Verhandlungen des Zwanzigsten Deutschen Juristentages – Gutachten [Reprint 2020 ed.] 9783112344088, 9783112344071


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Verhandlungen des Zwanzigsten Deutschen Juristentages – Gutachten [Reprint 2020 ed.]
 9783112344088, 9783112344071

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Verhandlungen des

ZVWigstkn Dklltfchkn Imistklltligks.

Herausgegeben

von

dem Schriftführer ~^mt der ständigen Deputation.

Dritter Band.

(Gutachten.)

Berlin. Commissions-Berlag von I. Gntteutag. (D. Collin.)

1889.

Druck von Leonhard Simion, Berlin SW.

Inhaltsverzeichnis. Sette XXII. Gutachten des Herrn Oberlandesgerichtsrath Max Heinsheimer in Karlsruhe über die Frage: Empfiehlt sich die Beibehaltung der Vorschriften, welche der Ent­ wurf des bürgerlichen Gesetzbuches im Allgemeinen Theil (§§ 98 bis 102) über den Irrthum bei Willenserklärungen aufstellt? .

3

XXIII. Gutachten des Herrn Professor Dr. Leonhard in Marburg über die Frage: Empfiehlt sich die Beibehaltung der Vorschriften, welche der Ent­ wurf des bürgerlichen Gesetzbuchs im Allgemeinen Theil (§§ 98 bis 102) über den Irrthum bei Willenserklärungen aufstellt? .

23

XXIV. Gutachten des Herrn Rechtsanwalt Dr. Max Hachenburg in Mannheim über die Frage: Ist die im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches angenommene Behandlung der Pertinenzen zu billigen, oder eine Abänderung derselben wünschenswerth, und in welchem Sinne?......................

XXV. Gutachten des die Frage:

Herrn Professor Dr.

Kohler in Berlin

122

über

Ist die im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches angenom­ mene Behandlung der Pertinenzen zu billigen, oder eine Ab­ änderung derselben wünschenswerth, und in welchem Sinne? .

145

XXVI. Gutachten des Herrn Oberlandesgerichtsrath Thomsen in Stettin über die Frage: Ist das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers und Verpächters beizubehalten?...................................................................................... XXVII. Gutachten des Herrn Gerichtsassessor Lewinsohn in Berlin über die Frage:

Ist das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers und Verpächters beizubehalten oder abzuändern?.....................................................

152

XXVIII. Gutachten des Herrn Justizrath M. Levy in Berlin über die Frage:

„Sind die im Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs vorgesehenen Arten des Pfandrechts an Grundstücken einschließlich der Grund­ schuld beizubehalten?.......................................................................... 261

XXIX. Gutachten des Herrn Rechtsanwalt Karl Mörschell, Kgl. Ad­ vokaten in Würzburg, über:

Die Aufnahme und Gestaltung des Privatpfändungsrechtes im künftigen Deutschen bürgerlichen Gesetzbuche................................... 269

Berichtigung. S. 103. Z. 3 u. ff. v. ob. ist zu lesen: IV. Ein gleiches Rücktrittsrecht steht dem Absender einer Erklärung zu, wenn diese seiner Absicht bei ihrer Ankunft nicht entspricht, weil sie ohne seine Schuld unterwegs ent­ stellt und in solchem Zustande angekommen ist, ohne daß dies der Empfänger bemerken mußte.

XXVIII. Gutachten des Herrn Justizrath M. Levy in Berlin über die Frage:

„Sind die im Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs vorgesehenen Arten des Pfandrechts an Grundstücken einschließlich der Grund­ schuld beizubehalten?.......................................................................... 261

XXIX. Gutachten des Herrn Rechtsanwalt Karl Mörschell, Kgl. Ad­ vokaten in Würzburg, über:

Die Aufnahme und Gestaltung des Privatpfändungsrechtes im künftigen Deutschen bürgerlichen Gesetzbuche................................... 269

Berichtigung. S. 103. Z. 3 u. ff. v. ob. ist zu lesen: IV. Ein gleiches Rücktrittsrecht steht dem Absender einer Erklärung zu, wenn diese seiner Absicht bei ihrer Ankunft nicht entspricht, weil sie ohne seine Schuld unterwegs ent­ stellt und in solchem Zustande angekommen ist, ohne daß dies der Empfänger bemerken mußte.

Gutachten. (Dritter Band.)

XXII. Wachten öes Herrn Lker- Lande8gerichl8ra1h Max Hein8heimer in Rarkruhe über die Frage: Empfiehlt sich

Entwurf des

der Vorschriften,

die Beibehaltung

welche der

bürgerlichen Gesetzbuches im Allgemeinen

Theil

(§§ 98—102) über den Irrthum bei Willenserklärungen auf­

stellt?

__________

I. Die Bestimmungen des Entwurfes, um deren Begutachtung es sich handelt, lauten dahin:

㤠98.

Beruht der Mangel der Uebereinstimmung des wirk­

lichen Willens mit dem

erklärten Willen auf einem Irrthum des

Urhebers, so ist die Willenserklärung nichtig, wenn anzunehmen ist, daß der Urheber bei Kenntniß der Sachlage die Willenserklärung

nicht

abgegeben haben würde;

Willenserklärung gültig.

erklärung

würde

nicht

im entgegengesetzten Falle

ist die

Im Zweifel ist anzunehmen, die Willens­

abgegeben

sein,

wenn

ein Rechtsgeschäft

anderer Art, die Beziehung des Rechtsgeschäfts auf einen anderen

Gegenstand oder die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts unter anderen Personen beabsichtigt wurde.

§ 99.

Die

nach den Vorschriften des § 98 für nichtig zu

erachtende Willenserklärung ist gültig, wenn dem Urheber derselben grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.

Fällt dem Urheber eine Fahrlässigkeit zur Last, grobe ist,

so haftet

derselbe dem Empfänger

nach Maßgabe des § 97 Abs. 3.

welche keine

für Schadensersatz

4 Die Vorschriften des ersten und zweiten Absatzes finden keine

Anwendung, wenn der Empfänger den Irrthum kannte oder kennen mußte. § 100. sehung

eines Vertrages in An­

Fehlt bei der Schließung

eines Theiles des Vertrages die Uebereinstimmung des

Willens der Vertragschließenden,

sofern nicht erhellt,

so ist der ganze Vertrag nichtig,

daß der Vertrag auch ohne eine Bestimmung

über jenen Theil geschlossen sein würde. § 101. Die Vorschriften der §§ 98—100 finden entsprechende Anwendung,

wenn der Urheber der Willenserklärung

mittelung derselben

an den Empfänger sich

zur Ueber-

einer Mittelsperson

bedient hat, durch welche der Wille unrichtig mitgetheilt ist. Ein Irrthum in den Beweggründen ist, sofern nicht

§ 102.

das Gesetz ein Anderes bestimmt, auf die Gültigkeit eines Rechts­

geschäfts ohne Einfluß." Die weiteren Vorschriften bezüglich des Irrthums sind in dem Thema nicht erwähnt;

es dürfte aber zweckmäßig sein, dieselben hier in Kürze

zusammenzustellen;

auf einzelne derselben

im weiteren Verlaufe

wird

zurückzukommen sein. § 117. Erforderniß der Uebereinstimmung des wirklichen Willens mit dem erklärten Willen, und Erheblichkeit des Irrthums in der Person des Vertreters.

§ 146.

Definition von Irrthum,

entschuldbarem Irrthum,

Kennenmüssen und Wissenmüssen.

§ 194. Veweislast beim Mangel der Uebereinstimmung des wirklichen mit dem erklärten Willen. § 241.

Entschuldbarer Irrthum,

als von dem Schuldner

nicht zu vertretender Umstand. § 667.

Irrthum bei einem Vergleiche.

§ 707.

Entschuldbarer Irrthum über Erlaubtheit der beschädi­

genden Handlung. § 737. Kein Beweis des Irrthums bei der Rückforderung

einer Nichtschuld erforderlich.

§ 757.

Irrthum des Geschäftsführers in der Person des

Geschäftsherrn.

(Vgl. §§ 759, 761.)

§ 1259 Biff. 2.

Irrthum beim Eheabschluß.

(Vgl. §§ 1261

Biff. 2, 1263 Abs. 1, 1264 Abs. 1.)

§§ fügungen.

1779,

1781,

1782.

Irrthum

bei

letztwilligen

Ver­

5 §§ 1947—49, 1960 Abs. 2.

Irrthum

bei

Erbeinsetzungs­

verträgen. § 2040 mißt dem Irrthume bei der Ausschlagungserklärung

keinen besonderen Einfluß bei. II.

Die Vorschriften der §§ 98—102 sind von der Kritik auf das Leb­ hafteste angegriffen worden. Holder

f. civ. Praxis,

(Arch.

Bd. LXXIII S. 97)

bemerkt zu

diesen Bestimmungen: beruhenden Mangels der Ueber­

„Für den Fall des auf Irrthum

einstimmung des wirklichen Willens mit dem erklärten erklärt § 98 die

Willenserklärung für nichtig, „„wenn anzunehmen ist, daß der Ur­

heber bei Kenntniß der Sachlage die Willenserklärung nicht

abgegeben haben würde"".

Es ist damit jede Differenz des wirk­

lichen und des für das Bewußtsein des Erklärenden bestehenden Inhaltes der Willenserklärung für wesentlich erklärt, wenn sie nach Maßgabe seiner

individuellen Verhältnisse und Anschauungen wesentlich ist,

während es

unrichtig ist, diesen,

soweit sie nicht für den Anderen erkennbar waren,

Einfluß einzuräumen.

Als im Zweifel maßgebend ist neben der Diffe­

renz der Geschäftsart diejenige des Gegenstandes und der am Geschäfte betheiligten Personen genannt.

Ist mir

für

eine

bestimmte Gattung

von Waaren ein bestimmter Kaufladen empfohlen worden, und kaufe ich nun aus Versehen

in

dem an jenen

anstoßenden, die

gleichen Waaren

führenden Laden ein, so ist nach dem Entwürfe der Kauf nichtig; denn

im Zweifel

ist die Person

des Verkäufers wesentlich, und im conereten

Falle war sie es ohnedies mir, der sich eigens nach dem besten Verkäufer jener Waaren erkundigt hatte,

um bei keinem andern zu kaufen.

Nach

dem Entwürfe ist außerdem der Kauf nichtig, wenn ich als ein Antisemit,

welcher grundsätzlich Juden nichts zu verdienen giebt,

einkaufe.

bei einem Juden

Daß die absolute Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts wegen wesent­

lichen Irrthums nicht allenthalben dem geltenden Rechte entspricht, heben,

die Motive hervor,

ohne auf die Frage

der Zweckmäßigkeit ihrer Sta-»

tuirung irgend einzugehen, und doch liegt es nahe genug, daß der Irr­ thum einer Partei keinen Grund für die

andere bilden kann,

das Ge­

schäft nicht gelten zu lassen.

Auch wäre die Frage der Erwägung werth

ob die Bedeutung

des Irrthums nicht von einer binnen be--

gewesen,

stimmter Frist erfolgten Anzeige desselben abhängig gemacht werden sollte^ Ueberflüssig

ist § 100,

dessen

Inhalt

schon

aus § 78 Abs. 2 folgt;

6 überflüssig ist auch § 102, welcher einem allerdings eingewurzelten, aber

trotzdem unbegründeten Sprachgebrauchs gemäß dem Irrthume über den Inhalt des Vertrages denjenigen „„in den Beweggründen" " entgegensetzt, als ob nicht unter diesen die Vorstellung über den Inhalt des Vertrages

eine wesentliche Rolle spielte."

Hellmann (Gutachten

aus dem Anwaltsstande S.

498—500)

äußert sich dahin:

„Weit ernstlicher ist aber ein anderes Bedenken.

Es war die

Aufgabe des Entwurfes, in der unsicheren und verwickelten Lehre des

gemeinen

zu schaffen.

Rechts vom Irrthum aufzuräumen

Auf den

ersten Blick scheint es auch,

und

Klarheit

als habe der

§ 98 die Jrrthumslehre auf eine sehr einfache Grundlage gestellt. so ergießt sich jedoch, daß alle die alten Zweifel über die Frage, wann man sagen könne, daß eine andere

Sieht man näher zu,

Sache oder eine andere Person gewollt war, als die erklärte, von

Neuem sich erheben müssen, wenn es bei der Fassung des zweiten

Satzes verbleibt."

Nachdem er sodann auf Holderes Beispiel mit dem Antisemiten hingewiesen, schließt er damit: „Freilich läßt sich die Schwierigkeit nicht verkennen, welche der Versuch einer Abhülfe bereitet. Allein daß diese Abhülfe dringend

geboten sei, darf noch weniger verkannt werden." Hartmann, Der Civilgesetzentwurf, das Aequitätsprincip und die Richterstellung (Archiv für civ. Praxis 73 S. 332) gelangt zu dem Er­ gebnisse:

„Anstatt der wirklich an die scharfsinnigste Scholastik der Postglossatoren erinnernden Distinctionen und Subdistinctionen der

§§ 95—101 empfehlen sich durch Einfachheit und praktische Ge­ sundheit bei weitem mehr die von Bähr vorgeschlagenen und motivirten Sätze." Bähr (Kritische Vierteljahrsschrift, N. F. XI S. 334—338) stellt den Vorschriften der §§ 97, 98, 99, 101 des Entwurfs folgende Sätze

gegenüber: „Eine im Rechtsverkehr irrthümlich abgegebene Willenserklä­

rung,

welche mit dem wirklichen Willen des Urhebers nicht über­

einstimmt,

bindet gleichwohl diesen,

wenn er sie in einer ihm zu­

zurechnenden Weise abgegeben hat. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn der Empfänger der Willenserklärung den Irrthum kannte oder kennen mußte.

7 Sie findet ferner keine Anwendung, wenn und soweit der Empfänger durch die Annahme der Erklärung eine Vermögens­ einbuße nicht erlitten hat."

Bähr führt zur Begründung

seines Vorschlages Folgendes aus.

Nachdem er einleitend das Willensdogma und die neuere Lehre von der

Dertrauensmaxime mit ihren abweichenden Ansichten über die Haftbarkeit

einander gegenübergestellt und

den Schutz des bona üäo-Verkehrs als

den leitenden Gesichtspunkt bezeichnet hat, fährt er f-rt: „In den hier besprochenen Paragraphen behandelt der Entwurf (ab­

dem Falle einer absichtlich falschen Willenserklärung) die

gesehen von

Frage in folgender Weise. zu machen,

Er verlangt,

um den Erklärenden haftbar

unter allen Umständen Fahrlässigkeit desselben.

Fahrlässigkeit eine grobe, gewollt hätte.

so soll er voll haften, so,

Ist die

als ob er wirklich

Ist die Fahrlässigkeit eine leichte, so soll er nur für einen

vom Empfänger der Erklärung zu beweisenden Schaden, jedoch nicht über

das Erfüllungsinteresse hinaus,

haften.

Der Entwurf theilt sich

also

zwischen den verschiedenen Lehren; ähnlich wie der Spruch Salomonis vorschlug, das streitige Kind mitten durchzuschneiden."

„Es wird

hier zunächst derjenige Fall von der Haftbarkeit ganz

ausgeschieden, wo die Willenserklärung zwar in einer von dem Erklären­ den zu vertretenden Weise abgegeben ist,

aber doch eine Fahrlässigkeit

demselben nicht zum Vorwurf gemacht werden kann.

Als typisch hierfür kann der bekannte Telegraphenfall gelten, der die Hauptanregung zu der

ganzen neuen Behandlung der Lehre gegeben hat. Ein Cölner Haus giebt an ein Frankfurter Haus das Telegramm auf: „Verkaufen Sie — — Credit-Actien."

Der Frankfurter kauft.

verlangt Abnahme

Der Telegraph bestellt:

„Kaufen Sie — —."

Die Actien gehen herunter.

oder Ersatz

der Actien

der

Der Frankfurter

Cursdifferenz.

Der

daß er nur ein Telegramm „Verkaufen Sie" auf­ Unzweifelhaft hat er also die Willenserklärung „Kaufen

Cölner wendet ein,

gegeben habe. Sie"

nicht wirklich

gewollt.

Wer hat nun den Schaden zu tragen?

Soviel ich weiß, haben alle Rechtsgelehrten,

die den Fall

behandelt

haben, für die Haftbarkeit des Cölners sich ausgesprochen, freilich mittels oft recht künstlicher Ableitungen, nicht hinaus konnten.

den Schaden zu tragen haben. sich bedient hat,

können.

weil sie über das „Willensdogma"

Nach dem Entwürfe würde aber der Frankfurter

Denn daß der Cölner des Telegraphen

würde man ihm doch nicht zur Fahrlässigkeit anrechnen

Schon die Entscheidung dieses Falles, die gewiß mit dem über-

8 wiegenden Rechtsbewußtsein

unserem Volke nicht im Einklang steht,

in

dürfte beweisen, daß der Entwurf einen bedenklichen Weg eingeschlagen hat.

„Dieser bedenkliche Weg setzt sich fort, indem der Entwurf für den Fall,

er eine Haftbarkeit

wo

grober

eintreten lassen will,

leichter Fahrlässigkeit unterscheidet.

und

wiederum zwischen

Die Unterscheidung er­

weist sich schon insofern als praktisch unzuträglich, als es oft außerordent­ lich

grobe und leichte Fahrlässigkeit gegen einander abzu­

schwer hält,

wägen,

auch

überdies

den meisten Fällen der beweispflichtige Em­

in

pfänger die Umstände, unter denen die Erklärung abgegeben wurde, nicht

ob

leichte

auch nicht in der Lage sein wird,

deshalb

und

kennen

oder

dieser Unterscheidung

hängt

erkennen

an,

ausdrücklich

das Material

Fahrlässigkeit,

grobe

für die Frage,

beizubringen.

An

Die Motive

aber unter Umständen alles.

in Fällen dieser Art der Getäuschte oft

daß

gar nicht im Stande ist, positiv einen Schaden nachzuweisen.

In solchen

Fällen gestaltet sich also seine Lage, wenn das Gericht eine grobe Fahr­ lässigkeit nicht für erwiesen erachtet, zur Rechtlosigkeit."

wir

„Machen

uns einmal die Sache klar an dem bei Seuffert

Bd. 29 Nr. 215 mitgetheilten Falle, wo Jemand den für einen Dritten

bestimmten

Bürgschein

mit

einer

falsch

eingezeichneten

wie er behauptet,

weil er,

zeichnet hatte,

unter­

Summe

den Schein ohne Brille nicht

habe lesen können.

Welcher Fall des Entwurfs ist nun gegeben?

der Unterzeichnende

die Brille in der Tasche gehabt und nur aus Be­

sie

quemlichkeit

so wird man vielleicht sagen,

nicht aufgesetzt,

grobe Fahrlässigkeit

vor,

er sie

und

verlegt

dann

gehabt und im Augenblicke nicht finden

haften.

Hatte

so würde man vielleicht sagen,

dann

aber

brochen

es sei nur leichte Fahrlässigkeit,

haftete er nach dem Entwürfe nur für Schadensersatz,

aber in diesem Falle nur sehr schwer zu ihm

unmittelbar

worden,

so

beweisen

sein

würde).

vorher die Brille durch

einen Unglückssall zer­

es sei gar keine Fahr­

lässigkeit vorhanden,

und

dann

haftet

nun

wohl

das Rechtsgefühl befriedigen?

verlangt,

kungslos sei,

daß

(der War

wird man vielleicht sagen,

solche Unterscheidung man

es liege

würde er nach dem Entwurf voll

können,

und

Hatte

er für gar nichts.

Kann eine Wenn

eine Willenserklärung der gedachten Art nicht wir­

so geschieht das nicht,

weil man den Erklärenden strafen,

sondern weil man den Empfänger der Erklärung schützen will, und des­ halb

ist das Maß des subjectiven Verschuldens

gleichgültig.

immer

ist

des Erklärenden

ganz

Mag dieses Verschulden bis zum Verschwinden gering sein,

der Empfänger

der Erklärung doch noch unschuldiger.

Und

deshalb fordert das Rechtsgefühl, daß der Nachtheil auf dem Erklärenden

9 hasten

bleibe.

Jene

Unterscheidung

führt

Lehre

die

geradezu

ins

Bodenlose."

„Daß

die Haftbarmachung

des Erklärenden in der That nur der

Anspruch auf Erfüllung, (nicht ein wirklicher Entschädigungsanspruch wegen Nichtentstehung des Vertrages) ist, das wird auch durch den (völlig rich­ tigen) Schlußsatz in Abs. 3 des § 97 erwiesen,

wonach

der Entschädi­

gungsanspruch nie über das Erfüllungsinteresse hinausgehen soll.

wohl

man dem Entschädigungsprincip

kann

Gleich­

gewisse Berechtigung

eine

Der gebotene Schutz des bona Läe-Verkehrs geht nicht

nicht versagen.

weiter, als daß der zu Schützende vor positivem Schaden bewahrt bleibe.

Wo ein solcher erkennbarer Weise nicht vorliegt, dogma

wieder in volle Berechtigung.

und Frankfurt

spielenden Geschäftes

da tritt das Willens­

In dem Falle des zwischen Cöln würde der Frankfurter nur (dann)

den Anspruch auf Ersatz des Cursverlustes gehabt haben, wenn er wirk­

lich

die Actien

hätte.

Hätte

gemeldet,

für Rechnung des Cölners liegen gehabt

ohne die Actien zu besitzen,

den „Ankauf" nur

um als Gegenspeculant des Cölners zu operiren,

kein Grund gewesen, zuhalten.

oder

gekauft

er aber,

dann wäre

den Cölner an dem Inhalte des Telegramms fest­

in dem andern oben gedachten Falle es sich nicht um

Wenn

einen Bürgschein,

um

sondern

eine für den Dritten bestimmte Schen­

kungsurkunde gehandelt hätte, so würde kein Bedürfniß gewesen sein, die

Willenserklärung aufrecht zu halten. Unterzeichner

hätte.

aus

Dies selbst dann nicht,

grober Fahrlässigkeit die

(Insofern geht also der Entwurf sogar weiter,

barkeit vertrete;

und ich muß auch dem,

wenn der

falsche Zahl nicht

gelesen

als ich die Haft­

was in den Motiven S. 201

Abs. 2 gesagt wird, meinerseits entgegentreten.)

Ergiebt sich nicht schon

aus der Natur des Geschäfts, daß eine Vermögenseinbuße (§ 218) nicht stattgefunden

hat,

behalten bleiben.

so

muß

dem Erklärenden der Beweis darüber vor­

Erbringt er diesen Beweis, so gelangt man auch nach

dieser Theorie dahin, daß der Erklärende nur „Schadensersatz" zu leisten

habe.

Aber es ist doch ein wesentlicher Unterschied,

herein

dem

Getäuschten

die

Schaden positiv nachzuweisen,

Pflicht

auferlegt,

ob man von vorn­

einen

ihm

zugefügten

oder ob man dem Gegner die Möglichkeit

offen hält, seinerseits den Mangel eines Schadens darzuthun." An der Hand dieser Ausführungen

gelangt Bähr zu der Befürch­

tung, der Entwurf werde,

wenn er so, wie er dastehe, Gesetz werde, in

den einschlagenden Fällen

unsäglichen Streit und nicht selten ungerechte

Entscheidungen herbeiführen.

