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German Pages 300 [305] Year 1889
Verhandlungen des
ZVWigstkn Dklltfchkn Imistklltligks.
Herausgegeben
von
dem Schriftführer ~^mt der ständigen Deputation.
Dritter Band.
(Gutachten.)
Berlin. Commissions-Berlag von I. Gntteutag. (D. Collin.)
1889.
Druck von Leonhard Simion, Berlin SW.
Inhaltsverzeichnis. Sette XXII. Gutachten des Herrn Oberlandesgerichtsrath Max Heinsheimer in Karlsruhe über die Frage: Empfiehlt sich die Beibehaltung der Vorschriften, welche der Ent wurf des bürgerlichen Gesetzbuches im Allgemeinen Theil (§§ 98 bis 102) über den Irrthum bei Willenserklärungen aufstellt? .
3
XXIII. Gutachten des Herrn Professor Dr. Leonhard in Marburg über die Frage: Empfiehlt sich die Beibehaltung der Vorschriften, welche der Ent wurf des bürgerlichen Gesetzbuchs im Allgemeinen Theil (§§ 98 bis 102) über den Irrthum bei Willenserklärungen aufstellt? .
23
XXIV. Gutachten des Herrn Rechtsanwalt Dr. Max Hachenburg in Mannheim über die Frage: Ist die im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches angenommene Behandlung der Pertinenzen zu billigen, oder eine Abänderung derselben wünschenswerth, und in welchem Sinne?......................
XXV. Gutachten des die Frage:
Herrn Professor Dr.
Kohler in Berlin
122
über
Ist die im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches angenom mene Behandlung der Pertinenzen zu billigen, oder eine Ab änderung derselben wünschenswerth, und in welchem Sinne? .
145
XXVI. Gutachten des Herrn Oberlandesgerichtsrath Thomsen in Stettin über die Frage: Ist das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers und Verpächters beizubehalten?...................................................................................... XXVII. Gutachten des Herrn Gerichtsassessor Lewinsohn in Berlin über die Frage:
Ist das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers und Verpächters beizubehalten oder abzuändern?.....................................................
152
XXVIII. Gutachten des Herrn Justizrath M. Levy in Berlin über die Frage:
„Sind die im Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs vorgesehenen Arten des Pfandrechts an Grundstücken einschließlich der Grund schuld beizubehalten?.......................................................................... 261
XXIX. Gutachten des Herrn Rechtsanwalt Karl Mörschell, Kgl. Ad vokaten in Würzburg, über:
Die Aufnahme und Gestaltung des Privatpfändungsrechtes im künftigen Deutschen bürgerlichen Gesetzbuche................................... 269
Berichtigung. S. 103. Z. 3 u. ff. v. ob. ist zu lesen: IV. Ein gleiches Rücktrittsrecht steht dem Absender einer Erklärung zu, wenn diese seiner Absicht bei ihrer Ankunft nicht entspricht, weil sie ohne seine Schuld unterwegs ent stellt und in solchem Zustande angekommen ist, ohne daß dies der Empfänger bemerken mußte.
XXVIII. Gutachten des Herrn Justizrath M. Levy in Berlin über die Frage:
„Sind die im Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs vorgesehenen Arten des Pfandrechts an Grundstücken einschließlich der Grund schuld beizubehalten?.......................................................................... 261
XXIX. Gutachten des Herrn Rechtsanwalt Karl Mörschell, Kgl. Ad vokaten in Würzburg, über:
Die Aufnahme und Gestaltung des Privatpfändungsrechtes im künftigen Deutschen bürgerlichen Gesetzbuche................................... 269
Berichtigung. S. 103. Z. 3 u. ff. v. ob. ist zu lesen: IV. Ein gleiches Rücktrittsrecht steht dem Absender einer Erklärung zu, wenn diese seiner Absicht bei ihrer Ankunft nicht entspricht, weil sie ohne seine Schuld unterwegs ent stellt und in solchem Zustande angekommen ist, ohne daß dies der Empfänger bemerken mußte.
Gutachten. (Dritter Band.)
XXII. Wachten öes Herrn Lker- Lande8gerichl8ra1h Max Hein8heimer in Rarkruhe über die Frage: Empfiehlt sich
Entwurf des
der Vorschriften,
die Beibehaltung
welche der
bürgerlichen Gesetzbuches im Allgemeinen
Theil
(§§ 98—102) über den Irrthum bei Willenserklärungen auf
stellt?
__________
I. Die Bestimmungen des Entwurfes, um deren Begutachtung es sich handelt, lauten dahin:
„§ 98.
Beruht der Mangel der Uebereinstimmung des wirk
lichen Willens mit dem
erklärten Willen auf einem Irrthum des
Urhebers, so ist die Willenserklärung nichtig, wenn anzunehmen ist, daß der Urheber bei Kenntniß der Sachlage die Willenserklärung
nicht
abgegeben haben würde;
Willenserklärung gültig.
erklärung
würde
nicht
im entgegengesetzten Falle
ist die
Im Zweifel ist anzunehmen, die Willens
abgegeben
sein,
wenn
ein Rechtsgeschäft
anderer Art, die Beziehung des Rechtsgeschäfts auf einen anderen
Gegenstand oder die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts unter anderen Personen beabsichtigt wurde.
§ 99.
Die
nach den Vorschriften des § 98 für nichtig zu
erachtende Willenserklärung ist gültig, wenn dem Urheber derselben grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.
Fällt dem Urheber eine Fahrlässigkeit zur Last, grobe ist,
so haftet
derselbe dem Empfänger
nach Maßgabe des § 97 Abs. 3.
welche keine
für Schadensersatz
4 Die Vorschriften des ersten und zweiten Absatzes finden keine
Anwendung, wenn der Empfänger den Irrthum kannte oder kennen mußte. § 100. sehung
eines Vertrages in An
Fehlt bei der Schließung
eines Theiles des Vertrages die Uebereinstimmung des
Willens der Vertragschließenden,
sofern nicht erhellt,
so ist der ganze Vertrag nichtig,
daß der Vertrag auch ohne eine Bestimmung
über jenen Theil geschlossen sein würde. § 101. Die Vorschriften der §§ 98—100 finden entsprechende Anwendung,
wenn der Urheber der Willenserklärung
mittelung derselben
an den Empfänger sich
zur Ueber-
einer Mittelsperson
bedient hat, durch welche der Wille unrichtig mitgetheilt ist. Ein Irrthum in den Beweggründen ist, sofern nicht
§ 102.
das Gesetz ein Anderes bestimmt, auf die Gültigkeit eines Rechts
geschäfts ohne Einfluß." Die weiteren Vorschriften bezüglich des Irrthums sind in dem Thema nicht erwähnt;
es dürfte aber zweckmäßig sein, dieselben hier in Kürze
zusammenzustellen;
auf einzelne derselben
im weiteren Verlaufe
wird
zurückzukommen sein. § 117. Erforderniß der Uebereinstimmung des wirklichen Willens mit dem erklärten Willen, und Erheblichkeit des Irrthums in der Person des Vertreters.
§ 146.
Definition von Irrthum,
entschuldbarem Irrthum,
Kennenmüssen und Wissenmüssen.
§ 194. Veweislast beim Mangel der Uebereinstimmung des wirklichen mit dem erklärten Willen. § 241.
Entschuldbarer Irrthum,
als von dem Schuldner
nicht zu vertretender Umstand. § 667.
Irrthum bei einem Vergleiche.
§ 707.
Entschuldbarer Irrthum über Erlaubtheit der beschädi
genden Handlung. § 737. Kein Beweis des Irrthums bei der Rückforderung
einer Nichtschuld erforderlich.
§ 757.
Irrthum des Geschäftsführers in der Person des
Geschäftsherrn.
(Vgl. §§ 759, 761.)
§ 1259 Biff. 2.
Irrthum beim Eheabschluß.
(Vgl. §§ 1261
Biff. 2, 1263 Abs. 1, 1264 Abs. 1.)
§§ fügungen.
1779,
1781,
1782.
Irrthum
bei
letztwilligen
Ver
5 §§ 1947—49, 1960 Abs. 2.
Irrthum
bei
Erbeinsetzungs
verträgen. § 2040 mißt dem Irrthume bei der Ausschlagungserklärung
keinen besonderen Einfluß bei. II.
Die Vorschriften der §§ 98—102 sind von der Kritik auf das Leb hafteste angegriffen worden. Holder
f. civ. Praxis,
(Arch.
Bd. LXXIII S. 97)
bemerkt zu
diesen Bestimmungen: beruhenden Mangels der Ueber
„Für den Fall des auf Irrthum
einstimmung des wirklichen Willens mit dem erklärten erklärt § 98 die
Willenserklärung für nichtig, „„wenn anzunehmen ist, daß der Ur
heber bei Kenntniß der Sachlage die Willenserklärung nicht
abgegeben haben würde"".
Es ist damit jede Differenz des wirk
lichen und des für das Bewußtsein des Erklärenden bestehenden Inhaltes der Willenserklärung für wesentlich erklärt, wenn sie nach Maßgabe seiner
individuellen Verhältnisse und Anschauungen wesentlich ist,
während es
unrichtig ist, diesen,
soweit sie nicht für den Anderen erkennbar waren,
Einfluß einzuräumen.
Als im Zweifel maßgebend ist neben der Diffe
renz der Geschäftsart diejenige des Gegenstandes und der am Geschäfte betheiligten Personen genannt.
Ist mir
für
eine
bestimmte Gattung
von Waaren ein bestimmter Kaufladen empfohlen worden, und kaufe ich nun aus Versehen
in
dem an jenen
anstoßenden, die
gleichen Waaren
führenden Laden ein, so ist nach dem Entwürfe der Kauf nichtig; denn
im Zweifel
ist die Person
des Verkäufers wesentlich, und im conereten
Falle war sie es ohnedies mir, der sich eigens nach dem besten Verkäufer jener Waaren erkundigt hatte,
um bei keinem andern zu kaufen.
Nach
dem Entwürfe ist außerdem der Kauf nichtig, wenn ich als ein Antisemit,
welcher grundsätzlich Juden nichts zu verdienen giebt,
einkaufe.
bei einem Juden
Daß die absolute Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts wegen wesent
lichen Irrthums nicht allenthalben dem geltenden Rechte entspricht, heben,
die Motive hervor,
ohne auf die Frage
der Zweckmäßigkeit ihrer Sta-»
tuirung irgend einzugehen, und doch liegt es nahe genug, daß der Irr thum einer Partei keinen Grund für die
andere bilden kann,
das Ge
schäft nicht gelten zu lassen.
Auch wäre die Frage der Erwägung werth
ob die Bedeutung
des Irrthums nicht von einer binnen be--
gewesen,
stimmter Frist erfolgten Anzeige desselben abhängig gemacht werden sollte^ Ueberflüssig
ist § 100,
dessen
Inhalt
schon
aus § 78 Abs. 2 folgt;
6 überflüssig ist auch § 102, welcher einem allerdings eingewurzelten, aber
trotzdem unbegründeten Sprachgebrauchs gemäß dem Irrthume über den Inhalt des Vertrages denjenigen „„in den Beweggründen" " entgegensetzt, als ob nicht unter diesen die Vorstellung über den Inhalt des Vertrages
eine wesentliche Rolle spielte."
Hellmann (Gutachten
aus dem Anwaltsstande S.
498—500)
äußert sich dahin:
„Weit ernstlicher ist aber ein anderes Bedenken.
Es war die
Aufgabe des Entwurfes, in der unsicheren und verwickelten Lehre des
gemeinen
zu schaffen.
Rechts vom Irrthum aufzuräumen
Auf den
ersten Blick scheint es auch,
und
Klarheit
als habe der
§ 98 die Jrrthumslehre auf eine sehr einfache Grundlage gestellt. so ergießt sich jedoch, daß alle die alten Zweifel über die Frage, wann man sagen könne, daß eine andere
Sieht man näher zu,
Sache oder eine andere Person gewollt war, als die erklärte, von
Neuem sich erheben müssen, wenn es bei der Fassung des zweiten
Satzes verbleibt."
Nachdem er sodann auf Holderes Beispiel mit dem Antisemiten hingewiesen, schließt er damit: „Freilich läßt sich die Schwierigkeit nicht verkennen, welche der Versuch einer Abhülfe bereitet. Allein daß diese Abhülfe dringend
geboten sei, darf noch weniger verkannt werden." Hartmann, Der Civilgesetzentwurf, das Aequitätsprincip und die Richterstellung (Archiv für civ. Praxis 73 S. 332) gelangt zu dem Er gebnisse:
„Anstatt der wirklich an die scharfsinnigste Scholastik der Postglossatoren erinnernden Distinctionen und Subdistinctionen der
§§ 95—101 empfehlen sich durch Einfachheit und praktische Ge sundheit bei weitem mehr die von Bähr vorgeschlagenen und motivirten Sätze." Bähr (Kritische Vierteljahrsschrift, N. F. XI S. 334—338) stellt den Vorschriften der §§ 97, 98, 99, 101 des Entwurfs folgende Sätze
gegenüber: „Eine im Rechtsverkehr irrthümlich abgegebene Willenserklä
rung,
welche mit dem wirklichen Willen des Urhebers nicht über
einstimmt,
bindet gleichwohl diesen,
wenn er sie in einer ihm zu
zurechnenden Weise abgegeben hat. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn der Empfänger der Willenserklärung den Irrthum kannte oder kennen mußte.
7 Sie findet ferner keine Anwendung, wenn und soweit der Empfänger durch die Annahme der Erklärung eine Vermögens einbuße nicht erlitten hat."
Bähr führt zur Begründung
seines Vorschlages Folgendes aus.
Nachdem er einleitend das Willensdogma und die neuere Lehre von der
Dertrauensmaxime mit ihren abweichenden Ansichten über die Haftbarkeit
einander gegenübergestellt und
den Schutz des bona üäo-Verkehrs als
den leitenden Gesichtspunkt bezeichnet hat, fährt er f-rt: „In den hier besprochenen Paragraphen behandelt der Entwurf (ab
dem Falle einer absichtlich falschen Willenserklärung) die
gesehen von
Frage in folgender Weise. zu machen,
Er verlangt,
um den Erklärenden haftbar
unter allen Umständen Fahrlässigkeit desselben.
Fahrlässigkeit eine grobe, gewollt hätte.
so soll er voll haften, so,
Ist die
als ob er wirklich
Ist die Fahrlässigkeit eine leichte, so soll er nur für einen
vom Empfänger der Erklärung zu beweisenden Schaden, jedoch nicht über
das Erfüllungsinteresse hinaus,
haften.
Der Entwurf theilt sich
also
zwischen den verschiedenen Lehren; ähnlich wie der Spruch Salomonis vorschlug, das streitige Kind mitten durchzuschneiden."
„Es wird
hier zunächst derjenige Fall von der Haftbarkeit ganz
ausgeschieden, wo die Willenserklärung zwar in einer von dem Erklären den zu vertretenden Weise abgegeben ist,
aber doch eine Fahrlässigkeit
demselben nicht zum Vorwurf gemacht werden kann.
Als typisch hierfür kann der bekannte Telegraphenfall gelten, der die Hauptanregung zu der
ganzen neuen Behandlung der Lehre gegeben hat. Ein Cölner Haus giebt an ein Frankfurter Haus das Telegramm auf: „Verkaufen Sie — — Credit-Actien."
Der Frankfurter kauft.
verlangt Abnahme
Der Telegraph bestellt:
„Kaufen Sie — —."
Die Actien gehen herunter.
oder Ersatz
der Actien
der
Der Frankfurter
Cursdifferenz.
Der
daß er nur ein Telegramm „Verkaufen Sie" auf Unzweifelhaft hat er also die Willenserklärung „Kaufen
Cölner wendet ein,
gegeben habe. Sie"
nicht wirklich
gewollt.
Wer hat nun den Schaden zu tragen?
Soviel ich weiß, haben alle Rechtsgelehrten,
die den Fall
behandelt
haben, für die Haftbarkeit des Cölners sich ausgesprochen, freilich mittels oft recht künstlicher Ableitungen, nicht hinaus konnten.
den Schaden zu tragen haben. sich bedient hat,
können.
weil sie über das „Willensdogma"
Nach dem Entwürfe würde aber der Frankfurter
Denn daß der Cölner des Telegraphen
würde man ihm doch nicht zur Fahrlässigkeit anrechnen
Schon die Entscheidung dieses Falles, die gewiß mit dem über-
8 wiegenden Rechtsbewußtsein
unserem Volke nicht im Einklang steht,
in
dürfte beweisen, daß der Entwurf einen bedenklichen Weg eingeschlagen hat.
„Dieser bedenkliche Weg setzt sich fort, indem der Entwurf für den Fall,
er eine Haftbarkeit
wo
grober
eintreten lassen will,
leichter Fahrlässigkeit unterscheidet.
und
wiederum zwischen
Die Unterscheidung er
weist sich schon insofern als praktisch unzuträglich, als es oft außerordent lich
grobe und leichte Fahrlässigkeit gegen einander abzu
schwer hält,
wägen,
auch
überdies
den meisten Fällen der beweispflichtige Em
in
pfänger die Umstände, unter denen die Erklärung abgegeben wurde, nicht
ob
leichte
auch nicht in der Lage sein wird,
deshalb
und
kennen
oder
dieser Unterscheidung
hängt
erkennen
an,
ausdrücklich
das Material
Fahrlässigkeit,
grobe
für die Frage,
beizubringen.
An
Die Motive
aber unter Umständen alles.
in Fällen dieser Art der Getäuschte oft
daß
gar nicht im Stande ist, positiv einen Schaden nachzuweisen.
In solchen
Fällen gestaltet sich also seine Lage, wenn das Gericht eine grobe Fahr lässigkeit nicht für erwiesen erachtet, zur Rechtlosigkeit."
wir
„Machen
uns einmal die Sache klar an dem bei Seuffert
Bd. 29 Nr. 215 mitgetheilten Falle, wo Jemand den für einen Dritten
bestimmten
Bürgschein
mit
einer
falsch
eingezeichneten
wie er behauptet,
weil er,
zeichnet hatte,
unter
Summe
den Schein ohne Brille nicht
habe lesen können.
Welcher Fall des Entwurfs ist nun gegeben?
der Unterzeichnende
die Brille in der Tasche gehabt und nur aus Be
sie
quemlichkeit
so wird man vielleicht sagen,
nicht aufgesetzt,
grobe Fahrlässigkeit
vor,
er sie
und
verlegt
dann
gehabt und im Augenblicke nicht finden
haften.
Hatte
so würde man vielleicht sagen,
dann
aber
brochen
es sei nur leichte Fahrlässigkeit,
haftete er nach dem Entwürfe nur für Schadensersatz,
aber in diesem Falle nur sehr schwer zu ihm
unmittelbar
worden,
so
beweisen
sein
würde).
vorher die Brille durch
einen Unglückssall zer
es sei gar keine Fahr
lässigkeit vorhanden,
und
dann
haftet
nun
wohl
das Rechtsgefühl befriedigen?
verlangt,
kungslos sei,
daß
(der War
wird man vielleicht sagen,
solche Unterscheidung man
es liege
würde er nach dem Entwurf voll
können,
und
Hatte
er für gar nichts.
Kann eine Wenn
eine Willenserklärung der gedachten Art nicht wir
so geschieht das nicht,
weil man den Erklärenden strafen,
sondern weil man den Empfänger der Erklärung schützen will, und des halb
ist das Maß des subjectiven Verschuldens
gleichgültig.
immer
ist
des Erklärenden
ganz
Mag dieses Verschulden bis zum Verschwinden gering sein,
der Empfänger
der Erklärung doch noch unschuldiger.
Und
deshalb fordert das Rechtsgefühl, daß der Nachtheil auf dem Erklärenden
9 hasten
bleibe.
Jene
Unterscheidung
führt
Lehre
die
geradezu
ins
Bodenlose."
„Daß
die Haftbarmachung
des Erklärenden in der That nur der
Anspruch auf Erfüllung, (nicht ein wirklicher Entschädigungsanspruch wegen Nichtentstehung des Vertrages) ist, das wird auch durch den (völlig rich tigen) Schlußsatz in Abs. 3 des § 97 erwiesen,
wonach
der Entschädi
gungsanspruch nie über das Erfüllungsinteresse hinausgehen soll.
wohl
man dem Entschädigungsprincip
kann
Gleich
gewisse Berechtigung
eine
Der gebotene Schutz des bona Läe-Verkehrs geht nicht
nicht versagen.
weiter, als daß der zu Schützende vor positivem Schaden bewahrt bleibe.
Wo ein solcher erkennbarer Weise nicht vorliegt, dogma
wieder in volle Berechtigung.
und Frankfurt
spielenden Geschäftes
da tritt das Willens
In dem Falle des zwischen Cöln würde der Frankfurter nur (dann)
den Anspruch auf Ersatz des Cursverlustes gehabt haben, wenn er wirk
lich
die Actien
hätte.
Hätte
gemeldet,
für Rechnung des Cölners liegen gehabt
ohne die Actien zu besitzen,
den „Ankauf" nur
um als Gegenspeculant des Cölners zu operiren,
kein Grund gewesen, zuhalten.
oder
gekauft
er aber,
dann wäre
den Cölner an dem Inhalte des Telegramms fest
in dem andern oben gedachten Falle es sich nicht um
Wenn
einen Bürgschein,
um
sondern
eine für den Dritten bestimmte Schen
kungsurkunde gehandelt hätte, so würde kein Bedürfniß gewesen sein, die
Willenserklärung aufrecht zu halten. Unterzeichner
hätte.
aus
Dies selbst dann nicht,
grober Fahrlässigkeit die
(Insofern geht also der Entwurf sogar weiter,
barkeit vertrete;
und ich muß auch dem,
wenn der
falsche Zahl nicht
gelesen
als ich die Haft
was in den Motiven S. 201
Abs. 2 gesagt wird, meinerseits entgegentreten.)
Ergiebt sich nicht schon
aus der Natur des Geschäfts, daß eine Vermögenseinbuße (§ 218) nicht stattgefunden
hat,
behalten bleiben.
so
muß
dem Erklärenden der Beweis darüber vor
Erbringt er diesen Beweis, so gelangt man auch nach
dieser Theorie dahin, daß der Erklärende nur „Schadensersatz" zu leisten
habe.
Aber es ist doch ein wesentlicher Unterschied,
herein
dem
Getäuschten
die
Schaden positiv nachzuweisen,
Pflicht
auferlegt,
ob man von vorn
einen
ihm
zugefügten
oder ob man dem Gegner die Möglichkeit
offen hält, seinerseits den Mangel eines Schadens darzuthun." An der Hand dieser Ausführungen
gelangt Bähr zu der Befürch
tung, der Entwurf werde,
wenn er so, wie er dastehe, Gesetz werde, in
den einschlagenden Fällen
unsäglichen Streit und nicht selten ungerechte
Entscheidungen herbeiführen.
10 III. Wenden wir uns zunächst, da Holder Gegenvorschläge unterlassen hat, wie er auch seiner Zeit (Krit. Vierteljahrsschrift XVIII S. 175 ff.)
seine Betheiligung an der Bekämpfung des Willensdogmas nur zur Construction der bedingten Willenserklärung verwendete, (vgl. Windscheid
im Archiv f. civ. Praxis LXIII, 73), gegen die Einwendungen Bähr's, welche im Wesentlichen dasjenige wiederholen, was er bereits in seiner Abhandlung über Irrungen im Contrahiren (Jhering's Jahrb. XIV
S. 393—427) ausführte, so hat Bähr zwar betont, das Bedürfniß des Verkehrs und die Natur der Sache erheische mit unabweislicher Noth wendigkeit
einen Rechtssatz,
daß Jedermann sich auf die Zuverlässigkeit
einer ihm hingegebenen Willenserklärung müsse verlassen können.
diese Vertrauensmaxime ist auch von nicht schrankenlos aufgestellt,
ihren
Allein
lebhaftesten Vertheidigern
und Bähr selbst hat in seinem Gegenvor
schläge die bedeutende Schranke
eingeräumt,
daß die irrthümlich
abge
gebene Willenserklärung den Erklärenden nur dann bindet, wenn er sie in
einer ihm zuzurechnenden Weise abgegeben hat. Wann aber ist sie in einer dem Erklärenden zuzurechnenden Weise abgegeben? Irgend ein Verschulden
muß doch für diese Zurechnungsmöglichkeit gefordert werden; der unbe dingte Zufall wird doch
nicht verantwortet,
bei der Fassung Bähr's
Entscheidungen
kommen.
und es kann deshalb auch
zu unsäglichem Streite und zu ungerechten Um nun hier gleich auf den Hauptvorwurf
zu kommen, daß der Entwurf in dem bekannten Cöln-Frankfurter Tele
grammfalle zu einer dem Cölner günstigen Entscheidung führen würde, während doch Jedermann s. Z. zu dem entgegengesetzten Ergebnisse ge kommen sei, so wird es, wie später zu zeigen ist, nur einer Aenderung
des § 101 des Entwurfes bedürfen, um in dieser Richtung den Bedürf
nissen des Verkehrs und der Billigkeit zum berechtigten Ausdrucke zu ver helfen, ohne daß man deshalb das Willensdogma, welchem der Entwurf ohnehin ganz erhebliche Modificationen beigefügt hat, aus dem Entwürfe
entfernen müßte.
Freilich gereicht bei Bähr dem Entwürfe auch wieder
zum Vorwurfe, daß er nicht wenigstens das Willensdogma starr aufge
stellt hat; daß er einen vermittelnden Weg einschlug und sich „zwischen den verschiedenen Lehren theilt",
zeichnet und getadelt,
wird als
salomonischer Ausspruch be
während man bislang die Bezeichnung als „salo
monischen Spruch" wie eine ehrende Anerkennung eines glücklichen Durch
greifens behandelte.
Uebrigens macht sich Bähr offensichtlich derselben
Verfahrensweise schuldig, indem er das Vertrauensdogma durch das Er-
11 forderniß der Zurechnungsmöglichkeit
in demselben Maße abschwächt,
welchem der Entwurf durch die Bestimmungen
in
die Fahrlässigkeit
über
dem Willensdogma Schranken setzt. Bähr hat freilich bezüglich der Zu rechnung der äußeren Willenserscheinung bemerkt, daß es auf ein eigent
liches Verschulden
gewöhnlichen
im
nicht
Sinne
ankomme;
er nimmt
Bezug auf Jhering's culpa in contrahendo und bezeichnet als leitend den Gedanken, sein möge,
daß, wenn auch der Erklärende
doch der ihm Gegenüberstehende
(a. a. O. S. 407).
doch von
er weicht
Allein
der Vertrauensmaxime
relativ
noch
eben
mit
weit
unschuldiger sei
seiner
so entschieden ab,
auch zwischen den verschiedenen Systemen theilt".
sehr unschuldig
„Zurechnung"
daß er damit „sich Man ersieht daraus,
daß es überhaupt von wenig Nutzen für die Gesetzesarbeit sein kann, die
Heftigkeit des Streites über alte Schulmeinungen in die Kritik des Ent wurfes hineinzutragen entbrannt,
welches
der daß
bestand,
Ist doch der Streit wesentlich darüber
in den Quellen
beiden Dogmen
Rechts seine Rechtfertigung Einigkeit
und Unterstützung
auf dem Gebiete
Der Fall,
des gemeinen
während
darüber
(Windscheid im Archiv
104.)
in welchem Jemand
beruft,
finde,
der lex ferenda zwischen den
verschiedenen Systemen gewählt werden könne.
f. civ. Praxis LXIII hinterher daraus
geführten
und auf diesem Boden den so lebhaft
Streit aufs Neue zu entfachen.
eine Urkunde unterschreibt und sich
er habe dieselbe
oder einzelne Stellen
darin
nicht gelesen und nicht gekannt, hat schon früher eine Rolle in dem Streite gespielt.
(Windscheid a. a. O. S. 93.)
hauptet werden,
daß derselbe an
Es darf
aber
sicherlich be
der Hand der Unterscheidung zwischen
grober und nicht grober Fahrlässigkeit ebenso leicht bezw. schwierig zu ent
scheiden
sein wird,
nungsmöglichkeit. die Unschuld
wie auf dem sehr unbestimmten Boden
Immer wird
des Erklärenden
der Zurech
sich eine Grenzlinie finden,
anfängt,
der doch,
an welcher
da er den wirklichen
Willen zu der erfolgten Erklärung nicht besaß, nicht geradezu das Opfer des Erklärungsempfängers werden sollte. Uebrigens läßt auch Bähr den
Anspruch des Empfängers eine Grenze an seinem Kennen oder Kennen
müssen des Irrthums finden,
welche auch
in diesem Falle
zu einer be
deutenden Rolle berufen sein könnte.
Bevor wir auf den Entwurf selbst eingehen, soll noch, obgleich dies schon zu den Einzelheiten des Stoffes gehört, des Einwandes von Hölder
und
Hellmann
wegen
des „Antisemiten"
gedacht
werden.
Es mag
eine Frage des feineren Geschmacks sein, ob ein Jsraelite bei einem Hause
Bestellungen macht, welches erklärt, nur mit Christen Geschäfte machen zu
12 wollen,
oder ob er eine Wohnung
in einer Sommerfrische
bestellt,
nach amerikanischem Muster auf ihre Circulare die Warnung
die
setzt: „no
jews admitted“; aber nimmermehr wird man hier nach § 98 Satz 2 von
einer Erheblichkeit des Irrthums des VeMufers bezw. des Wirths reden können, weil es sich nicht um „andere Personen", sondern nur um eine
gewisse Eigenschaft der Person, mit welcher man abgeschlossen hat, handelte, ein Irrthum hierüber scheinen würde.
aber nur als Irrthum in den Beweggründen er
Zudem würde der Irrthum regelmäßig
schuldeter sein, weil der Betreffende verpflichtet wäre,
ein selbstver sich
nach
der
Religion des Andern zu erkundigen, wenn er solcher entscheidendes Gewicht
beilegen wollte.
IV. Der Entwurf wollte keineswegs rein theoretisirend das Willensdogma aufstellen,
ohne Rücksicht
auf die Bedürfnisse des bona Lide-Verkehrs,
auf die Anforderungen des Lebens; es ergiebt sich
dies unverkennbar
aus den Motiven, und es entfallen damit die Einwendungen, welche eben aus diesen Bedürfnissen und Anforderungen gegen das Willensdogma zu
Gunsten der Vertrauensmaxime abgeleitet wurden.
Das Willensdogma
zum Ausgangspunkte
Rechtsgeschäften zu
nehmen,
empfahl sich
für die Willensmängel bei aus der Erwägung,
daß dasselbe in Ansehung
letztwilliger Verfügungen wegen deren streng einseitiger Natur überhaupt nicht zu entbehren, während
auch von keiner Seite beanstandet ist (vgl. § 1779),
dann für die Verfügungen von Todeswegen durch
Vertrag
(§§ 1940 ff.) und für den Erbverzichtvertrag (§§ 2019 ff.) wegen des Fehlens dieser strengen Einseitigkeit man einfach auf das modificirte Willensdogma der §§ 95—99 in vollem Umfange zurückgreifen konnte (§ 1947). Diese Erwägung der Gesetzestechnik, der Gesetzesökonomie
scheint uns von den Gegnern des Entwurfs mit Unrecht übersehen, ob gleich die Motive I S. 197 hervorheben, der Entwurf folge dem Gange
der Rechtsentwicklung, indem er sowohl hinsichtlich der Willenserklärungen unter Lebenden, als hinsichtlich der Verfügungen von Todeswegen zwischen beachtlichem und unbeachtlichem Irrthume scheide,
und obgleich
dann in
322, 474 die Abweichungen bezüglich der Wirkungen des Willensdogma zur Genüge erläutert sind. den Motiven V S. 45 ff.,
Das zur Begutachtung
gestellte Thema
erstreckt sich nicht auf das
Gebiet des Täuschungswillens und des leichtfertigen Spiels mit Worten
(88 95, 96 des Entwurfs); es beschränkt sich auf die Behandlung des wesentlichen Irrthums, auf die Fälle, wenn dem Bewußtsein des Er-
13 klärenden die Differenz zwischen seinem Wollen und dem als gewollt Be
zeichneten gänzlich fremd geblieben ist,
auf die dem Erklärenden unbe
wußte Differenz zwischen dem erklärten Willen und der Willenswirklichkeit. Eine Erklärung für sich ohne den entsprechenden Willen entbehrt nun
aber, wie z. B. Regelsberger (Vorverhandlungen S. 17 ff.) aus drücklich anerkennt, grundsätzlich der rechtlichen Bedeutung, und wir pflichten dem Standpunkte des Entwurfes
bei, daß
im Falle solchen
Irrthums selbst für den Bereich des obligatorischen Vertrags nicht ein
geräumt werden
könne, daß die Rücksicht auf das Verkehrsbedürfniß
nöthige, das Willensdogma
als solches
aufzugeben und
ein
anderes
Princip als maßgebend zu erklären, daß vielmehr jenem Bedürfnisse ge
nügend Rechnung
getragen werde, wenn durch specielle Vorschriften der
gute Glauben in weitergehendem Umfange da geschützt wird, wo besondere Gründe hierfür vorliegen, und gleichzeitig dem Erklärungsempfänger An
spruch auf Ersatz des Schadens gewährt wird, welcher demselben durch das Vertrauen auf die Wirksamkeit eines Vertrages erwachsen ist. einer Wiedergabe der einzelnen
(An Stelle
bezüglich der Vertrauensmaxime ausge
stellten Ansichten glauben wir auf die Vorlage des Redactors für den
Allgemeinen Theil II
S. 84 ff.
Bezug nehmen zu sollen,
mit welcher
Windscheid's academisches Programm — Archiv f. civ. Praxis ILIII S. 72 bis 112 — zu vergleichen ist.)
Der Entwurf erklärt nicht jeden durch Irrthum
hervorgerufenen
Willensmangel für relevant; er unterscheidet in Uebereinstimmung mit der
Rechtsentwicklung zwischen beachtlichem und unbeachtlichem, erheblichem und unerheblichem Irrthume. Er verkennt nicht die Schwierigkeit der
Aufstellung eines geeigneten Maßstabes für diese Unterscheidung. einem Ueberblicke
über die im
geltenden Rechte
Nach
angelegten Maßstäbe
(Motive I S. 197) führen die Motive aus, dem Entwürfe liege die Auffaffung zu Grunde, daß es sich nicht empfehle, die regelmäßigen Bestand
theile eines Rechtsgeschäfts objectiv zu sondern und den durch Irrthum
hervorgerufenen Willensmangel bezüglich der einen für beachtlich zu er klären, bezüglich der anderen nicht. Den dadurch für die Praxis erzielt
werdenden Vortheilen stehe die unverhältnißmäßige Beeinträchtigung des materiellen Rechts gegenüber, für welches stets nur das concret vorliegende Rechtsgeschäft in Betracht komme. Wesentlich für dieses sei aber jeder Bestandtheil, welcher mit der Willenserklärung dergestalt in ursächlichem Zusammenhänge stehe, daß sich annehmen lasse, bei mangelndem Irrthum
wäre die Willenserklärung nicht abgegeben worden.
Es
empfehle sich
demgemäß die Einnahme des subjecüven Standpunktes, daß der durch
14 Irrthum hervorgerufene Willensmangel die Willenserklärung nichtig mache,
wenn anzunehmen sei, daß der Erklärende bei Kenntniß der Sachlage die
Willenserklärung nicht abgegeben hätte, während andernfalls die Willens erklärung gültig sei. Der vom Entwürfe eingenommene Standpunkt dürfte bei dem der
richterlichen Würdigung
eingeräumten freien Ermessen (C.P.O. § 259)
in der That den Vorzug vor der Aufstellung fester Kategorieen des er
heblichen, wesentlichen, beachtlichen Irrthums, wie sich solche in einzelnen Gesetzgebungen findet, verdienen und
den Gegnern tragen.
in den Vordergrund
dem bona Läe-Verkehre, der von
gestellt wird,
am besten Rechnung
Der Entwurf nimmt, um die Würdigung des subjeetiven Ver
hältnisses in keiner Weise zu beengen, sogar von Aufstellung solcher fester
Kategorieen Umgang, die in einzelnen Gesetzen unbedingt als wesentlicher Irrthum behandelt werden (Rechtsgeschäft anderer Art, Beziehung auf eine andere Sache, vgl. schweiz. Obl.-Recht Art. 19 Ziffer 1 und 2);
er führt vielmehr die hervorragendsten Fälle in § 98 Satz 2 lediglich in
dem Sinne auf, daß im Zweifel ein ursächlicher Zusammenhang zwischen
Irrthum und Abgabe der Willenserklärung
angenommen werden soll,
während dem Richter unbenommen ist, einesteils auch einen Irrthum in
diesen Gebieten für unwesentlich, anderntheils einen Irrthum über andere
Umstände für wesentlich zu erklären.
Die Behauptung wird nicht zu ge
wagt sein, daß der vom Entwürfe eingeschlagene Weg sich den Bedürf nissen des Verkehrs und des guten Glaubens aufs Engste anschließt.
Die Motive gehen von der Annahme aus,
die angeführten Fälle
selbst, die Fälle, in welchen ein Rechtsgeschäft anderer Art, die Beziehung
des Rechtsgeschäfts auf einen anderen Gegenstand oder die Wirffamkeit des Rechtsgeschäftes unter anderen Personen beabsichtigt wurde, würden keinem Anstande begegnen.
Diese Annahme ist wenigstens bezüglich der
letzten Kategorie nicht eingetroffen.
Holder behauptet, worauf schon oben
hingewiesen wurde, daß nach dem Entwurf der Kauf nichtig sei, wenn Jemand als Antisemit, welcher grundsätzlich Juden nichts zu verdienen giebt, bei einem Juden einkaufe.
wegs;
Allein der Entwurf sagt dies keines
er nimmt nur im Zweifel an,
die Willenserklärung würde nicht
abgegeben sein, wenn die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts unter anderen Personen beabsichtigt wurde.
Damit ist aber nur der wirkliche Irrthum
über die Person gemeint, während die Motive ausdrücklich betonen, daß Irrthum über die Gattungseigenschasten des Gegenstandes ebenso, wie
Irrthum über Eigenschaften der gegenüberstehenden Person ein Irrthum in den Beweggründen sei, mithin die Willenswirklichkeit nicht ausschließe.
15 Wenn der Entwurf trotzdem einen bestimmten Ausspruch in letzterer Rich tung unterläßt, mit anderen Worten Hierwegen keine besondere Ausnahme
von der Vorschrift des § 102 macht,
so ist
den Motiven darin beizu
pflichten, daß eine solche Vorschrift bei der Unmöglichkeit, die Merkmale
hinreichender Deutlichkeit
ihrer Anwendbarkeit mit
Quelle von Streitigkeiten werden würde.
zu
bestimmen,
eine
Im einzelnen Falle wird eben
der Richter zu entscheiden haben, ob der Irrthum über die Eigenschaften des Vertragsgegners ein so wesentlicher ist, daß derselbe in Wirklichkeit
als Irrthum
über die Person,
mit der das Rechtsgeschäft beabsichtigt
Uebrigens fehlt es auf diesem Gebiete keines
wurde, zu betrachten ist.
wegs an anderen Rechtsbehelfen, so in dem Falle, wenn eine dem anderen Theile nicht bekannte Eigenschaft des einen Contrahenten einen wesent lichen Einfluß auf den Vollzug des Vertrages gemäß der bei dessen Ab
schluß auf beiden Seiten bestandenen Auffassung und Absicht auszuüben vermöchte.
Ist somit der Bestimmung
des § 98 Abs. 1 und 2 beizupflichten
und insbesondere anzuerkennen, daß eine bestimmtere, alle Zweifel besei tigende Ausgestaltung nicht möglich, vielmehr der Würdigung des einzelnen
zu gestatten ist,
Falles ein bedeutender Spielraum
denken Hellmann's (s. oben) erledigt,
womit sich das Be
so pflichten wir doch dem re-
dactionellen Vorschläge dieses Schriftstellers bei, daß zur Uebereinstimmung
mit dem Eingänge des § 95 Satz 1
der Eingang
des § 98 Satz 1
„Ist der Urheber einer Willenserklärung
sich des Mangels
besser dahin gefaßt würde:
der Uebereinstimmung des wirklichen Willens mit dem als gewollt
Erklärten nicht bewußt (Irrthum),
so ist die Willenserklärung
nichtig . . . ."
Darauf, daß der Entwurf
rechtlichen
Jurisprudenz
in Uebereinstimmung
mit der gemein
und einigen neueren Gesetzgebungswerken
als
Wirkung des beachtlichen Irrthums die Nichtigkeit der Willenserklärung
bezeichnet, während in anderen Gesetzen als solche nur die relative Nich tigkeit oder die Anfechtbarkeit, bezw. die Unverbindlichkeit für den Irrenden
vorgesehen ist, dürfte wenig ankommen, weil nach der Natur der Sache
auf den das Rechtsgeschäft vernichtenden Irrthum sich nur der Irrende,
nicht aber sein Gegner berufen kann.
Immerhin dürfte es angezeigt sein,
daß das B.G.B. als Wirkung die relative Nichtigkeit annehmen würde, was mit einer redactionellen Aenderung
leicht
zu bewerkstelligen wäre.
Von principieller Bedeutung scheint uns dieser Punkt nicht zu sein.
16 Zu § 99 dürfte Hellmann (a. a. O.) daß es mindestens
darin
zugestimmt werden,
von der Gültigkeit einer für nichtig zu
unschön ist,
erachtenden Willenserklärung zu sprechen, wenngleich der Entwurf auch anderwärts (vgl. § 109) sich ähnlicher Ausdrucksweise bedient.
§ 99 Abs. 1
könnte einfach dahin gefaßt werden:
„Vorstehende Bestimmung (§ 98)
findet
keine Anwendung,
wenn dem Urheber der Willenserklärung grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt."
Es würde übrigens auch genügen, den Abs. 1 dahin zu fassen:
„Eine Willenserklärung,
welche nach
den Vorschriften
des
§ 98 an sich nichtig wäre, ist gültig, wenn . . . ."
Zur Sache selbst wiederholt § 99
die im § 97 für den Fall der
bewußten Nichtübereinstimmung des wirklichen Willens mit dem erklärten
Willen gegebenen Vorschriften.
Bei
grober Fahrlässigkeit des Urhebers
wird in völliger Aufgebung des Willensdogmas die Willenserklärung als
gültig behandelt; die grobe Fahrlässigkeit wird in Ansehung der Rechts
folgen dem Vorsatze gleichgestellt.
Für den Fall, daß die dem Erklären
den zur Last fallende Fahrlässigkeit keine grobe ist, wurde nach den Mo tiven nicht verkannt, daß die Grenzlinie zwischen den beiden Graden der
Fahrlässigkeit nicht selten schwer zu ziehen ist;
allein andererseits erwog
man, daß die Gleichstellung der beiden Fälle der Verschiedenheit in der
Schwere des Verschuldens des Erklärenden nicht gerecht werde.
Deshalb
soll im letzteren Falle kraft des Willensdogmas die Erklärung nichtig sein,
dagegen an das fahrlässige Verhalten
des Erklärenden sich die Wirkung
knüpfen, daß er dem Empfänger der Willenserklärung für das sog. ne
gative Interesse einzustehen hat. Dieses Interesse wird (Motive I S. 195)
in manchen Fällen mit dem Erfüllungsinteresse sich decken, dasselbe
nicht erreichen;
steigen kann,
in anderen
da es aber jenes unter Umständen auch über
so wird durch § 97 Abs. 3,
der nach § 99 Abs. 2 auch
für das Gebiet des Irrthums maßgebend ist, die Beschränkung aufgestellt, daß mehr, als bei dem Zustandekommen des Rechtsgeschäfts dem anderen
Theile wegen Nichterfüllung zu ersetzen sein würde, auch bei dem Nicht
zustandekommen nicht geschuldet und gefordert werden könne. wird
bestimmt,
Einfluß sei,
daß die grobe,
Schließlich
wie die nicht grobe Fahrlässigkeit ohne
wenn der Empfänger der Willenserklärung den Zwiespalt
zwischen Wille und Erklärung
auf Seiten des Erklärenden kannte oder
kennen mußte.
Bähr wendet gegen die
verschiedene Behandlung der groben und
der nicht groben Fahrlässigkeit die großen Beweisschwierigkeiten ein und
17 behauptet, deren Unterscheidung führe die Lehre geradezu ins Bodenlose. Die Motive erkennen an, daß der gegen die Haftung für das negative
Interesse erhobene Einwand, daß dem Verkehre wegen der obwaltenden
Beweisschwierigkeiten mit
einem solchen
Ansprüche
wenig
gedient
fei,
nicht ohne eine gewisse Berechtigung sei; allein sie berufen sich mit Recht
daß diesem Bedenken durch
darauf,
den Entwurf in verschiedenen Be
ziehungen Rechnung getragen sei, die Fälle aber, in welchen diese Haftung werde,
anerkannt
sämmtlich der Art seien,
daß ein Hinausgehen über
dieselbe,
ein Festhalten des Erklärenden an der Erklärung selbst, sich
verbiete.
Wenn Bähr in der Zumuthung des Nachweises eines Scha
dens etwas Ungeheuerliches erblickt, so dürfte darin doch eine Verkennung der allgemeinen Grundsätze über die Schadensersatzpflicht liegen, und es dürfte jener Vorwurf weit mehr auf den
Vorschlag Bähr's
zutreffen,
dem Erklärenden zum Ausschlüsse des Erfüllungsanspruchs des Empfän
gers den Beweis aufzuerlegen,
die Annahme der Er
daß dieser durch
klärung eine Vermögenseinbuße nicht oder nur in geringerem Maße er
litten habe.
Eine solche Beweisführung dürfte, weil sie ein Eindringen
in die ganze Geschäftsgebahrung des Gegners erfordern würde, meisten Fällen unüberwindlichen Schwierigkeiten begegnen,
in den
gegen welche
die Schwierigkeiten für den Nachweis des negativen Interesses verschwin
dend klein wären.
Daher wird der Entwurf in diesem Punkte den Vor
zug vor dem Vorschläge Bähr's verdienen.
(Auf die Abweichungen
des § 1259 Nr. 2 von den §§ 98, 99
Abs. 1 bezüglich des Irrthums bei der Eheschließung braucht hier nicht eingegangen zu werden; dieselben sind
in den Motiven IV S. 78 in
zutreffender Weise begründet, wobei namentlich hervorgehoben ist, daß die
wesentlich
auf Rücksichten der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs
beruhenden Gründe für die das Willensdogma durchbrechende Vorschrift
des § 99 Abs. 1
für die
Eheschließung
nicht
zutreffen.
Nur darauf
mag hingewiesen werden, daß unter dem Irrthume im Falle des § 1259
Nr. 2 nur der Irrthum über das Individuum, nicht auch der Irrthum
über
Eigenschaften der Person
Frage,
zu verstehen ist,
und
die Lösung der
in welchen Fällen ein solcher Irrthum über die Identität der
Person, eine auf Irrthum beruhende Personenverwechselung vorliegt, wie
in § 98, so in § 1259 Nr. 2
der Wissenschaft überlassen bleibt,
weil
sich eben ganz feste Kriterien ohne eine gefährliche Casuistik im Gesetze nicht aufstellen lassen.)
Bezüglich
des § 100 wirft sich die Frage auf,
ob derselbe nöthig
sei angesichts der Vorschriften in § 78 Abs. 2 und in § 114 des EntVerhandlg. d. XX. I. T. Bd. III. 2
18 wurfes.
Allein § 78 faßt den Fall in's Auge,
daß
wegen Mangels
der Einigung über die wesentlichen Vertragstheile (Abs. 1), wie dann,
wenn die nach
der Erklärung
auch
der Vertragschließenden
nur eines
außerdem zu vereinbarenden Bestimmungen noch nicht vereinbart sind (Abs. 2), der Vertrag als
noch nicht geschlossen gilt, während § 100
voraussetzt, daß die Parteien den Vertrag als geschlossen angesehen haben, und es sich erst nachträglich herausstellt, daß es an völliger Willensüber
einstimmung fehlt.
Deshalb erklärt § 100 den Vertrag (unter dem an
gereihten Vorbehalte)
als
nichtig
vermeidet es,
und
geschlossenen Vertrage zu reden.
nicht
Was
von
einem noch
aber den § 114 betrifft,
nach welchem, wenn der Grund der Ungültigkeit nur einen Theil eines
Rechtsgeschäfts trifft, das ganze Rechtsgeschäft ungültig ist, sofern nicht
erhellt,
daß dasselbe
auch ohne die ungültige Bestimmung gewollt sein
würde, so theilen wir die Auffassung, daß § 114 den Fall des Dissenses im engeren Sinne,
in welchem zwar auf Seiten
seitigen Willenserklärungen in Folge decken,
ohne
die
daß
jeden der Ver
eines
tragschließenden Wille und Erklärung übereinstimmen,
aber die
beider
eines Mißverständnisses sich
Vertragschließenden
dessen
sich
bewußt
nicht sind,
nicht trifft, was die besondere Regelung dieses Falles durch § 100 recht
fertigt.
§ 101 erklärt die Vorschriften der §§ 98—100 für entsprechend anwendbar, wenn der Urheber der Willenserklärung zur Übermittelung derselben an den Empfänger sich einer Mittelsperson bedient hat, durch
welche der Wille unrichtig mitgetheilt ist.
Die Motive führen aus,
Uebertragung des § 99 auf diesen Fall ergebe,
selbst wenn
Mittelsperson,
hebers
die
daß die Erklärung der
eine Abweichung von dem Willen des Ur
in einem wesentlichen Punkte vorliege,
gültig sei,
sofern dem
Urheber in der Auswahl oder Instruction der Person grobe Fahrlässig keit zur Last falle,
und daß,
falls die den Urheber in dieser Hinsicht
treffende Fahrlässigkeit keine grobe sei, -die Erklärung zwar nichtig bleibe, der Urheber aber das negative Interesse zu ersetzen habe, — es müßte
denn der Empfänger der Willenserklärung den wirklichen Willen des Urhebers gekannt haben oder haben kennen müssen.
Diese Beschränkung
auf die culpa in eligendo und in instruendo dürfte aber den Bedürfnissen des Verkehrs
nicht genügend Rechnung
tragen.
In dem vielerörterten
Kölner Falle z. B. würde die Benutzung des Telegraphen richtige Wahl,
die
formulars als an sich
Uebergabe
eines
deutlich
als an sich
geschriebenen Depeschen
genügende Instruction erscheinen,
und es würde
dann das Kölner Haus unbedingt entlastet sein ohne irgend eine Rück-
19 auf die im Telegraphenbureau stattgehabte Umkehrung des Tele
sicht
gramminhaltes, ein Ergebniß, das wir mit derselben Entschiedenheit ab
lehnen, wie Bähr.
Soll
der Verkehr wirksam geschützt sein,
so muß
eine Mittelsperson Erklärende nicht nur seine Auswahl und
der durch
Instruction, sondern auch die Fahrlässigkeit der Mittelsperson selbst ver treten, und zwar nach den Abstufungen des § 99.
Eine Abstufung der
Fahrlässigkeit läßt sich gerade in dem Telegraphensall sehr leicht
Es ist doch
struiren.
con-
ob der Telegraphist
ein wesentlicher Unterschied,
am Aufgabeorte die Silbe „ver" vor „kaufen" einfach wegläßt, oder ob schadhaften Apparates
er sich eines richtig
bedient,
der
am Ankunftorte
abgelassene Depesche verstümmelt wiedergiebt,
Verstümmelung etwa ein unvorhergesehenes Ereigniß,
des Blitzes
in die Leitung, Schuld
trägt.
die
oder ob an der z. B. Einschlagen
Hiernach empfiehlt sich fol
gende Fassung des § 101:
„Hat der Urheber der Willenserklärung zur Uebermittelung derselben an den Empfänger sich einer Mittelsperson bedient, durch
welche der Wille unrichtig mitgetheilt ist, so finden die Vorschriften
der §§ 98—100 mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, daß der
Urheber
der
Willenserklärung
auch
die
Fahrlässigkeit
der
Mittelsperson zu vertreten hat."') Nach § 102 ist ein Irrthum in den Beweggründen, sofern nicht das
Gesetz ein Anderes bestimmt, auf die Gültigkeit eines Rechtsgeschäfts ohne
Einfluß.
Holder (a. a. O. S. 98) hält diese Bestimmung für über
flüssig; es werde hier einem allerdings eingewurzelten, aber trotzdem un begründeten Sprachgebrauchs gemäß, dem Irrthum über den Inhalt des
Vertrags derjenige „in den Beweggründen" entgegengesetzt, als ob nicht unter diesen die Vorstellung über den Inhalt des Vertrags eine wesent liche
Nolle
spielte.
(a. a. O. S. 499): überflüssig sei,
Gegen
diese
Auffassung
„Es sei gefragt worden,
wendet sich
Hellmann
ob dieser Paragraph nicht
weil überhaupt die Entgegensetzung des die Kongruenz
von Wille und Erklärung ausschließenden Irrthums und des Irrthums
in den Beweggründen nicht als gerechtfertigt erscheine.
Lasse sich
aber
eine feste Grenze zwischen beiden Jrrthumsarten finden, so dürfe die be
sondere Betonung
der Gleichgültigkeit des
Irrthums
in den
Beweg
gründen als zweckmäßig erachtet werden. Diese Grenze lasse sich finden, wenn man unter dem Irrthum in den Beweggründen einen Irrthum *) Zu diesem Ergebnisse gelangte auch die badische Commission für Begut achtung des Entwurfes, welcher der Gutachter angehört.
20 verstehe,
welcher nicht betreffe Art, Object oder Subject des Geschäfts,
welcher mit anderen Worten in einer falschen Vorstellung von That
sachen beruhe, liegen."
die außerhalb des Inhalts des concreten Rechtsgeschäfts
Dieselbe Grenze zieht u. A. Dernburg,
S. 215, indem er ausführt:
Pandekten I § 94
„Vorgedanken, welche den Abschluß veran
lassen, deren Verwirklichung aber für das Geschäft nicht essentiell ist,
nennt man Beweggründe oder Motive. gatives.
Das Kriterium ist also ein ne
Ueber das Motiv hinaus geht alles, was dem Geschäfte seinem
Begriffe nach
essentiell ist, und was durch den Willen der Betheiligten
zum Essentiale erhoben ist. keineswegs
immer erfordert.
mehr auch das zu erachten,
Hierfür ist eine ausdrückliche Hervorhebung
Als essentiell für die Betheiligten ist viel
was nach der Verkehrsanschauung im regel
essentiell
mäßigen Verlaufe der Dinge bei Geschäften solcher Art als gilt."
(Dernburg führt als Beispiel die Unterstellung der Zahlungs
fähigkeit bei einer Crediteröffnung an,
durch
die Vorschrift Berücksichtigung
welche in § 458 des Entwurfes
gefunden hat,
daß der Vertrag,
durch welchen die Hingabe eines Darlehns versprochen wird, im Zweifel als unter dem Vorbehalte geschlossen anzusehen ist, daß der Versprechende
befugt sei, von dem Vertrage zurückzutreten, wenn die Vermögensverhält nisse des anderen Theiles vor der Darleihung eine wesentliche, den Rück erstattungsanspruch
gefährdende
Verschlechterung
erfahren.)
Für
die
regelmäßige Einflußlosigkeit des Irrthums in den Beweggründen darf
hier auf Savigny, System III § 115 und Beilage VIII Nummer X, sowie Windscheid, Pandekten I § 78 Bezug genommen werden. In dem ursprünglichen Entwürfe fehlte eine dem jetzigen § 102 entsprechende Vorschrift. Wohl aber war ein § 105 folgenden Inhalts vorgeschlagen: „Irrt sich bei Verträgen der eine Vertragschließende zu
seinem Nachtheile über solche Eigenschaften des Leistungsgegenstandes, vermöge deren derselbe nach den im Verkehre herrschenden Begriffen zu
einer anderen Gattung oder Art gehören würde,
so ist der Vertrag zu
Gunsten des Irrenden anfechtbar. — Die Anfechtung erfolgt durch eine
dem anderen Vertragstheile gegenüber abzugebende Willenserklärung. Die Rückforderung dessen, was die Parteien in Folge des anfechtbaren Vertrags einander geleistet haben, richtet sich nach Buch III Abschnitt II
Titel 8 § 24 mit der Maßgabe, daß zu Gunsten des Anfechtungsgegners
auch
§ 17
desselben Titels
diese Vorschrift wurde
entsprechende Anwendung findet."
gestrichen.
Ausweislich
der Motive zu
S. 199 waren hierfür folgende Erwägungen maßgebend:
den Gattungseigenschaften sei Irrthum in den Motiven,
Allein §
98
„Irrthum in
schließe mithin
21 Das letztere gleichwohl zu be
an sich die Willenswirklichkeit nicht aus.
stimmen oder die Willensbeeinflussung als Anfechtungsgrund zu behan
deln,
fehle
es
an
genügenden Gründen.
Irrenden zu schützen,
zur
Seite stehenden
Soweit ein Bedürfniß,
den
wirklich vorliege, werde schon durch die demselben
sonstigen
Rechtsbehelfe vorgesorgt.
Insbesondere
kämen in dieser Beziehung in Betracht die Vorschriften über die Gewähr leistung für dicta et promissa,
für Fehler und Mängel,
bezw. für das
Fehlen der gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften, über die actio redhibitoria und über die Anfechtung wegen Betrugs, setzung u. s. w."
mangelnder Voraus
(Vgl. Savigny a. a. O. Beilage VIII Nummer XI,
Windscheid § 78 Anm. 3.)
Außerdem mochte für die Streichung die
Besorgniß maßgebend sein, daß eine solche Vorschrift bei der Unmöglichkeit,
die Kriterien ihrer Anwendbarkeit mit genügender Deutlichkeit zu
stimmen, zu vielen Streitigkeiten Anlaß geben müsse. man nach
be
Statt dessen hielt
dem Vorgänge der Mehrzahl der Gesetzeswerke zur Verdeut
lichung der regelmäßigen Unerheblichkeit des echten Irrthums oder des
Irrthums in den Motiven einen ausdrücklichen Ausspruch für angezeigt, daß der Irrthum in den Motiven, bestimme, unbeachtlich sei.
soweit das Gesetz nicht ein Anderes
Diese Vorschrift empfiehlt sich zur Klarlegung,
daß bezüglich der Beweggründe, als des unwesentlichen Bestandtheils des
Vertrags,
eine Ausnahme von dem in § 98 anerkannten Willensdogma
einzutreten hat; sie ist nicht nur nicht überflüssig,
vielmehr zur besseren
Begrenzung des Willensdogmas nicht zu entbehren.
Die Grenze in einer
festen, jeden Fall einschließenden Weise zu bestimmen, setz
nicht möglich,
dies
durfte und
Nechtsanwendung überlassen werden. licher Bestimmung
mußte
der
Die Fälle, in welchen nach gesetz
der Irrthum in den Beweggründen unter gewissen
Voraussetzungen Berücksichtigung findet,
aufgezählt.
war für das Ge
der Wissenschaft und
sind in den Motiven zu § 102
Denselben ist in beschränktem Maße auch der § 1259 (An
fechtung der Ehe) beizufügen, in welcher Beziehung es an der Verweisung auf die Motive IV S. 76 genügen dürfte.
Hiernach gelangt das geforderte Gutachten zu dem Ergebnisse: Die Beibehaltung
der Vorschriften,
welche der Entwurf des
bürgerlichen Gesetzbuches im Allgemeinen Theil (§§ 98—102) über den Irrthum bei Willenserklärungen aufstellt, empfiehlt sich, jedoch mit folgenden Modificationen:
22 1. § 98 Satz 1 sollte im Eingänge dahin lauten:
„Ist der Urheber einer Willenserklärung sich des Man
gels der Uebereinstimmung des wirklichen Willens mit dem als
gewollt Erklärten nicht
bewußt (Irrthum),
Willenserklärung nichtig
so ist die
"
2. § 99 Abs. 1 wäre dahin zu fassen: „Vorstehende Bestimmung (§ 98) findet keine Anwen
wenn dem Urheber der Willenserklärung grobe Fahr
dung,
lässigkeit zur Last fällt", oder dahin: „Eine Willenserklärung,
welche nach den Vorschriften
des § 98 an sich nichtig wäre,
ist gültig, wenn ihrem Ur
heber grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt." 3. § 101 wäre dahin zu fassen:
„Hat der Urheber der Willenserklärung zur Uebermittelung derselben an den Empfänger sich einer Mittelsperson bedient,
durch welche der Wille unrichtig mitgetheilt ist,
so
finden die Vorschriften der §§ 98—100 mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, daß der Urheber der Willens
erklärung auch die Fahrlässigkeit der Mittelsperson zu ver treten hat."
4. Daneben bleibt die redaktionelle Frage offen,
ob die vom
Entwürfe vorgesehene Nichtigkeit die Ausgestaltung als bloß
relative Nichtigkeit erfahren solle.
XXIII. Machten des Herrn Professor Dr. Leonhard in Markurg über die Frage: Empfiehlt sich Entwurf des
der Vorschriften,
die Beibehaltung
bürgerlichen
Gesetzbuchs
im
welche der
Allgemeinen
Theil
(§§ 98—102) über den Irrthum bei Willenserklärungen auf stellt?
Es wird beantragt, der hohe Juristentag wolle beschließen:
daß
die allgemeinen Grundsätze über die rechtliche Behandlung
des Irrthums
bei Rechtsgeschäften der wissenschaftlichen Fest
stellung nicht durch Gesetzesvorschristen entzogen werden sollen. Die gestellte Frage wird also verneint.
Vorwort. § 1-
Nach zwei Seiten muß des Verfassers Vorbemerkung eine Pflicht erfüllen.
Sowohl wissenschaftlichen
Mitkämpfern
als
auch
dem
Leser
muß er über dasjenige, was er plant, Rede stehen.
Dem
kleineren
Nebengeschäste
Kreise
hemmten
die
will
er sich
Entwickelung
zuerst zuwenden. dieses
vollen Umfange, welchen sein Gegenstand verdiente.
Gutachtens
Dringende zu
dem
Es gefährdet somit
allerdings eine gute Sache, indem es sie nicht mit gehöriger Vollständig
keit vertheidigt und zahlreichen (nicht durchweg ablehnenden) Erwiderungen auf des Verfassers Schrift über die gemeinrechtliche Jrrthumslehre ’) die *) Der Irrthum bei nichtigen Verträgen nach römischem Rechte. Ein Beitrag zur Vereinfachung der Vertragslehre. 2 Theile. Berlin 1882,1883. Da die folgenden Ausführungen des Verfassers vielfach auf dieser Vorarbeit fußen, so steht er sich genöthigt, sie öfters anzuziehen, um Wiederholungen zu vermeiden.
24 erforderliche Berücksichtigung wenigstens hier schuldig bleibt.
dieses
Verfahren
kleinere Uebel
das
es immerhin
auch gewährt
Fahnenflucht,
gegenüber
Doch war
Anscheine
dem
den Vortheil,
einer
dem Leser die
Rolle eines Unparteiischen in wissenschaftlichen Zweikämpfen zu ersparen,
welche
ihm
Schweigen
vielleicht
nicht
So bittet denn der Verfasser, sein
zusagt.
nicht als Rathlosigkeit und
über die Entgegnungen Anderer
Mit dem gesprochenen Worte
auch nicht als Rücksichtslosigkeit zu deuten.
und mit der Feder hofft er das hier Versäumte bei mehr als einer Ge
legenheit nachholen zu können.
Eine einleitende Auskunft über den Plan des Gutachtens darf der Leser erwarten.
Der Vorschlag,
eine Zerstörungsabsicht.
eine
fernere Bresche
In
bekundet lediglich
welcher gemacht ist,
ein
lückenreiches Werk will
der 'Verfasser
Ob dies nicht zu viel des Guten
schießen lassen.
ist, muß fraglich erscheinen.
Zu jeder Bresche gehört nicht bloß ein Vernichtungswerk, auch das Ausbleiben eines Ersatzes, der die Lücke füllt. hier in
zwei
geprüft
Abschnitten
werden,
was
an
sondern
So muß denn den
beurtheilten
Stücken des Entwurfes beseitigenswerth ist, und warum nach einem Fort
fall der Platz gänzlich leer bleiben soll. Zum Schluffe des Gutachtens will der Verfasser den unfreundlichen Eindruck,
welchen
seine
Beurtheilung
durch
verneinenden
ihren
Kern
machen muß, abschwächen, indem er ein Gesammturtheil über den Ent
wurf anhängt,
sein Ruf.
Die
welches dahin gehen soll,
besondere Prüfung
daß dieser weit besser ist als
der Jrrthumslehre
soll
zu
diesem
allgemeinen Schlußworte die Bausteine allmählich zusammentragen.
Erster Abschnitt.
Der Werth der allgemeinen ÄrrthumAlehre des Entwurfs. Capitel 1. I.
Der Plan der Abschätzung. Fragestellung.
§ 2.
Mit den allgemeinen Vorschriften über den Irrthum bei Willens
erklärungen will der Entwurf einen Streit schlichten. Welches ist der Inhalt dieses Streits?
Ueber einen Punkt sind alle Parteien einig.
beginnen.
Mit ihm wollen wir
25 Nicht alle Irrthümer, welche einen Geschäftsschluß nach sich ziehen,
haben gleiche Bedeutung, nicht alle sind Nichtigkeitsgründe. Darum gab man denjenigen Irrthümern, welche es sind, einen be
sonderen Na.nen.
ist vieldeutig.
Man nannte sie „wesentliche";
allein der Ausdruck
Wenn etwas wesentlich sein soll, so drängt sich die Frage
auf: „Für wen und zu welchem Zwecke?"
Besser ist es daher, dies Wort zu vermeiden und die Irrthümer, welche Nichtigkeitsgründe sind,
„geschäftshindernde"
oder
„gültigkeits
hindernde" zu nennen.
Nun fragt sich: woran erkennt man,
ob ein bestimmter Irrthum
geschäftshindernd ist? An seinem Inhalte oder an seiner Bedeutung für die irrende Partei?
Die beiden älteren Hauptansichten lehrten, daß es auf den Inhalt des
Irrthums ankommt, d. h. daß Irrthümer über bestimmte Dinge
Nichtigkeitsgründe sind und über andere nicht. Die eine ältere Ansicht ist zwar völlig verworfen, spukt aber immer
noch in den Köpfen Einzelner?) Sie
beruht auf einer Verwechselung der „wesentlichen" Irrthümer
mit den „wesentlichen" Geschäftsbestandtheilen, zweier verschiedener Dinge. Wenn der Irrthum ein essentiale negotii betrifft, dann soll er, so lehrte man, Nichtigkeitsgrund sein, andernfalls nicht.
Hier sind offenbar zwei Fragen verwechselt:
1. Was verlangt die
Rechtsordnung, 2. was verlangt die Partei, damit ein Vertrag gelten soll? So nennt man z. B. die Einfügung eines Bedingungssatzes acci-
dentale negotii, weil die Rechtsordnung sie nicht verlangt, obwohl sie der sie vornimmt, hochwichtig, und ein Irrthum über
für denjenigen,
diesen Punkt nicht gleichgültig ist?) Eine zweite ältere Ansicht bestimmt denjenigen Inhalt des Irr
thums, nach dem es sich entscheiden soll, ob er ein Nichtigkeitsgrund ist
oder nicht, weit handgreiflicher.
Der Irrthum soll Nichtigkeitsgrund sein,
sobald über 1. die Person, 2. die Sache, 3. die Geschästsart, 4. gewisse (zweifelhafte) Eigenschaften geirrt wird.
Die Entstehung dieses formalistischen Schemas erklärt sich aus der Methode der Postglossatoren?) Es faßt die ganze Frage oberflächlich 2) Leonhard, der Irrthum bei n. V. Bd. II S. 552 ff.
3) Vgl. jedoch Hellmann, Gutachten aus dem Anwaltstande über die Lesung des Entwurfs S. 500. 4) Leonhard, der Irrthum S. 550 ff.
erste
26 und
äußerlich
auf.5)6 Man versuche, sich einen Gesetzgeber vorzustellen,
der alles Ernstes darauf ein Gewicht legt, ob dasjenige, worüber geirrt
wird, zufälliger Weife eine Person, Sache oder Gefchäftsart ist, und denke sich irgend
könnte!
einen vernünftigen Zweck, welchen er dabei gehabt haben
Dieser Denkversuch wird sicherlich mißlingen.
Zitelmann hat
daher mit Recht hervorgehoben, daß unter Umständen der Irrthum über Ort und Zeit mindestens ebenso wichtig sein kann, wie derjenige über die Person und die Sache.5)
Die ganze altehrwürdige Scala ist darum unbrauchbar, weil sie an erkannter Weise in der Praxis nur zum Scheine gilt und
die Lehrbücher gekommen sein
(so z. B.
ist
bei der überwältigenden Mehrheit der
Kaufgeschäfte), da fällt es keinem Praktiker ein,
den Irrthum über die
als wesentlich zu betrachten.7)8 Wo ferner eine bestimmte fun
gible Sache gekauft ist,
hält,
gehandhabt wird,
Daß sie nicht ernstlich
Wo es dem Irrenden gleichgültig ist, mit welcher Person er
den Vertrag schließt
Person
niemals in
wenn die Gelehrten aus den
corpus Juris civilis eine andere und bessere Jrrthumslehre
Stellen des
hätten folgern können. zweifellos.
würde,
der Verkäufer aber stillschweigend das Recht er
statt ihrer eine gleichartige zu liefern,
wird Niemand eine Ver
wechselung der verkauften Sache mit ihres Gleichen für erheblich ansehen. Der Irrthum über die Geschäftsart wird freilich
—
von ganz merk
würdigen Fällen abgesehen — schwerlich gleichgültig sein.
nicht undenkbar.
Lager hat,
Doch ist dies
Wer z. B. für Geld oder für Waaren, welche er auf
dem Nachbarn ein Haus abkaufen will und also wahlweise
einen Kauf oder Tausch anbietet, wird nicht unter allen Umständen einen
Irrthum als Nichtigkeitsgrund hervorkehren dürfen,
wenn er etwa nach
her auf Wunsch des Nachbars eine Tauschurkunde unterschreibt, während er glaubt, daß das Schriftstück den angebotenen Kauf enthält; mindestens ist dieser Punkt nicht zweifellos.5)
Die Ansicht von den vier oder drei Classen wesentlichen Irrthums ist also
unbrauchbar,
keinen Nutzen,
aber sie ist wenigstens
harmlos.
vermag aber auch nicht Schaden zu stiften.
Sie gewährt Da Manche
5) Sie liegt auch dem preußischen Landrechte zu Grunde § 75—82 I, 4. 6) Zitelmann, Irrthum und Rechtsgeschäft S. 491 und 496. Zustimmend Eck im Rechtslexicon der Holtzendorff'schen Encyclopädie 3. Auflage Bd. II S. 400 und Windscheid, Pand. 6. Ausl. I § 76 91. 9. 7) Vgl. Seuffert's Archiv III No. 165, 169, IV 225. 8) Vgl. hierzu Leonhard, Bd. II S. 473 ff. und Graf Piniöski, der That bestand des Sachbesitzerwerbs, Leipzig 1888. Bd. II S. 472 ff.
27 an ihre Nützlichkeit glauben, so würde dies allenfalls den Umstand recht
fertigen,
daß ein kleiner Ueberrest von ihr in § 94 des» Entwurfs aus
genommen ist:
„Im Zweifel" (der Richter kann also im einzelnen Falle an ders urtheilen) „ist anzunehmen, die Willenserklärung würde nicht
wenn ein Rechtsgeschäft anderer Art, die Be
abgegeben sein,
des Rechtsgeschäftes auf einen anderen Gegenstand oder
ziehung
die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts unter andern Personen beab
sichtigt wurde."
Dieser Satz kann also nur die Folge haben, daß die Lehrvorträge Allein
rrnd die Gedächtnisse mit etwas Ueberflüssigem belastet werden.
immerhin noch zu den vielen andern getragen werden können als Zeichen der Hochachtung vor dem ehrwürdigen Alter
diese kleine Last würde
dieser absterbenden Theorie und
als erwünschte Veranlassung für den
Rechtslehrer zu einem belehrenden Rückblick auf die juristische Methode früherer Zeiten. Daß dieses
altehrwürdige Register (error in persona, re, negotio,
substantia) einer allgemeinen Ergänzung bedarf, dürfte wohl so ziemlich
unbestritten haben,
fein.9)
Man
neben dem die
will
daneben
einen
alte Scala nur als
allgemeinen
Maßstab
eine Art Stütze bestehen
bleiben soll.10) Einen
solchen
geschlagen. ”)
allgemeinen Maßstab hat die Naturrechtsschule vor
Ihr verdankt die Jrrthumslehre einen Umschwung,
der
in dem Satze gipfelt:
Nicht der Inhalt einer Vorstellung entscheidet darüber,
ob
ihre Irrigkeit Nichtigkeitsgrund ist, sondern ihre Bedeutung für die irrende Partei. Der Gedanke enthielt einen Fortschritt, aber auch eine Uebertrei bung. Man vergaß, daß zu dem Vertrage zwei Parteien gehören, daß
die eine also ihre Wünsche nur unter Berücksichtigung der andern vor drängen darf.
Den Fesseln der alten Lehre entsprach als Gegenschlag
die Zügellosigkeit der neuen.
Aus ihr ist die Ansicht herausgewachsen, welche ihre neueren Ver treter „Willensdogma" nennen. Unter diesem feierlichen Namen hat sie
9) Vgl. jedoch jetzt auch Hellmann a. a. O. S. 500. 10) Vgl. Dernburg, Pandekten I § 102. 2. Aufl. S. 233 A. 4. n) Leonhard a. a. O. S. 555 und hierzu weitere Beweisstücke bei Hartmann, Archiv f. civ. Pr. Bd. 72 S. 218 ff.
28 in die Motive (Bd. I S. 189) ihren Einzug
gehalten.
Dabei ist die
nicht unbeträchtliche Zahl derjenigen Schriftsteller, welche diese Lehre be
streiten,
gänzlich unbeachtet geblieben.
als eine bloße Meinung,
den darf,
Ein „Dogma" ist freilich mehr,
es ist ein Lehrsatz, der nicht angezweifelt wer
und da jeder Gelehrte seinen Ansichten eine solche Unanfecht
barkeit von Herzen wünscht,
so
ist es
begreiflich,
daß sich neuerdings
die Dogmen auf dem Rechtsgebiete zu mehren beginnen; im Hypotheken
rechte findet sich sogar ein „Mecklenburger Dogma".12)
„Keine ungewollte Geschäfts
Das Willensdogma lautet in Kürze: folge."
Wo bleiben.
es Dogmen giebt, So
da pflegen
auch die Ketzer nicht
auch bei dem Willensdogma.
dete Lehre wird
auszu
Diese ex cathedra verkün
alles Ernstes seit einer Reihe von Jahren von vielen
Seiten angefochten.
Unbekümmert um die Bannstrahlen, welche aus dem
Schooße der herrschenden Meinung wider sie ergehen, unbekümmert um die überlegene Stellung,
welche der herrschenden Lehre durch ihren Be
sitzstand gewährt wird, erheben die Zweifler immer wieder ihre Stimme,
und ihre Hoffnung, schließlich doch einmal durchzudringen,
ist durch ihre
Nichtbeachtung in den Motiven des Entwurfs nicht geknickt worden.13) Alle diese Gegner haben einen gemeinsamen Grundgedanken:
Vertragserklärungen sollen zuverlässig sein, und als Folge hiervon:
Niemand
soll durch die unerwartete Hervorkehrung eines Willens
mangels seines Vertragsgenossen enttäuscht werden können!
Leider zersplittern sich die vom Willensdogma Abtrünnigen wieder
in Secten, von deren allzu eingehender Schilderung abgesehen werden muß. Bähr, Kritische V.-J.-Schr., Bd. 30 (1889) S. 522. 13) Vgl. die bei Leonhard, der Irrthum u. s. w. S. 9 Anm. 6 angeführten, und neuerdings denselben, Archiv f. civ. Praxis Bd. 72 S. 42 ff., Hartmann, Archiv f. civ. Praxis Bd. 72 S. 161 ff., Bd. 73 S. 329 ff., Bähr, Krit. V.-J.Schr. Bd. 30 S. 334 ff. In gewissem Sinne gehört hierher auch das beachtenswerthe Werk: „Der Thatbestand des Sachbesitzerwerbs nach gemeinem Recht" von Dr. Leo Grafen Pinwski, 2 Bde. Leipzig, Duncker -& Humblot 1885, 1888, be sonders Bd. II S. 251—260, welcher jedoch nur in der allgemeinen Rechtsgeschäfts lehre, nicht aber in der Jrrthumslehre dem Grundgedanken des herrschenden Willens dogmas unbedingt entgegentritt. Zur Würdigung der überaus gediegenen Schrift sei auf das Urtheil v. Jherings hingewiesen, welcher in seinem neuesten Werke (Der Besitzwille, Jena 1889, Vorrede S. XV) Anlaß nimmt, es mit besonderer Anerkennung zu erwähnen. Auch Bechmann, Der Kauf nach gemeinem Recht. Zweiter Theil. Erlangen, Deichert 1884 S. 10 ff. ist zu den Gegnern des Willens dogmas zu rechnen. Vgl. auch Werthauer, Ueber den Einfluß des Irrthums auf Verträge, Breslau, Morgenstern, 1887.
29 Nur eine ältere radicale Ansicht sei erwähnt,
damit sie nicht etwa
mit der im Folgenden vom Verfasser vertheidigten Meinung verwechselt werde. Ihr Vertreter hat sie,
insoweit sie zu weit ging,
aufgegeben. u) Diese jetzt nicht mehr vertretene,
neuerdings selbst
aber mit der richtigen Ansicht oft
verwechselte Meinung stellte das Willensdogma geradezu auf den Kopf. Wenn dieses lehrt: „Keine ungewollte Geschäftsfolge", so lehrte sie: „Es
giebt Geschäftsfolgen ohne Erklärungshandlung"lich
Sie stellte sich näm
auf den Standpunkt einer maßlosen Fürsorge für den Erklärungs
empfänger,
während
absender rückhaltlos
die Vertreter des Willensdogmas den Erklärungs
in ihr Herz
einschließen.
Wenn
also
z. B.
ein
Telegramm, das eine Geschäftserklärung in sich schließt, entstellt worden ist („Kaufen Sie" statt „Verkaufen ©ie")14 15),16 und 17 der gutgläubige Em
pfänger dadurch in Unkosten geräth, die dem Absender unerwünscht sind, so
wendet sich
das Willensdogma,
wo
es unbeschränkt auftritt,
als
Schutzengel dem Absender zu und bewahrt ihn wenigstens grundsätzlich
vor jedem Schaden,^)
Bähr aber läßt die gleiche liebevolle Fürsorge
dem Empfänger des Telegramms angedeihen.
Keine der beiden Parteien
duldet, daß man ihrem Schützlinge ein Haar krümmt, während sie dessen Vertragsgenossen
auf dem Altare der Rechtsordnung erbarmungslos zu
opfern bereit ist. Daß von diesen beiden schroffen Standpunkten (hie Wille,
hie Er
klärung) der erstere gänzlich undurchführbar ist, haben seine eigenen Ver treter längst eingesehen. n)
So hat sie denn aus ihrem Schooße heraus neben sich und der Er
klärungstheorie
eine dritte Theorie
erzeugt,
die sich nur zum Scheine
14) Bähr, Dogm. Jahrb. Bd. 14 S. 393 ff., vgl. jetzt kritische Vierteljahrs schrift Bd. 30 S. 338. Nach diesen neuesten Vorschlägen Bähr's soll die Erklärung den Urheber nur dann binden, „wenn er sie in einer ihm zuzurechnenden Weise ab gegeben hat". Sonach hat Bähr seine früheren Ausführungen in richtiger Weise eingeschränkt (vgl. Leonhard a. a. O. Bd. 1 S. 129 ff.). 15) Bähr, Krit. V.-J.-Schr. Bd. 30 S. 335, vgl. Seuffert's Archiv Bd. 30 Nr. 116. 16) So auch der Entwurf § 101. 17) Unhaltbar ist freilich die Bemerkung Unger's, daß auch die Willenstheorie auf den Erklärungsempfänger Rücksicht nehmen will (Grünhut's Zeitschrift für das Privat- und öffentl. Recht der Gegenw. Bd. 15 1888 S. 678). Nicht die Willens theorie thut dies, sondern ihre Vertreter bequemen sich dazu im Widerspruche mit dieser Theorie, um ihrer Meinung die praktische Anwendbarkeit zu erhalten.
30 selbst zur Willenstheorie rechnet,
aber von ihr abweicht.
in Wahrheit
Man könnte sie die Vermittelungstheorie nennen, weil sie die prak tische Hauptconsequenz der feindlichen Erklärungstheorie zugesteht, näm lich die Pflicht,
für das gegebene Wort einzustehen.18)
Gesetzgebung dahin,
Sie treibt die
einen ähnlichen Zwiespalt einzuführen, wie er in
Rom zwischen jus civile und jus praetorium bestand.
mand seinen Rechtsanwalt befragt:
Wenn z. B. Je „Ist mein Versprechen nichtig, das
ich aus einem Irrthum über die Sache abgegeben habe,
dessen Bedeut
samkeit meinem Vertragsgenossen nicht erkennbar war?"
so müßte der
es ist nichtig,
Befragte nach dieser Lehre antworten:
„Ja,
haften dennoch auf volle Entschädigung.
Ihre Nichtigkeitseinrede beruht
auf einem nudum jus Quiritium,
aber Sie
sie ist ein Messer ohne Klinge,
dem
der Stiel fehlt." Dieser Rechtsdualismus zwischen Theorie und Praxis beruht offen bar darauf, daß seine Schöpfer fühlen, eine unhaltbare Lehre zu ver treten, und dies wenigstens „im Princip" nicht zugeben wollen. Sie wünschen Unvereinbares, denn sie gehen einerseits mit klingendem Spiele in das Lager der Gegner hinüber und wollen andrerseits doch den Ruhm
behalten, der alten Fahne treu geblieben zu sein.
Sie verleugnen das
Willensdogma in seiner wichtigsten Bethätigung und bekennen sich doch
als seine Vertreter.19)20 Diese Vermittelungstheorie Richtung und in eine vorsichtige.
zerfällt wieder in eine opferfreudige Jene gewährt dem „vorwurfsfrei Ge
täuschten" volle Entschädigung.^) So streckt sie denn den wissenschaft lichen Gegnern, welche für die Erklärungs- oder Vertrauenstheorie streiten, die Hand zur Versöhnung weit entgegen und bietet eine runde Summe, ohne von ihr etwas abzuhandeln. Die vorsichtigere Richtung dagegen
reicht den Feinden kaum den kleinen Finger hin, in der erkennbaren und durchaus
richtigen Befürchtung, daß sie die ganze Hand haben wollen.
Auch sie will Zugeständnisse machen, aber sie so verclausuliren, daß man ihnen anmerkt,
wie ungern sie gewährt werden.
ihr Entgegenkommen durch
allerhand
Darum schwächen sie
Beschränkungen ab.
Diese vor
sichtige Vermittelungstheorie ist vom Entwürfe ausgenommen worden, was ihm neuerdings den Vorwurf zugezogen hat, daß seine Verfasser in
18) a. a. O. 19) 20)
Vgl. namentlich Eisele, Jahrb. für Dogm. Bd. 25 S. 415 ff., Unger Bd. 15 S. 673 ff. Vgl. auch Leonhard, der IrrthumM. I S. 121 Anm. 1. S. Unger a. a. O. S. 682.
31 der Jrrthumslehre den weisen Salomon zum Vorbilde genommen habens') ein Tadel, der vielleicht Manchem
erscheinen wird.
als ein Lob
Da
Vorsicht die Mutter der Weisheit ist, so paßt der weise Herrscher in der That recht gut dazu, um diese Stelle des Entwurfs zu kennzeichnen.
In der älteren Gestalt war freilich Bähr's eigene Theorie über den Verdacht schwächlicher Zugeständnisse nur damals
legte
alles
Gewicht
allein
auf
die
erhaben.
allzu sehr Erklärung,
welche
Er dem
Adressaten wirklich zukommt; man hätte seine Lehre die „Ankunftstheorie" nennen können, da ihr der ankommende Geschäftsinhalt allein entscheidend war,
mochte
er abgesandt
sein
oder nicht.
Sie ging daher so weit,
Grundsätze des Wechselrechts zu verallgemeinern und auch im lichen Geschäftsverkehre Schriftstücke für verbindlich
zu
von ihrem Verfasser noch nicht abgeschickt worden und
gewöhn
halten,
welche
trotzdem durch
einen Zufall oder ein Verbrechen in das Wahrnehmungsgebiet des
un
schuldigen Erklärungsanwärters hineingerathen waren.21 22)23 Wie schon er
wähnt wurde, hat Bähr diesen Gedanken jetzt fallen gelassen.22)
Damit nähert er sich der Mittelstraße, welche der Verfasser für die goldene
an ältere Autoritäten in seiner Jrr
hält und in Anlehnung
thumslehre vertreten
Diese steht mit einem Fuße noch
hat.
Boden des „Dogmas",
indem sie
handlung keine Geschäftsfolge".
lehrt:
Briefe,
die ich
können mich hiernach ebenso wenig verpflichten,
falsche Adresse
abgegeben worden sind.
auf dem
„Ohne bewußte Erklärungs
nicht
abgesandt habe,
wie solche,
die an eine
In andrer Hinsicht lehnt aber
auch diese Ansicht sich wider das „Dogma" auf, insofern auch sie mit Bähr
lehrt:
„Unbedingte Gültigkeit des dem Erklärungsempfänger erkennbar
gewordenen Willensinhalts".
Hiernach
giebt es Geschäftsfolgen nicht ohne gewollte Erklärungs
handlung, wohl aber ohne gewollten Erklärungsinhalt.
Anders der Entwurf § 98:
„Beruht der Mangel der Uebereinstimmung des wirklichen Willens mit dem erklärten Willen auf einem Irrthume des Urhebers, so ist die
Willenserklärung nichtig,
wenn anzunehmen ist,
daß der Urheber
bei Kenntniß der Sachlage die Willenserklärung nicht abge geben haben mürbe".24) 21) Krit. V.-J.-Schr. Bd. 30 S. 335. 22) Vgl. Bähr, dogm. Jahrb. Bd. 14 S. 413 ff. 23) Vgl. hierzu jetzt auch Graf Piniüski Bd. II S. 61. 24) In dieser scharfen Betonung der persönlichen Wünsche des Irrenden, welche dieser vor dem Vertragsabschlüsse hatte, nähert sich der Entwurf ganz besonders dem
32 des Verfassers Meinung
Nach
müßte die
zweite
gesperrte Hälfte
dieses Satzes etwa lauten: „wenn schlüsse
entweder der Irrende in
des Geschäfts bestimmt hat,
erkennbarer Weise
bei dem Ab
daß es für den Fall eines solchen
Irrthums nicht verbindlich sein solle, oder eine derartige Bestimmung nach
allgemeinen Grundsätzen neben dem ausdrücklich Erklärten als verkehrs üblich in Betracht kommt".
Dieser Satz wurde vom Verfasser früher kürzer also ausgedrückt: „Eine Willenserklärung ist wegen eines Irrthums nichtig, wenn die Abwesenheit eines solchen Irrthums ausdrücklich oder stillschweigend zur
Gültigkeitsbedingung gemacht ist".25 * *)26 *
Denselben Gedanken kann man übrigens auch in engerer Anlehnung an die Redeweise der Quellen also fassen:
„Eine Willenserklärung ist wegen Irrthums nichtig, wenn nach der Bestimmung des Irrenden oder der Verkehrssitte für den Fall
eines
solchen
gelten
soll"
Irrthums
(in
der
der Sprache
Geschäftsinhalt der
nicht
als
römischen Juristen
geordnet „nicht ge
wollt ist"). Wann dies der Fall ist, das festzustellen ist Sache der richterlichen
Auslegung, welche hier wie sonst nicht bloß das Ausdrückliche, sondern auch
das
„Selbstverständliche"
als
Geschäftsinhalt behandeln
muß.25)
Standpunkte Zitelmanns (Irrthum und Rechtsgeschäft,' Leipzig 1879 S. 373 ff.) und Rycks (Festgaben für Beseler, Berlin 1885 S. 138 ff., besonders S. 135 und 142 — vgl. zu S. 142 Graf Pininski, Bd. II S. 477 Anm. 1.) 25) Gr. Pininski ficht diese Fassung an, (a. a. O. II S. 524 ff.) weil sie der Redeweise der Quellen nicht entspricht. Allein die Wissenschaft hat das Recht, Gedanken, die in den Quellen stehen, in eigenartige Formen einzukleiden. Man streiche aus unsern Lehrbüchern alles weg, was mehr ist als eine Uebersetzung lateinischer Worte, wie viel wird übrig bleiben? Wenn ferner Graf Pin ins ki S. 528 fragt: „Was wird denn bei dem wesentlichen Irrthum bedingt?", so ant wortet der Vers.: „die Anordnung der Geschäftsgiltigkeit", die „lex contractus“ (vergl. über diese Pernice, Labeo Bd. I S. 472 ff.) 26) Vgl. über dieses „Selbstverständliche", ein Ausdruck, der viel treffender ist, als das „stillschweigend Erklärte", Leonhard, in den Verhandlungen des 17. deutschen Juristentags S. 344 ff. Es steht fest, daß der Richter dem ausdrücklich Festgesetzten noch Bestimmungen als gültig hinzufügt, an welche die Contrahenten nicht einmal gedacht haben, sondern welche dem Verkehrsüblichen entnommen werden. (Bechmann, Kauf Bd. 2 S. 10 ff.) Die Römer nennen auch solche nicht gewollte Bestimmungen „tacite“ verabredet, jedenfalls weil ein vernünftiger Mensch bei seinen Vertragsschlüssen sich ohne Weiteres dem Verkehrsüblichen unterwerfen würde,
33 Dieses Letztere,
welches der Richter nicht bloß aus sogenannten leges
subsidiariae, sondern auch aus der Verkehrssitte (Entw. § 359) folgern
muß, spielt in der Jrrthumslehre eine Hauptrolle.
Daß Jemand aus
drücklich erklärt: „Nur wenn ich mich über diesen besonderen Punkt nicht soll meine Erklärung nicht gelten",
irre,
Wenn es
kommt selten vor.
wirklich geschieht, so zweifelt Niemand daran, daß bei dem Ausfälle der
gesetzten Bedingung auch das Bedingte ungültig ist. Wichtig wird also in der Regel der Irrthum da, wo etwas Aehn-
liches bloß „stillschschweigend" erklärt, d. h. als selbstverständlich hinge
stellt wird, ohne daß der Redende sich die Mühe nimmt, davon zu reden oder auch nur daran zu denken.
Woher nimmt der Richter überhaupt solche süllschweigende Vertrags normen? Aus dem wirklichen Denken und Wollen der Partei sicherlich
nicht.
Wenn ich mir ein Glas Bier im Wirthshause bestelle,
ich
gerade andere Dinge im Kopfe habe.
jedenfalls.
Bezahlen muß ich es
die Rechtsordnung bestimme sie. bezweifelt.
aber
Woher stammt nun diese Pflicht? Ich habe ihre Begründung
nicht ausgesprochen und nicht gedacht, und doch besteht sie.
Hauptfrage.
so denke
vielleicht auch nicht, weil
ich vielleicht daran, daß ich es bezahlen will,
Wer uns nichts sagt, Es
handelt sich
als dies,
nicht darum,
umgeht die
eigentliche
ob die Rechtsordnung die
stillschweigenden Geschäftsbestimmungen gellen läßt. mand bestritten.
Man sagt,
Natürlich; das hat aber noch Niemand
Es handelt sich vielmehr darum,
Das hat noch Nie wohin die Partei
oder der Richter blicken müssen, um das „süllschweigend Bestimmte" oder die „naturalia negotii“ im Auftrage der Rechtsordnung zu finden. Im Gesetzbuche findet er keine Antwort auf solche Fragen. Was im corpus
wenn er es für nöthig hielte, darüber zu reden. In diesem „würde" liegt freilich eine Fiction, und eine solche darf man heutzutage nicht in den Mund nehmen, ohne einer vorwurfsvollen Erwähnung dieser Thatsache sicher zu sein (vgl. z. B. Bechmann a. a. O. S. 20 Anm. 1). Allen solchen Vorwürfen liegt jedoch eine Ver wechslung zu Grunde. (So Leonhard: Inwieweit giebt es nach den Vorschriften der deutschen C.P.O. Fictionen? Berlin 1880 S. 1 ff.; vgl. auch Wach, Handbuch des d. Civilproceßrechts I § 23 (5. 303.) Die Wissenschaft darf freilich nichts fingiren, aber der Gesetzgeber thut es bisweilen. Wo er es thut, gleichviel ob mit Recht oder Unrecht, da muß die Wissenschaft diese Thatsachen feststellen. Sie würde eine un erlaubte Fiction begehen, wenn sie die Fiction des Gesetzgebers einfach verschwiege. — Wer den Schriftsteller wegen der Fictionen tadelt, welche dieser als vom Gesetz geber herrührend schildert, der gleicht einer jener reizbaren Naturen, welche den schuldlosen Ueberbringer einer unerwünschten Nachricht durch ihre Ungnade zu bestrafeu pflegen. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. III.
3
34 juris civilis steht, erschöpft nicht die Fülle des wirklichen Verkehrslebens,
und die neueren Gesetzbücher, z. B. der Entwurf, sind noch viel schweig samer.
beachten.
aber doch
zu finden sein;
Die
Lösung
des
stillschweigenden Zusätze
diese
Räthsels
liegt
in
der Niederschlag
zu
sie weder wissen noch
sonst könnte man
„Lebens
dem Worte
Wer in's volle Menschenleben hineinblickt,
erfahrung". man
müssen
Irgendwo
dem Erklärten
in dem erzeugt
einer reichen Beobachtung ein Abbild desjenigen, was
„Verkehrssitte"
nennt,
und
aus
„Natur des Vertrages" (§ 359) bestimmt.
welchem
die
sich
sogenannte
Diese ist daher ein der Will
kür entzogenes Kriterium, d. h. eine außerhalb des Beobachters und des
Vertragschließenden liegende geschichtliche Größe, welche, wie jede andere, nur durch Quellenstudium, d. h. hier durch unausgesetzte Wahrnehmung des menschlichen Zusammenlebens gewonnen werden sann.27)
siedler oder ein Stubengelehrter,
Ein Ein
der seine Weisheit
nur aus Büchern
schöpft, ist zum praktischen Richter ebenso untauglich
wie zum Ausleger
der Pandekten,
entstanden sind.
lauter Aufzeichnungen
Wer jedoch
Er weiß,
ganz genau.
Lage,
welche aus
wie diejenige
stimmten Augenblicke
im
Leben
steht,
wirklicher Erlebnisse
kennt die Verkehrssitte
was redliche Durchschnittsmenschen in ähnlicher
eines
in
bestimmten Vertragschließenden
der Erklärung ist,
für ihre Pflicht
dem be
halten.
Aus
vielen Erinnerungen an einzelne Menschen, die er gesehen hat, macht er sich
die Vorstellung
eines Durchschnittsmenschen
zurecht;
hätte er jene
nicht beobachtet, so würde er diesen sich nicht vorstellen können. hier
wie bei
allen schwierigen Wahrnehmungen
Wenn
derselbe Gegenstand in
verschiedenen Köpfen verschiedene Spiegelbilder erzeugt, so beweist dieses nur, daß er schwer faßlich, nicht daß er gar nicht vorhanden ist.
Eben
darum hat man collegiale Gerichte begründet, weil sechs Augen in ihrem Vorleben mehr gesehen haben, als zwei.
Aus dem
erfahrungsmäßigen Verhalten
der Menschen
und
einem
durch Nachdenken hergestellten Durchschnitte seines Inhalts wird also die
Kenntniß desjenigen gewonnen, was man „Verkehrssitte" nennt, und was der Richter nicht minder durch Studium sich anzueignen verpflichtet ist
als seine Gesetzbücher.
Diese Verkehrssitte bestimmt den vollen Inhalt des „stillschweigend"
Gültigen.
Sie bestimmt auch, wann ein Irrthum Nichtigkeitsgrund sein
27) Dernburg Bd. I § 102 A. 4 verlangt ein „objectives Kriterium" und findet es in der alten Scala: error in re, persona rc. In der That ist dies Register offenbar nichts, als ein aus Pandektenstellen zusammengestoppeltes und stümperhaftes Portrait der Verkehrssitte.
35 soll und darf.
Da sie
keitsgrund zuläßt. klärten zugelegt.
so weiß der Vertragsgenosse des
erkennbar ist,
Irrenden, was ihm bevorsteht, Was
sobald ihr Gebot einen solchen Nichtig
das wird dem
sie bestimmt,
Man nennt das „Auslegung",
eine „Zulegung" ist.
Allein der Name
ausdrücklich Er
obwohl es eigentlich
thut nichts zur Sache.
Man
betrachtet den erklärten Willen und den durch Zulegung mit ihm ver bundenen Geschäftsinhalt in der Regel
Ganze „Vertragswillen".
als ein Ganzes und nennt dies
Es ist dies eine Benennung a potiori;
denn
in der Regel ist dasjenige, was in dem Vertragswillen steht, auch wirk lich innerlich von der Partei gewollt. Falle ausnahmsweise nicht gewollt,
Ist es nun in einem besonderen wie bei allen Be
so schließt dies,
nennungen a potiori, die Zulässigkeit des Namens auch in diesem Falle nicht aus. Der Vertragswille ist eben ein für alle Mal der aus der Erklärung erkennbare und aus der Verkehrssitte ergänzte Wille.
Daß dem Verfasser hiernach der § 98 ebenso wenig gefällt, wie die §§ 97 und 99, braucht er nicht weiter auszuführen.^)
Mit Recht wird man es für höchst unwahrscheinlich, ja nahezu un
möglich
halten,
daß
wühlten Vertragslehre
ein Grundgedanke
der seit Jahrhunderten durch
zugleich neu und richtig
sein kann.
Eben weil
dies allerdings der Fall ist, sowie um sich nicht mit fremden Federn zu
schmücken, versichert der Verfasser aus aufrichtiger Ueberzeugung, daß er nicht eine neue Lehre vortragen, sondern nur eine alte, durch das „Willensdogma" verkannte wieder zu Ehren bringen will- Mit Unrecht, das ist seine unerschütterliche Meinung, berufen sich die Vertreter dieses
Dogmas auf den Namen Savigny's. Lassen wir diesen selbst reden (System Bd. III S. 258 ff.): „Demnach darf ein Widerspruch zwischen dem Willen und der
Erklärung nur angenommen werden,
insofern er für den, welcher
mit dem Handelnden in unmittelbare Berührung kommt, erkennbar ist oder wird." Vertragswille im Sinne Savigny's ist also einzig und allein der
dem Vertragenossen bei dem Geschäftsabschlüsse erkennbar werdende Wille.
Daß Savigny
hiernach das Willensdogma
hat, ist und bleibt des Verfassers Ueberzeugung.^)
noch nicht verfochten Auch daß es in der
28) Der § 97 behandelt auch den „Scherz" vom Standpunkte des Willens dogmas, vgl. Lesk^e, der Entwurf eines b. G. f. d. D. R. und das Pr. Allgemeine Landrecht. Leipzig 1889, S. 14. 29) Vgl. Leonhard, Archiv f. civ. Praxis Bd. 72 S. 45 Anm. 7, gegen Windscheld, Pandekten, 6. Aufl. Bd. I. § 75 Anm. 1.
36 Praxis bereits
allgemein
herrscht,^) kann er auf Grund von Mitthei
lungen hervorragender Praktiker aus verschiedenen gemeinrechtlichen Ge
bieten trotz des Entwurfs noch immer nicht glauben?') Ob er sich hierin irrt oder nicht, wird ja bei den mündlichen Verhandlungen des hohen
Juristentages mit Sicherheit festgestellt werden können. Die Lehre, welche er mit Anderen und nach dem Vorgänge Anderer
dem „Willensdogma" entgegensetzt, möchte er die „Zuverlässigkeitslehre" nennen, weil sie das Ziel vor Augen hat, daß alle Erklärungen im Ver
kehre für ihre Empfänger zuverlässig sein sollen. sie die „Erklärungstheorie".
sein.
Gewöhnlich nennt man
Sie ist kein „Dogma", will es auch nicht
Sie stützt sich lediglich auf Ergebnisse der Beobachtung und der
Erfahrung und will auch nur nach ihnen beurtheilt werden.
In zwei Punkten gewährt sie einen handgreiflichen Vorzug vor dem „Willensdogma": 1. Sie schützt Vertragschließende gegen Enttäuschungen. In dieser Hinsicht sind wenigstens ihre Ergebnisse von den
angenommen worden, welche oben als Vertreter der „opferfreudigen Vermittelungstheorie" erwähnt wurden. 02)
jenigen
2. Sie gewährt zur Unterscheidung der Irrthümer, welche Nichtig
keitsgründe sind, einen Maßstab, der in der Außenwelt liegt, nämlich die Erklärung des Irrenden und die sie ergänzende Verkehrssitte?^) 30) Dagegen Leonhard, der Irrthum I S. 10 A. 3. 31) Näheres vgl. unten § 8. 32) Namentlich von Unger a. a. O. S. 682. 33) Wenn Unger bei Grünhut Bd. 15 S. 673 Anm. 2 behauptet, daß auch die Willenstheorie „nicht auf den Willen allein, sondern auf den erklärten Willen das Gewicht legt", so mag das richtig sein, insoweit es sich um die Frage handelt: „Wann kommt ein irrthumsloser Vertrag zu Stande?" Sobald aber die Frage auftaucht: „Wonach bestimmt man, ob ein Irrthum ein Nichtigkeitsgrund ist?" so ist das Gegentheil richtig. Dann legt nämlich die Willenstheorie nicht auf den erklärten Willen „das Gewicht", sondern auf den Willen allein, d. h. auf die innere unerklärt gebliebene Absicht, von der man wahrhaftig nicht mit Unger a. a. O. sagen kann, daß sie mit dem von ihr abweichenden erklärten Willen „eine untrenn bare Einheit" bildet und sich zu ihm verhält wie die Seele zum Leibe. Seele und Leib bestehen gleichzeitig in einander; innere Absicht und der erkennbare Erklärungs gedanke entstehen hinter einander in verschiedenen Zeitpunkten. Wer sie als eins auffaßt, läßt zwei hinter einander vorüberziehende Wahrnehmungsgegenstände in einer undeutlichen Beobachtung zu einem einzigen verschwimmen. Er verwechselt selbst da, wo der innere Wille und der erklärte Wille in ihrem Inhalte überein stimmen, Identität und Congruenz. Wenn eine Sängerin in einem Concerte ein
37 Die Zugeständnisse der herrschenden Lehre im ersten Punkte („Keine Enttäuschung des Vertragsgenossen") würden also niemals genügen, um auch im zweiten Punkte (Abgrenzung des geschäftshindernden Irrthums)
der Erklärungs- oder Zuverlässigkeitstheorie zu genügen.
Die Hauptfrage lautet also: „Liegt das Erkennungsmerkmal des Irrthums, welcher Nichtig
keitsgrund ist, drinnen in der Beschaffenheit der irrenden Seele vor
dem Vertragsschlusse, oder liegt es draußen in dem äußeren Ver halten des Irrenden bei der Erklärung, sowie in der Verkehrssitte, welche diese erläutert und ergänzt?
Man kann die Frage auch so stellen: „Ist die Jrrthumsfrage eine bloße Auslegungssache oder eine
psychologische Frage?
Müssen wir bei ihrer Entscheidung in das
volle Menschenleben hineingreifen oder in das secretum alienae voluntatis?34 * *) * * * * Ehe wir diese Frage beantworten,
überwinden.
müssen wir noch ein Hinderniß
Es ist streitig, aus welchen Gesichtspunkten überhaupt solche
Dinge entschieden werden müssen.
Diese Vorfrage soll demnächst erledigt
werden. II. Die Prüfungsmaßstäbe.
§ 3. Gewöhnlich unterscheidet man Gesetzgebungsfragen (de lege ferenda) und Auslegungsfragen (de lege lata). Es giebt daher Juristen, welche glauben, daß man von der Sache abschweift, sofern man ein neues Recht
prüfen soll und dabei von dem alten redet. Der Verfasser ist nunmehr schon zum fünften Male in der Lage,
einen von dieser Anschauung abweichenden Standpunkt vor dem hohen
Juristentage zu vertreten,
hält es aber dennoch
in unserer neuerungs
lustigen Zeit nicht für überflüssig, ihn nochmals kurz zu begründen. Die Frage nach der Gemeinnützigkeit eines Gesetzesvorschlages steht der richtigen Meinung nach in zweiter Linie.
Zuerst muß stets geprüft
Lied da capo singt, so wird wohl Niemand behaupten wollen, daß sie es nur ein mal vorgetragen hat, weil ihre beiden Leistungen in ihrem Inhalte übereinstimmten. Man kann dann auch nicht behaupten, daß sich die beiden gleichen Gesänge durch drungen haben, wie Leib und Seele, wie dies Unger in dem entsprechenden Fall thut, wenn der Contrahent sein Lied erst für sich leise singt und dann dem anderen laut vorträgt. 34) L. 71 (70) dig. de her. inst. 28, 5.
38 werden,
ob nicht das bisherige Recht erhalten werden kann.
Jede
Aenderung ist ein Sprung in das Dunkle, ihre Folgen gehen über den
Gesichtskreis des weitschauendsten Staatsmannes hinaus, und der Satz: „quieta non movere“
darf nur da eine Ausnahme erleiden, wo ein
zweifelloses Neuerungsbedürfniß vorliegt.
Es folgt dies
aus der Beschaffenheit des Staats.
Was die Ein
zelnen zum Gemeinwesen eint, ist das Bewußtsein der Vorgeschichte des Vaterlandes, zu welcher dessen Recht mit gehört. Wer an diesem Kitte, der die Masse eint, unnöthiger Weise rüttelt, erschüttert die Rechts- und
die Geschichtskenntnisse des Volkes und mit ihnen dessen inneren Zu
sammenhang mit dem Ueberlieferten und die Zuverlässigkeit seiner Vater landsliebe.
Ehe wir daher prüfen,
ob hier oder sonst von der bisher herr
schenden Meinung abgegangen werden soll,
muß stets zunächst
gefragt
werden: „Ist es nicht möglich, am altbewährten Rechte festzuhalten?33) Wer solche Frage unterläßt, bekundet m. E. eine große Unkenntniß
der Grundbedingungen des Gemeinwohls.
Ueberall, wo die bloße Mög
lichkeit einer nützlichen Aenderung genügt,
um diese zu veranlassen, da
treibt eine fieberhafte Entwickelung den Staat bald zum Verfalle.
Auch in dieser Hinsicht verdient der Entwurf mehr Lob, als er ge funden hat.
Fast nur in untergeordneten Dingen (namentlich im Ehe-
rechtsgebiete) hat
er sich von der Neuerungssucht fortreißen lassen und
den menschlichen Einzelverstand für höher erachtet, als jahrhundertelange Erfahrungen. In allen Hauptpunkten ist er aber namentlich viel vor
sichtiger, als es seiner Zeit das preußische Landrecht war, und hat sich daher fast überall an Erfahrungen angelehnt. So erklärt es sich auch, wenn er sich in der allgemeinen Irrthums lehre der Ansicht des in der Praxis ohne allen Zweifel und aus gutem
Grunde bei Weitem einflußreichsten Juristen angeschlossen hat.33)
Wenn des Verfassers Wünsche trotzdem von dem Inhalte des Ent wurfes abweichen,
so
geschieht dies nicht aus einem Triebe zu leicht
fertigem Widersprüche wider eine Ansicht, welche er früher selbst gelernt,
als Richter angewandt und als Schriftsteller wie als Lehrer Jahre lang
35) Vgl. auch Unger in Grünhut's Zeitschrift Bd. 16 S. 687 Anm. 39. 36) Vgl. mit dem Entwürfe die Ausführungen Windscheid's im Arch. f. eiv. Pr. Bd. 63 S. 72 ff.
39 verfochten hat, sondern auf Grund fast zehnjähriger, niemals ausgesetzter
Quellenstudien in dem Gebiete der Jrrthumslehre. Die herrschende Meinung, welche der Entwurf angenommen hat, ist althergebrachte,
keine
altbewährte.
Die ganze Jrrthumslehre ist über
haupt seit Jahrhunderten zweifelhaft und gleicht somit einer alten,
nie
geheilten Wunde.37)38 Hier kann von bewährten Grundsätzen nicht
mals
die Rede sein.
