, bei der Beurteilung der Frage, ob es sich um E-Commerce-Plattform-Betreiber oder auf der Plattform tätige Betreiber handelt, § 9 ECG zugrunde zu legen haben.
IV. Andere E-Commerce-Betreiber In § 9 Abs. 1 Hs. 2 ECG werden zudem andere E-Commerce-Betreiber erwähnt, die näher beschrieben werden als E-Commerce-Betreiber, die durch eine selbst errichtete Webseite oder andere Internetdienste Waren verkaufen oder Dienstleistungen zur Verfügung stellen. Bei Transaktionen zwischen anderen E-Commerce-Betreibern und Nutzern handelt es sich somit um ein klassisches Zweipersonenverhältnis, in dem nicht auf den Dienst eines E-Commerce-Plattform-Betreibers als Drittanbieter zurückgegriffen wird.231 Voraussetzung für die Eigenschaft als anderer E-Commerce-Betreiber i. S. v. § 9 Abs. 1 Hs. 2 Var. 1 ECG ist, dass auch tatsächlich die Funktionen bereitgestellt werden, die vonnöten sind, um über die Webseite einen Vertrag zu errichten und Geschäfte einzugehen.232 Anderer E-Commerce-Betreiber i. S. v. § 9 Abs. 1 Hs. 2 Var. 2 ECG ist, wer durch andere Internetdienste Waren verkauft oder Dienstleistungen zur Verfügung stellt. Hintergrund dieser Regelung ist, dass eine Vielzahl von Menschen angesichts der Entwicklung und Veränderung von E-Commerce-Modellen und E-Commerce-Kanälen auf soziale Netzwerke zurückgreift, um Waren oder Dienstleistungen anzubieten; die Rede ist im chinesischen Schrifttum insoweit von „sozialem E-Commerce“233.234 Andere Internetdienste sind soziale Medien oder jene, die solche Merkmale aufweisen,235 wie z. B. der zu verschiedenen Zwecken einsetzbare Messenger-Dienst WeChat236, über dessen Funktion „Freundeskreis“237 Informationen über Waren oder Dienstleistungen unter bestehenden Kontakten veröffentlicht
230 ), Az.: 2020 01 Erstes Mittleres Volksgericht Shanghai ( 4923 . 231 Yang Lixin, Journal of Shandong University (Philosophy and Social Sciences) 2019/2, 110, 116. 232 Vgl. Lü Zushan/Peng Sen/Yin Zhongqing (Hrsg.), Erläuterung des ECG, 2018, S. 49 ff. 233 . 234 Lü Zushan/Peng Sen/Yin Zhongqing (Hrsg.), Erläuterung des ECG, 2018, S. 50. 235 Tan/Sun, „China: legal framework for e-commerce“, https://www.taylorwessing.com/de/ insights-and-events/insights/2021/06/china-legal-framework-for-e-commerce, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022. 236 S. o., Fn. 191. 237 .
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werden können.238 Wenn über WeChat hingegen aktive Verkäufer oder Dienstleister ein bestimmtes Transaktionsfenster einrichten und WeChat-Nutzern sowie Verbrauchern untereinander somit eine Transaktionsplattform bieten, betreiben sie eine Handelsvermittlung i. S. v. § 9 Abs. 2 ECG und sind keine anderen E-CommerceBetreiber i. S. v. § 9 Abs. 1 Hs. 2 Var. 2 ECG, sondern E-Commerce-Plattform-Betreiber i. S. v. § 9 Abs. 2 ECG.239 Bei dem Verhältnis zwischen anderen E-CommerceBetreibern i. S. v. § 9 Abs. 1 Var. 2 ECG und Nutzern handelt es sich somit um ein Zweipersonenverhältnis, weshalb jene Haftungsregeln, deren Struktur auf dem Vorliegen eines Dreipersonenverhältnisses fußt, auf andere E-Commerce-Betreiber i. S. v. § 9 Abs. 1 Var. 2 ECG keine Anwendung finden.240 Hierzu gehört unter anderem die Haftungsregel des § 38 Abs. 1 ECG, die eine gesamtschuldnerische Haftung von E-Commerce-Plattform-Betreibern mit auf der Plattform tätigen Betreibern in den dort genannten Fällen vorsieht.241
VI. Fazit Die Terminologie, die der Gesetzgeber in Bezug auf die am Rechtsverkehr im Internet Beteiligten verwendet, variiert je nach Regelwerk. So ist in den allgemein gefassten Vorschriften des DelHaftG und ZGB von Netzdienstanbietern und Netznutzern die Rede. Der mit dem Begriff des Netzdienstanbieters korrelierende Terminus aus dem ECG ist der des E-Commerce-Plattform-Betreibers. In der SRVI-VO wird zwischen den in § 14 SRVI-VO genannten Anbietern von Informationsspeicherplatz, Such- und Verlinkungsdiensten und den in den §§ 20 ff. SRVI-VO genannten Anbietern automatischer Zugangs-, Übertragungs- und Speicherdienste differenziert. Während im ZGB wiederum eher allgemein von dem Netznutzer die Rede ist und insoweit die Terminologie aus dem DelHaftG übernommen wird, wird dieser in der SRVI-VO als Berechtigter bezeichnet. In das ECG haben insoweit sowohl der allgemeine Begriff des Nutzers als auch der des Verbrauchers und des Berechtigten an Rechten des geistigen Eigentums Eingang gefunden. Im ECG wird überdies der auf Plattformen tätige Betreiber genannt, der dem Dienstleistungssubjekt der SRVI-VO entspricht. Der im Schrifttum vorgebrachten Auffassung, das Konzept des E-CommerceBetreibers erfahre durch das ECG eine Systematisierung und Ordnung, indem die verschiedenen Arten der E-Commerce-Betreiber geregelt und die Bezeichnungen 238 S. zur passiven Rolle des Betreibers von WeChat bei dieser Art des Vertragsschlusses im Einzelnen Yang Lixin, Research on Rule of Law 2016/3, 16, 23. 239 Yang Lixin, Journal of Shandong University (Philosophy and Social Sciences) 2019/2, 110, 116. 240 Vgl. Yang Lixin, Journal of Shandong University (Philosophy and Social Sciences) 2019/2, 110, 116. 241 Hierzu ausführlich unter C. Die Pflicht nach § 38 Abs. 1 ECG.
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1. Teil: Einführung
vereinheitlicht würden, ist bedingt beizupflichten.242 Zwar wird in § 9 Abs. 1 ECG in der Tat in zu begrüßender Weise verdeutlicht, dass von einem E-Commerce-Plattform-Betreiber immer nur dann die Rede sein kann, wenn der Sache nach mindestens drei Parteien involviert sind, gleichwohl findet sich weder im ECG noch im ZGB eine eindeutige Antwort auf die Frage nach der Bewertung von Grenzfällen wie Appletdiensten und Cloud-Speicherdiensten. Der weit gefasste Begriff des Netzdienstanbieters lässt unberücksichtigt, inwieweit es einer Plattform tatsächlich möglich ist, auf Nutzerinhalte zwecks einer Prüfung auf Rechtsverletzungen hin zuzugreifen, was die Gerichte durch methodisch mehr oder weniger überzeugende Begründungen auszugleichen versuchen. Eine differenziertere Ausgestaltung der Beteiligten findet sich in der SRVI-VO, die für mehr Klarheit im Bereich der Verletzungen des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts sorgt. Die Differenzierung des OVG zwischen Webtechnologiedienstanbietern und Webinhaltsdienstanbietern bei der begrifflichen Konturierung des Netzdienstanbieters ist angesichts der insoweit greifenden unterschiedlichen Haftungsfolgen ebenfalls hilfreich für den Rechtsanwender.
242 So Yang Lixin, Journal of Shandong University (Philosophy and Social Sciences) 2019/ 2, 110, 113.
2. Teil
Die Verkehrspflichten im Rahmen des Notice and Takedown-Verfahrens 4. Kapitel
Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht In Abschnitt E Art. 1.13 Nr. 1 des Phase One Trade Agreements zwischen China und den USA243 ist geregelt, „dass China Durchsetzungsverfahren bereitstellt, die ein wirksames und zügiges Vorgehen von Rechtsinhabern gegen Rechtsverletzungen im Internet vorsehen, einschließlich eines wirksamen Notice and Takedown-Systems“.244 Dieses Notice and Takedown-System beschreibt die Situation, in der ein Netznutzer den von einem Netzdienstanbieter bereitgestellten Dienst nutzt, um eine rechtsverletzende Handlung zu begehen, und der Netzdienstanbieter, ohne dass er von der verletzenden Handlung weiß oder hätte wissen müssen, nach Erhalt einer Mitteilung über die Rechtsverletzung eines Netznutzers durch den Rechtsinhaber unverzüglich die notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Rechtsverletzung ergreift. Während der im Vorfeld einer Benachrichtigung im Rahmen der Bestimmung von Verkehrssicherungspflichten anzulegende Sorgfaltsmaßstab durch eine Reihe von Faktoren bestimmt wird, die mit dem Netzdienstanbieter selbst in Verbindung stehen und daher schwierig festzulegen sind, ist die inhaltliche Konturierung des in der Phase nach der Benachrichtigung anzulegenden Sorgfaltsmaßstabs weniger komplex, da sich der Umfang der Pflichten des Netzdienstanbieters mit dem Erhalt der Benachrichtigung konkretisiert und die Feststellung, ob diese erfüllt wurde, nur noch davon abhängt, ob die im Rahmen des Notice and TakedownVerfahrens zu ergreifenden Maßnahmen in angemessener Weise durchgeführt wurden.245 Im Folgenden wird das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht dargestellt. Dem vorangestellt ist ein kurzer Überblick über das US-amerikanische 243
S. o., Fn. 18. „China shall provide enforcement procedures that permit effective and expeditious action by right holders against infringement that occurs in the online environment, including an effective notice and takedown system to address infringement.“ 245 Vgl. auch Ning Yuan, Journal of Chongqing University 2020/5, 156, 162 f. 244
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2. Teil: Die Verkehrspflichten i. R. d. Notice and Takedown-Verfahrens
Pendant, dem die chinesische Regelung entlehnt ist.246 Es folgt eine chronologische Darstellung der Vorschriften des chinesischen Rechts. Berücksichtigung finden dabei auch die mit Erlass des ZGB und ECG aufgehobenen Vorgängerregelungen des DelHaftG, die für das Verständnis der aktuell geltenden Vorschriften von Bedeutung und Voraussetzung für eine Nachzeichnung der Gesamtentwicklung des Notice and Takedown-Verfahrens sind. Sodann wird die dogmatische Einkleidung der Haftungsregeln diskutiert. Es folgt die Darstellung der rechtlichen Verantwortlichkeit des Absenders falscher Benachrichtigungen, da diese auch im Hinblick auf die Haftbarkeit des Netzdienstanbieters von Bedeutung ist. In einem sich hieran anschließenden überblicksartigen Vergleich der alten und neuen Rechtslage werden die wichtigsten Neuerungen zusammengefasst, bevor eine eingehende Analyse der geltenden Rechtslage vorgenommen wird.
A. Übernahme des Notice and Takedown-Verfahrens in das chinesische Recht Das dem US-amerikanischen Recht entlehnte Notice and Takedown-Verfahren des chinesischen Rechts ist speziell für Verletzungen des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts in der SRVI-VO und für sonstige Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums im ECG geregelt, hat indes nicht, wie ursprünglich geplant, Eingang in das im Jahr 2020 revidierte Urheberrechtsgesetz gefunden.247 Die Benachrichtigungsregel des ZGB ist demgegenüber allgemeiner gefasst und gilt für alle Arten von Rechtsverletzungen.248 Das OVG hat das Notice and Takedown-Verfahren durch verschiedene justizielle Auslegungen präzisiert.
I. Das Notice and Takedown-Verfahren im US-amerikanischen Recht Im Jahr 1998 erfolgte die Einführung des Notice and Takedown-Verfahrens in den DMCA249 des US-amerikanischen Rechts.250 Der Abschnitt des DMCA über die 246 Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 54; Jirimutu, Tribune of Social Sciences 2021/4, 130, 132; Yang Xudong, Electronics Intellectual Property 2021/3, 50, 50; Li Xiaoqiu/Li Xueqian, Journal of University of Science and Technology Beijing 2020/ 6, 81, 82; Li Xiang/Jin Jigang, Concise Chinese Tort Laws, 2014, S. 85; Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 66, bezeichnet die Safe Harbor-Regel als jene mit den weitreichendsten Auswirkungen auf die Haftung von Netzdienstanbietern. 247 Vgl. Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern, 2018, S. 147. 248 Hierzu auch unter 3. Kapitel: Begrifflicher Gegenstand der Untersuchung. Zu den Anwendungsverhältnissen insgesamt unten unter D. Vergleich der alten und neuen Regelungen des Notice and Takedown-Verfahrens. 249 Digital Millenium Copyright Act, abrufbar unter https://www.congress.gov/105/bills/s2 037/BILLS-105s2037es.pdf, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022.
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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„Beschränkung der Haftung für online begangene Urheberrechtsverletzungen“ stellte dabei eine Änderung des Abschnitts über das Urheberrecht im U.S. Code dar.251 Neben dem Notice and Takedown-Verfahren sind in § 512 DMCA Haftungsprivilegierungen für spezielle Arten von Netzdienstanbietern geregelt, die sog. safe harbor, auf die Netzdienstanbieter sich bei ihrer Inanspruchnahme durch Rechtsinhaber unter bestimmten Voraussetzungen berufen können.252 Das Notice and Takedown-Verfahren ist eine der zu erfüllenden Voraussetzungen für den Eintritt des Netzdienstanbieters in einen der safe harbor und soll Netzdienstanbieter vor einer Haftung für rechtsverletzende Inhalte Dritter schützen sowie eine gegenüber einer Klageerhebung kostengünstigere und weniger aufwendige Abhilfemöglichkeit bereitstellen.253 Hintergrund der Haftungsprivilegierung sind die großen Mengen der über Internetdienste im Umlauf befindlichen Daten, die eine eingehende Prüfung eines jeden Einzelfalls schwierig gestalten.254 Letztlich handelt es sich bei § 512 DMCA um einen Kompromiss zur Förderung der damals aufkeimenden Investitionen und des Wettbewerbs im Bereich der Netzdienste bei gleichzeitiger Ermutigung von Netzdienstanbietern und Rechtsinhabern zur Zusammenarbeit bei der Durchsetzung von Urheberrechten.255 1. Verfahrensvoraussetzungen und Rechte bei falschen Benachrichtigungen Voraussetzung für die Haftungsprivilegierung ist, dass der Netzdienstanbieter weder tatsächlich Kenntnis von der Nutzung seines angebotenen Dienstes durch andere zur Begehung rechtsverletzender Handlungen noch Kenntnis von Tatsachen oder Umständen hat, die eindeutig auf eine Rechtsverletzung hindeuten oder – falls doch – unverzüglich Maßnahmen wie die Entfernung oder Trennung von Links ergreift.256 Der anzulegende Maßstab ist jener für das Erkennen offensichtlicher 250
Samuelson, MTLR 2021/2, 299, 301; Zarins, Cal. L. Rev. 2004/1, 257, 259; vgl. auch Urban/Karaganis/Schofield, J. Copyr. Soc. U.S.A. 2017/3, 371, 377 f. 251 Samuelson, MTLR 2021/2, 299, 305; vgl. auch Holznagel, Notice and Takedown-Verfahren als Teil der Providerhaftung, 2013, S. 21. 252 Vgl. Samuelson, MTLR 2021/2, 299, 306; Zarins, Cal. L. Rev. 2004/1, 257, 259. Ob und welcher safe harbor sachlich anwendbar ist, entscheidet sich indes nicht etwa nach dem Schwerpunkt der Tätigkeit des Providers, sondern je nach Einzelfall und funktionaler Einordnung der konkret angegriffenen Handlung, Holznagel, Notice and Takedown-Verfahren als Teil der Providerhaftung, 2013, S. 26. 253 Vgl. Urban/Karaganis/Schofield, J. Copyr. Soc. U.S.A. 2017/3, 371, 373. 254 Vgl. Zarins, Cal. L. Rev. 2004/1, 257, 274; Samuelson, MTLR 2021/2, 299, 337 f., zeigt auf, wie sich die Dimensionen der im Internet im Umlauf befindlichen Daten im Laufe der Jahre zugespitzt haben, und plädiert dafür, dies bei einer möglichen Umgestaltung der Safe Harbor-Regel im Hinterkopf zu behalten. 255 Urban/Karaganis/Schofield, J. Copyr. Soc. U.S.A. 2017/3, 371, 373 m. w. N. 256 Für den Netzdienst des Hostings ergibt sich dies aus § 512 (c) (1) (A) (i) und (ii), für Informationslokalisierungsdienste bzgl. der Rechtswidrigkeit der verlinkten bzw. referen-
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2. Teil: Die Verkehrspflichten i. R. d. Notice and Takedown-Verfahrens
Rechtsverletzungen, sodass die in diesem Rahmen erfolgende Prüfung gemeinhin als Red Flag-Test bezeichnet wird.257 Weitere Voraussetzung für die Haftungsprivilegierung ist, dass der Netzdienstanbieter, wenn er das Recht und die Fähigkeit hat, das rechtsverletzende Verhalten seiner Nutzer zu kontrollieren,258 keinen unmittelbaren finanziellen Nutzen aus dem rechtsverletzenden Verhalten zieht, § 512 (c) (1) (B) bzw. (d) (2) DMCA. Ferner kann die Haftungsprivilegierung eines safe harbor nur greifen, wenn gemäß § 512 (i) DMCA bestimmte allgemeine Anstrengungen unternommen wurden, um Rechtsverletzungen zu bekämpfen. Für den Fall, dass es zu einer Schädigung durch eine falsche Benachrichtigung kommt, sieht § 512 (f) DMCA eine Schadensersatzpflicht des Absenders unter anderem gegenüber dem vermeintlichen Schädiger vor. In § 512 (g) DMCA ist überdies ein Recht zur Gegenanzeige259 desjenigen geregelt, der eine von einem Netzdienstanbieter weitergeleitete Benachrichtigung eines Rechtsinhabers erhält. Dieses Institut dient dem Entgegenwirken unangemessener Benachrichtigungen260 und schafft Anreize für den Netzdienstanbieter zur Wiederaufnahme von Inhalten in die Plattform, statuiert insoweit jedoch ebenfalls keine Pflicht.261 2. Haftung für die Nichtergreifung der notwendigen Maßnahmen Es drängt sich die Frage nach der Haftung des Netzdienstanbieters auf, wenn er es unterlässt, Maßnahmen wie das Entfernen von Inhalten und Trennen von Links zu ergreifen, nachdem er eine Benachrichtigung über eine Rechtsverletzung erhalten hat. Auf der Grundlage von § 512 DMCA ist die Haftung keine Selbstverständlichkeit262 und die Ergreifung der notwendigen Maßnahmen ist lediglich eine Obzierten Inhalte aus § 512 (d) (1) (A) und (B); für das Caching in § 512 (b) fehlt eine solche Voraussetzung, Holznagel, Notice and Takedown-Verfahren als Teil der Providerhaftung, 2013, S. 31, der zudem unter Rekurs auf die Entscheidung UMG Recordings v. Veoh Networks, 665 f.Supp.2d 1099, 1111 (C.D. Cal. 2009), darauf hinweist, dass abstrakte Kenntnis allein nicht ausreicht. 257 Vgl. Senate Report No. 105 – 190 (11. 5. 1998), S. 44. 258 Für die insoweit vorausgesetzte Kontrollmöglichkeit ist mehr als die technische Möglichkeit zur Reaktion notwendig, da diese im Rahmen des Notice and Takedown-Verfahrens ohnehin vorausgesetzt wird, UMG Recordings v. Veoh Networks, 665 f.Supp.2d 1099, 1112 (C.D. Cal. 2009); hierzu instruktiv Holznagel, Notice and Takedown-Verfahren als Teil der Providerhaftung, 2013, S. 35 f. 259 Der Begriff „Gegenbenachrichtigung“ wird hierzu im Folgenden synonym verwendet. 260 Urban/Karaganis/Schofield, J. Copyr. Soc. U.S.A. 2017/3, 371, 393, die darauf hinweisen, dass dieses Institut in der Praxis nur wenig genutzt wird. 261 Husovec, Colum. J.L. & Arts 2018/1, 53, 59. 262 Vgl. Holznagel, Notice and Takedown-Verfahren als Teil der Providerhaftung, 2013, S. 24, der hervorhebt, dass der Netzdienstanbieter jedenfalls dann nicht haftet, wenn die Voraussetzungen für einen safe harbor erfüllt sind. Ungenau sei demgegenüber die Formulierung, der Provider müsse, um einer Haftung zu entgehen, die Voraussetzungen eines safe harbor einhalten.
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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liegenheit des Netzdienstanbieters.263 Wenn der Netzdienstanbieter nicht unmittelbar an einer Rechtsverletzung beteiligt ist, hängt die Haftung für eine unmittelbare Rechtsverletzung durch seine Nutzer vielmehr davon ab, ob die Voraussetzungen für die mittelbare Haftung erfüllt sind.264 Der Benachrichtigende muss hierzu nach wie vor beweisen, dass das Verhalten des vermeintlichen unmittelbaren Schädigers eine Rechtsverletzung darstellt.265 Kann ein Netzdienstanbieter nach Erhalt einer Benachrichtigung in gutem Glauben davon ausgehen, dass keine Rechtsverletzung vorliegt, kann er das Ergreifen entsprechender Maßnahmen verweigern, ohne dass eine Haftung droht, vgl. § 512 (g) (1) DMCA. In § 512 (m) (1) DMCA wird klargestellt, dass Netzdienstanbieter grundsätzlich keine Überwachungs- und aktive Suchpflicht nach möglicherweise rechtsverletzenden Inhalten trifft. Der Netzdienstanbieter muss allerdings prüfen, ob eine Benachrichtigung den formellen Anforderungen genügt.266 Zweck der in § 512 (c) (3) (A) (iii) DMCAvorausgesetzten Anforderungen an die durch den Urheberrechtsinahber einzureichende Benachrichtigung ist es, den Netzdienstanbieter mit Informationen zu versorgen, die ihn beim Auffinden und Prüfen rechtsverletzender Inhalte unterstützen.267 Die Intention des Gesetzgebers war es, mithilfe der Safe Harbor-Regel268 „starke Anreize für Netzdienstanbieter und Urheberrechtsinhaber zur Zusammenarbeit bei der Aufdeckung von Urheberrechtsverletzungen in der digitalen Netzumgebung und dem Umgang mit diesen zu schaffen“.269 Zwar kann die Benachrichtigung eines Rechtsinhabers über eine Rechtsverletzung unter bestimmten Umständen dazu dienen, die Vermutung zu begründen, dass der Netzdienstanbieter von einer Rechtsverletzung Kenntnis hat, dies ist jedoch nicht zwingend der Fall.270 Eine Auswirkung der Benachrichtigungsregel ist somit eine Verschiebung der Beweislast, die beim Netzdienstanbieter liegt, wenn er die notwendigen Maßnahmen trotz Vorliegens einer wirksamen Benachrichtigung nicht ergreift.271 Ferner löst die mit Beweisen versehene Benachrichtigung eine Untersuchungsobliegenheit des Netz-
263
Holznagel, Notice and Takedown-Verfahren als Teil der Providerhaftung, 2013, S. 71. Sony v. Universal Studios, 464 U.S. 417, 435 (1984). 265 Sony v. Universal Studios, 464 U.S. 417, 435 (1984). 266 Holznagel, Notice and Takedown-Verfahren als Teil der Providerhaftung, 2013, S. 72. 267 H. R. Rep. No. 105 – 551, Part 2 (22. 7. 1998), S. 55. Holznagel, Notice and TakedownVerfahren als Teil der Providerhaftung, 2013, S. 23, fasst zusammen, § 512 DMCA sei insofern von der Grundidee „Privilegierung im Austausch gegen Mitwirkung“ geprägt. 268 Synonym hierzu wird im Folgenden der Begriff der Haftungsausschlussregel verwendet. 269 „Title II preserves strong incentives for service providers and copyright owners to cooperate to detect and deal with copyright infringements that take place in the digital networked environment.“ Senate Rep. No. 105 – 190 (11. 5. 1998), S. 40. Vgl. zu den mit der Safe Harbor-Regel verfolgten Zielen auch Elkin-Koren/Nahmias/Perel, SLPR 2020/1, 1, 3. 270 Holznagel, Notice and Takedown-Verfahren als Teil der Providerhaftung, 2013, S. 33. 271 Lee, Colum. J.L. & Arts 2008/3, 233, 244. 264
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2. Teil: Die Verkehrspflichten i. R. d. Notice and Takedown-Verfahrens
dienstanbieters aus, der normalerweise nicht generell dazu verpflichtet ist, die von Netznutzern eingestellten Informationen zu überprüfen.272
II. Hintergründe und Ablauf des Notice and Takedown-Verfahrens im chinesischen Recht Die Benachrichtigungsregel wird im chinesischen Schrifttum mal als Notice and Remove-Verfahren,273 mal als Notice and Delete-Verfahren274 und mal als Notice and Takedown-Verfahren275 bezeichnet.276 Die auch im US-amerikanischen Recht gebrauchte Bezeichnung als Notice and Takedown-Verfahren entspricht am ehesten dem Wesen der Regelung im chinesischen Recht, die auch andere Maßnahmen als die Löschung durch Netzdienstanbieter vorsieht.277 Noch treffender wäre angesichts der nicht abschließenden gesetzlichen Aufzählung notwendiger Maßnahmen die Verwendung der Wortfolge notice and take necessary measures, der Einfachheit halber wird in dieser Arbeit indes der auch im Ursprungsland der Regelung übliche Terminus notice and takedown278 verwendet oder das Verfahren synonym hierzu als „Benachrichtigungsregel“279 bezeichnet. 1. Anfänge und Hintergründe der Übernahme in das chinesische Recht Erstmalig fand die Benachrichtigungsregel in Ansätzen im Jahr 2000 in Gestalt der durch das OVG erlassenen Auslegung des OVG zu verschiedenen Fragen der Rechtsanwendung bei der Verhandlung von Fällen, die Urheberrechtsstreitigkeiten über Computernetzwerke betreffen280, Eingang in das chinesische Urheberrecht.281 272
Zarins, Cal. L. Rev. 2004/1, 257, 274. . 274 . 275 . 276 Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 138 m. w. N. 277 Ähnlich Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 21, der sich gegen die Bezeichnung als Notice and Delete-Verfahren (chin. s. o., Fn. 274) und für eine Bezeichnung als Notice and Remove-Verfahren (chin. s. o., Fn. 273) ausspricht. 278 Urban/Karaganis/Schofield, J. Copyr. Soc. U.S.A. 2017/3, 371, 371. 279 . So auch das OVG, vgl. nur die Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 283, und einige chinesische Rechtswissenschaftler, s. nur Wang Liming, Northern Legal Science 2014/2, 34, 34; Zhang Xinbao/Ren Hongyan, Journal of Renmin University of China 2010/4, 17, 21. Andere wiederum schreiben von einer „Hinweisklausel“ ( ), Wang Liming/Zhou Youjun/Gao Shengping, Kurs im chinesischen Deliktsrecht, 2010, S. 442. 280 ; zuletzt revidiert durch die OVG Informationsnetze II und teilweise durch die am 29. 12. 2020 verkündete und am 1. 1. 2021 in Kraft getretene „Entscheidung des OVG zur Revision von achtzehn 273
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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§ 5 dieser Auslegung sah vor, dass ein Netzdienstanbieter nach § 130 AGZR haftet, wenn er weiß, dass über den durch ihn erbrachten Dienst Urheberrechtsverletzungen begangen werden, und trotz einer begründeten Warnung des Urheberrechtsinhabers keine Maßnahmen wie beispielsweise die Entfernung der verletzenden Inhalte ergreift, um die Verletzungsfolgen zu beseitigen. In das Urheberrecht wurde die Benachrichtigungsregel sodann noch einmal im April 2005 integriert, indem die Nationale Behörde für Urheberrecht282 und das Ministerium für Informationsindustrie283 gemeinsam die Behördliche[n] Maßnahmen zum administrativen Schutz des Urheberrechts im Internet herausgaben, in denen die grundlegenden Regeln für das Notice and Takedown-Verfahren festgelegt wurden.284 In den §§ 5 ff. dieser Maßnahmen sind grundlegende Regeln über die Benachrichtigung, die notwendigen Maßnahmen und die Gegenbenachrichtigung285 sowie Wiederherstellungsmaßnahmen enthalten. Demgegenüber findet sich hier noch keine Regelung über eine Pflicht zur Weiterleitung der Benachrichtigung. Die Benachrichtigungsregel wurde auch in das chinesische Recht eingeführt, weil es angesichts der riesigen Menge an Informationen, die auf etwaigen Plattformen im Umlauf sind, für Plattformbetreiber kaum möglich ist, sämtliche angebotenen Produkte oder Dienstleistungen zu überprüfen, und es für Rechtsinhaber schwierig nachzuweisen ist, dass Plattformbetreiber Kenntnis von Rechtsverletzungen haben, die über die Plattform begangen werden.286 Dies gilt insbesondere für Patentverletzungen, bei denen zur Beurteilung der Frage, ob eine Rechtsverletzung vorliegt, nicht nur verschiedenste Informationen, sondern überdies Fachwissen vonnöten ist.287 Das OVG sieht als Beweggrund für den Erlass der Regelung ferner die Unmittelbarkeit des Internets, durch das rechtsverletzende Informationen innerhalb kürzester Zeit nach dem Hochladen in alle Teile der Welt übertragen werden können, und die insbesondere bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen damit einhergehende justiziellen Auslegungen zum geistigen Eigentum einschließlich der ,Justizielle[n] Auslegung des OVG zu verschiedenen Fragen der Rechtsanwendung bei der Verhandlung von Streitigkeiten über die Verletzung von Patentrechten (II)‘“ ( ( ) ). 281 Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 138. 282 . 283 ; nunmehr Teil des Ministeriums für Industrie und Informationstechnologie ( ), Huang Linhao (Hrsg.), „Der NVK und die Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes autorisieren die Bekanntgabe des Plans zur Reform des Staatsrates [ ]“, http://www.gov.cn/2008lh/content_ 921411.htm, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022. 284 Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 24. 285 S. o., Fn. 259. 286 Vgl. Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 27; Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 271; Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 58. 287 Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 27.
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2. Teil: Die Verkehrspflichten i. R. d. Notice and Takedown-Verfahrens
Unkontrollierbarkeit der Schadensfolgen. Daher habe man den Verletzten die Möglichkeit zu gewähren, sich mithilfe eines effizienten außergerichtlichen Verfahrens zeitnah Abhilfe zu verschaffen.288 2. §§ 14 ff. und 20 ff. SRVI-VO Eine Übernahme der Benachrichtigungsregel und des safe harbor für Netzdienstanbieter erfolgte wiederum für das urheberrechtliche Verbreitungsrecht im Jahr 2006 in den §§ 14 ff. und 20 ff. SRVI-VO, die auf dem DMCA und der ECommerce-Richtlinie der EU289 basieren und im Jahr 2013 revidiert wurden.290 Die das Notice and Takedown-Verfahren regelnden §§ 14 bis 16 SRVI-VO stimmen inhaltlich genau mit den Bestimmungen des DMCA überein.291 Beweggrund für den Erlass der SRVI-VO war das Ziel, „den Netzdienstanbietern keine unangemessenen Nachteile zu bereiten und die Entwicklung des Internets zu schützen und voranzutreiben.“292 Der Erlass der Verordnung wurde als Durchbruch und Angleichungsversuch an die Rechtsordnung anderer Staaten gesehen, die zu dem Zeitpunkt bereits über ein elaborierteres Regelungsregime zum Schutz des Urheberrechts im Internet durch die Einbeziehung von Netzdienstanbietern verfügten.293 Rechtsgrundlage der SRVI-VO ist § 59 UrhG a. F.,294 der eine Ermächtigung des Staatsrats enthielt, Schutzmaßnahmen zu erlassen.295 Von dieser Ermächtigung machte der Staatsrat Gebrauch, weil § 10 XII UrhG a. F. zwar ein Recht zur Verbreitung von Informationen durch Informationsnetzwerke, jedoch keine Bestimmungen zum Schutz von Rechten des geistigen Eigentums vorsah.296 a) Ablauf des Notice and Takedown-Verfahrens der §§ 14 ff. SRVI-VO Hält ein Urheberrechtsinhaber sein urheberrechtliches Verbreitungsrecht für verletzt oder geht von einer unrechtmäßigen Löschung oder Veränderung seines Werks über einen Netzdienst aus, kann er nach § 14 SRVI-VO bei einem Anbieter von Informationsspeicherplatz, Such- oder Verlinkungsdiensten eine schriftliche Benachrichtigung einreichen, in der er von dem Netzdienstanbieter fordert, die rechtsverletzenden Inhalte zu entfernen oder die Verlinkung zu ihnen zu unterbre288
Vgl. die Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 267 f. Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (ABl. L 178 vom 17. 7. 2000, S. 1 – 16). 290 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 274. 291 Vgl. auch Wu Handong, China Legal Science 2011/2, 38, 41. 292 Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern, 2018, S. 135 m. w. N. 293 Wang Hong/Xie Xuekai, Hebei Law Science 2013/7, 22, 26. 294 Gemeint ist die Fassung vom 26. 2. 2010. 295 Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 55. 296 Vgl. Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 55. 289
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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chen. Neben eigenen Kontaktinformationen sind der Benachrichtigung grundlegende Informationen über das verletzende Werk sowie Anfangsbeweise297 für das Vorliegen einer Rechtsverletzung beizufügen. § 15 SRVI-VO sieht vor, dass der Netzdienstanbieter nach Erhalt der Benachrichtigung unverzüglich die in Rede stehenden Inhalte entfernt oder die Verlinkung hierzu unterbricht und die Benachrichtigung an den vermeintlichen Verletzer weiterleitet. Falls eine Weiterleitung mangels eindeutiger Kontaktinformationen nicht möglich ist, hat der Netzdienstanbieter den Inhalt der Benachrichtigung zu veröffentlichen. Spiegelbildlich hierzu ist in § 16 SRVI-VO ein Recht zur Gegenanzeige des vermeintlichen Verletzers geregelt, das nach § 17 S. 1 SRVI-VO die Wiederherstellung der gelöschten Inhalte oder der Verbindung hierzu durch den Netzdienstanbieter nach sich zieht. Der Benachrichtigende kann gemäß § 17 S. 2 SRVI-VO sodann nicht erneut eine Benachrichtigung desselben Inhalts absenden. b) Die Safe Harbor-Bestimmungen der §§ 22 f. SRVI-VO In den §§ 22 f. SRVI-VO werden Umstände aufgezählt, unter denen Netzdienstanbieter, die Informationsspeicherplatz anbieten, damit ihre Nutzer298 durch den Dienst Werke, Darbietungen Audio- oder Videoaufzeichnungen zur Verfügung stellen können, nicht für Rechtsverletzungen dieser Nutzer haften. Voraussetzung für den Ausschluss der Haftung ist gemäß § 22 Nr. 1 SRVI-VO, dass der Netzdienstanbieter deutlich darauf hinweist, dass der Speicherplatz dem Dienstleistungssubjekt zur Verfügung gestellt wird und die Kontaktinformationen des Netzdienstanbieters angegeben werden. Ferner dürfen die durch das Dienstleistungssubjekt zur Verfügung gestellten Inhalte nach § 22 Nr. 2 SRVI-VO nicht geändert werden. Gemäß § 22 Nr. 3 SRVI-VO setzt der Eintritt in den safe harbor ferner voraus, dass der Netzdienstanbieter nicht von der Rechtsverletzung wusste oder wissen musste,299 § 22 Nr. 4 SRVI-VO erklärt ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse des Netzdienstanbieters an den durch das Dienstleistungssubjekt angebotenen Inhalten insoweit für schädlich. Schließlich wird durch § 22 Nr. 5 SRVI-VO festgelegt, dass der Netzdienstanbieter nach Erhalt einer Benachrichtigung durch den Rechtsinhaber, wie in § 15 SRVI-VO vorgesehen, Beseitigungsmaßnahmen ergriffen hat. § 23 SRVI-VO regelt diesen safe harbor für Netzdienstanbieter, die Such- oder Verlinkungsdienste anbieten. Auch sie tragen keine Schadensersatzhaftung, wenn sie nach Erhalt der Mitteilung von einem Berechtigten den Link zu den verletzenden Werken, Darbietungen oder audiovisuellen Aufzeichnungen i. S. d. Verordnung trennen; wissen sie jedoch von der Rechtsverletzung durch die verlinkten Werke, Darbietungen oder 297 . Zu den Anforderungen an diese Art von Beweis ausführlich unten unter a) Wesentlicher Inhalt der §§ 1195 f. ZGB und §§ 42 f. ECG. 298 Gemeint sind hier die Dienstleistungssubjekte. Hierzu ausführlich oben, 3. Kap., B. I. Netznutzer, E-Commerce-Betreiber und Dienstleistungssubjekte. 299 Zur Bestimmung des Wissenmüssens im Einzelnen im 5. Kapitel: Die Wissensregeln des DelHaftG, ZGB, ECG und der SRVI-VO.
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audiovisuellen Aufzeichnungen oder müssen hiervon wissen, haften sie gemeinsam mit dem Verletzer. Aus § 1168 ZGB ergibt sich der Charakter dieser gemeinsamen Haftung als gesamtschuldnerische Haftung. Der Haftungsausschluss der §§ 22 f. SRVI-VO betrifft ausweislich des Gesetzeswortlautes Schadensersatzansprüche von Berechtigten. Andere Ansprüche, insbesondere Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche, bleiben unberührt.300 c) Rechtsdogmatisches Verständnis der §§ 22 f. SRVI-VO Wie die Bestimmungen der §§ 22 f. SRVI-VO, die das Notice and TakedownVerfahren mit Blick auf die Verletzung des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts regeln, dogmatisch einzuordnen sind, ist von entscheidender Bedeutung im Hinblick auf die Frage, ob die durch den Netzdienstanbieter zu ergreifenden Maßnahmen Pflichten oder Obliegenheiten darstellen.301 In den §§ 22 ff. SRVI-VO hat der Gesetzgeber, anders als im chinesischen Recht üblich, keine Aussage darüber getroffen, unter welchen Voraussetzungen eine in Anspruch genommene Person für einen Schaden einstehen muss, sondern regelt die Voraussetzungen, die für die Haftungsprivilegierung des sog. safe harbor erfüllt sein müssen.302 Daher handelt es sich bei der Regelung nach überwiegender und überzeugender Auffassung um eine Haftungsausschlussregel303, obwohl in § 15 SRVI-VO das Wort „muss“304 genutzt wird, das als Argument dafür herangezogen werden könnte, dass es sich um eine gesetzliche Pflicht handelt.305 Überwiegend wird daher davon ausgegangen, den Netzdienstanbieter treffe keine Pflicht zur Entfernung, sondern die Entfernung sei lediglich eine Voraussetzung für seinen Eintritt in den safe harbor und damit einen Haftungsausschluss.306 Für die Lesart der Benachrichtigungsregel als Safe HarborRegel wird überdies auf § 12 BM Urheberrecht Internet verwiesen, der die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit von Netzdienstanbietern ausschließt, wenn keine Beweise dafür vorliegen, dass diese von einer Rechtsverletzung wissen oder wenn sie Maßnahmen zur Entfernung des in Rede stehenden Inhalts ergreifen, nachdem sie die Benachrichtigung eines Verbreitungsrechtsinhabers über eine Rechtsverletzung er300 Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern, 2018, S. 136; Orth, Die o¨ ffentliche Zuga¨ nglichmachung von Werken im Internet nach deutschem und chinesischem Recht, 2011, S. 178. 301 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zum US-amerikanischen Recht oben unter 2. Haftung für die Nichtergreifung der notwendigen Maßnahmen. Ausführlich zu dem Verständnis der Neuregelungen des ECG und ZGB unten unter B. Rechtsfolge der Haftung der Netzdienstanbieter nach dem ZGB und ECG. 302 Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern, 2018, S. 136 f. 303 . 304 . 305 Vgl. Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern, 2018, S. 145 m. w. N.; Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 24. 306 Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern, 2018, S. 145.
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halten haben.307 Die in § 12 BM Urheberrecht Internet getroffene Regelung ähnele der des US-amerikanischen Rechts insofern, als § 12 einen safe harbor vorsehe.308 Andere verweisen auf § 11 BM Urheberrecht Internet. Gemäß § 11 BM Urheberrecht Internet wird ein Netzdienstanbieter, der entweder Kenntnis von einer Rechtsverletzung hat oder es versäumt hat, die rechtsverletzenden Inhalte nach Erhalt einer Mitteilung des Urheberrechtsinhabers zu entfernen, mit Verwaltungsstrafen belegt, wodurch die Regelung tendenziell vom Charakter des safe harbor abweiche.309 Der Verweis auf § 11 f. BM Urheberrecht Internet überzeugt insofern nur bedingt, als die darin angeordnete ordnungsrechtliche Haftung nicht mit der zivilrechtlichen Haftung gleichzusetzen ist. 3. § 36 Abs. 2 DelHaftG Das Notice and Takedown-Verfahren wurde sodann im Zuge des Erlasses des Gesetzes über die deliktische Haftung Ende 2009 in § 36 Abs. 2 DelHaftG aufgenommen. Die auch als „Internetklausel“ bezeichneten310 § 36 Abs. 2 und 3 DelHaftG311 verdrängten nach dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali, vgl. § 92 GGG, die allgemeine Regelung des § 9 DelHaftG312, in der die Teilnahme an deliktischen Handlungen normiert war.313 Nach § 36 Abs. 2 S. 1 DelHaftG hatte ein Rechtsinhaber das Recht, einem Netzdienstanbieter mitzuteilen, notwendige Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, wenn er davon ausging, in seinen Rechten verletzt zu sein. Ergriff ein Netzdienstanbieter nach Empfang der Mitteilung nicht unverzüglich die notwendigen Maßnahmen, haftete er nach § 36 Abs. 2 S. 2 DelHaftG gesamtschuldnerisch mit dem Netznutzer für den durch die Verzögerung oder das Unterlassen ausgeweiteten Teil des Schadens. § 36 Abs. 3 DelHaftG ordnete die gesamtschuldnerische Haftung des Netzdienstanbieters mit dem rechtsverletzenden Nutzer an, wenn er von dessen Rechtsverletzung wusste und keine notwendigen Abhilfemaßnahmen ergriff. In § 6 OVG Informationsnetze I a. F.314 legte das OVG einige Kriterien zur Präzisierung des Unverzüglichkeitserfordernisses des § 36 Abs. 2 DelHaftG fest. Hiernach hatten die Gerichte ein umfassendes Urteil unter anderem auf der Grundlage der Art des Netzdienstes, der Formwirksamkeit und dem Grad der Genauigkeit der Benach307
Vgl. Wang Liming, Northern Legal Science 2014/2, 34, 36; Yao Hongjun, Journal of Comparative Law 2011/5, 89, 93. 308 Yao Hongjun, Journal of Comparative Law 2011/5, 89, 93. 309 So Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 24. 310 , vgl. Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 52. 311 Zu § 36 Abs. 3 DelHaftG ausführlich unten, 6. Kap., A. Gesetzgebungshistorische Hintergründe zu § 36 Abs. 3 DelHaftG. 312 Vgl. nunmehr § 1169 ZGB. 313 Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern, 2018, S. 115. 314 S. o., Fn. 217; s. nunmehr § 4 OVG Informationsnetze I n. F.; im Einzelnen hierzu unten, 4. Kap., A. II. 4. a) Wesentlicher Inhalt der §§ 1195 f. ZGB und §§ 42 f. ECG.
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2. Teil: Die Verkehrspflichten i. R. d. Notice and Takedown-Verfahrens
richtigung sowie der Art und des Umfangs der Rechtsverletzung zu treffen. Während § 14 Nr. 3 SRVI-VO verlangt, dass der Benachrichtigung Anfangsbeweise315 beizufügen sind, setzte der den § 36 Abs. 2 DelHaftG präzisierende § 5 Nr. 3 OVG Informationsnetze I a. F.316 lediglich das Vorbringen von Gründen für die verlangte Löschung voraus. Der Grund hierfür wird darin gesehen, dass die Information über die Verletzung des Rechts auf Schutz des guten Rufs, des Rechts auf Goodwill und des Rechts auf Schutz der Privatsphäre – anders als bei Urheberrechtsverletzungen – oft selbst den Anfangsbeweis darstelle und die Erbringung von Beweismaterialien schwieriger sei. Ferner sei auch in § 119 Nr. 3 ZPG die Rede von „Gründen“, und bei „Gründen“ und „Anfangsbeweisen“ gehe es im Kern um dieselbe Sache.317 a) Reichweite der Benachrichtigungsregel des DelHaftG Mit Erlass des DelHaftG erfolgte eine Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs der Benachrichtigungsregel von Verletzungen des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts auf alle Arten von Rechtsverletzungen sowie des persönlichen Anwendungsbereichs auf alle Arten von Netzdienstanbietern.318 Patentverletzungen wurden vor Inkrafttreten des ECG, in dem die Benachrichtigungsregel für Verletzungen aller Arten von Rechten des geistigen Eigentums gilt,319 vor allem durch eine Übertragung der auf das Urheberrecht anwendbaren Vorschriften320 entschieden.321 Die Neuregelung wurde getroffen, weil Nachteile des Rechts, das die Thematik vor Inkrafttreten des DelHaftG betraf, gesehen wurden, wie der sehr enge Schutzbereich, der Verlass auf verwaltungsrechtliche Normen und die Vernachlässigung der privaten Rechtsbehelfe.322 Das OVG stellt insoweit fest, die Lösung durch allgemeine deliktsrechtliche Vorschriften sei zwar möglich gewesen, die Notwendigkeit für den Erlass spezieller Vorschriften sei indes auch aus der wachsenden Zahl im Internet begangener Rechtsverletzungen und deren besonderem Charakter erwachsen.323 Die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Benachrichtigungsregel auf alle Rechte und Interessen, mithin auch das Namensrecht, das Recht am eigenen Bild, das Recht auf Privatsphäre und andere Persönlichkeitsrechte sowie Vermögensinteressen,
315
S. o., Fn. 297. S. o., Fn. 217. 317 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 269 f. 318 Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 138; vgl. auch die Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 267. 319 Hierzu auch unter 3. Kapitel: Begrifflicher Gegenstand der Untersuchung. Zu den Anwendungsverhältnissen insgesamt unten unter D. Vergleich der alten und neuen Regelungen des Notice and Takedown-Verfahrens. 320 S. hierzu im Einzelnen oben unter 2. §§ 14 ff. und 20 ff. SRVI-VO. 321 Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 6. 322 So Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern, 2018, S. 99. 323 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 261. 316
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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wurde zu dem Zeitpunkt im weltweiten Vergleich als originell betrachtet.324 Neben dem Anwendungsbereich wurden durch § 36 Abs. 2 DelHaftG ferner die in § 14 SRVI-VO genannten, durch den Netzdienstanbieter zu ergreifenden Maßnahmen erweitert. In § 36 Abs. 2 DelHaftG wurden nicht mehr nur die Löschung oder Außerkraftsetzung der Verlinkung, sondern nicht abschließend notwendige Maßnahmen wie z. B. die Löschung, Abschirmung und Trennung der Verbindung genannt. Mit der Offenheit dieser Formulierung reagierte der Gesetzgeber auf die im Zuge der technologischen Entwicklung mannigfaltigen neuen Erscheinungsformen von Netzdiensten.325 Ferner wurde Netzdienstanbietern angesichts der Schwere der Maßnahmen der Löschung und Außerkraftsetzung der Verlinkung durch die nicht abschließende Aufzählung der Maßnahmen eine gewisse Flexibilität gewährt.326 Im Einzelnen waren die zu ergreifenden Maßnahmen durch eine werteorientierte systematische Auslegung zu ermitteln,327 die unabhängig von den explizit genannten Maßnahmen zu erfolgen hatte.328 Eine Verschlankung des Notice and Takedown-Verfahrens in § 36 Abs. 2 DelHaftG gegenüber dem der SRVI-VO erfolgte durch die fehlende Regelung eines Rechts zur Gegenanzeige und die anschließende Wiederherstellung des Status vor Ergreifung der notwendigen Maßnahmen. Diese wurde einerseits auf die vergleichsweise Einfachheit der Verletzung von Verbreitungsrechten durch Informationsnetzwerke sowie die Komplexität allgemeiner Rechtsverletzungen durch das Internet zurückgeführt, andererseits wird das Bedürfnis nach einer einfachen Gesetzgebung als ein denkbarer Grund für den Verzicht genannt.329 b) Rechtsdogmatisches Verständnis von § 36 Abs. 2 DelHaftG Bei § 36 Abs. 2 DelHaftG handelte es sich nach überwiegender Auffassung um eine Haftungsbegründungsregel330 und nicht wie im US-amerikanischen Recht um 324
Wang Liming, Entwurfsvorschlag für ein chinesisches Zivilgesetzbuch und Gesetzgebungsgründe (Buch über die deliktische Haftung), 2005, S. 90 ff. Das OVG hebt nunmehr die Ähnlichkeit der Regel in der EU und Japan sowie den Unterschied zum US-amerikanischen und taiwanesischen Recht hervor, in dem die Benachrichtigungsregel nur im Bereich des Urheberrechts gilt, Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 267. 325 Yang Xudong, Electronics Intellectual Property 2021/3, 50, 54; Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 58, sieht dies kritisch, da dem Netzdienstanbieter nicht die Rolle eines Richters, sondern lediglich eine Verfahrensrolle zukomme. 326 Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 57. 327 ; Yang Xudong, Electronics Intellectual Property 2021/3, 50, 54. Zur systematischen Auslegung im chinesischen Recht im Einzelnen Oei, Rechtsmethodik in China, 2022, S. 41 ff. 328 Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 57. 329 Vgl. Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 57. 330 . Den Begriff übersetzen Ding Yijie/Leibküchler/Klages/Pißler, ZChinR 2020/3 – 4, 207 ff., mit „Verantwortlichkeit“, s. nur S. 277, 326. Im Zusammenhang mit dem Begriff der „Regel“ ( ) erscheint eine Übersetzung mit „Haftungsbegründung“ passender.
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eine Haftungsausschlussregel331; § 36 Abs. 2 DelHaftG wurde mithin als Pflicht zur unverzüglichen Ergreifung der notwendigen Maßnahmen verstanden, die konkret das Verschulden des Netzdienstanbieters für den Fall bestätigte, dass er weder selbst eine direkte Rechtsverletzung beging noch wusste oder wissen musste, dass über seine Plattform eine Rechtsverletzung begangen wurde.332 Das Notice and Takedown-Verfahren des DelHaftG sei letztlich eine besondere Ausdrucksform des Prinzips der Verschuldenshaftung gewesen.333 § 36 Abs. 2 DelHaftG wurde somit als besondere Haftungsregelung für mittelbare Rechtsverletzungen von Netzdienstanbietern verstanden, durch die keine Aussage darüber getroffen wurde, ob die Haftung von Netzdienstanbietern in anderen Fällen ausgeschlossen ist.334 So haftete ein Anbieter von Netzdiensten mit einem Netznutzer gesamtschuldnerisch nach § 8 DelHaftG335, wenn er die Rechtsverletzung mit diesem gemeinsam und vorsätzlich beging und nach § 9 DelHaftG336, wenn er ihn dazu anstiftete oder ihn dabei unterstützte.337 Diese Einordnung des § 36 Abs. 2 DelHaftG teilte auch das OVG, das in seiner Leitentscheidung Nr. 83 klarstellte, dass die formelle Wirksamkeit der in § 36 Abs. 2 DelHaftG genannten Benachrichtigung die Grundlage für die Feststellung sei, ob der Netzdienstanbieter schuldhaft gehandelt hat und er gesamtschuldnerisch mit dem deliktisch Handelnden für den ausgeweiteten Teil des Schadens haftet.338
mit „ZuZhou Hengxiang, Deutsch-Chinesisches Rechtswörterbuch, 2017, übersetzt rechnung“, s. nur S. 87, 288, 331. übersetzt er mit „Haftungsmodell“, S. 130. 331 . Der Begriff kann ebenfalls mit „Befreiung“ übersetzt werden, vgl. Ding Yijie/Leibküchler/Klages/Pißler, ZChinR 2020/3 – 4, 207, 289, Zhou Hengxiang, Deutsch-Chinesisches Rechtswörterbuch, 2017, übersetzt den Begriff u. a. auch mit „Ausschluss“, S. 130, und „Freistellung“, S. 105; eine Übersetzung mit „Entlastung“ kommt ebenfalls vor, S. 83. 332 Liang Zhiwen, Science of Law 2017/4, 100, 105; Liu Wenjie, Peking University Law Journal 2012/2, 395, 401; Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 138; Yang Ming, Journal of the East China University of Political Science and Law 2010/3, 123, 127; Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 24 f., der hervorhebt, dass dies unabhängig davon gelte, dass § 36 Abs. 2 DelHaftG das Wort „muss“ nicht enthält; a. A. Hu Jingjing, Journal of Yunnan University 2013/6, 56, 61; Xu Wei, Science of Law 2014/2, 163, 165; Wang Siyuan, Contemporary Law Review 2017/1, 27, 29, die davon ausgehen, § 36 DelHaftG sei als Safe Harbor-Regel zu verstehen. 333 Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 141. 334 Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 138. 335 Nunmehr § 1168 ZGB. 336 Mit Inkrattreten des ZGB gemäß § 1260 ZGB aufgehoben; vgl. nunmehr § 1169 ZGB. 337 Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 138 f. 338 Leitentscheidung Nr. 83 des OVG vom 6. 3. 2017; abrufbar unter lawinfochina.com [ ]/pkulaw.cn [ ], Indexnummer CLI.C.8917466.
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c) Pflicht zur Weiterleitung als notwendige Maßnahme i. S. v. § 36 Abs. 2 DelHaftG Neben den Kontroversen um die Auslegung des Wissensbegriffs in § 36 Abs. 3 DelHaftG339 führte die knappe Formulierung des § 36 Abs. 2 DelHaftG in der gerichtlichen Praxis dazu, dass der Begriff der „notwendigen Maßnahmen“ extensiv ausgelegt und es auch als notwendige Maßnahme gesehen wurde, die Benachrichtigung an den Nutzer weiterzuleiten, dem eine Rechtsverletzung vorgeworfen wurde, sowie ihn über seine Verteidigungsmöglichkeiten zu informieren.340 Dieses Verständnis wurde im Schrifttum unter Zuhilfenahme der wörtlichen Auslegung341 teils abgelehnt, da die notwendigen Maßnahmen über eine ähnliche Wirksamkeit zu verfügen hätten wie die beispielhaft genannte Löschung, Abschirmung und Trennung der Verbindung.342 Die extensive Auslegung der Gerichte, die Weiterleitung der Benachrichtigung als notwendige Maßnahme zu sehen, wurde als Versuch gewertet, im Rahmen der geltenden Bestimmungen vernünftige Ergebnisse zu erzielen.343 Kritisiert wurde das Verständnis der Weiterleitungspflicht als eine notwendige Maßnahme i. S. v. § 36 Abs. 2 DelHaftG auch unter Rekurs auf das US-amerikanische Recht, dem die chinesische Regelung entlehnt wurde und in dem die Weiterleitung als ein von der Benachrichtigung und Gegenbenachrichtigung unabhängiges Bindeglied betrachtet wird, das angesichts der weitreichenden außergerichtlichen Eingriffsmöglichkeiten von Netzdienstanbietern letztlich dem Schutz der Mei339 Hierzu ausführlich unter A. Gesetzgebungshistorische Hintergründe zu § 36 Abs. 3 DelHaftG. 340 Leitentscheidung Nr. 83 des OVG vom 6. 3. 2017; abrufbar unter lawinfochina.com [ ]/pkulaw.cn [ ], Indexnummer CLI.C.8917466, in der es heißt, die Benachrichtigung über eine Patentverletzung sei auch dann an den vermeintlichen Schädiger weiterzuleiten, wenn deren Feststellung schwierig sei. Dies könne als Warnung und Abschreckung für die benachrichtigte Partei dienen und sei daher eine notwendige Maßnahme im Sinne des Gesetzes; s. auch das Urteil des Oberen Volksgerichts Jiangsu, Az.: 2015 186 und des Gerichts für geistiges Eigentum Beijing ( ), Az.: 2017 73 1194 ; zu letzterem ausführlich oben, 3. Kap., B. II. 3. b) Rechtsprechung über Cloud-Dienste. 341 . Oei, Rechtsmethodik in China, 2022, S. 35 m. w. N., stellt klar, dass sich diese Auslegungsmethode in der chinesischen Rechtswissenschaft nach herrschender Auffassung nur unmittelbar auf den Text bezieht, teilweise jedoch auch vertreten wird, dass u. a. auch die systematische Auslegung hiervon erfasst sei. 342 Vgl. Wang Liming, Northern Legal Science 2014/2, 34, 42. 343 Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 25, der insoweit auf das Urteil des Gerichts für geistiges Eigentum Beijing verweist, Az.: 2017 73 1194 . Hierzu ausführlich s. o., 3. Kap., B. II. 3. b) Rechtsprechung über Cloud-Dienste. Vgl. hierzu auch Li Yang/Chen Shuo, Intellectual Property 2020/1, 25, 30 f., die die Regelung der Weiterleitung als notwendiger Maßnahme zudem für hilfreich in Fällen erachten, in denen ein Netzdienstanbieter der Ansicht ist, dass eine Entfernung aufgrund der besonderen Art der durch den Berechtigten geltend gemachten Rechte oder aufgrund eigener Eigenschaften nicht notwendig oder möglich ist. Er könne nach der Weiterleitung sodann neu entscheiden, ob auf der Grundlage der Rückmeldung des Weiterleitungsempfängers andere notwendige Maßnahmen zu ergreifen sind.
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nungsfreiheit von Nutzern zu dienen bestimmt ist.344 Als ein weiterer Kritikpunkt wurde geäußert, dass die Gerichte bei dem Verständnis der Weiterleitung der Benachrichtigung als notwendiger Maßnahme die Schwere der Rechtsverletzung und den Bereich außen vor gelassen hätten, dem die Rechtsverletzung zuzuordnen ist. Letzteres sei vor dem Hintergrund angeraten, dass eine Weiterleitung zwar im Bereich des Urheberrechts und der üblen Nachrede funktioniere, nicht aber in Bereichen, in denen ein sofortiger absoluter Schutz vonnöten sei, wie beispielsweise der Kinderpornografie und dem Recht auf Privatsphäre.345 Die auslegungsmethodischen Erwägungen, durch die eine ähnliche Wirksamkeit der Maßnahmen gefordert wird, überzeugen, da die in § 36 Abs. 2 DelHaftG genannten notwendigen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Rechtsverletzung zu lesen sind, der entgegengewirkt werden soll. Der Rekurs auf das Verständnis der Weiterleitung im Gefüge des US-amerikanischen Notice and Takedown-Verfahrens ist demgegenüber im Rahmen des § 36 DelHaftG nicht zwingend, da § 36 DelHaftG gegenüber den unmittelbar dem US-amerikanischen Recht entlehnten Regelungen der SRVI-VO in vielerlei Hinsicht abgewandelt wurde.346 4. Das Notice and Takedown-Verfahren der §§ 1195 f. ZGB und §§ 42 f. ECG In dem rudimentären Charakter des § 36 DelHaftG einerseits und der Umsatzstärke des chinesischen Internethandels sowie der hohen Anzahl der Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums und Persönlichkeitsrechten andererseits wurde ein Gegensatz gesehen.347 Insbesondere im Markenrecht behalfen sich die Gerichte daher auch nach Erlass von § 36 DelHaftG noch mit einer analogen Anwendung der für das urheberrechtliche Verbreitungsrecht in der SRVI-VO geregelten Vorschriften über das Notice and Takedown-Verfahren.348 Folglich herrschte im Zuge der Kodifizierung des ZGB sowohl unter Wissenschaftlern als auch Praktikern ein reger Diskurs über die Frage nach einer verbesserten Regelung der Haftung für im Internet begangene Rechtsverletzungen, und es wurde eine detaillierte Regelung in einem eigenen Kapitel gefordert.349 Wenngleich der Gesetzgeber dieser Forderung nicht nachkam, widmete er der Haftung von Netzdienstanbietern einige Bestimmungen in der neuen Zivilrechtskodifikation. Diese wurden in weiten Teilen des Schrifttums 344
Yang Xudong, Electronics Intellectual Property 2021/3, 50, 51 m. w. N. Unter Rekurs auf das US-amerikanische Recht Yang Xudong, Electronics Intellectual Property 2021/3, 50, 58 m. w. N. 346 Vgl. hierzu überblicksartig unten, D. Vergleich der alten und neuen Regelungen des Notice and Takedown-Verfahrens. 347 Bu, in: Bu (Hrsg.), Chinese Civil Law, 2013, S. 155; Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 137; vgl. auch Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 59. 348 Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern, 2018, S. 150 m. w. N. 349 Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 137. 345
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positiv aufgenommen, weil sie detailliert und speziell auf im Internet begangene Delikte zugeschnitten sind.350 Gleichwohl stellt das Erste Mittlere Volksgericht Shanghai in Bezug auf die im ECG geregelte Benachrichtigungsregel heraus, dass gesetzlich nur allgemeine Regelungen zu Beschwerden über Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums getroffen worden seien und die Plattformbetreiber die spezifischen Beschwerdeschritte weiter zu präzisieren hätten. Zur Begründung einer solchen Pflicht zur Einrichtung einfacher und effektiver Beschwerde- und Anzeigemechanismen stützt das Gericht sich auch auf § 59 ECG, der vorsieht, dass E-Commerce-(Plattform)-Betreiber effektive Beschwerde- und Anzeigemechanismen zu errichten haben.351 a) Wesentlicher Inhalt der §§ 1195 f. ZGB und §§ 42 f. ECG Die §§ 1195 f. ZGB sowie §§ 42 f. ECG konkretisieren das Notice and TakedownVerfahren der Vorgängerregelung der §§ 1195 ff. ZGB, § 36 Abs. 2 DelHaftG352 und unterscheiden sich hiervon im Wesentlichen durch die im Folgenden dargelegten Aspekte. Während die §§ 42 ff. ECG ausschließlich für Rechte des geistigen Eigentums gelten, finden die §§ 1195 f. ZGB Anwendung auf alle übrigen Arten von Rechtsverletzungen.353 Adressat der Benachrichtigungsregel des ZGB sind dem OVG zufolge lediglich sog. Webtechnologiedienstanbieter in Abgrenzung zu Webinhaltsdienstanbietern,354 die direkt nach § 1194 ZGB355 haften.356 Wenn beide Eigenschaften in einer Entität zusammentreffen, ist zwischen den unterschiedlichen Verhaltensweisen zu differenzieren und es sind je nachdem unterschiedliche Vorschriften anwendbar.357 Die Benachrichtigungsregel des ECG richtet sich demgegenüber an E-Commerce-Plattform-Betreiber i. S. v. § 9 Abs. 2 ECG als eine spezielle Form des Netzdienstanbieters.358 In weiten Teilen ähneln sich die Benach-
350
So Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 137; Zhang Defen, Intellectual Property 2019/3, 41, 49; Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 8; Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 25, äußert sich in Bezug auf die Parallelregelung des ECG, die eine Verbesserung des § 36 DelHaftG darstelle. 351 ), Az.: 2020 01 Erstes Mittleres Volksgericht Shanghai ( 4923 . 352 Zhang Defen, Intellectual Property 2019/3, 41, 42. 353 Vgl. Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 142. 354 Zu diesen Begriffen im Einzelnen s. o., 3. Kap., B. II. 1. a) Differenzierung zwischen Webtechnologiedienst- und Webinhaltsdienstanbietern. 355 Diese Vorschrift wird indes überwiegend als deklaratorisch bezeichnet, jedenfalls nicht als verschuldensunabhängiger Haftungstatbestand, anders als es der Wortlaut vermuten lässt, s. o., Fn. 165. 356 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 267. 357 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 267. 358 Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 6. Hierzu im Einzelnen s. o., 3. Kap., B. II. Netzdienstanbieter und E-Commerce-Plattform-Betreiber.