10 III. Wenden wir uns zunächst, da Holder Gegenvorschläge unterlassen hat, wie er auch seiner Zeit (Krit. Vierteljahrsschrift XVIII S. 175 ff.)

seine Betheiligung an der Bekämpfung des Willensdogmas nur zur Construction der bedingten Willenserklärung verwendete, (vgl. Windscheid

im Archiv f. civ. Praxis LXIII, 73), gegen die Einwendungen Bähr's, welche im Wesentlichen dasjenige wiederholen, was er bereits in seiner Abhandlung über Irrungen im Contrahiren (Jhering's Jahrb. XIV

S. 393—427) ausführte, so hat Bähr zwar betont, das Bedürfniß des Verkehrs und die Natur der Sache erheische mit unabweislicher Noth­ wendigkeit

einen Rechtssatz,

daß Jedermann sich auf die Zuverlässigkeit

einer ihm hingegebenen Willenserklärung müsse verlassen können.

diese Vertrauensmaxime ist auch von nicht schrankenlos aufgestellt,

ihren

Allein

lebhaftesten Vertheidigern

und Bähr selbst hat in seinem Gegenvor­

schläge die bedeutende Schranke

eingeräumt,

daß die irrthümlich

abge­

gebene Willenserklärung den Erklärenden nur dann bindet, wenn er sie in

einer ihm zuzurechnenden Weise abgegeben hat. Wann aber ist sie in einer dem Erklärenden zuzurechnenden Weise abgegeben? Irgend ein Verschulden

muß doch für diese Zurechnungsmöglichkeit gefordert werden; der unbe­ dingte Zufall wird doch

nicht verantwortet,

bei der Fassung Bähr's

Entscheidungen

kommen.

und es kann deshalb auch

zu unsäglichem Streite und zu ungerechten Um nun hier gleich auf den Hauptvorwurf

zu kommen, daß der Entwurf in dem bekannten Cöln-Frankfurter Tele­

grammfalle zu einer dem Cölner günstigen Entscheidung führen würde, während doch Jedermann s. Z. zu dem entgegengesetzten Ergebnisse ge­ kommen sei, so wird es, wie später zu zeigen ist, nur einer Aenderung

des § 101 des Entwurfes bedürfen, um in dieser Richtung den Bedürf­

nissen des Verkehrs und der Billigkeit zum berechtigten Ausdrucke zu ver­ helfen, ohne daß man deshalb das Willensdogma, welchem der Entwurf ohnehin ganz erhebliche Modificationen beigefügt hat, aus dem Entwürfe

entfernen müßte.

Freilich gereicht bei Bähr dem Entwürfe auch wieder

zum Vorwurfe, daß er nicht wenigstens das Willensdogma starr aufge­

stellt hat; daß er einen vermittelnden Weg einschlug und sich „zwischen den verschiedenen Lehren theilt",

zeichnet und getadelt,

wird als

salomonischer Ausspruch be­

während man bislang die Bezeichnung als „salo­

monischen Spruch" wie eine ehrende Anerkennung eines glücklichen Durch­

greifens behandelte.

Uebrigens macht sich Bähr offensichtlich derselben

Verfahrensweise schuldig, indem er das Vertrauensdogma durch das Er-

11 forderniß der Zurechnungsmöglichkeit

in demselben Maße abschwächt,

welchem der Entwurf durch die Bestimmungen

in

die Fahrlässigkeit

über

dem Willensdogma Schranken setzt. Bähr hat freilich bezüglich der Zu­ rechnung der äußeren Willenserscheinung bemerkt, daß es auf ein eigent­

liches Verschulden

gewöhnlichen

im

nicht

Sinne

ankomme;

er nimmt

Bezug auf Jhering's culpa in contrahendo und bezeichnet als leitend den Gedanken, sein möge,

daß, wenn auch der Erklärende

doch der ihm Gegenüberstehende

(a. a. O. S. 407).

doch von

er weicht

Allein

der Vertrauensmaxime

relativ

noch

eben

mit

weit

unschuldiger sei

seiner

so entschieden ab,

auch zwischen den verschiedenen Systemen theilt".

sehr unschuldig

„Zurechnung"

daß er damit „sich Man ersieht daraus,

daß es überhaupt von wenig Nutzen für die Gesetzesarbeit sein kann, die

Heftigkeit des Streites über alte Schulmeinungen in die Kritik des Ent­ wurfes hineinzutragen entbrannt,

welches

der daß

bestand,

Ist doch der Streit wesentlich darüber

in den Quellen

beiden Dogmen

Rechts seine Rechtfertigung Einigkeit

und Unterstützung

auf dem Gebiete

Der Fall,

des gemeinen

während

darüber

(Windscheid im Archiv

104.)

in welchem Jemand

beruft,

finde,

der lex ferenda zwischen den

verschiedenen Systemen gewählt werden könne.

f. civ. Praxis LXIII hinterher daraus

geführten

und auf diesem Boden den so lebhaft

Streit aufs Neue zu entfachen.

eine Urkunde unterschreibt und sich

er habe dieselbe

oder einzelne Stellen

darin

nicht gelesen und nicht gekannt, hat schon früher eine Rolle in dem Streite gespielt.

(Windscheid a. a. O. S. 93.)

hauptet werden,

daß derselbe an

Es darf

aber

sicherlich be­

der Hand der Unterscheidung zwischen

grober und nicht grober Fahrlässigkeit ebenso leicht bezw. schwierig zu ent­

scheiden

sein wird,

nungsmöglichkeit. die Unschuld

wie auf dem sehr unbestimmten Boden

Immer wird

des Erklärenden

der Zurech­

sich eine Grenzlinie finden,

anfängt,

der doch,

an welcher

da er den wirklichen

Willen zu der erfolgten Erklärung nicht besaß, nicht geradezu das Opfer des Erklärungsempfängers werden sollte. Uebrigens läßt auch Bähr den

Anspruch des Empfängers eine Grenze an seinem Kennen oder Kennen­

müssen des Irrthums finden,

welche auch

in diesem Falle

zu einer be­

deutenden Rolle berufen sein könnte.

Bevor wir auf den Entwurf selbst eingehen, soll noch, obgleich dies schon zu den Einzelheiten des Stoffes gehört, des Einwandes von Hölder

und

Hellmann

wegen

des „Antisemiten"

gedacht

werden.

Es mag

eine Frage des feineren Geschmacks sein, ob ein Jsraelite bei einem Hause

Bestellungen macht, welches erklärt, nur mit Christen Geschäfte machen zu

12 wollen,

oder ob er eine Wohnung

in einer Sommerfrische

bestellt,

nach amerikanischem Muster auf ihre Circulare die Warnung

die

setzt: „no

jews admitted“; aber nimmermehr wird man hier nach § 98 Satz 2 von

einer Erheblichkeit des Irrthums des VeMufers bezw. des Wirths reden können, weil es sich nicht um „andere Personen", sondern nur um eine

gewisse Eigenschaft der Person, mit welcher man abgeschlossen hat, handelte, ein Irrthum hierüber scheinen würde.

aber nur als Irrthum in den Beweggründen er­

Zudem würde der Irrthum regelmäßig

schuldeter sein, weil der Betreffende verpflichtet wäre,

ein selbstver­ sich

nach

der

Religion des Andern zu erkundigen, wenn er solcher entscheidendes Gewicht

beilegen wollte.

IV. Der Entwurf wollte keineswegs rein theoretisirend das Willensdogma aufstellen,

ohne Rücksicht

auf die Bedürfnisse des bona Lide-Verkehrs,

auf die Anforderungen des Lebens; es ergiebt sich

dies unverkennbar

aus den Motiven, und es entfallen damit die Einwendungen, welche eben aus diesen Bedürfnissen und Anforderungen gegen das Willensdogma zu

Gunsten der Vertrauensmaxime abgeleitet wurden.

Das Willensdogma

zum Ausgangspunkte

Rechtsgeschäften zu

nehmen,

empfahl sich

für die Willensmängel bei aus der Erwägung,

daß dasselbe in Ansehung

letztwilliger Verfügungen wegen deren streng einseitiger Natur überhaupt nicht zu entbehren, während

auch von keiner Seite beanstandet ist (vgl. § 1779),

dann für die Verfügungen von Todeswegen durch

Vertrag

(§§ 1940 ff.) und für den Erbverzichtvertrag (§§ 2019 ff.) wegen des Fehlens dieser strengen Einseitigkeit man einfach auf das modificirte Willensdogma der §§ 95—99 in vollem Umfange zurückgreifen konnte (§ 1947). Diese Erwägung der Gesetzestechnik, der Gesetzesökonomie

scheint uns von den Gegnern des Entwurfs mit Unrecht übersehen, ob­ gleich die Motive I S. 197 hervorheben, der Entwurf folge dem Gange

der Rechtsentwicklung, indem er sowohl hinsichtlich der Willenserklärungen unter Lebenden, als hinsichtlich der Verfügungen von Todeswegen zwischen beachtlichem und unbeachtlichem Irrthume scheide,

und obgleich

dann in

322, 474 die Abweichungen bezüglich der Wirkungen des Willensdogma zur Genüge erläutert sind. den Motiven V S. 45 ff.,

Das zur Begutachtung

gestellte Thema

erstreckt sich nicht auf das

Gebiet des Täuschungswillens und des leichtfertigen Spiels mit Worten

(88 95, 96 des Entwurfs); es beschränkt sich auf die Behandlung des wesentlichen Irrthums, auf die Fälle, wenn dem Bewußtsein des Er-

13 klärenden die Differenz zwischen seinem Wollen und dem als gewollt Be­

zeichneten gänzlich fremd geblieben ist,

auf die dem Erklärenden unbe­

wußte Differenz zwischen dem erklärten Willen und der Willenswirklichkeit. Eine Erklärung für sich ohne den entsprechenden Willen entbehrt nun

aber, wie z. B. Regelsberger (Vorverhandlungen S. 17 ff.) aus­ drücklich anerkennt, grundsätzlich der rechtlichen Bedeutung, und wir pflichten dem Standpunkte des Entwurfes

bei, daß

im Falle solchen

Irrthums selbst für den Bereich des obligatorischen Vertrags nicht ein­

geräumt werden

könne, daß die Rücksicht auf das Verkehrsbedürfniß

nöthige, das Willensdogma

als solches

aufzugeben und

ein

anderes

Princip als maßgebend zu erklären, daß vielmehr jenem Bedürfnisse ge­

nügend Rechnung

getragen werde, wenn durch specielle Vorschriften der

gute Glauben in weitergehendem Umfange da geschützt wird, wo besondere Gründe hierfür vorliegen, und gleichzeitig dem Erklärungsempfänger An­

spruch auf Ersatz des Schadens gewährt wird, welcher demselben durch das Vertrauen auf die Wirksamkeit eines Vertrages erwachsen ist. einer Wiedergabe der einzelnen

(An Stelle

bezüglich der Vertrauensmaxime ausge­

stellten Ansichten glauben wir auf die Vorlage des Redactors für den

Allgemeinen Theil II

S. 84 ff.

Bezug nehmen zu sollen,

mit welcher

Windscheid's academisches Programm — Archiv f. civ. Praxis ILIII S. 72 bis 112 — zu vergleichen ist.)

Der Entwurf erklärt nicht jeden durch Irrthum

hervorgerufenen

Willensmangel für relevant; er unterscheidet in Uebereinstimmung mit der

Rechtsentwicklung zwischen beachtlichem und unbeachtlichem, erheblichem und unerheblichem Irrthume. Er verkennt nicht die Schwierigkeit der

Aufstellung eines geeigneten Maßstabes für diese Unterscheidung. einem Ueberblicke

über die im

geltenden Rechte

Nach

angelegten Maßstäbe

(Motive I S. 197) führen die Motive aus, dem Entwürfe liege die Auffaffung zu Grunde, daß es sich nicht empfehle, die regelmäßigen Bestand­

theile eines Rechtsgeschäfts objectiv zu sondern und den durch Irrthum

hervorgerufenen Willensmangel bezüglich der einen für beachtlich zu er­ klären, bezüglich der anderen nicht. Den dadurch für die Praxis erzielt

werdenden Vortheilen stehe die unverhältnißmäßige Beeinträchtigung des materiellen Rechts gegenüber, für welches stets nur das concret vorliegende Rechtsgeschäft in Betracht komme. Wesentlich für dieses sei aber jeder Bestandtheil, welcher mit der Willenserklärung dergestalt in ursächlichem Zusammenhänge stehe, daß sich annehmen lasse, bei mangelndem Irrthum

wäre die Willenserklärung nicht abgegeben worden.

Es

empfehle sich

demgemäß die Einnahme des subjecüven Standpunktes, daß der durch

14 Irrthum hervorgerufene Willensmangel die Willenserklärung nichtig mache,

wenn anzunehmen sei, daß der Erklärende bei Kenntniß der Sachlage die

Willenserklärung nicht abgegeben hätte, während andernfalls die Willens­ erklärung gültig sei. Der vom Entwürfe eingenommene Standpunkt dürfte bei dem der

richterlichen Würdigung

eingeräumten freien Ermessen (C.P.O. § 259)

in der That den Vorzug vor der Aufstellung fester Kategorieen des er­

heblichen, wesentlichen, beachtlichen Irrthums, wie sich solche in einzelnen Gesetzgebungen findet, verdienen und

den Gegnern tragen.

in den Vordergrund

dem bona Läe-Verkehre, der von

gestellt wird,

am besten Rechnung

Der Entwurf nimmt, um die Würdigung des subjeetiven Ver­

hältnisses in keiner Weise zu beengen, sogar von Aufstellung solcher fester

Kategorieen Umgang, die in einzelnen Gesetzen unbedingt als wesentlicher Irrthum behandelt werden (Rechtsgeschäft anderer Art, Beziehung auf eine andere Sache, vgl. schweiz. Obl.-Recht Art. 19 Ziffer 1 und 2);

er führt vielmehr die hervorragendsten Fälle in § 98 Satz 2 lediglich in

dem Sinne auf, daß im Zweifel ein ursächlicher Zusammenhang zwischen

Irrthum und Abgabe der Willenserklärung

angenommen werden soll,

während dem Richter unbenommen ist, einesteils auch einen Irrthum in

diesen Gebieten für unwesentlich, anderntheils einen Irrthum über andere

Umstände für wesentlich zu erklären.

Die Behauptung wird nicht zu ge­

wagt sein, daß der vom Entwürfe eingeschlagene Weg sich den Bedürf­ nissen des Verkehrs und des guten Glaubens aufs Engste anschließt.

Die Motive gehen von der Annahme aus,

die angeführten Fälle

selbst, die Fälle, in welchen ein Rechtsgeschäft anderer Art, die Beziehung

des Rechtsgeschäfts auf einen anderen Gegenstand oder die Wirffamkeit des Rechtsgeschäftes unter anderen Personen beabsichtigt wurde, würden keinem Anstande begegnen.

Diese Annahme ist wenigstens bezüglich der

letzten Kategorie nicht eingetroffen.

Holder behauptet, worauf schon oben

hingewiesen wurde, daß nach dem Entwurf der Kauf nichtig sei, wenn Jemand als Antisemit, welcher grundsätzlich Juden nichts zu verdienen giebt, bei einem Juden einkaufe.

wegs;

Allein der Entwurf sagt dies keines­

er nimmt nur im Zweifel an,

die Willenserklärung würde nicht

abgegeben sein, wenn die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts unter anderen Personen beabsichtigt wurde.

Damit ist aber nur der wirkliche Irrthum

über die Person gemeint, während die Motive ausdrücklich betonen, daß Irrthum über die Gattungseigenschasten des Gegenstandes ebenso, wie

Irrthum über Eigenschaften der gegenüberstehenden Person ein Irrthum in den Beweggründen sei, mithin die Willenswirklichkeit nicht ausschließe.

15 Wenn der Entwurf trotzdem einen bestimmten Ausspruch in letzterer Rich­ tung unterläßt, mit anderen Worten Hierwegen keine besondere Ausnahme

von der Vorschrift des § 102 macht,

so ist

den Motiven darin beizu­

pflichten, daß eine solche Vorschrift bei der Unmöglichkeit, die Merkmale

hinreichender Deutlichkeit

ihrer Anwendbarkeit mit

Quelle von Streitigkeiten werden würde.

zu

bestimmen,

eine

Im einzelnen Falle wird eben

der Richter zu entscheiden haben, ob der Irrthum über die Eigenschaften des Vertragsgegners ein so wesentlicher ist, daß derselbe in Wirklichkeit

als Irrthum

über die Person,

mit der das Rechtsgeschäft beabsichtigt

Uebrigens fehlt es auf diesem Gebiete keines­

wurde, zu betrachten ist.

wegs an anderen Rechtsbehelfen, so in dem Falle, wenn eine dem anderen Theile nicht bekannte Eigenschaft des einen Contrahenten einen wesent­ lichen Einfluß auf den Vollzug des Vertrages gemäß der bei dessen Ab­

schluß auf beiden Seiten bestandenen Auffassung und Absicht auszuüben vermöchte.

Ist somit der Bestimmung

des § 98 Abs. 1 und 2 beizupflichten

und insbesondere anzuerkennen, daß eine bestimmtere, alle Zweifel besei­ tigende Ausgestaltung nicht möglich, vielmehr der Würdigung des einzelnen

zu gestatten ist,

Falles ein bedeutender Spielraum

denken Hellmann's (s. oben) erledigt,

womit sich das Be­

so pflichten wir doch dem re-

dactionellen Vorschläge dieses Schriftstellers bei, daß zur Uebereinstimmung

mit dem Eingänge des § 95 Satz 1

der Eingang

des § 98 Satz 1

„Ist der Urheber einer Willenserklärung

sich des Mangels

besser dahin gefaßt würde:

der Uebereinstimmung des wirklichen Willens mit dem als gewollt

Erklärten nicht bewußt (Irrthum),

so ist die Willenserklärung

nichtig . . . ."

Darauf, daß der Entwurf

rechtlichen

Jurisprudenz

in Uebereinstimmung

mit der gemein­

und einigen neueren Gesetzgebungswerken

als

Wirkung des beachtlichen Irrthums die Nichtigkeit der Willenserklärung

bezeichnet, während in anderen Gesetzen als solche nur die relative Nich­ tigkeit oder die Anfechtbarkeit, bezw. die Unverbindlichkeit für den Irrenden

vorgesehen ist, dürfte wenig ankommen, weil nach der Natur der Sache

auf den das Rechtsgeschäft vernichtenden Irrthum sich nur der Irrende,

nicht aber sein Gegner berufen kann.

Immerhin dürfte es angezeigt sein,

daß das B.G.B. als Wirkung die relative Nichtigkeit annehmen würde, was mit einer redactionellen Aenderung

leicht

zu bewerkstelligen wäre.

Von principieller Bedeutung scheint uns dieser Punkt nicht zu sein.

16 Zu § 99 dürfte Hellmann (a. a. O.) daß es mindestens

darin

zugestimmt werden,

von der Gültigkeit einer für nichtig zu

unschön ist,

erachtenden Willenserklärung zu sprechen, wenngleich der Entwurf auch anderwärts (vgl. § 109) sich ähnlicher Ausdrucksweise bedient.

§ 99 Abs. 1

könnte einfach dahin gefaßt werden:

„Vorstehende Bestimmung (§ 98)

findet

keine Anwendung,

wenn dem Urheber der Willenserklärung grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt."

Es würde übrigens auch genügen, den Abs. 1 dahin zu fassen:

„Eine Willenserklärung,

welche nach

den Vorschriften

des

§ 98 an sich nichtig wäre, ist gültig, wenn . . . ."

Zur Sache selbst wiederholt § 99

die im § 97 für den Fall der

bewußten Nichtübereinstimmung des wirklichen Willens mit dem erklärten

Willen gegebenen Vorschriften.

Bei

grober Fahrlässigkeit des Urhebers

wird in völliger Aufgebung des Willensdogmas die Willenserklärung als

gültig behandelt; die grobe Fahrlässigkeit wird in Ansehung der Rechts­

folgen dem Vorsatze gleichgestellt.

Für den Fall, daß die dem Erklären­

den zur Last fallende Fahrlässigkeit keine grobe ist, wurde nach den Mo­ tiven nicht verkannt, daß die Grenzlinie zwischen den beiden Graden der

Fahrlässigkeit nicht selten schwer zu ziehen ist;

allein andererseits erwog

man, daß die Gleichstellung der beiden Fälle der Verschiedenheit in der

Schwere des Verschuldens des Erklärenden nicht gerecht werde.

Deshalb

soll im letzteren Falle kraft des Willensdogmas die Erklärung nichtig sein,

dagegen an das fahrlässige Verhalten

des Erklärenden sich die Wirkung

knüpfen, daß er dem Empfänger der Willenserklärung für das sog. ne­

gative Interesse einzustehen hat. Dieses Interesse wird (Motive I S. 195)

in manchen Fällen mit dem Erfüllungsinteresse sich decken, dasselbe

nicht erreichen;

steigen kann,

in anderen

da es aber jenes unter Umständen auch über­

so wird durch § 97 Abs. 3,

der nach § 99 Abs. 2 auch

für das Gebiet des Irrthums maßgebend ist, die Beschränkung aufgestellt, daß mehr, als bei dem Zustandekommen des Rechtsgeschäfts dem anderen

Theile wegen Nichterfüllung zu ersetzen sein würde, auch bei dem Nicht­

zustandekommen nicht geschuldet und gefordert werden könne. wird

bestimmt,

Einfluß sei,

daß die grobe,

Schließlich

wie die nicht grobe Fahrlässigkeit ohne

wenn der Empfänger der Willenserklärung den Zwiespalt

zwischen Wille und Erklärung

auf Seiten des Erklärenden kannte oder

kennen mußte.

Bähr wendet gegen die

verschiedene Behandlung der groben und

der nicht groben Fahrlässigkeit die großen Beweisschwierigkeiten ein und

17 behauptet, deren Unterscheidung führe die Lehre geradezu ins Bodenlose. Die Motive erkennen an, daß der gegen die Haftung für das negative

Interesse erhobene Einwand, daß dem Verkehre wegen der obwaltenden

Beweisschwierigkeiten mit

einem solchen

Ansprüche

wenig

gedient

fei,

nicht ohne eine gewisse Berechtigung sei; allein sie berufen sich mit Recht

daß diesem Bedenken durch

darauf,

den Entwurf in verschiedenen Be­

ziehungen Rechnung getragen sei, die Fälle aber, in welchen diese Haftung werde,

anerkannt

sämmtlich der Art seien,

daß ein Hinausgehen über

dieselbe,

ein Festhalten des Erklärenden an der Erklärung selbst, sich

verbiete.

Wenn Bähr in der Zumuthung des Nachweises eines Scha­

dens etwas Ungeheuerliches erblickt, so dürfte darin doch eine Verkennung der allgemeinen Grundsätze über die Schadensersatzpflicht liegen, und es dürfte jener Vorwurf weit mehr auf den

Vorschlag Bähr's

zutreffen,

dem Erklärenden zum Ausschlüsse des Erfüllungsanspruchs des Empfän­

gers den Beweis aufzuerlegen,

die Annahme der Er­

daß dieser durch

klärung eine Vermögenseinbuße nicht oder nur in geringerem Maße er­

litten habe.

Eine solche Beweisführung dürfte, weil sie ein Eindringen

in die ganze Geschäftsgebahrung des Gegners erfordern würde, meisten Fällen unüberwindlichen Schwierigkeiten begegnen,

in den

gegen welche

die Schwierigkeiten für den Nachweis des negativen Interesses verschwin­

dend klein wären.

Daher wird der Entwurf in diesem Punkte den Vor­

zug vor dem Vorschläge Bähr's verdienen.

(Auf die Abweichungen

des § 1259 Nr. 2 von den §§ 98, 99

Abs. 1 bezüglich des Irrthums bei der Eheschließung braucht hier nicht eingegangen zu werden; dieselben sind

in den Motiven IV S. 78 in

zutreffender Weise begründet, wobei namentlich hervorgehoben ist, daß die

wesentlich

auf Rücksichten der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs

beruhenden Gründe für die das Willensdogma durchbrechende Vorschrift

des § 99 Abs. 1

für die

Eheschließung

nicht

zutreffen.

Nur darauf

mag hingewiesen werden, daß unter dem Irrthume im Falle des § 1259

Nr. 2 nur der Irrthum über das Individuum, nicht auch der Irrthum

über

Eigenschaften der Person

Frage,

zu verstehen ist,

und

die Lösung der

in welchen Fällen ein solcher Irrthum über die Identität der

Person, eine auf Irrthum beruhende Personenverwechselung vorliegt, wie

in § 98, so in § 1259 Nr. 2

der Wissenschaft überlassen bleibt,

weil

sich eben ganz feste Kriterien ohne eine gefährliche Casuistik im Gesetze nicht aufstellen lassen.)

Bezüglich

des § 100 wirft sich die Frage auf,

ob derselbe nöthig

sei angesichts der Vorschriften in § 78 Abs. 2 und in § 114 des EntVerhandlg. d. XX. I. T. Bd. III. 2

18 wurfes.