Aber auch
aus
einem andern Grunde ist dies nicht
der Fall. Wind scheid selbst, der einflußreichste Vertreter der in den Entwurf
eingedrungenen Lehre,
dessen gewichtige Stimme nur schwer durch Be
vertrat sie früher nicht.
weisführungen ausgewogen werden kann,
lehrte: „Jeder Contrahent hat
Er
ein Recht auf die Erklärung des andern
Contrahenten in demjenigen Sinne, in welchem er sie auffassen mußte."33) Wer also
zu der älteren Ansicht des Führers
Meinung zurückstrebt, ist sicherlich kein Neuerer,
der herrschenden
welcher wider das Alte
ohne Noth zu Felde zieht. Der Grundsatz, das neue Recht unter allen Umständen so viel wie möglich an das ältere anzulehnen,
kann uns somit nicht daran hindern,
die Richtigkeit und Angemessenheit der Vorschläge des Entwurfes, nament lich aber auch die Richtigkeit des sog. Willensdogmas, zu prüfen.
Wir wollen in diesem ersten Abschnitte diese Lehre daraufhin be
trachten, Frage,
ob sie überhaupt im bisherigen
ob sie noch ferner gelten soll,
gemeinen Rechte gilt.
Die
wird sich hierbei von selbst er
geben. Man streitet bekanntlich in neuerer Zeit mehr als früher über die juristische Methode. Manche vertreten eine geschichtliche (quellenmäßige) Richtung,
andere eine exact-philosophische,
eine dritte Gruppe eine rein
praktische, eine vierte eine legislativpolitische, einzelne sogar eine ethische.
M. E. ist jede dieser Richtungen, einseitig angewandt, unzureichend oder sogar verfehlt.
Die einzig angemessene Arbeitsart dürfte vielmehr
darin bestehen, daß alle diese Gesichtspunkte in jeder einzelnen Frage im Nothfalle zu Wort kommen müssen, und zwar nach einer ganz bestimmten
Reihenfolge.
Zunächst muß die Quellengrundlage gelegt werden (exegetisch
historische Vorarbeit Kap. 2, la.), sonst schwebt alles Uebrige in der Lust.
37) Vgl. Leonhard Bd. II S. 539—583. 38) Pandekten I § 84 Note 11 in der 4. und den früheren Auflagen. Anders in der 5. und 6; vgl. hierzu Leonhard, der Irrthum u. s. w. I S. 9.
40 Sodann muß das aus den Quellen entnommene Ergebniß daraufhin ge prüft werden,
ob
überhaupt logisch
es
und psychologisch denkbar ist;
denn, was undenkbar ist, das können auch die Verfasser der Quellentexte
nicht gedacht haben.
Dann muß die praktische Durchführbarkeit des Ge
fundenen geprüft werden; denn, was nicht verwirklicht werden kann, kann auch nicht anbefohlen greifen, um noch
sein.
dann noch immer dunkel, standpunkte
Jetzt
erst kann die Utilitätsfrage Platz
bleibende Zweifel zu
lösen.
Bleibt die Hauptfrage
so muß sie schließlich noch vom Sittlichkeits
aus betrachtet werden, da der Richter nur einer ganz un
zweideutigen Vorschrift gegenüber annehmen kann, daß ihm etwas anderes
befohlen ist, als dasjenige, was ihm vom Standpunkte seines Gewissens aus als das Richtige erscheint.
So soll uns denn der zweite Theil des nächsten Kapitels (I b) zu einer geschichtlichen, der dritte (Nr. II.) aber zu einer philosophischen Prüfung der
Frage führen.
Daran soll sich eine praktische und eine legislativpolitische
Erörterung anschließen.
(Nr. III und IV.)
Die ethische Erwägung (V)
soll den Schlußstein bilden und insofern versöhnlich wirken,
als sie an
erkennen wird, daß das in seiner Allgemeinheit unhaltbare Willensdogma
doch wenigstens einen kleinen richtigen Kern in sich schließt,
den seine
Gegner und unter ihnen auch der Verfasser selbst früher nicht im vollen
Umfange gewürdigt haben.
Capitel 2. I.
Die Abschätzung des Entwurfs.
Prüfung des Entwurfs
nach
den Quellen
(geschichtliche
Prüfung).
a) Die römischen Nechtsquelien (philologische Prüfung). § 4. Exegetische Fragen sind für die deutsche Reichsgesetzgebung nicht von
unmittelbarem Werthe. Niemand wird ihr einen Vorwurf deshalb machen,
daß sie nicht aus dem corpus Juris civilis schöpft.
Eher würde sie im
entgegengesetzten Falle Tadelsworte von Seiten der Tagesströmung befürchten haben.
zu
Daher denn auch die Motive wohlweislich mit An
lehnungen an Justinian's Rechtsbücher überaus sparsam sind. Man darf jedoch hierbei niemals vergessen,
kenntniß dagegen setzen,
schützt,
daß nur die Geschichts-
gesetzgeberische Eintagsfliegen in die Welt zu
und daß ein nüchterner Beobachter aus den praktischen Erfolgen
der römischen Rechtssätze auf dem Verkehrsgebiete, auf welchem sie einen
41 großen Theil der gebildeten Welt nicht bloß dauernd erobert,
sondern
ohne Weiteres auf ihre
auch in nutzbringender Weise umgestaltet haben,
Gemeinnützigkeit zu schließen genöthigt wirb39). Wie sich Justinian's Rechtsbuch zu der Jrrthumslehre stellt, ist also
auch für den Gesetzgeber unserer Tage nicht völlig gleichgültig. Dies haben die Verfasser des Entwurfs allem Anscheine nach richtig erwogen.
Sie haben
Grund aus,
aber auch
aus den Quellen
wahrscheinlich diese Frage
Behandlung des gesummten Privatrechtsgebietes
selbst ihre reichlich be
messene Arbeitszeit nicht genügt haben würde.
auch hierbei allem Anscheine nach
nicht von
weil zu einer solchen
entwickeln können,
Sie haben sich vielmehr
an die zuverlässigste Autorität unserer
Zeit angelehnt, und zwar mit vollem Recht. So ist denn sicherlich angeblicher Ausfluß
das Willensdogma in seiner Eigenschaft als
der römischen Quellen in den
Entwurf hinein ge
kommen. Das Verfahren der Verfasser des Entwurfs läßt sich also schwerlich anfechten.
Wenn trotzdem hier behauptet wird, daß sie nicht in richtiger Weise
berathen worden sind, und die Quellen das Gegentheil von demjenigen ergeben,
was die herrschende Meinung
aus
ihnen herausliest,
so kann
diese Ausführung von vorn herein einer weitgehenden Mißbilligung sicher sein,
nicht nur von Seiten derjenigen,
welche jedes Abweichen von der
herrschenden Tagesströmung von vorn herein Ruhestörung
ansehen,
sondern
auch
als
eine
unentschuldbare
aus dem Kreise derer,
dem Verfasser einen unbegründeten Widerspruch
welche mit
gegen die zur Zeit mit
Recht am meisten verehrten Autoritäten der Quellenkunde als eine Selbst
überhebung verwerfen. Wenn der Verfasser sich
trotzdem zu der undankbaren Rolle ver-
urtheilt, welche ihm seine Ueberzeugung aufzwängt, so leitet er ein Recht hierauf aus den jahrelangen gerade dieser
anstrengenden Bemühungen her,
welche er
einen Frage gewidmet und durch seine zweibändigen Aus
führungen gewissermaßen unter Beweis gestellt hat. Er weiß aus der Geschichte der Wissenschaft genau, welche undankbare Aufgabe es ist, sich mit einer unnachgiebigen Uebermacht herumzustreiten, und gehört nicht zu denjenigen, welche an einem solchen Kampfe Freude haben.
Allein alle
seine Bemühungen, sich an das Altgewohnte anzuklammern, waren ver geblich. Sie konnten nicht verhindern, daß sich ihm seine von der ge39) Vgl. auch Strohal, dogm. Jahrb. B. 27, S. 415.
42 meinen Meinung abweichende Ansicht förmlich wider seinen Willen auf
gedrängt hat, und daß sie sich in seinem täglichen berufsmäßigen, oft
mehrstündigen Verkehre mit den Quellen immer mehr steigert und be festigt.
Diese seine Ansicht geht dahin, daß voluntas, consensus, animus als Geschäftsvorbedingungen im technischen Sinne nicht den innern Willen
bedeuten, sondern den erklärten Willen, m. a. W. den Gedanken, der
durch die Erklärungshandlung dem Erklärungsempfänger er kennbar
wird,
das
beim
Geschäftsabschlüsse
erkennbar
gewordene
Willensabbild. Veile heißt daher in der Regel so viel, wie nach dem Inhalte einer
abgegebenen Erklärung wollen. Daß diese Worte in den Quellen nebenher auch noch an manchen
Stellen, namentlich in Strafrechtsfragen, den innern Willen, die Absicht,
bezeichnen, hat der Verfasser niemals bestritten, zeichnung nicht die technische
nur ist diese andere Be
für die Vertragslehre, d. h. zwei überein-
stimmende Absichten in diesem letzteren Sinne setzt der gültige Vertrag
nicht voraus. Wir pflegen ja auch im Deutschen von Gedanken, Willen, Stimmung und dergleichen nicht nur da zu reden,
meinen,
wo wir innere Seelenvorgänge
sondern auch da, wo wir erkennbare Eigenschaften von Geistes
werken z. B. Schriftstücken, Büchern u. dergl. benennen wollen.
Das deutsche Wort Wille hat überhaupt zwei vornehmliche Be deutungen: 1. die innerliche Absicht,
welche der Handlung vorhergeht
und sie
hervortreibt (Wille im Sinne des sog. Willensdogmas), 2. die thätige Kraft, welche aus dem Innern wirksam in die Außenwelt hineintritt40), d. i. in der Vertragslehre: der in der
Erklärungshandlung wahrnehmbar hervorgetretene Gedanke. Aus der Verwechslung beider Begriffe ist in der Vertragslehre eine große Verwirrung hervorgegangen, indem man Stellen, welche das Wort
„Wille" im zweiten Sinne anwandten, so auffaßte, als ob es im ersten
gebraucht worden roäTe41). 40) Vgl. hierzu auch Werthauer a. a. O. S. 16 Anm. 1. 41) Knigge, Ueber den Umgang mit Menschen (Reelams UniversalBibliothek 1138—1140 S. 333, 334) bemerkt sehr richtig, daß „juristischer Ausdruck nicht selten einer andern Auslegung fähig ist, als gewöhnlicher Ausdruck, und juristischer Wille oft das Gegentheil von dem, was man im gemeinen Leben Willen nennt". Aus dem Verkennen dieser Thatsache sind große Mißverständnisse hervorgegangen.
43 Savigny
und Thöl sind
deshalb an verschiedenen Stellen völlig
mißverstanden worben42),43weil sie das Wort Willen nicht im Sinne der „innern" Absicht
brauchten, sondern
Erklärungsgedankens.
als Bezeichnung des
erkennbaren
Ihre Redeweise war derjenigen der Quellen nach
gebildet. So verhält es sich auch mit der voluntas contrahentium; es ist der
aus
dem Verhalten der Vertragschließenden wechselseitig
erkennbar ge
wordene, auf beiden Seiten gleiche Gedanke, daß eine bestimmte Anord
nung für sie Gedanken,
gelten soll,
wohl zu unterscheiden von den beiden inneren
welche die äußeren Erklärungen hervortreiben,
jetzt auch die voluntas legis scheidet").
wie man ja
von der voluntas legislatoris wohl unter
42) Vgl. Leonhard, Der Irrthum I S. 81 Anm. 2. Ein solches Mißver ständniß findet sich auch jetzt wieder bei Werthauer a. a. O. S. 27. Es ist sehr viel leichter, die Bemerkung eines andern Schriftstellers zu bemängeln, als sie in ihrem richtigen Sinne aufzufassen. Daß Savigny unter „Willen" beim Vertrage die erklärte Anordnung (bethätigte Absicht) verstand, und nicht die innere, ihr vorher gehende Absicht meinte, erscheint Fritsche unglaublich (Untersuchung über die Be deutung von consensus und consentire in den Digesten. Berlin, G. W. Müller 1888 § 1 Anm. 1), vermuthlich, weil er selbst sich im Banne eines andern, späteren Sprachgebrauchs entwickelt hat. Er hätte sich der Bedeutung entsinnen sollen, welche das Wort „Wille" bei unsern Classikern wie sonst in Savigny's Schriften hat. Wille bedeutet oftmals so viel wie eine in die Außenwelt hinein bethätigte Kraft; z. B. in der dritten Bitte des Vaterunsers, in der Versicherung, daß ein heiliger Wille lebt, in Schopenhauers „Welt als Wille und Vorstellung," ein Werk, nach welchem der Wille eine allgegenwärtige Kraft ist, welche uns die Vorstellungen aufnöthigt. Rousseau's volonte generale ist offenbar nur so viel wie „Staats gewalt" (vgl. hierzu jetzt Mentha, discours sur le Systeme politique de Rousseau, catalogue de Neuchätel 1889 S. 16. Er nennt diesen im vorigen Jahr hundert gemeinverständlichen Ausdruck jetzt l’incomprehensible miracle, offenbar, weil auch für ihn volontG und bewußte Absicht sich decken). Vgl. auch Merkel, Juristische Encyklopädie 1885: „Als Suverän des Reichs läßt sich daher nur der Wille be trachten, welcher in der einheitlichen Wirksamkeit dieser Organe seinen Ausdruck findet." Auch der „Volkswille" Savigny's sollte nicht etwa auf Plebiscite hin deuten, wie S.'s Feinde ihm nachgesagt haben (vgl. Leonhard, Zeitschr. f. Civ. Pr. Bd. 11 S. 124). Auch der neuerdings mit gutem Grunde angefochtene „Besitz wille" dürfte auf den psychologischen Druck hindeuten, welchen der Besitzer durch die Lage, in der er sich befindet, auf seine Mitmenschen ausübt, und durch den er sie von der Sache abzuhalten vermag. Ein Besitzwille im Sinne eine dauernden bewußten Absicht, welche an die besessene Sache „Tag und Nacht" denkt, würde allerdings eine Ungeheuerlichkeit sein (vgl. auch Savigny, Recht des Besitzes § 15 a. E.). Nähere Ausführungen würden uns von der Hauptfrage zu weit ablenken. 43) So richtig Wach, Handbuch das D. Civilproceßrechts Bd. I § 20 ff. S. 254 ff. und Zitelmann, Die Rechtsgeschäfte im Entwurf, Berlin, Guttentag,
44 Obwohl also der Verfasser sich über die Richtigkeit seiner Meinung völlig klar ist, so ist er sich doch auch darüber ebenso klar, daß der hohe
Juristentag sich schwerlich geneigt zeigen wird, über eine solche exegetische Frage
eine Beschlußfassung
vorzunehmen.
historische Thatsachen haben
Beschlüsse über philologisch
überhaupt keine Berechtigung.
Außerdem
gehört zu jedem Urtheil ein vorheriges Actenlesen; die Acten sind aber hier
recht dick und
schwerverständlich.
Der hohe Juristentag wird dem
Verfasser nicht die Gunst erweisen wollen,
längere Erörterungen mit
seinen Gegnern über Pandektenstellen geduldig anzuhören. Die Sache liegt demnach so,
daß die nach des Verfassers Ueber
zeugung richtige Ansicht hier nicht durchgekämpft werden kann, also alle späteren
Ausführungen dieses
Gutachtens
sich
auf
neutralem Boden
halten, d. h. von der Möglichkeit ausgehen müssen, daß voluntas, Con sensus, animus u. dgl. in den Quellen in der That dasjenige bedeuten,
was die herrschende Meinung durchaus in ihnen sehen will: den inneren Geschäftswillen. Selbst wer sich
noch
den Weg
offen,
auf diesen Standpunkt stellt,
römische Recht hinauszugehen".
das Willensdogma römisch,
über das
Wenn dies dem Richter der gemeinrecht
lichen Lande nicht erlaubt ist, der Gesetzgeber darf es. lich
behält doch immer
„durch das römische Recht hindurch,
Wäre also wirk
nun so würde sich vielleicht hier eine
gute Gelegenheit bieten, bie. neuerdings so sehr beliebte Streichung römischer Grundsätze vorzunehmen. Der Entwurf kennt kein Verbot der Erbverträge mehr, er vertilgt das Senatusconsultum Vellejanum, er ver nichtet die Pupillarsubstitution, warum sollte er nicht auch dem „Willens
dogma" das Lebenslicht ausblasen?44 * *) * * Wenn es wirklich wahr ist (was man neuerdings lehrt), daß das römische Recht nur ein „disciplinirter
heidnischer Egoismus" roat,45) nun wohl, so ändere man es da, wo es „egoistisch" erscheint, d. h. rücksichtslos gegen das Leiden der Mitmenschen.
Eine solche Gesinnung wird aber in der That durch das Willensdogma,
1889, S. 16, Ueber die Gleichartigkeit dieser Frage bei Gesetzen und bei Ver trägen, vgl. Schlesinger in den göttingischen gelehrten Anzeigen 1864 S. 1971 ff. Leonhard, Zeitschrift f. Civilproceß. Bd. 11 S. 190 Anm. 8. ") Vgl. auch Demelius, in der Zeitschrift f. das Privat- und öffentliche Recht, Bd. IX S. 320 ff. 45) Der Vers, hat gegen diese verbreitete Meinung neuerdings einen Wider spruch zu erheben gewagt in seiner Schrift: Roms Vergangenheit und Deutschlands Recht, Leipzig 1888, S. 127 ff. § 42.
45 welches die Enttäuschung der Vertragsgenossen unter Staatsschutz stellt, begünstigt und befördert.
Wir schließen also mit dem Ergebnisse, daß auch vom Standpunkte
der (unhaltbaren)
herrschenden Meinung das Willensdogma
sehr wohl
verworfen werden kann, ohne daß seine (angebliche) römische Abstammung
hiergegen Bedenken zu erwecken braucht.
Trotzdem sei dem Verfasser zum Schlüsse dieses Paragraphen noch ein kurzes Vertheidigungswort pro domo wider seine Gegner gestattet,
damit nicht sein gänzlicher Verzicht auf ihre Widerlegung als Folge eines
Ohnmachtsgefühls gedeutet werde. Um zu wissen, was consensus heißt, als
ein
muß das ganze Quellengebiet
einheitliches Abbild der römischen Rechtszustände in das Auge
gefaßt werden.
Es
genügt nicht bloß, die Stellen in das Auge zu
von consensus und voluntas die Rede
fassen,
in welchen ausdrücklich
ist.46)
Selbst wenn man nebenher auch die besonderen Stellen über
den Irrthum in Erwägung zieht, wie das namentlich von Graf Pininski neuerdings mit besonderer Sorgfalt geschehen ist,47) so erschöpft man doch noch
nicht das Beobachtungsfeld; die ganze Vertragslehre,
namentlich
auch die Lehre vom Vertragsabschluß, von der Auslegung und der Stell vertretung, gehört mit in das Wahrnehmungsgebiet hinein,
sammteindruck die Antwort auf die gestellte Frage giebt.
besten GeSo wichtig
die Einzelexegese ist, so darf man doch nie vergessen, daß bei ihr der Gesammteindruck des Ganzen mitspricht, den der Auslegende in sich trägt. 46) Dies richtet sich gegen die eingehenden Erörterungen meines verehrten Collegen Enneccerus, Recht, Rechtsgeschäft, Bedingung und Anfangstermin, Bd. I, Marburg 1888, S. 107 ff., denen ich übrigens in vielen Punkten zustimme, und die Ausführungen der sehr fleißigen, vornehmlich gegen des Verf. Schrift ge richteten Göttinger Jnaugural-Dissertation von HansFritsche: Untersuchung über die Bedeutung von consensus und consentire in den Digesten, Berlin, Verlag von H. W. Müller, 1888, 101 S., eine Abhandlung, deren Ergebnisse nach des Verfassers Meinung nicht anschaulich genug sind, um das gewählte Motto: „Subtilitates non admittuntur“ als ungefährlich erscheinen zu lassen. Man vergleiche z. B. die Un terscheidungen in folgenden Ueberschriften: § 9. Der Thatbestand des erklärten Consenses. § 10. Der Thatbestand der Erklärung des Consenses. § 11. Der That bestand der Consenserklärung. § 12. Der Erklärungsthatbestand des Consenses. Die vielen von Fritsche benützten Stellen, auf welche der Verf. noch nicht einge gangen war, scheinen dem letzteren für die Hauptfrage nichts zu beweisen. Auch hier gilt: Non multa, sed multum. 47) A. a. O. Bd. II S. 488—570. In der Hauptsache ist auch er ein Gegner des Verfaffers, vgl. Bd. II S. 462 ff. Vgl. jedoch hiergegen auch seine Ausfüh rungen Bd. I S. 19, S. 185 A. 1.
46 In
steter Leetüre diesen zu verbessern und das Ergebniß dann wieder
auf das Einzelne anzuwenden, ist der einzige Weg, um in der Kenntniß der römischen Quellen vorwärts zu kommen. Da Liebe
wir nun unmöglich Alle jeden Theil des Ganzen mit gleicher
Quellen,
Sie
Weise haben
bestehen,
welche
uns
daß
die Gesammtbilder der
welche andere Dinge sieht als wir,
gröblicher
Massenbeobachtungen zu
sich,
persönlich verschieden ausfallen, und
wie die hier fragliche, durchaus nicht etwa beweisen, daß
eine Partei,
kräftig.
ergiebt
so
die wir in uns tragen,
Controversen, in
können,
behandeln
bei
der
zunächst
irren
nicht
tnujj.48)49 Trotzdem
parteilich sei und sich
sind
auch
bei
solchen
alle Ansichten gleich gut und gleich lebens
in ihrer Brauchbarkeit für die Exegese eine Probe
schließlich doch die bessere siegt. am meisten überzeugt,
Diejenige aber,
erweist sich durchaus nicht
immer auch später als die glaubwürdigere.
Eben diese Probe,
welche der Verfasser beim Quellenlesen
und in
praktischen Uebungen durch seinen Beruf täglich zu machen genöthigt ist,
befestigt
ihn
immer
mehr in seiner Meinung über die Bedeutung von
consensus, bei der er sich übrigens an Autoritäten, wie Cujacius und
Brissonius angelehnt hat.")
Daß für die entgegengesetzte, vom Verfasser angefochtene Ansicht der erste Anschein einzelner Stellen,
sofern man
sie
allein
und
Rahmen des Ganzen betrachtet, spricht, weiß er sehr wohl. es nach seiner Meinung keinen Werth, gehoben wird.
nicht
im
Darum hat
wenn dies immer wieder hervor
Von seiner Ansicht würde er erst dann abgehen können,
wenn ihm für die vielen Zweifel, welche ihm seine Ansicht spielend löst,
von der entgegengesetzten Seite eine auch nur erträgliche Lösung geboten würde.
Wenn man sich der Mühe enthebt, die unglaublichen, aber un
vermeidlichen Folge der Lehre,
die man predigt,
zu rechtfertigen,
dann
macht man sich freilich seine Aufgabe recht leicht.
Was den Verfasser zwingt, an seiner Lehre festzuhalten, sind nament
lich folgende von der entgegengesetzten Meinung unbeantwortet gebliebene Fragen: 48) Dies verkennt Drucker in den Schlußworten seiner übrigens sorgfältigen Recension, welche er (über die Schrift: Leonhard, der Irrthum u. s. w.) im Rechtsgeleerd Magazijn unter der Ueberschrift „Eene Bijdrage ter vereenvondiging van de leer der Overeenkomsten" veröffentlicht hat. 49) Leonhard, Der Irrthum, I 8 2 S. 11 ff. Vgl. jetzt auch die zustim menden Bemerkungen Hartmann's, Archiv f. eiv. Pr. Bd. 72. S. 177 Anm. 18.
S. 188 Anm. 26.
47 1. Wie kommt es, binden lassen,
daß die Römer den consensus seine Urheber
während doch die bloße unerklärte Uebereinstim
mung der Absichten keinen Vertragsschluß bildet? 2. Wie kommt es, daß sie consensus zum gültigen Vertrage ver
langen, während doch in Wirklichkeit in keinem Augenblicke des Vertragsschlusses
eine
Absichtseinheit
gleichzeitige
vorzuliegen
braucht?
3. Wie kommt es, daß sie die voluntas contrahentium auslegen, da man doch nur Erklärungen auslegen kann, nicht innere Gedanken?
4. Wie kommt es, daß der Stellvertreter die voluntas herstellt, während doch der Herr bei der Vollmachtsertheilung selbst den
inneren Geschäftswillen hat? 5. Wie kommt es, daß die Römer Bestimmungen als stillschweigend verabredet
bezeichnen,
an
die Parteien nicht gedacht
welche
haben?
Auf solche Fragen und andere mehr giebt es,
wie in der Schrift
(„Der Irrthum bei nichtigen Verträgen") ausgeführt ist, eine einfache, völlig
befriedigende Antwort: „Voluntas und consensus bezeichnen die
in der Erklärung wahrnehmbar gewordenen Gedanken", aber die inneren Absichten,
nicht
welche ihnen vorhergegangen sind und von
den erklärten Gedanken in ihrem Inhalte vielleicht abweichen, vielleicht
aber auch nicht. Solche Fragen sind allerdings nöthig, aber leider sind sie für Viele nicht vorhanden.
Nicht Jeder, der flüchtig durch die römischen Texte
streift, vermag einzusehen, wie unvermeidlich jene demjenigen sind, welcher der unausgesetzten Erläuterung eben dieser Texte sein Leben widmet. Um
die Nothwendigkeit jener Fragen zu begreifen, muß man das Quellen gebiet in der richtigen Weise durchreisen, nicht wie ein exereirender Soldat,
welcher sich lediglich in der von oben her befohlenen Richtung vorwärts bewegen muß und daher außer seinem Vordermanne nichts sieht, sondern wie ein Feldherr, welcher auf jeden höheren Punkt hinaufsprengt, von
welchem er eine große Fläche auf einmal übersehen kann. diesem Gebiete unbefangen
beobachten will,
Wer auf
darf nicht um den guten
Ruf seiner wissenschaftlichen Gesinnungstüchtigkeit allzu besorgt sein;
muß ihm nicht darauf ankommen,
im Nothfalle von den
Schriften in effigie verbrannt zu werden. dann bleibt eben nichts anderes übrig,
Wenn man das nicht will,
als
herrschende Lehre in die Quellen hineinlegt,
es
gangbarsten
alles dasjenige, was die
gläubig entgegenzunehmen.
48 ohne zu prüfen,
ob es denkbar,
durchführbar, gemeinnützig und sittlich
erlaubt ist.
Solche Quellenbewunderer sind freilich selten geworden, seitdem man sich mehr
an die Lehrbücher hält, als an die Texte.
Um so
häufiger
werden aber diejenigen, welche den römischen Juristen die ärgsten Miß
griffe,
und den Vorfahren,
haben,
welche sie durch
eine große Beschränktheit zutrauen.
Jahrhunderte bewundert
Wenn man z. B.
findet,
daß die großen Rechtspfleger Roms etwas gesagt haben, was bei wört licher Uebersetzung in die heutige Redeweise sinnlos zu sein scheint, z. B. die Annahme nicht gewollter stillschweigender Abreden, so gilt es für das
gute Recht der Gegenwart, den Inhalt der Quellen als verkehrt in sein
Gegentheil umzuwandeln Dabei wird
und
dies als
römisches
Recht
auch nicht einmal die Pflicht empfunden,
vorzutragen.
die angeblichen
unerhörten Mißgriffe jener erfolgreichen Männer zu erklären. Mit solchem Verfahren sich zu befreunden ist dem Verfasser un
möglich.
Für unfehlbar hält er die römischen Juristen nicht, wohl aber
für verständige Kenner der Lebensverhältnisse, etwas Sinnloses niederzuschreiben.
denen es unmöglich war,
Nur eine Lehre, welche hiervon aus
geht, hat für ihn überzeugende Kraft.
Schließlich möchte der Verfasser noch auf eine Hauptschwäche seiner Gegner Hinweisen.
Consensus
(im technischen Sinne)
soll bei ihnen
bald „inneren Willen, verbunden mit entsprechender Erklärung" bedeuten, bald „den bloßen inneren Willen ohne Erklärung".
Und zwar werden
beide Ansichten neben einander vorgetragen, als wären sie mit einander
verträglich.
So
wird z. B. die Wendung
consensu
declarare (durch
Zustimmung erklären) von einigen Kritikern übersetzt als „im Einver ständnisse erklären", während sie im selben Athem behaupten, daß Con sensus nicht bloß das innere Einverständniß, sondern auch dessen äußere Erklärung umfaßt?o)
Sie bleiben also nicht einmal fest bei ihrer
eigenen Meinung?') Ein solches Schwanken zwischen zwei widersprechenden Uebersetzungen eines wichtigen technischen Ausdruckes kann Keinem genügen, den sein 50) Daß diese Ansicht, nach der dieselbe äußere Thatsache nach einem nicht erkennbaren Umstande bald consensus heißen soll, bald nicht, nur aufgestellt ist, um der richtigen auszuweichen, springt in die Augen. 51) Vgl. Lotmar, Krit. V.J.Schr., Bd. 25 S. 372 ff., Fritsche a. a. O. S. 72 Anm. 133, S. 87 Anm. 195. Der Erstere drückt sich freilich hierbei in sehr vorsichtiger Weise aus. Etwas entgegenkommender gegen des Verf. exegetischen Standpunkt ist Regelsberger, Ztschr. f. Hdlsr. B. 29 S. 314.
49 Beruf zwingt, für eine verständliche und zu glaubwürdigen Ergebnissen führende Auslegung der Justinianischen Rechtsbücher einzustehen.5* ?)* * *
Der consensus im technischen Sinne kann doch
das innere Einverständniß
oder die äußere Erklärung
nur entweder bedeuten,
oder
allenfalls das Nebeneinanderstehen von Absicht und Erklärung, so ge
zwungen und gesucht auch dieser letztere Ausweg erscheint. aber darf gestattet sein,
keiten
Keineswegs
zwei von diesen sich widersprechenden Möglich
Die Gültigkeit des Ver
neben einander als richtig hinzustellen.
trages kann nicht von zwei ganz verschiedenen Thatbeständen abhängig sein, nur einer ist maßgebend. Keinesfalls aber ist es zulässig, nach Be lieben von zwei Ansichten bald die eine und
bald die andere als die
Grundlage der eigenen Ausführungen zu wählen.
Daß die Vertreter der herrschenden Meinung sie noch nicht ent behren
können
und
darum
feisten,53) ist wohl verständlich.
der
entgegengesetzten
Ansicht Widerstand
Der Uebergang vom Willensdogma und
der quellenwidrigen Uebersetzung von „consensus“ und „voluntas“, auf der es beruht, zu der entgegengesetzten Meinung läßt sich durch einen einfachen Willensact nicht ermöglichen.
Der Verfasier erinnert sich noch
sehr wohl der jahrelangen Mühen und Sorgen, zeugung
von der
Nothwendigkeit
dieses
welche ihm die Ueber Schrittes aufgenöthigt hat.
Unsere neueren Lehrbücher und die aus ihnen dankenwelt
der jüngeren Juristen sind
herausgewachsene Ge
von der unhaltbaren Lehre so
förmlich durchtränkt, in tausend Fasem so eng mit ihr verwachsen, daß man beinahe meinen sollte, die richtige Ansicht sei durch diesen Proceß
uns für alle Zeiten unwiederbringlich verloren gegangen. Und doch ist auch hier dafür gesorgt, daß dasjenige, was das Volks bedürfniß verlangt, sich auch der Juristenwelt wird aufnöthigen müssen.
Ohne die richtige Ansicht giebt es keine widerspruchslose Quellenexegese,
keine folgerichtige Rechtspflege,
keine durchführbare Vertragslehre.
Die
eigenen Mängel der unhaltbaren Lehre werden ihr den Untergang bringen,
welche die Beweisgründe ihrer Gegner herbeizuführen zu schwach sind.
52) Am meisten bestärkt den Verf. in seiner Ansicht die Unvollständigkeit der Entgegnungen seiner Widersacher, welche es wohl mit gutem Grunde unterlassen haben, eine Widerlegung gerade seiner wichtigsten Beweisgründe auch nur zu ver suchen. Die Vermuthung Rassow's (in der Kritik der Schrift: Der Irrthum bei n. V. u. s. w., Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 1883 Bd. 27 S. 762), „daß die Anhänger der herrschenden Meinung es an ihrer Antwort nicht fehlen lassen werden", hat sich also nur zum Theile als richtig bewährt. Vgl. statt Vieler Wind scheid, Pand. 6. Aufl. Bd. I § 75 Anm. la. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. III.
4
50 Je später dies geschehen wird, desto gründlicher wird der Sieg der guten Sache sein.
Unhaltbare
Lehren
scheitern
an
den Hemmnissen,
welche
ihnen die Willenskraft ihrer Gegner in den Weg stellt, richtige bewähren desto
mehr
ihre Lebenskraft,
je schlimmer die Probe ist,
welche man
ihnen zumuthet.^)
M) Von ferneren Beweisstellen seiner Ansicht, welche nach dem Erscheinen der Schrift über den Irrthum von dem Vers, gesammelt sind, will er hier nur die aller wichtigsten veröffentlichen. Es handelt sich darum, ob vohmtas und ähnliche Aus drücke im Zweifel den erklärten Willen oder den sog. wirklichen Willen, d. i. die der Erklärung vorhergehende Absicht bedeutet; vgl. nunmehr I. ad vocem Con sensus: nov. 120 cap. VII Gvvawovvrwv lyyqdgHjig rj did xata&foewg, übersetzt bei Beck: consentientibus scripto aut per confessionem. In 1.57 dig. de legatis I wird das „aperte sentire“ in einen Gegensatz zu dem inneren animus gestellt. Hier ist eine Absicht da und doch kein „sentire“ (vgl. zu dieser Stelle Seuffert in den Festgaben für Planck, München 1887 S. 177). In c. 4 § 1 cod. de praescr. 30 vel 40 ann. 7, 39 heißt der erkennbare Sinn des Gesetzes „sensus“. Wenn endlich Gellius, noctes atticae XI, 18 von einem „inliteratus consensus“ spricht, so muß er doch wohl auch an die Möglichkeit des literatus Con sensus glauben. II. Das Wort „tacite“ bedeutet nur: „ohne Worte", setzt aber keineswegs eine wortlos gebliebene bewußte Absicht eines bestimmten Menschen vor aus, sondern deutet auch auf Dinge hin, an welche keine lebende Seele gedacht hat, welche sich aber von selbst verstehen. So erklärt sich das „tacitum jus“ der 1.15 pr. dig. de adopt. I, 7, das „tacite adcrescere“ der 1. 53 § 1 dig. de acquir. vel om. her. 29, 2 (dort so viel als: „ob er will, oder nicht"), endlich die Worte „tacite in ea tempus continetur“ in 1.83 § 5 dig. de verb. obl. 45, 1. Einen Fall stillschweigender Bedingung, der in die üblichen Jrrthumsschemata schlecht paßt, enthält auch 1. 31 dig. de pec. cst. 13, 5. Wie sehr die Römer geneigt waren, Vertragsbestimmungen gelten zu lassen, welche anständige Leute als für die Lage der Vertragschließenden selbstverständlich ansahen, ohne daß dabei von den Parteien oder auch vom Inhalte eines Gesetzes oder Gewohnheitsrechts an solche Anordnungen gedacht wurde, beweist die 1. 21 pr. dig. de capt. 49, 15 besser, als jede andere Stelle. III. Voluntas heißt in der Vertragslehre „der offenbarte Wille": das jenige, was jemand nach seinem erkennbaren Verhalten will, nicht das innere Wollen, welches niemals aus dem Innern herauskommt, sondern von welchem nur ein in Worte eingekleidetes, im Innern angefertigtes (bisweilen unähnliches) Abbild an das Tageslicht der Erkennbarkeit hinaustritt. Darum ist es den Römern möglich „voluntatem in scriptis manifestare“ (c. 2 § 1 Cod. de ann. exc. 7, 40), von dem verborum casus heißt es, daß er „voluntatem (das erkennbar werdende Willens abbild) excipiens“ ist (c. 21 Cod. de leg. 6, 37). Das „veile“ (Anordnen) ist durch ein Reseript möglich (1. 1 § 2 dig. de magistr. conv. 27, 8), d. h. also durch ein Reden, das kein bloßes Denken ist. Die erkennbare Wahl eines Domieils heißt voluntas domicilii (c. 5 Cod. de incolis 10, 39 (40). In c. 8 § 3 Cod. de codic. 6, 36 ist von dem Augenblicke die Rede „quando scriptura voluntas componitur“. Ist das nun der innere Wille oder die Erklärung? Bei dem mündlichen Testament
51
b) Prüfung des WillensdogmaS nach -rn allgemeinen Gefchichtsquellen (kulturgeschichtliche Prüfung).
§ 5. der Einzelexegese pflegt man neuerdings zur Prüfung juri
Neben
stischer Ansichten auch die Gesammtlage der Zeitepoche zu verwenden, aus
welcher bestimmte Rechtssätze erweislich hervorgegangen sind.
hat man mit
So
Recht
classische
gutem Grunde
int Gegensatze
zu
darauf hingewiesen,
den Grundsätzen
daß
das
des älteren Roms
nicht bloß auf den Wortlaut der Geschäfte, sondern auch auf den inneren Willen sieht, gleichfalls
werden,
um ex aequo et bono zu urtheilen.
schon
oft
hervorgehoben worden ist,
daß dieser Umschwung so gewaltig war,
Es darf jedoch,
wie
hieraus nicht gefolgert
daß im neueren Recht
die Erklärung ohne einen entsprechenden Willen nichts mehr galt55) Es
Roms
ist vielmehr sehr unwahrscheinlich,
daß die
großen
Juristen
das Verkehrsleben ihrer Zeit nach Grundsätzen beurtheilt haben,
hält es der Testator für angemessen, „sine scriptis suam voluntatem vel testamentum componere“ (c. 26 Cod. de testamentis 6, 23). In c. 22 Cod. tit. cit. de testamentis heißt es: „testibus etiam ad efficiendam voluntatem adhibitis“. Welcher Mensch hat wohl jemals Zeugen herbeigeholt, um (nicht eine Erklärung, sondern) eine innere Absicht herzustellen? Gerade wie die Quellen von einer voluntas legis, welche von der voluntas legislatoris verschieden ist, reden, so kennen sie auch eine voluntas orationis (1. 6 § 2 dig. de conf. 42, 2) und eine voluntas pacti (c. 2 Cod. de jure dotium 5,12), die sich mit einer voluntas imperatoris oder paciscentis keineswegs deckt. IV. Aehnliche Ausdrücke, welche in der Regel Seelenzustände bezeichnen, werden in der Jurisprudenz vielfach für Erklärungen gebraucht; vgl. z. B. 1. 21 § 1, dig. de acqu. vel om. her. 29, 2 „Interdum animus solus eum obstringit hereditati“, vgl. auch 1. 60 pr. § 2 de v. sign. 50, 16 (affectio -definiatur). Auf die folgenden Stellen hat mich Herr Geheimrath Ubbelohde aufmerksam gemacht, wofür ich ihm meinen besten Dank sage: a) In Const. 5. Cod. de inoff. test. 3, 28 heißt „propositum“ der „erklärte Vorsatz", b) Zur Bedeutung des Wortes „affectus“ vgl. 1. 55 dig. de obl. et act. 44, 7 (- der erklärte Wille) sowie die c. 9 Cod. Theod. de infirm, bis, quae sub tyrann. 15, 14 valeat affectus adeundae hereditatis. c) Das non veile in 1. 17 dig. de acqu. vel. am. poss. 41, 2 deutet zweifellos auf die Erklärung, nicht zu wollen, hin. Vgl. übrigens auch die für die Erklärungs theorie und wider das Willensdogma redenden Stellen, welche Graf Pininski a. a. O. Bd. II S. 421 Anm. 1 mittheilt. 55) So auch jetzt wieder in richtiger Ausführung gegen Lotmar Graf Pininski, Bd. II. S. 307.
52 deren Durchführung
großen Scharfsinn
so
einen
wie
Unterscheidung verlangt,
es
und
seiner heutigen Vertreter der Fall ist.
Darstellung
eine
so
subtile
hinsichtlich des Willensdogmas in der
Man erwäge,
wie
viel von den Ausführungen der Anhänger dieser Lehre offenkundig von
der neueren Philosophie beeinflußt ist,
um zu begreifen, daß die Römer
eine schlichtere Lehre besessen haben müssen, als diese ist.
weisen
sich
jene
daß sie schwerlich einer Lehre gehuldigt haben können,
kehrsbedürfnisse, welche diesen
so wenig genügt,
ausdrückliche Quellenzeugnisse
ist,
so
Außerdem er
großen Juristen Roms als so feine Kenner der Ver
Selbst wenn
wie das Willensdogma.
was nicht der Fall
nicht dafür sprächen,
würde uns das Gebot der geschichtlichen Wahrscheinlichkeit dazu
zwingen, an ihrer Unverfälschtheit zu zweifeln.
Dazu
zelnen
kommt,
daß bei dem Willensdogma dem Wunsche des Ein
über das
ein Uebergewicht
interesse gegeben werden soll.
allgemeine
Staats-
und
Verkehrs
Eine solche Denkart scheint mir aber mit
allem, was wir aus der Zeit des römischen Kaiserthums wissen, so wenig übereinzustimmen,
sie
daß
als
Grundzug
der damaligen
Rechtspflege
wenig glaublich erscheint.
Auch
dem Geiste
des
schende Lehre nur wenig.
byzantinischen Rechts
falschen Zeugen eine große Rolle spielte.56)
die durch Zeugen zu beweisende Einrede,
Geschäftsinhalt innerlich nicht gewollt habe, scheinen lassen,
entspricht diese
herr
Wir wissen, daß im Ostreiche die Gefahr der
Gerade diese Gefahr mußte daß
man
einen
anerkannten
als besonders bedenklich er
also das Willensdogma in besonders hohem Grade un
erwünscht machen. Daß lag,
im Laufe der späteren Weltgeschichte eine Veranlassung vor
das Willensdogma gewohnheitsrechtlich hervorzutreiben, wird nicht
erwiesen werden können.
Der Verfasser glaubt vielmehr,
daß der An
stoß zu ihm aus einer Mönchszelle des Mittelalters hervorgegangen ist.57)
Jedenfalls legt der Umstand,
daß das englische Recht,
dessen Werth in
Verkehrsangelegenheiten nicht zu verachten ist, es verwirft,58) den Gedanken nahe,
daß
die
mittelalterliche Mönchsweisheit,
welche sich in ihm ver
körpert, zu dem neueren Aufschwünge des Handels besonders schlecht paßt.
66) Nov. 90; Bethrnann-Hollweg, Civilproceß Bd. III § 155 Anm. 9. 10. 57) Leonhard, Irrthum II S. 573 ff.
58) Vgl. Schuster, Busch's Archiv für Handelsrecht Bd. 45 S. 322.
53 II.
Prüfung der inneren Widerspruchslosigkeit des Entwurfs (philosophische Prüfung).
a) Prüfung nach Len VrnKgrsrhrn (logische Prüfung). § 6-
Eines der einflußreichsten Worte v. Jhering's warnt vor der Ueber-
schätzung des logischen Elementes im Rechte. Es giebt aber daneben auch eine Unterschätzung dieses selben Ele die Nichtbeachtung des Widerspruchs einer Lehre mit sich
ments,
d. i.
selbst.
Beide Fehler haben bei dem „Willensdogma" eine verhängniß-
volle Rolle gespielt. Die Ueberschätzung des logischen Elements zeigte sich namentlich in der Herleitung der Rechtssätze aus Begriffen, ja sogar aus Definitionen.^)
Daß
dem
ein richtig aufgefaßter juristischer Begriff den Rechtssatz,
er beruht,
in sich enthält,
ist gewiß.
auf
So ist es auch ganz sicher,
daß Jeder, welcher den Begriff des geschäftshindernden Irrthums richtig
erkennt,
wissen
muß,
in welchen Fällen die Rechtssätze einen Irrthum
als geschäftshindernd ansehen.
Allein eben deshalb kann man einen Be
griff erst dann richtig fassen,
wenn man sich vorher den Rechtssatz aus
den Quellen entwickelt hat,
ohne welchen jener nicht bestehen würde. 00)
Jedes andere Verfahren läuft auf eine petitio principii hinaus?') 59) Begriffe und Definitionen siud nicht dasselbe, sondern verhalten sich zu einander, wie das Bild zum Rahmen, vgl. Leonhard, Zeitschrift f. Civilproceß
Bd. 11 S. 135. so) Viel Verwirrung würde uns erspart bleiben, wenn man nicht die „Rechts sätze" und die „Rechtsbegriffe" für zwei verschiedene Dinge hielte. Beide bilden denselben Wahrnehmungsgegenstand, von zwei verschiedenen Seiten betrachtet und benannt. 61) Einer vernichtenden Kritik ist das gerügte Verfahren von v. IHering unterzogen worden (vgl. Schmoller's Jahrb. f. Gesetzgebung rc. Bd. VII Heft 1 S. 4 ff.). — Daß die Neigung neuerer Juristen, aus allgemeinen Begriffen ge schichtliche Thatsachen, wie es die Rechtssätze sind, herzuleiten, mit Gedanken Hegel's zusammenhängt, hat der Verf. in der Hoffnung, auch ohne besondere Citate ver standen zu werden, in seiner Schrift über den Irrthum gelegentlich angedeutet. Diese Unvorsichtigkeit hat ihm die Entgegnung eines Philosophen zugezogen (Witte, Das Wesen der Seele, Halle-Saale, Pfeffer 1888, Vorwort S. VIII), welcher einen Beweis dieser (allerdings nur auf Juristen berechneten) Bemerkung vermißt und seiner Empfindung in einer nicht gerade verbindlichen Form Ausdruck giebt (Vorwort S. VIII). Da der Verfasser an diesem unliebsamen Vorfälle insofern selbst Schuld trägt als er auf die Ausführungen Hegel's, welche ihm vorschwebten, bloß angespielt und es dabei unterlassen hat sie anzuführen, so holt er hiermit das Versäumte
54 Wenn man nun aber etwa aus der üblichen Definition des Rechts
geschäfts eine Waffe wider die Gegner des Willensdogmas schmieden will,
so verkennt man völlig das Verhältniß zwischen Gesetzgebung und Rechts lehre. Immer
Die Definitionsfrage ist allerdings wichtig, sie ist es auch ^er62 * *).* * * * * * * * * aber ist sie eine Frage, die erst in zweiter Linie steht. Ehe ich
etwas besinnen kann, muß ich
wissen,
wie es
beschaffen ist.
Letztere kann ich niemals aus der Definition folgern.
Dieses
Wenn daher eine
hergebrachte Begriffsbestimmung zu dem wirklichen Rechte nicht paßt,
muß jene weichen,
nicht
etwa dieses.
so
Non jus ex definitione, sed
definitio ex jure.
Daß sich
bei einigem
guten Willen auch von dem Rechtsgeschäfte
eine brauchbare Begriffsbestimmung geben läßt, welche die Fehler des Willensdogmas vermeidet, ist erst neuerdings bewiesen worden63).
Weder „Begriff" noch „Definition" des Vertrages können also den jenigen in der Anfechtung des Willensdogmas
irre machen,
der das
„logische Element" im Recht nicht überschätzt. Man darf es aber auch nicht unterschätzen.
Dies thut man dann,
wenn man Dinge behauptet, welche nach den festen Denkgesetzen unmöglich nach. Er dachte an Hegel's Grundlinien der Philosophie des Rechts, oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Herausgegeben von Dr. Eduard Gans. Berlin 1840. Duncker & Humblot. S. 21, 36, 61, 133, 271, 344, 352, 353, 358 und sonst. Auch Lassalle würde nach Witte der Vorwurf treffen müssen, „besonders wenig in philosophischen Dingen bewandert zu sein", denn auch er behauptet etwas ganz Aehnliches, wie der Vers., System der erworbenen Rechte, Leipzig 1861 S. 70 Anm. 1. Daß namentlich die Ausführungen Hegel's a. a. O. S. 61 (§ 29) auch auf die Bildung des „Willensdogmas" von Einfluß waren, geht aus ihrer Vergleichung mit dem überaus einflußreichen Lehr buche Puchta's (Cursus der Institutionen Bd. I § 1 ff.), wie überhaupt aus der an
gezogenen Stelle hervor. 62) So mit Recht Graf Pininski a. a. O. II S. 281 ff. 63) von Graf Pininski Bd. II S. 317. Vielleicht ließe sich das Rechtsgeschäft noch besser also definiren: „Ein bewußtes Verhalten, das nach Rechtsvorschrift aus gelegt, kraft rechtlicher Ermächtigung etwas anordnet". Uebrigens spricht man von Geschäften und Verträgen auch da, wo die Betheiligten nur auf das Anstandsgefühl, nicht auf den Rechtsschutz rechnen. Diese Akte würden ebenso zu definiren sein, nur müßte man bei ihnen statt „nach Rechtsvorschrift" und „kraft rechtlicher Er mächtigung" beide Male sagen: „nach den Regeln des Anstandes". — Zu jedem Rechtsgeschäfte gehören also zwei Rechtssätze: einer, der seine Auslegung regelt, und ein anderer, der seine Folgen bestimmt. Vgl. übrigens auch Enneecerus a. a. O. I S. 55 Motive z. Entwurf I S. 126 und hierzu Hellmann a. a. O. S. 487. Nach der üblichen Definition (z. B. Motive I S. 126) würden alle Formal geschäfte, bei denen der Wortlaut bindet, überhaupt keine Rechtsgeschäfte sein.
55 sind, d. h.
nach den Regeln der Logik und der Erkenntnißlehre, welche
ja strenge genommen auch ein Zweig der Denklehre ist64).65 Denkgesetze
Diese
beruhen
menschlichen Natur und
das
auf unabänderlichen
Fähigkeiten
der
können aus denselben Gründen, denen zufolge
englische Parlament nach
einem bekannten Sprichworte aus einem
Weibe keinen Mann machen kann, durch die Gesetzgebung nicht geändert werden,
da
sie
auch
unumschränktesten Tyrannen
den
Übertyrannen.
(Caesar non supra grammaticos.)
Ihrer unumstößlichen Gewalt gegenüber dürfte der § 98 des Ent
wurfs einen schweren Stand haben: „Beruht der Mangel der Uebereinstimmung
des
wirklichen
Willens mit dem erklärten Willen auf einem Irrthume des Urhebers, so ist die Willenserklärung nichtig, wenn anzunehmen ist,
daß der
Urheber bei Kenntniß der Sachlage die Willenserklärung nicht ab gegeben haben würde."
Hier müssen wir zunächst zwei Ausdrücke untersuchen,
welche zu
Zweifeln Anlaß geben: 1. wirklicher Wille, 2. Irrthum. 1. Wirklicher Wille.
Ist darunter vielleicht nur ein klar bewußter
Wille bei dem Geschäftsabschlüsse verstanden? Dies kann Nichtsein, denn
im letzten Augenblicke kann der Urheber der Erklärung doch nur ihren wirklichen Inhalt gewollt haben.
Hätte er ihn nicht gewollt,
so würde
er ihn nicht gesagt haben. Eine Nichtübereinstimmung des zuletzt wirklich Gewollten und des Gesagten ist also undenkbar66). Wenn nun trotzdem von ihr die Rede ist, so kann unter dem „wirklichen Willen" bei einer
benigna interpretatio nur dasjenige verstanden werden, was der Urheber der Erklärung ohne den Irrthum gewollt haben würde. 2. Die Frage ist also: Wann pflegt eine Partei in Folge eines Irr thums etwas anderes zu wollen, als ohne den Irrthum? Dann soll nach dem Entwürfe ihr Geschäft nichtig sein.
Wir müssen zur Lösung dieser Frage den arg vernachlässigten Begriff des Irrthums näher betrachten66). Gewöhnlich definirt man: Irrthum
ist
eine
falsche Vorstellung.
Allein hiermit ist nicht viel gewonnen, solange das Wort
„falsch" nicht
näher bestimmt wird. 64) Wer wahrnimmt, strengt zugleich seine Denkwerkzeuge an, indem er eine Menge von Sinnesreizen zu einem Gesammtbilde zusammenfaßt (co-agitare — cogitare) fvgl. Ta ine, de Fintelligence]. 65) Leonhard, Bd. II S. 322 ff. 66) Vgl. hierzu auch Werthauer a. a. O. S. 5.
56 Hierbei müssen wir zunächst bedenken, daß die Erkennungsmerkmale
des
Irrthums
er
kann
ihm
selbst
nicht
anhaften.
der
Solange
Mensch irrt,
selbst einen Irrthum von den nicht irrthümlichen Vorstellungen
nicht unterscheiden.
Die Eigenschaft der Jrrthümlichkeit
haftet
nicht
also
der falschen
Vorstellung als solcher an, sondern folgt aus ihrem Verhältniß zu einer andern bessern Vorstellung, welche der jetzt Irrende selbst später hat, bei der ihm, wie man sagt, die Schuppen von den Augen gefallen sind, oder
die
jetzt
schon
sich
im Kopfe
eines
andern Menschen
befindet, dessen
Denken sich auf einer bessern Straße fortbewegt.
Woran
ermißt
nun ein unparteiischer Beobachter,
widersprechenden Vorstellungen, die
entweder 3E
zu
welche von zwei
zwei
verschiedenen
Zeilen hat, oder welche 3E und A neben einander haben, die richtige ist? Dabei wird ein Beobachter vorausgesetzt, der nicht an einer dünkelhaften
Unkenntniß
der menschlichen Schwäche
leidet,
sondern
nach Maßstäben
prüft, welche außerhalb seiner Eigenliebe liegen.
Meines Erachtens giebt es nur einen einzigen solchen sicheren Maß
stab,
d. i.
das
die Vorgeschichte der Meinung,
um deren Richtigkeit es sich
Nur sie kann feststellen, ob über der Vorstellung eines Menschen
handelt.
Gedanke
„Beobachtung,
dieses sind die drei Wurzeln,
Geisteskraft",
entspringt.
hängt67).
der Enttäuschung
Damoklesschwert
kenntnisse,
Je
kräftiger sie
sind,
Vor
aus denen jeder
desto kräftiger ist auch der
Baum, der aus ihnen herauswächst. Die richtige von zwei widersprechenden Vorstellungen ist also diejenige, welche
aus
erschöpfender Beobachtung,
genügender Geisteskraft
zureichenden Vorkenntnissen
und
entspringt68).69 Sie stammt von besseren Ahnen,
als die falsche Vorstellung, ist also gewissermaßen von besserem Adel66). Wo in
das Beobachtungsfeld begrenzt
der es
im Kopfe
Wahrheiten,
seine Grenzen
wo
des Beobachters
ist
(z. B. in der Mathematik,
selbst liegt),
da giebt es exacte
es aber unendlich ist und selbst für den Weitsichtigsten
im Nebel verschwimmen,
wie in der Geschichtswissenschaft
67) Darum ist es auch durchaus nicht verkehrt, daß die Leute gern an ihren Gewährsmännern festhalten, selbst da, wo die schlagendsten Gründe wider diese reden. 6fl) Darum kann man strenge genommen niemals „errorem probare“, sondern nur causam erroris. G-ajus I § 67 ff. Seuffert's Archiv Bd. 17 Nr. 75. 69) Die bei Werthauer a. a. O. § 5 Anm. 1 angezogene Definition Schopen hauers umfaßt nicht alle Jrrthumsfälle. Das Gleiche gilt von den geistvollen Aus führungen im Januarhefte der Deutschen Rundschau 1889 S. 106 von Sigmund Exner, Ueber allgemeine Denkfehler.
57 oder bei allen größeren Fragen der Politik, da kann von Gewißheit der
alles Ernstes nicht die Rede sein.
Beobachtung
Es giebt hier weniger
„richtige" und „unrichtige" Meinungen, als „mehr oder mirlder richtige" Nur Gott ist auch hier allwissend.
Meinungen.
So ist es auch im Geschäftsleben,
so im täglichen Verkehre.
Wir
werden von Anschauungen vorwärts getrieben, die wir andern nachsprechen müssen, weil wir sie nicht nachprüfen können.
Unsere schwache und oft
ermüdete Wahrnehmungskraft geht über einen kleinen Gesichtskreis nicht
hinaus.
Unsere Vorstudien sind beschränkt und durch Vergeßlichkeit durch
löchert.
So wandern wir alle in dem tiefen Thale des Irrthums dahin,
und
unser einziger Trost bleibt, daß nach Goethe derjenige, „den Gott
betrügt, gut betrogen ist70)". Lediglich deshalb,
bleiben,
weil die meisten unserer Irrthümer unaufgeklärt
vielleicht sogar mit menschlichen Kräften nicht aufgeklärt werden
können, wird uns unsere ganze und völlige Abhängigkeit vom Irrthume niemals im vollen Umfange bewußt.
Nur das Naturkind glaubt ernst
lich an die volle Zuverlässigkeit der Berichte, von denen es abhängt, so wie seiner Wahrnehmungen, ohne zu wissen oder zu erwägen, daß ihr
Inhalt von der Mangelhaftigkeit unserer geistigen Werkzeuge bedingt und getrübt wird;
nur dieses Naturkind
glaubt an die Vollständigkeit der
Vorkenntnisse, mit denen es seine Beobachtungen wagt.
Ihm wird viel
leicht auch der Grundgedanke des § 98 genügen, welcher davon ausgeht, daß in der Regel der Irrthum bei Geschäften keine Rolle spielt und nur
ausnahmsweise zu einem unerwünschten oder nicht völlig erwünschten Acte hintreibt.
Anders denkt derjenige, der sich des Bibelwortes erinnert, daß
unser Wissen Stückwerk ist, der mit Lessing nur nach der Wahrheit strebt, nicht aber glaubt, sie erwerben zu können, der mit Schiller annimmt, daß
keine sterbliche Hand den Schleier der Wahrheit hebt,
und der endlich
mit Goethe davon überzeugt ist, daß der Mensch irrt,
solang er strebt.
Aber
auch
wenn wir aus dem Reiche der Dichtung in das nüchterne
Börsengetümmel hineintreten und uns die Frage aufwersen:
„Wie viele von den hier abgeschlossenen Geschäften würden unterbleiben, wenn die Contrahenten vorher die ihnen unbekannten Curse aller andern Handels
plätze mit Sicherheit vor Augen hätten?"
so werden wir uns darüber
klar werden, was der § 98 bedeutet. Betrachtet man ihn unter der Lupe der Logik und übersetzt seinen Inhalt in das „Volksthümliche", so lautet er: „Keine Willenserklärung ist vor Nichtigkeit sicher." 70) Minder fromme Gemüther haben hieraus den Satz geformt: „Was Du auch thust, es wird Dich gereuen."
58 Dies wollen die Redactoren ganz gewiß nicht sagen; darüber lassen die „Motive" keinen Zweifel übrig.
wollen,
so kann der § 98
Allein eben weil sie es nicht sagen
nicht bestehen bleiben,
in welchem auch ihr
eigener Wille mit seiner Erklärung in Widerspruch gerathen ist.
Man wird sich auf § 102 berufen und behaupten, daß er den § 98
in heilsamer Weise einschränke.
Dies
führt uns zu dem Begriffe des „Beweggrundes" und damit
zur psychologischen Seite der Frage.
b) Prüfung des Entwurfs nach allen Gesehen menschlichen Handelns (psychologische Prüfung). § 7. Was von der Logik gesagt ist, gilt auch von der Psychologie.
Der
Gesetzgeber darf sie weder
überschätzen
schätzung würde vorliegen,
wenn er aus den Gesetzen menschlichen Han
delns seine Vorschriften
noch unterschätzen.
für dasselbe finden wollte,
Eine Ueber-
die sie ebenso wenig
ergeben können, wie die im Flusse entstehende Insel unserm Auge verräth,
nach welchen Grundsätzen der Jurist sie zu behandeln verpflichtet ist. Der soeben
gerügte Fehler ist zwar
Wissenschaft vermieden worden,
nicht
immer von der neueren
wohl aber von den Verfassern des 6nt=
wurfs ^). 71) Dieses Herauslesen von Rechtssätzen aus bloßen Thatbeständen ohne Prüfung der Frage, ob denn der Gesetzgeber oder die Gewohnheit Anlaß genommen haben, an diese Thatbestände Rechtsfolgen anzuknüpfen, gilt als naturrechtlich, aber es ist schlimmer als das, es ist willkürlich. Nach einer solchen Methode arbeitet auch Werthauer, Ueber den Einfluß des Irrthums auf Verträge. Breslau 1887. Dieser eignet sich ausdrücklich die Ergebnisse der Schrift des Verfassers an, welche auf Quellenauslegung beruhen (S. 83 ff.) Ihre Quellenmäßigkeit aber glaubt er unge prüft anzweifeln zu dürfen (S. 26 Anm. 1). Er sucht sie statt dessen aus psycho logischen Obersätzen abzuleiten. Wenn freilich geschichtliche Thatsachen aus den Quellen her erst einmal aufgedeckt sind, so ist es nicht allzu schwer, sie nachher aus aprioristischen Deductionen nochmals zu entdecken. Wenn die Ergebnisse der Jrrthumslehre des Verfassers in den Augen Werthauer's wirklich so brauchbar zu sein scheinen, daß er sie zum Reichsrechte erhoben zu sehen wünscht, dann muß W. auch zugeben, daß sie den Quellen entsprechen; denn eine vollständige Vertragslehre, welche zugleich brauchbar und in sich widerspruchslos ist, kann ein einzelner Mensch sich überhaupt nicht ausdenken; so etwas kann nur in einer vielhundertjährigen Praxis im Zwange der Lebensbedürfnisse entstehen. Der stillschweigende Vorwurf Werthauer's, daß des Vers. Ansicht nicht quellenmäßig ist, enthält somit ein überschwängliches Lob in sich, dessen Inhalt als völlig undenkbar zurückgewiesen werden muß.
59 Der entgegengesetzte Fehler aber, die Unterschätzung der Psychologie,
liegt darin,
daß man etwas
psychologisch Unmögliches sagt,
also einen
unausführbaren Rechtssatz aufstellt, wie dies in der That von der Wissen schaft in der Lehre von den „Beweggründen" geschehen ist72).73 74
Ob der Entwurf diesen Fehler vermieden hat, kann bezweifelt werden. Es wird alles davon abhängen, wie man den § 102 auslegt:
„Ein Irrthum in den Beweggründen ist, sofern nicht das Gesetz ein Anderes bestimmt, auf die Gülügkeit eines Rechtsgeschäftes ohne
Einfluß."
Nach der Meinung des Verfassers steht dieser Paragraph nach seinem Wortlaut nicht mit § 98 in Widerspruch.
Man hebt hervor (namentlich hat es der Verfasser selbst gethan72), daß der Irrthum nirgends anders liegen kann, als in den Beweggründen
der Erklärung,
daß also jede falsche Vorstellung, die zu einer Erklärung
treibt, auch ein irriger Beweggrund ist.
Das ist gewiß
über Person,
ganz
Gegenstand
unzweifelhaft
und
und
Geschäftsart.
gilt
auch bei Irrthümern
Auch
bei
ihnen
ist
der
Glaube, daß man das Erwünschte rede, während man in Wahrheit etwas
Unerwünschtes sagt, ein falscher Beweggrund der Erklärung7^). 72) Vgl. Leonhard, Göttingische gelehrte Anzeigen 1883 S. 185 ff. „Daß . . . ein Erfolg dann nicht gewünscht und auch nicht gewollt ist, wenn der Han delnde ohne eine falsche Vorstellung, welche ihn trieb, die Handlung unterlassen haben würde, und also ein jeder entscheidende irrige Beweggrund eines Contrahenten zur Folge hat, daß der Rechtserfolg der Erklärung von ihm nicht gewollt ist, ist die gemeine Ansicht des Lebens und ein unbestreitbares Theorem der exacten Philosophie. Die moderne Jurisprudenz bestreitet aber diesen Satz." Vgl. hierzu auch Dernburg, Pandekten I § 94.
73) Leonhard, der Irrthum rc. I S. 252 ff., vgl. hierzu auch Werthauer: Ueber den Einfluß des Irrthums auf Verträge. Breslau 1887 S. 15 und hierzu Lotmar (Krit. V.-J.-Schr. Bd. 31 S. 304 ff.), vgl. ferner Windscheid, Pandekten 6. Aufl. I § 76a und Graf Pininski a. a. O. II S. 480 ff., bes. S. 483 A. 1. Dernburg, Pandecten Bd. I §94, 2. Aufl. S. 216 besinnt „Vorgedanken, welche den Abschluß veranlassen, deren Verwirklichung aber für das Geschäft nicht essentiell ist, nennt man Bewegungsgründe oder Motive". Der Nichtjurist nennt aber auch die essentiellen Vorgedanken so.
74) Die meines Erachtens völlig unhaltbare Lehre des Irrthums in den bloßen Beweggründen findet sich freilich ihrem Wortlaute nach schon bei Savigny (System Bd. III S. 99 ff.) und auch im preußischen Landrechte § 145 ff. 14. Allein sowohl Savigny als auch das Landrecht verbanden mit ihr einen ganz andern Sinn, als ihr jetzt untergelegt wird. Dies ist ausgeführt bei Leonhard, der Irrthum Bd. II S. 543 ff.
60 Daraus
folgt aber keineswegs,
daß § 98 und 102 sich
wider
sprechen. Da nämlich § 102 ausdrücklich nur von solchen Beweggründen spricht,
von denen das Gesetz nichts Besonderes bestimmt75),76 so redet er auch nur von solchen Beweggründen, von denen der § 98 nichts anderes bestimmt;
denn auch der § 98 soll Gesetz werden.
Wir finden also im Entwürfe zwei Arten von Beweggründen: a) die Beweggründe, von denen § 98 spricht,
b) die Beweggründe, von denen § 98 nicht redet;
diejenigen des
§ 102.
Die ersteren sollen, wenn sie falsch sind, Nichtigkeitsgründe sein, die letzteren nicht.
Man könnte vielleicht zweifeln,
ob es denn im Hinblicke
auf die
weite Fassung des § 98 überhaupt noch falsche Beweggründe giebt, die
nicht unter sie fallen. Allein dieser Zweifel würde unberechtigt sein. Der § 98 spricht doch nur von solchen falschen Beweggründen,
die
eine „Nichtübereinstimmung von Willen und Erklärung" in sich schließen, d. h. zu einer unangenehmen Enttäuschung hintreiben.
Daneben giebt es aber auch ein „holdes Irren", Enttäuschungen (so, wenn die gekaufte Sache,
Meinung bloß vergoldet war,
d. h. angenehme
welche nach des Käufers
in Wahrheit golden ist)
oder wenigstens
gleichgültige Enttäuschungen (z. B. wenn eine falsche Sorte Wein statt der bestellten ankommt, die erstere jedoch dem Käufer ebenso genehm ist,
wie diese75), endlich auch Enttäuschungen von minderer Bedeutung, welche als daß er das Geschäft auflöst (so, wenn das antiquarisch gekaufte, vergriffene Buch Wasserflecken hat77). Dadurch, daß gewisse Eigenschaften zu den dicta promissa gehören, sind sie noch keines
der Käufer lieber trägt,
wegs Gültigkeitsbedingungen.
Alle diese irrigen Beweggründe, gültigen Enttäuschungen führen,
welche zu angenehmen oder gleich
fallen meines Erachtens unter § 102,
während die Quellen derjenigen Enttäuschungen, welche das Geschäft als
völlig unerwünscht erscheinen lassen, Nichtigkeitsgründe sein sollen. 75) Nach der Definition Dernburg's a. a. O. S. 216 würde der § 102 eine reine Tautologie enthalten. 76) Weitere Beispiele in Seuffert's Archiv Bd. III Nr. 165, 169. IV Nr. 20. 77) Vgl. auch Seuffert's Archiv Bd. XX Nr. 118, XXII Nr. 214.
61 In diesem Sinne ausgelegt, enthält der Entwurf keinen Verstoß wider die Beobachtungen der Psychologie. daß man bei dieser Auslegung nicht
Der Verfasser fürchtet nur,
stehen bleiben, sondern die ältere Theorie in den Entwurf hineintragen
wird.
Mag man immerhin die Protocolle des Entwurfs verheimlichen,
man wird damit doch nicht verhindern können, daß die Ausleger die Ge
danken der Wissenschaft, welche dem Entwürfe vorherging, in ihn hinein tragen, und noch weniger, daß man die „Motive" gegen den Gesetzestext in das Feld führen wird.
Dazu würde eine dringende Veranlassung sich bald ergeben.
Der
§ 98 giebt, wenn man ihn beim Worte nehmen will, den Parteien ein so weit gehendes Anfechtungsrecht wegen aller möglichen irrigen Voraus
setzungen (z. B. der Eigenschaften der Waare, des angeblichen Standes der Curse und dergl. mehr), daß man, falls der Entwurf Gesetz werden sollte, sich schleunigst nach der Möglichkeit umsehen wird, diesen § 98 thunlichst
einzuschränken^). Da wird man denn nach § 102 greifen und dem Wort laute des
Gesetzes
zuwider sagen, daß die irrigen Beweggründe des
§ 102 nicht neben denjenigen des § J98 stehen, sondern die letzteren ein schränken sollen, d. h. daß der § 98 nur gilt, soweit er nicht in § 102
widerrufen ist. Daß der Verfasser hier nicht etwa
eine überflüssige Befürchtung
ausspricht, ergiebt sich daraus, daß schon jetzt, noch ehe der Entwurf gilt, dieser Weg bei seiner Auslegung eingeschlagen roiri).78 79) Für ein
solches Verfahren
spricht auch die Erwägung,
daß der
§ 102, anders ausgelegt, überflüssig sein würde. Daß eine Thatsache unerheblich ist, „sofern nicht das Gesetz etwas anderes bestimmt", ist eine Binsenwahrheit.
Das
gilt von unrichtigen Beweggründen ebenso
wie von beliebigen Thatsachen, seien es nun Erdbeben oder Feuersbrünste
oder sonst irgend welche Ereignisse. Damit kommt man dann aber auf die Theorie zurück,
psychologische Unmöglichkeit in sich schließt,
welche eine
nämlich die Lehre, daß der
Mensch nur dann ein Geschäft nicht will, wenn er über den anordnenden Kem der Erklämng (über das,
aber,
was bestimmt werden soll), irrt, nicht
wenn er über die für ihn ausschlaggebenden thatsächlichen Vor-
78) Beispiele solcher frivolen Einreden finden sich in Seuffert's Archiv 11,20, IV, 28, XVI, 36, XXXVIII, 101. 79) Vgl. Hellmann a. a. O. S. 499, Meischeider, die alten Streitfragen gegenüber dem Entwürfe u. s. w., 1889, S. 24.
62 bedingungen
eines Geschäftswillens (Beweggründe im
sich täuscht.
Nach
dieser Lehre will ich
engeren Sinne)
zwar ein Haus
wenn ich es mit dem Nachbarhause verwechsle,
nicht haben,
aber ich will es sehr
wohl erwerben, wenn ich nicht weiß, daß sich in demselben Hause, von dem ich rede, ohne mein Wissen der Schwamm befindet, und es in Folge dessen für meine Zwecke völlig unbrauchbar ist.
Im ersten Falle ist der
falsche Beweggrund, daß das erwähnte Haus dasselbe ist, wünschte,
ein „Mangel der Absicht",
wie das ge
im zweiten ein „bloßer" falscher
Beweggrund. Wie diese Theorie, welche man dem Nichtjuristen niemals begreiflich machen wird, entstanden ist, ist klar.
Man wußte sich nicht anders mit
den Pandektenstellen zurecht zu finden, als wenn man sie annahm, und rief so
gewissermaßen zur Unterstützung
Privatleute zu Hülfe. Lehrbüchern
der Exegese den Willen der
Diese Privatleute müssen jetzt in den modernen
dasjenige wollen,
was nöthig ist, damit man das corpus
juris erklären kann. Noch
jetzt sieht sich der Verfasser bei aller Hochachtung vor den zu behaupten, daß der Inhalt nicht
Vertretern dieser Lehre genöthigt,
der Beobachtung des wirklichen lebendigen Menschen abgelauscht ist, dessen Seele diesen Unterschied zwischen „fehlender Absicht" und „sonstigen fehlenden Beweggründen" nicht kennt,
sondern einem Homunculus,
im Studierzimmer aus Bücherstaub und
der
Lampendunst herausgewachsen
ist und immer genau dasjenige will, was die Theorie von ihm verlangt.
Durch Einzelbeobachtung eines Gebildes der eigenen Phantasie soll hier eine Frage gelöst werden, die in Wahrheit nur auf Grund einer Massen
beobachtung lebendiger Menschen eine Antwort finden kann. Sollte diese Lehre im Gesetzbuchs einen unzweideutigen Ausdruck erlangen, so wird sich doch das Wesen der menschlichen Seele deshalb nicht ändern. Jetzt befinden sich die wirklichen Menschen, welche sich auf dem Markte des Lebens herumtummeln, von dem Wissensqualme der modernen juristischen Psychologie gänzlich unbeschwert, mit ihrem Empfinden und
Wollen nur im Widerspruche mit der Weisheit des
Katheders und der maßgebenden wissenschaftlichen Werke. die Schulweisheit zum Gesetzbuchsinhalte werden sollte,
Armen das Schicksal erdulden müssen, Gesetzbuch
ihres Vaterlandes
dessen Lösung ihnen
sich
in
Wenn aber
so werden die
in ihrem Seelenleben mit dem einem Widerspruche zu befinden,
bei aller Loyalität durch
die Natur des mensch
lichen Geistes abgeschnitten sein würde. Sie werden sich hoffentlich dadurch in ihrer Unternehmungslust nicht
63 beeinträchtigen lassen.
Niemals aber werden sie die Fähigkeit erlangen,
so zu denken und zu wollen,
wie es jener juristische Kunstmensch thut,
aus dessen Seele das Willensdogma seine Argumente entnimmt. III.
Durchführbarkeit des Entwurfs (praktische Prüfung).
a) Der Werth Les Entwurfs für Mt Rechtspflege (gerichtliche Orauchlmrkrit). § 8. Der Entwurf würde, wenn er Gültigkeit erlangen sollte, an einer
Undurchführbarkeit nicht scheitern.^)
Unsere Rechtspfleger haben eine so
vortreffliche Vorbildung, daß sie mit jedem, auch dem unvollkommensten Gesetzbuche fertig werden würden.
So würde sich denn auch der Most
der besprochenen Paragraphen in den Köpfen unserer Richter schließlich
doch zu einem genießbaren Wein abklären.
Der Entwurf verweist den Richter auf eine Fiction, die nicht ohne Vorbild in den Quellen ist.
Bei der Urtheilsfällung soll die Frage beantwortet werden, ob der Irrende bei Kenntniß der Sachlage die würde.
Erklärung abgegeben
In der Regel wird man dies nicht wissen können.
haben
Weder der
Richter kann es ermitteln, noch die Zeugen, vielleicht am wenigsten der Irrende selbst.
Wer wäre wohl ein so
Gebots der Selbstkenntniß,
nachträglich
treuer Diener des delphischen
daß er die Bedeutung seiner Beweggründe
richtig beurtheilen könnte? Gewöhnlich
schieben die Leute
ihren Handlungen postnumerando weit edlere Ziele unter, als sie sie wirklich hatten. Sie glauben aus Liebe wohlthätig gewesen zu sein, während sie der Eitelkeit fröhnten, sie glauben für das Gemeinwohl oder die Wahrheit gekämpft zu haben, während sie der Rachsucht nach gaben, sie glauben gerecht gewesen zu sein, wo sie nur grausam waren. Wer lann also wohl mit Bestimmtheit behaupten, daß er eine gewisse
Handlung begangen oder unterlassen haben würde, wenn er dies oder jenes gewußt hätte? So greift z. B. manche lebenslustige Studenten
gesellschaft
gern nach
einer falschen Zeitungsnotiz über einen bevor
stehenden Gedenktag, um für diesen die Mittel zu einem Zechgelage zu bestellen.
Ohne den Irrthum würden sie vielleicht für denselben Tag
eine andere causa bibendi
gefunden haben, vielleicht auch nicht.
Sie
können das selbst später nicht wissen. 80) So richtig Meischeider, die alten Streitfragen, Berlin,Guttentag, 1889, S. 22.
64 Mit einem Worte: Der Richter soll nach einer völlig räthselhaften, unergründlichen Größe urtheilen,
würde,
wenn irgend
nach demjenigen,
was geschehen sein
ein Umstand anders gewesen wäre,
nach einer Größe, deren Ergründung
als er war,
alle diejenigen grundsätzlich ver
meiden, die sich um das Vergangene nicht viel bekümmern, Denkbarkeit von
allen Anhängern der Prädestinationslehre
schiedenheit verneint werden wird.
und deren mit
Ent
Auch mit dieser Lehre setzt sich der
Entwurf in einen stillschweigenden Widerspruch. Wie wird sich der Richter nun hierzu stellen? Er wird natürlich
die unfaßbare Größe fingiren; denn das ist ihm nun einmal anbefohlen. Da er aber hierbei freie Hand hat, so wird er in der Regel diese ihm über
lassene Willkür zum Besten des Gemeinwohls ausüben und thatsächlich die richtige Lehre anwenden, instinctiv
von welcher der Verfasser glaubt,
auch denjenigen vorschwebt,
streiten, d. h. er wird
daß sie
welche sie mit Lebhaftigkeit be
sich im Zweifel an das Verkehrsübliche
halten.
Dies ist ja auch eine schwer erkennbare Größe, aber sie liegt doch wenig stens außerhalb des richterlichen Beliebens.
Da, wo also ein Irrthum
so beschaffen ist, daß seine Hervorkehrung als Nichtigkeitsgrund verkehrs
üblich erscheint, da wird man annehmen, daß die Abwesenheit eines Irr thums diesen
concreten Menschen von dieser concreten Erklärung abge
halten haben würde.
Wo das Gegentheil der Fall ist, wird man das
Gegentheil annehmen und Alles zum Besten kehren. So wird der verständige Richter handeln. Wird wohl auch andere Richter geben,
es
aber nicht
daß sich etwas unter sobald der Gesetzgeber be
welche glauben,
allen Umständen wirklich finden lassen muß,
fiehlt, es zu suchen, und welche dem Wanderer vergleichbar, der nach einem utopischen Lande späht, mit rastloser Qual nach der in der Wirk
lichkeit nicht auffindbaren,
aber im Gesetze
erwähnten Größe forschen
werden? Stellen wir uns einen grübelnden Rechtspfleger vor, welcher im
Jahre 1899 darüber nachsinnt, was der Herr Maurermeister Friedrich Jrrgang in Berlin am 7. April 1893 Nachmittags 5y2 Uhr nach der in seinem Vorleben bethätigten Denkart gewollt haben würde, wenn er
damals gewußt hätte, daß der von ihm angenommene Geselle schon zwei Mal vorbestraft war.
welche sich
Wird es nicht aber vielleicht auch Anwälte geben,
diese herrlichste Gelegenheit zu dialektischer Akrobatik nicht
entgehen lassen werden und in unserer Zeit, welche namentlich in Frank reich und Rußland in der Kunst des psychologischen Romans die außer
ordentlichsten Vorbilder bietet, nicht darauf werden verzichten wollen, auch in den Jrrthumsprocessen über den Seelenzustand des Klägers oder des
65 Verklagten,
wie er
bei einem Vertragsschlusse
war oder
gewesen sein
würde, die scharfsinnigsten und beredtesten Schilderungen vom Stapel zu förmlich hypnotisirten Richter schließlich ihren
um dem hierdurch
lassen,
Antrag zu suggeriren?
Ob derartige Dinge möglich und also zu befürchten sind,
dies soll
unbeantwortet bleiben aus Achtung vor den Mitgliedern der hohen Ver sammlung, zu welcher dieses Gutachten spricht. Eins kann der Verfasser aber hier nicht unerwähnt lassen, nämlich
die verwirrende Kraft, welche das Willensdogma weit über die Irrthums frage
hinaus
der gesummten Vertragslehre
einflößt.
Sie zu
schildern
war der Hauptzweck der Schrift des Verfassers (Der Irrthum bei nich
tigen Verträgen), und er müßte sich wiederholen, wenn er seine Gedanken reihen hier nochmals vorführen wollte.
Nur in einer Hinsicht möchte er seine Schrift ergänzen: durch einen
auf die
Hinblick
ältere
gemeinrechtliche
Praxis.
Daß
früher
er ihn
unterlassen hat, ist ihm zum Vorwurfe gemacht worden. 8')
Wenn dies eine Unterlassungssünde war, so ist sie nicht ungesühnt geblieben;
denn durch sie ist
des Verfassers Lehre ihrer kräftigsten Be
weismittel verlustig gegangen.
Die
gemeinrechtliche Praxis
die Jrrthumsfrage
überall
erweckt den Gesammteindruck,
als Auslegungsfrage
behandelt,
daß sie
und
selbst
dort, wo sie die Redeweise einer unhaltbaren Theorie benutzt, sich doch des
rechten Weges
wohl bewußt
ist.
Wir finden sogar Aussprüche,
welche auf den richtigen Grundgedanken der Jrrthumslehre geradezu hin
deuten. So sagt das Obertribunal von Stuttgart in dem Urtheil vom 28. Juni 1853 (Seuffert's Archiv Bd. VII Nr. 19): „Wo es in Folge der Einwirkung des'Irrthums an einer wirklichen Willenserklärung fehlt, da besteht überhaupt kein Vertrag", legt also das Gewicht auf die fehlende erkennbare Anordnung, nicht auf die fehlende Absicht. Das Urtheil
des O.A.G. von Rostock (Seuffert's Archiv Bd. XVII Nr. 249) vom 10. October 1860 bezeichnet geradezu den Irrthum, welcher einen Nichtig
keitsgrund bildet, als eine „stillschweigende Bedingung des Eheconsenses", (d. h.
also der die Geschäftsgültigkeit
anordnenden
Aeußerung).
Am
81) So von Rassow in seiner Recension: Beiträge 1883, S. 762. Der Grund davon, daß der Verf. sich in seiner Schrift auf eine Erörterung der Urtheile des Reichsoberhandelsgerichts beschränkt, war lediglich das Bestreben, seiner Arbeit Grenzen zu stecken. Er erinnerte sich damals des bekannten Ausspruchs Göthe's, daß Bücher niemals fertig werden und daher für fertig erklärt werden müssen. Verhandlg. d. XX. A. T. Bd. BI. 5
66 deutlichsten wird die Erklärungstheorie verfochten in einem Urtheile des
Ober-Appellationsgerichts von Dresden aus dem Jahre 1854 (Seuff. Hier nimmt die dritte Instanz Veranlassung,
VIII, 26).
die
in die Bande des Willensdogmas verstrickt hatte,
welche sich
zweite,
über die
Unrichtigkeit dieser Lehre gründlich aufzuklären. Genau
dieselbe
Aufgabe,
die
Folgerungen
des
in die zweite Instanz eingedrängt hatten,
welche sich
fortzuräumen,
Willensdogmas,
in dritter wieder
löste das Oberapp ellaüonsgericht Berlin am 30. October
1873 (Seuffert's Archiv, Bd. XXIX Nr. 215).
In seinen Gründen
sagt es:
„Im Rechtsverkehr kann der innere Wille nur Bedeutung ge
winnen durch die Zeichen, mit denen er sich zu erkennen giebt, und
es
beruht alle Rechtsordnung gerade auf der Zuverlässigkeit der
Zeichen, wodurch treten können.
Menschen
allein in
lebendige Wechselwirkung
Daher kann die Nichtübereinstimmung des innern
Willens mit einer klaren und unzweideutigen Willenserklärung nur
dann störend auf das Zustandekommen eines Rechtsgeschäfts ein
wirken, wenn sie dem, mit welchem contrahirt wird, erkennbar ge worden ist."
Daß die Eigenschaft eines Umstandes, Gültigkeitsbedingung des Ge
schäfts zu sein, nicht nach dem inneren Willen des Vertragschließenden, sondern „nach dem Vertrage" bestimmt werden muß, ist in dem Urtheile
des Reichsoberhandelsgerichts in Leipzig vom 26. September 1873 aus gesprochen worden (Seuffert's Archiv Bd. XXX Nr. 218).
Auch in dem Urtheile des Berliner Obertribunals vom 15. No vember 1877 (Seuffert Bd. XXXIV Nr. 189) wird das Willensdogma
verworfen. Auch sonst werden eine Reihe von Irrthümern als unbeachtlich zu rückgewiesen, denen die Eigenschaft, Nichtigkeitsgrund zu sein, nicht in er
kennbarer Weise beigelegt war (vgl. z. B. das Urtheil des O.A.G. von Jena vom 20. Juni 1856, Urtheil des
Beilegung
Reichsgerichts,
erfolgt
ist,
Seuffert,
Archiv Bd. XIII,
Entsch. Bd. IV S. 121).
Ob
Nr. 142;
eine solche
darüber entscheidet nicht die innere Absicht des
Irrenden, sondern der Inhalt der „Hamburger Waarenpreislisten", also die Verkehrssitte (vgl. Urtheil des O.A.G. Lübeck vom 20. Nov. 1847,
Seuffert's Archiv Bd. II Nr. 20). Insbesondere hat das Urtheil des O.A.G. Lübeck vom 23. Mai 1850 den Satz festgestellt, daß Jemand eine Verpflichtung in einem ihm
unbekannten Umfange unbedingt auf sich nehmen kann, was von Seiten
67 auf Grund des Willensdogmas bestritten worden ist,82)
Windscheid's
obwohl ein solches Vorkommniß
scheinung bildet.
Ebenso
eine in der Praxis sehr häufige Er
entschied das
Obertribunal zu Berlin am
10. September 1868 (Seuff. Arch. Bd. XXV Nr. 227). Der gleiche Grundsatz ist ferner vom Ober-Appellations-Gericht zu München am 17. März 1870 (Seuffert's Arch. XXIX, 84) anerkannt
worden,
ebenso
in dem Urtheile des
Ober-Appellations-Gerichts zu
Berlin vom 26. Januar 1874 (Seuffert's Arch. Bd. XXIX Nr. 229), desgleichen in demjenigen des Obertribunals von Stuttgart vom 26. Sep
tember 1874 (Seuffert's Archiv Bd. XXXI Nr. 109).83) Dagegen hat allerdings die erwähnte Ansicht Windscheid's, welche
diesen Urtheilen widerspricht, in einem Erkenntniß des Ober-Landesgerichts zu Stuttgart vom 17. December 1881 (Seuff. Arch. Bd. XXXVII Nr. 288) Anerkennung gefunden, ein Beweis dafür, daß in allerneuester Zeit das
Willensdogma
sich
auch die Praxis zu unterwerfen beginnt; (vgl. auch
das im Endergebniß richtige, aber in den Entscheidungsgründen nicht be friedigende Urtheil des O.L.G. Bd. XXXVIII Nr. 207).
zu Darmstadt in Seuffert's Archiv,
Eine grundsätzliche Entscheidung der Hauptfrage
wird ausdrücklich vermieden in den Gründen des Urtheils des Reichs gerichts vom 14. Febr. 1883 ebendas. Bd. XXXIX Nr. 228.
Eine entschiedene Stellungnahme in dem Streite zwischen dem Willensdogma und der Erklärungstheorie hat der Verfasser überhaupt in
den Entscheidungen des Reichsgerichts nicht finden können. Andererseits liegen diejenigen Fälle, in welchen die Praxis in einem Irrthume einen Nichtigkeitsgrund anerkannt hat, in der Regel so, daß der Wille des Irrenden, die Abwesenheit des Irrthums als unerläßliche Gültigkeitsbedingung betrachtet zu sehen,
nach allgemeinen Auslegungs
grundsätzen in der Erklärung des Irrenden gefunden werden mußte.84) 82) Archiv f. civ. Pr. Bd. 63 S. 93. Vgl. auch Zitelmann, dogm. Jahrb. Bd. 16 S. 398, 399, 400, und dagegen Leonhard, Der Irrthum, Bd. I. S. 151 und hierüber Förster-Eccius, Theorie und Praxis, 5. Aufl., Berlin 1887, Bd. I. § 30 Anm. 3; jetzt auch Windscheid, Pand., 6. Aufl., § 73, 3, S. 225. 83) Vgl. auch das R.O.H.G. in Seuffert's Archiv Bd. XXXIV Nr. 298. 84) Vgl. die Urtheile des O.T. zu Stuttgart vom 9. Juni 1841 (Seuffert's Archiv Bd. III Nr. 323), desselben Gerichtshofes vom 9. März 1852 (Seuff. Bd. V Nr. 271) sowie vom 17. October 1860 (Seuff. Archiv XIV, Nr. 47), des OberAppellations-Gerichts zu Kiel vom 15. December 1858 (Seuff. Arch. XV, Nr. 12), des Ober-Appellations-Gerichts Jena vom 11. December 1835 (Seuff. Arch. XVI, 33), des Ober-Appellations-Gerichts Cassel vom Jahre 1862 (Seuff. Arch. XVII, 22), des O.A.G. Celle vom 30. März 1860 (Seuff. XVIII, Nr. 224), das Urtheil vom
68 Eine Herrschaft des Willensdogmas in der Praxis läßt sich also nicht
behaupten. Daß dabei die unhaltbaren Lehren der Theorie auch in der Praxis nicht ohne nachtheiligen Einfluß waren, soll nicht bestritten werden. wird hierbei zunächst von solchen Urtheilen abgesehen, dige Mittheilung es
unmöglich
vox ambigua voraussetzt.)
zu verstehen.
macht, ihre Begründung
(So Seuff. Archiv III Nr. 157, XVI 34, welches
Es
deren unvollstän letztere wohl eine
Vielmehr soll nur hervorgehoben werden, daß
theils die Gewohnheit, bei jeder Jrrthumsfrage zu dem werthlosen Schul
register der errores in persona, re, negotio, substantia zu greifen, zur Folge hatte, daß ganz einfache und übrigens richtige Urtheile mit einem Auf wande von Tiefsinn begründet sind, wurde,
(vgl.
welcher durchaus umsonst verthan
das Urtheil des O.A.G. Cassel vom 14. Februar 1861
XVI 36 und des Reichsgerichts, Entsch. Bd. 19 Nr. 50 S. 264), theils
auch die Freude am Schema wahre Mißgriffe erzeugt hat; so z. B. eine ganz handgreifliche Verwechselung der zur Gültigkeitsbedingung des Ge
schäfts nach
gemachten Eigenschaften mit den dicta promissa, der
Abrede
nicht
Schadensersatzpflicht nach
eine
Geschäftsnichtigkeit,
sich ziehen soll.
deren Fehlen
sondern
eine
bloße
Diese Erscheinung zeigt sich
in den übrigens sachlich richtigen Urtheilen des O.A.G. zu Lübeck vom 24. December 1840
(Seuff. X Nr. 147)
und
des
O.A.G.
zu Kiel
vom 25. Januar 1845 (Seuff. VI Nr. 185).
Wirklich falsche Urtheile, die geradezu auf dem Boden des Willens dogmas stehen,
gehören zu den größten Seltenheiten.
Dahin sind die
beiden oben erwähnten Urtheile zweiter Instanz zu zählen, welche schließlich
noch in zwölfter Stunde in Dresden und Berlin verhindert wurden,
schädlich zu werden: Seuff. Arch. VIII Nr. 26, XXIX Nr. 215 und das bekannte von Bähr in den dogmatischen Jahrbüchern^) gerügte Urtheil, erwähnte Stuttgarter Urtheil vom 17. December 1881, welches sich auf die blindlings unterschriebenen Urkunden bezieht^).
vor Allem aber das
Auf die Praxis rückblickend sehen wir,
daß Lehren,
welche in der
Wissenschaft als verwerflich gelten, in der Praxis herrschen können, ohne Oetober 1869 in Seuffert's Archiv Bd. 24, Nr. 230, das Urtheil des O.A.G. Berlin vom 24. Nov. 1873 (Seuff. Bd. 29 Nr. 118), das Urtheil des obersten Landesgerichts für Bayern vom 28. Februar 1881 (Seuff. Bd. 36 Nr. 257). Hierher gehören auch die Urtheile des Reichsgerichts Entsch. Bd. IV Nr. 95 S. 345, Bd. VI Nr. 79 S. 290, Bd. VII Nr. 26 S. 78, Bd. VIII Nr. 76 S. 297.
85) Bd. 14 S. 418. 86) Vgl. Seuff. Archiv Bd. 37 Nr. 288.
69 daß einer der beiden Theile auch nur das Bedürfniß fühlt, diesen Zwie spalt auszugleichen.
Wir sehen
aber,
daß in solchem Falle Praktiker,
sobald sie zu Gesetzgebungsaufgaben berufen werden, keineswegs dagegen
geschützt sind, in das Schlepptau einer Lehre zu gerathen,
welche ihren
eigenen Berufsgewöhnungen widerspricht. Die Kunst, allgemeine Grundsätze anzuwenden, und die, sie in richtige Wortformeln einzukleiden, sind eben
zweierlei. Daß es
gerade Praktiker waren, welche
als Gesetzbuchs-Verfasser
dem Willensdogma die vollste Anerkennung verschafften, erhöht allerdings
die Bedeutung
des
Erfolges,
welcher den Verfechtern dieser Lehre zu
Theil wurde.
Dabei können wir jedoch die Frage, ob diese Verfasser der Denkart
ihrer Berufsgenossen hiermit durchaus entsprochen haben, nicht eher beant worten,
bis wir die Stimmen
geprüft haben, welche aus der Praxis
heraus sich bisher über die allgemeine Jrrthumslehre des Entwurfs haben
vernehmen lassen.
Dem Verfasser liegen die Urtheile eines Reichsgerichtsraths und dreier Anwälte vor Augen.
Meischeider,
eines Bürgerlichen
alten
Die
Streitfragen
gegenüber dem Entwürfe
Gesetzbuches für das Deutsche
Reich,
Berlin
und
Leipzig. Guttentag (Collin) 1889, S. 22, sagt von der Anschauung, auf welche sich die §§ 98 und 102 stützen: „daß sie dem praktischen Bedürfnisse und den Anforderungen
der Billigkeit entspricht, darf mit Grund bezweifelt werden". (Dies wird durch Beispiele belegt.)
Vgl. sodann S. 24: „Wird also in den Entwurf selbst eine der in den Motiven (I, 199) vertretenen Auffassung entsprechende Rechtsnorm, mit welcher die Aus
schließung des
in Eigenschaften der Sache aus dem Bereiche
des Irrthums
wesentlichen Irrthums
zum Ausdruck
gelangt, nicht ausgenommen,
so bleibt die Streitfrage unentschieden."
S. 99 heißt es von der Jrrthumslehre, daß der Entwurf in ihr
„neues Recht aufstellt und damit experimentiren will". Auch in der Lehre von der Vertragschließung stellt er fest (S. 19), daß durch den Entwurf „das jetzt in Geltung befindliche Willensdogma große Einbuße erleidet". „Die in Rede stehenden Sätze sind nicht die einzigen im Entwurf
enthaltenen,
welche der
machen müssen."
Auftechterhaltung
des Dogmas Schwierigkeiten
70 Auf diese Bemerkungen legt der Verfasser um so größeres Gewicht,
als sie allem Anscheine nach von seinen eigenen Ausführungen wider das Willensdogma gänzlich unbeeinflußt sind.
Hellmann,
den Gutachten
in
über die erste
des Anwaltstandes
Lesung u. s. w. Heft 7 bemerkt S. 499 zu § 98:
„daß alle die alten Zweifel über die Frage, wann man sagen
könne,
daß eine andere Sache oder eine andere Person gewollt
war als die erklärte, von Neuem sich erheben müssen, wenn es bei der Fassung des zweiten Satzes verbleibt", und fernerhin: „Freilich
der
sich
läßt
einer
Versuch
die Schwierigkeit
Abhülfe
nicht verkennen,
Allein
bereitet.
daß
diese
welche
Abhülfe
dringend geboten sei, darf noch weniger verkannt werden." Vor Allem aber ist beachtenswerth,
daß auch Hellmann zu § 77
dem Willensdogma die Heeresfolge aufkündigt.
Das Erforderniß,
„daß
die Vertragschließenden ihren übereinstimmenden Willen sich gegenseitig er
klären", scheint ihm verfehlt zu sein. Wenn man indessen unter dem Willen den Inhalt der erkennbar gewordenen Willensabbilder versteht, so ist gegen
das Erforderniß nichts einzuwenden. Daher denn auch der Verfasser dieses Gutachtens mit § 77 einverstanden ist.
üblich
gewordenen
Sprachgebrauchs
Hellmann aber, dem neuerdings
sieht
folgend,
in
dem Willen
die
innern Absichten und bemerkt in diesem Sinne zutreffender Weise:
„Solange
die
beiderseitigen Erklärungen nicht vollendet sind, kann
eine Uebereinstimmung der Willen nicht bestehen."
Darum schlägt er folgende Fassung des § 77 vor:
„Zur Schließung eines Vertrages wird erfordert, daß die von dem einen Vertragschließenden
an den
andern gerichtete Willens
erklärung von diesem angenommen wird."
Auch
gegen
diesen
Vorschlag
aus
nichts
einzuwenden,
Standpunkte
vermag
der
Verfasser von
seinem
wenn er auch diese Verbesserung
nicht für nothwendig hält. Endlich sollen zum ferneren Beweise dafür,
daß das Willensdogma
auch in der Praxis keineswegs unumschränkt herrscht, die überaus treffenden Worte von Reatz^) angeführt werden.
„Der Wille der Contrahenten ist nicht allmächtig. sehr
wichtiger
Factor
bei
der
Gestaltung
der
Er ist zwar eijt
Privatrechtsverhältnisse,
87) Gutachten aus dem Anwaltstande über die erste Lesung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs S. 170.
71 ist
allein er
fehlt
es
durch
den
nicht ausschließlich
überhaupt
an
maßgebend.
An unzähligen
einem individuellen Willen,
er
Stellen
wird
ergänzt
an unzähligen Stellen fehlt es
allgemeinen Verkehrswillen;
auch an diesem, und dieser, wie jener, wird ersetzt durch den Willen des
Gesetzes; an unzähligen Stellen aber wird der individuelle Wille geradezu
unterdrückt und
zur Ohnmacht verdammt, weil er sich mit dringenden
Anforderungen des
Interesses
öffentlichen
oder der Moral in Wider
spruch befindet, und diese Mächte in unserer Rechtsordnung vielfach stärker
sein müssen, als der Wille und die Interessen der Einzelnen." Während diese Ausführungen Reatz's allgemeiner Natur sind, richtet
sich Schilling (Aphorismen zu dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetz
buches für das Deutsche Reich. das
in
Köln 1888.
angenommene
Jrrthumslehre
der
S. 46 ff.) direct gegen
Willensdogma.
Es
heißt
daselbst: „Der Entwurf (§ 98) stellt sich
auf den sogenannten subjectiven
Standpunkt (Motive S. 198), d. h. er läßt nicht den objectiven Maß
stab der Bedeutung des Irrthums und der allgemeinen Schätzung gelten,
sondern stellt die Entscheidung auf die individuelle Schätzung des Irrenden.
Das
sicherheit
gewählten Maßstabes,
des
ist
grundverkehrt,
schon wegen der Un vor Allem aber,
weil die
Berücksichtigung solcher innerlichen Mängel einer äußerlich gültigen Rechts handlung, wie der Irrthum ist, eine Ausnahme von der im Sinne der ausgleichenden, die berechtigten Interessen aller Parteien gleichmäßig be rücksichtigenden Gerechtigkeit und Regel ist,
der Rechtssicherheit festzuhaltenden
daß die Willenserklärungen handlungsfähiger Per
sonen diese
insoweit binden,
als ihnen nicht
ein äußerlich
erkennbarer Mangel anklebt, und weil aus Billigkeitsgründen von
dieser Regel gemachte Ausnahmen besser eingeschränkt als
ausgedehnt
werden. Durch den ersten Satz des § 98, welcher sich principiell auf den sogenannten subjectiven Standpunkt stellt, verlieren die Auslegungs regeln des zweiten Satzes den praktischen Werth;
und wie durch diese
Verschwommenheit selbst die in § 102 sanctionirte Regel der Einfluß-
losigkeit des Irrthums in den Beweggründen in's Schwanken gerathen kann,
davon
überzeugt
man
sich,
wenn
hängende und kaum verständliche
man
Gerede
das
unzusammen
der Motive über
Irrthum in den Eigenschaften des Gegenstandes und Irrthum in den Beweggründen (S. 199) liest." Daß also der Hauptwiderspruch Kreisen der Praktiker
erschallt,
wider das Willensdogma aus den
kann nicht wunderbar erscheinen.
Sie
72 sind es, welche die Leiden werden beobachten müssen, die es im Verkehrs leben erzeugen muß, welche die Spitzfindigkeiten werden erdulden müssen,
durch welche es ihre Berufsarbeit zu erschweren droht.
und in der Universitätsvorlesung Die Praktiker würden
melden sich
auch wohl schon
Im Studirzimmer solche Uebel nicht.
freilich
früher und lebhafter gegen die
gefährliche Lehre protestirt haben, wenn sie geahnt hätten, daß sie bereits
so gewaltig um sich gegriffen hat und jetzt sogar die Gesetzgebung dazu
sie der Praxis aufzuzwingen.
treiben will,
So soll sich
denn jetzt ihre
Unterlassungssünde an ihnen rächen, sofern sie sich nicht etwa noch in der zwölften Stunde zu dem Rufe aufraffen: „Caveant consules ne quid detrimenti capiat respublica!“
b) Der Werth -es Entwurfs für die einzelnen Urchtsgenossen (Prüfung der DolKsthümlichKeit).
§ 9. Ein Gesetzgeber, strebt,
daß
der bewußt
er des Beifalls
strömung fortreißen läßt
nach Volksthümlichkeit in dem Sinne
wegen
das
Staatsschiff von
der
Tages
und von der Gunst derjenigen abhängig macht,
welche heute „Hosiannah!" und morgen „Kreuzige!" rufen,
würde keine
Billigung verdienen.
Nach dieser Richtung
muß man den Verfassern
des Entwurfs auf
richtiges Lob spenden. Nach dem Beifall der Masse haben sie sicherlich nicht gestrebt.
Die
Sprödigkeit ihrer Denk- und Redeweise erweckt vielmehr ihnen gegenüber
das Vertrauen, daß sie von keinem Mißgriffe weiter entfernt waren, als
von dem Streben,
das Gemeinwohl
den Vorurtheilen
der Menge zum
Opfer zu bringen.
So lobenswerth dies auch erscheint, so darf man doch auch hier den Bogen nicht allzu straff spannen. der strengsten Manneszucht
Wie in jedem Befehlsverhältnisse neben
eine wohlwollende Theilnahme
an dem Be
finden der Untergebenen nicht bloß ein Gebot der Klugheit, sondern auch der Menschlichkeit ist,
so sollte auch der Gesetzgeber,
neue Pflichten auflegen will,
in der Form
welcher dem Volke
seiner Befehle der Fassungs
kraft und der Denkart, ja sogar dem Wunsche derjenigen, welche sie auf nehmen sollen,
so viel wie möglich entgegenkommen.
diesen Gesichtspunkt gänzlich
vernachlässigt hat,
Daß der Entwurf
ist behauptet rootben88);
88) Vgl. namentlich Gierke, der Entwurf eines b. G.B. und das deutsche Recht, in Schmoller's Jahrbuch der Gesetzgebung u. s. ro. N. F. XIV, Heft 3 u. 4
73 dürfte der Vorwurf,
doch
Volksthümlichkeit fehlt,
den Grundgedanken
daß
des Entwurfs
nur bei einzelnen Theilen des Werkes
die
berechtigt
sein; und zwar ganz besonders da, wo das „Willensdogma" Anerkennung gefunden hat.
Sollte wirklich unser Juristenstand keit
eines Geschäftes aus
der
hierdurch
bereits den Glauben daran ver
eine erregte Hoffnung auf die Gültig
daß es Unrecht ist,
loren haben,
Gründen zu enttäuschen,
Verletzte nicht vorher
ahnen
unseres Volks ist er noch nicht erloschen. * *), achten 89
werden
wissenschaftlichen
als
bedrückend
Bildung
und
Urtheile,
empfunden.
seiner
unbeachtet
vox populi
eine vox Dei ist,
lassen.
—
der
in
Mehrzahl
welche ihn nicht be
Auf
Machtstellung
solches Empfinden vielleicht als Jurist übersehen, er es nicht
deren Bedeutsamkeit
konnte;
der
Höhe
kann
der
seiner Richter
als Mensch aber sollte
Daß in schwierigen Rechtsfragen die
soll damit
nicht behauptet werden;
wohl
aber, daß man sie nicht ohne Grund mißachten soll.
Mehr noch als die Möglichkeit, Geschäfte wegen einer Verwechslung anzufechten, deren Abwesenheit weder nach der Abrede, noch nach dem Ver kehrsüblichen Gültigkeitsbedingung des Geschäftes sein soll, wird ein anderer
Umstand den Gerechtigkeitssinn des Volkes verletzen. Es ist dies der behauptete
verwechslung
rechtliche Unterschied
und der Eigenschaftsverwechslung.
zwischen der Sach
Der Irrthum über die
Sache soll wesentlich, derjenige über Eigenschaften unwesentlich fein90). Das steht zwar nicht in dem Entwürfe, wohl aber in den Motiven (I. S. 199).
Diese sind zwar nur
was solche „Privatarbeit" bedeutet9').
eine Privatarbeit,
aber man weiß,
Schon jetzt wird der Entwurf aus
ihr in der Jrrthumslehre ergänzt92). Diese Behauptung, daß der Irrthum über Eigenschaften niemals die
Vertragsabsicht des Irrenden ausschließt, hält der Verfasser für eine der
unerfreulichsten Ausgeburten mann
ist
jener
der neueren Gelehrsamkeit.
unheimliche Homunculus,
Ihr Gewährs
den die Gelehrten
heraufbe-
und hierüber Zitelmann, Die Rechtsgeschäfte im Entwürfe. Berlin, Guttentag, 1889, S. 1 ff. 89) Vgl. z. B. das von Bähr (dogm. Jahrb. Bd. 14 S. 418) mit Recht ge rügte Urtheil, auch Seuffert's Archiv Bd. 37 Nr. 288. 90) Vgl. hierzu auch Pfersche, zur Lehre vom sog. error in substantia, Graz 1880, Bechmann, der Kauf, Bd. 2 S. 450 ff. 91) Vgl. die Bemerkung des Reichsgerichts-Senats-Präsidenten Dr. Drechsler in den Verhdl. des 17. Deutschen Juristentages S. 77. 92) Vgl. Meischeider a. a. O. S. 24.
74 schworen haben, damit er über den Inhalt des menschlichen Willens eine
Auskunft ertheile, welche mit den Ergebnissen der Beobachtung der echten,
lebendigen Menschen im vollsten Widersprüche steht.
Es war in Rom verkehrsüblich und ist es noch heute, daß bei ge
wissen fehlenden,
besonders wichtigen Eigenschaften das ganze Geschäft Daß dies dem Parteiwillen nicht entspricht, ist eine
nicht gelten sott93).
Behauptung,
deren Unrichtigkeit jeder durch Nachfragen in den Kreisen
der Verkehrtreibenden mit leichter Mühe feststellen kann.
Niemand kauft
an den Sachen etwas anderes als ihre Eigenschaften; für das „Ding an sich" zahlt kein vernünftiger Mensch auch nur einen Pfennig. Flasche Wein,
welche ich gekauft habe, Essig enthält,
Wenn die
so fällt eine zwar
nicht ausdrücklich gesetzte, aber verkehrsübliche Gültigkeitsbedingung der Ab
rede aus.
Ebenso, wenn die als goldene gekaufte Uhr bloß vergoldet ist,
und dergl. mehr94).95 96 * *
Wenn in allen solchen Fällen die irrenden Parteien sich mit dem bloßen Ansprüche
auf Schadensersatz wegen fehlender
und den ädilicischen Rechtsmitteln begnügen sollen,
dicta promissa dies viel
wird
so
leicht manches Mißvergnügen erregen. Dieser Uebelstand möchte freilich wohl noch am meisten zu ertragen sein.
Die Gründe,
toria sprechen,
welche für die kurze Verjährung der
ließen sich
actio redliibi-
vielleicht durch Verallgemeinerung
Nichtigkeitsklagen wegen Irrthums anwenden.
auf alle
Beweiserhebungen
über
Irrthümer verlieren in der That nur gar zu bald ihre Zuverlässigkeit.