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richtigungsregeln des ECG und ZGB; insoweit bestehende Unterschiede werden im Folgenden ebenfalls herausgearbeitet. aa) Inhalt der Benachrichtigung Art. 1.13 Nr. 2 lit. d Var. 1 in Abschnitt E des Phase One Trade Agreements zwischen China und den USA359 sieht vor, dass China die Gültigkeit von Benachrichtigungen und Gegenanzeigen sicherstellt, indem es voraussetzt, dass diesen einschlägige Informationen beigefügt werden. In § 1195 Abs. 1 ZGB ist geregelt, dass eine Benachrichtigung einen Anfangsbeweis360 über die Erfüllung des Tatbestandes enthalten muss. Damit wird die Diskussion darüber, ob der Netzdienstanbieter i. S. v. § 36 DelHaftG nur tätig zu werden hat, wenn der Benachrichtigung ein Anfangsbeweis beigelegt wurde, obsolet.361 Über den genaueren Inhalt der Benachrichtigung enthalten weder das ZGB noch das ECG Vorschriften und auch in § 2 OVG-Replik IP Internet362 wird im Wesentlichen nur der Wortlaut des § 42 Abs. 2 ECG wiederholt. Klärender ist insoweit § 5 Abs. 1 S. 1 OVG IP E-Commerce, der den üblichen Inhalt einer Benachrichtigung i. S. v. § 42 ECG nennt: So enthalte die Benachrichtigung typischerweise einen Nachweis über die Rechte an geistigem Eigentum und Informationen über die wahre Identität des Berechtigten, Informationen über die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen, die genau lokalisiert werden können, Anfangsbeweise über die Rechtsverletzung sowie eine schriftliche Garantie über die Wahrhaftigkeit der Benachrichtigung.363 Die Benachrichtigung hat nach § 5 Abs. 1 S. 2 OVG IP E-Commerce in Schriftform zu erfolgen.364 § 5 Abs. 2 OVG IP E-Commerce sieht zudem das Recht des E-Commerce-Plattform-Betreibers vor, von dem Benachrichtigenden zu verlangen, dass er eine Beschreibung des Vergleichs von technischen Merkmalen oder Konstruktionsmerkmalen, ein Gebrauchsmuster oder einen Bericht über die Bewertung von Patentrechten oder andere Unterlagen vorlegt. Hiermit begegnet das OVG Bedenken, die sich darauf gründen, dass Plattformbetreiber Maßnahmen i. S. v. § 42 Abs. 1 ECG vorschnell ergreifen
359
S. o., Fn. 18. S. o., Fn. 297. 361 Vgl. zu dieser Diskussion Bu, in: Bu (Hrsg.), Chinese Civil Law, 2013, S. 155. 362 Zur Replik s. o., Fn. 28. 363 Anfangsbeweise werden auch nach § 14 Nr. 3 SRVI-VO verlangt, während § 5 Nr. 3 OVG Informationsnetze I a. F. (2014) lediglich das Vorbringen von Gründen für die verlangte Löschung voraussetzte. S. hierzu oben unter 3. § 36 Abs. 2 DelHaftG. 364 Das OVG weist darauf hin, dass auch § 14 SRVI-VO ein Schriftformerfordernis vorsieht, während in den §§ 1195 ff. ZGB insoweit keine Regelung enthalten ist, vgl. Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 268. Für Verträge wird die Schriftform in § 469 Abs. 2 ZGB als eine Form definiert, in der der Inhalt körperlich ausgedrückt werden kann, wie etwa Vertragsurkunden, Briefe, Telegramme, Fernschreiben und Faxe. In § 469 Abs. 3 ZGB wird fingiert, dass elektronische Datenschriftstücke der Schriftform genügen. 360
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könnten, um eine gesamtschuldnerische Haftung zu vermeiden, und so ein Einfallstor für unlauteren Wettbewerb bieten würden.365 bb) Anforderungen an die zu erbringenden Anfangsbeweise Es wird diskutiert, welche Anforderungen an die i. S. v. § 42 Abs. 1 ECG zu erbringenden Anfangsbeweise zu stellen sind.366 Da es sich bei Streitigkeiten im ECommerce meist um zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen Internetnutzern und Plattformbetreibern handelt und das ECG die Parteien ermutigt, Streitigkeiten zunächst nicht gerichtlich, sondern durch einen außergerichtlichen Streitbeilegungsmechanismus beilegen zu lassen, wird gefordert, dass auch im Rahmen des Notice and Takedown-Verfahrens als Streitbeilegungsverfahren der Plattformen derselbe Maßstab wie in einem regulären Zivilprozess herangezogen wird.367 Vorzugswürdiger Auffassung nach handelt es sich bei dem Notice and Takedown-Verfahren gerade nicht um ein Gerichtsverfahren, sondern um ein vorgeschaltetes Verfahren, weshalb nicht die hohen, in Zivilprozessen in der Regel geltenden Beweisanforderungen zu stellen sind.368 Ein Anfangsbeweis ist demnach schon dann erbracht, wenn das Beweismaß die Rechtsverletzung möglich erscheinen lässt, eine wie üblicherweise erforderliche überwiegende, geschweige denn hohe oder weit überwiegende Wahrscheinlichkeit ist demgegenüber keine Voraussetzung.369 Die allgemeine Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung reicht somit aus, kein tauglicher Anfangsbeweis ist lediglich jener, der bei einer gewöhnlichen Ermessensausübung
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So u. a. Chen Yu, People’s Judicature 2020/25, 88, 88 f.; Li Xiaoqiu/Li Xueqian, Journal of University of Science and Technology Beijing 2020/6, 81, 86, die für eine Anhebung der Anforderungen an die zu erbringenden Beweise plädieren. § 5 OVG IP E-Commerce sei hierfür bereits ein Signal. Die bestehenden Bedenken lassen sich auf tatsächliche Gegebenheiten stützen. So wurden Statistiken von Alibaba zufolge im Jahr 2016 insgesamt 5.862 Nutzerkonten ausfindig gemacht, über die arglistige Beschwerden gesendet wurden. Betroffen waren 1,03 Mio. Betreiber und über 6 Mio. Links zu Produkten, wodurch Betreibern Verluste i. H. v. 107 Mio. Yuan entstanden, vgl. den Eintrag „Ali[baba] sperrt erstmals ein IP-Unter], nehmen wegen arglistiger Benachrichtigungen“ [ http://www.xdkjfhq.com/bbss/show/728, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022. 366 Chin. für Anfangsbeweis: . Die folgenden Ausführungen gelten spiegelbildlich für die Gegenanzeige; s. hierzu ausführlich unten unter b) Das Recht zur Gegenanzeige. 367 Vgl. Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 118. Zum Beweisrecht im chinesischen Recht ausführlich Werthwein, in: Pißler (Hrsg.), Handbuch des chinesischen Zivilprozessrechts, 2018, S. 129 ff. 368 Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 118; vgl. auch Wang Liming, Northern Legal Science 2014/2, 34, 40. 369 Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 118; zu den Anforderungen im herkömmlichen Zivilprozess auch Yang Lixin, Modern Law Science 2019/3, 77, 84; s. hierzu auch Jiang Wei/Xiao Jianguo (Hrsg.), Zivilprozessgesetz, 2015, 213; Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 140.
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2. Teil: Die Verkehrspflichten i. R. d. Notice and Takedown-Verfahrens
offensichtlich ungeeignet ist, auf eine Rechtsverletzung schließen zu lassen.370 Offensichtlich ungeeignet sind beispielsweise Beweismittel, die eindeutig keinen Bezug zu den in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen aufweisen.371 Für diese Auffassung wird in der Literatur zu Recht vorgebracht, andernfalls entbehre der durch die Regeln über das Benachrichtigungsverfahren intendierte Rechtsschutz seiner Effektivität.372 Dies gilt vor allem auch im Lichte der Schwierigkeiten beim Nachweis sowohl von Patent- als auch Urheberrechten373 sowie des vorzugsweise anzulegenden eingeschränkt materiellen Umfangs der Prüfpflicht von Plattformbetreibern. Gegen die Herabsetzung des Wahrscheinlichkeitsgrades der begangenen Rechtsverletzung spricht neben der Terminologie, die der Gesetzgeber gleich wie im regulären Zivilprozess gewählt hat, auch die Gefahr missbräuchlicher Benachrichtigungen, die bei der Reduzierung des Beweismaßes auf die bloße Möglichkeit einer Rechtsverletzung signifikant ansteigen würde. Aus Gründen der Waffengleichheit fordert das Erste Mittlere Volksgericht Shanghai, im Rahmen der Benachrichtigung i. S. d. § 42 ECG als auch der Gegenbenachrichtigung374 i. S. v. § 43 ECG denselben Maßstab anzulegen. Dies überzeugt auch angesichts der spiegelbildlichen Ausgestaltung des Benachrichtigungs- und Gegenbenachrichtigungsverfahrens. Die Anfangsbeweise haben danach lediglich Informationen über die Identität des Rechtsverletzenden, die betroffenen Rechte und Interessen, die Eigenschaft der eigenen Person als Inhaber der betroffenen Rechte und Interessen und die Gründe, warum die geltend gemachte Handlung eine Rechtsverletzung darstellt, zu enthalten.375 Für den Fall, dass Plattformbetreiber in ihren eigenen Regeln strengere Anforderungen an die zu erbringenden Anfangsbeweise vorsehen, sind diese für den Rechtsinhaber nicht bindend.376
370 Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 118; so auch Ning Yuan, Journal of Chongqing University 2020/5, 156, 163; ähnlich Li Xiaoqiu/Li Xueqian, Journal of University of Science and Technology Beijing 2020/6, 81, 84, 86 f., die fordern, eine materielle Prüfung auf leicht zu beurteilende Fälle zu beschränken; Chen Yu, People’s Judicature 2020/25, 88, 90, favorisiert einen Mittelweg dahingehend, dass die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Rechtsverletzung größer zu sein habe als die ihres Nichtvorliegens. 371 Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 118. 372 Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 143. 373 Chen Yu, People’s Judicature 2020/25, 88, 89. Auch das Chinesische Patentamt fordert eine Erleichterung der Beweislast von Patenrechtsinhabern, Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 12. 374 S. o., Fn. 259. 375 Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 143. 376 Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 143; Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 12, halten es für gänzlich unangemessen, die Beweislast ausschließlich einer Seite aufzuerlegen, und schlagen stattdessen eine Art „Lastenteilung“ vor.
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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cc) Weiterleitungspflicht des Netzdienstanbieters § 1195 Abs. 2 ZGB und § 42 Abs. 2 ECG enthalten wie auch § 17 S. 1 SRVI-VO eine Pflicht des Netzdienstanbieters, Benachrichtigungen an die auf der Plattform tätigen Betreiber weiterzuleiten. Das Erste Mittlere Volksgericht Shanghai stellt klar, dass der Plattformbetreiber die Beweislast dafür trägt, dass er die Beschwerde i. S. d. § 42 Abs. 2 ECG an den auf der Plattform tätigen Betreiber weitergeleitet hat.377 Diese Weiterleitungspflicht wird für zuträglich im Hinblick auf die Informationsfreiheit des betroffenen Netznutzers erachtet.378 Für das OVG liegt der Grund für die Weiterleitungspflicht in der Besonderheit deliktischen Verhaltens im Internet dahingehend, dass es für den Verletzten oftmals schwierig sein dürfte, die Identität des Schädigers selbst ausfindig zu machen.379 Im Lichte der mit dem Verständnis der Weiterleitung als notwendiger Maßnahme i. S. v. § 36 Abs. 2 DelHaftG verbundenen Schwierigkeiten wird begrüßt, dass die Pflicht zur Weiterleitung der Benachrichtigung nicht mehr an die notwendigen Maßnahmen gekoppelt ist. Hierdurch werde sie von einer Hilfsmaßnahme zu einer unabhängigen Maßnahme mit einem eigenständigen Wert, die Netzdienstanbieter ergreifen, bevor sie etwaige Schritte zur Beseitigung der begangenen Rechtsverletzungen ergreifen.380 Angesichts der mit der aus systematischen Gründen wenig überzeugenden extensiven Auslegung des § 36 Abs. 2 DelHaftG381 einhergehenden Rechtsunsicherheit stellt die gesonderte Aufnahme der Weiterleitungspflicht in der Tat einen Fortschritt dar. dd) Notwendigkeit und Angemessenheit der zu ergreifenden Maßnahmen Die in § 42 Abs. 1 ECG genannten notwendigen Maßnahmen stimmen im Wesentlichen mit jenen des § 1195 Abs. 2 ZGB überein. Dass § 42 Abs. 1 ECG im Gegensatz zu § 1195 Abs. 1 ZGB als mögliche durch den Plattformbetreiber zu ergreifende Maßnahme zudem das Beenden von Transaktionen und Dienstleistungen vorsieht, mag dem Umstand geschuldet sein, dass diese Maßnahmen speziell im ECommerce ein gangbarer Weg zur Unterbindung von Rechtsverletzungen sein können. In § 1195 Abs. 2 ZGB hat der Gesetzgeber zudem die Formulierung aufgenommen, die notwendigen Maßnahmen seien „aufgrund des Diensttyps“ zu ergreifen, und hiermit § 970-I Abs. 2 des dritten Entwurfs des Buches über die deliktische Haftung ergänzt.382 In seiner Kommentierung zum ZGB definiert das OVG notwendige Maßnahmen als jene, die ausreichen, um die Fortsetzung der delikti377 ), Az.: 2020 01 Erstes Mittleres Volksgericht Shanghai ( 4923 104 . 378 So Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 140. 379 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 269. 380 Yang Xudong, Electronics Intellectual Property 2021/3, 50, 54. 381 Hierzu ausführlich oben unter c) Pflicht zur Weiterleitung als notwendige Maßnahme i. S. v. § 36 Abs. 2 DelHaftG. 382 Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 26.
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2. Teil: Die Verkehrspflichten i. R. d. Notice and Takedown-Verfahrens
schen Handlung und die Ausweitung des Schadens zu verhindern, und die keinen unverhältnismäßigen Schaden bei dem Netzdienstanbieter hervorrufen.383 Das hierdurch in § 1195 Abs. 2 ZGB hineingelesene zusätzliche Angemessenheitserfordernis fungiert so als Korrektiv für ergriffene notwendige Maßnahmen.384 Die Notwendigkeit der zu ergreifenden Maßnahmen i. S. v. § 42 Abs. 2 ECG richtet sich gemäß § 3 S. 1 OVG IP E-Commerce nach der Natur der geltend gemachten Rechte, den konkreten Umständen und technischen Bedingungen der Rechtsverletzung, den Anfangsbeweisen385 sowie der Art der Dienstleistung. Ein Angemessenheitserfordernis klingt auch in § 3 S. 2 OVG IP E-Commerce an, der vorsieht, dass der Plattformbetreiber bei der Ergreifung der Maßnahmen, die die Löschung, Blockierung und Außerkraftsetzung der Verlinkung enthalten, aber nicht auf diese beschränkt sind, ferner dem sog. Grundsatz angemessener Vorsicht386 zu folgen hat. Gemäß § 10 OVG IP E-Commerce können die Gerichte bei der Beurteilung der Frage, ob die von einem E-Commerce-Plattform-Betreiber i. S. v. § 42 Abs. 2 ECG ergriffenen Maßnahmen auch angemessen sind, unter anderem zudem die folgenden Faktoren berücksichtigen: die Anfangsbeweise über die Rechtsverletzung, die Wahrscheinlichkeit, das Ausmaß des Einflusses und die konkreten Umstände der Rechtsverletzung einschließlich der Frage, ob arglistige und wiederholte Rechtsverletzungen vorliegen, die Effektivität einer Verhinderung der Schadensvergrößerung, der mögliche Einfluss auf die Interessen des auf der Plattform tätigen Betreibers sowie die Arten von Dienstleistungen und technischen Voraussetzungen der E-Commerce-Plattform. Wenn ein auf der Plattform tätiger Betreiber Beweis darüber erbringen kann, dass Patentrechte, die in einer Benachrichtigung i. S. v. § 42 ECG genannt werden, durch das Chinesische Patentamt für unwirksam erklärt wurden, und der E-Commerce-Plattform-Betreiber die entsprechenden Maßnahmen entsprechend aussetzt, haben Gerichte nach § 10 OVG IP ECommerce der Behauptung eines vermeintlich an Rechten des geistigen Eigentums Berechtigten nicht stattzugeben, dass der E-Commerce-Plattform-Betreiber nicht unverzüglich die notwendigen Maßnahmen getroffen hat. Im Schrifttum werden als denkbare Maßnahmen im E-Commerce öffentliche Warnungen, die Herabsetzung der Kreditwürdigkeit, die Aussetzung von Transaktionen, die Anordnung der Entfernung rechtsverletzender Waren oder gar die Schließung von Onlineshops genannt.387 Ferner wird das Verbot von Downloads als notwendige Maßnahme in Erwägung gezogen. Für Anbieter sozialer Netzdienste wie WeChat und Weibo können darüber hinaus ein Verbot von Kommentaren, ein Verbot 383
Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 269. Für ein Beispiel, in dem die Angemessenheit als Korrektiv für die Notwendigkeit im Rahmen des § 36 Abs. 2 DelHaftG fungiert, s. o., 3. Kap., B. II. 3. b) Rechtsprechung über Cloud-Dienste. 385 S. o., Fn. 297. 386 . 387 Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 144; Feng Shujie, Intellectual Property 2015/5, 10, 16. 384
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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des erneuten Einstellens und die Sperrung von Konten notwendige Maßnahmen darstellen.388 Es wird als zentral für die Verwirklichung der Plattformautonomie gehalten, dass die notwendigen Maßnahmen weder in § 1195 ZGB noch in § 42 ECG abschließend aufgezählt werden.389 Dass diese für den Gesetzgeber von Bedeutung ist, wird aus der Pflicht von E-Commerce-Plattform-Betreibern i. S. d. § 41 ECG zur Aufstellung von Regeln zum Schutz von Rechten des geistigen Eigentums sowie zur Veröffentlichung einer Dienstleistungsvereinbarung und von Handelsregeln in § 32 ECG ersichtlich. Dabei kommt durchaus in Betracht, dass sich etwaige Maßnahmen auch gegen andere, mit beanstandeten Produkten in Verbindung stehende Waren richten, solange sie sich an die in § 32 ECG genannten Prinzipien der Öffentlichkeit, Fairness und Unparteilichkeit halten.390 ee) Unverzüglichkeit der zu ergreifenden Maßnahmen Das OVG stellt in seiner Kommentierung zum ZGB klar, dass das Unverzüglichkeitserfordernis des § 1195 Abs. 2 ZGB entscheidend dafür ist, ob der Netzdienstanbieter in den durch das Notice and Takedown-Verfahren gewährten safe harbor eintreten kann. Die Haftung sei nur ausgeschlossen, wenn die Ergreifung rechtzeitig erfolge. Ziel dieses Unverzüglichkeitserfordernisses sei die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen den Interessen des Netzdienstanbieters und des Geschädigten.391 Weder der Gesetzgeber noch das OVG bilden abstrakte Kriterien zur Bestimmung der Unverzüglichkeit heraus; das OVG zieht in § 4 OVG Informationsnetze I392 insoweit konkrete Kriterien heran. Ob die notwendigen Maßnahmen unverzüglich ergriffen wurden, ist danach von einer umfassenden Entscheidung aufgrund von Faktoren wie dem Typ und der Natur des Netzdienstes, der Form und dem Grad der Genauigkeit der wirksamen Benachrichtigung sowie dem Typ und Grad der Verletzung der Rechte und Interessen abhängig zu machen. Hieraus wird deutlich, dass kein allgemeingültiger Maßstab angelegt werden kann, sondern die Beurteilung über die Unverzüglichkeit je nach Einzelfall von verschiedenen Faktoren abhängt. Im Schrifttum wird im Allgemeinen ein Zeitraum von 24 Stunden als unverzüglich angesehen.393
388
Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 144. Jirimutu, Tribune of Social Sciences 2021/4, 130, 140. 390 So beispielsweise das Erste Mittlere Volksgericht Shanghai ( ), Az.: 2020 01 4923 104 . 391 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 269 f. 392 Zum Unverzüglichkeitserfordernis in § 6 OVG Informationsnetze I a. F. s. o. unter 3. § 36 Abs. 2 DelHaftG. 393 Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 141. 389
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2. Teil: Die Verkehrspflichten i. R. d. Notice and Takedown-Verfahrens
b) Das Recht zur Gegenanzeige Ein Novum des Notice and Takedown-Verfahrens des ZGB und des ECG gegenüber § 36 DelHaftG sind § 1196 ZGB und § 43 ECG, die dem einer Rechtsverletzung beschuldigten Netznutzer bzw. auf der Plattform tätigen Betreiber ein Recht zur Gegenanzeige394 mit dem Inhalt einräumt, dass ein rechtsverletzendes Verhalten nicht gegeben ist.395 Der Gegenanzeige sind sowohl nach § 1196 Abs. 1 S. 2 ZGB als auch § 43 Abs. 2 S. 1 ECG Anfangsbeweise beizufügen, und das Gegenanzeigerecht ist insofern spiegelbildlich zum Benachrichtigungsrecht ausgestaltet. Falls keine Anfangsbeweise beigefügt werden, ist die Anzeige unwirksam.396 Anders als noch § 43 Abs. 2 S. 1 ECG sieht § 1196 Abs. 1 S. 2 ZGB ähnlich wie § 17 Nr. 1 SRVI-VO zudem vor, dass der Erklärung wahre Identitätsinformationen des Netznutzers beizufügen sind. Vor dem Hintergrund, dass Netzdienstanbieter zwar über die Kontaktinformationen verfügen, welche die Nutzer bei der Registrierung angegeben haben, dies jedoch nicht zwangsläufig bedeutet, dass auch Informationen über die wahre Identität bekannt sind, ist die Erweiterung der Regelung des ZGB zu begrüßen.397 Das Erfordernis der Angabe wahrer Informationen bei der Einreichung einer Gegenanzeige i. S. v. § 43 ECG sieht für E-Commerce-Plattform-Betreiber auch § 7 OVG IP E-Commerce vor. Dort wird zudem der Inhalt der Gegenanzeige genauer spezifiziert. Danach enthält die Gegenanzeige üblicherweise unter anderem Informationen über die wahre Identität des auf der Plattform tätigen Betreibers, Informationen über Waren und Dienstleistungen, die genau lokalisiert werden können und die die Beendigung notwendiger Maßnahmen erfordern, Anfangsbeweise über die Rechtsinhaberschaft oder Nutzungsrechte sowie eine schriftliche Garantie über die Wahrhaftigkeit der Gegenanzeige. § 7 Abs. 1 S. 2 OVG IP E-Commerce sieht überdies auch für die Gegenanzeige ein Schriftformerfordernis vor. Bei möglichen Patentverletzungen wird dem E-Commerce-Plattform-Betreiber das Recht eingeräumt, von dem auf der Plattform tätigen Betreiber zu verlangen, dass er Materialien wie Beschreibungen des Vergleichs technischer Merkmale oder Konstruktionsmerkmale einreicht. Eine Frist, die bei Einreichung der Gegenanzeige einzuhalten ist, ist nicht explizit vorgesehen. Die Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai hat die Frist von drei Tagen, die der Betreiber der Plattform Taobao in dem der Entscheidung des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai zugrunde liegenden Fall398 insoweit vorgesehen hat, für angemessen i. S. v. § 59 ECG,
394
S. o., Fn. 259. Dieses Recht sah indes bereits § 16 SRVI-VO vor. 396 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 275. 397 So auch Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 142. 398 ), Az.: 2020 Erstes Mittleres Volksgericht Shanghai ( 4923 . 395
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4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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§ 4 OVG IP E-Commerce erklärt.399 Danach ist vorgesehen, dass E-Commerce(Plattform)-Betreiber effektive Beschwerde- und Anzeigemechanismen errichten. aa) Zweck des Rechts zur Gegenanzeige Das Recht zur Gegenanzeige verleiht dem Netzdienstanbieter gleichsam die Rechtsstellung eines Doppelverpflichteten und Mittlers, die dadurch gerechtfertigt wird, dass der Netzdienstanbieter die Kontrolle über die mutmaßlich rechtsverletzenden Informationen ausübt.400 Der Zweck dieses Rechts zur Gegenanzeige ist es, Netznutzern ein Verteidigungsrecht einzuräumen, was letztlich als Ausdruck des Prinzips der Waffengleichheit401 gesehen wird.402 Da andernfalls ein Ping-Pong-Spiel von Benachrichtigung und Gegenanzeige entstünde, wird der das Verfahren regelnde Wortlaut im Schrifttum dahingehend verstanden, dass es nur einmal durchlaufen werden kann.403 Ferner soll das Recht zur Gegenanzeige dem mit der Benachrichtigungsregel einhergehenden Missbrauchspotenzial entgegenwirken.404 Die Gefahr missbräuchlichen Verhaltens realisiert sich im Einzelnen dadurch, dass abgelaufene Rechtszertifikate über Rechte des geistigen Eigentums oder echte Zertifikate durch scheinbare Rechtsinhaber zur Erpressung oder Bekämpfung von Konkurrenten eingereicht werden.405 Überdies werden arglistige Benachrichtigungen von tatsächlichen Rechtsinhabern zu anderen Zwecken als der Verteidigung ihrer Rechte eingereicht.406 Teils werden zudem gezielt Versäumnisse bei der Marken- und Patentprüfung ausgenutzt, um selbst Marken anzumelden oder gezielt ähnliche Gebrauchs- oder Geschmacksmuster zu erlangen sowie auf der Grundlage dieser Rechte Benachrichtigungen einzureichen, in denen von Netzdienstanbietern die Trennung von Links zu den entsprechenden Informationen verlangt wird.407 Auf der Plattform 399 Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 117. 400 Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 144 f. 401 . 402 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 275. Das OVG hebt zudem hervor, dass es sich bei der Gegenanzeige um ein Recht und nicht um eine Pflicht des Netznutzers handele. 403 Yang Lixin, Modern Law Science 2019/3, 77, 88. 404 Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 6, 11; die mit § 36 Abs. 2 DelHaftG einhergehende Missbrauchsgefahr wurde vor diesem Hintergrund kritisiert, vgl. nur Forschungsgruppe des Mittleren Volksgerichts Zhejiang Ningbo, People’s Judicature (Application) 2018/4, 61, 63; Cai Yuanzhen, Intellectual Property 2019/1, 24, 26; Liu Tieguang/Li Zhida, Journal of Changzhou University 2017/4, 14, 21, machen im Besonderen auf das durch wiederholte Benachrichtigungen über dieselbe Rechtsverletzung entstehende Missbrauchsrisiko aufmerksam und fordern eine Sperre durch den Netzdienstanbieter, die das erneute Einreichen derselben Benachrichtigung ausdrücklich verhindert. 405 Du Ying, Electronics Intellectual Property 2021/4, 4, 9. 406 Du Ying, Electronics Intellectual Property 2021/4, 4, 9. 407 Du Ying, Electronics Intellectual Property 2021/4, 4, 9.
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tätige Betreiber würden so gezwungen, erpresserische Forderungen zu akzeptieren.408 Im Lichte dieser Missbrauchsgefahr wurde bereits in den §§ 16 f. SRVI-VO ein Recht zur Gegenanzeige geregelt, an das § 1196 ZGB nunmehr anknüpft.409 § 14 SRVI-VO, der neben den Angaben über die Identität des Berechtigten und des Werks auch die Einreichung von Anfangsbeweisen voraussetzt, habe aufgrund der Freiwilligkeit der Registrierung von Urheberrechten in der VR China und des überwiegend formellen Charakters der bei einer Registrierung durchgeführten Prüfung demgegenüber nicht ausgereicht, um der Anfälligkeit der niedrigen Schwelle von Verletzungsanzeigen für eine missbräuchliche Nutzung stark genug entgegenzuwirken.410 bb) Pflicht des Netzdienstanbieters zur Weiterleitung der Gegenanzeige § 43 Abs. 2 S. 1 ECG verpflichtet den E-Commerce-Plattform-Betreiber sodann zur Weiterleitung der Gegenanzeige an den an Rechten des geistigen Eigentums Berechtigten sowie der Unterrichtung darüber, dass er Beschwerde bei der damit befassten, zuständigen Abteilung einreichen oder Klage bei einem Volksgericht erheben kann. Hintergrund der Einführung einer Aufklärung über Verteidigungsmöglichkeiten mag u.a auch sein, dass die insoweit fehlende Regelung des DMCA im US-amerikanischen Schrifttum kritisiert wurde, da die Weiterleitung einer Benachrichtigung an den auf der Plattform tätigen Betreiber ohne eine Information über die Verteidigungsmöglichkeiten abschreckend wirke.411 Mit den zuständigen Abteilungen, bei denen der an Rechten des geistigen Eigentums Berechtigte Beschwerde einreichen kann, sind konkret unter anderem die sog. Meldestelle für Netzverstöße412 oder die Verwaltungsabteilung gemeint, die für die Untersuchung und Behandlung von deliktischen Handlungen gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zuständig ist.413 Ob den E-Commerce-Plattform-Betreiber im Einzelfall eine Pflicht zur Weiterleitung i. S. v. § 43 Abs. 2 ECG an den an Rechten des geistigen Eigentums Berechtigten trifft, hängt dem Ersten Mittleren Volksgericht Shanghai zufolge von der Wirksamkeit der Gegenanzeige i. S. v. § 43 Abs. 1 ECG ab.414 408
Du Ying, Electronics Intellectual Property 2021/4, 4, 9. Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 274. 410 Vgl. Ning Yuan, Journal of Chongqing University 2020/5, 156, 158. 411 Vgl. Holznagel, Notice and Takedown-Verfahren als Teil der Providerhaftung, 2013, S. 71 m. w. N. 412 . 413 Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 145. Konkrete Beispiele hierfür sind die in § 14 Abs. 1 CSG genannten Abteilungen wie jene für Netzwerke und Informationen, Telekommunikation oder öffentliche Sicherheit, denen Verhalten zu melden sind, welche eine Gefahr für die Netzwerksicherheit darstellen, die in § 60 MarkG aufgeführte Verwaltungsabteilung für Industrie und Handel sowie die in § 23 UWG genannten Überwachungsund Prüfabteilungen. 414 Erstes Mittleres Volksgericht Shanghai ( ), Az.: 2020 01 4923 . 409
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Hat der E-Commerce-Plattform-Betreiber innerhalb von fünfzehn Tagen nach Erhalt der weitergeleiteten Erklärung durch den Rechtsinhaber keine Benachrichtigung darüber erhalten, dass der Berechtigte Beschwerde eingelegt oder Klage erhoben hat, hat er die ergriffenen Maßnahmen nach § 43 Abs. 2 S. 2 ECG unverzüglich zu beenden und die gelöschten Informationen sowie außer Kraft gesetzten Verlinkungen sofort wiederherzustellen, um keine Vertragsverletzung gegenüber dem Netznutzer zu begehen.415 In § 3 S. 1 OVG-Replik IP Internet416, der speziell auf Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums im Internet gerichtet ist, wird wie in § 1196 Abs. 2 ZGB anstelle der Frist von fünfzehn Tagen eine „angemessene Frist“ genannt.417 In seiner Kommentierung zum ZGB äußert sich das OVG im Hinblick auf die Angemessenheit der Frist mutmaßlich zugunsten einer flexiblen Handhabung in der Praxis unspezifisch, indem es feststellt, dass die konkrete Länge noch durch die Rechtsprechungspraxis zu eruieren sei.418 Die Abschaffung der fünfzehntägigen Frist ist als Reaktion des Gesetzgebers auf die Kritik einiger Mitglieder des Ständigen Ausschusses des NVK zu sehen, die Frist sei zu kurz und der Verzicht auf die Festlegung einer starren Frist sei zugunsten einer einzelfallgerechten Handhabung vorzugswürdig.419 Die fünfzehntägige Frist wurde auch in der Praxis mit dem Argument kritisiert, sie sei insbesondere für ausländische Rechtsinhaber zu kurz, während sie für auf der Plattform tätige Betreiber zu lang sei und mit dem Verlust zahlreicher Geschäftsgelegenheiten einhergehen könne.420 Hintergrund dürfte ferner Art. 1.13 Nr. 2 lit. c in Abschnitt E des Phase One Trade Agreements zwischen China und den USA421 sein, der vorsieht, dass China die Frist für die Einreichung einer behördlichen Beschwerde oder gerichtlichen Klage durch die 415
Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 276. Zur Replik s. o., Fn. 28. 417 Anders noch die Entwurfsfassung des ZGB vom 23. 12. 2019, in der wie in § 43 Abs. 2 ECG eine fünfzehntägige Frist vorgesehen war, Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/ 6, 137, 145. 418 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 267. Vor Erlass der OVG-Replik IP Internet schlug Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 142 f., vor, dass die Gerichte sich bei der Bestimmung der angemessenen Frist an den in § 43 Abs. 2 ECG vorgesehenen fünfzehn Tagen orientieren. 419 Vgl. Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 142 f. Die flexiblere Frist begrüßen auch Du Ying/Liu Siyu, China Journal of Applied Jurisprudence 2020/6, 17, 29; a. A. Liu Tieguang/Li Zhida, Journal of Changzhou University 2017/4, 14, 20, die die fünfzehntägige Frist zur Reduzierung des mit der Benachrichtigungsregel einhergehenden Missbrauchspotenzials für angemessen halten. 420 Vgl. Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 143, der den gewählten flexibleren Ansatz selbst ebenfalls für besser hält. Dies gelte auch im Lichte des Verständnisses des Notice and Takedown-Verfahrens als bloßer Bezugsgröße, deren Hauptwert in seiner indiziellen Funktion bei der Feststellung des Verschuldens des Netzdienstanbieters liege. S. hierzu ausführlich unten unter a) Folgen des Haftungsbegründungsmodells. Anders insoweit nach wie vor § 17 SRVI-VO, der die unverzügliche Wiederherstellung des gelöschten Werkes nach Erhalt der Gegenanzeige vorsieht. 421 S. o., Fn. 18. 416
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Rechtsinhaber nach Erhalt einer Gegenanzeige auf 20 Werktage erhöht. In § 3 S. 2 OVG-Replik IP Internet422 stellt das OVG klar, was in dem Fall geschieht, dass es zu Verzögerungen der Mitteilung des an Rechten des geistigen Eigentums Berechtigten kommt, auf die dieser keinen Einfluss hat, wie beispielsweise Beglaubigungs- und Zertifizierungsverfahren. Diese sind in der in § 3 S. 1 OVG-Replik IP Internet genannten angemessenen Frist nicht enthalten, die Frist darf aber zwanzig Werktage nicht überschreiten. cc) Haftung für die unvollständige Durchführung des Gegenanzeigeverfahrens Inwieweit ein E-Commerce-Plattform-Betreiber für die unvollständige Durchführung des Gegenanzeigeverfahrens haftet, war Gegenstand der Berufungsentscheidung des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, dem ersten rechtskräftigen Urteil, dem der Sachverhalt zugrunde liegt, dass ein E-Commerce-Plattform-Betreiber es versäumte, das Gegenanzeigeverfahren korrekt durchzuführen.423 (1) § 1194 S. 1 ZGB Da für die unvollständige Durchführung des Gegenanzeigeverfahrens i. S. v. § 1196 ZGB und § 43 ECG gesetzlich nicht explizit Haftungsfolgen vorgesehen sind, analysiert die Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai zunächst die Tauglichkeit des § 1194 S. 1 ZGB als mögliche Haftungsgrundlage, der festlegt, dass ein Netznutzer oder Netzdienstanbieter für die Verletzung von Rechten haftet, wenn er die zivilen Rechte und Interessen anderer durch die Nutzung des Netzes verletzt. Bezüglich der Tatbestandsvoraussetzungen von § 1194 S. 1 ZGB stellt sie heraus, dass einige Literaturstimmen aus dem Fehlen der Worte „Verschulden“ und „Schadensverursachung“ darauf schlössen, § 1194 S. 1 ZGB begründe eine verschuldensunabhängige Haftung.424 Es wird zu Recht gefolgert, dass dieser Schluss grundlegenden zivilrechtlichen Prinzipien zuwiderläuft,425 weshalb davon auszugehen ist, dass § 1194 S. 1 ZGB lediglich deklaratorischer Natur ist und § 1194 S. 1 ZGB als taugliche Anspruchsgrundlage ausscheidet.426 422
Zur Replik s. o., Fn. 28. ), Az.: 2020 01 Erstes Mittleres Volksgericht Shanghai ( 4923 ; Besprechung des Urteils durch die Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 112 ff. 424 Vgl. Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 117. 425 Damit gemeint ist mutmaßlich die lange Tradition des Verschuldensprinzips im chinesischen Zivilrecht. S. hierzu ausführlich unten unter 3. Mögliche Ursachen für das Missverständnis des Safe Harbor-Modells. 426 Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 117. Dass § 1194 S. 1 ZGB mitunter als verschuldensunabhängige Haftungsregelung missverstanden wird, moniert auch Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/ 423
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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(2) Haftung nach § 1165 Abs. 1 ZGB i. V. m. § 1172 ZGB Mangels spezieller gesetzlicher Regelungen erklärt die Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai in Bezug auf die Frage nach der Haftung bei der unvollständigen Durchführung des Gegenanzeigeverfahrens folgerichtig die deliktische Generalklausel des § 1165 Abs. 1 ZGB427 i. V. m. der in § 1172 ZGB angeordneten anteiligen Haftung für anwendbar.428 In diesem Rahmen sind die Verletzungshandlung des Netzdienstanbieters, die Rechtswidrigkeit, der Schaden, das Verschulden und die Kausalzusammenhänge zu prüfen.429 Die Beantwortung der Frage, ob die durch den Netzdienstanbieter ergriffenen bzw. unterlassenen Schritte nach Erhalt der Gegenanzeige eine Rechtsverletzung darstellen, hängt von der Wirksamkeit der Gegenanzeige ab. Die Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai prüft daher zunächst, ob diese in dem zugrunde liegenden Fall den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Sie arbeitet heraus, dass § 1196 ZGB i. V. m. § 7 OVG IP E-Commerce bestimmte Anforderungen an die Gültigkeit der Benachrichtigung stellen, wobei eine Überprüfung sowohl in formeller als auch materieller Hinsicht erfolgen kann.430 Gesetzlich sind nur grundlegende Verfahrensvorschriften vorgesehen, die Plattformbetreiber im
4, 131, 135. Der Grundsatz der Verschuldenshaftung sei in § 1165 S. 1 ZGB aufgenommen worden, der alle Arten von Delikten regele. Ferner sehe § 1197 ZGB ausdrücklich eine verschuldensabhängige Haftung von Netzdienstanbietern vor. Zum Missverständnis der §§ 1194 ff. ausführlich unten unter B. Rechtsfolge der Haftung der Netzdienstanbieter nach dem ZGB und ECG. Zu § 1194 ZGB auch oben, Fn. 166 f. 427 Das Gericht zitiert insoweit in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlichen Gericht den zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch geltenden § 6 Abs. 1 DelHaftG. A. A. Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 140, der davon ausgeht, dass § 1194 S. 1 ZGB auf dem Grundsatz der Verschuldenshaftung beruht und die Haftung des Netzdienstanbieters für eigene Rechtsverletzungen im Gegensatz zur Haftung für fremdes Verschulden regelt. Auch das OVG bezeichnet § 1194 S. 1 ZGB als eine grundsätzliche Regelung unmittelbarer Rechtsverletzungen von Netznutzern und Netzdienstanbietern. Die §§ 1195 ff. regelten demgegenüber die Haftung für mittelbare Rechtsverletzungen, Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 264. 428 Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 117. Vgl. auch Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 145, der die deliktische Haftung mangels spezieller Regelung insoweit auch aufgrund der im Übrigen spiegelbildlichen Ausgestaltung des Benachrichtigungs- und Gegenbenachrichtigungsverfahrens für angeraten hält. Als Generalklausel bezeichnet § 1165 Abs. 1 ZGB auch Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 118. 429 Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 117. 430 Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 117. Für ein materielles Prüfungsrecht der Plattformbetreiber gestützt auf das Argument, sie seien Pflichtsubjekte des Benachrichtigungsrechts, s. auch Yang Lixin, Modern Law Science 2019/3, 77, 83.
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2. Teil: Die Verkehrspflichten i. R. d. Notice and Takedown-Verfahrens
Einzelnen zu ergänzen haben, § 59 ECG, § 4 OVG IP E-Commerce.431 Darin, dass der Plattformbetreiber den Empfänger der Gegenanzeige in dem vorliegenden Fall trotz ihrer Gültigkeit nicht, wie von § 43 Abs. 2 ECG vorgesehen, darüber informierte, bei den zuständigen Behörden Beschwerde zu erheben oder Klage einzureichen, sieht die Forschungsgruppe eine schuldhafte Rechtsverletzung.432 Vorzugswürdiger Auffassung nach liegt die Rechtsverletzung in einem solchen Fall nicht in der fehlenden Weiterleitung selbst, sondern in der unterbliebenen Beendigung der ergriffenen Maßnahmen.433 Da § 1196 ZGB selbst keinen Haftungstatbestand vorsieht, ist auch dieser Auffassung nach auf den Grundsatz der verschuldensabhängigen Haftung i. S. v. § 1165 Abs. 1 ZGB zu rekurrieren.434 Die Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai sieht eine schuldhafte Rechtsverletzung in dem vorliegenden Fall ferner darin, dass der Plattformbetreiber bei der Behandlung der Gegenanzeige die Grundsätze der Verfahrensgerechtigkeit und Neutralität missachtete.435 In der Tat ist dessen Verhalten widersprüchlich, den Absender der Gegenanzeige einerseits dazu aufzufordern, Beweise einzureichen, andererseits schon am nächsten Tag Sanktionen gegen diesen zu erheben, ohne ausreichend Zeit zur Einreichung der Beweise einzuräumen. Die Einschätzung, dies stelle einen schuldhaften Verstoß gegen Verfahrensrecht dar,436 ist insofern nachvollziehbar. Als schuldhafte Rechtsverletzung der beklagten E-Commerce-Plattform-Betreiberin qualifiziert die Forschungsgruppe neben der unterbliebenen Prüfung der Benachrichtigung ferner, dass bei der Bewertung der Benachrichtigung und der Gegenanzeige nicht derselbe Prüfungsmaßstab angelegt wurde.437 Hierin sieht die Forschungsgruppe zu Recht eine weitere schuldhafte Rechtsverletzung. Zwar ist gesetzlich nicht explizit vorgesehen, dass bei der Bewertung der Benachrichtigung und der Gegenanzeige derselbe Prüfungsmaßstab anzulegen ist; dies lässt sich jedoch mit dem Grundsatz der Waffengleichheit begründen, der auch im Prozessrecht argumentativ herangezogen wird. Die Forschungsgruppe stützt sich insoweit darauf, dass der Plattformbetreiber durch die unterschiedlichen Maßstäbe schuldhaft un-
431 Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 117. 432 So die Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 118. 433 Vgl. Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 147. 434 Vgl. Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 147. 435 Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 119. 436 Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 121. 437 Vgl. Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 121. S. hierzu auch oben unter a) Wesentlicher Inhalt der §§ 1195 f. ZGB und §§ 42 f. ECG.
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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angemessene Bedingungen i. S. v. § 4 S. 2 OVG IP E-Commerce für den Absender der Gegenanzeige schuf.438
B. Rechtsfolge der Haftung der Netzdienstanbieter nach dem ZGB und ECG § 1195 Abs. 2 Hs. 2 ZGB und § 42 Abs. 2 Hs. 2 ECG ordnen die gesamtschuldnerische Haftung des Netzdienstanbieters mit dem unmittelbaren Schädiger für den vergrößerten Teil des Schadens an, wenn dieser nicht unverzüglich die notwendigen Abhilfemaßnahmen ergreift.439 Das OVG stellt in seiner Kommentierung zum ZGB klar, dass mit dem vergrößerten Teil des Schadens jeder Schaden gemeint ist, der entstanden ist, nachdem der Netzdienstanbieter benachrichtigt wurde.440 Wenn der Netzdienstanbieter zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung durch den Netznutzer oder vorher von der Rechtsverletzung weiß oder wissen muss, findet indes § 1197 ZGB Anwendung und der Netzdienstanbieter haftet gesamtschuldnerisch mit dem Netznutzer für alle Schäden, die dem Geschädigten durch die Rechtsverletzung entstanden sind.441 Diese alleinige Haftung des Netzdienstanbieters für jenen vergrößerten Teil des Schadens, der vor der Ausübung des Benachrichtigungsrechts entstanden ist, zum einen, und dessen gesamtschuldnerische Haftung für den Schaden, der eingetreten ist, nachdem er versäumt hat, unverzüglich die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, zum anderen, wird in der Literatur als sog. teilweise gesamtschuldnerische Haftung442 bezeichnet.443 Wenn die tatsächlich getragene Haftung des Netzdienstanbieters den Anteil der eigenen Haftung übersteigt, kann der Netzdienstanbieter nach § 178 Abs. 2 S. 2 ZGB von dem unmittelbaren Schädiger Ausgleich verlangen. In § 84 ECG ist darüber hinaus eine ordnungsrechtliche Haftung des E-Commerce-Plattform-Betreibers bei Verstößen gegen § 42 Abs. 2 ECG vorgesehen.444
438 Vgl. Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 121. 439 Zur Rechtsfolge der gesamtschuldnerischen Haftung im Einzelnen unten, 6. Kap., D. II. 1. a) Die entsprechende Haftung als gesamtschuldnerische Haftung. 440 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 271. 441 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 271. 442 . 443 Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 147. 444 Jirimutu, Tribune of Social Sciences 2021/4, 130, 136 f., der diese ordnungsrechtliche Ergänzung der Haftung für eine unangemessene Ausweitung von Verwaltungsbefugnissen auf einen Bereich hält, der genuin primär privatrechtliche Interessen tangiere und damit allein dem Schutz der Privatautonomie unterliege. S. zu der Rolle des Netzdienstanbieters als Subjekt staatlicher Kontrolle auch oben, 1. Kap., A. Die rechtliche Verantwortung von Netzdienstanbietern im Gefüge staatlichen Handelns.
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2. Teil: Die Verkehrspflichten i. R. d. Notice and Takedown-Verfahrens
I. Dogmatisches Verständnis der Haftungsregeln Nach Erlass des ZGB besteht die Kontroverse fort, ob das Notice and TakedownVerfahren des ECG und ZGB als Safe Harbor-Regeln445 oder Haftungsbegründungsregeln446 zu verstehen sind.447 Das Safe Harbor-Modell zieht eine zwingende Haftungsbefreiung des Netzdienstanbieters nach sich, wenn er nach Erhalt einer wirksamen Benachrichtigung unverzüglich die notwendigen Abhilfemaßnahmen ergreift und die übrigen Voraussetzungen für den Eintritt in den safe harbor, allen voran die fehlende Kenntnis und das fehlende Kennenmüssen der begangenen Rechtsverletzung, erfüllt.448 Geht man davon aus, dass es sich um Haftungsbegründungsregeln handelt, folgt aus der Erfüllung der Voraussetzungen keine zwingende Haftungsbefreiung, sondern es wird umgekehrt eine Haftung an die schuldhafte Nichterfüllung der Voraussetzungen geknüpft. Im Ergebnis unterscheiden sich diese beiden Modelle vor allem dadurch, dass mit dem Safe Harbor-Modell die Auslegung der Wissensregeln der §§ 1197 ZGB und 45 ECG als Red Flag-Test einhergeht, demzufolge sich das Kennen oder Kennenmüssen der Rechtsverletzungen als negative Voraussetzung für den Eintritt des Netzdienstanbieters in den safe harbor auf offensichtliche Rechtsverletzungen beschränkt.449 Versteht man die §§ 1195 Abs. 2 ZGB und 42 Abs. 2 ECG demgegenüber als Haftungsbegründungsregeln, unterbleibt die Übernahme dieser Begrenzung der Wissensregeln auf offensichtliche Rechtsverletzungen.450 Die Analyse des dogmatischen Verständnisses der geltenden Regelungen ist zudem mit Blick auf das Missverständnis von Bedeutung, das mit dem Safe Harbor-Modell assoziiert wird.451 1. Verständnis des OVG Die Kommentierung des OVG und die justiziellen Auslegungen bieten Aufschluss über das dogmatische Verständnis des höchsten Gerichts der VR China von § 1195 ZGB und insofern auch der Parallelvorschrift des § 42 ECG.
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Synonym hierzu wird der Begriff der Haftungsausschlussregel verwendet. S. o., Fn. 330. 447 Ning Yuan, Journal of Chongqing University 2020/5, 156, 157. 448 Zur Kenntnis und dem Kennenmüssen ausführlich im 5. Kapitel: Die Wissensregeln des DelHaftG, ZGB, ECG und der SRVI-VO. 449 Zu der Frage, inwieweit die Regelungen des § 1197 ZGB und § 45 ECG de lege lata als Ausdruck des Red Flag-Tests verstanden werden können, ausführlich unten, 5. Kap., E. § 1197 ZGB und § 45 ECG als Ausdruck des US-amerikanischen Red Flag-Tests. 450 S. im Einzelnen unten unter 4. Haftungsbegründungsmodell. 451 Hierzu ausführlich unten unter 2. Missverständnis des Safe Harbor-Modells. 446
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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a) Verständnis von § 1195 Abs. 2 ZGB Das OVG sieht die Hintergründe für die Haftung des Netzdienstanbieters im Falle des Nichtergreifens der notwendigen Maßnahmen nach Erhalt einer wirksamen Benachrichtigung darin, dass er in diesem Fall Kenntnis von der Rechtsverletzung habe und die Ausweitung des Schadens so mit Eventualvorsatz dulde. Hierin liege eine gemeinschaftlich begangene Rechtsverletzung, für die der Netzdienstanbieter gesamtschuldnerisch mit dem unmittelbaren Schädiger zu haften habe.452 In der Kommentierung des OVG heißt es zugleich, § 1195 ZGB gewähre Netzdienstanbietern einen safe harbor und richte eine Haftungsbegrenzung ein,453 was deutlich für ein Verständnis der Benachrichtigungsregel als Haftungsausschlussregel spricht. Dieses Verständnis sei nach wie vor notwendig, um das reibungslose Funktionieren von Internetplattformen sicherzustellen, Schwierigkeiten bei der Streitbeilegung zu vermeiden und das Haftungsrisiko für die Netzdienstanbieter in einem überschaubaren Rahmen zu halten.454 Primär sei die Aufgabe des Netzdienstanbieters lediglich die Zurverfügungstellung eines Kanals zum Informationsaustausch und nicht die aktive Organisation der Plattform in Gestalt einer Prüfung und Filterung von Inhalten.455 Da die Übernahme der Benachrichtigungsregel in das chinesische Recht ursprünglich auf der Grundlage des US-amerikanischen Rechts erfolgte, das dem Safe Harbor-Modell folgt,456 ist deren Lesart als Haftungsausschlussregel aus rechtshistorischer Sicht durchaus einleuchtend.457 Gleichzeitig ist eine Tendenz der
452 Vgl. die Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 270 f. Die Rechtsfolge der gesamtschuldnerischen Haftung für die Mitwirkung an der Rechtsverletzung eines anderen wird gesetzlich in § 1169 ZGB angeordnet. 453 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 266. Sich dem anschließend Zhang Defen, Intellectual Property 2019/3, 41, 42; Xiong Wencong, Journal of Comparative Law 2014/4, 122, 122 ff.; in Bezug auf § 36 Abs. 2 DelHaftG s. o., Fn. 332. 454 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 271. 455 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 271; so auch Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 58, der eine aktive Prüf- und Überwachungspflicht vor diesem Hintergrund ablehnt, was de lege lata jedenfalls mit Blick auf den E-Commerce-Plattform-Betreiber vor dem Hintergrund der in § 38 ECG explizit geregelten Pflichten jedoch fragwürdig erscheint. S. im Einzelnen zu § 38 Abs. 1 ECG unten, 6. Kap., C. Die Pflicht nach § 38 Abs. 1 ECG; zu § 38 Abs. 2 ECG s. 6. Kapitel: Die Pflichten von E-Commerce-Plattform-Betreibern gemäß § 38 Abs. 2 ECG. Jedoch wird vertreten, dass dies nicht für die Pflicht zur Weiterleitung der Benachrichtigung gelte, deren Nichterfüllung in jedem Fall zur Haftung führe, Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 141, 145. S. zur Haftung für die unterbliebene Weiterleitung ausführlich oben unter b) Das Recht zur Gegenanzeige. 456 S. hierzu oben unter I. Das Notice and Takedown-Verfahren im US-amerikanischen Recht. 457 So folgen nach weit überwiegender Auffassung auch die Regelungen der SRVI-VO dem Safe Harbor-Modell, hierzu s. o. unter c) Rechtsdogmatisches Verständnis der §§ 22 f. SRVIVO.
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Aufweichung des durch den Red Flag-Test geschaffenen Offensichtlichkeitserfordernisses durch die neueren justiziellen Auslegungen des OVG zu beobachten.458 b) Verhältnis zwischen § 1195 Abs. 2 ZGB und § 1197 ZGB In Bezug auf das Verhältnis zwischen § 1195 Abs. 2 ZGB und § 1197 ZGB459 stellt das OVG klar, dass § 1195 Abs. 2 ZGB die besondere Situation regele, dass ein Rechtsinhaber einem Netzdienstanbieter eine Benachrichtigung über die Verletzung seiner Rechte gesendet hat, während sich § 1197 ZGB auf alle anderen Situationen beziehe, in denen dem Netzdienstanbieter keine Benachrichtigung vorliegt.460 Beide Vorschriften regelten Rechtsfolgen, die greifen, wenn ein Netzdienstanbieter von Rechtsverletzungen weiß. § 1195 ZGB regele den Fall, dass der Netzdienstanbieter nach der Benachrichtigung durch einen Netznutzer über eine Rechtsverletzung nicht unverzüglich die notwendigen Maßnahmen ergreife. In diesem Fall hafte er für den vergrößerten Teil des Schadens. § 1197 ZGB regele demgegenüber die Haftung für ein Wissen oder Wissenmüssen von Tatsachen über eine Rechtsverletzung und das Nichtergreifen der notwendigen Maßnahmen. Zwischen der Benachrichtigungsregel des § 1195 Abs. 2 ZGB und der „Wissensregel“ des § 1197 ZGB bestehe ein Exklusivitätsverhältnis. Wenn der Geschädigte nachweisen kann, dass der Netzdienstanbieter von der Rechtsverletzung Kenntnis hat, könne er auf das Absenden der Benachrichtigung verzichten und direkt gestützt auf § 1197 ZGB Schadensersatz von dem Netzdienstanbieter verlangen. Wenn er sich demgegenüber nicht in der Lage dazu sehe, das Verschulden des Netzdienstanbieters nachzuweisen, könne er gestützt auf § 1195 Abs. 2 ZGB eine Benachrichtigung absenden.461 In diesem Fall müsse der Netzdienstanbieter nur nachweisen, unverzüglich die notwendigen Maßnahmen ergriffen zu haben.462 2. Missverständnis des Safe Harbor-Modells Die im Rahmen des Notice and Takedown-Verfahrens zu ergreifenden Maßnahmen wurden in der chinesischen Literatur und Rechtsprechung teils als verschuldensunabhängige Pflichten missverstanden, deren Nichterfüllung ausreiche, um die Netzdienstanbieter haftbar zu machen.463 Solch ein Verständnis berück458 Hierzu ausführlich s. u., 5. Kap., E. § 1197 ZGB und § 45 ECG als Ausdruck des USamerikanischen Red Flag-Tests. 459 Diese Ausführungen lassen sich auf die Parallelregelungen der §§ 42 Abs. 2 und 45 ECG übertragen. 460 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 283. 461 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 283. 462 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 273. 463 In diese Richtung Zhang Defen, Intellectual Property 2019/3, 41, 42; Liu Xiaochun, Journal of Graduate School of Chinese Academy of Social Sciences 2019/2, 124, 126, die die im Rahmen des Notice and Takedown-Verfahrens des ECG und ZGB eingereichten Benach-
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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sichtigt weder das Erfordernis einer nachweislich begangenen, objektiven Rechtsverletzung durch den Netznutzer noch die für eine Haftung zwingende Voraussetzung des Verschuldens des Netzdienstanbieters.464 So ist es die eigentliche Funktion der Benachrichtigung, im Falle eines rechtswidrigen Unterlassens des Netzdienstanbieters auf dessen Verschulden hinzuweisen; sie kann allein hingegen weder ein Verschulden noch eine Handlungspflicht begründen.465 Die Folge dieses in der Literatur und Rechtsprechung bestehenden schwerwiegenden Missverständnisses ist es, dass die Benachrichtigungen von Rechtsinhabern zu verkappten Unterlassungsanordnungen werden, die ohne jegliche Form der Überprüfung funktionieren.466 Für die Annahme, dass ein Netzdienstanbieter, auch wenn sich eine eingereichte Benachrichtigung im Nachhinehin als unbegründet erweist und damit unabhängig davon, ob er konkret schuldhaft handelt, im Fall der Nichtergreifung von Maßnahmen gesamtschuldnerisch mit dem Schädiger für den ausgeweiteten Teil des Schadens haftet, gibt es auch im US-amerikanischen Recht keine Grundlage.467 Auch im US-amerikanischen Recht bedeutet der safe harbor lediglich, dass ein Netzdienstanbieter keinen Haftungsausschluss genießt, wenn er auf eine Benachrichtigung hin nicht reagiert, dies zieht jedoch keine zwingende Haftung nach sich.468 Die Frage nach der Haftung hängt in diesem Fall nach wie vor davon ab, ob es sich um eine mittelbare Rechtsverletzung im Sinne des US-amerikanischen Rechts hanrichtigungen als unwiderlegliche Vermutung begangener Rechtsverletzungen verstehen. Erhalte ein Netzdienstanbieter die wirksame Benachrichtigung eines Rechtsinhabers, müsse er nicht überprüfen, ob tatsächlich eine Rechtsverletzung gegeben ist und unabhängig hiervon die notwendigen Maßnahmen wie die Entfernung ergreifen, um einer Haftung zu entgehen. Dieses Missverständnis beobachten auch die Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 119; Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 136 f. und Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 5, die hervorheben, dass dieses Verständnis eine verschuldensunabhängige Haftung des Plattformbetreibers zur Folge habe, diesen zu einem Sündenbock für das Problem mache und zu einer ungerechtfertigten Besserstellung der Schädiger führe. Mit Blick auf die ältere Rechtsprechung Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern, 2018, S. 145, die beispielhaft die Ur), Az.: 2007 90 und des teile des Oberen Volksgerichts Beijing ( Volksgerichts Beijing Haidian ( ), Az.: 2008 9200 , anführt. 464 So auch Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 137 m. w. N., der postuliert, dieses Missverständnis sei teils sogar in böser Absicht genutzt worden, um für eine unbedingte Pflicht zu entsprechenden Maßnahmen zu plädieren; Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern, 2018, S. 145, die festhält, so werde die zentrale Funktion des Notice and Takedown-Verfahrens verkannt, die sich in der Zurverfügungstellung eines komfortablen Mechanismus zur Streitbeilegung erschöpfe. 465 Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern, 2018, S. 145. 466 So auch Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 137. 467 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 139; s. zu dieser Frage im USamerikanischen Recht ausführlich oben unter 2. Haftung für die Nichtergreifung der notwendigen Maßnahmen. 468 Elkin-Koren/Nahmias/Perel, SLPR 2020/1, 1, 3. Zu den safe harbors im US-amerikanischen Recht ausführlich oben unter I. Das Notice and Takedown-Verfahren im US-amerikanischen Recht.
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delt.469 Die Differenzierung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Rechtsverletzungen ist auch dem chinesischen Recht bekannt, das speziell an mittelbare Rechtsverletzungen bislang indes noch keine Haftungsfolgen knüpft, sondern sich hierzu des Modells der gemeinschaftlichen Rechtsverletzung bedient.470 3. Mögliche Ursachen für das Missverständnis des Safe Harbor-Modells Xue Jun führt das Missverständnis des Safe Harbor-Modells auf die fehlende dogmatische Einbettung der Regel in das chinesische Deliktsrecht zurück471 und spricht sich daher trotz der Eigenheiten im Internet begangener Rechtsverletzungen für eine stärkere Ausrichtung der Safe Harbor-Regel am Grundsatz der Verschuldenshaftung aus, mit dem durch seine Flexibilität eine vernünftige Risikoverteilung erreicht werde.472 Er untermauert sein Plädoyer für ein von dem US-amerikanischen abweichendes Verständnis der Benachrichtigungsregel des § 1195 Abs. 2 ZGB mit dem institutionellen Rahmen des chinesischen Deliktsrechts, das seit dem römischen Recht dem zivilrechtlichen Ansatz473 des Deliktsrechts – insbesondere der lex Aquilia – mit der Schuldzuweisung als vorherrschendem Prinzip gefolgt sei. Die Verschuldensvermutung sowie verschuldensunabhängige Haftung bildeten lediglich eine Ergänzung hierzu.474 Das chinesische Deliktsrecht habe sich von § 106 Abs. 2 AGZR über § 6 Abs. 1 DelHaftG bis hin zu § 1165 Abs. 1 ZGB konsequent an 469 So auch Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 139. Mindestens missverständlich sind insoweit auch die Ausführungen in der Erläuterung des ECG, nach Erhalt einer Benachrichtigung i. S. v. § 42 ECG über ein automatisiertes Informationssystem erfolge nur eine formelle Überprüfung durch das System und die Netzdienstanbieter seien nicht dazu verpflichtet, den Inhalt der Benachrichtigung inhaltlich zu bewerten, sondern die notwendigen Maßnahmen seien unabhängig davon unverzüglich zu ergreifen, Lü Zushan/Peng Sen/Yin Zhongqing (Hrsg.), Erläuterung des ECG, 2018, S. 129 f. 470 Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern, 2018, S. 102 f. m. w. N. Hierzu auch oben, 1. Kap., B. Ausgestaltung der zivilrechtlichen Verantwortung von Netzdienstanbietern. 471 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 134, bei dem von einem „Safe „ “) die Rede ist. Harbor-Dilemma mit chinesischen Merkmalen“ ( 472 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 135. Auch Cui Guobin, Chinese Journal of Law 2013/4, 138, 139, stellt fest, die Anwendung der Safe Harbor-Regel nach USamerikanischem Vorbild habe in der chinesischen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur mehr Verwirrung gestiftet als Nutzen gebracht. Ein Festhalten an der Safe Harbor-Regel sei daher der falsche Weg. Für eine stärkere Ausrichtung am US-amerikanischen Recht bei der Präzisierung der Haftungsvoraussetzungen für mittelbare Rechtsverletzungen im Ergebnis demgegenüber Xu Shi, Northern Legal Science 2018/5, 71, 79; vgl. älteren Datums insoweit auch Xiong Wencong, Journal of Comparative Law 2014/4, 122, 133. 473 Gemeint ist das Deliktsrecht der Systeme, die dem Civil Law in Abgrenzung zum Common Law folgen. 474 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 132, s. zu den verschiedenen Zurechnungsgrundsätzen auch Bu, Einführung in das Recht Chinas, 2017, § 13 Rn. 4 ff. und Ma Gengxin, Oriental Law 2021/2, 86, 89.
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diesem analytischen Rahmen orientiert.475 Eine Ausnahme hiervon habe man lediglich im Bereich im Internet begangener Rechtsverletzungen gemacht und das Safe Harbor-Modell des US-amerikanischen Rechts von Anfang an zum grundlegenden Paradigma für die Analyse im Internet begangener Rechtsverletzungen erklärt, weshalb die Entwicklung der chinesischen Gesetzgebung sowie der justiziellen Auslegungen in diesem Bereich maßgeblich durch diesen Grundsatz beeinflusst worden sei.476 Mit der Übernahme dieser Regel gehe ein analytischer Rahmen einher, der stark vom US-amerikanischen Deliktsrecht geprägt sei.477 Ausfluss dessen seien unter anderem die Differenzierung zwischen Webtechnologiedienstanbietern und Webinhaltsdienstanbietern,478 unmittelbaren und mittelbaren Rechtsverletzungen bei der Haftungsbestimmung479 sowie dem sog. Red Flag-Test.480 Im chinesischen Deliktsrecht werde bei der Beteiligung mehrerer Rechtssubjekte indes grundsätzlich das Modell der gemeinschaftlichen Rechtsverletzung zugrunde gelegt, das konkret die Anstiftung und Beihilfe als Formen des deliktischen Zusammenwirkens umfasst.481 Zwar seien in Bezug auf die Haftung von Netzdienstanbietern besondere Haftungstatbestände im ZGB geschaffen worden, die Literatur und Rechtsprechung seien jedoch daran gewöhnt, den Grund für eine gesamtschuldnerische Haftung des Netzdienstanbieters darin zu sehen, dass dieser eine Pflichtverletzung begeht, indem 475 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 132; so auch Huang Wei (Hrsg.), Erläuterung der deliktischen Haftung im Entwurf des ZGB der VR China, 2020, S. 6; vgl. auch Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 114. 476 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 132 m. w. N.; zum US-amerikanischen Recht ausführlicher oben unter I. Das Notice and Takedown-Verfahren im US-amerikanischen Recht. 477 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 132 f. 478 Zu dieser Differenzierung ausführlich oben, 3. Kap., B. II. 1. Begriffsbestimmung des Netzdienstanbieters durch das OVG. 479 Gemeint sind die sog. secondary liability oder third-party liability für mittelbare Rechtsverletzungen, Holznagel, Notice and Takedown-Verfahren als Teil der Providerhaftung, 2013, S. 5. Hintergründe hierzu zeigt Samuelson, MTLR 2021/2, 299, 304 ff., auf. 480 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 133. Auch Wang Shengming, Erläuterung des Gesetzes über die deliktische Haftung der VR China, 2013, S. 200 f., bezeichnet die Auswirkungen dieses analytischen Rahmens auf die chinesiche Legislative und Judikative als überwältigend. S. zum Red Flag-Test im US-amerikanischen Recht oben unter 1. Verfahrensvoraussetzungen und Rechte bei falschen Benachrichtigungen. 481 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 135; krit. in Bezug auf die gesamtschuldnerische Haftung von Plattformbetreibern und Nutzern Feng Chuqi, Journal of Law Application 2020/14, 71, 72 m. w. N. Von einem Fall deliktischer Beihilfe sprechen auch das OVG, Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 282, Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 121, Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern, 2018, S. 102 f. Feng Shujie, China Legal Science 2016/4, 179, 179 ff., begründet die Haftung dogmatisch demgegenüber mit der fahrlässigen mittelbaren Rechtsverletzung des Plattformbetreibers. Zhu Dong, Peking University Law Journal 2019/5, 1340, 1341 ff., sieht die einzig schlüssige dogmatische Begründung der Haftung des Plattformbetreibers in dessen eigener Rechtsverletzung durch Unterlassen.