Allein § 78 faßt den Fall in's Auge,

daß

wegen Mangels

der Einigung über die wesentlichen Vertragstheile (Abs. 1), wie dann,

wenn die nach

der Erklärung

auch

der Vertragschließenden

nur eines

außerdem zu vereinbarenden Bestimmungen noch nicht vereinbart sind (Abs. 2), der Vertrag als

noch nicht geschlossen gilt, während § 100

voraussetzt, daß die Parteien den Vertrag als geschlossen angesehen haben, und es sich erst nachträglich herausstellt, daß es an völliger Willensüber­

einstimmung fehlt.

Deshalb erklärt § 100 den Vertrag (unter dem an­

gereihten Vorbehalte)

als

nichtig

vermeidet es,

und

geschlossenen Vertrage zu reden.

nicht

Was

von

einem noch

aber den § 114 betrifft,

nach welchem, wenn der Grund der Ungültigkeit nur einen Theil eines

Rechtsgeschäfts trifft, das ganze Rechtsgeschäft ungültig ist, sofern nicht

erhellt,

daß dasselbe

auch ohne die ungültige Bestimmung gewollt sein

würde, so theilen wir die Auffassung, daß § 114 den Fall des Dissenses im engeren Sinne,

in welchem zwar auf Seiten

seitigen Willenserklärungen in Folge decken,

ohne

die

daß

jeden der Ver­

eines

tragschließenden Wille und Erklärung übereinstimmen,

aber die

beider­

eines Mißverständnisses sich

Vertragschließenden

dessen

sich

bewußt

nicht sind,

nicht trifft, was die besondere Regelung dieses Falles durch § 100 recht­

fertigt.

§ 101 erklärt die Vorschriften der §§ 98—100 für entsprechend anwendbar, wenn der Urheber der Willenserklärung zur Übermittelung derselben an den Empfänger sich einer Mittelsperson bedient hat, durch

welche der Wille unrichtig mitgetheilt ist.

Die Motive führen aus,

Uebertragung des § 99 auf diesen Fall ergebe,

selbst wenn

Mittelsperson,

hebers

die

daß die Erklärung der

eine Abweichung von dem Willen des Ur­

in einem wesentlichen Punkte vorliege,

gültig sei,

sofern dem

Urheber in der Auswahl oder Instruction der Person grobe Fahrlässig­ keit zur Last falle,

und daß,

falls die den Urheber in dieser Hinsicht

treffende Fahrlässigkeit keine grobe sei, -die Erklärung zwar nichtig bleibe, der Urheber aber das negative Interesse zu ersetzen habe, — es müßte

denn der Empfänger der Willenserklärung den wirklichen Willen des Urhebers gekannt haben oder haben kennen müssen.

Diese Beschränkung

auf die culpa in eligendo und in instruendo dürfte aber den Bedürfnissen des Verkehrs

nicht genügend Rechnung

tragen.

In dem vielerörterten

Kölner Falle z. B. würde die Benutzung des Telegraphen richtige Wahl,

die

formulars als an sich

Uebergabe

eines

deutlich

als an sich

geschriebenen Depeschen­

genügende Instruction erscheinen,

und es würde

dann das Kölner Haus unbedingt entlastet sein ohne irgend eine Rück-

19 auf die im Telegraphenbureau stattgehabte Umkehrung des Tele­

sicht

gramminhaltes, ein Ergebniß, das wir mit derselben Entschiedenheit ab­

lehnen, wie Bähr.

Soll

der Verkehr wirksam geschützt sein,

so muß

eine Mittelsperson Erklärende nicht nur seine Auswahl und

der durch

Instruction, sondern auch die Fahrlässigkeit der Mittelsperson selbst ver­ treten, und zwar nach den Abstufungen des § 99.

Eine Abstufung der

Fahrlässigkeit läßt sich gerade in dem Telegraphensall sehr leicht

Es ist doch

struiren.

con-

ob der Telegraphist

ein wesentlicher Unterschied,

am Aufgabeorte die Silbe „ver" vor „kaufen" einfach wegläßt, oder ob schadhaften Apparates

er sich eines richtig

bedient,

der

am Ankunftorte

abgelassene Depesche verstümmelt wiedergiebt,

Verstümmelung etwa ein unvorhergesehenes Ereigniß,

des Blitzes

in die Leitung, Schuld

trägt.

die

oder ob an der z. B. Einschlagen

Hiernach empfiehlt sich fol­

gende Fassung des § 101:

„Hat der Urheber der Willenserklärung zur Uebermittelung derselben an den Empfänger sich einer Mittelsperson bedient, durch

welche der Wille unrichtig mitgetheilt ist, so finden die Vorschriften

der §§ 98—100 mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, daß der

Urheber

der

Willenserklärung

auch

die

Fahrlässigkeit

der

Mittelsperson zu vertreten hat."') Nach § 102 ist ein Irrthum in den Beweggründen, sofern nicht das

Gesetz ein Anderes bestimmt, auf die Gültigkeit eines Rechtsgeschäfts ohne

Einfluß.

Holder (a. a. O. S. 98) hält diese Bestimmung für über­

flüssig; es werde hier einem allerdings eingewurzelten, aber trotzdem un­ begründeten Sprachgebrauchs gemäß, dem Irrthum über den Inhalt des

Vertrags derjenige „in den Beweggründen" entgegengesetzt, als ob nicht unter diesen die Vorstellung über den Inhalt des Vertrags eine wesent­ liche

Nolle

spielte.

(a. a. O. S. 499): überflüssig sei,

Gegen

diese

Auffassung

„Es sei gefragt worden,

wendet sich

Hellmann

ob dieser Paragraph nicht

weil überhaupt die Entgegensetzung des die Kongruenz

von Wille und Erklärung ausschließenden Irrthums und des Irrthums

in den Beweggründen nicht als gerechtfertigt erscheine.

Lasse sich

aber

eine feste Grenze zwischen beiden Jrrthumsarten finden, so dürfe die be­

sondere Betonung

der Gleichgültigkeit des

Irrthums

in den

Beweg­

gründen als zweckmäßig erachtet werden. Diese Grenze lasse sich finden, wenn man unter dem Irrthum in den Beweggründen einen Irrthum *) Zu diesem Ergebnisse gelangte auch die badische Commission für Begut­ achtung des Entwurfes, welcher der Gutachter angehört.

20 verstehe,

welcher nicht betreffe Art, Object oder Subject des Geschäfts,

welcher mit anderen Worten in einer falschen Vorstellung von That­

sachen beruhe, liegen."

die außerhalb des Inhalts des concreten Rechtsgeschäfts

Dieselbe Grenze zieht u. A. Dernburg,

S. 215, indem er ausführt:

Pandekten I § 94

„Vorgedanken, welche den Abschluß veran­

lassen, deren Verwirklichung aber für das Geschäft nicht essentiell ist,

nennt man Beweggründe oder Motive. gatives.

Das Kriterium ist also ein ne­

Ueber das Motiv hinaus geht alles, was dem Geschäfte seinem

Begriffe nach

essentiell ist, und was durch den Willen der Betheiligten

zum Essentiale erhoben ist. keineswegs

immer erfordert.

mehr auch das zu erachten,

Hierfür ist eine ausdrückliche Hervorhebung

Als essentiell für die Betheiligten ist viel­

was nach der Verkehrsanschauung im regel­

essentiell

mäßigen Verlaufe der Dinge bei Geschäften solcher Art als gilt."

(Dernburg führt als Beispiel die Unterstellung der Zahlungs­

fähigkeit bei einer Crediteröffnung an,

durch

die Vorschrift Berücksichtigung

welche in § 458 des Entwurfes

gefunden hat,

daß der Vertrag,

durch welchen die Hingabe eines Darlehns versprochen wird, im Zweifel als unter dem Vorbehalte geschlossen anzusehen ist, daß der Versprechende

befugt sei, von dem Vertrage zurückzutreten, wenn die Vermögensverhält­ nisse des anderen Theiles vor der Darleihung eine wesentliche, den Rück­ erstattungsanspruch

gefährdende

Verschlechterung

erfahren.)

Für

die

regelmäßige Einflußlosigkeit des Irrthums in den Beweggründen darf

hier auf Savigny, System III § 115 und Beilage VIII Nummer X, sowie Windscheid, Pandekten I § 78 Bezug genommen werden. In dem ursprünglichen Entwürfe fehlte eine dem jetzigen § 102 entsprechende Vorschrift. Wohl aber war ein § 105 folgenden Inhalts vorgeschlagen: „Irrt sich bei Verträgen der eine Vertragschließende zu

seinem Nachtheile über solche Eigenschaften des Leistungsgegenstandes, vermöge deren derselbe nach den im Verkehre herrschenden Begriffen zu

einer anderen Gattung oder Art gehören würde,

so ist der Vertrag zu

Gunsten des Irrenden anfechtbar. — Die Anfechtung erfolgt durch eine

dem anderen Vertragstheile gegenüber abzugebende Willenserklärung. Die Rückforderung dessen, was die Parteien in Folge des anfechtbaren Vertrags einander geleistet haben, richtet sich nach Buch III Abschnitt II

Titel 8 § 24 mit der Maßgabe, daß zu Gunsten des Anfechtungsgegners

auch

§ 17

desselben Titels

diese Vorschrift wurde

entsprechende Anwendung findet."

gestrichen.

Ausweislich

der Motive zu

S. 199 waren hierfür folgende Erwägungen maßgebend:

den Gattungseigenschaften sei Irrthum in den Motiven,

Allein §

98

„Irrthum in

schließe mithin

21 Das letztere gleichwohl zu be­

an sich die Willenswirklichkeit nicht aus.

stimmen oder die Willensbeeinflussung als Anfechtungsgrund zu behan­

deln,

fehle

es

an

genügenden Gründen.

Irrenden zu schützen,

zur

Seite stehenden

Soweit ein Bedürfniß,

den

wirklich vorliege, werde schon durch die demselben

sonstigen

Rechtsbehelfe vorgesorgt.

Insbesondere

kämen in dieser Beziehung in Betracht die Vorschriften über die Gewähr­ leistung für dicta et promissa,

für Fehler und Mängel,

bezw. für das

Fehlen der gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften, über die actio redhibitoria und über die Anfechtung wegen Betrugs, setzung u. s. w."

mangelnder Voraus­

(Vgl. Savigny a. a. O. Beilage VIII Nummer XI,

Windscheid § 78 Anm. 3.)

Außerdem mochte für die Streichung die

Besorgniß maßgebend sein, daß eine solche Vorschrift bei der Unmöglichkeit,

die Kriterien ihrer Anwendbarkeit mit genügender Deutlichkeit zu

stimmen, zu vielen Streitigkeiten Anlaß geben müsse. man nach

be­

Statt dessen hielt

dem Vorgänge der Mehrzahl der Gesetzeswerke zur Verdeut­

lichung der regelmäßigen Unerheblichkeit des echten Irrthums oder des

Irrthums in den Motiven einen ausdrücklichen Ausspruch für angezeigt, daß der Irrthum in den Motiven, bestimme, unbeachtlich sei.

soweit das Gesetz nicht ein Anderes

Diese Vorschrift empfiehlt sich zur Klarlegung,

daß bezüglich der Beweggründe, als des unwesentlichen Bestandtheils des

Vertrags,

eine Ausnahme von dem in § 98 anerkannten Willensdogma

einzutreten hat; sie ist nicht nur nicht überflüssig,

vielmehr zur besseren

Begrenzung des Willensdogmas nicht zu entbehren.

Die Grenze in einer

festen, jeden Fall einschließenden Weise zu bestimmen, setz

nicht möglich,

dies

durfte und

Nechtsanwendung überlassen werden. licher Bestimmung

mußte

der

Die Fälle, in welchen nach gesetz­

der Irrthum in den Beweggründen unter gewissen

Voraussetzungen Berücksichtigung findet,

aufgezählt.

war für das Ge­

der Wissenschaft und

sind in den Motiven zu § 102

Denselben ist in beschränktem Maße auch der § 1259 (An­

fechtung der Ehe) beizufügen, in welcher Beziehung es an der Verweisung auf die Motive IV S. 76 genügen dürfte.

Hiernach gelangt das geforderte Gutachten zu dem Ergebnisse: Die Beibehaltung

der Vorschriften,

welche der Entwurf des

bürgerlichen Gesetzbuches im Allgemeinen Theil (§§ 98—102) über den Irrthum bei Willenserklärungen aufstellt, empfiehlt sich, jedoch mit folgenden Modificationen:

22 1. § 98 Satz 1 sollte im Eingänge dahin lauten:

„Ist der Urheber einer Willenserklärung sich des Man­

gels der Uebereinstimmung des wirklichen Willens mit dem als

gewollt Erklärten nicht

bewußt (Irrthum),

Willenserklärung nichtig

so ist die

"

2. § 99 Abs. 1 wäre dahin zu fassen: „Vorstehende Bestimmung (§ 98) findet keine Anwen­

wenn dem Urheber der Willenserklärung grobe Fahr­

dung,

lässigkeit zur Last fällt", oder dahin: „Eine Willenserklärung,

welche nach den Vorschriften

des § 98 an sich nichtig wäre,

ist gültig, wenn ihrem Ur­

heber grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt." 3. § 101 wäre dahin zu fassen:

„Hat der Urheber der Willenserklärung zur Uebermittelung derselben an den Empfänger sich einer Mittelsperson bedient,

durch welche der Wille unrichtig mitgetheilt ist,

so

finden die Vorschriften der §§ 98—100 mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, daß der Urheber der Willens­

erklärung auch die Fahrlässigkeit der Mittelsperson zu ver­ treten hat."

4. Daneben bleibt die redaktionelle Frage offen,

ob die vom

Entwürfe vorgesehene Nichtigkeit die Ausgestaltung als bloß

relative Nichtigkeit erfahren solle.

XXIII. Machten des Herrn Professor Dr. Leonhard in Markurg über die Frage: Empfiehlt sich Entwurf des

der Vorschriften,

die Beibehaltung

bürgerlichen

Gesetzbuchs

im

welche der

Allgemeinen

Theil

(§§ 98—102) über den Irrthum bei Willenserklärungen auf­ stellt?

Es wird beantragt, der hohe Juristentag wolle beschließen:

daß

die allgemeinen Grundsätze über die rechtliche Behandlung

des Irrthums

bei Rechtsgeschäften der wissenschaftlichen Fest­

stellung nicht durch Gesetzesvorschristen entzogen werden sollen. Die gestellte Frage wird also verneint.

Vorwort. § 1-

Nach zwei Seiten muß des Verfassers Vorbemerkung eine Pflicht erfüllen.

Sowohl wissenschaftlichen

Mitkämpfern

als

auch

dem

Leser

muß er über dasjenige, was er plant, Rede stehen.

Dem

kleineren

Nebengeschäste

Kreise

hemmten

die

will

er sich

Entwickelung

zuerst zuwenden. dieses

vollen Umfange, welchen sein Gegenstand verdiente.

Gutachtens

Dringende zu

dem

Es gefährdet somit

allerdings eine gute Sache, indem es sie nicht mit gehöriger Vollständig­

keit vertheidigt und zahlreichen (nicht durchweg ablehnenden) Erwiderungen auf des Verfassers Schrift über die gemeinrechtliche Jrrthumslehre ’) die *) Der Irrthum bei nichtigen Verträgen nach römischem Rechte. Ein Beitrag zur Vereinfachung der Vertragslehre. 2 Theile. Berlin 1882,1883. Da die folgenden Ausführungen des Verfassers vielfach auf dieser Vorarbeit fußen, so steht er sich genöthigt, sie öfters anzuziehen, um Wiederholungen zu vermeiden.

24 erforderliche Berücksichtigung wenigstens hier schuldig bleibt.

dieses

Verfahren

kleinere Uebel

das

es immerhin

auch gewährt

Fahnenflucht,

gegenüber

Doch war

Anscheine

dem

den Vortheil,

einer

dem Leser die

Rolle eines Unparteiischen in wissenschaftlichen Zweikämpfen zu ersparen,

welche

ihm

Schweigen

vielleicht

nicht

So bittet denn der Verfasser, sein

zusagt.

nicht als Rathlosigkeit und

über die Entgegnungen Anderer

Mit dem gesprochenen Worte

auch nicht als Rücksichtslosigkeit zu deuten.

und mit der Feder hofft er das hier Versäumte bei mehr als einer Ge­

legenheit nachholen zu können.

Eine einleitende Auskunft über den Plan des Gutachtens darf der Leser erwarten.

Der Vorschlag,

eine Zerstörungsabsicht.

eine

fernere Bresche

In

bekundet lediglich

welcher gemacht ist,

ein

lückenreiches Werk will

der 'Verfasser

Ob dies nicht zu viel des Guten

schießen lassen.

ist, muß fraglich erscheinen.

Zu jeder Bresche gehört nicht bloß ein Vernichtungswerk, auch das Ausbleiben eines Ersatzes, der die Lücke füllt. hier in

zwei

geprüft

Abschnitten

werden,

was

an

sondern

So muß denn den

beurtheilten

Stücken des Entwurfes beseitigenswerth ist, und warum nach einem Fort­

fall der Platz gänzlich leer bleiben soll. Zum Schluffe des Gutachtens will der Verfasser den unfreundlichen Eindruck,

welchen

seine

Beurtheilung

durch

verneinenden

ihren

Kern

machen muß, abschwächen, indem er ein Gesammturtheil über den Ent­

wurf anhängt,

sein Ruf.

Die

welches dahin gehen soll,

besondere Prüfung

daß dieser weit besser ist als

der Jrrthumslehre

soll

zu

diesem

allgemeinen Schlußworte die Bausteine allmählich zusammentragen.

Erster Abschnitt.

Der Werth der allgemeinen ÄrrthumAlehre des Entwurfs. Capitel 1. I.

Der Plan der Abschätzung. Fragestellung.

§ 2.

Mit den allgemeinen Vorschriften über den Irrthum bei Willens­

erklärungen will der Entwurf einen Streit schlichten. Welches ist der Inhalt dieses Streits?

Ueber einen Punkt sind alle Parteien einig.

beginnen.

Mit ihm wollen wir

25 Nicht alle Irrthümer, welche einen Geschäftsschluß nach sich ziehen,

haben gleiche Bedeutung, nicht alle sind Nichtigkeitsgründe. Darum gab man denjenigen Irrthümern, welche es sind, einen be­

sonderen Na.nen.

ist vieldeutig.

Man nannte sie „wesentliche";

allein der Ausdruck

Wenn etwas wesentlich sein soll, so drängt sich die Frage

auf: „Für wen und zu welchem Zwecke?"

Besser ist es daher, dies Wort zu vermeiden und die Irrthümer, welche Nichtigkeitsgründe sind,

„geschäftshindernde"

oder

„gültigkeits­

hindernde" zu nennen.

Nun fragt sich: woran erkennt man,

ob ein bestimmter Irrthum

geschäftshindernd ist? An seinem Inhalte oder an seiner Bedeutung für die irrende Partei?

Die beiden älteren Hauptansichten lehrten, daß es auf den Inhalt des

Irrthums ankommt, d. h. daß Irrthümer über bestimmte Dinge

Nichtigkeitsgründe sind und über andere nicht. Die eine ältere Ansicht ist zwar völlig verworfen, spukt aber immer

noch in den Köpfen Einzelner?) Sie

beruht auf einer Verwechselung der „wesentlichen" Irrthümer

mit den „wesentlichen" Geschäftsbestandtheilen, zweier verschiedener Dinge. Wenn der Irrthum ein essentiale negotii betrifft, dann soll er, so lehrte man, Nichtigkeitsgrund sein, andernfalls nicht.

Hier sind offenbar zwei Fragen verwechselt:

1. Was verlangt die

Rechtsordnung, 2. was verlangt die Partei, damit ein Vertrag gelten soll? So nennt man z. B. die Einfügung eines Bedingungssatzes acci-

dentale negotii, weil die Rechtsordnung sie nicht verlangt, obwohl sie der sie vornimmt, hochwichtig, und ein Irrthum über

für denjenigen,

diesen Punkt nicht gleichgültig ist?) Eine zweite ältere Ansicht bestimmt denjenigen Inhalt des Irr­

thums, nach dem es sich entscheiden soll, ob er ein Nichtigkeitsgrund ist

oder nicht, weit handgreiflicher.

Der Irrthum soll Nichtigkeitsgrund sein,

sobald über 1. die Person, 2. die Sache, 3. die Geschästsart, 4. gewisse (zweifelhafte) Eigenschaften geirrt wird.

Die Entstehung dieses formalistischen Schemas erklärt sich aus der Methode der Postglossatoren?) Es faßt die ganze Frage oberflächlich 2) Leonhard, der Irrthum bei n. V. Bd. II S. 552 ff.

3) Vgl. jedoch Hellmann, Gutachten aus dem Anwaltstande über die Lesung des Entwurfs S. 500. 4) Leonhard, der Irrthum S. 550 ff.

erste

26 und

äußerlich

auf.5)6 Man versuche, sich einen Gesetzgeber vorzustellen,

der alles Ernstes darauf ein Gewicht legt, ob dasjenige, worüber geirrt

wird, zufälliger Weife eine Person, Sache oder Gefchäftsart ist, und denke sich irgend

könnte!

einen vernünftigen Zweck, welchen er dabei gehabt haben

Dieser Denkversuch wird sicherlich mißlingen.

Zitelmann hat

daher mit Recht hervorgehoben, daß unter Umständen der Irrthum über Ort und Zeit mindestens ebenso wichtig sein kann, wie derjenige über die Person und die Sache.5)

Die ganze altehrwürdige Scala ist darum unbrauchbar, weil sie an­ erkannter Weise in der Praxis nur zum Scheine gilt und

die Lehrbücher gekommen sein

(so z. B.

ist

bei der überwältigenden Mehrheit der

Kaufgeschäfte), da fällt es keinem Praktiker ein,

den Irrthum über die

als wesentlich zu betrachten.7)8 Wo ferner eine bestimmte fun­

gible Sache gekauft ist,

hält,

gehandhabt wird,

Daß sie nicht ernstlich

Wo es dem Irrenden gleichgültig ist, mit welcher Person er

den Vertrag schließt

Person

niemals in

wenn die Gelehrten aus den

corpus Juris civilis eine andere und bessere Jrrthumslehre

Stellen des

hätten folgern können. zweifellos.

würde,

der Verkäufer aber stillschweigend das Recht er­

statt ihrer eine gleichartige zu liefern,

wird Niemand eine Ver­

wechselung der verkauften Sache mit ihres Gleichen für erheblich ansehen. Der Irrthum über die Geschäftsart wird freilich



von ganz merk­

würdigen Fällen abgesehen — schwerlich gleichgültig sein.

nicht undenkbar.

Lager hat,

Doch ist dies

Wer z. B. für Geld oder für Waaren, welche er auf

dem Nachbarn ein Haus abkaufen will und also wahlweise

einen Kauf oder Tausch anbietet, wird nicht unter allen Umständen einen

Irrthum als Nichtigkeitsgrund hervorkehren dürfen,

wenn er etwa nach­

her auf Wunsch des Nachbars eine Tauschurkunde unterschreibt, während er glaubt, daß das Schriftstück den angebotenen Kauf enthält; mindestens ist dieser Punkt nicht zweifellos.5)

Die Ansicht von den vier oder drei Classen wesentlichen Irrthums ist also

unbrauchbar,

keinen Nutzen,

aber sie ist wenigstens

harmlos.

vermag aber auch nicht Schaden zu stiften.

Sie gewährt Da Manche

5) Sie liegt auch dem preußischen Landrechte zu Grunde § 75—82 I, 4. 6) Zitelmann, Irrthum und Rechtsgeschäft S. 491 und 496. Zustimmend Eck im Rechtslexicon der Holtzendorff'schen Encyclopädie 3. Auflage Bd. II S. 400 und Windscheid, Pand. 6. Ausl. I § 76 91. 9. 7) Vgl. Seuffert's Archiv III No. 165, 169, IV 225. 8) Vgl. hierzu Leonhard, Bd. II S. 473 ff. und Graf Piniöski, der That­ bestand des Sachbesitzerwerbs, Leipzig 1888. Bd. II S. 472 ff.