Freilich kommen Eigenschaftsirrthümer nicht bloß bei Kaufgeschäften, son dern auch bei Pachtungen und anderen Verträgen in Frage.9i5)
Ein anderer viel größerer Nachtheil entspringt
aus
lichen Unterscheidung des Irrthums über eine Sache
der grundsätz
oder eine Person
von demjenigen über ihre Eigenschaften. Die Abgrenzung der Begriffe „Identität" und „Eigenschaft", sowie die Bestimmung des Begriffes „Eigenschaft"
gehört
zu
den
schwierigsten
Fragen
der
Erkenntniß
lehre.99) 93) Vgl. jetzt auch Graf Pininski a. a. O. Bd. II S. 511 ff. 94) Vgl. hierzu auch Werthauer, Ueber den Einfluß des Irrthums auf Ver träge. Breslau 1887, S. 63 ff. 95) Vgl. Seuffert, Archiv Bd. 16 Nr. 35. 96) Vgl. Leonhard, der Irrthum, Bd. II S. 438 A. 2, Zitelmann, Irr thum und Rechtsgeschäft S. 442, und hierzu (für Zitelmann) jetzt Graf Pininski, a. a. O. Bd. II S. 501, 502 Anm. 1, auch Werthauer a. a. O. S. 68. Entsch. des R.G. Bd. 20 S. 95.
75 Das kanonische Recht
hat sich nicht gescheut,
dem Volke
und
der
Rechtspflege eine solche Unterscheidung zuzumuthen, daher denn die Jrr-
thumslehre des Eherechts ohne sie nicht begriffen werden tarnt.97)98 Wollen wir uns nun aber wirklich im neuen Deutschen Reiche jene scholastischen Denker zum Vorbilde der Rechtspflege nehmen,
welche die
lebendige Welt „kaum durch die Fensterscheiben" zu betrachten pflegten?99)
Welche unsägliche Fülle von Spitzfindigkeiten würden wohl in den gerichtlichen Verhandlungen zu Tage treten, wenn es wirklich darauf an
käme, ob irgend ein Umstand, über welchen geirrt worden ist,
die bloße
Eigenschaft einer Sache ist, oder ihr Jdentitätsmerkmal. Würde sich dann nicht ein Sachwalter finden
kaufter Papiere gefallen sind,
lassen,
der,
sobald
z. B.
die Course
den Kauf mit der Behauptung
würde, daß die Eigenschaft, Coursschwankungen zu widerstehen,
ge
anfechten
für den
Käufer ein Jdentitätsmerkmal derjenigen Sachgattung gewesen wäre, welche er eigentlich hätte erwerben wollen? Dieses Beispiel läßt sich mit leichter Mühe verhundertfachen. 97) Vgl. Leonhard, der Irrthum Bd. II S. 413 ff. 98) Leonhard, der Irrthum, Vorwort S. XI, hatte bemerkt, daß die Grenz scheide zwischen dem Irrthume im „Geschäftswillen" und demjenigen im „Beweg gründe" „durch ein Labyrinth psychologischer Vorgänge" führt, „in welchem sich heimisch zu fühlen dem Durchschnitte der Juristenwelt niemals gelingen wird".
Witte (Das Wesen der Seele, Halle a. S., Pfeffer, 1888) bemerkt hiergegen, Vor wort S. XI: „Uns erscheint es denn doch, als ob ein juristischer Gelehrter weiter gehende philosophische Interessen als der Durchschnitt der Juristenwelt haben sollte." Witte hat offenbar die Seite 86 in des Verf. Schrift nicht gelesen, in welcher es heißt: „Nur um seine Auslassungen vor böswilligen Entstellungen zu schützen, be tont der Verfasser ausdrücklich, daß nach seiner Meinung eine gründliche philosophische Vorbildung die Voraussetzung auch der juristischen dogmatischen Thätigkeit ist." Daß ein für Juristen geschriebenes Werk von Seiten eines Philosophen die Ehre einer Beurtheilung erfahren soll, erwartet gewiß sein Verfasser nicht. Wenn ihm jedoch ein solcher Vorzug zu Theil wird, so darf er sich vielleicht dabei der Erwar tung hingeben, daß nicht Verwechselungen vorfallen, wie sie Witte in der oben angeführten Stelle zwischen den Vorarbeiten des Dogmatikers und der Fassung seiner für die Praxis bestimmten Sätze begangen hat. Die ersteren sollen sich über die Leistungen des Durchschnitts erheben (auch in philosophischer Hinsicht), die letz teren aber diesem Durchschnitte faßlich sein. Ferner darf wohl jeder Schriftsteller erwarten, daß ein philosophischer Kritiker, welcher sich berufen fühlt, Collegen einer anderen Facultät Zeugnisse über ihre Belesenheit auszustellen, nicht die Mühe scheue, wenigstens diejenigen Capitel des beurtheilten Buches, aus denen er einzelne Stellen zur Besprechung herausnimmt, gänzlich durchzulesen. Das entgegengesetzte Verfahren Witte's erklärt wenigstens, warum er eine vom Verf. ausgesprochene und ihm nicht zusagende Beurtheilung Hegel's auf einen Mangel an Belesenheit ihres Urhebers zurückzuführen zu müssen glaubt (a. a. O. Vorrede S. VIII").
76 Man halte nicht eine solche Befürchtung
für
nischen Rechts in der Jrrthumslehre
der menschliche
Scharfsinn
error personae
einen
aus
error
bei
kano
des
Dort
bei Eheschließungen.^).
dem
einer
die Ausgeburt
sondern blicke nur auf die Geschichte
parteilichen Phantasie,
Nichtigkeitsklagen
hat
zulässigen
in errorem personae redundans
qualitatis
gemacht und unter dem letzteren Irrthume schließlich alle möglichen und unmöglichen Fälle falscher Voraussetzungen in den Kreis der Nichtigkeits gründe hineingezogen. *10°) Man braucht keine Prophetengabe zu besitzen, um eine gleiche Ent
des Vermögensrechts
wickelung auf dem Gebiete sagen zu können,
für
den Fall vorher
daß der Irrthum in den Beweggründen auch
nur
in
den „Motiven" des Entwurfs grundsätzlich für gleichgiltig erklärt werden sollte.'oi)
Was
jedoch
in
den
Fällen
seltenen
wider
der Nichtigkeitsklagen
Eheschließungen verhältnißmäßig ungefährlich war, würde in den häufigen
ähnlichen Erscheinungen des Verkehrsrechtes unerträglich werden.
c) Der Werth -es Entwurfs für den Nrchtsunterricht (Prüfung der Lehrkraft). § io. Der Leser der Ueberschrift dieses Paragraphen daß ein Rechtslehrer
für unbescheiden halten,
licher Bestimmungen es wagt,
den
auch
in
wird
es
vielleicht
der Erörterung gesetz
besonderen Bedürfnissen seines
eigenen Berufs ein Plätzchen zur Besprechung zu gönnen. Hat man
daß gerade
es
doch
öffentlich
die Rechtslehrer
es
als an
einen Uebelstand
der
hervorgehoben,
erwünschten Anerkennung
des
Entwurfs haben fehlen lassen. Es mag in diesem Vorwurfe vielleicht etwas Richtiges liegen. ist am
unduldsamsten
hinsichtlich
derjenigen Fähigkeiten,
welche
Jeder
gerade
") Leonhard a. a. O. S. 416 ff. und die dort S. 417 Anm. 1 Citirten. 10°) Daß der Nichtbesitz von Zahlungsmitteln Eigenschaft einer Person ist, hat das Reichsgericht angenommen (E. Bd. 12 Nr. 22 S. 104); daß die Bebaubarkeit für einen bestimmten Preis eine Grundstückseigenschaft ist, dagegen verneint (E. Bd. 19 Nr. 50 S. 264). Den Begriff der Eigenschaft bestimmt es sehr weit im Bd. 20 der Entscheidungen S. 95. Nach des Vers. Meinung darf auf keinen Fall eine Proceß entscheidung davon abhängen, ob ein Anwalt im Stande ist, eine Thatsache als Eigenschaft einer Sache darzustellen, sonst wird jeder Recht behalten, der nur eine Zunge hat. Alle Dinge stehen in Wechselwirkung und lassen sich bei genügender dialektischer Gewandtheit als gegenseitige Eigenschaften darstellen. m) Vgl. hierzu auch Hinschius, Archiv f. civ. Pr. Bd. 74 S. 72.
77 Und so mag denn
er unausgesetzt übt.
an Leichtigkeit
der Mangel
in
der Ausdrucksweise auf dem Gebiete allgemeiner Rechtssätze, welcher aller
dings dem Entwürfe wehe gethan haben,
anhaftet,
welche in
derjenigen
am
meisten
der Kunst der Formgebung
sich
unaus
dem Empfinden
gesetzt in Wort und Schrift auszubilden genöthigt sind. Allein trotzdem beweist die Lebendigkeit der Proteste, welche gerade
aus diesen Kreisen hervorgegangen sind, die Uneigennützigkeit ihres Em Je unklarer und lückenhafter
pfindens.
ein Gesetzbuch
ist,
höher
desto
steigt der Werth und der Einfluß derjenigen, die dazu berufen sind, ein Verständniß zu vermitteln.
Wenn
gerade
Rolle begehren, als ihnen zugedacht ist,
sie
so
eine
minder
bedeutsame
nicht
wird man sie deshalb
tadeln dürfen. Hier soll es sich jedoch nicht um die Lehrer,
nenden handeln. gungen
des
In ihrem Gedeihen liegt eine
sondern
unseres Vaterlands.
innern Zusammenhaltes
um die Ler
wichtigsten Bedin
der
Die Grund
gedanken, in denen sie erzogen werden müssen — und dazu gehören die Gesetzestexte —, können in Klarheit, Zweckmäßigkeit und Verständlichkeit
gar nicht hoch genug stehen; denn die Hauptaufgabe des Rechtsunterrichts kann ohne das nicht gelöst werden.
Diese erblickt der Verfasser in einer
steten Steigerung der Liebe zum Rechte und
der Einsicht
meinnützigkeit, sowie der Freude an dem Gedanken,
in
seine Ge
durch seine Anwen
dung dem Gesammtwohle später dienen zu können. Darum strebt auch
der Nechtsunterricht
schon
jener fühllosen und formalistischen Behandlung welche eine Folge der ungeschichtlichen
früherer Jahrhunderte war. griffen. io2)
seit Decennien
der Rechtslehre
aus
hinaus,
unpraktischen Bücherweisheit
und
Dieses Streben
ist
in stetem Steigen
be
Darum muß ihm Alles fern gehalten werden, was wie ein
Reif in der Frühlingsnacht sein Emporblühen ertödten müßte.
Deshalb
sollten alle rein doctrinären, der Bücherweisheit entstammenden und dem Volksrechte
abgewandten
geschlossen werden,
Unterscheidungen
aus dessen Kenntniß
von
dem
aus
Gesetzbuche
ein Richterstand
herauswachsen
soll, der für das wahre Leben einen offenen und freien Blick besitzt.
Aus diesem Grunde läßt Alles, was bisher vom logischen wie vom
praktischen Standpunkte gegen die Jrrthumslehre
des Entwurfes
gesagt
wurde, auch vom pädagogischen ihre Abänderung als dringend wünschens-
werth erscheinen. 102) Vgl. hierzu Leonhard, Noch ein Wort über den juristischen Universitäts unterricht, Marburg 1886, § 8 S. 24 ff.
78 Daß nichts so sehr, wie das „Willensdogma", die Verständlichkeit
der Rechtslehre verdirbt, wird der Leser zunächst kaum glauben wollen.
Um es ganz zu begreifen, müßte er mit dem Verfasser vorerst
Jahre
lang gewissenhafter Weise die flache Lehre vorgetragen und mit ihm das
Gefühl der Erlösung empfunden haben, welches
ihm
zu Theil wurde,
als es ihm seine Ueberzeugung erlaubte, diese Fessel abzuschütteln.
Durch die ganze Pandektenlehre wird von stillschweigenden Abreden
gesprochen, welche in den Gesetzbüchern nicht stehen und nunmehr von den Vertretern des Willensdogmas aus der Seele des Vertragschließenden künstlich herausdemonstrirt werden,
Verkehrsgebrauche beruhen.
auf dem
während sie in Wahrheit
Was unzählige Menschen in
langer Zeit
allmählich geschaffen haben, das wird als Inhalt eines einzigen bewußten Willensacts
Einzelner dargestellt.
Fortwährend werden Behauptungen
über Gedanken der Parteien im Brusttöne der Ueberzeugung vorgetragen,
von denen man Tode.
genau so viel weiß,
wie von Herrn Schwerdtlein's
Ein Gläubiger hat für das nächste Halbjahr Zinsen angenommen
und damit für diese Zeit die Schuld gestundet.
er die
Ob
Stundung
bewußt gewollt hat, kann kein Mensch wissen; aber die herrschende Lehre
behauptet es ganz sicher, und dem Prüsungscandidaten, der daran zweifelt, werden seine Freunde anrathen, ein sacrificium intellectus darzubringen. Wie viel einfacher ist es,
wenn man sagt: jene
ist in jenem Falle verkehrsüblich.
wollt sein oder nicht.
Sie gilt also,
mag
Stundungspflicht
sie innerlich
ge
Genau so verhält es sich mit der Jrrthumslehre.
Nicht in den dunkeln Schacht der Menschenseele
brauchen
wir hinab
zusteigen, um nachzuforschen, welcher Irrthum Nichtigkeitsgrund sein soll.
Auf dem sonnenhellen Markte des Lebens vom Verkehrsgebrauche gesunden.
Rechtsbeflissene gern verweisen,
liegt die Antwort vor uns,
Dorthin
läßt
dort wird er sich
man ihn aber auf das Innere der Parteien
sich
der jugendliche
zurechtfinden.
verweist,
Wenn
um dort Dinge
zu finden, von denen selbst er recht wohl weiß, daß sie dort unauffindbar sind, so wird er an der Zuverlässigkeit der Rechtswissenschaft irre.
In
der Regel lesen ja die Juristen aus den Seelen der Parteien doch
nur
heraus, was der Verkehrsgebrauch früher bestimmt hat, kommen also auf dem falschen Wege doch zum richtigen Ziele.
Daß dies aber sich so ver
hält, ist immer für den Schüler und oft genug für den Lehrer selbst ein Berufsgeheimniß.
Wenn nun aber gar der Jünger in einer verzeihlichen
Begeisterung für den Meister auf dessen Worte schwört und alles Ernstes
glaubt, daß der unwissende Tagelöhner bei seinen Verträgen alle die schönen Bestimmungen bewußt will, welche das Pandektenheft ihn wollen
79
läßt,
so können sich in dem
Gläubigen Wahnvorstellungen entwickeln,
welche uns dahin treiben müßten, das Willensdogma schließlich auch noch
vom medicinischen Standpunkte zu kritisiren.
IV. Prüfung der Gemeinnützigkeit der Entwurfsbestimmungen (legislativ-politische Prüfung). a) Der volkswirthschaftttchr Standpunkt (nationalökonomische Prüfung). § H.
Ist eine Gesetzesbestimmung im Widerspruche mit den Lehren der
Geschichte, erweist sie sich überdies
so ist sie schon gerichtet.
als
undenkbar und
undurchführbar,
ihrer
Man braucht in der That nicht nach
Gemeinschädlichkeit besondere Nachfrage zu halten. Der Vollständigkeit wegen soll dieses dennoch geschehen.
Wir müssen
auch hier uns dem „Zwecke", dem „Schöpfer" und „Erklärer" des Rechts103)104
zuwenden. Wer die Gemeinnützigkeit eines Satzes prüfen will, kehrsleben aus der Vogelperspective betrachten.
muß das Ver
Die Leiden und Wünsche
des Einzelnen erscheinen ihm dann unbedeutend gegenüber den
Bedürf
nissen des großen ganzen Verkehrskörpers, und er fragt nur nach den mächtigen Strömungen, welche nicht bloß einzelne Fälle, sondern größere, immer wiederkehrende Gruppen von Fällen berühren *04). So fragen wir auch hier:
welcher aus Rücksicht Grundsätze des
auf den
„Welchen Einfluß
Einzelwillen
Verkehrsüblichen hinaus
als
wird
der Rechtssatz,
Irrthümer auch
über die
Nichtigkeitsgründe zuläßt,
auf den Verkehr ausüben?" Wir dürfen nicht vergessen, daß nicht bloß die Rechtssätze,
daneben auch die Gebote der Sittlichkeit und der Sitte der Menschen treibend einwirken.
sondern
auf die
Seele
Sollte also hier etwas Verkehrtes be
stimmt werden, so wird die Sitte des Geschästslebens einen Gegendruck
ausüben. kanntes
So ist z. B. die berüchtigte Ehe auf Probe, welche
Gesetzbuch zuließ,
niemals
vorgekommen.
In
ein
be
gleicher Weise
werden die Anschauungen des Verkehrs auch das „Willensdogma" vielfach unschädlich machen, wie sie es bis jetzt wohl da gethan haben,
wo
die
103) v. Jhering, der Zweck im Recht, 2. Ausl. S. 115, Der Besitzwille, Vor rede S. IX und S. 538 ff. Exner, der Begriff der höheren Gewalt, Wien 1883, S. 39. 104) Paulus 1. 6 dig. de legibus I, 3. To ydg ajra£ jj ut ait Theophrastus, 71 aqaßatvovöw 01 vofjbo&hai^
80 Rechtssprechung im Banne dieser Lehre stand.
Kaufleute, welche sich auf
culpose oder casuelle Mentalreservationen berufen,
laufen
Gefahr, das
jenige, was sie im einzelnen Falle durch die Hervorkehrung ihrer Hinter gedanken gewinnen, durch eine Schädigung ihres Credits wieder einzu wohl auch in Zukunft verhalten.
büßen, und so wird es sich
Man darf jedoch den psychologischen Druck,
welchen
solcher Nichtigkeitsgründe auszuüben im Stande sein wird,
nicht unter
Das Gesetz hat seine Hauptwirkungen außerhalb der Gerichts
schätzen.
stätte.
die Zulassung
Der Richter sieht nur die Processe;
er sieht nicht die Fälle,
denen der Bedrückte den Kampf um's Recht als er sieht auch nicht die andern Fälle,
in
aussichtslos unterläßt,
in denen aus Furcht vor hinter
listigen Einreden nützliche Geschäftsabschlüsse gänzlich unterbleiben.
Diese Furcht würde auch
heutzutage keineswegs unbegründet sein,
sobald erst einmal das „Willensdogma" gelten würde.
Auch in unserer
Zeit giebt es organisirte Meineidsbanden — der Verfasser hat selbst als Strafrichter eine solche mitabgeurtheilt —
sich über
„die Person,
und der Beweis, daß man
den Geschäftsgegenstand
geirrt habe", ist leicht durch falsche,
oder die
Geschäftsart
unwiderlegbare Zeugen zu führen.
Ja, selbst die Eideszuschiebung über einen solchen Irrthum bringt den jenigen, gegen den sie geschieht, juristischen
Leserkreise
wohl
in eine drückende Lage, nicht
erst
näher
welche
einem
auseinandergesetzt
zu
werden braucht. Daß das „Willensdogma" die Sorge vor hinterlistigen Einwendungen
erzeugt und dadurch den Verkehr lähmt, wird kein Kenner der wirklichen Lebensverhältnisse bestreiten. Von der Studirstube und vom Lehrstuhle aus betrachtet fechten allerdings nur solche Leute ihre Geschäfte wegen
Irrthums werden
an,
welche sich wirklich geirrt haben; im thatsächlichen Leben
aber in solchen Nichtigkeitsprocessen diejenigen die Hauptrolle
spielen, welche sich geirrt haben wollen, weil ihr Geschäft sich nachträglich als nicht vortheilhaft herausstellte.
Diese Leute begünstigt das Willens
dogma auf Kosten der gewissenhaften Menschen, welche am Vertragsinhalte festhalten.
Der Böse wird von ihm auf Kosten des Guten bevorzugt,
und der Verkehr dadurch gelähmt.
Jede Verkehrslähmung bedeutet aber für uns ein Unglück.
Blüthe des Handels für alle Völker zu
Ob die
allen Zeiten ein Vortheil ist,
darüber läßt sich streiten. Für uns ist sie zur Zeit, wenn nicht erwünscht,
so doch unentbehrlich.
Ein geldbedürftiger Staat darf seine Hauptsteuer
quelle nicht antasten lassen. Wir wissen, daß im byzantinischen Reiche eine andere Politik herrschte,
81 eine
welche
Geldverlegenheit
unausgesetzte
nach
Handelsgesetzbuch hat sie mit Erfolg bekämpft.
doch
ging
Strömung
sich
30g105).
Unser
Allein jene byzantinische
um das naturrechtliche
immer noch nicht so weit,
Willensdogma zu erzeugen. Wohl aber war es ihr Grundgedanke, dessen
dieses
Nachwirkung
Dogma
fortzeugend
Möge
gebar.
zukünftige
das
Reichsrecht sich das Handelsgesetzbuch zum Vorbilde nehmen! Zum Schlüsse (Busch's
möchte
der Verfasser
nach Englischem Rechte"
Vertragsschluß
für
Archiv
Theorie
die Lehre,
welche
der
Praxis
und
aufmerksam machen.
S. 317 ff.)
noch auf einen Aufsatz:
„Der
von Ernst Schuster in London des Handelsrechts,
Bd. 45,
Hier wird der Nachweis geführt,
Verfasser dieses Gutachtens
daß
in seiner oben oft
angeführten Schrift über den Irrthum gegen das Willensdogma verficht,
durchaus
dem
Übersetzung
englischen Rechte
entspricht,
namentlich auch,
daß
seine
consensus sich mit dem englischen „consent“ becft106).
von
Ohne sich der Anglomanie verdächtig machen zu wollen, möchte der
behaupten,
Verfasser
die Meinung
des
daß
in
der Frage,
was dem Verkehr Noth thut,
größten Handelsvolkes der Welt sogar unsern wissen
schaftlichen Autoritäten gegenüber in's Gewicht fällt.
schätzt,
daß hiernach sogar dasjenige Volk,
ist überaus beachtenswert^
Es
schon durch seine Orthographie beweist,
welches
dennoch
wie hoch es das „Jch“
dem Einzelnen die Rücksicht auf das Allgemeinwohl zu-
muthet, welche das Willensdogma ihm-ersparen will. Was
also in der Heimath der Manchester-Theorie zum Besten der
das sollte doch auch
Gesammtheit vom Einzelnen ertragen werden kann,
bei uns
im
Lande
der
allgemeinen
Wehrpflicht
nicht
als
eine
allzu
schwere Last betrachtet werden.
b) Rückwirkung auf das äußere Staatswohl (politische Prüfung). § 12.
Die
allgemeine
Rechtslehre
ist
ein Gemeingut
aller Rechtszweige.
Was sie enthält, gilt nicht bloß im Privatrechte, sondern auch im Staats
rechte und namentlich auch im Völkerrechte. Grundsätzen,
zu deren Anwendung
der
Nach denselben allgemeinen
zukünftige Richter und Anwalt
105) Vgl. v. Jhering, Der Kampf um's Recht. 9. Auflage. Wien 1889. S. 81 ff. Leonhard, Roms Vergangenheit und Deutschlands Recht. Leipzig 1889. § 54. i°6) Schuster a. a. O. S. 332. Dem Verf. des Gutachtens war dies vorher unbekannt. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. HI.
82 erzogen wird,
bildet auch der zukünftige Konsul und Gesandte seine
Rechtsanschauungen. Es kann daher im Hinblicke auf unsere auswärtigen Beziehungen nicht ganz gleichgültig sein, daß nach dem Entwürfe unsere Staatsvertreter in Grundsätzen der Vertragslehre erzogen werden sollen,
welche völker
rechtlich unhaltbar sind.
Daß sie es sind,
geht aus Aeußerungen hervor,
welche der größte
Kenner und einflußreichste Begründer völkerrechtlicher Beziehungen gethan
hat.
Fürst Bismarck hat sich
Fragen des
bei zwei hochwichtigen Gelegenheiten in
öffentlichen Rechts
ein
als
unumwundener
des
Gegner
„Willensdogmas" gezeigt107). Der Entwurf droht also
allgemeinen Lehre die
durch die unrichtige Behandlung
völkerrechtliche Tüchtigkeit
Staatsvertreter zu erschüttern. Sollte man aber etwa geneigt sein,
unserer
einer
auswärtigen
das Willensdogma für das
Völkerrecht zu verwerfen und nur für das Privatrecht anzuerkennen, würden wir in die eigenthümliche Lage kommen,
so
Ausländern gegenüber
durch Festhalten an der geschehenen Zusage eine Rücksicht erweisen zu müssen, welche uns im Verhältniß zu dem eigenen Landsmanne nicht obliegen würde;
ein
Verfahren,
welches
zu den
Grundsätzen
unserer
neueren Politik nicht recht passen dürfte. Bedenken wir ferner, daß es für die Ausländer angenehmer ist, mit solchen Kaufleuten Geschäfte abzuschließen, welche das Willensdogma ver werfen und an dem erkennbaren Sinne ihrer Abreden festhalten, als mit
solchen,
welche nach ihren Geschäftsabschlüssen mit unerwarteten Nichtig
keitsgründen aus dem Hinterhalte vorzurücken pflegen, bedenkt man ferner, daß die Engländer, wie wir sahen, zu den ersteren gehören, während
der Entwurf uns in die Schaaren der letzteren einreihen will, so wird man wohl auch
über den Einfluß,
den die bekämpfte Lehre auf den
Wettbewerb der Deutschen innerhalb des Weltmarkts haben muß, schwerlich
im' Zweifel sein können.
V.
Die ethische Seite der Frage (sittliche Prüfung). a) Der Grundsatz -er Zuverlässigkeit der Versprechen.
§ 13. Ueber dem Gemeinwohl des einzelnen Staates steht noch eine höhere 107) Hartmann hat hierauf aufmerksam gemacht. Bd. 72 S. 234, Bd. 73 S. 332 Anm. 15.
Vgl. Archiv f. civ. Pr.
83 Instanz, das Gebot des Gewissens.
Auch sie sei als eine letzte hier an
gerufen. 108) Die Gebote der Sittlichkeit sind bekanntlich vielfach eben so streitig,
wie diejenigen des Rechts.109) Von drei Seiten möchte der Verfasser, Frage nach
dem Grunde der Sittlichkeit
ohne
etwa die
bekannte
auch nur streifen zu wollen,
das Willensdogma in seinem ethischen Gehalte prüfen, vom Standpunkte
der geschichtlichen Ueberlieferung, des christlichen Gebots der Nächstenliebe und des kategorischen Imperativs.
Was zunächst die geschichtliche Ueberlieferung betrifft,
so wird uns
erzählt, daß Numa der Fides einen Tempel baute, und daß man in Rom annahm,
die rechte Hand,
welche den Handschlag ertheilt,
enthalte die
Göttin in sich, I10)
Die Römer rühmen sich, sie vor allen geachtet zu haben, und klagen
später darüber,
daß sie ihnen verloren gegangen ist.
diese Fides als die „dictorum conventorumque
Cicero bestimmt
constantia
et veritas“
und nennt sie „fundamentum justitiae“.1H)
Hiernach ist es nicht recht glaublich, gegangen sind,
daß sie von einer Lehre aus
welche auf die innern Hintergedanken das Schwergewicht
legt und den Vertrag nur dann gelten lassen will,
wenn
auch in dem
dunkeln Gebiete der Seele des Contrahenten alles in Ordnung ist. Daß die deutschen Anschauungen den römischen durchaus entsprechen, ergießt das Sprichwort: „Ein Mann, ein Wort." Allein auch das Gebot der Nächstenliebe, der Hauptkern des Christen
thums,
führt zu gleichem Ergebniß.
Als eine Morgenröthe der neuen
108) Von dieser Seite her hat die Vertragslehre besondere Anregungen er fahren durch die eigenartige Schrift von Schloßmann, der Vertrag, Leipzig 1876, besonders S. 287 ff. Diese will die Rechtssätze unmittelbar ohne Berücksichtigung der Geschichte auf die Sittlichkeitslehre gründen, vergleichbar einem Anwalt, der alle unteren Instanzen überspringt und sich sogleich unmittelbar an die höchste Stelle
wendet. 109) Die ethische Frage muß bei juristischen Erörterungen von der logischen und psychologischen getrennt werden. Die Gesetze der beiden letzteren Wissenszweige kann ein Gesetzgeber nicht mit practischem Erfolge verletzen, selbst wenn er es will. Die ethischen Gesetze dagegen soll er gleichfalls nicht verletzen, aber er kann
es thun.
no) Livius I, 21. Plinius h. n. XI 55. lir) Cic. de off. I, 8, 23.
84 bei den heidnischen
Weltreligion finden wir seine Anerkennung schon römischen Juristen.112) So sagt Ulpian: „Verletze Keinen!"
Durch nichts aber kann man
seine Mitmenschen tiefer und schmerzlicher verletzen, als durch Enttäu schungen,
welche man ihnen bereitet.
Wer etwas verspricht,
der Empfänger seines Worts sich darauf verlasse.
lich in dessen Innerem eine Hoffnung.
will, daß
Er erzeugt also wissent
Diese verwächst, falls es sich um
eine bedeutende Sache handelt, mit seinen wichtigsten Plänen unter Um
ständen so sehr,
daß ihre Erfüllung zu einer Bedingung seiner Lebens
freudigkeit wird.
Nun, nachdem sein Herz von Hoffnung erfüllt ist, führt
der Versprechende einen beinahe tödtlichen Streich,
wenn er es an der
schwächsten Stelle durch seine Wortbrüchigkeit trifft.
Daß eine so schäd
liche Handlung nicht nur geduldet,
den soll,
sondern vom Staate unterstützt wer
sogar in Fällen, in welchen eine Schuld des Verletzenden vor
liegt, will dem Verfasser nicht recht in den Kopf.
Für ihn bedeutet der
Satz: „Verletze Keinen!" auch „Enttäusche Keinen!"
Die Anhänger des
Willensdogmas werden darin vielleicht eine übertriebene,
sichtnahme auf das Wohl der Mitmenschen sehen.
sinnlose Rück
Vielleicht ist es auch
nur eine hypochondrische Grille, eine krankhafte Sentimentalität, an welcher der Verfasser leidet. Gleichviel. Jedenfalls kann er diese Empfin dungsweise nicht in sich vertilgen und, wenn man ihn um seine Meinung über die Jrrthumslehre fragt, nicht einmal verschweigen.
Man hat wider ihn hervorgehoben, daß man ebenso gut, wie dem Irrenden die Rücksicht obliegen soll,
den Erklärungsempfänger nicht zu
enttäuschen, auch diesem letztern die sittliche Pflicht auflegen könne, den Irrenden nicht an seinem ihm unerwünschten Worte festzuhalten.113) Von einem solchen Sittengebote kann nicht die Rede sein. Aufkündigen
einer unerwünschten
Das
Erklärung steht dem Festhalten des
Vertragsgenossen an derselben nicht gleich. Der Geldverlust, welchen jenes dem Erklärungsempfänger, dieses dem Absender zufügen würde, mag ja vielleicht der gleiche sein; das Gefühl, von dem Vertragsgenossen mißhandelt zu werden, ist nicht in beiden Fällen in derselben Weise vor
handen.
Wer dem Andern eine Hoffnung erweckt und
ihn dann ent-
112) Cicero de leg. I 12 c. 34 necessarium, ut nihilo sepse plus quam alterum diligat. und Leonhard, Roms Vergangenheit und Deutschlands Recht §42. 113) So Lotmar a. a. O. S. 392: Sodann giebt es wohl auch ein Sitten gebot: „Verlange nicht die Erfüllung von Versprechen, die Dir unabsichtlich gegeben sind." — Für das Bestehen eines solchen Gebots wird sich schwerlich ein Beweis stück finden lassen.
85 täuscht, der erscheint als der Urheber einer Mißhandlung; jenige, der lediglich einen Vortheil davon hat,
nicht so der
daß der Absender einer
Erklärung einem tückischen Zufalle oder Irrthume zum Opfer fiel, welchen er,
nicht verursacht hat und nicht er
der Empfänger des Versprechens,
kennen konnte. Immerhin liegt in der hier abgewehrten Ansicht doch ein Fünkchen
Wahrheit.1U) Auch
der Irrende kann
im
soll
Dies
spruchen.
eine
gewisse mitleidige Schonung bean Paragraphen
folgenden
näher
ausgeführt
werden. Vorerst will der Verfasser noch einen Blick auf den „kategorischen Imperativ" werfen,
worüber wohl kein Zweifel ist,
der,
einem großen
Theile Deutschlands als maßgebend gilt.
Dieser verlangt bekanntlich, soll,
welche
Menschheit Normen
Insofern
Staat.
lativpolitische
sorgt,
nach Grundsätzen handeln
Kant denkt dabei offenbar an einen Gesetzgeber, der für die
können.
ganze
daß man
ein Gesetzgeber seinen Vorschriften würde zu Grunde legen
so
geht
hinaus.
aufstellt,
nicht bloß
für einen
bestimmten
auch für ihn die ethische Frage über die legis Da
gebietet Kantes
nun jeder Gesetzgeber für das Gemeinwohl unumstößliches
Gebot:
Unterordnung
des
Einzelrechts unter die Gebote des allgemeinen Menschheitswohls.
Daß nun das Willensdogma, welches, wie wir sahen, den mensch heitseinigenden Handel lähmt, vom Standpunkte eines Weltgesetzgebers nicht
billigenswerth
erscheint,
bedarf wohl keiner weiteren Ausführung.
Daß übrigens ein so einflußreich gewordenes Dogma unmöglich ohne eine gleichzeitige ethische Strömung aufgetreten sein kann, ist schon nach allgemeinen Gesetzen der Culturentwicklung höchst wahrscheinlich. Es handelt sich
hier um eine alte Bewegung,
die sich
bis auf Pelagius,
wenn nicht noch weiter, zurückführen läßt, nämlich um das Streben nach Anerkennung einer größtmöglichen Freiheit des Einzelnen. Es giebt,
die Thatsache
läßt sich nicht leugnen,
neben der Moral der Liebe auch
eine solche des Stolzes, die zur starken Bethätigung des eigenen Willens hintreibt. Daß dieses Streben einem Grundzuge des germanischen Wesens entspricht, kann nicht in Abrede gestellt werden.
werden auch
Daß es ausarten kann,
seine Anhänger nicht leugnen wollen.
Das Willensdogma
1H) Den Verf. veranlassen namentlich die Ausführungen Mandry's in seiner Recension der Schrift Leonhard's, der Irrthum u. s. ro. Archiv f. civ. Pr. Bd. 66 S. 486 und diejenigen Hartmann's, Archiv f. civ. Pr. Bd. 72 S. 161 ff., dies zuzugeben. Vgl. jetzt auch Graf Pininski Bd. II S. 467 ff.
86 ist eine solche Ausartung, jedenfalls eine Frucht dieser nur bis zu einem gewissen Grade anerkennenswerthen Neigung,
welche hier durchaus nicht
etwa als völlig verwerflich bekämpft werden soll.
das zeigt sich in den Illusionen,
Wie stark diese Neigung aber ist, welche sie
erzeugt hat.
auf dem Rechtsgebiete
gehörte z. B.
Zu ihnen
die bekannte Lehre, daß der Verbrecher sich selbst die Strafe zudictire Genau ebenso soll
jetzt die bewußte Absicht des Vertragschließenden die
rechtlichen Folgen seines Verhaltens erschöpfend bestimmen. Es liegt in
diesem Gedanken
der Staatsgewalt.
gewisser Titanentrotz
will,
„Wenn ich nicht
klarem Bewußtsein
selbst ihn mit
wieweit der Betroffene hat.
ein
gegenüber
Der Richter soll nur so weit einschreiten dürfen, in
Bestrafung, wie in den Rechtsfolgen
herbeigerufen
kein Rechtszwang sein!"
so darf
soll
sich
In der
der Mann sein Schicksal
lediglich selbst schaffen, und der Satz gelten: „Kein Mensch muß müssen",
als ein Palladium der Freiheit, eines irrthümlicher Weise
auch in den Ketten
welche der Mensch
abgegebenen,
aber nach
seinem Inhalte unbe
absichtigten Versprechens nicht verlieren kann.
Für jeden,
der die Verkehrsbedürfnisse
nicht kennt,
und namentlich
für den Studirenden, dem sie fremd zu sein pflegen, hat diese Lehre eine
dämonische, fesselnde Kraft.
Sie erinnert an die Leute, die vom breiten
Stein ihrer höchst persönlichen Wünsche
nicht wanken und nicht weichen.
So erfaßt sie eine unvertilgbare Schwäche des menschlichen Herzens, dessen Wunsch,
auch da
etwas
sein zu wollen,
wo
es
nichts ist,
hier
seine volle Befriedigung findet'^). Für Verkehrsbedürfnisse ist ein jugend
licher Musensohn überhaupt schwerer zu erwärmen,
als für die Geltend
machung der eigenen Sonderart.
Allein zweierlei.
Wünsche
und Erfüllungen
nüchternen Beobachter im Rahmen
die Freude
sind
auch
bei Vertragsschlüssen
Dieser titanenhafte Sturm und Drang erweist sich, von einem an
einem
über
die
der Wirklichkeit
wahre
angeschaut,
nur als
Abhängigkeit hinwegtäuschenden
ll5) Auch die nicht minder bekannte Lehre Lassalle's (Die Theorie der er worbenen Rechte. Leipzig 1861 S. 55 ff.): „Kein Gesetz darf rückwirken, welches ein Individuum nur durch die Vermittelung seiner Willensactionen trifft," beruht auf solchen Anschauungen. llß) Es ist daher kein Zufall, daß in einer Schrift, welche den Standpunkt der katholischen Kirche mit besonderer Schärfe wahrt, ein lebhafter Widerspruch gegen den „subjectiven Standpunkt des Entwurfs in der Jrrthumslehre erhoben wird, in Ausführungen, die übrigens auch für Nichtkatholiken höchst beachtenswerth sind. Schilling, Aphorismen zu dem Entwurf eines b. G.B. Köln 1888 S. 46ff.
87 Selbständigkeitstraume, der als ein Schleier die unvermeidliche Gebunden
heit des Einzelnen vor ihm selbst verdecken soll. So hängen denn auch die Vertreter des Willensdogmas ihm einen Hemmschuh an,
der seine Kraft lähmen soll, die Lehre von der Gleich
gültigkeit der Beweggründe.
So ließen sich auch die Richter,
als sie
noch lernten und glaubten, daß der Verbrecher sich selbst die Strafe auf
lege, nicht davon zurückhalten, ihn selber ordentlich zu bestrafen.
Hätten
sie freilich aus jener Lehre das Recht hergeleitet, ihn, sobald er sich nicht bestrafen lassen wollte,
dann würde sie verhängnißvoll
laufen zu lassen,
geworden sein. Genau im selben Sinne wollte einer der gründlichsten Vertreter des
Willensdogmas in
einem achtungswerthen Gerechtigkeitsgefühle es der
Proceßpartei verwehren, zu berufenI17).
sich
im
vollen Umfange auf dieses Dogma
Nur in der Theorie sollte es leben,
im Leben unter
gehen. Allein eine solche Scheinexistenz hat in sich die Neigung, sich schließ
lich doch in wirkliche Richtersprüche zu verwandeln.
Und so wollen wir
denn grundsätzlich lieber alle unsere Lehren und Gesetze so gestalten, daß
man sie ganz und voll anwenden kann. b) das Gebot des Mitleids mit dem Irrenden (ein richtiger Äern der an gefochtenen Lehre).
§ 14. Das Willensdogma würde schwerlich (Quellenauslegung, Logik, Psychologie,
Ethik) triumphirt haben,
über alle feindlichen Mächte
Rechtsanwendung,
wenn nicht irgend
Gemeinwohl,
etwas an ihm richtig wäre.
Dieses Richtige liegt in dem Gebote des Mitleids mit dem armen Irrenden. Der Verfasser giebt gern zu, daß er in seiner Schrift, wohl in der Kampfeslust, welche der Streit für das Gemeinwohl in ihm erzeugte, mit diesem Unglücklichen zu hart umgegangen ist118).119 Errare humanum est, dieser Satz muß, — davon haben den Verfafser seine Gegner überzeugt, —
dem allzustrengen Festhalten an der
äußern Erklärung einen gewissen Abbruch thun1^). 117) Zitelmann, bogrn. Jahrb. Bd. 16 S. 411 ff. 118) Nicht mit Unrecht ist ihm dies vorgeworfen worden von Mandry in der Recension der Schrift über den Irrthum, Archiv f. civ. Praxis Bd. 66 S. 486. 119) Auch die frühere Behauptung (Leonhard in der Zeitschr. f. Handelsrecht Bd. 26 S. 298), daß man kein Recht hat, eine irrige Vertragserklärung sogleich zu
88 Die älteren Römer, welche ihre Schuldner in Stücke schnitten, waren
zu solchen Zugeständnissen nicht geneigt.
ihren Schein.
Sie pochten, wie Shylock,
auf
Die Menschenliebe der Kaiserzeit hat aber auch hier Ab
hülfe geschaffen. Das Mittel, durch welches es geschah, war nach des Verfassers Meinung
die in integrum restitutio erroris causa. Daß man sie in der Regel nur in processualen Fällen
konnte,
wird
zwingen,20).
Drange
allgemein
gelehrt,
doch
ohne
daß
die
gebrauchen
Quellen
dazu
Man lehrt dies vielmehr aller Wahrscheinlichkeit nach im
eines unbewußten Bedürfnisses,
das Institut los zu
Neben dem Willensdogma hat es in der That
werden.
auch nicht den geringsten
Zweck.
Auch will man überhaupt der ganzen in integrum restitutio zu Leibe
rücken 121 * *),122 * * und * 120zwar nicht ohne guten Grund. Zu der deutschrechtlichen Stellung des Richters paßt nicht recht ein.
„civilrechtliches Begnadigungsrecht".
Da der Richter bei uns
von der
Aufsicht der Cabinetsjustiz frei ist, so will man ihm nicht gern dieselben
vollen außerordentlichen Befugnisse gewähren, welche die Günstlinge Ca-
racallas und Elagabals besaßen.'22) Wir können aber die in integrum restitutio
Die Grundsätze,
nach
ganz
gut entbehren.
denen der Prätor extra ordinem Recht sprach,
sind allmählich zu festen Rechtsregeln geworden, (man denke z. B. an die i. i. r. minorum). Das gilt m. E. auch von dem Grundsätze, welcher
der römischen in integrum restitutio erroris causa zu Grunde lag.
Er
läßt sich etwa folgendermaßen wiedergeben: Wer in Folge eines unverschuldeten Irrthums ein uner
wünschtes Geschäft
abgeschlossen
zurücktreten, wenn
1) er denjenigen,
hat,
kann von demselben der sich
auf seine Er-
verbessern, kann nicht mehr aufrecht erhalten werden. Dagegen Hartmann (Dogm. Jahrb. XX. S. 42 Anm. 27), Enneccerus a. a. O. S. 81 Note 1, Unger in Grünhut's Zeitschr. Bd. 15 S. 680 Anm. 17. Der Vers, hat sich davon überzeugt, daß die Ansicht seiner Gegner dem Grundgedanken des Satzes: „Pacta in continenti facta stipulationi inesse videntur“ entspricht. 120) Warum will man nicht auch hier die Quellenbeispiele verallgemeinern, da sie ja nur Beispiele sind? 121) Für ihre Erhaltung jedoch Hartmann, Archiv f. civ. Praxis Bd. 73 S. 346 ff. 122) Daß das Institut der Restitution wegen Irrthums übrigens auch in Deutschland vorkommt, ergiebt sich aus Seuff. Archiv III 141, IV 28. Anders das Ober-Trib. Berlin, Seuff. XXXIV 266.
89 klärung
verließ,
möglich
ist,123)
2)
entschädigt,
und
eine
solche Entschädigung
3) keine Gefahr vorliegt,
die Be
daß
hauptung eines Irrthums eine bloß vorgeschützte ist124)125 Einen derartigen Rechtsgedanken
glaubt der Verfasser
in unserem
Verkehrsleben allerdings beobachtet zu haben. liegt wohl auch der bekannten Lehre v. Jherings
Er
culpa in contrahendo,25) zu Grunde,
welche
daher
mit
von
der
vollem Rechte
trotz ihrer zweifelhaften Quellengrundlage als eine Ergänzung der uner
träglichen herrschenden Lehre Anklang gefunden fyxt126)127
Jene Anfechtbarkeit wegen entschuldbaren Irrthums bei gleichzeitiger Leistung einer Entschädigung ist
Satz der Verkehrssitte.
nach
der Meinung
des Verfassers
ein
Vermuthlich ist er aus dem Grundgedanken der
römischen in integrum restitutio erroris causa herausgewachsen. Seine
nöthig,
besondere Erwähnung
einmal,
weil
im Gesetzbuche
der Richter bei
erscheint daher nicht
der Vertragsauslegung
auf
die
Verkehrssitte sehen und dabei diesen Satz finden muß;'27) zweitens, weil
es keinen Zweck haben
würde,
strengere,
wegen Irr
die Anfechtungen
thums noch mehr beschränkende Gebräuche da, wo das Bedürfniß sie er
zeugt, abzutödten.
Die Anerkennung
dieses
Satzes
der Verkehrssitte
ist
das
einzige
Zugeständniß, welches das „Willensdogma" verdient.
Capitel 3. Seitenblick auf einzelne Sonderbestimmungen des Entwurfs über Irrthum. I. Im Vermö gensrechte. § 15.
Dieses Gutachten bezieht sich zwar nur
Entwurfs.
auf die §§ 98—102
Da dieser jedoch ein in sich durchdachtes Ganzes
des
bildet —
123) So z. B. nicht, wenn ein Dienstbote, Procurist, Handlungsgehülfe u. s. w. eine feste Stellung im Vertrauen auf die Erklärung des Irrenden aufgeopfert hat. 124) Dies Erforderniß Nr. 3 entnimmt der Verf. in Anlehnung an Hart mann, Dogm. Jahrb. Bd. 20 S. 55 der 1. 12 dig. de trans. 2, 15 und Dernburg's Pandekten Bd. I § 99 Anm. 3. 125) Dogm. Jahrb. Bd. IV S. 1 ff. Gesammelte Aufsätze. Jena 1881. S. 327 ff. 126) Hartmann, Die Obligation. Erlangen 1875. S. 195 ff. Regels berger in Endemann's Handbuch des Handelsrechts Bd. II § 242 S. 414 Anm. 5, sowie über ihre Vorläufer in der Naturrechtszeü, Leonhard, Der Irrthum II S. 527, vgl. jetzt auch Unger a. a. O. S. 683 ff. 127) § 72, 359 Entw.; vgl. § 84, 86,4, 789, und Rümelin in den Jahrb. f. Dogm. Bd. 27. S. 231.
90 ein Vorzug,
ziemlich
welcher
dürfte es nicht unangemessen einen Blick zu werfen,
veranschlagt
hoch
sein,
werden
einige
auf
auch
muß —,
so
Sondervorschriften allgemeinen
welche im Zusammenhänge mit der
Jrrthumslehre ergangen sind. Hierher gehört zunächst die Behandlung Bei ihnen soll ein
bestimmter Theil,
Vertragschließenden
früher
die
gebilligte
beiderseits
von dem übrigen Inhalte
Anordnung der Hauptgeschäftsfolge,
den
der „abstraeten Verträge".
nämlich
oder
gleichzeitig
Erklärten
des von
unabhängig
sein, d. h. der Anfechtung mit einer Nichtigkeitsklage auf Grund solcher
Nebenabreden
unterliegen.
nicht
Daß
diesen
eine allzu große Ausdehnung gegeben worden
dings ausgeführt worden,^») war,
sie alle
wie auch,
„dingliche Verträge"
Geschäften ist,
daß es
zu nennen,
ist
im Entwürfe
mit Recht neuer
schwerlich
nothwendig
von
weil einige
ihnen
dingliche Kraft haben.128 129)* In der Rechtspflege wird jedoch dieser Umstand keine allzu schlimmen Folgen haben.
Wie
die
modus überwunden hat,
preußische Praxis
die Lehre vom titulus und
so wird dies auch der deutschen hinsichtlich der
angeblich „abstraeten" Natur der Tradition und ähnlicher Geschäfte ge
lingen.^9)
Allein
diese
ganze
übermäßige Ausdehnung der
abstraeten
Geschäfte würde wohl kaum geschehen sein, wenn die Verfasser des Ent wurfs nicht
Gefahren
das Bedürfniß
empfunden hätten,
ihres Willensdogmas durch eine
den Verkehr
gegen die
möglichste Einschränkung der
allgemeinen Nichtigkeitsgründe zu schützen.
Hervorzuheben ist, oder
wenigstens
daß auch der
weitgehende Schutz des redlichen,
dem äußeren Anscheine
nach redlichen Dritten l31) mit
dem Bestreben zusammenhängt, Anfechtungen von Traditionen mindestens
gegen Dritte zu beschränken.
128) von Strohal in den dogm. Jahrbüchern Bd. 27 S. 335 ff. Insbesondere möchte der Vers, seinen Ausführungen über die Tradition unbedingt beitreten (vgl.
Leonhard, Irrthum I S. 241 Anm. 3, II S. 344 ff.). 129) Vgl. Bähr, Krit. V.-J.-Schr. Bd. 30 S. 361 Anm. 1
(in der Form
etwas scharf).
13°) Sehr treffend bemerkt hierüber Strohal a. a. O. S. 395:
„Ebenso
wenig, wie es der Gesetzgeber in seiner Macht hat, jeden obligatorischen Vertrag kurzweg zum abstraeten zu proclamiren, ebenso wenig vermag er durch sein bloßes „sic jubeo“ immer und überall den Zusammenhang zwischen Rechtsübertragung und
Causalgeschäft zu lösen."
m) § 877 ff.
91 In noch
engerem Zusammenhänge mit der allgemeinen Irrthums
lehre steht die Gestaltung der Bereicherungsklagen.132)
Die condictio indebiti setzt nach § 737 voraus, daß der Kläger „zum
Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit eine Leistung bewirkt hat". Gehört
hierher nun auch der Fall,
in
welchem der Kläger den
Zahlungszweck hatte, aber nicht erkennbar machte, so daß der Empfänger glauben mußte, die Gabe sei ihm geschenkt?'33)
Der richtigen Meinung
nach wird man dies verneinen müssen, da auch hier der erkennbare Sinn entscheiden muß, nicht der unerkennbar gebliebene Hintergedanke.134)135 136
Wenn freilich in der allgemeinen Jrrthumslehre das Willensdogma
angenommen wird, so wird man es auch
hier in entsprechender,
aber
m. E. unzutreffender Weise anwenden.
In zweifelloserer Weise sind die Voraussetzungen der condictio ob causam bestimmt.
Hier allein ist die Jrrthumslehre ganz nach dem
Herzen des Verfassers bestimmt; denn § 742 lautet:
„Wer
unter
der
ausdrücklich
oder
stillschweigend
erklärten Voraussetzung u. s. w. eine Leistung bewirkt hat,
kann u. s. w.
Warum ist bei der condictio indebiti nicht gleichfalls, so wie hier, eine ausdrücklich oder stillschweigend erklärte Voraussetzung
der Schuld
erfordert worden? Diese Frage ist kaum zu beantworten. Von der condictio causa data causa finita (§ 745) gilt dasselbe,
was von der condictio indebiti gesagt ist. Daß endlich die condictio sine causa in den Fällen anderer Irr thümer über vergangene Dinge, als es diejenigen über das Vorhanden sein einer Schuld sind, in grundloser Weise beschränkt worden ist, sowie daß dies lediglich als eine Folge der oben angefochtenen Lehre der Un
wesentlichkeit des Irrthums in den Beweggründen angesehen werden muß,
wird sich wohl schwerlich bestreiten lassen. Von einer Erörterung der Bedeutung des Irrthums für die bona fides bei der Ersitzung *33) ist für die allgemeine Jrrthumslehre wohl schwerlich etwas zu gewinnen.'^) 132) Entw. § 737 ff. u. hierzu Hartmann, Gutachten aus dem Anwalt stande S. 323 ff., sowie Lenel im Archiv f. civ. Praxis Bd. 74 S. 213 ff. 133) Vgl. hierzu Leonhard, Irrthum Bd. I S. 265, 266. 134) Richtig das Urteil des Reichsgerichts, Entsch. Bd. 19 Nr. 24 S. 126. 135) § 881, 2 Entwurf. 136) Vgl. hierüber Leonhard, D. I. II S. 518 ff., Förster-Eecius a. a. SD. I § 30 Anm. 4.
92 Im allgemeinen Theil befindlich, aber auf das Vermögensrecht be züglich sind
endlich
noch die §§ 117, 118 des Entwurfs.
Sie sollen
hier noch in Kürze besprochen werden.
§ 117 lautet: „Das Erforderniß der Uebereinstimmung des wirklichen Willens
mit dem erklärten Willen, ingleichen die Erheblichkeit von Drohung, Betrug,
Irrthum, Wissen und
bestimmt sich nach
Wissenmüssen
der Person des Vertreters."
ob der Vertrags
Dies kann sich doch nur auf die Frage beziehen,
abschluß wegen Irrthums als nichtig gelten muß, nicht darauf, ob es die
Vollmachtsertheilung aus
einem gleichen Grunde ist.
kann nur nach der Person des Herrn,
nicht nach
Diese letzte Frage
derjenigen des Ver
treters bestimmt werden. Eine umfangreiche Litteratur, welche sich voraussichtlich weniger durch Verständlichkeit als durch
Tiefsinn
auszeichnen wird,
muß der § 118
Hervorrufen, welcher lautet: „Ist die Ermächtigung zur Vertretung von dem Vertretenen
durch Rechtsgeschäft
ertheilt (Vollmacht), und bezieht sich die Er
mächtigung auf ein bestimmtes Rechtsgeschäft, so ist ein Nichtwissen
des Vertreters unerheblich, wenn der Vertretene wußte oder, sofern dem Wissen das Wissenmüssen gleichsteht, wissen mußte.
„Was wußte?" und „was wissen mußte?" so fragt jeder Leser, der Jurist nicht minder, wie der Laie. Die Antwort aus diese Frage soll offenbar die Wissenschaft ertheilen.137) Nun gut, wenn sie das soll, wozu ladet man ihr bei dieser ihrer Aufgabe überhaupt erst die Last
einer so tiefsinnigen Bestimmung auf? Man kann doch schwerlich glauben, daß das Ergebniß ihrer Arbeit dadurch leichter oder auch nur besser ge
funden werden wird. Wie der Verfasser selbst über den Irrthum der Stellvertreter denkt,
hat er an anderer Stelle ausgeführt.138) II.
Im Familienrechte.
§ 16.
Der Irrthum bei Eheschließungen
bringt das Gesetzbuch
Berührung mit altehrwürdigen Lehren der christlichen Kirche.
in eine
Die Stelle
137) Die Stelle ist allem Anscheine nach eine Verallgemeinerung der 1. 34 § 1 dig. de acqu. rer. d. 41, 1. Leonhard, D. I. II S. 502 Anm. 1. 138) Leonhard, Der Irrthum II S. 493 ff.
93 des Gesetzbuches,
welche dieses geweihte Land betritt,
wird daher wohl
die Theilnahme nicht bloß der juristischen, sondern auch der theologischen
Kreise erroetfen.139)* *
Hier finden
wir
zunächst
eine
erfreuliche Anerkennung
der „Er-
klärüngstheorie" in der Form der Frage, welche der Standesbeamte nach
§ 1249 an die Brautleute richten muß.
Daß
aber trotzdem selbst die
Lehren der christlichen Kirche gegenüber dem Willensdogma keinen Wider leisten vermocht haben,
stand zu
wir oben sahen,
wird uns nicht verwundern,
daß keine nur irgend
nachdem
denkbare Rücksichtnahme sich als
stark genug erwiesen hat, um seinem Vordringen Halt zu gebieten. ^0)
Nirgends
übrigens
ist
der Entwurf
so schwer zu
beurtheilen wie
in der Lehre von der Ungültigkeit der Eheschließungen, und namentlich an derjenigen Stelle, welche vom Irrthume redet (§ 1259, 2). Es zeigt sich hier,
daß der Sinn eines
geschriebenen Satzes keine
feste unwandelbare Größe ist, sondern von den Vorkenntnissen desjenigen mit abhängt, in dessen Kopf sich seine Worte abspiegeln.U1)
So Sinn,
ergiebt
je
denn
nachdem
der
§ 1259, 2
des Entwurfs einen doppelten
er von einem unbefangenen Leser oder von einem
Kenner der neueren juristischen Literatur gelesen wird. Wir wollen beide Bedeutungen dieser Vorschrift betrachten. Sie lautet: „Die Ehe ist nur dann anfechtbar: „2. Wenn einer der Eheschließenden entweder den Willen,
überhaupt eine Ehe zu schließen, oder den Willen, eine Ehe mit
dem anderen Theile zu schließen, bei der Eheschließung nicht ge habt hat, und
in
beiden Fällen dieser Mangel der Ueberein
stimmung des wirklichen Willens mit dem erklärten Willen auf einem Irrthume des Erklärenden beruhte".
Die Ehe
zweite Hälfte
will
allem Anscheine
nach
die Anfechtung der
wegen Simulation ausschließen und damit eine schwebende Streit
frage entscheiden, und zwar in einem Sinne,142) welcher der Bedeutung
139) Vgl. hierzu die Ausführungen von Hinschius im Archiv f. eiv. Praxis Bd. 74 S. 69 ff. M0) Vom katholischen Standpunkte protestirt wider das Eherecht des Entwurfs Schilling, Aphorismen zu dem Entwurf eines b. G.Bs. Köln 1888 S. 16. M1) Leonhard, Ztschr. f. Civilproceß Bd. 11 S. 120 ff. 142) Vgl. Dernburg, Pr. Privatrecht I § 104, Pandekten 2. Aufl. § 100 Anm. 7 S. 229, 1. 30 dig. de ritu mixt. 23, 2.
94 entspricht,
welche ein anscheinend fehlerloser Ehebeschluß auch für dritte
Personen haben soll.143)
Die erste Hälfte erweckt allein Bedenken.
Nach ihr ist der Irrthum
überall geschäftshindernd, wo der Irrende den Willen, eine Ehe mit dem andern Theile zu schließen,
nicht gehabt hat.
Das kann doch aber nur
heißen, wo er „ihn nicht gehabt haben würde"; denn, wenn er ihn wirk
lich
nicht
gehabt hätte,
würde er die Trauung nicht haben zu Stande
kommen lassen.
Will man aber in diesem Sinne deck § 1259, 2 beim Worte nehmen, so kommt man zu den ungeheuerlichsten Ergebnissen.
die Vermögensverhältnisse des Schwiegervaters,
Täuschungen über
welchen
sich der Bräu
tigam hingegeben hat, das Zurückkehren der von der Braut für todt ge
haltenen
ersten Liebe und dergl. Dinge mehr müßten Nichtigkeitsgründe
abgeben,
sofern sie dem persönlichen Willen des Irrenden als unerläß
liche Vorbedingungen seines Jaworts thatsächlich vorschwebten.144) Man
wird
hiergegen
anführen,
daß es sicherlich nicht die Absicht
der Verfasser des Entwurfs war, solche Rechtszustände heraufzubeschwören. Wenigstens erschien es mehreren Kennern der neueren Literatur unzweifel
haft, daß der Entwurf die Anfechtbarkeit der Ehen wegen Irrthums eher zu sehr einschränkt, als zu weit ausdehnt.145)146
Sie gehen anscheinend davon aus,
nur da
wegen
daß in Zukunft Eheschließungen
error in persona und in negotio t46) ansechthar sein sollen,
der Entwurf
mit
dem
„selbst
geschaffenen Dogma von der Nicht
berücksichtigung des Irrthums im Beweggründe" 147)148 nach
den Motiven
auch hier unzweifelhaft arbeitet.,48)
Sollte
übrigens Jemand
glauben,
daß irgend ein Deutscher,
der
143) Leonhard, Irrthum II S. 411. 144) Solche Dinge sind in der Rechtsgeschichte nicht unerhört, vgl. Schaum burg, compendium Juris digestorum. Jenae, pars III p. 59 „error fortunae non simpliciter est vilipendendus. Daß ein Betrug über Vermögensverhältnisse ein Anfechtungsgrund ist, hat das Reichsgericht am 27. Mai 1887 ausgesprochen. Entsch. Bd. 18 S. 224. Selbst wegen der unzureichenden Kochkunst einer Gattin ist in der Zeit des Rationalismns eine Ehescheidung vorgekommen. Vgl. überhaupt die bei
Leonhard, der Irrthum II S. 417 Anm. 1 Angeführten. 145) Vgl. Hinschius a. a. O. S. 69 ff., Berolsheimer, Gutachten aus dem Anwaltstande S. 298. 146) Ueber diesen vgl. Leonhard, der Irrthum II S. 413 Anm. 3. 147) So Hinschius a. a. O. S. 72. 148) Mot. IV S. 78, woselbst ein schwer einzulösender Wechsel auf die Wissen
schaft gezogen wird.
95 dieses Dogma nicht aus neueren Schriften kennt, es aus der angezogenen Gesetzesstelle etwa werde herauslesen
oder richtiger in sie hineinlesen
Man gebe nur den § 1259, 2 jedem beliebigen
können, so täuscht er sich.
Nichtjuristen zur Auslegung in die Hand, und man kann sicher sein, daß er eine hochgradige Anfechtbarkeit irrthümlich geschlossener Ehen wegen
aller möglichen falschen Vorgedanken herauslesen wird. Wenn nun auch nicht zu verlangen ist,
daß das Gesetzbuch dem
Nichtjuristen verständlich sein soll, so erscheint doch der Wunsch nicht un
billig, es so abgefaßt zu sehen, daß es nicht dem Rechtsunkundigen Vor
stellungen
erweckt, welche mit der Würde der ©je149) und den Lehren
der christlichen Religion
ebenso
sehr im Widersprüche stehen,
demjenigen, was die Verfasser des Entwurfes
eigentlich
wie mit
haben sagen
wollen. Diesen hat daher auch hier die Redeweise des Willensdogmas keinen
guten Dienst geleistet. Wie sehr diese Behauptung berechtigt ist,
ein allem Anscheine nach
hervorragend
ergiebt sich daraus, daß
tüchtiger praktischer Jurist den
Entwurf offenbar nicht mit den Einschränkungen gelesen hat, die sich aus den Lehren der neueren juristischen Psychologie ergeben.
Wenigstens
spricht er davon, 15°) daß „die Staatsgesetzgebung auf der schiefen Ebene der einseitigen Ordnung des Eherechts,
falls sie sich einmal daraus be
geben hat, immer tiefer hinabgleitet in den Sumpf der Gleichstellung der Ehe mit gewöhnlichen Verträgen". Daß unser Staat auch
Ehe nicht
werden.
ohne Beihülfe der Kirche die Würde der
ebenso gut wahren kann, wie diese es thut, muß bestritten Bei Wahrung des „Willensdogmas" wird dies aber freilich
unmöglich sein.
Daß durch die scharfe Betonung dieser Lehre dem Ge
setzgebungswerke unerwünschte Schwierigkeiten zu erwachsen drohen, er giebt sich aus Schillinges Bemerkung:151) „Würde der Entwurf mit dem Eherecht als integrirendem Bestandtheil zur Abstimmung im Reichstag ge
bracht, dann würden die katholischen Abgeordneten dem Ganzen ihre Zusümmung versagen müssen."
Aus Rücksicht auf die sittliche Bedeutung der Ehe dürste dieser Protest auch von nichtkatholischer Seite die vollste Berücksichtigung ver
dienen. 149) Vgl. die Ausführungen des Reichsgerichts Bd. 17 S. 251 Nr. 58. 16°) Schilling, Aphorismen zu dem Entwurf eines b. G., Cöln 1888.
161) Aphorismen S. 15.
96 Allerdings
kann
auf die Nichtigkeit der Ehe wegen
die Berufung
Irrthums nicht in der gleichen Weise eingeschränkt werden, wie diejenige
der vermögensrechtlichen Verträge.
Ein Hinweis auf den Inhalt
einer
Verkehrssitte würde hier keinen Sinn haben. Dagegen würde es sich empfehlen,
zu § 1259 folgenden Zusatz zu
machen:
„Die Anfechtung ist
Betrugs
wegen Drohung,
ausgeschlossen,
dort
oder Irrthums
wo sie aus Rücksicht auf die Würde der
Ehe als unzulässig erscheint." Ein Hauptnachtheil dieser Vorschrift würde freilich der
Spielraum
sein,
wird aber wohl,
sie
welchen
soweit
dem Richter gewährt.
der Verfasser sieht,
sehr
große
Dieser Uebelstand
als unvermeidliches Uebel
ertragen werden müssen. III.
Im Erbrechte. § 17.
Der Vollständigkeit
zu Liebe
soll
noch auf zwei Punkte des Erb
rechts ein Blick geworfen werden.
Ganz besondere Beachtung verdient der § 1781 des Entwurfs:
„Eine letztwillige Verfügung kann angefochten werden,
wenn
der Erblasser zu derselben durch einen auf die Vergangenheit oder die Gegenwart sich beziehenden Irrthum bestimmt worden ist, oder
wenn der Erblasser zu der Verfügung durch die Voraussetzung des Eintrittes oder Nichteintrittes eines künftigen Ereignisses oder eines rechtlichen Erfolges bestimmt worden ist, und die Voraussetzung sich
nicht erfüllt hat.
Die Verfügung ist nur dann anfechtbar,
wenn der Irrthum
aus der Verfügung zu entnehmen, oder die Voraussetzung in der selben ausdrücklich oder stillschweigend erklärt ist."
Diese Vorschrift steht im denkbar schärfsten Gegensatze zu den Lehren eines
großen
Theiles
der
neueren Wissenschaft.152)
Ganz
allgemein
nimmt man nach Savigny's Vorgänge an, daß letztwillige Verfügungen
leichter wegen Irrthums anfechtbar sein sollen, Entwurf bestimmt das Gegentheil.
der Regel
nur
für den Verkehr an,
Man
als Verträge.153)
Der
greift das Willensdogma in
für die letztwilligen Verfügungen
152) Vgl. aber auch Eisele, dogm. Jahrb. Bd. 23 S. 41. 153) Vgl. statt vieler jetzt Level, Archiv f. civ. Pr. Bd. 74 S. 220 ff., Seuff. Archiv IV, 132.
97 Der Entwurf hält es aber umgekehrt für die
will man es gelten lassen.
Geschäfte unter Lebenden aufrecht, und hier, bei den letztwilligen Ver
fügungen, wo man es nicht anficht, läßt er es fallen.
kann man kaum von
einer Verkehrssitte,
Gerade bei ihnen
welche den Inhalt der still
schweigenden Willenserklärungen zu bestimmen pflegt,
reden, und
doch
wird gerade bei ihnen die stillschweigende EÄlärung der Voraussetzungen
für deren rechtliche Bedeutsamkeit erfordert. Wenn viele Vertreter der Wissenschaft bisher anders dachten, so sind
drei Gründe vornehmlich
angeführt worden.
dafür
Zunächst ist der
Urheber letztwilliger Verfügungen ein Wohlthäter,
welchen der Bedachte
nicht so hart an seinem Worte festhalten darf,
wie
Geschäftsmanne
gestattet ist,
dem
es vielleicht dem
gegenüber sich ein Wettbewerber auf
dem Gebiete des Verkehrslebens in Vertragsbande verstrickt hat. Zweitens richtet sich die
letztwillige Verfügung an einen unbestimmten Personen
treis, d. h. sie will nach ihrem Inhalte von diesem, nicht von bestimmten
Einzelnen, beachtet roerben154).
Sobald also auch nur Einem gegenüber
der wahre innere Wille des Testators fehlt,
Anordnung
nach
ihrem
Sinne
entbehrt die nicht gewollte
der Verpflichtungskraft155).
Endlich,
drittens, dient die letztwillige Verfügung von vorn herein nur dem Wunsche
einer einzigen Person, welche sie daher widerrufen kann. Im zweiseitigen Vertrage dagegen finden sich die Bedürfnisse zweier Personen auf einem Mittelwege zusammen. Sollten diese Gründe wirklich so wenig beachtenswerth sein, wie es
nach der Bestimmung des Entwurfs den Anschein hat? — — Zum Schlüsse sei noch das Erbantretungsrecht kurz erwähnt. Hier ist die Anfechtbarkeit der Antretung und Ausschlagung wegen
Irrthums in einer neuen, weitgehenden Weise beschränkt worden. Die Erbschafts-Ausschlagungserklärung
soll
nur
in
einem
ganz
seltenen Falle wegen Irrthums anfechtbar sein, wenn vor der Ausschlagung eines Pflichttheilsberechtigten eine ihm auferlegte Beschränkung oder Be
schwerung oder Pflichttheilslast mit allen Wirkungen weggefallen, und der Wegfall zur Zeit
der Ausschlagung
ihm
nicht
gewesen ist
bekannt
(§ 2040). Die Annahmeerklärung aber soll überhaupt nicht mehr wegen Irrthums angefochten werden können (§ 2041). 154) Das gilt auch vom Damnationslegat, was Eisele in den dogm. Jahrb. Bd. 23 S. 41 'dem Vers, gegenüber bestreitet. Es kommt dabei nicht auf die gram matikalische Form an, sondern darauf, ob die Erklärung nach ihrem Inhalte von einer unbestimmten Menge wahrgenommen werden will. 155) Leonhard, der Irrthum I S. 175. Berhandlg. d. XX. I. T. Bd. III.
7
98 alten Rechte,
deren Folgen für die
Irrenden sehr hart sein können, nothwendig war,
ist mindestens zweifel
Daß diese Abweichung vom
haft^^). Sie wird sich überdies bei stillschweigenden Annahmeerklärungen (§ 2029) kaum handhaben lassen.
Sollte nicht das dunkle Gefühl, in der Annahme des Willensdogmas zu weit gegangen zu sein, auch hier den unbewußten Trieb erzeugt haben,
die Folgen dieser Lehre so
viel als möglich und vielleicht sogar noch
darüber hinaus einzuschränken?
Capitel 4. I.
Gegenvorschläge.
Bereits veröffentlichte Gegenvorschläge.
§ 18. Wir sahen schon oben gelegentlich, daß die allgemeine Jrrthumslehre des Entwurfs bei ihren Kritikern (Hölder, Schilling, Meischeider, Bähr, Hartmann, Hellmann, Unger) nirgends einen vollen Anklang,
zum Theil sogar lebhaften Widerspruch gefunden hat.
Ein Gegenvorschlag ist jedoch nur von Bähr^) gemacht und von jpattmcittn158) gebilligt worden.
Derselbe lautet: „Eine im
erklärung,
Rechtsverkehre
welche
übereinstimmt,
mit dem
irrthümlich
abgegebene
Willens
wirklichen Willen des Urhebers nicht
bindet gleichwohl diesen,
wenn er sie in einer ihm
zuzurechnenden Weise abgegeben hat. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn der Empfänger der Willenserklärung den Irrthum kannte oder kennen mußte. Sie findet ferner keine Anwendung,
wenn und
soweit der
Empfänger durch die Annahme der Erklärung eine Vermögensein buße nicht erlitten hat."
Die drei Sätze dieses Gegenvorschlags müssen im Folgenden einzeln geprüft werden. I.
Bähr beginnt: „Eine im Rechtsverkehrs irrthümlich
abgegebene Willenser
klärung, welche mit dem wirklichen Willen des Urhebers nicht über™) Mot. V S. 511 ff. 167) Krit. V.J.Schr. 30 S. 18. 168) Archiv f. civ. Pr. Bd. 73 S. 332.
99 einstimmt, bindet gleichwohl diesen, wenn er sie in einer ihm zuzu rechnenden Weise abgegeben hat."
Dieser Satz ist überaus billigenswerth, nur meines Erachtens völlig Nachdem das Gesetzbuch
unnöthig.
Willenserklärungen binden,
auch dann gilt,
einmal bestimmt
hat, daß gewisse
braucht es nicht erst hinzuzufügen,
daß dies
wenn sie mit dem wirklichen Willen des Urhebers nicht
übereinstimmen, etwa ebenso wenig, wie eine Zeugenvorladung des Zusatzes bedarf, daß sie auch bei schlechtem Wetter gelten soll.
Obwohl also
§ 97
und
mit ihm § 117
im Eingang wegfallen
müssen, so ist es doch nicht nöthig, daß ihr selbstverständliches Gegentheil erst noch besonders versichert werden muß.
II.
Bähr fährt fort:
„Diese Vorschrift findet keine Anwendung (d. h. also eine Erklärung ist
schließt,
wegen Irrthums, der den wirklichen Willen aus
nichtig),
wenn der Empfänger der Willenserklärung den
Irrthum kannte oder kennen mußte." Auch dieser Satz ist durchaus richtig.
flüssig und
Allein er ist gleichfalls über
deckt dazu nicht ganz dasjenige, was Bähr wahrscheinlich
sagen wollte. Ueberflüssig ist er, weil er aus allgemeinen Auslegungsgrundsätzen folgt159). Nach heutigem Rechte darf der Erklärungsempfänger sich nicht
an die Worte des Erklärenden anklammern,
er muß fragen, was dieser
wirklich gewollt hat. Findet er nun oder muß er finden, daß dieser das Gesagte nicht will, nun, so hat überhaupt die Erklärung, welche vor ihrem Empfänger steht, nicht den Sinn einer ihn berechtigenden, ver bindlichen Anordnung. Hier fehlt also schon nach den allgemeinen Aus legungsgrundsätzen eine gültige Erklärung. Ueberdies hat hier Bähr anscheinend
zweierlei verwechselt.
„Er
kennbarkeit des Irrthums" und „Erkennbarkeit der Zumuthung, daß die Erklärung für den Fall eines solchen Irrthums nicht gelten soll". *16°) Nur eine solche Zumuthung muß aus dem Verhalten des Irrenden oder aus der Verkehrssitte, welche die Bedeutung dieses Verhallens erklärt und
ergänzt,
erkennbar sein, nicht der Irrthum selber.
Namentlich,
wenn
beide Parteien über einen Punkt irren, der für beide entscheidend ist,
oder von dem auch nur Einer erklärt, daß er bei seiner Unrichtigkeit die 169) Vgl. hierzu Leonhard, der Irrthum Bd. I § 9. 16°) Vgl. hierzu Leonhard, der Irrthum Bd. II S. 528 und Nachtr. S. 592, Graf Piniüski a. a. O. II S. 456 ff.
100 angeordneten Geschäftsfolgen nicht wünsche, so muß der Vertrag ungültig fein161).162 Wenn z. B. in einer Notariatsstube, in welcher mehrere Ver
tragsurkunden zu gleicher Zeit ausgearbeitet werden, A und B den Ver trag unterschreiben,
welcher für X und D bestimmt war,
so kann dieser
Umstand sie nicht binden, selbst wenn ihr Irrthum ein durch die Umstände (z. B.
die irrige Versicherung des Notars,
es sei ihnen die richtige
Urkunde vorgelegt,) durchaus entschuldigter war. Dies würde übrigens auch gelten, wenn die (hiernach meines Erach tens nicht ausreichende) von Bähr vorgeschlagene Bestimmung wirklich
zum Gesetze werden sollte. III.
Bähr's dritter Satz lautet:
„Sie findet ferner keine Anwendung (d. h. eine Erklärung ist
nichtig, sobald ihr Inhalt wegen Irrthums nicht gewollt ist), wenn und soweit der Empfänger durch die Annahme der Erklärung eine
Vermögenseinbuße nicht erlitten
,62)
Diese Bestimmung enthält, wenn der Verfasser sie richtig versteht, eine Ausnahme für die „einseitig belastenden Verträge" und entspricht
durchaus
einer Lehre,
welche der Verfasser dieses Gutachtens aus den
Quellen heraus zu entwickeln versucht hat.163)
Dieser hat also sicherlich keine Veranlassung, Bähr's Vorschlag zu widersprechen,
hält jedoch
eine
gesetzliche Bestätigung
seines
Inhalts
nicht für nöthig, weil dieser Inhalt schon aus dem Gebote der guten
Treue und aus der Verkehrssitte folgt.
Gerade wie
bei der Unter
scheidung der Fälle, in denen Jemand aus einem Vertrage für culpa lata
haftet, von denjenigen, bei welchen er nur für culpa levis einsteht, muß auch hier derjenige, welcher von einem Geschäfte selbst Vortheil erwartet,
strenger behandelt, d. h. in einem Rechte zur Berufung auf seinen
Irr
thum mehr beschränkt sein, als ein uneigennütziger Wohlthäter. Rückblickend bemerkt also der Verfasser, daß er die Vorschläge Bähr's in ihrem Inhalte billigt, ihre Aufnahme in das Gesetzbuch aber nicht
für nöthig hält.
Dasselbe
gilt von den Vorschlägen,
welche Werthauer in seiner
161) Vgl. hierzu auch Unger a. a. O. S. 689 Anm. 43.
162) Sie läßt freilich noch eine andere Deutung zu: „Rücktrittsrecht des Irrenden, solange sich sein Vertragsgenosse noch nicht wegen der irrigen Erklärung in Auslagen gestürzt hat." 16d) Leonhard, der Irrthum Bd. II S. 363 ff. § 21.
101 Schrift: „Ueber den Einfluß des Irrthums auf Verträge" 164) schon vor
dem Erscheinen des Entwurfs gemacht hat. Werthauers Ansicht weicht von derjenigen Bähr's und des Ver fassers nur in folgenden Punkten ab:
unterscheidet den Irrthum bei der Erklärung der
Werthauer
I.
Absicht und denjenigen bei der Bestimmung der Absicht.
Ein solcher Unterschied ist für die psychologische Betrachtung aller
dings vorhanden.
Am deutlichsten
sieht man dies da, wo Jemand im
Auslande ein Vertragsanerbieten zunächst in seiner Muttersprache nieder und
schreibt
es
hinterher
in die Sprache des Landes übersetzt.
Hier
kann bei beiden Theilen seines Verhaltens ein verhängnißvoller Irrthum
Das Gleiche
vorkommen.
ist aber auch der Fall,
in der gewählten Redeweise
Gedanken
wenn Jemand einen
seines Umgangskreises faßt und
ihn dann in die volkstümliche Sprache einkleidet, um ihn einem schlichten Manne verständlich zu machen.
Allein, was in der psychologischen Betrachtung verschieden ist, darum
noch
nicht
in
der juristischen Behandlung zu
zureichenden Grund für den Gesetzgeber, verschiedener Weise zu behandeln,
trennen.
ist
Einen
die genannten beiden Fälle in
hat Werthauer m. E. nicht beizu
bringen vermocht. II.
Werthauer
bevorzugt
neben
den
Verträgen
unentgeltlichen
Dies hängt mit der oben bestrittenen und von ihm
auch die dinglichen.
angenommenen abstracten Natur dieser Geschäfte zusammen.
III. Richtigkeit
Werthauer will die Anfechtung
des Beweggrundes
der Geschäfte,
„wenn die
zur (stillschweigenden oder ausdrücklichen)
Bedingung" (hier müßte noch eingeschoben werden „der Geschäftsgültig
keit") „erhoben worden ist", nach den „Vorschriften über die auflösende Bedingung" beurtheilt sehen. Dieser Satz würde m. E. in ein Lehrbuch,
gehören.
Daher
ist
hier
von
seiner näheren
nicht in ein Gesetzbuch Prüfung
Abstand
ge
nommen.
IV.
Werthauer will, wenn der Verfasser ihn recht versteht, auch
noch in folgenden
drei Fällen
die Nichtigkeit des Vertrages
festgesetzt
wissen:
a) wenn beide Parteien den durch Zustimmung (z. B. Unterschrift) anerkannten Vertragsinhalt wegen desselben Irrthums nicht wünschen; 164) Breslau, 1887, beurtheilt von Lotmar in der Krit. V.J.Schr. Bd. 31 S. 304 ff.
102 b) wenn beide Parteien Erklärungen abgegeben haben, die sich in für einen der Erklärenden
einem anscheinend
oder beide entscheidenden
Punkte nicht decken; c) wenn sie mehrdeutige Erklärungen abgegeben haben, und ihre innere Einigkeit über die eine der mehreren Deutungen nicht möglich ist.
Daß in diesen drei Fällen der Vertrag nichtig ist,
ist allerdings
zweifellos.'^) Allein kein Richter würde wohl auf den Gedanken kommen, das Gegentheil anzunehmen, daher denn der Gesetzgeber hier über besser schweigt.
Zum Schlüsse muß
nochmals hervorgehoben werden,
diesen untergeordneten Bedenken
daß
außer
gegen den Hauptinhalt der Vorschläge
Werthauer's sich nichts einwenden läßt.
II.
Versuch eigener Gegenvorschläge.
§ 19. Wenn der Verfasser Gegenvorschläge machen wollte, so müßten sie nach dem Vorstehenden folgendermaßen lauten: I.
nichtig,
„Eine
Willenserklärung
ist
wegen
Irrthums
wenn für den Fall solchen Irrthums durch die
erkennbare Bestimmung des Irrenden oder die (nach allgemeinen Grundsätzen) ihren Inhalt ergänzende Ver kehrssitte ihre Nichtigkeit angeordnet ist."
II.
Auch außerdem kann der Urheber einer Willens
erklärung von derselben zurücktreten, Absicht nicht entsprach und
wenn
sie seiner
1. der Irrthum entschuldbar war, 2. keine Gefahr vorliegt, daß er betrüglicher Weise
vorgeschützt wird, 3. derjenige, welcher sich auf die Erklärung verlassen
mußte,
von
dem
Irrenden
in
Geld
entschädigt
wird, und 4. sein Schaden aus der Auflösung des Vertrages in Geld ausgeglichen werden kann. III.
Gegen
Rechtsnachfolger des Vertragsgenossen
darf der Irrende dieses Recht nur ausüben, soweit dem nicht die allgemeinen Grundsätze über den Erwerb red165) Leonhard, der Irrthum II § 19, § 22, I S. 186 ff.
103 licher Dritter entgegenstehen, oder der Sinn der gepflo genen Abrede widerspricht.
Ein g leiches Rücktrittsrecht steht dem Absender
IV.
einer Erklärung zu, wenn diese ohne Schuld unterwegs
entstellt und in solchem Zustande angekommen ist,
daß dies der Empfänger bemerken mußte. § 101,
ohne
(Ein Ersatz für
in welchem die Bezeichnung der Telegraphenanstalt und „Mittelsperson" nicht ohne
ähnlicher Beförderungswerkzeuge als
sprachliche Härte ist.) Alle diese Sätze sind freilich, wie wir sahen, selbstverständlich und daher von ihrer besonderen Anerkennung unabhängig.
Noch
eine Frage ist unerledigt:
„Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit?"
Soll das durch einen geschäftshindernden Irrthum erzeugte Geschäft so lange gelten, bis eine besondere Anfechtungserklärung es wegräumt, oder auch ohne das ungültig seht.166)
Da wir sahen, daß die Jrrthumsfrage eine Auslegungsfrage ist, die Erklärung also für den Fall des geschäftshindernden Irrthums nichts
anordnet, nehmen
so müßte man ihr,
wollte,
wenn man ihre bloße Anfechtbarkeit an
gewissermaßen eine
nach
ihrem Inhalte unerwünschte
vorläufige Wirksamkeit aufdrängen. Hierzu liegt kein Bedürfniß vor. Was ferner die Heilbarkeit des nichtigen Geschäfts betrifft,167) so ist auch
sie eine Auslegungsfrage. Gerade deshalb wird es keinem Zweifel unterliegen können, daß der Irrende sich dann das Recht vor behält,
die Erklärung zu heilen,
wenn der Irrthum nur ihn allein in
eine schmerzliche Enttäuschung bringt.
Betrifft es aber einen Umstand,
der für beide Theile gleich wichtig ist, z. B. wenn ein falsches Haus ver kauft ist, welches der Verkäufer nicht entbehren, und der Käufer nicht
brauchen kann,
heilen,
so
können
nicht einer allein.
nur beide Theile
zusammen das Geschäft
Wo nun aber der Eine der durch einen ge
schäftshindernden Irrthum Enttäuschte ist und den Andern dadurch miß handelt, daß er sich eine Heilungserklärung vorbehält und so die Nichtig
keitsklage beständig
über dem Haupte eines Vertragsgenossen
als Da-
166) Vgl. hierzu Förster-Eccius, Theorie und Praxis Bd. I § 30, Dernburg, Preuß. Privatrecht Bd. I § 108, Leske, der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches, Leipzig, Veit u. Co., 1889, S. 11 Anm. 2, Seuffert, Archiv Bd. V Nr. 153. 167) Sie unklaren Ausdrücke „absolut" und
grundsätzlich hier wie sonst.
„relativ"
vermeidet der Verf.
Auch die Worte „subjectiv" und „objectiv" sind wegen
ihrer Mehrdeutigkeit thunlichst vermieden.
104 moklesschwert schweben läßt, da wird dieser sich durch eine Feststellungs
klage (§ 231 C.P.O.) helfen können,
feststellt,
welche die Nichtigkeit endgültig
sofern sich nicht der Verklagte (der aber auch dann auf alle
Fälle die Proceßkosten tragen muß)
bis
zum Urtheile entschließt, das
Geschäft zu heilen.
Alle diese Dinge bedürfen m. E. einer gesetzlichen Regelung selbst
dann nicht, wenn man den vorstehenden Vorschlägen zustimmt.
Das
Gleiche
gilt
von
der bekannten
im Hauptpunkte richtigen,
neuerdings freilich mehrfach angezweifelten Lehre von Savigny/9«) daß der Irrthum, welcher die Willenserklärung nach ihrem eigenen Sinne als ungültig
erscheinen
läßt,
auch
ohne
Entschuldbarkeit
berücksichtigt
werden muss.168 169) Am besten würde es freilich sein, wenn das neue Gesetzbuch über
die allgemeine Jrrthumslehre
Es stehen hier in der
gänzlich schwiege.
Wissenschaft zwei unversöhnliche Parteien einander gegenüber,
hänger des Willensdogmas
die An
und die Freunde der Zuverlässigkeitslehre.
Hie Einzelwille, hie Verkehrswohl, so lautet der Schlachtruf der Streiter. Was dem Einen recht ist, ist dem Andern billig. der Zuverlässigkeitslehre
als Härte empfinden,
Wie es die Anhänger
daß der Entwurf ihnen
die Vertheidigung ihrer Sache abschneiden will, so müssen sie einen ähn lichen Gewaltact gegenüber ihren Gegnern möglichst zu vermeiden suchen,
sobald das Gesammtwohl es erlaubt oder gar verlangt. Daß dies aber der Fall ist, soll im nächsten Abschnitte nachgewiesen
werden.
Zweiter Abschnitt.
Rechtfertigung der vorgeschtagenen Herstellung einer GefetzbuchKlücke. Cap. 1. Zulässigkeit von Gesetzbuchslücken. I. Der erforderliche Gesetzbuchsinhalt. a) Dir Veranlassung -er Gesetze.
8 20. So weit der Gesetzbuchsinhalt reichen muß, so weit sind Lücken un
zulässig.
Wie weit er aber gehen soll, ergiebt sich aus seinem Zwecke.
168) Dernburg, Pand. I § 101 und Graf Pininski, a. a. O. Bd. II S. 408 ff., welche mit der heutigen Meinung die Ansicht Savigny's anders auffassen. 169) Richtig Seuff., Arch. VII, 19, IX, 141,261, vgl. Leonhard, der Irr thum Bd. II S. 520 ff.
105 Den Zweck einer Einrichtung erkennt man
bekanntlich
am besten
nicht da, wo sie gilt, — dort hält man sie meist für selbstverständlich —,
sondern nur da, wo sie fehlt, und wo ein dringendes Bedürfniß eine zu nächst unbefriedigte Sehnsucht nach ihr erzeugt.
So verhält es sich auch mit den Gesetzbüchern. Wir müssen in die gesetzlosen Zeiten der Weltgeschichte blicken, die Klagerufe der Plebejer vor der Herstellung der zwölf Tafeln nicht minder
anhören, wie diejenigen der deutschen Kaufherren in der Faustrechtszeit, um zu verstehen,
warum man dort ein Gesetzeswerk schuf und hier ein
solches aufnahm. Die Ursachen solcher Rechtserneuerung sind immer die Mangelhaftig keit der Rechtspflege und die Rücksichtslosigkeit mächtiger Rechtsgenossen, dieselben Erscheinungen, welche auch den großen Friedrich
in so hohem
Maße (vielleicht sogar in allzu hohem Maße) erbitterten und das Preu
ßische Landrecht aus sich heraus geboren haben. Und doch dürfen wir uns nicht verhehlen, daß solche Uebelstände nur Zeichen des Verfalls einer früher erträglichen Culturstufe sind. Wären sie von Anfang an unleidlich gewesen,
so
würde man sie nicht
erst so spät bekämpft haben.
Wir müssen vielmehr annehmen, Rechts
überall lange als etwas
daß die Zeit des ungeschriebenen
ganz Natürliches
namentlich als die Kunst des Schreibens
zugten Kreises war. Wir dürfen jedoch wohnheiten
nicht glauben,
geurtheilt wurde.
empfunden
das Geheimniß
daß damals
wurde,
eines bevor
lediglich
nach Ge
Selbst in verkehrsarmen Zeiten bilden
sich nicht so viel Gewohnheiten, wie Gelegenheiten zu Streit und Kampf. Hier mußte der Richter (mochte es nun das Volk
sein oder ein Einzel
ner) oft genug Recht erzeugen, weil er es nicht vorfand.
aber nicht willkürlich, sondern dem Gemeinwohl zu Liebe.
Dies that er Er richtete
so, daß sein Urtheil ein gutes Beispiel gab, gemeinnütziges Streben an
feuerte und von gemeinschädlichem Begehren abschreckte. Dieser ideale Zustand scheint Manchem noch jetzt begehrenswerth. Einer unserer geistvollsten Juristen wünscht ihn noch für die Gegenwart
herbei 17°).
Vom Standpunkte des Richters aus ist ein solches Begehren
begreiflich.
Ein Richter, den nur sein Gewissen bindet,
der bei jedem
Urtheil den Eindruck vorher berechnet, welchen es auf das Wohlverhalten der Rechtsgenossen zu machen verspricht, und hiernach der gemeinnützigeren no) Bähr in den Grenzboten 1888 S. 391 ff., 450 ff.
106 Möglichkeit vor der minder gemeinnützigen,
natürlich noch mehr vor der
gemeinschädlichen, den Vorzug giebt, ein solcher Rechtspfleger ist in einer
beneidenswerthen Lage und in einer bewunderungswürdigen Stellung.
Eine
derartige
Vaterlande
fürstliche
manchen
in
scheint
Machtvollkommenheit
Gebieten
in
der
That
dem
in
unserm
gemeinrechtlichen
Während in den einen Theilen des Reiches
Richter zugefallen zu sein.
der Richter nach einem bekannten Worte „ein wanderndes corpus Juris" ist und
der
gewissenhaft an Ulpian und Papinian ebenso anlehnt, wie
sich
altpreußische Jurist
an
während man
seine Landrechtsparagraphen,
ferner in anderen Bezirken nicht den Gesetzestext von Justinian's Werk,
sondern
irgend
ein Lehrbuch oder vielleicht auch mehrere als verbindlich
anzusehen pflegtl71), so leitet man endlich auf noch andern Richterstühlen
aus
der Zweifelhaftigkeit de:r Texte
und der Verschiedenheit der Lehr
meinungen einfach für sich das Recht her, mit derselben Unumschränlheit
zu urtheilen,
welche in alter Zeit den Gesetzgebungen vorausging.
Um
diesem Zustande ein entschuldigendes Mäntelchen umzuhängen, nennt man es
Urtheilen
der Natur der Sache"
„aus
(richtiger wäre:
„aus
der
Natur der eigenen Person"). Unsere
gemeinrechtlichen
Juristen
zerfallen
daher
in
Diener der
römischen Rechtsbücher, der Lehrbücher und der eigenen Einsicht.
Daß besonders
gerade bei den unumschränkten Rechtspflegern
das Volk
sich
schlecht
das Publicum
soll
steht,
liebt vielleicht
der Natur der Sache"
nicht
Im Gegentheil:
behauptet werden.
weit mehr einen Rechtspfleger,
entscheidet,
der „aus
d. h. aus seinem eigenen Gedanken
kreise, also aus Anschauungen, welche das Volk erforschen und berechnen kann, als einen solchen, der aus einem Gesetzbuche Recht schöpft, welches die Menge niemals wird verstehen können, deutschen
Ursprungs
sein,
mag
es
mag es nun römischen oder
sich Pandekten
oder Sachsenspiegel
nennen. Wir begreifen daher, daß gerade aus der Mitte dieser unumschränkten Jurisprudenz
der Wunsch
verallgemeinern. jedenfalls
ausgesprochen
Ein Fürst,
lieber sehen,
worden ist,
ihren Zustand zu
welcher mediatisirt werden
soll,
wird
es
daß andere neben ihm in seinen Stand erhoben
werden, als daß er selbst zu ihnen hinabsteigen muß. Man darf hiergegen auch nicht etwa behaupten wollen,
daß unsere
1/r) Die Bemerkung des altpreußischen Juristen, über welche Bähr a. a. O. S. 455 Anm. sich beklagt, war allem Anscheine nach durch die Beobachtung that sächlicher Verhältnisse verursacht.
107 Richter solcher Stellung nicht gewachsen sein würden.
An Wohlwollen,
Gewissenhaftigkeit und Durchbildung lassen sie vielmehr nichts zu wünschen
übrig.
Die
gegen
welche Friedrich Wilhelm I.
Vorwürfe,
und Friedrich II.
treffen sicherlich heut
den Richterstand ihrer Zeit erhoben haben,
zutage nicht mehr zu.
Trotzdem wird die Mehrzahl der Juristen einen solchen Machtzuwachs
ablehnen,
entschiedensten werden
am
mit dem Schreiber dieser Zeilen
wohl diejenigen thun,
es
welche
mit Unrecht bisweilen verkannte,
die
strenge altpreußische Ausbildung genossen haben.
der Erkenntniß
zu
sind
Diese
erzogen,
daß
mit der
Macht
die
strengste Verantwortlichkeit verbunden; ist und wo diese letztere nicht mehr mit
werden kann,
getragen
ruhigem Gewissen
da darf auch die Macht
nicht begehrt werden. liegt
So
der
„aus
Man denke sich in die Lage des Richters,
es aber hier.
der Natur der Sache" schöpfen,
solche Urtheile fällen
d. h.
soll, die ihm in ihren Nachwirkungen auf die Seelen der Rechtsgenossen gemeinnützig
werfen
sein
zu
Ein
scheinen.
„Kann
müssen:
ich
solcher würde sich die Fragen auf
die Einwirkungen meiner Urtheile auf das
Volk auch nur mit annähernder Sicherheit vorausbestimmen? nur
doch
was
wissen,
genau
Kann ich
da ich von meinem Vaterlande
kleinen Bezirk beobachtet habe und in diesem auch nur
einen
kleinen Personenkreis,
einen
ist,
„gemeinnützig"
der
nicht
den gewähltesten
gerade
immer
Theil der menschlichen Gesellschaft darstellt?"
Wenn er ein ehrlicher Mann ist, so muß er diese Fragen verneinen. Er kann namentlich auch nicht auf Bücher verwiesen werden;
von
wimmeln
Meinungsverschiedenheiten,
bei
denen
nur
denn diese
die
eigene
Erfahrung den Ausschlag geben kann. Dieser Uebelstand
höher kann
die
Bildung
je höher der Reichthum,
wird immer größer,
eines Landstriches
man wohl in seinem Inhalte,
je
armseliges Dörflein
Ein
steigt.
wie in seinem Zusammenhänge mit
dem übrigen Vaterlande völlig übersehen und daher dort dasjenige, was gemeinnützig
ist,
ziemlich leicht feststellen.
Durchschnittskenntnisse
wächst,
je
Je höher aber das Maß der
mannigfacher
die
Erfahrungen
und
Wünsche der Einzelnen sind, desto unvollkommener wird das Gesammtbild seines Sprengels sich in des Richters Seele bilden, und desto größer die
Gefahr sein, daß dasselbe Bild bei verschiedenen Rechtspflegern ganz ver
schieden den
ausfällt.
Namentlich
aber
unvollkommenen Zerrbildern
innerhalb
eines
wird
abheben,
es sich hier immer mehr von welche
undurchsichtigen Gewimmels
von
der Privatmann sich
dem
großen Ganzen
108 bilden
muß.
Hier gehen die Ansichten immer mehr aus einander.
Die
Richter trennen sich in ihrer Denkart unter einander und mehr noch von
den
Gerichtseingesessenen.
größeren Städten
den
In
kann
man
dies
genau beobachten.
Der die
höhere Bildungsgrad
und
der höhere Reichthum müssen also
innere Gleichartigkeit der Volksgenossen trüben und somit ein volks-
thümliches Recht unmöglich machen.
ißt,
Erkenntniß
mehr
desto
wird
Je mehr das Volk vom Baume der
es
aus den paradiesischen Zuständen
einer gesetzlosen Rechtspflege hinaus gedrängt. Darum sind es nicht gerade die reichsten und kenntnißvollsten Land
striche, in denen sich das Urtheilen „aus der Natur der Sache" zu erhalten vermocht hat.
Die Zerklüftung der Rechtsansichten ist also die Quelle des Gesetz
gebungsbedürfnisses.
Das Ziel des Gesetzbuchs aber ist, ihr ein Gegen
gewicht zu bieten.
b) Iirle und Mittel der Gesetzgebung. Die Gesetzgebungsziele.
«)
§ 21.
Die
durchaus
soeben
klar
gelegten
Uebelstände
der Gesetzlosigkeit, (welche
noch keine Rechtlosigkeit zu sein braucht),
weisen uns auf die
Ziele des Gesetzgebers hin; genau so wie der Inhalt des ärztlichen Re
cepts aus der Krankheit des Patienten gefolgert werden kann. Das Meinungen
Gesetzbuch
ist
ein Gegengewicht
dasjenige
über
Verhallen,
wider die Zerklüftung
welches
als
gemeinnützig
der
zu
gelten hat.
Es ist zugleich ein Gegengewicht wider richterliche Abwege und wider die Rechtsverwirrung in den Seelen der einzelnen Rechtsgenossen.
Wo
die Richter allzu verschieden denken, da lähmt jeder Wechsel in der Person
des Rechtspflegers das Vertrauen auf den voraussichtlichen Inhalt seiner Sprüche.
Abhängigkeits- und Sicherheitsgefühl mindern sich.
Der Böse
fürchtet nicht mehr das Schwert der Themis,
der Wohlmeinende glaubt
nicht mehr an das Gleichmaß ihrer Wage.
Beiden Uebelständen Hilst
der Gesetzgeber ab.
Aber
auch
die Zersplitterung der Rechtsgedanken des Volkes be
darf des Gegengewichtes.
Das gegenseitige Vertrauen, die Vorbedingung
des Verkehrs und Volkswohlstandes, erlahmt nicht bloß da, wo die sitt
liche Zuverlässigkeit schwankt,
sondern schon da,
dasjenige, was sie gebietet, sich zerklüften.
wo die Ansichten über
109 Auch hiergegen muß die Gesetzesvorschrift ankämpfen.
Beide Ziele,
den Streit wider die richterlichen und wider die all
gemeinen inneren Zersplitterungen, theilt die Gesetzgebung mit dem Unter
richtswesen, das in gleicher Weise einend wirkt.
Eine Einigung der verschiedenen Ansichten ist
aber nur möglich
durch eine Wahl unter ihnen oder durch Aufstellung einer neuen Meinung
statt ihrer.
Hier muß der Gesetzgeber die verschiedenen Rechtssätze nach ihrer Wirkung prüfen,
die sie
erfahrungsmäßig und voraussichtlich aus das
Verhalten des Volks ausüben werden.
nie vergessen,
Er darf hierbei
daß nicht er allein es ist, welcher die Menschen lenkt, sondern daß neben
ihm Sitte, Religion, Selbstsucht, Liebe und andere Mächte den Einzelnen bestimmen und in der Diagonale aller der verschiedenen Kräfte vorwärts treiben,
welche
auf ihn wirken, und von welchen das Gesetz nur eine
einzige ist. Hätte man dies sich klar gemacht, minder ungünstig beurtheilt haben,
hat sich auf das Nothwendige
so würde man den „Entwurf"
beschränkt und
zweifellos
Bestrebungen im besten Sinne des Wortes gehuldigt.
Hinsicht sollte man
Der Entwurf
als es geschehen ist.
eonservativen
Schon in dieser
seinen Verfassern eine verdiente Anerkennung nicht
verkürzen. Gewöhnlich stellt man freilich das Ziel der Codification viel höher. Man verwechselt Gesetz und Recht,
es
man beansprucht vom ersteren,
daß
die volle Menge der gültigen und in der Praxis nöthigen Rechts
vorschriften in sich aufnehme, genau bestimme, wann der Richter Klagen
zulassen und
verweigern soll,
wann der Privatmann etwas thun oder
unterlassen muß, um fremde Rechte zu schonen.
Dieses Ziel ist einfach unerreichbar, und jeder Annäherungsversuch ist verfehlt.
Man fesselt „den Geist in ein tönendes Wort", wenn man
glaubt, die unendliche Menge des täglichen Lebens in feste Wortformeln
zwängen zu können. und
gedeiht nur
Solcher Glaube
entspringt nur der Studierstube
beim trüben Lampenlichte.
Wer das wirkliche Leben
kennt, kann ihn nur als traurigen Wahn beklagen.
Alles sagen will, sagt schließlich nichts.
Ein Gesetzgeber, der
Sein Werk wird unübersichtlich,
widerspruchsvoll und innerlich planlos, so daß die leeren Stellen, die es schließlich doch übrig läßt, nicht verstopft werden können, und durch seine vielen
stehen.
inneren Räthsel zunächst
zahllose Lücken des Rechtes
neu ent
110 Das Gesetzbuch kann sehr leicht mehr neue Zweifel schaffen, als es
an alten beseitigt. Recht und Gesetz
bleiben
also
zweierlei.
Wo das Gesetz schweigt
oder mehrdeutig ist, da fängt das „bloße Recht" an. auch in unserer Zeit auf demselben Boden,
Dieses steht aber
den es in der Urzeit hatte,
auf dem Boden des Gemeinwohls.
Diejenigen Grundsätze gelten also im Zweifel, nützigen
sind.
Dies
Darüber, was nun zu unserer Zeit für ein Gerichts
Entwurfs sein.172)
gemeinnützig
gebiet
einigen,
welche die gemein
allein kann der räthselhafte „Geist" des § 1 des
ist,
werden
sich
natürlich
die Meinungen niemals
aber nur eine Ansicht kann die richtigste sein.
Die wirklichen
Volksbedürfnisse und die Lehren der Rechtsgeschichte geben die Antwort auf die gestellte Frage.
barer
Richter,
allein
er
Nur wer Beides genau kennt, vermag
die
ist ein brauch
Gesetzesbestimmungen mit
seiner
eigenen Kenntniß und Denkkraft so weit zu ergänzen, daß sie vollständig genug werden, um anwendbar zu sein. Es
giebt
also
kein Gesetzbuch,
das
den
Rechtsgenossen
eine
er
schöpfende Anweisung zu einem rechtlichen Leben und den Urtheilsftndern eine erschöpfende Anweisung zu einem angemessenen Richten geben kann.
Am allerwenigsten können wir aber dem Gesetzbuchs diejenige Auf gabe zuertheilen,
welche man ihm früher stellte, namentlich zur Zeit der
12 Tafeln und auch im vorigen Jahrhundert in Preußen,
Ziel,
gegen
Nachlässigkeit und
ungerechte
Vorliebe des
nämlich das
Richters
eine
einschränkende Macht zu bilden.
Beide Fehler sind im Laufe der Welt
geschichte sicherlich vorgekommen,
wenn sie auch glücklicher Weise unserm
Die akademische Freiheit, die sitt
gegenwärtigen Richterstande fern sind.
liche Kraft eines wissenschaftlichen, d. h. auf selbständige Quellenforschung
gerichteten Denkens haben hier Wunder gewirkt.
Die Zucht der
prak
tischen Erziehung aber und die würdige Unabhängigkeit des Amtes haben das gewünschte Ergebniß vollendet.
Unsere Richter verdienen daher kein Mißtrauen.
Allein
wenn
sie
es verdienten, wenn wirklich richterliche „Willkür" (d. h. Ungebundenheit gegenüber der Stimme des Gewissens) zu befürchten wäre, so würde doch
der Gesetzesbuchstabe ein schlechtes Gegenmittel wider dieses Uebel sein. 172) Bähr freilich spricht jetzt die Befürchtung aus (Kr. V.J.Schr. Bd. 31
S. 371), daß man in Zukunft unter dem „Geiste der Rechtsordnung" den Geist der
Verfasser des Gesetzbuchs verstehen werde.
Dies ist nicht anzunehmen.
Die auf die
Bedürfnisse des Volkswohls hinzielende Wissenschaft wird auch in Zukunft die Kraft besitzen, mit diesem Geist ein Wort zu reden.
111 daß überall, wo buchstäbliche Vorschriften
Die Erfahrung hat gelehrt,
herrschten, der Spitzfindige und Ungerechte über den ehrlichen, redlichen
Mann weit eher zu triumphiren pflegte, als anderswo, der Richter aber
doch Mittel und Wege fand, um den Scharfsinn des Gesetzgebers zu überbieten. juria“.
Gerade dort entstand der Satz:
schränkt werden,
geber,
„summum jus, summa in
Ein unredlicher Richter kann durch das Gesetzeswort nicht be er weiß
zu drehen und zu wenden.
es
Ein Gesetz
welcher glaubt, daß er ihm durch seine Worte hierbei ein Bein
stellen kann,
wird
das Gegentheil von dem erreichen,
was er beab
sichtigt. Wohl aber übt das Gewohnheitsrecht in Verbindung mit dem öffent
lichen Verfahren
auf den Richter einen psychologischen Druck aus, der Ob ein Urtheilsspruch einen guten löblichen
ihm die Willkür erschwert.
Brauch verletzt,
das versteht das Volk,
und wo der Richter dies nicht
thun darf, da liegt seine Ungerechtigkeit offen zu Tage.
Diese Schranke gegen richterliche Willkür hat man freilich
beseitigt
(§ 2), und es ist vielleicht in der That kaum möglich, sie in ihrem vollen
Umfange aufrecht zu erhalten.
einer Gewohnheit zu folgen,
setze
widerspricht, da ist
Wo es dem Privatmanne erlaubt ist,
von der er wissen muß, daß sie dem Ge
eine Rechtseinheit nicht erzielbar.
Daß man
jedoch die unbewußt gesetzwidrige Nachahmung einer anscheinend legalen
Gewohnheit diesem Falle gleichstellt, dürfte eine große Härte in sich bergen. Selbst wenn also
der
Gesetzgeber nur
„aufzeichnet" (codificirt),
muß er seine Arbeit lediglich nach ihrer voraussichtlichen Wirkung und
in ihrem Zusammenhang
mit dem gesummten Culturleben abschätzen, nicht nach der Absicht, erschöpfend zu sein oder des Richters Willkür zu
beschränken. Damit ist aber nur die eine Seite der Gesetzgebungsthätigkeit er läutert. Die Weltgeschichte kennt noch eine andere, die reformirende oder umgestaltende, wie sie z. B. der große Peter in Rußland übte. ist die gefährlichere,
daher durch
Diese
weil sie mit unbekannten Größen rechnet, sie wird
außerordentliche Nothstände bedingt, und
der sie ohne solche unausgesetzt anwenden, würde,
ein Gesetzgeber,
müßte in kurzer Zeit
die Erinnerung an die Vergangenheit des Staats wegwischen, welche die Vaterlandsliebe erzeugt und damit den Hauptkitt der dauernden Einung
der Volksgenossen zu einem Ganzen bildet. Bei uns
liegen solche dringende Nothstände zur Zeit nicht vor,
wenigstens nicht in der Grenze der Aufgaben, welche das neue Gesetz buch lösen soll.
112 Die Ziele unserer Gesetzgebung können also nur sein: „Abwehr drohender Meinungsverschiedenheiten und im Noth
falle gemeinnützige Umgestaltungen der hergebrachten Grundsätze."
Die Gesetzgebungsmittel.
ß.
§ 22. Wenn soeben worden sind,
schon
Ziele
die
der
als sie der kühne Flug
Gesetzgebung niedriger gesteckt
unmäßigen Begehrens festzusetzen
pflegt, so wird ein Blick auf ihre Mittel uns noch mehr zur Bescheiden heit und Nüchternheit herabstimmen müssen. Wie der verständige Denker seine Wünsche nach seinen Mitteln be Seine Werkzeuge sind nichts als SBorte.173)
mißt, so auch der Gesetzgeber.
Diese Worte sollen in die Seele des Lesers dringen, dort in Verbindung mit
dessen Vorkenntnissen Gedanken erzeugen,
Denkenden
nommen,
bestimmen.
Die
keinen Sinn,
Worte
bergen
sondern empfangen
welche das Handeln des
aber ihn
in
strenge
sich,
ge
erst im Geiste dessen,
der sie in sich aufnimmt, wie schon oben gelegentlich bemerkt wurde.