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er von einer Rechtsverletzung weiß oder hätte wissen müssen und keine notwendigen Abhilfemaßnahmen schafft. Dies werde als Beihilfehandlung zu der unmittelbaren Rechtsverletzung gesehen.482 Der Begriff der „Beihilfe“ bedeutet, dass eine andere Person als der unmittelbare Schädiger die Voraussetzungen für die Begehung einer rechtsverletzenden Handlung schafft, sodass die rechtsverletzende Handlung stattfinden oder eine bereits begonnene Handlung fortgesetzt werden kann.483 Konkret bezüglich der Netzdienstanbieter wird eine gemeinschaftliche Rechtsverletzung darin gesehen, dass bei dieser Form der Rechtsverletzung der Netznutzer der aktive Täter ist, während die Rechtsverletzung des Netzdienstanbieters darin besteht, dass er es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, die Hauptrechtsverletzung zu verhindern und sich dagegen zu schützen.484 Xue Jun bezeichnet dies als eine Form der mittelbaren Rechtsverletzung, bei der sowohl der unmittelbare als auch der mittelbare Schädiger ein subjektives Verschulden an der Verletzung der Rechte und Interessen anderer tragen, weshalb dies als eine gemeinsame Rechtsverletzung im weiteren Sinne gesehen werde.485 4. Haftungsbegründungsmodell Xue Jun plädiert anlässlich der aufgezeigten Missverständnisse und der im ZGB erfolgten teilweisen Neuregelung der Haftung von Netzdienstanbietern für eine Wiederausrichtung des Notice and Takedown-Verfahrens an dem Haftungsbegründungsmodell sowie eine Abkehr von dem Offenkundigkeitsmaßstab des US-amerikanischen Red Flag-Tests und damit eine Orientierung an bestehenden deliktsrechtlichen Grundsätzen.486 a) Folgen des Haftungsbegründungsmodells Erkennt man in den Benachrichtigungsregeln des ZGB und ECG ein solches Haftungsbegründungsmodell, wie nach überwiegender Auffassung in § 36 Abs. 2 DelHaftG,487 folgt aus der Ergreifung der notwendigen Maßnahmen kein zwingender Haftungsausschluss wie nach dem Safe Harbor-Modell. Vielmehr gilt die Frage, ob der Netzdienstanbieter die notwendigen Maßnahmen ergriffen hat, als ein Anhaltspunkt im Rahmen der Verschuldensbestimmung.488 Bei Zugrundelegung des 482
So Feng Chuqi, Journal of Law Application 2020/14, 71, 73 f. Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 136. 484 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 136. 485 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 138. 486 Vgl. Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 132 ff. 487 Hierzu ausführlich oben unter b) Rechtsdogmatisches Verständnis von § 36 Abs. 2 DelHaftG. 488 Vgl. Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 140. 483
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von Xue Jun vorgeschlagenen Haftungsbegründungsmodells verlagert sich die Kernbestimmung der Haftungsfrage auf § 1197 ZGB, der dann nicht als Red FlagTest für offensichtliche Rechtsverletzungen, sondern als Haftungsregel für jede Art schuldhaft begangener Rechtsverletzungen im Internet zu verstehen ist.489 Das Unterlassen von Maßnahmen im Rahmen der Benachrichtigung i. S. v. § 1195 Abs. 2 ZGB ist in diesem Rahmen lediglich eine Bezugsgröße für die Feststellung des Verschuldens des Netzdienstanbieters.490 Aus funktionaler Sicht wird die Benachrichtigung als Vorabinformation für den Netzdienstanbieter bezeichnet, um sich ein Urteil zu bilden, auf dessen Grundlage er entscheidet, ob Maßnahmen zu ergreifen sind.491 Bei Zugrundelegung dieses Verständnisses werde klargestellt, dass Netzdienstanbieter und Netznutzer nur dann gesamtschuldnerisch haften, wenn zwischen ihnen eine Form absichtlichen Kontakts oder ein besonderes Rechtsverhältnis bestehe, da es sich bei ihnen um zwei unabhängige Rechtssubjekte handele.492 Aus systematischer Sicht wird § 1197 ZGB als Bestätigung der Anwendbarkeit des § 1169 ZGB im Bereich der im Internet begangenen Rechtsverletzungen bezeichnet.493 Ausgehend von dieser systematischen Grundlage sei Tatbestandsvoraussetzung auch für die in § 1195 Abs. 2 ZGB vorgesehene gesamtschuldnerische Haftung, dass die Handlungen des in Rede stehenden Netzdienstanbieters eine schuldhafte Rechtsverletzung darstellen. Ein solches Verschulden sei in jedem Fall gesondert 489 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 136. Zu der Frage, inwieweit die Neuregelungen der §§ 1197 ZGB und 45 ECG de lege lata als Ausdruck des Red Flag-Tests zu verstehen sind, s. u., 5. Kap., E. § 1197 ZGB und § 45 ECG als Ausdruck des US-amerikanischen Red Flag-Tests. Ähnlich die Forschungsgruppe des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Journal of Law Application 2021/7, 112, 119, die betont, dass es auch zu einer Haftung unabhängig von der Benachrichtigungsregel kommen könne, wenn der Netzdienstanbieter tatsächliche Kenntnis von einer Rechtsverletzung hat oder haben müsste. 490 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 138. 491 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 140. A. A. Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 58, der davon ausgeht, dass der Netzdienstanbieter lediglich eine Verfahrensrolle übernehme und ihm angesichts der großen Menge der auf Plattformen im Umlauf befindlichen Informationen nicht die inhaltliche Beurteilung des Falles obliegen könne. Dies gelte trotz des Erfordernisses des Beifügens von Anfangsbeweisen, die dem Netzdienstanbieter kein fundiertes Urteil erlaubten. 492 Vgl. Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 136. Inzwischen ist allerdings anerkannt, dass insoweit ein fahrlässiges Zusammenwirken ausreicht, so Bu, in: Bu (Hrsg.), Der Besondere Teil der chinesischen Zivilrechtskodifikation, 2019, S. 223, die klarstellt, der Meinungsstreit, ob sowohl Vorsatz als auch Fahrlässigkeit die gesamtschuldnerische Haftung begründen können, sei mit der Einführung des Wissenmüssens in das ZGB beendet worden. Grundsätzlich wurde im Hinblick auf die Verschuldensform bei der Beihilfe und Anstiftung i. S. v. § 9 Abs. 1 DelHaftG indes überwiegend direkter oder indirekter Vorsatz vorausgesetzt, vgl. Binding, Das Gesetz der VR China über die deliktische Haftung, 2012, S. 59. 493 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 136, 138. § 1169 Abs. 1 ZGB ordnet die Rechtsfolge der gesamtschuldnerischen Haftung desjenigen mit dem unmittelbaren Schädiger an, der diesen dazu anstiftet oder Beihilfe zur Rechtsverletzung leistet. Auch Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 110, bezeichnet § 1197 ZGB als spezielle Ausprägung von § 1169 Abs. 1 ZGB.
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festzustellen und könne nicht automatisch mit dem Unterlassen von Maßnahmen gleichgesetzt werden.494 Dasselbe gelte für die Gegenanzeige in Bezug auf die Beendigung der Maßnahmen. Wenn der Netzdienstanbieter der Ansicht sei, dass die Gegenanzeige über ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit verfügt, sei es durchaus möglich, dass auf dieser Grundlage auf jegliche Maßnahmen verzichtet werde und er nicht wegen Beihilfe zur Rechtsverletzung hafte. Wenn demgegenüber eine Benachrichtigung i. S. v. § 1195 ZGB schlüssig und begründet sei und der Netznutzer, gegen den diese gerichtet ist, eine unglaubwürdige Gegenanzeige absende, der Rechtsinhaber, an den die Gegenanzeige weitergeleitet wird, indes aus verschiedenen Gründen nicht dazu in der Lage sei, innerhalb der in § 1196 Abs. 2 ZGB vorgesehenen angemessenen Frist ein Verfahren einzuleiten, und der Netzdienstanbieter die ergriffenen Maßnahmen beende, bedeute dies nicht zwangsläufig, dass den Netzdienstanbieter kein Verschulden treffe und er nicht hafte. Werde der Absender der Gegenanzeige in einem späteren Verfahren für die Rechtsverletzung verantwortlich gemacht, könne der Netzdienstanbieter dennoch für die fahrlässige Einstellung der ergriffenen Maßnahmen und somit für die Beteiligung an der Rechtsverletzung haftbar gemacht werden.495 b) Kritik an dem Haftungsbegründungsmodell Der Kritik an einer Auslegung der Benachrichtigungsregel als bloßer Bezugsgröße dahingehend, es sei die Formulierung „muss“ gewählt worden,496 erwehrt sich Xue Jun, indem er darauf verweist, dass dies in einem Rechtstext nicht zwangsläufig bedeutet, dass es sich um eine rechtliche Verpflichtung handelt, die selbstständig eingefordert werden kann und die eigene Rechtsfolgen nach sich zieht.497 So stelle auch die Schadensminderungspflicht im Vertragsrecht trotz der Verwendung des Wortes „muss“ keine gesetzliche Pflicht dar, die eigenständig geltend gemacht werden kann, und deren Nichteinhaltung habe lediglich zur Folge, dass kein Schadensersatz für den vergrößerten Teil des Schadens gefordert werden könne. Bei der Auslegung des § 1195 Abs. 2 ZGB sei dieser teleologische Zusammenhang zu berücksichtigen, anstatt strikt am Wortlaut orientiert von einer zwingenden Ver494 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 136, 138. Für ein gewandeltes Verständnis der Neuregelungen als Haftungsbegründungs- im Gegensatz zu Haftungsausschlussregeln auch Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 26 und Li Xiaoqiu/ Li Xueqian, Journal of University of Science and Technology Beijing 2020/6, 81, 84. Auch Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 5, zufolge ist durch das System der Verschuldenshaftung eine bessere Abstimmung der Sorgfaltspflicht auf die Kapazitäten der E-Commerce-Plattform-Betreiber möglich; der status quo berge die Gefahr, dass der durch das ECG intendierte Schutz insbesondere von Patentrechten in der Praxis nicht gewährleistet werden könne und die Regelung eine leere Hülse darstelle. 495 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 140. 496 S. hierzu mit Blick auf die in der SRVI-VO getroffene Regelung oben unter c) Rechtsdogmatisches Verständnis der §§ 22 f. SRVI-VO. 497 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 138.
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pflichtung auszugehen.498 Es handele sich bei § 1195 Abs. 2 ZGB lediglich um eine Obliegenheit.499 c) Verschuldensbestimmung im Rahmen des Haftungsbegründungsmodells Als nächsten Schritt nach der Akzeptanz dieses analytischen Rahmens fordert Xue Jun die Entwicklung eines ausgefeilten Systems von Kriterien zur Bestimmung des Verschuldens in Bezug auf verschiedene spezielle Formen im Internet begangener Rechtsverletzungen.500 Die Verschuldensbestimmung sei nicht schwieriger als in anderen Bereichen des Schadensersatzrechts. So sei es beispielsweise nicht einfacher, ein Verschulden im Bereich der Arzthaftung festzustellen. Die Annahme, dass Netzdienstanbieter nicht in der Lage seien, Entscheidungen zu fällen und daher auf formalisierte Regeln wie das Notice and Takedown-Verfahren zurückgreifen müssten, sei praxisfern. Selbst in den USA gehe es zunehmend darum, die Pflichten von Netzdienstanbietern in bestimmten Kontexten zu definieren. Sobald ein solcher analytischer Rahmen festgelegt sei, werde der scheinbar schwer fassbare Begriff des Verschuldens durch die Anhäufung von Fällen und dogmatischen Verallgemeinerungen nach und nach greifbarer.501
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Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 138. , Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 138, der den Terminus wörtlich „keine wirklichen Pflichten“, nutzt. Zhou Hengxiang, Deutsch-Chinesisches / , wobei Rechtswörterbuch, 2017, S. 191, übersetzt den Begriff der Obliegenheit mit der Begriff vor allem auch zur Bezeichnung von Pflichten verwendet wird und insofern eher die Gefahr von Missverständnissen birgt. 500 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 144. 501 Vgl. Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 144. Ähnlich Cui Guobin, Chinese Journal of Law 2013/4, 138, 154 ff., der festhält, die Benachrichtigungsregel diene im allgemeinen deliktischen Haftungsgefüge dazu, Berechtigten an Rechten des geistigen Eigentums eine Beweiserleichterung in Bezug auf das Verschulden des Netzdienstanbieters zu verschaffen, und biete Netzdienstanbietern zudem einen Leitfaden für die Reaktion auf Hinweise einer vorliegenden Rechtsverletzung. Wenn ein Netzdienstanbieter im Einklang mit der Benachrichtigungsregel handele, könne er sich anderen Sorgfaltspflichten indes nicht entziehen. Daher sei eine Abkehr von der Safe Harbor-Regel angeraten und die Haftung der Netzdienstanbieter habe sich an den allgemeinen Haftungsregeln für gemeinschaftlich begangene Delikte auszurichten. Auch Li Wei/Feng Qiuxiang, Electronics Intellectual Property 2019/11, 41, 42, gehen davon aus, dass Plattformbetreibern eine Kontroll- und Aufsichtsfunktion zukomme und es ihnen möglich sei, auch schwieriger festzustellende Patentverletzungen zu erkennen. A. A. Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 24. Auch Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 141, geht davon aus, dass für die neuen Vorschriften der §§ 1194 ff. ZGB und §§ 42 ff. ECG nach wie vor die Lesart des Safe HarborModells gelte. Für das Verständnis der Neuregelungen als Safe Harbor-Regeln auch Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 58, der annimmt, dass der Netzdienstanbieter lediglich eine Verfahrensrolle übernehme und ihm angesichts der großen Menge der auf Plattformen im Umlauf befindlichen Informationen nicht die inhaltliche Beurteilung des Falles obliegen könne. Dies gelte trotz des Erfordernisses des Beifügens von Anfangsbeweisen, die dem Netzdienstanbieter kein fundiertes Urteil erlaubten. 499
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Als Voraussetzung für die Haftung wird gefordert, dass der Benachrichtigung Anfangsbeweise beigefügt sind.502 Ob eine Benachrichtigung im Übrigen „qualifiziert“503 ist, hänge vom Einzelfall ab und es sei angeraten, die Bemühungen nach einer detaillierten gesetzlichen Festlegung aufzugeben, nicht zuletzt um den Beurteilungsspielraum der Netzdienstanbieter aufrechtzuerhalten. Indem die Gerichte nach Feststellung einer Rechtsverletzung durch einen Netznutzer in jedem Einzelfall konkret prüfen, ob auch den Netzdienstanbieter ein Verschulden trifft, könnten die Plattformen selbst die Anforderungen an die Anzeige und Gegenanzeige i. S. d. §§ 1195 f. ZGB präzisieren, wodurch letztlich ein stabiler Rahmen entstehe. Wenn ein Netzdienstanbieter beispielsweise sehr strenge Anforderungen an die zu erbringenden Anfangsbeweise stelle und infolgedessen keine geeigneten Maßnahmen ergreife, handele er schuldhaft und hafte nach § 1197 ZGB.504 d) Rechtspolitische Erwägungen für das Haftungsbegründungsmodell Auch Zhou Xiping spricht sich für ein von dem Safe Harbor-Modell abweichendes Verständnis der Benachrichtigungsregel des ZGB aus und bezeichnet ersteres als Kind der Web 1.0-Ära, in der Plattformen im Wesentlichen Informationsmedien gewesen seien und nicht selbst an der Generierung von Inhalten mitgewirkt hätten.505 Im Zuge des Web 2.0 hätten sich die Suche und Kommunikation erweitert und Online-Marktplätze entwickelt, auf denen Plattformen nicht nur Handelsplätze für Waren und Dienstleistungen bereitstellten, sondern auch verstärkt an Transaktionen teilhätten, indem sie eigene, auf der Plattform geltende Regeln aufstellten und so für den ordnungsgemäßen Ablauf des Handels sorgten. Mit dem Eintritt des Internets in das Zeitalter der Sharing Economy im Zuge des Web 3.0 hätte die Bedeutung von Plattformen als Geschäftsmodellen, die für eine Zusammenführung von Angebot und Nachfrage, die Einrichtung von Kreditsystemen und die Zurverfügungstellung einer tiefgreifenderen Verwaltung sorgen, zugenommen. E-Commerce-Plattformen hätten sich hierdurch von dem Bild des neutralen und passiven Netzdienstanbieters entfernt, das dem Safe Harbor-Modell zugrunde liege.506 Ob das der Safe Harbor-Regel zugrunde liegende politische Urteil, mit dem Netzdienstanbieter vor einer umfassenden aktiven Verkehrspflicht geschützt werden sollen, im Lichte der stetigen technologischen Weiterentwicklung und dem tiefgreifenden Wandel der sozialen und wirtschaftlichen Funktionen des Internets noch allgemeingültig ist, wird daher angezweifelt.507 502
Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 140. . 504 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 140. 505 Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 68. 506 Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 68. 507 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 133, der folglich eine Abkehr von der „mechanischen Anwendung“ der Safe Harbor-Regel fordert. Es habe sich herausgestellt, dass die Regel selbst an ihrem Ursprungsort zu einem strukturellen Ungleichgewicht der 503
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II. Analyse Folge der von Xue Jun vorgeschlagenen Abkehr von dem dogmatischen Verständnis der Benachrichtigungsregeln des ZGB und ECG als Safe Harbor-Regeln und einer Hinwendung zu dem analytischen Rahmen der allgemeinen Verschuldenshaftung des zivilrechtlichen Deliktsrechts508 wäre die Neubewertung des Notice and Takedown-Verfahrens als Bezugsgröße bei der Feststellung des Verschuldens im Rahmen der Prüfung der allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen für eine deliktische Beihilfehandlung des Netzdienstanbieters. § 1197 ZGB wäre dann nicht mehr als Red Flag-Test,509 sondern als zentrale Haftungsregelung für im Internet begangene Rechtsverletzungen zu verstehen, für deren Einschlägigkeit das Vorliegen einer wirksamen Benachrichtigung i. S. v. § 1195 Abs. 2 ZGB ein Anhaltspunkt im Rahmen der Bestimmung des Verschuldens des Netzdienstanbieters wäre. Auch Xue Jun versteht die §§ 1195 Abs. 2 ZGB und 42 Abs. 2 ECG als Obliegenheit und fordert damit de facto lediglich ein stärker an der Tradition des chinesischen Zivilrechts ausgerichtetes systematisches Umdenken, das im Ergebnis dem Safe Harbor-Modell des US-amerikanischen Rechts ähnelt, welches sich gerade durch das Verständnis der zu ergreifenden Maßnahmen als Obliegenheit und nicht als gesetzliche Pflicht auszeichnet.510 Da ein Netzdienstanbieter nach Erhalt einer begründeten Benachrichtigung i. S. v. § 1195 Abs. 2 ZGB automatisch auch von einer Rechtsverletzung wissen müsste, erscheint die klare Trennung des OVG zwischen § 1195 Abs. 2 ZGB und § 1197 ZGB511 in der Tat nicht zwingend. So wird das Wissen oder Wissenmüssen von Rechtsverletzungen im US-amerikanischen Recht gerade als Negativvoraussetzung für den Eintritt in den safe harbor gesehen.512 Auch ein Festhalten an dem Safe Harbor-Modell mit dem Argument, die Benachrichtigungsregel sei ursprünglich in Anlehnung an das US-amerikanische Recht in das chinesische Recht aufgenommen worden, ist angesichts der in § 42 Abs. 2 ECG und § 1195 Abs. 2 ZGB wie bereits in dem überwiegend als Haftungsbegründungsvorschrift verstandenen
tangierten Interessen führe. Li Xiaocao, Northern Legal Science 2019/5, 26, 27, hebt demgegenüber den Detailreichtum der US-amerikanischen Regel und den diesbezüglich reichen Erfahrungsschatz sowie das Potenzial hervor, hieraus rechtsvergleichende Erkenntnisse zu schöpfen. 508 S. o., Fn. 473. 509 Durch den sog. Red Flag-Test wird die Haftung auf offensichtliche Rechtsverletzungen beschränkt. Zu der Frage, inwieweit die Regelungen des § 1197 ZGB und § 45 ECG de lege lata als Ausdruck des Red Flag-Tests verstanden werden können, ausführlich unten, 5. Kap., E. § 1197 ZGB und § 45 ECG als Ausdruck des US-amerikanischen Red Flag-Tests. 510 Zu dieser Abgrenzung auch schon oben unter I. Dogmatisches Verständnis der Haftungsregeln. 511 Hierzu ausführlich oben unter b) Verhältnis zwischen § 1195 Abs. 2 ZGB und § 1197 ZGB. 512 S. zum US-amerikanischen Recht insoweit oben unter 1. Verfahrensvoraussetzungen und Rechte bei falschen Benachrichtigungen.
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§ 36 Abs. 2 DelHaftG513 erfolgten Abweichung von der in der SRVI-VO gewählten Negativformulierung in der Tat eher wenig einleuchtend. 1. Das Safe Harbor-Modell im chinesischen Deliktsrecht Dass das Safe Harbor-Modell sich nicht in das dem chinesischen Deliktsrecht zugrunde liegende System einfüge, weil es in einem System gelte, in dem primär zwischen unmittelbaren und mittelbaren Rechtsverletzungen differenziert wird, als Argument gegen seine Geltung vorzubringen, überzeugt demgegenüber insofern nur bedingt, als eine Abgrenzung zwischen der im US-amerikanischen Urheberrecht vorgenommenen Differenzierung zwischen der Haftung für eigene, unmittelbare Verletzungshandlungen und mittelbare Rechtsverletzungen von der Haftung für gemeinschaftlich begangene Rechtsverletzungen nicht trennscharf möglich ist.514 So besteht die sog. secondary liability des US-amerikanischen Rechts für mittelbare Rechtsverletzungen aus zwei richterrechtlich entwickelten Haftungstheorien, der contributory und vicarious liability, durch die festgelegt wird, wann ein an der Verletzung eines Dritten nur mittelbar Beteiligter verantwortlich sein kann.515 Daraus, dass es damit auch bei der im US-amerikanischen Recht vorgenommenen Kategorisierung zur Behandlung urheberrechtlicher Streitigkeiten letztlich auf die Frage ankommt, ob ein Ursachenbeitrag selbst eine unmittelbare Verletzungshandlung konstituiert oder nur mittelbar dazu beiträgt,516 ist eine gewisse Nähe zum weit verstandenen Modell der gemeinschaftlichen Rechtsverletzung des chinesischen Deliktsrechts unverkennbar. 2. Ursache für das Missverständnis der Safe Harbor-Regel Der Grund für die bei der Anwendung der Safe Harbor-Regel deutlich werdenden Missverständnisse ist daher weniger darin zu sehen, dass mit der Anwendung der Regel eine Abkehr von dem Prinzip der Verschuldenshaftung einhergehe, dem das chinesische Zivilrecht grundsätzlich folgt. Die Ursache für das Missverständnis der Safe Harbor-Regel mag vielmehr darin liegen, dass im chinesischen Recht bislang keine gleichermaßen etablierte Theorie zur Begründung der Haftung für mittelbare
513 Hierzu ausführlich oben unter b) Rechtsdogmatisches Verständnis von § 36 Abs. 2 DelHaftG. 514 So stellt auch Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 138, fest, die mittelbare Rechtsverletzung werde als gemeinsame Rechtsverletzung im weiteren Sinne gesehen, da bei ihr sowohl der Schädiger als auch der mittelbare Rechtsverletzer ein subjektives Verschulden an der Verletzung der Rechte und Interessen anderer trügen. 515 Holznagel, Notice and Takedown-Verfahren als Teil der Providerhaftung, 2013, S. 5 m. w. N. 516 So auch Holznagel, Notice and Takedown-Verfahren als Teil der Providerhaftung, 2013, S. 5.
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Rechtsverletzungen existiert wie im US-amerikanischen oder deutschen Recht517 und ein Trend der Verobjektivierung von Verkehrssicherungspflichten erkennbar ist.518 So gibt es bislang noch keine allgemeine, nicht auf bestimmte Personen beschränkte Verkehrssicherungspflicht, wenngleich Tendenzen erkennbar sind, die auf die Schaffung einer solchen in Zukunft hindeuten,519 und das Modell der fahrlässigen Beihilfe zur Begründung der Haftung für mittelbare Rechtsverletzungen auch in der chinesischen Literatur stark kritisiert wird.520 So wird das Modell der „fahrlässigen Beihilfehandlung“ auch im chinesischen Schrifttum als dogmatisch unschlüssig bezeichnet.521 Dass der Gesetzgeber das schon in § 36 Abs. 3 DelHaftG geregelte „Wissen“ in § 1197 ZGB um ein „Wissenmüssen“ ergänzt hat und das „Wissenmüssen“ regelungstechnisch damit dem „Wissen“ gleichgesetzt wird, bedeutet nicht, dass er damit die Sinnhaftigkeit der Existenz des Konzepts der „fahrlässigen Beihilfe“ im System gemeinschaftlich begangener Rechtsverletzungen anerkannt hat.522 Das Vakuum, das durch die Teilrezeption der US-amerikanischen Safe Harbor-Regel entsteht, welche untrennbar mit den US-amerikanischen, im chinesischen Recht als Fremdkörper empfundenen Modellen zur Begründung der Haftung für mittelbare Rechtsverletzungen verbunden ist, wurde daher bislang nicht gleichermaßen selbstverständlich mit einem eigenen Begründungspendant gefüllt, wie etwa einer allgemeinen, auch für den E-Commerce geltenden Verkehrssicherungspflicht.523 3. Fazit Wegen der durchaus bestehenden Nähe zwischen dem Safe Harbor-Modell und dem Haftungsbegründungsmodell, denen gemein ist, dass Voraussetzung für die Haftung des Netzdienstanbieters dessen schuldhafte Pflichtverletzung ist, ist zweifelhaft, inwieweit eine Abkehr von dem US-amerikanischen Safe Harbor-Modell tatsächlich für weniger Missverständnisse sorgen würde. Eine solche Abkehr ist im Lichte des nach wie vor bestehenden Verständnisses des OVG zudem eher als ein de lege ferenda erwünschtes Ergebnis zu begreifen, wenngleich die Äußerungen des OVG über ein zwischen § 1195 Abs. 2 ZGB und § 1197 ZGB bestehende Exklu517 S. o., 3. Kap., A. II. Besondere Verkehrssicherungspflichten und allgemeine Verkehrssicherungspflicht. 518 Hierzu auch unten, 5. Kap., D. I. 3. § 8 f. OVG Informationsnetze II und § 9 OVG Urheberrecht. 519 S. o., 3. Kap., A. II. Besondere Verkehrssicherungspflichten und allgemeine Verkehrssicherungspflicht. 520 S. o., Fn. 54. Jenseits der Haftung von Netzdienstanbietern wurde im Hinblick auf die Verschuldensform bei der Beihilfe und Anstiftung i. S. v. § 9 Abs. 1 DelHaftG zudem überwiegend direkter oder indirekter Vorsatz vorausgesetzt, Binding, Das Gesetz der VR China über die deliktische Haftung, 2012, S. 59. 521 S. o., Fn. 54. 522 So auch Feng Chuqi, Journal of Law Application 2020/14, 71, 74, die festhält, der Plattformbetreiber leiste keine deliktische Beihilfe. 523 S. o., Fn. 113.
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2. Teil: Die Verkehrspflichten i. R. d. Notice and Takedown-Verfahrens
sivitätsverhältnis524 insofern ambivalent sind. Stattdessen ist das Vakuum, das durch die Teilrezeption der US-amerikanischen Safe Harbor-Regel entstanden ist, durch die Voraussetzungen, die das chinesische Recht selbst an die gesamtschuldnerische Haftung knüpft, zu füllen. Für das Vorliegen einer Beihilfehandlung i. S. v. § 1169 Abs. 1 ZGB ist objektive Voraussetzung, dass die betreffende Zuwiderhandlung entweder nicht erfolgt, nicht aufrechterhalten, nicht in einer bestimmten Weise begangen worden wäre oder keine bestimmten Folgen gehabt hätte.525 Subjektiv fordert das OVG im Allgemeinen doppelten Vorsatz des Helfenden hinsichtlich der begangenen Rechtsverletzung und der eigenen Beihilfehandlung.526 Zugrunde gelegt wird insoweit ein weiter Begriff des Mitverschuldens, d. h., wenn den Täter und Teilnehmer jeweils ein Verschulden an ihren eigenen Handlungen trifft, haften sie gesamtschuldnerisch für den Schadenseintritt.527 Durch das „Wissenmüssen“ in § 1197 ZGB sowie § 45 ECG hat der Gesetzgeber mit Blick auf die als Beihilfe begriffene Rolle des Netzdienstanbieters zur unmittelbaren Schädigungshandlung anerkannt, dass insoweit auch Fahrlässigkeit des Netzdienstanbieters ausreicht.528 Dabei spricht viel dafür, dass auch § 1197 ZGB und § 45 ECG als Ausdruck des USamerikanischen Red Flag-Tests zu verstehen sind und sich das dort genannte Wissenmüssen lediglich auf offensichtliche Rechtsverletzungen bezieht.529 Auch rechtspolitisch ist ungeachtet der Entscheidung, an dem US-amerikanischen Verständnis festzuhalten oder sich stärker an der Tradition des chinesischen Deliktsrechts zu orientieren, jedenfalls die Masse der auf Internetplattformen im Umlauf befindlichen Daten im Blick zu behalten, die trotz neuer technologischer Entwicklungen wie jener, die durch die künstliche Intelligenz ermöglicht werden, eine Herausforderung bleibt.530 Der bislang verfolgte Ansatz des Gesetzgebers und des OVG, in verschiedenen Regelwerken je nach den betroffenen Rechten zu differenzieren, ist dabei trotz bestehender Schwächen grundsätzlich geeignet, Netzdienstanbietern eine verlässliche Orientierungshilfe bei der Umsetzung des Notice and Takedown-Verfahrens zu bieten.531 524
Hierzu s. o., b) Verhältnis zwischen § 1195 Abs. 2 ZGB und § 1197 ZGB. Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 136. S. zu den Voraussetzungen für das Vorliegen einer Beihilfehanldung auch die Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 61. 526 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 61. 527 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 136. 528 S. o., Fn. 492. 529 Zu der Frage, inwieweit die Regelungen des § 1197 ZGB und § 45 ECG de lege lata als Ausdruck des Red Flag-Tests verstanden werden können, ausführlich unten, 5. Kap., E. § 1197 ZGB und § 45 ECG als Ausdruck des US-amerikanischen Red Flag-Tests. 530 So auch Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 11, die darauf hinweisen, dass Netzdienstanbieter über eine praktisch grenzenlose Kapazität zum Führen von Nutzerinhalten verfügen. Dies sei nicht vergleichbar mit Herausgebern, denen eine verschuldensunabhängige Haftung angesichts der Prüfung der Dokumente vor der Veröffentlichung eher zuzumuten sei. 531 Vgl. hierzu auch unten, 7. Kap., C. Handlungsempfehlungen. 525
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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III. Haftung für die nicht erfolgte Weiterleitung der Benachrichtigung Während für den Fall, dass ein Netzdienstanbieter nicht die notwendigen Maßnahmen i. S. v. § 1195 Abs. 2 ZGB bzw. § 42 Abs. 2 ECG ergriffen hat, dessen gesamtschuldnerische Haftung mit dem unmittelbar deliktisch Handelnden angeordnet wird, ist gesetzlich nicht geregelt, ob den Netzdienstanbieter eine Haftung trifft, wenn er die Benachrichtigung des Rechtsinhabers nicht, wie in § 1195 Abs. 2 ZGB und § 42 Abs. 2 ECG vorgesehen, an den vermeintlich deliktisch Handelnden weiterleitet. Da die Weiterleitung nicht mehr wie noch im Rahmen des § 36 Abs. 2 DelHaftG als notwendige Maßnahme verstanden wird, ist die Haftungsfolge für die fehlende Weiterleitung auch nicht durch § 1195 Abs. 2 ZGB bzw. § 42 Abs. 2 ECG mitgeregelt. In der Literatur wird aus der fehlenden gesetzlichen Regelung zum Teil geschlossen, dass der Netzdienstanbieter in einem solchen Fall nicht hafte, wenn er gleichwohl die notwendigen Maßnahmen i. S. v. § 1195 Abs. 2 ZGB bzw. § 42 Abs. 2 ECG ergriffen hat.532 Liege jedoch tatsächlich keine Rechtsverletzung vor, hafteten der Absender der falschen Benachrichtigung und der Netzdienstanbieter gesamtschuldnerisch für den Schaden, der dem Betreiber durch die ergriffenen Maßnahmen entstanden ist. Alternativ bestehe die Möglichkeit, den Netzdienstanbieter allein deliktisch oder aber gestützt auf eine Vertragsverletzung haftbar zu machen.533 Zu denken ist insoweit an die Haftung des Netzdienstanbieters wegen der Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht534. In Betracht kommt zudem die Haftung nach der deliktischen Generalklausel des § 1165 Abs. 1 ZGB, da die Weiterleitung der Benachrichtigung eine gesetzliche Pflicht darstellt. Freilich stellt sich sowohl im Rahmen der vertraglichen als auch einer möglichen deliktischen Haftung die Frage, ob die unterbliebene Weiterleitung in kausaler Weise einen Schaden verursacht hat oder der dem auf der Plattform tätigen Betreiber entstandene Schaden eher aus der unberechtigten Ergreifung bzw. nicht rechtzeitigen Rückgängigmachung etwaiger Abhilfemaßnahmen resultiert.
C. Haftung des Absenders falscher Benachrichtigungen In Art. 1.13 Nr. 2 lit. d Var. 2 in Abschnitt E des Phase One Trade Agreements zwischen China und den USA535 ist vorgesehen, dass China im Rahmen des Notice and Takedown-Verfahrens arglistig eingereichte Benachrichtigungen und Gegenanzeigen sanktioniert. Der chinesische Gesetzgeber hat dies nicht nur für arglistig 532
Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 144. Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 144. 534 . S. zu den Nebenpflichten im chinesischen Recht im Einzelnen Li Yunyang, Rücksichtnahmepflichten und Haftung für deren Verletzung im chinesischen und deutschen Recht, 2019, S. 25 ff. 535 S. o., Fn. 18. 533
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2. Teil: Die Verkehrspflichten i. R. d. Notice and Takedown-Verfahrens
gesendete, sondern auch für andere falsche Benachrichtigungen in das nationale Recht aufgenommen. Nach § 1195 Abs. 3 S. 1 ZGB und § 42 Abs. 3 S. 1 ECG trägt derjenige, der eine falsche Benachrichtigung sendet, die zivile Haftung. Wird arglistig eine falsche Benachrichtigung gesendet und handelt es sich um Rechte des geistigen Eigentums, auf die das ECG als lex specialis vorrangig gegenüber dem ZGB angewendet wird,536 hat der Benachrichtigende die Schadensersatzhaftung in doppelter Höhe zu tragen, § 42 Abs. 3 S. 2 ECG.537 Während § 1195 Abs. 3 S. 1 ZGB die Haftung des Absenders sowohl gegenüber dem Netznutzer als auch dem Netzdienstanbieter vorsieht, ist in § 42 Abs. 3 S. 1 ECG nur die Haftung gegenüber den auf der Plattform tätigen Betreibern geregelt. Der Ursprung der Erweiterung in dem später erlassenen § 1195 Abs. 3 S. 1 ZGB mag darin liegen, dass die fehlende Regelung im ECG zuvor kritisiert wurde, da falsch gesendete Benachrichtigungen nicht nur bei auf Plattformen tätigen Betreibern, sondern auch bei den Plattformbetreibern einen Schaden hervorrufen können.538 Wendet man das ECG auf Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums vorrangig als lex specialis an, stellt sich die Frage, ob die Haftung gegenüber dem Plattformbetreiber dann entfällt oder insoweit § 1195 Abs. 3 S. 1 ZGB greift. Da durch die im Zuge der Kodifikation des ZGB stattfindende Erneuerung im Einzelfall zu prüfen ist, ob der Grundsatz lex specialis derogat legi generali zu materiell gerechten Ergebnissen führt,539 spricht viel dafür, dass der Gesetzgeber die Haftung bewusst erweitert hat, und auch in diesem Fall eine Haftung gegenüber dem Plattformbetreiber nach § 1195 Abs. 3 S. 1 ZGB in Frage kommt.
I. Hintergründe der Haftungsregeln Der Zweck der Haftungsregeln wird darin gesehen, dass es bei der Anwendung des Notice and Takedown-Verfahrens zu unlauterem Wettbewerb durch eine falsche Benachrichtigung über Rechtsverletzungen an Netzdienstanbieter und dadurch zu 536
S. nur Cheng Xiao, Wuhan University Journal (Philosophy and Social Science) 2020/6, 137, 145. Hierzu auch unter 3. Kapitel: Begrifflicher Gegenstand der Untersuchung. Zu den Anwendungsverhältnissen insgesamt unten unter D. Vergleich der alten und neuen Regelungen des Notice and Takedown-Verfahrens. 537 Cheng Xiao, Wuhan University Journal (Philosophy and Social Science) 2020/6, 137, 146 m. w. N., der auf eine Statistik des Oberen Volksgerichts Zhejiang verweist, aus der hervorgeht, dass 24 % der Beschwerden über Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums arglistig gesendet worden seien. S. hierzu auch oben, Fn. 365. 538 Cheng Xiao, Wuhan University Journal (Philosophy and Social Science) 2020/6, 137, 146. 539 Vgl. Xue Jun, Journal of Law Application 2021/3, 25, 32, der dies im Hinblick auf die umgekehrte Situation äußert, in der ein Teil einer Vorschrift des ECG nicht in das ZGB übernommen wurde. Wang Liming, Modern Law Science 2020/6, 3, 10, spricht sich mit Blick auf das ZGB ebenfalls gegen ein dogmatisches Festhalten am lex specialis-Grundsatz aus, da diese Herangehensweise an die Rechtsanwendung das Potenzial für eine im Rahmen des Kodifizierungsprozesses stattfindende Erneuerung in signifikanter Weise verringern würde.
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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Schäden von auf den Plattformen tätigen Betreibern540 sowie einer Schlechterstellung des Netzdienstanbieters selbst kommt. Eine Gefahr der Schlechterstellung des Netzdienstanbieters ergibt sich daraus, dass zwischen den auf der Plattform tätigen Betreibern und den Netzdienstanbietern ein Dienstleistungsvertrag besteht und sich der Netzdienstanbieter wegen zu Unrecht ergriffener Maßnahmen daher möglicherweise gegenüber dem Netznutzer wegen einer vertraglichen Pflichtverletzung haftbar macht.541 Betrachtet man die Rechtsprechung, wird deutlich, dass sich die meisten Streitigkeiten wegen falscher oder arglistig gesendeter Benachrichtigungen in der Tat zwischen Betreibern vollziehen, die in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stehen.542 Neben Ansprüchen aus § 1165 Abs. 3 ZGB und in Fällen, in denen Rechte des geistigen Eigentums tangiert sind, aus § 42 Abs. 3 ECG, kommen daher Ansprüche aus §§ 2, 11 und 12 UWG gegen den Absender der falschen Benachrichtigung in Betracht.543 Die Neuregelungen in ZGB und ECG werden als Kritik an der fehlenden Regelung im DelHaftG gesehen, durch die der Gefahr missbräuchlich abgesendeter Benachrichtigungen nicht ausreichend entgegengewirkt worden sei.544 Vor Erlass der Neuregelungen wurde daher alternativ vorgeschlagen, falsche Benachrichtigungen als Rechtsverletzung zu definieren, für welche die Haftung nach § 6 Abs. 1 DelHaftG zu tragen sei.545 Die gesetzlichen Ursprünge der Haftungsregeln im ZGB und ECG werden im Schrifttum auf § 24 SRVI-VO zurückgeführt.546 Dieser sieht eine Haftung des Benachrichtigungsabsenders vor, wenn die Benachrichtigung dazu führt, dass der Netzdienstanbieter ein Werk, eine Darbietung oder audiovisuelle Aufzeichnung zu Unrecht löscht oder die Verbindung hierzu zu Unrecht unterbricht und demjenigen, der diese Inhalte zur Verfügung stellt, hierdurch ein Schaden entsteht.547 Bereits in § 8 Abs. 1 OVG Informationsnetze I a. F.548 war für persönliche Rechte und Interessen ebenfalls eine den Absender falscher Benachrichtigungen treffende Haftung vorgesehen. Der Netzdienstanbieter hatte nach § 8 Abs. 2 OVG Informationsnetze I 540
So beispielsweise in dem der Entscheidung des Mittleren Volksgerichts Sichuan De139 , zugrunde liegenden Fall: Der Beklagte erstellte mit einem yang, Az.: 2018 06 privaten Stempel versehene Verletzungsanzeigen, gab sich als Rechtsinhaber aus und behauptete, der Kläger habe unbefugt seine Produktabbildungen verwendet, was zur Entfernung des entsprechenden Produktlinks durch die E-Commerce-Plattform Taobao führte. 541 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 272; vgl. auch Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 11. 542 So auch Cheng Xiao, Wuhan University Journal (Philosophy and Social Science) 2020/ 6, 137, 146 f. 543 Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 146 f. 544 Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 141. 545 Yang Lixin/Li Jialun, Journal of Law Application 2011/6, 40, 44. 546 So Li Chaoguang/Lin Xiuqin, Journal of Dalian University of Technology 2020/3, 115, 119. 547 Li Chaoguang/Lin Xiuqin, Journal of Dalian University of Technology 2020/3, 115, 115 f. 548 S. o., Fn. 217.
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2. Teil: Die Verkehrspflichten i. R. d. Notice and Takedown-Verfahrens
a. F. der Forderung desjenigen nachzukommen, gegen den im Rahmen des Notice and Takedown-Verfahrens etwaige Maßnahmen ergriffen wurden, entsprechende Wiederherstellungsmaßnahmen zu ergreifen.
II. Subjektive Anforderungen an die Haftung Die Frage, ob der Absender bei der Sendung einer falschen Benachrichtigung neben der objektiven Falschheit auch subjektive Anforderungen zu erfüllen hat und wie die Rechtslage zu bewerten ist, wenn die Benachrichtigung gutgläubig falsch gesendet wurde, hat in §§ 1195 Abs. 3 ZGB und 43 Abs. 3 ECG selbst keine gesetzliche Regelung erfahren. Zu einer gutgläubig falsch gesendeten Benachrichtigung kann es insbesondere kommen, wenn es um Gebrauchs- oder Geschmacksmuster geht, da diese zunächst in aufwendiger Weise überprüft werden müssen.549 § 1195 Abs. 3 S. 1 ZGB und § 42 Abs. 3 S. 1 ECG werden daher in Verbindung mit dem Grundsatz der Verschuldenshaftung in § 1165 Abs. 1 ZGB angewendet und setzen Folgendes voraus: Erstens führt die unrechtmäßige Ausübung des Benachrichtigungsrechts dazu, dass der Netzdienstanbieter Maßnahmen wie die Löschung, Sperrung und Unterbrechung der Verbindung zu den Informationen des Netznutzers ergreift; zweitens verursachen die genannten Maßnahmen eine Schädigung der Vermögensinteressen des Netzdienstanbieters; drittens muss ein Kausalzusammenhang zwischen der rechtswidrigen Meldung und dem Vermögensschaden des Netzdienstanbieters bestehen; viertens muss der Absender im Zeitpunkt der rechtswidrigen Meldung vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben.550 So wird vermieden, dass es sich um verschuldensunabhängige Haftungsregeln handelt, die eine Besserstellung des Netzdienstanbieters zur Folge hätten, der den Schutz des safe harbor erfährt, solange er nachweisen kann, seine Sicherungspflicht erfüllt zu haben, und sich im Zweifel darauf berufen könnte, der Absender sei seiner eigenen Prüfpflicht nicht in hinreichender Weise nachgekommen.551 Legt man die Haftungsregeln hingegen als verschuldensabhängigen Anspruch aus, wird befürchtet, dass sich der Benachrichtigende leicht der Haftung entziehen könne, was dem Zweck der Bestimmung ebenfalls zuwiderliefe.552 Daher wird das Verständnis von § 42 Abs. 3 S. 1 ECG als Haftung für vermutetes Verschulden den Interessen aller Beteiligten bestmöglich gerecht.553 Dem schloss sich mit Blick auf § 42 Abs. 3 S. 1 ECG auch das OVG in § 5 OVG-Replik IP Internet an, der Folgendes klarstellt: Wenn ein Berechtigter an Rechten des geistigen Eigentums eine objektiv 549
Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 11. Vgl. Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 146, dessen Ausführungen sich explizit nur auf § 1195 Abs. 3 S. 1 ZGB beziehen. 551 So die Befürchtung von Li Chaoguang/Lin Xiuqin, Journal of Dalian University of Technology 2020/3, 115, 119. 552 Du Ying, Electronics Intellectual Property 2021/4, 4, 9. 553 Du Ying, Electronics Intellectual Property 2021/4, 4, 9. 550
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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falsche Benachrichtigung i. S. v. § 42 ECG sendet, der Berechtigte in dem Rechtsstreit aber vorbringt, die Benachrichtigung in gutem Glauben abgegeben zu haben, eine Haftungsbefreiung beantragt und hierfür Beweise vorbringt, haben Volksgerichte dies nach einer Überprüfung nach dem Recht zu unterstützen.554
III. Kriterien zur Feststellung der Arglistigkeit In der Literatur wird Arglist als eine Art von Vorsatz definiert, die aus einem kognitiven und einem voluntativen Element besteht und neben der Kenntnis voraussetzt, dass der Handelnde mit einer verwerflichen Motivation wie der des unlauteren Wettbewerbs handelt.555 Als Anhaltspunkt für die Bestimmung der Arglist können auch objektive Umstände wie die Anzahl der gesendeten Benachrichtigungen herangezogen werden.556 Diese Herangehensweise zeigt sich auch in der Rechtsprechung. So stellte das Gericht für geistiges Eigentum Shanghai vor Inkrafttreten des ECG zur Bestimmung der Arglist darauf ab, ob die Partei wusste, dass es ihrem Anspruch an einer rechtlichen oder tatsächlichen Grundlage fehlte und ob sie mit dem Rechtsstreit den unzulässigen Zweck verfolgte, die Rechte und Interessen der Gegenpartei zu verletzen.557 Mutmaßlich im Lichte der gleichwohl bestehenden Unklarheiten in Bezug auf die Definition der Arglist i. S. v. § 42 Abs. 3 S. 2 ECG558 hat das OVG in § 6 OVG IP ECommerce dargelegt, woran sich die Gerichte insoweit orientieren können. So sind Anhaltspunkte die Einreichung gefälschter oder geänderter Rechtszertifikate, die Vorlage gutachterlicher Stellungnahmen oder von Sachverständigengutachten zu falschen Verletzungsvergleichen, die Abgabe der Benachrichtigung in Kenntnis von der Unbeständigkeit des Rechts, die unterbliebene unverzügliche Annullierung oder Korrektur einer falschen Benachrichtigung trotz Kenntnis von deren Falschheit 554 Teils wurde schon vor Erlass des ECG und der OVG-Replik IP Internet davon ausgegangen, dass die Haftung zu mildern sei, wenn der Rechtsinhaber nachweisen kann, die Benachrichtigung in gutem Glauben gesendet zu haben, Shen Yiping, Electronics Intellectual Property 2017/3, 44, 49. 555 So Li Chaoguang/Lin Xiuqin, Journal of Dalian University of Technology 2020/3, 115, 118. 556 So Li Chaoguang/Lin Xiuqin, Journal of Dalian University of Technology 2020/3, 115, 118. 557 ), Az.: 2015 Gericht für geistiges Eigentum Shanghai ( 682 . So auch das Obere Volksgericht der Provinz Jiangsu ( ), Az.: 2017 1874 . 558 Vgl. Li Chaoguang/Lin Xiuqin, Journal of Dalian University of Technology 2020/3, 115, 118. Zu diesen Unklarheiten instruktiv Du Ying, Electronics Intellectual Property 2021/4, 4, 9, die auf die verschiedenen Formen arglistiger Benachrichtigungen aufmerksam macht, wie beispielsweise Benachrichtigungen zur Beseitigung kritischer religiöser Äußerungen, von Inhalten, die Konkurrenten zur Verfügung stellen, und Benachrichtigungen mit politischen Absichten. Der Hauptzweck sei indes derselbe, und zwar die Erlangung eines unzulässigen (Wettbewerbs-)Vorteils.
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2. Teil: Die Verkehrspflichten i. R. d. Notice and Takedown-Verfahrens
sowie die wiederholte Einreichung falscher Benachrichtigungen.559 Das Erste Mittlere Volksgericht Shanghai widersprach dem erstinstanzlichen Gericht in seinem Urteil vom 1. 3. 2021 unter Berufung auf § 6 Abs. 1 OVG IP E-Commerce mit Blick auf die dort geregelte Vorlage gefälschter Nachweise über Rechte oder gutachterlicher Stellungnahmen sowie die nicht unverzügliche Berichtigung falscher Benachrichtigungen in folgendem Punkt: Aus der Vorlage eines anderen Testberichts während der Gerichtsverhandlung als bei Einreichung der Benachrichtigung i. S. v. § 42 Abs. 1 ECG könne nicht per se auf die Arglist des Rechtsinhabers geschlossen werden, zumal dieser auf die Berichtigung der Benachrichtigung während der Verhandlung hingewirkt habe. Die ihre Forderung nach § 42 Abs. 3 S. 2 ECG geltend machende Partei habe die Arglist auf dieser Grundlage nicht nachweisen können.560 Als Referenz zur Beurteilung der Arglistigkeit i. S. v. § 42 Abs. 3 S. 2 ECG können überdies Ausführungen des OVG zur Feststellung dienen, ob eine Marke bösgläubig angemeldet wurde und damit der in § 7 MarkG vorgesehenen Anmeldung zur Eintragung und Nutzung von Marken nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zuwiderläuft. Das OVG entschied, dass bei der Feststellung, ob die in Rede stehende Marke bösgläubig angemeldet wurde, nicht nur der objektive Bekanntheitsgrad der Marke zu berücksichtigen sei, sondern auch, welche subjektiven Absichten der Anmeldende im konkreten Einzelfall hege.561 In dem konkreten Fall stellte das Gericht die Absicht des Beklagten fest, den Goodwill des klägerischen Unternehmens durch die Nutzung der in Rede stehenden Marke zur Erzielung unzulässiger Gewinne ausgenutzt zu haben, was für das Vorliegen von Arglist seitens des Beklagten spreche.
IV. Arglistige Sendung von Gegenanzeigen i. S. d. § 43 ECG Augenfällig ist, dass der Fall der arglistigen Sendung einer Gegenanzeige anders als jener der arglistigen Sendung einer Benachrichtigung i. S. v. § 42 ECG keine gesetzliche Regelung erfahren hat. Das OVG füllt diese Lücke durch § 4 OVGReplik IP Internet. Dort heißt es, dass der Berechtigte an Rechten des geistigen Eigentums von dem E-Commerce-Plattform-Betreiber die Zahlung eines Strafschadensersatzes in entsprechender Höhe gemäß den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen verlangen kann, wenn der E-Commerce-Plattform-Betreiber aufgrund einer arglistig abgegebenen Erklärung die notwendigen Maßnahmen einstellt und dem Berechtigten dadurch ein Schaden entsteht. In § 8 OVG IP E-Commerce hat das OVG klargestellt, welche Faktoren die Gerichte bei der Beurteilung der Arg559 Erste Abteilung für Zivilrecht des OVG (Hrsg.), Verständnis und Anwendung der justiziellen Auslegung des OVG über die Nutzung des Internets zur Verletzung persönlicher Rechte und Interessen, 2014, S. 130. 560 ), Az.: 2020 01 Erstes Mittleres Volksgericht Shanghai ( 4923 104 . 561 Verwaltungsurteil des OVG, Az.: 2016 12 .
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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listigkeit der Gegenanzeige zugrunde legen können. Für das Vorliegen von Arglist spricht es unter anderem, wenn mit der Gegenanzeige gefälschte oder ungültige Nachweise über Rechte oder Genehmigungen vorgelegt werden, die Gegenanzeige falsche Angaben enthält oder offensichtlich irreführend ist, sie eingereicht wird, obwohl der Benachrichtigung des Berechtigten eine rechtskräftige gerichtliche oder behördliche Entscheidung über die Rechtsverletzung beigelegt wurde oder die Gegenanzeige nicht unverzüglich zurückgezogen oder berichtigt wird, obwohl der Absender Kenntnis von ihrer Falschheit hat.
D. Vergleich der alten und neuen Regelungen des Notice and Takedown-Verfahrens Ein zusammenfassender Vergleich der das Notice and Takedown-Verfahren regelnden Vorschriften sowie eine Darstellung der zwischen ihnen bestehenden Anwendungsverhältnisse erscheint zu Zwecken der Übersichtlichkeit und praktischen Handhabbarkeit des bestehenden Regelungsgefüges angeraten.562 Bestandteil des geltenden Rechts sind sowohl die Regelungen des ZGB, ECG, der SRVI-VO als auch diverse justizielle Auslegungen des OVG. Da das DelHaftG mit Inkrafttreten des ZGB aufgehoben wurde, vgl. § 1260 ZGB, findet die Benachrichtigungsregel des § 36 Abs. 2 DelHaftG nunmehr keine Anwendung.
I. Anwendungsverhältnis zwischen dem ZGB und dem ECG Die Regelungen des ZGB und des ECG sind im Wesentlichen inhaltsgleich. Sie unterscheiden sich vor allem dadurch, dass die §§ 42 ff. ECG lediglich auf den Schutz von Rechten des geistigen Eigentums gerichtet sind, während die §§ 1195 ff. ZGB jegliche Art von Rechtsverletzungen im Internet erfassen. Ferner sind Pflichtadressaten des ZGB Netzdienstanbieter im Allgemeinen, während die §§ 1194 ff. sich an E-Commerce-Plattform-Betreiber als eine spezielle Form des Netzdienstanbieters richten. Auf die vorrangige Anwendung des ECG in diesen spezielleren Fällen kann neben § 92 GGG und § 11 ZGB aus der Öffnungsklausel des § 1194 S. 2 ZGB geschlossen werden.
562 S. für eine Übersicht über die relevanten Vorschriften auch die Tabelle im 1. Kapitel: Einleitung.
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II. Anwendungsverhältnis zwischen der SRVI-VO, dem ECG und dem ZGB Das Notice and Takedown-Verfahren der SRVI-VO ist speziell auf den Schutz des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts im Internet zugeschnitten. Insoweit ist diese Vorschrift sowohl gegenüber dem ECG, dessen Vorschriften auf den Schutz sämtlicher Rechte des geistigen Eigentums gerichtet sind, als auch gegenüber dem ZGB lex specialis und bei Verletzungen des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts nach §§ 92 GGG, 11 ZGB vorrangig heranzuziehen.563 Bei Verletzungen des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts, die auf Internetplattformen begangen werden, ist zudem die OVG Informationsnetze II zu berücksichtigen. In dieser justiziellen Auslegung klärt das OVG einige Fragen zur Rechtsanwendung in zivilrechtlichen Fällen, in denen es um die Verletzung von Rechten zur Verbreitung von Informationen durch Informationsnetze geht. Auch der persönliche Anwendungsbereich der SRVI-VO unterscheidet sich von den insoweit stärker wirtschaftlich ausgerichteten Begriffen des ECG und ist in Bezug auf die Schutzsubjekte spezieller als das ZGB. Zweifel an dem Charakter der SRVI-VO als lex specialis gegenüber dem ECG und dem ZGB sind jedenfalls auch mit Blick auf die Bereichsausnahme des § 2 Abs. 3 S. 2 Var. 2 ECG unbegründet angesichts der Tatsache, dass diese grundsätzlich gemäß § 92 GGG gegenüber älteren Regelungen vorrangig heranzuziehen sind. In Bezug auf das Verhältnis zwischen der SRVI-VO und dem ZGB sei ebenfalls auf die Öffnungsklausel des § 1194 S. 2 ZGB hingewiesen, die der SRVI-VO in Bezug auf die konkret durch sie erfassten Sachverhalte den Vorrang einräumt.
III. Anwendungsverhältnis zwischen den justiziellen Auslegungen des OVG Geht es um die Verletzung persönlicher Rechte und Interessen, ist die OVG Informationsnetze I ergänzend zu den Vorschriften des ZGB heranzuziehen, in der verschiedene Fragen der Rechtsanwendung bei der Verhandlung von Fällen geregelt sind, die zivilrechtliche Streitigkeiten über die Verletzung von persönlichen Rechten und Interessen durch Informationsnetze betreffen. Geht es um das urheberrechtliche Verbreitungsrecht, stellt die OVG Informationsnetze II eine Ergänzung der SRVI-VO dar. Neben den Vorschriften des ECG sind die OVG IP E-Commerce und die OVGReplik IP Internet zu berücksichtigen. Erstere hat die Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums auf E-Commerce-Plattformen zum Gegenstand. In der OVGReplik IP Internet bezieht das OVG zu verschiedenen Fragen der Rechtsanwendung
563 Hierzu auch schon oben unter 3. Kapitel: Begrifflicher Gegenstand der Untersuchung. ), Az.: 2017 73 So auch das Gericht für geistiges Eigentum Beijing ( 1194 in Bezug auf das Verhältnis der SRVI-VO zum DelHaftG.
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bei Streitigkeiten über die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums im Internet Stellung.564
IV. Die notwendigen Maßnahmen i. S. d. ZGB, ECG und der SRVI-VO Nach § 14 S. 1 SRVI-VO kann die Löschung des verletzenden Werkes oder die Außerkraftsetzung der Verlinkung verlangt werden. Dies unterscheidet sich von den nicht abschließenden Aufzählungen des § 1195 Abs. 1 ZGB und vormals inhaltsgleich des § 36 Abs. 2 S. 1 DelHaftG565 sowie § 42 Abs. 1 ECG. Während in den Aufzählungen des ZGB und des DelHaftG beispielhaft nur die Löschung, Blockierung und die Außerkraftsetzung von Verlinkungen genannt werden, werden in § 42 Abs. 1 ECG darüber hinaus die Blockierung und das Beenden von Transaktionen und Dienstleistungen aufgezählt. Die in § 14 SRVI-VO aufgezählten Einzelheiten bezüglich des Inhaltes der Benachrichtigung stimmen im Wesentlichen mit jenen überein, die das ECG und das ZGB sowie deren zugehörige justizielle Auslegungen vorsehen. Der Netzdienstanbieter hat die Maßnahmen nach § 15 SRVI-VO unverzüglich zu ergreifen und die Benachrichtigung i. S. v. § 14 SRVI-VO an das Dienstleistungssubjekt weiterzuleiten, was mit § 42 Abs. 2 ECG und § 1195 Abs. 2 ZGB übereinstimmt. Ein Erfordernis des unverzüglichen Ergreifens der notwendigen Maßnahmen sah auch § 36 Abs. 2 S. 2 DelHaftG vor, der jedoch keine Weiterleitung der Benachrichtigung an den mutmaßlich deliktisch handelnden Netznutzer regelte. Mit der gesonderten Regelung der Weiterleitungspflicht in § 1195 Abs. 2 ZGB und § 42 Abs. 2 ECG erübrigt sich der Streit, ob diese als notwendige Maßnahme i. S. d. seinerzeit geltenden § 36 Abs. 2 DelHaftG qualifiziert werden kann.566
V. Das Recht zur Gegenanzeige § 16 SRVI-VO sieht ein Recht zur Gegenanzeige vor und präzisiert die Anforderungen an den Inhalt einer solche Nichtverletzungserklärung. Dies stimmt im 564
S. zur Replik auch oben, Fn. 28. ) Allerdings war in § 36 Abs. 2 S. 1 DelHaftG noch von dem „Verletzten“ ( die Rede, während der Gesetzgeber des ZGB sich für den Begriff des „Berechtigten“ ( ) entschieden hat. Da im Stadium der Benachrichtigung noch nicht klar ist, ob tatsächlich eine Rechtsverletzung erfolgt ist, wird diese terminologische Nachbesserung von Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 140, begrüßt. Da zu diesem Zeitpunkt ebenfalls nicht klar ist, ob der Berechtigte tatsächlich Rechtsinhaber ist, überzeugt dies jedoch nur bedingt. 566 Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 26. Siehe hierzu im Einzelnen oben unter c) Pflicht zur Weiterleitung als notwendige Maßnahme i. S. v. § 36 Abs. 2 DelHaftG. 565
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Wesentlichen mit den Regelungen des ZGB und ECG überein, unterscheidet sich hiervon aber in einem Punkt augenfällig. So sieht § 17 SRVI-VO die Pflicht des Netzdienstanbieters zur sofortigen Wiederherstellung des Werkes oder Links vor, nachdem er eine wirksame Gegenanzeige erhalten hat, während gemäß § 42 Abs. 2 S. 2 ECG insoweit eine Frist von fünfzehn Tagen gilt, die das OVG in § 3 S. 1 OVGReplik IP Internet in eine „vernünftige Frist“ geändert hat. Diese „vernünftige Frist“ sieht auch § 1196 Abs. 2 S. 2 ZGB vor. Innerhalb dieser Frist hat der Berechtigte an Rechten des geistigen Eigentums mitzuteilen, dass er Beschwerde eingelegt oder Klage erhoben hat. Eine Pflicht zum Hinweis auf die Möglichkeit der Einlegung einer Beschwerde oder Klageerhebung besteht nach § 43 Abs. 2 S. 1 ECG und § 1196 Abs. 2 S. 1 ZGB, nicht aber nach der SRVI-VO. Ferner darf der Rechtsinhaber im Anschluss hieran, anders als nach dem ECG und ZGB, gemäß § 17 S. 2 SRVI-VO nicht erneut nach § 14 SRVI-VO vorgehen; dies wird in Bezug auf die Benachrichtigungsregel des ZGB indes auch vom Schrifttum gefordert.567
VI. Der safe harbor § 20 SRVI-VO sieht einen sog. safe harbor568 für Anbieter automatischer Netzzugangsdienste oder Übertragungsdienste für Werke, Darbietungen oder audiovisuelle Aufzeichnungen des Dienstleistungssubjekts vor, wenn er auf dessen Anweisung handelt und die übermittelten Inhalte gemäß § 20 Nr. 1 SRVI-VO nicht ausgewählt oder verändert hat. Voraussetzung für den Eintritt in den safe harbor ist ferner gemäß § 20 Nr. 2 SRVI-VO, dass der Netzdienstanbieter die Inhalte den benannten Dienstleistungssubjekten zur Verfügung stellt und den Zugang hierzu anderen als diesen verwehrt. In den §§ 22 f. SRVI-VO werden Umstände aufgezählt, in denen Netzdienstanbieter, die Informationsspeicherplatz anbieten, damit ihre Nutzer569 durch den Dienst Werke, Darbietungen, Audio- oder Videoaufzeichnungen zur Verfügung stellen können, nicht für Rechtsverletzungen dieser Nutzer haften. In § 23 Hs. 1 SRVI-VO ist der Eintritt des Anbieters von Such- und Verlinkungsdiensten in den safe harbor geregelt. Hat ein Netzdienstanbieter die Verlinkung zu einem verletzenden Werk nach Erhalt einer wirksamen Benachrichtigung i. S. v. § 14 SRVIVO unterbrochen, haftet er nicht für die Rechtsverletzung. Dies gilt nach § 23 Hs. 1 SRVI-VO indes nicht, wenn er von der Rechtsverletzung wusste oder wissen musste. In einem solchen Fall haftet er wegen einer gemeinschaftlich begangenen Rechtsverletzung570 und damit nach § 1168 ZGB gesamtschuldnerisch mit dem Schädiger. Dieses Wissen oder Wissenmüssen ist gleichermaßen in § 1197 ZGB und § 45 ECG geregelt und unterscheidet sich in der Hinsicht von § 36 Abs. 3 DelHaftG, der le567
S. o., Fn. 403. S. hierzu im Einzelnen oben unter I. Dogmatisches Verständnis der Haftungsregeln. 569 Gemeint sind hier die Dienstleistungssubjekte. Hierzu ausführlich oben, 3. Kap., B. I. Netznutzer, E-Commerce-Betreiber und Dienstleistungssubjekte. 570 S. o., Fn. 54. 568
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diglich auf die Kenntnis des Netzdienstanbieters abstellte. Praktisch hat die Ergänzung der Regelungen des ZGB und des ECG um das Wissenmüssen des Netzdienstanbieters jedoch insoweit keine großen Auswirkungen, als auch der Wissensbegriff des § 36 Abs. 3 DelHaftG extensiv als Wissen und Wissenmüssen ausgelegt wurde.571
VII. Haftung des Absenders falscher Benachrichtigungen In dem Fall, dass eine Benachrichtigung i. S. v. § 14 SRVI-VO zu einer fälschlichen Löschung oder Außerkraftsetzung des Links zu einem Werk führt und dem Dienstleistungssubjekt dadurch ein Schaden entsteht, haftet der Absender der Benachrichtigung diesem gegenüber auf Ersatz dieses Schadens. Dies entspricht im Wesentlichen der Regelung des § 42 Abs. 3 S. 1 ECG. § 1195 Abs. 3 S. 1 ZGB sieht neben der Haftung gegenüber dem Netznutzer zudem eine Haftung gegenüber dem Netzdienstanbieter vor, sollte diesem ein Schaden entstehen. Im Gegensatz zu den Regeln der SRVI-VO und des ZGB ordnet § 42 Abs. 3 S. 2 ECG für Rechtsverletzungen an geistigem Eigentum eine doppelte Schadensersatzhaftung für den Fall an, dass die Benachrichtigung arglistig gesendet wurde.572
E. Gesamtanalyse Im Rahmen der folgenden Gesamtanalyse wird das Notice and Takedown-Verfahren unter besonderer Berücksichtigung der durch den Gesetzgeber des ECG und ZGB vorgenommenen Änderungen einer kritischen Bestandsaufnahme unterzogen.