27 an ihre Nützlichkeit glauben, so würde dies allenfalls den Umstand recht­

fertigen,

daß ein kleiner Ueberrest von ihr in § 94 des» Entwurfs aus­

genommen ist:

„Im Zweifel" (der Richter kann also im einzelnen Falle an­ ders urtheilen) „ist anzunehmen, die Willenserklärung würde nicht

wenn ein Rechtsgeschäft anderer Art, die Be­

abgegeben sein,

des Rechtsgeschäftes auf einen anderen Gegenstand oder

ziehung

die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts unter andern Personen beab­

sichtigt wurde."

Dieser Satz kann also nur die Folge haben, daß die Lehrvorträge Allein

rrnd die Gedächtnisse mit etwas Ueberflüssigem belastet werden.

immerhin noch zu den vielen andern getragen werden können als Zeichen der Hochachtung vor dem ehrwürdigen Alter

diese kleine Last würde

dieser absterbenden Theorie und

als erwünschte Veranlassung für den

Rechtslehrer zu einem belehrenden Rückblick auf die juristische Methode früherer Zeiten. Daß dieses

altehrwürdige Register (error in persona, re, negotio,

substantia) einer allgemeinen Ergänzung bedarf, dürfte wohl so ziemlich

unbestritten haben,

fein.9)

Man

neben dem die

will

daneben

einen

alte Scala nur als

allgemeinen

Maßstab

eine Art Stütze bestehen

bleiben soll.10) Einen

solchen

geschlagen. ”)

allgemeinen Maßstab hat die Naturrechtsschule vor­

Ihr verdankt die Jrrthumslehre einen Umschwung,

der

in dem Satze gipfelt:

Nicht der Inhalt einer Vorstellung entscheidet darüber,

ob

ihre Irrigkeit Nichtigkeitsgrund ist, sondern ihre Bedeutung für die irrende Partei. Der Gedanke enthielt einen Fortschritt, aber auch eine Uebertrei­ bung. Man vergaß, daß zu dem Vertrage zwei Parteien gehören, daß

die eine also ihre Wünsche nur unter Berücksichtigung der andern vor­ drängen darf.

Den Fesseln der alten Lehre entsprach als Gegenschlag

die Zügellosigkeit der neuen.

Aus ihr ist die Ansicht herausgewachsen, welche ihre neueren Ver­ treter „Willensdogma" nennen. Unter diesem feierlichen Namen hat sie

9) Vgl. jedoch jetzt auch Hellmann a. a. O. S. 500. 10) Vgl. Dernburg, Pandekten I § 102. 2. Aufl. S. 233 A. 4. n) Leonhard a. a. O. S. 555 und hierzu weitere Beweisstücke bei Hartmann, Archiv f. civ. Pr. Bd. 72 S. 218 ff.

28 in die Motive (Bd. I S. 189) ihren Einzug

gehalten.

Dabei ist die

nicht unbeträchtliche Zahl derjenigen Schriftsteller, welche diese Lehre be­

streiten,

gänzlich unbeachtet geblieben.

als eine bloße Meinung,

den darf,

Ein „Dogma" ist freilich mehr,

es ist ein Lehrsatz, der nicht angezweifelt wer­

und da jeder Gelehrte seinen Ansichten eine solche Unanfecht­

barkeit von Herzen wünscht,

so

ist es

begreiflich,

daß sich neuerdings

die Dogmen auf dem Rechtsgebiete zu mehren beginnen; im Hypotheken­

rechte findet sich sogar ein „Mecklenburger Dogma".12)

„Keine ungewollte Geschäfts­

Das Willensdogma lautet in Kürze: folge."

Wo bleiben.

es Dogmen giebt, So

da pflegen

auch die Ketzer nicht

auch bei dem Willensdogma.

dete Lehre wird

auszu­

Diese ex cathedra verkün­

alles Ernstes seit einer Reihe von Jahren von vielen

Seiten angefochten.

Unbekümmert um die Bannstrahlen, welche aus dem

Schooße der herrschenden Meinung wider sie ergehen, unbekümmert um die überlegene Stellung,

welche der herrschenden Lehre durch ihren Be­

sitzstand gewährt wird, erheben die Zweifler immer wieder ihre Stimme,

und ihre Hoffnung, schließlich doch einmal durchzudringen,

ist durch ihre

Nichtbeachtung in den Motiven des Entwurfs nicht geknickt worden.13) Alle diese Gegner haben einen gemeinsamen Grundgedanken:

Vertragserklärungen sollen zuverlässig sein, und als Folge hiervon:

Niemand

soll durch die unerwartete Hervorkehrung eines Willens­

mangels seines Vertragsgenossen enttäuscht werden können!

Leider zersplittern sich die vom Willensdogma Abtrünnigen wieder

in Secten, von deren allzu eingehender Schilderung abgesehen werden muß. Bähr, Kritische V.-J.-Schr., Bd. 30 (1889) S. 522. 13) Vgl. die bei Leonhard, der Irrthum u. s. w. S. 9 Anm. 6 angeführten, und neuerdings denselben, Archiv f. civ. Praxis Bd. 72 S. 42 ff., Hartmann, Archiv f. civ. Praxis Bd. 72 S. 161 ff., Bd. 73 S. 329 ff., Bähr, Krit. V.-J.Schr. Bd. 30 S. 334 ff. In gewissem Sinne gehört hierher auch das beachtenswerthe Werk: „Der Thatbestand des Sachbesitzerwerbs nach gemeinem Recht" von Dr. Leo Grafen Pinwski, 2 Bde. Leipzig, Duncker -& Humblot 1885, 1888, be­ sonders Bd. II S. 251—260, welcher jedoch nur in der allgemeinen Rechtsgeschäfts­ lehre, nicht aber in der Jrrthumslehre dem Grundgedanken des herrschenden Willens­ dogmas unbedingt entgegentritt. Zur Würdigung der überaus gediegenen Schrift sei auf das Urtheil v. Jherings hingewiesen, welcher in seinem neuesten Werke (Der Besitzwille, Jena 1889, Vorrede S. XV) Anlaß nimmt, es mit besonderer Anerkennung zu erwähnen. Auch Bechmann, Der Kauf nach gemeinem Recht. Zweiter Theil. Erlangen, Deichert 1884 S. 10 ff. ist zu den Gegnern des Willens­ dogmas zu rechnen. Vgl. auch Werthauer, Ueber den Einfluß des Irrthums auf Verträge, Breslau, Morgenstern, 1887.

29 Nur eine ältere radicale Ansicht sei erwähnt,

damit sie nicht etwa

mit der im Folgenden vom Verfasser vertheidigten Meinung verwechselt werde. Ihr Vertreter hat sie,

insoweit sie zu weit ging,

aufgegeben. u) Diese jetzt nicht mehr vertretene,

neuerdings selbst

aber mit der richtigen Ansicht oft

verwechselte Meinung stellte das Willensdogma geradezu auf den Kopf. Wenn dieses lehrt: „Keine ungewollte Geschäftsfolge", so lehrte sie: „Es

giebt Geschäftsfolgen ohne Erklärungshandlung"lich

Sie stellte sich näm­

auf den Standpunkt einer maßlosen Fürsorge für den Erklärungs­

empfänger,

während

absender rückhaltlos

die Vertreter des Willensdogmas den Erklärungs­

in ihr Herz

einschließen.

Wenn

also

z. B.

ein

Telegramm, das eine Geschäftserklärung in sich schließt, entstellt worden ist („Kaufen Sie" statt „Verkaufen ©ie")14 15),16 und 17 der gutgläubige Em­

pfänger dadurch in Unkosten geräth, die dem Absender unerwünscht sind, so

wendet sich

das Willensdogma,

wo

es unbeschränkt auftritt,

als

Schutzengel dem Absender zu und bewahrt ihn wenigstens grundsätzlich

vor jedem Schaden,^)

Bähr aber läßt die gleiche liebevolle Fürsorge

dem Empfänger des Telegramms angedeihen.

Keine der beiden Parteien

duldet, daß man ihrem Schützlinge ein Haar krümmt, während sie dessen Vertragsgenossen

auf dem Altare der Rechtsordnung erbarmungslos zu

opfern bereit ist. Daß von diesen beiden schroffen Standpunkten (hie Wille,

hie Er­

klärung) der erstere gänzlich undurchführbar ist, haben seine eigenen Ver­ treter längst eingesehen. n)

So hat sie denn aus ihrem Schooße heraus neben sich und der Er­

klärungstheorie

eine dritte Theorie

erzeugt,

die sich nur zum Scheine

14) Bähr, Dogm. Jahrb. Bd. 14 S. 393 ff., vgl. jetzt kritische Vierteljahrs­ schrift Bd. 30 S. 338. Nach diesen neuesten Vorschlägen Bähr's soll die Erklärung den Urheber nur dann binden, „wenn er sie in einer ihm zuzurechnenden Weise ab­ gegeben hat". Sonach hat Bähr seine früheren Ausführungen in richtiger Weise eingeschränkt (vgl. Leonhard a. a. O. Bd. 1 S. 129 ff.). 15) Bähr, Krit. V.-J.-Schr. Bd. 30 S. 335, vgl. Seuffert's Archiv Bd. 30 Nr. 116. 16) So auch der Entwurf § 101. 17) Unhaltbar ist freilich die Bemerkung Unger's, daß auch die Willenstheorie auf den Erklärungsempfänger Rücksicht nehmen will (Grünhut's Zeitschrift für das Privat- und öffentl. Recht der Gegenw. Bd. 15 1888 S. 678). Nicht die Willens­ theorie thut dies, sondern ihre Vertreter bequemen sich dazu im Widerspruche mit dieser Theorie, um ihrer Meinung die praktische Anwendbarkeit zu erhalten.

30 selbst zur Willenstheorie rechnet,

aber von ihr abweicht.

in Wahrheit

Man könnte sie die Vermittelungstheorie nennen, weil sie die prak­ tische Hauptconsequenz der feindlichen Erklärungstheorie zugesteht, näm­ lich die Pflicht,

für das gegebene Wort einzustehen.18)

Gesetzgebung dahin,

Sie treibt die

einen ähnlichen Zwiespalt einzuführen, wie er in

Rom zwischen jus civile und jus praetorium bestand.

mand seinen Rechtsanwalt befragt:

Wenn z. B. Je­ „Ist mein Versprechen nichtig, das

ich aus einem Irrthum über die Sache abgegeben habe,

dessen Bedeut­

samkeit meinem Vertragsgenossen nicht erkennbar war?"

so müßte der

es ist nichtig,

Befragte nach dieser Lehre antworten:

„Ja,

haften dennoch auf volle Entschädigung.

Ihre Nichtigkeitseinrede beruht

auf einem nudum jus Quiritium,

aber Sie

sie ist ein Messer ohne Klinge,

dem

der Stiel fehlt." Dieser Rechtsdualismus zwischen Theorie und Praxis beruht offen­ bar darauf, daß seine Schöpfer fühlen, eine unhaltbare Lehre zu ver­ treten, und dies wenigstens „im Princip" nicht zugeben wollen. Sie wünschen Unvereinbares, denn sie gehen einerseits mit klingendem Spiele in das Lager der Gegner hinüber und wollen andrerseits doch den Ruhm

behalten, der alten Fahne treu geblieben zu sein.

Sie verleugnen das

Willensdogma in seiner wichtigsten Bethätigung und bekennen sich doch

als seine Vertreter.19)20 Diese Vermittelungstheorie Richtung und in eine vorsichtige.

zerfällt wieder in eine opferfreudige Jene gewährt dem „vorwurfsfrei Ge­

täuschten" volle Entschädigung.^) So streckt sie denn den wissenschaft­ lichen Gegnern, welche für die Erklärungs- oder Vertrauenstheorie streiten, die Hand zur Versöhnung weit entgegen und bietet eine runde Summe, ohne von ihr etwas abzuhandeln. Die vorsichtigere Richtung dagegen

reicht den Feinden kaum den kleinen Finger hin, in der erkennbaren und durchaus

richtigen Befürchtung, daß sie die ganze Hand haben wollen.

Auch sie will Zugeständnisse machen, aber sie so verclausuliren, daß man ihnen anmerkt,

wie ungern sie gewährt werden.

ihr Entgegenkommen durch

allerhand

Darum schwächen sie

Beschränkungen ab.

Diese vor­

sichtige Vermittelungstheorie ist vom Entwürfe ausgenommen worden, was ihm neuerdings den Vorwurf zugezogen hat, daß seine Verfasser in

18) a. a. O. 19) 20)

Vgl. namentlich Eisele, Jahrb. für Dogm. Bd. 25 S. 415 ff., Unger Bd. 15 S. 673 ff. Vgl. auch Leonhard, der IrrthumM. I S. 121 Anm. 1. S. Unger a. a. O. S. 682.

31 der Jrrthumslehre den weisen Salomon zum Vorbilde genommen habens') ein Tadel, der vielleicht Manchem

erscheinen wird.

als ein Lob

Da

Vorsicht die Mutter der Weisheit ist, so paßt der weise Herrscher in der That recht gut dazu, um diese Stelle des Entwurfs zu kennzeichnen.

In der älteren Gestalt war freilich Bähr's eigene Theorie über den Verdacht schwächlicher Zugeständnisse nur damals

legte

alles

Gewicht

allein

auf

die

erhaben.

allzu sehr Erklärung,

welche

Er dem

Adressaten wirklich zukommt; man hätte seine Lehre die „Ankunftstheorie" nennen können, da ihr der ankommende Geschäftsinhalt allein entscheidend war,

mochte

er abgesandt

sein

oder nicht.

Sie ging daher so weit,

Grundsätze des Wechselrechts zu verallgemeinern und auch im lichen Geschäftsverkehre Schriftstücke für verbindlich

zu

von ihrem Verfasser noch nicht abgeschickt worden und

gewöhn­

halten,

welche

trotzdem durch

einen Zufall oder ein Verbrechen in das Wahrnehmungsgebiet des

un­

schuldigen Erklärungsanwärters hineingerathen waren.21 22)23 Wie schon er­

wähnt wurde, hat Bähr diesen Gedanken jetzt fallen gelassen.22)

Damit nähert er sich der Mittelstraße, welche der Verfasser für die goldene

an ältere Autoritäten in seiner Jrr­

hält und in Anlehnung

thumslehre vertreten

Diese steht mit einem Fuße noch

hat.

Boden des „Dogmas",

indem sie

handlung keine Geschäftsfolge".

lehrt:

Briefe,

die ich

können mich hiernach ebenso wenig verpflichten,

falsche Adresse

abgegeben worden sind.

auf dem

„Ohne bewußte Erklärungs­

nicht

abgesandt habe,

wie solche,

die an eine

In andrer Hinsicht lehnt aber

auch diese Ansicht sich wider das „Dogma" auf, insofern auch sie mit Bähr

lehrt:

„Unbedingte Gültigkeit des dem Erklärungsempfänger erkennbar

gewordenen Willensinhalts".

Hiernach

giebt es Geschäftsfolgen nicht ohne gewollte Erklärungs­

handlung, wohl aber ohne gewollten Erklärungsinhalt.

Anders der Entwurf § 98:

„Beruht der Mangel der Uebereinstimmung des wirklichen Willens mit dem erklärten Willen auf einem Irrthume des Urhebers, so ist die

Willenserklärung nichtig,

wenn anzunehmen ist,

daß der Urheber

bei Kenntniß der Sachlage die Willenserklärung nicht abge­ geben haben mürbe".24) 21) Krit. V.-J.-Schr. Bd. 30 S. 335. 22) Vgl. Bähr, dogm. Jahrb. Bd. 14 S. 413 ff. 23) Vgl. hierzu jetzt auch Graf Piniüski Bd. II S. 61. 24) In dieser scharfen Betonung der persönlichen Wünsche des Irrenden, welche dieser vor dem Vertragsabschlüsse hatte, nähert sich der Entwurf ganz besonders dem

32 des Verfassers Meinung

Nach

müßte die

zweite

gesperrte Hälfte

dieses Satzes etwa lauten: „wenn schlüsse

entweder der Irrende in

des Geschäfts bestimmt hat,

erkennbarer Weise

bei dem Ab­

daß es für den Fall eines solchen

Irrthums nicht verbindlich sein solle, oder eine derartige Bestimmung nach

allgemeinen Grundsätzen neben dem ausdrücklich Erklärten als verkehrs­ üblich in Betracht kommt".

Dieser Satz wurde vom Verfasser früher kürzer also ausgedrückt: „Eine Willenserklärung ist wegen eines Irrthums nichtig, wenn die Abwesenheit eines solchen Irrthums ausdrücklich oder stillschweigend zur

Gültigkeitsbedingung gemacht ist".25 * *)26 *

Denselben Gedanken kann man übrigens auch in engerer Anlehnung an die Redeweise der Quellen also fassen:

„Eine Willenserklärung ist wegen Irrthums nichtig, wenn nach der Bestimmung des Irrenden oder der Verkehrssitte für den Fall

eines

solchen

gelten

soll"

Irrthums

(in

der

der Sprache

Geschäftsinhalt der

nicht

als

römischen Juristen

geordnet „nicht ge­

wollt ist"). Wann dies der Fall ist, das festzustellen ist Sache der richterlichen

Auslegung, welche hier wie sonst nicht bloß das Ausdrückliche, sondern auch

das

„Selbstverständliche"

als

Geschäftsinhalt behandeln

muß.25)

Standpunkte Zitelmanns (Irrthum und Rechtsgeschäft,' Leipzig 1879 S. 373 ff.) und Rycks (Festgaben für Beseler, Berlin 1885 S. 138 ff., besonders S. 135 und 142 — vgl. zu S. 142 Graf Pininski, Bd. II S. 477 Anm. 1.) 25) Gr. Pininski ficht diese Fassung an, (a. a. O. II S. 524 ff.) weil sie der Redeweise der Quellen nicht entspricht. Allein die Wissenschaft hat das Recht, Gedanken, die in den Quellen stehen, in eigenartige Formen einzukleiden. Man streiche aus unsern Lehrbüchern alles weg, was mehr ist als eine Uebersetzung lateinischer Worte, wie viel wird übrig bleiben? Wenn ferner Graf Pin ins ki S. 528 fragt: „Was wird denn bei dem wesentlichen Irrthum bedingt?", so ant­ wortet der Vers.: „die Anordnung der Geschäftsgiltigkeit", die „lex contractus“ (vergl. über diese Pernice, Labeo Bd. I S. 472 ff.) 26) Vgl. über dieses „Selbstverständliche", ein Ausdruck, der viel treffender ist, als das „stillschweigend Erklärte", Leonhard, in den Verhandlungen des 17. deutschen Juristentags S. 344 ff. Es steht fest, daß der Richter dem ausdrücklich Festgesetzten noch Bestimmungen als gültig hinzufügt, an welche die Contrahenten nicht einmal gedacht haben, sondern welche dem Verkehrsüblichen entnommen werden. (Bechmann, Kauf Bd. 2 S. 10 ff.) Die Römer nennen auch solche nicht gewollte Bestimmungen „tacite“ verabredet, jedenfalls weil ein vernünftiger Mensch bei seinen Vertragsschlüssen sich ohne Weiteres dem Verkehrsüblichen unterwerfen würde,

33 Dieses Letztere,

welches der Richter nicht bloß aus sogenannten leges

subsidiariae, sondern auch aus der Verkehrssitte (Entw. § 359) folgern

muß, spielt in der Jrrthumslehre eine Hauptrolle.

Daß Jemand aus­

drücklich erklärt: „Nur wenn ich mich über diesen besonderen Punkt nicht soll meine Erklärung nicht gelten",

irre,

Wenn es

kommt selten vor.

wirklich geschieht, so zweifelt Niemand daran, daß bei dem Ausfälle der

gesetzten Bedingung auch das Bedingte ungültig ist. Wichtig wird also in der Regel der Irrthum da, wo etwas Aehn-

liches bloß „stillschschweigend" erklärt, d. h. als selbstverständlich hinge­

stellt wird, ohne daß der Redende sich die Mühe nimmt, davon zu reden oder auch nur daran zu denken.

Woher nimmt der Richter überhaupt solche süllschweigende Vertrags­ normen? Aus dem wirklichen Denken und Wollen der Partei sicherlich

nicht.

Wenn ich mir ein Glas Bier im Wirthshause bestelle,

ich

gerade andere Dinge im Kopfe habe.

jedenfalls.

Bezahlen muß ich es

die Rechtsordnung bestimme sie. bezweifelt.

aber

Woher stammt nun diese Pflicht? Ich habe ihre Begründung

nicht ausgesprochen und nicht gedacht, und doch besteht sie.

Hauptfrage.

so denke

vielleicht auch nicht, weil

ich vielleicht daran, daß ich es bezahlen will,

Wer uns nichts sagt, Es

handelt sich

als dies,

nicht darum,

umgeht die

eigentliche

ob die Rechtsordnung die

stillschweigenden Geschäftsbestimmungen gellen läßt. mand bestritten.

Man sagt,

Natürlich; das hat aber noch Niemand

Es handelt sich vielmehr darum,

Das hat noch Nie­ wohin die Partei

oder der Richter blicken müssen, um das „süllschweigend Bestimmte" oder die „naturalia negotii“ im Auftrage der Rechtsordnung zu finden. Im Gesetzbuche findet er keine Antwort auf solche Fragen. Was im corpus

wenn er es für nöthig hielte, darüber zu reden. In diesem „würde" liegt freilich eine Fiction, und eine solche darf man heutzutage nicht in den Mund nehmen, ohne einer vorwurfsvollen Erwähnung dieser Thatsache sicher zu sein (vgl. z. B. Bechmann a. a. O. S. 20 Anm. 1). Allen solchen Vorwürfen liegt jedoch eine Ver­ wechslung zu Grunde. (So Leonhard: Inwieweit giebt es nach den Vorschriften der deutschen C.P.O. Fictionen? Berlin 1880 S. 1 ff.; vgl. auch Wach, Handbuch des d. Civilproceßrechts I § 23 (5. 303.) Die Wissenschaft darf freilich nichts fingiren, aber der Gesetzgeber thut es bisweilen. Wo er es thut, gleichviel ob mit Recht oder Unrecht, da muß die Wissenschaft diese Thatsachen feststellen. Sie würde eine un­ erlaubte Fiction begehen, wenn sie die Fiction des Gesetzgebers einfach verschwiege. — Wer den Schriftsteller wegen der Fictionen tadelt, welche dieser als vom Gesetz­ geber herrührend schildert, der gleicht einer jener reizbaren Naturen, welche den schuldlosen Ueberbringer einer unerwünschten Nachricht durch ihre Ungnade zu bestrafeu pflegen. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. III.

3

34 juris civilis steht, erschöpft nicht die Fülle des wirklichen Verkehrslebens,

und die neueren Gesetzbücher, z. B. der Entwurf, sind noch viel schweig­ samer.

beachten.

aber doch

zu finden sein;

Die

Lösung

des

stillschweigenden Zusätze

diese

Räthsels

liegt

in

der Niederschlag

zu

sie weder wissen noch

sonst könnte man

„Lebens­

dem Worte

Wer in's volle Menschenleben hineinblickt,

erfahrung". man

müssen

Irgendwo

dem Erklärten

in dem erzeugt

einer reichen Beobachtung ein Abbild desjenigen, was

„Verkehrssitte"

nennt,

und

aus

„Natur des Vertrages" (§ 359) bestimmt.

welchem

die

sich

sogenannte

Diese ist daher ein der Will­

kür entzogenes Kriterium, d. h. eine außerhalb des Beobachters und des

Vertragschließenden liegende geschichtliche Größe, welche, wie jede andere, nur durch Quellenstudium, d. h. hier durch unausgesetzte Wahrnehmung des menschlichen Zusammenlebens gewonnen werden sann.27)

siedler oder ein Stubengelehrter,

Ein Ein­

der seine Weisheit

nur aus Büchern

schöpft, ist zum praktischen Richter ebenso untauglich

wie zum Ausleger

der Pandekten,

entstanden sind.

lauter Aufzeichnungen

Wer jedoch

Er weiß,

ganz genau.

Lage,

welche aus

wie diejenige

stimmten Augenblicke

im

Leben

steht,

wirklicher Erlebnisse

kennt die Verkehrssitte

was redliche Durchschnittsmenschen in ähnlicher

eines

in

bestimmten Vertragschließenden

der Erklärung ist,

für ihre Pflicht

dem be­

halten.