So steht denn zwischen dem Gesetzgeber und dem Erfolge, den sein Befehl anstrebt, Worte
das Mißverständniß
hinwegspringen müssen.
als eine Schranke, über die seine
Natürlich
Durchschnitt des denkbaren Leserkreises.
wendet
er sich
nur an den
Die Unglücklichen, denen es be
stimmt ist, „non intelligere, quod omnes intelligunt“, kann er nicht bei dem Satzbau seiner Befehle in das Auge fassen, ebenso wenig wie die
übergenialen Naturen,
welche die
und zwischen den Zeilen lesen,
leichteste Andeutung
sofort
was sie daselbst lesen sollen,
ergänzen
bisweilen
sogar noch mehr. Um nun die Durchschnittsgröße der Fassungskraft seiner Leser abzu messen, muß sich der Gesetzgeber darüber klar werden, zu wem er eigent
lich
reden
will.
Die Gesetzgeber
haben sich zu dieser Frage im Laufe
der Zeiten in sehr verschiedener Weise gestellt.
Das preußische Landrecht
wollte zum Volke reden, die zwölf Tafeln thaten es, die deutschen Rechts
bücher versuchten es. nicht danach,
Justinian's Codex verlangt es, handelt aber selbst
denn daß die
byzantinischen Proletarier Justinians Vor
schrift über das beneficium inventarii u. dgl. begreifen konnten, ist kaum
glaublich.
Solche Rede zum ganzen Volk,
eine juristische Bergpredigt,
wäre
Festgabe für Gneist.
Jena,
173) Vgl. auch Franken, Vom Juristenrecht. Fischer, 1888, S. 109.
113 allerdings
etwas
Schönest")
sehr
Allein
läßt
es
wirklich
sich
auf
höherer Bildungsstufe erreichen? Giebt es einen Popularschriftsteller, dex die Lehre
vom Conto-Current
oder
kaufmännischen Retentionsrechte so
klar darstellen kann, daß unsere Tagelöhner sie mit Erfolg lesen können? Ich glaube nicht. Richtern
lyrischen
zum ganzen Volke reden will,
Wer nur
Gegenstände
berühren,
welche
muß gleich den jeden
angehen.
Auf dem Rechtsgebiete gehören aber nur wenige Dinge in diesen allge mein menschlichen Gefühlskreis hinein, nur die Hauptsachen;
das Meiste
ist und bleibt jedoch für die Masse zu hoch.
Und doch
soll und muß
die Menge
eine Möglichkeit
haben,
Kenntniß der Sätze zu gelangen, welche ihr Loos bestimmen.
zur
Es giebt
da noch einen anderen Weg, welchen diejenigen nicht beachten, die durch
aus das neue Gesetzbuch im Tone eines Volksbuches abgefaßt zu sehen wünschen.
führt schließlich auch zum Volke.
Dieser Weg
Freilich ist er nicht
der nähere, aber er ist der bessere und ungefährlichere. das Publikum.
müssen,
Er wendet sich
an den Richter und den Anwalt und durch diese hindurch an
zunächst
Der Anwalt räth seinen Clienten, wie sie sich verhalten
um dem Rechte
Rath ertheilen die
zu
genügen.
Einen
richterlichen Sprüche.
gleichen
stillschweigenden
Was nach ihnen die Einsich
tigen thun oder unterlassen, wird dann auf dem Wege der Nachahmung
ein allgemeines Verhalten.
Was also der Anwalt oder Richter aus dem
das wird auf diese Weise in einer ungeschriebenen
Buche geschöpft hat,
Form geistiges Besitzthum der Massen. Darum ist das Gewohnheitsrecht
großem Werthe.
er eine Möglichkeit,
geistig
beherrschen
für den gemeinen Mann von so
In der Nachahmung des allgemeinen Verhaltens sieht
dem Gesetze zu genügen, kann.
gerade zu ihm spricht,
Ein Gesetzbuch,
das er unmittelbar nicht
welches in
seiner Redeweise
kann daher allenfalls das Gewohnheitsrecht ver
bieten, ein solches aber, das nur zum wissenschaftlich gebildeten Richter
redet, sollte es nicht thun. Wenn man begreifen,
jetzt
dem gemeinen Mann,
der das Gesetzbuch nicht
sich also nur nach Gewohnheiten richten kann,
die Befugniß
abschneiden will, sich auf diese zu berufen, wenn man ihn also an Vor
schriften binden will, die er bei dem besten Willen nicht erkennen kann, so liegt dem derselbe Mangel an Beobachtungsgabe gegenüber den Leiden der Mitmenschen zu Grunde, welcher das Willensdogma kennzeichnet.
174) Vgl. auch Zitelmann, Die Rechtsgeschäfte im Entwurf, Berlin 1889, S. 1. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. in. 8
114 Hieraus
ergiebt sich,
seiner Redeweise darf
er nicht in
daher auch
daß
der Gesetzgeber das Recht hat,
an die Fassungskraft des Richters seinen Anforderungen auch
sich in
anzulehnen.
Nur
über sie hinausgehen und
nicht die Sprache jener Gelehrten reden,
welche sich
dessen
rühmten, daß sie von Niemand verstanden werden sonnten.175)176
Auch in dieser Hinsicht scheint
dem Verfasser der Entwurf nur in
einzelnen wenigen Theilen aus den gegebenen Schranken herausgetreten zu sein.
Wo dies der Fall ist, wo er also mißverständlich ist, wird er
nicht bis in das Volk dringen, weil er schon auf dem Wege dckhin un
verstanden bleiben und somit in seiner Kraft erlahmen wird. Nur was dungen,
in das Volk dringt,
welche überraschend wirken,
mehr unheilvoll als segensreich.
geber vermeiden, und darum
vermag dort zu
wirken.
Entschei
weil man sie nicht erwartet,
sind
Solche hervorzurufen, muß der Gesetz
sollte die Jrrthumslehre
in ihrer gegen
wärtigen Gestalt nicht stehen bleiben.
II.
Der Zweck der Gesetzgebungslücken.175)
§ 23. Wir sehen aus dem Vorhergehenden, wie weit Gesetzeslücken möglich, und wie weit sie nöthig sind.
Möglich erscheinen sie uns überall da, wo sich die Gesetzgebungs
ziele nicht mit den Gesetzgebungsmitteln voll und ganz erreichen lassen. Wo daher die Meinungen der Richter und der Rechtsgenossen nicht
also zersplittert oder auf Abwege gerathen sind, daß der Gesetzgeber Ver anlassung hat, sie in eine bestimmte Bahn zu zwingen, da erscheint die
Gesetzgebung überflüssig.
Sie ist es aber
Mittel auf den rechten Weg leiten,
auch überall da,
wo andere
wo Verkehrssitte und Wissenschaft,
Takt und Einsicht des Richters des gesetzgeberischen Gängelbandes nicht bedürfen.
Endlich da, wo die Aussicht, zum Volke durchzudringen und
auf das Volk zu wirken, fehlt.
Die Nothwendigkeit der Lücken ergiebt sich aber auch gleichfalls aus dem oben Ausgeführten.
Der Gesetzgeber muß da eine Lücke lassen,
wo seine Bestimmung mehr Nachtheile erzeugen wird, als Vortheile, wo sich
das Mißverständniß
einzustellen droht, und nach menschlicher Vor
aussicht die Gefahr neuer Zweifel
und Zersplitterungen größer ist, als
die Hoffnung auf Beseitigung der vorhandenen. 175) Vgl. auch Meischeider a. a. O. S. 99. 176) Vgl. auch Hölder, Ueber den Entwurf eines deutschen bürgerlichen Ge setzbuches, Erlangen u. Leipzig, 1889, S. 23 ff.
115 Wir müssen es daher als eine lobenswerthe Enthaltsamkeit rühmen,
daß der Entwurf
gescheut hat,
sich nicht
an vielen überaus wichtigen
Stellen mit denkbaren Bestimmungen zurückzuhalten. Die
gesetzlichen
Schranken,
welche in Zukunft den Richter gleich
einer Mauer umgeben sollen, sind
also in überaus verständiger Weise
zahlreiche Luft- und Lichtlöcher durchbrochen worden,
durch
Richter
durch
sie
auf
das
freie
Gefilde
der
damit der
Wissenschaft
hinaus
blicken kann. Es ist hier ein Hauptfehler des Allgemeinen Preußischen Landrechts
welches sowohl seine Richter wie seine Unterthanen
vermieden worden,
durch einen förmlichen Festungswall von den „Meinungen der Rechtslehrer" abzuschneiden suchtein).
Capitel 2.
Anwendung der gefundenen Grundsätze ans den Entwurf.
I. Auf die Jrrthumslehre.
§ 24. Wenden wir die gefundenen Grundsätze auf die allgemeine Jrrthums lehre des Entwurfes an,
so können wir an der Möglichkeit, die §§ 98
(meines Erachtens
bis 102
zweifeln. Man mag
auch den dunkeln § 97) wegzulassen,
über die Jrrthumslehre bei Verträgen denken,
kaum
wie man
will, eines sollte man zugeben, daß sich die Verkehrssitte und die Praxis
im Großen und Ganzen des rechten Weges wohl bewußt sind. achten,
daß man an seinem Worte festhalten muß,
nur da Ungültigkeitsgründe sein können,
kehrsbrauch
Kaufleute,
sie
als
solche
ausdrücklich
daß Irrthümer also
wo Parteierklärung oder Ver
oder
stillschweigend
welche darüber hinaus Ausflüchte machen,
herrschenden Meinung der Juristenwelt ihre Kunden auch der Buchstabe des Gesetzes,
Sie be
bezeichnen.
pflegen trotz der
zu verlieren, und
welcher in den Kreisen des Volkes mit
Recht die höchste Beachtung zu finden pflegt,
würde an dieser Thatsache
nichts zu ändern vermögen. Ist dem so, wozu soll dann der Widerspruch zwischen der Verkehrs
sitte und der Gelehrtenwelt unnöthiger Weise in volle Beleuchtung gerückt werden?
Will man ihn durchaus aus einer vollkommen verständlichen
Achtung vor den Vertretern der herrschenden Meinung aufrecht erhalten, 177) Einleitung zum Allg. Pr. Landrechte § 6.
116 so mag man
in den „Motiven"
schlimmsten Falls
ihm
huldigen,
aber
Jener Grundsatz des Entwurfs,
ihn nicht in das Gesetzbuch aufnehmen.
welcher dem Vertragschließenden das Recht giebt, seine eigenen, unerkenn
bar
zum Maßstabe
gebliebenen Wünsche
dem Lehrstuhl
dem Lehrbuche
und
sollte
als deren ausschließliches Besitzthum
Sollte er wirklich richtig sein, so wird er seine Lebens
erhalten bleiben.
kraft bei der
eines Ver
für die Gültigkeit
auf welchen sein Vertragsgenosse sicher rechnet,
trages zu machen,
des Gesetzbuches
ergänzenden Auslegung
bewähren.
Wir
aber, die wir ihn für falsch und schädlich halten, werden dann später eine
um so durchgreifendere Niederlage erleiden. Warum will man uns, statt uns
durch Widerlegung
langsam zu beseitigen,
mit
den Keulenschlägen
der Gesetzesparagraphen niederschmetternd
Ein solcher Sieg könnte doch
der Rechtsgeschichte und
der Wissenschaft nur als ein
vor dem Forum
Pyrrhussieg gelten. Man
sehe sich
Werden nicht aus
diese §§ 97 ff.
ferner
ebenso
ihnen
geschäft
an
entstehen,
und
frage sich:
als sie in der
Die Begriffe „Mangel der Ueber
jetzigen Wissenschaft vorhanden sind?
einstimmung
näher
viel Zweifel
des wirklichen Willens mit dem erklärten Willen" „Rechts
„Nichtigkeit einer Vertragserklärung"
anderer Art",
(während
doch zum Vertrage zwei Erklärungen nöthig sind), der in der Art seiner Abmessung
nicht
näher
bestimmte „Schadensersatz" der §§ 97, 99, die
„Mittelsperson" des § 101, „der Irrthum in den Beweggründen" dergleichen mehr,
fragwürdigen Ausdrücke
alle diese
und
werden eine Fluth
bei deren bloßer Vorahnung es den Freund
von Streitigkeiten erzeugen,
einer schlichten und gemeinverständlichen Rechtspflege eiskalt überläuft.
Allein selbst diejenigen,
welche im Gesetze einen Zügel sehen, durch
welchen richterliche Willkürgelüste gebändigt werden müssen, diesem können.
ihren Standpunkte
aus mit
dem Entwürfe
werden von
nicht zufrieden sein
Je nachdem der Richter eine bestimmte Fahrlässigkeit für „grob"
hält oder nicht, darf er einen Vertrag gellen lassen oder nicht. Die Fest
stellung dieser „groben" Fahrlässigkeit beruht
aber auf einer sehr feinen
welche der Oberrichter nicht
wird prüfend beaufsichtigen
Unterscheidung,
können.
Man denke sich
übrigens in die Seele
eines Richters,
der in
der Lage ist, durch eine derartige Entscheidung die eine der beiden Parteien an den Bettelstab bringen zu müssen.
Die allgemeine Jrrthumslehre kann hiernach offen bleiben, es
aber auch.
Wie
sollten
wohl die
88 97 ff. auf dem gewöhnlichen Wege,
führt,
dem
letzteren
innerlich
sie muß
zweifelsreichen Vorschriften
der
der vom Gesetzgeber zum Volke
zugänglich werden?
Unterwegs,
in den
117 Köpfen der Juristen würden sie von der düstern Gewitterwolke undurch
dringlichen Tiefsinns verhüllt werden, aus welcher verkehrsverletzende Blitz strahlen in der Form unbegreiflicher Entscheidungen hervorbrechen müßten.
Das Volk würde aber meinen, daß man ihm in der neuen Vertragslehre statt des erwünschten Brotes, wenn auch nicht einen Stein, so doch einen
Leckerbissen vorgesetzt hat, welcher nur für juristische Feinschmecker genießbar ist. Aber auch wenn die richtige Jrrthumslehre an die Stelle der falschen gesetzt werden sollte, so würde damit etwas Ueberflüssiges geschehen. Allem
aber würden
legenheit haben,
Vor
dann die Vertreter der herrschenden Meinung Ge
in den Hauptgrundlagen des Rechts
einen Gegensatz
zwischen römischem und deutschem Rechte zu lehren, welcher die ohnehin
bedauerliche Abnahme schwächen würde.
verloren, richterliche
der Freude am Quellen-Studium noch weiter ab
Wo
Das
Tüchtigkeit.
aber
dieses Studium
was viel wichtiger ist,
erlahmt,
da
geht
als ein gutes Gesetzbuch,
etwas
nämlich die
verwickelter Verhältnisie,
Beobachten
ihre
Auflösung in die Bestandtheile, sowie ihre möglichst schlichte Darstellung, diese drei Tugenden kann der Jurist nur an den antiken Mustern lernen,
gerade wie der Bildhauer der Vorbilder
kann.
des Alterthums nicht entrathen
Es ist nicht das römische Recht, was wir lehren und lernen, sondern
die römische Beobachtungs- und Darstellungskunst. Mag immerhin
das Willensdogma
noch eine Weile eine Lücke des
Gesetzbuches füllen, wenn nur die Fühlung mit dem Boden der römischen Quellen nicht verloren geht.
Sie würde es,
Texte in den Grundgedanken ihres Rechts
ihrem Boden werden
sobald man glaubte,
diese
mißbilligen zu müssen.
Aus
und sollen die Gegner des Willensdogmas schließ
lich doch noch die Kraft schöpfen,
um es auf demselben Felde zu ver
nichten, aus dem es herausgewachsen ist.
Der Verfasser glaubt, seine Zuversicht in den unvermeidlichen Sieg
der von ihm verfochtenen Sache wenn
er
für
ihre
Wann der Sieg erreicht
er aber eintreten
nicht
besser
bekunden zu können,
Vorkämpfer jede Hülfe der
wird,
werden wird,
desto
Gesetzgebung
mag zweifelhaft sein.
gründlicher wird
er sein.
als
ablehnt. Je später
Jede Ueber-
stürzung würde ihn nur aufhalten oder zu einem ungenügenden machen. II.
Der Werth des Entwurfs im Ganzen. § 25.
Der Verfasser hat die Jrrthumslehre des Entwurfs hart angefochten.
Um so mehr fühlt er sich veranlaßt, zum Schlüsse hervorzuheben, daß -er das Gesetzeswerk als Ganzes keineswegs mißbilligt.
118
Er glaubt, — soweit dies in der Frist seit seinem Erscheinen möglich
war, — es ziemlich genau kennen gelernt zu haben, da er es sogleich in seine Pandektenvorlesung
überzeugt hat,
und sich davon
verwoben
Litteratur über das Werk hat er sich bemüht,
daß
Auch in der neueren
sich danach das Privatrecht recht gut lehren läßt.
die beachtenswerthen Ein
wendungen von den grundlosen zu unterscheiden.
Um nicht gegen die Verfasser des Entwurfs ungerecht zu sein, muß man die beiden Fragen unterscheiden: Was ist wünschenswerth, und was
ist erreichbar? Daß der Entwurf für jeden selbständig
denkenden Juristen vielfach
sehr weit hinter demjenigen zurückbleibt, was er sich wünscht, ist ein un
Der Entwurf kann nur dem Durchschnitte seiner
vermeidlicher Uebelstand.
nicht denjenigen,
Zeit genügen sollen,
andern Frage
weiter sehen
als
Vaterlandes sich Gehör zu verschaffen
einen oder in der
welche in der
dieser.
Daß auch
suchen,
sie zum Wohle des
ist nicht mehr
als billig,
aber sie dürfen sich nicht darüber beklagen, wenn sie es nicht finden.
Der
herrschenden Strömung
derer sein,
zu unterliegen,
welche durch besondere Arbeiten
wird
sich eine
stets
das Loos
besondere Einsicht
erkämpft haben.
strenge genommen,
Es sollte daher,
jeder Kritiker nur fragen,
ob
der Entwurf schlechter ist als dasjenige, was er verdrängt, das sind die
Gesetz- und Lehrbücher, nach denen bisher gerichtet wird. Ich glaube,
enthält unter
ihm
anhaften.
daß diese Frage verneint werden muß.
Der Entwurf
allen Umständen einen Fortschritt trotz der Mängel,
die
Selbst die vom Verfasser angefochtene Jrrthumslehre ist
zwar von Allem, was er bietet, am mindesten gelungen, aber immerhin
doch
nicht
derartig,
daß,
wenn der Entwurf mit ihr stünde und fiele,
ihretwegen sein Wegfall nöthig sein würde. Daß der Entwurf in stilistischer Hinsicht verbessert werden soll,
ein tief empfundener Wunsch.
ist
Allein selbst wenn dieses Begehren uner
füllt bliebe, ließe sich zur Noth mit ihm auskommen.
Besser freilich würde es sein, arbeiten
ließe,
welche
messene Worte zu kleiden, Satzbildung
wenn man ihn von Männern über
in der Kunst,
allgemeine Erörterungen in ange
bewährt sind,
und Feinfühligkeit für
Anschaulichkeit,
Leichtigkeit der
den Wohllaut der Worte bewiesen
haben, also diejenigen Eigenschaften, welche an dem Entwürfe in minder
hohem Grade zu finden finb.178)
178) Daß sich in dieser Hinsicht von geübter Hand mit Leichtigkeit Verbesserun-
119 Unter allen Umständen aber müßte das Werk in die Hände eines
bewährten Anordnungskünstlers gerathen; denn, was die
gleichmäßige
Aufstellung des Stoffs und das Ebenmaß der Theile betrifft, so steht es
in manchen Theilen nicht einmal auf der Höhe der besseren Lehrbücher, welche unsere Literatur besitzt.179 * *)
Dieser Uebelstand würde aber in sehr
kurzer Zeit von jedem Sachverständigen beseitigt werden können. Sollte der Inhalt revidirt werden, so müßte dies durch neue Kräfte
geschehen, welche dabei nicht Richter in ihrer eigenen Sache sein würden. Daß der Entwurf zu römisch ist, scheint dem Verfasser kein Fehler.
Römisch und romanistisch sind ihm zweierlei; ebenso wie „germanistisch" und
„germanisch"
sich nicht immer decken.
man die silbenstechende,
Unter Romanismus versteht
überaus unrömische Art,
in welcher man in
früherer Zeit die lateinischen Rechtsquellen behandelt hat.
ist ein Künstler des schlichten,
nur allzu oft ein dialektischer Virtuose.
Spuren dieses Virtuosenthums
zeigen sich freilich auch in dem neuen Werke, auch in der Jrrthumslehre.
Der Römer
natürlichen Denkens, der Romanist aber so z. B., wie wir sahen,
Allein wie sollte es anders sein,
solange
die Ausartungen der „romanistischen" Methode in der Juristenwelt, aus der und für die das Gesetzbuch geschrieben werden mußte, noch nicht völlig überwunden worden sind? An Volksthümlichkeit der Ausdrucksweise läßt es das Werk aller
dings durchweg fehlen, aber auch dies ist nur die unvermeidliche Folge des Zeitgeistes. Unsere Wissenschaft, die germanistische wie die roma-
nistische,
bewegen sich nicht immer in volksthümlicher Denk- und Rede
weise, folgeweise kann es auch die Gesetzgebung nicht thun. Nicht ein Kampf Deutschlands wider Rom thut uns Noth, um zu besseren Rechts
zuständen zu gelangen, sondern eine größere Berücksichtigung des leben digen Volkswohls gegenüber der lebensunkundigen Stubengelehrsamkeit, und zwar der germanistischen nicht minder als der romanistischen. Darüber sind auch wohl Alle einig; um aber in dieser Richtung an das Ziel zu gelangen,
bedarf es noch einer längeren Entwickelung.
Daß
schon die Verfasser an diesen Endpunkt unseres Strebens, welchen viel leicht erst die Enkel des lebenden Geschlechts erreichen werden, sollten, konnte nicht von ihnen verlangt werden.
than,
gelangen
Sie haben genug ge
indem sie den Ablauf dieser unabsehbaren Bewegung wenigstens
gen anbringen lassen, beweisen die Gegenvorschläge von Zitelmann, Die Rechts geschäfte im Entwurf, Berlin, Guttentag, 1889, S. 161 ff. 179) Vgl. namentlich die Unterabtheilungen des ersten und des fünften Buchs.
120 nicht mehr, als nöthig war, verzögerten.
Gut Ding muß Weile haben.
Noch lange Zeit muß das Schiff der Rechtswissenschaft in der erwünsch
und
steuern,
ten Richtung
auf dem Boden eines neuen,
einheitlichen
Gesetzbuches wird es besser diesen Kurs innehalten können, als in dem alten Wirrwarr,
in
dessen
zahllosen Schlupfwinkeln Spitzfindigkeit und
Wortklauberei ihren Lieblingssitz haben.180)
Was uns
schon jetzt eint,
ist die deutsche Rechtswissenschaft, und sie wird auch in Zukunft die An
sichten der Juristenwelt nicht durch Zweideutigkeiten des Gesetzbuches aus einandersprengen lassen. Darum meint der Verfasser, werden soll;
ohne
daß der Entwurf zum Gesetze erhoben
am liebsten in verbesserter Gestalt, aber im Nothfalle auch
eine solche,
Willensdogmas,
am liebsten ohne eine ausdrückliche Anerkennung des
schlimmsten Falls aber auch mit ihr.
kurz muß dieses Dogma doch zu Grunde gehen,
auch
den
unter der Herrschaft
Ueber lang oder
und seine Gegner wer
des neuen Gesetzbuchs im Streite nicht
erlahmen.18!)
Zu
guter Letzt möchte sich der Verfasser noch gegen den Verdacht
verwahren, als ob seine Bekämpfung des Willensdogmas einen Vorwurf
gegen die Hersteller des Entwurfs enthalten sollte. nichts Anderes thun,
Diese konnten wohl
als diese unhaltbare Lehre vorläufig anzunehmen.
Die Wissenschaft ist eben eine Größe, deren Inhalt unausgesetzten Aende
Als der „allgemeine Theil" des Entwurfs end
rungen unterworfen ist.
gültig festgesetzt wurde, stand, wenigstens in der Theorie, auf deren Bei hülfe der Gesetzgeber hinsichtlich seiner allgemeinen Formeln angewiesen
war, wie
das Willensdogma unangefochten da.
wir oben
werden, in
sahen,
damals
noch
Der Protest Bähr's ging,
zu weit und konnte nicht beachtet
entbehrte auch der Begründung aus den Quellen.
Gerade erst
den letzten Jahren seit jener Zeit ist eine lebhafte Bewegung in der
Vertragslehre entstanden.
Der Inhalt dieser Bewegung konnte bei der
180) Bähr, Krit. V.J.Schr. Bd. 31 S. 371, steht viel zu schwarz und be urtheilt namentlich die Literatur des Civilprocesses viel zu streng. Soweit unsere Wissenschaft noch an Verworrenheit leidet, wird sie sich schließlich doch zur Klarheit durcharbeiten müssen. Der Zug unserer Zeit strebt nach Deutlichkeit, Anschaulichkeit und Gemeinfaßlichkeit. Von ihm wird auch unsere Rechtslehre von Tage zu Tage im besten Sinne mehr und mehr erfaßt, und gerade deshalb darf ihr auch das neue
Gesetzbuch anvertraut werden. m) Vgl. auch Bekker, System und Sprache des Entwurfs, Berlin u. Leipzig 1888, S. 82, v. Liszt, die Grenzgebiete zwischen Privatrecht und Strafrecht, Berlin u. Leipzig 1889, S. 45.
121 ersten Lesung nicht mehr beachtet werden, da sie zum größten Theile erst
nach
dem Actenschlusse sich
ereignete.
Jetzt,
in zweiter Instanz,
muß
man zu ihren Gunsten ein beneficium novorum in Anspruch nehmen. Jedenfalls können die Gegner des Willensdogmas in dem Vertrauen
auf die Lebenskraft ihrer Lehre jeder, dung
auch einer ungünstigen Entschei
in der großen Proceßsache „'Einzelwille contra Verkehrsgebrauch"
mit Ruhe entgegensehen.
XXIV. Machten des Herrn Rechlsanmatt Dr. Max Hachenburg zu Mannheim über die Frage:
Ist die im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches angenommene Behandlung der Pertinenzen zu billigen, oder eine Abänderung derselben wünschenswerth, und in welchem Sinnes
I.
Ein Gegensatz, der in der jüngsten Zeit bei den Besprechungen über Civilrecht des Deutschen Reiches oft betont wurde, der Gegensatz zwischen römischem und deutschem Rechte, ist auch bei der hier vorliegenden Materie der Pertinenzen unverkennbar. Nicht als ob sich
das künftige
zwei Systeme schroff gegenüberstünden; aber es sind zwei Strömungen vorhanden, eine ausdehnende und eine einengende, die historisch und quellenmäßig auf jene beiden Grundlagen zurückgehen. Wie auch die Motive (III S. 66) anerkennen, zieht sich durch das heutige Recht „ein Zwiespalt,
ist".
dessen Beseitigung im Interesse der Rechtseinheit unerläßlich
Gemeines Recht und Particularrecht stehen sich gegenüber, und das
moderne wirthschaftliche Leben drängt dazu, die particularrechtliche Idee zur reichsrechtlichen zu machen. Ob die Römer überhaupt einen dem heutigen entsprechenden Pertinenzbegriff hatten, wird bezweifelt !); jedenfalls sind die Normen des corpus juris, die hierauf bezogen werden, nur unvollständige Keime; zur Ent
faltung des
Begriffes,
wie er sich
heute
gestaltete,
*) Goeppert, Ueber die organischen Erzeugniffe.
fehlte das wirth-
(1869) S. 55ff., 58.
123 schaftliche Bedürfniß,
fehlte auch, was beim Deutschen Rechte von so
tiefgreifendem Einflüsse war,
die scharfe Trennung von Mobilie und
Liegenschaft und ihren Rechten.
Die Zubehör im heutigen Sinne und der Sachbestandtheil figuriren unter gemeinsamem Namen als pars fundi, pars oder portio aedium2 3).4 Mag dies nur bedeutet haben, daß gewisse Kleinigkeiten als „Zugaben"
mit in den Kauf gingen/)
oder daß zwar ein sachlicher Zusammenhang
bestand, dieser aber mangels Interesses daran nicht deutlich erfaßt und hervorgehoben wurde,
jedenfalls
kein festes römisches Fundament,
gemeinrechtliche Wissenschaft
hatte die
auf dem sie aufbauen konnte.
Daher
zunächst das Zusammenwerfen von Sachbestandtheil und Pertinenz,
also
Dann arbeitet sich,
von
völliger Anschluß an die römische Lehre5).6
deutschrechtlichen Ideen nicht unbeeinflußt, der Gegensatz
von Sachtheil
und Zubehör heraus, allerdings mit oft kühnen Versuchen, das denselben bedingende
und
begründende
Moment
treffens.
zu
Die
Angriffe
Goeppert's, dessen Untersuchung in den Worten gipfelt: „in der That
halte ich die ganze heutige Lehre von den Pertinenzen für unbegründet",7) und Kritik vom rein römischen Standpunkte aus
und dessen Polemik
nicht unberechtigt war, vermochte den einmal anerkannten Pertinenzbegriff nicht mehr zu erschüttern. — Stets
aber,
und hier zeigt sich der nicht
zu beseitigende Einfluß der Pandektenstellen,
ist der Umfang
ein be
Aus den vorhandenen Stellen konnte der Begriff inhaltlich, so wie er heute in Lehrbüchern und Urtheilen figurirt, entnommen werden. schränkter.
Der Umkreis
bleibt stets
Sprung hinausführt.
ein fest gegebener,
über den nur ein kühner
„Pertinenzen, sagt Windscheid, sind solche Sachen,
welche, ohne Bestandtheil einer anderen Sache zu sein, zu einer anderen
Sache in einem solchen Verhältnisse stehen, daß sie nach der Verkehrs auffassung als in dieser Sache begriffen angesehen werden", also eine
2) Kohler, Zur Lehre von den Pertinenzen, in Jhering's Jahrb. Bd. 26 S. 23 ff. 3) fr. 32, fr. 91 § 4 D. leg. III (32) fr. 33 D. a. e. v. (19,1), fr. 49 D. de c. e. (18,1), fr. 3 § 1 D. de trit. (33,6), fr. 12 § 23 D. de instr. leg. (33,7) u. s. w. 4) Goeppert S. 71. 5) So noch Glück, Pandekten II S. 524ff., Thibaut, Pandekten § 172. 6) Kierulff, Theorie des gem. Civilrechts IS. 330 ff., Waechter, Württemb. Privatrecht II S. 246, Unger, Oesterr. Privatrecht I S. 428 ff., Girtanner in Jhering's Jahrb. III S. 105, Windscheid, Pandektenr. I § 143 (6. Ausl. S. 461). 7) a. ö. O. S. 58.
124 Definition dem Worte nach ziemlich ähnlich der der modernen Gesetze und auch der des
Entwurfs.
Aber in der
Einzelausführung
bleibt
der
Pertinenzcatalog der von den Römern überlieferte; die zur Bewirthschaftung eines Grundstückes,
zur Ausübung
Hilfssachen, Maschinen u. dergl., sind
eines Gewerbes dienenden
nie Zubehörs; in keiner Weise
verlieren sie ihre Selbständigkeit. Hier
aber zeigt
sich
gerade der Gegensatz zum deutschen Rechte;
nicht in der formalen Begriffsbestimmung liegt er, in der Auffassung vom Wesen der Zubehör, sondern in dem Umfang, der den Zubehörden gegeben
wird.
Wo
die particulare Gesetzgebung eine Definirung enthält,
lautet
sie ähnlich wie die des gemeinen Rechtes. So sagt das preußische A.L.R.
(I, 2 § 42): „Eine Sache, welche zwar für sich bestehen kann, die aber mit einer anderen Sache in fortwährende Verbindung gesetzt worden, wird ein Zubehör oder Pertinenzstück derselben genannt. "§)
Noch mehr pan-
dekten-ähnlich das sächsische B.G.B. (§ 65): „Als Zubehörungen einer Sache werden Sachen
angesehen,
welche
ohne Bestandtheile zu sein, zu fort
dauerndem Gebrauche bei ihr bestimmt und entweder körperlich mit ihr
verbunden
oder. in das
zu diesem Gebrauche erforderliche Verhältniß
gebracht sind." Das österr. B.G.B. (§§ 293, 294) und der code civil (a.a. 524, 525), die keine directe Definirung geben, kommen in ihren Regeln doch auf dasselbe begriffliche Verhältniß") hinaus; sie nähern sich
der früheren gemeinrechtlichen Auffassung durch den Mangel der scharfen
Trennung von den Sachbestandiheilen"). — Beide,
gemein- wie parti-
cularrechtliche Vorschriften stimmen darin überein, daß sie der Hauptsache eine „Hilfssache" beifügen, die rechtlich mit jener vereinigt ist, ohne es körperlich zu sein, daß sie eine besondere rechtliche Beziehung beider an erkennen, das Pertinenzverhältniß. Sie trennen sich aber dann, sobald es sich fragt, wann jenes Verhältniß gegeben ist, welche Objecte zu einem anderen in die pertinenziale Beziehung treten können. Hier zeigt die deutsche und ihr folgend die moderne Rechtsanschauung eine weitgehende
8) Windscheid a. a. O. Note 6 S. 463, Kohler, S. 147 u. die daselbst Citirten. 9) Förster-Eceius, Theorie und Praxis des heutigen preußischen Privatrechts, 4. Ausl. I. 1881 S. 123 ff. 10) S. österr. B.G.B. § 294: die der Eigenthümer zum fortdauernden Gebrauche der Hauptsache bestimmt hat", code civil S. 524: que le propriGtaire dun fond y a places pour le Service et l’exploitation de ce fond. n) Unger, Oesterr. Privatrecht S. 440, Stabel, Institutionen des französ. Civilrechts S. 104, Laurent, principes du droit civil t. V No. 460 ff.
125 Ausfüllung der Begriffsformel.
„Zusammenhängend mit
der vestitura
des Gutes" '2) rechnen schon früh die deutschen Rechtsquellen all die Mobilien zum Gute, die zu zweckentsprechender Nutzung nothwendig finb 12 13).14 Von industriellen Etablissements ist natürlich nicht die Rede,
aber beim
landwirthschaftlichen Betriebe wird das zur Bewirthschaftung nothwendige und bestimmte Inventar zum Gute gerechnet und nimmt Theil an seinen
Schicksalen.
Die heutigen großen Particulargesetze stehen auf demselben Das preußische A.L.R.
Standpunkt.
Casuistik über die Zubehörden.
verbreitet sich in ausgedehntester
Dabei laufen zwar manche Seltsamkeiten
mit unter, — so: „Gemälde, die in freier Lust aufgerichtet sind" (§ 74), — auch einzelne Unrichtigkeiten, — so wird z. B. (§ 45) der Zuwachs zur Pertinenz gezählt"), — im Großen und Ganzen trifft die Aufzählung das
Richtige: „als Pertinenzstücke eines Landgutes werden in der Regel alle
darauf befindliche Sachen angesehen, welche zum Betriebe des Ackerbaues und der Viehzucht gebraucht werden".
näher aus.
§ 48 und die folgenden führen dies
Gasthöfe und Fabriken behandeln die §§ 90 und 93; zu
letzteren gehören Maschinen und Geräthe, nicht auch die zu bearbeitenden Vorräthe. — Denselben Standpunkt nimmt das
österreichische B.G.B.,
verbunden mit dem Hofdekret vom 7. April 1826 ein15); „das auf dem
Gute befindliche Getreide, Holz, Futter, Geräth, Vieh, insofern dasselbe zur Fortsetzung des ordentlichen Wirthschaftsbetriebes erforderlich," gilt als
Theil des Gutes, und es giebt daher keine Mobiliarexecution in daffelbe. —
Der code civil a. 524 führt in erster Reihe als immeubles par destination die landwirthschaftlichen und gewerblichen Zwecken dienenden Fahrniffe auf.
Die hier benannten Objecte werden nur als Beispiele aufgezählt; die Praxis zweifelt nicht daran, daß eine Reihe ähnlicher Gegenstände dem selben Prinzip
unterstehen16).
Das sächsische B G B.
erwähnt nicht
minder in den §§ 69 und 70 die landwirthschaftlichen und gewerblichen Pertinenzen, allerdings keine allgemeine Formel gebend, sondern als speziellen Fall der Pertinenzen die bestimmten Objecte benennend n).
12) Heusler, Institutionen des deutschen Privatrechts I S. 358. 13) Dernburg, Pand. I § 77 Note 13 S. 174, Heusler a. a. O., Stobbe, Deutsches Privatrecht I §65 (2. Aufl.) S. 549, Kohler,^S. 132, Ueber das ältere französische Recht das. S. 134. 14) Förster-Eecius a. a. O. S. 124. 15) Unger S. 438. 16) S. die einzelnen Erkenntnisse bei Sirey-G-ilbert, codes annotes I a. 524. n) Ueber das wieder etwas einschränkendere Züricher G.B. s. Bluntschli, Privatrechtl. Gesetzbuch für den Kanton Zürich II S. 4 ff.
126 Es
wird
bei
der reichsgesetzlichen
Regelung der Materie
kaum
zweifelhaft sein, für welche von beiden Auffassungen zu entscheiden ist.
Es ist nicht die beliebige Willkür des Einzelnen,
welche die Pertinenz-
qualität schafft, es giebt keine gewillkürten Pertinenzen; sondern der ein heitliche Zweck, wirthschaftlichen
zusammenhält.
dem Hauptsache und Zubehör dienen, Struktur gemeinsam erstreben sollen,
den sie nach der ist
es, der sie
Sie werden diesen Zwecken gewidmet, und solange diese
Widmung besteht, ist eine Losreißung volkswirthschaftlich ungesund. Dies gilt aber nicht nur, wie die Römer anerkannten und die gemeinrechtliche Praxis annehmen mußte, von den der Benutzung der Hauptsache,
unproduetiven Gebrauche dienenden Hilfssachen,
ihrem
sondern wesentlich auch
dann, wenn die Hauptsache und mit ihr die Pertinenz Productionszwecken gewidmet ist.
Die Trennung der Maschinen von der Fabrik,
nahme des zur Bewirthschaftung des Landgutes
die Weg
nöthigen Saatkornes,
Viehes, Ackergeräthes ist productionsschädlich, wirkt zerstörend. Des Weiteren bedarf heut — und auch dies Bedürfniß kannten die Römer nicht
— Fabrikation und Urproduction des Bodencredits.
Er
leidet, wenn jene Zersplitterung von Liegenschaft und Zubehör gesetzlich
statthaft ist, und wo die gemeinrechtliche Praxis den Versuch macht,
die
römischen Fesseln zu sprengen,18 19)20da ist es meist das zwingende Bedürfniß, den für den Wirthschaftsbetrieb nothwendigen Credit nicht zu unterbinden. Der Credit wird nicht dem Grundstück, sondern dem Etablissement gegeben, und deshalb müssen die einen wesentlichen Theil desselben bildenden Fahrnisse als Zubehörden der Immobilien, d. h. als Theil eines einheit
lichen Ganzen
erscheinen und mit dem Grundstück als rechtliches, wenn
auch nicht factisches Stück desselben betrachtet werden. Kurz vor der Schaffung des französischen Civilgesetzbuchs hat der Jurist, dessen Schriften von dem bedeutendsten Einflüsse auf die Gestaltung des code civil wurden, Pothier, den unter der römischen Einwirkung
stehenden Zustand in Frankreich beklagt.^)
Der code civil hat in der
18) Für die spätere römische Zeit kommt auch das Generalpfandrecht, das auch das wirthschaftliche Mobiliar umfaßt, in Betracht. 19) S. z. B. O.A.G. Wolfenbüttel in Seuffert's Archiv 22 Nr. 158, O.L.G. Kiel das. 40 Nr. 178. 20) — Je ne puis m’empecher de temoigner qu’il serait ä, desirer qu’il y eüt une loi qui attachät au domaine d’une terre celui des bestiaux qui servent ä son exploitation“ (traite de la communautS No. 44). Laurent V No. 433 p. 539 und Kohler S. 1 nehmen die Ausführungen Pothier's zum Ausgange ihrer Darstellung. Sie sind in der That grundlegend für das französische Recht der Pertinenzen geworden.
127 oben beschriebenen Weise diesem Bedürfnisse Rechnung ähnliches
liegt
Begehren
dem
in
Ringen
getragen.
der Praxis des
Ein
gemeinen
Rechtes, in den Versuchen, wenigstens in den Executions-Gesetzen dem
Verkehrsbedürfnisse Rechnung zu tragen^).
Auf diesen Standpunkt stellt sich auch der Entwurf in den §§ 789,
791.
den allgemeinen Begriff der Zubehör ge
Nachdem er im § 789
geben^),
führt der § 791
lich folgende auf.
als
hervorzuhebende Pertinenzen nament
Es gehören
1. „zu dem Zubehör
eines
zu einem gewerblichen Zweck auf jbie
Dauer eingerichteten Gebäudes, insbesondere einer Mühle, eines Brauhauses,
einer Schmiede,
die dem
einer Fabrik auch
werblichen Zwecke dienenden Maschinen und
ge
sonstigen Geräth-
schaften;
2.
zu dem Zubehör eines Landgutes das zum Wirthschaftsbetriebe bestimmte Geräth und Vieh, sowie die landwirthschaftlichen Er
zeugnisse,
soweit sie zur Fortführung der Wirthschaft bis zu
in welcher
der Zeit erforderlich sind,
gleiche oder ähnliche Er
zeugnisse voraussichtlich gewonnen werden, desgleichen der erfor derliche Dünger."
Es
acceptirt der Entwurf also die moderne deutschrechtliche Idee
vom Umkreis der Pertinenzen und
entspricht hierdurch
dem Bedürfniß
der heutigen wirtschaftlichen Betriebsverhältnisse.
II. Ist der Entwurf der Strömung des
erkennung der Zubehöreigenschaft des lichen Inventars treten,
gefolgt,
Gesetzbuches.
und gewerb
war darin inhaltlich seiner Anordnung beizu
so fragt es sich doch,
sprechende ist.
heutigen Rechtes in der An
landwirthschaftlichen
ob die Formulirung dieser Idee die ent
Der Entwurf folgt dem Systeme des sächsischen bürg.
An die Legaldefinition schließt er als besonders bewerkens-
werth die in § 791 benannten Objekte an;
diese Stelle
„bezweckt nicht
eine Erweiterung, sondern nur eine Verdeutlichung des Zubehörbegriffs".
Die übrigen vom sächsischen Gesetzbuch erwähnten Fälle, z. B. im § 68 Winterfenster, Löschgeräthe bei einem Wohnhause, hält der Entwurf offen
bar nicht für erforderlich;
er hebt nur die in § 791
erwähnten
eben
wegen des oben geschilderten Zwiespaltes hervor. Damit gewinnt es nun 21) Kohler S. 89. 22) Ueber diesen § 789 alsbald das Nähere.
128 den Anschein,
als ob man diese Beispiele nur deshalb giebt, ja über
haupt die Definition nur darum aufstellt, um jene römische Beschränkung des
Pertinenzkataloges zu
beseitigen.
Es
ist nicht
zweifelhaft,
Fensterläden Zubehörden des Hauses sind, darin stimmen systeme überein,
daß
alle Rechts
ob aber die Maschinen zur Fabrik gehören, darüber
divergiren die Auffassungen, und darum die gesetzliche Regelung. Dabei wird
aber der Entwurf dem in der ausdehnenden Tendenz
liegenden Prinzip nicht völlig gerecht; er steht mit der Definition des § 789 noch im römischen Systeme, und seine Begriffsbestimmung lautet wie ein Satz eines Pandektenbuches; der § 791 ist eine Concession an das deutsche Recht, und er zeigt diese Eigenschaft auch deutlich. Dabei fragt es sich aber: wenn wir es wirklich mit Fällen der Zubehörden zu thun haben, müssen dann nicht diese eine bestimmte Gruppe bilden, und muß es nicht
möglich sein, den Gegensatz zur andern Gruppe hervorzuheben? der That giebt es zwei Arten von Pertinenzen,
dem gemeinsamen Begriffe unterordnen,
die
Und in
allerdings sich
die aber unter sich durch die
Verschiedenheit des die Pertinenz begründenden Zweckes verschieden sind.
Die vom römischen und vom gemeinen Recht als Zubehörden anerkannten Sachen, Dinge meist auch von geringem Werthe23), haben fast durchweg keinen productiven Zweck; sie werden mit Sachen, Mobilien wie Liegen schaften, verbunden,2*) um die Benutzung derselben in lediglich konsumtivem
Sinn,
ohne Hervorbringung eines neuen wirthschaftlichen Gutes zu er
möglichen, zu erleichtern; sie sind wie die Hauptsache selbst unfruchtbar. Ihnen gegenüber stehen die mit der Hauptsache productiven Zwecken dienenden Zubehörden. Durch diesen Zweck erhält die Sache ein ihr eigenthümliches Gepräge; Fabrik und Mühle, Bergwerk und Landgut haben ihre wirthschaftliche Bedeutung, und die mit diesen demselben Re
sultate gewidmeten Sachen werden ihre Zubehörden. solchen Zwecke, so fehlt es den Sachen,
Fehlt es an einem
die bei jenen Sachen Zubehör
sind, sowie sich in und bei anderen befinden, an der Zubehöreigenschast,
denn es fehlt dann an der wirthschaftlichen Einheit.
Das nur Wohn
zwecken dienende Haus hat Pertinenzen nur, soweit dieser Zweck geht, soweit die Einrichtung nicht die Jndividualpersönlichkeit berührt, soweit die Zubehör, es mag das Haus bewohnen wer will, für jeden erforderlich ist.
Bäume in Kübeln, die der Hauseigenthümer auf seine Treppe stellt,
23) Goeppert, S. 70. 24) Einzelne wenige Fälle des Gegentheiles finden sich allerdings so z. B. fr. 17 § 11 D. (19,1) die Weinbergpfähle, obwohl hier das „fundi sunt“ stark auf die Vereinigung mit dem Grund und Boden hinweist.
129 sowie der auf ihr festgelegte Teppich
gehören nicht dem Hause, der all
gemeine Wohnzweck ist erfüllt ohne dieselben; der Nachfolger benutzt die
Treppe ohne Läufer und ohne Bäume; aber ohne Läden, Schlüssel und Thüren ist die Erreichung des Zweckes der ordnungsmäßigen Benutzung
erschwert; sie gehören zum Hause.
Coneentrirter ist der Zweck bei den
productiven Pertinenzen.
Hier ist die Zahl derer, welche die Hauptsache, benutzen können, kleiner, der Kreis der Zubehörden ein erweiterter. Jeder Mensch kann ein Haus bewohnen,
einen Garten benutzen;
nur eine be
schränkte Zahl vermag eine Fabrik, eine Brauerei zu gebrauchen. Mit der Jndividualisirung der Hauptsache durch den Zweck, dem sie
nach ihrer Beschaffenheit dient, wächst die Möglichkeit, Zubehörden zu haben; je specialisirter derselbe wird, desto größer die Menge der Zu behörstücke.
Ein Gebäude, das zur Fabrikation eines
ganz bestimmten
z. B. zur Herstellung von Anilin,
Artikels eingerichtet wird,
wird zum
Erreichen dieses Zweckes weit mehr einzelne Pertinenzen umfassen,
als
ein lediglich zu Fabrikzwecken, aber noch ohne Jndividualisirung errichtetes Bauwerk.
Sobald dieser
Productionszweck,
dieses
individuelle,
die
Hauptsache von allen andern dem gleichen höheren Begriffe angehörenden Etablissements unterscheidende Kennzeichen gegeben ist, wird das Charakte-
risticum der Zubehör leichter sein.
Daß eine Sache demselben Zwecke
wie die Hauptsache dient, ist erkennbar, wenn dieser Zweck ein indi viduell ausgeprägter ist.
hier von Bedeutung;
Der moderne Begriff des Etablissements wird
er schafft ein Ganzes im wirthschaftlichen Sinn
und damit die Nothwendigkeit für das Recht, die Zubehörmöglichkeit und
ihre Folgen anzuerkennen. Mehr instinctiv gefühlt als klar erkannt haben die Verfasser des code civil unsern Gegensatz. Es stehen hier die productiven Zwecken die nenden
Grundstücke den
andern
nicht productiven
Sachen
gegenüber
(a. 524 und a. 525), und während bei den letzteren die Widmung eine
„ständige"
Den
sein
Gegensatz
muß, kennt man bei
zu
den
im
a.
524
jenen
dies
Erforderniß
benannten Mobilien,
die
nicht. der
Landwirthschaft und dem Gewerbe dienen und durch diesen Zweck (Fexploitation de ce fonds) zu Pertinenzen werden, bilden die, „que le pro-
prietaire a attaches au fonds ä perpetuelle demeure“, bei denen also der Jndividualzweck fehlt, und bei denen die Eigenschaft der allgemeinen Be
nutzbarkeit der Hauptsache, nicht dem persönlichen Bedürfnisse zu dienen, durch die Dauer der Verbindung hergestellt werden muß. Daher auch
bei der ersteren Gruppe, die jeweils den festen wirthschaftlichen, die Einheit
schaffenden Zweck hat, eine klare Darstellung, die in Theorie und Praxis Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. HI.
9
130 Zustimmung findet, daher aber bei der zweiten, weil jenes Moment fehlt, die Schwierigkeit der Abgrenzung und die Mängel des Gesetzes23). — Es ist dabei daran festzuhalten, daß nur die der Erreichung desselben
Zweckes, wie die Hauptsache dienende Hilfssache Zubehör wird;
folgt, daß als solche nie die Objecte erscheinen,
hieraus
welche Gegenstand der
Arbeit oder ihr Resultat sind. Daher auch correct das preußische A.L.R.
(I 2 § 93) als Pertinenzen der Fabrik nicht „die vorräthigen Materialien oder
in Arbeit befindlichen und noch weniger die bereits verarbeiteten Sachen" Und ebenso folgerichtig
anerkennt.
giebt das sächsische B.G.B. und der
Entwurf nur den landwirthschaftlichen Erzeugnissen Pertinenzeigenschaft,
„die zur Fortführung der Wirthschaft erforderlich sind", also wiederum
der Production direct oder inbirect25 26)
dienen.
Es
bedarf dies
aber
keines besonderen Ausspruches im Gesetz, denn es ergiebt sich, sobald das Princip feststeht, die Parallele zwischen Haupt- und Hülfssache, der beiden gemeinsamen Zwecke im menschlichen Culturleben; wenn, wie weiter unten
zu zeigen, das juristische Wesen der Pertinenz darin besteht, daß sie das rechtliche Schicksal der Hauptsache theilen soll, soweit nicht Rechte Dritter es vereiteln, so kann dies nur daraus folgen,
daß beide dieselbe Auf
gabe haben, so daß ihr Auseinanderreißen ein wirthschaftlicher Nachtheil wäre.
Es
ist
ferner geboten,
keine Beschränkung durch
enunciativer Weise eintreten zu lassen.
Aufzählung
in
Zwar die einzelnen Etablissements
im tz 791 Z. 1 sind nur Beispiele, einengend aber wirkt das Wort „Gebäude". Denn nicht immer bei Grundstücken,
die
productiven Zwecken
dienen,
sind Bauten errichtet; es fiele ein Bergwerk, ein Steinbruch weder unter Z. 1 noch unter Z. 2, obwohl auch bei ihnen dasselbe Princip zu gelten hätte. Ebenso können auch Fälle eintreten, bei denen die „Maschinen
und sonstigen Geräthschaften" nicht völlig ausreichen, und die Frage wird
aufgeworfen werden,
ob nicht im einzelnen Falle
grundstück umlaufendes Capital Zubehör wird,
einer Maschine doch
bestimmten,
auch wieder dem
besonders
Gewerbezweck,
auch
beim Gewerbe
etwa die zur Speisung
gearteten Feuerungsmittel,
die
der Herstellung des Productes
bieneit27).
25) S. hierüber Laurent t. V no. 440, Demolombe, cours du droit civil, t. V no. 257 ff., Kohler S. 157. 26) Als Futter für das zur Wirthschaft nöthige Vieh. S. Urtheil des Apellhofs Bordeaux bei Dalloz v° biens no. 102. 27) Die positiven Vorschläge f. am Ende.
131
III. Wie aus dem vorstehend Dargelegten sich ergiebt,
hat durch die
Erfassung des Wesens des Etablissements der Pertinenzbegriff eine erhöhte
Bedeutung, eine weitere dem gemeinen Recht unbekannte Gruppe erhalten. Die legislatorische Verwerthung ist für die Formulirung der Vorschläge (s. unten V.) aufgespart.
Hier
handelt es sich zunächst um die Dar
stellung des für beide Gruppen maßgebenden, sie beide umschließenden
Pertinenzbegriffs, dessen Aufstellung der Entw.Z789 versucht. Daß überhaupt eine Legaldefinirung gegeben ist, wird durch den Zweifel über die Einzel
heiten begründet (Motive S. 61).
Wesentlicher als dieses
Moment,
das sich noch bei einer Reihe anderer Materien nachweisen läßt, dürste sein,
daß aus der Begriffsbestimmung
gleichzeitig die Entstehung der
Pertinenzqualität, ihre Schaffung und Vernichtung folgt, und der Inhalt
des § 789 nicht nur beschreibender, sondern auch disponirender Natur ist.
Er lautet: „Zubehör einer Sache sind diejenigen beweglichen Sachen, welche, ohne Bestandtheile der Hauptsache zu sein, derselben bleibend zu dienen bestimmt und in ein dieser Bestimmung entsprechendes äußeres Verhältniß zur Hauptsache gebracht sind, es sei denn, daß nach der Verkehrssitte eine solche Sache nicht als Zubehör ange
sehen wird.
Ein Zubehörstück verliert diese Eigenschaft dadurch nicht, daß es nur zu einem vorübergehenden Zwecke von der Hauptsache ge
trennt wird."
Es wird nicht schwer fallen, aus dieser Bestimmung den eigentlich definirenden Theil von dem die Vorschriften für die Entstehung der
Pertinenzen gebenden zu sondern.
Es wird sich ergeben,
daß jene sich
auf einige wenige Worte redueiren, die schließlich auch entbehrlich sind. Der Abs. 2 enthält lediglich eine Disposition; er giebt an, wodurch
die Zubehöreigenschaft nicht verloren werde, und hierdurch Anhalt für die Beantwortung der Frage, wann dies ja der Fall ist.
Trennung der
Zubehör zu einem nicht nur vorübergehenden Zwecke löst die pertinenziale
Beziehung.
Hierdurch
schon liegt der Gedanke nahe,
daß der Abs. 1
die Norm über die Entstehung der Pertinenz als solcher enthalte.
Folgt man der Anordnung der gesetzlichen Definirung, so ergiebt sich, daß Zubehör 1. eine bewegliche Sache ist, die 2. nicht Bestandtheil
einer
anderen sein darf,
aber 3. ihr bleibend zu dienen bestimmt ist, 9*
132 4. sich
deshalb
entsprechenden Verhältniß zu dieser
in einem äußeren
befindet, ohne daß 5. die Verkehrssitte die Zubehöreigenschast versagt.
Die Zubehör kann nur eine bewegliche Sache sein. die verschiedenen Rechtssysteme
sind
Ob man Grundstücke oder nicht, ist
Frage; sie
hängt von
Liegenschaft,
anerkennen will
als Zubehör anderer Grundstücke
keine aus
der Pertinenz
dem Wesen
der Auffaffung
insbesondere
von
dem
Bekanntlich
hierüber verschiedener Meinung?") zu
beantwortende
des positiven Rechtes von
Grundbuchsrecht
System des Entwurfs folgt als Consequenz,
ab.
Aus
der dem
daß bei Durchführung der
Grundbuchsordnung das praktisch richtigere ist, keine Jmmobiliarpertinenzen
anzuerkennen; Einheit, und
entweder bilden die angeblich mehreren Grundstücke eine
so Hofraum und Haus,
sind
eine
Liegenschaften,
einzige Sache;
ein Blatt im Grundbuche
es sind
wirklich mehrere getrennte
dann hat jede ihr besonderes Blatt und damit ihr selb
Auch wenn das Gesetz jene Beschränkung der Zu
ständiges Schicksal.
behör
sie haben
oder
auf Fahrniffe
gefolgert werden.
nicht hätte,
müßte sie
aus dem Grundbuchsrechte
Sie hat aber mit der Begriffsbestimmung der Perti
nenzen nichts zu thun; sie ist eine aus praktischen Gründen zur Erleich terung
des Grundbuchsrechtes
die ebensowohl bei
getroffene Vorschrift,
diesem als bei der Pertinenzlehre ihre Stelle finden dürfte. Die als Zubehör geltende Sache darf kein Bestandtheil der Haupt sache sein.
Die Unterscheidung von Sachtheil und Pertinenz ist richtig;
denn der Sachtheil hat überhaupt keine selbständige Existenz, er geht in der Hauptsache auf.
Er existirt als besonderes Object nur im Begriffe,
factisch ist nur eine Sache vorhanden, deren Theile logischer Weise ein
heitliche Schicksale haben.
Die
Pertinenz
besteht
selbständig,
es
sind
factisch mehrere Sachen gegeben, und die Einheit existirt nur begrifflich?") Wann aber
ist jener Gegensatz vorhanden,
wo hört
der Sachtheil auf
und fängt die Zubehör an? Die allerdings einfachste Antwort hierauf,
die lediglich auf physische Cohärenz sieht/") ist falsch; denn es giebt eine Reihe von Objecten, deren Pertinenzeigenschaft als zweifellos anerkannt ist, und die dennoch mehr oder minder fest mit der Hauptsache verbunden
28) Goeppert S. 65, Dernburg § 77 Not. 5 S. 173, Förstcr-Eceius I S. 123 ff., III S. 353, O.L.G. Karlsruhe in Puchelt's Ztschr. f. frz. C.R. 12 S. 224, Urtheil des Reichsgerichts v. 3. Juli 1886 in Gruchot'sBeitr. 31 S. 94. 29) Die einzelnen Folgen dieses Gegensatzes f. bei Kohler S. 45 ff. 30) Marcade, Explic. du code civil II no. 350 p. 330. Dagegen Laurent a. a. O. Nr. 477, Kohler S. 31.
133 sind?') Unzutreffend ist auch der Versuch, einen Gegensatz aus dem Verhält niß zur Hauptsache abzuleiten und Bestandtheile die zu nennen, welche inte-
girende Theile der letzteren sind, die zur Vollendung derselben bienen,31 32) wäh rend die Zubehörden der Hauptsache beigefügt sind, weil diese sonst ihrer
wirthschaftlichen Bestimmung nur unvollkommen entsprechen würde. tive zu § 789 des Entwurfs.)
zeigt, daß
nöthig sind,
es
eine Reihe von Zubehörden
giebt,
die zur Vollendung
und ohne welche die Hauptsache unbrauchbar wäre.
möchte einen Koffer,
(Mo
Ein Blick auf den Pertinenzcatalog
ohne Schlüssel,
eine Cassette
Ruder? Und ist die Ornamentik eines Hauses,
Wer
einen Nachen ohne
der Balcon oder Erker,
der zweifellos Sachtheil ist, zur Vollendung nöthig? Die scharfe Polemik
Göppert's gegen diese Formulierung ist völlig begründet; eben keine feste Grenze ziehen.
es läßt sich
Nur der einzelne Fall kann bestimmen,
ob Sachtheil, ob Pertinenz, und damit tritt ein Factor in den Vorder grund, den der § 789 sehr stiefmütterlich nur als negirendes Element
behandelt, die Verkehrsauffassung.
Sie ist es, die in Zweifelfällen sagt,
ob ein Object seine factische Selbständigkeit verlor oder ob es sie behielt, also besondere Rechte daran möglich sind.
Die Mobilie muß der Hauptsache bleibend zu dienen bestimmt sein. Hier ist das „bleibend" nicht einwandsfrei.
Wie oben angeführt, kennt
das französische Recht dies Erforderniß nicht für die „destination agricole et industrielle“;33) das „bleibend" hat Bedeutung als Erkennungs
zeichen für die Absicht, daß ein Zubehör geschaffen werden sollte,
wenn
diese sich nicht aus dem productiven Zwecke ergiebt, nothwendig aber ist
diese Folgerung nicht. Auch hier muß auf die Auffassung des Verkehrs ver wiesen werden. — Zweifel erregt auch die Formulirung, daß die Zubehör
„der Hauptsache diene".3^) - Hier ist denklich.
allerdings
nur der Ausdruck be
Nicht der Hauptsache dient die Zubehör,
sondern mit jener
einem gemeinsamen Zwecke in der menschlichen Wirthschaft. Die richtige Fassung ist nothwendig, weil sonst auch die richtige Auffassung vom Wesen der Pertinenz erschwert ist. Weil sie demselben Zweck wie die
31) Das sächs. B.G.B. § 65 hat die körperliche Verbindung sogar ausdrücklich in die Definirung ausgenommen. S. auch a. 525 des code civil. 32) S. hiergegen schon Goeppert S. 59; dortselbst die näheren Citate. Oben I Not. 6. 33) S. insbes. Laurent V no. 434 ff. p. 54 und das Beispiel der Hammelheexde „pour fertiliser le fonds“, obwohl der Eigenthümer die Absicht hat, beide energischen Mittel anzuwenden. 3*) Kloeppel in Gruchot's Beitr. 39 S. 651.
134 soll sie von ihr
Hauptsache gewidmet ist, theilt sie auch ihre Schicksale, nicht getrennt werden.
Dieses Moment aber führt schon bedeutend auf
den Lispositiven Teil, auf die Entstehung der Zubehör, dem das folgende
Stück, das Hervorbringen der Pertinenzeigenschaft durch Herstellung des entsprechenden
äußeren Verhältnisses
völlig
angehört.
Mit der Frage,
was eine Zubehör ist, hat die Frage, wann sie als vorhanden anzusehen
ist, nichts zu thun, ebenso wenig wie mit der nach der Beendigung. Für die Definirung bleibt einmal nur der negative Theil, daß die
Pertinenz kein Sachtheil sein darf; wenn aber die vorhergehenden Para
graphen von diesem handeln, der § 789 von der Zubehör spricht, dann
Für die Wissenschaft muß
ist dieser Satz wohl hieraus selbstverständlich.
er stets betont werden,
legislatorisch ihn ausdrücklich hervorzuheben ist
unnöthige Belastung. — So würde die Definition auf die Verkehrsauf
fassung reducirt, wobei allerdings ein Satz: „Zubehör ist, was nach der als
Verkehrsauffassung
solche
also was im einzelnen
angesehen wird",
Falle der Richter unter Würdigung
der Sachlage hierfür erklärt,
für
eine Definition
von besonderer Bedeutung
ist,
eben
Was aber
falls auf besonderen Werth keinen Anspruch machen könnte.
das Erkennenlassen
der rechtlichen Natur des betreffenden Institutes, das, was diese auf solche Weise unserer
beschriebene Sache
vor
Legalbestimmung.3')
der
anderen
Erklärt
hervorhebt,
man es
für
dieses Moment aus der disponirenden Norm ergeben, gegen
einzuwenden,
nur bedarf
es
alsdann
noch
das
unnöthig,
fehlt bei
soll sich
so ist nichts da
weit weniger einer
Legaldefinirung. Es führt das Vorstehende daher zu dem Resultate, der mehr
beschreibenden als
Abs. 1 eine Regelung der Entstehung der Zubehör treten sollte. denn auch das positive Moment der Beschränkung kann insbesondere
daß an Stelle
begriffsbestimmenden Vorschrift des § 789
Hierbei kann
auf die Mobilie,
es
aber auch die Frage gelöst werden, wer der Mobilie
diese Eigenschaft geben darf.
Nach
der
bisherigen Fassung
des Ent
wurfes ist hierüber nichts bestimmt35 36), und man wird diese Fassung beizu Wählte man einen positiven Wortlaut, wonach nur
behalten wünschen.
der
Eigenthümer
befähigt
ist,
jenes Rechtsgeschäft der Pertinenzirung
35) Sei Windscheid's Definition (f. oben) liegt correct der Schwerpunkt neben der Unterscheidung von Sachtheilen darin, daß die Zubehör „nach der Ver
kehrsauffassung als in dieser Sache begriffen angesehen werden".
Aehnlich Dern-
burg a. a. O. S. 172.
36) Cosack, Das Sachenrecht des Entwurfs in Bekker's und Fischer's Beiträgen
Heft 13 S. 3.
135 vorzunehmen, dann tauchen alsbald wieder eine Reihe von Zweifeln auf,
ob nicht für den
einzelnen Fall Ausnahmen möglich sind,
des code civil
Gebiete
Rechtens,
eintrat.37)
daß die Pertinenzirung
wie dies im
und anerkannten
ist zweifellos
Es
rechtlichen Beschaffenheit der
an der
Sache nichts ändert; dies schließt aber nicht aus, daß nicht dennoch das Zubehörverhältniß eintrete,
allerdings unvollkommen und jederzeit durch
die Rechte des Dritten bedroht.
Es wird in den seltensten Fällen der
Miether und Pächter die Absicht haben, eine Sache dem Hause dauernd
zu widmen,
was er einbringt,
allein es sind
ist für seinen Gebrauch;
dennoch Fälle denkbar, in denen jene Absicht vorwaltet,
und auch diese
muß das Gesetz anerkennen; namentlich wird dies dann geschehen, sobald
an
einer verlorenen Zubehör der Detentor,
Stelle
des
Kenntniß
eine
Eigenthümers,
andere
auch
wenn
Pertinenz
ohne Oder
schafft.
möchte Jemand bezweifeln, daß der neue Hausschlüssel zum Hause gehört
und
Verlassen
beim
gesetzte
Resultat,
der
dürfe
für den verlorenen Ersatz geben, ist
also
die
als
wünschenswerth,
Abs. 1
abzuliefern
Wohnung
der Miether
daß
des § 789
diesen
ist?
wäre unbillig und
eine
Bestimmung
entsprechend
dem
in
entgegen
Das
mitnehmen,
müsse
unbrauchbar.
das
Abs. 2
Gesetz
aber
Es
trete,
die Entstehung
der Zubehör regelt und die Frage, wann liegt eine Pertinenz vor,
be
Sie wird die Herstellung des räumlichen Verhältnisses sowie
antwortet.
die Absicht, die Mobilie dem Zwecke der Hauptsache zu widmen, zu berück sichtigen haben und
gleichzeitig auch
diesen Zwecken wiederum
in
der
oben (II.) versuchten Weise gerecht werden müssen. Die Bestimmung des Begriffes
der Zubehör wird man nach Fest
setzung ihrer Entstehung und nach der alsbald zu erörternden Erklärung ihrer Rechtswirkung der Wissenschaft überlassen dürfen.
IV. Ueber die Rechtsnatur des Pertinenzverhältnisses enthält der Ent
wurf keine Normen;
Alles,
auch die Motive schweigen darüber.
was
das Gesetz giebt, ist die Jnterpretationsregel des § 790:
„Das
eine Sache
erstreckt sich Zeit des
betreffende Rechtsgeschäft unter Lebenden
im Zweifel auch auf diejenigen Sachen,
Abschlusses
des
Rechtsgeschäftes
Zubehör
welche zur
jener Sache
sind".
37) Aubry et Rau, cours du droit civil t. II p. 12 ff. V no. 208.
Demolombe
136 und die Motive (S. 61, S. 63)
auch,
berichten
daß sie
in der Auf
stellung derselben die Bedeutung der Normen über die Pertinenzen sehen.
wird ausdrücklich hervorgehoben,
Es
rechtliche Geschäfte
diese Regel habe für sachen
nicht die Bedeutung, daß das an der Sache begrün
dete Recht sich ohne Weiteres auf die Zubehör erstrecke.
eines Grundstückes
lassung
den Pertinenzen erworben,
vollzogen
gabe
Auch bei Auf
sei mit dieser noch nicht das Eigenthum an es sei denn,
daß die hierzu nöthige Ueber-
sei
Daß die Hypothek die Pertinenzen mitumfaßt,
sei.
Besonderheit des Hypothekenrechtes^
So
zutreffend
die
des § 790,
gesetzliche Auslegungsregel
obligatorischen Bedeutung die Zubehörden mitergreife, der
negative Inhalt
wiedergeben.
Man
mand ein Anwesen,
ja so
daß der Vertrag über eine Sache in seiner
selbstverständlich es fast ist,
des Gesetzes,
nehme
wenigstens
so
so
bedenklich
den praktisch einfachsten Fall:
Haus oder Fabrik,
das
ist
wie ihn die Motive
es kauft Je
ihm von dem grundbuch
mäßigen Eigenthümer aufgelassen wird; der Eintrag ist ebenfalls erfolgt. Ehe auf.
die Fabrik übernimmt,
er das Haus bezieht,
taucht ein Vindicant
Das Grundstück kann dem Erwerber gemäß § 834 nicht mehr ent
rissen werden, falls er nicht das Recht des Dritten kannte; die Zubehör
den der Immobilie aber dürfte dieser, den Motiven
zufolge,
noch
fort
nehmen, also consequent die Schlüssel zu den Thüren, die in den Nischen
stehenden Figuren, die Maschinen u. s. w. nackte Gebäude,
Dem Erwerber
bliebe das
das hierdurch für ihn im Werthe einbüßt,
oder,
man
denke an die Fabrik ohne Maschinen, unbrauchbar wird, dem Vindicanten
die
losgelösten
kann.
Wie
mit
Mobilien,
oben
betont,
ist
denen es
er
ebenfalls
nichts
gerade der wesentlichste,
anfangen
das neuere
Gesetz durchziehende Gedanke, die Einheit von Hauptsache und Pertinenz zu erhalten,
scheint.
weil die eine ohne die andere wirthschaftlich
Trennung
werthlos er
von Zubehör und Hauptsache durch das Recht ohne
durchgreifenden Grund hieße,
„einen
zu
einem bestimmten Zwecke her
gestellten Organismus zerstören";^) gelangt man nach der von den Mo tiven
vertretenen Meinung zu einem solchen Zersplitterungsresultate,
so
kann dessen Grundlage nicht die richtige, dieses System nicht wirthschaft lich brauchbar sein.
Nach
dem Entwürfe
beschränkt
sich
die Bedeutung
begriffs auf das obligatorische Rechtsgeschäft;
des Zubehör
seine Regel stützt sich auf
eine vermuthete Absicht des über die Hauptsache Disponirenden und da-
3d) Kohler S. 151.
137 her auch den gleichzeitlichen
gleichheitlichen Gebrauch der Bezeichnung
„Nebensache" in den Motiven.
Auf die Nebensache allerdings paßt jene wenn dieses Wort
Beschränkung ihrer Bedeutung als Auslegungsregel,
überhaupt juristisch brauchbar ist39)40 41 Die42Bedeutung 43 der Zubehör, wenn anders sie ihren Zweck erreichen soll, muß eine weilergehende sein.
In den Lehrbüchern des Pandektenrechts wird die Folge der Perünenzqualität einer Sache dahin formulirt, die Hauptsache auch die Zubehör ergreife.49)
daß jede Verfügung über
Unterscheidungen zwischen
obligatorischen und dinglichen Rechtsacten sind
hierbei nicht gemacht.
Bei den oben besprochenen Mängeln der Quellen in unserer Materie
wird
hier nicht viel zu gewinnen sein. — Das preuß. A.L.R. stellt ein
noch
allgemeineres Princip
bei der Hauptsache sind,
auf.
„Pertinenzstücke
nehmen, solange sie
an allen Rechten derselben Theil."
Es folgt
aus dieser Anschauung, daß die Besitzergreifung der Hauptsache auch den Besitz der Pertinenz giebt (I 7 § 52),
falls diese nicht im wirklichen Be
sitz eines Dritten ist/') daß mit der Hauptsache die Zubehör ersessen ist u. s. w. — Während das österreich. B.G.B. und der code civil keine directen Regeln geben,
aber aus der Darstellung und der Annahme der
Jmmobilisirung der Zubehörden durch den Zweck,
dem sie dienen,
die
Rechtslehre ein ähnliches System folgert/3) hat das sächs. B.G.B. wieder eine
ausdrückliche Bestimmung:
„Rechtliche Verfügungen
über
eine
Sache erstrecken sich ohne Weiteres auf deren Zubehörungen" (§ 66).
Soviel läßt sich
jedenfalls
aus dem fest bestehenden Rechte ent
nehmen, daß man überall dem Zwecke der Pertinenzen Rechnung zu tragen und ihre Trennung von der Hauptsache als wirthschaftlichen Fehler zu vermeiden sucht.
Dies geschieht aber eben dadurch, daß nicht
nur wie bei Haupt- und Nebensache die Vermuthung des Contractwillens
vom Gesetze aufgestellt wird,
sondern, daß rechtlich ein dingliches Ver
hältniß zwischen Hauptsache und Zubehör anerkannt ist/3) eine sachen rechtliche Beziehung, hervorgerufen und erhalten durch den Zweck,
den
beide Objecte gemeinsam erreichen wollen. Daß ein dingliches Verhältniß besteht, ergiebt sich,
sobald man die
39) Windscheid I § 143 a. E. S. 464. 40) Kierulff a. a. O. S. 437 f., Windscheid a. a. O., Dernburg I § 77 S. 172. 41) Förster-Eccius III S. 45, Entsch. des Ober-Tribunals Bd. 23 S. 69, S. 79. 42) Unger, Oesterr. Privatrecht IS. 440, Laurent, principes t. VNo.440 ff. 43) So auch Kohler S. 3, S. 67 ff.
138 processuale Gestaltung des praktisch wichtigsten Falles, die Pfandbelastung
eines Grundstücks betrachtet.
Nach allen Rechten,
auch nach dem Ent
würfe (§ 1067, Z. 3) umfaßt die Hypothek an der Liegenschaft auch die
Zubehörungen berfe[6en.n) Findet die Veräußerung der ganzen Liegenschaft statt, so wandert, mag auch der Verkauf im Vollstreckungswege erfolgen,
die Mobilie mit der Liegenschaft, ohne daß hierbei ihre Rechtsnatur be sonders hervortritt. Wenn aber ein Zugriff auf die Mobilie allein, im Wege der Fahrnißpfändung erfolgt,
dann tritt das dingliche Recht,
Zusammengehörigkeit der beiden Sachen in Activität.
die
Der Pfandgläü-
biger ist befugt, die Widerspruchsklage gemäß § 690 C.P.O. zu erheben.") Er hat also ein die Veräußerung der Fahrnisse,
separirt von der Im
mobilie, verhinderndes Recht und zwar als Ausfluß seines Sachenrechtes an dem Grundstücke.
Er hat nicht so viel Pfandrechte, als factisch selb
ständige Gegenstände vorliegen,
denn in diesem Falle müßte ihm die
Klage auf vorzugsweise Befriedigung
Fahrnißstücke zustehen.
aus dem
gepfändeten
einzelnen
Diese Klage wird meist ausdrücklich versagt.
Sie
hätte auch wieder die vom Rechte perhorrescirte wirthschaftliche Zer
splitterung zur Folge. Veräußerung
Sonach bleibt nichts,
als den Grund dieses die
hindernden Rechtes des Hypothekengläubigers in dem Zu
sammenhänge von Hauptsache und Zubehör zu
sehen.
Die Klage aus
§ 690 C.PO. ist der Rechtsschutz dieses dinglichen Rechtsverhältnisses, die Auf rechterhaltung der Zweckbeziehung, in welche die Mobilie durch die Pertinenzirung zur Hauptsache gesetzt wurde. Schüfe diese nur das lose Band,
das der Entw. § 790 andeutet, gäbe sie nur Anhalt für die Interpretation
des
obligatorischen Willens,
dann wäre nicht einzusehen,
woher von
diesem Standpunkte
aus der Hypothekengläubiger und jeder an der Sache dinglich Berechtigte sein Widerspruchsrecht ableiten will. “) Ueber die Ausnahme des sächs. B.G.B. (§ 411, 412) für Theile des landwirthschaftlichen Inventars s. Kohler S. 162, Opitz, Gutachten über den Entwurf e. B. G.B. f. d. Deutsche Reich (1889) S. 41. 45) Urtheile des Reichsgerichts v. 15. April 1887, Entsch. 17 S. 323, des O.L.G. Karlsruhe, bad. Annalen 49 S. 164, O.L.G. Cöln in Rhein. Archiv 73 II S. 57. Preußische Subhastationsordnung § 206. Ueber das österr. Hofdecret v. 7. April 1826 s. Unger I S. 478. Ueber den französischen Proceß c. a. 592 des code de proc. s. CarrG et Chauveau, proc. civ. IV p. 710. Es ist hier nach überhaupt die Mobiliarexecution in die Pertinenz für unstatthaft erklärt, und nicht nur ein Widerspruchsrecht des Hypothekengläubigers statuirt. Der deutsche Civilproceß kennt dies nur für die laudwirthschaftlichen Betriebe, H 715 Z. 5 und sieht hier mehr auf die Competenzfrage. Ueber einzelne Etablissements s.
Kohler S. 93 Not. 193 u. 194.
139 Aus diesem Gesichtspunkte ergiebt sich die ganze Struktur der Per tinenz; sie ist factisch kein Theil der Hauptsache, aber juristisch ist sie es;
sie hat zwar „ein selbständiges Dasein, aber keine selbständige Bedeutung"Sie hört nicht auf, besonderes Rechtsobject zu sein, sie wird aber in eine
solche Beziehung zu einer anderen Sache gesetzt, daß für das Recht diese Thatsache der Selbständigkeit zurücktritt.
Hauptsache sind
Die rechtlichen Vorgänge für die Nicht weil die
rechtliche Vorgänge für die Pertinenz.
Parteien es so wollen, sondern weil das Gesetz es so will, tritt dieselbe juristische Thatsache gleichzeitig für Pertinenz wie Hauptsache ein.
also
Was
der § 1067 Z. 3 des Entwurfs nur für das Hypothekenrecht be
stimmt,
was die
Prinzips
und
Motive
als
Ausnahme hinstellen,
ist
Ausfluß
muß für alle anderen dinglichen Nechtsacte gelten.
des Mit
Auflassung und Eintragung muß, wenn hierdurch das Eigenthum an der Liegenschaft erworben wird, auch das Eigenthum an den Pertinenzen er
worben sein u. s. w. Der § 1067 Z. 3 schließt von dem Pfandrechte des Gläubigers die
Zubehörden
die „nicht in
aus,
Grundstückes gelangt sind".
die nicht Eigenthum des Grundeigen-
bei der Pertinenz,
eines Dritten
thümers ist,
das Eigenthum des Eigenthümers des
Hier also, beim Zusammenstoß des Rechtes
mit der Hypothek am Ganzen geht das erstere vor. diese Stelle so aufzufassen haben,
wird jedenfalls
Man
daß der an und für
sich statthaften Klage des Dritten nicht seitens des Gläubigers opponirt
werden dürfe, aber,
die Sache
sei Zubehör und
daß auch der Schuldner sich
also ihm verpfändet,
hierauf berufen und
nicht
die Ausnahme
der Pertinenzen von dem Pfandnexus und Zugriffe fordern darf; dies ist
und bleibt lediglich Befugniß des dritten Eigenthümers. es sich, ob darin
ein Princip gefunden werden darf,
Hier nun fragt das analoge An
wendung findet auf die anderen dinglichen Verträge, oder ob für diese, insbesondere den Eigenthumserwerb etwas Anderes gilt und gelten soll.
Angenommen, es sind in einem Hause Zubehörden,
an denen der Ver
käufer sich bis zur Zahlung des Preises das Eigenthum vorbehält;
wie
soll es beim Verkaufe des Hauses gehalten werden, bei dem von jenem fremden Eigenthum
keine Rede
war? Wenn Besitzergreifung
von der
Liegenschaft auch den Besitz an der Zubehör giebt,46) — und das muß
man nach dem Vorstehenden wohl annehmen — dann wäre unter der
Voraussetzung des guten Glaubens des Erwerbers (§ 874) dieser Eigen-
46) Kohler S. 80 und im Arch. für civ. Praxis 69 S. 170, Stobbe, Privatrecht I S. 550.
140 thümer der Zubehör, wobei allerdings das Moment zu Bedenken veran laßt, daß der originäre Eigenthumserwerb des gutgläubigen Empfängers
vor Allem auch den Traditions- und Eigenthumsübertragungswillen des
Veräußerers voraussetzt,
der bei einem Liegenschaftsgeschäfte doch mehr
oder minder fingirt wird.
Jedenfalls
der Grundbuchseintragung
bis
Hier dürfte,
möglich.
den
die
Rückforderung
verschiedene Gestaltung
vornherein eine
diese fortdauern, bis
verlangten Act die Gleichheit der juristischen Be
rechtlich
erzeugt ist.
schaffenheit
noch
zur Uebergabe
da von
au Zubehör und Hauptsache besteht,
des Rechtes
durch
ist aber in der Zwischenzeit von
von Anfang an
Hier ist die Pertinenzqualität
eine prekäre, jederzeit nicht nur durch den Willen des Eigenthümers der
Hauptsache, sondern auch den eines Dritten aushebbare. und
Rechtens
liegt
dem Entwürfe
auch
Es ist anerkannten
daß
Grunde,
zu
durch
die
Schaffung des Pertinenzverhältnisses allein das Eigenthum an den Mobi
lien nicht verloren ronb.47) und
Zubehör
Darin
befähigt ist der,
gerade zeigt sich der Gegensatz von Zur
Sachbestandtheil.
Herstellung
Pertinenzen
von
der über Haupt- und Hülfssache verfügen kann.
Man
wird für beide nicht das Eigenthum an den Objecten fordern. Es ist denkbar, daß
derjenige,
welcher
eine Mobilie zum Zubehör einer anderen Sache
macht, nicht Eigenthümer derselben ist, sei es, daß er sie zwar als solcher
dies aber,
erworben zu haben glaubt,
weil die Sache ohne Willen des
berechtigten Dritten aus dessen Besitz kam,
er von vornherein nur Detentor ist.
Verkaufs
des
in
Maschinen
also er
später.
kommen, tung
der
besseren
nisse
hier
kann
Faustpfand
zu Pertinenzen Hier ist
bricht sich
das
des
der Schuldner
bestellen,
in
dem
dem
wenn
er
Rechte
weil bei der Hypothek dieser Besitz nie
Dritten
also
erwirbt
unvoll
dieser
der Gestal
Hauptsache
Gläubiger
originäre
den
Fahr
wirksam
Besitz
Erwerb
eintritt,
dem
an
nicht gehörenden
ihm
Und
die
bringen,
nur
Verhältniß
und
ihm
dem
des
zu
aber Eigenthum
gutgläubigen
aber nur,
befugt,
ist
Hof
von der Gleichheit
Zubehör
An
Käufer seinen
zu machen,
von
Dritten.
der
sachenrechtliche
das Princip
Rechtsverhältnisse
Rechte
den Pflug
Fabrik,
sei es, daß
Der hierfür praktischste Fall ist der
Eigenthumsvorbehalt;
seine
Sachen
die
erst
mit
nicht möglich ist,
ein
überträgt,
entgegensteht.
weil die Zube
hör, welche Dritten zu Eigen gehört, stets in den Händen des Schuldners
bleibt, ergreift das Pfandrecht die fremde Zubehör nicht.
Auch hier dem
47) Urtheil des Reichsgerichts vom 24. April 1883 in Seuffert's Archiv 39 Nr. 6, Kohler S. 67 Not. 139 und die daselbst Citirten.
141 Hypothekengläubiger die Zubehör preisgeben, wenn er in gutem Glauben
war,
hieße,
ihn bevorzugen
hat,
Ahnung davon
Und
daß
zu Lasten des Dritten,
der häufig
die Liegenschaft hypothekarisch
beim Eigenthumserwerbe; solange die Hauptsache
ebenso
keine
belastet wird.
in den
Händen des Veräußerers ist, liegt für den dritten Eigenthümer kein Anlaß vor,
sich
zu rühren;
erst wenn die Sache
in fremde Hände wandert,
dann ist auch für die Mobilie das äußere Moment eingetreten, das sein Einfacher wird
Recht vernichtet.
es bei der Pertinenz an der Mobilie
sein; denn da nach dem System des Entwurfes die Rechte an derselben
von dem Besitze abhängen, mit Ruder)
zusammen
so
werden Hauptsache und Zubehör (Boot
in die Hände des Erwerbers
allerdings eine res furtiva vor,
gelangen.
Liegt
so bleibt diese in allen Fällen nach wie
vor vindicabel. —
Das Resultat
aus
dem vorstehend Skizzirten ist also die Identität
des Rechtserfolges für Hauptsache und Zubehör bei vorhandener Identität
der Rechtsverhältnisse.
des
für die Hauptsache
Die
auf die Pertinenz erweiterte Rechtswirkung
eintretenden juristischen Thatbestandes tritt nur
dann ein, wenn beide Objecte denselben Eigenthümer haben, anderenfalls cessirt diese Deckung.
Aus diesem Princip lassen sich eine Reihe von einzelnen Fragen be antworten:
Bei Vindication
Rechtswirkung
auch Klage
ist die Klage auf die Hauptsache in ihrer
auf die Zubehör^);
insbesondere findet die
Vorschrift des § 933 des Entwurfs auch auf die letzteren Anwendung;
auch für die Zubehör trägt der Beklagte die Gefahr des casuellen Unter ganges
in der vom Gesetze bestimmten Weise.
der Hauptsache ist Urtheil
Urtheil auf Herausgabe
auf Herausgabe der Pertinenz.
Wenn der
Beklagte sie von der Sache nach dem Urtheil entfernt, so ist dieses Voll streckungstitel, sie ihm nach § 769 C.P.O. fortzunehmen. aber,
Auf Pertinenzen
welche nicht im Eigenthum des Vindicanten stehen, sei es, daß sie
dem Besitzer
oder einem Dritten gehören, findet dies keine Anwendung;
sie bleiben in den Händen des Beklagten und Verurtheilten, und ihr Unter gang
macht ihn
nicht ersatzpflichtig. — Wird eine Sache beschlagnahmt
oder eingezogen, und ist diese Einziehung nur statthaft, wenn der Delin
quent der Eigenthümer ist, Hauptsache nur,
wenn
so
theilt die Pertinenz das Schicksal der
sie dem Eigenthümer der Hauptsache gehört. —
Fahrnißpfändung erfaßt auch die Zubehör, selbst wenn ihrer im Protocoll 48) Ueber die Behandlung
Bei Unsicherheit
bei der Vindication s. Kohler S. 95.
des Eigenthums in der Pertinenz
142 keine Erwähnung
ist sie Eigenthum eines Dritten,
geschieht;
so erwirkt
dieser gemäß § 690 C.P.O. Feststellung der Ungültigkeit des Beschlages. —
Die
kraft Gesetzes
eintretenden Ereignisse sind in der gleichen Weise zu
behandeln wie die rechtsgeschäftlichen oder richterlichen Acte.
Fälle
einer der wichtigsten
des
bisherigen Rechtes,
Allerdings
die Legalhypothek,
verschwindet mit dem Entwürfe 49). Uneingetragene Hypotheken giebt es über
nicht mehr.
haupt
Die
Eintragung
Titel zur
ohne
Vertrag
(§ 74 des
§ 1130 des Entwurfs).
entstehenden
Entwurfs eines
geben
nur
einen
Einführungsgesetzes,
Auch die auf diese Weise erlangten Pfandrechte,
die auf keinem Rechtsgeschäfte bemhen, ergreifen die Zubehörden. — Die gesetzlich eintretenden Nutznießungen umfassen Vermögensmassen und selbst
verständlich hierdurch die einzelne Sache mit ihrer Zubehör; Pertinenzen, die Eigenthum eines Dritten sind, werden nicht zum Vermögen gerechnet und
unterstehen daher
nicht dieser
Nutzung.
Der
Eigenthumserwerb
durch Ersitzung, den der Entwurf nur für Fahrnisse kennt, geht gleichzeitig
für Hauptsache wie Pertinenz vor sich, und gerade hier ist das Moment, daß vorübergehende Trennung der Pertinenz von der Hauptsache unerheblich
ist,
von
Dasselbe
Bedeutung.
gilt
von
dem
Eigenthumserwerb
von
Liegenschaften durch Zueignung und Aufgebot. Die Gleichheit der Rechts verhältnisse
an Zubehör
und Grundstück
wird
durch
diese beiden Acte
herbeigeführt. — In derselben Weise gestaltet sich das dingliche Vorkaufs recht u. s. w. Es ist dabei durchaus möglich, heitliche Regel
zu fassen.
dieses Resultat in eine
Die Vorschrift
einzige ein
des § 1067 Z. 3
wird ver
allgemeinert und daher unnöthig. Die sachenrechtliche Verbindung zwischen
Hauptsache und Zubehör wirkt kraft Gesetzes und völlig unabhängig vom Willen der Betheiligten,
Eigenthümer haben.
aber nur dann,
wenn beide Objecte
Dies ist eine sachenrechtliche Regel,
sequent im Sachenrechte
denselben
die völlig kon
und zwar im allgemeinen Theile desselben ihre
Stelle findet.
Daneben kommt aber auch die Eigenschaft der Zubehör als Neben sache in Betracht, d. h. als ein Object, das vermuthlich bei obligatorischen
Rechtsgeschäften, wie bei letzten Willensacten neben der Hauptsache vom Willen
der Betheiligten mitumfaßt wird.
Die Auslegungsregel,
welche
der Entwurf im § 790 gab, gehört in das Recht der Schuldverhältnisse, genau so wie in § 1859 Abs. 1 für das Vermächtniß
einer
bestimmten
49) S- hierüber die guten Ausführungen der Motive III S. 600 ff. Bemerkung Co sack's a. a. O. verliert hierdurch an Bedeutung.
Die
143 Sache eine
ausgestellt ist.
Jnterpretationsvorschrift
In
diesen
beiden
Fällen handelt es sich um Klarlegung des Willens der Contrahenten und
des Testators;
das
dingliche
Verhältniß kommt nicht in Betracht,
so
wenig wie die Frage des Eigenthums des Verkäufers bei der Hauptsache
für die Gültigkeit des Kaufcontraets (§ 348).
die dingliche Wirkung,
dann erst tritt jenes
Handelt es sich aber um
um Rechte nicht auf die,
sondern an der Sache,
sachenrechtliche Verhältniß hervor,
dann aber auch
seine Folgen nur in jener oben beschriebenen Weise.
V. Auf Grund des Vorstehenden würde folgende Fassung des Gesetzes
vorgeschlagen werden dürfen:
§ 789:
Eine bewegliche Sache
wird Zubehör einer anderen Sache
(Hauptsache), wenn sie in Uebereinstimmung mit der Verkehrssitte entweder zur Ausübung eines landwirthschaftlichen oder gewerblichen Betriebes auf
ein Grundstück eingebracht oder einer Sache mit der Bestimmung, der Er
füllung ihres Zweckes zu dienen, beigefügt ist. Zu den
ersteren können insbesondere gehören:
die Geräthe und
Maschinen in Fabriken, Brauhäusern, Mühlen u. dergl., die Ackergeräthe, der zur Wirthschaft nöthige Viehstand,
Dünger und Vorrath
an land
wirthschaftlichen Erzeugnissen; zu den letzteren: die Oefen, Schlüssel, Winter
fenster, Löschgeräthe u. s. w.
Vorübergehende Trennung von der Hauptsache hebt die Zubehör
eigenschaft nicht auf.
§ 790.
Rechtlich erhebliche Vorgänge,
welche die Hauptsache un
mittelbar betreffen, gelten auch als für die Zubehör eingetreten, mit Aus
nahme der Zubehörstücke,
welche
nicht Eigenthum des Eigenthümers
der Hauptsache sind.
§ 359 a.
Ist
eine
einzelne bestimmte Sache zu Folge Vertrages
zu leisten (oder: Gegenstand des Vertrages), so erstreckt sich die Leistungs pflicht im Zweifel auch auf die Zubehör der Sache.
Zu § 789 sei als Erläuterung bemerkt:
trägt den Ausführungen
über den Ausschluß
„Eine bewegliche Sache"
der Mobiliarpertinenzen
Rechnung. „In Uebereinstimmung mit der Verkehrssitte"
beschränkt die Zu
behörden auf die von der Verkehrs-Anschauung und -Uebung als Per tinenzen anerkannten und sanetionirt den Ausschluß der gewillkürten Per
tinenzen.
144 Die Beifügung der Mobilie in dem Willen, sie der Sache zu widmen,
genügt in keinem Falle, wenn der Verkehr dies nicht anerkennt.
„Entweder — beigefügt ist" versucht die beiden einander gegenüber stehenden Gruppen auch legislatorisch zu sondern. —
Die folgenden Beispiele dienen lediglich der Erläuterung; sie haben sich im Gebiete des französischen und des sächsischen Gesetzes bewährt, so
daß ihre Beibehaltung erwünscht ist, wie überhaupt, sowenig die Casuistik
erstrebenswerth erscheint, die Anführung eines Beispieles im Gesetze mehr wirkt als mehrere Seiten Motive.
Zu
§ 790
kann auf die Ausführungen sub IV verwiesen werden;
er regelt die dinglichen (unmittelbar die Sache berührenden) Rechtsacte. § 359a giebt die entsprechende Regel für das Obligationenrecht, ist
lediglich Jnterpretationsmittel, neben dem der §438 über den Wiederkauf bestehen bleibt, da dieser die Zweifel in einem besonderen Falle lösen soll.
XXV.
Machten des Herrn Professor Dr. Rohter in Rertin. über die Frage:
Ist die im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches angenommene Behandlung der Pertinenzen zu billigen, oder eine Abänderung
derselben wünschenswerth, und in welchem Sinne? Die Bestimmungen über Zubehör finden sich in den §§ 789—791,
1067 Z. 3, 1068, 1074, 1859 des Entwurfs; der Kern- und Schlüssel punkt liegt in § 790,
aber gerade hier fehlt es an einer ausreichenden
Darlegung des Wesens der Pertinenzialität.
Wie ich in meiner Abhandlung im Jhering's Jahrb. XXVI. S. 1 f. ’) dargethan, ist die Verbindung der Pertinenz mit der Hauptsache eine ding liche; sie ist nicht so fest, wie die Verbindung des Bestandtheiles mit der
Sache, welche Bestandtheil und Sache zu einer totalen dinglichen Ein
heit zusammenfügt; aber sie bewirkt doch, daß die Rechtsschicksale der Hauptsache die Pertinenz mittreffen, soweit sie sie überhaupt treffen können. meines
Und um diese eigenartige Verbindung zu charakterisiren, wäre es Erachtens
dringend wünschenswerth,
Pertinenz zu wahren.
Typus,
den technischen Ausdruck
Das Wort Zubehör hat einen viel zu vieldeutigen
es hat eine Vulgärbedeutung, welche von der streng technischen
Bedeutung der Pertinenz weitaus verschieden ist, und der Gebrauch eines solchen Ausdruckes würde dazu führen,
bedeutung an Stelle der technischen
daß sich sehr leicht die Vulgär
einschleichen würde,
was der Klar
stellung der Sache sehr hinderlich wäre.
Der Grund der genannten und Pertinenz liegt darin,
sachenrechtlichen Junctur zwischen Sache
daß es ein sociales Bedürfniß ist, die einem
*) Künftig einfach mit Jahrb. citirt. Verhandle d. XX. I. T. Bd. III.
146 einheitlichen wirtschaftlichen Zwecke dienenden und sich einander gegen seitig adaptirten Sachen beisammen zu lasten, weil aus ihrer Trennung
eine Entwerthung
des Ganzen und damit eine Güterzerstörung folgen
würde (Jahrb. S. 6 f.).
Es ist daher ein unrichtiger Standpunkt, wenn man bei der legalen Charakteristik der Wirkung des Institutes von dem Rechtsgeschäft ausgeht und sagt, daß das Rechtsgeschäft im Zweifel auch auf die Zubehör sich
erstreckt. Denn dies ist durch den Gedanken getragen und
erregt den un
richtigen Gedanken, als ob es bei Pertinenzen wesentlich auf den Partei willen ankomme, und
ob
als
Pertinenz in den Kreis
der Parteiwille
es
wäre,
welcher die
hineinzieht oder aus dem
der Rechtsgeschäfte
Rechtsgeschäft heraus entläßt.2)3
Daher muß der § 790
die richtige Fassung
abgeändert werden;
ist diese: „Rechtsschicksale,
welche
die Sache
betreffen,
betreffen
auch die Pertinenzen."
Damit ist gesagt,
daß
ohne Rücksicht
auf den Motor der Rechts
änderung die Pertinenz von der Rechtsänderung
wird,
insbesondere
auch,
wenn etwa durch
der Sache miterfaßt
gesetzliche oder gerichtliche
Hypothek oder durch sonstige, außerhalb des Parteivertrages stehende Ein wirkungen die Stellung der Sache geändert wird.
Was aber den Zusatz betrifft, daß die Pertinenz „im Zweifel" von dem Rechtsgeschäfte betroffen wird, so ist dieser Zusatz eigentlich incorrect. Als Pertinenz wird die Sache sicher betroffen. Allerdings steht es dem Eigenthümer zu,
den Pertinenzverband zu lösens und
die Pertinenzsache der Verstrickung zu entziehen:
dadurch in diesem Falle ist die
Pertinenzsache von der Verfügung frei, sie bleibt von den Rechtsschicksalen 2) Verfehlt sind die Motive des Entwurfs III S. 65. Auf derselben unrichtigen Idee beruht der Satz im § 789: „es sei denn, daß nach der Verkehrssitte eine solche Sache nicht als Zubehör angesehen wird". Dies beruht (Motive III S. 63) auf der Erwägung, daß beispielsweise in manchen Gegenden die Oefen mit der Wohnung mitvermiethet werden, in andern nicht, so daß die Verkehrsanschauung für die Zubehöreigenschaft mit entscheidend sein müsse. Allein hier handelt es sich gar nicht um Pertinenzialität, sondern darum, was der Vermiether oder der Ver käufer seinem Mitcontrahenten zu leisten hat. Hierfür ist allerdings die Lebensan schauung entscheidend; allein die Lebensanschauung macht keine Pertinenzen, sondern nur die reale wirthschaftliche Einheit macht sie. 3) Absolut oder relativ, vgl. Jahrb. S. 108 f.
147 unberührt, — allein dann hört sie auch auf Pertinenz zu sein.
Ist nun
aber auch die Beifügung dieser zwei Worte nicht eben correct, so glaube ich sie doch befürworten zu sollen, des vulgären Verständnisses wegen, sofern dadurch
zum Ausdruck
gebracht wird,
(absolut oder relativ) möglich ist;
daß eine Pertinenzlösung
auch das Verständniß des Volkes ist
vom Gesetzgeber zu berücksichtigen.
Wenn der § 790
auf solche Weise abgeändert ist,
dann ist eine
richtige Grundlage für die Behandlung der Pertinenz im Hypothekenrechte
gegeben.
Jetzt
entwickelt sich daraus der Satz,
daß die Hypothek auch die
und es ließe sich fragen,
Pertinenz ergreift (§ 1067 Z. 3), von selbst; ob überhaupt eine solche Specialisirung
noch
zu empfehlen sei.
Doch
würde ich dieselbe aus zwei Gründen befürworten; einmal wegen einiger
sich daran
anschließender wichtiger Sätze bezüglich des Erlöschens der
Pertinenzialität, von welchen alsbald zu handeln ist; und sodann wegen einer Besonderheit des Hypothekenrechts, welche ich bereits (Jahrb. S. 96 f.)
hervorgehoben habe.
Die Hypothek trifft nämlich als eine die Sache ständig in Anspruch nehmende Belastung auch die zur Sache erst künftig hinzutretenden Per-
tinenzen — sie trifft nicht
etwa bloß die Pertinenzen,
welche zur Zeit
der Pfandbegründung schon vorhanden waren. Es wäre wohl zweckmäßig, diesen Umstand im Gesetze speciell anzu deuten;
und so könnte man zu § 1067 Z. 3 eine Bestimmung der Art
befürworten: ' Die Hypothek ergreift die Pertinenzen des Grundstückes,
die gegenwärtigen, wie die zukünftigen. Dagegen muß hier (in § 1067 Z. 3) nothwendig der Zusatz ge
strichen werden, daß die Zubehörstücke, welche nicht in das Eigenthum des Grundeigenthümers gelangt sind, ausgenommen seien; denn solche Stücke sind eben keine Pertinenzen im Rechtssinne;
man kann sie Zubehörstücke
nennen, aber sie sind dann nur Zubehörstücke in der factischen Bedeutung
des Lebens, nicht im Sinne des Rechts; und gerade an diesem Beispiele zeigt es sich, wie wenig zweckdienlich es ist, den technischen Ausdruck Per-
tinenz mit dem Vulgärausdruck Zubehör zu vertauschen. Der Begriff des Zubehörs
ist
ein factischer,
wirthschaftlichen Verbindung der Zubehörsache.
er beruht auf der
Der Begriff der Pertinenz
ist ein juristischer: die Pertinenz setzt eine Zubehör voraus, aber außer
dem noch
etwas anderes.
Pertinenz kann nämlich nur die Sache sein,
welche demselben Eigenthümer gehört, wie
die Hauptsache, oder welche
10*
148 mindestens in der conditio usucapiendi zu
Gunsten des
eigenthümers sich befindet (Jahrb. S. 69 f.).
Daher kann eine Pertinenz
wenn das
nur dann vorliegen, Sache in die
Dritten,
Zubehörverbindung
Hauptsachen-
Zubehör von
dem Eigenthümer der
gesetzt wird
oder zwar von einem
von diesem aber für den Eigenthümer unter Eigenthumsüber
tragung an ihn (Jahrb. S. 74s., 175f.). ergiebt sich
Daraus
haltbar ist.
auch,
daß die Bestimmung des § 789 nicht
Will man überhaupt eine Definition der Pertinenz geben,
— wir halten eine solche nicht für geboten und
überhaupt nicht für
empfehlenswerth, — so muß das Moment eingeschoben werden, welches bereits das preußische und das französische Recht betont, daß nur solche Sachen Pertinenzen sind,
rühren, oder besser,
welche von dem Eigenthümer der Sache her
welche von dem Eigenthümer der Sache
oder für
denselben in die Verbindung mit der Sache gesetzt worden sind. Aber die Definition des § 789 leidet noch an einem weiteren wesent lichen Mangel.
Es ist unrichtig zu sagen, daß die Pertinenzsache der
Hauptsache dienen solle,
unrichtig auch die Motive III S. 62.
Zur
Pertinenzqualität gehört allerdings zweierlei: 1. daß verschiedene Sachen in ihrer Verbindung einem gemeinsamen wirthschaftlichen Zwecke dienen; 2. daß von diesen verschiedenen Sachen die eine Sache eine prävalirende Bedeutung hat. Handelt es sich nun um lauter Mobilien, so ist eine solche herr schende, überwiegende Bedeutung der einen Sache, welche sie zur Haupt
sache macht und die übrigen Sachen in die accessorische Stellung rückt, allerdings nur dadurch zu erzielen, daß diese eine Sache wirthschaftlich prävalirt, also für die Zweckbestimmung eine besondere Bedeutung hat. Ist aber die eine' Sache eine Immobilie und sind die anderen Mobi lien, so ist der prävalirende Charakter bereits durch die Jmmobiliarqualität
gegeben, auch wenn die Immobilie an sich in der Zweckbestimmung von geringerer Erheblichkeit wäre und lediglich der Mittelpunkt wäre, um den sich die Mobilien in ihrer Zweckbestimmung gruppirten. Daher muß die Definition nothwendig die Pertinenzen von Immo
bilien und
trennen;
von Mobilien scheiden und in der gesetzlichen Beschreibung
eine gemeinsame Definition für Mobiliar-
und
Jmmobiliar-
pertinenzen muß aus diesem Grunde stets eine fehlerhafte werden.
Ich würde daher definiren: Pertinenz ist eine bewegliche Sache, welche zu einer Im
mobilie, ohne ihr Bestandtheil zu werden, in eine derartige
149 Beziehung gesetzt wird, daß das Ganze eine wirthschaftliche Einheit bildet; vorausgesetzt, daß diese Verbindung durch den
Eigenthümer der Immobilie oder für denselben erfolgt. Auch eine Mobilie kann Pertinenzen haben, sofern sie in wirthschaftlichen Zweckerfüllung
der
eine ausschlaggebende
Bedeutung hat.
Der in § 791
angenommenen Exemplification ist im Allgemeinen
zuzustimmen; doch wären die Badeanstalten und Theater beizufügen; bei
zufügen ferner die Ausrüstungen
und Ziersachen
eines Hauses,
sofern
dieselben dem Gebäude speciell angepaßt sind. Was das Aufhören der Pertinenzqualität betrifft, so wäre solches
allerdings stricto jure nicht bloß dann anzunehmen,
wenn der Eigen
thümer die Pertinenzsachen auf die Dauer ihrer Bestimmung
entkleidet
hat, sondern auch dann, wenn sie (obgleich im wirthschaftlichen Zusammen hänge verharrend) an einen Dritten veräußert werden und dadurch einen anderen Eigenthümer finden (Jahrb. S. 100 f.).
Dies würde aber, wie
bereits in den Jahrbüchern nachgewiesen, verderblich wirken. Man muß vielmehr im Interesse des Credits folgende Postulate
aufstellen:
1. Die einmal an der Pertinenz bestehen,
bestehenden Hypotheken bleiben
solange die factische Verbindung mit der Hauptsache
nicht gelöst ist; 2. die Hypothek ergreift auch diejenigen Zubehörsachen, welche nicht
mehr dem Eigenthümer der Hauptsache gehören und daher nicht mehr Pertinenzen sind, — sofern nur eben die wirthschaftliche Verbindung noch fortbesteht; Schließlich muß man 3. dem Hypothekargläubiger Mittel und Wege geben, die factische
Trennung und Fortschaffung der Pertinenzen zu hindern oder mindestens zu bewirken, daß dieses factische Fortschaffen die an den Pertinenzen bestehenden Hypothekenrechte nicht zerstört4). Von diesen Postulaten ist 1 und 3 im § 1068 des Entwurfes er nur wäre hier eine andere Fassung zu wünschen.
füllt;
Es wäre zu
sagen: Das Hypothekenrecht an den Pertinenzen bleibt bestehen, 4) Vgl. auch die Entsch. des Appelh. Douai 16. 12. 1886 cit. im Arch. f. bürgerliches Recht I S. 351 f. (Sirey, Recueil general des lois et des arrets 88 II p. 115).
150 so lange die
steht, und
factische Verbindung
mit
der
Hauptsache be
kann selbst dem gutgläubigen Erwerber der Per-
tinenzsache entgegengehalten werden.
Besteht Gefahr, daß die Pertinenzsache von der Haupt
sache
entfernt wird,
so
kann der Hypothekengläubiger auf
dem Wege des Arrestes Beschlag legen lassen;
durch den Be
schlag werden die Hypothekenrechte gewahrt.
Das Postulat 2 muß noch erfüllt werden.
Es wäre zu erfüllen
durch einen Zusatz zu § 1067 Z. 3, welcher so lautete: Die Pertinenzen des Grundstückes, auch diejenigen, welche nur noch factisch mit dem Grundstück in wirthschaftlicher Ver bindung stehen.
Sind wir auf diese Weise mit dem Entwurf in verschiedenen Bezie hungen pari passu gegangen, so müssen wir eine bedeutende Erweiterung
der Pertinenzwirkung befürworten, nämlich dahin, daß die Pertinenzen nicht selbständig, sondern nur mit der Hauptsache zusammen Gegenstand der Vollstreckung sein können; m. a. W. wir empfehlen die Aufnahme einer
Bestimmung
nach Analogie
des
a. 592 des C. de proc.
liegen in der socialen Bestimmung der Pertinenzsache
Jahrb. S. 91 f. entwickelt.
und
Die Gründe sind bereits
Sie treten mit besonderer Schärfe entgegen,
wenn man die vielen Verwickelungen und Streitigkeiten ins Auge faßt, welche sich zwischen solchen Mobiliarpfändungsgläubigern und den Hypo
thekengläubigern entspinnen, indem diese Hypothekengläubiger der Mobiliarexecution entgegentreten und entgegentreten müssen. Es entwickeln sich
Einsprachsprocesse.
hier oft die kostspieligsten und unerquicklichsten
Es giebt Creditinstitute, welche in dieser Beziehung
immer auf der Umschau stehen und
von
einem Einsprachsprocesse zum
andern schreiten müssen. Um meine
vorschlagen,
in
legislativen Vorschläge
zusammenzufassen,
so würde ich
erster Reihe den § 789 ganz zu streichen und die Defi
nition der Wissenschaft zu überlassen.