I. Ausweitung des Anwendungsbereichs des Notice and Takedown-Verfahrens Der Anwendungsbereich der Benachrichtigungsregel der SRVI-VO, der sich nur auf das urheberrechtliche Verbreitungsrecht und bestimmte Arten von Netzdienstanbietern erstreckt, wurde durch das ECG auf alle Arten von Rechten des geistigen Eigentums, durch das DelHaftG und ZGB auf alle Arten ziviler Rechte sowie alle Arten von Netzdienstanbietern ausgeweitet.
571 Hierzu im Einzelnen s. u., 5. Kap., A. Gesetzgebungshistorische Hintergründe zu § 36 Abs. 3 DelHaftG. 572 Hierzu im Einzelnen s. o., C. Haftung des Absenders falscher Benachrichtigungen.
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1. Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs Die Sinnhaftigkeit der Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs der Benachrichtigungsregel von einem bloßen Schutz des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts auf den Schutz anderer Rechte des geistigen Eigentums durch das ECG sowie Rechtsverletzungen im Allgemeinen durch das ZGB ist nicht unumstritten.573 Vor dem Hintergrund dieser dem Gesetzgeber nicht unbekannten Problematik wurde schon während des Gesetzgebungsverfahrens des DelHaftG vorgeschlagen, die Benachrichtigungsregel hauptsächlich auf im Internet begangene Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums anzuwenden.574 Als Argument gegen die Ausweitung wurde unter Bezugnahme auf das US-amerikanische Recht vorgebracht, eine Differenzierung je nach Art des Rechts des geistigen Eigentums sei angesichts der unterschiedlichen Natur dieser Rechte angeraten.575 So verfügten große amerikanische Internetplattformen wie eBay und Twitter teils über Nutzervereinbarungen und Richtlinien zu Rechten des geistigen Eigentums, die in Anbetracht der Komplexität von Patentverletzungen häufig strengere Anforderungen an die im Rahmen des Notice and Takedown-Verfahrens einzureichenden Benachrichtigungen vorsähen. Mitunter werde verlangt, dass Rechtsinhaber zunächst eine gerichtliche Verfügung erwirken müssen, bevor die auf eine Benachrichtigung folgenden Maßnahmen ergriffen werden.576 Geht man von einer eingeschränkt materiellen Prüfpflicht des Netzdienstanbieters aus, stellt die Anwendung des Safe Harbor-Grundsatzes Netzdienstanbieter insbesondere bei wenig plastischen und schwierig zu bewertenden Patentverletzungen in der Tat vor erhebliche Herausforderungen, auch wenn es nur darum geht, vorläufige Urteile zu fällen, und es besteht ein großes Risiko von Fehlurteilen.577 Für den Netzdienstanbieter birgt dies die Gefahr einer doppelten Haftung einerseits gegenüber dem Patentinhaber wegen der Nichtergreifung der notwendigen Abhilfemaßnahmen und andererseits gegenüber dem auf der Plattform tätigen Betreiber wegen der unberechtigten Ergreifung solcher Maßnahmen. Vor diesem Hintergrund wäre eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Rechten des geistigen Eigentums angeraten. So ist es einfacher, urheberrechtlich geschützte Werke mit den mutmaßlich rechtsverletzenden Werken zu vergleichen, während sich 573 Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 30. Diese Frage wurde auch während des Gesetzgebungsverfahrens kontrovers diskutiert, Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 139. 574 Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 139 m. w. N. 575 Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 30. 576 Unter Rekurs auf das Urteil Blazer v. eBay, Inc., 2017 WL 1047572 (N.D. Ala. March 20, 2017), Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 30. Dass es auf die subjektive Fähigkeit des Plattformbetreibers ankomme, eine Patentverletzung festzustellen, betont auch das OVG in seiner Leitentscheidung Nr. 83 vom 6. 3. 2017; chinesisch-englische ]/pkulaw.cn [ ], IndexVersion abrufbar unter lawinfochina.com [ nummer CLI.C.8917466. 577 So auch Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 133. Zur Problematik der Anwendung der Benachrichtigungsregel auf Patentverletzungen auch Liu Jianchen, Intellectual Propery 2019/1, 45, 45 ff.; Zhan Ying, Studies in Law and Business 2017/6, 176, 176 ff.
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die Beantwortung der Frage, ob eine Patentverletzung vorliegt, schwierig gestaltet.578 Dies gilt auch angesichts der Tatsache, dass in China bei der Erteilung von Gebrauchsmuster- und Geschmacksmusterpatenten der Grundsatz der formellen und nicht der materiellen Prüfung angewandt wird, weshalb Unsicherheit hinsichtlich der Gültigkeit vieler Patentrechte besteht.579 Die durch das ZGB nochmals weitere Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Benachrichtigungsregel auf Persönlichkeitsrechte wird zu Recht mit dem Argument kritisiert, dass diese anders als beispielsweise Rechte des geistigen Eigentums ipso iure jede rechtsfähige Person genießt.580 Die daraus für jedermann folgende Möglichkeit, die Entfernung über Plattformen getätigter, persönlich als rufschädigend empfundener Äußerungen zu verlangen, birgt ein hohes Missbrauchspotenzial.581 Da die Höhe des entstandenen Schadens in der Praxis oft schwer zu beziffern ist, ist zweifelhaft, ob die Haftungsvorschrift für die Sendung falscher Benachrichtigungen des § 1195 Abs. 3 ZGB ausreicht, um den Missbrauch der Benachrichtigungsregel hinreichend zu reduzieren.582 Angesichts der mit der Geltendmachung dieses Anspruchs ferner einhergehenden Verzögerung und Unsicherheiten sowie Kosten ist die insoweit getroffene Haftungsregel nicht mit dem in § 17 SRVI-VO geregelten Erfordernis der sofortigen Wiederherstellung des Werks nach Erhalt einer Gegenanzeige vergleichbar.583 Das OVG hat die mit den verschiedenen Rechten des geistigen Eigentums einhergehenden divergierenden Herausforderungen indes insoweit erkannt, als es in § 4 OVG IP E-Commerce klargestellt hat, dass E-CommercePlattform-Betreiber spezifische Durchführungsmaßahmen für die Benachrichtigungsregel i. S. v. §§ 41 ff. ECG ergreifen können, die sich an der Art des Rechts des 578
So auch Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 31. Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 31; zur Schwierigkeit der Feststellung von Patentverletzungen auch die Forschungsgruppe des Mittleren Volksgerichts Zhejiang Ningbo (Hong Jing), People’s Judicature (Application) 2018/4, 61, 63; a. A. Li Wei/ Feng Qiuxiang, Electronics Intellectual Property 2019/11, 41, 42 ff., die in dem Grundsatz der formellen Prüfung ebenfalls eine Gefahr missbräuchlicher Benachrichtigungen sehen, aber zugleich davon ausgehen, dass Plattformbetreiber in der Lage dazu seien, Patentverletzungen zu erkennen und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. 580 Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 32. 581 Vgl. Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 32; so auch Jirimutu, Tribune of Social Sciences 2021/4, 130, 131; vgl. auch Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 133. Die Schwierigkeit, bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen die Wahrheit der in Rede stehenden Tatsachen festzustellen, betonen auch Li Yang/Chen Shuo, Intellectual Property 2020/1, 25, 31. 582 Vgl. auch Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 32. Jirimutu, Tribune of Social Sciences 2021/4, 130, 131, weist zudem darauf hin, dass die Benachrichtigungsregel eine kostengünstigere Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen als in einem Zivilprozess erlaube. Zur Bezifferung der Schadenshöhe s. auch unten, Fn. 634. 583 Vgl. in Bezug auf die Parallelregelung des § 42 Abs. 3 ECG Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 59, der resümiert, die Haftungsregel scheine lediglich theoretisch zur Herstellung eines Interessengleichgewichts geeignet, sei dies aber in der Praxis nicht. 579
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geistigen Eigentums sowie den Charakteristika der Waren und Dienstleistungen orientieren. 2. Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereichs Ob die im Rahmen des persönlichen Anwendungsbereichs des Notice and Takedown-Verfahrens des ZGB üblicherweise vorgenommene Differenzierung zwischen Webtechnologiedienst- und Webinhaltsdienstanbietern584 im Lichte der zwischen diesen beiden zunehmend verschwimmenden Grenzen noch zeitgemäß ist, darf ebenfalls angezweifelt werden. So sind im Zuge der technologischen Entwicklung neben Speicher-, Zugangs-, Standortbestimmungs-, Such- und Verlinkungsdiensten komplexere Formen der Netzdienste hinzugetreten.585 So wird beispielsweise die Frage aufgeworfen, ob ein Online-Suchdienst mit wettbewerbsrelevantem Ranking als Webtechnologiedienstanbieter oder Webinhaltsdienstanbieter zu verstehen ist.586 Auch die Antwort auf die Frage, wie soziale Medien einzuordnen sind, sei nicht eindeutig. Die undifferenzierte Anwendung der Benachrichtigungsregel auch auf diese Grenzfälle sei vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Ausgestaltung der einzelnen Plattformen fragwürdig und eine einzelfallgerechte Anpassung der Regel angemessen.587 In der Tat ist die in der stärker am DMCA ausgerichteten SRVI-VO getroffene Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Netzdienstanbietern im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Benachrichtigungsregel angesichts deren unterschiedlicher technischer Eigenschaften sinnvoll. Denn nur jene Netzdienstanbieter sind taugliche Adressaten der Benachrichtigungsregel, die technisch in der Lage dazu sind, die beanstandeten mutmaßlich rechtsverletzenden Informationen genau zu lokalisieren und sich Zugang zu diesen zu verschaffen.588 Die Formulierung in § 1195 Abs. 2 ZGB, die notwendigen Maßnahmen seien „aufgrund des Dienst584
Hierzu oben, Kap. 3, 1. Begriffsbestimmung des Netzdienstanbieters durch das OVG. So auch Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 133 f., der zudem feststellt, deren Regulierung sei komplizierter. S. hierzu auch oben, Kap. 3, 3. Grenzfälle. 586 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 133. 587 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 133 f. Auch Zheng Peng, Northern Legal Science 2020/4, 32, 32 f., fordert die Unterscheidung zwischen Netzdienstanbietern, die lediglich passiv Informationen übermitteln und diese nicht speichern oder in sie eingreifen, und jenen, die die Informationsübermittlung zu kommerziellen Zwecken überwachen und kontrollieren. Die Tatsache, dass es keine einheitliche Regelung des Anwendungsbereichs in den verschiedenen Regelwerken gibt, erhöhe nicht nur die Betriebskosten von Netzdienstanbietern, sondern sei auch der Eindämmung von online begangenen Rechtsverletzungen abträglich. Zheng Peng spricht sich vor diesem Hintergrund dafür aus, das Nichtwissen des ECommerce-Plattform-Betreibers von Rechtsverletzungen i.S.v. § 45 ECG für den Fall, dass ) aufweist, zu vermuten. Zu § 45 ECG ausführlich dieser „Technologieneutralität“ ( in Kapitel 5: Die Wissensregeln des DelHaftG, ZGB, ECG und der SRVI-VO. 588 So auch Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 33, der konkret fordert, dass die derzeit gängigen Arten von E-Commerce-Plattformen und Social-Media-Plattformen Adressaten der Benachrichtigungsregel sein könnten, nicht jedoch Anbieter von Netzzugangsdiensten, Instant-Messaging-Diensten und Caching-Diensten. 585
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typs“ zu ergreifen, ist insoweit bereits relativierend.589 Hieran wird zu Recht kritisiert, dass eine Differenzierung je nach Diensttyp zwar in Bezug auf die zu ergreifenden notwendigen Maßnahmen, nicht aber in Bezug auf die Pflicht zur Weiterleitung der Benachrichtigung und die nach Beendigung der Maßnahmen einzuleitenden Schritte erfolgt ist, was dazu geführt hat, dass es im Hinblick auf die unterschiedlichen technischen Voraussetzungen der Netzdienstanbieter in Bezug auf diese Fragen nach wie vor Schwierigkeiten gibt.590 So konstatiert Zhou Xuefeng, es wäre zielführender gewesen, weniger hermeneutisch vorzugehen und die Benachrichtigungsregel stattdessen klar neu zu formulieren sowie ihren Anwendungsbereich eindeutig zu definieren, um Netzdienstanbietern klare Verhaltensvorgaben zur Verfügung zu stellen. Dabei seien Netzdienstanbieter, die Such- und Verlinkungsdienste anbieten, von der Pflicht zur Weiterleitung der Benachrichtigung auszunehmen.591 Sicherlich lässt sich de lege lata angesichts der Tatsache, dass die Weiterleitung im Rahmen des § 36 Abs. 2 DelHaftG noch als notwendige Maßnahme verstanden wurde und angesichts der spiegelbildlichen Ausgestaltung der Benachrichtigung und Gegenanzeige eine Ausweitung der Einschränkung aufgrund des Diensttyps auch in Bezug auf die Weiterleitung vertreten, auch wenn diese nunmehr als unabhängiges Bindeglied verstanden wird.592 Im Lichte der Kritik an der Ausdehnung des persönlichen Anwendungsbereichs der Benachrichtigungsregel wird im Schrifttum vorgeschlagen, eine systematische Auslegung des Begriffs des Netzdienstanbieters in den §§ 1195 ff. ZGB anhand der in den §§ 14 und 20 SRVI-VO vorgenommenen Kategorisierung von Netzdienstanbietern in Anbieter von Informationsspeicherplatz, Such- und Verlinkungsdiensten einerseits sowie Anbieter automatischer Zugangs-, Übertragungs- und Speicherdienste andererseits vorzunehmen.593 Hierfür lässt sich aus rechtshistorischer Sicht der Ursprung der Regel im US-amerikanischen Recht anführen. Von stärkerer Durchschlagskraft ist jedoch die Tatsache, dass der Gesetzgeber sich bewusst für eine Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs der SRVI-VO durch § 36 DelHaftG entschieden hat. Das Festhalten an dem Regelungsmodell des DelHaftG durch das ZGB ist ebenfalls bewusst erfolgt. Der Vorschlag, im Wege einer justiziellen Auslegung festzulegen, dass die §§ 42 ff. ECG nicht für Patentrechtsstreitigkeiten gelten594, ist im Hinblick auf die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung595 problematisch und daher im Ergebnis abzulehnen. Dogmatisch 589
Vgl. auch Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 34. Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 34 f. 591 Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 34 f. 592 S. hierzu oben unter a) Wesentlicher Inhalt der §§ 1195 f. ZGB und §§ 42 f. ECG. 593 Jirimutu, Tribune of Social Sciences 2021/4, 130, 132. 594 So Zhang Defen, Intellectual Property 2019/3, 41, 49; für einen Ausschluss der Anwendbarkeit der Benachrichtigungsregel auf Patentrechtsstreitigkeiten im Ergebnis auch Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 12. 595 Diese müssen gemäß § 104 Abs. 1 S. 1 GGG dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers entsprechen. S. hierzu ausführlich Pißler, RabelsZ 2016/2, 372, 389 f. 590
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überzeugender wäre eine Nachbesserung durch den Gesetzgeber selbst, die sich stärker an der ursprünglich nur für das urheberrechtliche Verbreitungsrecht getroffenen Regelung orientiert und ein ausdifferenzierteres, den Besonderheiten der verschiedenen Rechte des geistigen Eigentums gerecht werdendes Schutzregime erkennen lässt.596 Gleichzeitig wird der persönliche Anwendungsbereich des Rechts zur Gegenanzeige für zu eng befunden, da Dritten, die von Benachrichtigungen über Rechtsverletzungen tangiert sind, kein Recht zur Gegenanzeige eingeräumt wird.597 Wenn beispielsweise ein Netzdienstanbieter einen bestimmten Namen sperrt, würden auch die Namen anderer Betreiber mit demselben Namen gesperrt und erlitten hierdurch möglicherweise Schäden, weshalb auch Dritten, die durch die Maßnahmen der Netzdienstanbieter geschädigt werden, zum Schutz ihrer Interessen ein Recht zur Gegenanzeige einzuräumen sei.598 Diese Kritik dürfte mit Blick auf die zunehmenden Möglichkeiten von Netzdienstanbietern zur zielgenauen Ergreifung notwendiger Maßnahmen praktisch von geringerer Bedeutung sein.
II. Regelung der Weiterleitungspflicht des Netzdienstanbieters Dass die Pflicht von Netzdienstanbietern zur Weiterleitung durch die §§ 1195 Abs. 2 ZGB und 42 Abs. 2 ECG gegenüber § 36 Abs. 2 DelHaftG599 ausdrücklich in eine allgemeine Pflicht umgewandelt wurde,600 wird angesichts der damit verbundenen Kosten als Belastung für kleine und mittelständische Unternehmen gesehen.601 Gewichtiger ist der Beitrag der Regelung zur Rechtssicherheit, der darin besteht, dass die Gerichte sich nun keiner extensiven Auslegung des Begriffs der notwendigen Maßnahmen mehr behelfen müssen. Dies gilt auch angesichts des so sichergestellten Informationsgleichgewichts zwischen Rechtsinhaber und vermeintlichem Schädiger. Positiv ist an der Einführung einer Weiterleitungspflicht ferner das kleiner ausfallende Missbrauchsrisiko zu bewerten.602 Gleichzeitig birgt die Weiterleitungspflicht die Gefahr, dass die rechtzeitige Bearbeitung der Verletzungsanzeige 596 A. A. Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 139, der die Anwendung der Benachrichtigungsregel auf alle Arten von Rechtsverletzungen unter dem Gesichtspunkt befürwortet, dass es oft schwierig oder unmöglich sei, die direkten Schädiger zu ermitteln. Die Benachrichtigungsregel diene daher dem effizienten Schutz aller Rechtsträger. 597 So auch Yang Lixin/Li Jialun, Science of Law 2012/2, 157, 159 f. 598 Yang Lixin/Li Jialun, Science of Law 2012/2, 157, 159 f. 599 Anders vor Erlass des ZGB und ECG indes auch schon § 15 SRVI-VO, der die Pflicht zur Weiterleitung explizit vorsieht. 600 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 266. Zuvor betrachteten die Gerichte diese teils als notwendige Maßnahme i. S. v. § 36 Abs. 2 DelHaftG, s. hierzu oben unter c) Pflicht zur Weiterleitung als notwendige Maßnahme i. S. v. § 36 Abs. 2 DelHaftG. 601 Yang Xudong, Electronics Intellectual Property 2021/3, 50, 58. 602 Zu diesem Missbrauchsrisiko im Einzelnen oben unter b) Das Recht zur Gegenanzeige.
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verzögert wird und etwaige Schäden sich vergrößern.603 Auch Yang Xudong sieht den eigentlichen Wert der Weiterleitungspflicht nicht in der sofortigen Beseitigung von Rechtsverletzungen, sondern darin, Rechtsverletzer durch die Nachricht aufzuklären, damit diese wissen, dass die Rechtsverletzung entdeckt wurde und das Versäumnis, die Verletzung von sich aus einzustellen, entsprechende strengere rechtliche Konsequenzen nach sich zieht. Insofern liege der Wert der eingeführten Weiterleitungspflicht vor allem in ihrer präventiven Wirksamkeit.604 Dies gilt umso mehr, als ein beträchtlicher Anteil der im Internet begangenen Rechtsverletzungen im Bereich der Rechte des geistigen Eigentums fahrlässig erfolgen dürfte, da die Immaterialität ein wesentliches Merkmal dieser Rechte ist und ihre Bestimmung oft ein spezielles Know-how erfordert.605 Im Schrifttum wird gleichwohl gefordert, den Umfang der Weiterleitungspflicht des § 1195 Abs. 2 ZGB wie in § 15 SRVI-VO und dem ECG auf bestimmte Arten von Netzdienstanbietern zu beschränken, da diesen keine unerfüllbaren Pflichten auferlegt werden dürften. Demnach sei erforderlich, dass Netzdienstanbieter überhaupt über die Fähigkeit verfügen, die Identität und Kontaktinformationen der zu benachrichtigenden Partei zu erfassen.606 Ferner komme die Durchsetzung der Weiterleitungspflicht nicht in Betracht, wenn die tatsächlichen Kosten für die Umsetzung der Pflicht eine angemessene Grenze weit überschreiten.607 Dies dürfte im Lichte bestehender technischer Möglichkeiten allerdings eher selten der Fall sein.
III. Regelung der Haftung für falsche Benachrichtigungen Durch den Erlass von § 5 OVG-Replik IP Internet hat das OVG Klarheit bezüglich der Frage nach dem Erfordernis eines subjektiven Elementes für die Haftung für falsche Benachrichtigungen nach § 42 Abs. 3 S. 1 ECG geschaffen und so für die Umsetzung der in Art. 1.13 Nr. 2 lit. b in Abschnitt E des Phase One Trade Agreements zwischen China und den USA608 vorgesehenen Verpflichtung zur Eliminierung der Haftung für falsche Benachrichtigungen gesorgt, die in gutem Glauben gesendet wurden. Dies überrascht auch mit Blick auf das nationale Recht sowie den in § 1165 Abs. 1 ZGB niedergelegten Grundsatz der Verschuldenshaftung und der nur in Ausnahmefällen vorkommenden verschuldensunabhängigen Haf-
603
So auch Yang Xudong, Electronics Intellectual Property 2021/3, 50, 58. Yang Xudong, Electronics Intellectual Property 2021/3, 50, 58 m. w. N., der sich insoweit auf Ausführungen zum US-amerikanischen Recht stützt. 605 So auch Yang Xudong, Electronics Intellectual Property 2021/3, 50, 58, der postuliert, ein Großteil der im Internet begangenen Rechtsverletzungen im Bereich des geistigen Eigentums erfolge fahrlässig. 606 Vgl. Yang Xudong, Electronics Intellectual Property 2021/3, 50, 60. 607 Yang Xudong, Electronics Intellectual Property 2021/3, 50, 61. 608 S. o., Fn. 18. 604
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tung609 wenig. Die Entscheidung des OVG gegen eine verschuldensunabhängige Haftung und für vermutetes Verschulden stellt einen Kompromiss dar, der sich in das bestehende Haftungssystem einfügt. Die Lücke, die durch die fehlende gesetzliche Regelung der arglistigen Sendung von Gegenanzeigen im ECG entsteht, hat das OVG durch § 4 OVG-Replik IP Internet610 geschlossen. Mit der Übernahme von Haftungsregeln für falsche Benachrichtigungen, die arglistig gesendet wurden, ist der chinesische Gesetzgeber seiner in Art. 1.13 Nr. 2 lit. d Var. 2 in Abschnitt E des Phase One Trade Agreements611 eingegangenen Verpflichtung nachgekommen, falsche Benachrichtigungen und Gegenanzeigen zu sanktionieren, die arglistig gesendet wurden. Ziel der aus einer arglistig falsch gesendeten Benachrichtigung folgenden Schadensersatzhaftung in doppelter Höhe ist es unter anderem, abschreckende Wirkung zu entfalten, um der arglistigen Sendung falscher Benachrichtigungen im Bereich des Markenrechts vorzubeugen.612 Sie erinnert an den nunmehr in § 1232 ZGB explizit gesetzlich vorgesehenen Strafschadensersatz. Da sich das Problem arglistig falsch gesendeter Benachrichtigungen vor allem im Bereich des Markenrechts stellt, leuchtet ein, dass nur im ECG, in dem das Notice and Takedown-Verfahren mit Blick auf den Schutz von Rechten des geistigen Eigentums geregelt ist, eine zugehörige Haftungsregel getroffen wurde. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch die Öffnungsklausel des § 1195 Abs. 3 S. 2 ZGB für andere gesetzliche Bestimmungen, die für Rechtsverletzungen an geistigem Eigentum als Verweis auf § 42 Abs. 3 S. 2 ECG zu verstehen ist.613 Die Kriterien zur Bestimmung der Arglist, die das OVG in § 6 OVG IP E-Commerce dargelegt hat, bieten eine Orientierungshilfe für den Rechtsanwender, ersetzen jedoch keine sorgfältige Beurteilung eines jeden Einzelfalls.
IV. Exkurs: Die Benachrichtigungsregel im Gefüge des einstweiligen Rechtsschutzes Das Notice and Takedown-Verfahren wird als Selbsthilfemechanismus bezeichnet, der eine Klageerhebung nicht voraussetzt und an die Besonderheiten des Schutzes von Rechten im Internet sowie die insoweit bestehenden Bedürfnisse angepasst ist.614 Da im Rahmen dieses Selbsthilfemechanismus zeitnah Abhilfe bei online begangenen Rechtsverletzungen geschaffen wird, stellt sich die Frage nach 609 Vgl. nur Du Ying, Electronics Intellectual Property 2021/4, 4, 9; Huang Wei (Hrsg.), Erläuterung der deliktischen Haftung im Entwurf des ZGB der VR China, 2020, S. 6; Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 114. 610 Zur Replik s. o., Fn. 28. 611 S. o., Fn. 18. 612 Liu Xiaochun, Journal of Graduate School of Chinese Academy of Social Sciences 2019/2, 124, 127. 613 Vgl. Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 142. 614 Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 58.
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dem Verhältnis dieses Verfahrens zum System des einstweiligen Rechtsschutzes.615 In § 1.11 in Abschnitt C des Phase One Trade Agreements616, der geistiges Eigentum im Zusammenhang mit Arzneimitteln regelt, ist vorgesehen, dass die Unterzeichnerstaaten die einstweilige Verfügung als einen wirksamen Mechanismus zur Beilegung von Patentstreitigkeiten vorsehen. Im chinesischen Recht ist die einstweilige Verfügung als vorprozessualer Bestandsschutz bekannt, und die Benachrichtigungsregeln des chinesischen Rechts werden insoweit als gleichwertige wirksame Zwischenmaßnahme gesehen.617 Daraus, dass die Aufforderung eines Rechtsinhabers an einen Netzdienstanbieter, ein mutmaßlich rechtsverletzendes Produkt oder eine Dienstleistung zu entfernen, im Wesentlichen dem vorprozessualen Bestandsschutz gleichkommt, wird deren Charakter als Eingriff in das fein ausdifferenzierte System des bestehenden einstweiligen Rechtsschutzes deutlich.618 Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass private Netzdienstanbieter durch ihre Pflicht zur Umsetzung der Benachrichtigungsregel Aufgaben übernehmen, die genuin in den Zuständigkeitsbereich staatlicher Gerichte fallen.619 Dies wirkt sich insbesondere bei schwieriger zu beurteilenden Patentverletzungen aus, bei denen es auf die besondere Fachkenntnis des Richters ankommt.620 1. Interessenungleichgewicht zwischen Rechtsinhabern und Schädigern Nach § 1195 ZGB und § 42 ECG muss ein Rechtsinhaber seiner Benachrichtigung lediglich Anfangsbeweise621 beifügen, und der Netzdienstanbieter ergreift auf dieser Grundlage die notwendigen Maßnahmen. Selbst wenn der vermeintliche Schädiger Beweise dafür vorbringen kann, dass keine Rechtsverletzung vorliegt, darf der Netzdienstanbieter die zuvor ergriffenen Maßnahmen erst innerhalb einer angemessenen Frist wieder rückgängig machen, § 1196 Abs. 2 ZGB, § 3 OVG-Replik 615 Diese Frage aufwerfend auch Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 53. Zum einstweiligen Rechtsschutz im Bereich des geistigen Eigentums ausführlich Ganea, ZChinR 2017/4, 288, 288 ff. 616 S. o., Fn. 18. 617 Li Xiaoqiu/Li Xueqian, Journal of University of Science and Technology Beijing 2020/ 6, 81, 82; Liu Tieguang/Li Zhida, Journal of Changzhou University 2017/4, 14, 20. 618 So auch Chen Yu, People’s Judicature 2020/25, 88, 89; Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 31 f.; Jirimutu, Tribune of Social Sciences 2021/4, 130, 131; Liu Xiaochun, Journal of Graduate School of Chinese Academy of Social Sciences 2019/2, 124, 124 ff.; He Qiong/Lü Lu, Electronics Intellectual Property 2016/5, 11, 14 f.; Liu Runtao, Academic Exchange 2017/12, 74, 76; Forschungsgruppe des Mittleren Volksgerichts Zhejiang Ningbo, People’s Judicature (Application) 2018/4, 61, 63. 619 Vgl. auch Li Xiaoqiu/Li Xueqian, Journal of University of Science and Technology Beijing 2020/6, 81, 83. 620 Vgl. Li Xiaoqiu/Li Xueqian, Journal of University of Science and Technology Beijing 2020/6, 81, 85. 621 . Zu den Anforderungen an diese Art von Beweis ausführlich unter a) Wesentlicher Inhalt der §§ 1195 f. ZGB und §§ 42 f. ECG.
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2. Teil: Die Verkehrspflichten i. R. d. Notice and Takedown-Verfahrens
IP Internet, nachdem eine Beschwerde- oder Klageerhebung des vermeintlichen Schädigers ausgeblieben ist.622 Innerhalb dieses Zeitfensters kann es jedoch insbesondere im Bereich von Rechten des geistigen Eigentums bereits zu schwer auszugleichenden Schäden kommen.623 Speziell in Bezug auf Patentverletzungen wird auf die Gefahr hingewiesen, dass selbsternannte Patentinhaber es sich zunutze machen könnten, dass die Prüfung von Patentrechten im Gegensatz zu Urheber- und Markenrechten ein höheres Maß an Fachwissen erfordert und wesentlich schwieriger ist.624 Es bestehe die Gefahr, dass verwirrende und arglistige Benachrichtigungen zu für den Wettbewerb zentralen Zeitpunkten abgesendet und Konkurrenten so geschadet werde. Zwar sei die Möglichkeit der Absendung einer Gegenanzeige gesetzlich vorgesehen, jedoch sei diese abzugeben, nachdem der Plattformbetreiber die notwendigen Maßnahmen ergriffen hat, und die Erklärung habe nicht die rechtliche Wirkung, die notwendigen Maßnahmen unmittelbar nach ihrer Abgabe zu beenden. Kommerzielle Gelegenheiten seien flüchtig, und obwohl das ECG eine Haftung für falsche und arglistig falsche Benachrichtigungen vorsieht, sei wahrscheinlich, dass der Schaden, den ein auf einer Plattform tätiger Betreiber hierdurch erleidet, nur schwierig zu ersetzen ist. Selbst wenn der Anspruch besteht, könne es Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Beweisen und lange Vorlaufzeiten für die Rechtsdurchsetzung geben, und die niedrige Schwelle für die Benachrichtigungsregel verstärke die Gefahr einer Vielzahl arglistiger Benachrichtigungen. Dies erhöhe den Prüfaufwand und das rechtliche Risiko für Plattformbetreiber und beeinträchtige deren Geschäftsbetrieb. Durch die Benachrichtigungsregel würden so einseitig die Rechte der Benachrichtigenden geschützt, während der Schutz der Interessen der Adressaten sowie die praktischen Schwierigkeiten von Netzdienstanbietern außer Acht gelassen würden.625 In Fällen, in denen die Feststellung einer Rechtsverletzung 622
Du Ying, Electronics Intellectual Property 2021/4, 4, 10 f., stellt dies in Frage und fordert diesbezüglich eine gesetzliche oder richterliche Klärung. Spiegelbildlich stelle sich die Frage, ob der Plattformbetreiber die ergriffenen Maßnahmen auch nach Ablauf einer angemessenen Frist aufrechterhalten kann, wenn der Berechtigte keine Beschwerde einreicht oder Klage erhebt, obwohl tatsächlich eine Rechtsverletzung vorliegt. 623 Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 59; Li Wei/Feng Qiuxiang, Electronics Intellectual Property 2019/11, 41, 46. 624 Li Xiaoqiu/Li Xueqian, Journal of University of Science and Technology Beijing 2020/ 6, 81, 83. 625 Vgl. Li Xiaoqiu/Li Xueqian, Journal of University of Science and Technology Beijing 2020/6, 81, 83; a. A. Yang Lixin/Li Jialun, Science of Law 2012/2, 157, 158 ff., die die Benachrichtigungsregel für geeignet halten, um die Rechte von Betreibern und Rechtsinhabern in ausgewogener Weise zu schützen. Um dem so entstehenden Interessenungleichgewicht entgegenzuwirken, wird zudem die Ermittlung der notwendigen Maßnahmen nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorgeschlagen, Yang Lixin, Untersuchung des DelHaftG Chinas, 2018, S. 264; Li Xiaoqiu/Li Xueqian, Journal of University of Science and Technology Beijing 2020/6, 81, 85 f., verweisen in diesem Zusammenhang auch auf das abgestufte Reaktionssystem des Vereinigten Königkreichs und Frankreichs im Bereich von im Internet begangenen Urheberrechtsverletzungen. Nach diesem System würden die Maßnahmen strenger, je mehr wiederholte Verstöße durch denselben Absender einer Benachrichtigung mithilfe der Big Data-Analyse von Netzdienstanbietern erfasst werden.
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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einfach ist und die durch den Rechtsinhaber vorgelegten Beweise besonders aussagekräftig sind, wie beispielsweise bei der Verletzung von Geschmacks- und Gebrauchsmustern, wenn der Rechtsinhaber einen Bericht der Patentverwaltungsabteilung des Staatsrats626, einen Bericht über die Bewertung der Patentrechte oder eine Entscheidung der Patentprüfungskommission über die Gültigkeit des Patentrechts vorgelegt hat, wird in dem Notice and Takedown-Verfahren indes ein effizienter Mechanismus zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gesehen. In diesen Fällen sei die Gefahr von Fehlurteilen reduziert und die Kapazitäten der Plattformbetreiber, im Gegensatz zu den Gerichten zügiger angemessene Maßnahmen ergreifen zu können, komme zum Tragen.627 2. § 9 OVG IP E-Commerce i. V. m. §§ 100 f. ZPG Vor dem Hintergrund dieser Interessenlage weist das OVG in § 9 Abs. 2 OVG IP E-Commerce auf den in §§ 100 f. ZPG a. F.628 geregelten einstweiligen Rechtsschutz für dringende Umstände hin, der nunmehr den §§ 103 f. n. F. ZPG entspricht.629 Ergreift ein E-Commerce-Plattform-Betreiber in dringenden Fällen630 nicht unverzüglich Maßnahmen wie die Wiederherstellung des Links zu einem auf der Grundlage einer Benachrichtigung i. S. v. § 42 ECG entfernten Produkt, wodurch die berechtigten Interessen eines an Rechten des geistigen Eigentums Berechtigten in schwer auszugleichender Weise geschädigt werden, kann der Berechtigte gemäß den §§ 100 f. ZPG631 bei einem Volksgericht Maßnahmen zur Erhaltung seines Rechts beantragen. Was Rechtsverletzungen betrifft, die sich nicht auf E-CommercePlattformen, sondern durch andere Netzdienste vollziehen, sind die §§ 103 f. ZPG direkt anwendbar. Während der einstweilige Rechtsschutz teils als ausreichend betrachtet wird, um das zuvor dargelegte Interessenungleichgewicht abzufedern,632 sehen andere die Zurverfügungstellung einstweiligen Rechtsschutzes parallel zum Notice and Takedown-Verfahren kritisch, da die Regelungen des ECG und ZGB über falsche und arglistig falsch gesendete Benachrichtigungen633 ausreichten und ein hinreichender Schutz dadurch gewährleistet sei, dass Netzdienstanbieter nicht nach ihnen han626 Geschmacks- und Gebrauchsmuster werden ebenfalls im PatG Chinas geregelt, vgl. § 2 Abs. 1 PatG. 627 Li Xiaoqiu/Li Xueqian, Journal of University of Science and Technology Beijing 2020/ 6, 81, 85. 628 Gemeint ist die am 27. 6. 2017 verkündete und am 1. 7. 2017 in Kraft getretene Fassung. 629 Zum einstweiligen Rechtsschutz ausführlich Hübner, in: Pißler (Hrsg.), Handbuch des chinesischen Zivilprozessrechts, 2018, S. 289 ff. 630 . 631 Nunmehr in der Fassung des ZPG in der Fassung vom 24. 12. 2021 die gleichlautenden §§ 103 f. ZPG. 632 Vgl. Du Ying, Electronics Intellectual Property 2021/4, 4, 11. 633 Hierzu ausführlich oben unter C. Haftung des Absenders falscher Benachrichtigungen.
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deln.634 Mit dieser zusätzlichen Möglichkeit der Verhaltenssicherung würde Rechtsinhabern ihr Benachrichtigungsrecht in unangemessener Weise auf Verdacht hin genommen, und es erfolge eine Verlagerung der dem E-Commerce-PlattformBetreiber obliegenden Entscheidung über die notwendigen und angemessenen Maßnahmen auf die Gerichte, welche die Angemessenheit der ergriffenen Maßnahmen nur indirekt im Rahmen der Prüfung des Verschuldens des Netzdienstanbieters zu prüfen hätten.635 Konträr hierzu wird vertreten, der durch § 9 OVG IP ECommerce i. V. m. §§ 103 f. ZPG gewährte Mechanismus sei ungeeignet, dem mit der Benachrichtigungsregel einhergehenden Missbrauchsrisiko entgegenzuwirken.636 Dieses Missbrauchsrisiko ergebe sich auch daraus, dass ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz kostenintensiver sei.637 Der Antragssteller habe in der Regel eine Sicherheitsleistung638 in der Höhe des Schadens, der dem Antragsgegner durch die Vollstreckung des vorgerichtlichen Rechtsschutzes entstehen könnte, für den Fall zu erbringen, dass sein Antrag unbegründet ist.639 Das Gericht habe zudem bei seiner Prüfung zu berücksichtigen, ob die Unterlassung von Erhaltungsmaßnahmen einen nicht wiedergutzumachenden Schaden der Rechte und Interessen des Antragsstellers bedeuten würden.640 Ein weiterer Unterschied zwischen dem einstweiligen Rechtsschutz und der Benachrichtigungsregel liege darin, dass ersterer zwingende staatliche Maßnahmen nach sich ziehe und gesetzlich vorgesehen sei, dass die Volksgerichte innerhalb von 48 Stunden nach Einreichung des Antrags eine Entscheidung treffen müssen. Dies sei für die Antragssteller sicherer, jedoch sei anzumerken, dass innerhalb von 48 Stunden eine Prüfung sowohl des Anspruchs auf einstweiligen Rechtsschutz als auch der Gründe erfolgen muss. Dies sei kein ge634 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 142; a. A. Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 28, der die Feststellung der Schadenshöhe für schwierig und die Feststellung, ob Arglist vorliegt, für noch schwieriger hält, sodass die Rechtsmittel, die geschädigten Händlern zur Verfügung stehen, nur sehr begrenzt seien. Ein Beispiel für die Abweichung der Gerichte im Rahmen der Schadensbemessung seien die Urteile des Mittleren ), Az.: 2016 01 9457 Volksgerichts Guangzhou ( , das in dem Fall einer falschen an die Plattform Taobao gesendeten Benachrichtigung auf Schadensersatz i. H. v. 20.000 Yuan erkannte, während das Obere Volksgericht der Provinz Guangdong ( ), Az.: 2017 1823 in zweiter Instanz eine Ersatzsumme von 50.000 Yuan festsetzte. 635 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 142. 636 Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 34; Jirimutu, Tribune of Social Sciences 2021/4, 130, 139. S. hierzu im Einzelnen auch oben unter b) Das Recht zur Gegenanzeige. 637 Li Xiaoqiu/Li Xueqian, Journal of University of Science and Technology Beijing 2020/ 6, 81, 85. 638 Vgl. § 103 Abs. 2 und § 104 Abs. 1 ZPG. 639 Li Xiaoqiu/Li Xueqian, Journal of University of Science and Technology Beijing 2020/ 6, 81, 84. Das Erfordernis der Erbringung einer Sicherheitsleistung sei zugleich ein Nachteil für kleinere Unternehmen, weshalb das Notice and Takedown-Verfahren für diese insoweit einen Vorteil darstelle, S. 87. 640 Li Xiaoqiu/Li Xueqian, Journal of University of Science and Technology Beijing 2020/ 6, 81, 84.
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ringerer Umfang als im herkömmlichen Verfahren, im Rahmen dessen das Gericht eine Entscheidung innerhalb von sechs Monaten zu treffen habe.641 Das Risiko von Fehlentscheidungen sei auch in diesem Rahmen enorm.642 3. Änderungsvorschläge Im Lichte der dargelegten Problematik wird vorgeschlagen, das Notice and Takedown-Verfahren wie folgt zu ändern: Benachrichtigung durch den Rechtsinhaber – Weiterleitung der Benachrichtigung durch den Netzdienstanbieter – Gegenbenachrichtigung durch den beschuldigten Nutzer – Bearbeitung der Benachrichtigung durch den Netzdienstanbieter, der ein eigenes Urteil fällt.643 Stelle der Netzdienstanbieter in gutem Glauben und von sich aus fest, dass die durch den Nutzer hochgeladenen Informationen eine Rechtsverletzung darstellen, habe er sie unverzüglich zu entfernen; stelle er in gutem Glauben fest, dass die durch den Nutzer eingestellten Informationen keine Rechtsverletzung darstellen, könne er den Antrag auf Entfernung ablehnen. Wenn der Nutzer die mutmaßlich rechtsverletzenden Informationen nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach Erhalt einer von dem Netzdienstanbieter übermittelten Benachrichtigung über die Rechtsverletzung selbst entferne und keine Gegenbenachrichtigung sende, könne der Netzdienstanbieter auch auf Antrag des Rechtsinhabers eine Entscheidung über die Entfernung der Informationen treffen. Ist der Netzdienstanbieter der Ansicht, es sei schwierig, zu beurteilen, ob die Informationen eine Rechtsverletzung darstellen, solle er den Rechtsinhaber unverzüglich darüber informieren und ihm raten, Klage einzureichen oder einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu beantragen, und der Netzdienstanbieter könne Maßnahmen wie beispielsweise die Entfernung gemäß dem Sicherungsbeschluss oder der gerichtlichen Anordnung ergreifen.644 Als wesentliche Elemente einer möglichen Nachbesserung der Benachrichtigungsregel werden andernorts das Erfordernis der Erbringung einer Sicherheitsleistung durch den Benachrichtigenden, die Haftung bei falschen Benachrichtigungen645 sowie die automatische Aufhebung der Maßnahmen bei Klageerhebung gefordert.646 An die-
641 Li Xiaoqiu/Li Xueqian, Journal of University of Science and Technology Beijing 2020/ 6, 81, 85. 642 Ren Zhong, Global Law Review 2016/4, 92, 97. 643 Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 34; sich dem anschließend Jirimutu, Tribune of Social Sciences 2021/4, 130, 139 f. 644 Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 34; sich dem anschließend Jirimutu, Tribune of Social Sciences 2021/4, 130, 139 f. 645 Eine solche Regelung existiert bereits, wird aber für unzureichend erachtet; s. ausführlich oben unter C. Haftung des Absenders falscher Benachrichtigungen. 646 Si Xiao/Fan Luqiong, Electronics Intellectual Property 2015/1, 91, 97.
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sem Ansatz wird kritisiert, dass dieser zu einer Homogenisierung der beiden Systeme vorläufigen Rechtsschutzes führe.647 4. Analyse Ein erheblicher Vorzug des Notice and Takedown-Verfahrens liegt darin, dass Betreiber von Internetplattformen rechtsverletzenden Inhalten auf ihrer Plattfom durch ihre technische Nähe zügig Abhilfe schaffen können. Dass mit E-CommercePlattform-Betreibern und anderen Netzdienstanbietern Privaten Aufgaben übertragen werden, die sonst staatliche Gerichte wahrnehmen würden, gefährdet das staatlich anvisierte Ziel, möglichst vielen am Rechtsverkehr Beteiligten effektiven Rechtsschutz zu gewähren, solange nicht, wie die Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle privat ergriffener Maßnahmen bestehen bleibt. Der in den §§ 103 f. ZPG geregelte einstweilige Rechtsschutz für dringende Umstände ist letztlich Ausdruck dieser gerichtlichen Kontrolle und insofern von grundlegender Wichtigkeit. Wie im Schrifttum herausgestellt, ist die Kehrseite dieser komfortablen und effektiven Möglichkeit, den Netzdienstanbieter um Rechtsschutz zu ersuchen, das hiermit einhergehende Missbrauchspotenzial. Die Einrichtung wirksamer Mechanismen, um diesem entgegenzuwirken, ist daher von zentraler Bedeutung. Die Anforderungen, die an wirksame Benachrichtigungen gestellt werden, allen voran das Erfordernis, der Benachrichtigung Anfangsbeweise beizufügen, sorgen in der Hinsicht bereits für einen Mindestschutz. Wie zuvor dargelegt, stellen Patentverletzungen mit Blick auf die Komplexität der ihnen zugrunde liegenden Sachverhalte eine besondere Herausforderung dar. Dem könnte begegnet werden, indem Patentverletzungen aus dem Anwendungsbereich des Notice and Takedown-Verfahrens ausgenommen würden. Dies würde den tatsächlichen Anwendungsbereich des Verfahrens nicht wesentlich schmälern, da es sich bei der überwiegenden Mehrzahl der im Internet begangenen Rechtsverletzungen ohnehin um Urheberrechts- und Markenrechtsverletzungen handeln dürfte. Wirksamen Schutz gegen falsche Benachrichtigungen bieten ferner die Haftungsregeln, die der chinesische Gesetzgeber insoweit getroffen hat.648 Die Prozessrisiken, die mit deren Geltendmachung einhergehen, sind der Geltendmachung eines jeden Anspruchs inhärent und benachteiligen die Nutzer der Plattform daher nicht über Gebühr, wenngleich anzuerkennen ist, dass sich aus den weitreichenden Gestaltungsmöglichkeiten, die dem Netzdienstanbieter im Rahmen des Notice and Takedown-Verfahrens eingeräumt werden, eine besondere Schutzbedürftigkeit des auf der Plattform tätigen Betreibers ergibt. Als Grundlage für die Prüfung durch den Netzdienstanbieter, die der Ergreifung von Abhilfemaßnahmen vorausgeht, sollten aus Gründen der Waffengleichheit, wie im
647 Li Xiaoqiu/Li Xueqian, Journal of University of Science and Technology Beijing 2020/ 6, 81, 81. 648 Hierzu ausführlich oben unter C. Haftung des Absenders falscher Benachrichtigungen.
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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Schrifttum vorgeschlagen,649 sowohl die Benachrichtigung des Rechtsinhabers als auch die Gegenanzeige des vermeintlichen Schädigers zugrunde gelegt werden. Möglichen Verzögerungen durch den vermeintlichen Schädiger könnte durch die Festlegung einer Reaktionsfrist vorgebeugt werden. Die Bearbeitung von Benachrichtigungen, die im Rahmen des Notice and Takedown-Verfahrens gesendet werden, an die Erbringung einer Sicherheitsleistung zu koppeln,650 würde hingegen dem Hauptzweck des Verfahrens, in Bezug auf online begangene Rechtsverletzungen schnell Abhilfe zu schaffen, zuwiderlaufen. Insgesamt ist festzuhalten, dass die Übernahme des Notice and Takedown-Verfahrens auch im Gefüge des einstweiligen Rechtsschutzes als Ausdruck einer gelungenen Einbeziehung Privater in die zivilrechtliche Regulierung des Internets zu werten ist und somit auch in dieser Hinsicht einen zusätzlichen Gewinn für den Rechtsschutz im Internet darstellt.
F. Fazit Das Notice and Takedown-Verfahren ist der Versuch des Gesetzgebers, unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Internets einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Rechtsinhabern, Netzdienstanbietern und Dienstleistungssubjekten herzustellen, bevor ein gerichtliches Verfahren eingeleitet wird. Netzdienstanbieter haben im Rahmen des Verfahrens je nach Sichtweise grundlegend vier Pflichten, und zwar die Pflicht zur Ergreifung notwendiger Maßnahmen nach Erhalt einer Benachrichtigung durch einen Rechtsinhaber, die Pflicht zur Weiterleitung dieser Benachrichtigungen an die vermeintlichen Schädiger sowie deren Gegenanzeigen, die Pflicht zur Information des Rechtsinhabers über die Möglichkeit der Einreichung einer Beschwerde oder Klageerhebung sowie die Pflicht, ergriffene Maßnahmen nach Ablauf einer angemessenen Frist ggf. rechtzeitig zu beenden. Das ECG wird als lex specialis im Bereich des Schutzes von Rechten des geistigen Eigentums auf E-Commerce-Plattformen als besonderer Art von Netzdienstanbieter vorrangig gegenüber dem ZGB angewandt. Wiederum lex specialis ist demgegenüber die SRVI-VO in Bezug auf Verletzungen des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts und Netzdienstanbieter i. S. v. §§ 20 – 23 SRVI-VO. Die schon früh in das chinesische Recht aufgenommene Regel wurde durch die §§ 42 ff. ECG und die §§ 1195 ff. ZGB sowie die zugehörigen justiziellen Auslegungen einer sprachlichen Feinjustierung651 unterzogen und gegenüber der kurz gefassten Regel des § 36 Abs. 2 DelHaftG präzisiert. Die Inhalte, die eine Benachrichtigung enthalten muss, wurden spezifiziert und um die Pflicht des Netzdienstanbieters zur Weiterleitung der Benachrichtigung sowie eine Haftungsregel des Absenders falscher Benachrichtigun649
S. o., Fn. 643. S. o., Fn. 646. 651 S. o., Fn. 565. 650
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gen ergänzt.652 Die Vervollständigung der Benachrichtigungsregel des § 36 Abs. 2 DelHaftG ist insofern gelungen, als die Regelung der Weiterleitungspflicht und die Präzisierung der zu ergreifenden notwendigen Maßnahmen durch § 1195 Abs. 1 ZGB und § 42 Abs. 1 ECG für mehr Rechtssicherheit sorgen. Auch die Festlegung des Erfordernisses, Anfangsbeweise zu erbringen, ist der Rechtssicherheit zuträglich und schlüssig angesichts der zu favorisierenden eingeschränkten materiellen Prüfpflicht des Netzdienstanbieters im Rahmen der Benachrichtigungsregel.653 Die Einführung eines Rechts zur Gegenanzeige ist wegen der so hergestellten Waffengleichheit zwischen Benachrichtigungssendern und -empfängern654 ebenfalls zu begrüßen.655 Jedoch bleibt eine klare Positionierung des Gesetzgebers in Bezug auf die Gefahr eines Ping Pong-Spiels aus Benachrichtigung und Gegenanzeige wünschenswert, auch wenn diese durch die im Gegensatz zu § 17 SRVI-VO vorgesehene Wartefrist vor der Rückgängigmachung der ergriffenen Maßnahmen abgemildert wird. Die bereits vor Erlass des ZGB und ECG in § 15 SRVI-VO und § 8 Abs. 1 OVG Informationsnetze I a. F.656 vorgesehene Haftungsregel für falsche und arglistig falsch gesendete Benachrichtigungen stellt einen richtigen Ansatz zum Schutz vor dem Missbrauchspotenzial dar, das mit dem Notice and Takedown-Verfahren einhergeht. Kritikwürdig ist demgegenüber die Beibehaltung der schon durch § 36 Abs. 2 DelHaftG vorgenommenen Ausweitung des sachlichen und persönlichen Anwendungsbereichs der Regel, mit welcher der Gesetzgeber über sein Ziel der Schaffung eines möglichst umfassenden Schutzregimes gegen im Internet begangene Rechtsverletzungen hinausgeschossen ist.657 Zwar enthält § 1195 Abs. 2 ZGB nunmehr die Einschränkung, die notwendigen Maßnahmen seien aufgrund des Diensttyps zu ergreifen, vorzugswürdig wäre jedoch eine stärkere Ausrichtung an den detaillierten, praxiserprobten Vorschriften der SRVI-VO in Bezug auf Verletzungen des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts gewesen. Die jetzige Regelung stellt besonders ECommerce-Plattform-Betreiber zuvörderst bei Patentverletzungen vor Schwierigkeiten bei der Beurteilung von Benachrichtigungen und birgt die Gefahr einer 652 Diese Änderungen nennt auch das OVG, Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 266. 653 Das Erfordernis des Erbringens von Anfangsbeweisen sowie wahrer Informationen in § 1195 Abs. 1 S. 2 ZGB begrüßt auch Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 141, der die Schadensersatzpflicht des § 1195 Abs. 3 ZGB insoweit für folgerichtig hält. 654 S. o., Fn. 402. 655 Vgl. auch Cheng Xiao, Wuhan University Journal 2020/6, 137, 141; den Detailreichtum der Benachrichtigungsregel insgesamt positiv bewerten auch Zhang Defen, Intellectual Property 2019/3, 41, 49, und Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 8. 656 S. o., Fn. 217. 657 So i. E. auch Zhou Xuefeng, Journal of Comparative Law 2019/6, 21, 26. In der Differenzierung zwischen verschiedenen Netzdienstanbietern hinsichtlich der Beurteilung der Notwendigkeit der ergriffenen Maßnahmen im ZGB liege zwar ein Versuch, die Starrheit der notwendigen Maßnahmen abzuschwächen, dieser behebe die in der Erweiterung des Anwendungsbereiches wurzelnden strukturellen Mängel der Benachrichtigungsregel jedoch nicht.
4. Kap.: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht
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doppelten Haftung einerseits gegenüber dem Patentinhaber wegen der Nichtergreifung der notwendigen Abhilfemaßnahmen und andererseits gegenüber dem auf der Plattform tätigen Betreiber wegen der unberechtigten Ergreifung solcher Maßnahmen. Ob die Neuregelungen in den §§ 1195 Abs. 2 ZGB und 45 ECG als ein Plädoyer des Gesetzgebers für eine Abkehr von den dogmatischen Grundlagen des USamerikanischen Rechts zu werten sind, ist zweifelhaft angesichts des Umstandes, dass das Notice und Takedown-Verfahren im chinesischen Recht jahrelang stark durch das US-amerikanische geprägt wurde, und der nur sehr punktuellen Änderungen im Vergleich zu den Vorgängerregelungen. Fragwürdig ist auch, ob eine Abkehr von dem US-amerikanischen Verständnis zielführend wäre, um dem verbreiteten Missverständnis des Safe Harbor-Modells vorzubeugen. Insgesamt ist festzuhalten, dass das ursprünglich einseitige Verfahren zum Schutz der Interessen von Rechtsinhabern des § 36 Abs. 2 DelHaftG durch die Neuregelungen in ZGB und ECG zu einer ausgewogeneren Schutzregelung entwickelt wurde. Inwieweit der mit der Regelung verfolgte Zweck der Herstellung eines Interessengleichgewichts auch tatsächlich erreicht wird, hängt indes maßgeblich davon ab, wie Netzdienstanbieter ihre Rolle als Mittler in der Praxis umsetzen.658 Überdies bleibt zu hoffen, dass hinsichtlich der auf E-Commerce-Plattformen begangenen Rechtsverletzungen die in § 84 ECG angedrohten Geldbußen bereits präventiv Wirksamkeit entfalten. Zwar dürfte sich die abschreckende Wirkung der in § 84 ECG genannten Haftungssummen auf Großkonzerne wie Alibaba in Grenzen halten, jedoch kann eine von § 84 ECG ausgehende Signalwirkung in Anbetracht der Vielzahl an Rechtsverletzungen, die im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums stehen, durchaus vermutet werden.659 Jedenfalls dürften die Regelungen gegenüber E-Commerce-Betreibern, die Rechte des geistigen Eigentums verletzen, präventiv wirksam sein. Zwar können die Entscheidungen über Benachrichtigungen i. S. v. § 42 ECG nicht mit einer rechtsverbindlichen Entscheidung durch Behörden oder Gerichte gleichgesetzt werden, haben je nach Größe des Marktanteils der Plattform jedoch eine erhebliche wirtschaftliche Schlagkraft.660
658 So auch Ning Yuan, Journal of Chongqing University 2020/5, 156, 165, die ferner für eine Anpassung der neuen Vorschriften an die im Zuge der technologischen Innovation stattfindenden Veränderungen plädiert, mit denen eine Änderung der Kapazitäten von Netzdienstanbietern einhergehen könne. 659 Ähnlich Xu Tian/Engelhardt, ZChinR 2020/2, 126, 138, die die durch das ECG neu eingeführten Regelungen als Fortschritt auf dem Weg zu einem besseren Schutz vor Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums sehen, da sie übermächtige Plattformbetreiber wie Alibaba verstärkt in die Pflicht nähmen. Kong Xiangjun, Journal of Political Science and Law 2020/1, 52, 52, bezeichnet das Notice and Takedown-Verfahren als wichtigen Mechanismus, weist jedoch zugleich auf die Schwierigkeiten hin, die sich bei der Anwendung der Regelung auf neue Internetdienste stellen. 660 So auch Xu Tian/Engelhardt, ZChinR 2020/2, 126, 138.
3. Teil
Aktive Prüf- und Sicherungspflichten 5. Kapitel
Die Wissensregeln des DelHaftG, ZGB, ECG und der SRVI-VO Neben dem Notice and Takedown-Verfahren der §§ 42 ff. ECG, 1194 ff. ZGB und den entsprechenden Haftungsfolgen im Falle der schuldhaften Nichterfüllung der in diesem Rahmen vorgesehen Pflichten sehen die §§ 1197 ZGB und 45 ECG weitere, die Netzdienstanbieter bzw. E-Commerce-Plattform-Betreiber treffende Haftungstatbestände vor, welche im Folgenden als Wissensregeln bezeichnet werden. Hiernach haften Netzdienstanbieter bzw. E-Commerce-Plattform-Betreiber gesamtschuldnerisch mit Schädigern, die über die zur Verfügung gestellte Plattform Rechtsverletzungen begangen haben, wenn sie hiervon wissen oder wissen müssen und dennoch keine notwendigen Abhilfemaßnahmen ergreifen. § 45 ECG bezieht sich dabei nur auf Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums. Vor Erlass des ZGB und ECG war eine solche Wissensregel bereits in § 36 Abs. 3 DelHaftG geregelt. Ferner wurde und wird nach wie vor in § 22 Nr. 3 SRVI-VO die fehlende Kenntnis bzw. das fehlende Kennenmüssen des Netzdienstanbieters als Voraussetzung für dessen Eintritt in den safe harbor vorgesehen.661 In § 38 Abs. 1 ECG sieht der Gesetzgeber eine solche Wissensregel zudem für E-Commerce-Plattform-Betreiber vor, die wissen oder wissen müssen, dass durch auf der Plattform tätige Betreiber angebotene Waren oder Dienstleistungen den Anforderungen an die Gewährleistung der persönlichen Sicherheit oder Vermögenssicherheit nicht entsprechen oder die Rechte und Interessen der Verbraucher anderweitig verletzen. Im Folgenden werden diese Wissensregeln sowie die dazugehörigen justiziellen Auslegungen untersucht und die Rechtsprechung dargestellt, die aufschlussreich im Hinblick auf die Anwendung der Regeln in der Rechtspraxis ist. Im Anschluss hieran wird analysiert, ob bei der Auslegung der jüngeren Wissensregeln des ZGB und ECG ein anderer Maßstab als bei den Vorgängerregelungen anzulegen ist.
661 S. hierzu auch oben, 4. Kap., A. II. 2. b) Die Safe Harbor-Bestimmungen der §§ 22 f. SRVI-VO.
5. Kap.: Die Wissensregeln des DelHaftG, ZGB, ECG und der SRVI-VO
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A. Gesetzgebungshistorische Hintergründe zu § 36 Abs. 3 DelHaftG Vor Erlass des § 1197 ZGB war eine für alle Arten von Netzdienstanbietern geltende Wissensregel in § 36 Abs. 3 DelHaftG geregelt, der vorsieht, dass ein Netzdienstanbieter gesamtschuldnerisch mit einem Netznutzer haftet, wenn er Kenntnis hat, dass dieser durch die Nutzung seines Dienstes zivile Rechtsinteressen anderer verletzt und keine notwendigen Maßnahmen zur Abhilfe ergreift. In seiner Kommentierung zu § 1197 ZGB geht das OVG auf die sich während des Gesetzgebungsverfahrens der Vorgängerregelung des § 36 Abs. 3 DelHaftG stellende Frage ein, ob § 36 Abs. 3 DelHaftG als Verschuldenshaftung auszugestalten ist.662 Teils sei vorgebracht worden, Netzdienstanbieter seien funktional mit Herausgebern vergleichbar und hätten verschuldensunabhängig zu haften, solange die rechtsverletzenden Informationen in ihren Netzdiensten existierten. Der Gesetzgeber habe zudem aus rechtsvergleichender Perspektive festgestellt, dass noch in den Anfängen des Internets in einigen Ländern Webtechnologiedienstanbieter663 für unerlaubte Handlungen auf der Grundlage der verschuldensunabhängigen Haftung haftbar gemacht worden seien. Mit einer zunehmenden Erforschung des Internets sei den Wissenschaftlern jedoch allmählich klargeworden, dass Webtechnologiedienstanbieter der Öffentlichkeit keine Informationen direkt zur Verfügung stellten, sondern lediglich eine Plattform für Internetnutzer böten, um Informationen zu veröffentlichen oder abzurufen. Dabei würden sie im Gegensatz zu Herausgebern im traditionellen Urheberrechtsbereich täglich mit einer riesigen Menge an Informationen konfrontiert, die technisch unmöglich einzeln überprüft werden könnte. Eine verschuldensunabhängige Haftung für solche Netzdienstanbieter führe zu übermäßigen Verpflichtungen, die weit über das hinausgingen, was sie leisten können, und nicht nur die Entwicklung der Internetbranche gefährde, sondern letztlich auch dem öffentlichen Interesse schade.664 Daher habe sich der Gesetzgeber bezüglich der Haftung von Netzdienstanbietern für mittelbare Rechtsverletzungen letztlich für eine Verschuldenshaftung entschieden und das Wissen als subjektive Haftungsvoraussetzung vorgesehen. Hierauf habe sich der Ständige Ausschuss des NVK während der letzten Beratung des Gesetzentwurfs geeinigt, nachdem man zunächst die Formulierung „wissentlich“665, sodann „Wissen“666 und anschließend „Wissen oder Wissenmüssen“667 gewählt hatte.668 662
Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 278. S. zu diesem Begriff oben, 3. Kap., B. II. 1. Begriffsbestimmung des Netzdienstanbieters durch das OVG. 664 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 278 m. w. N. 665 . 666 . 667 . 668 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 278. In § 1197 ZGB ist man nunmehr zu der Formulierung „weiß oder wissen muss“ zurückgekehrt. 663
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3. Teil: Aktive Prüf- und Sicherungspflichten
Wie der Begriff des Wissens auszulegen war, war umstritten. Einer Ansicht nach war das Wissen auf „wissentlich“ zu beschränken und umfasste nicht auch das „Wissenmüssen“.669 Einer anderen Auffassung zufolge umfasste das Wissen auch das Wissenmüssen.670 Schließlich wurde vertreten, dass das Wissen neben „wissentlich“ auch „Grund haben, zu wissen“671 oder „vermutlich wissen“672 umfasste, aber kein „Wissenmüssen“, es sich mithin um eine Wissensvermutungsregel handelte.673 Herrschend war die Ansicht, nach welcher der Begriff des „Wissens“ zwei Elemente umfasste, und zwar das „sichere Wissen“ und das „Wissenmüssen“.674 Die Regelung wird als Zeugnis der Übernahme des US-amerikanischen Red Flag-Tests gesehen.675
B. Neuregelung in § 1197 ZGB und § 45 ECG § 1197 ZGB ordnet wie § 45 ECG speziell für E-Commerce-Plattform-Betreiber und bei Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums eine gesamtschuldnerische Haftung von Netzdienstanbietern mit Netznutzern an, wenn sie Kenntnis haben oder haben müssen, dass Netznutzer ihren Dienst nutzen, um die zivilen Rechte und Interessen anderer zu verletzen, und die notwendigen Maßnahmen dennoch nicht ergreifen.676 Mit der Neuregelung in § 1197 ZGB hat der Gesetzgeber 669
Zhang Xinbao/Ren Hongyan, Journal of Renmin University of China 2010/4, 17, 23. Hintergrund dieser Auffassung ist der Ursprung des § 36 Abs. 3 DelHaftG in dem Red FlagTest des US-amerikanischen Rechts, dessen Maßstab restrikiver ist als der Maßstab „hätte wissen müssen“, s. hierzu nur Feng Shujie, Intellectual Property 2015/5, 10, 14 f.; a. A. Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 137 f., der die Zugrundelegung des US-amerikanischen Red Flag-Tests bei § 36 Abs. 3 DelHaftG anzweifelt und auf die Schwierigkeit hinweist, positive Kenntnis nachzuweisen. 670 Wu Handong, Studies in Law and Business 2010/6, 29, 30. 671 . 672 . 673 Yang Ming, Journal of the East China University of Political Science and Law 2010/3, 123, 130. 674 Li Xiaocao, Journal of Law Application 2020/13, 124, 127; Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern, 2018, S. 122; Du Ying, Electronics Intellectual Property 2021/4, 4, 11 m. w. N.; Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 143; Urteil des Gerichts für geistiges Eigentum Beijing ( ), Az.: 2020 73 260 . Zu der Kontroverse auch Wu Handong, China Legal Science 2011/2, 38, 43. 675 Li Xiang/Jin Jigang, Concise Chinese Tort Laws, 2014, S. 85, Wang Siyuan, Contemporary Law Review 2017/1, 27, 29; a. A. Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 138, der den Einfluss des US-amerikanischen Rechts auf die chinesische Regelung anerkennt, in der Auslegung als Wissen und Wissenmüssen jedoch eine rechtsdogmatisch stimmige Annäherung an das Verschuldensprinzip der zivilrechtlichen Systeme sieht, die sodann auch in § 45 ECG umgesetzt worden sei, Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 138. S. hierzu ausführlich auch oben, 4. Kap., B. I. 4. Haftungsbegründungsmodell. 676 Liegen die Voraussetzungen für eine Haftung nach § 1197 ZGB bzw. § 45 ECG vor, ) kann dies speziell im Markenrecht überdies gemäß § 57 Nr. 6 Var. 2 MarkG als Beihilfe (
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des ZGB sich wie der des ECG für eine Übernahme des § 22 Nr. 3 SRVI-VO und eine Abkehr von der in § 36 Abs. 3 DelHaftG gewählten Formulierung entschieden.677 Novum dieser Vorschrift ist daher auf den ersten Blick, dass eine Haftung nunmehr auch im Fall des Wissenmüssens angeordnet wird und damit dem Wortlaut nach eine Ausweitung der vormals in § 36 Abs. 3 DelHaftG lediglich für positive Kenntnis vorgesehenen Haftung erfolgt. Der Zweck der Einführung des Wissenmüssens in § 45 ECG und § 1197 ZGB wird darin gesehen, den verschiedenen Diskussionen darüber, wie das Wort „Wissen“ zu verstehen ist, endgültig ein Ende zu bereiten.678 Dieser Schritt wird insbesondere auch aus beweisrechtlicher Perspektive begrüßt, da sich die Feststellung der zwingend subjektiven Kenntnis der E-Commerce-Plattform-Betreiber schwierig gestalte. Demgegenüber sei die Erkenntnis darüber, ob Plattformbetreiber von einer Rechtsverletzung wissen müssen angesichts der Möglichkeit, diesbezüglich bestehende objektive Beweise heranzuziehen, vergleichsweise einfach; das Hinzufügen der Variante „müssen sie Kenntnis haben“ sei daher ein zwingend notwendiger Schritt gewesen.679 Die Tendenz einer Verobjektivierung des bei der Bestimmung des Verschuldens anzulegenden Maßstabs war indes auch schon bei der Bestimmung des Wissens i. S. v. § 36 Abs. 3 DelHaftG erkennbar, der nach weit überwiegender Auffassung bereits als „Kennen und Kennenmüssen“ verstanden wurde.680 Insofern hat die Hinzufügung des Wissenmüssens in § 1197 ZGB und § 45 ECG faktisch für keine große Rechtsänderung, allerdings für mehr Klarheit gesorgt.