Aus

vielen Erinnerungen an einzelne Menschen, die er gesehen hat, macht er sich

die Vorstellung

eines Durchschnittsmenschen

zurecht;

hätte er jene

nicht beobachtet, so würde er diesen sich nicht vorstellen können. hier

wie bei

allen schwierigen Wahrnehmungen

Wenn

derselbe Gegenstand in

verschiedenen Köpfen verschiedene Spiegelbilder erzeugt, so beweist dieses nur, daß er schwer faßlich, nicht daß er gar nicht vorhanden ist.

Eben

darum hat man collegiale Gerichte begründet, weil sechs Augen in ihrem Vorleben mehr gesehen haben, als zwei.

Aus dem

erfahrungsmäßigen Verhalten

der Menschen

und

einem

durch Nachdenken hergestellten Durchschnitte seines Inhalts wird also die

Kenntniß desjenigen gewonnen, was man „Verkehrssitte" nennt, und was der Richter nicht minder durch Studium sich anzueignen verpflichtet ist

als seine Gesetzbücher.

Diese Verkehrssitte bestimmt den vollen Inhalt des „stillschweigend"

Gültigen.

Sie bestimmt auch, wann ein Irrthum Nichtigkeitsgrund sein

27) Dernburg Bd. I § 102 A. 4 verlangt ein „objectives Kriterium" und findet es in der alten Scala: error in re, persona rc. In der That ist dies Register offenbar nichts, als ein aus Pandektenstellen zusammengestoppeltes und stümperhaftes Portrait der Verkehrssitte.

35 soll und darf.

Da sie

keitsgrund zuläßt. klärten zugelegt.

so weiß der Vertragsgenosse des

erkennbar ist,

Irrenden, was ihm bevorsteht, Was

sobald ihr Gebot einen solchen Nichtig­

das wird dem

sie bestimmt,

Man nennt das „Auslegung",

eine „Zulegung" ist.

Allein der Name

ausdrücklich Er­

obwohl es eigentlich

thut nichts zur Sache.

Man

betrachtet den erklärten Willen und den durch Zulegung mit ihm ver­ bundenen Geschäftsinhalt in der Regel

Ganze „Vertragswillen".

als ein Ganzes und nennt dies

Es ist dies eine Benennung a potiori;

denn

in der Regel ist dasjenige, was in dem Vertragswillen steht, auch wirk­ lich innerlich von der Partei gewollt. Falle ausnahmsweise nicht gewollt,

Ist es nun in einem besonderen wie bei allen Be­

so schließt dies,

nennungen a potiori, die Zulässigkeit des Namens auch in diesem Falle nicht aus. Der Vertragswille ist eben ein für alle Mal der aus der Erklärung erkennbare und aus der Verkehrssitte ergänzte Wille.

Daß dem Verfasser hiernach der § 98 ebenso wenig gefällt, wie die §§ 97 und 99, braucht er nicht weiter auszuführen.^)

Mit Recht wird man es für höchst unwahrscheinlich, ja nahezu un­

möglich

halten,

daß

wühlten Vertragslehre

ein Grundgedanke

der seit Jahrhunderten durch­

zugleich neu und richtig

sein kann.

Eben weil

dies allerdings der Fall ist, sowie um sich nicht mit fremden Federn zu

schmücken, versichert der Verfasser aus aufrichtiger Ueberzeugung, daß er nicht eine neue Lehre vortragen, sondern nur eine alte, durch das „Willensdogma" verkannte wieder zu Ehren bringen will- Mit Unrecht, das ist seine unerschütterliche Meinung, berufen sich die Vertreter dieses

Dogmas auf den Namen Savigny's. Lassen wir diesen selbst reden (System Bd. III S. 258 ff.): „Demnach darf ein Widerspruch zwischen dem Willen und der

Erklärung nur angenommen werden,

insofern er für den, welcher

mit dem Handelnden in unmittelbare Berührung kommt, erkennbar ist oder wird." Vertragswille im Sinne Savigny's ist also einzig und allein der

dem Vertragenossen bei dem Geschäftsabschlüsse erkennbar werdende Wille.

Daß Savigny

hiernach das Willensdogma

hat, ist und bleibt des Verfassers Ueberzeugung.^)

noch nicht verfochten Auch daß es in der

28) Der § 97 behandelt auch den „Scherz" vom Standpunkte des Willens­ dogmas, vgl. Lesk^e, der Entwurf eines b. G. f. d. D. R. und das Pr. Allgemeine Landrecht. Leipzig 1889, S. 14. 29) Vgl. Leonhard, Archiv f. civ. Praxis Bd. 72 S. 45 Anm. 7, gegen Windscheld, Pandekten, 6. Aufl. Bd. I. § 75 Anm. 1.

36 Praxis bereits

allgemein

herrscht,^) kann er auf Grund von Mitthei­

lungen hervorragender Praktiker aus verschiedenen gemeinrechtlichen Ge­

bieten trotz des Entwurfs noch immer nicht glauben?') Ob er sich hierin irrt oder nicht, wird ja bei den mündlichen Verhandlungen des hohen

Juristentages mit Sicherheit festgestellt werden können. Die Lehre, welche er mit Anderen und nach dem Vorgänge Anderer

dem „Willensdogma" entgegensetzt, möchte er die „Zuverlässigkeitslehre" nennen, weil sie das Ziel vor Augen hat, daß alle Erklärungen im Ver­

kehre für ihre Empfänger zuverlässig sein sollen. sie die „Erklärungstheorie".

sein.

Gewöhnlich nennt man

Sie ist kein „Dogma", will es auch nicht

Sie stützt sich lediglich auf Ergebnisse der Beobachtung und der

Erfahrung und will auch nur nach ihnen beurtheilt werden.

In zwei Punkten gewährt sie einen handgreiflichen Vorzug vor dem „Willensdogma": 1. Sie schützt Vertragschließende gegen Enttäuschungen. In dieser Hinsicht sind wenigstens ihre Ergebnisse von den­

angenommen worden, welche oben als Vertreter der „opferfreudigen Vermittelungstheorie" erwähnt wurden. 02)

jenigen

2. Sie gewährt zur Unterscheidung der Irrthümer, welche Nichtig­

keitsgründe sind, einen Maßstab, der in der Außenwelt liegt, nämlich die Erklärung des Irrenden und die sie ergänzende Verkehrssitte?^) 30) Dagegen Leonhard, der Irrthum I S. 10 A. 3. 31) Näheres vgl. unten § 8. 32) Namentlich von Unger a. a. O. S. 682. 33) Wenn Unger bei Grünhut Bd. 15 S. 673 Anm. 2 behauptet, daß auch die Willenstheorie „nicht auf den Willen allein, sondern auf den erklärten Willen das Gewicht legt", so mag das richtig sein, insoweit es sich um die Frage handelt: „Wann kommt ein irrthumsloser Vertrag zu Stande?" Sobald aber die Frage auftaucht: „Wonach bestimmt man, ob ein Irrthum ein Nichtigkeitsgrund ist?" so ist das Gegentheil richtig. Dann legt nämlich die Willenstheorie nicht auf den erklärten Willen „das Gewicht", sondern auf den Willen allein, d. h. auf die innere unerklärt gebliebene Absicht, von der man wahrhaftig nicht mit Unger a. a. O. sagen kann, daß sie mit dem von ihr abweichenden erklärten Willen „eine untrenn­ bare Einheit" bildet und sich zu ihm verhält wie die Seele zum Leibe. Seele und Leib bestehen gleichzeitig in einander; innere Absicht und der erkennbare Erklärungs­ gedanke entstehen hinter einander in verschiedenen Zeitpunkten. Wer sie als eins auffaßt, läßt zwei hinter einander vorüberziehende Wahrnehmungsgegenstände in einer undeutlichen Beobachtung zu einem einzigen verschwimmen. Er verwechselt selbst da, wo der innere Wille und der erklärte Wille in ihrem Inhalte überein­ stimmen, Identität und Congruenz. Wenn eine Sängerin in einem Concerte ein

37 Die Zugeständnisse der herrschenden Lehre im ersten Punkte („Keine Enttäuschung des Vertragsgenossen") würden also niemals genügen, um auch im zweiten Punkte (Abgrenzung des geschäftshindernden Irrthums)

der Erklärungs- oder Zuverlässigkeitstheorie zu genügen.

Die Hauptfrage lautet also: „Liegt das Erkennungsmerkmal des Irrthums, welcher Nichtig­

keitsgrund ist, drinnen in der Beschaffenheit der irrenden Seele vor

dem Vertragsschlusse, oder liegt es draußen in dem äußeren Ver­ halten des Irrenden bei der Erklärung, sowie in der Verkehrssitte, welche diese erläutert und ergänzt?

Man kann die Frage auch so stellen: „Ist die Jrrthumsfrage eine bloße Auslegungssache oder eine

psychologische Frage?

Müssen wir bei ihrer Entscheidung in das

volle Menschenleben hineingreifen oder in das secretum alienae voluntatis?34 * *) * * * * Ehe wir diese Frage beantworten,

überwinden.

müssen wir noch ein Hinderniß

Es ist streitig, aus welchen Gesichtspunkten überhaupt solche

Dinge entschieden werden müssen.

Diese Vorfrage soll demnächst erledigt

werden. II. Die Prüfungsmaßstäbe.

§ 3. Gewöhnlich unterscheidet man Gesetzgebungsfragen (de lege ferenda) und Auslegungsfragen (de lege lata). Es giebt daher Juristen, welche glauben, daß man von der Sache abschweift, sofern man ein neues Recht

prüfen soll und dabei von dem alten redet. Der Verfasser ist nunmehr schon zum fünften Male in der Lage,

einen von dieser Anschauung abweichenden Standpunkt vor dem hohen

Juristentage zu vertreten,

hält es aber dennoch

in unserer neuerungs­

lustigen Zeit nicht für überflüssig, ihn nochmals kurz zu begründen. Die Frage nach der Gemeinnützigkeit eines Gesetzesvorschlages steht der richtigen Meinung nach in zweiter Linie.

Zuerst muß stets geprüft

Lied da capo singt, so wird wohl Niemand behaupten wollen, daß sie es nur ein­ mal vorgetragen hat, weil ihre beiden Leistungen in ihrem Inhalte übereinstimmten. Man kann dann auch nicht behaupten, daß sich die beiden gleichen Gesänge durch­ drungen haben, wie Leib und Seele, wie dies Unger in dem entsprechenden Fall thut, wenn der Contrahent sein Lied erst für sich leise singt und dann dem anderen laut vorträgt. 34) L. 71 (70) dig. de her. inst. 28, 5.

38 werden,

ob nicht das bisherige Recht erhalten werden kann.

Jede

Aenderung ist ein Sprung in das Dunkle, ihre Folgen gehen über den

Gesichtskreis des weitschauendsten Staatsmannes hinaus, und der Satz: „quieta non movere“

darf nur da eine Ausnahme erleiden, wo ein

zweifelloses Neuerungsbedürfniß vorliegt.

Es folgt dies

aus der Beschaffenheit des Staats.

Was die Ein­

zelnen zum Gemeinwesen eint, ist das Bewußtsein der Vorgeschichte des Vaterlandes, zu welcher dessen Recht mit gehört. Wer an diesem Kitte, der die Masse eint, unnöthiger Weise rüttelt, erschüttert die Rechts- und

die Geschichtskenntnisse des Volkes und mit ihnen dessen inneren Zu­

sammenhang mit dem Ueberlieferten und die Zuverlässigkeit seiner Vater­ landsliebe.

Ehe wir daher prüfen,

ob hier oder sonst von der bisher herr­

schenden Meinung abgegangen werden soll,

muß stets zunächst

gefragt

werden: „Ist es nicht möglich, am altbewährten Rechte festzuhalten?33) Wer solche Frage unterläßt, bekundet m. E. eine große Unkenntniß

der Grundbedingungen des Gemeinwohls.

Ueberall, wo die bloße Mög­

lichkeit einer nützlichen Aenderung genügt,

um diese zu veranlassen, da

treibt eine fieberhafte Entwickelung den Staat bald zum Verfalle.

Auch in dieser Hinsicht verdient der Entwurf mehr Lob, als er ge­ funden hat.

Fast nur in untergeordneten Dingen (namentlich im Ehe-

rechtsgebiete) hat

er sich von der Neuerungssucht fortreißen lassen und

den menschlichen Einzelverstand für höher erachtet, als jahrhundertelange Erfahrungen. In allen Hauptpunkten ist er aber namentlich viel vor­

sichtiger, als es seiner Zeit das preußische Landrecht war, und hat sich daher fast überall an Erfahrungen angelehnt. So erklärt es sich auch, wenn er sich in der allgemeinen Irrthums­ lehre der Ansicht des in der Praxis ohne allen Zweifel und aus gutem

Grunde bei Weitem einflußreichsten Juristen angeschlossen hat.33)

Wenn des Verfassers Wünsche trotzdem von dem Inhalte des Ent­ wurfes abweichen,

so

geschieht dies nicht aus einem Triebe zu leicht­

fertigem Widersprüche wider eine Ansicht, welche er früher selbst gelernt,

als Richter angewandt und als Schriftsteller wie als Lehrer Jahre lang

35) Vgl. auch Unger in Grünhut's Zeitschrift Bd. 16 S. 687 Anm. 39. 36) Vgl. mit dem Entwürfe die Ausführungen Windscheid's im Arch. f. eiv. Pr. Bd. 63 S. 72 ff.

39 verfochten hat, sondern auf Grund fast zehnjähriger, niemals ausgesetzter

Quellenstudien in dem Gebiete der Jrrthumslehre. Die herrschende Meinung, welche der Entwurf angenommen hat, ist althergebrachte,

keine

altbewährte.

Die ganze Jrrthumslehre ist über­

haupt seit Jahrhunderten zweifelhaft und gleicht somit einer alten,

nie­

geheilten Wunde.37)38 Hier kann von bewährten Grundsätzen nicht

mals

die Rede sein.

Aber auch

aus

einem andern Grunde ist dies nicht

der Fall. Wind scheid selbst, der einflußreichste Vertreter der in den Entwurf

eingedrungenen Lehre,

dessen gewichtige Stimme nur schwer durch Be­

vertrat sie früher nicht.

weisführungen ausgewogen werden kann,

lehrte: „Jeder Contrahent hat

Er

ein Recht auf die Erklärung des andern

Contrahenten in demjenigen Sinne, in welchem er sie auffassen mußte."33) Wer also

zu der älteren Ansicht des Führers

Meinung zurückstrebt, ist sicherlich kein Neuerer,

der herrschenden

welcher wider das Alte

ohne Noth zu Felde zieht. Der Grundsatz, das neue Recht unter allen Umständen so viel wie möglich an das ältere anzulehnen,

kann uns somit nicht daran hindern,

die Richtigkeit und Angemessenheit der Vorschläge des Entwurfes, nament­ lich aber auch die Richtigkeit des sog. Willensdogmas, zu prüfen.

Wir wollen in diesem ersten Abschnitte diese Lehre daraufhin be­

trachten, Frage,

ob sie überhaupt im bisherigen

ob sie noch ferner gelten soll,

gemeinen Rechte gilt.

Die

wird sich hierbei von selbst er­

geben. Man streitet bekanntlich in neuerer Zeit mehr als früher über die juristische Methode. Manche vertreten eine geschichtliche (quellenmäßige) Richtung,

andere eine exact-philosophische,

eine dritte Gruppe eine rein

praktische, eine vierte eine legislativpolitische, einzelne sogar eine ethische.

M. E. ist jede dieser Richtungen, einseitig angewandt, unzureichend oder sogar verfehlt.

Die einzig angemessene Arbeitsart dürfte vielmehr

darin bestehen, daß alle diese Gesichtspunkte in jeder einzelnen Frage im Nothfalle zu Wort kommen müssen, und zwar nach einer ganz bestimmten

Reihenfolge.

Zunächst muß die Quellengrundlage gelegt werden (exegetisch­

historische Vorarbeit Kap. 2, la.), sonst schwebt alles Uebrige in der Lust.

37) Vgl. Leonhard Bd. II S. 539—583. 38) Pandekten I § 84 Note 11 in der 4. und den früheren Auflagen. Anders in der 5. und 6; vgl. hierzu Leonhard, der Irrthum u. s. w. I S. 9.

40 Sodann muß das aus den Quellen entnommene Ergebniß daraufhin ge­ prüft werden,

ob

überhaupt logisch

es

und psychologisch denkbar ist;

denn, was undenkbar ist, das können auch die Verfasser der Quellentexte

nicht gedacht haben.

Dann muß die praktische Durchführbarkeit des Ge­

fundenen geprüft werden; denn, was nicht verwirklicht werden kann, kann auch nicht anbefohlen greifen, um noch

sein.

dann noch immer dunkel, standpunkte

Jetzt

erst kann die Utilitätsfrage Platz

bleibende Zweifel zu

lösen.

Bleibt die Hauptfrage

so muß sie schließlich noch vom Sittlichkeits­

aus betrachtet werden, da der Richter nur einer ganz un­

zweideutigen Vorschrift gegenüber annehmen kann, daß ihm etwas anderes

befohlen ist, als dasjenige, was ihm vom Standpunkte seines Gewissens aus als das Richtige erscheint.

So soll uns denn der zweite Theil des nächsten Kapitels (I b) zu einer geschichtlichen, der dritte (Nr. II.) aber zu einer philosophischen Prüfung der

Frage führen.

Daran soll sich eine praktische und eine legislativpolitische

Erörterung anschließen.

(Nr. III und IV.)

Die ethische Erwägung (V)

soll den Schlußstein bilden und insofern versöhnlich wirken,

als sie an­

erkennen wird, daß das in seiner Allgemeinheit unhaltbare Willensdogma

doch wenigstens einen kleinen richtigen Kern in sich schließt,

den seine

Gegner und unter ihnen auch der Verfasser selbst früher nicht im vollen

Umfange gewürdigt haben.

Capitel 2. I.

Die Abschätzung des Entwurfs.

Prüfung des Entwurfs

nach

den Quellen

(geschichtliche

Prüfung).

a) Die römischen Nechtsquelien (philologische Prüfung). § 4. Exegetische Fragen sind für die deutsche Reichsgesetzgebung nicht von

unmittelbarem Werthe. Niemand wird ihr einen Vorwurf deshalb machen,

daß sie nicht aus dem corpus Juris civilis schöpft.

Eher würde sie im

entgegengesetzten Falle Tadelsworte von Seiten der Tagesströmung befürchten haben.

zu

Daher denn auch die Motive wohlweislich mit An­

lehnungen an Justinian's Rechtsbücher überaus sparsam sind. Man darf jedoch hierbei niemals vergessen,

kenntniß dagegen setzen,

schützt,

daß nur die Geschichts-

gesetzgeberische Eintagsfliegen in die Welt zu

und daß ein nüchterner Beobachter aus den praktischen Erfolgen

der römischen Rechtssätze auf dem Verkehrsgebiete, auf welchem sie einen

41 großen Theil der gebildeten Welt nicht bloß dauernd erobert,

sondern

ohne Weiteres auf ihre

auch in nutzbringender Weise umgestaltet haben,

Gemeinnützigkeit zu schließen genöthigt wirb39). Wie sich Justinian's Rechtsbuch zu der Jrrthumslehre stellt, ist also

auch für den Gesetzgeber unserer Tage nicht völlig gleichgültig. Dies haben die Verfasser des Entwurfs allem Anscheine nach richtig erwogen.

Sie haben

Grund aus,

aber auch

aus den Quellen

wahrscheinlich diese Frage

Behandlung des gesummten Privatrechtsgebietes

selbst ihre reichlich be­

messene Arbeitszeit nicht genügt haben würde.

auch hierbei allem Anscheine nach

nicht von

weil zu einer solchen

entwickeln können,

Sie haben sich vielmehr

an die zuverlässigste Autorität unserer

Zeit angelehnt, und zwar mit vollem Recht. So ist denn sicherlich angeblicher Ausfluß

das Willensdogma in seiner Eigenschaft als

der römischen Quellen in den

Entwurf hinein ge­

kommen. Das Verfahren der Verfasser des Entwurfs läßt sich also schwerlich anfechten.

Wenn trotzdem hier behauptet wird, daß sie nicht in richtiger Weise

berathen worden sind, und die Quellen das Gegentheil von demjenigen ergeben,

was die herrschende Meinung

aus

ihnen herausliest,

so kann

diese Ausführung von vorn herein einer weitgehenden Mißbilligung sicher sein,

nicht nur von Seiten derjenigen,

welche jedes Abweichen von der

herrschenden Tagesströmung von vorn herein Ruhestörung

ansehen,

sondern

auch

als

eine

unentschuldbare

aus dem Kreise derer,

dem Verfasser einen unbegründeten Widerspruch

welche mit

gegen die zur Zeit mit

Recht am meisten verehrten Autoritäten der Quellenkunde als eine Selbst­

überhebung verwerfen. Wenn der Verfasser sich

trotzdem zu der undankbaren Rolle ver-

urtheilt, welche ihm seine Ueberzeugung aufzwängt, so leitet er ein Recht hierauf aus den jahrelangen gerade dieser

anstrengenden Bemühungen her,

welche er

einen Frage gewidmet und durch seine zweibändigen Aus­

führungen gewissermaßen unter Beweis gestellt hat. Er weiß aus der Geschichte der Wissenschaft genau, welche undankbare Aufgabe es ist, sich mit einer unnachgiebigen Uebermacht herumzustreiten, und gehört nicht zu denjenigen, welche an einem solchen Kampfe Freude haben.

Allein alle

seine Bemühungen, sich an das Altgewohnte anzuklammern, waren ver­ geblich. Sie konnten nicht verhindern, daß sich ihm seine von der ge39) Vgl. auch Strohal, dogm. Jahrb. B. 27, S. 415.

42 meinen Meinung abweichende Ansicht förmlich wider seinen Willen auf­

gedrängt hat, und daß sie sich in seinem täglichen berufsmäßigen, oft

mehrstündigen Verkehre mit den Quellen immer mehr steigert und be­ festigt.

Diese seine Ansicht geht dahin, daß voluntas, consensus, animus als Geschäftsvorbedingungen im technischen Sinne nicht den innern Willen

bedeuten, sondern den erklärten Willen, m. a. W. den Gedanken, der

durch die Erklärungshandlung dem Erklärungsempfänger er­ kennbar

wird,

das

beim

Geschäftsabschlüsse

erkennbar

gewordene

Willensabbild. Veile heißt daher in der Regel so viel, wie nach dem Inhalte einer

abgegebenen Erklärung wollen. Daß diese Worte in den Quellen nebenher auch noch an manchen

Stellen, namentlich in Strafrechtsfragen, den innern Willen, die Absicht,

bezeichnen, hat der Verfasser niemals bestritten, zeichnung nicht die technische

nur ist diese andere Be­

für die Vertragslehre, d. h. zwei überein-

stimmende Absichten in diesem letzteren Sinne setzt der gültige Vertrag

nicht voraus. Wir pflegen ja auch im Deutschen von Gedanken, Willen, Stimmung und dergleichen nicht nur da zu reden,

meinen,

wo wir innere Seelenvorgänge

sondern auch da, wo wir erkennbare Eigenschaften von Geistes­

werken z. B. Schriftstücken, Büchern u. dergl. benennen wollen.

Das deutsche Wort Wille hat überhaupt zwei vornehmliche Be­ deutungen: 1. die innerliche Absicht,

welche der Handlung vorhergeht

und sie

hervortreibt (Wille im Sinne des sog. Willensdogmas), 2. die thätige Kraft, welche aus dem Innern wirksam in die Außenwelt hineintritt40), d. i. in der Vertragslehre: der in der

Erklärungshandlung wahrnehmbar hervorgetretene Gedanke. Aus der Verwechslung beider Begriffe ist in der Vertragslehre eine große Verwirrung hervorgegangen, indem man Stellen, welche das Wort

„Wille" im zweiten Sinne anwandten, so auffaßte, als ob es im ersten

gebraucht worden roäTe41). 40) Vgl. hierzu auch Werthauer a. a. O. S. 16 Anm. 1. 41) Knigge, Ueber den Umgang mit Menschen (Reelams UniversalBibliothek 1138—1140 S. 333, 334) bemerkt sehr richtig, daß „juristischer Ausdruck nicht selten einer andern Auslegung fähig ist, als gewöhnlicher Ausdruck, und juristischer Wille oft das Gegentheil von dem, was man im gemeinen Leben Willen nennt". Aus dem Verkennen dieser Thatsache sind große Mißverständnisse hervorgegangen.