Subsidiär wäre folgende Fassung
zu wählen:
Pertinenz ist eine bewegliche Sache,
welche zu einer Im
mobilie, ohne ihr Bestandtheil zu werden, in eine derartige
Beziehung gesetzt wird, daß das Ganze eine wirtschaftliche Einheit bildet; vorausgesetzt, daß diese Verbindung durch den Eigenthümer der Immobilie oder für denselben erfolgt. Auch eine Mobilie kann Pertinenzen h ab en, sofern sie in der
151
wirtschaftlichen Zweckerfüllung eine ausschlaggebende Be deutung hat. An Stelle des § 790 wäre zu setzen: Rechtsschicksale, welche die Sache betreffen, betreffen (im Zweifel) auch die Pertinenzen. Pertinenzen können nur zugleich mit der Hauptsache Gegenstand der Vollstreckung sein. § 791 wäre dahin zu ändern: Pertinenzen sind namentlich 1. die zu einem gewerblichen Gebäude, insbesondere einer Mühle, .einem Brauhause, einer Schmiede, einer Fabrik, einer Badeanstalt, einem Theater gehörigen, dem gewerblichen Zwecke dienenden Maschinen und Geräthschaften; 2. das zum Wirthschaftsbetriebe eines Landgutes be stimmte Geräthe und Vieh, sowie die zum Betrieb gehörigen landwirthschaftlichen Erzeugnisse, Stroh und Dünger; 3. Ausrüstungen und Zierstücke eines Wohnhauses, sofern das Haus und die Sache einander speciell angepaßt sind. § 1067 Z. 3 wäre dahin zu ändern: Die Hypothek ergreift 3. die Pertinenzen des Grund stückes, die g egenwärtigen wie die zukünftigen, auch diejenigen, welche nur noch factisch mit dem Grundstück in wirthschaftlicher Verbindung stehen. An Stelle des § 1068 wäre (was die Pertinenzen betrifft) zu setzen: Das Hypothekenrecht an den Pertinenzen bleibt bestehen, solange die factische Verbindung mit der Hauptsache besteht, und kann selbst dem gutgläubigen Erwerber der Pertinenzsache entgegengehalten werden. Besteht Gefahr, daß die Pertinenzsache von der Haupt sache entfernt wird, so kann der Hypothekengläubiger auf dem Wege des Arrestes Beschlag legen lassen; durch den Be schlag werden die Hypothekenrechte gewahrt.
XXVI.
Machten des Herrn Lkertandesgerichtsrach Thomsen zu Stettin über die Frage:
Ist das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers und Verpächters
beizubehalten? „Es erben sich Gesetz' und Rechte Wie eine ew'ge Krankheit fort."
Im Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich ist bestimmt: § 521.
Der Vermiether eines Grundstückes hat wegen seiner Forderungen aus dem Miethvertrage ein gesetzliches Pfandrecht an den eingebrachten
Sachen des Miethers. Das Pfandrecht besteht nicht in Ansehung der jenigen Sachen, welche der Pfändung nicht unterworfen sind. Es er lischt mit der Entfernung der Sachen von dem Grundstücke, auf welches das Miethverhältniß sich bezieht, es sei denn, daß die Entfernung heimlich
oder gegen den Widerspruch des Vermiethers erfolgt ist.
Der Vermiether kann der Entfernung derjenigen Sachen nicht wider sprechen, zu deren Entfernung der Miether im regelmäßigen Betriebe seines Geschäftes oder dadurch veranlaßt wird, daß die gewöhnlichen Lebensverhältnisse die Entfernung mit sich auch
bringen.
Er ist berechtigt,
ohne Anrufung des Gerichtes die Entfernung aller anderen seinem
Pfandrechte unterliegenden Sachen zu hindern und,
wenn der Miether
das Grundstück räumt, dieselben in seine Jnhabung zu nehmen.
Der Vermiether ist berechtigt, von dem Miether die Zurückschaffung der heimlich
oder gegen seinen Widerspruch
entfernten Sachen, deren
153 Entfernung er zu widersprechen befugt war,
und nach bereits erfolgter
Räumung des Grundstückes die Ueberlassung der Jnhabung derselben zu
fordern. Die Ausübung des
gesetzlichen Pfandrechtes des Vermiethers kann
durch
für
Sicherheitsleistung
die Forderung und in Ansehung jeder
einzelnen diesem Rechte unterliegenden Sache durch Sicherheitsleistung bis zur Höhe des Werthes der Sache abgewendet werden.
Die Sicher
heitsleistung durch Bürgen ist ausgeschlossen.
Wird
eine dem Pfandrechte des Vermiethers unterliegende Sache anderen Gläubiger gepfändet,
so kann diesem gegenüber das
Pfandrecht wegen desjenigen Miethzinses
nicht gellend gemacht werden,
für einen
welcher auf eine frühere Zeit als das letzte Jahr vor der Pfändung
entfällt.
§ 543. Der Verpächter eines landwirthschaftlichen Grundstückes hat wegen seiner Forderungen aus dem Pachtverträge ein gesetzliches Pfandrecht sowohl an den
eingebrachten Sachen des Pächters als
auch
an den
Früchten des Grundstückes. Auf dieses Pfandrecht finden die Vorschriften
des § 521 Abs. 1 bis 4 entsprechende Anwendung.
Die Frage,
ob die Beibehaltung dieser Bestimmungen sich
legis
latorisch empfiehlt oder nicht, hat nicht bloß eine juristische, sondern auch eine volkswirthschaftliche oder, wenn man es lieber so ausdrücken will,
soziale Bedeutung. Beide Seiten sind hier von jeher in der Gesetzgebung wie im prak tischen Leben so eng mit einander verbunden gewesen, daß jede bei der Erörterung der Frage einer gleichen Berücksichtigung bedarf.
Die Motive zum § 521 sagen (II S. 402): „Im Hinblick auf das geltende Recht kann kein Zweifel darüber daß dem Vermiether zur Sicherung wegen seiner Forderungen aus dem Miethvertrage gegen den Miether ein besonderes Recht an den
bestehen,
von dem Miether eingebrachten Sachen einzuräumen ist. Zweifelhaft kann nur sein, in welchem Umfange ein solches Recht anerkannt, und wie das juristische Wesen desselben bestimmt werden soll,
da in dieser Beziehung die bestehenden Rechte weit auseinandergehen. — Der § 521
räumt dem Vermiether an den von dem Miether ein
gebrachten Sachen ein gesetzliches Pfandrecht ein, da eine solche Regelung allein
geeignet ist,
einfaches und klares Recht zu schaffen,
während sie
auf der anderen Seite zu praktischen Unzuträglichkeiten nicht führt."
154 Beim § 543 wird nur auf § 521 verwiesen.
Dies ist die ganze Motivirung für die Einführung bzw. Beibehaltung des
gesetzlichen Pfandrechts, die Antwort auf die Frage nach der legis
latorischen
Existenz-Berechtigung
dieses
historisch-gegenwärtige Dasein eines
Instituts
überhaupt.
Das
besonderen Rechts in den geltenden
deutschen Gesetzen wird als Grund für die Berechtigung zum Weiterleben
angeführt.
Wie hochwichtig dieser Grund nun auch an und für sich sein
mag, so wird andererseits doch anzuerkennen sein, daß für die Würdigung seiner Tragweite die Untersuchung bedeutungsvoll ist, ob denn die Existenz
des Instituts überhaupt von vorneherein gerechtfertigt gewesen. Vor Allem ist
es
gewinnen,
einen Einblick in die Ge
also von Wichtigkeit,
schichte des Rechtsinstituts,
in seinen
historischen Grund und Zweck zu
soweit die aus dem Dunkel ferner Zeiten überlieferten Nach
richten die Möglichkeit der Aufklärung gewähren. heblicher Stützpunkt
geschaffen für
die
als welche hier anzusehen sind:
Erwägungen,
Damit wird ein er
ausschlaggebenden
bestehenden Verhältnissen den vorzugsweisen
legislativen
„einerseits die Rücksicht,
Schutz,
welchen sie jetzt
genießen, nach den praktischen Bedürfnissen des Lebens fernerhin zu er
halten, andererseits das Verlangen, veraltete Rechtsinstitutionen aus dem Verkehrsleben zu beseitigen." *) In den
älteren
Zeiten Roms
gab
es
nur zwei Formen,
unter
welchen im Privatrecht pfandrechtliche Sicherheit für Forderungen bestellt
wurde: fiducia d. h. Uebertragung des Eigenthums und pignus d. h. Über tragung des Besitzes.
Die fiducia war ein Institut des jus civile, konnte
nur durch eine civilrechtliche Art des Eigenthumserwerbes: in jure cessio oder mancipatio,
vermittelt werden und
nur zwischen römischen cives
stattfinden. Das pignus war prätorischen Ursprungs,
gehörte dem jus gentium
an, wurde durch formlose (vertragsmäßige) Einhändigung einer Sache bewirkt und war zwischen Peregrinen wie Römern zulässig. Das Ver
kaufsrecht, dieser ökonomische Kern des ganzen Rechtsinstituts, mußte bis in das
erste Jahrhundert der Kaiserzeit durch
ausdrücklich
eine
besondere Clausel
gewährt werden und bildete sich erst später als eine selbst
verständliche Vefugniß
des
eigenthümlichen Geiste des
Pfandgläubigers
heraus.
Wie nach dem
älteren römischen Rechts ein directer Angriff
auf das Vermögen des Schuldners principmäßig ausgeschlossen war, und der Gläubiger nur durch Zwang gegen die Person des Schuldners mittel*) Mot. z. Einf.-Ges. z. d. Konk.-O. § 11.
155 bar seine Befriedigung aus dessen Vermögen herbeiführen konnte,
bildeten ihrer ursprünglichen Natur nach
so
fiducia und pignus gleichsam
als Haft der Sache ebenfalls indirecte Zwangsmittel, um den Schuldner zur Zahlung zu bewegen.
diesen
Neben
beiden
alten Pfandrechts-Formen (der Streit der
Gelehrten über die Frage, welche die ältere sei, berührt uns hier nicht)
stellte das prätorische Recht in seiner weitern Entwickelung noch dritte Form auf: die Hypothek,
d. h. die Verpfändung durch
Vertrag ohne Uebertragung der Sache.
eine
bloßen
Erst nach der Einführung dieses
neuen Rechtsinstituts beginnt die Aera der sogen, stillschweigenden gesetz
lichen Pfandrechte.
ist
Eigenthümlich
es, daß
gerade mit dem Pachtverhältniß die
Entstehung und Ausbildung der Hypothek aufs Engste verknüpft ist,
die
hypothekarischen Rechtsmittel des interdictum Salvianum und der actio Serviana gerade das Pachtverhältniß bezielen, und sich an diese Rechts
mittel die Entwickelung des gesetzlichen Pfandrechts anschließt.
Die Untersuchung dieses Zusammenhangs wird für unsre Frage wegen Beibehaltung des gesetzlichen Pfandrechts des Verpächters und
nicht
Vermiethers
etwa eine bloß historische,
sondern auch eine höchst
wichtige legislative Bedeutung beanspruchen dürfen. Nach der einen Ansicht?) hat schon in alter Zeit zu Rom der Gläubiger
durch
einen
bloßen
Pfandvertrag
das
Recht
der
Apprehension
des
Besitzes erhalten, der Prätor durch gelegentliche Jnterdicte die Apprehension unterstützt,
sodann das ständige interdictum Salvianum gegeben und auf
dieser Grundlage endlich durch Einführung der actio Serviana und quasi
Serviana die Entwickelung der Hypothek vollendet.
Diese Ansicht hat
aber die herrschende Lehre nicht zu verdrängen vermocht, welche mit Recht annimmt, daß die Entwickelung des Vertragspfandes nur und allein an die Pfandabreden speciell zwischen Pächter und Eigenthümer sich
knüpfte.^)
an
Mit dem int. Salv. begann erst die rechtliche Wirksamkeit des
bloßen Vertrages der Verpfändung.
Bis dahin gab ein solcher Vertrag,
wenn er überhaupt vorkam, kein Recht zur Besitzergreifung.
Wie kam nun der Prätor zur Einführung dieses Schutzmittels zu
Gunsten gerade des Verpächters? Gewöhnlich nimmt man an, daß die eigen2) Rudorfs, Z. S. f. gesch. Rechtswiff. 3 S. 192. Bachofen, Pfandrecht S. 9 ff. Brinz, Pandekten 2. Ausl. Bd. 2 S. 850. 3) Keller, Krit. J.-B. XI S.964ff. Pernice, Labeo I S. 427. Dernburg, Pfandr. I S. 51 f. Wendt, Jhering's J.-B. 21 S. 317.
156 artigen faktischen Verhältniffe bei der Pacht von Landgütern den Anstoß und den Grund für die prätorische Rechtshülfe
gegeben habend)
Pächter konnte dem Verpächter regelmäßig keine
Der
anderen Sachen zur
pfandrechtlichen Sicherheit darbieten als sein landwirthschaftliches Inven Die fiducia durch in jure cessio
tar und seinen Wohnungs-Hausrath.
— vor dem Prätor in Rom — war kaum thunlich,
durch mancipatio
nur bei Sclaven und Vieh, als res mancipi, möglich.
Außerdem konnte
die fiducia bei Peregrinen nicht stattfinden. unthunlich,
Das
pignus war ebenfalls
da der Pächter die Jnvecten und Jllaten,
deren factischer
Gebrauch ihm zur Verwirklichung des Zwecks der Pachtung,
zur Ge
winnung der Früchte nothwendig war, doch nicht dem Eigenthümer und Verpächter in Besitz geben konnte.
An den Früchten war beim Einzuge
des Pächters natürlich fiducia wie pignus unmöglich,
Ernte, mindestens sehr schwierig. und der naturgemäße Wechsel der
später,
nach der
Dazu kam noch die Mannigfaltigkeit Jnventarstücke.
Bei diesen, sowie
bei den Früchten, wäre eine ewige Kette von Wiederholungen der Ueber-
tragung nothwendig gewesen.
Wo aber ein Eigenthums- oder Besitzpfand
der Jllaten und der Früchte beim Pachtverhältniß vorkam, großen factischen Unzuträglichkeiten
konnten die
für beide Theile allerdings durch
Anwendung der Ueberlassung per precarium gemildert werden, welche überhaupt beim Pfande als ein alltägliches Ereigniß geschildert wird?)
Durch
eine solche Aufgabe des Besitzes wurde jedoch
wiederum factisch schlechter gestellt.
der Verpächter
Das precarium hatte also auch seine
Schwierigkeiten, zumal die Vermittelung der Besitzübertragung durch das
constitutum possessorium erst im Anfang der Kaiserzeit anerkannt wurde. Wie konnte denn nun der Verpächter gesichert werden?
Wenn der Pächter nicht im Stande war, Bürgen zu stellen oder andere Sachen
als Jllaten und Früchte zum Pfand zu übergeben, pächter — eben nicht gesichert w.erden.
so konnte der Ver
Eine dem wirklichen Pfandrecht
möglichst nahe kommende Sicherheit wollte nun der Prätor dem Ver
pächter schaffen durch Einführung des interdictum Salvianum, welches
als ein prohibitorisches o) Jnterdict dem Verpächter die Befugniß ge währte,
die durch
bloßen Vertrag zum Pfande gesetzten Sachen des
Pächters pfandweise zu apprehendiren, resp, dem Pächter verbot, dieser Apprehension sich zu widersetzen.
4) S. 977. 5) 6)
Puchta, Inst. II S. 708. Huschke, Studien S. 340. Dernburg I S. 57. 1. 6 § 4 D. XLIII, 26. Rudorfs S. 210. Dernburg II S. 339.
Keller a. a. O.
157 War dies nun eine reine unvermittelte Erfindung des Prätors, oder
lehnte er sich dabei an ein bestehendes Rechtsinstitut an und an welches? Der ganzen Entwickelung des prätorischen Rechts entspricht nur die An
nahme einer Anlehnung an Bestehendes. Einige Juristen haben die auf den ersten Blick verführerisch erschei nende Ansicht aufgestellt,
daß der Prätor zunächst ein pignus (Besitz
pfand) nebst einem precarium fingirte und nun dem int. de precario
(int. recuperandae possessionis) das neue interdictum nachbildete?)
Andere haben das int. utrubi (int. retinendae possessionis) als Vor Beide Ansichten müssen m. E. schon
bild des int. Salv. angesehen?)
daran scheitern, daß das int. Salv. überall in den Rechtsquellen als ein int. adipiscendae possessionis bezeichnet wird.
Die Idee, daß von Alters her beim nackten Pfandvertrag der Ver
mieter und der Verpächter das Perclusionsrecht (das Recht, die Weg
schaffung der verpfändeten Jllaten mittels Verschließung des Hauses zu verhindern), gehabt habe, dies Recht für den Verpächter aber ungenügend
gewesen sei,
und daß nun diesem der Prätor mit dem int. Salvianum
ein stärker wirkendes Recht gewährt habe,o) läßt sich mit dem Umstande
nicht vereinigen, daß nirgends in den Quellen ein derartiges Recht des Vermiethers
oder Verpächters vor und unabhängig von dem int. Salv.
resp, der actio Serviana nachgewiesen werden kann, vielmehr stets sowohl
das Perelusions-
wie das sog. Retentionsrecht mit der Hypothek selbst
verbunden wird. Ohne
aus die vielfachen einschlagenden Streitfragen, welche oben
nur so weit, als sie hier interessiren können, erwähnt sind, weiter einzu
gehen, soll jetzt der Nachweis versucht werden, daß das int. Salv. eine analoge Anwendung des dem römischen Aerar zustehenden und auf die
publicani übertragenen Rechts der pignoris capio bildet und ebenso wie das gesetzliche Pfandrecht des Verpächters und Vermiethers auf einer in
besonderen historischen Verhältnissen wurzelnden Begünstigung des in Rom übermächtigen Capitals beruht. Der ursprünglich dem Staate allein gehörende römische Grund und Boden wurde nur zum geringen Theil durch Assignation
rischen Verkauf in Privateigentum verwandelt.
oder quästo-
Der weitaus
größte
Theil wurde als possessio den einzelnen Bürgern zur Nutzung über-
7) Puchta, Inst. II S. 728. 8) Dernburg I S. 59. 9) Dernburg I S. 54.
158 lassen, der
theils gegen eine bestimmte Abgabe,
Im Laufe
theils zinsfrei.
Zeiten hatten aber die drückenden persönlichen Kriegslasten, die
Sclavenwirthschaft, die in Rom zusammenströmenden Kapitalmassen und die ungleiche Theilnahme an den Nutzungen des Staatseigenthums zur Folge, daß der ackerbautreibende Mittelstand mehr und mehr unterging. Der kleine Bauer ward ausgekauft, und die früheren Eigenthümer sanken
zu Pächtern
oder Tagelöhnern der Kapitalisten herab, so
daß sich die
Bürgerschaft in reiche Besitzer und in Proletarier auflöste.
Die Groß
grundbesitzer waren zugleich auch die Großhändler, und überall in Stadt und Land trat der Gegensatz von Reich und Arm in seiner schroffen Härte
hervor.
Die agrarischen Gesetze und die Schuldgesetze wirkten nur theil-
weise und nur vorübergehend.")
Die grundbesitzenden Capitalisten be
wirthschafteten nun ihre Güter entweder durch ihre Sclaven oder ver pachteten sie in kleinen Parzellen an Clienten, Freigelassene oder sonst
an kleine Leute.n) mäßig seltener vor.
Die Verpachtung
kam
aber anfänglich verhältniß-
Sie trat in gewisser Weise an die Stelle der früher
besonders bei der Clientel üblichen Verleihung als precarium, indem mit
dem Aufhören der persönlichen Clientelrücksichten der Speculationssinn sich
geltend
gewinn
machte und nun von der Verleihung einen Productions-
erstrebte.,2)
Namentlich
bei
entfernten
Grundstücken,
wo die
Beaufsichtigung der Sclavenwirthschaft schwer fiel, erschien es „tolerabi-
lius, agrum sub liberis colonis habere“.13 * )* * * Gerade * * 12 bei diesen kleinen Pachtungen trat nun für den Grundherrn die Unthunlichkeit hervor, eine pfandrechtliche Sicherheit durch
fiducia
oder pignus sich zu ver
schaffen.
Ganz so schlecht und habgierig,
wie ein Theil der (vorhin in den
Anmerkungen citirten) Schriftsteller die oberen Zehntausend in Rom, Plebejer wie Patrizier, schildert, werden diese nun wohl nicht gewesen sein,
aber so viel ist als gewiß anzunehmen,
daß sie danach
strebten,
10) Natürlich darf man hier nicht an unsere modernen Interessengruppen denken! n) Vgl. Puchta, Inst. I 202, 260, 270. Arnold, Kultur und Recht S. 28—40. Mommsen, Röm. Gesch. I S. 620 ff., II S. 68 ff. Niebuhr, Röm. G. II S. 317 ff., 372 ff. Pernice, I^abeo I S. 467 Anm. 45. Jhering, Geist des R. R. II S. 237 ff. 12) Jhering a. a. O. I S. 241. Niebuhr II S. 372 „als Habsucht und Bereicherung der einzige Gegenstand der Wünsche wurde". Dankwardt, Nat.-Oek. II S. 17 ff. 13) Columella de re rustica I c. 7.
159 den Gewinn aus den Verpachtungen möglichst hoch und möglichst sicher zu machen.
Trotz des dem römischen Volke vorzugsweise innewohnenden
Gefühls der Rechtsgleichheit darf
Reichen Roms
es nicht Wunder nehmen, wenn die
hier einseitig ihr Interesse wahrnahm.
„Geldoligarchie"
Wie sehr die
ärmeren Volksclassen ihr specielles Interesse
gegen die
verfolgten, zeigen ja genugsam die
langwierigen Kämpfe bezüglich der
Staatsländereien, der Schuldverhältnisse,
der Magistrats- resp. Richter
stellen, zeigen ferner die vielen Klagen über die willkürliche Bedrückung
sowohl im Civil- wie im Criminalrecht.")
Der Prätor, welcher persönlich
meist mitten im Interessentenkreise der Capitalisten stand, gab nun, „sei
es aus eigenem Ermessen oder auf äußeren Antrieb irgend einer Art",,5) den Verpächtern eine andere Sicherheit als fiducia und pignus, welche bei der Pacht nicht wohl thunlich waren.
Hier wird nun der Ort sein für den Versuch, schende,
eine allgemein herr
für die Auffassung der besonderen Rechte des Verpächters sehr
wichtige Vorstellung zu beseitigen, geerbt zu haben scheint.
welche sich bisher unbeanstandet fort
Ich meine die zur Rechtfertigung des int. Sal-
vianum und weiter des gesetzlichen Pfandrechts meistens und mit Vor liebe verwerthete
Vorstellung:
daß die
bereits
näher hervorgehobene
Schwierigkeit der fiducia und des pignus bei Jllaten und Früchten eine specielle Eigenthümlichkeit gerade des Pachtverhältnisses fei.16) Jene Schwierigkeit ist unleugbar vorhanden, aber einerseits nicht
allein,
bei dem Verpächter
sondern bei allen Gläubigern des Pächters,
andererseits nicht bei den Pächtern allein, sondern bei allen Landwirthen.
Konnte
die in jure cessio und die mancipatio leichter oder
etwa hier
anders erfolgen als dort?
Haus-Mobiliar
eher
Konnte hier das Wirthschafts-Jnventar oder
entbehrt und zur fiducia oder zum pignus wegge
War die Uebertragung der Früchte nicht überall War die wechselnde Mannigfaltigkeit der einzelnen
geben werden als dort?
gleich
Stücke
schwierig? etwa
hier
anders als dort? und hatte die Rückgabe zum pre-
carium nicht überall die gleichen Unzuträglichkeiten?
Offenbar lagen also
14) Puchta, Inst. §§ 70, 71. Bethmann-Hollweg, Civ. Pr. I S. 46, 55, II S. 40. 15) Puchta, Inst. II S. 727. Dio Cassius hist. XXXVI p. 21: „neque enim praetores id jus, quod ad contractus dirigendos positum erat, observarant neque scripto juri steterant . . . crebroque per gratiam et odium ceterorum hominum, veluti fieri assolet, multa gerebantur“. 16) Es mag.nur verwiesen werden auf Bachofen, Pfdr. S. 7. Puchta, Inst. II S. 708. Dernburg I S. 56.
160 in dem Pachtverhältniß als solchem keine so eigenartigen Momente, welche legislatorisch die Berechtigung gaben, den Verpächter besser zu stellen als andere Gläubiger, z. B. als denjenigen, welcher dem Pächter Saatkorn,
Vieh,
Ackergeräth, Möbel u. s. w. auf Credit verkaufte oder zu solchem
Ankauf oder zur Bezahlung des Pachtzinses Geld lieh.
in dem Bedürfnisse,
für die Sonderberechtigung des Verpächters doch
einen plausiblen Grund zu finden, dings
Man hat wohl
eine Eigenthümlichkeit, welche aller
gerade im Gebiete der Landwirthschaft allgemein bei allen Land
wirthen und
gegenüber allen ihren Gläubigern obwaltete,
aufgegriffen
speciell auf das Eine landwirthschaftliche Verhältniß des Pächters
und
und Verpächters
concentrirt.
Damit wird aber die hieraus hergeleitete
legislatorische Begründung nicht gerechtfertigt, Salv.
nur
vielmehr kann
das int.
aus dem Gesichtspunkte eines besondern Privilegs der Ver
pächter erklärt werden.
Es
hat nun m. E. der Prätor hier nicht an
griechische Institut des Vertragspfands (hypotheca) mit seinen un
das
klaren Rechtsmitteln, auch nicht an die römischen interdicta ret. und recup.
poss. sich angelehnt, sondern
an das alte römische Institut der pignoris
capio der publicani (Gaj. IV, 28).
Die Fälle der legis
actio per
pignoris capionem bildeten eine Ausnahme von dem als Regel geltenden
Verbot eigenmächtiger Pfändung.
Die publicani, die Pächter der Staats
einkünfte,
insbesondere der Einkünfte aus der Verleihung von Staats
ländereien
gegen Pachtzins oder Zehnten n) (vectigalia = Erbpacht obet
Zeitpacht), hatten das privilegium, ohne Mitwirkung der Obrigkeit Sachen der Schuldner in Pfand zu nehmen, das Recht der pignoris capio,
ge
kleidet in die legis actio per pignoris capionem. Dies Recht ward durch eine „lex censoria“ gegeben, welche ein Act entweder der Vertrags schließung oder der magistratischen Gewalt der Censoren war. Wie nun die specielleren Formen und Voraussetzungen dieser Pfändung waren,
resp,
ob und wie processualisch weiter verfahren wurde,. wie sich
nach
Einführung des Formularprocesses das Recht gestaltete,^) kann hier da hingestellt bleiben.
in
Jedenfalls aber mußte den Publicanen, wie auch den
einzelnen Fällen sonst noch
personen (z. B.
zur pignoris capio berechtigten Privat
bei dem Verkaufe von Opfer-Thieren)
ein rechtliches
Mittel gewährt werden, um sich gegen einen von Seiten des Schuldners erfolgenden oder zu erwartenden Widerstand zu schützen. Die obrig-
17) Tigerström, Ager vect. S. 13ff. 18) Degenkolb, Lex Hieronica Abschn. V. Jhering I S. 151. Wendt, Jherings J.-B. 21 S. 275.
161 keitliche Hülfe konnte nach der staatlichen Organisation nur ein Interdikt hier vielleicht des Censors) sein,
des Magistrats (des Prätors,
welches
irgend ein nachfolgendes Strafverfahren in seiner Wirksamkeit ge
durch
sichert wurde.
Erst im äußersten Falle lieh die Staatsgewalt durch die
Victoren selbst ihren Arm.
Ein solches Jnterdict mußte natürlich hier,
wo der Publiean noch nie im Besitze gewesen war, ein int. adipiscendae
possessionis resp, ein prohibitorisches Jnterdict sein (vim fieri veto, quo-
minus etc.).19)20 Wir finden also zum Pfande zu apprehendiren,
Rechts.
beim Publikanen das Recht,
Letzteres hing aber, wie alle Fälle der legis actio per pignoris
capionem, mit staatlichen Vermögensverhältnissen zusammen, öffentlich - rechtliche Natur.
hatte eine
Wie konnte es nun auf die Pacht zwischen
Privatpersonen angewandt werden?
Die Grundsätze, welche bei den
publicistischen Verträgen zwischen Staat und Privatpersonen waren,
Sachen
und ein interdictum zum Schutze dieses
wurden überhaupt im Wesentlichen auf die
aufgestellt
gleichen Verträge
zwischen Privatpersonen übertragen: z. B. bei dem Verkauf, der wider
ruflichen concessio und ganz besonders bei der locatio conductio.
„Die
locatio ist dem Privatverkehr mit der römischen Administration gemein. Und es ist sehr merkwürdig, wie gerade an diesem Berührungspunkt das
Privatrecht von seinem festen Gefüge verliert, um die losere Gestalt des
römischen Administrativrechts in sich aufzunehmen. Gewiß häufig kam der Fall vor, daß von zwei Pachtnachbarn der eine vom Staat, der andere von einem Privaten gepachtet hatte.
Oft war das privat verpachtete Grundstück dem Verpächter zuvor von dem Staate gegen Pachtzins oder sonstige Abgaben übergeben, zumal
auch
in der langen Zeit, wo den Reichen vorzugsweise die Staatsländereien verliehen wurden. Gegen den Privatpächter war nur die actio locati möglich,
gegen den Staatspächter, und zwar nicht selten gerade gegen
den Pachtherrn des (After-) Privatpächters als Staatsschuldner, die pig
noris capio des Publieanen. eine Gleichheit
hier
Was
einzuführen:
lag nun dem Prätor näher,
als
die bei Staatspachten einer Privat
person, wenn auch gewiffermaßen in Vertretung des Staats bereits ver liehene pignoris capio auch bei Privatpacht dem Verpächter zu gewähren?
Dazu kam noch,
daß bei den Verpachtungen von Großgrundbesitzern an
die kleinen Leute naturgemäß
ein Abhängigkeitsverhältniß sich heraus-
19) Jhering I S. 165. 20) Degenkolb, Platzrecht S. 130ff. Vgl. Mommsen, Z. S. der Sav.Stift. Röm. Abth. III S. 261 ff. Puchta, Inst. II § 238. Verhandle d. XX. I. T. Bd. HI.
162 bildete,
welchem bei
Clienten und Freigelassenen sogar
öffentlich-rechtliche Natur innewohnte.
eine
gewisse
Das Verhältniß zwischen Pächtern
und Verpächtern war bei den Römern ähnlich, wie bei den Deutschen das
nach
Gutsherren.21)
die
Verhältniß von Hintersassen gegen
Entwickelung der Privat-Loeatio
Mit der
dem Vorbilde der administrativ
rechtlichen Staats-Locaüo, überhaupt aber auch allgemein mit dem wirthschaftlichen und socialen Uebergewicht des Verpächters hing wesentlich die im classischen römischen Recht herrschende Inferiorität des Rechtsverhält
nisses des Conductors, die „Zerbrechlichkeit" der conductio zusammen.22)23
Diese Hypothese der Uebertragung der pignoris capio der Publi-
canen auf die Privatverpächter scheint mir den damaligen Verhältnissen am meisten zu entsprechen.
Daß die Rechtsquellen nichts davon sagen,
darf nicht auffallend erscheinen, da vom int. Salvianum überhaupt nur höchst
dürftige Nachrichten uns in den Quellen überliefert sind, und insofern eine „auf
so kleinem Raume fast beispiellose
Unsicherheit der
Theorie"22)
herrscht. Der Prätor gab also dem Verpächter das Recht der pignoris capio; das jus „pignoris apprehendendi“,24)25knüpfte es aber nicht schon an das
Pachtverhältniß resp, die Jllation allein an, sondern verlangte außerdem noch das Vorhandensein der vertragsmäßigen Aussetzung zum Pfande.
lex censoria beim Publicanen
Der
entsprach beim Verpächter die mit prä
torischem Schutze ausgestattete lex contractus.
Diese lex enthielt aber
nicht etwa ein pactum de ingrediendo, sondern die Zusicherung, daß die
Sachen zum pignus dienen sollten (Gaj. IV 147 quas pignori futuras pepigisset66). Ist die hier aufgestellte Hypothese der Anlehnung des int. Salv. an die pignoris capio der Publicanen richtig, so wird zunächst der Charakter
dieses Jnterdicts als eines ungerechtfertigten Privilegs der capitalistischen Verpächterclasse in noch klareres Licht gestellt.
Ferner werden nebenbei
dadurch in das beim int. Salv. herrschende Dunkel manche Streiflichter geworfen.
Zunächst wird
Räthsels gegeben,
dadurch die
befriedigendste Aufklärung des
weshalb bei dem gleichen,
jg näher liegenden2^) Be-
21) Puchta, Inst. I S. 271. 22) Ziebarth, Realexeeution S. 11. 159. Degenkolb a. a. O. S. 130, 154. Dernburg, Entwickelung des jur. Besitzes (5. 68 ff. Fischer, Verh. des 19. d. Jur.-T. S. 350. 23) Rudorfs a. a. O. S. 209. 2») 1. 1. pr. D. 43, 33. 25) Dernburg I S. 55.
163 dürfnisse des Vermiethers nicht auch wurde.
Das
führung det Hypothek existirt hätte, geschlossenen Sachen,2Ö)
Letzteres
diesem das wenn
angebliche Perclusionsrecht,
also
interdictum gegeben
es auch vor der Ein
gewährte ja keinen Besitz der ein
viel geringeren Schutz als das int. Salv.
konnte aber auf die Miethe deshalb nicht ausgedehnt werden,
weil die Analogie des Verhältnisses der vectigalia hier eben fehlte.
Aus gleichem Grunde ist zu erklären und anzunehmen, daß das Interdikt
überhaupt nicht auf andere Gläubiger als Verpächter ausgedehnt wurde. Der gewöhnlich gegen die Ausdehnung angeführte2?) Grund, daß beim
Pachtverhältniß die Sachen sich
im Herrschaftskreise des
Grundeigen-
thümers befinden, und diese eigenthümliche Constellation bei gewöhnlichen Hypotheken sich
keineswegs reproducire,
würde vollends beim Mieths-
verhältniß gerade die Ausdehnung rechtfertigen.
Die pignoris capio des
Publicanen setzte Fälligkeit der Schuld voraus, ein Gleiches ist hier an zuerkennen.
Erstere war nur gegen den Vectigalschuldner (und dessen
Erben) zulässig,
das int. Salv. muß daher auch nur gegen den Pächter (und dessen Erben) zugelassen werden. Alle in den Rechtsquellen er
wähnten, ohnehin sehr streitigen Ausdehnungen des int. Salv. sind meines Erachtens erst entstanden, thek eingeführt wurde,
als die actio Serviana und damit die Hypo
und nun das int. Salv. allerdings eine andere
Bedeutung gewann.
Die nächste Folge der Neuerung des int. Salv.
war natürlich
gewöhnliche Aufnahme der Pfändungsclausel wegen der invecta,
die
illata,
inducta, nata paratave in den Pachtcontract. Das int. Salv. gab aber den Verpächtern nun liches Apprehensionsrecht und nach
zwar ein persön
dessen Geltendmachung
ein pignus,
aber kein dingliches Recht. Dieser Schutz war nicht vollkommen genug. Die Interessen der Verpächter verlangten daher weitergehende Hülfe.
In der Bevorzugung der Verpächter war das int. Salv. der erste Schritt, nun kam bald der zweite.
Mittels der actio Serviana führte der Prätor
für den Verpächter die Hypothek ein: das durch
bloßen Vertrag schon
entstehende Pfand, nun mit dinglicher Klage geschützt.
Diese Neuerung wird sich allerdings zum Theil an die griechische Hypothek, welche jedoch keine dingliche Klage gewährte2^ — zum Theil
an die altrömische fiducia angelehnt haben.
26) Dernburg II S. 332. 27) Dernburg II S. 345. 28) Dernburg II S. 74.
Den Anlaß gab wieder das
164 Interesse der Verpächter, und die Neuerung beschränkte aber in dieser Neuerung
Kreis,
großer allgemeiner Bedeutung.
sich
auf deren
lag ein legislatorischer Gedanke von
Dies
war die Verknüpfung des
ding
lichen Charakters mit einem bloßen Vertrage zur Sicherung einer Forde
rung, wodurch der Verkehr von der allerdings lästigen Anwendung der
fiducia oder des pignus befreit wurde.
Trotzdem darf man nicht in das
früher so oft gespendete unbedingte Lob des neuen Instituts einstimmen, da es auch eine große Schattenseite hat.
nämlich
Durch seine Einführung wurde
gebrochen mit dem Princip der Publicität,
welches das
alt
römische Recht in der fiducia und dem pignus zur Geltung brachte, und welches auch bei dem öffentlich-rechtlichen Institut der praediatura (Ver pfändung von Grundstücken an den Staat
ohne Uebertragung) durch
Aufnahme einer öffentlichen Urkunde und Eintragung in die öffentlichen
Bücher20) gewahrt wurde. Jener
Gedanke
eines
Vertragspfands
mit dinglicher Kraft,
für
welchen das Pachtverhältniß den mehr zufälligen Durchbruchspunkt bil
dete,
ließ sich nun auf alle obligatorischen Verhältnisse anwenden,
da
hier eine Anlehnung an ganz specielle eigenartige Verhältnisse, wie beim int. Salv. die pignoris capio der publicani, nicht
entgegenstand.
So
der analogen Anwendung
kündigte denn der Prätor an,
er würde bei
den Pfandverträgen in allen Verhältnissen die actio (Serviana) ertheilen,
natürlich umgestaltet als quasi Serviana.
Nun war das fruchtbare Feld
geschaffen, auf welchem die stillschweigenden Hypotheken erwachsen konnten.
Als das
am nächsten liegende Anwendungs-Verhältniß ist natur
gemäß wohl die locatio conductio der praedia urbana, die Miethe, anzu
sehen. Der Speculationsgeist der in Rom herrschenden Großcapitalisten, der „Geldoligarchie", richtete sich nicht bloß auf die Landwirthschaft, son dern mit der schnell wachsenden Größe der Stadt auch auf den Gewinn
durch Bauen und Vermiethen von Häusern.
werbsmäßiges Hauseigenthümer- und
Es
ein
„ge
Wohnungsvermietherthum".
Die
bildete sich
Großcapitalisten bauten Miethscasernen und vermieteten sie entweder
im Ganzen an Miethsunternehmer, die wieder aftervermietheten, oder in Einzelwohnungen an kleine Leute. Gab es doch um 300 n. Chr. in
Rom nur 1790 domus (von den Eigenthümern selbst bewohnte Häuser, Paläste),
dagegen 46 602 insulae (Miethscasernen).29 30)
29) Bachofen, Pfandrecht IX, Dernburg II S. 30. 30) Friedländer, Sittengeschichte Roms I S. 63.
Die Monopol-
165 wirthschaft des gewerbsmäßigen Vermietherthums
führte zu einer Art
Feudalismus, so daß Hausherren und Miether nicht mehr im Verhältniß
von Verkäufem und Käufern
einer Waare, sondern von Herren und
Hörigen zu einander stauben.31)
Vor Einführung der actio Serviana mochten die Vermiether sich in gewissen Fällen die
fiducia oder pignus
Jllaten des Miethers durch
übertragen lassen und sie zum precarium zurückgeben. war für beide Theile unzuträglich.
Diese Einrichtung
Mit Einführung der actio Serviana
wurde es nun üblich, daß in die schriftlichen Miethscontracte (Formulare),
die Clausel der Verpfändung der Jllaten ausgenommen wurde, vorher
kein
wirksames
Recht
gewährt
Die
hatte.
Aufnahme
welche dieser
Clausel mochte nun wohl nicht immer glatt vom Miether zugestanden
werden,
war es
auch
verfassen, und
umständlich,
stets schriftliche Miethscontracte zu
wurde bei dem häufigen
endlich
Wechsel der Mieth-
wohnungen auch wohl vom Vermiether es versäumt, die Ausbedingung des
Pfandrechts
ausdrücklich
hinzuzufügen.
Das
Interesse der Vermiether
führte nun bald dahin, im Rechte eine solche Verpfändung als stets vor handen
anzunehmen:
ein sog.
stillschweigendes (gesetzliches) Pfandrecht.
Auf welche Weise wurde dieser neue Rechtssatz geschaffen?
Neratius
sagt (1. 4 D. 20, 2): Eo jure utimur, ut quae in praedia urbana inducta illata sunt, pignori esse credantur, quasi id tacite convenerit. Hiernach scheint der Rechtssatz mehr durch die Praxis der Gerichte resp, das
Juristenrecht, als durch den Prätor eingeführt zu sein.
die
legislatorische
Rechtfertigung
dieser
Praxis?
Worin liegt nun
Die
römischen
Juristen geben lediglich an, daß mit dem Miethsvertrag süllschweigend nach dem Willen der Contrahenten die Jllaten zum Pfande gesetzt seien,
ein pignus hier als tacite contrahirt angenommen werde. Beim Mangel der Pfandclausel im einzelnen Falle begann der Gerichtsgebrauch zu präsumiren, daß die gewöhnliche Sitte auch hier gelten solle, wenn nicht der Miether ausdrücklich das Gegentheil erklärt hatte. Diese „justa praesumtio“ wurde in der weiteren Entwickelung dahin ausgedehnt, daß ohne alle Rücksicht auf den Willen des Miethers die Verpfändung als
vorhanden angenommen wurde: das Pfandrecht ward
Eine
nähere
Aufilärung
geben die römischen
ein gesetzliches. Juristen nicht. Auch
unsere juristischen Schriftsteller gehen gewöhnlich gar nicht weiter auf die
Frage der legislatorischen Motive der Römer ein,
als daß sie im An-
31) Pöhlmann, Uebervölkerung S. 73 f., Ziebarth, Realexecution S. 10 Fischer a. a. O. S. 350 ff.
166 schloß an die Rechtsquellen eben die vermuthete Uebereinkunft, die tacita conventio als Ursache des Privilegiums anführen. Im Uebrigen registriren sie einfach für uns die Existenz des Instituts im geltenden Recht vermöge
der Reception des römischen Rechts. Die aus der Ueblichkeit der Hypothekclausel hergeleitete Vermuthung eines stets darauf gerichteten Willens kann aber nicht der wahre legis
latorische Grund
sein.02)
Allerdings verstanden und übten die alt
römischen Juristen die Kunst, das Alten mittels Fictionen dadurch
zu
praktisch Neue mit dem theoretisch
vermitteln,
daß
sie
durch
eine
geschickte Manipulation den neuen Rechtssatz unter einen Gesichtspunkt
brachten, der keinen Bruch der Jurisprudenz mit den bisherigen Rechts sätzen nothwendig machte.
fertigt,
Solche Fictionen waren aber nur
ein wirklicher Nothstand
wo
Alten vorlag,
wo
gerecht
im Conflict des Neuen mit dem
die „technische Nothlüge" einen zwingenden Grund
So wurden denn mehrfach „die Abstractionen aus dem regel
hatte.32 33)
mäßigen Inhalte der gangbaren Pfandgeschäfte durch die Vermittelung
der Juristen als Regeln in das objective Recht eingeführt"34) Man
geht aber fehl,
wenn man in der Vermittelungsform den
inneren Grund des vermittelten Rechtssatzes sehen will. rische Grund
muß eben tiefer liegen,
Der legislato
wie er denn bei den meisten Fic-
tionsfällen in dem nothwendigen Ausbau des betreffenden Rechtsinstituts nach seiner inneren Zweck-Structur liegt, z. B. beim Verkaufsrecht des Pfandgläubigers. Eine innere Nothwendigkeit oder auch nur ein erheb
liches Bedürfniß für die Fiction einer tacita conventio ist aber hier nicht
auszuftnden. Vor Einführung des bloßen Vertragspfandes war es aller dings für den Vermiether aus ähnlichen Gründen wie bei der Pacht schwierig, an den Jllaten des Miethers sich durch fiducia oder pignus ein Sicherungsrecht zu verschaffen, allein dies Schicksal hatte er wieder mit allen Gläubigern des Miethers
gemein.
Mit der actio Serviana
war diese Schwierigkeit einer pfandrechtlichen Sicherung beseitigt.
Daß
nun der Vermiether sich durch die regelmäßige Hypothekclausel zu sichern suchte, war sein volles Recht, vielleicht für ihn als guten Hausvater eine
Pflicht.
Für den Gesetzgeber aber lag ein legislatorischer Grund gewiß
32) Vgl. Gesterding, Ausbeute S. 27, welcher den wahren Grund als uns unbekannt bezeichnet. Brinz, Pandekten Bd. 1 S. 328. 33) Jhering a. a. O. II S. 377 ff., III S. 296 ff. 34) Regelsberger, Altersvorzug des Pfandrechts, § 4. Derselbe will die
Fiction auch hier als Grund ansehen, fügt aber doch in der Anm. 6 hinzu: „Im Einzelnen mögen freilich noch andere Motive mitgewirkt haben."
167 nicht vor, in väterlicher Fürsorge, wie etwa bei den Pupillen, dem Vermiether in allen Fällen die Hypothek gesetzlich zu gewähren und ihm
jede
eigene Bemühung
zu
ersparen.
der That
In
lassen
auch
die
römischen Rechtsquellen selbst gar nicht erkennen, daß sie die Ueblichkeit als Grund der Fiction angesehen haben.
Man hat nun ferner ein gewisses Specialrecht des Vermiethers an eine thatsächliche Einwirkung
genommen,
aus die verpfändeten Sachen
des Miethers zum Zwecke seiner Sicherung auszuüben, ein Recht, welches man bald als ein qualificirtes, bald als ein gewöhnliches Retentionsrecht,
bald
als
ein die
(Thorsperre) daß
Entfernung
Es
construirt.
ein derartiges Recht,
der Sache verhütendes Perclusionsrecht
mag hier als richtig angenommen werden,
sei es vor oder nach der actio Serviana,
im
Römischen Recht existirte, und ferner, daß es als ein „natürliches" Recht
des
vermiethenden Eigenthümers,
betrachten fei.35)36 Dies
als „Ausfluß
Hausrecht wird
aber in
seines Hausrechts"
zu
höchsten Aus
seiner
dehnung doch nur auf verpfändete Sachen bezogen, und selbst,
wenn
man bei den Römern ein Recht des Hausherrn annähme, die verpfändeten
oder nicht verpfändeten retiniren,
so
Sachen des
würde davon doch
Miethers
die Frage
einzuschließen
sein,
unabhängig
resp,
zu
ob
die
Sachen gesetzlich als verpfändet gelten sollen. Mit dem „Hausrecht" ist also
gewiß
kein
genügender
legislatorischer Grund
für die Römer
gegeben, um ein so viel weiter gehendes, so anomales Vorrecht, wie die
gesetzliche Hypothek für den Vermiether zu schaffen. Die eigenthümliche Stellung des
Hausherrn
gab nur die Veranlassung
Abschluß von Pfandverträgen gesetzlichen Hypothek. 3§)
zum
häufigen
und hiermit indirect zur Schaffung der
Dadurch ist nichts weiter bewirkt,
Vermittelungs-Form für die Einführung
als daß die
des neuen Instituts,
für
die Fiction einer tacita conventio, vorbereitet, und ihr die factische Grund lage gegeben wurde.
Sodann ist zur Rechtfertigung des gesetzlichen Pfandrechts noch die
Idee
geltend gemacht,3?)
daß „nach der Natur der Miethe die Jllaten
des Miethers ebenso nach ihrer sächlichen Natur,
d. h. pfandweise, für
die Bewohnung haften müssen, wie der Miether selbst nach seiner persön lichen Natur, d. h. mit der Contractsklage, verhaftet ist, weil bewegliche 35) Brinz, Pandekt. Bd. 1 S. 328, Rudorfs, Ztschr. f. gesch. Rechtswissenschaft Bd. 13 S. 206, Dernburg Bd. 1 S. 54, 295, Langfelv, Retentionsrecht S. 78. 36) Dernburg Bd. 1 S. 296. 3') Huschte, Studien S. 342 ff.
168 ohne einen festen Punkt auf der Erde
Wesen
nicht würden bestehen
Diese Idee hat wohl mit Recht wenig Anklang und
können".
noch
weniger Verwerthung gefunden. Wenn man nun nach den bisherigen Erörterungen annehmen darf,
daß für die römische Rechtswelt weder die Ueblichkeit der Pfandclausel noch
andere Gründe die Einführung
Miethe
genügend
rechtfertigen,
so
der gesetzlichen Hypothek bei der
wird dies Vorrecht des Vermiethers
auf dieselben zufälligen historischen Verhältnisse zurückzuführen sein, wie das
int. Salvianum bei der Pacht.
Auch
bei der Miethe mußten in
Rom sich die Einflüsse der Reichen auf die legislatorischen Kreise geltend Aus der Geldoligarchie der Senatoren und Ritter (Plebejer wie
machen. Patricier)
gingen noch zu der Zeit des Augustus die Prätoren und
Richter hervor, im Wesentlichen die Juristen überhaupt.38) also
Es
liegt
die Annahme unabweislich nahe, daß im Interesse der Hauseigen
thümer resp. Vermiether das Privilegium der gesetzlichen Hypothek,
es durch den Prätor, eingeführt wurde.
sei
sei
es durch Gerichtsgebrauch oder Juristenrecht,
Es liegt hier eine jener Ungleichheiten im römischen
sondern lediglich eine Bevorzugung eines Standes oder einer Classe von Personen Recht vor, welche „nicht durch objective Gründe geboten sind, auf Kosten
anderer bezwecken, und
deren
socialen Uebergewicht des Einflusses besteht,
letzter Grund
nur in
dem
den dieser Stand auf die
gesetzgebende Gewalt anszuüben und in seinem egoistischen Interesse aus zubeuten verstanden hat."30) durch
Die Einführung war um so leichter,
als
die Anknüpfung an die Ueblichkeit der Hypothekclausel, durch die
Fiction
der tacita conventio das
neue Institut mit dem Scheine der
Harmlosigkeit und Natürlichkeit umgeben wurde. Der Charakter des Instituts als eines Privilegiums geht auch daraus hervor, daß das neue Institut anfänglich nur in Rom und dessen Weich
bild galt, dann dem neuen Rom, Constantinopel, ebenfalls verliehen wurde. Es blieb Jahrhunderte lang ein Residenz-Privilegium. Erst Justinian dehnte es auf alle Provinzen aus („justa praesumtione perpotiri.40)
Dem Verpächter eines
fruchttragenden Grundstücks
ward ebenfalls
ein pignus tacitum an den Früchten gewährt. Daß nach dem Römischen 38) Puchta, Institutionen I §§ 76, 77, Friedländer I S. 249, 278, Bethmann-Hollweg, Römischer Civilproceß II S. 11, 59. 39) Jhering II S. 96. 40) 1. 4 C. VIII 15.
169 Recht an den Jllaten des Pächters kein pignus tacitum bestand, nimmt mit Recht die herrschende Lehre an. Ueber den Grund dieser höchst auf fallenden Unterscheidung aber waltet große Unklarheit ob und hat man die verschiedensten Hypothesen ausgestellt.4') Diese zu erörtern, würde natürlich hier zu weit führen. Nur Eins sei dazu erwähnt. Daß die Ueblichkeit der Verpfändungsclausel bei den Früchten größer gewesen als bei den Jllaten des Pächters, und so der Unterschied sich erkläre, kann sicherlich nicht angenommen werden. Enthalten doch die alten Catonischen Pachtformulare41 42) nur die Verpfändung der Jllaten ohne Erwähnung der Früchte, und bezielt doch auch das int. Salvianum gerade die Jllaten, wenigstens zunächst. Wenn es mir gestattet sein soll, selbst eine neue Hypothese aufzu stellen, die zugleich ein weiteres Streiflicht auf den anomalen Charakter des Instituts wirft, wäre es folgende: Die allgemeine Ansicht, daß das gesetzliche Pfandrecht des Ver pächters an den Früchten durch Gerichtsgebrauch resp. Juristenrecht oder durch den Prätor eingeführt sei, wie das gesetzliche Pfandrecht des Ver miethers an den Jllaten, ist irrig: jenes ist erst durch Justinian ein geführt. Die Hauptstelle ist 1. 7 D. XX 2. (Pomponius ex var. lect): „In praediis rusticis fructus qui ibi nascuntur tacite intelleguntur pignori esse domino fundi locati, etiamsi nominatim id non convenerit. § 1. Videndum est, ne non omnia illata vel inducta, sed ca sola, quae, ut ibi sint, illata fuerint, pignori sint: quod magis est."
Der Jurist hat offenbar, wenn die Stelle selbst unbefangen betrachtet wird, nur praedia rustica im Sinne und spricht über deren fructus und illata, da man nicht annehmen kann, daß er vom Pfande der Früchte in prae diis rusticis plötzlich auf die praedia urbana und deren illata et inducta überspringe, daß er im princ. der Stelle ausdrücklich von den praediis rusticis spreche und unmittelbar darauf int § 1 ohne jede Andeutung stillschweigend unter illata inducta diejenigen der praedia urbana ver stehe und diejenigen der praedia rustica ausschließe. Das Wort „ibi“ kann nur auf die unmittelbar vorher erwähnten pr. rustica bezogen 41) Donellus Comm. 15 S. 453, Vinniusacl §§ 77 deact. Nr. 8u. 9, Glück, Pandekten 18 S. 440, Westphal, Erläuterg. S. 154, Huschte, Studien S. 344 ff. Gcsterding, Pfande. S. 133, Hellfeld, Opusc. XI § 1. 42) Bachofen S. 8.
170 werden, unmöglich auf pr. urbana, die vorher gar nicht genannt find. Man müßte geradezu zwischen dem princ. und § 1 einen Satz über praedia urbana als fehlend hinzudenken, wollte man § 1 aus pr. urbana beziehen. Da nun im römischen Recht bei pr. rusticis nur an den Früchten, nicht an den Jllaten ein gesetzliches Pfandrecht existirt, so muß Pomponius mit der Stelle lediglich das vertragsmäßige Pfandrecht im Auge haben und zwar bei pr. rusticis. Die Stelle ist schon wegen des Wortes „ibi“ als ein untrennbares Ganze anzusehen, so daß man nicht etwa an 2 „variae lectiones“, eine für die fructus der pr. rustica, eine für die illata der pr. urbana denken könnte. Die Pfandclausel bei praediis
rusticis lautete auf inducta et illata bald mit dem Zusatze: nata paratave oder fructus, bald ohne diesen Zusatz. Pomponius sagt nun, daß die Clausel im Vertrage auch ohne den Zusatz die Früchte als stillschweigend mitverpfändet umfasse.") Daß zur Zeit des Pomponius die gesetzliche Hypothek an den Früchten noch nicht existirte, scheint auch aus 1. 62 § 8 D. 47, 2 hervorzugehen, worin Afrikanus, der Zeitgenosse des Pomponius, ausdrücklich sagt: „ut adsolet, convenit uti fructus ob mercedem pignori mihi essent“. Auch der viel spätere Jurist Scävola spricht noch von ausdrücklicher Verpfändung der invecta inducta ibi nata bei praed. rusticis (1. 32 D. 20, 1). 1 Wären damals die fructus schon tacite kraft Gewohnheitsrechts, resp. Gesetzes verpfändet gewesen, wozu dann die ausdrückliche Clausel? Die Stellen 1. 24 § 1 und 1. 53 D. 19, 2, welche das Pfandrecht an den Früchten auf die Afterpacht ausdehnen, lassen sich ebensowohl auf ausdrückliche als auf stillschweigende Verpfändung beziehen, wie sie denn auch nicht in dem das pignus tacitum ex professo behandelnden Tit. 20, 2 stehen. Bei der letzteren Stelle wird sogar die ausdrückliche Verpfändung nothwendig anzunehmen sein, da zuerst von den „res conductoris“, dann von den fructus gesprochen wird, die res hier, bei praediis rusticis, aber jedenfalls ausdrücklich verpfändet sein mußten. Die Ausdehnung auf die vom Afterpächter gewonnenen Früchte war der Natur der Sache nach ganz genau so erforderlich beim pignus conventum, wie beim pignus 43) In diesem Sinne wird für die Pfandclausel denn auch die Stelle ver werthet von Bachofen S. 9, Rudorfs a. a. O. S. 215. Eigenthümlich ist es, daß die Gesetzesclausel im Pr. A.L.R. I 21 § 395 nur von den „Sachen und Effecten" des Pächters spricht, die Juristen aber die Clausel ebenfalls auf die Früchte tacite ausdehnen.
171
tacitum. Auch erklärt sich so der Schlußsatz in 1. 4 D. XX 2 (welche die classische Stelle für das pignus tacitum des Vermiethers an den Jllaten bildet) „in rusticis praediis contra observatur“. Die Ungenauigkeit dieses Satzes, welcher die Erwähnung des pignus tacitum an den Früchten bei praediis rusticis, die, wenn dasselbe bestand, doch so nahe lag, ganz unterläßt, ist mit Recht öfter gerügt worden, fällt aber bei der hier aufgestellten Hypothese weg. Als Justinian nun das Residenz-Privilegium des Vermiethers auf das ganze Reich ausdehnte, fand er für eine Berücksichtigung des bis dahin mit einem gesetzlichen Pfandrecht nicht bevorzugten Verpächters, für welchen doch speciell das int. Salv. und die a. Serviana eingeführt waren, in den Rechtsquellen bezüglich der Jllaten gar keinen Anhalts punkt, bezüglich der Früchte die Stelle des Pomponius, welche an sich freilich nur die interpretative Ausdehnung der vertragsmäßigen Psandclausel wegen der Jllaten des Pächters auch auf die Früchte ent hielt. Sie paßte aber mit ihren Worten: in praediis rusticis fructus tacite intelliguntur pignori esse domino tun di locati, etiamsi nominatim id non convenerit ganz vortrefflich zu dem Zwecke der Einführung eines pignus tacitum, zumal die vom pignus tacitum des Vermiethers handelnde 1. 4. D. 2, 14 fast wörtlich überein stimmt: „placet in urbanis habitationibus loiandis invecta illata pignori esse locatori, etiamsi nihil nominatim convenerit“. So nahm denn Justinian die Stelle des Pomponius und setzte sie in den Titel: In quibus causis pignus vel hypotheca tacite contrahitur. Damit war das stillschweigende Pfandrecht an den Früchten gewisser maßen auch „stillschweigend" vom Gesetzgeber eingeführt. In Folge dieser Manipulation hat die Stelle allerdings ihre ein fache, richtige Bedeutung, wie sie ursprünglich war, verloren, und jede Interpretation wird jetzt eine gezwungene. Die verschiedenen Auf klärungs-Versuche") müssen eben an dem Grundfehler scheitern, daß man überall annimmt, Pomponius spreche von einem schon existirenden pignus tacitum an den Früchten und meine dasselbe, was Justinian will. Bei der hier aufgestellten Hypothese erklärt sich die Sache ohne Schwierigkeit. Wenn dabei allerdings die Compilatoren der Pandekten der Vorwurf trifft, daß sie die ursprünglich correcte „lectio“ durch Anweisung einer ganz anderen Position zu einer incorrecten gemacht haben, so hat auch hier eben der Zweck das Mittel heiligen müssen. Hierdurch erklärt sich
172 ferner,
wie mich dünkt,
höchst einfach der Umstand,
daß das pignus
tacitum sich nur auf die Früchte bezieht, indem Justinian für die Jllaten
keinen Anhaltspunkt in den bisherigen Rechtsquellen fand und ohne einen
solchen nicht eine vollständige Neuerung statuiren mochte.
Verbot früherer Kaiser,
das
Haupttheil der Jllaten, zu pfänden (1. 7. 8 C. VIII 16),
Landwirthe,
wie regelmäßig
Wenn das
landwirthschaftliche Inventar,
sich
also den
auf alle
angenommen robb,45)46und nicht bloß auf
die tributpflichtigen Bebauer von öffentlichen Ländereien bezogen hat, so
hatte Justinian noch
um so
weniger Anlaß,
das gesetzliche Pfandrecht
auch auf die Jllaten des Pächters auszudehnen. — Nachdem in obigen Ausführungen versucht ist, zu zeigen, daß die gesetzlichen Pfandrechte der Verpächter und Vermiether in zufälligen
historischen Verhältnissen der Römer ihren Grund haben und der inneren
Rechtfertigung entbehren, will ich hier einige specielle, noch nicht erwähnte Aussprüche
der
juristischen
Schriftsteller
anführen,
welche
ebendahin
zielen:4^) Brinz, Pand. § 84 S. 329: „leicht könnte die tacita conventio moderne Beschönigung alter
Selbstherrlichkeit sein". Pernice, Labeo I 467, 468: „Zur Miethe wohnen in Rom nur tenuiores
—
leben nur
kleine Leute als Pächter. — Es lag nicht im Sinne der Juristen, solchen untergeordneten Leuten dem Capitale gegenüber einen be
sonders wirksamen Rechtsschutz angedeihen zu lassen".
Thibaut, Arch. f. civ. Pr. 11 S. 131:
„Wenn, wie bei den Römern, der beste, mächtigste Theil des Volks sich dem Landbau ergiebt, so ist es auch natürlich,
Grundbesitzer ihr Interesse vor allen Andern
daß die
geltend zu machen
wissen". Dernburg I S. 57:
„In Rom sind es die Grundeigentümer, setzen wissen,
welche es durchzu
daß der Prätor ihr Vertragspfand an den Jllaten
des Colonen selbst gegen spätere Erwerber schützt". Derselbe S. 61:
45) Gleich § 715 D. C P.O. 46) Connanus Comm. IV cap. 16 sagt, daß das Pfandrecht des Vermiethers eingeführt sei „a callidis, doetis et qui Romae essent Juris consultis et prudentibus viris“ gegen die „magna multitudo“ der „extranei et inopes“.
173 „Wir dürfen uns nicht wundern, wenn von Seiten der Guts
herren bald höhere Prätentionen gemacht werden".
Gehen wir nun zum deutschen Recht über, so wird sich zeigen, daß hier ähnlich wie im römischen Rechte zufällige historische Verhältnisse zu Gunsten der Vermiether und Verpächter wirksam waren. Die Frage, ob im deutschen Recht wie bei der persönlichen Verhaf
tung für eine Schuld, so auch bei den Formen der sachlichen Verhaftung
mittels Uebertragung zum Eigenthum oder zum bloßen Besitz, eine Gleich
heit mit dem römischen Recht' anzunehmen ist,47)
kann hier dahingestellt
bleiben.
So viel muß aber als feststehend angesehen werden,
daß das alte
deutsche Recht an beweglichen Sachen, Fahrniß, nur ein Pfandrecht ver
bunden mit Besitz, nur ein Faustpfandrecht formte:48) „Ohne Besitz kein Pfand"
war der Grundsatz des deutschen Rechts.
Hypotheken,
bloße
Vertrags- oder gesetzliche Pfänder waren unbekannt, und erst im späten Mittelalter begannen schüchterne Ansätze, ein Pfandrecht an Fahrniß ohne
Besitzübertragung zu constituiren. Das Faustpfand war entweder ein gesetztes (vertragsmäßiges) oder
ein
genommenes
geschah
Pfand.
entweder durch
Das
Nehmen des Pfandes,
richterliche Hülfe
Gläubiger birect.49)50 Nur dies Letztere:
die Pfändung,
oder eigenmächtig durch den die Privatpfändung durch den
Gläubiger, interessirt uns hier.
In den
ältesten Zeiten mochte die
eigenmächtige Pfändung
als
Selbsthülfe bei den Deutschen wie wohl überall den Anfang des Rechts
schutzes gebildet haben, aber mit der steigenden Entwickelung der Cultur und
des Rechts
werden.
mußte die Eigenmacht mehr und mehr zurückgedrängt
So wurde denn das Privatpfändungsrecht schon früh in Deutsch
land verboten, und nur wenige Ausnahmen blieben erhalten.
Dazu ge
hörte auch die Pfändung des Grundherrn gegen den Zinsmann für ver sessenen Zins sowohl bei Pacht wie bei Miethe.
Man hat hier wie im
römischen Recht beim gesetzlichen Pfand-Recht, verschiedene Erklärungen
über das juristische Fundament dieses Pfändungs-Rechts aufgestellt?9) Als richtig ist die jetzt herrschende Meinung anzusehen,
daß diese Art
des Pfändungsrechts ihren Ursprung von der meistens auch die Gerichts-
47) Budde, 48) 49) 50)
Madai, Z. S. f. D. R. 8 S. 285 ff., Rückert, Sachenrecht S. 116,127, Z. S. f. D. R. 9 S. 411 ff., Schulte, D. R.G. S. 465. Heusler, Inst, des D. Pr.R. S. 201, Stobbe, D. Pr.R. II § 154. Heusler a. a. O. S. 206. Wilda, Z. S. f. D. R. I S. 217 ff., Meibom, D. Pfandr. S. 20 ff.
174 Herrlichkeit in sich
schließenden Herrschaft des Grundherrn über seinen
zur Leihe gegebenen Besitz und über seine Hintersassen genommen ^t51)
und
analog
ist32)
auf das Verhältniß der gewöhnlichen Miethe ausgedehnt
Zeitpacht und Zeitmiethe waren ohnehin oft kaum von der Erb-
welche letztere ebensowohl in den Städten wie
leihe zu unterscheiden,
auf dem Lande im Mittelalter üblich war.33)
So wurden denn auch
die gewöhnlichen Miether einer städtischen Wohnung Hintersassen
ge
nannt. 34) Wir haben hier demnach als Privilegium der Grundeigenthümer
ein Pfändungsrecht, ein Recht auf eigenmächtiges Nehmen eines Pfandes, welches Recht in den derzeitigen socialen und wirthschaftlichen Verhält nissen Deutschlands
seinen Anlaß und Grund fand.
Dies Pfändungs
recht erhielt sich für städtische Zinse wesentlich nur während des Mittel alters und verschwand später fast ganz aus den städtischen Statuten,33) während es bei ländlichen Gutsherrschafts-Verhältnissen bis in die neuere
Das
Zeit fortdauerte.33)
Verschwinden des Pfändungsrechts in den
Städten hing zusammen mit dem Aufhören seines wesentlichen Grundes,
des Abhängigkeits-Verhältnisses der kleinen Leute bei der Lerhe, nament lich in Folge der Ausbildung des Zuyft- und Gilde-Wesens.37) Mit der Reception des römischen Rechts wurde nun auch das In
stitut der Hypothek,
des
geführt und der alte
„ohne Besitz kein Pfand"
in Deutschland
bloßen Vertragspfands,
Grundsatz des deutschen allmählich
ein
Rechts bei Mobilien:
aufgegeben.
Die Reception des
römischen stillschweigenden Pfandrechts des Vermiethers an den Jllaten
und des Verpächters an den Früchten konnte um so glatter erfolgen, als schon früher bei Miethe und Pacht in Deutschland das Pfändungs recht bestanden hatte und in einzelnen Resten noch fortbestand.
Reste wurden sogar
Diese
ohne Weiteres von den älteren Juristen als das
5rJ Landfrieden v. 1281 Art. 59, Sachsenspiegel I 54, Schwabenspiegel § 85. 52) Meibom S. 207, Stobbe, D. Pr.R. I § 70 Nr. III, Heusler II S. 185. 53) Arnold, Gesch. des Eigenthums, Abschn. 2 u. 4, Heusler II §§ 110,111. 54) Verm. Sachsensp. II, 4, 2, 3. 55) Als charakteristisch muß hier hervorgehoben werden, daß das Pfändungs recht an den Mobilien des Miethers den Bürgern von Paris durch besonderes Pri vilegium zugesichert worden, während es in Frankreich sonst untergegangen war (Wilda S. 214). Also auch hier ein Residenz-Privilegium, wie das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers in Rom! 56) Wilda a. a. O. S. 21, Stobbe, D. Pr.R. I § 70 III. 57) Wilda S. 224. Vgl. Arnold, Gesch. des Eig. S. 4 f., 249 f.
175 Recht angesehen,
sich
an die invecta und illata zu halten,
allerdings
unter Subintelligirung der richterlichen §ülfe.58)59 60 Die61 stillschweigenden
Pfandrechte gingen dann auch in ältere und neuere Statuten resp. Ge
setzbücher über und zwar mit der auch in der Praxis des gemeinen rö mischen Rechts vielfach
auch des Pächters. sehen,
vertretenen Ausdehnung auf die invecta et illata
Diese Ausdehnung ist als
ganz
consequent anzu
da Justinian mit dem Privilegium des Verpächters auf halbem
Wege (bei den fructus) stehen geblieben war. Bei der vernichtenden Autorität, welche lange Zeit hindurch dem römischen Rechte innewohnte und nur allzu sehr noch immer bei manchen
Juristen unserer Zeit vorhält, kann es nicht verwunderlich erscheinen, daß erst im Anfänge des
18. Jahrhunderts die Angriffe
gegen die dem
deutschen Rechte widerstrebenden stillschweigenden Pfandrechte begannen.
Die ersten Vorstöße gingen von sächsischen Juristen aus,
wie überhaupt
im Gebiete des sächsischen Rechts der Widerstand und die Reaction gegen das römische Recht wohl am kräftigsten sich erwiesen hat.oo)
Diese Agi
tation führte zu der Aufhebung der stillschweigenden Hypotheken durch die
chursächsische Proceßordnung von 1724.
Dem Einfluß der Roma
nisten gelang es aber, die Restauration der stillschweigenden Pfandrechte durch das Mandat von 1734 alsbald wieder herbeizuführen. Eine wirksamere Reaction zu Gunsten des deutschen Faustpfand-
Princips wider die stillschweigenden Hypotheken entwickelte sich wesentlich
erst gegen die Mitte unseres Jahrhunderts, sowohl in der Literatur/') wie in der Gesetzgebung.
Bei der Darstellung des in Folge dieser Re
action eingetretenen Zustandes der neueren Gesetzgebung in Deutschland, soweit das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers und Verpächters in Frage kommt, ist zu unterscheiden zwischen der Zeit vor der Deutschen
Concurs-Ordnung und nach derselben. Vor dem Inkrafttreten der D. C. O. war der Zustand folgender: Im Gebiete des gemeinen Rechts
nicht geändert worden —
—
sofern es particularrechtlich
bestand das gesetzliche Pfandrecht des Ver
miethers an den Jnvecten und Jllaten,
ferner des Verpächters an den
58) Stryck, De jure pign. c. 3 § 32. 59) S. Mevii Dec. IV c. XXVII. 60) Griebner, Progr. de tacit. pign. Thomasius de origine hypoth. tac. Lips. 1832, welcher die stillschweigenden Hypotheken ein „venenum“, die actio Serv. die „hydra“ derselben nennt. Hellfeld, Opusc. XI. 61) So verurtheilt z. B. Gesterding, Ausbeute S. 19 ff., die stillschweigenden Pfandrechte auf's schärfste.
176 Die Frage,
Früchten.
ob der Verpächter auch an den Jllaten ein ge
setzliches Pfandrecht habe,
war streitig,
ward aber von der herrschenden
Meinung verneint. Beibehalten war ferner in Landesgesetzen das gesetzliche Pfand recht: im Preußischen Allg. Landrecht I 21 § 395; im Anhaltischen Ge setz vom 13. April 1870 § 3; in den Oldenburgischen Gesetzen vom 3. April
1876 Art. 18, vom 28. Januar 1879 Art. 3 und vom 19. März 1879 Art. 3; im Braunschweigischen Gesetz vom 8. März 1879 § 3.
Diese
Gesetze geben die Rechte eines Pfandglüubigers resp, ein dem Faustpfand
gleiches Pfandrecht. Nach den Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. I S. 429, XIV S. 321
gehört auch das
Hamburger Stadtrecht (resp.
Gesetz vom 14. April 1882) hierher.
Beseitigt war das gesetzliche Pfandrecht durch folgende Particulargesetze: 1.
die Bayerische Prioritäts - Ordnung vom
1. Juni 1822 § 21
Nr. 3 und 4 (rechtsrheinisch), 2.
das Württembergische Pfandgesetz vom 15. April 1825 Art. 1,
2, 245, 3. das
Sächsische
Gesetzbuch
(vorher
schon
das
Mandat
vom
4. Juni 1829), 4. das Großherzoglich - Hessische Gesetz vom 15. September 1858 (Oberhessen und Starkenburg),
5.
das Hannoversche Pfandgesetz vom 14. December 1864 §§ 1,
43, 61 Nr. 4. Das Sächsische Gesetzbuch gewährte als Ersatz ein einfaches,
per
sönliches Retentionsrecht (§ 1228). Das Hessische und Hannoversche Gesetz gaben ein Vorzugsrecht (im
Concurs). In Bayern,
Württemberg, Hessen und Hannover war dabei das
Fortbestehen des Retentionsrechts streitig.
Das Reichsgericht (Entsch. in
Strafsachen XV S. 232) hat das Retentionsrecht als Recht aus particularrechtlichen bestehend
Hannover)
erklärt,
ein selbständiges
Gründen in Bayern^) für fort
sonst aber (Entsch. in Straffachen VI S. 301,
ausgesprochen,
daß das
Retentionsrecht
ein Ausfluß
für
des
Pfandrechts sei und mit demselben stehe und falle. Im Gebiete des französischen Rechts (Code civil Art. 2102 Nr. 1) 62) Der Bayerische Entwurf von 1860 Art. 423 giebt auch ein Retentionsrecht.
177 war ein Mittelweg eingeschlagen.
seitigt und
Das
war be
gesetzliche Pfandrecht
nur ein Vorzugsrecht gewährt.
Diesem Vorzugsrecht war
aber insofern ein dinglicher Charakter beigelegt,
als der Berechtigte die
ohne seine Einwilligung entfernten Sachen innerhalb
einer bestimmten
Frist von dem dritten Besitzer zurückfordern konnte (droit de suite, Ver
folgungsrecht). Man sieht, wie die Musterkarte der deutschen Gesetze vor der D. C. O. schon mannigfaltig genug war.
Nun kommt
und 4:
die D. C. O.
mit der Bestimmung des § 41 Nr. 2
daß Verpächter in Ansehung der Früchte und
eingebrachten
Sachen, Vermiether in Ansehung der eingebrachten Sachen den Faust
pfandgläubigern gleichstehen. Dies Special-Vorzugsrecht, eine Art fingirten (Quasi-) Faustpfandes,
besteht jedoch
eben nur in den Grenzen des Coneurs-Gebiets.
Soweit sind alle anders gearteten resp, weitergehenden Privilegien, mögen
sie in den Particulargesetzen als Pfand- oder Retentions- oder Vorzugs-
Rechte erscheinen, allgemein beseitigt, resp, auf das Recht aus dem § 41 beschränkt.
Andererseits
ist da,
wo kein Vorrecht oder ein geringeres
bestand, ein neues eingeführt, resp, das vorhandene erweitert.
Außerhalb des Concursgebiets aber ist Alles beim Alten ge blieben im Verhältniß des Verpächters und Vermiethers zum Pächter und Miether wie zu anderen Gläubigern und dritten Personen.
Für das Gebiet außerhalb des Coneursverfahrens trafen nun die particularen Ausführungsgesetze zur D.C.O. weitere Bestimmungen.
Das preußische Ausführungsgesetz vom 6. März 1879 § 7 bestimmt, daß die Vorschriften des § 41 D.C.O. auch außerhalb des Coneursver fahrens auf das Verhältniß der durch diese Vorschriften den Faustpfand
gläubigern gleichgestellten Gläubiger zu anderen Gläubigern des Schuld ners entsprechende Anwendung finden sollen. Diese Bestimmung gilt für die ganze preußische Monarchie.
Sie regelt nur das Verhältniß zwischen
den Gläubigern unter einander. Unberührt bleibt das Verhältniß zum Schuldner und
gläubigern.
zu Nicht
Unberührt bleiben hier im Besonderen auch die Pfand- und
Retentions- oder Vorzugsrechte (speciell das Verfolgungsrecht im rheinisch französischen Rechtsgebiete), seits
welche landesgesetzlich existiren, wie anderer
solche da, wo sie nicht existiren (Hannover),
im Verhältniß
zum
Schuldner und zu Nichtgläubigern nicht etwa neu eingeführt sind.
Gleiche Bestimmungen sind
durch die Ausführungsgesetze für die
thüringischen, die (nicht königlich) sächsischen und lippeschen Länder getroffen. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. NI.
12
178 In Mecklenburg ist durch das Gesetz vom 2. Februar 1884 ein „gesetzliches Pfandrecht" gewährt. ist im Uebrigen nichts
Für das Gebiet des gemeinen Rechts
Besonderes
zu bemerken.
(Oldenburg:
Aus
führungsgesetz vom 28. Januar 1879 Art. 13 für Birkenfeld; Braun
schweig: vom 8. März 1879 §§ 3, 5;
Bremen: vom 25. Juni 1879
§ 44.) Nach den bereits früher erwähnten Reichsgerichts-Entscheidungen in Strafsachen I S. 429, XIV S. 321 besteht in Hamburg noch das ge setzliche Pfandrecht, und
ist die in den Motiven zum Entwurf eines
Deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs II S. 403 enthaltene Aufzählung des
Hamburger Gesetzes
vom
14.
April 1882
unter den das
gesetzliche
Pfandrecht beseitigenden und nur ein Vorzugsrecht gewährenden Parti-
eulargesetzen nicht zutreffend. In Bayern rechts des Rheins ist durch Art. 140 Ausf.-Ges. vom
23. Februar 1879 den im § 41 D.C.O.
aufgeführten Gläubigern der
Vorzug vor späteren Pfändungs-Pfandgläubigern gewährt.
In den
hessischen Provinzen Oberhessen und Starkenburg ist das
bestehende Vorzugsrecht bestätigt mit dein Vorrechte vor dem späteren
Pfändungspfand.
(Ausf.-Ges. vom 14. Juni 1879 Art. 42, 43.)
In Rheinhessen (Ausf.-Ges. vom 4. Juni 1879 Art. 100), sowie in Baden (Ausf.-Ges. vom 3. März 1879 § 21), Pfalzbayern (Ausf.Ges. vom 23. Februar 1879 Art. 199, 200), Elsaß-Lothringen (Ausf.-
Ges. vom 8. Juli 1879 §§ 20, 21, 22) ist ebenfalls das bereits be stehende Vorzugsrecht mit dem Verfolgungsrecht unter einigen Modificationen bestätigt. Für das Königreich Sachsen ist nichts Besonderes bestimmt.
Das Bild der
jetzt in Deutschland
geltenden Bestimmungen
über
die Vorrechte der Verpächter und Vermiether erscheint demnach als ein
äußerst mannigfaltiges und buntes, als der schönste Mosaikboden! In den allgemeinsten Umrissen läßt dies Bild sich folgendermaßen zeichnen.^) Im
Gebiete des Concursverfahrens
gelten in Deutschland
überall und nur die Bestimmungen des § 41 D.C.O.
Außerhalb des Concursgebietes gelten:
A. im Gebiete des gemeinen Rechts — soweit unten keine Aus nahme erwähnt wird —
63) Dabei bleiben event, einzelne Irrthümer und Auslassungen, sowie die zahl losen speciellen Modificationen und Streitpunkte vorbehalten.
179
das gesetzliche Pfandrecht mit Retentionsrecht; B. in Preußen
1. beim Verhältniß der Verpächter und Vermiether zu anderen Gläubigern überall das Vorrecht aus § 41 D.C.O.,
2. beim Verhältniß der Verpächter und Vermiether zum Pächter und Miether, sowie zu Nichtgläubigern a) im Gebiete des Allg. Landrechts (sowie des gemeinen Rechts, abgesehen von Hannover)
das gesetzliche Pfandrecht mit Retentionsrecht; b) im gemeinrechtlichen Theile der Provinz Hannover
das particularrechtliche Vorzugsrecht; c) in der Rheinprovinz das particularrechtliche Vorzugsrecht mit Verfolgungsrecht;
C. in Bayern rechts des Rheins sowie in Württemberg das — streitige — persönliche Retentionsrecht;
v. in den hessischen Provinzen Oberhessen und Starkenburg das particularrechtliche Vorzugsrecht; E. in Rheinhessen, Pfalzbayern, Baden und Elsaß-Lothringen
das particularrechtliche Vorzugsrecht mit Verfolgungsrecht;
F. im Königreich Sachsen das persönliche Retentionsrecht.^) Dies ist der gegenwärtige gesetzliche Zustand in Deutschland. Daß einem solchen
legislatorischen Wirrwarr im Deutschen Reiche
irgend wie auf einheitliche Weise abgeholfen werden muß, kann nicht zweifelhaft sein. Es fragt sich eben nur, wie? Man kann nur zwei Wege zur einheitlichen Regelung einschlagen: entweder jedes Vorrecht des Ver
miethers (Verpächters) radieal beseitigen oder ein Vorrecht beibehalten und dann eine der jetzt vorhandenen Vorrechtsformen auswählen. Der Entwurf schlägt den zweiten Weg ein, und zwar wählt er die Form des gesetzlichen Pfandrechts. Betrachten wir zunächst
die juristische Structur
unseres
Rechts
instituts im Allgemeinen. Die Römer hatten (abgesehen von der fiducia) ebenso wohl wie die
Deutschen ursprünglich das Princip bei Mobilien: „Ohne Besitz kein Pfand". Den hohen Vorzug der Publicität, welchen diese Pfandform 64) Erwähnt mag noch werden, daß das österreichische Gesetzbuch — § 1101 — ein gesetzliches Pfandrecht, das Schweizer Gesetz über das Obligationenrecht — Art.
294 — ein Retentionsrecht gewährt.
180 in sich trug, gaben die Römer auf aus Gründen nicht juristischer, sondern ökonomischer und socialer Natur.65 66)67 68 Solche 69 70 Gründe bewogen sie auch, mit dem neuen Institut der Hypothek gerade bei den Jnvecten und
Jllaten des Pächters zuerst anzufangen.
Diese bildeten als Sachgesammt-
heit ein sehr complicirtes Pfandobjeet.
Dazu kam noch, daß die Ver
mittelungsform für die weiter folgende gesetzliche Hypothek, die tacita conventio, zunächst eine Zwitternatur des Instituts herbeiführte, indem die Juristen bald aus dem vermutheten Vertragswillen,
bald aus dem
bindenden Gesetzesausspruch je nach Bedürfniß ihre Folgerungen zogen. Es kostete die größten Anstrengungen, die gesetzliche Hypothek hier mit den Forderungen der Jurisprudenz wie des Verkehrslebens möglichst in
Einklang zu bringen.
So ist denn dies Institut zu einem
zertretenen
Tummelplatz für die zahlreichsten und sonderbarsten Streitigkeiten ultet66) und neuer Juristen, Theoretiker wie Praktiker, geworden.
Mit Leichtig
keit lassen sich mehr als ein Dutzend Controversen aufzählen. weise über die juristische Natur des
selbst — und dies
Vorzugs
dem Vermiether gewährten Rechts
interessirt uns hier — herrscht ein lebhafter Streit.
Die Rechtsquellen sprechen mehrfach von einer retentio der Jllaten.6?) Man mußte aber allgemein anerkennen, daß der Vermiether als Haus herr nicht im Besitze oder Gewahrsam der Jllaten des Miethers sich be
findet,66) also eine Retention im technischen Sinne nicht möglich ist. Man construirte nun ein Recht von besonderer Art. Einige Juristen gaben dem Vermiether bei ausdrücklicher oder stillschweigender Verpfän dung ein Recht,
die Jllaten zu
apprehendiren und
so
als Pfand
zu
retiniren,66) Andere sahen in der Berechtigung des Vermiethers ein qualificirtes Retentionsrecht mit der Befugniß zur Zurückhaltung der Jllaten, solange sie sich in dem Hause befinden, und mit einem Klagerecht gegen
dritte Besitzer bei fraudulöser Veräußerung.?6)
Eine dritte Ansicht, und
65) Dernburg I S. 63. 66) Der römische Jurist Nerva, welcher das Ausrücken durchs Fenster em pfahl (1. 9 D. 20, 2), wurde sogar mit dem Fluche der Lächerlichkeit belegt („derisus“), für welche Unart Cu ja eins, Obs. XXII c. 39 ganz amüsante Erklärungen und Entschuldigungen aufsucht. 67) z. B. 1. 6, 9 D. 20, 2. 68) Dernburg II S. 295. Langfeld, Ret.-Recht S. 78. 69) Bachofen S. 24. Rudorfs, Z. f. gesch. R. W. 13. S. 206. Das Reichs gericht (Entsch. in Strafsachen XIV S. 322) scheint sich auch auf diesen Standpunkt zu stellen, indem es „die körperliche Ergreifung und Einschließung der Sachen" als eine Ausübung des Sperrrechts bezeichnet. 70) Glück 18 S. 422.
181 diese ist wohl jetzt die herrschende, Apprehensionsrecht,
spricht dem Vermiether zwar kein
wohl aber ein Perclusionsrecht zu, d. h. die Be-
fugniß, sein Haus zu verschließen und die Wegschaffung der Jllaten zu
hindern.7')
Dabei wird gewöhnlich anerkannt, daß das Perclusionsrecht
nicht schon aus der Hypothek an sich entspringt, sondern gerade bei der Miethe ein mit der Hypothek verbundenes Specialrecht bildet, und daß
die Perclusion nicht wie die Apprehension den Besitz giebt.71 72)
Andere
endlich halten die Perclusion — welche ein Mal in den Quellen erwähnt roirb73) — nur für einen Act der Fixirung der als Pfandobjecte aus der Sachgesammtheit beanspruchten Jnventarstücke, welcher beim Wider stände des Miethers nur mit obrigkeitlicher Hülfe zulässig sein soll.74)75 Ob sodann das Retentions- resp. Perclusionsrecht unabhängig vom
Pfandrecht selbst existirt oder mit demselben steht und fällt, ist in den jenigen Gebieten des (gemeinen) Rechts, wo das Pfändungsrecht gesetzlich
beseitigt ist, lebhaft bestritten.7^) Ebenso verschieden sind die landesgesetzlichen Bestimmungen, welche,
wie oben dargestellt,
theils ein Pfändungsrecht, theils ein Retentions
recht, theils ein Vorzugsrecht gewähren,
überall wieder mit Variationen
in Einzelheiten.
Ein solches Institut sollte für den juristischen Standpunkt schon von vornherein Mißtrauen und Bedenken gegen die Berechtigung seiner legis latorischen Beibehaltung erregen. Weder bei der fiducia und dem pignus im römischen Rechte noch beim deutschen Faustpfand konnte man an ge setzliche Pfandrechte denken.
Erst mit Einführung der römischen Hypo
thek wurde die lange Aera der gesetzlichen Pfandrechte 'möglich.
neuere Legislatur ist zu dem Grundsatz: Mobilien zurückgekehrt.
Die
„Ohne Besitz kein Pfand" bei
Dieser Grundsatz ist nicht bloß ein deutscher,
sondern auch, was viel zu wenig den „Romanisten" gegenüber betont wird, ein alt- und echt-römischer. Die Hypothek, vollends die stillschwei71) Dernburg I S. 54, II S. 332. 72) Keller a. a. O. S. 972. Dernburg I S. 54. Langfeld S. 83. 73) 1. 9 D. 20, 2. 74) Glück 18 S. 127. Gösch, Meckl. Z. S. 3, S. 100 ff. (mit sehr beachtenswerthen Gründen). 75) Stegemann, Magazin f. D. R. II S. 300. Schneider ebenda S. 101. Francke, Jahrb. f.Dogm. XX 451. Altvater, Meckl. Z. S. 3 S. 70. Bunsen, ebenda S. 212. Das Reichsgericht (Entsch. in Strafsachen IV S. 43, VI S. 321, XIV S. 322) nimmt an, daß nach der inneren juristischen Natur des Pfandrechts des Vermiethers das Retentions- oder Sperrrecht vom Pfandrecht abhängig ist.
182 gende Hypothek
an Mobilien
war
nur
ein Product der zufälligen
ökonomischen und socialen Verhältnisse Roms.
Mit der Beseitigung des
Instituts dieser Hypothek verlangt die nothwendige Consequenz auch die Beseitigung aller süllschweigenden Hypotheken.
Die neuere Legislatur ist
denn auch im Ganzen nicht blöde gewesen und hat weitaus die meisten der stillschweigenden Hypotheken schonungslos über Bord geworfen, das Princip
des Besitzpfandes möglichst zu retten.
wurde aber noch viel unnützer Ballast conservirt.
um
Bei diesem jactus So verhält es sich
speciell eben mit der Hypothek des Vermiethers und Verpächters.
Als Vorläufer des Entwurfs zum D.B.G.B. ist hier die deutsche Concurs-Ordnung besonders
zu berücksichtigen.
Diese stellt int § 41
Nr. 2 und 4 den Vermiether und Verpächter hinsichtlich
der auf dem
Grundstücke noch befindlichen eingebrachten Sachen resp, auch der Früchte
den Faustpfandgläubigern gleich.
Die Motive der Deutschen Concurs-
Ordnung zum § 40 erkennen ausdrücklich an,
denken für den Coneurs und
daß man
„ohne.Be
damit freilich für das Leben
die Mobiliarhypothek zu Grabe tragen kann",
und daß die
„jeder Hypothek ohne Besitz die Wirkung eines Vorzugsrechts
D.C.O. entzieht",
auch der „stillschweigenden, gesetzlichen".
In der Anmerkung
heißt es dabei, daß die gesetzlichen Fälle des § 41 den Besitz der Sache voraussetzen.
Im 8 41 wird dann gleichwohl an den Jllaten ein Vor
recht (Absonderungsrecht) gewährt, und
in den Motiven
gesagt,
hier
mangele allerdings Besitz oder Gewahrsam, die Jllation verleihe aber dem Vermiether das Recht und die thatsächliche Möglichkeit, sich jederzeit
in den Gewahrsam zu setzen. Hier liege dieselbe Erweiterung des Be griffs vom Besitze vor, wie bei der sogenannten symbolischen Tradition. Dies thatsächliche Verhältniß genüge zum Pfandrecht,
da es für Jeder
mann erkennbar sei, die Perclusion sei nicht Quelle, sondern Ausfluß des Pfandrechts, „sonst könnte der Gläubiger sie nicht ohne richterliche Hülfe ausüben", (als ob der Gläubiger alle „Ausflüsse" des Pfandrechts
ohne richterliche Hülfe ausüben könnte).
Es bedarf wohl kaum der Er
örterung, wie prägnant sich hier wiederum die juristische Unklarheit und Unsicherheit des ganzen Instituts zeigt.
Besitz und Möglichkeit der Be
sitznahme, Apprehensionsrecht und Apprehensionsmöglichkeit,
Perclusion
und Apprehension mischen sich durch einander, und diese Mischung
wird
durch die herangezogene Analogie der symbolischen Tradition nicht gerade
klarer.
Damit hängt ferner zusammen die gesetzliche Bestimmung,
daß
das Vorrecht nur zusteht, „sofern die Sachen sich noch auf dem Gmndstücke befinden", d. h. nach den Motiven: „so lange als die thatsächliche
183 Möglichkeit der sofortigen Besitzergreifung besteht".
die Motive
Ja,
Sachen vom
erklären die heimliche oder gewaltsame Entfernung der
Grundstück als dem Pfandrecht nicht präjudicirlich, während das Gesetz selbst den Verlust des Pfandrechts unbedingt an die Entfernung der
Sachen knüpft und keine Andeutung von einer Ausnahme enthält.
Man
sieht, wie so ziemlich alle Ansichten der Juristen hier legislatorisch vor tönen oder nachklingen.
Das
gewährte Vorrecht ist
für den Concurs
welches in den Motiven zur Concurs-
offenbar ein eigenartiges Recht,
Ordnung bald „Absonderungsrecht", bald „Pfandrecht" genannt, in den
zu den „Vorzugsrechten"
Motiven zum Einführungsgesetze § 13 auch gezählt wird.
Die Wissenschaft hat noch
die ferneren Bezeichnungen:
„Specialvorzugsrecht" oder „Quasifaustpfand" erfunden. Der Entwurf zum D.B.G.B. § 521 hat nun von den verschie
denen .Arten des Vorrechts,
wie sie sich in den geltenden Gesetzen jetzt
darstellen: Pfandrecht, Retentionsrecht, Vorzugsrecht,
das erste gewählt
ein „gesetzliches Pfandrecht" constituirt, „da eine solche Regelung
und
allein geeignet ist,
klares Recht zu schaffen,
einfaches und
während sie
auf der anderen Seite zu praktischen Unzuträglichkeiten nicht führt," (Motive zu § 521). Untersuchen wir nun nach den allgemeinen Grundsätzen des Rechts
und nach den Bestimmungen des Entwurfs selbst,
ob die Absicht und
Erwartung, einfaches und klares Recht mit dem „gesetzlichen Pfandrecht"
Mich will bedünken,
zu schaffen, für den Entwurf sich verwirklicht hat.
daß der Entwurf von einer solchen Verwirklichung ziemlich weit entfernt
geblieben ist. Zunächst drängt sich die Frage auf: was bedeutet denn das „gesetzliche Pfandrecht", was ist der Begriff des „Pfandrechts"? Schon bei
dieser
ersten
Frage
uns
läßt
der
Entwurf
über rechts
den
Streitfragen
über
im
Allgemeinen
der
die
rechtliche Natur
herrschenden
Meinung
Stich.
im
Er
indem er gegen
stellt das Pfandrecht unter das Sachenrecht (B. III),
des
Sachenpfand
folgt,
daß
das
Sachenpfandrecht als ein Recht an der Sache aufzufassen sei. In den Titeln des neunten Abschnitts wxrden nach der Entstehungsform und
dem Gegenstände als verschiedene Kategorieen behandelt: das Pfandrecht an Grundstücken (Hypothek nebst Grundschuld), an beweglichen Sachen und
an
(vergl.
Rechten.
Allgemeine
Bestimmungen
die Vorbemerkungen in den
Mot.
zum
werden
9.
nicht
Abschnitt).
gegeben
Zum
3. Titel: „Pfandrecht an beweglichen Sachen (Faustpfandrecht)" bemerken die Motive (Vorbemerkungen), daß von den drei Arten der Begründung:
184 Rechtsgeschäft, Gesetz und Pfändung, hier nur die rechtsgeschäftliche Be
gründung
geordnet werde.
Im § 1145 wird eine „mittelbare Defini
tion" des Faustpfandes dahin gegeben:
„Eine bewegliche Sache kann in der Weise belastet werden,
daß eine bestimmte Person berechtigt ist, aus der Sache (Pfand)
einer Forderung Befriedigung zu verlangen (Faustpfand
wegen
recht)."
Im § 1147 wird dann zur Begründung „die Einräumung und Er greifung der Jnhabung des Pfandes" erfordert.
Zu den Faustpfand
rechten gehört also das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers keinenfalls. Es müßte nach dem Entwurf ein eigenes Recht für sich bilden und nach den
allgemeinen
Bestimmungen
über
Pfandrecht
Solche Bestimmungen aber fehlen eben im Entwurf.
bemerkungen zum 3. Tit.) sagen,
beurtheilt
werden.
Die Motive (Vor
gesetzlichen Pfandrecht eine
daß beim
aushülfsweise Heranziehung der Vorschriften über die rechtsgeschäftliche Begründung
einem Punkte gerechtfertigt
kaum in irgend
sein werde.
Anders liege die Sache, was den Inhalt des Pfandrechts betreffe; doch
bleibe auch hier im Einzelnen
zu prüfen,
inwieweit die Proceßgesetze
die Gesetze, welche ein gesetzliches Pfandrecht gewähren, für die Anwendung der Vorschriften des Entwurfs Raum lassen. Hier handelt
und
es sich um währt.
ein gesetzliches Pfandrecht,
welches der Entwurf selbst ge
Jede Bezugnahme auf die sonstigen Vorschriften des Entwurfs
fehlt aber wiederum im Entwurf selbst.
Die Motive zum tz 521 S. 404
sagen aber: „Aus der Bezeichnung des Rechts des Vermiethers als eines
gesetzlichen Pfandrechts folgt ferner, daß auf dasselbe, vorbehaltlich der besonderen Vorschriften des § 521, die allgemeinen Vorschriften des
dritten Buches über das Pfandrecht an beweglichen Sachen (§§ 1145s.) Anwendung finden, soweit dieselben nicht ein durch Rechtsgeschäft be gründetes Pfandrecht voraussetzen." Wir werden hiernach also auf Grund des Ausdrucks „gesetzliches Pfandrecht" die Vorschriften über das
vertragsmäßige Faustpfandrecht entsprechend anwenden dürfen und müssen.
Nun aber ist der Unterschied
zwischen
Rücksicht auf die Bestellungsart
beiden Pfandrechten
gerade hier,
auch
ohne
abweichend von anderen
gesetzlichen Pfandrechten, ein sehr wesentlicher: nämlich beim Faustpfand rechte ist die Jnhabung vorhanden, nicht.
beim Pfandrechte des Vermiethers
Letzteres ist in dieser Beziehung
Hypothek.
nichts weiter als die römische
Die analoge Anwendung eines Faustpfandrechts wird also
mißlich, oft unmöglich sein.
In der That hat denn auch der Entwurf
in § 521 eine Reihe von Einzelbestimmungen auf die
allgemeine Be-
185 stimmung des „gesetzlichen Pfandrechts" folgen lassen,
welche wesentlich
eben den Inhalt des gesetzlichen Pfandrechts regeln und dabei die jetzt
bestehenden zahlreichen Streitfragen möglichst beseitigen sollen.
Soweit
dies nach der Natur des Instituts thunlich ist, muß es im Allgemeinen
als gelungen anerkannt werden.
Wenn zunächst
die
freilich
Motive
den
Ausdruck
„eingebrachte
Sachen" als „einen klaren und bestimmten Sinn gebend" bezeichnen, so erinnert dies an jene Aeußerung der Motive zum Deutschen Strafgesetz
buch Abschnitt 23, wonach der Begriff „Urkunde" bereits als bekannt und feststehend vorauszusetzen sei.
Der Begriff „Jnvecten und Jllaten",
„eingebrachte Sachen" ist stets viel bestritten gewesen und wird es stets
bleiben, wie ja auch die Motive zur Deutschen Concurs-Ordnung § 41 ihn als nach geltendem, zeichnen.
Jede
namentlich nach
gemeinem Rechte streitig be
gesetzliche Definition wäre aber in der That vergeblich
und gefährlich.
Statt der unmöglichen Analogie des § 1191 (Rückgabe des Faust pfandes vom Pfandgläubiger Pfandrecht erlöschen durch
an den Eigenthümer)
Entfernung des
außer bei Heimlichkeit oder Widerspruch.
Pfandes
läßt § 521
das
vom Grundstück,
Dies ist eine Anwendung theils
einer verbreiteten gemeinrechtlichen Praxis über die gesetzliche Hypothek, theils der Idee eines qualificirten Retentionsrechts, theils der Grund
sätze über den Verlust der „wirklichen" Jnhabung des Pfandes.
Die Beschränkung des Rechts des Vermiethers, der Entfernung der Sachen zu widersprechen, bezüglich derjenigen Sachen, zu deren Entfer nung der Miether im regelmäßigen Betriebe seines Geschäfts oder durch
die gewöhnlichen Lebensverhältnisse veranlaßt wird, ist ein auf dem ver mutheten Willen beruhender gemeinrechtlicher Satz über die gesetzliche
Hypothek, obgleich der Entwurf nach den Motiven II S. 404 die Idee der tacita conventio hier gänzlich von sich weisen will.76)
Die im Z
521
gewährte Befugniß des Vermiethers,
schaffung der Sachen eigenmächtig zu hindern,
die Weg
ist nichts weiter als das
jenige Recht, welches gemeinrechtlich als Beigabe der gesetzlichen Hypo thek dem Vermiether gewöhnlich zuerkannt und bald als Perclusionsrecht, bald als Retentionsrecht bezeichnet wird. Für den Wohnungsräumung ist es zum Apprehensionsrecht gesteigert.
Fall der
76) Auch in den Vorbemerkungen zum 3. Titel sprechen die Motive III S. 796 davon, daß die Entstehung der gesetzlichen Pfandrechte „meistens auf Willensacte des Eigenthümers zurückzuführen ist."
186 Die Motive nennen diese Befugniß eine Verstärkung
des
mit
„wirklichen" Jnhabung nicht verbundenen gesetzlichen Pfandrechts,
der
ohne
welche das Pfandrecht einen großen Theil seines Werths verlieren würde. Es sei „vermieden, zu bezeichnen,
die Befugniß im Entwurf als Zurückbehaltungsrecht
da unter diesem Ausdrucke der juristische Sprachgebrauch
ein dem Schuldner zustehendes obligatorisches Recht versteht".
Deshalb
Richtiger scheint es wohl zu
sei nur der Inhalt des Rechts angegeben.
sein, die Bezeichnung „Zurückbehaltungsrecht" deshalb als hier unpassend
zurückzuweisen, nicht
„wirklich"
weil man einfach nicht „zurückbehalten" kann,
inne
den juristischen Charakter des räthselhaften Rechts,
schon
allerdings
das Haus
der Sachen zu hindern,
was man
Die Motive vermeiden es aber überhaupt,
hat.
zu
bei
den Römern
sehr
verschließen resp, die Wegschaffung
irgendwie zu besinnen,
sie scheinen es als eine
Art gesetzlich gestatteter Selbsthülfe („ohne Anrufung des Gerichts") zu
betrachten, ebenso auch das eventuelle Apprehensionsrecht. zum Begriff des dadurch „verstärkten"
Daß es nicht
gesetzlichen Pfandrechts gehört,
erkennen also die Motive an, wohl im Anschlüsse an die herrschende An
sicht, n) daß dies Recht ein durch die besonderen Verhältnisse der Miethe veranlaßtes, gerade an das Pfandrecht geknüpftes Specialrecht sei.
Noch einige Worte über dies Specialrecht! der Hypothekengläubiger nicht
eigenmächtig
Daß im römischen Rechte
sich
in den Besitz der ver
pfändeten Sache setzen durfte, kein Recht zur Apprehension hatte, ist wohl jetzt als feststehend anzusehen.
Selbst das pactum de ingrediendo,
vertragsmäßige Einräumung des Apprehensionsrechts,
die
gewährte nicht die
Ausübung der Eigenmacht, vollends nicht, wenn der Schuldner sich wört lich
thätlich widersetzte.^)
oder
Als eine Ausnahme von dem Verbote
der Eigenmacht ist nun das Recht des Vermiethers, sei es zur Perclusion
oder
zur Apprehension
Gewöhnlich
zu
betrachten,
als
solches giebt nun wohl die Befugniß,
Sachen im Hause festzuhalten,
Das „Hausrecht" als
Störenfriede vom Hause fern zu
halten oder aus dem Hause hinauszuwerfen, oder
erlaubte Selbsthülfe.79 77) 78
beruft man sich auf das Hausrecht.
nicht aber,
aus der Thür Geworfenes wieder hineinzuwerfen.
außerdem
Personen oder
event, gar. Sachen in Besitz zu nehmen
Wie will man
für den Aftervermiether dem Aftermiether gegenüber ein der-
77) Dern.burg I S. 54 II S. 332. 78) Gesterding, Pfandr. S. 160. Fritz, Erläuter. S. 127. Jherings Jahrb. 21 S. 285 fl. Dernburg, Pfandrecht II 324 ff.
79) Windscheid, Pand. § 236.
Wendt in
Schwarze u. Heyne, Untersuch. S. 129.
187 artiges „Hausrecht" construiren?
Vermiethers auch
Das Perclusions- resp. Apprehensions-
gesetzlich gestattete Eigenmacht ein Speeialrecht des bei seinem Pfandrecht. Genau genommen, ist es juristisch
recht ist eben
als
weder ein „Bestandtheil"
noch ein „Ausfluß" noch eine „Conse
quenz" des gesetzlichen Pfandrechts des Vermiethers, so) da aus dem Be griffe der Hypothek ein Recht zur eigenmächtigen Einwirkung auf das nicht besessene Pfand sich absolut nicht herleiten läßt,
wie denn beim
Faustpfande das Retentionsrecht zur Selbstvertheidigung, nicht zur Selbst Eher ließe sich das Perclusionsrecht als ein positiv recht
hülfe gehört.
lich
dem Pfandrechte des Vermiethers beigelegtes „Pertinenzrecht"
be
zeichnen.
Dies mag genug sein zur Charakterisirung des im § 521 construirten „gesetzlichen Pfandrechts" mit seinen Einzelbestimmungen. Nun die Analogie mit dem Faustpfandrecht! Daß ohne analoge Anwendung der Vorschriften über das Faustpfandrecht das gesetzliche
soweit die Einzelbestimmungen des § 521 nicht eingreifen,
Pfandrecht,
vollständig in der Luft schwebt, und daß der Entwurf in der That diese
analoge Anwendung auch wenigstens bezüglich des Inhalts des Rechts will und
wollen muß,
ist bereits
aber im Einzelnen praktisch
oben erwähnt.
Nun versuche man
die Durchführung der Analogie zwischen
dem principmäßigen Pfandrecht, welches auf der Jnhabung des Pfandes beruht, und einem Pfandrechte
ohne Jnhabung, mit anderen Worten:
zwischen Regel und Ausnahme. Die Motive zum § 521 vermeiden es wiederum, auf den Fundamental-Unterschied bezüglich der Jnhabung näher einzugehen, (etwa wie die Motive zur Deutschen Concurs-Ordnung, welche das „Recht und die thatsächliche Möglichkeit" der Appre-
hension betonen), können aber doch nicht umhin, hier vom Mangel einer „wirklichen" Jnhabung
zu sprechen,
also
doch eine uneigentliche, eine
Quasi-Jnhabung vorauszusetzen und zum § 1153 die Erlangung „einer gewissen, wenn auch zuweilen abgeschwächten Art von Jnhabung des Pfandes" bei den gesetzlichen Pfandrechten hervorzuheben. Mithin ist in der That der Entwurf wieder auf dem Standpunkt der Deutschen Concurs-Ordnung angelangt und hat ebenfalls ein „dem
Faustpfande gleiches Recht" geschaffen.
ein Faustpfand
fingiren,
Warum denn nicht lieber direct
als sei mit der Einbringung der Sachen die
80) wie es oft bezeichnet wird, auch in den RGE. in Strff. IV S. 44, VI S. 302, 322.
188
Jnhabung eingeräumt und ergriffen81),* 83 ober dem Vermiether die wirk liche Jnhabung der Sachen zusprechen?8^) Nur einige Analogie-Fragen! Wie ist es mit dem wichtigsten Theil des Pfandrechts, dem Verkaufsrecht vor der Wohnungs-Räumung resp, vor der Apprehension (§ 1165)? wie mit dem Schutze gegen Beeinträch tigungen des Rechts, die nicht gerade in der Entfernung der Sachen be stehen (§§ 1155, 929—945)? Soll die „abgeschwächte" Jnhabung mit dem „erweiterten Begriff des Besitzes" den gleichen Schutz genießen, welchen die §§ 797—825 der „wirklichen" Jnhabung, dem Besitz im „engeren" Sinne gewähren? Wie gestaltet sich das Pfandrecht bei Uebertragung der Miethsforderung (§§ 1186—87)? Wie ist es mit den ge setzlichen Vermuthungen über das Verhältniß zwischen Pfandgläubiger und Verpfänder resp. Eigenthümer (§ 1195)? Wie wird es beim Quotenpfandrecht (§§ 1146, 1184, 1185)? u. s. w. u. s. w. Man wird hiernach wohl überzeugt sein, daß das Institut des § 521 viel mehr Stoff zu Streitfragen in sich birgt und juristisch viel unklarer ist, als die gesetzliche Hypothek des römischen Rechts. Mit der Beseitigung der Mobiliar-Hypothek im Princip, mit der Restauration des altrömischen wie deutschen Systems des Faustpfandrechts verlangt die juristische Logik den Tod der gesetzlichen Hypothek des Vermiethers. Letztere ruhte im römischen Rechte mit der Hypothek auf einem Princip, im Entwürfe des B.G.B. fehlt ihr dieser Anhalt. Das gesetzliche Pfandrecht des § 521 ist eine gesetzliche Mobiliarhypothek mit verschiedenen Specialrechten (insbesondere Selbsthülfe) und mit der Analogie des Faustpfandrechts! Es ist also ein juristi sches Unicum. Den Verfassern des Entwurfs soll damit nicht im Ge ringsten etwa ein Vorwurf oder ein Tadel entgegengeworfen werden, im Gegentheil, ich glaube, sie haben geleistet, was überhaupt die Juris prudenz leisten kann, wenn einmal ein innerlich so unhaltbares Institut, 81) roie Bachofen S. 9 beim Vertragspfande des Verpächters will, vgl. Keller a. a. O. S. 966, ferner Schwarze und Heyne, Untersuchungen S. 139. 83) wie Cretschmar, Arch. f. civ. Pr. 68 S. 321 (Doppelgewahrsam des Miethers und Vermiethers). Auch die Judikatur des Reichsgerichts (Entsch. in Strfs. I S. 429, IV S. 43, VI S. 322, XI S. 232, XIV S. 322, XV 436, XVII S. 228) operirt für den § 289 St.G.B. (dem Pfandgläubiger u. s. w. „wegnimmt") in gleicher Weise mit einer „thatsächlichen Möglichkeit, sich in den Gewahrsam der Sachen zu setzen", mit einem „besitzähnlichen" Verhältnisse, ja mit einer „Erweite rung des Begriffs vom Besitze", (ganz wie in den Motiven z. Deutschen Konkurs Ordnung), meines Bedünkens ein für das Strafrecht noch vielleicht in höherem Grade bedenkliches Operiren.