C. Die Pflicht nach § 38 Abs. 1 ECG Auch die im Jahr 2019 ergangene Vorschrift des § 38 Abs. 1 ECG enthält eine Wissensregel speziell für E-Commerce-Plattform-Betreiber, die der in Rechtsprechung und Literatur vergleichsweise wenig Beachtung geschenkten Vorschrift des § 44 Abs. 2 VSG ähnelt. Dort ist geregelt, dass E-Commerce-Plattform-Betreiber, zur Verletzung des ausschließlichen Nutzungsrechts an einer eingetragenen Marke gewertet werden, was im Ergebnis ebenfalls die gesamtschuldnerische Haftung des Netzdienstanbieters mit dem unmittelbaren Schädiger nach sich zieht, vgl. Yang Fei, Die Haftung von Plattformbetreibern, 2018, S. 114. Für § 57 Nr. 6 Var. 1 MarkG, der die vor allem durch ihr Vorsätz) der Verletzung lichkeitserfordernis hiervon abzugrenzende Erleichterung ( des ausschließlichen Nutzungsrechts an einer eingetragenen Marke regelt, wird die Bereitstellung einer E-Commerce-Plattform in § 75 AusfVO-MarkG explizit als solche Erleichterungshandlung bezeichnet. Auf die parallele Anwendbarkeit von §§ 1197 ZGB und § 57 Nr. 6 MarkG verweist u. a. das Obere Volksgericht Beijing ( ), Az.: 2022 4 . 677 Vgl. Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 278. 678 So Li Chaoguang/Lin Xiuqin, Journal of Dalian University of Technology 2020/3, 115, 119. Dies gelte auch in Bezug auf § 38 Abs. 1 ECG, der ebenfalls den Passus des „Wissenmüssens“ enthält. 679 Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 6. 680 S. o., Fn. 674.
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die wissen oder wissen müssen, dass durch auf der Plattform tätige Betreiber verkaufte Waren oder zur Verfügung gestellte Dienstleistungen den Anforderungen an die Gewährleistung der persönlichen Sicherheit oder Vermögenssicherheit nicht entsprechen oder die Rechte und Interessen der Verbraucher anderweitig verletzen und notwendige Maßnahmen nicht ergreifen, nach dem Recht gesamtschuldnerisch mit jenen auf der Plattform tätigen Betreibern haften. In der Erläuterung zum ECG heißt es, mit dieser Vorschrift habe der Gesetzgeber des ECG die Haftungsregel des § 36 Abs. 3 DelHaftG für Rechtsverletzungen präzisiert, die sich im E-Commerce vollziehen.681 Daher wird auch § 38 Abs. 1 ECG teils als Ausdruck des US-amerikanischen Red Flag-Tests gesehen.682 Hiergegen lässt sich aus systematischer Sicht vorbringen, dass der Red Flag-Test des US-amerikanischen Rechts in das Notice and Takedown-Verfahren eingebettet ist und eine Voraussetzung für den Eintritt in den sog. safe harbor darstellt.683 Ob im Rahmen des § 38 Abs. 1 ECG tatsächlich eine Beschränkung auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen offensichtlicher Rechtsverletzungen gewollt war, darf daher angezweifelt werden, wenngleich eine solche die gravierende Rechtsfolge der gesamtschuldnerischen Haftung des Plattformbetreibers mit dem unmittelbaren Schädiger vom Ergebnis her gedacht eher rechtfertigen würde.684 Dogmatisch wird auch die in § 38 Abs. 1 ECG geregelte gesamtschuldnerische Haftung auf eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung in Gestalt eines Unterlassens durch den Plattformbetreiber gestützt und damit als ein spezieller Fall der generalklauselartig in § 1168 ZGB geregelten gesamtschuldnerischen Haftung wegen einer gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Handlung eingeordnet.685 Hinsichtlich des Verschuldenserfordernisses wird festgehalten, ein E-CommercePlattform-Betreiber handele vorsätzlich, wenn er weiß, dass ein Schaden eines Verbrauchers sicher eintreten wird, ergreift er die notwendigen Maßnahmen nicht, und er dies auch erhofft.686 Ein E-Commerce-Plattform-Betreiber handele fahrlässig, wenn er die notwendigen Maßnahmen aus Trägheit nicht ergreift und weiß, dass dies zu einem Schaden eines Verbrauchers führen kann.687
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Vgl. Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 297; Lü Zushan/Peng Sen/Yin Zhongqing (Hrsg.), Erläuterung des ECG, 2018, S. 114 f. 682 Lin Huanmin, Modern Law Science 2020/6, 195, 204 f.; Ling Yao Fan/Yu Ling, Competition Policy Research 2021/6, 47, 54. 683 S. o., 4. Kap., A. I. 1. Verfahrensvoraussetzungen und Rechte bei falschen Benachrichtigungen. 684 Hierzu ausführlicher unten, 6. Kap., E. I. 3. Abgrenzung anhand der Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung. 685 Vgl. Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 296. Zur Heranziehung des Modells der gemeinschaftlichen Rechtsverletzung s. o., Fn. 54. 686 Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 296. 687 Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 296.
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D. Bestimmung des Wissens und Wissenmüssens durch die Gerichte Da es im Einzelfall schwierig sein kann, zu beurteilen und nachzuweisen, ob ein Netzdienstanbieter von einer Rechtsverletzung weiß oder wissen muss, werden im Folgenden die Erläuterungen des OVG sowie einige Fallbeispiele dargestellt.
I. Begriffliche Klärung durch das OVG Das OVG hat sich in seiner Kommentierung zum ZGB sowie einigen justiziellen Auslegungen zu den Begriffen des Wissens und Wissenmüssens sowie der zugehörigen Beweisführung geäußert. 1. Begriffliche Klärung in der Kommentierung des OVG Das OVG definiert den Begriff des Wissens als einen subjektiven Zustand, in dem eine durchschnittlich rationale Person die Existenz von Tatsachen erkennt, und somit als Zustand, der auf objektive Weise nachzuweisen ist.688 Der direkte Beweis des Wissens umfasse das explizite Zugeständnis und entsprechende Dokumentationen; diese Art von Beweis sei aber in der Regel nur schwierig duch Außenstehende führbar. In der Rechtsprechungspraxis gebe es jenseits dieser klaren Beweise die Möglichkeit, anhand von Indizienbeweisen689 mit großer Wahrscheinlichkeit zu vermuten, dass bestimmte Umstände bekannt sind.690 Konkret bedeute dies, dass ein normaler, rationaler Mensch, der über bestimmte Informationen verfügt, gestützt auf seine alltägliche Erfahrung entweder auf der Grundlage dieser Informationen auf die Existenz der fraglichen Tatsache schließen oder sein eigenes Verhalten auf der Grundlage der Annahme steuern kann, dass die Tatsache existiert.691 Diese Art von Indizienbeweis umfasse beispielsweise den Fall, dass ein Netzdienstanbieter eine Abmahnung erhalten habe.692 Indem das OVG feststellt, der sog. Indizienbeweis werde auch als „vermutetes Wissen“693 oder „begründetes Wissen“694 „bezeichnet“,695 verquickt es aus deutscher Sicht Fragen der materiellen Beweislast und des 688
Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 279; bzgl. § 38 Abs. 1 ECG vgl. auch Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 297. 689 So die Übersetzung von Zhou Hengxiang, Deutsch-Chinesisches Rechtswörterbuch, . Wörtlich: „indirekte/mittelbare Beweise“. 2017, S. 140, für 690 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, S. 279. 691 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, S. 279. 692 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 279. 693 . 694 . 695 […] „ “, Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 279.
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Umgangs des Gerichts mit unklaren Beweissituationen, d. h. mit prozessualen Beweislastregeln.696 Das Wissenmüssen grenzt das OVG von dem vermuteten Wissen ab. Wissenmüssen beschreibe objektiv den Zustand, in dem eine normale, vernünftige Person bei der Wahrnehmung ihrer Sorgfaltspflichten von einem Umstand Kenntnis haben kann.697 Mit dem Begriff der Sorgfaltspflicht werde die Pflicht beschrieben, mit angemessener Sorgfalt zu vermeiden, dass der Person oder dem Eigentum eines anderen Schaden zugefügt wird.698 Daraus werde deutlich, dass ein „Wissenmüssen“ voraussetze, dass der Betroffene Träger einer bestimmten Sorgfaltspflicht ist, während das „Wissen“ nicht objektiv an eine solche Sorgfaltspflicht anknüpfe.699 2. § 6 OVG Informationsnetze I In § 6 OVG Informationsnetze I, in der verschiedene Fragen geregelt sind, die zivilrechtliche Streitigkeiten über die Verletzung von persönlichen Rechten und Interessen durch Informationsnetze betreffen, spezifiziert das OVG, wie das Wissen und Wissenmüssen i. S. v. § 1197 ZGB zu bestimmen sind. In seiner Kommentierung zum ZGB betont das OVG die anleitende Funktion der dort dargestellten sieben Kriterien sowohl für die Frage nach dem Wissen als auch dem Wissenmüssen.700 In § 6 Nr. 1 wird für maßgeblich erklärt, ob der Anbieter von Netzdiensten die rechtsverletzenden Inhalte manuell oder automatisch verarbeitet, indem er etwa eine Empfehlung, ein Ranking, eine Bearbeitung, Sortierung oder Änderung vornimmt. In § 6 Nr. 2 wird als Kriterium das Bestehen der Fähigkeit zur Verwaltung und Information des Netzdienstanbieters festlegt. Dies ist angesichts des Verständnisses des Netzdienstanbieters als Organisator von Transaktionen einleuchtend, welches auch in § 9 Abs. 2 ECG anklingt.701 In § 6 Nr. 2 werden ebenfalls die Natur, Art und Weise sowie Größe der Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung durch die von ihm angebotenen Dienste für maßgeblich in Bezug auf die Frage nach dem Wissen sowie 696
Zum chinesischen Beweisrecht ausführlich Werthwein, in: Pißler (Hrsg.), Handbuch des chinesischen Zivilprozessrechts, 2018, S. 129 ff. 697 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 279; so auch Cui Guobin, Chinese Journal of Law 2013/4, 138, 140. 698 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 279, das seine Ausführungen an dieser Stelle auf das US-amerikanische Recht stützt. 699 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 279; auch Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 297, stellt heraus, dass es beim Wissen um die Bestimmung eines subjektiven Zustands gehe, während das Wissenmüssen objektiv zu beurteilen sei. 700 Vgl. Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 279. Das OVG bezieht sich explizit auf § 9 OVG Informationsnetze I a. F. (2014), der Kriterien für die Feststellung des Wissens i. S. v. § 36 Abs. 3 DelHaftG festlegt und § 6 OVG Informationsnetze I entspricht. 701 Zu den Funktionen des E-Commerce-Plattform-Betreibers im Einzelnen oben, 3. Kap., B. II. 2. Charakteristika des E-Commerce-Plattform-Betreibers.
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dem Wissenmüssen erklärt. Diese Auslegung fügt sich in das Verständnis der deliktsrechtlichen Verkehrssicherungspflicht als einer Pflicht ein, deren Ursprung in der Eröffnung einer Gefahrenquelle liegt.702 In § 6 Nr. 3 nennt das OVG als maßgebliche Kriterien weiter den Typ und Grad der Offensichtlichkeit der durch das Informationsnetzwerk verletzten persönlichen Rechte und Interessen, wodurch der aus dem US-amerikanischen Recht stammende Red Flag-Test Anklang findet.703 Gemäß § 6 Nr. 4 OVG Informationsnetze I finden bei der Beurteilung der Frage nach dem Wissen oder Wissenmüssen zudem der Grad des gesellschaftlichen Einflusses des Netzdienstanbieters und die Anzahl der Webseitenaufrufe innerhalb eines bestimmten Zeitraums Berücksichtigung. Mit wachsendem Einfluss von Netzdienstanbietern steigen mithin auch die Anforderungen an dessen Sorgfaltspflicht, und es wird ein anderer Verschuldensmaßstab angelegt. In § 6 Nr. 5 werden insoweit überdies die technischen Möglichkeiten des Netzdienstanbieters zur Ergreifung von Maßnahmen zur Vorbeugung von Rechtsverletzungen sowie die Frage, ob diese tatsächlich ergriffen wurden, für maßgeblich erklärt. Dies entlastet wiederum kleinere Plattformen, die über keine mit großen Netzdienstanbietern vergleichbare technische Ausstattung und Expertise verfügen.704 In § 6 Nr. 6 wird explizit der Fall sich wiederholenden rechtsverletzenden Verhaltens oder wiederholter rechtsverletzender Informationen genannt und danach gefragt, ob der Netzdienstanbieter insoweit die entsprechenden angemessenen Maßnahmen ergriffen hat. Schließlich geht aus § 6 Nr. 7 hervor, dass die in § 6 Nr. 1 bis Nr. 6 genannten Faktoren nicht abschließend sind und die Volksgerichte gleichfalls andere, mit dem konkreten Einzelfall in Verbindung stehende Faktoren zu berücksichtigen haben.
702 S. o., 3. Kap., A. I. Hintergründe des Instituts der Verkehrssicherungspflicht im chinesischen Recht. 703 Zum Red Flag-Test im US-amerikanischen Recht s. o., 4. Kap., A. I. 1. Verfahrensvoraussetzungen und Rechte bei falschen Benachrichtigungen. 704 Eine Orientierung an den technischen Möglichkeiten des jeweiligen Netzdienstanbieters zur Bestimmung des im Stadium vor einer Benachrichtigung anzulegenden Sorgfaltsmaßstabs hält auch Ning Yuan, Journal of Chongqing University 2020/5, 156, 160 f., für sinnvoll, die sich zudem für eine Differenzierung zwischen automatischen und manuellen Eingriffen ausspricht. Der Sorgfaltsmaßstab sei indes nicht vorschnell anzuheben, wenn zwecks Eingriffs in die Inhalte nur technische Algorithmen verwendet werden, wie beispielsweise die Sortierung des Werksverzeichnisses nach dem jeweiligen Zeitpunkt des Uploads, den Dateinamen oder der Anzahl der Klicks. Ferner sei eine Anhebung des Sorgfaltsmaßstabs angeraten, wenn der Netzdienstanbieter aus Nutzerinhalten direkte Einnahmen er), Az.: 2021 73 598 , bezielt. Auch das Internetgericht Beijing ( gründet die Anhebung des Sorgfaltsmaßstabs mit den aus den rechtsverletztenden Inhalten erzielten direkten Einnahmen des Netzdienstanbieters. Zu diesem Urteil ausführlich oben, 3. Kap., A. III. Rechtsprechung über die Abgrenzung eigener und mittelbarer Rechtsverletzungen.
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3. § 8 f. OVG Informationsnetze II und § 9 OVG Urheberrecht Mit Blick auf Verletzungen von Verbreitungsrechten durch Informationsnetze hat das OVG in § 8 Abs. 1 S. 2 OVG Informationsnetze II geregelt, dass das Verschulden des Netzdienstanbieters danach bestimmt wird, ob dieser von der Verletzung des Verbreitungsrechts auf seiner Plattform wusste oder hätte wissen müssen. In § 8 Abs. 2 OVG Informationsnetze II heißt es zugleich, dass die unterbliebene aktive Prüfung von Verletzungen des Verbreitungsrechts, die durch den angebotenen Netzdienst begangen werden, nicht als Grundlage dafür dient, dass den Netzdienstanbieter Verschulden trifft. § 8 Abs. 3 OVG Informationsnetze II regelt weiter, dass den Netzdienstanbieter kein Verschulden trifft, wenn er nachweisen kann, dass es schwierig ist, eine auf der Plattform begangene Rechtsverletzung zu entdecken, obwohl er insoweit vernünftige und effektive Maßnahmen ergriffen hat. Dies spricht faktisch für eine aktive Prüfpflicht des Plattformbetreibers. Auch § 9 OVG Informationsnetze II, in dem das OVG den Begriff des Wissenmüssens präzisiert, enthält das Versäumnis von Netzdienstanbietern, präventiv Maßnahmen gegen die Verletzung zu ergreifen, lediglich als einen der insoweit zu berücksichtigenden Faktoren. Gleichwohl ist in der Rechtsprechung die Tendenz erkennbar, bei der Feststellung des Wissenmüssens dem bei der Feststellung der allgemeinen Fahrlässigkeit angewandten Ansatz der Verschuldensobjektivierung zu folgen und die objektive Verkehrspflichtverletzung als Grundlage für die Feststellung des Wissenmüssens zu verwenden.705 In der Literatur wird dieser Ansatz auf die Gesamtentwicklung des modernen chinesischen Deliktsrechts zurückgeführt, die darin liege, dass die objektive Fahrlässigkeit angesichts der Schwierigkeit bei der Erforschung des subjektiven Geisteszustands allmählich die subjektive Fahrlässigkeit ersetzt habe.706 Hieran wird zu Recht kritisiert, dass so die den Präventivmaßnahmen innewohnenden Grenzen unberücksichtigt bleiben und dies zu einer unangemessenen Ausweitung der Haftung führt. Kommt ein Netzdienstanbieter seiner objektiven Sorgfaltspflicht nicht nach, kann nicht unmittelbar festgestellt werden, dass er von der unmittelbaren Verletzung hätte wissen müssen, sondern es sind ebenfalls andere, subjektive Faktoren zu berücksichtigen.707 705 Ning Yuan, Journal of Chongqing University 2020/5, 156, 164, die insoweit auf das ), Az.: 2018 73 Urteil des Gerichts für geistiges Eigentum Shanghai ( 121 , verweist, aufrechterhalten durch das OVG, Az.: 2019 246 . Vgl. auch Yin Zhiqiang/Ma Junji, ECUPL Journal 2020/6, 61, 63 m. w. N., die herausstellen, einige Gerichte hätten klargestellt, dass „hätte wissen müssen“ bedeute, dass den Netzdienstanbieter eine subjektive Sorgfaltspflicht treffe, während andere der Auffassung seien, den Netzdienstanbieter treffe eine objektive Prüfpflicht. 706 Ning Yuan, Journal of Chongqing University 2020/5, 156, 164. 707 Vgl. Ning Yuan, Journal of Chongqing University 2020/5, 156, 164, die zudem festhält, umgekehrt könne nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass den Netzdienstanbieter kein Verschulden trifft, wenn er die angemessene Sorgfalt walten lässt. Wenn beispielsweise ein Netzdienstanbieter angemessene technische Maßnahmen ergriffen hat, um Rechtsverletzungen zu verhindern, der Zweck des Dienstes als solcher aber darin besteht, zur illegalen
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In Bezug auf das Wissenmüssen von Urheberrechtsverletzungen im Allgemeinen verweist das OVG in seiner Kommentierung zum ZGB auf § 9 OVG Urheberrecht, dem diesbezüglich eine leitende Funktion zukomme.708 Gemäß § 9 OVG Urheberrecht bezieht sich die in § 10 Nr. 1 UrhG zur Definition des Veröffentlichungsrechts gewählte Formulierung der Zugänglichmachung gegenüber der Öffentlichkeit darauf, dass ein Werk durch den Urheberrechtsinhaber oder mit dessen Erlaubnis einer unbestimmten Anzahl von Personen gegenüber bekannt gemacht wird. Keine Voraussetzung sei demgegenüber, dass die Allgemeinheit das Werk bereits kenne. Die Rechtsprechung könne sich bei der Beurteilung der Frage, ob ein Netzdienstanbieter von einer Rechtsverletzung wissen muss, auch hieran orientieren.709 4. § 11 OVG IP E-Commerce Speziell in Bezug auf das ECG hat das OVG in § 11 OVG IP E-Commerce vier Umstände festgelegt, bei deren Vorliegen die Gerichte davon ausgehen können, dass ein E-Commerce-Plattform-Betreiber von einer auf der Plattform begangenen Rechtsverletzung wissen musste. Dazu gehört gemäß § 11 Nr. 1 OVG IP E-Commerce der Umstand, dass ein E-Commerce-Plattform-Betreiber seine gesetzlichen Pflichten zur Festsetzung von Regeln nicht erfüllt, um Rechte des geistigen Eigentums zu schützen und die Qualifikation auf der Plattform tätiger Betreiber zu prüfen. Ferner zählt hierzu nach § 11 Nr. 2 OVG IP E-Commerce der Umstand, dass ein E-Commerce-Plattform-Betreiber den Nachweis der Rechte von Betreibern, deren Geschäftstypen als „Flagship Store“710 oder „Brand Store“711 gekennzeichnet sind, nicht überprüft hat. Dafür, dass ein Plattformbetreiber wissen muss, dass auf der Plattform eine Rechtsverletzung begangen wurde, spricht gemäß § 11 Nr. 3 OVG IP E-Commerce zudem die Situation, dass er keine effektiven technischen Maßnahmen ergreift, um Verlinkungen zu rechtsverletzenden Produkten zu filtern und blockieren, die Worte wie „in hohem Maße imitiert“ und „Fake-Produkte“ enthalten und die nach Einreichung einer Beschwerde erneut eingestellt werden. In § 11 Nr. 3 OVG IP ECommerce wird damit faktisch eine Pflicht zur Einrichtung von Filtertechnologie festgelegt. Hier zeigt sich die Gestaltungsmacht des OVG, dessen justizielle Auslegungen über eine vorsichtige Präzisierung der gesetzlichen Regelungen hinausgeht.712 Weiter nennt das OVG in § 11 Nr. 4 OVG IP E-Commerce insofern jeden anderen Umstand, der ein Versäumnis der Erfüllung angemessener Prüf- und Sorgfaltspflichten darstellt. Nutzung des Werkes zu verleiten oder ermutigen, habe er ebenfalls für Rechtsverletzungen zu haften. 708 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 282. 709 Kommentierung des OVG zum Deliktsrechtsbuch des ZGB, 2020, S. 282. 710 . 711 . 712 Pißler, ZChinR 2009/3, 262, 262, spricht von einem teils „quasi-normsetzenden Charakter“ justizieller Auslegungen; vgl. auch Ahl, ZChinR 2007/3, 251, 251.
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II. Fallbeispiele Im Folgenden werden zwei Fallbeispiele dargestellt, die den Umgang der Gerichte mit dem unbestimmten Rechtsbegriff des Wissenmüssens veranschaulichen. 1. Urteil des Gerichts für geistiges Eigentum Beijing In dem zweitinstanzlich ergangenen Urteil des Gerichts für geistiges Eigentum Beijing werden die in § 22 Nr. 3 SRVI-VO geregelten Voraussetzungen für den Eintritt in den safe harbor veranschaulicht. Danach sind Netzdienstanbieter, die einem Dienstleister Informationsspeicherdienste oder der Öffentlichkeit über ein Informationsnetzwerk Werke, Darbietungen oder audiovisuelle Aufzeichnungen zur Verfügung stellen, nicht schadensersatzpflichtig, wenn sie nicht wissen oder wissen müssen, dass die von dem Dienstleister bereitgestellten Werke, Darbietungen oder audiovisuellen Aufzeichnungen die Rechte eines anderen verletzen.713 Die Youku Information Technology (Beijing) Co., Ltd., Klägerin in erster Instanz und Rechtsmittelführerin in zweiter Instanz, beantragte die Verurteilung der Beklagten in erster Instanz und Rechtsmittelführerin in zweiter Instanz, der Shanghai Hode Information Technology Co., Ltd., zum Ersatz des ihr entstandenen wirtschaftlichen Verlustes und zur Zahlung der Verfahrenskosten wegen einer über deren Plattform begangenen Rechtsverletzung. Das Obere Volksgericht Beijing stellte den Fall im Rahmen einer Pressekonferenz am 22. 4. 2020 über die Situation der Verfahren zum Schutz des geistigen Eigentums an Beijinger Gerichten im Jahr 2020 als einen von zehn wichtigen in diesem Jahr entschiedenen Fällen dar.714 a) Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts Das erstinstanzliche Gericht715 erkannte, dass die Klägerin, Betreiberin des Videoportals Youku, das Verbreitungsrecht an der in Rede stehenden Fernsehshow erworben hatte. Die Show sei vollständig in drei Videos durch einen Nutzer auf der von der Beklagten betriebenen Handyapp Bilibili Animation hochgeladen worden, der auch das Cover und die Bezeichnung des Videos festgelegt hatte. Auf der rechten Seite seien die Informationen über den hochladenden Nutzer auffindbar gewesen. Bei der von der Beklagten betriebenen Webseite handele es sich um eine Plattform, für die das Notice and Takedown-Verfahren gelte,716 jedoch seien die von den Nutzern 713 ), Az.: 2020 73 Gericht für geistiges Eigentum Beijing ( 260 . 714 Pressebüro des OVG, „Beijing: Veröffentlichung zehn wichtiger Fälle zum gerichtlichen Schutz des geistigen Eigentums und von Leitlinien zu Beweisstandards“ [ ], https://baijiahao.baidu.com/s?id=1697993646351 841552&wfr=spider&for=pc, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022. 715 Volksgericht Beijing Haidian ( ), Az.: 2017 0108 52144 . 716 Hierzu ausführlich in 4. Kap..
5. Kap.: Die Wissensregeln des DelHaftG, ZGB, ECG und der SRVI-VO
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hochgeladenen Werke auch unabhängig davon zu überprüfen und die den Netzdienstanbieter entsprechend treffenden Verkehrspflichten einzuhalten. In dem vorliegenden Fall seien die Namen der von den Nutzern hochgeladenen Videos dem Hauptteil des Programminhalts ähnlich gewesen und die Kombination aus allen Videos habe den gesamten Programminhalt dargestellt. Die Beklagte habe nicht die gebotene Sorgfalt walten lassen und durch ihre Untätigkeit das Verbreitungsrecht der Klägerin an dem in Rede stehenden Programm verletzt. Das Programm habe sich großer Beliebtheit erfreut, jedoch könne der Schadensersatzforderung nach dem Ermessen der Gerichte nicht in voller Höhe stattgegeben werden, da sich der Klageantrag auf die über die Handyapp angebotene Seite beschränke. Die Beklagte wurde nach § 36 Abs. 3 DelHaftG, § 48 Abs. 1 UrhG a. F.717 und § 49 UrhG a. F. sowie den §§ 7 bis 9 OVG Informationsnetze II zur Zahlung von Schadensersatz i. H. v. 100.000 Yuan an die Klägerin verurteilt. b) Entscheidung des zweitinstanzlichen Gerichts Das Gericht zweiter Instanz fügte der Begründung des erstinstanzlichen Gerichts hinzu, das Programm sei nur von zahlenden Mitgliedern des Videoportals Youku abrufbar gewesen, was einen hohen Übertragungswert generiert habe, der urheberrechtlich geschützt sei. Bei der Frage, ob die Beklagte von der Rechtsverletzung i. S. v. § 22 Nr. 3 SRVI-VO wusste oder hätte wissen müssen, sei ferner § 12 OVG Informationsnetze II heranzuziehen, in dem beispielhaft Umstände aufgezählt werden, die dafür sprechen, dass ein Netzdienstanbieter von einer über seinen Netzdienst begangenen Rechtsverletzung hätte wissen müssen. In dem konkreten Fall sei der Name der Fernsehshow auf dem Titelbild des Videos erschienen und das Abspielen drei langer Videos habe dem gesamten Inhalt der Sendung entsprochen. Auf dieser Grundlage könne davon ausgegangen werden, dass die Beklagte vernünftigerweise dazu hätte in der Lage sein müssen, zu erkennen, dass die Zurverfügungstellung der durch den Nutzer hochgeladenen Videos eine Rechtsverletzung darstellte. Was die Höhe der zu zahlenden Entschädigung betreffe, enthalte § 49 UrhG a. F.718 detaillierte und klare Regeln für die Bestimmung der Höhe der Entschädigung, auf die das erstinstanzliche Gericht im Rahmen seines Ermessens zu Recht eingegangen sei, da die Klägerin weder ausreichende Beweise für ihre tatsächlich erlittenen Verluste noch für die illegalen Einkünfte der Beklagten vorgebracht habe. So habe das Gericht den Wert des in Rede stehenden Programms und andere Faktoren zugunsten der Klägerin sowie die Folgen der Rechtsverletzung zugunsten der Beklagten berücksichtigt. Im Ergebnis erhielt das Gericht für geistiges Eigentum Beijing das erstinstanzliche Urteil gemäß § 170 Abs. 1 lit. a ZPG in vollem Umfang aufrecht.
717 718
Gemeint ist die Fassung aus dem Jahr 2010. S. o., Fn. 125.
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3. Teil: Aktive Prüf- und Sicherungspflichten
c) Fazit Die Urteile vermitteln einen Eindruck von dem Maßstab, den die Rechtsprechung bei der Bestimmung des Wissenmüssens i. S. v. § 22 Nr. 3 SRVI-VO zugrunde legt. Da die begangene Rechtsverletzung recht offensichtlich ist, wird der Ursprung der Regelung im US-amerikanischen Recht und das damit auch in der Praxis einhergehende Verständnis des Wissen und Wissenmüssens als Red Flag-Test719 deutlich. Dass die Gerichte in diesem Fall zugleich auf § 36 Abs. 3 DelHaftG rekurrierten, überrascht insofern, als die SRVI-VO angesichts des urheberrechtlichen Charakters des Falles in sachlicher Hinsicht nach § 92 GGG vorrangig anzuwendendes Spezialgesetz ist.720 2. Rechtsstreit CBCGDF ./. Alibaba et al. Die Entscheidungen des Mittleren Volksgerichts Hangzhou721 und des Oberen Volksgerichts Zhejiang vom 2. 1. 2020722 gingen als erster Fall in die sog. Sammlung typischer Fälle in Bezug auf Umweltressourcen und Zivilklagen im öffentlichen Interesse sowie der Entschädigung für ökologische Umweltschäden des OVG723 ein, die im Jahr 2019 durch die Volksgerichte verhandelt wurden. Sie vermitteln einen Eindruck von der Vorgehensweise der Gerichte bei der Bestimmung des Wissenmüssens i. S. v. § 36 Abs. 3 DelHaftG und sind insofern auch im Hinblick auf die geltenden Nachfolgeregelungen der §§ 1197 ZGB, 45 ECG und 38 Abs. 1 ECG aufschlussreich. Das Urteil wird zu den zehn einflussreichsten Entscheidungen des Jahres 2019 gezählt.724
719 Zu der Frage, inwieweit die Regelungen des § 1197 ZGB und § 45 ECG de lege lata als Ausdruck des Red Flag-Tests verstanden werden können, ausführlich unten unter E. § 1197 ZGB und § 45 ECG als Ausdruck des US-amerikanischen Red Flag-Tests. 720 Dass diese Auslegung im Sinne des Gesetzgebers ist, lässt sich nunmehr auch auf § 2 Abs. 3 S. 2 ECG stützen, der eine Anwendbarkeit des gegenüber dem ZGB spezielleren ECG auf die dort aufgezählten Sachverhalte ebenfalls ausschließt. Zu den Anwendungsverhältnissen auch unter 3. Kapitel: Begrifflicher Gegenstand der Untersuchung; überblicksartig unter 4. Kap., D. Vergleich der alten und neuen Regelungen des Notice and Takedown-Verfahrens. 721 ), Az.: 2016 01 1269 . Mittleres Volksgericht Hangzhou ( 722 ), Az.: 2019 Oberes Volksgericht der Provinz Zhejiang ( 863 . Die Entscheidung wird im Folgenden verkürzt auf die für die Frage nach der Haftung der unmittelbaren Schädigerin sowie der hiermit in Zusammenhang stehenden Verkehrspflichten der Alibaba Group relevanten Aspekte dargestellt und insbesondere nicht auf alle durch die Gerichte zitierten umweltrechtlichen Vorschriften eingegangen. 723 2019 . 724 So in der unter lawinfochina.com [ ]/pkulaw.cn [ ], Indexnummer CLI.C.99769791 abrufbaren Zusammenfassung des Urteils.
5. Kap.: Die Wissensregeln des DelHaftG, ZGB, ECG und der SRVI-VO
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a) Sachverhalt und Klägervortrag Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:725 Das beklagte Unternehmen, die Shenzhen Sumei Environmental Protection Co., Ltd. (Shenzhen Sumei), bewarb und vertrieb seit September 2015 Kraftfahrzeugzubehör über die von der ebenfalls beklagten Alibaba Group (Alibaba) betriebene E-Commerce-Plattform Taobao, darunter ein „Werkzeug für die jährliche Kfz-Inspektion“726, mit dessen Hilfe der bei der jährlichen Inspektion geprüfte Wert emittierter Schadstoffe reduziert wurde. Shenzhen Sumei vertrieb über einige Jahre hinweg mehr als 30.000 dieser Produkte und erzielte damit einen Gewinn von über 3 Mio. Yuan. Nach einer Beschwerde der China Biodiversity Conservation and Green Development Foundation (CBCGDF) entfernte Alibaba die Produkte und stellte den Plattformdienst gegenüber Shenzhen Sumei ein. Die CBCGDF reichte sodann, gestützt auf § 55 ZPG, Zivilklage im öffentlichen Interesse727 ein und forderte von dem Gericht die Anordnung der Produktionseinstellung gegenüber Shenzhen Sumei, die Einstellung der Plattformdienste der Alibaba Group gegenüber Shenzhen Sumei sowie eine offizielle Entschuldigung von Shenzhen Sumei und Alibaba. Die CBCGDF argumentierte, das durch Shenzhen Sumei vertriebene Produkt dürfe bei der jährlichen Kfz-Inspektion nicht verwendet werden, weshalb es offensichtlich rechtswidrig gewesen sei, auf Taobao für das Produkt zu werben. Durch die Werbung seien Kfz-Eigentümer dazu veranlasst worden, das Produkt in rechtswidriger Weise bei der jährlichen Kfz-Inspektion zu nutzen. Dies widerspreche § 9 Abs. 1 DelHaftG sowie § 38 Abs. 1 ECG und führe daher zu einer gesamtschuldnerischen Haftung von Alibaba mit Shenzhen Sumei. Auf dieser Grundlage beantragte die CBCGDF die gesamtschuldnerische Haftung beider Beklagten für die Kosten zur ökologischen Umweltsanierung in Höhe von 152 Mio. Yuan und die Kosten der Rechtsverfolgung. Alibaba habe kein wirksames System zur Kontrolle und Überwachung der auf Taobao tätigen Betreiber errichtet und ihre Pflicht zur Gewährleistung eines gesetzeskonformen Handels über die Plattform daher nicht erfüllt. Durch die Gestattung des Vertriebs der in Rede stehenden Produkte über Taobao habe Alibaba Shenzhen Sumei dabei Hilfe geleistet, die rechtswidrigen Verkäufe zu realisieren. b) Beklagtenvortrag Alibaba berief sich darauf, dass die Informationen über die in Rede stehenden Produkte und deren Vertrieb nicht rechtswidrig gewesen seien. Für die Produkte 725
Die folgende Sachverhaltsdarstellung ist an die unter lawinfochina.com [ ]/pkulaw.cn [ ], Indexnummer CLI.C.99769791 abrufbare Zusammenfassung angelehnt. 726 Chin.: ; wörtlich nur „Gerät für die jährliche Inspektion“; aus dem Kontext war jedoch ersichtlich, dass es sich um ein Werkzeug für die jährliche Kfz-Inspektion handelt. 727 Dieses Institut wurde im Jahr 2012 im Zuge der Revision des ZPG neu in das chinesische Recht eingeführt und ähnelt der deutschen Verbandsklage, Pißler, ZChinR 2019/4, 355, 356.
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existierten weder national normierte Standards noch verstießen sie gegen die Richtlinien der Plattform. Insbesondere fielen sie nicht unter die in § 15 BM Internetinformationsdienste genannten neun Kategorien von Inhalten, die Netzdienstanbieter nicht generieren, kopieren, veröffentlichen oder verbreiten dürfen.728 Ferner seien rechtswidrige Informationen in offensichtlich und weniger offensichtlich rechtswidrige Informationen zu unterteilen. Unterstelle man wie vorliegend willkürlich die Offensichtlichkeit der in Rede stehenden Informationen, würden die Kontroll- und Überwachungspflichten der Plattformbetreiber in unangemessener Weise ausgedehnt. Alibaba sehe sich durch Taobao als Handelsplattform mit einer riesigen Menge an Daten konfrontiert und könne daher nicht zu einer aktiven Überprüfung weniger offensichtlich rechtswidriger Informationen über die Qualität, Sicherheit, Rechtmäßigkeit und Authentizität angebotener Waren und Dienstleistungen verpflichtet werden. Alibaba fungiere lediglich als ein Dienstleister, der eine Plattform zur Verfügung stellt und an dem Verhalten der auf der Plattform tätigen Betreiber nicht beteiligt ist. Die Informationen würden durch die auf der Plattform tätigen Betreiber freigegeben, wodurch Risiken entstünden. Alibaba habe zur Kontrolle der Informationen über auf der Plattform vertriebene Waren ein System zur Prüfung der Identitätsinformationen der auf der Plattform tätigen Betreiber sowie der präsentierten Inhalte, beispielsweise durch Stichwortsuchen, eingerichtet. Alibaba nutze daher vollumfänglich die bestehenden Möglichkeiten, um Informationen über Produkte durch Systemprüfungen und manuelle Methoden zu bewerten. Da es sich vorliegend um nicht offensichtlich rechtsverletzende Produkte handele, sei eine Überprüfung nur durch manuelle Methoden möglich gewesen, die gegenüber automatischen nur stichprobenartig erfolgen könnten. Alibaba habe sich ferner alsbald nach der Beschwerde durch CBCGDF mit Shenzhen Sumei in Verbindung gesetzt und sowohl die Informationen über die in Rede stehenden Waren entfernt als auch die Initiative zur zeitnahen Behandlung ähnlicher rechtsverletzender Informationen auf der Plattform ergriffen. Daher hafte Alibaba nicht nach § 36 Abs. 2 DelHaftG. Überdies sei es in dem Fall nicht um die Verletzung persönlicher Rechte und Interessen gegangen, was ebenfalls gegen eine Haftung der Plattform nach § 36 Abs. 2 DelHaftG spreche. c) Entscheidung des Mittleren Volksgerichts Hangzhou Das Mittlere Volksgericht Hangzhou erkannte eine Verletzung des öffentlichen Interesses durch Shenzhen Sumei und gab den gegen Shenzhen Sumei gerichteten Anträgen der Klägerin in allen Punkten statt. Das Unternehmen habe auf der Plattform Taobao für Produkte geworben, mit deren Hilfe die jährliche Kfz-Inspektion betrügerisch bestanden werden könne, und habe sich dadurch in rechtlich relevanter Weise an den deliktischen Handlungen der Kfz-Eigentümer beteiligt. Zwar sei der Vertrieb der Produkte nicht ausdrücklich verboten, durch die unange728 In dieser Vorschrift werden Inhalte aufgezählt, die überwiegend einen Bezug zur staatlichen Sicherheit aufweisen.
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messene Produktwerbung auf der Plattform seien die Produkte jedoch in einem gesetzlich verbotenen Umfang verwendet und so das öffentliche Interesse geschädigt worden. Shenzhen Sumei hafte daher nach § 9 Abs. 2 DelHaftG und § 178 ATZR729 gesamtschuldnerisch mit den Eigentümern der Kraftfahrzeuge auf Zahlung der Kosten für die Luftsanierung in Höhe von 3,5 Mio. Yuan.730 Alibaba hingegen sei als Plattform für die Freigabe von Informationen selbst nicht an den Geschäften der Plattformnutzer beteiligt gewesen und habe ihre Prüfpflicht erfüllt, indem sie nach Kenntnis von der Beschwerde durch CBCGDF rechtzeitig Maßnahmen zur Löschung ergriff sowie die entsprechenden Plattformdienste zum Vertrieb einstellte. Daher sei eine Hilfeleistung durch Unterlassen nicht erkennbar und Alibaba trage keine Haftung. Gleichwohl nutzte das Gericht die Gelegenheit, um Alibaba darauf hinzuweisen, dass die Überwachung der auf der Plattform tätigen Betreiber zu verstärken sei, die wie in diesem Fall Produkte verkaufen, die nicht per se gesetzlich untersagt sind, deren Verkauf aber nicht zweckentfremdet erfolgen darf. Alibaba habe so ihre soziale Verantwortung als Plattformbetreiberin wahrzunehmen. d) Entscheidung des Oberen Volksgerichts Zhejiang Das Obere Volksgericht Zhejiang bestätigte dieses Urteil und äußerte sich eingehender zu der Frage nach der Haftung von Alibaba. Auch das Obere Volksgericht Zhejiang stellte heraus, dass Alibaba ihre Pflicht nach § 36 Abs. 2 DelHaftG erfüllt habe und die in Rede stehenden Produkte weder unter das Verkaufsverbot i. S. v. § 15 BM Internetinformationsdienste noch unter die eigenen Regelungen der Plattform fielen. Zwar seien die Produkte auf der Website in unangemessener Weise beworben worden, es habe sich hierbei jedoch nicht um einen offensichtlichen Rechtsverstoß gehandelt, sodass nicht nachweisbar gewesen sei, dass Alibaba i. S. v. § 36 Abs. 3 DelHaftG wusste oder hätte wissen müssen, dass Shenzhen Sumei durch die Nutzung des Plattformdienstes zivile Rechtsinteressen anderer verletzte. Alibaba habe Shenzhen Sumei als Anbieter einer Informationsplattform nicht in rechtlich relevanter Weise bei deren deliktischer Handlung unterstützt. Sie habe ihre Pflicht zur Errichtung eines Kontroll- und Überwachungssystems sowie Sicherstellung der Rechtmäßigkeit der über die Plattform getätigten Transaktionen nicht verletzt. Dem Antrag von CBCGDF, in dem die Organisation sich zur Begründung einer fahrlässigen Rechtsverletzung Alibabas in Gestalt einer Hilfeleistung durch Unterlassen auf den jahrelangen, massenhaften Verkauf der in Rede stehenden Produkte berufen hatte, gab das Gericht folglich nicht statt. Gleichwohl schloss sich das Obere Volksgericht Zhejiang dem Mittleren Volksgericht Hangzhou auch in Bezug auf die soziale Verantwortung von Plattformbetreibern an. Als Dienstleister einer Informationsplattform habe Alibaba die Informationsverwaltung auf der Plattform zu 729
Diese beiden Vorschriften sind mit Inkrafttreten des ZGB nach § 1260 ZGB aufgehoben worden; nunmehr § 178 ZGB und § 1169 ZGB. 730 Das Gericht zitiert an dieser Stelle spezialgesetzliche Vorschriften, auf die nicht im Einzelnen eingegangen wird.
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stärken und ein effizientes System zur Suche und Überwachung einzurichten. Es artikulierte die „Hoffnung, Alibaba lasse sich diesen Fall eine Lehre sein, um die Informationsverwaltung der Plattform weiter zu stärken und mehr soziale Verantwortung für den Schutz des blauen Himmels und des blauen Wassers zu übernehmen.“731 e) Analyse Indem die Gerichte zunächst auf die Frage eingingen, ob es sich bei den in Rede stehenden Produkten um Inhalte handelt, die nach § 15 BM Internetinformationsdienste untersagt sind, untersuchten sie systematisch zunächst die Frage nach einer eigenen Rechtsverletzung von Alibaba. Sodann gingen die Richter auf den Vorwurf der Klägerin ein, Alibaba habe Shenzhen Sumei durch die Zurverfügungstellung der Plattform Taobao deliktische Beihilfe geleistet, und stellten angesichts der Legalität der vertriebenen Produkte folgerichtig heraus, dass in der Zurverfügungstellung allein keine deliktische Beihilfe gesehen werden könne.732 Wenig überzeugend ist die insoweit durch das Mittlere Volksgericht Hangzhou angeführte Begründung, Alibaba habe die auf der Plattform vertriebenen Produkte entfernt und die Plattformdienste gegenüber Shenzhen Sumei nach Erhalt einer Benachrichtigung der Klägerin eingestellt, weil es unabhängig hiervon gerade um die Frage einer Haftung nach § 36 Abs. 3 DelHaftG ging, wie auch das Obere Volksgericht Zhejiang herausstellte. Deutlich wird dabei das Verständnis des Gerichts von § 36 Abs. 3 DelHaftG als Haftungsregel, die nur bei offensichtlichen Rechtsverletzungen zur Haftung des Netzdienstanbieters führt. Dass die Richter die Gelegenheit nutzten, um trotz der fehlenden Pflichtverletzung von Alibaba an deren soziale Verantwortung als Plattformbetreiberin zum Schutz der Umwelt zu appellieren, ist als politisches Statement zu verstehen und dürfte Plattformbetreiber angesichts der Aufnahme des Falles in die Sammlung typischer Fälle in Bezug auf Umweltressourcen und Zivilklagen im öffentlichen Interesse sowie der Entschädigung für ökologische Umweltschäden des OVG733 sensibilisiert haben. Wenig überrascht hätte eine Auseinandersetzung der Gerichte sowohl mit Kausalitätserwägungen als auch mit dem Schutzgegenstand von § 36 DelHaftG, der in den „zivilen Rechtsinteressen anderer“ liegt, da die Verunreinigung der Luft durch die Nutzung der von Shenzhen Sumei vertriebenen Produkte wohl eher dem öffentlichen Interesse geschadet haben dürfte.
731
, , . 732 Zur Heranziehung des Modells der gemeinschaftlichen Rechtsverletzung zur Begründung der Haftung s. o., Fn. 54. 733 S. o., Fn. 723.
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E. § 1197 ZGB und § 45 ECG als Ausdruck des US-amerikanischen Red Flag-Tests Aus den Ausführungen unter D. wird deutlich, dass der US-amerikanische Red Flag-Test sowohl in justiziellen Auslegungen des OVG als auch der Rechtsanwendung in den dargestellten Urteilen verschiedener Gerichte Anklang findet. Insofern liegt die Schlussfolgerung nahe, dass auch die Neuregelungen des § 1197 ZGB und § 45 ECG als Ausdruck der Übernahme des Red Flag-Tests734 in das chinesische Zivilrecht zu sehen sind.735
I. Chance zur Abkehr von dem US-amerikanischen Red Flag-Test? Teils wird mit Erlass der Neuregelungen im Schrifttum jedoch auch eine Abkehr von dem Auslegungsrahmen des Red Flag-Tests gefordert.736 Man habe der Vorläuferbestimmung des § 36 Abs. 3 DelHaftG eher wenig Aufmerksamkeit geschenkt, da die Regelungen unter dem Einfluss der Safe Harbor-Regel und damit als deren restriktiver und ergänzender Zusatz in das chinesische Recht eingeführt worden seien.737 Systematisch zeige sich dies auch an der Reihenfolge der die Haftung der Netzdienstanbieter regelnden Bestimmungen. Problematisch hieran sei, dass der Red Flag-Test des US-amerikanischen Rechts nur schwer mit dem System der deliktischen Haftung im chinesischen Recht zu vereinbaren und der dem Red Flag-Test zugrunde zu legende Maßstab enger als der des § 1197 ZGB und seiner Parallelvorschriften sei. Der den chinesischen Vorschriften zugrunde liegende Standard „hätte wissen müssen“ entspreche dem im chinesischen Recht üblichen Grundsatz der Verschuldenshaftung und enthalte kein vergleichbares Offensichtlichkeitserfordernis. Vielmehr sei der zugrunde zu legende Maßstab, ob eine normale, vernünftige Person die Verletzung hätte bemerken können.738 Die Tatsache, dass der Gesetzgeber sich für eine Aufnahme des Maßstabs „hätte wissen müssen“ in § 45 ECG entschieden hat, stelle bezüglich der Haftung für im Internet begangene 734
Zum Red Flag-Test im US-amerikanischen Recht s. o., 4. Kap., A. I. 1. Verfahrensvoraussetzungen und Rechte bei falschen Benachrichtigungen. 735 So auch Yang Lixin, Journal of Fujian Normal University 2020/5, 139, 143; Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 110; Wang Limei, Jiangxi Social Sciences 2020/5, 157, 166 (Anmerkung 2); zum Verständnis der Vorgängerregelung von § 1197 ZGB, § 36 Abs. 3 DelHaftG, als Ausdruck des US-amerikanischen Red Flag-Tests Feng Shujie, Intellectual Property 2015/5, 10, 14 f. 736 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 137. 737 Zu § 36 Abs. 3 DelHaftG ausführlich s. o., A. Gesetzgebungshistorische Hintergründe zu § 36 Abs. 3 DelHaftG. 738 Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 137. S. bzgl. des Sorgfaltsmaßstabs im Einzelnen auch Zhang Xinbao, Untersuchung des Tatbestands der deliktischen Haftung, 2007, S. 452. Gegen das Verständnis des Wissenmüssens als Ausdruck des Red Flag-Tests auch Feng Chuqi, Journal of Law Application 2020/14, 71, 73 f., und Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 9.
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Rechtsverletzungen einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur „Rückkehr“ des chinesischen Rechts zum Zivilrechtssystem739 und eine Abkehr von dem Red Flag-Test des US-amerikanischen Rechts dar. Die Ausweitung durch § 1197 ZGB auf alle Arten von Netzdienstanbietern und alle Arten von Rechtsverletzungen sei schließlich als vollständige Rückkehr zum zivilrechtlichen System der deliktischen Haftung zu deuten, weshalb sich eine unreflektierte Heranziehung der US-amerikanischen Rechtsprechung zum Red Flag-Test zur Auslegung von § 1197 ZGB verbiete. Vielmehr habe die Auslegung anhand der allgemeinen deliktsrechtlichen Grundsätze zur Verschuldenshaftung zu erfolgen.740
II. Einschränkungen des Grundsatzes der Verschuldenshaftung Xue Jun stellt gleichwohl fest, dass die Rechtsprechung des US-amerikanischen Rechts bei der Spezifizierung des Standards „hätte wissen müssen“ als Referenzwert herangezogen werden könne, da es sich bei beiden Maßstäben letztlich um präzisierungsfähige rechtspolitische Entscheidungen handele.741 Gegen die Einbeziehung einfacher Fahrlässigkeit in den Maßstab zur Bestimmung des Wissenmüssens und für eine weitere Orientierung am Offensichtlichkeitserfordernis des US-amerikanischen Rechts wird ergebnisorientiert zudem der Charakter dieser Haftungsform vorgebracht, der durch die erfolgende Umverteilung des Risikos im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft besonders gravierend ist.742 Konzediert wird indes, dass es de lege lata nicht haltbar sei, den Sorgfaltsmaßstab, der im Rahmen des Wissenmüssens anzulegen ist, auf grobe Fahrlässigkeit zu beschränken, da man in der Lehre überwiegend davon abgerückt sei, besondere Voraussetzungen an den Grad des Verschuldens der gesamtschuldnerisch Haftenden zu stellen.743 So wurde der Meinungsstreit, ob sowohl Vorsatz als auch Fahrlässigkeit die gesamtschuldnerische Haftung begründen können, mit der Einführung des Wissenmüssens in das ZGB beendet.744 Aufgrund der erheblichen Dimensionen auf Plattformen begangener Rechtsverletzungen wird gefordert, jedenfalls im Hinterkopf zu behalten, dass das Versäumnis einer Plattform, Präventivmaßnahmen gegen eine Rechtsverletzung zu ergreifen, 739
S. o., Fn. 473. Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 138. 741 Vgl. Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 138. 742 Vgl. Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 72. 743 Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 72; so in Bezug auf § 45 ECG auch Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 9. 744 Bu, Neuerungen und unterbliebene Verbesserungen im Deliktsrecht, in: Bu (Hrsg.), Der Besondere Teil der chinesischen Zivilrechtskodifikation, 2019, S. 223. Krit. zu dieser Herabsenkung des Verschuldensmaßstabs bei gleichzeitiger Heranziehung des Modells der gemeinschaftlichen Rechtsverletzung zur Begründung der gesamtschuldnerischen Haftung Feng Chuqi, s. o., Fn. 54. 740
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nicht mit der Fahrlässigkeit der Plattform gleichgesetzt werden könne, eine Rechtsverletzung nicht vorherzusehen. Während das Wissenmüssen von einer Rechtsverletzung als fahrlässige Verkehrspflichtverletzung zur gesamtschuldnerischen Haftung mit dem unmittelbaren Schädiger führe, weiche die auf die unzureichende Ergreifung von Präventivmaßnahmen gestützte Haftung von dem theoretischen Grundgerüst der für die gesamtschuldnerische Haftung vorausgesetzten gemeinsamen Rechtsverletzung745 ab und habe in der Rechtsprechung zu einer unangemessenen Erweiterung der Haftung von Netzdienstanbietern geführt.746
III. Analyse Gegen die im Gesamtgefüge des chinesischen Deliktsrecht durchaus einleuchtenden Argumente für eine Abkehr von dem Red Flag-Test und für das Verständnis der Benachrichtigungsregel als einem möglichen Indikator für das Verschulden des Netzdienstanbieters im Rahmen der allgemeineren und primär heranzuziehenden Anspruchsgrundlage des § 1197 ZGB747 spricht neben dem Ursprung der Regelung im US-amerikanischen Recht und dem dort geltenden Verständnis, dass das OVG de lege lata in § 6 Nr. 3 OVG Informationsnetze I als maßgebliche Kriterien für die Beurteilung des Wissenmüssens i. S. v. § 1197 ZGB weiter den Typ und Grad der Offensichtlichkeit der durch das Informationsnetzwerk verletzten persönlichen Rechte und Interessen nennt. Für die Bestimmung des Verschuldens ist gemäß § 7 Nr. 2 OVG Informationsnetze I ebenfalls der Grad der Offensichtlichkeit relevant, mit dem übertragene Informationen persönliche Rechte und Interessen verletzen. Hieraus kann jedenfalls geschlossen werden, dass sich das OVG nicht gänzlich von dem Red Flag-Test verabschiedet, sondern das Kriterium der Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung nach wie vor bei der Beurteilung der Frage nach dem Wissenmüssen berücksichtigt wissen will.748 Sicherlich lässt sich konträr hierzu argumentieren, dass die Aufnahme anderer Faktoren zur Beurteilung des Wissenmüssens gerade für eine schrittweise Abkehr des OVG von dem Red Flag-Test und eine 745
S. insoweit § 1169 Abs. 1 ZGB. Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 72, der nur die entsprechende Ergän) des Netzdienstanbieters für angemessen hält. Zu dieser zungshaftung ( Haftungsform im Einzelnen unten, 6. Kap., D. II. 1. c) Die entsprechende Haftung als entsprechende Ergänzungshaftung. Die Tendenz einer unangemessenen Haftungsverschärfung beobachtet im Rahmen des Notice and Takedown-Verfahrens auch Xue Jun, Journal of Comparative Law 2020/4, 131, 135, der dies auf die fehlende Anpassung des dem USamerikanischen Recht entlehnten Haftungssystems zurückführt. Hierzu im Einzelnen s. o., 4. Kap., B. I. Dogmatisches Verständnis der Haftungsregeln. 747 S. hierzu im Einzelnen oben, 4. Kap., B. I. 4. Haftungsbegründungsmodell. 748 Daher ist die Behauptung, die Ergänzung des „Wissenmüssens“ unterscheide sich von dem zuvor geltenden Red Flag-Test, nur noch bedingt zutreffend, vgl. Huang Weijun/Li Xiaoqiu, CLSR 2019/6, 1, 9. Dies gilt auch angesichts der überwiegenden Auslegung von § 36 Abs. 3 DelHaftG als „Wissen“ und „Wissenmüssen“, s. o., Fn. 674. 746
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schleichende Ausweitung des im Rahmen der Verkehrssicherungspflichten anzulegenden Sorgfaltsmaßstabes spricht. Ein Beispiel hierfür ist der Auffangtatbestand des § 11 Nr. 4 OVG IP E-Commerce, in dem auch andere als die zuvor aufgezählten Umstände, die ein Versäumnis der Erfüllung angemessener Prüf- und Sorgfaltspflichten darstellen, für maßgeblich im Hinblick auf das Wissenmüssen des Plattformbetreibers erklärt werden. Das Verständnis der Neuregelungen als Safe HarborRegeln erscheint auch insofern nicht zwingend, als mit der Rezeption ausländischen Rechts immer auch eine Anpassung des Rechts an eigene Regelungsvorstellungen erfolgt. So unterscheiden sich auch der persönliche sowie sachliche Anwendungsbereich der in ZGB und ECG getroffenen Regelungen teils deutlich von dem der SRVI-VO749 und auch § 36 Abs. 2 DelHaftG wurde nach überwiegender Auffassung als Haftungsbegründungsregel verstanden.750 Bezüglich der Kritik, die hinsichtlich einer möglichen Gleichsetzung des Versäumnisses eines Plattformbetreibers, Präventivmaßnahmen gegen eine Rechtsverletzung zu ergreifen, und einer fahrlässigen nicht vorhergesehenen Rechtsverletzung geäußert wird,751 ist anzumerken, dass eine Abgrenzung im Einzelfall schwierig sein kann. Die Argumentation, die auf die unzureichende Ergreifung von Präventivmaßnahmen gestützte Haftung stelle eine Abweichung von dem theoretischen Grundgerüst der für die gesamtschuldnerische Haftung vorausgesetzten gemeinsamen Rechtsverletzung dar, überzeugt auch angesichts der mit der Anwendung dieses Modells auf die Haftung von Netzdienstanbietern ohnehin einhergehenden Problematik752 daher nur bedingt, wenngleich dies faktisch in der Tat zu einer unangemessenen Haftungsverschärfung753 geführt haben mag.
F. Fazit In § 22 Nr. 3 SRVI-VO wird das Wissen oder Wissenmüssen von einer Rechtsverletzung als Negativvoraussetzung für den Eintritt der dort genannten Netzdienstanbieter in den safe harbor genannt. In § 36 Abs. 3 DelHaftG, der nach überwiegender Auffassung als Red Flag-Test verstanden wurde, wurde die gesamtschuldnerische Haftung des Netzdienstanbieters mit dem unmittelbaren Schädiger angeordnet, wenn er von dessen Rechtsverletzung wusste und keine notwendigen Abhilfemaßnahmen ergriff. Da das Wissen i. S. v. § 36 Abs. 3 DelHaftG nach weit überwiegender Auffassung als Wissen und Wissenmüssen verstanden wurde, ist
749 Hierzu ausführlich oben, 4. Kap., E. I. Ausweitung des Anwendungsbereichs des Notice and Takedown-Verfahrens. 750 S. o., Fn. 332. 751 S. o., Fn. 746. 752 S. o., Fn. 52. 753 S. o., Fn. 746.
5. Kap.: Die Wissensregeln des DelHaftG, ZGB, ECG und der SRVI-VO
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die Aufnahme des Wissenmüssens in den §§ 1197 ZGB und 45 ECG keine tatsächliche Neuerung, sondern eher klarstellender Natur. Das OVG definiert Wissen als einen subjektiven Zustand, in dem eine durchschnittlich rationale Person die Existenz von Tatsachen erkennt und somit als Zustand, der auf objektive Weise nachzuweisen ist. Da der subjektive Zustand des Wissens schwer nachweisbar ist, erwähnt das OVG in diesem Zusammenhang auf materiellrechtlicher Ebene das „vermutete Wissen“ oder „begründete Wissen“, auf prozessualer Ebene die sog. Indizienbeweise. Hiervon grenzt das Gericht auf Tatbestandsebene das Wissenmüssen ab, das voraussetzt, dass der Betroffene Träger einer bestimmten Sorgfaltspflicht ist. Die in den justiziellen Auslegungen des OVG zur Bestimmung des Wissenmüssens angeführten Kriterien knüpfen unter anderem an das Ausmaß der Einwirkung des Netzdienstanbieters auf die verletzenden Inhalte sowie dessen Fähigkeit hierzu und die Natur, Art und Weise und Größe der Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung durch die angebotenen Dienste an. Hinsichtlich des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts stellt das OVG klar, dass den Netzdienstanbieter kein Verschulden trifft, wenn er nachweisen kann, dass es für ihn schwierig ist, eine auf der Plattform begangene Rechtsverletzung zu entdecken, obwohl er insoweit vernünftige und effektive Maßnahmen ergriffen hat. Dies spricht faktisch für eine aktive Prüfpflicht des Netzdienstanbieters. Im Bereich des Markenrechts stellt das OVG bei der Bestimmung des Wissenmüssens darauf ab, ob ein Filter zur Filterung offensichtlich rechtsverletzender Inhalte eingerichtet wurde. Der Typ und Grad der Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung werden für die Bestimmung des Wissenmüssens ebenfalls als maßgeblich genannt, wodurch der Red FlagTest des US-amerikanischen Rechts Anklang findet. Dieser Fokus auf offensichtliche Rechtsverletzungen und die Frage, inwieweit der Netzdienstanbieter grundsätzlich ein Rechtsschutzsystem eingerichtet hat, wird auch in den dargestellten Urteilen deutlich. Dass die §§ 1197 ZGB und 45 ECG als Ausdruck einer völligen Abkehr von dem Red Flag-Test zu verstehen sind, ist insofern trotz der im Zuge der technologischen Entwicklungen erweiterten Prüfmöglichkeiten von Netzdienstanbietern zweifelhaft. In § 38 Abs. 1 ECG ist eine Pflicht zur Gewährleistung der Sicherheit von Verbrauchern geregelt, die sich sowohl auf die persönliche Sicherheit der Verbraucher als auch auf die Vermögenssicherheit erstreckt. Haftungsfolge der Nichterfüllung der in § 38 Abs. 1 ECG geregelten Pflicht ist die gesamtschuldnerische Haftung des Plattformbetreibers mit den die Rechtsverletzungen unmittelbar begehenden, auf der Plattform tätigen Betreibern. Der Gesetzgeber sieht § 38 Abs. 1 ECG als Präzisierung des mit Erlass des ZGB außer Kraft getretenen § 36 Abs. 3 DelHaftG für Rechtsverletzungen, die sich im E-Commerce vollziehen.