43 Savigny

und Thöl sind

deshalb an verschiedenen Stellen völlig

mißverstanden worben42),43weil sie das Wort Willen nicht im Sinne der „innern" Absicht

brauchten, sondern

Erklärungsgedankens.

als Bezeichnung des

erkennbaren

Ihre Redeweise war derjenigen der Quellen nach­

gebildet. So verhält es sich auch mit der voluntas contrahentium; es ist der

aus

dem Verhalten der Vertragschließenden wechselseitig

erkennbar ge­

wordene, auf beiden Seiten gleiche Gedanke, daß eine bestimmte Anord­

nung für sie Gedanken,

gelten soll,

wohl zu unterscheiden von den beiden inneren

welche die äußeren Erklärungen hervortreiben,

jetzt auch die voluntas legis scheidet").

wie man ja

von der voluntas legislatoris wohl unter­

42) Vgl. Leonhard, Der Irrthum I S. 81 Anm. 2. Ein solches Mißver­ ständniß findet sich auch jetzt wieder bei Werthauer a. a. O. S. 27. Es ist sehr viel leichter, die Bemerkung eines andern Schriftstellers zu bemängeln, als sie in ihrem richtigen Sinne aufzufassen. Daß Savigny unter „Willen" beim Vertrage die erklärte Anordnung (bethätigte Absicht) verstand, und nicht die innere, ihr vorher­ gehende Absicht meinte, erscheint Fritsche unglaublich (Untersuchung über die Be­ deutung von consensus und consentire in den Digesten. Berlin, G. W. Müller 1888 § 1 Anm. 1), vermuthlich, weil er selbst sich im Banne eines andern, späteren Sprachgebrauchs entwickelt hat. Er hätte sich der Bedeutung entsinnen sollen, welche das Wort „Wille" bei unsern Classikern wie sonst in Savigny's Schriften hat. Wille bedeutet oftmals so viel wie eine in die Außenwelt hinein bethätigte Kraft; z. B. in der dritten Bitte des Vaterunsers, in der Versicherung, daß ein heiliger Wille lebt, in Schopenhauers „Welt als Wille und Vorstellung," ein Werk, nach welchem der Wille eine allgegenwärtige Kraft ist, welche uns die Vorstellungen aufnöthigt. Rousseau's volonte generale ist offenbar nur so viel wie „Staats­ gewalt" (vgl. hierzu jetzt Mentha, discours sur le Systeme politique de Rousseau, catalogue de Neuchätel 1889 S. 16. Er nennt diesen im vorigen Jahr­ hundert gemeinverständlichen Ausdruck jetzt l’incomprehensible miracle, offenbar, weil auch für ihn volontG und bewußte Absicht sich decken). Vgl. auch Merkel, Juristische Encyklopädie 1885: „Als Suverän des Reichs läßt sich daher nur der Wille be­ trachten, welcher in der einheitlichen Wirksamkeit dieser Organe seinen Ausdruck findet." Auch der „Volkswille" Savigny's sollte nicht etwa auf Plebiscite hin­ deuten, wie S.'s Feinde ihm nachgesagt haben (vgl. Leonhard, Zeitschr. f. Civ. Pr. Bd. 11 S. 124). Auch der neuerdings mit gutem Grunde angefochtene „Besitz­ wille" dürfte auf den psychologischen Druck hindeuten, welchen der Besitzer durch die Lage, in der er sich befindet, auf seine Mitmenschen ausübt, und durch den er sie von der Sache abzuhalten vermag. Ein Besitzwille im Sinne eine dauernden bewußten Absicht, welche an die besessene Sache „Tag und Nacht" denkt, würde allerdings eine Ungeheuerlichkeit sein (vgl. auch Savigny, Recht des Besitzes § 15 a. E.). Nähere Ausführungen würden uns von der Hauptfrage zu weit ablenken. 43) So richtig Wach, Handbuch das D. Civilproceßrechts Bd. I § 20 ff. S. 254 ff. und Zitelmann, Die Rechtsgeschäfte im Entwurf, Berlin, Guttentag,

44 Obwohl also der Verfasser sich über die Richtigkeit seiner Meinung völlig klar ist, so ist er sich doch auch darüber ebenso klar, daß der hohe

Juristentag sich schwerlich geneigt zeigen wird, über eine solche exegetische Frage

eine Beschlußfassung

vorzunehmen.

historische Thatsachen haben

Beschlüsse über philologisch­

überhaupt keine Berechtigung.

Außerdem

gehört zu jedem Urtheil ein vorheriges Actenlesen; die Acten sind aber hier

recht dick und

schwerverständlich.

Der hohe Juristentag wird dem

Verfasser nicht die Gunst erweisen wollen,

längere Erörterungen mit

seinen Gegnern über Pandektenstellen geduldig anzuhören. Die Sache liegt demnach so,

daß die nach des Verfassers Ueber­

zeugung richtige Ansicht hier nicht durchgekämpft werden kann, also alle späteren

Ausführungen dieses

Gutachtens

sich

auf

neutralem Boden

halten, d. h. von der Möglichkeit ausgehen müssen, daß voluntas, Con­ sensus, animus u. dgl. in den Quellen in der That dasjenige bedeuten,

was die herrschende Meinung durchaus in ihnen sehen will: den inneren Geschäftswillen. Selbst wer sich

noch

den Weg

offen,

auf diesen Standpunkt stellt,

römische Recht hinauszugehen".

das Willensdogma römisch,

über das

Wenn dies dem Richter der gemeinrecht­

lichen Lande nicht erlaubt ist, der Gesetzgeber darf es. lich

behält doch immer

„durch das römische Recht hindurch,

Wäre also wirk­

nun so würde sich vielleicht hier eine

gute Gelegenheit bieten, bie. neuerdings so sehr beliebte Streichung römischer Grundsätze vorzunehmen. Der Entwurf kennt kein Verbot der Erbverträge mehr, er vertilgt das Senatusconsultum Vellejanum, er ver­ nichtet die Pupillarsubstitution, warum sollte er nicht auch dem „Willens­

dogma" das Lebenslicht ausblasen?44 * *) * * Wenn es wirklich wahr ist (was man neuerdings lehrt), daß das römische Recht nur ein „disciplinirter

heidnischer Egoismus" roat,45) nun wohl, so ändere man es da, wo es „egoistisch" erscheint, d. h. rücksichtslos gegen das Leiden der Mitmenschen.

Eine solche Gesinnung wird aber in der That durch das Willensdogma,

1889, S. 16, Ueber die Gleichartigkeit dieser Frage bei Gesetzen und bei Ver­ trägen, vgl. Schlesinger in den göttingischen gelehrten Anzeigen 1864 S. 1971 ff. Leonhard, Zeitschrift f. Civilproceß. Bd. 11 S. 190 Anm. 8. ") Vgl. auch Demelius, in der Zeitschrift f. das Privat- und öffentliche Recht, Bd. IX S. 320 ff. 45) Der Vers, hat gegen diese verbreitete Meinung neuerdings einen Wider­ spruch zu erheben gewagt in seiner Schrift: Roms Vergangenheit und Deutschlands Recht, Leipzig 1888, S. 127 ff. § 42.

45 welches die Enttäuschung der Vertragsgenossen unter Staatsschutz stellt, begünstigt und befördert.

Wir schließen also mit dem Ergebnisse, daß auch vom Standpunkte

der (unhaltbaren)

herrschenden Meinung das Willensdogma

sehr wohl

verworfen werden kann, ohne daß seine (angebliche) römische Abstammung

hiergegen Bedenken zu erwecken braucht.

Trotzdem sei dem Verfasser zum Schlüsse dieses Paragraphen noch ein kurzes Vertheidigungswort pro domo wider seine Gegner gestattet,

damit nicht sein gänzlicher Verzicht auf ihre Widerlegung als Folge eines

Ohnmachtsgefühls gedeutet werde. Um zu wissen, was consensus heißt, als

ein

muß das ganze Quellengebiet

einheitliches Abbild der römischen Rechtszustände in das Auge

gefaßt werden.

Es

genügt nicht bloß, die Stellen in das Auge zu

von consensus und voluntas die Rede

fassen,

in welchen ausdrücklich

ist.46)

Selbst wenn man nebenher auch die besonderen Stellen über

den Irrthum in Erwägung zieht, wie das namentlich von Graf Pininski neuerdings mit besonderer Sorgfalt geschehen ist,47) so erschöpft man doch noch

nicht das Beobachtungsfeld; die ganze Vertragslehre,

namentlich

auch die Lehre vom Vertragsabschluß, von der Auslegung und der Stell­ vertretung, gehört mit in das Wahrnehmungsgebiet hinein,

sammteindruck die Antwort auf die gestellte Frage giebt.

besten GeSo wichtig

die Einzelexegese ist, so darf man doch nie vergessen, daß bei ihr der Gesammteindruck des Ganzen mitspricht, den der Auslegende in sich trägt. 46) Dies richtet sich gegen die eingehenden Erörterungen meines verehrten Collegen Enneccerus, Recht, Rechtsgeschäft, Bedingung und Anfangstermin, Bd. I, Marburg 1888, S. 107 ff., denen ich übrigens in vielen Punkten zustimme, und die Ausführungen der sehr fleißigen, vornehmlich gegen des Verf. Schrift ge­ richteten Göttinger Jnaugural-Dissertation von HansFritsche: Untersuchung über die Bedeutung von consensus und consentire in den Digesten, Berlin, Verlag von H. W. Müller, 1888, 101 S., eine Abhandlung, deren Ergebnisse nach des Verfassers Meinung nicht anschaulich genug sind, um das gewählte Motto: „Subtilitates non admittuntur“ als ungefährlich erscheinen zu lassen. Man vergleiche z. B. die Un­ terscheidungen in folgenden Ueberschriften: § 9. Der Thatbestand des erklärten Consenses. § 10. Der Thatbestand der Erklärung des Consenses. § 11. Der That­ bestand der Consenserklärung. § 12. Der Erklärungsthatbestand des Consenses. Die vielen von Fritsche benützten Stellen, auf welche der Verf. noch nicht einge­ gangen war, scheinen dem letzteren für die Hauptfrage nichts zu beweisen. Auch hier gilt: Non multa, sed multum. 47) A. a. O. Bd. II S. 488—570. In der Hauptsache ist auch er ein Gegner des Verfaffers, vgl. Bd. II S. 462 ff. Vgl. jedoch hiergegen auch seine Ausfüh­ rungen Bd. I S. 19, S. 185 A. 1.

46 In

steter Leetüre diesen zu verbessern und das Ergebniß dann wieder

auf das Einzelne anzuwenden, ist der einzige Weg, um in der Kenntniß der römischen Quellen vorwärts zu kommen. Da Liebe

wir nun unmöglich Alle jeden Theil des Ganzen mit gleicher

Quellen,

Sie

Weise haben

bestehen,

welche

uns

daß

die Gesammtbilder der

welche andere Dinge sieht als wir,

gröblicher

Massenbeobachtungen zu

sich,

persönlich verschieden ausfallen, und

wie die hier fragliche, durchaus nicht etwa beweisen, daß

eine Partei,

kräftig.

ergiebt

so

die wir in uns tragen,

Controversen, in

können,

behandeln

bei

der

zunächst

irren

nicht

tnujj.48)49 Trotzdem

parteilich sei und sich

sind

auch

bei

solchen

alle Ansichten gleich gut und gleich lebens­

in ihrer Brauchbarkeit für die Exegese eine Probe

schließlich doch die bessere siegt. am meisten überzeugt,

Diejenige aber,

erweist sich durchaus nicht

immer auch später als die glaubwürdigere.

Eben diese Probe,

welche der Verfasser beim Quellenlesen

und in

praktischen Uebungen durch seinen Beruf täglich zu machen genöthigt ist,

befestigt

ihn

immer

mehr in seiner Meinung über die Bedeutung von

consensus, bei der er sich übrigens an Autoritäten, wie Cujacius und

Brissonius angelehnt hat.")

Daß für die entgegengesetzte, vom Verfasser angefochtene Ansicht der erste Anschein einzelner Stellen,

sofern man

sie

allein

und

Rahmen des Ganzen betrachtet, spricht, weiß er sehr wohl. es nach seiner Meinung keinen Werth, gehoben wird.

nicht

im

Darum hat

wenn dies immer wieder hervor­

Von seiner Ansicht würde er erst dann abgehen können,

wenn ihm für die vielen Zweifel, welche ihm seine Ansicht spielend löst,

von der entgegengesetzten Seite eine auch nur erträgliche Lösung geboten würde.

Wenn man sich der Mühe enthebt, die unglaublichen, aber un­

vermeidlichen Folge der Lehre,

die man predigt,

zu rechtfertigen,

dann

macht man sich freilich seine Aufgabe recht leicht.

Was den Verfasser zwingt, an seiner Lehre festzuhalten, sind nament­

lich folgende von der entgegengesetzten Meinung unbeantwortet gebliebene Fragen: 48) Dies verkennt Drucker in den Schlußworten seiner übrigens sorgfältigen Recension, welche er (über die Schrift: Leonhard, der Irrthum u. s. w.) im Rechtsgeleerd Magazijn unter der Ueberschrift „Eene Bijdrage ter vereenvondiging van de leer der Overeenkomsten" veröffentlicht hat. 49) Leonhard, Der Irrthum, I 8 2 S. 11 ff. Vgl. jetzt auch die zustim­ menden Bemerkungen Hartmann's, Archiv f. eiv. Pr. Bd. 72. S. 177 Anm. 18.

S. 188 Anm. 26.

47 1. Wie kommt es, binden lassen,

daß die Römer den consensus seine Urheber

während doch die bloße unerklärte Uebereinstim­

mung der Absichten keinen Vertragsschluß bildet? 2. Wie kommt es, daß sie consensus zum gültigen Vertrage ver­

langen, während doch in Wirklichkeit in keinem Augenblicke des Vertragsschlusses

eine

Absichtseinheit

gleichzeitige

vorzuliegen

braucht?

3. Wie kommt es, daß sie die voluntas contrahentium auslegen, da man doch nur Erklärungen auslegen kann, nicht innere Gedanken?

4. Wie kommt es, daß der Stellvertreter die voluntas herstellt, während doch der Herr bei der Vollmachtsertheilung selbst den

inneren Geschäftswillen hat? 5. Wie kommt es, daß die Römer Bestimmungen als stillschweigend verabredet

bezeichnen,

an

die Parteien nicht gedacht

welche

haben?

Auf solche Fragen und andere mehr giebt es,

wie in der Schrift

(„Der Irrthum bei nichtigen Verträgen") ausgeführt ist, eine einfache, völlig

befriedigende Antwort: „Voluntas und consensus bezeichnen die

in der Erklärung wahrnehmbar gewordenen Gedanken", aber die inneren Absichten,

nicht

welche ihnen vorhergegangen sind und von

den erklärten Gedanken in ihrem Inhalte vielleicht abweichen, vielleicht

aber auch nicht. Solche Fragen sind allerdings nöthig, aber leider sind sie für Viele nicht vorhanden.

Nicht Jeder, der flüchtig durch die römischen Texte

streift, vermag einzusehen, wie unvermeidlich jene demjenigen sind, welcher der unausgesetzten Erläuterung eben dieser Texte sein Leben widmet. Um

die Nothwendigkeit jener Fragen zu begreifen, muß man das Quellen­ gebiet in der richtigen Weise durchreisen, nicht wie ein exereirender Soldat,

welcher sich lediglich in der von oben her befohlenen Richtung vorwärts bewegen muß und daher außer seinem Vordermanne nichts sieht, sondern wie ein Feldherr, welcher auf jeden höheren Punkt hinaufsprengt, von

welchem er eine große Fläche auf einmal übersehen kann. diesem Gebiete unbefangen

beobachten will,

Wer auf

darf nicht um den guten

Ruf seiner wissenschaftlichen Gesinnungstüchtigkeit allzu besorgt sein;

muß ihm nicht darauf ankommen,

im Nothfalle von den

Schriften in effigie verbrannt zu werden. dann bleibt eben nichts anderes übrig,

Wenn man das nicht will,

als

herrschende Lehre in die Quellen hineinlegt,

es

gangbarsten

alles dasjenige, was die

gläubig entgegenzunehmen.

48 ohne zu prüfen,

ob es denkbar,

durchführbar, gemeinnützig und sittlich

erlaubt ist.

Solche Quellenbewunderer sind freilich selten geworden, seitdem man sich mehr

an die Lehrbücher hält, als an die Texte.

Um so

häufiger

werden aber diejenigen, welche den römischen Juristen die ärgsten Miß­

griffe,

und den Vorfahren,

haben,

welche sie durch

eine große Beschränktheit zutrauen.

Jahrhunderte bewundert

Wenn man z. B.

findet,

daß die großen Rechtspfleger Roms etwas gesagt haben, was bei wört­ licher Uebersetzung in die heutige Redeweise sinnlos zu sein scheint, z. B. die Annahme nicht gewollter stillschweigender Abreden, so gilt es für das

gute Recht der Gegenwart, den Inhalt der Quellen als verkehrt in sein

Gegentheil umzuwandeln Dabei wird

und

dies als

römisches

Recht

auch nicht einmal die Pflicht empfunden,

vorzutragen.

die angeblichen

unerhörten Mißgriffe jener erfolgreichen Männer zu erklären. Mit solchem Verfahren sich zu befreunden ist dem Verfasser un­

möglich.

Für unfehlbar hält er die römischen Juristen nicht, wohl aber

für verständige Kenner der Lebensverhältnisse, etwas Sinnloses niederzuschreiben.

denen es unmöglich war,

Nur eine Lehre, welche hiervon aus­

geht, hat für ihn überzeugende Kraft.

Schließlich möchte der Verfasser noch auf eine Hauptschwäche seiner Gegner Hinweisen.

Consensus

(im technischen Sinne)

soll bei ihnen

bald „inneren Willen, verbunden mit entsprechender Erklärung" bedeuten, bald „den bloßen inneren Willen ohne Erklärung".

Und zwar werden

beide Ansichten neben einander vorgetragen, als wären sie mit einander

verträglich.

So

wird z. B. die Wendung

consensu

declarare (durch

Zustimmung erklären) von einigen Kritikern übersetzt als „im Einver­ ständnisse erklären", während sie im selben Athem behaupten, daß Con­ sensus nicht bloß das innere Einverständniß, sondern auch dessen äußere Erklärung umfaßt?o)

Sie bleiben also nicht einmal fest bei ihrer

eigenen Meinung?') Ein solches Schwanken zwischen zwei widersprechenden Uebersetzungen eines wichtigen technischen Ausdruckes kann Keinem genügen, den sein 50) Daß diese Ansicht, nach der dieselbe äußere Thatsache nach einem nicht erkennbaren Umstande bald consensus heißen soll, bald nicht, nur aufgestellt ist, um der richtigen auszuweichen, springt in die Augen. 51) Vgl. Lotmar, Krit. V.J.Schr., Bd. 25 S. 372 ff., Fritsche a. a. O. S. 72 Anm. 133, S. 87 Anm. 195. Der Erstere drückt sich freilich hierbei in sehr vorsichtiger Weise aus. Etwas entgegenkommender gegen des Verf. exegetischen Standpunkt ist Regelsberger, Ztschr. f. Hdlsr. B. 29 S. 314.

49 Beruf zwingt, für eine verständliche und zu glaubwürdigen Ergebnissen führende Auslegung der Justinianischen Rechtsbücher einzustehen.5* ?)* * *

Der consensus im technischen Sinne kann doch

das innere Einverständniß

oder die äußere Erklärung

nur entweder bedeuten,

oder

allenfalls das Nebeneinanderstehen von Absicht und Erklärung, so ge­

zwungen und gesucht auch dieser letztere Ausweg erscheint. aber darf gestattet sein,

keiten

Keineswegs

zwei von diesen sich widersprechenden Möglich­

Die Gültigkeit des Ver­

neben einander als richtig hinzustellen.

trages kann nicht von zwei ganz verschiedenen Thatbeständen abhängig sein, nur einer ist maßgebend. Keinesfalls aber ist es zulässig, nach Be­ lieben von zwei Ansichten bald die eine und

bald die andere als die

Grundlage der eigenen Ausführungen zu wählen.

Daß die Vertreter der herrschenden Meinung sie noch nicht ent­ behren

können

und

darum

feisten,53) ist wohl verständlich.

der

entgegengesetzten

Ansicht Widerstand

Der Uebergang vom Willensdogma und

der quellenwidrigen Uebersetzung von „consensus“ und „voluntas“, auf der es beruht, zu der entgegengesetzten Meinung läßt sich durch einen einfachen Willensact nicht ermöglichen.

Der Verfasier erinnert sich noch

sehr wohl der jahrelangen Mühen und Sorgen, zeugung

von der

Nothwendigkeit

dieses

welche ihm die Ueber­ Schrittes aufgenöthigt hat.

Unsere neueren Lehrbücher und die aus ihnen dankenwelt

der jüngeren Juristen sind

herausgewachsene Ge­

von der unhaltbaren Lehre so

förmlich durchtränkt, in tausend Fasem so eng mit ihr verwachsen, daß man beinahe meinen sollte, die richtige Ansicht sei durch diesen Proceß

uns für alle Zeiten unwiederbringlich verloren gegangen. Und doch ist auch hier dafür gesorgt, daß dasjenige, was das Volks­ bedürfniß verlangt, sich auch der Juristenwelt wird aufnöthigen müssen.

Ohne die richtige Ansicht giebt es keine widerspruchslose Quellenexegese,

keine folgerichtige Rechtspflege,

keine durchführbare Vertragslehre.

Die

eigenen Mängel der unhaltbaren Lehre werden ihr den Untergang bringen,

welche die Beweisgründe ihrer Gegner herbeizuführen zu schwach sind.

52) Am meisten bestärkt den Verf. in seiner Ansicht die Unvollständigkeit der Entgegnungen seiner Widersacher, welche es wohl mit gutem Grunde unterlassen haben, eine Widerlegung gerade seiner wichtigsten Beweisgründe auch nur zu ver­ suchen. Die Vermuthung Rassow's (in der Kritik der Schrift: Der Irrthum bei n. V. u. s. w., Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 1883 Bd. 27 S. 762), „daß die Anhänger der herrschenden Meinung es an ihrer Antwort nicht fehlen lassen werden", hat sich also nur zum Theile als richtig bewährt. Vgl. statt Vieler Wind scheid, Pand. 6. Aufl. Bd. I § 75 Anm. la. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. III.