189 gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers,
wie das
aus dem
Untergang der Mobiliar-Hypothek gerettet werden soll.
allgemeinen
Der Grundfehler
liegt eben darin, daß diese Hypothek selbst nicht beseitigt, das Gebrechen der Mobiliar-Hypothek, zumal in ihrer schlimmsten Erscheinung: der ge setzlichen Hypothek, nicht radical curirt ist.
Es wird
klar sein,
daß die Conservirung resp. Constituirung des
hier geschilderten eigenartigen Instituts in unserm heutigen Rechte nur
gerechtfertigt sein kann, wenn die allerdringendsten Gründe dafür sprechen.
Vorweg mag bemerkt werden, Gründe
daß wesentlich erst in neuerer Zeit die
für und wider zur Erörterung gelangt sind, und
meistens nur in social-politischer Beziehung. gewordenen) Erörterungen
reichen,
auch dann
Soweit die (mir bekannt
lassen sich die Gründe für das In
stitut hauptsächlich auf drei Gesichtspunkte zurückführen,
die jedoch wie
derum mehr oder weniger in einander spielen und sich in der Darstellung
nicht genau scheiden lassen:
1. Historische Tradition, 2. Billigkeit für den Vermiether,
3. Erhöhung der Kreditfähigkeit des Miethers. Was zunächst das historische Moment anbelangt, so ist es ja richtig, daß für den Vermiether ein gesetzliches Vorrecht (Pfand-, Retentions-, Vorzugs-Recht) in Deutschland als ein hergebrachtes Institut gegenwärtig
fortbesteht.
Dies ist für die Anhänger desselben der hauptsächlichste und
gewöhnlichste Grund.
Die Motive zum Entwurf eines B.G.B.
in kurzen Worten diesen Grund
allein an.
Sie sagen
geben
einfach
zum
§ 521: „Im Hinblick auf das geltende Recht kann kein Zweifel darüber be stehen,
daß dem Vermiether ... ein besonderes Recht an den von dem
Miether eingebrachten Sachen einzuräumen ist."
Dem entgegen will mich bedünken,
rechtfertigt sind, und daß
daß ganz erhebliche Zweifel ge
neben der juristischen Unnatur noch andere
überwiegende Gründe für die radicale Beseitigung des ganzen Rechts instituts sprechen. In den früheren Erörterungen ist darzuthun versucht, daß die Ein
führung und Entwickelung des Instituts der gesetzlichen Hypothek des
Vermiethers und Verpächters von seinem Anfänge auf zufälligen historischen,
(int. Salvianum)
an
ökonomisch-socialen Verhältnissen Roms be
ruhte, daß diese Verhältnisse nicht bloß verschwunden sind, sondern auch
nicht
einmal für die damaligen Zeiten einen Rechtfertigungs-,
nur
einen Erklärungs-Grund geben, daß auch die angebliche Eigenartigkeit
190 des Pacht- und Mieths-Verhältnisses
fiducia und
nicht ausreicht, Interessen
pignus)
des
selbst
der Schwierigkeit
(mit
der
zur Rechtfertigung irgend einer Bevorzugung
daß vielmehr ein unberechtigtes,
der römischen Großcapitalisten
lediglich den einseitigen
gewidmetes Privilegium vor
liegt, welches obendrein vor Justinian für den Vermiether auf die beiden
und
Constantinopel und
Residenzen
Rom
blieb,
den Verpächter
für
gar nicht existirte.
deutsche Recht darzuthun versucht,
lichen Psändungsrechts
deren Es
Weichbild
beschränkt
ferner für
ist
das
daß das ähnliche Institut des gesetz
ebenfalls auf historischen Verhältnissen:
Gewalt
der Grundherren und Abhängigkeit der Hintersassen, beruhte, hierin auch zur Zeit eine gewisse Rechtfertigung fand,
zugleich
verschwunden
ist.
Mit der
aber mit diesen Verhältnissen
Reception des
änderte sich in Deutschland wiederum die Sachlage.
Rechts
römischen
Wie das dem deut
schen Rechte fremdartige Institut des Vertragspfands an Mobilien über
mit all seinen stillschweigenden Hypotheken ausgenommen roar,83)
haupt so
fand vorzugsweise die stillschweigende Hypothek des Verpächters und
Vermiethers
willige Aufnahme,
um so mehr,
als das frühere ähnliche
Institut des gesetzlichen Pfändungsrechts noch hie und da bestand, jeden falls noch nicht aus der Erinnerung verschwunden war.
in
Dazu kam, daß
den Städten regelmäßig das Regiment in den Händen der reicheren
Klassen
fand,
war,
die Gesetzgebung gewiß wenig Anlaß und Neigung
also
dem Andrang des römischen Rechts hier entgegenzutreten.
dem ist nun das Vorrecht geblieben und bald in dieser,
bald
Seit
in jener
Gestalt aus dem gemeinen römischen Recht in die Landesgesetze mit her
übergenommen.
Seine Entstehung war von vornherein ungerechtfertigt,
seine historischen Grundlagen sind ohnehin weggefallen, seine Aufnahme
in Deutschland ist nur in Bausch und Bogen mit dem ganzen römischen
Recht ohne weitere Prüfung seiner inneren Berechtigung erfolgt; speciell auf seine Beseitigung gerichtete Vorstöße haben erst in neuerer Zeit diese also kann die Thatsache des Gebliebenseins im gel
Prüfung angeregt:
tenden Recht allein neu zu nichts
keinen
schaffenden Rechte
weiter
als
genügenden Grund für die Fortexistenz im
bilden.
An und für sich ist diese Thatsache
ein Beweis der Macht des „Beharrungsvermögens",
welche auch sonst bei manchen alten, im Entwurf über Bord geworfenen
Instituten zu beobachten ist.
So schauen denn auch gerade auf das In
stitut der Hypothek an Mobilien überhaupt mehr als zwei Jahrtausende 83) „Eine besonders unglückliche Neuerung", wie es Stobbe II S. 289 nennt, gerade unter Anführung der Hypothek des Vermiethers und Verpächters als Beispiel.
191 herab,
und
haben neuere Landesgesetze in Deutschland, wie
gleichwohl
dieses Institut grund
auch der Entwurf selbst, kein Bedenken getragen,
sätzlich zu beseitigen und als Princip lediglich das Faustpfandrecht an Mo bilien
Manche süllschweigende
anzuerkennen.
römischen Gesetzgebers
und
Hypotheken,
„die sich selbst nicht helfen können",
Personen,
welche
mit ganz besonderem Nachdruck angeordnet sind,
die sächsischen Juristen84) in ihrem Kampfe gegen die still
welche
schweigenden Hypotheken noch theilweise gelten lassen wollten,
Entwurf
für
durch die Fürsorge des
conservirt,
nicht
aber
hier
soll
die
Fürsorge
sind
im
des Gesetzes
bleiben.85)86 *
Zu bemerken ist auch, daß die sonstigen, im Entwurf beibehaltenen
gesetzlichen Pfandrechte (§§ 536, 574) aussetzen, (sowie
eine
„wirkliche" Jnhabung vor
während nur diejenigen des Vermiethers und des Verpächters
des
Gastwirths)88)
eine
Ausnahme
von
dem
principgemäßen
Postulat der Jnhabung. machen. Die Tradition
spricht
also mehr gegen, als für die Beibehaltung
des historisch wie juristisch unberechtigten Instituts.
Sodann
beruft man
„die
sich öfter auf eine dem Vermiether zur Seite
Man sagt für das römische Recht:
stehende Billigkeit.
gesetzliche Hypothek
erscheine als billig bei solchen Geschäften,
welche im gemeinen Leben ebenso alltäglich sind, als der Gläubiger dabei leicht
hintergangen
und
um
seine vermeinte Sicherheit gebracht werden
kann";8')
„hypothecae legales summam aequitatem habent66 8S) „quia justum et aequum visum“89) „freilich sehr im Allgemeinen, die Billigkeit"98)
u. s. w. u. s. w.
Worin
diese Billigkeit
bestehen soll,
wird nicht näher
angegeben. M) H.ellfeld a. a. O. 85) Negiisantius de pign. p. 172, provisio legis „aliquid addere provisioni hominis.“ 86) Dies Pfandrecht (§ 628) bezieht sich auf Gastwirthe, welche gewerbsmäßig Fremde zur Beherbergung aufnehmen (§ 676), und sollte richtiger Weise, weil es auf Gefahr im Verzüge beruht (Meibom, Das Pfandr. S. 422), nur gegen Fremde oder Unbekannte gewährt werden, nicht gegen alle Gäste. 8?) Glück 18 S. 400. 88) Pufendorf, Obs. 211 § 1. 80) Lauterbach XX 2, 92, Puchta, Inst. II S. 710: „wo es gerecht und billig erschien". ") Westphal, Pfandr. S. 287.
192 In 1. 7 0. 8, 4
spricht Justinian bei der Ausdehnung des gesetz
lichen Privilegiums
der Vermiether in den Residenzen auf alle Pro
vinzialen von einer „justa praesumtio“.91) Mit der „Billigkeit" ist aber in ihrer Allgemeinheit nichts zu machen. Bei der späteren Vermehrung der stillschweigenden Hypotheken
wird allerdings eine allgemeine aequitas vorzugsweise mitgewirkt haben, je nachdem die Praxis resp, die Gesetzgebung dies oder jenes für billig
wobei
hielt,
die
aequitas
oft als
cerebrina erscheint.
Zählt doch
Negusantius9?) zwei volle Dutzende von stillschweigenden Hypotheken
auf, die alle im römischen Rechte gefunden sind, Particulargesetze
welchen dann noch
wohl mehr als ein drittes Dutzend hinzugefügt haben.
Es ging sogar Boerius99) so weit,
daß er radical den Satz für das
geltende römische Recht aufftellte: bei allen Verträgen sei die Hypothek-
Bestellung stillschweigend zu subintelligiren! Die römischen Rechtsquellen selbst enthalten nichts von dem legis
latorischen Grunde der Billigkeit.
Das Institut der Hypothek überhaupt
als zum jus gentium gehörig, mag als jus aequum erscheinen, aber nicht die stillschweigende Hypothek des Vermiethers.
Mit Recht fragt Anton
Faber*") indignirt: warum denn gerade diese stillschweigende conventio,
da
alle conventiones doch juris gentium seien,
„propria urbis Romae“
geblieben sei, als „merum privilegium“ ? Wie sehr übrigens das Privileg auch im römischen Volke als Härte, nicht etwa als Billigkeit empfunden wurde,
zeigt die oft citirte satirisch
ergreifende Schilderung Martials9^) von dem Auszuge einer armen Familie am üblichen zweijährigen Juli-Termin, wo der Hausverwalter die werthvollere Habe für den rückständigen Miethzins zurückbehalten hat. Indem der Satiriker dies als Gebrechen der Zeit geißelt, ruft er aus:
„0 Juliarum dedecus Kalendarum! Vidi, Vacerra, sarcinas tuas, vidi, Quas non retentas pensione pro bina Portabat uxor“ — Wenn es nun richtig ist, der Großcapitalisten
91) 92) 93) 94) 95)
und
was oben über die einseitigen Interessen
ihre Einwirkung
auf die Gesetzgebung gesagt
praesumtio hier — Vorrecht. Eck, Pfandr. des Vermiethers Anm. 37. De pignoribus, anno 1653. Decis. 182 n. 54. De error. P. III Dec. LX err. 9, 10. Epigr. XII, 32.
193 worden, wenn die gesetzliche Hypothek bis auf Justinian für den Ver-
miether
viele Jahrhunderte
hindurch ein reines
nicht die Jllaten mit
jedenfalls
Residenz-Privilegium
für den Verpächter noch gar nicht eingeführt war oder doch
und
blieb
werden, daß die
umfaßte:
so muß gewiß angenommen
alten Römer bei ihrem sonst so ausgeprägten, aus
gleichenden Rechtsgefühl sehr wohl das Bewußtsein hatten, hier liege ein auf iniquitas beruhendes Institut vor. Bei den Römern konnte diese
iniquitas noch einigermaßen verschleiert werden, indem die conductio über
haupt juristisch den Charakter der „Zerbrechlichkeit und Bedingtheit" hatte,
aber bei dem von der Gesetzgebung längst anerkannten Zuge des deutschen resp, modernen Rechts, die juristische Stellung des Miethers zu festigen,
-gestaltet sich die iniquitas zur offenen injuria.
Das System der schonungslosen Ausbeutung der Armen durch die Reichen, wie es im alten Rom herrschte, existirt in unserer Jetztzeit nicht
mehr, Dank dem 'Christenthum, der modernen Gesittung und der staat lichen
Fürsorge.
modernen
Die
Gegensätze zwischen
Jnteressen-Gruppen,
mobilem und immobilem Capital,
die
modernen
Ackerbau
und
Industrie, Stadt und Land, Producenten und Konsumenten u. s. w. ver folgen andere Ziele als das Interesse von Reich gegen Arm.
auch von
einem Wohnungs-Wucher,
solchen zu klagen pflegt,
So kann
obwohl man viel über einen
in Deutschland wenig die Rede sein.
Der
Wohnungs- oder Mieths-Wucher tritt wesentlich in der Gestalt auf, daß
der Hauseigenthümer sein Haus
einem Andern zum Vermiethen resp.
dieser gewerbsmäßig den höchstmöglichen
Aftervermiethen überläßt, und
Gewinn daraus zu ziehen sucht. Solche Fälle (im alten Rom üblich, auch in den größeren Städten Englands jetzt nicht selten) kommen in Deutschland,
vor. oo)
selbst in den größeren Städten, in sehr beschränkter Zahl wird bei Verpachtungen, sei es größerer, sei es
Vollends
kleinerer
Güter,
von wucherischer Ausbeutung
Geltendmachung eines socialen,
wenig
die Rede sein können.
oder von unerlaubter
finanziellen oder sonstigen Uebergewichts
Dem Verlangen,
daß die Gesetzgebung
hier mit Wuchergesetzen einschreiten solle, ist also schwerlich stattzugeben; aber andererseits
tritt
uns
Rechtsgleichheit entgegen.
Rechte
ein Konsensualvertrag,
desto
gebieterischer
die Anforderung
der
Der Miethsvertrag ist nach dem geltenden
welcher auf der Annahme beruhen muß,
daß der Vertragsabschluß zwischen zwei rechtlich gleich stehenden Parteien stattfindet, daß Leistungen und Gegenleistungen gleichen rechtlichen Schutz 96) Trüdinger, Arbeiterwohnungsfrage S. 13, 36, 173.
Verhandle d. XX. I. T. Bd. M.
194 genießen.
Vom Rechtsstandpunkt aus muß
der Gesetzgeber selbst rechtlich
also verlangt werden, daß
den Miether und Vermiether gleichmäßig
zu behandeln, seinerseits Wind und Sonne gleich zu vertheilen hat. vollem Gegensatze zu dieser Anforderung
In
stellt der Gesetzgeber sich hier
auf die Seite des Vermiethers und giebt einerseits diesem nicht nur eine
Position
günstigere
als dem Miether,
sondern
auch andererseits dem
Miether eine ungünstigere Position, als sie der Gesetzgeber jedem andern Schuldner giebt,
der nur auf dem gewöhnlichen gerichtlichen Wege exe-
Das gesetzliche Privilegium ist gleichsam eine Privat
quirt werden kann.
steuer, noch dazu auf ein nothwendiges Lebensbedürfniß gelegt. Miethen
muß, wer kein Haus sein eigen nennt, und er muß vielleicht unter Umstän den den härtesten Vertrags-Bedingungen sich fügen, je nach den ökono misch-factischen Gesetzen des Angebots und der Nachfrage, aber durch das
gesetzliche Pfandrecht unterwirft ihn das juristische Gesetz mit unerbitt licher Strenge97) ohne Weiteres einer Bedingung, die für den zahlungsun
für den zahlungs
fähigen Miether eine „geradezu unmoralische Härte",
fähigen jedenfalls
die Gefahr großer Belästigung in sich birgt.
die Gesetzesvorschrift
Durch
wird unmittelbar der Miether in das Verhältniß
drückender Abhängigkeit vom Vermiether gesetzt,
welches je nach den
concreten Umständen mehr oder weniger schroff hervortritt.
Dies
aber nicht
unberechtigte Weise
gestellt.
allein!
allen
Das Bedürfniß der Wohnung wird auf
anderen Lebensbedürfnissen gegenüber obenan
Wer immer auch und für welchen Zweck er einem zur Miethe
Wohnenden Credit gewährt, muß — und dieser Punkt wird gewöhnlich nicht genug berücksichtigt — der Forderung des Hauseigenthümers für Miethe nachstehen. Das Vorrecht des Vermiethers richtet seine Spitze nicht nur gegen den Miether, sondern auch gegen jeden dritten Gläubiger.
Der Erwerb durch Vermiethen ist doch an und für sich ein Erwerb wie
jeder
andere.
Wer eine Miethcaserne baut
oder kauft, oder auch wer
sonst ein Haus erwirbt und neben dem Selbstbewohnen noch Miether auf
nimmt, steht auf derselben wirthschaftlichen und rechtlichen Stufe wie der Kaufmann, der Fabrikant und der Handwerker; die arme Beamten-Wittwe,
welche ihre Miethswohnung wieder zum Aftervermiethen parcellirt, gleich der Budikers-Wittwe mit ihrem kleinen Geschäft.
steht
Sie alle arbeiten,
97) Es klingt fast wie Ironie, wenn man anknüpfend an die ursprüngliche Idee eines stillschweigenden Willensaetes der Verpfändung (Lauterbach 1. XX tit. II, XCI: mixtum ex lege et ex hominis facto) das Einbringen auch der un entbehrlichen Sachen als eine „freie Handlung" (R.G.E. in Strfs. 4 S. 202), als „ausdrückliche Unterwerfung" (Cretschmar S. 467) bezeichnet.
195 speeuliren,
seiner Art; sie alle sind des
ein jeglicher nach
erwerben,
rechtlichen Schutzes
bedürftig und
gleich
würdig,
und das Gesetz soll
nicht den Einen benachteiligen, den Andern bevorzugen, es sei denn int
zwingenden öffentlichen Interesse. Jene 'Rechtsungleichheit tritt nun um so
schärfer dem modernen
Rechtsbewußtsein entgegen, als sie sich nicht in den gewöhnlichen Formen
des Rechtsverkehrs und der Rechtshülfe bewegt, sondern mit e'iner eigen
mächtigen Selbsthülfe verbunden ist. Letztere ist schon längst aus unseren Rechts- und Cultur-Staaten verschwunden, hier aber finden wir noch ein Stück des und
eine von mancher Seite sorgsam erhaltene
alten Faustrechts,
behütete Ruine
aus der Zeit gewaltsamer Selbsthülfe.
Der Ver
mieter pflanzt sich mit seinen Leuten, nötigenfalls gewappnet,
an der
Schwelle seines Hauses auf, nicht aber etwa: um sein geheiligtes Haus
recht, seinen Besitz gegen Angriff zu vertheidigen, nein: um einen Aus
zug
zu verhindern und den Miether zu zwingen, daß derselbe seine
Sachen als Pfand im Hause zurückläßt,
oder
gar: um der Hand des
Miethers dessen Sachen gewaltsam zu entreißen. Gefühl verletzenden,
in den Häufen:,
Mitleid erregenden,
Auf die vielen,
das
ja scandalösen Scenen, welche
auf den Straßen, vor den Gerichten bei strenger Aus
führung des vollen „Retentionsrechts" sich abspielen, soll hier nicht näher
eingegangen werden,
ebensowenig
auf die zahllosen Civil- und Straf-
Processe, welche als Folgen dieses Rechtsinstituts sich entwickeln. Dies Alles ist ja Allen genugsam bekannt. Auch die Anrufung richterlicher Hülfe, die Thätigkeit des Gerichtsvollziehers kann ja große Härten mit sich führen, aber dann ist es der Arm des Staats, vor welchem der Privatmann sich beugen muß. Beim „Retentionsrecht" des Vermiethers ist es die Eigenmacht, die
Selbsthülfe des Privatmanns, welche mit Rechtssphäre des Mitbürgers
Miether wie
eingreift.
oft brutaler Gewalt in die steht dem
Diese Selbsthülfe
ein drohendes Gespenst immer vor Augen und treibt ihn
nicht nur zu den äußersten Anstrengungen, sondern auch zu den größten Entbehrungen für sich
und
Miethe zu ermöglichen.
Der Charakter der Privatgewalt, welche freilich
das Gesetz sanetionirt hat,
seine Familie,
um nur
die Zahlung der
ist vorzugsweise das Moment, wodurch der gereizt, in ihm und im Publikum das
Miether wohl zum Widerstande
Gefühl einer zugefügten Unbill
erregt wird.
Jeder andere Schuldner
darf sich widersetzen, wenn gegen die in seinem Besitz befindlichen Sachen
ein Gläubiger eigenmächtig vorschreitet, nur der Miether darf es nicht.
Mit diesem Gefühl der Unbill hängt es auch zusammen,
daß im Volks-
13*
196 bewußtsein es nicht
gerade als eine schlimme,
gar strafrechtlich zu
ahndende That betrachtet wird, wenn der Miether jenem Rathe des alten
römischen Juristen Nerva („per fenestram liberare“ servum perclusum)
folgend,
die Thatsache des Vorhandenseins der Sachen auf dem Grund
stücke mittels des sog. „Ausrückens" aufhebt.
Städten für diese Operation förmlich
Existiren doch in großen
organisirte „Rück-Compagnieen".
Man darf also keineswegs glauben, daß in Folge einer langen Gewohn heit das Vorrecht des Vermiethers im Rechtsbewußtsein des deutschen
Volkes feste, unausrottbare Wurzeln geschlagen habe und als ein in sich gerechtfertigtes Institut dastehe.
Man sagt nun wohl,
und so lautet durchgängig die Rede in den
Petitionen und Versammlungen der zahlreichen Hausbesitzervereine: dies ist unser gutes altes Recht; wer Obdach gewährt, muß erhöhte Sicherheit
haben,
wie es schon das römische Recht anerkannte mit den Worten:
„Erst Obdach, dann Stot".98)
Rechtsquellen zu finden sind,
Wo die letzteren Worte in den römischen wird nicht angegeben, sie sind auch wohl
nur der Ausdruck einer Schlußfolgerung aus der Thatsache des vorhan denen Privilegs der römischen Hausbesitzer. In der That ist auch nicht ersichtlich, daß die römische Gesetzgebung die Forderung wegen Wohnungs
miethe als solche jemals für vorzugsberechtigt gegenüber den Forde rungen wegen
anderer Bedürfnisse erklärt hätte,
geren Grade des Wohnungsbedürfnisses
zumal bei dem gerin
unter dem südlichen Himmel
und nach den Gewohnheiten des antiken Lebens. Panem et Circenses lieferte man dem römischen Proletariat von Staats- und Amtswegen, aber die Sorge für Wohnung,
Kleidung, Feuerung u. s. w.
erschien
weniger wichtig.99) Es soll „hart sein, daß der Vermiether schutzlos dem Abziehen des Miether zusehen, ihm möglicher Weise noch das Thor recht weit machen" muß, ein solcher Zustand soll ein „verzweifelter" feilt.100) Ist es aber vielleicht weniger hart, wenn der Schuster, der Schneider,
der Tischler, der Verkäufer landwirthschaftlicher Jnventarstücke, der Lie
ferant von Nahrungs- und Feuerungsmitteln u. s. w. schutzlos zusehen müssen, wie der auf Credit vermiethende Hausbesitzer die auf Credit ge lieferten Sachen
Veto einlegt,
(soweit sie pfändbar sind) an sich nimmt,
resp, sein
falls sie sich an die von ihnen selbst gelieferten Objecte
98) Bornefeld, Recht des Vermiethers. verbände. S. 10, 24.
Vortrag im Rheinischen Hausbesitzer
") Pöhlmann S. 47, 73. 10°) Mecklenburgische Zeitschr. Bd. 3 S. 215 (Bunsen).
197 halten wollen? Hier muß auch das Sprichwort gelten: „Was dem Einen
recht, ist dem Andern billig".
Wäre der Zustand ohne gesetzliches Pfandrecht ein „verzweifelter", so wäre es unerklärlich, wie man im ganzen ungeheuren römischen Reiche,
wo doch mit Rom und Constantinopel Städte wie Antiochia und Alexan dria an Größe wetteiferten, mehrere Jahrhunderte hindurch einen solchen
Zustand außerhalb Roms und
Auch in
Constantinopels ertragen hat.
der Neuzeit hat man da, wo das gesetzliche Pfandrecht mit dem Reten
tionsrechte
aufgehoben ist (z. B. Hannover), von einem Verzweiflungs
zustande der Vermiether nicht viel gemerkt.
frage,
rechtlich
Das Miethverhältniß richtet
den Regeln von Angebot
sich nunmehr wirthschaftlich nach
nach den Grundsätzen der Rechtsgleichheit.
und Nach
Allerdings
wird, wenn das gesetzliche Pfandrecht wegfällt, beim Princip des Faust
pfandrechts und bei der Unzulässigkeit des constitutum possessorium beim
Pfande (§ 1147) jetzt dieselbe Schwierigkeit einer Sicherung durch Mo
biliarpfand
hier eintreten,
welche im römischen Reiche vor Einführung
der Hypothek (wie früher geschildert) bestand und zum int. Salvianum, zur actio Serviana und weiter zur gesetzlichen Hypothek den Anstoß gab.
Diese Schwierigkeit bestand aber und besteht wiederum bei allen Schuld
nern und allen Gläubigern.
Bei der Wohnung mag der Vermiether sich
genau so sichern oder nicht sichern, wie andere Gläubiger bei anderen Lebensbedürfnissen. Wir sind jetzt mit dem Entwurf zum Zustande der römischen Zeit vor den Anfängen des Instituts des gesetzlichen Pfand rechts zurückgekehrt und sollten auch dabei bleiben, nicht durch die Bei
behaltung
dasselbe Unrecht
begehen
wie
die Römer
durch
die
Ein
führung.
Dazu
kommt noch,
daß die Uebelstände des Instituts
gegen den kleinen Mann wenden. ja
regelmäßig
wird.
sichern,
der kleine Mann
während
besonders
getroffen
In praktischer Beziehung kommt wesentlich die kleine Miethe in
Betracht.
Darum richten die Bestrebungen
der Socialpolitik
brennenden Frage nach Abhülfe der Wohnungsnoth
städten
sich gerade
Der wohlhabende Miether kann sich
sich
Recht.'0')
wesentlich
mit gegen
das
bei der
in unseren Groß
gesetzliche Pfand- (Retentions-)
Man verlangt das Eingreifen der civilrechtlichen Gesetzgebung
zur Sicherstellung des Arbeiters
gegen zu harte Miethsbedingungen bei
101) S. Schriften des Vereins für Socialpolitik, XXX S. 76 ff. (Flesch), XXXI S. 182, 184 (Arnecke), 240 (Ernst), 308,376 (Hasse), 386 (de Liagre), XXXIII 16 (Miquel). Trüdinger, Arbeiterwohnungen, S. 160, 162, 171.
198 Wohnungen ähnlich wie beim Arbeitsmiethvertrag, mit Rücksicht auf die faktische Ungleichheit der beiden Contrahenten. man die Aufhebung des
Speciell aber verlangt
gesetzlichen Vorrechts des Vermiethers, min
destens aber und unter allen Umständen hinsichtlich der unentbehrlichen
Sachen. Durch
den § 521 des Entwurfs sind
Civil-Proceßordnung
nun die nach § 715 der
nicht pfändbaren Sachen vom gesetzlichen Pfand
rechte ausgenommen.^)
Wenn einmal das gesetzliche Pfandrecht beibe
halten werden soll, so erscheint aus „Gründen der öffentlichen Wohlfahrt
und
im
öffentlichen Interesse" (Motive zum § 521) diese Ausnahme
gewiß als
gerechtfertigt.
In denjenigen Rechtsgebieten,
wo jetzt das
gesetzliche Vorrecht des Vermiethers auch auf unpfändbare, der Exeeution
entzogene Sachen (§ 715 D.C.P.O.) angewandt wird, führt diese An wendung zu den schwersten moralischen und socialen Uebelständen.
aller weiteren
Statt
Ausführungen mag hier nur folgendes Gitat103 * * ) Platz
greifen:
„Wird die Retention der Möbel durchgeführt,
d. h. werden
ihm (sc. dem Arbeiter) die Möbel vom Vermiether längere Zeit vorenthalten, so wird aus ihm, wenn er bisher ein armer Mann
war, ein ständiger Kostgänger der Armenpflege, und wenn er früher leichtsinnig war,
wird jetzt der letzte Grund genommen,
hinderte, ein völliger Vagabund zu werden.
der ihn
Der Obdachlose wird
arbeitslos, der Arbeitslose wird arbeitsscheu; und wenn die Frau ihm nicht mehr kochen und waschen kann, muß er eben sehen, ohne Frau und Kinder fertig zu werden, die nur eine Last für
ihn sind. Das Publicum aber, das sich um den Exmittirten und seine Familie drängt, fragt nicht, ob er nicht vielleicht leichtsinnig oder ein Säufer war, ob nicht die Frau vielleicht den Vermiether durch Schimpfreden, Ruiniren der Wohnung rc. aufgebracht hat; es sieht
nichts als die colossale Härte, die darin liegt, daß man einem Manne das vorenthalten darf, was zum Leben ebenso nöthig ist, wie das Kleid, das er trägt, das Bett zum Schlafen, das Geräth
zum Kochen und Arbeiten. Der Exmittirte fällt der Armenverwaltung zur Last, diese muß, 102) Ob schon nach dem jetzt geltenden Recht, ist sehr streitig. Vgl. Eck, Pfandrecht des Vermiethers. 103) Schriften des Vereins für Soeial-Politik XXX S. 79 (Flesch, Rechts anwalt und Magistratsmitglied zu Frankfurt a. M.)
199 wenn sie ihn los werden will, ihn wieder in den Stand setzen zu arbeiten, d. h. sie muß ihm die Möbel
wieder
auslösen.
Das Gesetz demoralisirt hiernach außer dem Miether auch den Vermiether, denn es ermuthigt zu Härten, die ohne sein Bestehen
zwecklos wären,
also unterlassen würden.
Es macht die Armen
verwaltung zum Garanten für Miethschulden, insbesondere auch zu Gunsten der leichtsinnigen, liederlichen Miether und insbesondere auch zu Gunsten der rücksichtslosen und harten Vermiether". Durch die Ausschließung der unpfändbaren Sachen wird nun aller
dings die schroffste Kante des Instituts abgestoßen, aber die innere Un gerechtigkeit des
bestimmung
Instituts
selbst nicht
ausgehoben.
Ja,
führt wiederum neue Uebelstände herbei.
die Special
Die Gefahr der
Aufführung scandalöser Scenen vor dem Publicum, die Befürchtung von Gewaltthätigkeiten ist dadurch
Wenn der Ver
größer geworden.
nur
miether nicht auf die pfändbaren Sachen beschränkt ist,
so erscheint die
Ausübung seines Vorrechts zwar in voller Härte, aber auch in voller Klar
Man denke sich jetzt den Auszug des — mit oder ohne Schuld —
heit.
zahlungssäumigen Miethers. Wer soll dabei entscheiden, welche Sachen nach §715 C.P.O. „unentbehrlich" sind? Statt des bei der Zwangsvollstreckung zunächst entscheidenden Gerichtsvollziehers ist hier kein maßgebendes Organ
der Staatsgewalt da. Begriff
Jeder Theil wird nun nach seinen Interessen den
„unentbehrlich"^4)
werthen suchen.
auszulegen und
diese
Auslegung
zu
ver
Wo bleibt da die Grenze zwischen erlaubtem und un
erlaubtem Angriff oder Widerstand? Wird hier der Rest des Selbsthülse
rechts nicht ebenso zu Gewaltthätigkeiten fortwährend Anlaß geben, wie
in altgermanischer Zeit das allgemeine Recht eigenmächtiger Pfändung? Andererseits bringt die Ausschließung der unpfändbaren Sachen eine erhebliche Schädigung der Interessen des Vermiethers unleugbar mit sich.
Während der Gesetzgeber mit der einen Hand ein seiner Ansicht nach berechtigtes Privilegium giebt,
nimmt er mit der
großen Theil seines praktischen Werthes wieder weg.
anderen Hand
einen
Es regen sich auch
bereits Stimmen, welche gegen die Beschränkung auf pfändbare Sachen opponiren.
beiter,
Es wird insbesondere
ausgeführt, ,05)
der kleine Handwerker selten,
daß der einfache Ar
auch nur für eine kurze Zeit,
die
104) welcher Begriff schon bei der römischen Hypothek lebhaften Streit unter Theoretikern und Praktikern erregte, insbesondere mit Rücksicht auf den „vermutheten
Willen" (praesumtio gegen praesumtio). 105) Gutachten zum Bürgerlichen Gesetz-Buch aus dem Anwaltsstande, Heft 9 (Boyens).
200 Miethe vorausbezahlen könne,
keiten besitze,
als solche,
sehr häufig aber keine weiteren Habselig
welche gesetzlich der Pfändung
entzogen sind.
In solchen Sachen liege für einen kurzen Miethstermin regelmäßig eine ausreichende Sicherheit.
Die Furcht vor dem Verlust der letzten unent
behrlichen Habe wirke präventiv wie früher die Furcht vor der Schuld haft.
Ferner sei das Pfandrecht auch
an den unentbehrlichen Sachen
von großer Wichtigkeit böswilligen Miethern gegenüber.
Diese Gründe
erscheinen für den Gesichtspunkt, daß eben dem Vermiether eine erhöhte Sicherung gebühre, gewiß beachtenswerth.
Vollends der Verpächter hat
beim Ausschluß nicht bloß des unentbehrlichen Hausraths, sondern auch
gerade des
landwirthschastlichen Inventars und
der bis zur nächsten
Ernte unentbehrlichen Früchte (§ 715 Nr. 5 der C.P.O.) nur noch ein
illusorisches Pfandrecht dem Pächter gegenüber.
Der Gesetzgeber hat
nun mit Recht hier das private Interesse dem öffentlichen aber man sieht wiederum,
nachgesetzt,
wie nach den verschiedensten Richtungen hin
die innere Haltlosigkeit des ganzen Instituts zu Tage tritt, und nur eine
radicale Beseitigung desselben Abhülfe schaffen kann.
Der Vermittelungs
vorschlag einer Einlösungsfrist (3 Monate) und einer dann eintretenden
Verkaufsbefugniß wird nichts nützen, wenn man nicht Mittel und Wege giebt, wo und wie inzwischen der Miether eben ohne seine unentbehr
lichen Sachen existiren soll. Man hat auch wohl zur Rechtfertigung des Pfandrechts den Ge sichtspunkt
des Miethszinses
als
eines
Lagergeldes
Dies muß schon an der Erwägung scheitern,
herangezogen."«)
daß die Wohnungsmiethe
nicht den Zweck hat, einen Raum für Sachen, sondern für Personen zu
schaffen.
Die Sachen dienen nur als Mittel für den Personalzweck.
Außerdem giebt auch
für Lagergeld das Handelsgesetzbuch
nicht
etwa
ein Vorrecht. Ebenso wenig wird man etwa von einer Verwendung aus die Sachen und einer desfallsigen Retention sprechen können. In neuerer Zeit wird nun ein anderer Grund für die Beibehaltung
des Vorrechts ganz besonders geltend gemacht, Spieß umkehrt.
welcher so zu sagen den
Man behauptet, daß durch das Vorrecht des Vermiethers
die Creditfähigkeit des Miethers erhöht, und ihm die Verschaffung einer Wohnung erleichtert werde.
Nach den früheren Erörterungen über die
Reich und Arm wird man schwerlich glauben können, daß in Rom das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers
römischen Verhältnisse zwischen
106) Bornefeld a. a. O.
201 im Interesse der kleinen Leute eingeführt sei.
schenden Gewalten in Rom keine Ursache, derung des Proletariats
agrarischen Gesetze,
Ohnehin hatten die herr
die colossale Masseneinwan
Im Gegentheil verfolgten die
zu befördern.
die Colonisation Cäsars und der späteren Kaiser,
die Massenausweisungen
in der republicanischen wie in der kaiserlichen
Zeit, die eine Tendenz: die Hauptstadt von der Calamität des dem Staate zur Last fallenden ungeheuren Proletariats möglichst zu befreien.107)108
Richtig ist nun für die römische wie für jede andere Zeit der Satz, daß Jemand
für specielle Bedürfnisse
erhöhten Credit hat,
wenn seine
gerade für die desfallsigen Schulden vorzugsweise haften.
Sachen
will aber nicht recht einleuchten,
Es
wie dieser Satz für unsere Frage von Vergegenwärtigen wir uns die praktische
erheblicher Bedeutung sein soll.
Sachlage! Der Arbeiter, der kleine Handwerker, der kleine Beamte schafft sich den nothwendigen Hausrath
auch vielleicht
an,
einige Sachen jzur
behaglichen Einrichtung seines Hausstandes, verheirathet sich und miethet
eine Wohnung.
Am Ausziehetermin
kann er,
mit
oder ohne Schuld, Wo
die Miethe nicht zahlen, und seine Sachen werden zurückbehalten.
seine Creditfähigkeit für
bleibt da
eine doch sofort wieder nothwendige
neue Wohnung? Der zweite Vermiether findet ja keine Sicherheit mehr muß sich auf den persönlichen Credit des Miethers verlassen
vor und
und vielleicht auf die vage Hoffnung, einlöst
oder dereinst neue erwirbt
daß derselbe seine Sachen noch
und sie in die Wohnung
Also muß in unerbittlicher Verkettung des Rechts und
einbringt.
der Thatsachen
erste Anwendung des Vorrechts den für seine Beibehaltung angeführten Grund der Erhöhung der Creditfähigkeit des Miethers selbst
schon die
mörderisch
vernichten.
Man
könnte nun sagen:
ohne irgend welchen
Hausrath sei überhaupt kein Wohnen denkbar, also müsse jeder Miether
Sachen einbringen.
Dies mag richtig sein, soweit unentbehrliche Sachen
in Frage kommen.
Aber auch diese kann der arme Miether selbst nicht
von Neuem anschaffen, sondern
es
verwaltung
muß
die
ein alten
falls beim Auszuge sie ihm vorenthalten sind,
wohlthätiger Verein
Sachen
einlösen
oder die
Miether wieder eine eigene Wohnung haben soll.
Spiel von Neuem beginnen.
öffentliche Armen
oder neue kaufen,
So gestaltet sich
wenn der
Dann kann dasselbe
in der That die Sache
jetzt in manchen Nechtsgebieten, wo der § 715 C.P.O. auf das Vorrecht
des Vermiethers nicht
angewendet wird.10^)
Dieser Zustand hat einer-
107) Friedländer S. 22, 282. Poehlmann S. 45, 153, 114. Arnold, Cultur der Römer S. 42. 108) Vergl. die citirten Schriften des Vereins für Social-Politik a. a. O.
202 seits also
mit des Miethers Creditfähigkeit selbst nichts mehr zu thun,
andererseits kann er gewiß nicht dem Institut des Vorrechts zur Em pfehlung gereichen.
Wo aber die unentbehrlichen, der Pfändung gesetzlich
entzogenen Sachen dem Vorrecht nicht unterworfen sind,
also auch nach
dem Standpunkte des Entwurfs, wird die erste Anwendung des Vor rechts bei pfändbaren Sachen dem zweiten, meist auch jedem folgenden
Vermiether sein Vorrecht illusorisch machen und dem Miether die hieranf bezügliche Creditfähigkeit nehmen.
fähigkeit jenes, exmittirten
Wo
ist denn auch
eben unter Retention der irgend
armen Miethers
wohl die Credit
verwerthbaren Habe
geblieben, welchem der römische Satiriker
Martial bei der erwähnten Schilderung
solchen Auszuges
Ironie den Rath giebt, sich nicht wieder nach
mit bitterer
einer Wohnung umzu
sehen, da er ja umsonst aus der Brücke wohnen könne?
Man hält der Anführung, daß das „Retentionsrecht" den Miether
in ein drückendes Abhängigkeitsverhältniß setze, die Deduction entgegen, daß durch die volle Aufhebung des Retentionsrechts die Lage des Miethers in nichts gebessert würde, denn auch fernerhin könnte ja der Vermiether wegen des rückständigen Miethzinses klagweise vorgehen und dann durch die Zwangsvollstreckung mit größerer Kostspieligkeit und Um ständlichkeit dasselbe Resultat herbeiführen. deshalb hinfällig,
ohne Rücksicht
Dieser Gegengrund ist schon
weil er zu viel beweist.
auf das „Retentionsrecht"
Was hier der Vermiether
kann,
das können auch alle
anderen Gläubiger, und doch wird man diesen gegenüber nicht von einer drückenden Abhängigkeit oder Rechtsungleichheit sprechen wollen.
Nicht das
allgemeine Recht der Gläubiger auf gerichtliche Hülfe drückt den Miether, sondern das Recht des Vermiethers zur eigenmächtigen Selbsthülfe. Die Rücksicht auf erhöhte Kostspieligkeit und Umständlichkeit müßte in letzter
Consequenz
zum altdeutschen
allgemeinen Pfändungsrecht zurückführen.
unserer Zeit entspricht seien ihre Rechte auch noch
Dem entwickelten Staats- und Rechtsbewußtsein
eben nicht mehr die private Eigenmacht,
so alt. Es wird keiner besonderen Ausführung bedürfen, daß die Gründe, welche für und wider das Privileg des Vermiethers sprechen, im Wesent lichen mutatis mutandis auch bei der Pacht gelten, wie ja auch die Motive zum Entwurf bei der Pacht einfach auf die Miethe verweisen.
Nur auf einen Unterschied muß aufmerksam gemacht werden, daß nämlich die Pachtung eben nicht zu den nothwendigen Lebensbedürfnissen gehört
wie die Wohnung.
Einerseits wird
dadurch
gemildert, andererseits aber liegt hier,
die Härte des Privilegs
bei der vollständig freien Wahl
203 und der factischen Gleichheit beider Kontrahenten, um so weniger Grund vor, gesetzlich den einen Kontrahenten besser zu stellen,
fehlt jede Ursache,
und vollends
den Verpächter vor anderen Gläubigern,
gar vor
Lieferanten von nothwendigen Lebensbedürfnissen zu bevorzugen.
Fällt
also das Vermietherprivileg, muß auch das Verpächterprivileg fallen. Nach den vorstehenden Untersuchungen und Erwägungen scheinen
mir in historischer, rechtlicher, moralischer und social-politischer Beziehung Überwiegende Gründe
gegen die Beibehaltung des gesetzlichen Privile
giums des Vermiethers und Verpächters zu sprechen.
Es ist ja nicht zu verkennen, daß es den betr. Jnteressen-Gruppen schwer wird, ein althergebrachtes Vorrecht aufzugeben, „und es kann der
Classe der Vermiether und Verpächter von ihrem Standpunkte aus nicht
verdacht werden,
wenn sie mit allen Kräften für die Beibehaltung,
Verstärkung ihres Privilegs zu wirken suchen.
ja
Wird aber dies Privileg
als ungerechtfertigt und als unhaltbar nachgewiesen, so muß es fallen, wie so viele andere unhaltbare Standes- und Classen-Privilegien gefallen
sind.
Die Stellung des
Verpächters wird dadurch
Vermiethers und
keineswegs etwa eine „verzweifelte",
vielmehr
treten sie dann in Reihe
und Glied mit den anderen Erwerbs-Klassen und
stehen gleich
ihnen
lediglich unter den Gesetzen von Angebot und Nachfrage". Was insbesondere dabei die Miethe betrifft, so bildet ja die Woh
nungsfrage einen Theil der großen socialen Frage,
deren Lösung durch
staatliche und private Einrichtungen die moderne Zeit mit allen Kräften anstrebt und anzustreben alle Ursache hat.
Wie aber auch die verschie
denen Reformvorschläge mittels Staatshülfe, Communalhülfe, (Genossen schafts-) Selbsthülfe u. s. w. zu beurtheilen sein mögen und ausfallen, ’09) so viel wird dabei anzuerkennen sein, daß in diesem Kampfe der wider
streitenden Interessen der Staat mit seiner privatrechtlichen Gesetzgebung
nicht durch
ein
anomales Rechtsinstitut sich
auf die Seite einer der
kämpfenden Jnteressen-Gruppen stellen, sondern bei der „Verkettung von Besitzes-Speculantenthum, Pfandgläubigerwesen, Hausherrenthum, Mieths-
unterthanenwesen und Miethsnebenbuhlerthum" 109 110) unparteiisch die privat rechtliche Gleichheit schützen soll.
Hieran
kann auch die Rücksicht auf Hypothekennoth,
Communal-Lasten und
Staats- und
sonstige Nöthe der Grundbesitzer nichts ändern.
Ist hier Abhülfe erforderlich
—
wie in mancher Beziehung anerkannt
109) Trüdinger S. 157 ff. no) Dr. Stolp, „Lösung der Wohnungsfrage".
204 werden mag — so ist auf andere Weise zu helfen, als mittels einer privatrechtlichen Anomalie auf Kosten der Miether und ihrer sonstigen Gläubiger. Manche Mittel und Wege sind ja auch schon benutzt,
Vermiether wie für den Miether praktisch
insbesondere kleine Miethstermine, monatliche Abzahlung.
zu sorgen.
Vorausbezahlung,
um für den
Dazu gehören
wöchentliche
oder
In manchen Städten haben diese Mittel sich
vortrefflich bewährt und sind bereits üblich geworden."')
Auch
nach Beseitigung des
gesetzlichen Pfandrechts würde speciell
die Bedingung der Vorausbezahlung dem Vermiether als rechtlichen Vor
theil die Möglichkeit und das Recht gewähren, bei der ersten Säumigkeit
des Miethers, auch beim Einzuge ohne thatsächliche Vorausbezahlung, als bald geeigneten Falls mittels Arrestlegung, jedenfalls mittels Zahlungs befehls und executivischer Pfändung Sicherung zu erlangen für die künftig
noch abzuwohnende Miethe.
Wegen dieser stets drohenden Gefahr wird
der Miether stets auch seine Kräfte anspornen, um die Vorausbezahlung
zu ermöglichen.
Ferner würde beim Auszuge im Fall rückständiger Miethe die An gelegenheit factisch oft, wie auch jetzt, sich dadurch erledigen, daß der Miether geeignete Sachen dem Vermiether zum Faustpfande überläßt. Er weiß ja, daß beim Mangel friedlicher Einigung er sofort mittels ge richtlicher Hülfe verfolgt wird, und dann die Sachen ihm doch abgepfän det werden,
noch
dazu mit erheblichen Kosten.
Selbst ein böswilliger
Miether wird sich vor dieser Folge scheuen.
Bei der Pacht kommen für die moderne Zeit socialpolitische Rück
sichten naturgemäß weniger in Betracht, da es sich hier nicht um ein nothwendiges Lebensbedürfniß handelt. Ohnehin bietet das gesetzliche Vorrecht bei der Pacht nicht so Wichtigkeit wie bei der Miethe.
viel Vortheil und
hat nicht so
viel
So haben denn auch die Verpächter im
gewöhnlichen Pachtverkehr sich nicht so sehr auf das Vorrecht verlassen, vielmehr sind andere specielle Sicherheiten im Wege des Vertrags üblich
ln) So sagt denn auch die Kritik im Grenzboten 1889 S. 623 über Trüdinger's Arbeiterwohnungsfrage mit Bezug auf die Beibehaltung des gesetz lichen Pfandrechts wenigstens rücksichtlich der pfändbaren Sachen im angeblichen In teresse der Creditfähigkeit des Miethers: „Eine größere Beschränkung des Retentions-Rechts des Hauswirths würde weniger den Kredit des Wohnungssuchenden schwächen als auf eine wohlthätige Wirkung der Miethszahlungsfrist hinwirken".
205 geworden:
Vorausbezahlung, Bürgschaft,
Cautions-Einstellung, Verzicht
des Pächters auf Kompensation und Retention u. s. w.112)
Schließlich ist zu betonen,
daß,
wie früher ausgeführt ist,
die im
Entwurf enthaltene Ausschließung der unpfändbaren Sachen dem gesetz sowohl bei der Miethe wie besonders bei der Pacht
lichen Pfandrecht
einen großen Theil seines praktischen Werths nimmt.
Diese Ausschließung
muß
gesetzlich
wird
und
werden.
zweifelsohne
trotz
aller Angriffe
sanctionirt
Damit schmilzt das Interesse an der Beibehaltung des ganzen
Instituts sehr zusammen. Man sieht also,
daß in der That der Streit um die Beibehaltung
des gesetzlichen Pfandrechts bei Weitem nicht die Wichtigkeit für die Vermiether und Verpächter hat, Gleichwohl ist es zu erwarten,
welche man
gewöhnlich
damit verbindet.
daß gegen den Antrag auf radicale Ab
schaffung des ganzen Rechtsinstituts viele Stimmen aus interessirten und nicht interessirten Kreisen sich erheben werden, und daß ein dahin gehen
des Votum des deutschen Juristentages manche Angriffe erfahren, manchen Sollte aber der deutsche Juristentag in diesem
Sturm erregen würde.
Gutachten den Ausdruck seiner eigenen Ansicht wiederftnden, so wird zu hoffen sein,
daß
auch hier,
wie schon sonst bei noch größeren „Neue
rungen" seinem Votum der Gesetzgeber zustimmende Berücksichtigung ge
währen werde. Es würde doch wie eine „eigenthümliche Ironie des Schicksals" er scheinen,
wenn
bei der
grundsätzlichen Beseitigung des Instituts der
Mobiliarhypothek resp, der gesetzlichen Hypothek, bei der Wiederherstellung
der altrömischen und deutschen Regel des Faustpfandrechts an Mobilien gerade diejenigen gesetzlichen Mobiliarhypotheken erhalten bleiben sollten,
bei
welchen
einst im römischen Recht die erste Bresche im System des
Faustpfandrechts gemacht, resp, der Anfang der gesetzlichen Mobiliarhypo
thek
genommen wurde.
Entgegen dem römischen Recht mit der über
mäßigen Position des Vermiethers und Verpächters hat das neuere Recht
möglichst
in allen Beziehungen sonst den Miether dem Vermiether,
Pächter dem Verpächter rechtlich gleichgestellt,
den
jetzt handelt es sich um
nichts Anderes, als um die Beseitigung des letzten Restes der Rechts
ungleichheit,
um die
consequente Durchführung und
Vollendung der
rechtlichen Pächter- und Miether-Emancipation.
In Gemäßheit des Gutachtens schlage ich unmaßgeblich vor: n2) Gesterding, Ausbeute S. 14.
Blomeyer, Pachtrecht S. 41, 214.
206 Der deutsche Juristentag wolle als seine Ueberzeugung aussprechen:
„Es
buchs
ein
empfiehlt
sich nicht,
im Deutschen Bürgerlichen Gesetz
gesetzliches Pfandrecht
oder ein sonstiges Vorrecht des
Vermiethers und Verpächters beizubehalten",
eventuell: „Es empfiehlt sich, im Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers und Verpächters zwar
bei
zubehalten, aber mit den im.§ 521 des Entwurfs bestimmten Be schränkungen,
Sachen."
insbesondere
mit der Beschränkung
auf pfändbare
XXVII. Wachten des Herrn Herichtsaffeffor Lewin sahn in Vertin über die Frage:
Ist das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers in seiner gegen wärtigen Gestalt beizubehalten oder abzuändern? ’)
Die
von
der
Deputation
Ständigen
des Deutschen Juristentages
gestellte Frage erwähnt zwar nicht ausdrücklich den Entwurf des Bürger
lichen Gesetzbuches, Entwurf
dieselbe kann indessen doch nur im Hinblick auf den
beantwortet
in Ansehung
werden.
des Pfandrechts
der
Denn
bestehende
Rechtszustand
mag man denselben
des Vermiethers ist,
auch im Ganzen oder im Einzelnen für verbesserungsbedürftig halten, kein
solcher,
daß eine
Entscheidung fication
alsbaldige
Neuordnung
dieser Specialfrage
vor der
über den Entwurf und außerhalb des Rahmens der Codi-
ernstlich in Betracht gezogen werden dürfte.
Es kann sich viel
mehr zur Zeit nur darum handeln, zu erörtern, wie der Gegenstand im
Bürgerlichen Gesetzbuch
zu
ordnen ist, und Stellung zu nehmen zu der
Behandlung, die er im Entwurf gefunden hat. Das Gutachten wird daher zunächst das bestehende Recht darzulegen
haben; handelt;
dann wird
zu betrachten sein,
wie der Entwurf die Frage be
auf der Grundlage des Entwurfs wird dann zu erörtern sein,
welche Gestaltung
des
in Rede
stehenden Rechts
als die zweckmäßigste
zu empfehlen ist.
T) Die oben stehende Abhandlung über eine von der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages aufgestellte Frage ist zunächst von mir aus eigenem Antriebe verfaßt, dann aber von der Deputation als Gutachten für den Juristentag angenommen worden.
208 Erster Abschnitt. Das geltende Recht.
Das Pfandrecht des Vermieters an den eingebrachten Sachen des
Miethers ist im Deutschen Reich nicht einheitlich geregelt, sondern in den Einzelstaaten, wenn
auch
sehr verschiedenartig
ausgestaltet.
Rechtszustand dar,
die leitenden Grundsätze meist dieselben sind,
Die
folgende Uebersicht stellt den
zunächst ohne Berücksichtigung
des
Einflusses
der
Reichsgesetzgebung. § 1.
In den römischen Quellen kommen für das Pfandrecht des Ver miethers besonders folgende Stellen in Betracht:
1. 4 pr. D. de pactis (2, 14). Item quia conventiones etiam tacite valent, placet in urbanis habitationibus locandis invecta illata pignori esse locatori, etiamsi nihil nominatim convenerit. 1. 4 pr. D. in quibus causis (20, 2). Eo iure utimur, ut quae in praedia urbana inducta illata sunt, pignori esse credantur, quasi id tacite convenerit. 1. 6 D. eod. Licet in praediis urbanis tacite solet conventum accipi, ut perinde teneantur invecta et illata, ac si specialiter convenisset ... 1. 7 C. eod. (8, 14) Sancimus de invectis a conductore rebus et illatis, quae domino pro pensionibus tacite obligantur, non solum in utraque Roma et territorio earum hoc ius locum habere, sed etiam in nostris provinciis. Daraus ergiebt sich folgender Rechtszustand: Das Recht, um das es
sich handelt, ist ein gesetzliches Pfandrechts, und zwar ein wirkliches Pfandrecht, kein Retentionsrecht.2 3)4 Es steht zu dem Vermiether eines
praedium urbanum, d. h. eines nicht zum Fruchtertrag bestimmten Grund stücks, und zwar nicht nur dem Vermiether einer Wohnung, sondern auch anderer Räume und Plätze *) und nicht nur wegen der Forderungen aus dem Miethvertrage, sondern auch wegen anderer mit der actio locati geltend zu machender Ansprüche (wegen Deteriorationen u. bgl).5) 2) Ueber die Entwickelung des gesetzlichen Pfandrechts aus der Gewohnheit, Pfandverträge über die Jllaten abzuschließen, vgl. Glück, Pandekten Bd. 18 S. 407. Dernburg, Pfandrecht Bd. I S. 295. Brinz, Pandekten Bd. II S. 875. 3) Schwarze und Heyne, Untersuchungen praktisch wichtiger Materien u. s. w. S. 131. Dernburg, Pfandrecht I S. 296. H. Wächter, Vorzugsrecht des Vermiethers S. 21 ff. 4) Dernburg, Pfandr. I 297. Windscheid § 231 Anm. 2. 5) 1. 2 D. 20, 2. Sintenis, Pfandrecht S. 294. Schwarze und Heyne S. 133. Holzschuher, Theorie und Casuistik 3. Aufl. Bd. III S. 887. Dern-
209 Nothwendige Voraussetzung ist der Abschluß eines Mieth Vertrages,
die
Schadensersatzansprüche
aus
der
unentgeltlichen
Benutzung
einer
Wohnung sind nicht versichert.6*)* *
Das Verhältniß des Miethers ziehung
zum Aftermiether ist in jeder Be
das gleiche, wie das des Hauptvermiethers zu seinem Miether.
1.11D. de pign. act. (13,7). Das Pfandrecht umfaßt die invecta et illata;
„ea quae in eam
habitationem q. d. a. introducta, importata, ibi nata factave sunt“ (1. 1 D. de migrando 43, 32).
Alles,
Darunter wurde nun nicht nur buchstäblich
was in die Wohnung hineingebracht ist, verstanden,
sondern der
Begriff ist zunächst eingeschränkt durch 1. 7 § 1 D. 20, 2: Videndum
68t, ne non omnia illata vel inducta sed ea sola, quae ut ibi sint illata fuerint, pignori sint; quod magis est. Daraus folgt nicht, „daß nur die zu dauerndem Verbleiben, etwa für die ganze Dauer der Mieth-
zeit eingebrachten Gegenstände als verpfändet gelten; dieselben auch
es genügt, daß
nur zeitweise in den vermietheten Räumen ihren regel
mäßigen Standort haben sollen, und ausgenommen ist nur das gelegentlich,
vorübergehend, Eingestellte"
ohne jede
innere Beziehung
zum
vermietheten
Raum
(Entsch. des R.O.Handelsgerichts Bd. 6 S. 289).
Ver
käufliche Waaren sind daher bis zu ihrer Veräußerung verpfändet, doch kann der Pfandnexus die Veräußerung nicht hindern; mit dieser scheiden sie aus der Pfandverbindlichkeit aus. T)
Auch
baares Geld ist, soweit es nicht in den Miethsräumen auf
bewahrt werden soll, nicht verpfändet, ebensowenig Beweisurkunden über
Forderungen.8) Als „eingebracht" müssen auch die natürlichen Früchte der in der Wohnung befindlichen Sachen angesehen werden, wobei der Augenblick der Separation als der der Einbringung zu erachten ist; ferner Sachen,
welche als
nicht dem Miether gehörig vor oder während der Miethzeit
eingebracht sind, von dem Augenblick an, wo sie sein Eigenthum werden,
endlich Sachen des Miethers, welche sich zur Zeit seines Einzugs bereits
in den Räumen befanden, vom Augenblick des Einzugs an. bürg, Pfandr. Bd. I S. 299. Ob darunter auch Nebenforderungen zu begreifen sind, z. B. für Bedienung, Kost und dergl., ist quaestio facti. Vgl. Seuffert, Archiv N. F. Bd. 7 Nr. 186. 6) 1. 5 pr. D. 20, 2. Dernburg, Pfandr. I S. 300. Sintenis, Pfandr. S. 294. Glück S. 414. 7) Dernburg, Pf.-R. I S. 301, 302. Seuffert, Archiv N. F. Bd. 5 No. 8. 8) Dernburg a. a. O. S. 302. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. in.
14
210 Bestritten ist,
ob die für den Lebensunterhalt des Miethers unent
behrlichen Gegenstände der Verpfändung unterliegen.
1. 6 D. de pign.
20, 1 bestimmt: Obligatione generali rerum, quas quis habuit habiturusve sit, ea non continebuntur, quae verisimile est quemquam specialiter obligaturum non fuisse.
Ut puta supellex item vestis relinquenda est
debitori et ex mancipiis quae in eo usu hahebit, ut certum sit eum pignori daturum non fuisse etc. „Es liegt kein Grund vor," bemerkt hierzu zutreffend DernburgO) „hierin eine Besonderheit der hypotheca omnium bonorum zu sehen; viel
mehr hat die römische Jurisprudenz bei Gelegenheit der Generalhypothek
Regeln entwickelt, die für die Auslegung jeder allgemeinen Verpfändungs convention maßgebend
sind.
Bei der Legalhypothek des Vermiethers
mußten diese Regeln um so leichter Anwendung finden, da sie ursprünglich auf einer Präsumtion beruhten, welcher in Bezug auf jene Gegenstände
eine nicht weniger starke Gegenpräsumtion entgegentrat". 9 10)* Ueber den Einfluß der durch § 715 der Reichscivilprozeßordnung gesetzten Pfändungsbeschränkungen soll weiter unten gehandelt werden.
Dem Miether nicht gehörige Gegenstände sind dem Pfandrecht nicht
unterworfen,") jedoch kann der Vermiether Sachen,
welche der Miether
als die seinigen einbrachte, die er pignoris nomine induxit, dem Miether
gegenüber zurückbehalten, während er sie dem Eigenthümer herausgeben muß.12)13 Auch nimmt Dernburg (Pandekten I. Ausl. Bd. I S. 649) an,
daß
befugt ist,
Mobilien der Ehefrau,
durch
zu deren Verpfändung der Ehemann
die Jllation als verpfändet gelten;'2)
indessen ist der
Satz nicht schlüssig, da es sich nicht um vertragsmäßige Verpfändung, sondern um ein gesetzliches Pfandrecht handelt, also daraus, daß der Ehemann verpfänden darf, durchaus nicht folgt, daß die Voraussetzungen des gesetzlichen Rechts vorliegen. 9) a. a. O. S. 312. 303. 10) Vgl. auch Sintenis, Pfandrecht S. 500. Glück S. 415. Eck, das gesetz liche Pfand- und Vorzugsrecht des Vermiethers in seiner Anwendbarkeit auf die „unpfändbaren Sachen", in der Festgabe für Gneist. Berlin 1888 S. 2, 3; 1, 7, 8 C. quae res pignori 8, 16 und das dazu von Eck Bemerkte und die überzeugend be gründete Entscheidung bei Seuffert Bd. 26 No. III, dagegen' jetzt Entsch. d. Reichsgerichts in Strass. Bd. 4 S. 200. n) Glück S. 415. Seuffert, Archiv N. F. Bd. 3 Nr. 109. Bender, Lehrbuch des Privatrechts der freien Stadt Frankfurt a. M. S. 419. 12) 1. 1 § 5, 1. 2 D. de migrando 43, 32. Dernburg, Pfandr. 1 S. 304. Windscheid § 231 Anm. 5. 13) So auch Bender a. a. O. S. 419 für Frankfurt a. M.
211 Die Sachen
des Aftermiethers hasten bis zur Höhe der Forderung
des Aftervermiethers auch dem Hauptvermiether.")
Das Pfandrecht an den Jllaten entsteht nicht mit dem Moment des
Vertragsschlusses oder mit dem Beginn der Miethperiode, sondern durch die Jllation und
mit derselben,'^)
es
endigt
erst
mit der vom Ver-
miether ausdrücklich oder stillschweigend gestatteten Entfernung der Sachen
vom Grundstück,16 * *) * während 15 eine Veräußerung von Jllaten, solange sich dieselben noch auf dem Grundstück befinden, einflußlos ist.17)18
dem Pfandrecht
Aus
ergiebt sich
das Recht des Vermiethers,
die
der eingebrachten Sachen zu verbieten und zu verhindern,
Fortschaffung
das Perclusionsrecht.,8)
Dasselbe Forderung
Zurückbringung
ausgeübt werden,
kann
wegen der
besteht,
nicht
des
auch
wenn zur Zeit eine fällige
später fällig
wider den Willen
werdenden.19)20 Die
des Vermiethers Fortgeschafften
kann mit der Pfandklage verfolgt werden.29)
Das Perclusionsrecht
ist kein selbständiges Recht,
sondern Aus
fluß und Consequenz des Pfandrechts.21)
Session
Eine
Wirkung,
des Pfandrechts
oder der Miethforderung
daß dem Cessionar das Retentionsrecht
stattfinden;
zustände,
mit
der
kann nicht
namentlich deshalb nicht, weil das besitzähnliche Verhältniß,
in dem der Vermiether zu den Jllaten des Miethers steht, und das eine
wesentliche begriffliche Voraussetzung des Pfandrechts bildet, nur bei dem Hauseigenthümer,
nicht
dem
Cessionar der
Miethforderung
oder des
Perclusionsrechts vorliegt.22)
u) 1. 11 § 5 D. de pigner. actione 13, 7 und dazu Dernburg, Pfandr. I S. 306-308. Glück a. a. O. S. 428ff. Sintenis, Pfandr. S. 293. Wind scheid § 231 Anm. 5. Seuffert, Archiv N. F. Bd. 3 Nr. 109. 15) 1. 11 § 2 D. qui pot. 20, 4. Dernburg, Pfandr. I S. 304. Holzschuher Bd. 3 S. 887. Vangerow, Pandekten 7. Aufl. Bd. I S. 850. 16) Dernburg, Pandekten Bd. I S. 651. ’7) Entsch. d. R.G. in Straff. Bd. 4 S. 200. 18) Schwarze u. Heyne S. 128. Dernburg, Pfandr. Bd. II S. 332ff. 19) 1. 1 § 4 D. de migrando 43, 32. Holzschuher S. 887. Dernburg, Pfandr. Bd. II S. 335. 20) Schwarze u. Heyne S. 133. Dernburg, Pandekten I S. 651. 21) Schwarze' u. Heyne S. 130. Dernburg, Pandekten I S. 650. Die Aufsätze von Stegemann und Schneider im Magazin f. d. deutsche Recht der Gegenwart Bd. 2 S. 301 ff. und 101 ff. Entscheidung des Tribunals zu Celle vom 30. 3. 1871 i. d. Zeitschrift f. Hannoversches Recht Bd. 4 S. 246; Entsch. d. R.-G. in Strass. Bd. 6 S. 300. 22) So Schwarze u. H eyne S. 151. Holzschuher S. 888. Entsch. d. R.G.
212 Die Ansicht Dernburgs (Pandekten I S. 650), daß der Miether
eine einstweilige richterliche Verfügung erwirken könne, miether
nicht
behrlich
ist,
mehr zurückbehalten darf, ist
wohl
wonach der Ver-
als zu seiner Sicherung unent
nicht quellenmäßig belegt,
indessen steht ihr das
Gesetz auch nicht entgegen und sie entspricht der Billigkeit und der Natur
der Sache.
§ 2. Im Gebiet des Preußischen Allgemeinen Landrechts findet sich die
§ 395
gesetzliche
Grundlage
A.L.R.
Th. I
Tit. 21:
„Uebrigens hat der Vermiether oder Verpächter wegen
seines
unseres
Verhältnisses
in
Zinses oder anderer Forderungen auf die von dem Miether oder Pächter eingebrachten
oder
Gute
und zur Zeit der Endigung des Contracts in dem Hause
noch
vorhandenen
Sachen
und
Effecten
die Rechte
eines
Pfandgläubigers."
Die Auslegung des Gesetzes hat im Allgemeinen, da das Landrecht nicht
neues Recht schaffen,
duciren
wollte,
auf dieses
sondern das bestehende gemeine Recht reprozurückzugehen.
Danach hat der Vermiether
ein wirkliches Pfandrecht,23 * *) * nicht nur einen Titel zum Pfandrecht,
ein
erst durch die Ausübung dieses Rechts,
die
Pfandgewinnungsrecht,
der
Besitznahme oder Retention, zum Pfandrecht nritb.24).
Das Recht
entsteht mit der Einbringung der Sachen;23)
Forderungen aus dem Mietsverträge,
über die
zu deren Sicherung es dient,
ist
auf das oben Gesagte zu verweisen.2^)
Der Miether hat gegen den Aftermiether dieselben Rechte, die gegen jenen dem Hauptvermiether zustehen.27) in Strass. Bd. 11 S. 83 in einer für landrechtliches Gebiet ergangenen Entscheidung, deren Begründung aber auch für das gemeine Recht zutrifft. Andrer Ansicht Dernburg, Pfandr. Bd. 2 S. 337. 23) Bornemann, Preuß. Civilrecht 2. Aufl. Bd. 4 S. 328 ff. Dernburg, Pr. Privatrecht 3. Aufl. Bd. I S. 896. Foerster-Eecius 5. Aufl. Bd. II S. 203. Koch, Commentar 8. Aufl. Anm 8 zu 8 395 I 21. Entsch. d. Obertribunals Bd. I S. 28 ff. Striethorst, Archiv Bd. 60 S. 279. Entsch. d. R.O.H.G. Bd. 6 S. 289. Entsch. d. R.G. in Strass. Bd. 3 S. 59. Entsch. d. R.G. in Gruchot, Beiträge Bd. 25 S. 460. 2*) So Gärtner in Gans Beiträgen zur Revision d. preußischen Gesetzgeung S. 485 ff. Lenz, Studien u. Kritiken, bes. S. 126—129. 25) Entsch. d. Obertribunals Bd. 6 S. 98, 19 S. 289, 72 S. 213. 26) Vgl. auch Dernburg, Pr. Privatrecht Bd. 1 S. 896 Anm. 2, Entsch. d. R.G. bei Gruchot Bd. 26 S. 987. 27) Koch, a. a. O. Anm. 2, die entgegenstehende Ansicht von Lenz S. 132 ff. dürfte wohl keinen Vertreter mehr finden.
213 in dem die „eingebrachten Sachen und Effecten" zu
Der Umfang,
begreifen und dem Pfandrecht unterworfen sind, ist im Wesentlichen der
selbe wie nach gemeinem Recht, zu bemerken.
doch ist im Einzelnen noch Folgendes
Daß auch die zum Leben unentbehrlichen Dinge dem Pfand
recht unterliegen, wird für das preußische Recht allgemein angenommen;28)29 30 31 dabei muß so viel jedenfalls zugegeben werden, daß § 302 des Anhangs
zur Allgemeinen Gerichtsordnung
Derselbe
lautet:
dieser Auslegung
nicht
entgegensteht.
„Ist der Miether ein Künstler oder Handwerker,
so dürfen ihm, insofern er andere Mobilien besitzt,
keine zur Ausübung
seiner Kunst oder seines Handwerks erforderlichen Werkzeuge und Sachen
vorenthalten werden."
Der Paragraph enthält also für den Fall,
daß
der Miether andere Mobilien besitzt, keine Bestimmung. Wie weit sich liche Sachen
auf dem Miether nicht eigenthüm
das Pfandrecht
bezieht,
ist
bestimmt durch die Declaration zum § 395
A.L.N. Th. I Tit. 21 vom 21. Juli 1846, welche dahin geht, „daß die
dem Vermiether und Rechte
Verpächter in
erstrecken,
§
395 A.L.R. I 21
beigelegten
sich nur auf solche Sachen und Effecten
eines Pfandgläubigers
welche dem Miether oder Pächter selbst gehören,
oder welche
derselbe ohne Einwilligung des Eigenthümers zu verpfänden befugt ist."
Sonach erwirbt det Vermiether an den in die Ehe gebrachten Sachen der Ehefrau ein Pfandrecht;^)
mögen
erwerbe,
daß er es auch am vorbehaltenen Ver
ist mit Förster-Eccius (S. 208)
gegen das Ober
tribunal (Striethorst Bd. 85 S. 75) und Koch (Anm. 11) neinen,
zu ver
da der Ehemann zur Veräußerung des vertragsmäßig vorbehal
tenen Vermögens nicht befugt ist, wenn auch die geschehene Verpfändung
nicht nichtig ist.
—
Es
ist nunmehr unzweifelhaft,
was vom Ober
tribunal so) bereits vor Erlaß der Declaration angenommen ist, ohne rechtliche Bedeutung ist,
daß es
ob der Vermiether sich in gutem Glauben
an das Eigenthum des Miethers
an den Jllaten befunden hat oder
nicht.yi)
Ebenso folgt aus der Declaration, was übrigens auch ohne dieselbe
28) Motive der Gesetzrevision, Pensum XIII u. XIV S. 111. Bornemann S. 335, 336. Lenz S. 141. Dernburg, Pr. Privatrecht S. 897. FoersterEccius S. 207. Koch, Anm. 7. Entsch. d. R.G. Strass. Bd. 3 S. 59, Civils. Bd. 18 S. 429.
29) Striethorst, Bd. 85 S. 75. 30) Entsch. Bd. 1 S. 455, Bd. 4 S. 1, 12. 31) Entsch. d. Obertribunals Bd. 83 S. 25.
214 gefolgert werden muß und gefolgert worden ist,32)
daß die Sachen des
Aftermiethers dem Hauptvermiether nicht verpfändet sind.
Geld und Werth-(Jtthaber)papiere sind nach Lenz (S. 142), Borne mann (S. 336),
Koch
(Anm. 7) dem Pfandrecht nicht unterworfen,
während sie Dernburg (S. 897), Förster-Eccius (S. 207) für mit
verpfändet erachten; die beiden Letztgenannten nehmen aber die Schulddocumente aus, wogegen Niendorf (das Preußische Miethsrecht S. 225) auch diese und nur nicht die aus ihnen hervorgehenden Forderungen in
Letzteres
den Pfandnexus einbezieht.
geht aber zu weit,
da jene Ur
kunden keinen selbständigen Werth, sondern nur den eines Beweismittels haben,
während die Forderungen unstreitig nicht verpfändet sind;
möchte annehmen,
daß Geld und Jnhaberpapiere,
der Retention in der Wohnung befinden, dem Pfandrecht unterliegen,
daß
ich
welche sich zur Zeit
retinirt werden
können und
aber im Uebrigen der Bermiether die
Entfernung dieser Objecte so wenig hindern darf wie die verkäuflicher
Waaren. Die Geltendmachung des Pfandrechts
erfolgt
auch
schon vor Ab
lauf der Miethszeit und wegen erst später fällig werdender Forderungen.33) Zum Schutze seines Rechts darf der Bermiether jederzeit durch Per-
clusion die Fortschaffung der Jllaten verhindern, dagegen ist er zu einer
Besitznahme der Sachen,
zum Eindringen in die Wohnung nur befugt,
wenn er ohnedies Gefahr laufen würde, sein Recht zu verlieren.34)
Die
heimliche oder gegen Widerspruch geschehene Fortschaffung begründet das Recht auf Wiedereinbringung,
soweit nicht Rechte redlicher Dritter ent
gegenstehen. 35)36 Das Pfandrecht ist vorhanden an den zur Zeit der Endigung des
Contracts auf dem Grundstück noch befindlichen Sachen; es erlischt also, zwar nicht, wie schon bemerkt, durch die heimliche oder gewaltsame Fort schaffung, wohl aber dadurch, daß die Gegenstände mit ausdrücklicher
oder stillschweigender Genehmigung des Vermiethers vom Grundstück ent fernt werden,3^) wobei eine Erklärung, die nicht eine ausdrückliche Ent sagung des Rechts enthält, nicht als ein Aufgeben desselben anzusehen 32) Entsch. d. Obertribunals Bd. 1 S. 455, Motive der Gesetzrevision S. 113. 33) Ges. - Revision S. 112. Foerster-Eceius S. 204. Entsch. d. Ober tribunals Bd. 6 S. 98, 19 S. 289. Striethorst Bd. 60 S. 279, 81 S. 59, 85 S. 75, 95 S. 186; Entsch. d. 34) Vgl. die Entscheidungen 35) Entsch. d. R.O.H.G. Bd. 36) Entsch d. Obertribunals
R.G. in Strass. Bd. 3 S. 59. aus der vorigen Anmerkung. 6 S. 289. Bd. 1 S. 28.
215 sein wird, so lange thatsächlich der Besitz noch festgehalten roitb.37) Das Fortschaffen der Mobilien innerhalb des Hauses aus einer Wohnung in die andere hebt das Pfandrecht nicht auf;38)
Veräußerung von Sachen, solange sie
nicht
gleichgültig aus
ist ferner die
dem Hause
geschafft
sind, oo)
Als
gerechtfertigt ist nach Dernburg (S. 897) die Wegbringung
auch anzusehen, wenn sie eine Folge des regelmäßigen Geschäftsbetriebes bildet, oder wenn es sich um einen Austausch gleichwerthiger Stücke oder um verhältnißmäßig Unbedeutendes,-die Sicherheit des Vermiethers nicht
wesentlich Berührendes handelt.
Diese Ansicht verdient den Vorzug vor
der abweichenden von Förster-Eccius (S. 204), daß der Widerspruch des Vermiethers und die Geltendmachung des Retentionsrechts in jedem
Fall der Wegbringung
den Rechtfertigungsgrund
entziehe.
Es
würde
damit der Chicane Thür und Thor geöffnet und den Lebensverhältnissen nicht genügend Rechnung getragen sein.
Die Ausübung des Pfandrechts setzt natürlich das Bestehen einer
Forderung voraus^) und erfolgt in den gewöhnlichen Formen aus Grund eines gerichtlichen Urtheils. Die Cession der Miethsorderung überträgt das Pfandrecht nicht.41)
§ 3. Im Gebiet des rheinischen Rechts gilt Art. 2102 Code civil:
Les creanccs privilegiees sur certains meubles sont: 1) les loyers et fermages des immeubles, sur les fruits de la recolte de l’annee et sur le prix de tout ce qui garnit la maison louee ou la ferme et de tout ce qui sert ä, l’exploitation de la ferme, savoir pour tout ce qui est ßchu, et pour tout ce qui est ä echoir, si les baux sont authentiques, ou si, ötant sous signature privee, ils ont une date certaine; et dans ces deux cas, les autres creanciers ont le droit de reloucr la maison ou la ferme pour le restant du bail, et de faire leur profit des baux ou fermages, ä la Charge toutefois de payer au proprietaire tout ce qui lui serait encore dü. Et ä, defaut de baux authentiques, ou lorsqu’etant sous signature privee ils n’ont pas une ®7) 38) 39) Anm. 6, 40) 41)
Entsch. d. Obertribunals Bd. 72 S. 213, d. R.O.H.G. Bd. 6 S. 289. Entsch. d. R.G. in Strass. Bd. 10 S. 323. Rehbein-Reinke, Landrecht Anm. 128 zu § 395 Th. I Tit. 21. Koch, R.G. in Strass. Bd. 10 S. 323. R.G. in Strass. Bd. 3 S. 277. R.G. in Strass. Bd. 10 S. 83.
216 date certaine, pour une annöe ä, partir de Fexpiration de Fannie courante. Le m£me privilege a lieu pour les röparations locatives et pour tout ce qui concerne Fexecution du bail. —------- Le propriötaire peut saisir les meublcs qui garnissent sa maison ou sa ferme, lorsqu’ils ont 6t6 döplaces saus son consentement, et 11 conserve sur eux son priviläge, pourvu qu'il ait fait la revendication; savoir, s’il s’agit du mobilier qui garnissait une ferme, dans le dölai de 40 jours, et dans celui de quinzaine, s’il s’agit des meubles garnissant une maison. hat das Recht, die ohne seine Zustimmung fort
Der Vermiether
geschafften Sachen in den Händen eines Dritten in Beschlag zu nehmen, jedoch
muß er von diesem Recht bezüglich der von seinem Landgut ent
fernten Sachen binnen 40 Tagen, wegen der aus einem andern Gebäude
fortgeschafften Gegenstände binnen 14 Tagen vom Tage des Wegschaffens an Gebrauch machen.") Dagegen steht dem Vermiether ein Zurückbehaltungsrecht nicht
zu.")
Das
Vorzugsrecht
besteht
wegen
des Miethszinses
und
zwar,
wenn der Vertrag in einer öffentlichen Urkunde errichtet ist, oder wenn im
Concursfall
die
über
den Vertrag errichtete Privaturkunde ein sicheres
Datum trägt, sowohl wegen der schon verfallenen als wegen der künftigen
Zieler,
andernfalls
laufende Jahr,
aber wegen der verfallenen und der Zieler für das
vom Ende
desselben
ab aber nur noch auf ein Jahr;
ferner besteht das Vorzugsrecht für alle anderen aus dem Vertrage ent stehenden Verbindlichkeiten.")
Tout ce qui garnit la maison ist nicht mit Cretschmar (a a. O. S. 478) zu beschränken auf die „die Wohnung ausstattenden, garnirenden
Mobilien", sondern es umfaßt „tous les objets apportes par le locataire pour meubler
la
maison,
pour Ferner,
pour y rester ä dem eure ou
pour y 6tre consommes.“45 42)46 43 Ausgeschlossen 44 ist das baare Geld, Brief schaften, Schuldurkunden, Orden und Ehrenzeichen. 40)
Auch an fremden Sachen besteht das Vorzugsrecht, wenn der Vermiether den Umständen nach annehmen konnte, daß sie dem Miether gehören.4^
42) Zachariae (Puchelt), Handbuch des Franz. Civilrechts Bd. 2 S. 119 f. 43) Cretschmar, im Archiv f. d. civ. Praxis Bd. 68 S. 480. Scherer, das Rheinische Recht und die Reichsgesetzgebung S. 202. Gorius in d. Verhand lungen des 18. Juristentags S. 136. 44) Zachariae S. 117, 119. 45) S. das Citat bei Gorius S. 120. Zachariae S. 116. 46) Zachariae S. 117. Gorius a. a. O. S. 120. 40 Zachariae S. 117. Sarwey, Concursordnung f. d. Deutsche Reich S. 304, Entsch. d. R.G. in Civils. Bd. 20 S. 356.
217 Die Mobilien des Aftermiethers unterliegen dem Vorzugsrecht des Hauptvermiethers in Höhe der Schuld des Aftermiethers an seinen Ver-
miether.48)49 50
In Bezug auf die Pfändbarkeit der Competenzstücke bestimmt Art. 592 Code
de procödure
die der
sprechend § 715 C.P.O.;
Pfändung
entzogenen
setzt fest,
Art. 593
auch jene Dinge gepfändet werden dürfen,
Gegenstände
darunter loyers des manu-
factures, moulins, pressoirs, usines dont ils döpendent, lieux
ent
für welche Forderungen
servant ä l’habitation personnelle du debiteur.
et loyers des
Unbedingt un
pfändbar aber sind von den in Art. 592 aufgeführten Dingen le coucher näcessaire des saisis, ceux de leurs enfants, vivant avec eux, les habits
dont les saisis sont vetus et couverts.
ob diese Bestimmungen durch § 715
Die hier entstehende Frage,
C.P.O. aufgehoben sind, ist zu bejahen, da Art. 592, 593 C. de proc. wesentlich processualer Natur, also durch die C.P.O. ausgehoben und er
setzt sind; es muß daher jedenfalls für das rheinisch-rechtliche Gebiet an genommen werden, ganz abgesehen von der Wirkung des § 715 für das
übrige Reich, daß die nach diesem Paragraphen der Zwangsvollstreckung entzogenen Sachen auch dem Vorzugsrecht des Vermiethers nicht unter liegen.^)
§ 4. Für das
Königreich Sachsen
bestimmt
§
1228
des
bürgerlichen
Gesetzbuchs:
Der Verpächter oder Vermiether von Grundstücken kann wegen der
Vertragsverbindlichkeiten des Pächters
oder Miethers
die in den ver
pachteten oder vermietheten Räumen noch vorhandenen Sachen des Päch
ters oder Miethers und bei Grundstücken, welche natürliche Früchte tragen, die darauf gewonnenen Früchte zurückhalten.
gegen den Unterpächter und Untermiether
Er kann dieses Recht auch
ausüben,
diesem gehörigen Sachen betrifft, bloß so weit, und Untervermiether eine Forderung
pächter oder Untermiether hat.
jedoch,
soviel die
als der Unterverpächter
aus dem Vertrage an den Unter
An Gegenständen,
in welche die Hülfe
nicht vollstreckt werden darf, kann dieses Recht nicht ausgeübt werden. Dies Recht wird von Siebenhaar^) als „einfaches Retentions48) Zachariae S. 116. Sarwey S. 304. 49) Vgl. besonders Gorius S. 124 ff., ferner Eck S. 23. Cretschmar, Civ. Archiv Bd. 68 S. 478 ff. Scherer S. 210. 50) Annalen des Kgl. Sächsischen Oberappellationsgerichtes N. F. Bd. 5 S. 456.
218 recht" bezeichnet, indessen von der sächsischen Praxis als eine Art Pfand
recht^'),
als ein dem Vermiether loco pignoris
zustehendes und
Analogie der Grundsätze vom Pfandrecht zu behandelndes Recht
nach
an
gesehen.
Das Zurückbehaltungsrecht beginnt sonach zwar mit der Einbrin gung,
es kann aber Wirkung erst erlangen,
rung vorhanden ist.
sobald eine fällige Forde
Bis zu diesem Zeitpunkt darf der Fortschaffung der
Sachen nicht widersprochen werden, und vorher,
wenn auch nur mittels
constitutum possessorium, erfolgte Veräußerungen sind nicht anfechtbar und entziehen dem Vermiether sein Recht.51 52)53 Sobald aber der Miether mit Vertragsverbindlichkeiten im Rückstände geblieben ist, ist das Recht
an den jetzt noch in der Wohnung vorhandenen Sachen mit der Ein bringung entstanden und geht einem nach der Einbringung entstandenen
Pfändungspfandrecht vor?2)
Nachdem das Zurückbehaltungsrecht erklärt
und geltend gemacht ist, ist eine Fortschaffung von Sachen, die der Ver
miether nicht hindern konnte,
namentlich also eine durch Zwangsvoll
streckung erfolgte, dem Vermiether nicht mehr schädlich.54) Daß das Recht nicht
an fremden Sachen,
die nicht Sachen des
Miethers sind, und nicht an der Zwangsvollstreckung nicht unterliegenden
Sachen entsteht, daß es
auch dem Untermiether gegenüber geltend zu
machen ist, wird im Gesetz direct ausgesprochen. Als invecta und illata sollen nur solche Sachen des Miethers betrachtet werden, welche zu dem Zweck in die gemiethete Wohnung gebracht sind, damit sie dort bleiben sollen.^)
8 5. In Braunschweig ist dem Vermiether das Pfandrecht gegeben durch § 3 des Mobiliarpfandgesetzes vom 8. März 1878, welcher lautet:
„Daneben verbleibt es bei der dem Faustpfandrecht gleich zu achtenden oder Verpächters eines Grundstücks, behufs
Befugniß des Vermiethers
51) Ebenda Bd. 2 S. 436, Bd. 4 S. 152. Wengler, Archiv f. civilrecht liche Entscheidungen der sächsischen Justizbehörden von 1886 S. 456 ff. 52) Motive zum § 1228 B.G.B. und Siebenhaar in d. Annalen N. F.
Bd. 5 S. 456. 53) Entsch. des O.A.G. Dresden in den Annalen N. F. Bd. 4 S. 152. Entsch. des O.L.G. Dresden bei Wengler, Jahrg. 1882 S. 115 ff., bes. S. 120,
Jahrg. 1886 S. 456, 457. 54) Entsch. bei Wengler 1883 S. 125. 56) SiebenHaar, Annalen N. F. Bd. 5 S. 456.
219 seiner Befriedigung wegen des laufenden und des
rückständigen Zinses
sowie wegen anderer Forderungen aus dem Mieth- oder Pachtverhältniß
die eingebrachten,
in den vermietheten
noch
oder verpachteten Räumen
vorhandenen Sachen des Miethers oder Pächters und bei Grundstücken,
welche natürliche Früchte tragen, die darauf gewonnenen Früchte zurück
zuhalten. Dem Vermiether oder Verpächter steht dieses Recht auch gegen den
Aftermiether und Afterpächter zu, jedoch,
so viel die diesem gehörigen
Sachen betrifft, nur insoweit als der Aftervermiether oder Afterverpächter eine Forderung
aus
dem Vertrage
an den
Aftermiether
oder After
pächter hat. An
welche der Pfändung nicht unterworfen sind,
Gegenständen,
kann dieses Recht nicht ausgeübt werden."
Für das Großherzogthum Oldenburg bestimmt das Gesetz v. 3. April 1876 betr. Verpfändung von Schiffen u. s. w. in Art. 18: „Ein dem
Faustpfand gleiches Recht steht zu dem Verpächter oder Vermiether eines
Grundstückes
wegen
der
gebrachten
beweglichen
Grundstücken,
welche
wonnenen Früchten,
vom
Pächter
Sachen
des
Pächters
lange
oder Miether
oder Miethers
tragen,
an
nicht diese Sachen
veräußert
und
vom
oder
Pächters
oder gemietheten Räumen
natürliche Früchte so
des
Vertragsverbindlichkeiten
Miethers an den in den gepachteten
den
unter
und
bei
darauf ge
oder diese
Früchte
Grundstücke entfernt
worden sind.
Dem Verpächter oder Vermiether steht dieses Recht auch gegen den Afterpächter oder Aftermiether zu, jedoch was die diesem gehörigen Sachen betrifft, bloß insoweit, als der Afterverpächter oder Aftervermiether eine For derung
aus dem Vertrage
an den Afterpächter oder Aftermiether hat.
Das Pfandrecht des Vermiethers kann an Gegenständen, in welche die
Pfändung nicht vollstreckt werden kann, nicht ausgeübt werden." Das Gesetz für das Herzogthum Anhalt, das Pfandrecht an beweg
lichen Sachen u. s. w. betreffend, vom 13. April 1870, ordnet in § 3 an: „Ein dem Faustpfande
gleiches Pfandrecht steht dem Verpächter
Vermiether eines Grundstückes wegen
Pächters
oder Miethers
oder
der Vertragsverbindlichkeiten des
an den in den
erpachteten
oder ermietheten
Räumen untergebrachten beweglichen Sachen des Pächters oder Miethers
und bei Grundstücken,
welche natürliche Früchte tragen,
an den darauf
gewonnenen Früchten zu, so lange nicht diese Sachen und diese Früchte
220 vom Pächter oder Miether veräußert und von dem Grundstücke entfernt
worden sind.
Das Pfandrecht des Vermiethers kann an Gegenständen,
in welche die Hülfe nicht vollstreckt werden darf, nicht ausgeübt werden."
§ 6. Wir wenden uns nunmehr zu denjenigen Rechtsgebieten, in denen ein besonderer Schutz des Vermiethers überhaupt nicht oder doch nur in geringerem Umfange anerkannt ist.
Hier ist zunächst zu erwähnen das vormalige Königreich Hannover,
für welches durch das Gesetz vom 14. December 1864 (§§ 1, 43, 61 Nr. 4) das Pfandrecht des Vermiethers beseitigt ist.
Damit ist, da das
Retentionsrecht, wie oben (S. 211) hervorgehoben, kein selbständiges Recht,
sondern ein gefallen.^)
Ausfluß
des
Pfandrechts ist,
auch
jenes
Recht
fort
Für das rechtsrheinische Bayern ordnet die Prioritätsordnung vom
1. Juni 1822 die Rechte im Concurse für diejenigen Gläubiger, welche kein Separationsrecht haben, und setzt in § 21 in die dritte Classe „die Vermiether von Wohnungen und Gebäuden wegen der Miethe,
für das laufende Jahr als für den Rückstand eines Jahres,
sowohl
sofern die
Mobilien oder Sachen, welche die Miethleute eingebracht haben, sich noch
in dem gemietheten Ort befinden
und zur Zahlung
dieser
Forderung
hinreichen."
Dazu
bemerkt Roth:^)
bayerische Civilrecht nicht mehr,
„Gesetzliche
Faustpfandrechte kennt das
da die Generalpfandrechte aufgehoben
sind, und die gesetzlichen Specialpfandrechte an Mobilien nur die Be deutung von Vorzugsrechten haben. Prioritätsordnung § 21 Nr. 2—6 sind die Ansprüche des Vermiethers und Verpächters u. s. w. in die dritte Classe locirt, ohne daß ihnen ein gesetzliches Pfandrecht beigelegt
gesetzlichen Pfandrechte an bestimmten das bayerische und preußische Landrecht aufstellen, als beseitigt anzusehen." wäre.
Hiernach
sind
also die
Mobilien, welche das gemeine Recht und
Indessen ist in der bayerischen Praxis der Grundsatz zur Geltung gelangt, daß auch nach dem Fortfallen des Pfandrechts ein Reten tionsrecht fortbestehe. ^) M) Vgl. die oben S. 211 Anm. 21 citirten. 57) Bayerisches Civilrecht Bd. 2 S. 489. 58) Entsch. des obersten Landesgerichts in Bayern Bd. 3 S. 429, Bd. 6 S. 807 und namentlich Bd. 8 S. 34.
221 Demgemäß
hat
das
Reichsgericht^)
auf Grund
der Rechtsent
wickelung und der zur Zeit des Erlasses des Prioritätsgesetzes herrschenden Rechtsanschauung angenommen, daß das Zurückbehaltungsrecht vom Pfand
recht unabhängig sei und auch nach Beseitigung desselben fortbestehe, daß auch der Vermiether,
wenn sein Recht des Schutzes bedürfe, sich den
selben, ohne das Gericht anzugehen, verschaffen dürfe.
Weiter
gilt für das
ganze Königreich Bayern das Gesetz vom
18. December 1887, dessen Artikel 1 lautet:
„Die Rechte, welche nach
den Vorschriften des bürgerlichen Rechts dem Vermiether und dem Ver pächter an den eingebrachten Sachen und dem letzteren an den Früchten
des verpachteten Grundstückes zustehen, erstrecken sich nicht auf diejenigen Sachen,
welche
nach § 715 Nr. 1, 2, 3, 4, 6, 7, 9, 10 der Civil-
prozeßordnung der Pfändung nicht unterworfen sind." In Württemberg ist das Pfandrecht des Vermiethers durch das Pfandgesetz vom 15. April 182859 60) aufgehoben.
Im Gebiet des ehemaligen Herzogthums Nassau kommt zur An wendung das nassauische Pfandgesetz vom 15. Mai 1851, § 50: „Dem
Vermiether einer Wohnung steht bei dem Ablauf der Miethszeit oder
dem Auszuge des Miethers zur Sicherung der bedungenen rückständigen Miethsgelder von einem Jahr, nicht aber wegen anderer Forderungen,
das Recht zu, die von dem Miether oder Aftermiether eingebrachten Mobi
lien in Besitz zu nehmen, insoweit dieselben Gegenstände der Hülfsvollstreckung werden können, so weit ihr Werth zur Sicherung des Rück standes erforderlich ist. Diese Befugnisse des Vermieters oder Verpächters können nur dann
ausgeübt werden, wenn der Mieths- oder Pachtvertrag schriftlich beur kundet worden ist." Ein weiteres Retentionsrecht steht dem Vermiether und Verpächter
nicht zu.
Bezüglich
der vom Miether weggebrachten Sachen läßt die
nassauische Prozeßordnung vom 28. September 1859 § 44 die gericht
liche Beschlagnahme zu. Das Retentionsrecht ist nicht davon abhängig,
daß die Sachen im
Eigenthum des Miethers stehen.^) In Bremen besteht das Pfandrecht des Vermiethers
nicht; die
Erbe- und Handfestenordnung vom 30. Juli 1860 bestimmt in § 130
59) Entsch. in Straff. Bd. 11 S. 226 f. 60) Art. 245, 260. er) Bertram, Nassauisches Privatrecht § 382 (S. 131) § 1050 (S. 384).
222 die
allgemeinen, in § 131 die speciellen
gesetzlichen Pfandrechte,
ohne
darunter den Vermiether zu berücksichtigen, und setzt in § 132 fest: „Die
in den obigen Paragraphen nicht speciell namhaft gemachten gesetzlichen Pfandrechte sind aufgehoben; auch haben andere
gesetzliche Pfandrechte,
welche im Auslande entstanden sind, keine Wirkung." Im Concurse gewährt die Handfestenordnung § 154 dem Vermiether ein Absonderungsrecht. Ueber die Abänderung dieses Rechtszustandes durch das Ausführungs
gesetz zur Reichsconcursordnung s. u. S. 230, 234.
§ 7.
Die bisherige Darstellung hat sich mit dem ausschließlich durch das Landesrecht gegebenen Zustande befaßt; wir wenden uns nunmehr zur Betrachtung der Einwirkung, welche die Reichsgesetzgebung
geführt
oder doch veranlaßt hat,
herbei
und zur Darlegung des dadurch be
gründeten Rechtszustandes.
Da ist zunächst die Frage zu erörtern,
ob durch die Pfändungs
verbote des § 715 C.P.O. die von demselben
dem
gesetzlichen Pfandrechte auch
dort
betroffenen Gegenstände
entzogen werden, wo sie nach
dem Landesrecht dem Pfandrecht des Vermiethers unterliegen.
Theorie und Praxis nehmen überwiegend an, daß dem § 715 eine solche Wirkung nicht beizumessen sei;
sie hauptsächlich mit folgenden Erwägungen:
begründen diesen Standpunkt
1. Das Einbringen in die Wohnung beruhe aus freier Handlung,
stehe also der vertragsmäßigen Verpfändung gleich; soweit diese statthaft sei, bestehe daher auch das gesetzliche Pfandrecht.6?) —
Selbst wenn man aber, was ja bestritten ist,62 63) annimmt, daß auf
die Wohlthat des § 715 verzichtet werden dürfe, des gesetzlichen Pfandrechts verkannt.
wird hier das Wesen
Dies Pfandrecht ist völlig un
abhängig vom Denken und Wollen des Schuldners;
es entsteht,
weil
das Gesetz es bestimmt, und zwar auch dann, wenn der Schuldner un
zweifelhaft und ausdrücklich nicht will; da es also ganz gleichgültig ist,
ob der Schuldner thatsächlich den Willen hat, zu verpfänden, so muß es
62) So Reichsgericht Entsch. in Strass. Bd. 3 S. 61, 4 S. 292. Dernburg, Pr. Privatr. § 364 Anm. 10, der übrigens in der 2. Auflage der Pandecten Bd. 1 S. 651 Anm. 7 die Auffassung des Reichsgerichtes für „sehr bedenklich" erklärt.
Foerster-Eccius Bd. 2 S. 207 Anm. 241. Koch Anm. 7. 63) Vgl. Cretschmar, Civil. Archiv Bd. 68 S. 461 ff.
223 auch
gleichgültig
ob zu vermuthen ist,
sein,
daß er diesen Willen
habe.^)
2. Da die zu pfändenden Sachen sich nicht in der Gewahrsam des
Schuldners, sondern des Vermiethers, also des Gläubigers, befinden, so
erfolge die Pfändung nach Maßgabe des § 713 C.P.O., in diesem Falle
finde § 715 keine Anwendung.^) Dem ist entgegenzuhalten einmal, daß die Jllaten sich in der Regel
garnicht in der Gewahrsam des Vermiethers befinden,
doch
oder daß dieser
erst mit Gewalt sich die Gewahrsam verschafft hat,
§ 713 die Bestimmungen des § 712 für
anwendbar erklärt,
ferner daß
daß aber
die Pfändung nach § 712 unter Beobachtung der Bestimmungen in
8 715 zu erfolgen hat, die sonach auch anzuwenden sind, wenn gemäß § 713 Sachen beim Gläubiger oder einem Dritten gepfändet werden.
Auch
wäre durchaus
kein innerer Grund abzusehen,
warum die Ein
schränkungen des § 715 nicht anwendbar sein sollen, wenn die Pfändung nicht beim Schuldner selbst stattfindet; daß der Gerichtsvollzieher nicht so leicht die Unentbehrlichkeit wird feststellen können, hindert doch die Frei
lassung in den Fällen nicht, wo jene thatsächlich feststeht. 66)
3. könnte
man
sich
darauf berufen,
daß die Beschränkung des
8 715 nur auf Pfändungen, die auf Grund eines vollstreckbaren Titels
nach Maßgabe der Civilprozeßordnung stattfinden, anwendbar sei. Dieses Bedenken hat Eck (S. 15ff.) eingehend widerlegt. Er führt
aus,
daß hu 8 715 Pfändung prägnant im Sinne von „Zwangsvoll
streckung" gebraucht sei, daß darunter überhaupt die Beschlagnahme von Vermögensstücken des Schuldners zum Zweck der Befriedigung des Gläu
bigers zu verstehen, die „Pfändung" daher auch an einem bereits dem Pfandrecht des Gläubigers unterworfenen Gegenstand möglich sei; auch
auf eine solche Pfändung ist daher 8 715 anzuwenden. Ferner ist der Verkauf der Jllaten zur Ausübung des gesetzlichen Pfandrechts
ein
Zwangsverkauf und
nicht dem Verkauf eines Faust
pfandes gleichzustellen?7)
Das Pfand- und Retentionsrecht stellen sich, wie das Ober-Appellationsgericht Berlin68) treffend ausführt „als zum Zweck der Vorbereitung und
Sicherung der
gerichtlichen Zwangsvoll-
M) Vgl. die eingehende Darlegung bei Eck a. a. O. namentlich S. 20—22. 65) So Foerster-Eccius Bd. 1 S. 769 Bd. 2 § 136 Anm. 241. 66) Eck S. 16, 17. Fo erst er in Zeitschrift f. Gerichtsvollzieher 1889 Nr. 6 Kes. S. 49. 67) Gorius S. 126. 68) Entscheidung vom 6. Nov. 1871 bei Seuffert Bd. 26 Nr. 111.
224 streckung
können
dar und
gegeben
nur innerhalb der für
daher auch
letztere zulässigen Schranken geübt werden."
Wenn dann von Cretschmar (Civ.-Archiv Bd. 68 S. 468) und
vom Reichsgericht (Entsch. in Civils. Bd. 18 S. 429) positiv oder be
dingt
und Versteigerung der
daß zwar die Pfändung
zugegeben wird,
Competenzstücke
nicht zulässig,
dadurch aber das Zurückbehaltungs
recht nicht berührt sei, so wird die Natur dieses Rechts verkannt.
Das
selbe ist, wie bereits oben (S. 211) bemerkt, kein selbständiges Recht, sondern lediglich ein Ausfluß, eine Consequenz des Pfandrechts.
Wenn
dieses nicht besteht, — und ein Pfandrecht besteht eben nicht, wenn die Wegnahme und der Verkauf seines Objects nicht zulässig ist, — so fällt na
türlich auch seine Folge, das Retentionsrecht, fort.
und Zweckwidrigkeit eines
solchen
nicht
(Ueber die Sinn-
realisirbaren Zurückbehaltungs
rechts vgl. übrigens Eck S. 18, 19). Wenn auch zugeben werden mag, daß der Gesetzgeber bei Formulirung des § 715 C.P.O. nicht gerade an das gesetzliche Pfandrecht des
Vermiethers gedacht,
sondern die Zwangsvollstreckung auf Grund eines
vollstreckbaren Titels
der Civilproceßordnung
im Auge gehabt
hat,
so
hat er doch sicher jenen Fall auch nicht ausschließen wollen,
wie ja die
zur Vollstreckung
für gleich
die Art der
Motive
stehenden Forderung
Der Zweck des § 715 ist doch kein anderer,
gültig erklären.
kein Schuldner
gezwungen werden soll,
daß er dieselbe immer soll benutzen können,
darben,
als daß
seiner unentbehrlichen Habe zu und dieser Zweck
wird ebenso vereitelt, wenn der Gläubiger dieselbe zurückhalt, als wenn sie durch den Gerichtsvollzieher versteigert wird.oo) Da die hier bekämpfte Ansicht auch, wie unten näher auszuführen,
aus Gründen
der Zweckmäßigkeit,
der Humanität zu
für das
der Billigkeit,
der Gerechtigkeit und
so kommen wir zu dem Schluß,
daß
ganze Reichsgebiet durch § 715 C.P.O. das Pfandrecht
des
Vermiethers
an
verwerfen ist,
den
dort
von der Pfändung
ausgeschlossenen Sachen
beseitigt ist.
§ 8. Unmittelbar
reichsgesetzlich
geregelt ist das Recht bei Vermiethers
im Fall des Concurses. Nachdem § 40 C.O. den Faustpfandgläubigern das Äecht abgeson
derter
Befriedigung
verliehen
hat,
bestimmt § 41:
„Der Faustpfand
gläubigern stehen gleich . . . 69) Eck S. 14,15; die angeführte Entscheidung bei Seuffert Bd. 26 Nr. 111. Vgl. auch den Anm. 66 angeführten Aufsatz von Fo erst er.
225 4. Vermiether wegen des laufenden und des für das letzte Jahr
vor der Eröffnung des Verfahrens
sowie wegen
rückständigen Zinses,
anderer Forderungen aus dem Miethsverhältnisse, in Ansehung der ein gebrachten Sachen, sofern die Sachen sich noch auf dem Grundstücke be
finden."
Unmittelbar und ausschließlich hiernach bestimmen sich, da die Reichs-
Concursordnung für den Concurs die allein maßgebende Norm ist,
sobald der Miether in Concurs
Rechte des Vermiethers,
die
gerathen ist,
darüber hinaus aber trifft die Concursordnung keine Bestimmungen.
Wenn es heißt, den Faustpfandgläubigern „stehen gleich", so ist dem
Vermiether nicht ein Faustpfand gegeben,
sondern nur die Wirkung des
Pfandverhältnisses im Concurs bestimmt und festgesetzt, daß der Ver miether im Concurs dieselben Rechte
haben solle,
als wenn ihm an
den Jllaten des Miethers ein Faustpfandrecht zustände. 70) Das Absonderungsrecht steht dem Vermiether zu
brachten Sachen".
an den „einge
Der Begriff derselben ist für die Corcursordnung
kein anderer als sonst
es gilt also das oben,
namentlich für das ge
meine und das preußische Recht Gesagte.70 71) Da von abgesonderter Befriedigung im Concurs nur bezüglich solcher
Gegenstände die Rede sein kann, die zur Concursmasse gehören,
und da
dieselbe „das gesammte einer Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen
des Gemeinschuldners umfaßt, welches ihm zur Zeit der Eröffnung des
Verfahrens
gehört",
(§ 1 C.O.) so folgt schon hieraus, daß unter den
eingebrachten Sachen im Sinne des § 41 solche, nicht verstanden
gehören,
(S.
210),
Sachen
ob
das
ob
dem Vermiether
des Aftermiethers
vollstreckung
gehören,
die dem Miether nicht
sagen auch die Motive dem Miether nicht gehörige So
liege außerhalb des Concursrechts.72)
erstrecke,
die Frage,
sein können. Pfandrecht sich auf
zustehe,
beantwortet. 73)
nicht unterworfenen
so folgt weiter,
Damit ist auch
ein Absonderungsrecht an den Sachen
Da ferner die der Zwangs
Gegenstände nicht zur
Concursmasse
daß dem Vermiether an diesen Sachen,
selbst
70) Sarwey, Concursordnung zu § 41 Anm. 1 Nr. III (S. 301). Entsch. d. Reichsgerichtes bei Seuffert N. F. Bd. 10 Nr. 104. 71) Vgl. Motive zur Concursordnung S. 209. 72) So Eck S. 7 und die dort Angeführten, ferner Endemann, das deutsche Concursverfahren S. 403. Stieglitz, Concursordnung S. 289. A. M. Völderndorff, Concursordnung S. 520. Foerster-Eccius Bd. 2 S. 208. 7a) Endemann S. 405, Entsch. d. R.G- in Civils. Bd. 13 S. 39, ferner Motive zu C.O. S. 210. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. III.
226 wenn ihm nach bürgerlichem Rechte an denselben ein Sicherungsrecht
gewährt wäre,
ein
Absonderungsrecht nicht zusteht.
hier das Recht des Vermiethers dadurch
Indessen erfährt
eine Erweiterung,
daß
nach
§ 1 Abs. 3 C.O. die im § 773 Nr. 5, 8 C.P.O. und die in § 20 des Postgesetzes vom 28. Oktober 1871
bezeichneten Gegenstände und nach
dem Gesetz vom 3. Mai 1886 die Eisenbahnfahrbetriebsmittel zur Concursmasse
gehören.
An diesen,
dem landwirthschaftlichen Betriebsinventar,
der Ausrüstung einer Apotheke und
besteht daher das
dem Inventar einer Posthalterei,
Absonderungsrecht des Vermiethers, wenn er auch
außerhalb des Concurses kein Pfandrecht daran hat.u)
Die „Forderungen aus dem Miethsverhältniß", wegen deren das Absonderungsrecht besteht,
sind
begrifflich dieselben wie außerhalb des
Concurses7^), jedoch sind sie zeitlich und den „laufenden" Zins beschränkt.
Miethzins
auf den Rückstand
eines Jahres
Unter letzterem ist auch hier der
für die ganze Dauer der Miethzeit zu verstehen,
Absonderungsrecht wegen desselben auch,
wenn das
da er Masseschuld ist, geringe
praktische Bedeutung hat.76 74) 75 Sehr bestritten ist die Frage, unter welchen Umständen das Ab sonderungsrecht durch Entfernung der Sachen vom Grundstück verloren
wird.