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3. Teil: Aktive Prüf- und Sicherungspflichten
6. Kapitel
Die Pflichten von E-Commerce-Plattform-Betreibern gemäß § 38 Abs. 2 ECG In § 38 ECG hat der Gesetzgeber neben der Wissensregel in § 38 Abs. 1 ECG in Abs. 2 eine Prüfpflicht des E-Commerce-Plattform-Betreibers hinsichtlich der Befähigung und Qualifikation der auf der Plattform tätigen Betreiber sowie eine Pflicht zur Gewährleistung der Sicherheit der Verbraucher geregelt, deren Nichterfüllung zu einer entsprechenden Haftung für den beim Verbraucher eingetretenen Schaden führt. Wie diese Pflichten im Einzelnen ausgestaltet sind, lässt der Gesetzeswortlaut offen. Im Lichte des geltenden Notice and Takedown-Verfahrens754 und der Safe Harbor-Bestimmungen jedenfalls im Bereich des Schutzes des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts sowie der ansonsten auf offensichtliche Rechtsverletzungen beschränkten Haftung von Netzdienstanbietern erscheint die Aufbürdung einer aktiven und nicht durch Privatvereinbarung abdingbaren755 Prüf- und Sicherungspflicht materiellen Charakters eher ungewohnt, und die allgemeine Pflicht der Netzdienstanbieter zur Gewährleistung der Sicherheit der Verbraucher als Verkehrssicherungspflicht ist die erste ihrer Art.756 Dass im chinesischen Recht bislang keine allgemeine, in allen Lebensbereichen geltende Verkehrssicherungspflicht existiert,757 erklärt das Bedürfnis des Gesetzgebers nach der Schaffung speziell für den E-Commerce geltender Verkehrssicherungspflichten. In tatsächlicher Hinsicht wird die Einführung einer solchen Pflicht als Reaktion des Gesetzgebers auf das verstärkte Auftreten von Unfällen gesehen, die sich durch Waren oder Dienstleistungen ereignen, die über E-Commerce-Plattformen angeboten werden.758 Hierzu zählen im Besonderen sog. Tramping-Plattformen, über die Mitfahrgelegenheiten vermittelt werden, bei denen Fahrgäste zu Schaden kommen.759 Hintergrund dieser neu geschaffenen Pflichten sind zudem die im Zuge der technologischen Entwicklung entstandenen neuen Möglichkeiten von Netzdienstanbietern zur Überprüfung
754 Hierzu ausführlich im 4. Kapitel: Das Notice and Takedown-Verfahren im chinesischen Recht. 755 Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 286. 756 Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 66. Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 73, ordnet § 38 ECG in eine allgemein stattfindende Verschiebung der gesetzgeberischen Maßnahmen von einem Schutz der Informationsindustrie hin zu einer verstärkten Aufrechterhaltung der Netzsicherheit ein. 757 So richtet sich § 1198 ZGB, dessen Vorgängervorschrift des § 37 DelHaftG als allgemeine Verkehrssicherungspflicht bezeichnet wird (s. o., Fn. 113), explizit nur an die dort aufgezählten Personen. 758 Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 66. 759 Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 112 m. w. N.
6. Kap.: Pflichten v. E-Commerce-Plattform-Betreibern gem. § 38 Abs. 2 ECG
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hochgeladener Inhalte.760 Dazu gehören neben den Technologien zum Schutz vor Kopien und von digitalen Wasserzeichen auch die derzeit verbreiteten Technologien zur Filterung von Inhalten, wie beispielsweise die Aufnahme von gefilterten Websites in eine schwarze Liste und die Filterung von Inhalten, die bestimmte Schlüsselworte enthalten.761 Mit der Entwicklung der Datenverarbeitung und der künstlichen Intelligenz wurden Durchbrüche bei der semantischen Analyse der Filtertechnologie und der Klassifizierung von Inhalten erzielt, die es Netzdienstanbietern ermöglichen, online gestellte Inhalte anhand von Klassifizierungsmechanismen auszuwählen, um Rechtsverletzungen punktgenauer zu verhindern und zu unterbinden.762 Zugleich wird vor einer grenzenlosen Verschärfung der Pflichten von Plattformbetreibern durch die neu geschaffenen Haftungstatbestände gewarnt, die der Entwicklung des E-Commerce abträglich wäre, und eine Ausrichtung an den konkreten technischen Möglichkeiten der Plattformbetreiber gefordert.763 Im Folgenden werden die Prüf- und Sicherungspflicht i. S. v. § 38 Abs. 2 Var. 1 und Var. 2 ECG zunächst getrennt dargestellt. Sodann wird die Auslegung der beiden Varianten, die in der Rechtsprechung und Literatur in der Regel gemeinsam diskutiert wird, im Einzelnen analysiert. Dabei wird im Anschluss an eine in der Rechtsprechung allgemein erkennbare Tendenz beim Umgang mit § 38 Abs. 2 ECG das viel diskutierte Anwendungsverhältnis zwischen § 38 Abs. 2 ECG und § 1198 ZGB dargestellt. Es folgt eine Diskussion der in § 38 Abs. 2 ECG angeordneten Haftungsfolge der entsprechenden Haftung. Abschließend wird erörtert, wie § 38 Abs. 1 und Abs. 2 ECG voneinander abgegrenzt werden können.
A. Die Prüfpflicht i. S. v. § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG In der Erläuterung zum ECG wird der Inhalt der Pflicht zur Prüfung der Befähigung und Qualifikation der auf der Plattform tätigen Betreiber genauer beschrieben. Danach haben sie die Pflicht zur Überprüfung und Registrierung etwaiger Qualifikationen zum einen sowie zur regelmäßigen Prüfung und Aktualisierung zum anderen.764 Der Zweck der Prüfpflicht des § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG liegt in der Bewertung der Frage, ob die auf der Plattform tätigen Betreiber dazu in der Lage sind, den von ihnen angebotenen Geschäftsaktivitäten tatsächlich nachzugehen.765 Gerechtfertigt wird die Schaffung dieser Pflicht damit, dass es sich bei E-CommercePlattformen im Allgemeinen um halboffene Plattformen handele, für deren Zugang 760 Ning Yuan, Journal of Chongqing University 2020/5, 156, 160, die auf S. 161 f. im Besonderen die mit dem Ausbau künstlicher Intelligenz einhergehende Herabsetzung der Kosten für die Erfüllung von Sorgfaltspflichten hervorhebt. 761 Ning Yuan, Journal of Chongqing University 2020/5, 156, 161 f. 762 Ning Yuan, Journal of Chongqing University 2020/5, 156, 161 f. 763 Vgl. Ning Yuan, Journal of Chongqing University 2020/5, 156, 160. 764 Lü Zushan/Peng Sen/Yin Zhongqing (Hrsg.), Erläuterung des ECG, 2018, S. 118 f. 765 Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 286.
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3. Teil: Aktive Prüf- und Sicherungspflichten
sich die auf der Plattform tätigen Betreiber zunächst bewerben müssten.766 Der Hintergrund der Prüfpflicht wird ferner darin gesehen, dass es für Nutzer schwierig ist, das Wissen oder Wissenmüssen des Plattformbetreibers von einer Rechtsverletzung i. S. d. § 38 Abs. 1 ECG nachzuweisen. Durch die Einführung der Prüfpflicht des § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG seien die Anforderungen an den Verschuldensnachweis im Bereich der Waren und Dienstleistungen, die das Leben und die Gesundheit der Verbraucher betreffen, gesenkt worden.767 Eine ähnliche, speziellere und daher vorrangig anwendbare Pflicht768 hat der Gesetzgeber im Bereich des Rechts der Lebensmittelsicherheit bereits in § 131 Abs. 1 LSG geregelt, der eine Haftung des Plattformbetreibers sowohl für den Fall regelt, dass dieser es versäumt hat, von auf der Plattform tätigen Betreibern Informationen wie etwa jene über ihre Identität einzuholen, als auch für den Fall, dass ein Nachweis über ihre Qualifikation nicht erfolgreich angefordert wurde.769 Ein Beispiel für die Verletzung der Prüfpflicht des § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG aus der Praxis ist das Urteil des Mittleren Volksgerichts Shenzhen.770 Das Gericht stellte fest, dass die Betreiberin einer App zur Vermittlung von Transportdiensten es versäumt habe, die relevanten Qualifikationen der über die Plattform vermittelten Fahrer zu überprüfen, wodurch sich die Unfallwahrscheinlichkeit während des Einsatzes der Fahrer erhöht habe. Die Plattformbetreiberin habe so die Prüfpflicht des § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG verletzt.
I. Prüfungsumfang Zur Beantwortung der Frage nach dem Prüfungsumfang von § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG wird die formelle Prüfpflicht des § 23 BM Onlinehandel I a. F.771 herangezogen, demzufolge Plattformen Registrierungsdateien über die Identität von Händlern einrichten und diese regelmäßig überprüfen und aktualisieren mussten.772 Hierbei habe es sich indes lediglich um Abteilungsregeln773 gehandelt, deren Verletzung eine
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Chen Xing/Yang Xiaoyi, Journal of Chongqing University of PT 2020/4, 36, 39. Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 109, der konkret in Bezug auf § 38 Abs. 1 ECG hervorhebt, für den Verbraucher sei ein Wissen oder Wissenmüssen des Plattformbetreibers schwierig nachzuweisen. 768 Ling Yao Fan/Yu Ling, Competition Policy Research 2021/6, 47, 56; vgl. auch § 92 GGG und § 11 ZGB. 769 Vgl. Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 286. 770 ), Mittleres Volksgericht Shenzhen, Provinz Guangdong ( Az.: 2020 03 943 . 771 Gemeint ist die am 15. 3. 2014 in Kraft getretene Fassung, die durch die am 1. 5. 2021 in Kraft getretenen BM Onlinehandel I revidiert wurde. Eine Prüf- und Aktualisierungspflicht ist in der geltenden Fassung in § 24 Abs. 1 BM Onlinehandel I geregelt. 772 Zeng Na, Journal of Chonqing University of Technology 2019/5, 128, 132 f.; so wohl auch Ling Yao Fan/Yu Ling, Competition Policy Research 2021/6, 47, 52. 773 . S. hierzu § 80 Abs. 2 GGG. 767
6. Kap.: Pflichten v. E-Commerce-Plattform-Betreibern gem. § 38 Abs. 2 ECG
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ordnungsrechtliche Haftung nach sich zog. Ausgehend von der Schutznormtheorie774 habe man eine zivilrechtliche Haftung des Plattformbetreibers für die Verletzung seiner Prüfpflicht nach diesen Abteilungsregeln daher nicht anordnen können.775 In Abgrenzung hierzu beinhalte § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG nicht lediglich eine auf die Registrierungsinformationen gerichtete formelle Prüfpflicht. Vielmehr sei im Rahmen dieser Pflicht weiter zu prüfen, ob die Plattform ein spezielles System zur Informationsprüfung sowie einen Nachweis über die regelmäßige Überprüfung der aktualisierten Informationen des Händlers vorlegen kann.776 Eine umfassende Überprüfung aller wesentlichen Informationen der auf der Plattform tätigen Betreiber könne indes genauso wenig erwartet werden777 wie die beständige Gewährleistung der Richtigkeit und Aussagekraft der Informationen über die Qualifikation des Betreibers.778 Halte ein auf der Plattform tätiger Betreiber der Überprüfung durch den E-Commerce-Plattform-Betreiber beispielsweise nur stand, weil er eine gefälschte Verwaltungsgenehmigung eingereicht hat, komme der Plattformbetreiber seiner Prüfpflicht nicht deshalb nicht nach, weil er die etwaigen Informationen des Betreibers nicht überprüft hat.779 Bezüglich grundlegender Informationen über die Identität und Geschäftstätigkeiten von Betreibern sei es Plattformbetreibern hingegen möglich, ihrer Prüfpflicht nachzugehen, sodass sie die Wahrhaftigkeit dieser Informationen sicherzustellen hätten.780 Zu berücksichtigen sei bei der Bestimmung des anzulegenden Sorgfaltsmaßstabs ferner, dass Internetplattformen keiner einheitlichen Struktur mit zwangsläufig ähnlichen Funktionen unterlägen. Daher variiere auch der Umfang der Prüfpflichten der E-Commerce-Plattform-Betreiber, der 774 . S. hierzu auch Binding, Das Gesetz der VR China über die deliktische Haftung, 2012, S. 36. 775 Zeng Na, Journal of Chonqing University of Technology 2019/5, 128, 132 f. 776 Zeng Na, Journal of Chonqing University of Technology 2019/5, 128, 133; ähnlich Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 287, der die Prüfpflicht des § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG zwar grundsätzlich als rein formelle Pflicht versteht, dies jedoch relativiert, indem er eine darüber hinausgehende Prüfung des Plattformbetreibers in Bezug auf grundlegende Informationen fordert. Diese seien neben Informationen über den Namen des Fahrers eines online gebuchten Fahrzeugs beispielsweise Informationen darüber, ob ein genutztes Fahrzeug bei einem online vermittelten Taxidienst den Sicherheitsstandards entspricht; für die Pflicht zur Einrichtung eines umfassenden Prüfsystems auch Chen Xing/Yang Xiaoyi, Journal of Chongqing University of PT 2020/4, 36, 39; vgl. auch Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 107 f. m. w. N., der sich im Rahmen der inhaltlichen Prüfung für die Zusammenarbeit mit den Verwaltungsbehörden ausspricht und feststellt, dass die Rechtsprechung lediglich die Einrichtung eines grundlegenden Prüfmechanismus fordere. 777 Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 287; Zeng Na, Journal of Chonqing University of Technology 2019/5, 128, 133. 778 So Zeng Na, Journal of Chonqing University of Technology 2019/5, 128, 133. 779 Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 287. So auch das Mittlere Volksgericht 960 , und Ling Yao Fan/Yu Ling Competition Policy Research Hangzhou, Az.: 2019 01 2021/6, 47, 53, die von Plattformbetreibern neben der Prüfung der Existenz etwaiger Lizenzen und Genehmigungen darüber hinaus fordern, zu prüfen, ob auch die Produkte selbst hiermit versehen sind. 780 Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 287.
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3. Teil: Aktive Prüf- und Sicherungspflichten
von dem Grad der Zugänglichkeit der Plattform abhänge. Je weniger eingeschränkt die Zugänglichkeit einer Plattform sei, desto schwieriger gestalteten sich deren Verwaltung sowie die damit einhergehende Einhaltung der in § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG geregelten Prüfpflicht.781
II. Analyse Die Beschränkung des Prüfungsumfangs wird mit der Eigenschaft des E-Commerce-Plattform-Betreibers als Organisator und nicht primär Beaufsichtigendem, vgl. § 9 Abs. 2 ECG, begründet.782 Dies leuchtet nur bedingt ein, da Verkehrssicherungspflichten in der Regel gerade mit der Organisationsverantwortung des Verkehrssicherungspflichtigen begründet werden.783 Die Prüfpflicht des § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG nicht als rein formelle Pflicht zu verstehen, überzeugt zudem weniger in Abgrenzung zu § 23 BM Onlinehandel I a. F.784 als vielmehr § 27 Abs. 1 S. 1 ECG, der eine verobjektivierte Pflicht des E-Commerce-Plattform-Betreibers vorsieht, von Betreibern, die einen Antrag auf Aufnahme in die Plattform stellen, um Waren zu verkaufen oder Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, die Abgabe wahrer Informationen wie jene über ihre Identität, Adresse, Kontaktdaten und Verwaltungsgenehmigungen zu verlangen. Nach § 27 Abs. 1 S. 1 ECG müssen sie diese untersuchen und registrieren, eine Registrierungsdatei einrichten und regelmäßige Untersuchungen und Aktualisierungen hierzu durchführen. § 27 Abs. 1 ECG klar von § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG abzugrenzen, empfiehlt sich neben dem nur in § 38 Abs. 2 ECG vorgesehenen Verschuldenserfordernis vor allem deshalb, weil in § 80 Nr. 1 ECG eine ordnungsrechtliche Haftung für die Nichterfüllung dieser Pflicht angeordnet wird, die von der ordnungsrechtlichen Haftung, welche § 83 ECG neben der zivilrechtlichen Haftung für Verstöße gegen § 38 ECG vorsieht, abweicht.785 Damit Plattformbetreibern durch die Prüfpflicht des § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG nichts Unmögliches abverlangt wird, ist die Beschränkung des materiellen Prüfungsumfangs, 781
Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 285. Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 287. 783 Zum Institut der Verkehrssicherungspflicht im chinesischen Recht ausführlich oben, 3. Kap., A. Verkehrssicherungspflicht. 784 S. o., Fn. 771. 785 A. A. Ling Yao Fan/Yu Ling, Competition Policy Research 2021/6, 47, 52, die bei der Bestimmung des Inhalts von § 38 Abs. 1 ECG neben § 23 BM Onlinehandel I a. F. (s. o., Fn. 771) und § 44 VSG auch auf § 27 Abs. 1 ECG abstellen. Hierfür lässt sich durchaus vorbringen, dass es auch in der Erläuterung des ECG zu § 27 Abs. 1 ECG heißt, bei Waren oder Dienstleistungen, die mit dem Leben und der Gesundheit von Verbrauchern im Zusammenhang stehen, würden die Plattformbetreiber durch die Auferlegung strengerer Prüfpflichten und einer entsprechenden rechtlichen Haftung dazu angehalten, ihren Prüfpflichten aktiv nachzukommen und ihre Kontrolle über die auf der Plattform tätigen Betreiber zu verstärken, Lü Zushan/Peng Sen/Yin Zhongqing (Hrsg.), Erläuterung des ECG, 2018, S. 119. Dies spricht gegen einen rein formellen Charakter der in § 27 ECG geregelten Pflichten. 782
6. Kap.: Pflichten v. E-Commerce-Plattform-Betreibern gem. § 38 Abs. 2 ECG
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wie in der Literatur gefordert, jedoch gleichwohl angeraten und die Pflicht als Organisationspflicht zur Einrichtung eines funktionierenden Prüfmechanismus zu verstehen.786
B. Die Pflicht zur Gewährleistung der Sicherheit nach § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG Die Sicherungspflicht des § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG wirkt wie eine eigens für den ECommerce geschaffene Verkehrssicherungspflicht, deren Tatbestand und Rechtsfolgen im Folgenden näher beleuchtet werden. In § 38 Abs. 2 ECG ist nicht geregelt, unter welchen Umständen genau die dort geregelte Sicherungspflicht zur Anwendung gelangt. Mangels einer Präzisierung der Sicherungspflicht durch den Gesetzgeber selbst sind die rechtswissentschaftliche Literatur und Rechtsprechung bemüht, deren Bedeutungsgehalt selbst zu konkretisieren, und orientieren sich dabei an bestehenden gesetzlichen Pflichten787 oder verstehen § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG als allgemeine Verkehrssicherungspflicht für den E-Commerce.
I. Tatsächliche Hintergründe für die Schaffung des § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG Wu Teng sieht die berechtigten Gründe des Gesetzgebers für die Schaffung der Sicherungspflicht des § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG darin, dass die meisten E-CommercePlattform-Betreiber stark in die sich offline vollziehende Durchführung der durch sie vermittelten Verträge eingebunden seien, und fordert eine Begrenzung auf diese Fälle. Als Beispiele hierfür nennt er den Betreiber einer Imbissplattform, dessen vermittelte Verträge über das eigene Liefernetzwerk der Plattform abgewickelt werden,788 und den Betreiber einer Verkaufsplattform, der angibt, die eigene Beteiligung an der Vertragserfüllung zu Kontrollzwecken zu verstärken.789 Die Sicherungspflicht des § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG sei ferner anwendbar auf Betreiber von 786 So auch Zeng Na, Journal of Chonqing University of Technology 2019/5, 128, 133, die als Bezugspunkt für die Frage, ob der Plattformbetreiber seine Prüfpflicht erfüllt hat, die Art und Weise vorschlägt, wie dieser Beschwerden von Nutzern bearbeitet. Eine rein formelle Überprüfung könne zum Zeitpunkt der ersten Beschwerde eines Berechtigten ausreichen, bei weiteren Beschwerden müsse die Plattform eine eingehendere Prüfung vornehmen. 787 S. hierzu im Einzelnen unten unter C. Auslegung der in § 38 Abs. 2 ECG geregelten Pflichten im Einzelnen. 788 Dies erinnert an die in § 46 ECG genannten E-Commerce-Plattform-Betreiber. Die Rechtsprechung erkennt in solchen Fällen jedoch ungeachtet der teils gegenteiligen Behauptung der Plattformbetreiber ein bestehendes Arbeitsverhältnis zwischen ihnen und den Fahrern, Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 113 m. w. N. In diesem Fall wäre die Haftung primär durch die Anwendung arbeitsrechtlicher Spezialvorschriften zu bestimmen. 789 Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 113.
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3. Teil: Aktive Prüf- und Sicherungspflichten
Ridehailing-Plattformen wie DiDi, die an der Vertragserfüllung beteiligt seien, indem sie unter anderem Sicherheitshinweise auf der Startseite der App veröffentlichen, eine Schaltfläche mit der Kennzeichnung „Sicherheitszentrale“ einrichten, über die ein Alarm abgegeben werden kann und die Fahrten aufgezeichnet werden.790 Durch die Teilnahme der Plattformbetreiber an der Vertragserfüllung werde das Vertrauen der Nutzer in die Plattformen gestärkt, was die Schaffung der in § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG geregelten Sicherungspflicht rechtfertige, die dem Plattformbetreiber jedoch nichts Unmögliches abverlangen dürfe.791 Gesetzlich klingt diese Einbeziehung der Plattformbetreiber in die sich offline vollziehende Vertragserfüllung in § 46 S. 2 ECG an, der regelt, dass E-Commerce-Plattform-Betreiber neben den in § 9 Abs. 2 ECG genannten Dienstleistungen auch andere wie die Lagerung, Logistik, Zahlungsabwicklung und Lieferung anbieten können.
II. § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG als allgemeine Verkehrspflicht für den E-Commerce Die in § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG geregelte Verkehrssicherungspflicht inhaltlich klar abzustecken, wird zu Recht überwiegend als von vornherein aussichtsloses Unterfangen gewertet. Der konkrete Inhalt von Verkehrssicherungspflichten sei im Einzelfall nicht nur anhand gesetzlicher Vorgaben zu bestimmen, sondern auch anhand des Ausmaßes der Gefahr, der Fähigkeit zur Gefahrprävention und -kontrolle sowie der Frage, ob die Pflichtadressaten einen Gewinn erzielen.792 Um zu beurteilen, ob eine Plattform ihrer Sicherungspflicht nachgekommen ist, sei eine Kombination aus den Merkmalen der Plattform selbst und den Merkmalen des auf ihr tätigen Betreibers sowie der Stand der technischen Entwicklung zu berücksichtigen. Handele es sich bei der durch die Plattform vermittelten Interaktionsform um eine unmittelbare Interaktion, bei der es zu physischem Kontakt kommt, wie beispielsweise die Personenbeförderung, häusliche Dienstleistungen oder eine Kurzzeitvermietung, habe die Plattform eine verstärkte Pflicht zur Gewährleistung der persönlichen Sicherheit. Letztlich sei eine Einzelfallprüfung erforderlich, um festzustellen, ob eine Plattform ihre Sicherungspflichten erfüllt hat.793 Dabei wird in Bereichen, in denen es um den 790
Vgl. Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 113 m. w. N. Vgl. Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 114. 792 Zhang Xinbao, Gesetz über die deliktische Haftung, 4. Aufl. 2016, S. 177; Cheng Xiao, Deliktsrecht, 2. Aufl., 2015, S. 465 f.; Xue Jun, China Information Security 2020/10, 81, 84. 793 Xue Jun, China Information Security 2020/10, 81, 84; so auch Zhang Xinbao, Gesetz über die deliktische Haftung, 4. Aufl. 2016, S. 177; Cheng Xiao, Deliktsrecht, 2. Aufl., 2015, S. 465 f. A. A. noch Qi Aimin, Grundlegende Abhandlung über das E-Commerce-Recht, 2010, S. 55 f., der sich für eine abschließende Aufzählung der Pflichteninhalte ausspricht; ähnlich Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 290, der fordert, dass je nach Gestaltung der E-Commerce-Plattform, der Form der Erbringung von Dienstleistungen und dem Grad der Wahrscheinlichkeit der Begehung von Rechtsverletzungen konkret und eindeutig zu regeln sei, ob und welchen Rahmens E-Commerce-Plattform-Betreiber eine aktive Überwachungs791
6. Kap.: Pflichten v. E-Commerce-Plattform-Betreibern gem. § 38 Abs. 2 ECG
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Schutz des Lebens und der Gesundheit geht, wie auch in § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG, die Anlegung eines höheren Sorgfaltsmaßstabs gefordert, so beispielsweise im Bereich der Lebensmittelsicherheit als traditionell stark reguliertem Sektor.794 Zur Begründung des Verständnisses von § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG als allgemeine Verkehrssicherungspflicht für den E-Commerce wird auf ihren generalklauselartigen Charakter und das deutsche Verständnis der Verkehrssicherungspflicht i. S. v. § 823 Abs. 1 BGB verwiesen. Es gebe keine konkrete Formel für die Bestimmung des Inhalts der Verkehrssicherungspflicht i. S. v. § 823 Abs. 1 BGB, der vielmehr ebenfalls anhand der die Gefahr betreffenden konkreten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen sei, wie etwa der Erkennbarkeit der Gefahr, der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und der Zumutbarkeit von Schutzmaßnahmen gegen sie.795 In Bezug auf die in § 37 DelHaftG796 geregelte Verkehrssicherungspflicht hätten die Rechtskommission des NVK und das OVG herausgearbeitet, dass auch diese keinen eindeutigen Inhalt habe.797 In der Tat stellte die Rechtskommission des NVK in ihrer Auslegung des DelHaftG klar, dass es in der Praxis notwendig sei, den Inhalt der Verkehrssicherungspflichten umfassend anhand der konkreten tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zu bestimmen.798 Dieser flexible Ansatz bei der Bestimmung des Inhalts und Kontrollpflicht trifft. In Situationen, in denen die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Rechtsverletzungen kommt, groß ist und es dem E-Commerce-Plattform-Betreiber möglich ist, im Vorfeld Kontrollmaßnahmen zu ergreifen, sei die Einhaltung einer an den technischen und finanziellen Möglichkeiten des Plattformbetreibers orientierte aktive Überwachungs- und Kontrollpflicht zu fordern. 794 Vgl. Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 71, mit Beispielen aus der tatsächlichen Umsetzung in der Praxis. So gebe es bereits Plattformen, über die Einblicke in Restaurants durch Kameras übertragen würden und so für mehr Transparenz gesorgt werden solle. In § 14 Abs. 1 BM Onlinehandel II ist für Plattformbetreiber, die den Onlinehandel mit Lebensmitteln ermöglichen, zudem die Pflicht zur Einrichtung einer speziellen Verwaltungsstelle für Lebensmittelsicherheit im Internet oder die Beschäftigung hierfür in Vollzeit zuständigen Personals vorgesehen, die die Geschäftspraktiken auf der Plattform und die präsentierten Informationen überprüfen. Stellt ein solcher Plattformbetreiber fest, dass auf der Plattform Rechtsverletzungen begangen werden, welche die Lebensmittelsicherheit betreffen, trifft ihn nach § 14 Abs. 2 BM Onlinehandel II die Pflicht, diese Handlungen einzustellen und die zuständige Marktaufsichtsbehörde zu informieren. S. zu der Diskussion, ob Plattformbetreiber eine Pflicht zur Überwachung von Offline-Inhalten trifft, Ma Gengxin, Oriental Law 2021/2, 86, 96 m. w. N., die sich selbst angesichts zunehmend elaborierter technischer Prüfmöglichkeiten für ein etwaiges Verständnis der in § 38 Abs. 2 ECG geregelten Pflichten ausspricht, da hierdurch auch die Kriterien für die Bestimmung der entsprechenden Haftung i. S. v. § 38 Abs. 2 ECG umfassender würden. Zur Bestimmung der entsprechenden Haftung ausführlich unten unter D. Entsprechende Haftung nach § 38 Abs. 2 ECG als Rechtsfolge. 795 So Lin Huanmin, Modern Law Science 2020/6, 195, 200, der insoweit auf BGH, Urt. v. 3. 6. 2008 – VI ZR 223/07, VersR 2008, 1083, 1084, verweist. In diesem Fall ging es um den Betreiber einer Trampolinanlage, der seiner Hinweispflicht auf die mit etwaigen Sprüngen einhergehenden Verletzungsgefahren nicht hinreichend nachgekommen war. 796 Nunmehr ersetzt durch § 1198 ZGB, vgl. § 1260 ZGB. 797 Lin Huanmin, Modern Law Science 2020/6, 195, 200. 798 Wang Shengming, Erläuterung des Gesetzes über die deliktische Haftung der VR China, 2013, S. 224.
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3. Teil: Aktive Prüf- und Sicherungspflichten
einzelner Verkehrssicherungspflichten wird auch für die Handhabung des § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG gefordert, der über keinen spezifischen, immer gleichlautenden Inhalt verfüge. Vielmehr seien die Verkehrssicherungspflichten von E-CommercePlattform-Betreibern im Sinne der Aufgabe der Hermeneutik, einen juristischen Minimalkonsens zu erreichen, als Vorgabe gewisser Pflichtenstandards zur Gefahrvorbeugung statt konkreter Pflichteninhalte zu verstehen.799
C. Auslegung der in § 38 Abs. 2 ECG geregelten Pflichten im Einzelnen Bislang war die Rechtsprechung eher zurückhaltend bei der Anwendung von § 38 Abs. 2 ECG.800 Teils orientieren die Gerichte sich, wie auch einige Stimmen in der Literatur, auch an anderen, auf den ersten Blick ähnlich lautenden gesetzlich geregelten Pflichten, ohne dabei genau zwischen § 38 Abs. 2 Var. 1 und Var. 2 ECG zu differenzieren. Besondere Aufmerksamkeit erfährt die Diskussion des Anwendungsverhältnisses zwischen § 38 Abs. 2 ECG und § 1198 ZGB.
I. § 38 Abs. 2 ECG als Zusammenfassung anderer gesetzlicher Pflichten Eine der in der Rechtsprechung erkennbaren Tendenzen beim Umgang mit § 38 Abs. 2 ECG ist die Anreicherung der dort geregelten Pflichten mit anderen im ECG geregelten Pflichten.801 So verwies das Vierte Mittlere Volksgericht Beijing bei der Beurteilung der Frage, ob die Plattform Jingdong ihrer Prüfpflicht i. S. v. § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG nachgekommen war, darauf, dass Jingdong ein Erklärungsschreiben, eine Kopie des Gewerbescheins der auf der Plattform tätigen Betreiberin sowie der Genehmigung für den Vertrieb von Lebensmitteln vorlegte.802 Das Gericht definierte die Untersuchungs- und Registrierungspflicht des § 27 ECG sowie die Informati799
Vgl. Lin Huanmin, Modern Law Science 2020/6, 195, 200 f. Liu Wenjie, Peking University Law Journal 2012/2, 395, 407 ff., fordert in diesem Sinne beispielsweise eine anhaltende Sorgfaltspflicht des Netzdienstanbieters, wenn in dem durch ihn zur Verfügung gestellten virtuellen Raum eine erhebliche Rechtsverletzung begangen wurde. 800 Zurückhaltung bei der Anwendung des § 38 ECG insgesamt durch die Gerichte beobachten auch Ling Yao Fan/Yu Ling, Competition Policy Research 2021/6, 47, 48 f., die zudem feststellen, dass eine Verurteilung in vielen Fällen daran gescheitert sei, dass nicht ausreichend Beweise vorgebracht worden seien. Ma Gengxin, Oriental Law 2021/2, 86, 93 f., fordert vor diesem Hintergrund eine Beweislastumkehr zugunsten der Verbraucher, unabhängig davon, welche Haftungsform konkret einschlägig ist. 801 Diese Beobachtung stellt auch Lin Huanmin, Modern Law Science 2020/6, 195, 197, an. 802 ), Az.: 2019 04 Viertes Mittleres Volksgericht Beijing ( 104 .
6. Kap.: Pflichten v. E-Commerce-Plattform-Betreibern gem. § 38 Abs. 2 ECG
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onsübermittlungs-, Aufforderungs- und Kooperationspflichten des § 28 ECG direkt als Verkehrssicherungspflichten i. S. v. § 38 Abs. 2 ECG.803 Auch das Obere Volksgericht Jiangsu stützte sich im Vorfeld seiner Entscheidung darüber, ob die Alibaba Group, Betreibern der E-Commerce-Plattform Taobao, ihre Verkehrssicherungspflichten i. S. d. § 38 Abs. 2 ECG erfüllt hat, lediglich darauf, dass sie ihre Prüfpflichten in Gestalt einer Identitätsprüfung erfüllt habe und daher nicht nach § 38 Abs. 2 ECG hafte.804 Andere behelfen sich bei der Auslegung von § 38 Abs. 2 ECG der Vorschrift des § 44 Abs. 1 S. 2 VSG805, der eine Schadensersatzpflicht des Plattformbetreibers für den Fall vorsieht, dass dieser die gültigen Kontaktinformationen eines rechtsverletzenden, auf der Plattform tätigen Betreibers nicht herausgeben kann.806 An dieser inhaltlichen Anreicherung der Verkehrssicherungspflicht des § 38 Abs. 2 ECG mithilfe etablierter Pflichttypen wird positiv gesehen, dass so die Wahrscheinlichkeit abweichender Gerichtsentscheidungen in gleich gelagerten Fällen verringert werde, was einen Beitrag zur Einheit der Rechtsordnung darstelle.807 In diesem Sinne wird davon ausgegangen, dass Pflichten wie die in den §§ 17, 23, 27 f. und 30 f. ECG konkret geregelten allesamt Verkehrssicherungspflichten i. S. v. § 38 Abs. 2 ECG darstellen könnten.808
II. Kritik Gegen diese Lesart der Pflichten des § 38 Abs. 2 ECG spricht die fehlende Notwendigkeit einer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht, die sich inhaltlich nicht von bestehenden, andernorts im Gesetz explizit geregelten Pflichten unterscheidet. Dies gilt zum einen für die in den §§ 28 VSG, 131 LSG und §§ 17, 23, 27 f. sowie 30 f. ECG geregelten Pflichten.809 Zum anderen wird an der Auslegung des § 38 Abs. 2 ECG mithilfe von § 44 Abs. 1 S. 2 VSG zu Recht kritisiert, Telos dieser Vorschrift sei die Unterstützung von Verbrauchern bei der gerichtlichen Geltend-
803
Zur Abgrenzung von § 27 Abs. 1 ECG und §§ 38 Abs. 2 Var. 1 ECG s. auch oben unter II. Analyse. 804 ), Entscheidung des Oberen Volksgerichts der Provinz Jiangsu ( Az.: 2019 863 . Hierzu ausführlich oben, 5. Kap., D. II. 2. Rechtsstreit CBCGDF ./. Alibaba et al. 805 Für den Onlinehandel mit Lebensmitteln findet sich eine Parallelregelung in § 131 Abs. 2 LSG, vgl. auch die Tabelle unter 1. Kapitel: Einleitung. 806 Zeng Na, Journal of Chonqing University of Technology 2019/5, 128, 129 f. m. w. N. 807 So Lin Huanmin, Modern Law Science 2020/6, 195, 197 f., der dieser Lesart von § 38 Abs. 2 ECG aber im Übrigen kritisch gegenübersteht. 808 So Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 288. 809 So auch Lin Huanmin, Modern Law Science 2020/6, 195, 197.
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3. Teil: Aktive Prüf- und Sicherungspflichten
machung ihrer Rechte.810 Diese Vorschrift ähnelt eher § 27 ECG und ist von § 38 Abs. 2 ECG daher ebenfalls klar zu trennen.811 Die Auslegung von § 38 Abs. 2 ECG mithilfe anderer gesetzlicher Pflichten wird ferner mit Blick auf die dogmatischen Hintergründe der Verkehrssicherungspflicht im deutschen Zivilrecht kritisiert. So sei das Institut der Verkehrssicherungspflicht im deutschen Recht geschaffen worden, um bestehende gesetzliche Regelungslücken wie die fehlende Regelung des Unterlassungsdelikts im BGB auszugleichen. Mit der Schaffung der Verkehrssicherungspflicht seien die Unterlassungsdelikte vollständig in den Anwendungsbereich des § 823 BGB integriert worden.812 Daher wird gefordert, die anderen gesetzlich geregelten Prüfpflichten, die Pflichten jenseits der § 823 Abs. 1 BGB vergleichbaren Regelung des § 38 Abs. 2 ECG für den E-Commerce bezeichnen, von den Verkehrssicherungspflichten des § 38 Abs. 2 ECG auszunehmen.813 Gegen die Auslegung von § 38 Abs. 2 ECG mithilfe bestehender gesetzlicher Pflichten spricht zudem die Gefahr von Überschneidungen und widersprüchlichen Ergebnissen, die entsteht, wenn sich die Verkehrssicherungspflicht auf eindeutig geregelte Pflichten mit anderen Rechtsfolgen bezieht.814
III. Das Verhältnis von § 38 Abs. 2 ECG zu § 1198 ZGB und § 18 Abs. 2 VSG In § 1198 Abs. 1 ZGB, Nachfolgeregelung des mit Inkrafttreten des ZGB aufgehobenen § 37 Abs. 1 DelHaftG,815 hat der Gesetzgeber eine Sicherungsgewährleistungspflicht des Betreibers und Verwalters von Betriebsplätzen und öffentlichen Plätzen wie Hotels, Kaufhäusern, Banken, Bahnstationen, Flughäfen, Sportstadien 810 Zeng Na, Journal of Chonqing University of Technology 2019/5, 128, 129 f. Zur Abgrenzung von § 27 Abs. 1 ECG und § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG s. auch oben unter II. Analyse. 811 Zeng Na, Journal of Chonqing University of Technology 2019/5, 128, 129 f. Dagegen, das Versäumnis des Plattformbetreibers, die Kontaktinformationen eines Schädigers herauszugeben, zugleich als Verletzung der Pflichten des § 38 Abs. 2 ECG zu verstehen, auch Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 74, der der Auffassung ist, die beiden Vor). Chen Xing/Yang schriften könnten „bestenfalls koexistieren“ ( Xiaoyi, Journal of Chongqing University of PT 2020/4, 36, 39, bezeichnen § 38 Abs. 2 ECG als Ergänzung zu § 44 VSG. Danach haftet ein Plattformbetreiber, auch wenn er die Pflicht des § 44 Abs. 1 S. 2 VSG erfüllt hat, gleichwohl entsprechend, wenn er seinen Prüf- und Sicherungspflichten nach § 38 Abs. 2 ECG nicht nachkommt. 812 Vgl. Lin Huanmin, Modern Law Science 2020/6, 195, 198, der insoweit auf MüKoBGB/ Wagner, 2017, § 823 Rn. 381 f. verweist. Zur Bedeutung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht im chinesischen Recht s. o., 3. Kap., A. II. Besondere Verkehrssicherungspflichten und allgemeine Verkehrssicherungspflicht. 813 Vgl. Lin Huanmin, Modern Law Science 2020/6, 195, 197. 814 So auch Lin Huanmin, Modern Law Science 2020/6, 195, 198, der festhält, der Auslegungsspielraum der Gerichte werde so eingeschränkt und die Handhabe der Vorschrift letztlich erschwert. 815 Vgl. § 1260 ZGB.
6. Kap.: Pflichten v. E-Commerce-Plattform-Betreibern gem. § 38 Abs. 2 ECG
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und Vergnügungsstätten sowie des Organisators von Massenaktivitäten geregelt. Wird diese Pflicht verletzt und kommt es dadurch zu Schäden anderer, hat der Betreiber, Verwalter oder Organisator nach § 1198 Abs. 1 ZGB zu haften. § 1198 Abs. 2 S. 1 ZGB, Nachfolgeregelung des mit Inkrafttreten des ZGB aufgehobenen § 37 Abs. 2 DelHaftG,816 sieht eine entsprechend ergänzende Haftung des Betreibers, Verwalters oder Organisators vor, wenn dieser Pflicht nicht vollständig nachgekommen und der Schaden unmittelbar durch die Handlung eines Dritten verursacht wird. Gegenüber § 37 Abs. 2 DelHaftG neu hinzugekommen ist das in § 1198 Abs. 2 S. 2 ZGB geregelte Recht, nach der entsprechend ergänzenden Haftung von dem Dritten Ausgleich zu verlangen. Eine ähnliche, verbraucherspezifische Pflicht findet sich in § 18 Abs. 2 VSG, der jedoch keine Haftungsfolge vorsieht. Da die Pflicht des § 18 Abs. 2 VSG nur auf verbraucherbezogene Sachverhalte Anwendung findet, wird sie als die Sicherungspflicht bezeichnet, die der in § 38 Abs. 2 ECG geregelten Sicherungspflicht am ehesten ähnelt.817 Wegen der dort unterbliebenen Regelung einer Haftungsfolge sei § 1198 ZGB818 indes die allgemeine Bestimmung, die § 38 Abs. 2 ECG entspreche.819 Ein Beispiel aus der Rechtsprechung ist das Urteil des Internetgerichts Beijing, das § 38 Abs. 2 ECG und § 37 DelHaftG gleichsetzte.820 Das Gericht begründete die Haftung einer Videoplattform für den tödlichen Sturz eines ihrer Nutzer, der Videos seiner waghalsigen Manöver über die Plattform teilte, damit, dass auch die Betreiberin einer Internetplattform Betreiberin eines öffentlichen Platzes i. S. v. § 37 DelHaftG sei. Zugleich sei sie Plattformbetreiberin i. S. v. § 38 ECG und würde bei Geltung des ECG nach § 38 Abs. 2 ECG haften.821 Dieses Verständnis wurde zu Recht kritisiert, da das Gericht hierdurch zum einen die Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs822, zum anderen den persönlichen als auch sachlichen Anwendungsbereich des ECG verkannte.823 Weder war der tödlich Verunglückte, wie von § 38 ECG vorausgesetzt, Verbraucher, noch findet das ECG gemäß § 2 Abs. 3 S. 2 ECG Anwendung auf Dienstleistungen in Bezug auf Audiound Videoprogramme.824
816
S. o., Fn. 815. So Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 71. 818 Der Autor bezieht sich explizit auf die Vorgängerregelung des § 37 DelHaftG, da das ZGB erst nach dem ECG erlassen wurde; da die Ausführungen sich jedoch überwiegend auf § 1198 ZGB übertragen lassen, wird im Folgenden der Klarheit halber die Neuregelung zitiert. 819 Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 71. 820 ), Az.: 2018 0491 2386 . Internetgericht Beijing ( 821 Zum Zeitpunkt der Entscheidung war das ECG noch nicht in Kraft getreten. 822 Dieser ist auch im chinesischen Recht eine Voraussetzung für die Haftung bei mittelbaren Rechtsverletzungen, s. hierzu oben, 3. Kap., A. I. Hintergründe des Instituts der Verkehrssicherungspflicht im chinesischen Recht. 823 So Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 284 f. 824 So auch Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 284 f.; auch Yang Lixin, Gansu Social Sciences 2019/1, 100, 105, stellt fest, § 38 Abs. 2 ECG stehe im Einklang mit § 37 Abs. 2 DelHaftG. 817
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3. Teil: Aktive Prüf- und Sicherungspflichten
1. Anwendbarkeit von § 38 Abs. 2 ECG neben § 1198 ZGB Die Ausweitung der in § 1198 ZGB geregelten Pflicht auf Plattformbetreiber wird durch eine wachsende Zahl wissenschaftlicher Arbeiten sowie Teile der Rechtsprechung befürwortet.825 Auch in den Erläuterungen des Gesetzgebers zu § 38 Abs. 2 ECG wird im Zusammenhang mit § 38 Abs. 2 ECG auf § 37 DelHaftG826 und § 18 Abs. 2 VSG eingegangen.827 a) Argumente für die Anwendbarkeit von § 38 Abs. 2 ECG neben § 1198 ZGB Für die Anwendbarkeit von § 38 Abs. 2 ECG neben § 1198 ZGB wird vorgebracht, das Internet sei eine Art von öffentlichem Raum und online und offline begangene Rechtsverletzungen seien in hohem Maße miteinander verflochten, weshalb auch E-Commerce-Plattform-Betreiber eine Verkehrssicherungspflicht i. S. v. § 1198 ZGB treffe.828 Die von den Gegenstimmen vorgebrachten Unterschiede zwischen dem Internet und dem physischen Raum führten angesichts der technischen Prüfmöglichkeiten im Internet nicht dazu, dass Netzdienstanbieter zwangsläufig weniger Kontrollmöglichkeiten hätten als herkömmliche Anbieter von Waren oder Dienstleistungen. Ferner gebe es keine Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber die in § 1198 ZGB geregelte Verkehrssicherungspflicht auf physische Räume habe beschränken wollen. Dies entspreche sowohl der Realität der technologischen Entwicklung als auch den Erfahrungen anderer Länder.829 Verwiesen wird auch insoweit darauf, dass § 37 DelHaftG nach dem Vorbild der deutschen Verkehrssicherungspflicht erlassen worden sei, in dem keine Beschränkung auf die in § 37 DelHaftG genannten Personen erfolgt sei.830 Die Spezialität des Umfangs der in § 38 ECG geregelten Sicherungspflichten führe nicht zu einer Exklusivität der Haftung für die Verletzung dieser Pflichten, und mit den speziellen Pflichten des § 38 Abs. 2 ECG habe der Gesetzgeber die Pflichten des § 37 DelHaftG lediglich auf den E-Commerce ausdehnen, die Haftung jedoch nicht auf die Anwendung der Neuregelung beschränken wollen.831 Gestützt wird diese Sichtweise auch auf § 48 Abs. 2 VSG, der die allgemeine deliktische Haftung des Gewerbetreibenden für Schäden eines Ver825
Xue Jun, China Information Security 2020/10, 81, 83. Nunmehr ersetzt durch § 1198 ZGB, vgl. § 1260 ZGB. 827 Lü Zushan/Peng Sen/Yin Zhongqing (Hrsg.), Erläuterung des ECG, 2018, S. 114 ff. 828 Liu Wenjie, Peking University Law Journal 2012/2, 395, 407 ff.; Guo Hongwei, Law Science Magazine 2019/11, 78, 80 f.; die Einbeziehung einiger Plattformen in die sich offline vollziehende Vertragserfüllung beschreibt auch Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 113. Hierzu auch oben unter 6. Kapitel: Die Pflichten von E-Commerce-Plattform-Betreibern gemäß § 38 Abs. 2 ECG. 829 Xue Jun, China Information Security 2020/10, 81, 83. 830 Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 71 m. w. N. Zur Bedeutung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht im chinesischen Recht s. o., 3. Kap., A. II. Besondere Verkehrssicherungspflichten und allgemeine Verkehrssicherungspflicht. 831 Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 73. 826
6. Kap.: Pflichten v. E-Commerce-Plattform-Betreibern gem. § 38 Abs. 2 ECG
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brauchers nach dem DelHaftG anordnet, die dadurch entstanden sind, dass er dem Verbraucher gegenüber nicht nach Kräften seiner Pflicht zur Gewährleistung der Sicherheit nachgekommen ist.832 Daraus sei zu schließen, dass der Gesetzgeber nicht die Absicht hatte, die Regeln über die Haftungszuweisung nach § 37 DelHaftG in Bezug auf verbraucherbezogene Fragen zu ändern. Analog hierzu bestehe auch im Zusammenhang mit § 38 Abs. 2 ECG, der ebenfalls Verbraucher schützt, nicht die Notwendigkeit, von bestehenden Vorschriften über die Haftungsverteilung abzuweichen.833 b) Exklusivitätsverhältnis zwischen § 38 Abs. 2 ECG und § 1198 ZGB Anders als Lu Qing und Xue Jun, die § 38 Abs. 2 ECG lediglich als Konkretisierung von § 1198 ZGB und Parallelregelung zu § 18 Abs. 2 VSG für den ECommerce verstehen, geht Lin Huanmin davon aus, dass zwischen den §§ 1198 ZGB und 38 Abs. 2 ECG ein Exklusivitätsverhältnis besteht.834 Zwar sieht er einen potenziellen Vorzug einer Orientierung der Gerichte an der Rechtsprechung zu § 37 DelHaftG835, da die Rechtsprechungspraxis während des seit mehr als zehn Jahren in Kraft befindlichen, nunmehr außer Kraft gesetzten DelHaftG zahlreiche Erfahrungen bei der Anwendung des § 37 DelHaftG sammeln konnte. Dagegen bringt er jedoch vor, der Wortlaut des § 37 DelHaftG sei auf physisch existente öffentliche Orte wie Hotels und Kaufhäuser beschränkt. Zwar sei die Nachfolgeregelung des § 1198 ZGB teils geändert worden, der grundlegende Charakter der Vorschrift, die Haftung für Rechtsverletzungen zu regeln, die in öffentlichen, real existenten Räumen begangen werden, bestehe jedoch nach wie vor und das Internet unterscheide sich von dem realen Raum durch seinen virtuellen Charakter.836 Zur Be832
S. dazu, dass mit der Formulierung im Gesetz, der Gewerbetreibende müsse die Haftung „wegen der Verletzung von Rechten“ übernehmen, die Haftung nach dem DelHaftG gemeint ist, auch Fn. 64 der Übersetzung von Gresbrand/Martinek/Odom/Rotermund/Will/Pißler, ZChinR 2014/1, 69, 69 ff. 833 Vgl. Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 73, der jedoch zugleich auf die besondere Haftungsregel für Plattformbetreiber in § 44 VSG hinweist. Vor Erlass des ECG habe man daher argumentieren können, die Sicherungspflicht des § 18 Abs. 2 VSG könne nicht auf E-Commerce-Plattformen ausgedehnt werden, da nicht nur der Anwendungsbereich von § 18 Abs. 2 VSG E-Commerce-Plattformen nicht explizit einschließe, sondern auch besondere Haftungsregeln in § 44 VSG enthalten seien. 834 Vgl. Lin Huanmin, Modern Law Science 2020/6, 195, 198 f. 835 S. o., Fn. 826. 836 Vgl. Lin Huanmin, Modern Law Science 2020/6, 195, 198 f.; auch Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 112 ff., weist zu Recht darauf hin, dass zwar auch der ECommerce-Plattform-Betreiber einen öffentlichen Raum zur Verfügung stellt, die Vertragsdurchführung sich aber grundsätzlich offline vollziehe, macht jedoch gleichzeitig auf die Beteiligung von Plattformbetreibern an der sich offline vollziehenden Vertragserfüllung aufmerksam. Xue Jun, China Information Security 2020/10, 81, 81, hebt hervor, das Internet reiche aufgrund seines immateriellen Charakters weiter, ist jedoch im Ergebnis für die Anwendung von § 1198 ZGB auf im Internet begangene Delikte; gegen die Anwendbarkeit des
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3. Teil: Aktive Prüf- und Sicherungspflichten
gründung wird ferner darauf verwiesen, dass § 38 Abs. 2 ECG Verkehrssicherungspflichten eigens für E-Commerce-Plattform-Betreiber vorsehe. Zu diskutieren, ob der Anwendungsbereich des § 37 DelHaftG auf den E-Commerce ausgeweitet werden soll, sei vor diesem Hintergrund nicht angebracht. Gleichwohl könne es angesichts der ähnlichen Terminologie in der Praxis im Einzelfall dazu kommen, dass beide Vorschriften anwendbar seien. Grundsätzlich sei indes zwischen den in § 37 Abs. 2 DelHaftG und § 38 Abs. 2 ECG geregelten Verkehrssicherungspflichten zu differenzieren. Dies gelte insbesondere angesichts der divergierenden Rechtsfolgen. Während § 37 Abs. 2 des vierten Entwurfes des ECG noch vorsah, dass ECommerce-Plattform-Betreiber, die ihre Verkehrssicherungspflicht nicht erfüllen, die ergänzende Haftung tragen837, sehe § 38 Abs. 2 der geltenden Fassung eine entsprechende Haftung838 der Plattformbetreiber vor. Der Unterschied in den Rechtsfolgen zeige deutlich, dass sich die Verkehrssicherungspflichten nach dem ECG von jenen des § 37 DelHaftG und nunmehr des § 1198 ZGB unterscheiden. § 38 Abs. 2 ECG sei keine Konkretisierung des § 37 DelHaftG für den Online-Bereich. Zwecks Auslegung des § 38 Abs. 2 ECG auf letztgenannte Vorschriften zurückzugreifen, widerspreche daher dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers.839 2. Analyse Der Auffassung, die von einem Exklusivitätsverhältnis zwischen § 38 Abs. 2 ECG und § 1198 ZGB ausgeht, ist beizupflichten, da die Schaffung spezieller Haftungsregeln im ECG auf den Willen des Gesetzgebers hindeutet, die allgemeine Haftungsregel des § 37 DelHaftG und nunmehr § 1198 ZGB im E-Commerce gerade nicht gelten lassen zu wollen. Dies gilt umso mehr, als sich der Gesetzgeber bei der Normierung der Haftungsfolge in § 38 Abs. 2 ECG bewusst für eine Formulierung entschieden hat, die von § 1198 Abs. 2 ZGB abweicht, welcher den im Rechtsverkehr besonders relevanten Fall der unmittelbaren Schädigung durch einen Dritten regelt.840 Gleichwohl kann eine Orientierung an der Rechtsprechung zu § 37 DelHaftG
§ 1198 ZGB im virtuellen Raum auch Li Xiaocao, Journal of Law Application 2020/13, 124, 134. 837 . 838 . Hierzu ausführlich unten unter D. Entsprechende Haftung nach § 38 Abs. 2 ECG als Rechtsfolge. 839 So Lin Huanmin, Modern Law Science 2020/6, 195, 199 f. Verstehe man die Pflichten des § 38 Abs. 2 ECG ferner als Pflichten zur größtmöglichen Sorgfalt, unterschieden sie sich deutlich von der in § 1198 ZGB geregelten, öffentliche Plätze betreffenden Sicherungspflicht, S. 208. Auch einige Gerichte seien bei der Ausdehnung der Vorgängervorschrift von § 1198 ZGB, § 37 DelHaftG, auf das Internet insgesamt eher zurückhaltend gewesen. So u. a. das Vierte Mittlere Volksgericht Beijing ( ), Az.: 2019 04 104 . 840 Vgl. auch Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 104, der konstatiert, die Tatsache, dass der Gesetzgeber ausdrücklich darauf verzichtet hat, die entsprechende Ergänzungshaftung als Rechtsfolge der Nichterfüllung der in § 38 Abs. 2 ECG geregelten Pflichten
6. Kap.: Pflichten v. E-Commerce-Plattform-Betreibern gem. § 38 Abs. 2 ECG
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und § 1198 Abs. 2 ZGB im Einzelfall sinnvoll sein. Würde man hingegen § 38 Abs. 2 ECG immer zwingend in § 1198 ZGB überführen, würde sich die Frage nach der Notwendigkeit einer eigenen Haftungsregel stellen. Dass § 1198 ZGB später erlassen wurde als § 38 Abs. 2 ECG, ist angesichts der wesentlich früher erlassenen Vorgängerregelung des § 37 DelHaftG keine taugliche Erklärung. Zwischen § 1198 ZGB und § 38 Abs. 2 ECG klar zu differenzieren, bietet sich auch angesichts der divergierenden Anwendungsbereiche der dort geregelten Verkehrspflichten an. Während die von § 1198 ZGB geschützern Rechtsgüter nicht näher spezifiziert sind, beziehen sich die Pflichten des § 38 Abs. 2 ECG ausdrücklich auf Waren und Dienstleistungen, die das Leben und die Gesundheit der Verbraucher betreffen.841
D. Entsprechende Haftung nach § 38 Abs. 2 ECG als Rechtsfolge Rechtsfolge der Nichterfüllung der in § 38 Abs. 2 ECG geregelten Pflichten ist die Haftung des Plattformbetreibers entsprechend nach dem Recht.842
I. Gesetzgebungshistorische Hintergründe Dass § 38 Abs. 2 ECG während des Gesetzgebungsverfahrens des ECG eine der umstrittensten Vorschriften war,843 wird vor allem daran deutlich, dass die dort geregelte Haftungsfolge mehrfach geändert wurde.844 So wurde zunächst eine gesamtschuldnerische Haftung der E-Commerce-Plattform-Betreiber mit den auf der Plattform tätigen Betreibern festgelegt.845 Es wurde die Auffassung vertreten, die gesamtschuldnerische Haftung von E-Commerce-Plattform-Betreibern sei durch Verweis auf das LSG oder, mutatis mutandis, auf die Bestimmungen des WG festzulegen.846 Neben § 38 Abs. 2 ECG existieren mit § 131 Abs. 1 LSG und § 56 Abs. 2 WG zwei Vorschriften, die sich auf Waren und Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Leben oder der Gesundheit von Verbrauchern beziehen und die beide die anzuordnen, lege nahe, dass die weite Auslegung des § 1198 Abs. 2 ZGB eines besonderen Argumentationsaufwandes bedürfe. 841 Diesen Punkt räumt auch Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 72, ein, der zudem darauf hinweist, dass die Regelung im DelHaftG (nunmehr ZGB) und dem VSG nach allgemeiner Auffassung den Schutz der persönlichen Sicherheit sowie der Vermögenssicherheit umfasse. 842 . 843 Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 104; Chen Xing/Yang Xiaoyi, Journal of Chongqing University of PT 2020/4, 36, 37; Zeng Na, Journal of Chonqing University of Technology 2019/5, 128, 128. 844 Zeng Na, Journal of Chonqing University of Technology 2019/5, 128, 128. 845 Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 104 m. w. N.; vgl. auch Zeng Na, Journal of Chonqing University of Technology 2019/5, 128, 128. 846 Lü Zushan/Peng Sen/Yin Zhongqing (Hrsg.), Erläuterung des ECG, 2018, S. 120.
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3. Teil: Aktive Prüf- und Sicherungspflichten
gesamtschuldnerische Haftung anordnen.847 In § 56 Abs. 2 WG geht es um falsche Werbung für Waren oder Dienstleistungen, für deren Schäden Werbungtreibende, Werbungverbreitende und Werbebotschafter gemeinsam mit den Werbenden gesamtschuldnerisch haften.848 In § 131 Abs. 1 LSG wird die gesamtschuldnerische Haftung des Betreibers einer Drittplattform für den Onlinehandel mit Lebensmitteln mit dem Lebensmittelunternehmer angeordnet, wenn ersterer seine Registrierungspflicht, Prüfpflicht, Pflicht zur behördlichen Berichterstattung oder Bereitstellung der Plattformdienste verletzt.849 Im Anschluss wurde in Anlehnung an § 37 Abs. 2 DelHaftG eine ergänzende Haftung angeordnet, bis man sich schlussendlich auf die nunmehr geltende „entsprechende Haftung“ einigte.850 Es wurde argumentiert, dass die Verbraucher von den am E-Commerce Beteiligten am schutzwürdigsten seien,851 gefolgt von den auf der Plattform tätigen Betreibern. Am wenigsten schutzwürdig seien demgegenüber die Plattformbetreiber. Die Anordnung der entsprechend ergänzenden Haftung der Plattformbetreiber wurde vor diesem Hintergrund für zu leicht erachtet, eine gesamtschuldnerische Haftung hielt man demgegenüber für zu streng und von Nachteil im Hinblick auf die Entwicklung des ECommerce. Mit der entsprechenden Haftung werde am ehesten ein Gleichgewicht zwischen den konfligierenden Interessen hergestellt.852 847
Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 74. Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 74, weist indes zu Recht darauf hin, dass sich das Element des „Wissens oder Wissenmüssens“ in § 56 Abs. 3 WG, nicht aber § 56 Abs. 2 WG wiederfinde – insofern sei die Regelungsstruktur der des § 38 Abs. 1 und 2 ECG recht ähnlich. Auch § 45 WG, der explizit die gesamtschuldnerische Haftung des Netzdienstanbieters regele, setze wiederum dessen Kenntnis oder Kennenmüssen voraus, weshalb die Haftung des Netzdienstanbieters sich hierauf beschränke und § 56 WG als Argumentationsgrundlage ungeeignet sei. 849 Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 74, stellt klar, dass sich indes auch insoweit ein Rückschluss auf die Interpretation der entsprechenden Haftung als gesamtschuldnerischer Haftung verbiete, da § 131 Abs. 1 LSG bestenfalls als im Verhältnis zu § 38 Abs. 2 ECG speziellere Vorschrift gesehen werden könne. 850 Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 104 m. w. N.; vgl. auch Zeng Na, Journal of Chonqing University of Technology 2019/5, 128, 128. 851 So sprach sich auch der Chinesische Verbraucherverband in seiner im September 2018 veröffentlichten Stellungnahme nachdrücklich gegen die Festlegung einer entsprechend ergänzenden Haftung in § 38 Abs. 2 ECG wie in § 37 Abs. 2 DelHaftG aus, da es angesichts des durch den Plattformbetreiber erzielten Gewinns sowie dessen Kontrollmöglichkeiten unangemessen sei, diesen als neutralen Dritten zu bezeichnen, vgl. die „Stellungnahme des Chinesischen Verbraucherverbandes zur Durchführung und Umsetzung des ECG zum wirksamen Schutz der legalen Rechte und Interessen der Verbraucher“ [ ], http://www.chinatt315.org.cn/tfzx/2018-9/27/37120.html, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022. 852 So Yin Zhongqing, stellvertretender Direktor des Finanz- und Wirtschaftsausschusses des NVK und stellvertretender Leiter der Redaktionsgruppe des ECG, vgl. Zhang Han (Hrsg.), „Pressekonferenz des Ständigen Ausschusses des NVK am 31. August“ [ 8 31 ], http://www.scio.gov.cn/xwfbh/qyxwfbh/Document/1636719/1636719.htm, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022. Die schlussendlich gewählte Formulierung in § 38 Abs. 2 ECG wird auch im Schrifttum als nach einem mehrjährigen Gesetzgebungsprozess gefundener 848
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II. Die entsprechende Haftung Die entsprechende Haftung ist eine Form der zivilrechtlichen Haftung und trifft weder zur straf- noch ordnungsrechtlichen Haftung eine Aussage, die in den §§ 83, 88 ECG geregelt sind.853 1. Verständnis der entsprechenden Haftung In der Erläuterung zum ECG heißt es, die konkrete Ausgestaltung der sog. entsprechenden Haftung sei nicht auf die entsprechende Ergänzungshaftung854 beschränkt, sondern könne je nach den Umständen des Einzelfalls ferner die gesamtschuldnerische855 oder anteilige Haftung856 nach sich ziehen.857 a) Die entsprechende Haftung als gesamtschuldnerische Haftung Die gesamtschuldnerische Haftung ist in den §§ 178, 518 ff. ZGB geregelt. Wie im deutschen Recht kann der Berechtigte einen Teil oder alle Gesamtschuldner auf Ersatz der vollen Haftungssumme in Anspruch nehmen, vgl. § 178 Abs. 1 ZGB. In § 178 Abs. 2 S. 1 ZGB ist festgelegt, wie die jeweiligen Haftungsanteile zu bestimmen sind, § 178 Abs. 2 S. 2 ZGB sieht einen Ausgleichsanspruch unter den Gesamtschuldnern vor. Im Schrifttum heißt es, in der Regel könne die entsprechende Haftung des § 38 Abs. 2 ECG nicht als gesamtschuldnerische Haftung ausgelegt werden, es sei denn, die Verletzung der Prüf- oder Sicherungspflicht der E-Commerce-Plattform-Betreiber stelle ein gemeinsames, schuldhaftes deliktisches Handeln mit den auf der Plattform tätigen Betreibern dar.858 Ein solches setze einen direkten oder wesentlichen Beitrag zu einer auf der Plattform begangenen deliktischen Handlung voraus, beispielsweise die direkte Zurverfügungstellung von In-
Kompromiss bewertet, in den Erkenntnisse aus Rechtsprechungspraxis und rechtswissenschaftlicher Forschung gleichermaßen eingeflossen seien, Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 283. Teils wird indes auch vertreten, die letztlich gewählte Formulierung habe zu einer Herabsetzung der legalen Rechtsinteressen der Verbraucher geführt, so Guo Feng (Hrsg.), Anwendung des ECG der VR China und anleitende Fälle, 2018, S. 429 f.; krit. angesichts der Vagheit der geltenden Rechtsfolge auch Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 104. 853 Chen Xing/Yang Xiaoyi, Journal of Chongqing University of PT 2020/4, 36, 37 f.; Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 292. 854 . 855 . 856 . 857 Lü Zushan/Peng Sen/Yin Zhongqing (Hrsg.), Erläuterung des ECG, 2018, S. 119; vgl. auch das Urteil des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Az.: 2020 01 4250 . 858 Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 293.
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3. Teil: Aktive Prüf- und Sicherungspflichten
formationen gegenüber dem unmittelbaren Schädiger.859 Voraussetzung für das Verständnis der entsprechenden Haftung als gesamtschuldnerische Haftung ist ferner ein direkter Kausalzusammenhang zwischen der Rechtsgutsverletzung und dem deliktischen Verhalten.860 b) Die entsprechende Haftung als anteilige Haftung Folge der anteiligen Haftung ist gemäß § 177 ZGB, dass jedes Haftungssubjekt entsprechend seines Beitrags zum Schaden haftet, es sei denn, es ist schwierig, den jeweiligen Beitrag zum Haftungsumfang zu bestimmen. In diesem Fall wird gleichmäßig gehaftet. Anders als bei der ergänzenden Haftung gibt es keine Haftungsreihenfolge.861 In der Regel ist die entsprechende Haftung nicht als anteilige Haftung i. S. v. § 177 ZGB auszulegen.862 Der Grund hierfür liegt darin, dass die anteilige Haftung ihrem Wesen nach eine geteilte Haftung ist, es sich aber bei der Verletzung der Prüf- oder Sicherungspflicht i. S. v. § 38 Abs. 2 ECG nicht um den alleinigen oder vornehmlichen Grund für die Schädigung der Verbraucher handelt.863 Würde man von einer anteiligen Haftung des E-Commerce-Plattform-Betreibers ausgehen, würde dies die Haftung des unmittelbaren Schädigers im Gegensatz zu der Annahme einer ergänzenden Haftung des Plattform-Betreibers erleichtern, was eine Abkehr von dem Ziel des Verbraucherschutzes und dem Fairnessprinzip des Zivilrechts darstellen würde.864 Bei der in der Regel vorsätzlichen Handlung des unmittelbaren Schädigers und dem fahrlässigen Unterlassen des Plattformbetreibers fehle es an der für die Rechtsfolge der anteiligen Haftung vorausgesetzten Vergleichbarkeit.865 Als Beispiel aus der Praxis sei der Fall genannt, in dem das Mittlere Volksgericht Zhengzhou für die Verletzung der Prüfpflicht i. S. v. § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG die anteilige Haftung der Alibaba Group zu 20 Prozent anordnete. Über die von 859 Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 293. Ausreichend ist ein fahrlässiges Zusammenwirken, Bu, in: Bu (Hrsg.), Der Besondere Teil der chinesischen Zivilrechtskodifikation, 2019, S. 223. 860 Ling Yao Fan/Yu Ling, Competition Policy Research 2021/6, 47, 56; Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 293. 861 Chen Xing/Yang Xiaoyi, Journal of Chongqing University of PT 2020/4, 36, 39. 862 Vgl. Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 293. 863 Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 293 f. 864 Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 293 f.; so auch Ma Gengxin, Oriental Law 2021/2, 86, 91 m. w. N., die darauf hinweist, die Rechtsfolge der anteiligen Haftung greife nur, wenn alle Haftungssubjekte aktiv handelten. Die Verletzung der Pflichten des § 38 Abs. 2 ECG liege aber in der Regel in einem Unterlassen des Plattformbetreibers. 865 Ma Gengxin, Oriental Law 2021/2, 86, 91. Chen Xing/Yang Xiaoyi, Journal of Chongqing University of PT 2020/4, 36, 39, plädieren daher dafür, die Stärke des Kausalzusammenhangs zwischen der Nichterfüllung der Sicherungspflicht und der Rechtsverletzung vor der Anordnung einer anteiligen Haftung besonders zu prüfen und dabei die Art der Plattform, den Umfang der Pflichterfüllung sowie die tatsächlichen Kosten, die der Plattform zum Schutz der Verbraucherrechte entstanden sind, zu berücksichtigen.