4

50 Je später dies geschehen wird, desto gründlicher wird der Sieg der guten Sache sein.

Unhaltbare

Lehren

scheitern

an

den Hemmnissen,

welche

ihnen die Willenskraft ihrer Gegner in den Weg stellt, richtige bewähren desto

mehr

ihre Lebenskraft,

je schlimmer die Probe ist,

welche man

ihnen zumuthet.^)

M) Von ferneren Beweisstellen seiner Ansicht, welche nach dem Erscheinen der Schrift über den Irrthum von dem Vers, gesammelt sind, will er hier nur die aller­ wichtigsten veröffentlichen. Es handelt sich darum, ob vohmtas und ähnliche Aus­ drücke im Zweifel den erklärten Willen oder den sog. wirklichen Willen, d. i. die der Erklärung vorhergehende Absicht bedeutet; vgl. nunmehr I. ad vocem Con­ sensus: nov. 120 cap. VII Gvvawovvrwv lyyqdgHjig rj did xata&foewg, übersetzt bei Beck: consentientibus scripto aut per confessionem. In 1.57 dig. de legatis I wird das „aperte sentire“ in einen Gegensatz zu dem inneren animus gestellt. Hier ist eine Absicht da und doch kein „sentire“ (vgl. zu dieser Stelle Seuffert in den Festgaben für Planck, München 1887 S. 177). In c. 4 § 1 cod. de praescr. 30 vel 40 ann. 7, 39 heißt der erkennbare Sinn des Gesetzes „sensus“. Wenn endlich Gellius, noctes atticae XI, 18 von einem „inliteratus consensus“ spricht, so muß er doch wohl auch an die Möglichkeit des literatus Con­ sensus glauben. II. Das Wort „tacite“ bedeutet nur: „ohne Worte", setzt aber keineswegs eine wortlos gebliebene bewußte Absicht eines bestimmten Menschen vor­ aus, sondern deutet auch auf Dinge hin, an welche keine lebende Seele gedacht hat, welche sich aber von selbst verstehen. So erklärt sich das „tacitum jus“ der 1.15 pr. dig. de adopt. I, 7, das „tacite adcrescere“ der 1. 53 § 1 dig. de acquir. vel om. her. 29, 2 (dort so viel als: „ob er will, oder nicht"), endlich die Worte „tacite in ea tempus continetur“ in 1.83 § 5 dig. de verb. obl. 45, 1. Einen Fall stillschweigender Bedingung, der in die üblichen Jrrthumsschemata schlecht paßt, enthält auch 1. 31 dig. de pec. cst. 13, 5. Wie sehr die Römer geneigt waren, Vertragsbestimmungen gelten zu lassen, welche anständige Leute als für die Lage der Vertragschließenden selbstverständlich ansahen, ohne daß dabei von den Parteien oder auch vom Inhalte eines Gesetzes oder Gewohnheitsrechts an solche Anordnungen gedacht wurde, beweist die 1. 21 pr. dig. de capt. 49, 15 besser, als jede andere Stelle. III. Voluntas heißt in der Vertragslehre „der offenbarte Wille": das­ jenige, was jemand nach seinem erkennbaren Verhalten will, nicht das innere Wollen, welches niemals aus dem Innern herauskommt, sondern von welchem nur ein in Worte eingekleidetes, im Innern angefertigtes (bisweilen unähnliches) Abbild an das Tageslicht der Erkennbarkeit hinaustritt. Darum ist es den Römern möglich „voluntatem in scriptis manifestare“ (c. 2 § 1 Cod. de ann. exc. 7, 40), von dem verborum casus heißt es, daß er „voluntatem (das erkennbar werdende Willens­ abbild) excipiens“ ist (c. 21 Cod. de leg. 6, 37). Das „veile“ (Anordnen) ist durch ein Reseript möglich (1. 1 § 2 dig. de magistr. conv. 27, 8), d. h. also durch ein Reden, das kein bloßes Denken ist. Die erkennbare Wahl eines Domieils heißt voluntas domicilii (c. 5 Cod. de incolis 10, 39 (40). In c. 8 § 3 Cod. de codic. 6, 36 ist von dem Augenblicke die Rede „quando scriptura voluntas componitur“. Ist das nun der innere Wille oder die Erklärung? Bei dem mündlichen Testament

51

b) Prüfung des WillensdogmaS nach -rn allgemeinen Gefchichtsquellen (kulturgeschichtliche Prüfung).

§ 5. der Einzelexegese pflegt man neuerdings zur Prüfung juri­

Neben

stischer Ansichten auch die Gesammtlage der Zeitepoche zu verwenden, aus

welcher bestimmte Rechtssätze erweislich hervorgegangen sind.

hat man mit

So

Recht

classische

gutem Grunde

int Gegensatze

zu

darauf hingewiesen,

den Grundsätzen

daß

das

des älteren Roms

nicht bloß auf den Wortlaut der Geschäfte, sondern auch auf den inneren Willen sieht, gleichfalls

werden,

um ex aequo et bono zu urtheilen.

schon

oft

hervorgehoben worden ist,

daß dieser Umschwung so gewaltig war,

Es darf jedoch,

wie

hieraus nicht gefolgert

daß im neueren Recht

die Erklärung ohne einen entsprechenden Willen nichts mehr galt55) Es

Roms

ist vielmehr sehr unwahrscheinlich,

daß die

großen

Juristen

das Verkehrsleben ihrer Zeit nach Grundsätzen beurtheilt haben,

hält es der Testator für angemessen, „sine scriptis suam voluntatem vel testamentum componere“ (c. 26 Cod. de testamentis 6, 23). In c. 22 Cod. tit. cit. de testamentis heißt es: „testibus etiam ad efficiendam voluntatem adhibitis“. Welcher Mensch hat wohl jemals Zeugen herbeigeholt, um (nicht eine Erklärung, sondern) eine innere Absicht herzustellen? Gerade wie die Quellen von einer voluntas legis, welche von der voluntas legislatoris verschieden ist, reden, so kennen sie auch eine voluntas orationis (1. 6 § 2 dig. de conf. 42, 2) und eine voluntas pacti (c. 2 Cod. de jure dotium 5,12), die sich mit einer voluntas imperatoris oder paciscentis keineswegs deckt. IV. Aehnliche Ausdrücke, welche in der Regel Seelenzustände bezeichnen, werden in der Jurisprudenz vielfach für Erklärungen gebraucht; vgl. z. B. 1. 21 § 1, dig. de acqu. vel om. her. 29, 2 „Interdum animus solus eum obstringit hereditati“, vgl. auch 1. 60 pr. § 2 de v. sign. 50, 16 (affectio -definiatur). Auf die folgenden Stellen hat mich Herr Geheimrath Ubbelohde aufmerksam gemacht, wofür ich ihm meinen besten Dank sage: a) In Const. 5. Cod. de inoff. test. 3, 28 heißt „propositum“ der „erklärte Vorsatz", b) Zur Bedeutung des Wortes „affectus“ vgl. 1. 55 dig. de obl. et act. 44, 7 (- der erklärte Wille) sowie die c. 9 Cod. Theod. de infirm, bis, quae sub tyrann. 15, 14 valeat affectus adeundae hereditatis. c) Das non veile in 1. 17 dig. de acqu. vel. am. poss. 41, 2 deutet zweifellos auf die Erklärung, nicht zu wollen, hin. Vgl. übrigens auch die für die Erklärungs­ theorie und wider das Willensdogma redenden Stellen, welche Graf Pininski a. a. O. Bd. II S. 421 Anm. 1 mittheilt. 55) So auch jetzt wieder in richtiger Ausführung gegen Lotmar Graf Pininski, Bd. II. S. 307.

52 deren Durchführung

großen Scharfsinn

so

einen

wie

Unterscheidung verlangt,

es

und

seiner heutigen Vertreter der Fall ist.

Darstellung

eine

so

subtile

hinsichtlich des Willensdogmas in der

Man erwäge,

wie

viel von den Ausführungen der Anhänger dieser Lehre offenkundig von

der neueren Philosophie beeinflußt ist,

um zu begreifen, daß die Römer

eine schlichtere Lehre besessen haben müssen, als diese ist.

weisen

sich

jene

daß sie schwerlich einer Lehre gehuldigt haben können,

kehrsbedürfnisse, welche diesen

so wenig genügt,

ausdrückliche Quellenzeugnisse

ist,

so

Außerdem er­

großen Juristen Roms als so feine Kenner der Ver­

Selbst wenn

wie das Willensdogma.

was nicht der Fall

nicht dafür sprächen,

würde uns das Gebot der geschichtlichen Wahrscheinlichkeit dazu

zwingen, an ihrer Unverfälschtheit zu zweifeln.

Dazu

zelnen

kommt,

daß bei dem Willensdogma dem Wunsche des Ein­

über das

ein Uebergewicht

interesse gegeben werden soll.

allgemeine

Staats-

und

Verkehrs­

Eine solche Denkart scheint mir aber mit

allem, was wir aus der Zeit des römischen Kaiserthums wissen, so wenig übereinzustimmen,

sie

daß

als

Grundzug

der damaligen

Rechtspflege

wenig glaublich erscheint.

Auch

dem Geiste

des

schende Lehre nur wenig.

byzantinischen Rechts

falschen Zeugen eine große Rolle spielte.56)

die durch Zeugen zu beweisende Einrede,

Geschäftsinhalt innerlich nicht gewollt habe, scheinen lassen,

entspricht diese

herr­

Wir wissen, daß im Ostreiche die Gefahr der

Gerade diese Gefahr mußte daß

man

einen

anerkannten

als besonders bedenklich er­

also das Willensdogma in besonders hohem Grade un­

erwünscht machen. Daß lag,

im Laufe der späteren Weltgeschichte eine Veranlassung vor­

das Willensdogma gewohnheitsrechtlich hervorzutreiben, wird nicht

erwiesen werden können.

Der Verfasser glaubt vielmehr,

daß der An­

stoß zu ihm aus einer Mönchszelle des Mittelalters hervorgegangen ist.57)

Jedenfalls legt der Umstand,

daß das englische Recht,

dessen Werth in

Verkehrsangelegenheiten nicht zu verachten ist, es verwirft,58) den Gedanken nahe,

daß

die

mittelalterliche Mönchsweisheit,

welche sich in ihm ver­

körpert, zu dem neueren Aufschwünge des Handels besonders schlecht paßt.

66) Nov. 90; Bethrnann-Hollweg, Civilproceß Bd. III § 155 Anm. 9. 10. 57) Leonhard, Irrthum II S. 573 ff.

58) Vgl. Schuster, Busch's Archiv für Handelsrecht Bd. 45 S. 322.

53 II.

Prüfung der inneren Widerspruchslosigkeit des Entwurfs (philosophische Prüfung).

a) Prüfung nach Len VrnKgrsrhrn (logische Prüfung). § 6-

Eines der einflußreichsten Worte v. Jhering's warnt vor der Ueber-

schätzung des logischen Elementes im Rechte. Es giebt aber daneben auch eine Unterschätzung dieses selben Ele­ die Nichtbeachtung des Widerspruchs einer Lehre mit sich

ments,

d. i.

selbst.

Beide Fehler haben bei dem „Willensdogma" eine verhängniß-

volle Rolle gespielt. Die Ueberschätzung des logischen Elements zeigte sich namentlich in der Herleitung der Rechtssätze aus Begriffen, ja sogar aus Definitionen.^)

Daß

dem

ein richtig aufgefaßter juristischer Begriff den Rechtssatz,

er beruht,

in sich enthält,

ist gewiß.

auf

So ist es auch ganz sicher,

daß Jeder, welcher den Begriff des geschäftshindernden Irrthums richtig

erkennt,

wissen

muß,

in welchen Fällen die Rechtssätze einen Irrthum

als geschäftshindernd ansehen.

Allein eben deshalb kann man einen Be­

griff erst dann richtig fassen,

wenn man sich vorher den Rechtssatz aus

den Quellen entwickelt hat,

ohne welchen jener nicht bestehen würde. 00)

Jedes andere Verfahren läuft auf eine petitio principii hinaus?') 59) Begriffe und Definitionen siud nicht dasselbe, sondern verhalten sich zu einander, wie das Bild zum Rahmen, vgl. Leonhard, Zeitschrift f. Civilproceß

Bd. 11 S. 135. so) Viel Verwirrung würde uns erspart bleiben, wenn man nicht die „Rechts­ sätze" und die „Rechtsbegriffe" für zwei verschiedene Dinge hielte. Beide bilden denselben Wahrnehmungsgegenstand, von zwei verschiedenen Seiten betrachtet und benannt. 61) Einer vernichtenden Kritik ist das gerügte Verfahren von v. IHering unterzogen worden (vgl. Schmoller's Jahrb. f. Gesetzgebung rc. Bd. VII Heft 1 S. 4 ff.). — Daß die Neigung neuerer Juristen, aus allgemeinen Begriffen ge­ schichtliche Thatsachen, wie es die Rechtssätze sind, herzuleiten, mit Gedanken Hegel's zusammenhängt, hat der Verf. in der Hoffnung, auch ohne besondere Citate ver­ standen zu werden, in seiner Schrift über den Irrthum gelegentlich angedeutet. Diese Unvorsichtigkeit hat ihm die Entgegnung eines Philosophen zugezogen (Witte, Das Wesen der Seele, Halle-Saale, Pfeffer 1888, Vorwort S. VIII), welcher einen Beweis dieser (allerdings nur auf Juristen berechneten) Bemerkung vermißt und seiner Empfindung in einer nicht gerade verbindlichen Form Ausdruck giebt (Vorwort S. VIII). Da der Verfasser an diesem unliebsamen Vorfälle insofern selbst Schuld trägt als er auf die Ausführungen Hegel's, welche ihm vorschwebten, bloß angespielt und es dabei unterlassen hat sie anzuführen, so holt er hiermit das Versäumte

54 Wenn man nun aber etwa aus der üblichen Definition des Rechts­

geschäfts eine Waffe wider die Gegner des Willensdogmas schmieden will,

so verkennt man völlig das Verhältniß zwischen Gesetzgebung und Rechts­ lehre. Immer

Die Definitionsfrage ist allerdings wichtig, sie ist es auch ^er62 * *).* * * * * * * * * aber ist sie eine Frage, die erst in zweiter Linie steht. Ehe ich

etwas besinnen kann, muß ich

wissen,

wie es

beschaffen ist.

Letztere kann ich niemals aus der Definition folgern.

Dieses

Wenn daher eine

hergebrachte Begriffsbestimmung zu dem wirklichen Rechte nicht paßt,

muß jene weichen,

nicht

etwa dieses.

so

Non jus ex definitione, sed

definitio ex jure.

Daß sich

bei einigem

guten Willen auch von dem Rechtsgeschäfte

eine brauchbare Begriffsbestimmung geben läßt, welche die Fehler des Willensdogmas vermeidet, ist erst neuerdings bewiesen worden63).

Weder „Begriff" noch „Definition" des Vertrages können also den­ jenigen in der Anfechtung des Willensdogmas

irre machen,

der das

„logische Element" im Recht nicht überschätzt. Man darf es aber auch nicht unterschätzen.

Dies thut man dann,

wenn man Dinge behauptet, welche nach den festen Denkgesetzen unmöglich nach. Er dachte an Hegel's Grundlinien der Philosophie des Rechts, oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Herausgegeben von Dr. Eduard Gans. Berlin 1840. Duncker & Humblot. S. 21, 36, 61, 133, 271, 344, 352, 353, 358 und sonst. Auch Lassalle würde nach Witte der Vorwurf treffen müssen, „besonders wenig in philosophischen Dingen bewandert zu sein", denn auch er behauptet etwas ganz Aehnliches, wie der Vers., System der erworbenen Rechte, Leipzig 1861 S. 70 Anm. 1. Daß namentlich die Ausführungen Hegel's a. a. O. S. 61 (§ 29) auch auf die Bildung des „Willensdogmas" von Einfluß waren, geht aus ihrer Vergleichung mit dem überaus einflußreichen Lehr­ buche Puchta's (Cursus der Institutionen Bd. I § 1 ff.), wie überhaupt aus der an­

gezogenen Stelle hervor. 62) So mit Recht Graf Pininski a. a. O. II S. 281 ff. 63) von Graf Pininski Bd. II S. 317. Vielleicht ließe sich das Rechtsgeschäft noch besser also definiren: „Ein bewußtes Verhalten, das nach Rechtsvorschrift aus­ gelegt, kraft rechtlicher Ermächtigung etwas anordnet". Uebrigens spricht man von Geschäften und Verträgen auch da, wo die Betheiligten nur auf das Anstandsgefühl, nicht auf den Rechtsschutz rechnen. Diese Akte würden ebenso zu definiren sein, nur müßte man bei ihnen statt „nach Rechtsvorschrift" und „kraft rechtlicher Er­ mächtigung" beide Male sagen: „nach den Regeln des Anstandes". — Zu jedem Rechtsgeschäfte gehören also zwei Rechtssätze: einer, der seine Auslegung regelt, und ein anderer, der seine Folgen bestimmt. Vgl. übrigens auch Enneecerus a. a. O. I S. 55 Motive z. Entwurf I S. 126 und hierzu Hellmann a. a. O. S. 487. Nach der üblichen Definition (z. B. Motive I S. 126) würden alle Formal­ geschäfte, bei denen der Wortlaut bindet, überhaupt keine Rechtsgeschäfte sein.

55 sind, d. h.

nach den Regeln der Logik und der Erkenntnißlehre, welche

ja strenge genommen auch ein Zweig der Denklehre ist64).65 Denkgesetze

Diese

beruhen

menschlichen Natur und

das

auf unabänderlichen

Fähigkeiten

der

können aus denselben Gründen, denen zufolge

englische Parlament nach

einem bekannten Sprichworte aus einem

Weibe keinen Mann machen kann, durch die Gesetzgebung nicht geändert werden,

da

sie

auch

unumschränktesten Tyrannen

den

Übertyrannen.

(Caesar non supra grammaticos.)

Ihrer unumstößlichen Gewalt gegenüber dürfte der § 98 des Ent­

wurfs einen schweren Stand haben: „Beruht der Mangel der Uebereinstimmung

des

wirklichen

Willens mit dem erklärten Willen auf einem Irrthume des Urhebers, so ist die Willenserklärung nichtig, wenn anzunehmen ist,

daß der

Urheber bei Kenntniß der Sachlage die Willenserklärung nicht ab­ gegeben haben würde."

Hier müssen wir zunächst zwei Ausdrücke untersuchen,

welche zu

Zweifeln Anlaß geben: 1. wirklicher Wille, 2. Irrthum. 1. Wirklicher Wille.

Ist darunter vielleicht nur ein klar bewußter

Wille bei dem Geschäftsabschlüsse verstanden? Dies kann Nichtsein, denn

im letzten Augenblicke kann der Urheber der Erklärung doch nur ihren wirklichen Inhalt gewollt haben.

Hätte er ihn nicht gewollt,

so würde

er ihn nicht gesagt haben. Eine Nichtübereinstimmung des zuletzt wirklich Gewollten und des Gesagten ist also undenkbar66). Wenn nun trotzdem von ihr die Rede ist, so kann unter dem „wirklichen Willen" bei einer

benigna interpretatio nur dasjenige verstanden werden, was der Urheber der Erklärung ohne den Irrthum gewollt haben würde. 2. Die Frage ist also: Wann pflegt eine Partei in Folge eines Irr­ thums etwas anderes zu wollen, als ohne den Irrthum? Dann soll nach dem Entwürfe ihr Geschäft nichtig sein.

Wir müssen zur Lösung dieser Frage den arg vernachlässigten Begriff des Irrthums näher betrachten66). Gewöhnlich definirt man: Irrthum

ist

eine

falsche Vorstellung.

Allein hiermit ist nicht viel gewonnen, solange das Wort

„falsch" nicht

näher bestimmt wird. 64) Wer wahrnimmt, strengt zugleich seine Denkwerkzeuge an, indem er eine Menge von Sinnesreizen zu einem Gesammtbilde zusammenfaßt (co-agitare — cogitare) fvgl. Ta ine, de Fintelligence]. 65) Leonhard, Bd. II S. 322 ff. 66) Vgl. hierzu auch Werthauer a. a. O. S. 5.

56 Hierbei müssen wir zunächst bedenken, daß die Erkennungsmerkmale

des

Irrthums

er

kann

ihm

selbst

nicht

anhaften.

der

Solange

Mensch irrt,

selbst einen Irrthum von den nicht irrthümlichen Vorstellungen

nicht unterscheiden.

Die Eigenschaft der Jrrthümlichkeit

haftet

nicht

also

der falschen

Vorstellung als solcher an, sondern folgt aus ihrem Verhältniß zu einer andern bessern Vorstellung, welche der jetzt Irrende selbst später hat, bei der ihm, wie man sagt, die Schuppen von den Augen gefallen sind, oder

die

jetzt

schon

sich

im Kopfe

eines

andern Menschen

befindet, dessen

Denken sich auf einer bessern Straße fortbewegt.

Woran

ermißt

nun ein unparteiischer Beobachter,

widersprechenden Vorstellungen, die

entweder 3E

zu

welche von zwei

zwei

verschiedenen

Zeilen hat, oder welche 3E und A neben einander haben, die richtige ist? Dabei wird ein Beobachter vorausgesetzt, der nicht an einer dünkelhaften

Unkenntniß

der menschlichen Schwäche

leidet,

sondern

nach Maßstäben

prüft, welche außerhalb seiner Eigenliebe liegen.

Meines Erachtens giebt es nur einen einzigen solchen sicheren Maß­

stab,

d. i.

das

die Vorgeschichte der Meinung,

um deren Richtigkeit es sich

Nur sie kann feststellen, ob über der Vorstellung eines Menschen

handelt.

Gedanke

„Beobachtung,

dieses sind die drei Wurzeln,

Geisteskraft",

entspringt.

hängt67).

der Enttäuschung

Damoklesschwert

kenntnisse,

Je

kräftiger sie

sind,

Vor­

aus denen jeder

desto kräftiger ist auch der

Baum, der aus ihnen herauswächst. Die richtige von zwei widersprechenden Vorstellungen ist also diejenige, welche

aus

erschöpfender Beobachtung,

genügender Geisteskraft

zureichenden Vorkenntnissen

und

entspringt68).69 Sie stammt von besseren Ahnen,

als die falsche Vorstellung, ist also gewissermaßen von besserem Adel66). Wo in

das Beobachtungsfeld begrenzt

der es

im Kopfe

Wahrheiten,

seine Grenzen

wo

des Beobachters

ist

(z. B. in der Mathematik,

selbst liegt),

da giebt es exacte

es aber unendlich ist und selbst für den Weitsichtigsten

im Nebel verschwimmen,

wie in der Geschichtswissenschaft

67) Darum ist es auch durchaus nicht verkehrt, daß die Leute gern an ihren Gewährsmännern festhalten, selbst da, wo die schlagendsten Gründe wider diese reden. 6fl) Darum kann man strenge genommen niemals „errorem probare“, sondern nur causam erroris. G-ajus I § 67 ff. Seuffert's Archiv Bd. 17 Nr. 75. 69) Die bei Werthauer a. a. O. § 5 Anm. 1 angezogene Definition Schopen­ hauers umfaßt nicht alle Jrrthumsfälle. Das Gleiche gilt von den geistvollen Aus­ führungen im Januarhefte der Deutschen Rundschau 1889 S. 106 von Sigmund Exner, Ueber allgemeine Denkfehler.

57 oder bei allen größeren Fragen der Politik, da kann von Gewißheit der

alles Ernstes nicht die Rede sein.

Beobachtung

Es giebt hier weniger

„richtige" und „unrichtige" Meinungen, als „mehr oder mirlder richtige" Nur Gott ist auch hier allwissend.

Meinungen.

So ist es auch im Geschäftsleben,

so im täglichen Verkehre.

Wir

werden von Anschauungen vorwärts getrieben, die wir andern nachsprechen müssen, weil wir sie nicht nachprüfen können.

Unsere schwache und oft

ermüdete Wahrnehmungskraft geht über einen kleinen Gesichtskreis nicht

hinaus.

Unsere Vorstudien sind beschränkt und durch Vergeßlichkeit durch­

löchert.

So wandern wir alle in dem tiefen Thale des Irrthums dahin,

und

unser einziger Trost bleibt, daß nach Goethe derjenige, „den Gott

betrügt, gut betrogen ist70)". Lediglich deshalb,

bleiben,

weil die meisten unserer Irrthümer unaufgeklärt

vielleicht sogar mit menschlichen Kräften nicht aufgeklärt werden

können, wird uns unsere ganze und völlige Abhängigkeit vom Irrthume niemals im vollen Umfange bewußt.

Nur das Naturkind glaubt ernst­

lich an die volle Zuverlässigkeit der Berichte, von denen es abhängt, so­ wie seiner Wahrnehmungen, ohne zu wissen oder zu erwägen, daß ihr

Inhalt von der Mangelhaftigkeit unserer geistigen Werkzeuge bedingt und getrübt wird;

nur dieses Naturkind

glaubt an die Vollständigkeit der

Vorkenntnisse, mit denen es seine Beobachtungen wagt.

Ihm wird viel­

leicht auch der Grundgedanke des § 98 genügen, welcher davon ausgeht, daß in der Regel der Irrthum bei Geschäften keine Rolle spielt und nur

ausnahmsweise zu einem unerwünschten oder nicht völlig erwünschten Acte hintreibt.