Zwar daß das bereits erworbene Absonderungsrecht nicht dadurch
erlöschen kann,
daß die Sachen nach der Concurseröffnung
in
einer
Weise aus dem Grundstück entfernt werden, in der ein freiwilliges Auf
nicht gefunden werden kann, sollte füglich nicht be zweifelt werden77), fraglich ist es jedoch, ob das Absonderungsrecht auch entsteht, wenn Sachen in der erwähnten Art vor der Concurseröffnung
geben des Rechts
entfernt, zur Zeit der Concurseröffnung also nicht mehr auf dem Grund
stücke sind. Meines Erachtens muß mit den Motiven (S. 211) und Dernburg (Privatrecht Bd. 1 S. 897, Pandecten § 268 S. 651) gegen Sarwey 74) Vgl. Eck S. 8, der auch den Grund der Ausnahme angiebt, daß nämlich das außerhalb des Concurses bestehende Motiv, den Geschäftsbetrieb des Schuld ners nicht zu vereiteln, im Concurs, wo ein solcher nicht mehr in Frage kommt, nicht mehr wirksam sein kann. Vgl. auch Gorius S. 134. 75) Völderndorff S. 526. 76) Sarwey S. 306. Wilmowski, Concursordnung zu § 41 Anm. 7. Endemann S. 406. A. M. Völderndorff S. 525, der als laufenden Zins den vom letzten Zahlungstage bis zur Concurseröffnung ansieht. Vgl. dagegen Entsch. d. R.G. Bd. 13 S. 256. 77) Motive S. 211, Sarwey S. 316; vgl. jedoch Völderndorff S. 522 und dagegen Wilmowski Anm. 5.
227 (S. 316)
Völderndorff (S. 522)
Stieglitz (©. 288) Endemann
(S. 405) das Reichsgericht (Entsch. i. Civils. Bd. 8 S. 99) angenommen werden,
daß durch eine derartige heimliche oder gewaltsame Beseitigung
der Jllaten dem Vermieter sein Recht ebenso wenig,
als wenn sie vor
der Concurseröffnung geschehen wäre, entzogen werden, und den Concurs-
gläubigern nicht ein Vortheil, auf den sie gar keinen Anspruch haben, zuwachsen könne.
Wie das Pfandrecht des Vermiethers durch eine der
nicht verloren geht,
artige Besitzentziehung
so
kann sie auch das Ab
sonderungsrecht im Concurs nicht aufheben, das ja dem Vermiether nicht durch die Concursordnung als ein selbständiges, positives Recht verliehen
ist, sondern
als Ausfluß und Folge des zwischen dem Vermiether und
Miether thatsächlich
bestehenden und fast überall in Gestalt des Pfand
rechts an den Jllaten auch rechtlich anerkannten Zustandes.
Mit den Worten
„sofern sich die Sachen
auf
Grundstücke
dem
daß eine dem Miether freistehende Ent
befinden", soll nur gesagt sein,
fernung von Sachen (durch Verkauf von Waaren u. dgl.)
oder eine
solche, durch die ein Aufgeben des Rechts des Vermiethers zum Ausdruck kommt, das Absonderungsrecht ausschließt.
Dieser Sinn und diese Absicht des Gesetzgebers ist in dem Wortlaut des Gesetzes nicht klar zum Ausdruck gekommen, derselbe widerspricht
ihnen aber nicht, das Gesetz ist daher in diesem Sinne auszulegen.
§ 9.
Erfolgt außerhalb des Concurses im Wege der Zwangsvollstreckung die Pfändung der Jllaten für einen dritten Gläubiger, so kann nach § 710 C.P.O. der Vermiether der Pfändung und Versteigerung nicht widersprechen, sondern muß seinen Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlöse im Wege der Klage geltend machen.
Ueber das
Rangverhältniß
zwischen
dem
Vermiether
und
dem
pfändenden Gläubiger bestimmt nun § 709 C.P.O.: Das Pfändungs
pfandrecht „geht Pfand- und Vorzugsrechten vor, welche für den Fall des Concurses den Faustpfandrechten nicht gleich gestellt sind." Eine posi
tive Lösung
erhält dadurch
die Frage nach dem Vorrang nicht; das
Gesetz bestimmt nur, daß der Pfändungspfandgläubiger demjenigen, der
ein Absonderungsrecht im Concurs geht;
über
das
Verhältniß
des
gemäß § 41 C.O.
nicht hat,
vor
zu
dem
Absonderungsberechtigten
Pfändungspfandgläubiger bestimmt es nichts; dasselbe regelt sich also
nach dem bürgerlichen Recht, bezw. unterliegt der Regelung durch das15*
228 Aus dem positiven Inhalt des § 709 C.P.O. folgt nur, daß
selbe, in)
Pfändungspfandrecht
das
dem
Pfandrecht des
Vermiethers
jedenfalls
so weit vorgeht, als das letztere nicht durch § 41 C.O. dem Faustpfandrecht
gleichgestellt ist;
wo also z. B. dem Miether gegenüber das Pfandrecht
des Vermiethers
wegen
besteht,
doch
muß
es
jähriger Rückstände
rückständiger Miethzinsforderungen im Verhältniß
zurücktreten;
zu Dritten
unbeschränkt
wegen mehr als ein
wo das Pfandrecht auch an nicht dem
Miether gehörigen Gegenständen und an solchen des Aftermiethers gegeben
ist,
kann der Vermiether doch auf den Erlös derselben dem Pfändungs
pfandgläubiger gegenüber keinen Anspruch machen.^) Andererseits ist durch § 709 C.P.O. dem Vermiether, wo ihm nach
dem
bürgerlichen Recht
Concurses
dem
kein Vorzug gebührt,
pfändenden Gläubiger
ein solcher außerhalb des
gegenüber
auch
in soweit nicht
gegeben, als jener im Concurs absonderungsberechtigt ist.80 78)81 7982
Wo nun aber particularrechtlich ein Pfandrecht des Vermiethers an
den Jllaten
muß
besteht,
Pfändungspfandrecht
dasselbe als mit der Jllation entstanden dem
gegenüber
als das ältere angesehen werden,
dem
selben daher vorgehen.8')
Die Pfändung kann die Sache nur mit den an ihr bereits bestehenden Lasten ergreifen.8?)
§ 10. Das Verhältniß anderen Gläubigern
der nach § 41 C.O. Absonderungsberechtigten zu außerhalb
des Concursverfahrens
ist durch
ine Reihe von Ausführungsgesetzen zur C.O. in den Einzelstaaten positive
geregelt. Das preußische Ausführungsgesetz zur Coneursordnung vom 6. März
1879
bestimmt
in
§ 7:
Coneursordnung finden hältniß der
durch
diese
„Die
Vorschriften
des
§ 41
der Deutschen
außerhalb des Concursverfahrens auf das Ver
Vorschriften
den
Faustpfandgläubigern gleich
gestellten Gläubiger zu anderen Gläubigern des Schuldners entsprechende
Anwendung." 78) Seuffert N. F. Bd. 7 Nr. 81. v. Cuny, im Archiv f. d. Civil- und Criminalrecht der Kgl. preußischen Rheinprovinzen Bd. 70 S. 30. 79) Foerster-Eccius Bd. 2 S. 209. 80) So z. B. für Württemberg. Gaupp, Zwangsvollstreckung zu § 709 C.P.O. (S. 227). 81) Endemann, Coneursverfahren S. 403. Mandry, Civilr. Inhalt der Reichsgesetze S. 345. Seuffert N. F. Bd. 6 Nr. 25. 82) Wilmowski-Levy, Civilprozeßordnung zu § 709 Anm. 26.
229 ergiebt sich zunächst,
Daraus
preußischen Staates, kein
oder
ein
denen
in
daß auch in denjenigen Gebieten des
der Vermiether dem Miether gegenüber
beschränkteres Pfandrecht hat,
(Hannover,
gegenüber vorzugsweise Befriedigung
anderen Gläubigern
Nassau),
er
beanspruchen
kann. § 41 C.O. gewährt das Absonderungsrecht an den Sachen, die sich
zur Zeit der Concurseröffnung noch auf dem Grundstücke befinden.
Da
außerhalb des Concurses von einer „Eröffnung" desselben nicht die Rede
sein kann, so fragt sich, wann in „entsprechender" Anwendung des § 41
die Sachen
auf dem Grundstücke noch vorhanden sein müssen,
um das
Vorrecht des Vermiethers gegen den pfändenden Gläubiger zu begründen.
Der entscheidende Augenblick kann nur der der Pfändung sein; wie beim Concurs die Concurseröffnung der Zeitpunkt ist, durch den die Concurrenz
und Collision der Gläubiger herbeigeführt, bezw. die gesetzliche Regelung der
collidirenden Interessen nothwendig
wird,
so
ist dieser Augenblick
außerhalb des Concurses die Pfändung.83) Es ergiebt sich daher,
auf
dem Grundstücke
daß die Jllaten sich zur Zeit der Pfändung
befinden müssen;
wenn sie vorher von demselben
entfernt worden und daher nicht auf dem Grundstücke gepfändet sind, so
kann der Vermiether dem pfändenden Gläubiger gegenüber keinen Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung geltend machen.
Welchen Einfluß bringung
eine
vorherige
S. 226, 227 zu entscheiden.
nehmen,
heimliche
oder
gewaltsame Weg
der Sachen hat, ist hier nach denselben Grundsätzen wie oben daß,
Nach der herrschenden Ansicht muß man an
wenn der Miether seine Mobilien gewaltsam fortgeschafft
hat, und nun ein anderer Gläubiger dieselben pfändet, oder wenn gar die Wegschleppung
Gläubigers
verloren
im
Einverständniß
erfolgt
hat.8^)
ist,
Ich
und
der Vermiether
meine,
auf
Anstiften
sein Vorrecht
des
pfändenden
diesem gegenüber
daß hier so wenig wie im Concurse eine
derartige Beiseiteschaffung der Jllaten das Recht des Vermiethers beein trächtigen kann und darf.
Aus dem Erlöse der gepfändeten Sachen kann der Vermiether vor
zugsweise Befriedigung bezw. Sicherung verlangen in demselben Umfange
83) Cuny a. a. O. S. 29. Seuffert N. F. Bd. 6 Nr. 251, Bd. 10 Nr. 186, Wilmowski Anm. 7. Foerster-Eecius Bd. 2 S. 233 und Andere; a. M., mit unhaltbarer Begründung, Cr et sch mar, Civilistisches Archiv Bd. 64 S. 313 ff.; dagegen Seuffert Bd. 10 Nr. 186. Foerster-Eccius Bd. 2 S. 209 Anm. 251. Niendorf, Miethsrecht S. 247.
230 und
wegen derselben Forderungen,
wegen deren ihm im Concurs das
Absonderungsrecht gebührt, namentlich
also
auch wegen der noch nicht
fälligen Miethsforderungen bis zum Ende der Miethzeit^) (§ 710 C.P.O.).
§ n.
Das durch § 7 des Ausführungsgesetzes für Preußen zwischen dem Vermiether und anderen Gläubigern des Miethers außerhalb des Concurses begründete Rechtsverhältniß ist nun
auch durch die Ausführungsgesetze
der meisten deutschen Staaten zur Geltung gebracht worden. Unmittelbar ist das Preußische Gesetz eingeführt in Waldeck durch
Art. 1 des Ausführungsgesetzes
zur Concursordnung vom 1. Septem
ber 1879.
§ 6 der Verordnungen vom 26. Mai 1879 für beide Mecklenburg,
§ 6 des Anhaltischen Gesetzes vom 10. Mai 1879, § 4 des SachsenAltenburgischen Gesetzes vom 26. März 1879, § 4 des Coburgischen Gesetzes vom 7. April 1879,
§ 4 des
Meiningenschen Gesetzes vom
20. Juni 1879, § 18 Abs. 2 Ges. vom 15. Mai 1879 für Reuß ä. L.,
§ 5 Ges. v. 22. Februar 1879 für Reuß j. L., § 22 Ges. v. 26. April 1879 für Schwarzburg-Rudolstadt, § 3 Ges. v. 20. Mai 1879 für Schwarzburg-Sondershausen, § 7 Ges. v. 26. Juni 1879 für Lippe-
Detmold,
§ 95 Ges. v. 30. Juni 1879 für Schaumburg-Lippe lauten
fast wörtlich übereinstimmend: „Die Bestimmungen des § 41 C.O. finden außerhalb des Concursauf das Verhältniß der durch diese Vorschriften den Faust pfandgläubigern gleichgestellten Gläubiger zu anderen Gläubigern des
verfahrens
Schuldners entsprechende Anwendung." Für das rechtsrheinische Bayern kommt in Betracht Art. 140 des
Ausführungsgesetzes vom 23. Februar 1879: „Die in §41 Ziffer 2—7 der Concursordnung aufgeführten Gläubiger können in Ansehung der dort bezeichneten Ansprüche aus den dort bezeichneten Sachen vorzugsweise
Befriedigung vor den Gläubigern verlangen,
welche nach Begründung
des Vorzugsrechts durch Pfändung ein Pfandrecht -erlangt haben." Für Bremen ordnet § 45 Ges. vom 25. Juni 1879 an: „Wenn außerhalb des
Concursverfahrens mehrere Gläubiger zusammentreffen,
welche aus den nämlichen beweglichen Gegenständen ihre Befriedigung suchen, so gelten folgende Bestimmungen: a) . . . . b) Faustpfand gläubiger und die ihnen in § 41 C.O. gleichgestellten Gläubiger haben 85) Entsch. d. R.G. in Civils. Bd. 13 S. 255.
231 in
der
Ansehung
haftenden Gegenstände
ihnen
Vorzugsrecht vor
ein
c) Bei einem Zusammentreffen mehrerer der unter
anderen Gläubigern,
b) gedachten Gläubiger in Ansehung des nämlichen Gegenstandes hat das
früher entstandene Recht den Vorzug vor dem später entstandenen, insoweit nicht die Rangordnung anderweitig gesetzlich geregelt ist.
d) Der unter
Ziffer 2 und 4 in § 41 C.O. erwähnte laufende und rückständige Zins
bestimmt sich,
ein Concursverfahren
wenn
nicht stattfindet,
nach dem
Zeitpunkt der Pfändung." an diese Gesetze ist noch anzuführen ein selbständiges
Im Anschluß
(kein
für Hamburg
Ausführungs-)Gesetz
vom
April 1882.
14.
§ 1
desselben lautet: „Dem Vermiether steht wegen des bis zum nächsten Um
zugstermin
und
laufenden
Miethverhältniß
Ansehung noch
des
für das letzte Jahr vor der Pfändung
sowie wegen
rückständigen Miethzinses
der eingebrachten Sachen,
auf dem
anderer Forderungen
aus
dem
gegenüber dem pfändenden Gläubiger des Miethers in Grundstück befinden,
welche sich zur Zeit der Pfändung
das
Recht
auf
vorzugsweise Be
friedigung aus dem Erlöse zu.
Dieses Vorzugsrecht fällt indessen fort,
wenn, der Vermiether nicht
bis zur Auskehrung des Erlöses der gepfändeten Sachen an den pfändenden Gläubiger Klage
gegen
denselben in Gemäßheit des § 710 C.P.O. er
hoben hat. Soweit die Forderung
des
nicht fällig
Vermiethers
ist,
ist der
Erlös nicht an den Vermietber auszukehren, sondern zu hinterlegen." § 12.
Weitergehende Bedeutung, insofern sie nicht nur das Verhältniß des Vermiethers zu anderen Gläubigern des Miethers, sondern auch zu dem letzteren selbst ergreifen, haben folgende Gesetze:
die
Pfalz
das
Februar
1879,
Art.
Für
23.
erwähnte
198,
Bayrische
welches
Ausführungsgesetz
den Art. 2102
vom
des Pfälzer
Civilgesetzbuchs aufhebt, ferner Art. 199: „Ein Vorzugsrecht an bestimmten beweglichen Sachen
in
den
im Sinne des pfälzischen Civilgesetzbuchs haben die
§ 40—41 C.O.
bezeichneten
Gegenstände.
Vermiether nach
aufgeführten Forderungen Art.
200:
bezüglich der dabei
Insoweit dem
Verpächter und
dem pfälzischen Civilgesetz ein unmittelbares Klagerecht
gegen den Afterpächter und Aftermiether wegen der in § 41 Ziff. 2 und
4 der Coneursordnung Vorzugsrecht
derselben
bezeichneten Ansprüche auch
auf die
zustehl,
erstreckt sich das
in § 41 Ziffer 2 und 4 daselbst
bezeichneten Gegenstände des Afterpächters und Aftermiethers.
232 Eigenthumsansprüche Dritter
miethete Grundstück
an den auf das verpachtete oder ver-
eingebrachten Sachen können dem Vorzugsrecht des
Verpächters oder Vermiethers nicht entgegengesetzt werden, ausgenommen in dem Fall des Art. 2279 Abs. 2 des pfälzischen Civilgesetzbuchs oder
wenn nachgewiesen werden kann, daß der Verpächter und Vermiether von dem Eigenthumsrecht des Dritten
bringung
an
jenen Sachen
zur Zeit der Ein
auf das Grundstück Kenntniß hatte,
derselben
oder wenn die
Sachen bei dem Miether oder Pächter im Fall eines Nothstandes hinter
legt
oder
in ihrem Gewerbebetrieb vorübergehend anvertraut
denselben
worden sind.
Der Verpächter und Vermiether bewahren ihr Vorzugsrecht an den
ohne
dem Grundstück verbrachten Sachen jedem
von
ihre Einwilligung
britten Besitzer gegenüber, vorausgesetzt, daß der Verpächter in 40 Tagen, der
Vermiether in
zwei
Wochen
das
Recht
auf Rückgabe
gerichtlich
geltend gemacht hat." In Baden hebt § 20 des Einführungsgesetzes zu den Reichsjustizgesetzen
vom 3. März 1879 die Bestimmung des L.R. S. 2102 auf; § 21 lautet:
„An
die
Stelle des
L.R.
S. 2102
tritt
folgende Bestimmung:
2102: Besondere Vorzugsrechte auf bestimmte Fahrnißstücke genießen die in
den
§§ 40 und 41 C.O.
aufgeführten Forderungen
bezüglich
der
dabei bezeichneten Gegenstände.
Die Fahrniß des Beständers, welche zur Einrichtung seines Bestand hauses
oder Pachthofes
gehört,
Bewilligung weggeschafft wurde, darauf sein Vorrecht,
kann der Eigenthümer,
wenn sie ohne
in Beschlag nehmen lassen,
wenn er sie,
und behält
und zwar die Fahrniß eines Pacht
gutes innerhalb 40 Tagen, und die Fahrniß eines Miethshauses innerhalb
14 Tagen an sich zieht."
Für Rheinhessen
ist
durch Art. 100
des Hessischen Ausführungs
gesetzes vom 4. Juni 1879 Art. 2102 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf gehoben
und im Art. 102 bestimmt:
Sachen
beweglichen
Deutschen
haben
Concursordnung
die
in
„Ein Vorzugsrecht an bestimmten
den
§§ 40 und 41
bezeichneten Forderungen
Nr. 1—8 der
in Ansehung
der
bei einer jeden derselben angegebenen Gegenstände.
Verpächter und Vermiether bewahren ihr Vorzugsrecht an den ohne ihre Einwilligung
vorausgesetzt,
verbrachten Sachen jedem
dritten Besitzer gegenüber,
daß der Verpächter in 40 Tagen, der Vermiether in zwei
Wochen das Recht auf Rückgabe gerichtlich geltend gemacht hat.
Diese Vorzugsrechte gehen dem späteren durch Pfändung erworbenen
Pfandrechte vor."
233 Für Elsaß-Lothringen endlich ordnet § 20 Gesetz vom 8. Juli 1879 an: „Ein Vorzugsrecht an bestimmten beweglichen Sachen im Sinne des
Code
civil
den
steht
für die
Gläubigern
in
den §§ 40, 41
Forderungen
und
Nr. 1—8 C.O. bezeichneten
an den Gegenständen
zu,
auf
welche sich im Falle des Concurses ihr Absonderungsrecht erstreckt.
Die Vorzugsrechte der in den §§ 40, 41 Nr. 1—8 C.O. bezeich neten Gläubiger gehen den
späteren durch Pfändung erlangten Pfand
rechten vor."
§ 22:
Sachen,
„Der Verpächter und Vermiether
können die eingebrachten
ohne ihre Einwilligung von
dem Grundstück verbracht
welche
Dieses Recht erlischt, wenn
sind, von dem dritten Besitzer zurückfordern.
es von dem Verpächter nicht innerhalb der nächsten 40 Tage,
Vermiether
von dem
nicht innerhalb der nächsten 14 Tage nach der Verbringung
gerichtlich geltend gemacht wird." diese Gesetze ist das Privileg des Rheinischen (französischen)
Durch
Rechtes im Wesentlichen aufrecht erhalten.86) In den hessischen Provinzen Starkenburg und Oberhessen gilt Art. 42 des Hessischen Gesetzes vom 4. Juli 1879, welcher mit dem angeführten
Art. 102 Abs. 1 und 3 wörtlich übereinstimmt. Bezüglich der letzterwähnten Kategorie von Gesetzen ist noch Folgendes zu bemerken: Das Absonderungsrecht im Coneurse schließt auch verschiedene außer
halb des Concurses unpfändbare Gegenstände ein (Apotheken- und Land
bauinventar,
Posthalterei- und Eisenbahnbetriebsmaterial).
Wenn
nun
das Vorzugsrecht außerhalb des Concurses nach Maßgabe des § 41 dem
Vermiether sich
auch
gegen
den Miether zustehen soll,
auf diese Sachen
erstreckt.
Da
so würde folgen,
dieselben
daß es
aber nach § 715
C.P.O. von der Pfändung und damit nach den obigen Darlegungen auch
von
dem Pfandrecht des Vermiethers ausgeschlossen sind, und da diese
Beschränkung eine reichsgesetzliche ist, so ist die entgegenstehende Anordnung
der Landesgesetze wirkungslos.8 ?)
Im Verhältniß zu dritten pfändenden
Gläubigern kann dieser Zweifel nicht entstehen,
da
ja an den unpfänd
baren Sachen ein Pfändungspfandrecht nicht begründet werden kann.
Zu erwähnen bleibt ferner noch § 44 des Bremischen Ausführungs gesetzes:
88) Scherer S. 204 ff. Gorius S. 131. Cretschmar, Civil. Archiv Bd. 64 S. 311. Cuny st. st. Q. S. 16. 87) Gorius S. 131.
234 „Das
§ 41
in
erstreckt sich gebrachten
Ziffer 4 C.O. dem Vermiether eingeräumte Recht
auf die dem Ehegatten des Miethers gehörigen ein
auch
noch
sofern die Sachen sich
Sachen,
auf dem
Grundstück
befinden, und das Mieth'local von dem Ehegatten mit bewohnt worden
ist.
indeß
kann
Derselbe
gegen Zahlung der Miethschuld Cession der
Miethforderung begehren; auch ist der Vermiether zunächst aus den durch
den Zwangsverkauf der eignen Sachen des Miethers gelösten Geldern zu
befriedigen, und sind die nach der Befriedigung desselben übrig bleibenden Gelder,
sofern
gelöst
sind,
sofern
der
aus
dieselben
dem
letzteren
Miether
nicht
dem Verkauf der Sachen des Ehegatten
zu
übergeben.
im
Concursverfahren
Diese Bestimmungen
ist,
finden,
entsprechende An
wendung."
Nach der Concursordnung hat der Vermiether an den Sachen des
Ehegatten
kein Absonderungsrecht;
des Miethers
ein solches kann ihm
der § 44 ist somit
durch die Landesgesetzgebung nicht beigelegt werden; für das Concursverfahren wirkungslos.
Endlich
noch anzuführen die Mecklenburgische Zusatzverordnung
ist
vom 2. Februar 1884:
„§ 3 a.
des
Ein gesetzliches Pfandrecht haben ...
2) Vermietherwegen
und des rückständigen Miethzinses,
sowie wegen anderer
laufenden
Forderungen aus dem Miethverhältnisse in Ansehung der in das Grund
stück
eingebrachten,
dem
Miether
oder
einem
Aftermiether
gehörigen
Sachen, in Ansehung der eingebrachten Sachen eines Aftermiethers jedoch nur insoweit, als dem Aftervermiether eine Forderung aus dem Aftermiethverhältnisse gegen den Aftermiether zusteht.
§ 3b. geführten
haben die in § 3a auf
Kraft des gesetzlichen Pfandrechts
das
Gläubiger
Recht,
die
dem
Pfandrecht
unterworfenen
Gegenstände zurückzubehalten. Jedoch
dürfen
sie der Entfernung solcher Gegenstände nicht wider
sprechen, welche der Miether oder Pächter im gewohnten Betriebe seines
oder nach Maßgabe der gewohnten Lebensverhältnisse zu ver
Geschäfts
äußern bestimmt wird. § 3 c.
Das gesetzliche Pfandrecht des Verpächters oder Vermiethers
erlischt an den demselben unterstellten Gegenständen, 1. wenn sie von dem verpachteten oder vermietheten Grundstück mit Zustimmung des Pfandgläubigers entfernt sind,
2. wenn
Betriebe
sie
von
dem
seines Geschäfts
Pächter
oder
Miether
oder nach Maßgabe
der
im
regelmäßigen
gewohnten Lebens-
235 Verhältnisse von dem verpachteten oder vermietheten Grundstücke entfernt
sind." § 13.
Fassen wir die bisherige Darstellung kurz zusammen, so ergiebt sich
als der im Deutschen Reich bestehende Rechtszustand folgender: I. Für das Verhältniß des Vermiethers zum Miether: Das gesetzliche
Pfand- bezw. Vorzugsrecht bestimmt sich nach Maßgabe der Landesgesetze, also gemäß den Vorschriften des Römischen Rechts,
des Code civil,
rechts,
des
Preußischen Land
des Sächsischen B.G.B., des Braunschweigischen
Gesetzes vom 8. März 1878, des Bayerischen, Bremischen Ausführungsgesetzes zur
Elsässischen,
Hessischen, Badischen, Concursordnung, der
Mecklenburgischen Verordnung vom 2. Februar 1884. Keinen besonderen
Schutz genießt der Vermiether in der preußischen Provinz Hannover und ein bloßes Retentionsrecht in Bayern;
in Württemberg; Reich
aber,
Befugnisse
auch
wo
gewähren,
für das ganze
die Landesgesetze dem Vermiether weitergehende
sind
von dem Pfandrecht ausgeschlossen die nach
§ 715 C.P.O. der Pfändung nicht unterworfenen Gegenstände.
II.
Geräth der Miether in Concurs, so hat im ganzen Reichsgebiet
der Vermiether ein Absonderungsrecht nach § 41 Ziffer 4 C.O.
III.
Sind
gepfändet,
und
die Jllaten des Miethers von einem dritten Gläubiger
so geht dieses Pfändungsrecht wegen derjenigen Forderungen
an den Gegenständen,
Concurses
für die der Vermiether nicht im Fall des
ein Absonderungsrecht hat,
für das ganze Reich dem Recht
des Vermiethers vor, auch wenn dasselbe nach Landesrecht einen weiteren
Umfang hat. Soweit im Concurs ein Absonderungsrecht besteht, geht in Preußen, beiden Mecklenburg,
Anhalt,
Altenburg,
Coburg,
Meiningen,
beiden
Reuß, beiden Schwarzburg, beiden Lippe, dem rechtsrheinischen Bayern, Bremen der Vermiether dem pfändenden Gläubiger vor, auch wenn ihm das Landesrecht (wie in der Provinz Hannover)
recht
nicht
gewährt.
Wesentlich
ein gesetzliches Pfand
dasselbe Ergebniß folgt für Hamburg
aus dem Gesetz vom 14. April 1882. Wo sonst dem Vermiether kein Pfandrecht zusteht, muß er auch dem
pfändenden Gläubiger weichen. Wo aber der Vermiether ein Pfand- und Vorzugsrecht hat, geht er, soweit sich im Concurs das Absonderungsrecht erstreckt,
Gläubiger vor,
dem pfändenden
selbst wenn das nicht in den Ausführungsbestimmungen
zur Concursordnung ausdrücklich angeordnet ist.
236 § 14. einen Blick auf die Gesetzgebung ver
Werfen wir schließlich noch
wandter ausländischer Nationen, Oesterreich
Oesterreichs und der Schweiz.
Für
kommt in Betracht § 1101 B.G.B., welcher lautet: „Zur
Sicherstellung
des Mieth- und
Pachtzinses hat der Vermiether
einer
Wohnung das Pfandrecht auf die eingebrachten, dem Miether und After miether eigenthümlichen oder von einem Dritten ihnen anvertrauten Ein richtungsstücke und Fahrniß, welche zur Zeit der Klage darin befindlich
sind.
Der Aftermiether aber haftet nach Maß seines Miethszinses, doch
ohne die Einwendung einer dem Hauptmiether vorgeschossenen Voraus zahlung entgegensetzen zu können." Das Schweizerische Obligationenrecht ordnet im Art. 294 an: Der
Vermiether einer unbeweglichen Sache hat für den Miethszins des ver flossenen und des laufenden Jahres ein Retentionsrecht an den beweg
lichen Sachen,
welche sich in den vermietheten Räumen befinden und zu
deren Einrichtung und Benutzung
Sinne des
Art. 227
oder gestohlenen,
sowie
gehören.
Vorbehalten
die Eigenthumsansprüche Dritter
bleiben
im
an verlorenen
an solchen Sachen, von denen der Vermiether
wußte oder wissen mußte,
daß sie nicht dem Miether gehören.
Weiter
sind ausgenommen diejenigen Sachen, welche nach den Schuldbeitreibungs
oder Concursgesetzen von der Execution ausgeschlossen sind. In Folge seines Retentionsrechts kann der Vermiether, Miether wegziehen oder die in den
wenn der
gemietheten Räumen befindlichen
Sachen fortschaffen will, so viel Sachen mit Hülse der zuständigen Amts
stelle zurückhalten, als zu seiner Deckung erforderlich sind. Art. 295. Das Retentionsrecht des Vermiethers erstreckt sich auch auf die von dem Untermiether eingebrachten Gegenstände, soweit diesem gegenüber das Recht des Untervermiethers reicht.
Zweiter Abschnitt. Das künftige Recht.
§ 15. Der Entwurf des B.G.B.
regelt das Pfandrecht des Vermiethers
im § 521, welcher lautet: „Der Vermiether eines Grundstücks hat wegen seiner Forderungen
aus dem Miethsvertrage ein gesetzliches Pfandrecht
an den eingebrachten Sachen des Miethers. Das Pfandrecht besteht nicht in Ansehung derjenigen Sachen, welche der Pfändung nicht unterworfen sind.
Es erlischt mit der Entfernung der Sachen von dem Grundstücke,
237 es sei denn, daß die Ent-
auf welches das Mietsverhältniß sich bezieht,
ferming heimlich oder gegen den Widerspruch des Vermiethers erfolgt ist.
Der Vermiether kann der Entfernung derjenigen Sachen nicht wider zu deren Entfernung der Miether im regelmäßigen Betriebe
sprechen,
seines Geschäftes
oder dadurch
veranlaßt wird, daß die gewöhnlichen
Lebensverhältnisse die Entfernung mit sich
bringen.
Er ist berechtigt,
auch ohne Anrufung des Gerichts die Entfernung aller anderen seinem
Pfandrecht unterliegenden Sachen zu hindern und, wenn der Miether das Grundstück räumt, dieselben in seine Jnhabung zu nehmen. Der Vermiether ist berechtigt, von dem Miether die Zurückschaffung
der heimlich
oder gegen seinen Widerspruch entfernten Sachen,
Entfernung er zu widersprechen befugt war, und nach
deren
bereits erfolgter
Räumung des Grundstücks die Ueberlassung oder Jnhabung derselben zu fordern. Die Ausübung des gesetzlichen Pfandrechts des Vermiethers kann durch Sicherheitsleistung für die Forderung und in Ansehung jeder ein zelnen,
diesem Rechte unterliegenden Sache durch Sicherheitsleistung bis
zur Höhe des Werthes der Sache abgewendet werden.
Die Sicherheits
leistung durch Bürgen ist ausgeschlossen. Wird eine dem Pfandrechte des Vermiethers unterliegende Sache
so kann diesem gegenüber das Pfandrecht wegen desjenigen Miethszinses nicht geltend gemacht werden,
für einen anderen Gläubiger gepfändet,
welcher auf
eine frühere Zeit als das letzte Jahr vor der Pfändung
entfällt." Dazu kommt nach Art. 13 des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum B.G.B. § 41 der Coneurs-Ordnung in folgender Fassung: Den Faustpfandgläubigern im Sinne des § 40 stehen gleich . . .
2. Diejenigen, welchen an gewissen Gegenständen ein gesetzliches oder ein durch Pfändung erlangtes Pfandrecht zusteht. Das nach Maßgabe des § 521 des bürgerlichen Gesetzbuches bestehende Pfandrecht kann
wegen desjenigen Miethszinses werden,
oder Pachtzinses
nicht geltend gemacht
welcher auf eine frühere Zeit als das letzte Jahr vor der Er
öffnung des Verfahrens entfällt. Zur Erläuterung des
Entwurfes kann
auf die Motive (Bd. 2
S. 402—410) verwiesen werden; hervorzuheben ist Folgendes: Der Entwurf gewährt ein gesetzliches
Pfandrecht;
also
kein
bloßes Zurückbehaltungs- oder Vorzugsrecht; dasselbe beruht lediglich auf dem Gesetz, der vermuthliche Wille der Parteien kommt also nicht in Betracht.
238 Das Recht besteht an den eingebrachten Sachen des Miethers; Dritten (auch Astermiethern) gehörige Sachen unterliegen ihm also nicht,
auch nicht, wenn der Miether zu deren vertragsmäßiger Verpfändung be fugt war oder wenn der Vermiether sie für eigene Sachen des Miethers gehalten hat und halten durfte. Der Begriff der „Forderungen aus dem Miethsvertrage" und der „eingebrachten Sachen" ist im Gesetz nicht besinnt; es ist der durch die
Wissenschaft namentlich für das gemeine Recht und das Preußische Land recht festgestellte und auch für die Auslegung der Concursordnung an
gewendete. Durch die neue Fassung des § 41 der C.O. wird auch der Zweifel darüber ausgeschlossen, ob das Absonderungsrecht an vor der Concurs-
eröffnung heimlich weggeschafften Sachen besteht; der Entwurf giebt das Recht denjenigen, denen ein gesetzliches Pfandrecht zusteht,
und da nach
§ 521 das Pfandrecht an den heimlich oder gegen Widerspruch entfern ten Sachen fortbesteht,
so ist in Ansehung derselben auch das Absonde
rungsrecht gegeben. Weitere Erörterungen des Entwurfs werden sich besser an die fol genden Auseinandersetzungen anschließen.
Wir wenden uns nunmehr zur Beantwortung der Frage unseres Themas,
ob das Pfandrecht des Vermiethers aufrecht zu erhalten,
be
ziehungsweise wie es zu gestalten ist.
§ 16. Von vornherein wird die Annahme gestattet sein, daß wenn ein Rechts
satz
bei den beiden großen rechtbildenden Völkern,
Stobbe, Deutsches Privatrecht Bd. 3 S. 262,
liche Pfand- und Zurückbehaltungsrecht § 1,
im deutschen (vgl.
Bunsen, das gesetz
Paulsen, Schleswig-Hol
steinisches Privatrecht S. 175) und im römischen Recht zur Anwendung
gelangt und
ist,
nunmehr seit vielen Jahrhunderten in Geltung geblieben
er einem dringenden Verkehrsbedürfniß
entsprungen ist und zur
Befriedigung desselben dient; daß das Pfandrecht besteht kraft einer Rechtsregel, welche dasselbe, wie Savigny sich ausdrückt (System Band 3 S. 254), Und so
ist es
„als natürlich,
in der That.
billig und
zweckmäßig voraussetzt".
Das Wohnungsbedürfniß ist neben dem
Nahrungs- und Kleidungsbedürfniß dasjenige,
dessen Bestiedigung zum
Leben am dringendsten nothwendig ist, und dessen Befriedigung, da die wenigsten Wohnungsbedürftigen Grundstückseigenthümer sind, nur dadurch
bewirkt werden kann, daß die Hauseigenthümer ihre Häuser Andern zum
239 Bewohnen überlassen, daß sie dieselben vermiethen.
nügendem Umfange für den
fahr
entschließen, treten.
vermiethen,
zu
es
wird Wohnungsnoth
ein
erwähnte Gefahr ist nun aber beim Wohnungsvermiethen
große,
da
seiner Natur
dasselbe
Creditgeschäft
weitaussehendes Kleidung
zu erleiden,
andernfalls wird sich keine genügend große Anzahl
Wohnungen
Die
besonders
eine
daß die Ge
bei der Vermiethung Schaden
Vermiether,
möglichst gering ist;
Damit dies in ge
muß dafür gesorgt werden,
geschieht,
Beim
ist.
nach nothwendig ein
Erwerb
Nahrung und
von
es sich im einzelnen Fall regelmäßig um verhältniß-
handelt
mäßig geringe Summen, die meist baar bezahlt werden, bei denen jeden
falls der Verkäufer, wenn er nicht genügend gesichert zu sein glaubt, Credit
ablehnen
gewährung häufig
auf
zinses
erfolgt
kann.
Wohnungen
dagegen werden auf längere,
lange Zeiträume gemiethet,
sehr
die Zahlung des Mieths-
der Miether ist sicher,
periodisch,
daß ihm die Wohnung
während der Vertragsdauer gewährt werden kann, da ja die einmal vor
handene Wohnung,
von besonderen Zufällen abgesehen,
bestehen bleibt,
eine entsprechende Sicherheit für den Vermiether aber ist nicht vorhanden, und
wenn der Miether zur Zeit des Vertragsschlusses in hohem
selbst,
Grade creditwürdig sein sollte, so besteht gar keine Gewißheit, daß er es
auch
einer vielleicht vieljährigen Vertragsdauer bleiben werde.
während
Dazu kommt, daß der Vermiether eine unverhältnißmäßig höhere Leistung gewissermaßen
vorschießen
muß,
als
ihm vom
Denn es geht im Allgemeinen nicht an,
wird.
Miether
gegengeleistet
daß der Vermiether nur
das Verfügungsrecht über die Wohnung erwirbt, die er vermiethet, son dern
um die Wohnung
also
ein
zu
vermiethen,
großes Capital einsetzen.
muß er das Haus besitzen,
Wenn er nicht die verhältnißmäßige
Gewißheit einer sicheren Verzinsung desselben hat,
sich sein,
überhaupt
zu
wenigstens
so wird er,
falls er
einer solchen Capitalaufwendung entschließt,
bestrebt
die Zeit,
während
welcher die Gefahr des Capitals
verlustes besteht, dadurch möglichst abzukürzen, daß er nicht nur auf gute Verzinsung,
sondern auch auf baldige Amortisation des in dem Grund
stück steckenden Capitals bedacht ist, mit anderen Worten, der Miethszins
wird
ein
höherer werden.
Daß aber unverhältnißmäßig hohe Miethen
eine große sociale Gefahr sind,
haben zur Folge,
bedarf keiner längeren Ausführung;
daß die große Zahl der Wohnungsuchenden,
sie
die nur
eine beschränkte Summe zur Bestreitung des Wohnungsbedürfnisses auf wenden
können,
Räume
bewohnt,
welche den Anforderungen,
die im
Interesse der Behaglichkeit, der Sittlichkeit und der Gesundheit zu stellen
sind,
nicht
entsprechen.
So entsteht Mangel entweder an Wohnungen
240 überhaupt oder an Wohnungen,
wie sie für das allgemeine Wohl er
forderlich sind; es wird herbeigeführt einer der größten socialen Schäden
namentlich unserer Zeit,
die Wohnungsnoth.
Um wenigstens
eine der
muß dafür gesorgt werden, daß der Wohnungsvermiether gegen Verluste durch Ausfallen der Miethszahlungen
Ursachen derselben zu beseitigen,
möglichst geschützt werde; und
wenn das Wohnungsvermiethen kein sicheres
gewinnverheißendes Geschäft, wenn es ein gewagtes Unternehmen
ist, so tritt leicht der Fall ein, daß zu wenige oder doch zu theuere Woh
nungen angeboten werden.88)89 Dazu kommt auf der anderen Seite,
miethe so
besonders
leicht ist,
den
daß es bei der Wohuungs-
Vermiether zu sichern,
ohne den
Miether in irgend erheblicherem Umfang zu belästigen oder zu schädigen.
einem Geschäft möglich ist,
Wenn es bei
dem einen Contrahenten eine
Sicherung, einen Vortheil zu verschaffen ohne Beeinträchtigung des Gegen-
contrahenten, so wäre es thöricht,
das nicht zu thun, selbst wenn keine
besonderen Gründe noch außerdem für die Gewährung solcher Sicherung sprächen. Und so ist die Sachlage bei der Miethe. Wenn der Ver käufer von Nahrung oder Kleidung,
wendigkeit des
gewährten
schäfte zu nennen,
um diese in Bezug auf die Noth
Gegenstandes
am nächsten verwandten Ge
zur Sicherung der Zahlung ein Pfand verlangt, so
kann ihm ein solches nur so gewährt werden, daß sich der Verkäufer des Besitzes und der Benutzung desselben entäußert und somit ein großes, ein oft unerschwingliches Opfer bringt. Dem Vermiether dagegen kann eine solche Sicherung zu Theil werden, ohne daß der Miether im Besitz
und der Benutzung der verpfändeten Gegenstände irgend erheblich gestört und beeinträchtigt wird. „Das Pfandrecht des Vermiethers," sagt Dernburg,80) „scheint unmittelbar aus der Natur der Sache hervorgewachsen. Wie nahe liegt es, Miethszinses
daß sich
der Vermiether wegen des rückständigen
an die Vermögensstücke des Schuldners
hält, die er
in
seiner Wohnung vorfindet, und deren Wegbringen er durch Verschließung
seines Hauses hindern kann? Wie unzweckmäßig wäre es, ihn zu nöthigen,
den wortbrüchigen Miether ziehen zu lassen, um hernach mit großer Beschwerde und Weitläufigkeit auf anderem Wege Zahlung * zu er zwingen?" Zu diesen positiven Gründen für die Beibehaltung des Pfandrechts
an den Jllaten kommt hinzu das Fehlen eines Grundes für seine Be88) Trüdinger, die Arbeiterwohnungsfrage und die Bestrebungen zur Lösung derselben. Jena 1888 S. 172. 89) Pfandrecht Bd. 1 S. 294.
241 seitigung.
Ein Institut, das, man
kann fast sagen,
von Anfang an
bestanden hat, das wenn es nicht aus dem Rechtsbewußtsein des Volkes heraus-, dann jedenfalls in dasselbe hineingewachsen ist, muß im Zweifel,
d. h. wenn
keine erheblichen Gründe für seine Aufhebung vorliegen,
unbedingt aufrecht erhalten werden.
Und solche Gründe können schwerlich
beigebracht roetben.90) Ist somit die Vorfrage im bejahenden Sinne zu entscheiden, so ist es die Aufgabe der Gesetzgebung, das Institut so zu
möglichst ausgiebige Sicherung
gestalten,
daß
des Vermiethers bei möglichst geringer
Beeinträchtigung des Miethers und dritter Personen erreicht wird.
§ 17. Zu diesem Zweck empfiehlt es sich
zunächst, das Recht des Ver
miethers als ein Pfandrecht, nicht als bloßes Zurückbehaltungsrecht oder Vorzugsrecht zu
gestalten.
Denn das Verfügungsrecht des Miethers
über die Jllaten ist in allen Fällen in gleichem Umfange beschränkt, nur
gelangt der Vermiether beim Pfandrecht schneller und einfacher zur Be
friedigung wegen seiner Forderung, als wenn er sich das Pfandrecht erst
durch Pfändung im Wege der Zwangsvollstreckung verschaffen muß. er durch das Pfandrecht
gegenüber dritten Gläubigem
wird, als durch das einfache Retentionsrecht,
Daß
besser gestellt
ist durch die vorstehenden
Erwägungen genügend begründet.
§ 18. Das Pfandrecht ist zu gewähren dem Vermiether, nicht dem, der unentgeltlich ein Grundstück zur Benutzung überlassen hat, wegen der ihm, auch abgesehen vom Miethszins, etwa zustehenden Ansprüche. Denn nur im Fall der Miethe entsteht das dargelegte öffentliche Interesse; die vereinzelten
Fälle
der unentgeltlichen Ueberlassung
von
Grundstücken
dienen nicht der Befriedigung eines Verkehrsbedürfnisses; wer eine Libe ralität vornehmen will,
hat es im einzelnen Falle in der Hand,
wie
weit er dieselbe erstrecken, und wie er sich gegen Schaden sichern will; wird dadurch, daß ihm genügende Sicherheit nicht geleistet werden kann, das Zustandekommen der Freigebigkeit im einzelnen Fall verhindert, so 90) Mir ist denn auch, soweit ich die Literatur übersehe, keine Stimme be kannt geworden, die sich für Beseitigung des Pfandrechts ausspricht; auch die eifrigsten Bekämpfer desselben (Flesch, Miquel) wenden sich nicht gegen das Recht selbst, sondern gegen seinen Umfang und verlangen nicht Abschaffung, sondern Be
schränkung. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. III.
242 kann das ein Schade für den,
dem die Zuwendung entgeht,
nicht für
weitere Kreise sein. Nur dem Vermiether eines Grundstücks darf das Pfandrecht zu
stehen. Es kommt zuweilen vor, daß auch bewegliche Sachen, z. B. Wagen (ausrangirte Eisenbahnwagen, die Wagen umherziehender Künstler
truppen u. dgl.), und Schiffe zu Wohnungen benutzt werden, sehr selten aber, daß derartige Gelasse nicht Eigenthum ihrer Bewohner, sondern von
denselben gemiethet sind.
Wenn es sich in solchen Fällen wirklich ein
mal um ein dauerndes Bewohnen des betreffenden Raumes handelt,
so
ist ein Vermiethen solcher Behausungen doch immer nur etwas Vereinzeltes, keine dauernde Verkehrseinrichtung, so daß der Grund für die besondere gesetzliche Sicherung des Vermiethers
Fällen das „Gebäude" meist
fortfällt.
Auch
wird
in solchen
ausschließlich vom Miether bewohnt sein,
also das besitzähnliche Verhältniß,
in dem sonst der Vermiether zu den
Jllaten des Miethers steht, und das einen wesentlichen Grund für unser
Rechtsinstitut bildet, S. 298).
nicht bestehen (f. Dernburg,
Pfandrecht Bd. I
Uebrigens dürste in dem häufigsten Fall des Vermiethens
beweglicher Sachen,
in dem vorübergehenden Bewohnen von Schiffs
räumen während längerer Seereisen, der Vermiether in seiner Eigenschaft in seiner Eigenschaft als Ver
als Schiffsführer als conductor operis,
miether aber als Gastwirth anzusehen und die betreffenden Bestimmungen (§ 628 des Entwurfs) anzuwenden sein.
§ 19. Hinsichtlich der Forderungen aus dem Miethsverhältniß, für die das
Pfand haftet, halte ich dem Entwurf gegenüber eine Einschränkung für geboten.
Allerdings ist mit den Motiven anzuerkennen, daß der Zweck
der Sicherung des Vermiethers fast völlig vereitelt werden würde, wenn die Haftung sich nicht
auch
auf den
künftigen Miethszins erstrecken
sollte; namentlich würde das der Fall sein gegenüber einer Pfändung zu
Gunsten eines anderen Gläubigers, durch welche dann dem Vermiether
seine Sicherheit leicht vollständig entzogen werden könnte.
Dagegen hat
es, wie auch die Motive (S. 407) nicht verkennen, für den Miether sehr
schwere Uebelstände zur Folge, wenn das Pfandrecht für alle bis zum Ablauf der Miethszeit
erwachsenden Forderungen besteht,
und noch er
heblichere Bedenken ergeben sich für dritte Gläubiger des Miethers.
Die
selben werden in allen den Fällen, wo der Betrag sämmtlicher bis zum
Ende der Vertragszeit fällig werdender Miethsrathen höher ist als der Werth der Jllaten, durch Pfändung keine Befriedigung erlangen können.
243 Ich glaube nun, daß sich sehr wohl ein Mittelweg finden läßt, der die Mißstände nach beiden Seiten hin, wenn auch nicht ausschließt, so doch
Einen solchen würde ich darin sehen, daß man
erheblich herabmindert.
die Haftung für den künftigen Miethszins, falls der Vertrag nicht mehr
ein Jahr läuft, auf die Zeit bis zu seinem Ablauf, andernfalls auf das laufende Kalendervierteljahr und ein darauf folgendes Jahr beschränkt, wie es
ähnlich in Art. 294 des schweizerischen Obligationenrechts ge
schehen ist.
Die Sicherheit, die dadurch dem Miether gegenüber gewährt wird, dürfte vollständig ausreichend
sein,
sie ist es jedenfalls,
solange die
Miethe pünktlich bezahlt wird; es ist immer noch Deckung auf ein Jahr
im Voraus vorhanden;
ebenso,
wenn die für einen Zinstermin unter
bliebene Zahlung bis zum nächsten Termin nachgeholt wird. letzteres
aber nicht,
und
Geschieht
wird auch die nächste Rate nicht gezahlt, so
gewährt auch der Entwurf (§ 528 B G B.) dem Vermiether ein Recht zum sofortigen Rücktritt.
Macht er davon Gebrauch, so kann er aus den
Jllaten, nachdem er sich wegen des Rückstandes befriedigt hat, noch für zwei Quartale Deckung entnehmen und würde Schaden erst dann erleiden,
wenn er die Wohnung nach 3/4 Jahren nicht wieder vermiethet hätte.
Eine Beeinträchtigung würde der Vermiether allerdings erfahren,
wenn
die nur den Betrag einer Jahresmiethe deckenden Jllaten schon vor dem Eintritt des Rücktrittsrechts
unter diese Höhe dadurch gebracht wären,
daß der Vermiether sich wegen vorher fällig
gewordener Forderungen
aus ihnen gedeckt hätte, etwa für Ansprüche auf Grund von Deteriora-
tUrnen, oder weil der Miether ein oder mehrere Male mit der Miethe geblieben, für den darauf folgenden aber Zahlung geleistet und so den Eintritt des Rücktrittsrechts verhindert
für einen Termin im Rückstände
hätte. Solche Fälle werden aber doch recht selten eintreten, und unter den wenigen derartigen Fällen wird wieder nur eine verschwindende Zahl sein, in denen erlaubter Weise eine Fortschaffung von Jllaten statt gefunden hat, welche hätte verhindert werden können, wenn das Pfand
recht wegen aller künftig fällig werdenden Miethszieler bestände, in denen
also der Schaden in der befürworteten Einschränkung des Pfandrechts seinen Grund hätte.
Diese vereinzelten Fälle können aber nicht für eine es dürfen nicht alle Miether in der
allgemeine Norm bestimmend sein,
Verfügung über ihre Habe in unzulässigem Maße darum eingeschränkt werden, weil einmal ein Fall eintreten kann, in dem sonst der Vermiether
eine Einbuße erleiden könnte. Man wird auch nicht einwenden dürfen,
daß eine weitergehende
16*
244 des Vermiethers eintreten wird,
Schädigung
des § 528 Abs. 2 keinen Gebrauch macht;
wenn er von dem Rechte
denn wenn er
ein ihm zu
stehendes Recht nicht benutzt, so thut er es auf seine Gefahr, der Miether
und dessen andere Gläubiger dürfen darunter nicht leiden;
da heißt es
volenti non fit injuria. daher dem Miether
muß
Es
die
von
Entfernung
Sachen gestattet sein, sofern noch so viele zurückbleiben, fälligen Forderungen aus
den
eingebrachten daß sie außer
den Miethszins des
dem Miethsvertrag
laufenden Viertel- und des folgenden ganzen Jahres decken.
Dritten
pfändenden Gläubigern gegenüber hat diese Einschränkung
des Pfandrechts zur Folge, daß sie, von Rückständen abgesehen, Befrie
digung aus dem Theil des Versteigerungserlöses erlangen, der den Be trag der Miethe von vier bezw.
fünf Vierteljahren übersteigt. Sachen
in der Wohnung,
zugsrecht,
bei Hinterherzahlung der Miethe, von
Bleiben
noch genug
nach der Pfändung
so hat der Vermiether überhaupt kein Vor
bleibt nur ein Theil der haftenden Jllaten zurück,
das Vorzugsrecht
an dem Theil des Erlöses,
so hat er
der zu dem Werth
der
zurückbleibenden Jllaten hinzukommen muß, um ihm für ein Jahr Sicher
heit zu gewähren. Daß das Pfandrecht dem Miether gegenüber wegen aller rückstän
digen Forderungen besteht, ist wohl selbstverständlich; einem dritten Gläu biger gegenüber dürfte es sich dagegen empfehlen, das Vorrecht auf den
Miethszins des letzten halben Jahres einzuschränken.
Der Vermiether
hat, wenn der Rückstand zwei aufeinander folgende Termine betrifft, das Recht des Rücktritts;
selbst wenn
aufeinander folgenden Termine
aber der Verzug
eingetreten ist,
wegen zweier nicht
so würde
eine Mieths-
rate, die bei Annahme eines halben Jahres kein Vorrecht mehr genießt, seit mindestens drei Vierteljahren geschuldet sein; so
lange Zeit
darf
verstreichen läßt,
ein Dritter
darunter
wenn der Vermiether
ohne seine Forderung
beizutreiben, so
Ebenso wird es mit anderen
nicht leiden.
rückständigen Forderungen als für Miethszins zu halten sein,
wobei es
sich gewöhnlich um Schadensersatzansprüche wegen Deteriorationen handeln
wird.
Wenn dieselben
seit mindestens
einem halben Jahr,
in dem sie
gerichtlich geltend gemacht werden konnten, nicht erhoben sind, — Schäden, die die Miethswohnung selbst betreffen
und sich auf diese beschränken,
werden (§ 520 des Entwurfs) in der Regel trages
erst bei Ablauf des Ver
zum Austrag kommen — so wird man annehmen können, daß
der Vermiether
auf den Ersatz verzichtet;
jedenfalls darf er ihn einem
Dritten gegenüber nicht mehr zur Geltung bringen.
245 8 20.
Ob
„Forderungen aus dem Mietsverträge", wegen auch zukünftige Forderungen anderer
unter den
deren das Pfandrecht besteht,
als wegen Miethszinses verstanden werden sollen,
Art,
ist aus dem
Text und den Motiven nicht klar ersichtlich. Es wird sich dabei im Wesentlichen um Ansprüche auf Schadensersatz, namentlich wegen De-
teriorationen handeln.
sicher,
ob
stimmbar,
sie
entstheu
Bezüglich werden,
welche Höhe sie
es ganz un
solcher Forderungen ist und
völlig
unbestimmt
und
unbe
Der Entwurf (§ 1145,
erreichen werden.
Motive Bd. 3 S. 798) erklärt ein Faustpfandrecht für derartige Forde rungen für zulässig.oi) des Vermiethers
Dritten gegenüber. unbegrenzt,
Die Anwendung auf das gesetzliche Pfandrecht
erscheint höchst bedenklich,
sowohl dem Miether als
Die Höhe des Anspruchs des Vermiethers ist völlig
Beschädigungen des Miethsgegenstandes können in jedem
Augenblick und in einem Umfange eintreten, der nicht nur die gemietheten Räume, sondern das ganze Grundstück ergreift.
Wenn also die Jllaten
so würde der Ver-
für den sonach möglichen Schaden haften sollen,
miether der Fortschaffung jedes Stückes aus der Wohnung, sofern nicht
der Fall des Abs. 2 Satz 1 vorliegt, widersprechen können, selbst wenn die zurückbleibenden Sachen den vielfachen Werth der bis zum Ablauf
des Vertrages
noch geschuldeten Miethe haben.
dieser Folge durch die im
Auch die Abwendung
Absatz 4 vorgesehene Sicherheitsleistung ist
bei der Unbestimmbarkeit der zu versichernden Forderung nicht möglich.
Dritte pfändende Gläubiger würden niemals
vor Ablauf der Mieths-
zeit Befriedigung erlangen können, denn so hoch der
Versteigerung sein mag,
auch der Erlös aus
die Möglichkeit, daß
die während
der
Miethszeit noch entstehenden Forderungen höher sind, ist niemals aus geschlossen. Man braucht sich diese Consequenzen wohl nur vorzustellen, um überzeugt zu sein, daß sie unmöglich gezogen werden dürfen.
Daß das
Pfandrecht auch wegen dieser Forderungen durch die Jllation entsteht, und daß, wenn derartige Forderungen bereits vorhanden sind, wegen derselben aus den Jllaten Befriedigung gesucht werden kann, unterliegt
keinem Bedenken, dagegen darf es nicht zulässig sein,
wegen derartiger,
künftig möglicher Forderungen der Entfernung von Sachen und der Be-
91) Vgl. über die Frage Dernburg, Pfandr. Bd. 1 § 69. in Civils. Bd. 14 Nr. 61.
Entsch. d. R.G.
246 friedigung anderer Gläubiger aus dem
Erlös
gepfändeter Sachen zu
widersprechen.
In dieser Beziehung ist die vom Entwurf gewährte Freiheit zur Wegbringung von Sachen im regelmäßigen Geschäftsbetriebe Anlaß der gewöhnlichen Lebensverhältnisse nicht ausreichend.
oder aus Ob die
Gewährung eines Geschenkes außerhalb des Rahmens der üblichen Ge legenheitsgeschenke, die zeitweilige Ueberlassung eines Kunstwerkes an eine Ausstellung,
die Wegnahme von Möbeln, weil ein Familienmitglied,
ohne die Wohnung dauernd aufzugeben,
aus irgend
einem Anlaß an
einem anderen Ort Wohnung nimmt, als durch die gewöhnlichen Lebens veranlaßt anzusehen ist, kann sehr zweifelhaft sein. Aber selbst wenn die Wohn- oder Geschäftsräume aus irgend welchen
verhältnisse
Gründen der Nothwendigkeit, Nützlichkeit oder Annehmlichkeit nicht mehr oder nicht mehr ausschließlich bewohnt werden, und neben denselben oder
statt ihrer andere Räume benutzt werden sollen, und damit nicht bis zum
Ablauf der Miethszeit
gewartet werden soll,
wäre es
eine unbillige
Härte, die Wegnahme von Sachen aus den alten zum Zweck der Aus
stattung der neuen Räume zu verhindern wegen möglicher künftig ent
stehender Schadensersatzforderungen. Ebenso würde nach dem Grundsatz „pignoris causa est Individua“
(§ 1190 des Entwurfs), auch wenn die Jllaten nur für eine Jahres miethe haften, für diese jedes Stück haftbar, und daher dessen Wegnahme
unzulässig sein, wenn das Gesetz nicht ausdrücklich andere Bestimmungen
trifft.
Es empfiehlt sich daher, eine Aenderung aufzunehmen, daß der Vermiether der Entfernung nicht widersprechen darf, wenn so viel Sachen zurückbleiben, als zur Deckung der bereits entstandenen Forderungen und der Miethe für ein Jahr hinreichen. Indessen wäre es unbillig, dem Vermiether die Beweislast dafür, daß keine hinreichende Deckung vor handen ist, aufzubürden.
Vielmehr wird der Miether, der ja weiß, was
er besitzt, den positiven Beweis zu führen haben. Auf Grund der vorstehenden Ausführungen würde also Absatz 1 Satz 1 des § 521 lauten müssen:
„Der Vermiether eines Grundstückes
hat wegen seiner Forderungen aus dem Mietsverträge, bezüglich des Miethszinses jedoch nur wegen desjenigen für das laufende Vierteljahr und das auf dasselbe folgende Jahr,
ein gesetzliches Pfandrecht an den
eingebrachten Sachen." In Absatz 2 wäre hinter dem ersten Satz hinzuzufügen: „oder durch deren Entfernung der Werth der auf dem Grundstück verbleibenden, dem
247 Pfandrecht
Sachen
unterworfenen
erweislich
unter
nicht
den
Betrag
der in Absatz 1 Satz 1 bezeichneten Forderungen herabgemindert wird." Absatz 5 hätte zu lauten:
„Wird
dem Pfandrecht des Ver
eine
miethers unterliegende Sache für einen anderen Gläubiger gepfändet, so kann
diesem gegenüber das Pfandrecht wegen desjenigen Miethszinses,
welcher auf eine frühere Zeit als das letzte halbe Jahr vor der Pfän dung entfällt, und wegen derjenigen rückständigen Forderungen aus dem
Miethsverhältniß nicht geltend gemacht werden, welche, obgleich sie inner halb
vor der Pfändung
letzten halben Jahres
des
gerichtlich
geltend
gemacht werden konnten, nicht gerichtlich geltend gemacht sind.
die Ausübung
Daß abgewendet
werden
des Pfandrechts durch Sicherheitsleistung muß
können,
ist
selbstverständlich,
da
ja
dadurch
eine
Schädigung des Vermiethers ausgeschlossen wird; auch wäre es unbillig, Sicherheitsleistung bestellt wird.
gewährt, Rückstände
oder
nur
Wird
zuzulassen,
wenn
sie
für die ganze Forderung
die Sicherheit nur für einen Theil der Forderung
erhöht sich der Anspruch dadurch,
entstanden sind,
daß Forderungen für
über das Maß der bestellten Sicherheit,
so
kann die Ausübung des Pfandrechts nur entsprechend der Höhe der vor
handenen Sicherheit abgewendet werden, das heißt nur so weit, daß der
Werth der verbleibenden Sachen und die Höhe der Sicherheit zusammen die ganze Forderung decken. Ich
glaube,
daß
dieser Sinn
schon
mit dem Wortlaut des Ent
wurfs „für die Forderung" zu verbinden ist, doch empfiehlt es sich wohl, um jeden Zweifel auszuschließen, zu sagen „für die Forderung oder einen Theil derselben".
Den Vermiether zur Annahme einer anderen als einer Realsicherheit
zu zwingen, wäre unbillig; dagegen Sicherheitsleistung
durch Bürgen nicht
ist nicht einzusehen,
soll
warum eine
erfolgen dürfen,
wenn der
Vermiether sie sich gefallen läßt. Der letzte Satz des Abs. 4 wird daher
so zu fassen sein: „Die Sicherheitsleistung durch Bürgen braucht der Ver
miether nicht anzunehmen." Durch die vorstehend vorgeschlagenen Abschwächungen und Milderungen
des Pfandrechts werden wohl auch die Bedenken von Gierke (Schmollens
Jahrbuch XIII. Band S. 232, 233) beseitigt sein;
vorkommen
können,
daß,
es wird dann nicht
wer ein Geschäftsloeal für hohen Miethszins
auf 10 Jahre vermiethet hat, vielleicht die ganze Habe des Miethers fest zulegen oder nach Belieben dem einen Gläubiger den Zugriff zu gestatten und den anderen daran zu verhindern vermag.
248 § 21. Daß der Entwurf das Pfandrecht an dem Miether nicht gehörigen Sachen nicht entstehen läßt, ist, mit einer unten zu besprechenden Ein
schränkung,
unbedingt zu
billigen.
Würden
auch fremde Sachen ein
bezogen, so würden deren Eigenthümer, obgleich sie dem Vermiether gar nichts schulden und in gar keinem Rechtsverhältniß zu demselben stehen, unter Umständen genöthigt, die Schulden des Miethers zu zahlen; jeder,
der den Besitz seiner Sachen aus irgend einem Grunde einem Anderen überläßt, würde dadurch gezwungen, unter Umständen ohne sein Wissen und Willen eine Art selbstschuldnerischer Bürgschaft für dessen Mieths-
schulden zu übernehmen. Fremde Hausgenossen, Hausofficianten, Gesinde, würden in die Lage kommen können, daß
aus ihrem Vermögen die
Miethsschuld ihrer Dienstherrschaft gezahlt werden müßte.
Das ginge
weit über das Maß des Schutzes und der Sicherung hinaus,
der Vermiether billiger Weife Anspruch
hat.
auf das
Es würde ferner Jeder
Bedenken tragen müssen, Sachen einem Andern zu leihen, zu verpfänden, zur Ansicht zu überlassen u. dgl., da er ja annehmen muß, Sachen,
sofern sie nicht etwa
daß diese
einem Hauseigenthümer in dessen Haus
gegeben sind, mit einem Pfandrecht werden belastet werden.
Es würde
ferner Niemand, der seine Sachen weggiebt, sicher sein können, wann er dieselben, auch wenn es zu einem Pfandverkauf nicht kommt, zurückerhalten
wird, da ja der Vermiether, wenn einmal sein Pfandrecht entstanden ist, die Entfernung des Gegenstandes nicht zu dulden braucht, wenn sie nicht „die gewöhnlichen Lebensverhältnisse" mit sich bringen; ob dieser Fall
vorliegt, wird
oft sehr zweifelhaft sein.
Endlich würde,
da Niemand
das Recht hat, fremde Sachen zu verpfänden, da die Verpfändung fremder Sachen jedenfalls eine Aneignungshandlung ist, da die Herbeiführung
der Voraussetzungen eines gesetzlichen Pfandrechts strafrechtlich jedenfalls Jeder sich einer Anklage der eine ihm nicht gehörige Sache in
der vertragsmäßigen Verpfändung gleichsteht,
wegen Unterschlagung
aussetzen,
gemiethete Räume einbringt, sofern sie nicht der Vermiether ausdrücklich
vom Pfandrecht ausschließt. Für die Ausdehnung des Pfandrechts
auf fremde Sachen kann
auch nicht der Grundsatz „Hand muß Hand wahren" (Art. 306 H.G.B.
§ 1152 des
Entwurfs)
geltend
gemacht werden.
Denn die
analoge
Anwendung dieses für Rechtsgeschäfte geltenden Satzes auf das gesetzliche
Pfandrecht ist unzulässig; hier gehört eben das Eigenthum des Miethers
zu den Voraussetzungen, unter denen überhaupt das Pfandrecht entsteht. Auch trifft die ratio legis hier nicht zu; vertragsmäßig verpfänden kann
249 man nur die eigne Sache; wer eine Sache verpfändet, giebt sich dadurch stillschweigend als deren Eigenthümer aus; der Gläubiger darf und muß
ihn
dafür halten, und die Sicherheit des Verkehrs erfordert,
seinem
in
Wohnung
werden
eingebracht,
aber
daß er in
erworbenen Recht geschützt werde.
gutem Glauben
nicht
nur eigene,
In eine
sondern auch fremde Sachen
das Einbringen erklärt man die Sachen nicht für die
durch
eignen, und der Vermiether ist keineswegs
zu dem Glauben berechtigt,
daß jedes eingebrachte Stück dem Miether gehöre und von demselben ihm
verpfändet sei.
Trotz
dieser Bedenken wird der Ausdehnung des Pfandrechts
aller
auf fremde Sachen, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, von Cohn (Gutachten aus dem Anwaltstande Heft II S. 159 ff.) und von Boyens
(ebenda Heft IX S. 724 ff.) das Wort geredet. Cohn
spricht
sich
dafür
aus,
das Pfandrecht auf die
prinzipiell
fremden Sachen zu erstrecken und davon außer den gestohlenen und ver
lorenen
nur diejenigen
Eingehung
denen
„von
auszunehmen,
Miethsvertrages
des
weiß,
sie
daß
der Vermiether bei
nicht
Eigenthum
des
Boyens geht zwar von dem Grundsatz aus, daß das
Miethers sind". Pfandrecht
an den
Pfandrecht
auf
fremden Sachen
nicht
besteht,
doch soll
sich
das
nicht verlorenen und gestohlenen Sachen Dritter
solche
erstrecken, welche zur Einrichtung der gemietheten Wohnung dienen, wenn
der
Miether dieselben
bei
der Einbringung
dem Vermiether
als
seinigen ausgiebt, und dieser das Recht der Dritten nicht kannte,
die
diese
Unkenntniß auch nicht auf grober Fahrlässigkeit beruhte.
Die Ausdehnung
des Pfandrechts wird wesentlich damit begründet,
daß der Vermiether die Wohnung vermiethe in der Annahme, durch die eingebrachten Sachen
wegen
seiner Forderungen ausreichend gesichert zu
sein, daß aber dies Vertrauen getäuscht werde, und leicht eine Schädigung
könne,
des Vermiethers
eintreten
nicht Eigenthum
des Miethers
seien.
kann
Indessen
von
wenn
und
die Jllaten zum großen Theil
daher
einer Täuschung
von dem Pfandrecht befreit und Schädigung des Ver
miethers nur dann die Rede sein, wenn derselbe einen Anspruch darauf hat,
daß
der Miether zur Sicherung
ausreichende Sachen
besitzt und
einbringt.
Ein solcher Anspruch besteht aber nicht;
leider kann kein Gesetz die
Miether zwingen, Eigenthümer eines genügenden Mobiliars zu sein, und
kein Vermiether kann wenig
den
besitzt,
eigenen
dagegen
geschützt werden,
auch wenig einbringt. auch
geliehene Sachen
Dadurch, einbringt,
daß der Miether,
der
daß der Miether außer ist der Vermiether also
250 nicht schlechter gestellt,
inferirt würde.
eigene Habe des Miethers
als wenn nur die
Wenn der Vermiether nur an Jemand vermiethen will,
der eigene Sachen in ausreichendem Maße besitzt, so muß er vor Abschluß des Vertrages sich
Eigenthum seien,
bei dem Miether erkundigen,
ihn nicht befriedigt.
welche Sachen sein
den Vertrag nicht eingehen,
und
Gegen unrichtige
Angaben
wenn die Auskunft schützt
ihn
§ 263
Str.G.B.
Denn wenn der Vermiether dadurch,
Miether als seine eigenen bezeichnet sind,
bestimmt -ist und zu Schaden kommt,
daß
fremde Sachen vom
zum Abschluß des Vertrages
so liegt unzweifelhaft ein Betrug
vor; aber selbst wenn der Vermiether einen Ausfall an der Miethe nicht erleidet, ist die Handlungsweise des Miethers eine betrügerische.
Denn
die Erlangung einer Wohnung, auf die man keinen Anspruch hatte, und die man sonst nicht erlangt haben würde,
ist ein rechtswidriger Ver
mögensvortheil, und wenn man statt einer pfandrechtlich gesicherten Forderung eine unsichere und ungesicherte erhält, so ist darin allein wohl schon eine Vermögensbeschädigung zu finden, Geldverlust nicht eintritt.
auch wenn ein wirklicher
Die Vermögenslage eines Menschen ist unter
sonst gleichen Umständen eine bessere, wenn er eine gesicherte, als wenn er eine ungesicherte Forderung hat,
wenn also
der Verlust der Sicherheit allein ist,
auch die Forderung bestehen bleibt,
einen Anderen bestimmt,
ein Vermögensverlust.
Wer
eine nicht gesicherte Forderung statt einer
gesicherten, die er sonst erlangt hätte, zu erwerben, schädigt ihn.
Trotz
ja immer Fälle vorkommen, in denen Miether fremde Sachen als ihre eigenen bezeichnen und dadurch dem Vermiether Schaden
dem werden
zufügen, aber der Gefahr, betrogen zu werden, ist eben Jeder ausgesetzt.
Andererseits würde § 246 Str.G.B. verhindern, daß der Vorschlag von Boyens irgend erhebliche praktische Bedeutung gewinne. Denn wenn dadurch, daß der Miether eine fremde Sache für die feinige ausgiebt,
so würde zwar in dieser in der Einbringung der fremden Sache aber,
der Vermiether das Pfandrecht erlangt,
Erklärung
kein Betrug,
durch die ein Pfandrecht an derselben entsteht, eine Unterschlagung liegen.
Dadurch würden die Miether
wohl in fast
allen Fällen abgehalten
werden, fremde Sachen für ihre eigenen auszugeben, und es würde das
Pfandrecht nur in wenigen oder,
wie vom Gesichtspunkt der Sittlichkeit
zu wünschen wäre, in gar keinem Fall zur Entstehung kommen.
falls ist es doch moralisch höchst bedenklich, Wirksamkeit größer oder geringer wird
schlagungen, die begangen werden.
ein Gesetz zu geben,
je nach
Jeden
dessen
der Zahl der Unter
251 Wenn man schließlich etwa noch einwenden wollte,
durch die Aus
des Pfandrechts werde die Sicherheit des Vermiethers erhöht,
dehnung
darum sei dieselbe nach den obigen Ausführungen (§ 16) zu empfehlen, so
zu
ist
erwidern, daß ja
allerdings die Sicherung des Vermiethers
aber nicht
wegen seiner Forderung nothwendig und wünschenswerth ist,
jede Sicherung, sondern nur eine solche, welche innerlich begründet und mit keiner unverhältnißmäßigen Störung und Schädigung des Verkehrs
verbunden ist,
lebens
und
diese Voraussetzungen
hier
würden
nicht
zutreffen. Wenn ein Pfandrecht an den fremden Sachen nicht entsteht,
es
auch ohne Einfluß,
stattet ist.
handelt sich hier um ein gesetzliches Pfandrecht, das
Es
wenn seine Voraussetzungen,
nur entstehen kann,
des Miethers,
so ist
daß dem Miether etwa die Verpfändung ge
hier also Eigenthum
vorhanden sind; wollte aber der Miether die Sache dem
Vermiether vertragsmäßig verpfänden,
müßte er ihm nach § 1147
so
des Entwurfs die Jnhabung einräumen,
könnte sie also nicht in seiner
Wohnung behalten.
§ 22. In einer Beziehung halte ich es indessen für nothwendig,
das ge
setzliche Pfandrecht auch auf nicht dem Miether gehörige Sachen auszu dehnen,
Kinder
wenn
handelt.
es
sich
nämlich um die Sachen seiner Frau und seiner
Zunächst halte ich hier ein Bedürfniß für vorliegend,
denn die eingebrachten Sachen werden oftmals, wenn sich auch gar keine
geliehenen oder gemietheten darunter befinden, nur zum Theil Eigenthum des Miethers, zum großen Theil solches der Familienmitglieder, nament
lich
der Ehefrau sein;
genommen werden,
nicht
wenn diese Sachen von dem Pfandrecht aus
so würde der Zweck desselben in sehr vielen Fällen
erreicht werden.
Die Bedenken,
die
gegen das
fremden Sachen sonst bestehen, fallen hier fast alle fort.
Pfandrecht
an
Eine Störung
und Schädigung des Verkehrs tritt nicht ein, da es sich nicht um Sachen handelt, die der Eigenthümer aus dem Gewahrsam gegeben, dem Miether
überlassen
hat und
deren Unterwerfung unter ein fremdes Pfandrecht
ohne sein Wissen und
gegen seinen Willen
erfolgt.
Hier
bleiben die
Sachen in der Jnhabung ihrer Eigenthümer, diese wissen, daß der Ver miether ein Pfandrecht an denselben hat.
Ferner ist die Entstehung des
Pfandrechts auch innerlich begründet, da ja die Eigenthümer der Sachen
Mitbewohner der Wohnung sind,
nöthigenfalls für die Kosten
es daher nicht unbillig ist,
wenn sie
derselben in Anspruch genommen werden.
252 Allerdings tritt dann der Fall ein, und dieses Bedenken ist für die Mo
tive das
ausschlaggebende,
daß im Widerspruch
mit den allgemeinen
Grundsätzen die Ehefrau und die Kinder in gewissem Umfange mit ihrem Vermögen für die Schulden des Ehemannes und Vaters einstehen oder
aus eigenen Mitteln ein Bedürfniß befriedigen, das dem Mann und Vater zur Last fällt. Indessen kommt es zur Beschlagnahme der Jllaten regelmäßig erst dann,
wenn der Miether zur Zahlung der Miethe nicht
Wenn in diesem Falle die nächsten Angehörigen für das
im Stande ist.
Familienhaupt einstehen, und wenn die sittliche Pflicht, die ihnen das gebietet,
auch
zu einer rechtlichen gestaltet wird,
so finde ich diesen
„Widerspruch mit den allgemeinen Grundsätzen" durchaus gerechtfertigt. Die Nothwendigkeit, das Pfandrecht gesetzlich zu constituiren, in
Ansehung des Frauengutes nicht,
§ 1282 des Entwurfs beseitigt,
wie
wird auch
die Motive meinen,
durch
die dort ausgesprochene gesetzliche
da
daß die in der Jnhabung des Ehemannes oder der Ehe
Vermuthung,
frau oder Beider befindlichen Sachen Eigenthum des Ehemannes sind,
doch nur eine Vermuthung ist, welche, wenn sie den Thatsachen nicht entspricht, leicht beseitigt werden kann.
Ferner würde sonst die Gefahr nahe liegen, daß das Pfandrecht des Vermiethers durch Scheinverträge,
durch die der Mann seine Mobilien
an die Frau oder die Hauskinder veräußerte, beeinträchtigt würde;
der
Schutz der actio Pauliana, auf den die Motive verweisen, wird bei der Schwierigkeit, den erforderlichen Beweis zu führen, oft versagen.
Wenn
endlich die Motive den Rath geben,
der Vermiether möge,
um sich das Pfandrecht zu sichern, den Miethsvertrag zugleich mit der Ehefrau abschließen, so stellen sie dadurch die Ehefrau bedeutend schlechter, denn dann würde sie eben Mietherin sein,
also principaliter und mit
ihrem ganzen Vermögen haften, während sie andernfalls nur, wenn es zur Beschlagnahme kommt, uud nur mit den ihr gehörenden Jllaten in Anspruch genommen werden kann. Auch aus diesem Grunde ist es da her wünschenswerth, abzuschließen,
um die Veranlassung,
abzuschwächen,
erfolgt. Ich würde
daß
die
den Vertrag mit der Frau
Ausdehnung
des
Pfandrechts
aus den vorstehenden Gründen dem Vorschläge von
Boyens (S. 724) beistimmen, daß „auch die der Ehefrau und den Kindern des Miethers, welche mit ihm die häusliche Gemeinschaft theilen, gehörigen Sachen dem Pfandrecht des Vermiethers unterliegen",
halte ich
eine Einschränkung für
geboten:
doch
das Pfandrecht darf nicht
länger bestehen, als die häusliche Gemeinschaft dctuert.
253 Der Tochter,
die sich verheirathet, dem Haussohn, der die Selb
ständigkeit erlangt hat und das elterliche Haus verläßt, der Ehefrau, der es gestattet ist, vom Manne getrennt zu leben, darf die Wegnahme ihrer
Sachen nicht versagt und damit die Entfernung aus der Wohnung nicht
erschwert
oder unmöglich
gemacht werden.
Auch
haben die Gründe,
welche die Mithaftung der Frau und der Kinder stützen, die Mitbewoh
nung der gemietheten Räume zur wesentlichen Voraussetzung.
Danach müssen dem Pfandrecht unterworfen sein die Jllaten der
bezeichneten Angehörigen des
Miethers,
wenn und
solange sie mit
ihm die häusliche Gemeinschaft theilen. Hinzugefügt mag noch werden, daß dieses Pfandrecht völlig unab
hängig davon ist,
ob der Ehemann zur Verpfändung der Sachen seiner
Angehörigen befugt ist, da es sich ja, wie mehrfach hervorgehoben, nicht
um eine Verpfändung,
sondern um ein gesetzliches Pfandrecht handelt.
Das Besondere ist nur, daß die dem Pfandrecht unterworfenen Sachen
hier für eine fremde Schuld haften,
so daß hier durch ein gesetzliches
Pfandrecht für fremde Schuld durch das Gesetz eine Art nothwendiger Bürgschaft constituirt wird (vergl. § 1149 des Entwurfs).
Zur Ausdehnung dieses Zwanges aus die Fälle,
wo
andere Per
sonen, als die genannten nächsten Angehörigen (entferntere Verwandte, sogenannte Pensionäre u. dgl.) an der Wohnung und Familiengemein schaft theilnehmen, liegt kein Bedürfniß vor. Diese Fälle sind verhältnißmäßig selten, und eine sittliche Verpflichtung dieser Personen, für den
Miether einzustehen, ist nicht vorhanden.
gegen die Haftung der Sachen des Aftermiethers gegenüber welche die Haftung der Dritten gehörigen Sachen verbieten, aber doch die wesent lichen, namentlich daß eine Schuld gegenüber dem Hauptvermiether nicht Auch
dem Hauptvermiether sprechen zwar nicht alle die Gründe,
besteht, der Aftermiether daher nicht verbunden sein kann, aus seinem Vermögen die Schuld des Aftervermiethers zu decken. Daher ist dieses
Pfandrecht, das, wie
die Motive sagen,
geeignet ist,
ungerechtfertigte
Härten und mißliche Verwickelungen hervorzurufen, nicht einzuführen.
§ 23. Der Grundsatz, daß das Pfandrecht nicht an den der Zwangsvoll streckung entzogenen Sachen besteht, ist zwar nach obigen Ausführungen
(§ 7) bereits geltendes Reichsrecht,
indessen ist die Frage bestritten und
es daher namentlich gegenüber der herrschenden Praxis nothwendig, den
Satz positiv
auszusprechen.
Daß er Geltung
behalten oder erlangen
254 muß, ist unbedingt erforderlich; die erhobenen Zweifel beziehen sich immer nur auf die Auslegung des geltenden Rechts, meines Wisiens
de lege ferenda hat sich
außer, worauf gleich zurückzukommen,
eine Stimme gegen ihn erhoben, durch ihn wird,
drückt,
Boyens kaum
wie Gierke sich aus
ein „geradezu schreiender Mißstand" beseitigt.
Alle die Gründe,
die dazu geführt haben, die Beschränkungen der Zwangsvollstreckung ein
zuführen, und die „keine Ausnahme durch Rücksichten auf die Art der
beizutreibenden Forderung" leiden (Motive zur C.P.O. S. 427, Motive zum Bayrischen Ges. v. 18./12. 1887), bestehen auch
Daß der
hier.
Vermiether den Miether und
seine Familie ohne Kleider,
Topf, in dem gekocht werden,
ohne Betten, in denen geschlafen werden
ohne einen
kann, ohne Handwerkszeug, womit er sein Brot verdienen kann, auf die es führt auch
Straße wirft, empört nicht nur jedes menschliche Gefühl,
die schwersten socialen Schäden herbei.
In dieser Beziehung ist zu ver
weisen auf die Bemerkungen von Trüdinger a. a. O. S. 171, Miquel (Die Wohnungsnoth der ärmeren Classen, in den Schriften des Vereins für Socialpolitik Bd. 30 S. XVI) und Flesch (ebenda S. 77 ff. na Letzterer sagt, gestützt auf eigene Erfahrung:
mentlich S. 78—80). „Es
ist für den,
der nicht in der Praxis
steht, überhaupt un
möglich, die Härten und Grausamkeiten und den demoralisirenden Einfluß
auch nur zu ahnen, den jene verkehrte Gesetzesauslegung auf die Ver hältnisse unserer unteren Classen und zwar in immer mehr sich verschlim
mernder Weise ausübt."
Aus
seiner Begründung dieses Satzes
Folgendes hervorzuheben: Die Ausübung des Retentionsrechts
ist
in dem geschilderten Umfange
macht den Miether zu einem ständigen Kostgänger der Armenpflege, und
läßt ihn, wenn er früher leichtsinnig war, zum völligen Vagabonden werden. „Der Obdachlose wird arbeitslos, der Arbeitslose wird arbeits scheu,
und wenn die Frau ihm nicht mehr kochen und
waschen kann,
muß er eben sehen, ohne Frau und Kinder fertig zu werden, eine Last für ihn sind.
die nur
Anderseits wird die Armenverwaltung, der der
Exmittirte zur Last fällt, genöthigt,
um demselben wieder die Möglich
keit zu arbeiten zu verschaffen, die Sachen auszulösen; dadurch werden
die Vermiether zur Steigerung der Miethspreise veranlaßt, mehr auch mit unbilligen Forderungen leicht durchdringen.
da sie nun Die Armen
verwaltung kann auch dem Obdachlosen, der gar nichts besitzt, nicht auf geben, sich eine neue Wohnung zu suchen; liederliche, heruntergekommene
Personen
legen
es demgemäß förmlich darauf an,
oft durch Verab-
255 redungen mit dem Hauswirth selbst, exmittirt zu werden, um sich dann auf Kosten der Armenverwaltung unterhalten zu lassen."
sichert ausdrücklich,
Flesch ver
daß er seine Angaben auf Grund seiner praktischen
Erfahrungen in der Armenverwaltung von Frankfurt a. M. gemacht habe.
— Selbst wenn es aber auch nicht zur Beschlagnahme der unentbehrlichen Habe kommt,
so wird schon durch die Möglichkeit,
daß der Vermiether
den Miether jeden Augenblick unter den erschwerendsten Umständen auf die Straße setzen kann, dieser in einem Grade und in einem Umfange persönlich vom Vermiether abhängig, der ihn jeder Selbständigkeit beraubt und die verderblichsten Folgen hat.
Und daß die Erbitterung des aus
getriebenen Miethers gegen den Vermiether persönlich und der Klassenhaß, der sich daraus leicht entwickelt, den socialen Frieden auf Schwerste ge
fährdet, wird kaum zu bezweifeln fein.92) Eine weitere segensreiche Wirkung der Einschränkung des Pfand
rechts liegt auf strafrechtlichem Gebiet; es wird nicht mehr möglich sein,
§ 289 Str.G.B. auf die Beiseileschaffung unentbehrlicher Sachen anzu wenden, wenn an diesen kein Pfand- und Zurückbehaltungsrecht mehr besteht; wer, dem Triebe der Selbsterhaltung folgend, solche Sachen dem
Vermiether entzieht, die Mutter, die die Betten und Kleider ihrer Kinder für diese bei Seite schafft, wird dafür nicht mehr in Strafe verfallen
können. Wie wird nun dem gegenüber die Ausdehnung des Pfandrechts auf die unpfändbaren Sachen gerechtfertigt? Auf den gewöhnlich angeführten
Grund,
daß das,
was
freiwillig verpfändet werden kann,
auch still
schweigend verpfändet werden dürfe, braucht nach dem, was darüber be reits gesagt ist, nicht noch einmal eingegangen zu werden.
Weiter wird
92) Im Sinne der obigen Darlegung sind noch anzuführen die Bemerkungen von Flesch und Miquel in den Verhandlungen des Deutschen Vereins für öffent liche Gesundheitspflege vom 13.—15. September 1888 (Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege Bd. 21 Heft 1 S. 38, 39), die Aeußerungen von Miquel und Kalle in den Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik vom 24. und 25. Sept. 1886 (Schriften des Vereins Bd. 33 S. 16, 38), von Kalle und Flesch in den Verhandlungen und Schriften des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit (Heft 6 S. 94, 132 ff., Heft 7 S. 44, 49, 50). Wenn Flesch es zur Hebung der Wohnungsnoth für erforderlich hält, den Umfang der der Zwangsvollstreckung entzogenen Gegenstände weiter, als in der C.P.O. ge schehen, auszudehnen, so ist darauf hier nicht einzugehen, da auch Flesch eine solche Ausdehnung nicht nur dem Vermiether, sondern jedem Gläubiger gegenüber be fürwortet, ersteren in dieser Beziehung nicht ungünstiger als andere Gläubiger stellen will.
256 hervorgehoben, namentlich
auch
von Boyens
(a. a. O. 729ff.),
der
Miether, der nur noch unpfändbare Gegenstände besitze, werde schwer eine
Wohnung finden.
Ich glaube nicht, daß die Erfahrung diese Befürchtung
bestätigt; die Sicherheit, die die notdürftigste Habe dem Vermiether ge
währen kann, wird kaum bestimmend für den Vermiether fein, namentlich
wenn der Miether arbeitsfähig ist, und wenn kurze Zahlungsfristen und die Möglichkeit der Entsetzung bei Nichtinnehaltung zweier Termine die
Verlustgefahr auf kleine Summen beschränken, und wenn andererseits die Gefahr besteht, die Wohnung überhaupt nicht zu vermiethen. In kurzen Zahlungsfristen und
baarer Zahlung wird
Miquel einen erwünschten
sociale Gefahr sehen müssen. verkauf der Stücke,
man aber wohl eher mit
Zustand,93) als mit Boyens
eine große
Auch ist der Erlös, der aus dem Zwangs
die im Allgemeinen die unentbehrliche Habe
einer
Proletarierfamilie bilden (und darum handelt es sich doch zumeist),
er zielt wird, ein so geringer, daß der Vortheil des Vermiethers in keinem Verhältniß steht zu dem Schaden, der dem Miether, der die Sachen von
Neuem anschaffen muß, bereitet wird. Die eigentliche Wirkung dieses Pfandrechts soll aber nach Boyens eine präventive fein.
„Die
Furcht vor feiner Ausübung
früher die Furcht vor der Schuldhaft." Civilrecht übertragene Abschreckungstheorie.
wirkt wie
Hier haben wir die auf das
Nun mag ja auch die Ab
schreckung auf diesem Gebiet unter Umständen zu billigen sein, wenn das Abschreckungsmittel ein an sich zulässiges ist, und in unserem Falle mag
die Furcht vor der Exmission manchen sonst nachlässigen Miether zu pünktlicher Zahlung bestimmen. Es mag ja sein, daß der Boyens'sche Vorschlag in dieser Beziehung noch wirksamer sein wird; wenn aber die Wirksamkeit eines Zwangs- und Schreckmittels der alleinige Maßstab für die Zulässigkeit desselben sein soll, dann kann man auch die Folter
und die qualificirten Todesstrafen vertheidigen und befürworten.
Uebri-
gens würde durch das Schreckgespenst des unbeschränkten Pfandrechts eine Zahlung doch nur da zu erzielen fein, wo eine solche überhaupt noch möglich ist; wo aber der Miether den Miethszins nicht hat und nicht
erschwingen kann, da gilt, wie der Satz impossibilium nulla est obliga
tio, so auch der: für Unmögliches giebt es keinen Zwang, auch nicht durch Anwendung von Daumschrauben. Und wie kann man es ferner
93) Verh. des Vereins für Soeialpolitik, a. a. O. Bd. 33 S. 16 ebenso Strauß, ebenda S. 25. Schmoller in seinem Jahrbuch Bd. 11 S. 447. Kalle, Schriften des Vereins für Armenpflege Heft 7 S. 45.
257 rechtfertigen, um derer willen, die nicht zahlen wollen, alle diejenigen leiden zu lassen, die nicht zahlen können. „bedenkt,
Wenn man auch mit Boyens
wie viel träge und schlechte Elemente sich
unter den armen
Miethern befinden", so geht es doch nicht an, darum alle die, auf welche jene Bezeichnung nicht zutrifft, es mögen verhältnißmäßig viel oder wenig
sein, — und ich glaube doch, daß sie die große Ueberzahl ausmachen — und die unverschuldet in die Unmöglichkeit zu zahlen gebracht sind, der
Gefahr auszusetzen, ihre letzte und nothwendigste Habe zu verlieren. Nun schlägt Boyens allerdings eine „Milderung" der Maßregel
vor: um dem Miether die Möglichkeit zu gewähren, Sachen wieder einzulösen,
die verpfändeten
soll der Verkauf erst drei Monate nach der
Pfändung zulässig sein.
Der Fall wird wohl recht selten eintreten, daß Jemand ohne Ob dach, ohne Wirthschafts- und ohne Arbeitsgeräth das Kunststück zu Wege
bringt, nicht nur sich und seine Familie zu erhalten,
sondern auch noch
rückständige Schulden zu bezahlen, es sei denn, daß die Armenverwaltung für ihn eintritt.
anfechtbar,
Auch wird die Maßregel darum moralisch nicht weniger
und es treten die geschilderten verderblichen Folgen darum
nicht weniger ein,
weil dem Miether seine Kleider,
seine Betten,
sein
Wirthschafts- und Arbeitsgeräth zunächst einmal auf drei Monate, ge
wissermaßen auf Probe, weggenommen werden.
§ 24. Wenn es nach dem Gesagten unbedingt nothwendig ist, im bürger
lichen Gesetzbuch
die unpfändbaren Sachen vom Pfandrecht des Ver
miethers auszunehmen, so glaube ich, muß man in diesem Punkt noch einen Schritt weiter gehen. Ob und wann das Gesetzbuch in Kraft treten wird, steht dahin; daß es vor dem Ablauf unseres Jahrhunderts
geschehen könne,
wird
dahin die Härten und
wohl von Niemand angenommen. Sollen bis Grausamkeiten des jetzigen Zustandes bestehen
bleiben, sollen die verderblichen Folgen desselben immer von Neuem ein treten? Und soll das geschehen, wenn eine Aenderung sofort, ohne Mühe,
ohne daß es
gesetzgeberischer Vorarbeiten und schwieriger zeitraubender
Verhandlungen bedarf, herbeigeführt werden kann? Man wendet vielleicht ein, die Abhülfe sei nicht so dringend geboten,
daß sie alsbald und außerhalb des Rahmens der Codification bewirkt werden
müsse, die Fälle, in denen die Vermiether von ihrem Recht so rücksichts losen Gebrauch machten, seien dazu viel zu selten. Demgegenüber berufe
ich mich auf die Angaben von Miquel und Flesch, auf die Begründung Berhandlg. d. XX. I. T. Bd. III.
17
258 des Entwurfs Bezug
zum Bayrischen Gesetz vom 18. Dezember 1887,
wird
genommen
erkannten
Klagen,
laut
auf die
und
die
auf
(Stenogr. Sitzungsberichte Band 1
gewordenen
Verhandlungen S. 195),
und
in
der
als begründet
über
jenes
Gesetz
endlich auf meine eigene
Erfahrung in mehrjähriger Thätigkeit als Vollstreckungsrichter in Berlin.
Die über Gerichtsvollzieher eingehenden Beschwerden von Miethern,
die in das äußerste Elend gerathen sind, weil ihnen wegen rückständiger Miethe das Letzte genommen ist,
sind nicht so selten, und die Zahl der
Beschwerden ist jedenfalls noch viel geringer als die der Fälle, welche dazu Anlaß geben.
Denn viele derart Geschädigte beschreiten den Beschwerde
weg nicht, weil
sie
ihn
nicht kennen, oder weil sie die Umständlichkeit
namentlich wenn es
und die möglicherweise entstehenden Kosten scheuen,
bekannt ist, daß
die zuständigen Gerichte erster
oder
höherer Instanz
die Pfändung für zulässig halten. Ich halte demnach den baldigen Erlaß eines Reichsgesetzes für noth
wendig, welches ausspricht, daß die unpfändbaren Sachen dem Pfandrecht des Vermiethers
wenn
man
erforderlich,
nicht
unterworfen
der Meinung ist, da
die
sind.
Ein
solches Gesetz ist,
auch
daß es bereits geltendes Recht ausspricht,
entgegenstehende
Ansicht
weit
verbreitet
ist
und
namentlich in der Praxis der höchsten Gerichtshöfe befolgt wird. Dieses Gesetz muß Anwendung finden auch auf die bereits bestehenden Miethsverträge.
Nach
dieser Richtung
schließe ich mich vollständig der
Begründung des Bayrischen Entwurfs an, in der es heißt:
spricht dem
sittlichen Gedanken,
„Dies ent
der der Beschränkung zu Grunde liegt,
und enthält keinen zu tiefen Eingriff in bestehende Privatrechte. seiner Wirkung
Nach
und der durch diese bestimmten Auffassung des Verkehrs
erlangt das Recht des Vermiethers im Wesentlichen erst Bedeutung, wenn es zur Befriedigung seiner Forderung geltend gemacht werden soll.
Die
Beschränkung desselben kann deshalb unbedenklich einer Beschränkung der
Zwangsvollstreckung
gleichgestellt
werden,
welche
nach
allgemeinen
Grundsätzen auch für die Zwangsvollstreckungen wegen der zur Zeit ihrer
Einführung bereits bestehenden Forderungen maßgebend ist." Und in den Verhandlungen über das Gesetz wurde bemerkt (Sten.
Berichte S. 206): „Wenn
die Gesetzgebung davon ausgeht,
daß es dem allgemeinen
Sittlichkeitsgefühl widerstreitet, wenn der Vermiether dem Miether wegen der Miethsforderung Alles, auch das letzte Bett, den letzten Rock nimmt, dann ist die Gesetzgebung auch verpflichtet, sofort, wenn thunlich, diesem
Mißbrauch ein Ende zu machen."
259 Die weiteren Bestimmungen des Entwurfs über die Ausübung und
Geltendmachung des Pfandrechts sind fach-
zu
und zweckgemäß und geben
keine Veranlassung.
besonderen Bemerkungen
Erwähnt mag nur
werden, daß, wenn der Vermiether die Wegbringung von Sachen hindert,
hält,
welche der Miether für zulässig Verfügung
gemäß
§ 819 C.P.O.
der Zustand durch
einstweilige
zu regeln, und vom Miether Fest
stellungsklage zu erheben sein wird.
§ 25. Das Ergebniß der vorstehenden Ausführungen fasse ich zusammen
in folgenden Vorschlägen: § 521 des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs muß lauten:
I.
„Der Vermiether eines Grundstücks hat wegen seiner Forderungen aus dem Miethsvertrage,
bezüglich des Miethszinses jedoch nur wegen
desjenigen für das laufende Vierteljahr, und sofern nicht die Vertrags
dauer eine kürzere ist, für das auf dasselbe folgende Jahr, ein gesetzliches
Pfandrecht an den eingebrachten Sachen des Miethers,
sowie der Ehe
frau und der Kinder des Miethers,
wenn und solange sie mit diesem
die häusliche
Das
Gemeinschaft theilen.
Ansehung derjenigen Sachen, sind.
Pfandrecht besteht nicht
in
welche der Pfändung nicht unterworfen
Es erlischt mit der Entfernung der Sachen von dem Grundstück,
auf welches das Miethsverhältniß sich
Entfernung heimlich
bezieht,
es
sei denn,
daß die
oder gegen den Widerspruch des Vermiethers er
folgt ist.
Der Vermiether kann der Entfernung derjenigen Sachen nicht wider sprechen,
zu deren Entfernung der Miether im regelmäßigen Betriebe
seines Geschäfts
oder dadurch veranlaßt wird, daß die
gewöhnlichen
Lebensverhältnisse die Entfernung mit sich bringen, oder durch deren Entfernung der Werth der auf dem Grundstück verbleibenden, dem Pfand
recht unterworfenen Sachen
erweislich
nicht unter den Betrag der in
Absatz 1 Satz 1 bezeichneten Forderungen herabgemindert wird.
Er ist
berechtigt, auch ohne Anrufung des Gerichts die Entfernung aller anderen
seinem Pfandrecht unterliegenden Sachen zu hindern und, wenn der Miether das Grundstück räumt, dieselben in seine Jnhabung zu nehmen. Der Vermiether ist berechtigt, von dem Miether die Zurückschaffung der heimlich
oder gegen seinen Widerspruch
Entfernung er zu widersprechen befugt war,
entfernten Sachen,
deren
und nach bereits erfolgter
Räumung des Grundstücks die Ueberlassung der Jnhabung derselben zu
fordern.
260 Die Ausübung
des gesetzlichen Pfandrechts des Vermiethers kann
durch Sicherheitsleistung für die Forderung oder einen Theil derselben
und
in Ansehung
jeder
einzelnen diesem Rechte unterliegenden Sache
durch Sicherheitsleistung bis zur Höhe des Werthes der Sache abgewendet werden. Die Sicherheitsleistung
durch Bürgen
braucht der Vermiether nicht
anzunehmen. Wird eine dem Pfandrecht des Vermiethers unterliegende Sache für
einen anderen Gläubiger gepfändet, so kann diesem gegenüber das Pfand
recht wegen desjenigen Miethszinses,
welcher auf eine frühere Zeit als
das letzte halbe Jahr vor der Pfändung entfällt,
und wegen derjenigen
rückständigen Forderungen aus dem Miethsverhältniß nicht geltend gemacht
werden, welche, obgleich sie innerhalb des letzten halben Jahres vor der Pfändung
gerichtlich
geltend
gemacht
werden
konnten,
nicht gerichtlich
geltend gemacht sind."
Dem Abs. 5 entsprechend ist auch nach Art. 13 des Einführungs gesetzes
der
Schlußsatz
des
§
41
Ziffer
2
der
Concursordnung
zu
gestalten. II.
Es ist sobald als möglich ein Reichsgesetz folgenden Inhalts zu
erlassen:
§ 1. Die Rechte, welche nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts dem
Vermiether und
Sachen
und
Grundstücks
dem
dem
letzteren
zustehen,
Verpächter
in Ansehung
in Ansehung
der
eingebrachten
der Früchte des verpachteten
erstrecken sich nicht auf diejenigen Sachen,
welche
der Pfändung nicht unterworfen sind.
§ 2. Dieses Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
Es gilt
auch für die zu dieser Zeit bestehenden Mieths- und Pachtverträge.
XXVIII. Machten des Herrn Iustizrath 31t. Levy zu Vertin über die Frage:
„Sind die im Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs vorgesehenen Arten des Pfandrechts an Grundstücken einschließlich der Grund
schuld beizubehalten?"
Die Aufgabe, den Jmmobiliar-Credit für das Deutsche Reich nach
einheitlichen Grundsätzen zu ordnen,
der Lösung
entgegengeführt werden:
konnte auf einem zweifachen Wege entweder in möglichst engem An
bestehenden Rechtsordnungen und unter möglichst sorg
schlüsse
an die
fältiger
Schonung
aller
particularrechtlicher Formen
des Hypotheken
wesens, oder durch eine radicale Umgestaltung auf Grundlage einer von
allen unbrauchbaren Schlacken gereinigten Theorie,2) unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Bedürfnisse des Verkehrs, namentlich auch in Bezug auf Einfachheit und Leichtigkeit der nöthigen Formen, sowie unter gleichmäßiger Sicherung des Gläubigers und des Schuldners, des Einen
gegen Gefährdung seiner Rechte,
des Anderen gegen Ausbeutung der
natürlichen Schwäche seiner Stellung.
der schwierigere,
Der zweite Weg war offenbar
sowohl an sich selbst, indem er über theoretische und
praktische Probleme hinwegführt,
deren Lösung ein seltenes Maß von
juristischem Scharfsinn und praktischem Blick erfordert, als auch in Bezug
auf die Ueberführung
eines mehr oder weniger neuen Systems in die
bestehenden Rechtszustände.
Gewiß hat nur die Rücksicht auf die letztere
Schwierigkeit die Verfasser des Entwurfs auf den ersten Weg, statt auf *) Ich stehe nicht an, mich zu den von Bähr (Beurtheilung des Entwurfs rc. München 1888 S. 136 ff.) entwickelten Grundsätzen durchweg zu bekennen.
262 Und es ist in der That nicht zu verkennen,
den zweiten geleitet.
daß
der Gesetzgeber alle Veranlassung hat, gegenüber den bestehenden Rechts zuständen mit äußerster Schonung zu verfahren, und nicht leicht die Ver
antwortung übernehmen darf, in ein so verwickeltes, lebendiges und um fassendes Getriebe
wie das
des Hypothekenverkehrs
rücksichtsloser
mit
Hand einzugreifen, auf die Gefahr hin, unübersehbare Unordnungen oder
gar einen Stillstand der ganzen Maschine herbeizuführen. grundsätzlich
lieber das
rechten,
Wort
wenngleich
ich
hätte.
geredet
persönlich
Nur
einer radicalen Reform
einen
der
welcher die ihm gebührende dringende Erledigung, bei
Ich will des
mit dem Entwürfe über den von ihm eingeschlagenen Weg nicht
halb
einer
Neugestaltung
will ich schon hier berühren,
kann,
aus
von Grund
des Hypothekenrechts
Punkte,
wichtigsten
wie ich glaube,
nur
finden
weil er auch für die weiteren Erör
terungen von maßgebender Bedeutung ist.
Während Jmmobiliar- und Personal-Credit auf durchaus denen wirthschaftlichen Grundlagen beruhen,
verschie
indem für den ersteren der
verhältnißmäßig geringen Schwankungen unterliegende Werth des zu. be leihenden Immobile, für den letzteren die minder stabile Creditwürdigkeit der Person den Ausschlag giebt;
in
während jener seiner Natur nach und
beiderseitigem Interesse des Gläubigers und Schuldners auf längere
Dauer
und Festigkeit
berechnet
ist,
ja in der Regel sich über mehrere
Generationen hinaus erstreckt, dieser dagegen eine verhältnißmäßig schnelle
Abwickelung und räume
nur
etwa
innerhalb
eine Erneuerung
gewisser Zeit
periodischer Controle der Personalverhältnisse des Schuld
unter
ners erheischt, hat man sich bisher fast allgemein von der eingewurzelten römisch-rechtlichen
Auffassung
der Hypothek
als
persönlichen Forderung nicht losmachen können. wirthschaftlich
verschiedenen
Erscheinungen
zu
eines Accessorium
der
Diese Verbindung zweier
einem
Rechtsinstitut
hat
unter den gegenwärtigen hoch entwickelten Verkehrsverhältnissen für den
Hypotheken-Schuldner zu den unerträglichsten Härten geführt.
sonalschuld,
Die Per
auf welche bei Eingehung des Rechtsverhältnisses keine oder
nur sehr untergeordnete Rücksicht genommen ist, bleibt auf dem Besteller der Hypothek,
seinen Erben und Erbeserben haften,
mag
auch das
er
Psandgrundstück längst veräußert haben, und mag sogar die Erinnerung
an den Besitz bei seinen Nachkommen schon geschwunden sein. neuen
Erwerbern
der
verbreiteten Grundsätzen
Grundstücke
erwachsen
andererseits
In
nach
den
weit
von den Wirkungen der Schuldübernahme dem
Gläubiger ohne sein Verdienst und Zuthun immer neue Personalschuldner für seinen Real-Anspruch, und alle diese können nicht bloß bei Fälligkeit
263 der Capitals-
oder Zinsen-Schuld einer Personalklage (selbst mit Ueber-
des Grundstücks,
gehung
bestehenden
fange
auch
müssen
exe.
abgesehen
excussionis
von der nur in beschränktem Um realis)
gewärtig sein,
sondern
damit dieselbe bei einer Zwangsversteigerung keinen Ausfall erleide,
welchen
sie
sie
fortdauernd gewissermaßen vor der Hypothek Wache stehen, persönlich
haftbar
gemacht
werden
können.
für
Sie sind ge
nöthigt, entweder bei eintretender Zwangsversteigerung die Hypothek aus
zubieten
und
ein Grundstück
zu erstehen,
an dessen Besitz sie keinerlei
Interesse haben, oder sie laufen auch bei der sichersten Hypothek Gefahr
erheblichen Verlustes,
eines
da der Gläubiger leicht für ein minimales
Gebot das Grundstück weit unter dessen Werth und weit unter dem Be trage der Hypothek zu erwerben in der Lage ist.
Die Oeffentlichkeit der
Zwangsversteigerung schützt davor nicht, da Jedermann voraus weiß, daß der Gläubiger nöthigenfalls seine gesammte Hypothek ausbieten wird, aber selten Jemand ein Interesse daran hat, ihn dazu zu nöthigen.
kann es sich ereignen und ereignet sich thatsächlich nicht selten,
So
daß der
Gläubiger, obwohl er in dem Grundstück selbst ein volles und mehr als
volles Aequivalent für seine Hypothek erwirbt, dessenungeachtet noch einen beträchtlichen Theil dieser Forderung,
ja zuweilen fast die ganze Forde
rung gegen den ursprünglichen Besteller der Hypothek und dessen Besitz nachfolger sich erhält. Diese Uebelstände werden noch erheblich verschärft, wenn der Gläu
biger auf den besseren Rang seiner Hypothek durch Vorrechtseinräumung
zu
Gunsten einer
eigenen
nachstehenden Hypothek
nacheingetragenen Forderung,
verzichtet, z. B. um
seiner
deren persönlicher Schuldner un
sicher geworden ist, eine bessere Realsicherheit zu verschaffen, während er für die vorstehende Hypothek durch einen sicheren Schuldner in der Person
eines Vorbesitzers gedeckt ist, oder gar zu ähnlichem Zwecke sein Pfand recht vollständig
aufgiebt.
Die Bestimmung des Entwurfs,
daß
eine Aenderung des Rangverhältnisses nur mit Bewilligung des Grund-
stückseigenthümers wirksam erfolgen kann, § 841, gewährt hinsichtlich der
Aufgabe des Pfandrechts
überhaupt keinen Schutz
und
Vorrechtseinräumung nur dem jeweiligen Eigenthümer,
besitzer.
hinsichtlich der nicht dem Vor
So kann Letzterer sich durch den bevorzugten Rang der Hypo
thek, für welche er persönlich haftet, genügend geschützt glauben und erst
bei der Zwangsversteigerung zu seiner Ueberraschung erfahren, daß dieser vermeintliche Schutz völlig illusorisch war.
Die Realsicherheit der Hypo
thek kann durch dergleichen Manipulationen so verschlechtert sein, daß er,
264 um sie auszubieten, das Grundstück für einen Preis erstehen müßte, der
den Werth desselben weit übersteigt. Der § 41
des
Preuß.
Bestimmungen gewähren
nur
Eigenthums-Erwerbsgesetzes und
ein
ganz
unzureichendes
ähnliche
Palliativmittel
gegen solche offenbaren Auswüchse des Hypothekenverkehrs.