6. Kap.: Pflichten v. E-Commerce-Plattform-Betreibern gem. § 38 Abs. 2 ECG
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ihr betriebene E-Commerce-Plattform Tmall wurden unlizenzierte Elektrofahrzeuge vertrieben, durch deren Nutzung es zu Brandschäden kam.866 c) Die entsprechende Haftung als entsprechende Ergänzungshaftung Die in den §§ 1198 Abs. 2 S. 1 ZGB vorgesehene Haftungsfolge der entsprechend ergänzenden Haftung867 wird als eine mildere Form der vollständigen Ergänzungshaftung charakterisiert, weil sie kein vollständiges Einstehen der ergänzend haftenden für die primär haftende Person nach sich zieht, sondern die Haftung des ergänzend Haftenden sich auf dessen Grad an Verantwortlichkeit für den Schaden beschränkt.868 Da die Beziehung zwischen der Rechtsverletzung des Dritten, die die unmittelbare Ursache bildet, und der Verletzung der Pflichten des § 38 Abs. 2 ECG in der Regel nicht parallel verlaufen, wird die entsprechende Haftung i. S. v. § 38 Abs. 2 ECG weitgehend als eine solche entsprechend ergänzende Haftung der Plattformbetreiber verstanden.869Als Beispiel, in dem die entsprechende Haftung als entsprechend ergänzende Haftung zu verstehen ist, wird der Fall eines über eine ECommerce-Plattform vermittelten Taxidienstes genannt, bei dem ein qualifizierter Fahrer sein Fahrzeug privat einem ungeprüften Fahrer überlässt, die Plattform keine Konsistenzprüfung vornimmt und es während der Fahrt zu einem Unfall und daraus resultierenden Schaden eines Fahrgastes kommt. In diesem Fall sei die Verletzung der Prüfpflicht durch den Plattformbetreiber nur ein mittelbarer Grund für den Schaden, sodass er lediglich ergänzend und nicht gesamtschuldnerisch mit dem Privaten hafte.870 Zur Begründung für das Verständnis der entsprechenden Haftung
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Urteil des Mittleren Volksgerichts Zhengzhou, Provinz Henan ( ), Az.: 2021 01 3077 . 867 . 868 Bu, in: Bu (Hrsg.), Chinese Civil Law, 2013, S. 124 f., die im Folgenden auf im Rahmen der Ergänzungshaftung bestehende Unklarheiten eingeht. Wang Meng, Die deliktsrechtliche Verkehrspflicht im deutsch-chinesischen Vergleich, 2020, S. 125, macht darauf aufmerksam, dass das Verhältnis der entsprechenden Ergänzungshaftung zu § 1172 ZGB unklar bleibe, der die Teilhaftung mehrerer Nebentäter anordne. Ferner sei heftig umstritten, ob dem ergänzend Haftenden ein Regressanspruch gegen den unmittelbaren Schädiger zustehe. S. hierzu unten unter 2. Ausgleichsanspruch des Plattformbetreibers 869 Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 295. 870 Vgl. Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 293 unter Bezugnahme auf das Urteil des Unteren Volksgerichts Shenzhen Bao’an, Provinz Guangdong ( ), Az.: 2019 0306 3266 . Das zweitinstanzliche Gericht schloss sich der Anordnung einer entsprechenden Ergänzungshaftung an, beschränkte diese jedoch auf eine Haftungsquote von 50 Prozent, Mittleres Volksgericht Shenzhen, Provinz Guangdong ( ), Az.: 2020 03 943 . In dem Urteil des Ersten Mittleren Volksgerichts Shanghai, Az.: 2020 01 4250 , in dem es ebenfalls um die Haftung eines Plattformbetreibers für Schäden ging, die im Rahmen eines durch die Plattform vermittelten Transportdienstes entstanden, erkannte das Gericht die entsprechend ergänzende Haftung des Plattformbetreibers.
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als entsprechende Ergänzungshaftung wird auch auf § 37 DelHaftG871 und § 18 Abs. 2 VSG abgestellt und der E-Commerce-Plattform-Betreiber wie der Verwalter i. S. v. § 37 DelHaftG gesehen.872 Dabei wird gefordert, die ergänzende Haftung i. S. v. § 38 Abs. 2 ECG als anteilige ergänzende Haftung und nicht als ergänzende Haftung für den vollständigen Verlust zu verstehen. Der Anteil der Haftung sei anhand des Grades der Ursächlichkeit und des Verschuldens zu bestimmen.873 Um den ergänzenden Charakter der Haftung der E-Commerce-Plattform-Betreiber zu verdeutlichen, dürfe der Anteil der Haftung der E-Commerce-Plattform-Betreiber 50 Prozent der Haftung nicht überschreiten; andernfalls sei die Bezeichnung „ergänzende Haftung“ nicht gerechtfertigt.874
2. Ausgleichsanspruch des Plattformbetreibers Anders als bei den in § 38 Abs. 1 ECG geregelten Pflichten, die eine gesamtschuldnerische Haftung des Plattformbetreibers mit dem auf der Plattform tätigen Betreiber nach sich ziehen,875 ist die Frage nach einer Regresspflicht des unmittelbaren Schädigers gegenüber dem Plattformbetreiber im Rahmen der in § 38 Abs. 2 ECG angeordneten entsprechenden Haftung weniger eindeutig, da die Rechtsfolge unterschiedlich verstanden wird und der Gesetzgeber anders als für den Betreiber oder Verwalter von Betriebsplätzen oder öffentlichen Plätzen in § 1198 Abs. 2 S. 2 ZGB keinen allgemeinen Ausgleichsanspruch des Netzdienstanbieters geregelt hat. Obwohl dies im Lichte der thematischen Nähe zu § 38 Abs. 2 ECG, der ebenfalls einen Bezug zu Leben und Gesundheit seiner Schutzsubjekte aufweist, nicht völlig fernliegend erscheint, ist trotz der Vergleichbarkeit der in § 1198 ZGB und § 38 Abs. 2 ECG geregelten Sicherungspflichten876 Zurückhaltung dabei geboten, den Regressanspruch des § 1198 Abs. 2 S. 2 ZGB analog877 auf § 38 Abs. 2 ECG anzuwenden. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass der in § 1198 Abs. 2 S. 2 ZGB geregelte Regressanspruch aus systematischer Sicht eine Ausnahme zu § 1172 ZGB 871
S. o., Fn. 826. Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 295; vgl. auch Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 78. Zum Verhältnis zwischen § 37 DelHaftG und § 38 Abs. 2 ECG ausführlich oben unter III. Das Verhältnis von § 38 Abs. 2 ECG zu § 1198 ZGB und § 18 Abs. 2 VSG. 873 Zhang Xinbao, China Law Review 2019/1, 133, 139; vgl. auch Chen Xing/Yang Xiaoyi, Journal of Chongqing University of PT 2020/4, 36, 38. 874 Zhang Xinbao, China Law Review 2019/1, 133, 139. 875 Insoweit ist ein Ausgleichsanspruch in § 178 Abs. 2 S. 2 ZGB geregelt, s. o., a) Die entsprechende Haftung als gesamtschuldnerische Haftung. 876 Zhou Xiping, Academic Research 2019/6, 66, 72, hält die für die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten von E-Commerce-Plattform-Betreibern überwiegend angeordnete gesamtschuldnerische Haftung für systematisch inkonsistent und eine entsprechend ergänzende Haftung wie in der Vorgängervorschrift des § 1198 ZGB, § 37 DelHaftG, auch im ECommerce für angemessener. 877 S. o., Fn. 221. 872
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darstellt, der im Rahmen der dort geregelten anteiligen Haftung keinen Regressanspruch vorsieht.878 Für Zurückhaltung bei der entsprechenden Anwendung des in § 1198 Abs. 2 S. 2 ZGB geregelten Ausgleichsanspruchs, der im Rahmen der Kodifizierung des ZGB neu hinzugefügt wurde, spricht zudem, dass dessen Einführung kritisch gesehen wurde, weil die Haftung des Sicherungspflichtigen auf seinem eigenen Verschulden beruhe und die Regresspflicht des unmittelbaren Schädigers für ungerechtfertigt gehalten wurde.879 3. Analyse In der Verletzung der in § 38 Abs. 2 ECG geregelten Pflichten eine für die gesamtschuldnerische Haftung vorausgesetzte Beihilfehandlung zu sehen, würde in den meisten denkbaren Fällen konstruiert wirken, angesichts des auch im Übrigen herangezogenen Begründungsmodells der gemeinschaftlichen Rechtsverletzung zur Begründung der Haftung für mittelbare Rechtsverletzungen von Netzdienstanbietern allerdings wenig überraschen.880 Insofern und angesichts der thematischen Nähe zu § 1198 ZGB überzeugt es, dass die entsprechende Haftung überwiegend als entsprechende Ergänzungshaftung verstanden wird.881 Wünschenswert wäre jedoch eine klare gesetzliche Definition der denkbaren Haftungsformen sowie der Fälle, in denen diese greifen.882 Das jetzige flexible Verständnis der entsprechenden Haftung ist Ausdruck eines missglückten Kompromissversuchs, der auf Kosten der Rechtssicherheit geht.883 878 Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 113, bringt gegen die Vergleichbarkeit von § 38 Abs. 2 ECG und § 1198 Abs. 2 ZGB zudem vor, dass Ersterer im Gegensatz zu Letzterem keine vorsätzliche Rechtsverletzung durch einen Dritten vorsehe. A. A. Ma Gengxin, Oriental Law 2021/2, 86, 93, die das Bestehen eines Regressanspruchs damit begründet, dass der Plattformbetreiber nur die negativen Voraussetzungen für den Schadenseintritt schaffe. Ausführlich zur Sinnhaftigkeit des Regressanspruchs bei der entsprechenden Ergänzungshaftung im Allgemeinen Xie Hongfei, Law Sience 2019/2, 42, 42 ff., der sich für das Bestehen eines Regressanspruchs gegenüber dem vorsätzlich handelnden unmittelbaren Schädiger ausspricht. 879 Vgl. auch Bu, in: Bu (Hrsg.), Der Besondere Teil der chinesischen Zivilrechtskodifikation, 2019, S. 224, und Wang Liming/Zhou Youjun/Gao Shengping, Kurs im chinesischen Deliktsrecht, 2010, S. 37. Auch Wang Daofa, China Legal Science 2019/6, 282, 295 hält fest, dies liefe dem Veranwortungsprinzip zuwider. Andere brachten für das Bestehen eines Rückforderungsanspruchs vor, dass so eine größere Abschreckungswirkung gegenüber dem unmittelbaren Schädiger erzielt werde, Zhang Xinbao, China Legal Science 2017/3, 49, 64; Zhou Youjun, Political Science and Law 2018/5, 2, 10. 880 S. o., Fn. 54. 881 Hierfür sprechen zudem die Parallelen zu § 1198 Abs. 2 ZGB, s. hierzu ausführlich oben unter III. Das Verhältnis von § 38 Abs. 2 ECG zu § 1198 ZGB und § 18 Abs. 2 VSG. 882 So auch Ma Gengxin, Oriental Law 2021/2, 86, 95; Ling Yao Fan/Yu Ling, Competition Policy Research 2021/6, 47, 48. 883 Vgl. auch Ling Yao Fan/Yu Ling, Competition Policy Research 2021/6, 47, 50, die die Gefahr sehen, dass im Einzelfall willkürlich die Rechtsfolge der gesamtschuldnerischen oder der entsprechenden Ergänzungshaftung angeordnet werde, je nachdem, ob die Richter per-
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E. Abgrenzung von § 38 Abs. 1 und Abs. 2 ECG § 38 Abs. 1 und Abs. 2 ECG unterscheiden sich auf Rechtsfolgenseite durch die in Abs. 1 angeordnete gesamtschuldnerische Haftung des Plattformbetreibers mit dem unmittelbaren Schädiger und die in Abs. 2 geregelte entsprechende Haftung des Plattformbetreibers, weshalb eine Abgrenzung der Anwendungsbereiche beider Absätze praktisch von Bedeutung ist.884 Auf Tatbestandsseite liegt einer der Unterschiede in dem jeweiligen Schutzgegenstand. Während § 38 Abs. 1 ECG auf den Schutz der persönlichen Sicherheit885, Vermögenssicherheit886 oder anderweitigen Interessen von Verbrauchern gerichtet ist, dient § 38 Abs. 2 ECG dem Schutz bei Waren oder Dienstleistungen, die einen Bezug zum Leben oder der Gesundheit der Verbraucher aufweisen. Des Weiteren unterscheiden sich die beiden Absätze durch den Inhalt der geregelten Pflichten. So sieht § 38 Abs. 1 ECG eine Pflicht zur Ergreifung notwendiger Maßnahmen vor; § 38 Abs. 2 ECG regelt eine Prüfpflicht sowie Pflicht zur Gewährleistung der Sicherheit, wobei nur § 38 Abs. 1 ECG ausdrücklich an ein subjektives Element in Gestalt des Wissens oder Wissenmüssens des Plattformbetreibers anknüpft.
I. Anwendungsbeispiel Der wesentliche Grund für die unterschiedliche Ausgestaltung der Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen von Abs. 1 und Abs. 2 wird in der Literatur darin gesehen, dass Abs. 1 an die normative Vorlage des § 36 Abs. 3 DelHaftG und Abs. 2 an jene des § 37 DelHaftG angelehnt ist.887 Lu Qing verdeutlicht an einem anschaulichen Beispiel, dass durch diese Hybridstellung des E-Commerce-Plattform-Betreibers unterschiedliche Anforderungen an die Pflichten ein und desselben
sönlich die Interessen der Verbraucher oder das Interesse an der wirtschaftlichen Entwicklung der Plattform stärker gewichten. Auch Ma Gengxin, Oriental Law 2021/2, 86, 89, sieht diese Gefahr trotz der für die Bestimmung der konkreten Haftungsform entwickelten Kriterien. A. A. Chen Xing/Yang Xiaoyi, Journal of Chongqing University of PT 2020/4, 36, 42 f., die der Auffassung sind, durch die Rechtsfolge der entsprechenden Haftung werde ein angemessener Interessenausgleich sowie die Möglichkeit einzelfallgerechter Ergebnisse hergestellt. Gleichwohl könne nur mit der Zeit festgestellt werden, ob die Regelung sich bewähre, und es sei der Bedeutungsgehalt der entsprechenden Haftung weiter zu präzisieren, um eine einheitliche Regel zu etablieren, die den Gerichten eine klare Orientierungshilfe bietet. 884 Die entsprechende Haftung kann nur in Einzelfällen als gesamtschuldnerische Haftung verstanden werden; s. hierzu ausführlich oben unter a) Die entsprechende Haftung als gesamtschuldnerische Haftung. 885 . 886 . 887 Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 75.
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Rechtssubjekts gestellt werden und daraus Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Rechtsanwendung entstehen.888 1. Sachverhalt und mögliche Lösungen A ist als sog. „Ersatzfahrer“889 für das Unternehmen B tätig, ohne dass zwischen A und B ein Arbeitsverhältnis besteht. Das Unternehmen B betreibt zugleich eine Carpooling-Plattform zur Akquise von Fahrgemeinschaften, durch welche die Ersatzfahrer zurück in die Stadt befördert werden. Der Fahrer C, den B über seine Plattform akquiriert hat, befördert A zurück in die Stadt und verursacht dabei einen Unfall, bei dem A geschädigt wird. Das Kfz von C ist mit einem falschen Nummernschild versehen, C verfügt zudem über keine gültige Kfz-Versicherung.890 Es werden drei unterschiedliche Möglichkeiten vorgestellt, wie die Frage nach der Haftung von B gegenüber A nach Erlass von § 38 ECG zu bewerten sein könnte: 1. B hätte wissen müssen, dass die von C erbrachte Dienstleistung nicht den Anforderungen an die Personen- und Vermögenssicherheit genügt, und hat es gleichzeitig unterlassen, notwendige Maßnahmen i. S. v. § 38 Abs. 1 ECG zu ergreifen. B haftet somit gesamtschuldnerisch mit C für den A entstandenen Schaden. 2. Der von C erbrachte Fahrtdienst weist einen Bezug zu Leben und Gesundheit der Verbraucher auf. B hat nicht geprüft, ob das von C genutzte Fahrzeug zugelassen ist und so die Sicherungspflicht des § 38 Abs. 2 ECG verletzt. B trägt somit die entsprechende Haftung gemäß § 38 Abs. 2 ECG. 3. B hätte nicht i. S. v. § 38 Abs. 1 ECG wissen müssen, dass die von C erbrachte Dienstleistung nicht den Anforderungen an die Personen- und Vermögenssicherheit genügt, sodass eine Haftung nach § 38 Abs. 1 ECG ausscheidet. B. haftet auch nicht gemäß § 38 Abs. 2 ECG, da er hiernach nur die Fahrerqualifikation des C selbst zu prüfen hat.891
888 Vgl. Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 75. Wu Teng, Studies in Law and Business 2022/2, 103, 111, hält die klare Abgrenzung der beiden Absätze für ein unmögliches Unterfangen. 889 ; engl.: „designated driver“. Diese Fahrer sind Berufskraftfahrer, die Kfz gegen Bezahlung an einen bestimmten Ort verbringen, und kommen in der Regel zum Einsatz, nachdem Alkohol konsumiert wurde und nicht mehr selbst gefahren werden kann, vgl. den Eintrag „Ersatzfahrer“ [ ], https://baike.baidu.com/item/%E4%BB%A3%E9%A9%BE/53 5604?fromModule=lemma_search-box, zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022. 890 Dieser Fall wurde vor Erlass des ECG tatsächlich durch Urteil des Dritten Mittleren Volksgerichts Beijing ( ), Az.: 2015 04810 , entschieden. Das Gericht erkannte, dass B als Plattformbetreiber es versäumt habe, zu prüfen, ob C ein zugelassenes Fahrzeug nutzte. B sei ferner nicht rechtzeitig nach Ablauf der Kfz-Versicherung tätig geworden. Das Gericht verurteilte den Plattformbetreiber auf dieser Grundlage zur gesamtschuldnerischen Haftung mit dem Fahrer nach § 44 Abs. 2 VSG. 891 Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 75.
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2. Abgrenzung anhand zeitlicher Kriterien In der Erläuterung des ECG heißt es, § 38 Abs. 1 ECG sehe eine sich zeitlich an die begangenen Rechtsverletzungen anschließende Pflicht zur Ergreifung der notwendigen Maßnahmen vor, während in § 38 Abs. 2 ECG eine aktive Prüf- und Sicherungspflicht ex ante geregelt seien.892 Hiergegen wird in der Literatur vorgebracht, die Formulierung in § 38 Abs. 1 ECG sei gegenüber § 36 Abs. 3 DelHaftG893 gerade um ein „Wissenmüssen“ des Plattformbetreibers erweitert worden, weshalb in § 38 Abs. 1 ECG bestimmte Verhaltensanforderungen an die Plattformbetreiber im Vorfeld der Rechtsverletzungen erkennbar seien.894 Da die in § 36 Abs. 3 DelHaftG geregelte Kenntnis des Netzdienstanbieters nach überwiegender Auffassung bereits als „Kennen oder Kennenmüssen“ ausgelegt wurde,895 überzeugt diese Schlussfolgerung weniger mit Blick auf den Vergleich der alten und neuen Rechtslage, als vielmehr im Ergebnis. 3. Abgrenzung anhand der Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung Zur Abgrenzung von § 38 Abs. 1 und Abs. 2 ECG wird ferner auf das Kriterium der Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung rekurriert. Dass § 38 Abs. 1 ECG offensichtliche Rechtsverletzungen umfasse, während die Pflichten des § 38 Abs. 2 ECG auf den Schutz vor weniger offensichtlichen Rechtsverletzungen und eine Pflicht zur größtmöglichen Sorgfalt der Plattformbetreiber gerichtet sei, wird damit begründet, dass § 38 Abs. 1 ECG Ausdruck des US-amerikanischen Red Flag-Tests sei. So wird die Diskrepanz zwischen der schwerer wiegenden Rechtsfolge der gesamtschuldnerischen Haftung in § 38 Abs. 1 ECG im Vergleich zu der leichter wiegenden entsprechenden Haftung des § 38 Abs. 2 ECG erklärt.896 Als Analogie werden die in § 38 Abs. 2 ECG geregelten Pflichten mit der Pflicht zur Installation von Kameras und zur Durchführung von Sicherheitskontrollen verglichen, jedoch zugleich konstatiert, dass durch die weit gefassten Begriffe nach wie vor ein großer Spielraum verbleibe, ob § 38 Abs. 1 oder Abs. 2 ECG anwendbar ist.897
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Lü Zushan/Peng Sen/Yin Zhongqing (Hrsg.), Erläuterung des ECG, 2018, S. 120 f. Hierzu ausführlich oben, 5. Kap., A. Gesetzgebungshistorische Hintergründe zu § 36 Abs. 3 DelHaftG. 894 Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 76. 895 S. o., Fn. 674. 896 Lin Huanmin, Modern Law Science 2020/6, 195, 204 f. S. zum Verständnis des § 38 Abs. 1 ECG als Red Flag-Test für den E-Commerce auch oben, 5. Kap., C. Die Pflicht nach § 38 Abs. 1 ECG. 897 Vgl. Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 77 f. 893
6. Kap.: Pflichten v. E-Commerce-Plattform-Betreibern gem. § 38 Abs. 2 ECG
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4. Entscheidung des Fallbeispiels Hinsichtlich des geschilderten Fallbeispiels kommt Lu Qing zu dem Ergebnis, dass die von der Plattform erbrachte Dienstleistung einen Einfluss auf das Leben und die Gesundheit der Verbraucher habe und daher einer höheren Sorgfaltspflicht unterliegen solle als der allgemeinen Überwachungs- und Kontrollpflicht.898 Da der Plattformbetreiber nicht aktiv geprüft habe, ob die Fahrer zur Erbringung ihrer Dienstleistung zugelassene Fahrzeuge verwenden, habe er gegen § 38 Abs. 2 ECG verstoßen.899 Zwar äußert Lu Qing sich nicht zu der in diesem Fall konkreten Gestalt der entsprechenden Haftung, sodass unklar ist, wie der Plattformbetreiber seiner Auffassung nach in diesem Fall konkret zu haften hat. Aus der Argumentation, § 38 Abs. 2 ECG sei grundsätzlich in § 1198 Abs. 2 ZGB zu überführen, sofern nicht ein spezielles Gesetz oder besondere vertragliche Vereinbarungen etwas anderes vorsehen, kann jedoch geschlossen werden, dass er von einer entsprechend ergänzenden Haftung des Plattformbetreibers ausgeht.900
II. Analyse Sich bei der Abgrenzung von § 38 Abs. 1 und Abs. 2 ECG an den durch sie geschützten Rechtsgütern zu orientieren, ist angesichts der Überschneidungen, die sich durch die in Abs. 1 genannte persönliche Sicherheit und den Bezug zu Leben und Gesundheit der Verbraucher in Abs. 2 ergeben, wenig hilfreich. Sieht man den Ursprung von § 38 Abs. 1 ECG tatsächlich in dem US-amerikanischen Red FlagTest,901 erscheint eine Abgrenzung von § 38 Abs. 1 und Abs. 2 ECG anhand der Offensichtlichkeit der begangenen Rechtsverletzungen zielführender. Argumentativ lässt sich hierfür zum einen anführen, dass der Gesetzgeber § 36 Abs. 3 DelHaftG als Vorgängerregelung von § 38 Abs. 1 ECG bezeichnet, und § 36 Abs. 3 DelHaftG als Zeugnis der Übernahme des US-amerikanischen Red Flag-Tests gesehen wird.902 Betrachtet man den Wortlaut genauer, ist zum anderen auffällig, dass nur in § 38 Abs. 2 ECG die Rede davon ist, dass die dort geregelten Pflichten nicht erschöpfend903 erfüllt werden. Dies spricht dafür, dass § 38 Abs. 2 ECG auch weniger offenkundige Rechtsverletzungen erfasst. Argumentiert man eher ergebnisorientiert, wäre auch die dort angeordnete, unter Umständen weniger gravierend ausfallende
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Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 78. Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 78. 900 Zum Verhältnis zwischen § 1198 ZGB und § 38 Abs. 2 ECG ausführlich oben unter III. Das Verhältnis von § 38 Abs. 2 ECG zu § 1198 ZGB und § 18 Abs. 2 VSG. 901 S. hierzu oben, 5. Kap., C. Die Pflicht nach § 38 Abs. 1 ECG. 902 S. o., Fn. 675. 903 . 899
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3. Teil: Aktive Prüf- und Sicherungspflichten
entsprechende Haftung des § 38 Abs. 2 ECG904 bei dieser Auslegung stimmiger. In dem geschilderten Fallbeispiel käme es darauf an, für wie erheblich man die durch den unmittelbaren Schädiger begangene Rechtsverletzung hält. Viel spricht dafür, dass man – Kausalitätserwägungen außen vor gelassen – angesichts der offensichtlichen Unzulässigkeit des Fahrens eines Kfz mit falschem Nummernschild ohne gültige Kfz-Versicherung von einer offensichtlichen Rechtsverletzung und daher einer gesamtschuldnerischen Haftung des Plattformbetreibers mit dem unmittelbaren Schädiger nach § 38 Abs. 1 ECG ausgehen müsste. Freilich wird so auch die Schwäche dieser Betrachtungsweise deutlich, die darin besteht, dass der Grad der Offensichtlichkeit des Kausalzusammenhangs zwischen der Untätigkeit des Plattformbetreibers, der unmittelbaren Rechtsverletzung und dem Schaden des Verbrauchers in ihr keine Berücksichtigung findet. Alternativ wäre eine Abgrenzung denkbar, die § 38 Abs. 2 ECG als grundlegendere Pflicht zur Einrichtung funktionierender Prüfmechanismen versteht und § 38 Abs. 1 ECG als Haftungstatbestand für jene Untätigkeit des Plattformbetreibers, die trotz Bestehens solcher Prüfmechanismen Schäden verursacht.905 Hierfür lässt sich der Wortlaut von § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG anführen, der explizit eine Prüfpflicht des Plattformbetreibers regelt. § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG wäre aufgrund seiner systematischen Stellung ähnlich wie § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG auszulegen und ebenfalls als Pflicht zur Einrichtung grundlegender Sicherheitsstrukturen zu verstehen. Grenzt man § 38 Abs. 1 und Abs. 2 ECG auf diese Art und Weise ab, wäre ein Beispiel für die Haftung eines Plattformbetreibers nach § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG die Vermittlung eines Taxifahrers, der ohne Kfz-Zulassung Fahrdienste erbringt und während der Fahrt einen Fahrgast schädigt. Derselbe Plattformbetreiber würde nach § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG haften, wenn in dem Taxi keine Möglichkeit zur Identifizierung des Fahrers eingerichtet wurde und es wiederum zu einem Schaden eines Fahrgastes kommt. Er würde nach § 38 Abs. 1 ECG haften, wenn er weiß oder aufgrund der Meldung eines Fahrgastes wissen müsste, dass einer der Fahrer offensichtlich übermüdet seine Arbeit verrichtet, er dennoch keine notwendigen Abhilfemaßnahmen ergreift und der Fahrer in übermüdetem Zustand einen Unfall verursacht, bei dem ein Fahrgast geschädigt wird. Auch bei dieser Art der Abgrenzung ist die unter Umständen leichter wiegende Rechtsfolge des § 38 Abs. 2 ECG insofern stimmiger, als sich der Vorsatz des Plattformbetreibers bei der fehlenden grundlegenden Einrichtung funktionierender Prüfmechanismen nicht auf die konkrete Rechtsverletzung konzentriert und ein fahrlässiger Tatbeitrag, der nach chinesischem Recht im Bereich der Haftung von 904 Hierzu ausführlich oben unter D. Entsprechende Haftung nach § 38 Abs. 2 ECG als Rechtsfolge. 905 So auch Lu Qing, Zhejiang Social Sciences 2021/11, 70, 77 f., der mit der Abgrenzung aufgrund der Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung sympathisiert und § 38 Abs. 2 ECG zugleich mit der Pflicht zur Installation von Kameras und zur Durchführung von Sicherheitskontrollen vergleicht, s. o., 3. Abgrenzung anhand der Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung.
6. Kap.: Pflichten v. E-Commerce-Plattform-Betreibern gem. § 38 Abs. 2 ECG
187
Netzdienstanbietern als Voraussetzung für die gesamtschuldnerische Haftung ausreicht,906 hierdurch noch schwieriger zu begründen wäre als durch eine Untätigkeit trotz Kennens oder Kennenmüssens der unmittelbaren Rechtsverletzung. In dem zuvor unter E. I. geschilderten Anwendungsbeispiel käme man bei diesem Verständnis von § 38 Abs. 1 und Abs. 2 ECG zu dem Ergebnis, dass der Plattformbetreiber, solange er ein grundlegendes funktionierendes Prüf- und Sicherungssystem eingerichtet hat, weder nach § 38 Abs. 1 noch § 38 Abs. 2 ECG haftet. Eine Haftung nach § 38 Abs. 1 ECG käme nur in Betracht, wenn er von der Rechtsverletzung seines Fahrers unabhängig von der Einrichtung eines funktionierenden Prüfmechanismus wusste oder hätte wissen müssen.
F. Fazit Die mit Blick auf § 38 Abs. 2 ECG entstandene Verwirrung hat dazu geführt, dass die Rechtsprechung bei der Anwendung der Vorschrift entweder zurückhaltend ist oder sich bei der Auslegung an anderen gesetzlichen Verhaltenspflichten orientiert und § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG beispielsweise als besondere Regelung des § 1198 ZGB mit der dort geregelten Haftungsfolge der entsprechend ergänzenden Haftung betrachtet. Dies wirkt wie ein Versuch, den dort geregelten Haftungstatbeständen unter Zuhilfenahme andernorts geregelter Pflichten Leben einzuhauchen. Diese Zurückhaltung und Verunsicherung sind wenig verwunderlich, da das Verständnis von § 38 Abs. 2 ECG als aktive Prüf- und Sicherungspflicht im Lichte des Notice and Takedown-Verfahrens und des Red Flag-Tests, die im Zeichen der Haftungsprivilegierung des Netzdienstanbieters stehen, ungewohnt erscheint, wenngleich nicht unumstritten ist, dass auch die in § 1197 ZGB und § 45 ECG getroffenen Neuregelungen als Ausdruck des Red Flag-Tests zu verstehen sind.907 Dies gilt jedenfalls, wenn man § 38 Abs. 2 ECG nicht lediglich als Pflicht zur Einrichtung eines grundlegenden Prüf- und Sicherungsmechanismus begreift. Ein Erklärungsansatz hierfür ist, dass es bei den in § 38 Abs. 2 ECG geregelten Pflichten auch um den Schutz des öffentlichen Interesses geht. Da die in der Rechtsprechung vorgenommene Auslegungstendenz insbesondere von § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG mithilfe andernorts geregelter Pflichten die Gefahr widersprüchlicher Rechtsfolgen birgt, ist es methodisch überzeugender, § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG als selbstständige Verkehrssicherungspflicht für den E-Commerce zu verstehen. Das Bedürfnis des Gesetzgebers nach der Schaffung einer solchen ist einleuchtend, da sich der mitunter als allgemeine Verkehrssicherungspflicht bezeichnete § 1198 ZGB nach überzeugender Auffassung nicht auf ECommerce-Plattform-Betreiber erstreckt.908 906
S. o., Fn. 492. Hierzu s. o., 5. Kap., E. § 1197 ZGB und § 45 ECG als Ausdruck des US-amerikanischen Red Flag-Tests. 908 S. o., 3. Kap., A. II. Besondere Verkehrssicherungspflichten und allgemeine Verkehrssicherungspflicht. 907
188
3. Teil: Aktive Prüf- und Sicherungspflichten
Erfüllt ein E-Commerce-Plattform-Betreiber die Prüf- und Sicherungspflicht des § 38 Abs. 2 ECG nicht, haftet er entsprechend. Die Rechtsfolge der entsprechenden Haftung, auf die sich der Gesetzgeber nach langem Ringen geeinigt hat, wird auf Kosten der Rechtssicherheit je nach den Umständen des Einzelfalls flexibel als die in den Folgen und der konkreten Ausgestaltung umstrittene entsprechend ergänzende Haftung, gesamtschuldnerische Haftung oder anteilige Haftung verstanden. Überwiegend wird die entsprechende Haftung i. S. v. § 38 Abs. 2 ECG wie die den Betreiber oder Verwalter von Betriebsplätzen oder öffentlichen Plätzen treffende Haftungsfolge der entsprechend ergänzenden Haftung des § 1198 Abs. 2 S. 1 ZGB ausgelegt. Dies wird damit begründet, dass die Beziehung zwischen der die unmittelbare Ursache bildenden Rechtsverletzung durch den Dritten und der Verletzung der Sicherungspflicht in der Regel nicht parallel verlaufen und es für die gesamtschuldnerische Haftung an einem Zusammenwirken des unmittelbaren Schädigers mit dem Plattformbetreiber fehlt. Dabei wird eine Begrenzung der Haftungsquote des Plattformbetreibers von maximal 50 Prozent gefordert. Versteht man die entsprechende Haftung als entsprechend ergänzende Haftung, stellt sich die Frage nach einer entsprechenden Anwendung des in § 1198 Abs. 2 S. 2 ZGB geregelten Ausgleichsanspruchs. Betrachtet man das Anwendungsverhältnis zwischen § 38 Abs. 1 und Abs. 2 ECG, bietet sich eine Abgrenzung an, die § 38 Abs. 1 ECG in Anlehnung an den USamerikanischen Red Flag-Test als Haftung für offensichtlichere Rechtsverletzungen versteht, § 38 Abs. 2 ECG demgegenüber als grundlegendere Pflicht zur Einrichtung funktionierender Prüf- und Sicherungsmechanismen für die Plattform.
4. Teil
Schlussbetrachtung 7. Kapitel
Resümee, Thesen und Handlungsempfehlungen A. Resümee Das Notice and Takedown-Verfahren bildet einen wichtigen Rahmen für die Verkehrssicherungspflichten von Netzdienstanbietern, deren Bedeutung in Zeiten steigender Zahlen im Internet begangener Rechtsverletzungen stetig zunimmt. Der Gesetzgeber hat den Anwendungsbereich dieses Verfahrens, das seinen Ursprung im USamerikanischen Urheberrecht hat und für das urheberrechtliche Verbreitungsrecht in der VR China in der SRVI-VO geregelt ist, sukzessive ausgeweitet. Durch den Erlass des ECG erfolgte eine Ausweitung auf alle Rechte des geistigen Eigentums und durch das ZGB auf alle zivilen Rechte und Interessen. Auch der persönliche Anwendungsbereich wurde von bestimmten Arten von Netzdienstanbietern in der SRVI-VO auf alle Arten von Netzdienstanbietern im ZGB erweitert. Das im ECG geregelte Verfahren adressiert speziell E-Commerce-Plattform-Betreiber. Das OVG differenziert im Rahmen des weit gefassten Begriffs des Netzdienstanbieters im ZGB zwischen Webtechnologiedienstanbietern und Webinhaltsdienstanbietern, für die unterschiedliche Haftungsfolgen greifen. Erstere ergreifen im Rahmen des Notice and TakedownVerfahrens nach Erhalt einer Benachrichtigung durch einen Rechtsinhaber notwendige Abhilfemaßnahmen, leiten die Benachrichtigung an den vermeintlichen Schädiger sowie dessen Gegenanzeige an den Benachrichtigenden weiter, informieren den Rechtsinhaber über die Möglichkeit der Einreichung einer Beschwerde oder Klageerhebung und beenden ergriffene Maßnahmen ggf. rechtzeitig nach Ablauf einer angemessenen Frist. Der Gesetzgeber hat den eher kursorischen § 36 Abs. 2 DelHaftG, der das Notice and Takedown-Verfahren vor Erlass des ZGB und ECG regelte, hierdurch präzisiert und erweitert. Die wesentlichen Neuerungen gegenüber § 36 Abs. 2 DelHaftG liegen in dem Erfordernis der §§ 42 Abs. 1 S. 2 ECG und 1195 Abs. 1 S. 1 ZGB, einer Benachrichtigung Anfangsbeweise beizufügen, der Regelung einer Pflicht zur Weiterleitung der Benachrichtigung an den mutmaßlichen Schädiger in den §§ 42 Abs. 2 ECG und 1195 Abs. 2 ZGB und der Einführung eines Rechts zur Gegenanzeige in den §§ 43 ECG und 1196 ZGB. Hiebei hat der Gesetzgeber sich im Wesentlichen an den Regelungen orientiert, die er schon zuvor in der SRVI-VO für das urheberrecht-
190
4. Teil: Schlussbetrachtung
liche Verbreitungsrecht geregelt hat. Neu auch gegenüber der SRVI-VO ist die Einführung einer Haftungsregel für falsche Benachrichtigungen, die arglistig gesendet wurden, in § 42 Abs. 3 S. 2 ECG. Als ein Bestandteil des Notice and Takedown-Verfahrens im US-amerikanischen Recht wurde auch der sog. Red Flag-Test in das chinesische Recht eingeführt, der das Kennen oder Kennenmüssen offensichtlicher Rechtsverletzungen in § 22 Nr. 3 und § 23 SRVI-VO als eine Negativvoraussetzung für den Eintritt des Netzdienstanbieters in den safe harbor festlegt. In den §§ 45 ECG und 1197 ZGB wird für das Wissen oder Wissenmüssen von Rechtsverletzungen und die gleichwohl unterbliebene Ergreifung notwendiger Abhilfemaßnahmen die gesamtschuldnerische Haftung des Netzdienstanbieters mit dem unmittelbaren Schädiger angeordnet. Die Hinzufügung des Wissenmüssens in § 45 ECG und § 1197 ZGB gegenüber § 36 Abs. 3 DelHaftG ist eher klarstellender Natur, da auch die Kenntnis i. S. v. § 36 Abs. 3 DelHaftG nach weit überwiegender Auffassung bereits als Kennen oder Kennenmüssen verstanden wurde. Während das Wissen grundsätzlich an den subjektiven Zustand des Netzdienstanbieters anknüpft, setzt das Wissenmüssen voraus, dass dieser auch objektiv seine Sorgfaltspflicht verletzt hat. Der Red Flag-Test des US-amerikanischen Rechts findet zudem in § 38 Abs. 1 ECG Anklang, der eine Pflicht zur Gewährleistung der Sicherheit von Verbrauchern regelt, die sich auf die persönliche Sicherheit, die Vermögenssicherheit sowie die Rechte und Interessen der Verbraucher insgesamt erstreckt. Haftungsfolge der Nichterfüllung der in § 38 Abs. 1 ECG geregelten Pflichten ist die gesamtschuldnerische Haftung des Plattformbetreibers mit den auf der Plattform tätigen Betreibern, die die Rechtsverletzungen unmittelbar begehen. Wann ein Netzdienstanbieter von einer Rechtsverletzung wissen muss, präzisiert das OVG in verschiedenen justiziellen Auslegungen, die sich an der Art der betroffenen Rechte orientieren.909 Die gewählten Kriterien knüpfen neben dem Grad der Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung unter anderem an das Ausmaß der Einwirkung des Netzdienstanbieters auf die verletzenden Inhalte sowie dessen Fähigkeit hierzu und die Natur, Art und Weise sowie Größe der Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung durch die angebotenen Dienste an. In § 38 Abs. 2 ECG hat der Gesetzgeber eine Prüf- und Sicherungspflicht des ECommerce-Plattform-Betreibers für Waren oder Dienstleistungen mit Bezug zu Leben oder Gesundheit geregelt. Die Verwirrung in der Rechtsprechung hinsichtlich der Anwendbarkeit dieser Vorschrift hat dazu geführt, dass die Gerichte entweder zurückhaltend bei der Anwendung der Vorschrift sind oder sich bei der Auslegung an anderen gesetzlichen Verhaltenspflichten orientieren. Im Besonderen wird die Sicherungspflicht des § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG als spezielle Ausprägung des § 1198 ZGB für den E-Commerce betrachtet. Erfüllt ein E-Commerce-Plattform-Betreiber die Prüfund Sicherungspflichten des § 38 Abs. 2 ECG nicht, haftet er entsprechend nach dem Recht. Diese entsprechende Haftung wird überwiegend als entsprechende Ergänzungshaftung verstanden, kann zum Leidwesen der Rechtssicherheit im Einzelfall jedoch auch als gesamtschuldnerische oder anteilige Haftung ausgelegt werden. 909
Vgl. hierzu auch die Tabelle unter 1. Kapitel: Einleitung.
7. Kap.: Resümee, Thesen und Handlungsempfehlungen
191
B. Thesen 1. Der chinesische Gesetzgeber hat das Notice and Takedown-Verfahren aus dem US-amerikanischen Recht rezipiert und macht sich so die Funktion des Netzdienstanbieters als Mittler zwischen Internetnutzern und auf Plattformen tätigen Betreibern zunutze, indem er auf eine Möglichkeit der unbürokratischen, außergerichtlichen Streitbeilegung zurückgreift. 2. Der chinesische Gesetzgeber ist durch die Präzisierung und Ergänzung des Notice and Takedown-Verfahrens in den Neuregelungen des ZGB und ECG den Verpflichtungen nachgekommen, die er in Art. 1.13 und 1.14 in Abschnitt E des Phase One Trade Agreements zwischen China und den USA910 eingegangen ist. 3. Als Beiträge zur Rechtssicherheit im Rahmen des Notice and Takedown-Verfahrens sind positiv hervorzuheben: die Regelung des Rechts zur Gegenanzeige, die Regelung der Haftung für falsche Benachrichtigungen und die Regelung des Erfordernisses, der Benachrichtigung eines Rechtsinhabers an den Netzdienstanbieter über eine Rechtsverletzung Anfangsbeweise beizufügen. 4. Das OVG präzisiert die Verkehrssicherungspflichten von Netzdienstanbietern durch justizielle Auslegungen, die als höchstrichterliche Leitlinien fungieren. Sie sind auf verschiedene Netzdienstanbieter sowohl in persönlicher Hinsicht als auch auf unterschiedliche Rechte in sachlicher Hinsicht zugeschnitten. Bei korrekter Anwendung der geltenden Regelungen besteht daher kein Raum für die mit der Komplexität des Regelungsgefüges assoziierte Verwirrung. 5. Die Ausweitung des Notice and Takedown-Verfahrens auf alle zivilen Rechte und Interessen birgt für E-Commerce-Plattform-Betreiber die Gefahr einer doppelten Haftung bei möglichen Patentverletzungen, wenn sie keine notwendigen Abhilfemaßnahmen oder unberechtigte Maßnahmen ergreifen. In der Ausweitung des Anwendungsbereichs auf vermeintlich rufschädigende Äußerungen liegt ein hohes Missbrauchspotenzial. Es ist zweifelhaft, ob die in Folge erlassenen Haftungsregeln für Absender falscher Benachrichtigungen ausreichen. 6. Das Missverständnis der aus dem US-amerikanischen Recht rezipierten Safe Harbor-Regel, deren Nichterfüllung die Haftung des Netzdienstanbieters nicht allein begründen kann, sondern lediglich als Voraussetzung für einen Haftungsausschluss zu verstehen ist, sorgt für Rechtsunsicherheit. Ursache für dieses Missverständnis ist die Teilrezeption der Safe Harbor-Regel ohne die zugehörige Haftungsbegründungstheorie für mittelbare Rechtsverletzungen des US-amerikanischen Rechts, die im chinesischen Recht bislang nicht durch ein gleichermaßen etabliertes Begründungspendant, wie etwa das Bestehen einer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht, aufgefangen worden ist. 7. Es darf angesichts des nach wie vor unverkennbaren Einflusses des US-amerikanischen Safe Harbor-Modells auf die Regulierung im Internet begangener 910
S. o., Fn. 18.
192
4. Teil: Schlussbetrachtung
Rechtsverletzungen im chinesischen Recht angezweifelt werden, ob die gesetzgeberische Einschätzung zutreffend ist, bei dem neuen Notice and Takedown-Verfahren des ECG handele es sich nicht mehr nur um einen bloßen Mechanismus zur Begrenzung der Haftung für Rechtsverletzungen, sondern um eine nie dagewesene Initiative zur Regulierung im Internet begangener Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums.911 8. Das Notice and Takedown-Verfahren ist als Zeugnis politischer Sensitivität des Gesetzgebers zu sehen, der mit der Nachbesserung des Verfahrens in den §§ 1195 ff. ZGB und 42 ff. ECG seiner Aufgabe Rechnung getragen hat, auf gesellschaftliche Veränderungen steuernd und schützend zu reagieren. Diesem Bemühen ist trotz der Schwächen der neuen Regelung im bestehenden Gesamtgefüge des chinesischen Zivilrechts Anerkennung zu zollen. 9. Der Gesetzgeber hat mit der in § 38 Abs. 2 ECG getroffenen Regelung eine aktive Prüf- und Sicherungspflicht für den E-Commerce in das chinesische Recht eingeführt. Die flexibel verstandene Rechtsfolge der entsprechenden Haftung ist Ausdruck eines missglückten Kompromissversuchs, der zulasten der Rechtssicherheit geht. 10. Die Diskussion über eine stärkere Rückbesinnung auf die bestehende Dogmatik des chinesischen Deliktsrechts und die Schaffung aktiver Prüf- und Sicherungspflichten, mit denen die Abkehr von dem Safe Harbor-Modell sowie Red Flag-Test des US-amerikanischen Rechts einhergeht, sprechen für eine Tendenz zur Ausweitung bestehender Pflichten. Angesichts der fortschreitenden Entwicklung der künstlichen Intelligenz und des gewandelten Rollenbildes des Netzdienstanbieters hin von einem passiven Intermediär zu einem aktiven Gestalter des Rechtsverkehrs im Internet ist ein Festhalten an dieser Tendenz auch in Zukunft zu erwarten. 11. Durch die Ausweitung bestehender Verkehrssicherungspflichten, insbesondere in Bereichen, die das öffentliche Interesse tangieren, werden Netzdienstanbieter in die gemeinhin staatlichen Akteuren obliegende Rechtsdurchsetzung einbezogen und partizipieren an der Stärkung des gesellschaftlichen Vertrauens in den Staat. Dabei sollten die Legislative und die Judikative im Blick behalten, dass die Netzdienstanbieter nach wie vor als Private am Rechtsverkehr teilnehmen und die aktive Prüfung der auf Internetplattformen im Umlauf befindlichen Daten besonders für kleinere Plattformen eine technologische und finanzielle Herausforderung bleiben wird.
C. Handlungsempfehlungen Aus den dargestellten Ergebnissen lassen sich folgende Handlungsempfehlungen ableiten:
911
S. o., Fn. 72.
7. Kap.: Resümee, Thesen und Handlungsempfehlungen Betroffene Rechte
Gegenstand der Maßnahme
Markenrecht
Einrichtung eines Benach- Genuss des safe richtigungssystems zur harbor i. S. d. Meldung von Marken§§ 42 ff. ECG rechtsverletzungen mit besonderem Fokus auf der Bearbeitung arglistiger und wiederholter Verletzungen i. S. v. § 10 Abs. 1 OVG IP E-Commerce; Einrichtung von Filtertechnologie zur Filterung markenrechtsverletzender Inhalte, die die in § 11 Nr. 3 OVG IP ECommerce genannten Schlagworte „in hohem Maße imitiert“912 oder „Fakeprodukt“913 enthalten; Einrichtung eines Prüfsystems zur Prüfung der Nachweise der Rechte von Betreibern, deren Geschäftstypen als „Flagship Store“914 oder „Brand Store“915 gekennzeichnet sind, vgl. § 11 Nr. 2 OVG IP E-Commerce
E-Commerce-Plattform-Betreiber
Patentrecht
Einrichtung eines Benachrichtigungssystems zur Meldung von Patentverletzungen mit besonderem Fokus auf der Bearbeitung arglistiger und wiederholter Verletzungen i. S. v. § 10 Abs. 1 OVG IP E-Commerce; Aufforderung des Absenders von Benachrichtigungen über die Verletzung von Patentrechten zur Einreichung der in § 5 Abs. 2 OVG IP E-Commerce genannten Unterlagen als Prüfgrundlage
E-Commerce-Plattform-Betreiber
912 913
. .
Zweck der Maßnahme
193
Genuss des safe harbor i. S. d. §§ 42 ff. ECG; Schutz vor vertraglicher Inanspruchnahme durch den vermeintlich Verletzenden wegen zu Unrecht ergriffener Maßnahmen
Adressaten der Maßnahme
194
4. Teil: Schlussbetrachtung
Betroffene Rechte
Gegenstand der Maßnahme
Zweck der Maßnahme
Legale Interessen und Rechte von Verbrauchern, insbesondere die persönliche Sicherheit und Vermögenssicherheit
Einrichtung eines allgemeinen Gefahrmeldesystems
Schutz vor Inan- E-Commerce-Plattspruchnahme nach form-Betreiber, die § 38 Abs. 1 ECG stark in die sich offline vollziehende Vertragserfüllung eingebunden sind, etwa Betreiber von Ridehailing-Plattformen mit eigenen Fahrern
Leben und Gesundheit von Verbrauchern
Einrichtung eines Systems zur Prüfung auf der Plattform tätiger Betreiber und eines speziellen Gefahrmeldesystems916
Schutz vor Inan- E-Commerce-Plattspruchnahme nach form-Betreiber, die § 38 Abs. 2 ECG stark in die sich offline vollziehende Vertragserfüllung eingebunden sind, etwa Betreiber von Ridehailing-Plattformen mit eigenen Fahrern
Urheberrechtliches Verbreitungsrecht
Einrichtung eines Benachrichtigungs- und Prüfsystems zur Entdeckung offensichtlich rechtsverletzender Inhalte
Genuss der safe Anbieter von Speiharbor i. S. d. cherplatz, Such§§ 22 f. SRVI-VO oder Verlinkungsdiensten
914
Adressaten der Maßnahme
. . 916 Zur Abgrenzung zu dem allgemeinen Gefahrmeldesystem i. S. v. § 38 Abs. 1 ECG ausführlich oben, 6. Kap., E. Abgrenzung von § 38 Abs. 1 und Abs. 2 ECG. 915
7. Kap.: Resümee, Thesen und Handlungsempfehlungen Betroffene Rechte
Gegenstand der Maßnahme
Zweck der Maßnahme
Persönlichkeitsrechte Einrichtung eines Benach- Genuss des safe richtigungs- und Prüfsysharbor i. S. d. tems zur Entdeckung of§§ 1195 ff. ZGB fensichtlich rechtsverletzender Inhalte mit besonderem Fokus auf Inhalten mit einer großen sozialen Reichweite i. S. v. § 6 Nr. 4 OVG Informationsnetze I und wiederholt rechtsverletzenden Inhalten i. S. v. § 6 Nr. 6 OVG Informationsnetze I; Aufstellung eines Verhaltenskodex i. S. v. § 6 Nr. 5 OVG Informationsnetze I
195
Adressaten der Maßnahme Alle Arten von Netzdienstanbietern
Anhang Gesetzesverzeichnis Verzeichnis der zitierten Gesetze und sonstigen Vorschriften der VR China I. Gesetze und Verordnungen Chinesischer Titel
Englische Übersetzung
Deutsche Übersetzung
Informationen
Law of the People’s Republic of China on the Protection of Consumer Rights and Interests (2013 Amendment)
Gesetz der VR China zum Schutz der Rechte und Interessen von Verbrauchern (Revision aus dem Jahr 2013), dt. Übersetzung von: Gresbrand/Martinek/Odom/ Rotermund/Will/Pißler, ZChinR 2014/1, 69, 69 ff.
Verabschiedet am 25. 10. 2013 durch den Ständigen Ausschuss des NVK, in Kraft getreten am 15. 3. 2014.
2
E-Commerce Law of the People’s Republic of China
Gesetz über den E-Commerce der VR China, dt. Übersetzung von Ortmanns, ZChinR 2020/2, 153, 153 ff.
Verabschiedet am 31. 8. 2018 durch den Ständigen Ausschuss des NVK, in Kraft getreten am 1. 1. 2019.
3
Food Safety Law of the People’s Republic of China (2021 Amendment)
Gesetz der VR China über die Lebensmittelsicherheit (Revision aus dem Jahr 2021)
Verabschiedet am 29. 4. 2021 durch den Ständigen Ausschuss des NVK, in Kraft getreten am 29. 4. 2019.
4
Tort Law of the People’s Republic of China
Gesetz der VR China über die Haftung für die Verletzung von Rechten,1 dt. Übersetzung von Liu/ Pißler, ZChinR 2010/1, 41, 41 ff.
Verabschiedet am 26. 12. 2009 durch den Ständigen Ausschuss des NVK, in Kraft getreten am 1. 7. 2010.
5
Copyright Law of the People’s Republic of China (2020 Amendment)
Urheberrechtsgesetz der Volksrepublik China (Revision aus dem Jahr 2020); dt. Übersetzung von Münzel, http://www. chinas-recht.de/011027. htm (zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022).
Verabschiedet am 11. 11. 2020 durch den Ständigen Ausschuss des NVK, in Kraft getreten am 1. 6. 2021.
1 (2013
)
)
(2021
1 In dieser Arbeit wird das Gesetz mit „Gesetz über die deliktische Haftung der VR China“ übersetzt und daher mit „DelHaftG“ abgekürzt.
Gesetzesverzeichnis Chinesischer Titel
197
Englische Übersetzung
Deutsche Übersetzung
Informationen
6
Contract Law of the People’s Republic of China
Vertragsgesetz der VR China; dt. Übersetzung von Münzel, http://www. chinas-recht.de/vertrag. htm (zuletzt eingesehen am 28. 10. 2022).
Verabschiedet am 15. 03. 1999 durch den NVK, in Kraft getreten am 1. 10. 1999.
7
Patent Law of the People’s Republic of China (2020 Amendment)
Patentgesetz der VolksVerabschiedet am 17. 10. republik China (Revision 2020 durch den Ständiaus dem Jahr 2020) gen Ausschuss des NVK, in Kraft getreten am 1. 6. 2021.
Legislation Law of the People’s Republic of China (2015 Amendment)
Gesetzgebungsgesetz der Verabschiedet am 15. 3. VR China (Revision aus 2015 durch den Ständidem Jahr 2015) gen Ausschuss des NVK, in Kraft getreten am 15. 3. 2015.
Trademark Law of the People’s Republic of China (2019 Amendment)
Markengesetz der VR Verabschiedet am 23. 4. China (Revision aus dem 2019 durch den StändiJahr 2019) gen Ausschuss des NVK, in Kraft getreten am 1. 11. 2019.
(2020
)
8 (2015
)
9 (2019
)
10
Civil Code of the People’s Zivilgesetzbuch der VR Republic of China China; dt. Übersetzung von Ding/Leibküchler/ Klages/Pißler, ZChinR 2020/3 – 4, 205, 205 ff.
Verabschiedet am 28. 5. 2020 durch den NVK, in Kraft getreten am 1. 1. 2021.
11
General Provisions of the Allgemeiner Teil des ZiCivil Law of the People’s vilrechts der VR China; Republic of China dt. Übersetzung von Klages/Leibküchler/Pißler, ZChinR 2017/3, 208, 208 ff.
Verabschiedet am 15. 03. 2017 durch den NVK, in Kraft getreten am 1. 10. 2017.
12
Cybersecurity Law of the Cybersicherheitsgesetz People’s Republic of der VR China; dt. ÜberChina setzung von Leibküchler, ZChinR 2018/2, 113, 113 ff.
Verabschiedet am 7. 11. 2016 durch den Ständigen Ausschuss des NVK, in Kraft getreten am 1. 6. 2017.
13
Civil Procedure Law of the People’s Republic of China (2021 Amendment)
Zivilprozessgesetz der VR China (Revision aus dem Jahr 2021); dt. Übersetzung der Fassung von Pißler, ZChinR 2022/1, 32, 32 ff.
Verabschiedet am 24. 12. 2021 durch den Ständigen Ausschuss des NVK, in Kraft getreten am 1. 1. 2022.
General Principles of the Civil Law of the People’s Republic of China (2009 Amendment)
Allgemeine Grundsätze des Zivilrechts der VR China (Revision aus dem Jahr 2009); dt. Übersetzung von Münzel, Chinas Recht 12.4.86/1.
Verabschiedet am 27. 8. 2009 durch den Ständigen Ausschuss des NVK, in Kraft getreten am 27. 8. 2009, mit Inkrafttreten des ZGB am 1. 1. 2021 aufgehoben.
)
(2021
14 (2009
)
198
Anhang Chinesischer Titel
15 (2019
)
16 (2018
)
17 (2021
)
18 (2013
19 (2014
)
Englische Übersetzung
Deutsche Übersetzung
Informationen
Anti-Unfair Competition Law of the People’s Republic of China (2019 Amendment)
Gesetz der VR China gegen den unlauteren Wettbewerb (Revision aus dem Jahr 2019); dt. Übersetzung von v. Strasser, ZChinR 2020/1, 92, 92 ff.
Verabschiedet am 23. 4. 2019 durch den Ständigen Ausschuss des NVK, in Kraft getreten am 23. 4. 2019.
Company Law of the People’s Republic of China (2018 Amendment)
Gesellschaftsgesetz der VR China (Revision aus dem Jahr 2018); dt. Übersetzung der am 1. 3. 2014 in Kraft getretenen Fassung von Pißler, ZChinR 2014/3, 254, 254 ff.
Verabschiedet am 26. 10. 2018 durch den Ständigen Ausschuss des NVK, in Kraft getreten am 26. 10. 2018.
Advertising Law of the People’s Republic of China (2021 Amendment)
Werbegesetz der VR China (Revision aus dem Jahr 2021); dt. Übersetzung der am 1. 9. 2015 in Kraft getretenen Fassung von Dretzke et al., ZChinR 2016/2, 144, 144 ff.
Verabschiedet am 29. 4. 2021 durch den Ständigen Ausschuss des NVK, in Kraft getreten am 29. 4. 2021.
Regulation on the Protection of the Right to ) Communicate Works to the Public over Information Networks (2013 Revision)
Verordnung zum Schutz des Rechts auf Verbreitung durch Informationsnetzwerke (Revision aus dem Jahr 2013)
Verabschiedet am 30. 1. 2013 durch den Staatsrat, in Kraft getreten am 1. 3. 2013.
Ausführungsverordnung zum Markengesetz der VR China (Revision aus dem Jahr 2014)
Verabschiedet am 29. 4. 2014 durch den Staatsrat, in Kraft getreten am 1. 5. 2014.
Regulation on the Implementation of the Trademark Law of the People’s Republic of China (2014 Revision)
II. Weitere Vorschriften Chinesischer Titel 1
(2020
)
Englische Übersetzung
Deutsche Übersetzung
Informationen
Provisions of the Supreme People’s Court on Several Issues concerning the Application of Law in the Trial of Cases involving Civil Disputes over Infringements upon Personal Rights and Interests through Information Networks (2020 Amendment)
Bestimmungen des OVG zu einigen Fragen der Rechtsanwendung bei der Behandlung ziviler Streitfälle über die Verletzung von persönlichen Rechten und Interessen durch die Nutzung von Informationsnetzwerken
Verabschiedet am 29. 12. 2020 durch das OVG, in Kraft getreten am 1. 1. 2021; justizielle Auslegung Nr. 17 (2020).
Gesetzesverzeichnis Chinesischer Titel
199
Englische Übersetzung
Deutsche Übersetzung
Informationen
2
Official Reply of the Supreme People’s Court on Several Issues Concerning the Application of Law to Disputes over Internet-related Intellectual Property Right Infringement
Replik des OVG zu verschiedenen Fragen der Rechtsanwendung bei Streitigkeiten über die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums im Internet
Verabschiedet am 12. 9. 2020 durch das OVG, in Kraft getreten am 14. 9. 2020; justizielle Auslegung Nr. 9 (2020).
3
Notice from the Supreme People’s Court regarding Issuing Guiding Opinions on the Trial of Intellectual Property Civil Cases Involving e-Commerce Platforms
Bekanntmachung des OVG über die Herausgabe von Leitlinien für die Verhandlung von Zivilprozessen über geistiges Eigentum, an denen ECommerce-Plattformen beteiligt sind
Verabschiedet am 10. 9. 2020 durch das OVG, in Kraft getreten am 10. 9. 2020; justizielle Auslegung Nr. 32 (2020).
4
Provisions of the Supreme People’s Court on Several Issues concerning the Application of Law in Hearing Civil Dispute Cases Involving Infringement of the Right of Dissemination on Information Networks
Bestimmungen des OVG zu verschiedenen Fragen der Rechtsanwendung bei der Verhandlung ziviler Streitfälle, die eine Verletzung des Rechts auf Verbreitung durch Informationsnetze betreffen
Verabschiedet am 17. 12. 2012 durch das OVG, in Kraft getreten am 1. 1. 2013; justizielle Auslegung Nr. 20 (2012).2
5
Interpretation of the Supreme People’s Court Concerning the Application of Laws in the Trial of Civil Disputes over Copyright
Auslegung des OVG über die Anwendung von Gesetzen bei der Verhandlung zivilrechtlicher Streitigkeiten über das Urheberrecht
Verabschiedet am 12. 10. 2002 durch das OVG, in Kraft getreten am 15. 10. 2002; justizielle Auslegung Nr. 31 (2002).3
6
Measures for the Admin- Behördliche Maßnahmen istrative Protection of zum administrativen Internet Copyright Schutz des Urheberrechts im Internet
Verabschiedet am 29. 4. 2005 durch die Nationale Behörde für Urheberrecht und das Ministerium für Informationsindustrie4, in Kraft getreten am 30. 5. 2005, Maßnahme Nr. 5 (2005).
7
Measures for the Supervision and Administration of Online Trading
Verabschiedet am 15. 3. 2021 durch die Nationale Behörde für Marktregulierung, in Kraft getreten am 1. 5. 2021, Maßnahme Nr. 37 (2021).
2
S. o., Fn. 27. S. o., Fn. 128. 4 S. o., Fn. 282 f. 3
Behördliche Maßnahmen zur Überwachung und Verwaltung des Onlinehandels
200
Anhang Chinesischer Titel
8
Deutsche Übersetzung
Administrative Measures Behördliche Maßnahmen for Internet Information für Internetinformations) Services (2011 Revision) dienste (Revision aus dem Jahr 2011)
(2011
9 (2021
Englische Übersetzung
)
Measures for the Investigation and Punishment of Illegal Acts Related to Online Food Safety (2021 Amendment)
Behördliche Maßnahmen zur Untersuchung und Behandlung von Verstößen gegen die Lebensmittelsicherheit im Internet (Revision aus dem Jahr 2021)
Informationen Verabschiedet am 8. 1. 2011 durch den Staatsrat, in Kraft getreten am 8. 1. 2011; Maßnahme Nr. 588. Verabschiedet am 2. 4. 2021 durch die Nationale Behörde für Marktregulierung, in Kraft getreten am 1. 6. 2021, Maßnahme Nr. 38 (2021).
Normenverzeichnis
201
Normenverzeichnis Überblick über die wichtigsten verwendeten Normen I. Gesetze und Verordnungen 1. Zivilgesetzbuch der Volksrepublik China )5 ( § 177
Wenn zwei oder mehr Personen gemäß dem Recht nach Bruchteilen haften [und] der [jeweilige Beitrag zum] Haftungsumfang bestimmt werden kann, haften sie jeweils [ihrem Beitrag] entsprechend; ist es schwierig, den [jeweiligen Beitrag zum] Haftungsumfang zu bestimmen, haften sie gleichmäßig.
§ 178 Abs. 1
Wenn mehrere gemäß dem Recht als Gesamtschuldner haften, ist der Berechtigte berechtigt, von einem Teil oder von allen Gesamtschuldnern zu verlangen, dass sie haften.