Die Wurzel
derselben ist die unnatürliche Verquickung des Jmmobiliar- und Personal credits, und wer das Uebel ausrotten will, muß es an der Wurzel an fassen. Ich halte es deshalb für das oberste Postulat einer Hypotheken
reform, daß eine strenge Sonderung der lediglich dem Jmmobiliarcredit
dienenden Hypothek von derjenigen eintrete,
welche nur eine Begleiterin
des Personalcredits ist, und daß für erstere die Haftung des Bestellers und seiner Besitznachfolger auf das Pfandgrundstück beschränkt und jede
weitere Haftung schlechterdings ausgeschlossen werde. Die geforderte Sonderung kann natürlich nicht nach äußeren Kennzeichen, etwa nach
dem Maße der Beleihung in Verbindung mit einer aufzustellenden Taxe, und überhaupt nicht zu Folge directer Vorschriften geschehen, vielmehr muß
der Verkehr
auf indirectem Wege gezwungen werden,
die Sonderung
selbst vorzunehmen. Nur der allein auf das Pfandgrundstück radicirten Hypothek sind diejenigen Privilegien zu gewähren, welche ihr die Eigen schaft eines umlaufsfähigen Werthpapieres verleihen, die Ausstellung eines
Hypothekenbriefes, der Schutz des gutgläubigen Erwerbers, die Vollstreck barkeit, erleichterte Form für die Begebung u. dgl.;
der mit
der Per
sonalschuld verbundenen Hypothek dagegen sind diese Privilegien zu ver sagen. Der in dieser Weise vor die Wahl gestellte Gläubiger wird
natürlich nach denjenigen Motiven wählen, welche ihn bei der Beleihung des Grundstücks vorzugsweise geleitet haben, und wird keinen Anstand nehmen, die privilegirte, aber auf das Pfandgrundstück beschränkte Brief
hypothek vorzuziehen, wenn er bei der Beleihung in erster Reihe den Werth des Grundstücks ins Auge faßt, m. a. W. um Gewährung eines eigentlichen Jmmobiliarcredits angesprochen ist und solchen beabsichtigt. welcher im Wesentlichen nur einen Personalcredit gewähren will und soll, und dem die dafür zu bestellende
Dagegen wird derjenige Gläubiger,
Jmmobiliarsicherheit nur als Accessorium angeboten ist, seinen Zwecken durchaus
entsprechenden,
nicht geeigneten Sicherungshypothek (vgl.
wenn auch
sich mit
einer
für den Umlauf
weiter unten III)
begnügen.
Dabei könnte es dem Gläubiger freigestellt werden, jederzeit unter Ver zicht auf seine persönliche Forderung die Ausfertigung eines Hypotheken
briefes und demgemäß die Umwandlung seiner Hypothek in eine Brief
hypothek zu erwirken.
Auf diese Weise wird die geforderte Sonderung
265 sich naturgemäß von selbst vollziehen können, und zwar mit einem Er folge, welcher der Gerechtigkeit, d. h. den wahren Intentionen und In
teressen beider Theile entspricht.
eine Personalschuld contrahirt,
Ist von vornherein im Wesentlichen
so können es der Schuldner und dessen
Rechtsnachfolger nicht als eine Härte empfinden, wenn ihre Schuld von den Schicksalen des Pfandgrundstücks unabhängig bleibt, um so weniger, als dabei vorausgesetzt ist, daß die bestellte Sicherheit nicht erheblich ins
Gewicht fällt, andererseits wird aber diese Härte auch praktisch dadurch
gemildert werden, daß die contrahirte Schuld ihrer Natur nach in den Regelfällen einer verhältnißmäßig schnellen Abwickelung unterworfen sein Ist dagegen von vornherein nur ein Jmmobiliarcredit nachgesucht
wird.
und gewährt, so ist schlechterdings kein Grund einzusehen, dem Gläubiger
ein weilergehendes Recht auf das Vermögen und die Person des Schuld
ners und seiner Rechtsnachfolger einzuräumen, es müßte denn sein, daß dieselben vorsätzlich oder versehentlich die Sicherheit der Hypothek durch Devastation u. dgl. schmälerten, für welchen Fall ein besonderer Schadens anspruch zu gewähren sein würde.
pfehlen,
Vielleicht dürfte es sich sogar em
zur Verstärkung der Privilegien der Briefhypothek, derselben
gegenüber der Behandlung des Pfandgrundstücks durch den Schuldner noch eine weitere bevorzugte Stellung einzuräumen,
etwa von dem Ge
sichtspunkte aus, daß der Grundstückseigenthümer, insoweit er einen wirk
lichen Jmmobiliarcredit beansprucht und
erhalten hat,
dem Verwalter
fremder Güter nahe steht.
Daß bei der geschilderten Sonderung der eigentliche Jmmobiliar credit bis an die Grenze der objectiven „Beleihungsfähigkeit", d. h. bis hart an die Grenze des vollen Werthes der Immobilien sich wird er
strecken können, dürste kaum zu bezweifeln sein.
er aber auch keiner Förderung und keines
Darüber hinaus bedarf
besonderen Schutzes.
Eine
weitergehende detaillirte Ausführung der hier angedeuteten
Grundzüge muß ich mir an dieser Stelle versagen; ich will nur hervorheben, daß bei der vorgeschlagenen Umgestaltung des Hypothekenwesens nur zwei Formen der Hypothek sich als nothwendig ergeben: die Briefhypothek
und die Sicherungshypothek, die erstere eine rein dingliche Forderung, unter Angabe des Rechtsgrundes, repräsentirend, die letztere eine Per sonalforderung (sei es ohne oder mit Angabe der causa), verstärkt durch
hypothekarische Sicherheit. obligation
Ob daneben noch eine rein dingliche Formal
ohne Angabe des
Rechtsgrundes
(Grundschuld)
zuzulassen,
würde eine offene Frage bleiben, deren Erörterung ich hier dahingestellt sein lasse.
266 Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich hat den vorstehend entwickelten-Gesichtspunkten keine Rechnung getragen. Derselbe besinnt die Hypothek als das Recht einer bestimmten Person,
wegen einer bestimmten Geldforderung Befriedigung aus dem Grund stücke zu verlangen (§ 1062), construirt sie also in gewohnter Weise als Accessorium (Sicherheit^, Befriedigungsmittel, Pfandrecht, vgl. Motive III
603)
Dagegen läßt er eine Real- und
einer persönlichen Forderung.
zugleich Formalobligation in der Grund schuld zu, welche als das Recht einer Person, zu verlangen, daß für sie eine bestimmte Geldsumme aus dem Grundstücke (im Wege der Zwangsverwaltung und der Zwangs
versteigerung) beigetrieben werde,
definirt wird (§ 1135).
Die Hypo
thek selbst erscheint in einer dreifachen Gestalt:
1. als
Hypothek
ohne
Hypothekenbrief
(Buchhypothek)
§§ 1022—1106; 2. als Briefhypothek §§ 1106—1124,
beide mit
der Unterart der
„Eigenthümerhypothek",
welche durch Befriedigung des Gläubigers seitens des Eigen-
thümers und zugleich persönlichen Schuldners, oder durch Vereinigung der Forderung und Verbindlichkeit in der Person
des Eigenthümers entsteht §§ 1094, 1097, 1108; 3. als Sicherungshypothek
§§ 1129—1134 mit den Unter
arten der Cautionshypothek § 1129, der Zwangshypo
thek § 1130 und Arresthypothek § 1132.
will
Ich
nunmehr
der Reihe nach und
zunächst
diese
verschiedenen Hypothekenarten
zum Schluß die Grundschuld des Entwurfs be
trachten. I.
Die Hypothek ohne Hypothekenbrief (Buchhypothek).
Der Entwurf behandelt die Hypothek ohne Hypothekenbrief an erster Stelle gewissermaßen als Normal-Verkehrshypothek. Es bedarf keiner Ausführung, daß sie diese Behandlung durchaus nicht verdient. In dem
eigentlichen Hypothekenverkehr tritt sie gar nicht oder nur als rara avisauf, wie sie denn auch in der That für den größeren Verkehr ungeeignet ist
und
durch
die
Vorschriften
des
Entwurfs
über
die Abtretung^
(§§ 1087, 828—833), welche zu ihrer Wirksamkeit außer einem Vertrage
zwischen Cedenten und Cessionar der Eintragung im Grundbuche bedürfen soll,
noch
ungeeigneter werden müßte.
Ein praktisches Bedürfniß für
die Aufrechterhaltung dieser verkümmerten Form der Verkehrshypothek ist nicht einzusehen.
Von der in Preußen bestehenden Befugniß,
auf die
267 Ausfertigung
eines Hypothekenbriefes zu verzichten,
wird
nur in den
seltensten Fällen zur Ersparung geringfügiger Kosten Gebrauch gemacht, und so oft es geschieht, führt es bei jeder weiteren Hypothekenoperation (Cession, Verpfändung, Veränderung der Nebenbestimmungen u. s. w.)
zu unliebsamen
Schwierigkeiten.
Die Motive III 617
wissen für die
Aufrechterhaltung der sogenannten Buchhypothek nur anzuführen, daß in denjenigen Gebieten,
in welchen das Grundbuch allein den Hypotheken
verkehr vermittelt (z. B. Hamburg, Lübeck) ein Bedürfniß, hieran etwas zu ändern,
sich nicht herausgestellt habe.
Indessen ein solches Moment
könnte nur für die Particulargesetzgebung in den betreffenden Gebieten ausschlaggebend sein, nicht für die Reichsgesetzgebung.
Die Rechtseinheit
scheint mir allerdings zu fordern, daß dergleichen particulare Bildungen
ohne besonderen Werth bei einer einheitlichen Gestaltung des Hypotheken rechts verschwinden, um so mehr, als es gerade im Interesse des Jmmo-
biliarcredits angezeigt erscheint, den in jedem einzelnen deutschen Bundes
staat creirten Hypotheken
auch in den
laufsfähigkeit zu verschaffen sichern.
und
anderen Bundesstaaten die Um
gewissermaßen den
Capitalsmarkt zu
Die schon an sich für den Verkehr im Heimathlande schwerfällige
Buchhypothek wird
Gebieten und
in den von den Orten des Grundbuchs
zumal in solchen,
entfernten
wo die Briefhypothek besteht,
also in
dem größten Theile von Deutschland sich niemals Eingang verschaffen
können.
Die Hypothekenbanken in Bayern,
Württemberg,
Königreich
Sachsen, Gotha, Meiningen u. s. w. nehmen jederzeit willig die preu ßischen Hypothekenbriefe auf, verhalten sich dagegen den Buchhypotheken gegenüber
völlig
ablehnend.
Niemand
wagt,
sie
ihnen
anzubieten.
Welchen praktischen Zwecken also soll die Aufrechterhaltung der Buch hypothek dienen? Nur der lieben Gewohnheit in einzelnen Rechtsgebieten? Ein solches Motiv könnte man allenfalls gelten, lassen, wenn der Ueber-
gang von der bestehenden Buchhypothek zur Brieshypothek irgend welche Schwierigkeiten böte, oder wenn dadurch irgend welche Beschwerden oder Gefahren für Gläubiger oder Schuldner zu befürchten wären. Dies ist
aber offensichtlich nicht der Fall.
Der Entwurf (§ 1085 Abs. 2) gestattet
zwar dem Besteller einer Darlehnshypothek, binnen 30 Tagen von der Eintragung eine Vormerkung wegen nicht erhaltener Valuta auf einsei
tigen Antrag eintragen zu lassen,
während er diese Befugniß dem Be
steller einer Briefhypothek nicht gewährt § 1111.
Man könnte also
behaupten, daß die Sicherheit des Grundbesitzers
gegen Uebervorthei-
lungen bei der Buchhypothek größer sei, als bei der Briefhypothek, was namentlich für kleinere Besitzer und beschränktere Verhältnisse ins Gewicht
268 falle.
Indessen der praktische Werth dieser Einrichtung, deren ursprüng
liche Quelle das preußische Recht ist,
höchst problematisch.
§ 738 I 11 A.L.R.,
erscheint
In Preußen hat man dieselbe fallen gelassen, aber
nicht deshalb weil, wie die Motive III 703 behaupten, das preußische Recht nur die Briefhypothek als Verkehrshypothek regele, denn dies ist thatsächlich
nicht der Fall (wie die Motive an anderer Stelle III 617
selbst hervorheben), sondern weil die Einrichtung sich theils als nutzlos,
theils
für den Schuldner
als beschwerlich
herausgestellt hat.
Da der
Gläubiger bei solcher Befugniß des Schuldners die Darlehnsvaluta mit
Sicherheit nicht vor Ablauf von 30 Tagen nach der Eintragung zahlen kann, der Schuldner aber regelmäßig so lange nicht auf das Geld warten will, so greift der Verkehr zu dem naheliegenden Auskunftsmittel, den
der Hypothek auf das Recht zur Eintragung
Schuldner bei Bestellung
der fr. Vormerkung verzichten zu lassen.
Ein solcher Verzicht war früher
in Preußen die Regel und in jedem Formular einer hypothekarischen Obligation enthalten. kein Grund
Den Verzicht gesetzlich auszuschließen,
ist
gewiß
dem Schuldner fast unmöglich machen,
und würde es
eine Buchhypothek nach seinem Bedürfniß Credit zu erlangen.
auf
Abgesehen
davon ist der Schuldner bei der Briefhypothek weit wirksamer dadurch gesichert, daß er die Aushändigung des Hypothekenbriefes an den Gläu biger nicht vor Zahlung der Valuta bewirken lassen kann, vgl. § 1110,
abgesehen von der Zulässigkeit von Vormerkungen nach § 1085 Abs. 1, §§ 844, 845 auf Anordnung des Gerichts.
Wenn man hiernach
auch
wie Bähr (Zur Beurtheilung des Entwurfs
nicht so weit gehen will,
S. 138ff.), in der Erhaltung der Buchhypothek geradezu Gefahren für auch diese Bedenken sehr
das materielle Recht zu sehen — wenngleich
beherzigenswerth sind — so wird man sich dennoch schon um der Rechts
einheit willen und aus wirthschaftlichen Gründen für die Beseitigung der Buchhypothek des Entwurfs als einer Verkehrshypothek entscheiden müssen^
und diese Form lediglich für die Sicherungshypothek (vgl. weiter unten unter III) reserviren.
Die Brief-Hypothek.
II.
Alles, was für Beseitigung der Buch-Hypothek als Verkehrs-Hypo thek gesagt werden kann,
spricht gleichmäßig für die Aufrechterhaltung
der Brief-Hypothek als
solcher.
(Bähr a. a. O. S. 138
und
Bd. 74 S. 374) ist bemerkt,
Schon von anderer berufener Seite
von Meibom in Arch.
f.
eit). Praxis
daß die Gestaltung der Brief-Hypothek im
Entwurf, insbesondere die Bedeutung, welche darin dem Hypothekenbriefe
269 beigelegt wird,
indem derselbe über die Kraft einer bloßen Beweis-Ur
kunde hinaus zum Träger des Hypothekenrechtes gemacht und mindestens zu diesem in
eine
untrennbare Verbindung gebracht ist,
den Zwecken
einer Verkehrs-Hypothek durchaus entspricht und volle Billigung verdient. Ich kann deshalb
von
einer Kritik der einzelnen Bestimmungen hier
um so mehr Abstand nehmen,
als dieselbe
Aufgaben dieses Gutachtens gehört.
nicht zu den unmittelbaren
Wird nach meinem Vorschläge die
Buch-Hypothek als Verkehrs-Hypothek beseitigt, so ergiebt sich daraus die
Streichung der Bestimmung, daß auf Grund
briefes nur
§ 1106.
die
besonderen
Ausfertigung eines Hypotheken
Antrages bez. Vertrages
erfolgt;
Ebenso bedarf es dann keines Vermerkes im Grundbuche, daß
ein Hypothekenbrief ertheilt ist.
Hypothek von selbst,
Beides versteht sich für die regelmäßige
während für die Sicherungs-Hypothek und ihre
Unterarten (vergl. unter III) die Nichtertheilung des Hypothekenbriefes ebenso selbstverständlich ist. Daß die Brief-Hypothek nicht als
eine dingliche Forderung con-
struirt ist, sondern als accessorisches Recht einer persönlichen Forderung,
muß ich nach meinem oben entwickelten Standpunkte bedauern,
ich will
jedoch Angesichts der eingewurzelten Rechtsanschauungen und der Schwie
rigkeit eines
unvermittelten Ueberganges von den
bestehenden Rechts
zuständen zu der erwünschten Neugestaltung des Hypothekenrechts für jetzt keine entgegengesetzten Vorschläge machen, hoffe vielmehr von der Zukunft
eine allmähliche Reform im Sinne der Eingangs erwähnten Grundsätze. Nur eine Unterart der Verkehrs-Hypothek,?)
die Eigenthümer-Hypothek, bedarf noch einer besonderen Besprechung.
Der Entwurf bestimmt, daß
an Stelle einer erloschenen Hypothek eine andere nicht eingetragen werden kann (§ 1102), daß dagegen die einmal begründete Hypothek weder durch die Befriedigung des Gläubigers seitens des Eigenthümers (§ 1094),
noch durch Vereinigung des Gläubigerrechts und des Eigen
thums in derselben Person (§ 1076), noch durch Vereinigung des Gläu
bigerrechts und der Verbindlichkeit in der Person des (§ 1097)
Eigenthümers
erlischt, vielmehr mit der persönlichen Forderung fortbesteht,
sofern der Eigenthümer nicht persönlicher Schuldner ist,
und ohne die
selbe, soweit er dies ist, bez. vor der Befriedigung des Gläubigers oder
der Confusion von Forderung und Verbindlichkeit war. Eigenthümer-Hypothek gebraucht der
Die Bezeichnung
Entwurf nur in denjenigen von
2) Für die Sicherungs-Hypothek vgl. § 1128 Entw.
270 diesen Fällen, wo
die persönliche Forderung durch
oder Confusion untergeht
Gläubigers
Befriedigung des
(§ 1094 Abs. 3. § 1097).
Die
sämmtlichen Fälle stellt der Entwurf jedoch unter die gemeinsame Regel,
daß der Inhaber einer solchen Hypothek (oder Theil-Hypothek § 1095) dieselbe bei der Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung (zur Bei
treibung der Forderung bez. einer derselben gleichkommenden Summe) für sich
geltend
zu machen befugt ist,
ohne jedoch die Zwangsverwaltung
oder Zwangsversteigerung selbst betreiben zu dürfen (§§ 1076. 1098. 1099).
Für die Eigenthümer-Hypothek im engeren Sinne (§ 1094 Ab
satz 3. § 1097) ist dieses Recht jedoch
§ 1099 Abs. 2 der Zeitdauer nach allen Fällen,
geltenden
hinsichtlich der Zinsen
beschränkt.
Gemeinsam
gemäß
ist ferner
daß die Hypothek von dem Eigenthümer nach den sonst
allgemeinen Vorschriften auf einen Dritten übertragen werden
kann, und daß sie sich auch auf das mitbelastete Grundstück eines Dritten erstreckt (§ 1094 Abs. 3). Abgesehen von der erwähnten Beschränkung hinsichtlich der Zinsen steht nichts im Wege, den Namen „Eigen thümer-Hypothek"
auf sämmtliche vorerwähnte Fälle auszudehnen,
was hier geschehen soll und im Anschlüsse an den in Preußen bestehen den Sprachgebrauch auch im Entwurf ohne Noth hätte geschehen können. Das Institut ist bekanntlich nicht neu und aus dem preußischen Recht in eine
große Zahl anderer deutscher Particularrechte
Mot. III 725).
übergegangen (vgl.
Dasselbe ist in Folge der nothwendigen Vorschriften
über die Rangordnung verschiedener auf dem belasteten Grundstücke nach
einander eingetragenen Hypotheken durch das praktische Bedürfniß ent standen, dem Eigenthümer im Interesse seines Realeredits die Ausnutzung
der durch die Befriedigung des Gläubigers und ähnliche Thatsachen frei gewordenen Stelle vorzubehalten und andererseits den nacheingetragenen nicht gegen den Willen des Eigentümers einen besseren Rang zu gewähren, als sie zu beanspruchen haben (vgl. Mot. III 203). Trotz der unleugbaren Schwierigkeit einer theoretischen Construction des Instituts, namentlich, wo die Hypothek als accessorisches Recht einer per Gläubigern
sönlichen Forderung
aufgefaßt wird,
zumal in den Fällen des Unter
ganges dieser Forderung, hat sich dasselbe überall, wo es besteht, durch
aus praktisch bewährt. Man kann deshalb die Aufnahme desselben durch einen Act der Gesetzgebung, welcher vorwiegend für die wirt
schaftlichen Bedürfnisse des Verkehrs sorgen will,
nur billigen und muß
den Motiven darin beipflichten, daß die theoretische Rechtfertigung und Construction der Eigenthümer-Hypothek Aufgabe der Wissenschaft ist. Neuerdings hat sich jedoch ein jüngerer Praktiker (Dr. Hermann Staub/
271 Gutachten aus dem Anwaltstande Heft 6 S. 407 ff.) mit Entschiedenheit
Er nennt dieselbe einen Zank
gegen die Eigenthümer-Hypothek erklärt. apfel der juristischen Theorie
und
crux der gerichtlichen Praxis.
eine
Die erstere Bezeichnung will ich als zutreffend einräumen, nicht aber die
Beläge
letztere.
dafür sind
in dem angeführten Gutachten nicht bei
gebracht, und ich glaube dagegen aus einer fünfundzwanzigjährigen Praxis
als Rechtsanwalt und Notar versichern zu können,
daß
eine sog. crux
der gerichtlichen Praxis bei diesem Institute niemals, wenigstens nicht in Preußen bestanden hat. Einige Controversen haben sich allerdings im Lause der Zeit
herausgebildet,
dies nicht der Fall?
Die
aber bei
beiden
welchem Rechtsinstitute wäre
allein erheblichen praktischen Contro
versen, welche sich auf den Fall der theilweisen Tilgung der Hypothek und
auf die Weiterbegebung der Eigenthümer-Hypothek nach Untergang
der persönlichen Forderung bezogen, löst der Entwurf in befriedigender Weise, die eine dahin, daß bei theilweiser Tilgung der Eigenthümer die Uebertragung der Theil-Hypothek auf ihn nicht zum Nachtheile des Gläu
bigers geltend machen kann, und daß insbesondere dem Gläubiger in An
sehung die
des ihm verbleibenden Theiles der Vorrang zusteht (§ 1095),3)
andere Kontroverse dahin,
daß durch die Uebertragung der Eigen
thümer-Hypothek (im engeren Sinne) an einen Dritten mit derselben eine neue Forderung nicht verbunden wird (§ 1100 Abs. 2).
sind
auch nur rein theoretische Bedenken,
es
Im Grunde
welche Staub gegen die
Eigenthümer-Hypothek ins Feld führt, und welche ihn veranlassen, anstatt
derselben ein sog. System freier Stellen vorzuschlagen, daraus basirt, daß
der die Hypothek einlösende Eigenthümer befugt sein soll, nach Löschung
derselben Allein,
an
gleicher Stelle
wie mir scheint,
eine
neue Hypothek eintragen zu
lassen.
bietet die theoretische Construetion der Eigen
Schwierigkeiten und
sind
die
praktischen Vorschläge zum Ersätze der Eigenthümer-Hypothek nicht
ge
thümer-Hypothek keine unüberwindlichen
eignet. In ersterer Beziehung möchte ich Folgendes bemerken:
Wenn man
mit dem Entwürfe davon ausgeht, daß mit dem Untergange der persön
lichen Forderung durch Tilgung oder Confusion dieselbe definitiv beseitigt ist und nicht wieder auflebt, so könnte es sich nur noch darum handeln,
den übrig bleibenden Realanspruch an dem eigenen Grundstücke zu recht fertigen.
Aber sind
denn die in der Eigenthümer-Hypothek geltenden
3) Ob diese Regel noch einiger Modificationen bedarf, mag hier dahin gestellt bleiben.
272 Rechte nur unter Zugrundelegung eines solchen jus in re propria zu verstehen?
Die Uebertragung der Eigenthümer-Hypothek an einen Dritten
als rein dingliche Forderung ist nichts Anderes als die Creirung eines neuen jus in re aliena in der erleichterten Form einer Session, statt der
Neubestellung einer Hypothek, oder, wenn man will, die Uebertragung und Wiedererweckung des schon früher bestandenen Realrechts, welches in
der Hand des Eigenthümers geschlummert hat — analog dem Falle des
Ruhens einer Grundgerechtigkeit bei Vereinigung des dienenden und herr
schenden Grundstücks (§ 54 I 22 A.L.R.); — das Recht zur Geltend
machung der Eigenthümer-Hypothek nach einer Veräußerung des Grund sei es einer freiwilligen oder einer Zwangsversteigerung ist nichts
stücks,
Anderes als der Vorbehalt eines jus in re aliena, denn nach der Ver äußerung wird ja das Recht an einem fremden Grundstücke ausgeübt,
—
etwa den nur theoretischen Fall ausgenommen,
der Ersteher des Grundstücks wird.
daß der Subhastat
bleibt für die bisherige
Demnach
Rechtsanschauung nur die Geltendmachung der Eigenthümer-Hypothek bei
der Zwangsverwaltung
als
etwas
Anstößiges.
Ob im
Interesse der
theoretischen Consequenz diese wenig praktische Befugniß zu streichen wäre,
darüber ließe sich reden. thek
Aber in Wahrheit hat die Eigenthümer-Hypo
bis zu ihrer Veräußerung oder bis zur Veräußerung des Grund
stücks überhaupt nicht den Charakter eines Realrechts in dem bisherigen
Sinne.
längst
Das Institut besteht und hat die Probe des praktischen Lebens überstanden.
Insoweit dasselbe sich
in die bisherigen Rechts
formen und Rechtsanschauungen nicht schicken will, ist es Aufgabe des Juristen, das Wesen desselben zu ergründen und dafür die entsprechende
Rechtsform aufzufinden. Mir scheint, daß derjenige, welcher eine Eigenthümer-Hypothek be sitzt, einen bestimmten Theil des Verkehrs-Werth es seines Grundstücks von demselben ausgesondert in seinem Besitze und zu seiner Verfügung hat; die Eigenthümer-Hypothek wäre demnach eine von dem Gesetze zu gelassene theilweise Mobilisirung des Grundeigenthums, soweit dasselbe als Verkehrs-Object betrachtet wird
und
als solches functionirt.
Ein
Grundstück, welches in Höhe seines gesummten Werths mit EigenthümerHypotheken (bez. Grundschulden) belastet ist, ist gewissermaßen, soweit es ein Verkehrs-Object darstellt, in lauter mobile Werthobjecte zerlegt.
diesen,
den
wirthschaftlichen
Zwecken der
Von
Eigenthümer-Hypothek ent
sprechenden Gesichtspunkten ließe sich meines Erachtens eine befriedigende
Theorie des Institutes herstellen ohne Gefahr, mit den bisherigen Rechts anschauungen in Collision zu gerathen.
Es ist indessen hier nicht der
273 diese
Ort,
Andeutungen
weiter
Ich glaube, gezeigt zu
auszuführen.
haben, daß das Institut auch mit den überkommenen Rechtsanschauungen
nicht absolut unvereinbar ist und daher auch von einem rein theoretischen Standpunkte nicht verworfen werden sollte.
desselben ist unbestritten.
löschter Hypotheken neue eintragen zu lassen, Eigenthümer-Hypothek
liegenden
entsprechenden Befugnisse, werth.
Die praktische Bedeutung
Der Vorschlag von Staub,
noch
und ist
an Stelle ge
erschöpft weder die in der
dem Bedürfnisse des Realcredits
er für die Ausführung empfehlens-
Wenn man auch das Vorrücken der nacheingetragenen Hypotheken
nach Löschung einer vorstehenden nicht als eine „Naturnothwendigkeit"
ansehen kann,
sondern gewiß nur als eine positive,
Zweckmäßigkeit beruhende Vorschrift,
so
auf Gründen der
ist doch ebensowenig angängig,
das Nichtvorrücken als eine logische Nothwendigkeit anzusehen; man wird
vielmehr dem Grundstücks-Eigenthümer unbedenklich gestatten müssen, eine von ihm eingelöste Hypothek ein für alle Mal durch Löschung im Grund buche aus der Welt zu schaffen und auf die Benutzung des locus zu ver zichten, was dann natürlich im Grundbuche einzutragen wäre.
kennt auch Staub selbst S. 414 Anm. 4 ausdrücklich an.
Dies er Es
bedarf
keiner Ausführung, daß dadurch die Übersichtlichkeit des Grundbuchs auf unerträgliche Weise erschwert werden würde.
Während gegenwärtig eine
gelöschte Hypothek
bei der Feststellung des Realzustandes einfach unbe
rücksichtigt
müßte später jedesmal kenntlich gemacht und geprüft
bleibt,
werden, ob die Löschungen unter Verzicht auf die Wiedereintragung oder
ohne solchen Verzicht, ob sie vor oder nach der Gesetzeskraft des bürger lichen Gesetzbuches mit den Wirkungen des alten oder des neuen Rechts
Die
erfolgt sind. dann
auch
zu dieser Prüfung
in die Hypothekenbriefe
einer Nichtübereinstimmung würde dadurch
erheblich
erforderlichen Vermerke müßten
übertragen
werden.
Die
Gefahr
der Hypothekenbriefe mit dem Grundbuche
vermehrt.
Dergleichen Schwierigkeiten machen
den Hypothekenverkehr unprakticabel und schwachen den Realcredit. Alles in Allem wird man sich hiernach für die Ausrechthaltung der
Eigenthümer-Hypothek entscheiden müssen, und was für diese gilt, ist für die Eigenthümer-Grundschuld noch in höherem Maße zutreffend.
III.
Die Sicherungs-Hypothek.*)
Die „Sicherungs-Hypothek" des Entwurfs bildet den Gegensatz zur
Verkehrs-Hypothek, indem sie
lediglich dem
Zwecke der Sicherung
4) Vgl. die eingehende Beurtheilung von v. Meibom in Archiv f. civ. Praxis. Bd. 74 S. 354 ff. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. NI.
274 einer Personalforderung dienen
soll,
unter Ausschluß der Vorschriften,
des Grundbuchs für das Bestehen der Forderung
welche den Glauben
verwerthen und den Schutz des gutgläubigen Erwerbers der Hypothek gegen Einwendungen aus den Rechtsverhältnissen des Gläubigers
und
Schuldners, insbesondere gegen Aufrechnungen von Gegenforderungen be zwecken (§ 1125), unter gleichzeitigem Verbot der Ertheilung eines Hypo
thekenbriefs (§ 1127) (im engeren Sinne).
und
Ausschließung
der
„Eigenthümer-Hypothek"
Die Sicherungs-Hypothek deckt sich nicht etwa mit
dem als Cautions-Hypothek (Sicherheits-Hypothek) bekannten und in ver
schiedenen Bundesgebieten geltenden Institute, diese Unterart derselben.
Auch
für unbedingte und
ist vielmehr eine
dem Betrage nach fest
stehende Forderungen soll eine Sicherungs-Hypothek unter Angabe dieser
Bezeichnung bestellt und eingetragen werden können. oben de lege ferenda behandelten Systeme,
In dem von mir
welches die Verkehrs-Hypo
thek lediglich für den Immobiliarcredit unter Beschränkung der Haf
tung des Schuldners auf das belastete Grundstück reservirt, entspricht die Sicherungs-Hypothek in dieser Gestalt einem unbedingten praktischen Be-
dürfnifse. Wenn dagegen, wie nach dem Entwürfe, auch die Verkehrs-Hypothek nur in Verbindung mit einer persönlichen Forderung als deren Accessorium auftritt, wird von der Sicherungs-Hypothek für unbedingte und
dem Betrage nach feststehende Forderungen nur in
ganz exceptionellen
Fällen Gebrauch gemacht werden. Wenn der Gläubiger die Wahl zwischen einer privilegirten und einer nicht privilegirten Hypothek hat, und er sich sowohl durch die eine wie
die andere noch eine persönliche Forderung gegen den Schuldner sichert, wird er seine Wahl schwerlich jemals zu Gunsten der nicht privilegirten Hypothek treffen. Die schwächere Lage des creditsuchenden Schuldners unterwirft denselben aber regelmäßig bei Bestellung der Sicherheit der jenigen Form, welche für den Gläubiger die vortheilhaftere ist.
Es liegt deshalb nahe, (mit v. Meibom a. a. O. S. 354 f.) die
Beseitigung der typischen Sicherungs-Hypothek des Entwurfs zu befür
worten. Ich kann mich dessen ungeachtet diesem Vorschläge nicht anschließen. Daß für mehrere, keiner Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner unterliegende Fälle das Bedürfniß einer bloßen Sicherungs-Hypothek als Gegensatz zur Verkehrs-Hypothek besteht, kann nicht in Abrede gestellt
werden und wird
auch von Meibom anerkannt.
Es fordert deshalb
schon die logische Consequenz, für die Bestellung einer solchen Sicherungs-
275 Hypothek auch (affen.
der Vereinbarung der Parteien freien
Spielraum zu
Jedenfalls ist es weder theoretisch gerechtfertigt, eine solche Ver
einbarung auszuschließen, noch ist in der Zulassung derselben ein praktischer Nachtheil zu erblicken.
Daran wird
auch nichts
geändert, wenn für
einzelne Unterarten der Sicherungs-Hypothek gewisse Modificationen der allgemeinen Regeln erforderlich bei jedem Institute,
sind,
denn diese Erscheinung findet sich
von welchem besondere Unterarten existiren.
Die
ausschlaggebenden gemeinsamen Kennzeichen bleiben davon unberührt, und ich halte es für ein besonderes Verdienst des Entwurfs, diese gemeinsamen Kennzeichen der verschiedenen Arten zur Aufstellung eines Gattungsbegriffs
verwerthet zu haben. Von meinem Standpunkte sehe ich aber noch einen besonderen Anlaß, der Beibehaltung der Sicherungs-Hypothek das Wort
zu reden, weil durch dieselbe die Differenz des Personal- und Jmmobiliarcredits zum Bewußtsein gebracht wird, wodurch allein eine spätere Reform
in dem von mir oben angedeuteten Sinne angebahnt werden kann. Die erste Unterart der Sicherungs-Hypothek ist nach dem Entwürfe diejenige Hypothek,
bei welcher die Feststellung des Betrages der
Forderung vorbehalten wird, § 1129 und demgemäß nur ein Höchst betrag
einzutragen ist.
Das Bedürfniß für eine solche (Cautions-)
Hypothek zur Sicherheit für dem Betrage nach unbestimmte und zukünftige Ansprüche
aus
einem bestehenden Rechtsverhältniffe (einem Dienstver
hältnisse, einem laufenden Banquiercredit u. dgl.) ist unbestritten. Form der Hypothek hätte jedoch
auch auf solche Forderungen,
Diese welche
zwar ihrem Betrage nach zu berechnen,
abhängig
aber von einer Bedingung find, — im Anschlüsse an die Praxis des Preußischen Rechts
— ausgedehnt werden müssen. Es scheint mir mit der Natur einer Verkehrs-Hypothek absolut un vereinbar, daß dieselbe auch für bedingte Ansprüche — wie der Ent wurf § 1062 Abs. 2 vorschreibt — bestellt werden könne. Dazu ist
allein die Cautions-Hypothek geeignet, welche zwar eine der Form nach unbedingte Eintragung gewährt (int Gegensatz zu der bedingten
Eintragung durch eine Vormerkung), aber kein unbedingtes, sondern nur ein von späterer Feststellung der Forderung dem Grunde oder Betrage nach abhängiges Hypothekenrecht gewähren soll. Ihre Realisirung bei der Zwangsverwaltung und Zwangsversteigerung
kann nur unter der Voraussetzung dieser Feststellung erfolgen.
Sie ist
eine bedingte Sicherungs-Hypothek. Es bedarf also auch der Vorschriften über die Umwandlung derselben in eine unbedingte (definitive) Sicher
ungs-Hypothek.
Hier ist eine Lücke im Entwurf.
Derselbe
giebt nur
18*
276 eine allgemeine Vorschrift über die Umwandlung einer jeden Sicherungs
eine normale Verkehrs-Hypothek § 1134,
Hypothek in
indem
er dazu
außer dem Vertrage zwischen Gläubiger und Schuldner auch noch die
Zustimmung der gleichstehenden und nachstehenden Berechtigten erfordert. Mit Recht tadelt von Meibom a. a. O. S. 357 das formale Er forderniß dieser Zustimmung,
spruchsrechts der gleich-
welche unbeschadet des materiellen Wider-
und nachberechtigten Gläubiger sehr wohl ent
behrt werden kann und geeignet ist,
praktisch
zu
machen.
Doch
die Cautions-Hypothek völlig un
mag dies
dahingestellt
hier
bleiben.
Jedenfalls fehlt eine Vorschrift für die Umwandlung der Cautions-Hypothek in eine gewöhnliche Sicherungs-Hypothek. Man wird dazu nicht bloß die Bewilligung des Schuldners, sofern er noch Grundstücks-Eigenthümer ist,
sondern auch
ein rechtskräftiges
Urtheil für ausreichend erachten müssen, welches entweder diese Bewilligung ergänzt oder auch
nur die
betreffende Forderung
ihrem Grunde und
Betrage nach feststellt.
Hiernach
erachte ich die Cautions-Hypothek des Entwurfs zwar
für unbedingt nothwendig, die Vorschriften über dieselbe aber in mehr facher Hinsicht der Vervollständigung
bedürftig.
Es würde
sich
auch
empfehlen, für diese Unterart der Sicherungs-Hypothek den schon gebräuch
lichen Namen „Cautions-Hypothek" aufzunehmen.
Eine nahe Verwandtschaft mit der Cautions-Hypothek hat eine andere Unterart der Sicherungs-Hypothek, die Arrest-Hypothek.
Daß der Entwurf der Vollziehung des Arrestes in unbewegliches
Vermögen, entsprechend dem Pfändungspfandrechte an beweglichen Sachen nach dem Vorgänge des Preuß. Ges. vom 13. Juli 1883 § 10, dingliche
Wirkung beigelegt hat, darf auf allgemeine Zustimmung Anspruch machen. Daß die Eintragung der durch den Arrest zu sichernden Geldforderung bez.
des
in dem Arrestbefehle gemäß
§ 803
C.P.O.
festzustellenden
Geldbetrages in Form einer Sicherungs-Hypothek und nicht,
wie nach
Preußischem Recht in der einer Vormerkung erfolgen soll, bewirkt keine materielle Differenz; denn auch die Arrest-Hypothek trägt, wie die Cautions-Hypothek, unausgesprochen den Vorbehalt der endgültigen Fest stellung der Arrestforderung in sich, kann also trotz der unbedingten Form nur
bedingte
Wirkungen äußern.
Arrest-Hypothek in
Hinsichtlich
der
Umwandlung
der
eine endgültige unbedingte Sicherungs-Hypothek gilt
hier also dasselbe, was vorstehend
bei der Besprechung der Cautions-
277 Hypothek dienen,
Keine Billigung scheint mir die Vorschrift zu ver
gesagt ist.
daß
bei der Arrest-Hypothek,
auch wenn es sich um eine reine
Geldforderung handelt, nur der Höchstbetrag nach Maßgabe des § 803 C.P.O., bis zu welchem das Grundstück haften soll, lichkeit und Zinssatz
einzutragen sind, § 1132,
nicht aber Verzins
§ 1129 Abs. 3,
denn
dadurch wird es unmöglich, die Zinsen für die Zukunft sicherzustellen. rechtfertigt sich wohl für einen Anspruch
Eine solche Bestimmung
der erst in eine Geldforderung übergehen kann (§ 796 C.P.O.), bei dem also
von einer Verzinslichkeit noch nicht die Rede ist, und allenfalls bei
der Cautions-Hypothek,
wo
die Parteien
es
in der Hand haben,
den
daß der muthmaßliche Betrag zukünftiger
Höchstbetrag so zu bestimmen,
Zinsen darin enthalten ist, nicht aber bei einer verzinslichen Geldforderung, zumal die Feststellung des Geldbetrags nach § 803 C.P.O. schon im Hinblick auf die vorausgesetzte Hinterlegung regelmäßig auf zukünftige
Die erwähnte Vorschrift verkümmert ohne
Zinsen keine Rücksicht nimmt.
Roth die Rechte des Gläubigers.
Ist der dingliche Arrest wegen einer
Capitalforderung nebst Zinsen von einem besümmten Tage ab angeordnet, so ist nicht einzusehen, warum die Eintragung der Arrest-Hypothek nicht
dem entsprechend soll erfolgen können. Eine dritte Unterart der Sicherungs-Hypothek ist die
Zwangshypothek des Entwurfs.
Dieselbe wird
auf einseitigen Antrag des Gläubigers
zur Sicherung einer vollstreckbaren Geldforderung auf den Grundstücken
des Schuldners
eingetragen,
und
gehört demnach zu den Mitteln der
Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen. Sie ist nicht bloß Judicatshypothek, da sie auf Grund eines jeden reichsgesetzlichen oder landesgesetzlichen vollstreckbaren Titels einzutragen ist, verdankt aber wohl ihre Entwickelung zumeist der französischen Judicialhypothek. Das In
stitut ist in den
meisten deutschen Bundesstaaten,
wenngleich in abwei
chenden Formen bekannt und verdient meines Erachtens volle Billigung. Die von v. Meibom a. a. O. S. 358s. dagegen erhobenen Bedenken
wollen mir nicht
einleuchten.
auf Schonung des Schuldners, keinen Grund
Richtig ist allerdings, daß die Rücksicht auf welche die Motive Gewicht legen,
für die Zwangshypothek abgeben kann,
denn wenn der
Gläubiger sich mit der Eintragung der Forderung an Stelle der Zwangs
versteigerung oder Zwangsverwaltung vorläufig begnügen will,
wird er
auch den Schuldner in der Regel bereit finden, die Eintragung zu be willigen, und wenn dieser sich dazu nicht bereit finden läßt, verdient er auch
278 nicht, mit der Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung verschont zu Allein Recht und Interesse des Gläubigers erheischen die Zu
werden.
lassung der Zwangshypothek.
Es ist nicht zutreffend, daß dieselbe dem
Gläubiger etwas Anderes verschafft,
gerichtet ist.
mögen des Schuldners,
Forderung
als worauf sein Forderungsrecht
Der Gläubiger hat das Recht,
aus dem bereitesten Ver
wie solches zur Zeit der Vollstreckbarkeit seiner
beschaffen ist,
befriedigt zu werden.
Dies
wird
bei der
Zwangsvollstreckung in bewegliches Vermögen dadurch gesichert, daß dem
Gläubiger an den
gepfändeten Sachen
ein Pfandrecht verliehen wird,
welches ihm den Vorrang vor Nachpfändungen anderer Gläubiger ver
schafft.
Es liegt kein Grund vor, dem Gläubiger die gleiche Sicherung
bei der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen zu versagen. Die Zwangshypothek fixirt nur den Rang,
in welchem der Gläubiger
aus dem Immobile Befriedigung erlangen soll, und auf welchen er mit
Recht zu der gegebenen Zeit Anspruch machen darf.
Wenn v. Meibom
die dingliche Wirkung der Vollziehung eines Arrestbefehls
in unbeweg
liches Vermögen mit Rücksicht auf die Analogie des Pfändungspfand
rechts an beweglichen Sachen billigt, so sollte schon die Consequenz da hin führen, die gleiche Billigung für die Vollziehung eines vollstreckbaren
Titels auszusprechen.
Wenn v. Meibom dann weiter bemerkt, daß „die
Erwirkung einer Zwangshypothek ein Glied
in der Kette der Opera
tionen zu sein pflegt, durch welche wucherische Gläubiger, besonders im Kreise des ländlichen Kleingrundbesitzes, den wirthschastlichen Untergang
ihrer Schuldner herbeiführen",
so
kann ich nicht einsehen, inwiefern
gerade dieses Glied in der Kette der Operationen besonders gefährlich sein soll. Durch die sofortige Betreibung der Zwangsversteigerung wird der Ruin des Schuldners noch schneller herbeigeführt. Uebrigens kann die Rücksicht auf den möglichen Mißbrauch eines an sich zu billigenden Gläu bigerrechts durch Wucherer den Gesetzgeber nicht zur Beseitigung desselben veranlassen.
Dem Wucher ist — wenn ihm überhaupt gesteuert werden
kann — auf andere Weise zu begegnen. Wenn hiernach die Zwangshypothek an sich den berechtigten Interessen des Gläubigers durchaus entspricht, so ist doch andererseits dieselbe so zu gestalten, daß sie nicht ihren Zweck — die Sicherung einer
Personalforderung — überschreitet. Es verdient deshalb vollen Beifall, daß die Zwangshypothek vom Entwurf lediglich als Sicherungshypothek zugelassen
um so
wird.
Die abweichende Meinung von v. Meibom ist mir als derselbe der Zwangshypothek überhaupt nicht
auffallender,
sympathisch gegenübersteht.
Der Gläubiger,
welcher keinen Jmmobiliar-
279 credit gewährt, sondern lediglich die Beitreibung seiner persönlichen For derung ins Auge faßt,
hat keinen Anspruch auf eine Verkehrshypo
thek, nicht bloß nicht auf eine Briefhypothek — was v. Meibom selbst anerkennt, S. 361 — sondern auch
nicht auf eine normale Buch
hypothek im Sinne des § 1062ff., welche als Verkehrshypothek gestaltet ist (und die ich freilich an sich beseitigen möchte).
Ein solcher hat ins
besondere keinen Anspruch auf die Privilegien des § 1083,
welcher zu
Gunsten des Bestehens der Forderung und zum Nachtheile der gegen
die Forderung zu erhebenden Einwendungen den Glauben des Grund buchs verwerthet: denn er hat nicht im Glauben auf das Grundbuch,
sondern auf die Person des Schuldners creditirt.
Ebenso wenig ist es
zu rechtfertigen, zu Gunsten des gutgläubigen Erwerbers einer Zwangs hypothek die Bestimmung der §§ 303—305 gemäß § 1089 wie bei der
Verkehrshypothek auszuschließen, denn die Zwangshypothek ist ihrer Natur nach nicht für den Umlauf bestimmt und
Realcredits.
kein Mittel zur Hebung des
Wenn v. Meibom in letzterer Beziehung hervorhebt, daß
die Berufung auf §§ 303—305
gegenüber einer durch
rechtskräftiges
Urtheil anerkannten Forderung nach § 686 C.P.O. ohnedies nur in be schränktem Umfange zulässig ist, so dürfte doch keine Veranlassung sein, die Einwendungen in diesem beschränkten Umfange dem Schuldner gegen
den gutgläubigen Erwerber der Zwangshypothek zu versagen; denn warum soll ein Schuldner, der nach der entscheidenden mündlichen Ver handlung die eingeklagte Forderung getilgt hat, mit dem Zahlungsein wande gegenüber dem Rechtsnachfolger des Gläubigers nicht gehört werden? Nur deshalb, weil der Gläubiger in der Zwangshypothek ein
Sicherungsmittel für seine Forderung erworben hat? Dies verdient offen bar keine Billigung.
Außerdem übersieht v. Meibom,
daß es sich bei
der Zwangshypothek auch um solche vollstreckbaren Titel handeln kann,
bei denen die Beschränkungen des finden, vgl. § 705 Abs. 4 C.P.O.
Kündigung
betreffenden § 1079
§ 686 C.P.O.
nicht Anwendung
Auch die Ausschließung des die
halte ich im Gegensatze zu der Be
merkung von v. Meibom für gerechtfertigt.
Allerdings könnte der
§ 1079 erst bei einem Wechsel des Eigenthums nach der Eintragung der Zwangshypothek Anwendung finden. Aber ein solcher Eigenthumswechsel ist kein Grund, die Zwangshypothek, welche auch wirthschaftlich nur ein Accessorium der Personalforderung ist, hinsichtlich der Kündigung zu
privilegiren.
Eine Zusammenschweißung der Zwangshypothek mit der Cautionshypothek (vgl. oben), wie sie v. Meibom dem Entwürfe vorwirft, ist in
280 Beide, die Zwangshypothek und die Cautions-
der That nicht vorhanden.
hypothek haben nur gewisse gemeinsame Merkmale, welche sie als Unter
arten der Sicherungshypothek erscheinen lassen,
sie unterscheiden sich
aber in besonderen Stücken, welche z. B. in den §§ 1129 Abs. 3 u. 4
Ausdruck gefunden haben.
Die im § 1134 geforderte Zustimmung der
gleich- und nacheingetragenen Gläubiger zur Umwandlung der Sicherungs hypothek in eine normale Hypothek ist freilich, wie schon oben angedeutet, allgemein (nicht bloß für die Zwangshypothek) zu verwerfen.
Dies
hindert aber nicht, der Gestaltung der Zwangshypothek als Sicherungs hypothek die Zustimmung zu ertheilen.
Was ich bei dieser Gestaltung
allein vermisse, sind Specialvorschriften
über die aus der Verschieden
artigkeit der vollstreckbaren Titel sich ergebenden verschiedenartigen Wir kungen der Zwangshypothek.
vorläufig
(bez.
Insbesondere war zu unterscheiden zwischen
nur gegen Sicherheitsleistung)
gültig vollstreckbaren Titeln.
vollstreckbaren
und end
Aus den ersteren dürfte nur eine be
dingte Zwangshypothek, d. h. unter ausdrücklichem Vorbehalt der end gültigen Vollstreckbarkeitserklärung des Titels zugelassen werden, und im Anschlüsse daran wären Vorschriften über die Umwandlung einer bedingten
Zwangshypothek in eine unbedingte
als Sicherungshypothek,
(ohne Aenderung des Charakters
also nicht gemäß § 1134) zu treffen (vgl. § 7
des preuß. Ges. v. 13. Juli 1883). Verwandt mit der Zwangshypothek ist die nach Anm. 2 zu
§ 833 S. 189 auf Ersuchen einer zuständigen Behörde nach näherer Bestimmung der Grundbuchordnung einzutragende Sicherungshypo thek. Da die Grundbuchordnung bisher nicht im Buchhandel erschienen ist, so sehe ich mich außer Stande, darüber Weiteres zu sagen. Dagegen ist von der Zwangshypothek diejenige Hypothek zu unterscheiden, welche
auf Grund eines die Bewilligung d er Eintragung aussprechenden vollstreckbaren Urtheils im Wege der Zwangsvollstreckung gemäß und zwar in unbedingter Form, wenn das Urtheil endgültig vollstreckbar, in bedingter, wenn es nur vor
§ 779 Abs. 1 C.P.O. einzutragen ist,
läufig vollstreckbar ist (§ 833 Entw.).
Eine solche unbedingte Hypothek
kann eine normale (Buch- oder Briefhypothek) oder nur eine Sicherungs
hypothek sein,
je nach dem Inhalte der Verurtheilung; die bedingte
Eintragung kann dagegen wohl immer nur in Form einer Sicherungs
hypothek erfolgen (vgl. oben). Eine von v. Meibom mit Recht getadelte Lücke im Entwurf ist darin zu finden, daß die Art der Sicherung eines Individualrechts auf
Bestellung einer Hypothek (oder Grundschuld), wenn dasselbe auf gesetz-
281 kicher Vorschrift oder auf Vertrag beruht, im Wege einstweiliger Ver
fügung nicht vorgesehen ist. Da der Entwurf Vormerkungen (b. h. bedingte Eintragungen) zur Erhaltung noch nommen hat,
nicht bestehender Rechte an Grundstücken nicht ausge
solche auch durch Zulassung der Eintragung bedingter
Realrechte in der That ersetzt und entbehrlich werden, so hat v. Mei bom einen Zusatz zu § 833 des Inhalts vorgeschlagen: „Die Vorschriften des § 833 Abs. 2 u. 3 finden entsprechende
der Eintragung eines noch nicht be
Anwendung bei
stehenden Rechts am Grundstück zur Vollziehung einer dieselbe zur Erhaltung des Rechts auf Eintragung
anordnenden einstweiligen
Verfügung des Gerichts." Ich habe aus diesem Amendement die Worte, auf Eintragung einer Zwangs-Hypothek aus
welche sich lediglich einem vorläufig vollstreck
baren Urtheil beziehen, fortgelassen, weil dazu nach den Vorschriften über die Zwangs-Hypothek kein Bedürfniß ist (vgl. oben), durch diese vielmehr auch die vorläufig vollstreckbaren Titel getroffen werden.
kläre ich mich
und
Dagegen er
im Uebrigen mit dem Vorschläge durchaus einverstanden
kann zur weiteren Rechtfertigung desselben gegenüber den Motiven
nur auf die Besprechung von v. Meibom verweisen.
IV.
Die Grundschuld.
Die Grundschuld ist nach dem Entwürfe die Belastung eines Grund stücks für eine bestimmte Person des Inhalts, daß diese die Beitreibung einer bestimmten Geldsumme (mit oder ohne Zinsen)
aus dem Grund
stück im Wege der Zwangsverwaltung und Zwangsversteigerung verlangen
kann (§ 1135).
Die Grundschuld darf von keiner Bedingung oder Zeit
bestimmung abhängig gemacht werden. Träger derselben ist der Grund schuldbrief, dessen Ertheilung nicht ausgeschlossen werden kann. Sie kann auch für den Eigenthümer des Grundstücks selbst eingetragen werden
(§ 1142).
Sie unterliegt im Uebrigen den Vorschriften über die Brief-
Hypothek, soweit diese nicht mit dem Bestehen einer persönlichen Forderung
Zusammenhängen (§ 1136). stituts,
Dies sind die allgemeinen Umrisse des In
welches schon oft und mit Recht einem Wechsel auf das Grund
stück verglichen worden ist.
Real-Obligation,
Die Grundschuld ist demnach nicht bloß
sondern auch Formal-Obligation,
indem sie ohne Be
Freilich kann hinter der Real-Obligation auch noch eine persönliche Forderung des Grundstücks-Eigenthümers verborgen sein, und es können dadurch dieselben Unzuträglichkeiten (wenn nennung der causa begründet wird.
282 nicht
auch
schildert
als
worden
mit Rücksicht
mit der accessorischen Verkehrs-Hypothek verbunden ge sind.
Die Zulassung der Grundschuld kann also nicht
auf die Beseitigung dieser Unzuträglichkeiten gerechtfertigt
Nichtsdestoweniger ist dieselbe
werden.
wie sie im Eingänge dieses
in gleichem Umfange) entstehen,
Gutachtens
zu
Ausschlaggebend
billigen.
kann dafür allerdings der Umstand allein nicht sein, daß das Institut in einigen Bundesgebieten theils
neben
der accessorischen Hypothek,
als ausschließliche Form des Jmmobiliarcredits besteht.
theils
Dagegen ergießt
sich einmal schon vom Standpunkte der Theorie aus die Aufrechterhaltung
bez. Einführung der Grundschuld als gerechtfertigt,
dieselbe
da
in der
Eigenthümer-Hypothek, nach § 1100 Abs. 2 auch in der weiter begebenen bereits
vorgebildet ist.
Ferner
für dieselbe, namentlich
welches die Hypothek nicht
nicht
construirt,
als reine Real-Obligation
Gegensatze
ist aber auch ein praktisches Bedürfniß
in einem Systeme,
Man hat im
abzuleugnen.
daß in denjenigen Rechtsgebieten,
dazu darauf hingewiesen,
wo die Grundschuld neben der Hypothek besteht, ein verhältnißmäßig spärlicher Gebrauch
gemacht
der
von
wird.
ersteren
Dies
ist
nur auch
richtig und vollkommen erklärlich, da der Gläubiger die mit dem persön lichen Ansprüche verbundene Hypothek der Grundschuld naturgemäß vor
Wenn
zieht.
die Motive
berichten,
daß im Jahre 1878 bei dem vor
maligen Stadtgericht zu Berlin Grundschulden im Betrage von mehr als
so wird der Werth dieser
12 Millionen Mark constituirt worden sind,
Thatsache dadurch erheblich abgeschwächt, daß die Grundschuld gerade bei
gewissen großen Credit-Operationen von Gesellschaften, näher bezeichnen werde, einzelner Grundschulden
über
sehr
hohe
die
ich
sogleich
so daß eine Anzahl
in Gebrauch gekommen ist,
ausgestellt
Beträge
wurde.
Aber immerhin hat sich die Grundschuld doch in Preußen, wo sie neben
der
accessorischen Hypothek
erst
seit 1. October 1872 besteht,
langsam
eingebürgert und sich für manche Zwecke äußerst dienlich erwiesen. schon angedeuteten Credit-Operationen,
Die
für welche die Grundschuld viel
fach in Gebrauch ist, bestehen darin, daß bei Ausgabe von börsenmäßigen Schuldverschreibungen (auf den Namen oder auf den Inhaber) zur Sicher
heit
der Obligationäre
trages
eine Grundschuld
in Höhe
des gesammten Be
der auszugebenden Obligationen creirt und der Grundschuldbrief
einem bestimmten Pfandinhaber zur Verwahrung und Verwaltung über geben ward. entsprechen,
Ob diese Operationen ihrem Zwecke mag
juristisch
vollkommen
hier dahingestellt bleiben, jedenfalls haben sie wirth-
schaftlich ihrem Zweck entsprochen. bei Lebzeiten Capitals-Abfindungen
Grundbesitzer, welche ihren Kindern
gewähren
wollen,
ohne ihre Baar-
283 mittel zu schwächen oder sich persönlich verbindlich zu machen,
erreichen
dies durch Ausstellung von Grundschulden.
Gleiches geschieht häufig bei
des
Grundstücks-Uebernehmers zu
der Theilung des Nachlasses Gunsten der Miterben.
seitens
Bei Vereinigungen Mehrerer zur Erwerbung,
Ausnutzung und Veräußerung eines Grundstücks wird zur Vereinfachung des Verkehrs das Grundstück häufig nur auf den Namen eines der Ge
sellschafter, besonders des socius gerens erworben und werden die Einlagen
der übrigen durch Grundschulden sichergestellt.
Ein Bauunternehmer, der die
Bauhandwerker nicht mehr befriedigen kann,
will denselben sein Grund
stück überlassen; doch findet sich nur Einer, der es übernehmen, auch die
oder
Forderungen der Anderen ganz
persönlich dafür haften will.
schuld
dar.
Ein Bankinstitut
will
Jmmobiliar-Sicherheit gewähren,
Kautions-Hypothek.
theilweise
sicherstellen,
aber
nicht
Als Auskunftsmittel bietet sich die Grund einen
laufenden Credit
nur
gegen
scheut aber die schwerfällige Form der
Die Grundschuld übernimmt die Function derselben,
ähnlich einem Depot-Wechsel.
Diese wenigen Beispiele, welche sich leicht
vermehren ließen, zeigen deutlich, daß die Grundschuld mannigfachen Be
dürfnissen des Rechtsverkehrs
in
zweckmäßiger Weise dienstbar gemacht
werden kann.
Andererseits läßt sich allerdings nicht in Abrede stellen, daß die Zu
lassung
einer
rein
formalen Real-Obligation gewisse Gefahren
birgt, namentlich für den kleinen ländlichen Besitzer.
in sich
Indessen ließen sich
diese Gefahren vielleicht durch eine Bestimmung vermindern, nach welcher
Grundschulden nicht unter einem bestimmten Betrag ausgestellt, beziehungs
weise getheilt werden dürfen,
und daß im einzelnen Falle die Weiter
begebung der Grundschuldbriefe zum Nachtheile des Eigenthümers durch einen Vermerk wie „nicht übertragbar" untersagt
dem „nicht an Ordre" gestellten Wechsel,
werden
dergestalt,
darf,
analog
daß die Abtretung
nur zum Jncasso zulässig ist, die Einwendungen gegen den ursprünglichen
Gläubiger demnach erhalten bleiben.
Doch dies nur beiläufig.
Jeden
falls scheinen mir die wirthschaftlichen Vortheile des Instituts gegenüber den angedeuteten Gefahren so überwiegend zu sein, daß man sich für die
Zulassung der Grundschuld unbedenklich entscheiden muß. Dem Wesen der Grundschuld als eines Mittels für den Jmmobiliarcredit entspricht es gewiß, daß dieselbe den Regeln über die Brief-Hypo
thek
—
soweit
diese nicht mit dem Bestehen einer persönlichen Forde
rung zusammenhängen — unterstellt ist.
Auf die einzelnen Bestimmun
gen näher einzugehen, ist bei dem begrenzten Umfange dieses Gutachtens
keine Veranlassung.
Ich
lasse
deshalb
auch
dahingestellt,
ob für den
284 Grundschuldverkehr eine erleichterte Form der Abtretung sowie die Aus
gabe von Zinsquittungsscheinen (welche in Preußen allerdings nicht techt Eingang gefunden haben) angemessen erscheint.
Die Eigenthümer-Grundschuld ist nur eine Consequenz der Eigenthümer-Hypothek, und es kann deshalb hier auf das über diese Ge
genommen werden.
sagte Bezug
Der weitere Schritt zu der von vorn
herein auf den Namen des Eigenthümers eingetragenen Grundschuld ist
schon in mehreren Particulargesetzen (auch in Preußen) mit gutem Er folge gemacht worden.
der Hand.
Die praktischen Vortheile dieser Form liegen auf
Der Grundbesitzer wird dadurch in den Stand gesetzt,
schon im Hinblick auf ein zukünftiges Bedürfniß in den Besitz Werthpapieres zu setzen,
sich
eines
dessen Begebung ihm zur rechten Zeit den ge
wünschten Jmmobiliarcredit verschafft,
und der Gläubiger läuft bei Ge
währung des Credits nicht Gefahr, daß die Eintragung der Grundschuld
beanstandet oder die Aushändigung des Grundschuldbriefs an ihn ver eitelt oder verzögert werde.
Der oben hervorgehobene Gesichtspunkt der
Mobilisirung des Grundstücks-Werths als Verkehrs-Objects ist bei dieser
Form noch mehr in die Augen springend. Schließlich sei noch Folgendes hervorgehoben:
Auch eine Grundschuld kann im Wege der Zwangsvollstreckung auf Grund eines die Bewilligung zur Bestellung eines solchen aussprechenden vollstreckbaren Urtheils
Gmnd
eines
eingetragen werden (§ 833),
mithin muß
auf
solchen nur vorläufig vollstreckbaren Urtheils oder auch
einer einstweiligen Verfügung eine bedingte, d. h. von der endgültigen
Vollstreckbarkeit des Urtheils bez. rechtskräftigen Feststellung des Anspruchs auf Bestellung abhängige Grundschuld eingetragen werden können.
Die Bestimmung des § 1137, welche die Beifügung einer Bedin gung bei Eintragung einer Grundschuld verbietet, müßte deshalb modificirt oder dem Bedürfnisse der Sicherstellung eines solchen Anspruchs in anderer Weise Rechnung getragen werden.
V.
Andere Jmmobiliar - Pfandrechte.
Zum Schluffe sei noch der von dem Entwürfe nicht aufgenommenen beseitigten Pfandrechtsarten mit wenigen Worten gedacht. Zuerst der römisch-rechtlichen General-Hypotheken und der franz. Legalbez.
Hypotheken.
Beide Gattungen stehen der Herstellung eines wirksamen
Jmmobiliar-Credits direct entgegen.
Dies ist längst erkannt.
Man wird
285 deshalb gewiß allgemein die Abschaffung derselben, wo noch Reste davon
bestehen, mit Beifall begrüßen. ^) Auch das Besitz-Pfandrecht (Antichresis) ist mit Recht beseitigt. Dasselbe ist, wie die Motive richtig bemerken, ein längst abgestorbenes Rechtsinstitut und in einem geordneten Hypothekenwesen für den Jm-
mobiliar-Credit durchaus entbehrlich. In der preußischen Praxis gehörte es in dem letzten Jahrzehnt zu den seltensten Erscheinungen und wird
fast nur noch von zahlungsunfähigen Besitzern als Mittel benutzt, den Hypothekengläubigern die Ausübung ihrer Rechte zu erschweren.
Die eingetragene Rente (sowie andere wiederkehrende Leistungen, Altentheile u. dgl.) sind von dem Entwürfe unter die Reallasten ver wiesen (§ 1051), was ihrer rechtlichen Natur vollkommen entspricht.
Die
Revenüen-Hypothek
wird
vom Entwürfe nicht erwähnt.
Nach Art. 36 des Einführungs-Gesetzes wird die Zulassung jedoch den Landesgesetzen für solche Grundstücke gestattet, deren Belastung nach den
in den Art. 33—35
enthaltenen Vorschriften (betr. Familien-, Fidei-
commiß-, Lehn-, Stammgüter, Güter der Landesherren, der Mitglieder der landesherrlichen Familien und der fürstlichen Familie Hohenzollern, sowie der ehemaligen reichsständischen Häuser und des Reichsadels) unzulässig
ist.
Man kann sich mit der Nichtzulassung der Revenüen-Hypothek für
andere Güter nur einverstanden erklären,
da ein praktisches Bedürfniß
dafür nicht vorhanden ist. Ob deshalb zur Vermeidung von Controversen eine besondere ver bietende Bestimmung erforderlich ist, wie v. Meibom annimmt (a. a. O.
S. 378),
möchte
ich
bezweifeln; jedenfalls wäre sie unschädlich.
Der
Vorbehalt für die Landesgesetzgebung ist in den Mot. zum E.G. S. 158
ausreichend durch Hinweis auf die rein locale und territoriale Bedeutung des Instituts gerechtfertigt. Vormerkungen (Protestationen u. dgl.) endlich zur Erhaltung noch nicht bestehender Rechte an Grundstücken, also auch zur Erhaltung des Rechts auf Eintragung von Hypotheken oder Grundschulden hat der
Entwurf nicht zugelassen.
Schon oben ist darauf hingewiesen, daß die
selben durch Eintragung bedingter Hypotheken, welche vom Entwürfe ge
stattet werden, leicht ersetzt und entbehrlich werden. Als Schlußergebniß des vorstehenden Gutachtens will ich meine Aus führungen dahin zusammenfassen: 5) Vgl. auch über die Aufhebung der eheweiblichen Legal-Hypothek des code civil Schotter, Gutachten aus dem Anwaltstande, Heft 5 S. 363.
286 Die in dem Entwurf eines
bürgerlichen
Gesetzes
für das
Deutsche Reich vorgesehenen Arten des Pfandrechts an Grund stücken einschließlich der Grundschuld sind, mit Ausnahme der Buch-
Hypothek als normaler Verkehrs-Hypothek, beizubehalten, sofern nicht eine gründlichere Reform des Hypothekenrechts zum Zwecke der Sonderung des reinen Jmmobiliar-Credits von dem durch Jmmobiliar-Sicherheit verstärkten Personal-Credit schon jetzt durchführ
bar erscheint, unter Zulassung nur zweier Gattungen von Hypo theken, nämlich 1.
einer Brief-Hypothek,
als rein dinglicher Geld-Forderung,
mit allen für den Jmmobiliar-Credit und die Begebungs fähigkeit möglichen Privilegien (auch als Eigenthümer-Hypothek) in ausschließlich unbedingter Form;
2.
einer Sicherungs-Hypothek solche Privilegien,
ohne Hypothekenbrief und
ohne
als Aecessorium einer persönlichen Geld
forderung sowohl in unbedingter Form als
in bedingter
(Cautions-Hypothek, Arrest-Hypothek u. s. ro.).6)
6) Die- Schrift von Dr. Joh. Krech: „Die Rechte an Grundstücken re." in den Beiträgen von Bekker u. Fischer ist erst nach Fertigstellung dieses Gut achtens erschienen und konnte deshalb nicht mehr berücksichtigt werden.
XXIX. Machten des Herrn Rechtsanwalt Rarl Rlörschetl, Rgl. Advokaten in Würzburg über
Die Aufnahme und Gestaltung
des Privatpfändungsrechtes im
künftigen Deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs.
Die Selbsthülfe
—
im Gegensatze
zu
der von dem Staate oder
bessert Organen zu leistenden — ist in Beziehung auf die Vertheidigung gegen Angriffe wider die Person und das Vermögen von jeher und auch
allgemein als berechtigt anerkannt;
heutzutage
Fall
bezüglich
nicht das Gleiche ist der
ihrer Richtung auf Befriedigung
oder Sicherung
eines
Anspruchs.
Nach
altem
germanischen Rechte in weitem Maße gestattet,
ist sie
mit der Erstarkung der Staatsgewalt und durch das Eindringen der ihr
durchaus
entgegenstehenden Grundsätze des
römischen Rechts mehr und
mehr beschränkt worden. Dies
gilt
insbesondere
von
dem
Pfändungsrechte
oder
Privat-
pfändungsrechte, worunter wir verstehen das Recht, eigenmächtig bewegliche
Sachen eines Anderen in Besitz zu nehmen,
um sich für einen Anspruch
gegen denselben Sicherung oder Befriedigung zu verschaffen.
Es kommen
hier
folgende einzelne Arten des Pfändungsrechts in
Betracht:
1. wegen Forderung vertretbarer Sachen (Geld, Gülte, Zinsen),
2. wegen Beschädigung und zum Zweck des Rechtsschutzes an Grund stücken (Viehpfändung, Personalpfändung).
288 Was nun zunächst die Pfändung wegen einer Forderung anbelangt, so war dieselbe im Allgemeinen verboten; die Ausnahmen sind so ver
schwindend, daß sie
eine Berücksichtigung nicht verdienen bis auf zwei
gewichtigere: erstens die Pfändung auf Grund vertragsmäßiger Einräu
mung dieses
Rechts,
zweitens die Pfändung wegen Abgaben (Zinsen,
Gülten, Renten), die Jemand
Am längsten,
als Besitzer eines Grundstückes schuldet.
bis in die Mitte des gegenwärtigen Jahrhunderts hinein,
hatte sich dies letztere Recht erhalten, ist aber heutzutage in ganz Deutsch land
vollständig
beseitigt.
Das
vertragsmäßig vom Schuldner
Gläubiger eingeräumte Pfändungsrecht,
dem
das in manchen Rechtsgebieten
eine Erweiterung für „kundliche unleugbare Schuld" erfahren hatte,
schon seit dem Anfänge des 18. Jahrhunderts
gekommen.
Gebrauch
auch
heutzutage noch
der Wirthschaft
ist
aufgehoben und außer
Thatsächlich wird diese Pfändung ganz zweifellos ausgeübt von Wirthen,
entfernen will,
wenn sich ein Gast aus
ohne die Zeche zu bezahlen, und
wegen Unbekanntheit des Gastes,
sei es
sei es wegen zweifelhafter Zahlungs
fähigkeit desselben, der Verlust der Forderung zu befürchten ist, in welchem Falle der Wirth nicht bloß durch Zurückbehaltung des eingebrachten Gepäcks, sondern auch durch Abnahme von Sachen, die der Gast an sich
seine Befriedigung zu sichern sucht.
trägt,
Die Volksmeinung hält dies
für durchaus erlaubt, und für das Geltungsbereich des preuß. L.R. ist es durch I 14, §§ 414, 415, für das des sächs. Civ.-Ges.-B. durch § 179,
180 bestätigt, ob auch gemeinrechtlich gestattet, ist zweifelhaft.
Von den
Privatrechtslehrern erwähnt es nur Stobbe H.B. des D.Pr.R. § 70, V.
Unbestritten hat sich aber im größten Theile von Deutschland — Deutsch-Oesterreich einbegriffen — erhalten das uralte Recht der Pfändung
Fortlebend
wegen Beschädigung oder Rechtsanmaßung an Grundstücken.
im Volksbewußtsein,
thatsächlich zur Geltung
gebracht,
gebilligt und
geregelt durch die ältere und theilweise durch die neuere Gesetzgebung, hat es die ihm von dem Eindringen des römischen Rechts und dessen Anhängern drohende Gefahr überstanden und durch letztere nur die Aus
gestaltung
erfahren,
daß
es
zu einem Mittel zum Schutze des Besitzes
erweitert wurde. In Bezug auf dieses Recht können folgende Sätze als gemeingültig,
bezw. als Inhalt des gemeinen Rechts angenommen werden: 1. Wenn fremdes Vieh auf einem Grundstücke Schaden anrichtet, darf dasselbe ergriffen und in Gewahrsam genommen werden.
2.
Ist der Eigenthümer des Viehs
nicht
anwesend,
so
hat der
Pfändende ihn von der Pfändung alsbald zu benachrichtigen; ist der
289 Eigenthümer unbekannt,
hat der Pfändende Anzeige bei Gericht zu
so
erstatten. 3. Wer auf seinem Grundstücke Jemanden trifft bei einer Handlung, die entweder eine Beschädigung oder eine Rechtsausübung an dem Grund
stücke enthält, darf demselben ein Pfand abnehmen.
4.
Pfändungsberechtigt ist der Eigenthümer sowohl, als der Nutz
nießer und der Pächter des Grundstücks und bei deren Abwesenheit deren
Leute, auch der Flurwächter. 5.
Die Pfändung kann nur bei Betreten auf frischer That geschehen
und nur auf dem betreffenden Grundstücke (in der betreffendeu Flur).
6. so viel
Sie muß
aus das Nothwendige
als voraussichtlich
also
auf
zugesügten Schadens,
der
beschränkt werden,
zur Deckung des
Fütterungs- und der Kosten des weiteren Verfahrens nöthig ist.
7.
Der Gepfändete ist berechtigt, das
genommene Pfand
durch
Hingabe eines entsprechenden anderen Pfandgegenstandes auszulösen.
8.
Die Wirkungen der Pfändung sind:
a) Das Recht, sich für den Schaden und die Kosten aus dem Pfande Befriedigung zu verschaffen, b)
Begründung einer Rechtsvermuthung
oder doch Befreiung vom
Beweise für die Beschädigung oder die widerrechtliche Besitzstörung,
c)
Erhaltung des Besitzes
am Grundstücke und Beweis desselben,
Unterbrechung der Rechtsersitzung.
9.
Die Veräußerung des Pfandes steht unter den Vorschriften über
Veräußerung von Faustpfändern. 10.
Durch die Pfändung wird der Gerichtsstand des Orts, wo sie
erfolgt ist, begründet.
In neueren Gesetzgebungen sind diese Grundsätze mit mehr oder weniger Modificationen zur Geltung gebracht.
So im preuß. L.R. Theil I Tit. 14
(„von Erhaltung des Eigen
thums und der Rechte") 4. Abschnitt („von Pfändungen") §§ 413—465;
die §§ 414 bis 416,
nach welchen die Pfändung nur im Nothfalle, bei
Unmöglichkeit der richterlichen Hülfeleistung und der anderweitigen Fest stellung des Thäters und des Beweises gestattet ist, sind durch die Feld polizeiordnung vom 1. November 1847 § 4
für Preußen
außer Kraft
gesetzt; die übrigen Bestimmungen schließen sich im Wesentlichen an obige
gemeinrechtliche
Sätze
an,
verbieten
die
Pfändung
von
Posten
und
Frachtgütern, verpflichten den Thäter zur Erlegung eines Pfandgeldes, soweit
Provinzialrechte
dies
erlauben,
setzen
den
Gerichtsstand
des
Pfändungsorts nur für Ausländer fest und regeln das weitere auf Ersatz Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. III. w
290 gerichtete Verfahren und die Folgen unrechtmäßiger und widerrechtlicher Pfändung, sowie ungerechtfertigter Widersetzung und Gegenpfändung.
Das bayrische Landrecht (von 1756) enthält bezügliche Bestimmungen
im 2. Theil, 6. Capitel („von Unterpfanden — pignoribus vel hypothecis“)
§ 24, welche insofern von den obigen Sätzen abweichen, als die Pfändung nur wegen Schadenszufügung, nicht aber zum Besitzesschutze und (Ziffer 3) nur unter der Voraussetzung
gestattet ist, daß ohne die Pfändung der
Beweis oder die Erlangung der Entschädigung erschwert sei; auch hier ist
(13) die Gegenpfändung verboten, und sind (14) Nachtheile auf unrecht
mäßige Pfändung angedroht. Das österreichische Bürgerliche Gesetzbuch bestimmt im § 1321, daß, wer auf seinem Grund sein soll,
und
Boden fremdes Vieh
antrifft, berechtigt
falls er durch dasselbe Schaden erlitten hat,
es in Besitz zu
nehmen. Das sächsische Civilgesetzbuch enthält unter der 6. Abtheilung „von Sicherung, Verwahrung und Verfolgung der Rechte"
im § 179
den
Satz, daß Selbsthülfe durch eigenmächtige Wegnahme von Sachen oder durch eigenmächtige Nöthigung des Schuldners zur Erfüllung seiner Ver
bindlichkeit in dem Falle erlaubt ist, wenn dem Berechtigten Gefahr droht, ohne solche sein Recht nicht verwirklichen zu können, und wenn die Hülfe der unter
Obrigkeit nicht zeitig zu erlangen ist; es gestattet in § 180
letzterer Voraussetzung bei Fluchtverdacht des Schuldners
sogar
dessen Festnahme und die Abnahme von Deckungsmitteln, mit der An ordnung, daß letztere und die festgehaltene Person sogleich zu Gericht gebracht werden müssen. In der Abtheilung „von dem Pfandrechte" handeln die §§ 488 bis 494 von dem „durch Pfändung" zu Erwerbenden
und enthalten im Wesentlichen die unter 1, 3, 4, 5, 6, 7, 8 a aufgestellten Sätze; die Pfändung von Thieren ist gestattet, wenn sie das fremde Grundstück auch nur (ohne Schadenszufügung) betreten, der Flurwächter darf die Pfändung außerhalb des betretenen Grundstücks innerhalb seines Dienstbezirks vornehmen; der Gepfändete kann verlangen, daß der ihm unbekannte Pfändende ihm in den nächsten Ort folge und das Pfand
bei der dortigen Behörde niederlege, der Pfändende kann statt Schadens
ersatzes einen Pfandschilling von 5 Neugroschen beanspruchen; er muß innerhalb 48 Stunden bei dem zuständigen Gerichte die Pfändung anzeigen. Ob sonst wo particularrechtliche Bestimmungen über das Pfändungs recht bestehen,
ist mir nicht bekannt, die bayrischen Particularrechte ent
halten keine.
Völlig
fremd ist dasselbe dem französischen
welches auf dem Standpunkte des römischen Rechts steht.
Civilrechte,
291 Dies
ist der derzeitige Rechtszustand in Deutschland hinsichtlich des
Privatpfändungsrechts. Es fragt sich nun: wie soll daffelbe künftig gestaltet werden?
Der Entwurf des Deutschen B.G.B. 1. Buchs
enthält im 8. Abschnitt des
unter dem Titel „Selbstvertheidigung und Selbsthülfe"
zwar im § 189 Bestimmungen, welche hierher einschlagen.
und
Danach soll die
Selbsthülfe mittels Wegnahme von Sachen oder mittels Nöthigung des Verpflichteten zur Erfüllung seiner Verpflichtung gestattet sein, wenn
obrigkeitliche Hülfe nicht rechtzeitig
zu erlangen ist, und der Berechtigte
ohne sofortiges Eingreifen Gefahr läuft,
daß die Verwirklichung des
Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werde; doch ist bestimmt,
daß hierbei nicht weiter gegangen werden darf, als zur Abwendung der Gefahr nothwendig ist, daß im* Falle der Festnahme des Verpflichteten dieser unverzüglich dem Amtsgerichte des Orts der Festnahme vorzuführen
und der persönliche Sicherheitsarrest zu beantragen, und daß hinsichtlich der zum Zwecke der Sicherung eines Anspruchs weggenommenen beweg
lichen Sachen der dingliche Arrest sofort zu beantragen ist, außerdem aber
die Sachen zurückgegeben werden müssen. Die Motive (Band 1 S. 353 f.) sagen hinsichtlich des Privat
pfändungsrechtes: soweit es
zur Abwehr der Erwerbung von Rechten
gedient habe, erledige es sich durch die Vorschriften auf dem Gebiete des Sachenrechts;
(es sind
hier
gemeint die §§ 797, 802, 810 bis 824,
welche von der Erlangung, Störung und dem Schutze des Besitzes handeln); zur reichsgesetzlichen Ordnung dieser Rechtseinrichtung, soweit es sich um Schadenszufügung handle, fehle es an zureichenden Gründen, da es sich um ein anomales mit dem Agrarrechte einzelner Bundesstaaten in engem
Zusammenhänge stehendes Institut handle, dessen heutiges Vorkommen nur zu der Erwägung Anlaß geben könne, ob und inwieweit die Bei behaltung desselben der Landesgesetzgebung im Einführungsgesetze offen zu lassen sei. Vor Allem wird darauf hinzuweisen sein, daß eine Wiederhervor
ziehung veralteter Seiten des Pfändungsrechts heutzutage nicht mehr Es wird Niemand daran denken, eine Privat
in Frage kommen soll.
pfändung wegen Schuldforderungen überhaupt oder wegen Zinsen, Gülten u. dgl. wiedereinzuführen; entsprungen in einer Zeit, wo die Hülfe des Staats zur Verwirklichung von Rechtsansprüchen entweder überhaupt nicht oder nur schwer und langsam zu erlangen war, hat diese Art der Selbsthülfe ihre Bedeutung durch die heutigen Rechtseinrichtungen
völlig verloren. Insbesondere ist auch die Frage wegen Zulassung eigen19*
292 mächtiger Pfändung im Falle der vertragsmäßigen Gestattung gegenstands los geworden durch die Bestimmung in § 702 Ziffer 5 der Civilproceßordnung,
daß der Gläubiger sich für seine auf Leistung von Geld oder oder anderen vertretbaren Sachen gerichteten Ansprüche
Werthpapieren
eine öffentliche Urkunde errichten lassen kann, in welcher der Schuldner erklärt, sich der sofortigen Zwangsvollstreckung zu unterwerfen. Ich halte es deshalb
nicht für nöthig, die Bedenken gegen die Zulassung einer der
artigen Pfändung hier des Näheren zu erörtern; die Thatsache, daß sie längst außer Gebrauch
gekommen ist,
spricht am besten für deren Ent
behrlichkeit. Ebenso
für veraltet die Pfändung,
halte ich
soweit durch sie ein
Beweis ersetzt werden soll, und zwar in der doppelten Richtung: Beweis, daß
gegen
ist, und
einen Rechtseingriff Widerspruch und Verwahrung eingelegt
Beweis,
daß
ein Grund
zur Pfändung
gegeben
war.
Zur
Aufrechterhaltung der früher an die Thatsache der Pfändung geknüpften rechtlichen Vermuthung und Entbindung des Pfänders von der Pflicht,
die die
Pfändung
begründende Rechtsverletzung oder Schädigung
zu
beweisen, fehlt es an jedem Grunde. Man darf sich nur vergegenwärtigen
die Möglichkeit, daß ein böswilliger Grundbesitzer einen Menschen pfänden könnte (falls dieser gutmüthig genug ist, sich's gefallen zu lassen),
unter
dem Vorgeben, derselbe habe sein Grundstück betreten, während es gar nicht der Fall war, oder daß er einen Menschen, der zwar das Grund
stück betreten (beschädigt), aber dasselbe schon verlassen hat, pfändet, oder daß ein Grundbesitzer, der sein Grundstück beschädigt findet, das in der Nachbarschaft weidende Vieh eines Anderen pfändet, unter dem Vorgeben oder auch in der Meinung, daß In allen diesen Fällen müßte Pfänder ihm sagt, als erwiesen mäßiger Weise und aus rechtem
dieses ihm den Schaden zugefügt habe. der Richter bloß deshalb, weil es der annehmen, daß die Pfändung in recht Grunde erfolgt sei, also eine Rechtsan
maßung oder Beschädigung an den Grundstücken stattgefunden habe; der
Richter müßte dies annehmen trotz des Widerspruchs des Gepfändeten, weil ja auch bei einer aus rechtsmäßiger Ursache und in rechtmäßiger Form erfolgten Pfändung der Gepfändete beides vor ihm in Abrede stellen kann. Ein solcher Grundsatz verträgt sich weder mit der Logik noch mit
der Rechtssicherheit.
Mit der Logik nicht; denn es besteht keine größere
innere Wahrscheinlichkeit und Glaubwürdigkeit für die eigenen Angaben
und Behauptungen des Pfändenden (und
nur um solche kann es sich
thatsächlich vom Standpunkte des Richters aus handeln) als für irgend
293 welche andere von demselben Manne in einer anderen Rechtsangelegen
heit
dem Richter vorgetragene Behauptungen,
widersprochen werden.
Und
die von
einem Gegner
mit der Rechtssicherheit vertrüge sich der
Grundsatz nicht, weil die alltägliche Erfahrung lehrt, daß der Eigennutz, Uebelwollen und Rechthaberei sehr häufig zur Geltendmachung von Rechts
ansprüchen führen, die nicht im Geringsten begründet sind, und weil von solchen Leuten eine solche Rechtsvermuthung auf unerlaubte Weise aus genutzt werden könnte.
Die in der deutschen Civilprozeßordnung dem Richter gewährte Frei heit der Ueberzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit dessen,
altmodischen Beweisnormirungen, einem Falle
überflüssig,
wo
was
fördert einerseits die Beseitigung solcher
die Parteien ihm vorgetragen,
und
macht sie
andererseits selbst in
wegen Fehlens von Zeugen
oder wegen
Mangels der Voraussetzungen der Eideszuschiebung früher eine Beweis
erstellung unmöglich gewesen wäre; so kann der Richter demjenigen Grundbesitzer, der fremdes Vieh, das ohne Hüter lief, auf seinem Acker
gepfändet zu haben
behauptet,
auch
beim Mangel von Zeugen
den
richterlichen Eid, daß diese Thiere seinem Grundstücke Schaden zugefügt
haben, und über die Höhe des Schadens auflegen. Fordert der heutige Stand unserer Rechtsanschauungen gebieterisch die Beseitigung solcher Beweisregeln, so fällt damit zugleich materiell der
Werth
des Pfändungsrechts, insoweit
einem Grundstücke dienen sollte.
es
zum Schutze des Besitzes an
Diese Seite des Pfändungsrechts ist ja
ohnehin erst durch die Juristen ausgebildet worden, Rechte war sie fremd;
dem
germanischen
die auf dem römischen Rechte fußenden Juristen
hatten versucht, durch die Einführung des ihnen zusagenden Zwecks der
Besitzerhaltung
in das Pfandrecht,
dieses Institut,
der Widerstand des Volkes nicht duldete,
anzunähern.
Ich bin mit dem Entwürfe der Meinung,
Besitz, Besitzerlangung, ziehungsweise
dessen Beseitigung
römischrechtlichen Grundsätzen daß die über
Besitzstörung und Besitzverlust aufgestellten, be
auszustellenden Bestimmungen völlig
ausreichen,
um ein
solches Rechtsmittel wie das fragliche durchaus entbehrlich zu machen. Dieses
Institut scheint mir
auch von allem Anfang
ganz zwecklos
gewesen zu
sein;
es kann doch immer nur in jedem Einzelfalle eine einzelne Hand
lung
in Frage kommen,
die
als Ausübung
eines Rechts an fremder eine solche ein
Sache sich darstellt, z. B. Fahren über ein Grundstück;
malige Handlung ist aber zur Erwerbung eines Rechts an sich betrachtet unerheblich; nur ihre Wiederholung innerhalb eines gewissen Zeitraums
(Ersitzungszeit) kann
zur Rechtserlangung führen.
Die Pfändung des
294 bei einer solchen Handlung betroffenen Thäters durch
den Eigenthümer
(Nutznießer u. s. w.) ist ja allerdings eine thatsächliche Rechtsverwahrung
(Protest) gegen die vorgenommene Handlung.
Aber jede andere Art der
oder thatsächlichen Protesterhebung (Widerspruch gegen das
mündlichen
Fahren, Aufhalten des Fuhrwerks,
Ziehung eines Grabens u. dgl.) ist
genau von demselben praktischen Werth. Man stelle sich nur einmal den thatsächlichen Verlauf einer solchen Handlung vor; angenommen, es reitet Jemand über ein fremdes Grund stück, der Eigenthümer des letzteren nimmt dem Reiter das Pferd ab,
führt es in seinen Stall, wenn er einen hat; was nun? was soll denn der Besitzer des Pferdes eigentlich thun, um es wieder zu bekommen?
Schaden — nehmen wir an — ist nicht entstanden, es soll nur gegen das Recht des Hinüberreitens protestirt werden: der Grundbesitzer wird nun eine Klage gegen den Herrn des Pferdes, — vielleicht ist der Reiter aber gar nicht der Eigenthümer, sondern er hat es nur geliehen oder ist nur Diener
des Pferdeeigenthümers, — also
gegebenen Falls gegen
den betreffenden Reiter zu stellen haben, inzwischen füttert er das Pferd
u. s. w.
Oder aber es fischt einer in einem fremden Fischwasser, der
Fischereiberechtigte ertappt ihn, nimmt ihm die Angelruthe weg, ehe jener einen Fisch
gefangen hat;
der Gepfändete macht sich davon und läßt
die Angel im Stich; was für einen Werth hat diese Procedur?
In den meisten derartigen Fällen wird von dem Uebelthäter ein Recht gar nicht angesprochen, es genügt also seine Wegweisung und ge
gebenen Falls die Anzeige beim
Richter wegen Feld-,
Fischerei- rc.
Frevels, und in dem hiernach sich ergebenden polizeilichen (Straf-) Ver
fahren kann der Beschädigte als Zeuge vernommen werden. Wo aber in der That ein Recht auszuüben versucht und dieses vom Besitzer der Sache bestritten wird,, wird der letztere die triftigste und wirkungsvollste Protestation erheben, indem er, wozu er im Falle der Privatpfändung doch gezwungen wäre, Klage bei Gericht stellt.
Die Privatpfändung erweist sich demnach auch in solchen Fällen,
wo es sich um ein Gehen, Reiten, Fahren u. dgl. ohne Schadenszu fügung handelt, als unnöthig, unbehelflich, ja unter Umständen dem eigenen Interesse des sie Ausübenden schädlich. So bleibt nur diejenige Art der Privatpfändung übrig, welche den Zweck hat, sich ein Pfand zur Sicherung des Ersatzes des durch Thiere
oder Personen einer unbeweglichen Sache zugefügten Schadens zu ver schaffen. Ich halte auch diese Seite des Rechts für veraltet und über flüssig.
Bekanntlich war in alter Zeit die Verfolgung desjenigen,
der
295 einem Anderen eine injuria zugefügt hatte, nicht nach der strafrechtlichen und eivilrechtlichen Seite so bestimmt geschieden wie jetzt; man denke nur an das Wehrgeld,
das zu zahlen war an die Hinterbliebenen im Falle
der Tödtung eines Menschen.
So war auch offenbar die Privatpfändung
ein Ausfluß einerseits des Bedürfnisses nach Ahndung der Widerrechtlich keit und des Verlangens des Schadensersatzes, prompter Hülfe der öffentlichen Gewalt.
da
und
andererseits des Fehlens
Ein Zeuge dessen ist noch das
dort bestehende Psandgeld (Pfandschilling) welches,
neben dem
Schadensersätze
werden
gefordert
konnte,
soweit es
zweifellos
den
Charakter einer Buße, einer Strafe hatte.
Heut zu Tage ist jener Grund, bestand,
sicher als weggefallen zu
welcher im Mangel rascher Justiz
erachten.
Die Rechtspflege
greift
prompt ein in den hier einschlägigen Fällen der §§ 398 Ziffer 9, § 370
Ziffer 1, 2, 4, 5, und es kann durch die Vernehmung des Beschädigten als Zeugen die Thatsache der Beschädigung festgestellt werden, wodurch
dem Uebelstande abgeholfen wird, der darin liegen kann, daß im Civil-
proceffe der auf Ersatz klagende Beschädigte wegen Mangels eines Zeugen vielleicht im Beweise behindert sein könnte. Vielfach, so z. B. im bayerischen Forstgesetze, wird durch den die Strafe wegen der Rechtswidrigkeit verhängenden Richter auch
zugleich
der Schadensersatzanspruch festgestellt und dem Beschädigten zugesprochen.
Nun erwäge man: es handelt sich der Regel nach um Schäden von unbedeutendem Geldwerthe; die rechtswidrigen Handlungen die hier in Frage kommen, bestehen bei Vieh im Zertreten oder Abfressen der Boden
erzeugnisse,
bei Personen
im Gehen, Reiten, Fahren, Viehtreiben über
bestellte Felder, in der Wegnahme von Fischen, Krebsen oder Obst, im
Abhauen
oder Entrinden von Bäumen.
Ist nun der Thäter,
den der
Beschädigte auf frischer That ertappt, diesem bekannt, so sind zwei Fälle
denkbar: der Thäter hat Vermögen, um den Schaden ersetzen zu können,
oder er hat nichts; im letzteren Falle wird regelmäßig die Abnahme eines Pfandes unmöglich sein; der Beschädigte wird sich damit begnügen, das,
was etwa von seinem Eigenthume der Beschädigte noch im Besitz hat,
ihm abzunehmen; ihn „aufzuhalten" oder festzunehmen und zum Gericht zu führen,
könnte in diesem Falle
Thäter zur Strafe zu bringen.
offenbar nur den Zweck haben, den
Besitzt aber der Thäter Vermögen, so
hat die Pfändung zur Sicherung der Forderung gar keinen Zweck, denn
die Forderung ist dann durch die Verhältnisse des Verpflichteten gesichert, und es bedarf keiner Pfändung; daß diese für eine etwaige Beweisführung
heut zu Tage nicht mehr verwerthbar ist, habe ich schon oben ausgeführt.
296 Bei allen diesen bisher besprochenen Fällen ist nun des Weiteren immer vorausgesetzt, daß derjenige, welcher gepfändet werden soll, sich
auch pfänden läßt. Aber ist denn das auch nur als Regel anzunehmen? Wer sich nicht scheut, auf fremdem Eigenthum eine Widerrechtlichkeit zu begehen, der wird auch kein Bedenken tragen, sich einer Pfändung, wo
es möglich ist, entweder durch die Flucht oder durch Verweigerung oder gar durch Widerstand der Hergabe oder Abnahme eines Pfandes zu ent ziehen. Wie soll es in solchem Falle gehalten werden? Soll der Pfand
berechtigte Gewalt anwenden dürfen? Sie war in manchen Gesetzen bis zu dem Umfange gestattet, daß im Falle der Tödtung oder Körperverletzung
des Widersetzers der Pfandberechtigte straflos war (L. Burg. XXVII, 6, Augsb. Stadtr.); so weit wird Niemand aber bei jeder Gewaltanwendung
ausartet.
heut zu Tage
gehen wollen,
entsteht die Gefahr, daß der Streit
Andere Gesetze verboten die Gewaltanwendung (Schwäb. Land
recht c. 333, Sunesen, leges Scaniae X 1, L. Baj. III, 11).
Und doch war die Pfändung „Zugeständniß einer Eigenmacht, um von dem Gebrauch weitergehender Gewaltthat abzuhalten, um weiteren Rechtsverletzungen von der einen oder anderen Seite vorzubeugen" (Wilda, das Pfändungsrecht
i. d. Zeitschr. f. d. R., B. 1 S. 229). Der hieraus sich ergebenden Schwierigkeit hat man schon frühzeitig
auf verschiedene Weise Herr zu werden gesucht,
theils durch Androhung
von Strafen auf die Gegenwehr oder überhaupt auf die Verweigerung des Pfandes (L. Burg. XXVII 6, schwäb. Ldr. c. 333, Augsb. Stadtr., Pr. Ldr. I, 14, §§ 458—461), theils durch Gestattung der Gegen pfändung
oder Pfandkehrung — die sich aber keiner besonderen Gunst
erfreute (nt. vgl. Strykii opera B. III disput. XII de jure pignorandi Cap. VI § 39; Pr. Ldr. a. a. O. § 465; bayr. Ldr. II c. 6, Ziffer 12) — oder durch Androhung von Strafen auf gewaltthätiges Verfahren des Pfänders (Pr. Ldr. a. a. O. § 461, 463; bayr. Ldr. a. a. O. Ziffer 5 und 14) oder —
worauf aber das letztere wohl auch hinaus
läuft — durch Verbot der Gewaltanwendung (s. oben Sunesen rc.). Mit einem solchen Verbot wird aber das Pfändungsrecht überhaupt hinfällig,
und alle übrigen Aushülfsversuche sind nicht geeignet,
einen
Ausweg aus diesem Dilemma zu bieten. Dazu kommt, daß nicht etwa, wie bei der Pfändung durch einen Beamten, der Schutz des Strafgesetzes Privatpfändung
gewährt
wird;
für
dem Privatpfänder
Widerstand
gegen
die
oder der
gesetzlich
gestattete Privatpfändung giebt es keine Strafandrohung im Strafgesetz buche (m. vgl. §§ 113 und 117 des Str.G.B.), und § 289 stellt nur
297 die Wiederabnahme der bereits gepfändeten Sache durch den Gepfändeten
oder einen für ihn Handelnden unter Strafe, setzt also eine bereits — rechtsförmlich
Strafen,
und
rechtsgültig —
geschehene Pfändung voraus.
(Die
die von den Gerichten in Fällen der Entziehung von Sachen
aus der Privatverstrickung ausgesprochen zu werden pflegen, bewegen sich
im
erfahrungsgemäß
niedrigsten Strafrahmen.)
Daß § 288
nicht ein
schlägt (Beiseiteschaffung vor drohender Zwangsvollstreckung) bedarf keiner Erörterung. Der Mangel eines
strafgesetzlichen Schutzes macht aber ein solches
Recht geradezu illusorisch.
Die Gestattung der Gewaltanwendung für den Pfändungsberechtigten, um die Vereitelung seines außerdem ungeschützten Rechts durch den diesem widerstrebenden Beschädiger zu verhindern, begegnet aber all den vielfach
erörterten Gefahren und Bedenken, welche die Gesetzgebung frühzeitig zu immer größerer Einschränkung des Selbsthülferechts bis auf das mindest mögliche Maß:
die Vertheidigung der Person
und
des Besitzes durch
Gewalt gegen unberechtigte Angriffe — veranlaßt haben.
Nun
erwäge man,
daß es sich in den weitaus meisten Fällen nur
um Schäden von höchst geringer Bedeutung, von wenigen Mark handelt, — den Fall einer förmlichen Weide durch eine Heerde etwa ausgenommen
— denn welchen Schaden kann das Gehen durch einen Acker, der Gang
das Abfressen seitens eines einzelnen
eines Pferdes über einen solchen,
Thieres in der That anrichten? Und wegen dieser Dinge soll nun die Gefahr
großer Excesse, Drohungen, Körperverletzungen heraufbeschworen werden. Wenn aber eine Heerde einen Kleeacker abweidet, so kommen doch Heerden
nur
selten
so
ohne Weiteres von fremd
her,
sondern der Natur der
Sache nach werden sie meist in die Nachbarschaft des beschädigten Grund
stückes gehören, und dann hat die Erlangung des Schadensersatzes ohnehin
keine Schwierigkeiten auch ohne Pfändung. nicht
angezeigt,
eine Heerde eines Unbekannten eindringt, zu treffen, wie unten zu erörtern. Noch eines weiteren Punktes
Gesetzt,
das
Thier,
wo aber
ist in anderer Weise Vorsorge
sei hier Erwähnung gethan,
verschiedenen rechtlichen Bedenken Anlaß
gedeutet worden.
Auch in diesem Falle ist es
die Gefahr einer Gewalthandlung zuzulassen;
giebt.
der zu
Er ist oben schon an
die Sache,
welche
abgepfändet
ist nicht Eigenthum des Beschädigers;
kann die Jnpfandnahme gegenüber dem Eigenthümer trotzdem aufrecht bleiben? Es soll der Fall
wird,
angenommen werden: A stiehlt dem B eine Kuh, treibt ff.e über die un
gemähte Wiese des C, dieser ertappt den A und pfändet die Kuh;
oder
298 X leiht sein werthvolles Reitpferd dem A, dieser sprengt durch das Korn
auf dem Acker des Z, der das Pferd pfändet; an dem Thiere,
welches
vom Beschädiger auf dem fremden Grundstücke geweidet und vom Besitzer
des letzteren gepfändet worden ist, steht dem früheren Eigenthümer kraft
vertragsmäßigen Vorbehalts noch das Eigenthumsrecht zu: müssen sich die Eigenthümer dieser Thiere die Pfändung gefallen lassen? Unbestritten steht demjenigen, dessen
bewegliche Sache ohne sein Wissen und seinen
Willen von Jemandem einem Dritten verpfändet wird, die Reivindicatio
gegen den Pfandinhaber zu; die Streitfrage,
ob das Zurückbehaltungs
recht des Vermiethers oder Verpächters wegen seiner Forderungen aus
dem Mieth- oder Pachtverträge sich auf die vom Miether (Pächter) ein gebrachten Sachen eines Dritten erstrecke, ist heut zu Tage durch die
Rechtsprechung wohl als zu Ungunsten des Vermiethers entschieden zu
betrachten,
nach
soweit gemeines Recht in Frage kommt (Handelsrecht kommt
der Natur unseres Gegenstandes nicht in Frage,
Civ.G.B.
Bestimmung des franz.
ebensowenig die
Art. 2102 Ziffer 1, weil in deren
Geltungsgebiet unser Pfändungsrecht nicht stattfindet). Das sind freilich Grundsätze des römischen Rechts,
und wenn auch
das Zurückbehaltungsrecht des Vermiethers unverkennbar auf einer ähnlichen
Grundlage fußt, wie das Pfändungsrecht auf eigenem Grund und Boden, so ist nach jenen Grundsätzen eine Frage nicht zu entscheiden, welche sich
auf rein deutschem Rechtsgebiete gründet. deutschen Privatrechts
(z. B.
Nun sprechen die Lehrer des
Gerber § 71,
Bluntschli 102, 3c,
Stobbe § 70 I) zwar von dem Eigenthümer des gepfändeten Viehs als dem
Entschädigungspflichtigen,
haben aber offenbar hierbei einen der
obigen Fälle nicht, sondern nur den regelmäßigen im Auge, daß der Eigenthümer des Viehs auch die Verantwortung für den Schaden hat. Aehnlich verhält es sich mit der weiteren Frage: wenn die als Pfand abgenommene Sache zu den in § 715 Ziffer 1, 3, 4, 5 der
Civ.P.O. aufgeführten als nicht pfändbar bezeichneten Sachen gehört, welche nach einer weit verbreiteten Praxis und in Bayern zufolge gesetz licher Bestimmung auch dem Zurückbehaltungsrechte nicht unterliegen, ist trotzdem die Privatpfändung derselben erlaubt? Ohne Jnconsequenz kann dies kaum bejaht werden. Es würde zu weit führen, auf eine Untersuchung dieser Fragen näher
einzugehenwie auch das Ergebniß derselben ausfallen sollte, die Fragen doch
nicht endgültig lösen.
es würde
Die Anregung dieser Punkte
erfolgte vielmehr zu dem Zwecke, um zu zeigen, daß das Privatpfändungs recht nach verschiedenen Seiten hin mit den seither als feststehend gelten-
299 den Rechtsgrundsätzen in kaum zu lösendem Gegensatze steht, und daß dessen
Anpassung an jene Grundsätze deshalb den größten Schwierigkeiten begegnet. Letztere an sich würden freilich kein Grund sein, der gesetzgeberischen
Regelung aus dem Wege zu gehen; aber da ich glaube, die Entbehrlich keit des Instituts gezeigt zu haben, so wird es angezeigt sein, mit dem selben aufzuräumen.
Ich darf vielleicht hier noch beifügen, daß mir in
24 jähriger Berufsthätigkeit
nur
ein
einziger Fall der Viehpfändung
bekannt geworden ist; da man weiß,
wie hartnäckig gerade die Land
in Streitigkeiten auch
über die geringfügigsten Dinge
bevölkerung sich
pflegt, so ist daraus immerhin der Schluß gerechtfertigt, daß thatsächlich kaum von dem Rechte mehr Gebrauch gemacht wird; „einzuhängen"
ältere Kollegen haben die gleiche Beobachtung mitgetheilt.
Ich gehe danach weiter als die Motive des Entwurfs und glaube, daß durch die gänzliche Aufhebung des Privatpfändungsrechts in seiner
bisherigen Gestalt keine Interessen geschädigt werden würden. Nur für einen Fall gebe ich die Nothwendigkeit oder doch Zweck mäßigkeit der Privatpfändung
im weitesten Umfange zu.
Das ist der
Fall, welcher durch § 189 des Entwurfs gedeckt wird, und durch welchen ein Grundsatz für ganz Deutschland zur Geltung gebracht werden soll,
der meines Wissens zuerst schon im Pr. Ldr. Einl. § 78 und neuestens
im
sächs.
bürg.
G.B.
§
179
und
180
aufgestellt,
von
Wächter,
W.Pr.R. II S. 406 und von Unger, oft Pr.R. I S. 343 sowie auch bei Wilda a. a. O. c. III 6 § 3 Ziff. 2 S. 270 vgl. Stobbe,
D. Pr.R. I § 70).
beglaubigt ist (man
Es ist der Nothsall,
wo obrigkeit
liche Hülfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist, und der Berechtigte ohne so fortiges Eingreifen Gefahr läuft, daß die Verwirklichung des Anspruches
vereitelt oder wesentlich erschwert werde.
Ich kann mich in dieser Be
ziehung den Motiven des Entwurfs im Wesentlichen anschließen (nur bestreite
ich, daß diese Anwendung des Rechtsmittels gemeinrechtlich anerkannt ist). Wohl ergiebt sich auch hier das oben angeregte Bedenken, ob die Ausführung dem in seinen Ansprüchen Bedrohten gegenüber dem Wider stände des Verfolgten möglich sei, und daß durch Gewaltanwendung Gefahr für Leib und Leben herbeigeführt werden kann; aber wenn man sich die
der seinen Banquier einholt,
wie
dieser soeben mit des ersteren Vermögen das Schiff besteigen will,
um
Alternative vorlegt:
soll ein Mann,
aus der Heimath zu verduften,
solchem Beginnen ruhig zusehen müssen,
weil es ihm nicht möglich ist, einen Arrestbefehl vom Richter zu erwirken oder selbst wenn er einen solchen hat, einen Gerichtsvollzieher zur Voll ziehung desselben zu finden? soll der Landwirth, in dessen Acker ein
300 auf
dem
von
Durchtrieb
befindlicher
weiterher
Schäfer
fremder
eine
300 Stück den ganzen Kleewuchs über Nacht hat ab
Schaafheerde von
fressen lassen, denselben ziehen lassen müssen, in beiden Fällen nur deshalb, damit es keinen Scandal,
kein Geraufe,
oder soll da dem Gläubiger,
keine Gewaltanwendung giebt?
dem Beschädigten gestattet werden,
zuzugreifen und sich der Hülfe anderer Menschen,
seiner Nachbarn,
der
so wird man
um sein bedrohtes Recht zu sichern?
Polizei zu bedienen,
selbst
keinen Augenblick zweifeln, daß die Versagung der Selbsthülfe in solchem
Falle eine Unnatur, eine Unmöglichkeit, einfach unmoralisch wäre. In Nothfällen, wo es sich regelmäßig um ansehnliche, nicht geradezu
unbedeutende Vermögenswerthe handelt,
können die in der allenfalls zu
erwartenden Gewalthandlung
Gefahren gegenüber
liegenden
dem
Ge
bote des Rechtsschutzes nicht von der Gewährung des letzteren abhalten. Mit dem § 127 der Strafpr.-Ordn.,
eines
läufigen Festnahme
welcher Jedermann zur vor
auf frischer That betroffenen oder verfolgten
fluchtverdächtigen oder unbekannten Strafthäters ermächtigt,
ist übrigens
die Grundlage für eine ähnliche Bestimmung im Civilrecht geschaffen, ja
letztere durch die Consequenz gefordert. Wie aus dem zweiten angefochtenen Beispiel zu ersehen,
trifft der
§ 189 des Entwurfs auch den einzigen Fall, wo die Thier- bezw. Per
sonalpfändung
der
des
deutschen Rechts noch angezeigt ist:
eines Grundstücks
Beschädiger
den Fall,
daß
oder der darauf stehenden Früchte
fremd und unbekannt ist, oder daß Thiere, deren Eigenthümer unbekannt
ist, ohne einen Aufseher fremde Grundstücke beschädigen. Die Vorschriften
über das
weitere Verfahren,
wie sie in Abs. 3
und 4 des § 189 gegeben sind, erscheinen gleichfalls als zweckmäßig und
sachentsprechend gegenüber den theilweise veralteten,
theilweise
mit dem
heutigen Stande des Proceßrechts nicht mehr vereinbaren Bestimmungen
z. B. des preuß. und bayr. Landr. Ich komme daher zu dem Vorschläge:
1. Die Privatpfändung wegen des durch fremdes Vieh oder Per
sonen an einem Grundstück zugefügten Schadens sei,
soweit sie
nicht unter folgenden Satz fällt, überhaupt zu beseitigen; 2. Die
in
§
189
aufgestellten Sätze
des Entwurfs
eines
über Selbsthülfe
bürgerlichen Gesetzbuchs
zur Sicherung
eines An
spruchs seien als dem Bedürfnisse entsprechend zu erachten.
Ob
nicht
auch
ein Schutz dieser Seite des Selbsthülferechts durch
Androhung einer Strafe auf den Widerstand gegen dieselbe geboten und
zu erstreben ist, fällt außerhalb des Rahmens dieser Erörterung.