§ 178 Abs. 2
Der Anteil der Haftung der Gesamtschuldner wird aufgrund des jeweiligen [Beitrags zum] Haftungsumfang bestimmt; ist der [jeweilige Beitrag zum] Haftungsumfang schwierig zu bestimmen, haften sie gleichmäßig. Gesamtschuldner, bei denen die tatsächlich getragene Haftung den Anteil der eigenen Haftung übersteigt, sind berechtigt, von den anderen Gesamtschuldnern einen Ausgleich zu verlangen.
§ 178 Abs. 3
Die gesamtschuldnerische Haftung wird vom Gesetz bestimmt oder von den Parteien vereinbart.
§ 1165 Abs. 1
Fügt ein Handelnder einem anderen durch eine schuldhafte Verletzung der zivilen Rechte und Interessen eine Schädigung zu, haftet er für die Verletzung von Rechten.
§ 1169 Abs. 1
Wer einen anderen zur Vornahme einer rechtsverletzenden Handlung anstiftet [oder] ihm dabei hilft, haftet mit dem Handelnden als Gesamtschuldner.
§ 1194
Verletzt ein Netznutzer [oder] ein Anbieter von Netzdiensten durch Nutzung des Netzes zivile Rechte und Interessen anderer, haftet er für die Verletzung von Rechten.6 Soweit andere gesetzliche Bestimmungen bestehen, gelten diese Bestimmungen.7
5 Dt. Übersetzung von Ding Yijie/Leibküchler/Klages/Pißler, ZChinR 2020/3 – 4, 207, 207 ff. 6 Dieser Satz entspricht § 36 Abs. 1 S. 1 DelHaftG. 7 Dieser Satz wurde im Vergleich zu § 36 Abs. 1 DelHaftG neu hinzugefügt.
202
Anhang 1. Zivilgesetzbuch der Volksrepublik China ( ) (Fortsetzung)
§ 1195 Abs. 1
Führt ein Netznutzer durch Nutzung der Netzdienste rechtsverletzende Handlungen aus, ist der Berechtigte berechtigt, den Anbieter von Netzdiensten aufzufordern, notwendige Maßnahmen wie etwa die Löschung, die Blockierung [und] die Sperrung von Links zu ergreifen.8 Die Aufforderung muss Anfangsbeweise für die Bildung einer Rechtsverletzung und wahre Identitätsinformationen des Berechtigten enthalten.9
§ 1195 Abs. 2
Nach Empfang der Aufforderung muss der Anbieter von Netzdiensten diese Aufforderung unverzüglich an den [mit den rechtsverletzenden Handlungen] im Zusammenhang stehenden Netznutzer weiterleiten und aufgrund der Anfangsbeweise für die Rechtsverletzung sowie des Diensttyps notwendige Maßnahmen ergreifen; werden die notwendigen Maßnahmen nicht unverzüglich ergriffen, haftet er mit dem Netznutzer als Gesamtschuldner für den ausgeweiteten Teil des Schadens.10
§ 1195 Abs. 3
Schädigt der Berechtigte durch falsche Aufforderung den Netznutzer oder den Anbieter von Netzdiensten, haftet er für die Verletzung von Rechten.11 Soweit andere gesetzliche Bestimmungen bestehen, gelten diese Bestimmungen.
8 Dieser Satz entspricht § 36 Abs. 2 S. 1 DelHaftG, unterscheidet sich hiervon terminologisch aber insoweit, als nunmehr von dem Berechtigten anstatt des Verletzten die Rede ist. S. hierzu auch Fn. 565. 9 Ein Erfordernis zur Beibringung von Anfangsbeweisen enthält auch § 42 Abs. 1 S. 2 ECG, die Anforderung des Beifügens wahrer Informationen über die Identität des Berechtigten enthält nur § 1195 Abs. 2 ZGB. 10 Neben terminologischen Unterschieden („Netznutzer“ anstatt „E-Commerce-PlattformBetreiber“ und „Anbieter von Netzdienstleistungen“ anstatt „E-Commerce-Plattform-Betreiber“) findet sich im ECG auch der Passus „gemäß dem Anfangsbeweis und der Art der Dienstleistung“ nicht. 11 Dies entspricht im Wesentlichen § 42 Abs. 3 S. 1 ECG. Der Fall der arglistigen Sendung einer Benachrichtigung, vgl. § 42 Abs. 3 S. 2 ECG, ist im ZGB nicht geregelt.
Normenverzeichnis
203
1. Zivilgesetzbuch der Volksrepublik China ( ) (Fortsetzung) § 1196 Abs. 1
Nach Empfang einer weitergeleiteten Aufforderung kann der Netznutzer dem Anbieter von Netzdiensten eine Erklärung darüber übergeben, dass [bei ihm] keine rechtsverletzende Handlung vorliegt.12 Die Erklärung muss Anfangsbeweise für das Nichtvorhandensein einer rechtsverletzenden Handlung und wahre Identitätsinformationen des Netznutzers enthalten.13
§ 1196 Abs. 2
Nach Empfang der Erklärung muss der Anbieter von Netzdiensten diese Erklärung an den Berechtigten, der die Aufforderung abgegeben hat, weiterleiten und ihn in Kenntnis setzen, dass er sich bei den zuständigen Abteilungen beschweren oder vor dem Volksgericht Klage erheben kann.14 Nachdem die weitergeleitete Erklärung dem Berechtigten zugestellt worden ist, muss der Anbieter von Netzdiensten ergriffene Maßnahmen unverzüglich beenden, wenn er innerhalb einer angemessenen Frist keine Mitteilung darüber erhalten hat, dass der Berechtigte sich beschwert oder eine Klage erhoben hat.15
§ 1197
Wenn der Anbieter von Netzdiensten weiß oder wissen muss, dass ein Netznutzer durch Nutzung der Netzdienste zivile Rechte und Interessen anderer verletzt, [und] keine notwendigen Maßnahmen ergreift, haftet er mit dem Netznutzer als Gesamtschuldner.16
12 Dies entspricht in Teilen § 43 Abs. 1 ECG. Auch hier bestehen terminologische Unterschiede („Netznutzer“ anstatt „E-Commerce-Plattform-Betreiber“ und „Anbieter von Netzdienstleistungen“ anstatt „E-Commerce-Plattform-Betreiber“) und es findet sich der Passus „gemäß dem Anfangsbeweis und der Art der Dienstleistung“, der im ECG nicht enthalten ist. 13 Das Erfordernis des Beifügens wahrer Identitätsinformationen ist in der Parallelregelung des § 43 Abs. 1 S. 2 ECG nicht enthalten. 14 Dies entspricht der speziell für E-Commerce-Plattform-Betreiber geltenden Regelung des § 43 Abs. 2 S. 1 ECG. 15 Dies entspricht mit Ausnahme terminologischer Unterschiede, vgl. oben, Fn. 10, und der „vernünftigen Frist“ 43 Abs. 2 ECG, der eine Frist von fünfzehn Tagen vorsieht, die das OVG nunmehr aber in § 3 S. 1 OVG-Replik IP Internet ebenfalls in eine angemessene Frist geändert hat. 16 Diese Vorschrift unterscheidet sich von § 36 Abs. 3 DelHaftG nur dadurch, dass von einem Wissenmüssen im DelHaftG noch nicht die Rede war. Ferner erinnert sie an § 45 ECG. Unterschiede bestehen im Hinblick auf den Schutzgegenstand: So geht es bei § 45 ECG spezifisch um den Schutz von Rechten des geistigen Eigentums, während es bei § 1197 ZGB allgemein um die zivilen Rechtsinteressen anderer geht.
204
Anhang 2. Gesetz über den E-Commerce der Volksrepublik China )17 (
§1
Um die legalen Rechte und Interessen aller am E-Commerce beteiligten Subjekte zu gewährleisten, das Verhalten im E-Commerce zu regeln, die Marktordnung zu wahren und die anhaltende und gesunde Entwicklung des E-Commerce zu fördern, wird dieses Gesetz festgelegt.
§ 2 Abs. 1
Dieses Gesetz findet Anwendung auf Aktivitäten im Rahmen des E-Commerce innerhalb der Volksrepublik China.
§ 2 Abs. 2
Dieses Gesetz bezeichnet E-Commerce als eine Geschäftstätigkeit in Gestalt des Warenverkaufs oder des Anbietens von Dienstleistungen durch das Internet oder andere Informationsnetzwerke.
§ 2 Abs. 3
Soweit Gesetze oder Verwaltungsrechtsnormen18 den Warenverkauf oder das Anbieten von Dienstleistungen regeln, finden diese Anwendung. Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Finanzprodukte und -dienstleistungen sowie Dienstleistungen in Bezug auf Nachrichten, Audio- und Videoprogramme, Verlags- und Kulturprodukte, die durch Informationsnetzwerke angeboten werden.
§ 9 Abs. 1
Als E-Commerce-Betreiber bezeichnet dieses Gesetz natürliche Personen, juristische Personen und Organisationen ohne Rechtspersönlichkeit, die durch Informationsnetzwerke wie das Internet Geschäftstätigkeiten [in Gestalt des] Verkaufens von Waren oder Anbietens von Dienstleistungen nachgehen, eingeschlossen E-CommercePlattform-Betreiber, auf Plattformen tätige Betreiber und andere E-Commerce-Betreiber, die durch eine selbst errichtete Webseite oder andere Internetdienste Waren verkaufen oder Dienstleistungen anbieten.
§ 9 Abs. 2
Dieses Gesetz bezeichnet als E-CommercePlattform-Betreiber juristische Personen oder Organisationen ohne Rechtspersönlichkeit, die dem zwei- oder mehrseitigen Handel im E-Commerce Dienste wie das Anbieten von Geschäftsplätzen im Internet, die Handelsvermittlung und die Bekanntmachung von Informationen anbieten, um die eigenständige Durchführung von zweioder mehrseitigen Geschäftstätigkeiten zu ermöglichen.
17 18
Dt. Übersetzung von Ortmanns, ZChinR 2020/2, 153, 153 ff. Verwaltungsrechtsnormen werden durch den Staatsrat erlassen, vgl. § 65 GGG.
Normenverzeichnis
205
2. Gesetz über den E-Commerce der Volksrepublik China ( ) (Fortsetzung) § 9 Abs. 3
Dieses Gesetz bezeichnet als auf Plattformen tätige Betreiber E-Commerce-Betreiber, die durch eine E-Commerce-Plattform Waren verkaufen oder Dienstleistungen anbieten.
§ 27 Abs. 1
E-Commerce-Plattform-Betreiber müssen von Betreibern, die einen Antrag auf Eintritt in die Plattform stellen, um Waren zu verkaufen oder Dienstleistungen anzubieten, die Abgabe wahrer Informationen wie [jene] über ihre Identität, Adresse, Kontaktdaten und Verwaltungsgenehmigungen verlangen; [sie müssen] diese untersuchen und registrieren, eine Registrierungsdatei einrichten und regelmäßige Untersuchungen und Aktualisierungen hierzu durchführen.
§ 32
E-Commerce-Plattform-Betreiber müssen sich an die Prinzipien der Öffentlichkeit, Fairness und Unparteilichkeit halten und legen eine Dienstleistungsvereinbarung und Handelsregeln auf der Plattform fest, [um] die Rechte und Pflichten wie etwa in Bezug auf die Aufnahme in und Rückzug von der Plattform sowie die Gewährleistung der Qualität der Waren und Dienstleistungen, den Schutz der Rechtsinteressen der Verbraucher und den Schutz der persönlichen Informationen zu verdeutlichen.
§ 38 Abs. 1
E-Commerce-Plattform-Betreiber, die wissen oder wissen müssen, dass durch auf der Plattform tätige Betreiber verkaufte Waren oder erbrachte Dienstleistungen den Anforderungen an die Gewährleistung der persönlichen [Sicherheit] oder Vermögenssicherheit19 nicht entsprechen oder die legalen Rechte und Interessen der Verbraucher anderweitig verletzen, und notwendige Maßnahmen nicht ergreifen, haften nach dem Recht gesamtschuldnerisch mit jenen auf der Plattform tätigen Betreibern.
19 In der veröffentlichten Übersetzung des ECG versehentlich mit „Produktsicherheit“ übersetzt; so auch in den §§ 13 und 85 ECG, vgl. Ortmanns, ZChinR 2/2020, 153, 159.
206
Anhang 2. Gesetz über den E-Commerce der Volksrepublik China ( ) (Fortsetzung)
§ 38 Abs. 2
Erfüllen E-Commerce-Plattform-Betreiber bei Waren oder Dienstleistungen mit Bezug zu Leben oder Gesundheit von Verbrauchern ihre Prüfpflicht hinsichtlich der Befähigung [und] Qualifikation der auf der Plattform tätigen Betreiber oder ihre Pflicht zur Gewährleistung der Sicherheit der Verbraucher nicht erschöpfend und führt dies zu einem Schaden der Verbraucher, haften [sie] entsprechend nach dem Recht.
§ 41
E-Commerce-Plattform-Betreiber müssen Regeln zum Schutz von Rechten des geistigen Eigentums aufstellen [und] die Zusammenarbeit mit an Rechten des geistigen Eigentums Berechtigten verstärken, [um] die Rechte des geistigen Eigentums nach dem Recht zu schützen.
§ 42 Abs. 1
Hält ein an Rechten des geistigen Eigentums Berechtigter [diese] Rechte für verletzt, hat er das Recht, den E-CommercePlattform-Betreiber darüber zu benachrichtigen, dass [dieser] notwendige Maßnahmen wie die Löschung, Blockierung, Außerkraftsetzung der Verlinkung und das Beenden von Transaktionen und Dienstleistungen ergreift. Eine [solche] Benachrichtigung muss einen Anfangsbeweis über die Erfüllung des Tatbestandes enthalten.
§ 42 Abs. 2
Nach Empfang einer [solchen] Benachrichtigung müssen E-Commerce-PlattformBetreiber unverzüglich die notwendigen Maßnahmen ergreifen und diese Benachrichtigung an die auf der Plattform tätigen Betreiber weiterleiten; werden die notwendigen Maßnahmen nicht unverzüglich ergriffen, haftet [der E-Commerce-Plattform-Betreiber] gesamtschuldnerisch mit den auf der Plattform tätigen Betreibern für den vergrößerten Teil des Schadens.
§ 42 Abs. 3
Wer durch eine falsche Benachrichtigung eine Schädigung bei einem auf der Plattform tätigen Betreiber herbeiführt, trägt nach dem Recht die zivile Haftung. Wer arglistig eine falsche Benachrichtigung sendet, die bei einem auf der Plattform tätigen Betreiber einen Schaden herbeiführt, trägt die Schadensersatzhaftung doppelt.
Normenverzeichnis
207
2. Gesetz über den E-Commerce der Volksrepublik China ( ) (Fortsetzung) § 43 Abs. 1
Nach Empfang der weitergeleiteten Benachrichtigung durch den auf der Plattform tätigen Betreiber kann der auf der Plattform tätige Betreiber gegenüber dem E-Commerce-Plattform-Betreiber eine Erklärung darüber abgeben, dass ein rechtsverletzendes Verhalten nicht gegeben ist. Die Erklärung muss Anfangsbeweise darüber enthalten, dass ein rechtsverletzendes Verhalten nicht gegeben ist.
§ 43 Abs. 2
Nach Empfang einer [solchen] Erklärung muss der E-Commerce-Plattform-Betreiber diese Erklärung an den an Rechten des geistigen Eigentums Berechtigten weiterleiten, der die Benachrichtigung versendet hat, und [ihn] in Kenntnis setzen, dass er Beschwerde bei der damit befassten, zuständigen Abteilung einreichen oder Klage bei einem Volksgericht erheben kann. Hat der E-Commerce-Plattform-Betreiber innerhalb von fünfzehn Tagen nach Erhalt der weitergeleiteten Erklärung durch den an Rechten des geistigen Eigentums Berechtigten keine Benachrichtigung darüber erhalten, dass der Berechtigte Beschwerde eingelegt oder Klage erhoben hat, hat er die ergriffenen Maßnahmen unverzüglich zu beenden.
§ 45
Haben E-Commerce-Plattform-Betreiber Kenntnis oder müssen sie Kenntnis haben, dass Rechte des geistigen Eigentums durch auf der Plattform tätige Betreiber verletzt werden, müssen sie die notwendigen Maßnahmen wie die Löschung, Blockierung, Außerkraftsetzung der Verlinkung und das Beenden von Transaktionen und Dienstleistungen ergreifen; ergreifen sie notwendige Maßnahmen nicht, haften sie gesamtschuldnerisch mit dem Schädiger.
3. Gesetz über die deliktische Haftung der VR China ( )20 § 36 Abs. 1
20
Wenn Netznutzer und Anbieter von Netzdiensten durch die Nutzung des Netzes zivile Rechtsinteressen anderer verletzen, müssen sie die Haftung übernehmen.
Dt. Übersetzung von Liu/Pißler, ZChinR 2010/1, 41, 41 ff.
208
Anhang 3. Gesetz über die deliktische Haftung der VR China ( ) (Fortsetzung)
§ 36 Abs. 2
Wenn ein Netznutzer durch die Nutzung der Netzdienstleistungen rechtsverletzende Handlungen ausführt, ist der Verletzte berechtigt, dem Anbieter von Netzdienstleistungen mitzuteilen, dass er notwendige Maßnahmen wie zum Beispiel Löschung, Abschirmung und Außerkraftsetzung der Verlinkung ergreift. Wenn der Anbieter von Netzdienstleistungen nach Empfang der Mitteilung nicht unverzüglich die notwendigen Maßnahmen ergreift, übernimmt er mit dem Netznutzer die gesamtschuldnerische Haftung für den [durch die Verzögerung oder das Unterlassen] ausgeweiteten Teil [des Schadens].
§ 36 Abs. 3
Wenn der Anbieter von Netzdienstleistungen Kenntnis hat, dass ein Netznutzer durch die Nutzung der Netzdienstleistungen zivile Rechtsinteressen anderer verletzt, und keine notwendigen Maßnahmen ergreift, übernimmt er mit dem Nutzer dieses Netzes die gesamtschuldnerische Haftung.
4. Gesetz der VR China zum Schutz der Rechte und Interessen von Verbrauchern ( )21 § 18 Abs. 2
Die Betreiber von Hotels, Einkaufszentren, Restaurants, Banken, Flughäfen, Bahnhöfe, Häfen, Theatern und anderen Betriebsorten müssen gegenüber Verbrauchern der Pflicht zur Gewährleistung der Sicherheit nach Kräften nachkommen.
21 Dt. Übersetzung von Gresbrand/Martinek/Odom/Rotermund/Will/Pißler, ZChinR 2014/ 1, 69, 69 ff.
Normenverzeichnis
209
4. Gesetz der VR China zum Schutz der Rechte und Interessen von Verbrauchern (Fortsetzung) § 44 Abs. 1
Werden die legalen Rechte und Interessen von Verbrauchern verletzt, die über das Internet Waren kaufen oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen, so kann der Verbraucher vom Absetzenden oder vom Dienstleister Schadensersatz verlangen. Kann der Anbieter der InternetHandelsplattform die tatsächliche Bezeichnung, die Adresse und die gültigen Kontaktdaten des Absetzenden oder Dienstleisters nicht angeben, so kann der Verbraucher auch vom Betreiber der Internet-Handelsplattform Schadensersatz verlangen; wenn der Anbieter der Internet-Handelsplattform für den Verbraucher vorteilhaftere Versprechen abgegeben hat, so müssen diese erfüllt werden. Nachdem der Anbieter der Internet-Handelsplattform Schadensersatz geleistet hat, hat er das Recht, vom Absetzenden oder vom Dienstleister Ersatz zu fordern.
§ 44 Abs. 2
Wenn der Anbieter der Internet-Handelsplattform Kenntnis davon hat oder haben muss, dass ein Verkäufer oder Dienstleister unter Ausnutzung der Plattform die legalen Rechte und Interessen eines Verbrauchers verletzt, [aber] nicht die notwendigen [Gegen-]maßnahmen ergreift, so muss er nach dem Recht mit dem Absetzenden oder Dienstleister die gesamtschuldnerische Haftung übernehmen.
210
Anhang 5. Verordnung zum Schutz des Rechts auf Verbreitung durch Informationsnetzwerke )22 (
§ 14
Ist ein Berechtigter der Ansicht, dass ein durch einen Anbieter von Informationsspeicherplatz, Such- oder Verlinkungsdiensten zur Verfügung gestelltes Werk, eine Darbietung oder audiovisuelle Aufzeichnung sein Verbreitungsrecht verletzt oder sein Recht zur Informationsverwaltung löscht oder verändert, kann er eine schriftliche Benachrichtigung an den Netzdienstanbieter richten, in der er den Netzdienstanbieter auffordert, das Werk, die Darbietung, den Tonträger oder die audiovisuelle Aufzeichnung zu entfernen oder die Verlinkung hierzu außer Kraft zu setzen. Die Benachrichtigung muss über den folgenden Inhalt verfügen: Name (Titel), Kontaktinformationen und Anschrift des Berechtigten; Name und Internetadresse des rechtsverletzenden Werks, der rechtsverletzenden Darbietung oder audiovisuellen Aufzeichnung, deren Entfernung oder zu denen die Außerkraftsetzung der Verlinkung gefordert wird. Anfangsbeweise für die Rechtsverletzung. Der Berechtigte ist für die Wahrhaftigkeit der Benachrichtigung verantwortlich.
§ 15
22
Nach Erhalt der Benachrichtigung des Berechtigten entfernt der Netzdienstanbieter unverzüglich das mutmaßlich rechtsverletzende Werk, die mutmaßlich rechtsverletzende Darbietung oder audiovisuelle Aufzeichnung oder setzt den Link [hierzu] außer Kraft und leitet die Benachrichtigung gleichzeitig an das Dienstleistungssubjekt weiter, das das Werk, die Darbietung oder audiovisuelle Aufzeichnung bereitstellt; ist die Netzadresse des Dienstleistungssubjekts nicht bekannt und kann die Benachrichtigung nicht weitergeleitet werden, wird ihr Inhalt gleichzeitig im Informationsnetzwerk bekanntgegeben.
Dt. Übersetzung durch die Verfasserin.
Normenverzeichnis
211
5. Verordnung zum Schutz des Rechts auf Verbreitung durch Informationsnetzwerke ( ) (Fortsetzung) § 16
Ist das Dienstleistungssubjekt nach Erhalt der weitergeleiteten Benachrichtigung des Netzdienstanbieters der Ansicht, dass das von ihm zur Verfügung gestellte Werk, die Darbietung oder audiovisuelle Aufzeichnung die Rechte anderer nicht verletzt, kann es eine schriftliche Benachrichtigung an den Netzdienstanbieter richten und die Wiederherstellung des gelöschten Werks, der [gelöschten] Darbietung oder audiovisuellen Aufzeichnung oder die Wiederherstellung der Verlinkung [hierzu] verlangen. Die schriftliche Benachrichtigung muss über den folgenden Inhalt verfügen: Name (Titel), Kontaktinformationen und Anschrift des Dienstleistungssubjekts; den Namen und die Internetadresse des Werks, der Darbietung oder audiovisuellen Aufzeichnung, die wiederhergestellt werden sollen; Anfangsbeweise darüber, dass keine Rechtsverletzung vorliegt. Das Dienstleistungssubjekt ist für die Wahrhaftigkeit der schriftlichen Benachrichtigung verantwortlich.
§ 17
Nach Erhalt einer schriftlichen Benachrichtigung des Dienstleistungssubjekts stellt der Netzdienstanbieter das gelöschte Werk, die gelöschte Darbietung, den gelöschten Tonträger oder die gelöschte audiovisuelle Aufzeichnung unverzüglich wieder her oder stellt den Link [hierzu] wieder her und leitet gleichzeitig die schriftliche Benachrichtigung des Dienstleistungssubjekts an den Berechtigten weiter. Der Berechtigte darf den Netzdienstanbieter nicht erneut benachrichtigen, um das Werk, die Darbietung oder audiovisuelle Aufzeichnung zu entfernen oder den Link [hierzu] zu unterbrechen.
212
Anhang 5. Verordnung zum Schutz des Rechts auf Verbreitung durch Informationsnetzwerke ( ) (Fortsetzung)
§ 20
Ein Netzdienstanbieter ist nicht schadensersatzpflichtig, wenn er auf Anweisung des Dienstleistungssubjekts automatische Netzzugangsdienste oder automatische Übertragungsdienste für Werke, Darbietungen oder audiovisuelle Aufzeichnungen des Dienstleistungssubjekts erbringt und die folgenden Bedingungen erfüllt sind: Er hat das übermittelte Werk, die Darbietung oder audiovisuelle Aufzeichnung nicht ausgewählt oder verändert; er hat das Werk, die Darbietung oder audiovisuelle Aufzeichnung den benannten Dienstleistungssubjekten zur Verfügung gestellt und den Zugang hierzu anderen Personen als den benannten Dienstleistungssubjekten verwehrt.
§ 21
Ein Netzdienstanbieter ist nicht schadensersatzpflichtig, wenn er zu Zwecken der Effizienzsteigerung der Netzübertragung Werke, Darbietungen oder audiovisuelle Aufzeichnungen, die er von anderen Netzdienstanbietern erhalten hat, automatisch speichert und sie den Dienstleistungssubjekten gemäß den technischen Vorkehrungen automatisch zur Verfügung stellt, und wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: Er hat das automatisch gespeicherte Werk, die Darbietung oder audiovisuelle Aufzeichnung nicht verändert; er beeinträchtigt nicht den Zugang zu dem Werk, der Darbietung oder audiovisuellen Aufzeichnung durch den ursprünglichen Netzdienstanbieter, der das Werk, die Darbietung oder audiovisuelle Aufzeichnung der Person zur Verfügung stellt, für die der Dienst erbracht wird. wenn der ursprüngliche Netzdienstanbieter die Werke, Darbietungen oder audiovisuellen Aufzeichnungen ändert, löscht oder blockiert, ändert, löscht oder blockiert der Netzdienstanbieter sie [ebenfalls] gemäß den technischen Vorkehrungen.
Normenverzeichnis
213
5. Verordnung zum Schutz des Rechts auf Verbreitung durch Informationsnetzwerke ( ) (Fortsetzung) § 22
Der Netzdienstanbieter ist nicht schadensersatzpflichtig, wenn er dem Dienstleistungssubjekt Informationsspeicherplatz zur Verfügung stellt, damit dieser der Öffentlichkeit durch das Informationsnetzwerk Werke, Darbietungen oder audiovisuelle Aufzeichnungen zur Verfügung stellen kann, und die folgenden Bedingungen erfüllt sind: Es wird deutlich darauf hingewiesen, dass der Speicherplatz dem Dienstleistungssubjekt zur Verfügung gestellt wird, und es werden der Name, die Kontaktperson und die Internetadresse des Netzdienstanbieters angegeben; die dem Dienstleistungssubjekt zur Verfügung gestellten Werke, Darbietungen oder audiovisuellen Aufzeichnungen werden nicht geändert; [der Netzdienstanbieter] weiß nicht und müsste aus keinem vernünftigen Grund wissen, dass die durch das Dienstleistungssubjekt zur Verfügung gestellten Werke, Darbietungen oder audiovisuellen Aufzeichnungen rechtsverletzend sind; [der Netzdienstanbieter] hat an den durch das Dienstleistungssubjekt zur Verfügung gestellten Werken, Darbietungen, Ton- oder Videoaufzeichnungen kein unmittelbares wirtschaftliches Interesse; [der Netzdienstanbieter] hat die Werke, Darbietungen, Ton- oder Videoaufzeichnungen, die der Berechtigte für rechtsverletzend hält, nach Erhalt einer Benachrichtigung des Berechtigten gemäß den Bestimmungen dieser Verordnung entfernt.
§ 23
Stellt ein Netzdienstanbieter einen Suchoder Verlinkungsdienst für ein Dienstleistungssubjekt zur Verfügung und trennt er nach Erhalt einer Benachrichtigung des Berechtigten den Link zu dem rechtsverletzenden Werk, der rechtsverletzenden Darbietung oder audiovisuellen Aufzeichnung gemäß den Bestimmungen dieser Verordnung, ist er nicht schadensersatzpflichtig; weiß er jedoch, dass das verlinkte Werk, die verlinkte Darbietung oder die verlinkte audiovisuelle Aufzeichnung rechtsverletzend ist oder müsste dies wissen, haftet er gemeinschaftlich für die Rechtsverletzung.
214
Anhang 5. Verordnung zum Schutz des Rechts auf Verbreitung durch Informationsnetzwerke ( ) (Fortsetzung) Führt die Benachrichtigung des Rechtsinhabers dazu, dass der Netzdienstanbieter das Werk, die Darbietung oder audiovisuelle Aufzeichnung irrtümlich löscht oder die Verbindung zu dem Werk, der Darbietung oder audiovisuellen Aufzeichnung irrtümlich unterbricht und dem Dienstleistungssubjekt dadurch ein Schaden entsteht, so muss der Berechtigte die Schadensersatzhaftung tragen.
§ 24
6. Lebensmittelsicherheitsgesetz der VR China ( )23 § 131 Abs. 1
23
Dt. Übersetzung durch die Verfasserin.
Wenn der Drittanbieter einer Plattform für Online-Lebensmitteltransaktionen entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes die Registrierung von Online-Lebensmittelanbietern unter ihrem echten Namen und die Prüfung ihrer Genehmigungen unterlässt oder seinen Verpflichtungen wie der Berichterstattung oder der Einstellung der Bereitstellung der Internetplattformdienste nicht nachkommt, ordnet die Abteilung für die Überwachung und Verwaltung der Lebensmittelsicherheit der Volksregierung auf oder über der Kreisebene die Berichtigung an, beschlagnahmt die illegalen Einnahmen und verhängt eine Geldstrafe von mindestens 50.000 Yuan und höchstens 200.000 Yuan; bei schwerwiegenden Folgen wird die Einstellung der Geschäftstätigkeit bis zum Widerruf der Lizenz durch die ursprünglich ausstellende Behörde angeordnet; werden die gesetzlichen Rechte und Interessen der Verbraucher verletzt, so haften sie gesamtschuldnerisch mit dem Lebensmittelunternehmer.
Normenverzeichnis
215
6. Lebensmittelsicherheitsgesetz der VR China ( ) (Fortsetzung) § 131 Abs. 2
Werden die legalen Rechte oder Interessen von Verbrauchern verletzt, die Lebensmittel über eine Drittplattform für den Onlinehandel mit Lebensmitteln kaufen, können sie von dem Online-Lebensmittelunternehmer oder -hersteller Schadenersatz verlangen. Kann der Anbieter der Drittplattform für den Onlinehandel mit Lebensmitteln den tatsächlichen Namen, die Anschrift und die tatsächlichen Kontaktdaten des Online-Lebensmittelhändlers nicht angeben, muss der Anbieter der Drittplattform für den Onlinehandel mit Lebensmitteln Schadensersatz zahlen. Nachdem der Anbieter der Drittplattform für den Onlinehandel mit Lebensmitteln Schadensersatz gezahlt hat, hat er das Recht, den Online-Lebensmittelhändler oder Lebensmittelhersteller in Regress zu nehmen. Wenn der Anbieter der Drittplattform für den Onlinehandel mit Lebensmitteln ein für die Verbraucher günstigeres Versprechen abgibt, muss er dieses Versprechen einhalten.
7. Werbegesetz der VR China )24 ( § 56 Abs. 1
Werden Bestimmungen dieses Gesetzes verletzt, indem Falschwerbung verbreitet wird, indem Verbraucher betrogen oder fehlgeleitet werden und werden dadurch die legalen Rechte und Interessen des Verbrauchers, der diese Waren kauft oder diese Dienstleistungen in Anspruch nimmt, verletzt, so übernimmt der Werbende nach dem Recht die zivilrechtliche Haftung. Können Werbungtreibende und Werbungverbreitende nicht die wirkliche Bezeichnung, die Adresse und gültige Kontaktdaten des Werbenden angeben, können Verbraucher von Werbungtreibenden und Werbungverbreitenden vorab Schadenersatz verlangen.
§ 56 Abs. 2
Verursacht falsche Werbung für Waren oder Dienstleistungen, die das Leben oder die Gesundheit von Verbrauchern betreffen, einen Schaden bei Verbrauchern, müssen Werbungtreibenden, Werbungverbreitenden und Werbebotschafter gemeinsam mit den Werbenden die gesamtschuldnerische Haftung übernehmen.
24 Dt. Übersetzung der am 1. 9. 2015 in Kraft getretenen Fassung, die der am 29. 4. 2021 in Kraft getretenen Neufassung entspricht, von Dretzke et al. ZChinR 2016/2, 144, 144 ff.
216
Anhang
( § 56 Abs. 3
7. Werbegesetz der VR China ) (Fortsetzung) Verursacht falsche Werbung für andere Waren oder Dienstleistungen als im vorherigen Absatz einen Schaden bei Verbrauchern, müssen Werbungtreibende, Werbungverbreitende und Werbebotschafter gemeinsam mit den Werbenden die gesamtschuldnerische Haftung übernehmen, wenn sie trotz ihrer Kenntnis oder ihres Kennenmüssens falsche Werbung entwerfen, herstellen, verbreiten, in Vertretung [Dienstleistungen erbringen] oder Empfehlungen [oder] Verbürgungen abgeben.
8. Zivilprozessgesetz der VR China )25 ( § 103 Abs. 1
In Fällen, in denen die Handlungen einer Partei oder andere Gründe dazu führen können, dass sich ein Urteil schwer vollstrecken lässt oder einer Partei andere Schäden entstehen, kann das Volksgericht auf Grund eines Antrags einer Gegenpartei beschließen, dass eine Sicherung ihres Vermögens durchgeführt wird, oder anordnen, dass sie bestimmte Handlungen ausführt oder verbieten, dass sie bestimmte Handlungen ausführt; auch wenn kein Antrag einer Partei gestellt worden ist, kann das Volksgericht nötigenfalls beschließen, dass Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden.
§ 103 Abs. 2
Wenn das Volksgericht Sicherungsmaßnahmen ergreift, kann es den Antragssteller anweisen, Sicherheit zu leisten; wenn der Antragssteller keine Sicherheit leistet, beschließt es die Zurückweisung des Antrags.
§ 103 Abs. 3
Das Volksgericht hat nach Erhalt des Antrags, wenn die Umstände dringlich sind, binnen 48 Stunden einen Beschluss zu treffen; wenn es das Ergreifen von Sicherungsmaßnahmen beschließt, muss die Vollstreckung sofort beginnen.
25
Dt. Übersetzung von Pißler, ZChinR 2022/1, 32, 32 ff.
Normenverzeichnis
(
217
8. Zivilprozessgesetz der VR China ) (Fortsetzung)
§ 104 Abs. 1
Wenn bei dringenden Umständen ein Interessierter, falls er nicht sofort Sicherung beantragt, in seinen legalen Rechten und Interessen so geschädigt werden könnte, dass dies schwer wiedergutzumachen wäre, dann kann er vor Klageerhebung oder Antrag auf ein Schiedsverfahren an dem Ort, an dem sich das zu sichernde Vermögen befindet, oder am Wohnsitz des Antragsgegners oder bei dem für diesen Fall zuständigen Volksgericht Sicherungsmaßnahmen beantragen. Der Antragssteller muss Sicherheit leisten; wenn er keine Sicherheit leistet, beschließt es die Zurückweisung des Antrags.
§ 104 Abs. 2
Das Volksgericht hat nach Erhalt des Antrags binnen 48 Stunden einen Beschluss zu treffen; wenn es das Ergreifen von Sicherungsmaßnahmen beschließt, muss die Vollstreckung sofort beginnen.
§ 104 Abs. 3
Wenn der Antragssteller binnen 30 Tagen, nachdem das Volksgericht die Sicherungsmaßnahmen ergriffen hat, nicht nach dem Recht Klage erhebt oder ein Schiedsverfahren beantragt, muss das Volksgericht die Sicherung zurücknehmen.
218
Anhang II. Weitere Vorschriften
(
1. Bekanntmachung des OVG über die Herausgabe von Leitlinienfür die Verhandlung von Zivilprozessen über geistiges Eigentum, an denen E-Commerce-Plattformen beteiligt sind )26
§3
Wenn ein E-Commerce-Plattform-Betreiber weiß oder wissen muss, dass ein auf der Plattform tätiger Betreiber Rechte des geistigen Eigentums verletzt, muss er auf der Grundlage der Natur der Rechte, der konkreten Umstände und technischen Bedingungen der Rechtsverletzung, der für die Rechtsverletzung vorgebrachten Anfangsbeweise sowie der Art der Dienstleistung unverzüglich die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Die notwendigen Maßnahmen müssen dem Grundsatz der angemessenen Vorsicht folgen [und] umfassen, sind indes nicht beschränkt auf die Löschung, Blockierung, Außerkraftsetzung der Verlinkung und andere Entfernungsmaßnahmen. Verletzt ein auf der Plattform tätiger Betreiber wiederholt und vorsätzlich Rechte an geistigem Eigentum, so hat der E-CommercePlattform-Betreiber das Recht, Maßnahmen zur Beendigung des Handels und der Dienstleistungen zu ergreifen.
§4
Gemäß den §§ 41, 42 [und] 43 ECG kann ein E-Commerce-Plattform-Betreiber je nach Art des Rechts des geistigen Eigentums sowie den Charakteristika der Waren und Dienstleistungen spezifische Durchführungsmaßnahmen für den Benachrichtigungs- und Anzeigemechanismus innerhalb der Plattform festsetzen. Durch die entsprechenden Maßnahmen dürfen jedoch keine unangemessenen Bedingungen oder Hindernisse für die Parteien bei der Wahrung ihrer Rechte nach dem Recht geschaffen werden.
26
Übersetzung durch die Verfasserin.
Normenverzeichnis
(
219
1. Bekanntmachung des OVG über die Herausgabe von Leitlinienfür die Verhandlung von Zivilprozessen über geistiges Eigentum, an denen E-Commerce-Plattformen beteiligt sind ) (Fortsetzung)
§ 5 Abs. 1
Die Benachrichtigung des Berechtigten an Rechten des geistigen Eigentums an den ECommerce-Plattform-Betreiber gemäß § 42 Abs. 2 ECG umfasst in der Regel: einen Nachweis über die Rechte an geistigem Eigentum und Informationen über die wahre Identität des Berechtigten, Informationen über die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen, die genau lokalisiert werden können, Anfangsbeweise über die Rechtsverletzung sowie eine schriftliche Garantie über die Wahrhaftigkeit der Benachrichtigung. Die Benachrichtigung muss in Schriftform erfolgen.
§ 5 Abs. 2
Wenn es in einer Benachrichtigung um Patentrechte geht, hat der E-CommercePlattform-Betreiber das Recht, von dem Berechtigten zu verlangen, dass er eine Beschreibung des Vergleichs von technischen Merkmalen oder Konstruktionsmerkmalen, ein Gebrauchsmuster oder einen Bericht über die Bewertung von Patentrechten oder andere Unterlagen vorlegt.
§ 6 Abs. 1
Bei der Feststellung, ob der Benachrichtigende „arglistig“ i. S. v. § 42 Abs. 3 ECG ist, kann das Volksgericht folgende Faktoren berücksichtigen: die Vorlage gefälschter oder veränderter Nachweise über Rechte; die Vorlage gefälschter gutachterlicher Stellungnahmen zum Vergleich von Rechtsverstößen; [die Frage, ob] die Benachrichtigung gesendet wurde, obwohl die Unbeständigkeit des Rechts bekannt war; das Versäumnis, die Benachrichtigung unverzüglich zurückzuziehen oder zu berichtigen, obwohl bekannt ist, dass die Benachrichtigung falsch ist; das wiederholte Senden falscher Benachrichtigungen.
„
“
220
Anhang
(
1. Bekanntmachung des OVG über die Herausgabe von Leitlinienfür die Verhandlung von Zivilprozessen über geistiges Eigentum, an denen E-Commerce-Plattformen beteiligt sind ) (Fortsetzung)
§ 7 Abs. 1
Die Gegenanzeige über die Nichtverletzung, die ein auf der Plattform tätiger Betreiber dem E-Commerce-Plattform-Betreiber sendet, enthält in der Regel: Informationen über die wahre Identität des auf der Plattform tätigen Betreibers; Informationen über Waren oder Dienstleistungen, Informationen über Waren und Dienstleistungen, die genau lokalisiert werden können und die die Beendigung notwendiger Maßnahmen erfordern, Anfangsbeweise über die Rechtsinhaberschaft oder Nutzungsrechte sowie eine schriftliche Garantie über die Wahrhaftigkeit der Gegenanzeige. Die Gegenanzeige hat in Schriftform zu erfolgen.
§ 7 Abs. 2
Betrifft die Benachrichigung Patentrechte, kann der E-Commerce-Plattform-Betreiber von dem auf der Plattform tätigen Betreiber verlangen, Unterlagen wie die Beschreibung des Vergleichs der technischen Merkmale oder Designmerkmale einzureichen.
§8
Bei der Feststellung, ob der auf der Plattform tätige Betreiber bei der Sendung seiner Gegenanzeige arglistig war, kann das Volksgericht folgende Faktoren berücksichtigen: die Vorlage gefälschter oder ungültiger Nachweise über Recht oder Genehmigungen; die Gegenanzeige enthält falsche Angaben oder ist offensichtlich irreführend; die Gegenanzeige wird eingereicht, obwohl der Benachrichtigung des Berechtigten eine rechtskräftige gerichtliche oder behördliche Entscheidung über die Rechtsverletzung beigelegt wurde; die Gegenanzeige wird nicht unverzüglich zurückgezogen oder berichtigt, obwohl der Absender Kenntnis von ihrer Falschheit hat.
Normenverzeichnis
(
221
1. Bekanntmachung des OVG über die Herausgabe von Leitlinienfür die Verhandlung von Zivilprozessen über geistiges Eigentum, an denen E-Commerce-Plattformen beteiligt sind ) (Fortsetzung)
§ 9 Abs. 1
Ergreift ein E-Commerce-Plattform-Betreiber in dringenden Fällen nicht unverzüglich Maßnahmen wie die Wiederherstellung des Links zu einem auf der Grundlage einer Benachrichtigung i. S. v. § 42 ECG entfernten Produkt, wodurch die berechtigten Interessen eines an Rechten des geistigen Eigentums Berechtigten in schwer auszugleichender Weise geschädigt werden, kann der Berechtigte gemäß den §§ 100 f. ZPG27 bei einem Volksgericht Maßnahmen zur Erhaltung seines Rechts beantragen.
§ 9 Abs. 2
Ergreift ein E-Commerce-Plattform-Betreiber in dringenden Fällen nicht unverzüglich Maßnahmen wie die Wiederherstellung des Links zu einem Produkt oder zieht der Benachrichtigende die Benachrichtigung nicht unverzüglich zurück oder stellt die Übermittlung der Benachrichtigung ein, wodurch die berechtigten Interessen [des auf der Plattform tätigen Betreibers] in schwer auszugleichender Weise beschädigt werden, kann dieser gemäß den in dem vorstehenden Absatz genannten Rechtsvorschriften Sicherungsmaßnahmen bei dem Volksgericht beantragen.
§ 10 Abs. 1
Bei der Feststellung, ob ein E-CommercePlattform-Betreiber angemessene Maßnahmen ergriffen hat, kann das Volksgericht unter anderem folgende Faktoren berücksichtigen: die Anfangsbeweise für das Vorliegen der Rechtsverletzung; die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Rechtsverletzung; den Umfang des Einflusses der Rechtsverletzung; die konkreten Umstände der Rechtsverletzung einschließlich der Frage, ob es sich um eine arglistig oder wiederholt begangene Rechtsverletzung handelt; die Wirksamkeit der Verhinderung einer Ausweitung des Schadens; die möglichen Auswirkungen auf die Interessen des auf der Plattform tätigen Betreibers; den Diensttyp und die technischen Bedingungen der E-Commerce-Plattform.
27
S. o., Fn. 627.
222
Anhang
(
1. Bekanntmachung des OVG über die Herausgabe von Leitlinienfür die Verhandlung von Zivilprozessen über geistiges Eigentum, an denen E-Commerce-Plattformen beteiligt sind ) (Fortsetzung)
§ 10 Abs. 2
Kann ein auf der Plattform tätiger Betreiber nachweisen, dass die von einer Benachrichtigung betroffenen Patentrechte durch das Chinesische Patentamt für ungültig erklärt wurden und setzt der E-CommercePlattform-Betreiber die auf dieser Grundlage ergriffenen notwendigen Maßnahmen aus, unterstützt das Volksgericht den Antrag des an Rechten des geistigen Eigentums [vermeintlich] Berechtigten nicht, festzustellen, dass der E-Commerce-PlattformBetreiber nicht unverzüglich die notwendigen Maßnahmen ergriffen hat.
§ 11 “
“„ „
Liegt einer der folgenden Umstände vor, kann ein Volksgericht feststellen, dass ein E-Commerce-Plattform-Betreiber von einer Rechtsverletzung „wissen musste“:
„
„
“ “„
“
Ein E-Commerce-Plattform-Betreiber erfüllt seine gesetzliche Pflicht zur Festsetzung von Regeln nicht, um Rechte des geistigen Eigentums zu schützen und die Qualifikation auf der Plattform tätiger Betreiber zu überprüfen; ein E-Commerce-Plattform-Betreiber hat den Nachweis der Rechte von Betreibern, deren Geschäftstypen etwa als „Flagship Store“ oder „Brand Store“ gekennzeichnet sind, nicht überprüft; ein E-Commerce-Plattform-Betreiber ergreift keine effektiven technischen Maßnahmen, um Verlinkungen zu rechtsverletzenden Produkten zu filtern und blockieren, die Worte wie „in hohem Maße imitiert“ und „Fake-Produkte“ enthalten und die nach Einreichung einer Beschwerde erneut eingestellt werden; jeder andere Umstand, der ein Versäumnis der Erfüllung angemessener Prüf- und Sorgfaltspflichten darstellt.
Normenverzeichnis
223
2. Replik des OVG zu verschiedenen Fragen der Rechtsanwendung bei Streitigkeiten über die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums im Internet )28 ( §2
Nach Erhalt einer in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen abgegebenen Benachrichtigung eines an Rechten des geistigen Eigentums Berechtigten muss ein Netzdienstanbieter oder E-CommercePlattform-Betreiber die Benachrichtigung unverzüglich an den entsprechenden Internetnutzer oder auf der Plattform tätigen Betreiber weiterleiten und aufgrund der Anfangsbeweise über die Rechtsverletzung und des Diensttyps die notwendigen Maßnahmen ergreifen; beantragt der Berechtigte die gesamtschuldnerische Haftung des Netzdienstanbieters oder E-CommercePlattform-Betreibers mit dem auf der Plattform tätigen Betreiber für den ausgeweiteten Teil des Schadens, unterstützen die Volksgerichte dies.
§3
Hat der Netzdienstanbieter oder E-Commerce-Plattform-Betreiber innerhalb einer angemessenen Frist nach Eingang der nach dem Recht weitergeleiteten Benachrichtigung, dass keine Rechtsverletzung vorliegt, bei dem an Rechten des geistigen Eigentums Berechtigten keine Mitteilung erhalten, dass der Berechtigte Beschwerde eingelegt oder Klage erhoben hat, so muss er unverzüglich die Löschung, Blockierung, Außerkraftsetzung der Verlinkung und andere Entfernungsmaßnahmen beenden. Verzögerungen, die durch besondere Umstände verursacht werden, auf die der Berechtigte keinen Einfluss hat, wie z. B. Beurkundungs- und Beglaubigungsverfahren, werden nicht auf die oben genannte Frist angerechnet, sofern diese Frist nicht mehr als 20 Arbeitstage beträgt.
20
Stellt ein E-Commerce-Plattform-Betreiber die notwendigen Maßnahmen aufgrund einer arglistig abgegebenen Benachrichtigung ein und entsteht dem an Rechten des geistigen Eigentums Berechtigten dadurch ein Schaden, unterstützen die Volksgerichte den Antrag des Berechtigten auf Zahlung eines Strafschadensersatzes in entsprechender Höhe gemäß den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen.
§4
28
Übersetzung durch die Verfasserin.
224
Anhang
2. Replik des OVG zu verschiedenen Fragen der Rechtsanwendung bei Streitigkeiten über die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums im Internet (Fortsetzung) §5
Wenn ein Berechtigter an Rechten des geistigen Eigentums eine objektiv falsche Benachrichtigung sendet, der Berechtigte in dem Rechtsstreit aber vorbringt, die Benachrichtigung in gutem Glauben abgegeben zu haben, eine Haftungsbefreiung beantragt und hierfür Beweise vorbringt, haben Volksgerichte dies nach einer Überprüfung nach dem Recht zu unterstützen.
3. Bestimmungen des OVG zu einigen Fragen der Rechtsanwendung bei der Behandlung ziviler Streitfälle über die Verletzung von persönlichen Rechten und Interessen durch die Nutzung von Informationsnetzwerken ( )29 §4
Wendet ein Volksgericht § 1195 Abs. 2 ZGB an, um festzustellen, ob die durch den Anbieter von Netzdiensten ergriffenen Maßnahmen wie die Löschung, Blockierung [und] Sperrung von Links unverzüglich [erfolgten], muss [es] eine umfassende Entscheidung aufgrund von Faktoren wie dem Typ und der Natur des Netzdienstes, der Form und dem Grad der Genauigkeit der wirksamen Benachrichtigung [sowie] dem Typ und Grad der Verletzung der [durch das] Informationsnetzwerk verletzten Rechte [und] Interessen treffen.
§5
Macht ein Netznutzer, gegen dessen bekannt gemachte Informationen Maßnahmen wie die Löschung, Blockierung [und] Sperrung von Links ergriffen wurden, geltend, dass der Anbieter von Netzdiensten für eine Vertragsverletzung oder die Verletzung von Rechten haftet30, und erhebt der Anbieter von Netzdiensten den Einwand, er habe eine wirksame Mitteilung des § 1195 Abs. 1 ZGB erhalten, muss ein Volksgericht dies unterstützen.
29
Übersetzung durch die Verfasserin. Gemeint ist, dass der Netznutzer gegen den Anbieter entweder vertragliche oder deliktische Ansprüche geltend macht. 30
Normenverzeichnis
225
3. Bestimmungen des OVG zu einigen Fragen der Rechtsanwendung bei der Behandlung ziviler Streitfälle über die Verletzung von persönlichen Rechten und Interessen durch die Nutzung von Informationsnetzwerken ( ) (Fortsetzung) §6 „
“
Stellt ein Volksgericht gemäß § 1197 ZGB fest, ob ein Anbieter von Netzdiensten [von einer Rechtsverletzung] „wissen oder wissen musste“, muss es umfassend die nachfolgenden Faktoren berücksichtigen: ob der Anbieter von Netzdiensten die rechtsverletzenden Netzwerkinformationen manuell oder automatisch31 in Gestalt wie etwa einer Empfehlung, eines Rankings, einer Auswahl, einer Bearbeitung, einer Sortierung oder einer Änderung verarbeitet; [ob] der Anbieter von Netzdiensten die Fähigkeit zur Verwaltung von Informationen hat, die er haben muss, sowie die Natur, Art und Weise der angebotenen Dienste und die Größe der Wahrscheinlichkeit32 der durch sie hervorgerufenen Rechtsverletzung; den Typ und Grad der Offensichtlichkeit der [durch das] Informationsnetzwerk verletzten persönlichen Rechte [und] Interessen; den Grad des gesellschaftlichen Einflusses oder die Anzahl der Webseitenaufrufe33 dieses Informationsnetzwerks innerhalb eines bestimmten Zeitraums; die technischen Möglichkeiten des Anbieters von Netzdiensten zur Ergreifung von Maßnahmen zur Vorbeugung von Rechtsverletzungen und ob die entsprechenden angemessenen Maßnahmen ergriffen wurden; ob der Anbieter von Netzdiensten die entsprechenden angemessenen Maßnahmen gegen ein sich wiederholendes rechtsverletzendes Verhalten oder dieselben rechtsverletzenden Informationen desselben Netznutzers ergriffen hat; andere mit diesem Fall in Verbindung stehende Faktoren.
31
Wörtlich: „in manueller oder automatischer Form“. Wörtlich: „ob die Wahrscheinlichkeit des Hervorrufens einer Rechtsverletzung groß oder klein ist“. 33 Wörtlich: „Anzahl der Durchsichten“. 32
226
Anhang 3. Bestimmungen des OVG zu einigen Fragen der Rechtsanwendung bei der Behandlung ziviler Streitfälle über die Verletzung von persönlichen Rechten und Interessen durch die Nutzung von Informationsnetzwerken ( ) (Fortsetzung)
§7
Das Volksgericht muss bei der Feststellung des Verschuldens und des Grades [des Verschuldens] des Netznutzers oder Anbieters von Netzdiensten bei der Übertragung34 von Netzwerkinformationen umfassend die folgenden Faktoren berücksichtigen: die Sorgfaltspflicht des Übertragenden, die seiner Natur und dem Umfang der Auswirkungen entsprechen; den Grad der Offensichtlichkeit, mit dem die übertragenen Informationen persönliche Rechte [und] Interessen anderer verletzen; ob die übertragene Information materiell geändert wurde [und] ob der Titel eines Artikels ergänzt oder geändert wurde, so dass dessen Inhalt [dem Original] in erheblicher Weise nicht entspricht und die Wahrscheinlichkeit [birgt], dass die Allgemeinheit in die Irre geführt wird.
§8
Schädigt ein Netznutzer oder Anbieter von Netzdiensten das Vertrauen der Allgemeinheit in einen Betreiber [und] setzt die gesellschaftliche Bewertung seiner Produkte und Dienstleistungen herab, [indem] er etwa verleumdende oder verunglimpfende Mittel ergreift, [und] fordert ein Betreiber35 von dem Netznutzer oder Anbieter von Netzdiensten, dass diese für die Verletzung von Rechten haften, muss das Volksgericht [dies] nach dem Recht unterstützen.
4. Bestimmungen des OVG zu verschiedenen Fragen der Rechtsanwendung bei der Verhandlung ziviler Streitfälle, die eine Verletzung des Rechts auf Verbreitung durch Informationsnetze betreffen( )36 § 8 Abs. 1
34
Wörtlich: „dem übertragenden Verhalten“. Wörtlich: „betreibendes Subjekt“. 36 Übersetzung durch die Verfasserin. 35
Die Volksgerichte bestimmen anhand des Verschuldens des Netzdienstanbieters, ob [er] die deliktische Haftung als Anstifter oder Gehilfe trägt. Den Netzdienstanbieter trifft Verschulden, wenn er von einer Verletzung des Verbreitungsrechts weiß oder wissen muss.
Normenverzeichnis
227
4. Bestimmungen des OVG zu verschiedenen Fragen der Rechtsanwendung bei der Verhandlung ziviler Streitfälle, die eine Verletzung des Rechts auf Verbreitung durch Informationsnetze betreffen( ) (Fortsetzung) § 8 Abs. 2
Unterlässt ein Netzdienstanbieter es, aktiv die Prüfung von Verletzungen des Verbreitungsrechts durch Netznutzer einzuleiten, stellt das Volksgericht auf dieser Grundlage nicht fest, dass ihn Verschulden trifft.
§ 8 Abs. 3
Kann der Netzdienstanbieter nachweisen, dass es schwierig ist, eine auf der Plattform begangene Rechtsverletzung zu entdecken, obwohl er insoweit vernünftige und effektive Maßnahmen ergriffen hat, hat das Volksgericht festzustellen, dass kein Verschulden vorliegt.
§9
Die Volksgerichte stellen fest, ob ein Netzdienstanbieter Kenntnis hat, indem sie [prüfen], ob die konkreten Umstände der Verletzung des Verbreitungsrechts durch den Netznutzer offensichtlich sind, wobei sie die folgenden Faktoren berücksichtigen: Die Fähigkeit des Netzdienstanbieters zur Informationsverwaltung, die er aufgrund der Natur des erbrachten Dienstes, der Art [der Bereitstellung des Dienstes] und der Wahrscheinlichkeit entsprechend hervorgerufener Rechtsverletzungen haben muss; die Art des übertragenen Werks, der Darbietung, der audiovisuellen Aufzeichnung, deren Popularität und die Offensichtlichkeit der verletzenden Informationen; ob der Netzdienstanbieter die Initiative etwa zur Auswahl, Bearbeitung, Änderung oder Empfehlung des Werkes, der Darbietung oder audiovisuellen Aufzeichnung ergriffen hat; ob der Netzdienstanbieter aktiv angemessene Präventionsmaßnahmen ergriffen hat; ob der Netzdienstanbieter ein geeignetes Verfahren für den Empfang von Benachrichtigungen über Rechtsverletzungen und die unverzügliche und angemessene Beantwortung dieser Benachrichtigungen eingerichtet hat; ob der Netzdienstanbieter entsprechend angemessene Maßnahmen gegen wiederholte Rechtsverletzungen desselben Netznutzers ergriffen hat; andere relevante Faktoren.
228
Anhang 5. Behördliche Maßnahmen zur Überwachung und Verwaltung des Onlinehandels )37 (
§ 24 Abs. 1
Der Betreiber einer Internethandelsplattform hat von Unternehmen, die Zugang zu der Plattform beantragen, um Waren zu verkaufen oder Dienstleistungen zu erbringen, wahrheitsgemäße Informationen über ihre Identität, Adresse, Kontaktmöglichkeit und administrative Lizenzierung zu verlangen; unter anderem [hat er] diese zu verifizieren und zu registrieren, Registrierungsarchive anzulegen und die entsprechenden Informationen mindestens einmal alle sechs Monate zu verifizieren und aktualisieren. 6. Behördliche Maßnahmen zur Untersuchung und Behandlung von Verstößen gegen die Lebensmittelsicherheit im Internet ( )38
§ 14 Abs. 1
Anbieter von Drittplattformen für den Lebensmittelhandel im Internet müssen eine spezielle Verwaltungsstelle für die Lebensmittelsicherheit im Internet [einrichten] oder in Vollzeit für die Verwaltung der Lebensmittelsicherheit zuständiges Personal einsetzen, die die mit dem Lebensmittelhandel in Verbindung stehenden Handlungen und Informationen überprüfen.
§ 14 Abs. 2
Stellt ein Anbieter einer Drittplattform für den Lebensmittelhandel im Internet fest, dass ein Verstoß gegen die Lebensmittelsicherheit vorliegt, so hat er diesen unverzüglich zu unterbinden und der Marktaufsichts- und Marktverwaltungsabteilung des Kreises, in dem er ansässig ist, zu melden.
37 38
Übersetzung durch die Verfasserin. Übersetzung durch die Verfasserin.
Normenverzeichnis
229
7. Behördliche Maßnahmen für Internetinformationsdienste )39 ( § 15
Anbieter von Internetinformationsdiensten dürfen keine Informationen erstellen, vervielfältigen, veröffentlichen oder verbreiten, mit denen [Folgendes einhergeht]: Verstöße gegen grundlegende Prinzipien der Verfassung; die Gefährdung der nationalen Sicherheit, Preisgabe von Staatsgeheimnissen, Unterminierung der Staatsmacht oder Untergrabung der nationalen Einheit; die Schädigung der nationalen Ehre und Interessen; die Anstiftung zu ethnischem Hass oder Diskriminierung oder die Untergragbung der nationalen Einheit; die Schädigung der staatlichen Religionspolitik oder Verbreitung ketzerischer oder abergläubischer Ideen; die Verbreitung von Gerüchten oder Störung der sozialen Ordnung und Stabilität; die Verbreitung von Obszönität, Pornografie, Gewalt, Brutalität und Terror oder Anstiftung zu Verbrechen; die Demütigung oder Verleumdung anderer oder die Verletzung der legalen Rechte und Interessen anderer; andere, durch Gesetze [und] Verwaltungsrechtsnormen verbotene Inhalte.
39
Übersetzung durch die Verfasserin.
230
Anhang 8. Behördliche Maßnahmen zum administrativen Schutz des Urheberrechts im Internet )40 (
§ 11
3
10
Wenn ein Anbieter von Internetinformationsdiensten weiß, dass ein Inhaltsanbieter durch das Internet das Urheberrecht einer anderen Person verletzt, oder wenn er, obwohl er es nicht weiß, nach Erhalt einer Benachrichtigung des Urheberrechtsinhabers keine Maßnahmen ergreift, um die entsprechenden Inhalte zu entfernen, und dabei das öffentliche Interesse der Gesellschaft schädigt, kann die Abteilung für Urheberrechtsverwaltung gemäß den Bestimmungen von § 47 des UrhG der VR China anordnen, dass das verletzende Verhalten eingestellt wird, und die folgenden Verwaltungsstrafen verhängen: Beschlagnahme der rechtswidrigen Einkünfte; eine Geldstrafe von höchstens dem Dreifachen des Betrags der rechtswidrigen Handlung; ist der Betrag der rechtswidrigen Handlung schwer zu berechnen, kann eine Geldstrafe von höchstens 100.000 Yuan verhängt werden.
§ 12
40
Liegen keine Beweise dafür vor, dass Anbieter von Internetinformationsdiensten von einer Rechtsverletzung wissen oder ergreifen sie nach Erhalt der Benachrichtigung eines Urheberrechtsinhabers über eine Rechtsverletzung Maßnahmen zur Entfernung der in Rede stehenden Inhalte, tragen sie keine ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit.
Übersetzung durch die Verfasserin.
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Dienstleistungssubjekte
45, 61
E-Commerce-Betreiber 45 f., 62 f. E-Commerce-Plattform-Betreiber – Charakteristika 49 ff. – Grenzfälle 51 ff.
Falsche Benachrichtigungen im Rahmen des Notice and Takedown-Verfahrens – Analyse der Haftungsregeln 127 f. – Haftung des Absenders 111 ff., 121 – Hintergründe der Haftungsregeln 112 ff. – Subjektive Anforderungen an die Haftung 114 f. – Vergleich der Haftungsregelungen im alten und im neuen Recht 121 Gegenanzeigeverfahren 87 ff. – Haftung für die unvollständige Durchführung 92 ff. – Pflicht des Netzdienstanbieters zur Weiterleitung der Gegenanzeige 90 ff. – Vergleich der Regelungen im alten und im neuen Recht 119 f. – Zweck des Rechts zur Gegenanzeige 89 f. Haftung – anteilige Haftung 178 f. – des Absenders falscher Benachrichtigungen 111 ff., 121 – entsprechende Ergänzungshaftung 179 f. – entsprechende Haftung 175 ff. – für die unterbliebene Weiterleitung von Benachrichtigungen 111 – für die unvollständige Durchführung des Gegenanzeigeverfahrens 92 ff. – für nicht oder nicht umfassend ergriffene Maßnahmen im Rahmen des Notice and Takedown-Verfahrens 95 ff. – gesamtschuldnerische Haftung 177 f. Haftungsbegründungsmodell 102 ff. – Folgen 102 ff. – Kritik 104 ff. – Rechtspolitische Erwägungen 106 – Verschuldensbestimmung 105 f.
Stichwortverzeichnis Maßnahmen der Netzdienstanbieter im Rahmen des Notice and Takedown-Verfahrens – Notwendigkeit und Angemessenheit i. S. d. §§ 1195 f. ZGB und §§ 42 f. ECG 85 ff. – Unverzüglichkeit i. S. d. §§ 1195 f. ZGB und §§ 42 f. ECG 87 – Vergleich der Regelungen im alten und im neuen Recht 119 Miniprogrammplattformdienste 52 ff. Netzdienstanbieter – Begriffsbestimmung 46 f. – Haftungsfolgen 48 Netznutzer 44 Notice and Takedown-Verfahren 65 ff. – §§ 1195 f. ZGB und §§ 42 f. ECG 80 ff. – des DelHaftG 75 ff. – Haftung des Netzdienstanbieters 95 ff. – Hintergründe und Ablauf im chinesischen Recht 70 ff. – im Gefüge des einstweiligen Rechtsschutzes 128 ff. – im US-amerikanischen Recht 66 ff. – Übernahme in das chinesische Recht 66 ff. – Vergleich der alten und neuen Regelungen 117 ff. Prüfpflicht – i. S. v. § 38 Abs. 2 Var. 1 ECG
161 ff.
Rechtsverletzung – Abgrenzung eigener und mittelbarer 40 ff. – Arten von Rechtsverletzungen 193 ff. Red Flag-Test – § 1197 ZGB und § 45 ECG als Ausdruck des Red Flag-Tests 155 ff. – im US-amerikanischen Recht 67 f.
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Safe Harbor-Modell – §§ 22 f. SRVI-VO 73 ff. – Analyse des Modells im chinesischen Deliktsrecht 107 ff. – Missverständnis 98 ff., 108 f. – Vergleich der Regelungen im alten und im neuen Recht 120 f. Sicherheitsgewährleistungspflicht – i. S. v. § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG 165 ff. Verkehrssicherungspflicht – § 38 Abs. 2 Var. 2 ECG als allgemeine Verkehrssicherungspflicht für den ECommerce 166 ff. – allgemeine 38 f. – besondere 39 f. – Hintergründe im chinesischen Recht 37 f. Webinhaltsdienstanbieter 47 f. Webtechnologiedienstanbieter 47 f. Weiterleitung – als notwendige Maßnahme i. S. v. § 36 Abs. 2 DelHaftG 79 f. – Analyse der Regelung der Weiterleitungspflicht 126 f. – der Gegenanzeige 90 ff. – Haftung für die unterbliebene Weiterleitung 111 – Pflicht nach §§ 1195 f. ZGB und §§ 42 f. ECG 85 Wissensregeln – § 38 Abs. 1 ECG 141 f. – Bestimmung durch die Gerichte 143 ff. – gesetzgebungshistorische Hintergründe 139 f. – Neuregelung in § 1197 ZGB und § 45 ECG 140 f.