Anders denkt derjenige, der sich des Bibelwortes erinnert, daß

unser Wissen Stückwerk ist, der mit Lessing nur nach der Wahrheit strebt, nicht aber glaubt, sie erwerben zu können, der mit Schiller annimmt, daß

keine sterbliche Hand den Schleier der Wahrheit hebt,

und der endlich

mit Goethe davon überzeugt ist, daß der Mensch irrt,

solang er strebt.

Aber

auch

wenn wir aus dem Reiche der Dichtung in das nüchterne

Börsengetümmel hineintreten und uns die Frage aufwersen:

„Wie viele von den hier abgeschlossenen Geschäften würden unterbleiben, wenn die Contrahenten vorher die ihnen unbekannten Curse aller andern Handels­

plätze mit Sicherheit vor Augen hätten?"

so werden wir uns darüber

klar werden, was der § 98 bedeutet. Betrachtet man ihn unter der Lupe der Logik und übersetzt seinen Inhalt in das „Volksthümliche", so lautet er: „Keine Willenserklärung ist vor Nichtigkeit sicher." 70) Minder fromme Gemüther haben hieraus den Satz geformt: „Was Du auch thust, es wird Dich gereuen."

58 Dies wollen die Redactoren ganz gewiß nicht sagen; darüber lassen die „Motive" keinen Zweifel übrig.

wollen,

so kann der § 98

Allein eben weil sie es nicht sagen

nicht bestehen bleiben,

in welchem auch ihr

eigener Wille mit seiner Erklärung in Widerspruch gerathen ist.

Man wird sich auf § 102 berufen und behaupten, daß er den § 98

in heilsamer Weise einschränke.

Dies

führt uns zu dem Begriffe des „Beweggrundes" und damit

zur psychologischen Seite der Frage.

b) Prüfung des Entwurfs nach allen Gesehen menschlichen Handelns (psychologische Prüfung). § 7. Was von der Logik gesagt ist, gilt auch von der Psychologie.

Der

Gesetzgeber darf sie weder

überschätzen

schätzung würde vorliegen,

wenn er aus den Gesetzen menschlichen Han­

delns seine Vorschriften

noch unterschätzen.

für dasselbe finden wollte,

Eine Ueber-

die sie ebenso wenig

ergeben können, wie die im Flusse entstehende Insel unserm Auge verräth,

nach welchen Grundsätzen der Jurist sie zu behandeln verpflichtet ist. Der soeben

gerügte Fehler ist zwar

Wissenschaft vermieden worden,

nicht

immer von der neueren

wohl aber von den Verfassern des 6nt=

wurfs ^). 71) Dieses Herauslesen von Rechtssätzen aus bloßen Thatbeständen ohne Prüfung der Frage, ob denn der Gesetzgeber oder die Gewohnheit Anlaß genommen haben, an diese Thatbestände Rechtsfolgen anzuknüpfen, gilt als naturrechtlich, aber es ist schlimmer als das, es ist willkürlich. Nach einer solchen Methode arbeitet auch Werthauer, Ueber den Einfluß des Irrthums auf Verträge. Breslau 1887. Dieser eignet sich ausdrücklich die Ergebnisse der Schrift des Verfassers an, welche auf Quellenauslegung beruhen (S. 83 ff.) Ihre Quellenmäßigkeit aber glaubt er unge­ prüft anzweifeln zu dürfen (S. 26 Anm. 1). Er sucht sie statt dessen aus psycho­ logischen Obersätzen abzuleiten. Wenn freilich geschichtliche Thatsachen aus den Quellen her erst einmal aufgedeckt sind, so ist es nicht allzu schwer, sie nachher aus aprioristischen Deductionen nochmals zu entdecken. Wenn die Ergebnisse der Jrrthumslehre des Verfassers in den Augen Werthauer's wirklich so brauchbar zu sein scheinen, daß er sie zum Reichsrechte erhoben zu sehen wünscht, dann muß W. auch zugeben, daß sie den Quellen entsprechen; denn eine vollständige Vertragslehre, welche zugleich brauchbar und in sich widerspruchslos ist, kann ein einzelner Mensch sich überhaupt nicht ausdenken; so etwas kann nur in einer vielhundertjährigen Praxis im Zwange der Lebensbedürfnisse entstehen. Der stillschweigende Vorwurf Werthauer's, daß des Vers. Ansicht nicht quellenmäßig ist, enthält somit ein überschwängliches Lob in sich, dessen Inhalt als völlig undenkbar zurückgewiesen werden muß.

59 Der entgegengesetzte Fehler aber, die Unterschätzung der Psychologie,

liegt darin,

daß man etwas

psychologisch Unmögliches sagt,

also einen

unausführbaren Rechtssatz aufstellt, wie dies in der That von der Wissen­ schaft in der Lehre von den „Beweggründen" geschehen ist72).73 74

Ob der Entwurf diesen Fehler vermieden hat, kann bezweifelt werden. Es wird alles davon abhängen, wie man den § 102 auslegt:

„Ein Irrthum in den Beweggründen ist, sofern nicht das Gesetz ein Anderes bestimmt, auf die Gülügkeit eines Rechtsgeschäftes ohne

Einfluß."

Nach der Meinung des Verfassers steht dieser Paragraph nach seinem Wortlaut nicht mit § 98 in Widerspruch.

Man hebt hervor (namentlich hat es der Verfasser selbst gethan72), daß der Irrthum nirgends anders liegen kann, als in den Beweggründen

der Erklärung,

daß also jede falsche Vorstellung, die zu einer Erklärung

treibt, auch ein irriger Beweggrund ist.

Das ist gewiß

über Person,

ganz

Gegenstand

unzweifelhaft

und

und

Geschäftsart.

gilt

auch bei Irrthümern

Auch

bei

ihnen

ist

der

Glaube, daß man das Erwünschte rede, während man in Wahrheit etwas

Unerwünschtes sagt, ein falscher Beweggrund der Erklärung7^). 72) Vgl. Leonhard, Göttingische gelehrte Anzeigen 1883 S. 185 ff. „Daß . . . ein Erfolg dann nicht gewünscht und auch nicht gewollt ist, wenn der Han­ delnde ohne eine falsche Vorstellung, welche ihn trieb, die Handlung unterlassen haben würde, und also ein jeder entscheidende irrige Beweggrund eines Contrahenten zur Folge hat, daß der Rechtserfolg der Erklärung von ihm nicht gewollt ist, ist die gemeine Ansicht des Lebens und ein unbestreitbares Theorem der exacten Philosophie. Die moderne Jurisprudenz bestreitet aber diesen Satz." Vgl. hierzu auch Dernburg, Pandekten I § 94.

73) Leonhard, der Irrthum rc. I S. 252 ff., vgl. hierzu auch Werthauer: Ueber den Einfluß des Irrthums auf Verträge. Breslau 1887 S. 15 und hierzu Lotmar (Krit. V.-J.-Schr. Bd. 31 S. 304 ff.), vgl. ferner Windscheid, Pandekten 6. Aufl. I § 76a und Graf Pininski a. a. O. II S. 480 ff., bes. S. 483 A. 1. Dernburg, Pandecten Bd. I §94, 2. Aufl. S. 216 besinnt „Vorgedanken, welche den Abschluß veranlassen, deren Verwirklichung aber für das Geschäft nicht essentiell ist, nennt man Bewegungsgründe oder Motive". Der Nichtjurist nennt aber auch die essentiellen Vorgedanken so.

74) Die meines Erachtens völlig unhaltbare Lehre des Irrthums in den bloßen Beweggründen findet sich freilich ihrem Wortlaute nach schon bei Savigny (System Bd. III S. 99 ff.) und auch im preußischen Landrechte § 145 ff. 14. Allein sowohl Savigny als auch das Landrecht verbanden mit ihr einen ganz andern Sinn, als ihr jetzt untergelegt wird. Dies ist ausgeführt bei Leonhard, der Irrthum Bd. II S. 543 ff.

60 Daraus

folgt aber keineswegs,

daß § 98 und 102 sich

wider­

sprechen. Da nämlich § 102 ausdrücklich nur von solchen Beweggründen spricht,

von denen das Gesetz nichts Besonderes bestimmt75),76 so redet er auch nur von solchen Beweggründen, von denen der § 98 nichts anderes bestimmt;

denn auch der § 98 soll Gesetz werden.

Wir finden also im Entwürfe zwei Arten von Beweggründen: a) die Beweggründe, von denen § 98 spricht,

b) die Beweggründe, von denen § 98 nicht redet;

diejenigen des

§ 102.

Die ersteren sollen, wenn sie falsch sind, Nichtigkeitsgründe sein, die letzteren nicht.

Man könnte vielleicht zweifeln,

ob es denn im Hinblicke

auf die

weite Fassung des § 98 überhaupt noch falsche Beweggründe giebt, die

nicht unter sie fallen. Allein dieser Zweifel würde unberechtigt sein. Der § 98 spricht doch nur von solchen falschen Beweggründen,

die

eine „Nichtübereinstimmung von Willen und Erklärung" in sich schließen, d. h. zu einer unangenehmen Enttäuschung hintreiben.

Daneben giebt es aber auch ein „holdes Irren", Enttäuschungen (so, wenn die gekaufte Sache,

Meinung bloß vergoldet war,

d. h. angenehme

welche nach des Käufers

in Wahrheit golden ist)

oder wenigstens

gleichgültige Enttäuschungen (z. B. wenn eine falsche Sorte Wein statt der bestellten ankommt, die erstere jedoch dem Käufer ebenso genehm ist,

wie diese75), endlich auch Enttäuschungen von minderer Bedeutung, welche als daß er das Geschäft auflöst (so, wenn das antiquarisch gekaufte, vergriffene Buch Wasserflecken hat77). Dadurch, daß gewisse Eigenschaften zu den dicta promissa gehören, sind sie noch keines­

der Käufer lieber trägt,

wegs Gültigkeitsbedingungen.

Alle diese irrigen Beweggründe, gültigen Enttäuschungen führen,

welche zu angenehmen oder gleich­

fallen meines Erachtens unter § 102,

während die Quellen derjenigen Enttäuschungen, welche das Geschäft als

völlig unerwünscht erscheinen lassen, Nichtigkeitsgründe sein sollen. 75) Nach der Definition Dernburg's a. a. O. S. 216 würde der § 102 eine reine Tautologie enthalten. 76) Weitere Beispiele in Seuffert's Archiv Bd. III Nr. 165, 169. IV Nr. 20. 77) Vgl. auch Seuffert's Archiv Bd. XX Nr. 118, XXII Nr. 214.

61 In diesem Sinne ausgelegt, enthält der Entwurf keinen Verstoß wider die Beobachtungen der Psychologie. daß man bei dieser Auslegung nicht

Der Verfasser fürchtet nur,

stehen bleiben, sondern die ältere Theorie in den Entwurf hineintragen

wird.

Mag man immerhin die Protocolle des Entwurfs verheimlichen,

man wird damit doch nicht verhindern können, daß die Ausleger die Ge­

danken der Wissenschaft, welche dem Entwürfe vorherging, in ihn hinein­ tragen, und noch weniger, daß man die „Motive" gegen den Gesetzestext in das Feld führen wird.

Dazu würde eine dringende Veranlassung sich bald ergeben.

Der

§ 98 giebt, wenn man ihn beim Worte nehmen will, den Parteien ein so weit gehendes Anfechtungsrecht wegen aller möglichen irrigen Voraus­

setzungen (z. B. der Eigenschaften der Waare, des angeblichen Standes der Curse und dergl. mehr), daß man, falls der Entwurf Gesetz werden sollte, sich schleunigst nach der Möglichkeit umsehen wird, diesen § 98 thunlichst

einzuschränken^). Da wird man denn nach § 102 greifen und dem Wort­ laute des

Gesetzes

zuwider sagen, daß die irrigen Beweggründe des

§ 102 nicht neben denjenigen des § J98 stehen, sondern die letzteren ein­ schränken sollen, d. h. daß der § 98 nur gilt, soweit er nicht in § 102

widerrufen ist. Daß der Verfasser hier nicht etwa

eine überflüssige Befürchtung

ausspricht, ergiebt sich daraus, daß schon jetzt, noch ehe der Entwurf gilt, dieser Weg bei seiner Auslegung eingeschlagen roiri).78 79) Für ein

solches Verfahren

spricht auch die Erwägung,

daß der

§ 102, anders ausgelegt, überflüssig sein würde. Daß eine Thatsache unerheblich ist, „sofern nicht das Gesetz etwas anderes bestimmt", ist eine Binsenwahrheit.

Das

gilt von unrichtigen Beweggründen ebenso

wie von beliebigen Thatsachen, seien es nun Erdbeben oder Feuersbrünste

oder sonst irgend welche Ereignisse. Damit kommt man dann aber auf die Theorie zurück,

psychologische Unmöglichkeit in sich schließt,

welche eine

nämlich die Lehre, daß der

Mensch nur dann ein Geschäft nicht will, wenn er über den anordnenden Kem der Erklämng (über das,

aber,

was bestimmt werden soll), irrt, nicht

wenn er über die für ihn ausschlaggebenden thatsächlichen Vor-

78) Beispiele solcher frivolen Einreden finden sich in Seuffert's Archiv 11,20, IV, 28, XVI, 36, XXXVIII, 101. 79) Vgl. Hellmann a. a. O. S. 499, Meischeider, die alten Streitfragen gegenüber dem Entwürfe u. s. w., 1889, S. 24.

62 bedingungen

eines Geschäftswillens (Beweggründe im

sich täuscht.

Nach

dieser Lehre will ich

engeren Sinne)

zwar ein Haus

wenn ich es mit dem Nachbarhause verwechsle,

nicht haben,

aber ich will es sehr

wohl erwerben, wenn ich nicht weiß, daß sich in demselben Hause, von dem ich rede, ohne mein Wissen der Schwamm befindet, und es in Folge dessen für meine Zwecke völlig unbrauchbar ist.

Im ersten Falle ist der

falsche Beweggrund, daß das erwähnte Haus dasselbe ist, wünschte,

ein „Mangel der Absicht",

wie das ge­

im zweiten ein „bloßer" falscher

Beweggrund. Wie diese Theorie, welche man dem Nichtjuristen niemals begreiflich machen wird, entstanden ist, ist klar.

Man wußte sich nicht anders mit

den Pandektenstellen zurecht zu finden, als wenn man sie annahm, und rief so

gewissermaßen zur Unterstützung

Privatleute zu Hülfe. Lehrbüchern

der Exegese den Willen der

Diese Privatleute müssen jetzt in den modernen

dasjenige wollen,

was nöthig ist, damit man das corpus

juris erklären kann. Noch

jetzt sieht sich der Verfasser bei aller Hochachtung vor den zu behaupten, daß der Inhalt nicht

Vertretern dieser Lehre genöthigt,

der Beobachtung des wirklichen lebendigen Menschen abgelauscht ist, dessen Seele diesen Unterschied zwischen „fehlender Absicht" und „sonstigen fehlenden Beweggründen" nicht kennt,

sondern einem Homunculus,

im Studierzimmer aus Bücherstaub und

der

Lampendunst herausgewachsen

ist und immer genau dasjenige will, was die Theorie von ihm verlangt.

Durch Einzelbeobachtung eines Gebildes der eigenen Phantasie soll hier eine Frage gelöst werden, die in Wahrheit nur auf Grund einer Massen­

beobachtung lebendiger Menschen eine Antwort finden kann. Sollte diese Lehre im Gesetzbuchs einen unzweideutigen Ausdruck erlangen, so wird sich doch das Wesen der menschlichen Seele deshalb nicht ändern. Jetzt befinden sich die wirklichen Menschen, welche sich auf dem Markte des Lebens herumtummeln, von dem Wissensqualme der modernen juristischen Psychologie gänzlich unbeschwert, mit ihrem Empfinden und

Wollen nur im Widerspruche mit der Weisheit des

Katheders und der maßgebenden wissenschaftlichen Werke. die Schulweisheit zum Gesetzbuchsinhalte werden sollte,

Armen das Schicksal erdulden müssen, Gesetzbuch

ihres Vaterlandes

dessen Lösung ihnen

sich

in

Wenn aber

so werden die

in ihrem Seelenleben mit dem einem Widerspruche zu befinden,

bei aller Loyalität durch

die Natur des mensch­

lichen Geistes abgeschnitten sein würde. Sie werden sich hoffentlich dadurch in ihrer Unternehmungslust nicht

63 beeinträchtigen lassen.

Niemals aber werden sie die Fähigkeit erlangen,

so zu denken und zu wollen,

wie es jener juristische Kunstmensch thut,

aus dessen Seele das Willensdogma seine Argumente entnimmt. III.

Durchführbarkeit des Entwurfs (praktische Prüfung).

a) Der Werth Les Entwurfs für Mt Rechtspflege (gerichtliche Orauchlmrkrit). § 8. Der Entwurf würde, wenn er Gültigkeit erlangen sollte, an einer

Undurchführbarkeit nicht scheitern.^)

Unsere Rechtspfleger haben eine so

vortreffliche Vorbildung, daß sie mit jedem, auch dem unvollkommensten Gesetzbuche fertig werden würden.

So würde sich denn auch der Most

der besprochenen Paragraphen in den Köpfen unserer Richter schließlich

doch zu einem genießbaren Wein abklären.

Der Entwurf verweist den Richter auf eine Fiction, die nicht ohne Vorbild in den Quellen ist.

Bei der Urtheilsfällung soll die Frage beantwortet werden, ob der Irrende bei Kenntniß der Sachlage die würde.

Erklärung abgegeben

In der Regel wird man dies nicht wissen können.

haben

Weder der

Richter kann es ermitteln, noch die Zeugen, vielleicht am wenigsten der Irrende selbst.

Wer wäre wohl ein so

Gebots der Selbstkenntniß,

nachträglich

treuer Diener des delphischen

daß er die Bedeutung seiner Beweggründe

richtig beurtheilen könnte? Gewöhnlich

schieben die Leute

ihren Handlungen postnumerando weit edlere Ziele unter, als sie sie wirklich hatten. Sie glauben aus Liebe wohlthätig gewesen zu sein, während sie der Eitelkeit fröhnten, sie glauben für das Gemeinwohl oder die Wahrheit gekämpft zu haben, während sie der Rachsucht nach­ gaben, sie glauben gerecht gewesen zu sein, wo sie nur grausam waren. Wer lann also wohl mit Bestimmtheit behaupten, daß er eine gewisse

Handlung begangen oder unterlassen haben würde, wenn er dies oder jenes gewußt hätte? So greift z. B. manche lebenslustige Studenten­

gesellschaft

gern nach

einer falschen Zeitungsnotiz über einen bevor­

stehenden Gedenktag, um für diesen die Mittel zu einem Zechgelage zu bestellen.

Ohne den Irrthum würden sie vielleicht für denselben Tag

eine andere causa bibendi

gefunden haben, vielleicht auch nicht.

Sie

können das selbst später nicht wissen. 80) So richtig Meischeider, die alten Streitfragen, Berlin,Guttentag, 1889, S. 22.

64 Mit einem Worte: Der Richter soll nach einer völlig räthselhaften, unergründlichen Größe urtheilen,

würde,

wenn irgend

nach demjenigen,

was geschehen sein

ein Umstand anders gewesen wäre,

nach einer Größe, deren Ergründung

als er war,

alle diejenigen grundsätzlich ver­

meiden, die sich um das Vergangene nicht viel bekümmern, Denkbarkeit von

allen Anhängern der Prädestinationslehre

schiedenheit verneint werden wird.

und deren mit

Ent­

Auch mit dieser Lehre setzt sich der

Entwurf in einen stillschweigenden Widerspruch. Wie wird sich der Richter nun hierzu stellen? Er wird natürlich

die unfaßbare Größe fingiren; denn das ist ihm nun einmal anbefohlen. Da er aber hierbei freie Hand hat, so wird er in der Regel diese ihm über­

lassene Willkür zum Besten des Gemeinwohls ausüben und thatsächlich die richtige Lehre anwenden, instinctiv

von welcher der Verfasser glaubt,

auch denjenigen vorschwebt,

streiten, d. h. er wird

daß sie

welche sie mit Lebhaftigkeit be­

sich im Zweifel an das Verkehrsübliche

halten.

Dies ist ja auch eine schwer erkennbare Größe, aber sie liegt doch wenig­ stens außerhalb des richterlichen Beliebens.

Da, wo also ein Irrthum

so beschaffen ist, daß seine Hervorkehrung als Nichtigkeitsgrund verkehrs­

üblich erscheint, da wird man annehmen, daß die Abwesenheit eines Irr­ thums diesen

concreten Menschen von dieser concreten Erklärung abge­

halten haben würde.

Wo das Gegentheil der Fall ist, wird man das

Gegentheil annehmen und Alles zum Besten kehren. So wird der verständige Richter handeln. Wird wohl auch andere Richter geben,

es

aber nicht

daß sich etwas unter sobald der Gesetzgeber be­

welche glauben,

allen Umständen wirklich finden lassen muß,

fiehlt, es zu suchen, und welche dem Wanderer vergleichbar, der nach einem utopischen Lande späht, mit rastloser Qual nach der in der Wirk­

lichkeit nicht auffindbaren,

aber im Gesetze

erwähnten Größe forschen

werden? Stellen wir uns einen grübelnden Rechtspfleger vor, welcher im

Jahre 1899 darüber nachsinnt, was der Herr Maurermeister Friedrich Jrrgang in Berlin am 7. April 1893 Nachmittags 5y2 Uhr nach der in seinem Vorleben bethätigten Denkart gewollt haben würde, wenn er

damals gewußt hätte, daß der von ihm angenommene Geselle schon zwei Mal vorbestraft war.

welche sich

Wird es nicht aber vielleicht auch Anwälte geben,

diese herrlichste Gelegenheit zu dialektischer Akrobatik nicht

entgehen lassen werden und in unserer Zeit, welche namentlich in Frank­ reich und Rußland in der Kunst des psychologischen Romans die außer­

ordentlichsten Vorbilder bietet, nicht darauf werden verzichten wollen, auch in den Jrrthumsprocessen über den Seelenzustand des Klägers oder des

65 Verklagten,

wie er

bei einem Vertragsschlusse

war oder

gewesen sein

würde, die scharfsinnigsten und beredtesten Schilderungen vom Stapel zu förmlich hypnotisirten Richter schließlich ihren

um dem hierdurch

lassen,

Antrag zu suggeriren?

Ob derartige Dinge möglich und also zu befürchten sind,

dies soll

unbeantwortet bleiben aus Achtung vor den Mitgliedern der hohen Ver­ sammlung, zu welcher dieses Gutachten spricht. Eins kann der Verfasser aber hier nicht unerwähnt lassen, nämlich

die verwirrende Kraft, welche das Willensdogma weit über die Irrthums­ frage

hinaus

der gesummten Vertragslehre

einflößt.

Sie zu

schildern

war der Hauptzweck der Schrift des Verfassers (Der Irrthum bei nich­

tigen Verträgen), und er müßte sich wiederholen, wenn er seine Gedanken­ reihen hier nochmals vorführen wollte.

Nur in einer Hinsicht möchte er seine Schrift ergänzen: durch einen

auf die

Hinblick

ältere

gemeinrechtliche

Praxis.

Daß

früher

er ihn

unterlassen hat, ist ihm zum Vorwurfe gemacht worden. 8')

Wenn dies eine Unterlassungssünde war, so ist sie nicht ungesühnt geblieben;

denn durch sie ist

des Verfassers Lehre ihrer kräftigsten Be­

weismittel verlustig gegangen.

Die

gemeinrechtliche Praxis

die Jrrthumsfrage

überall

erweckt den Gesammteindruck,

als Auslegungsfrage

behandelt,

daß sie

und

selbst

dort, wo sie die Redeweise einer unhaltbaren Theorie benutzt, sich doch des

rechten Weges

wohl bewußt

ist.

Wir finden sogar Aussprüche,

welche auf den richtigen Grundgedanken der Jrrthumslehre geradezu hin­

deuten. So sagt das Obertribunal von Stuttgart in dem Urtheil vom 28. Juni 1853 (Seuffert's Archiv Bd. VII Nr. 19): „Wo es in Folge der Einwirkung des'Irrthums an einer wirklichen Willenserklärung fehlt, da besteht überhaupt kein Vertrag", legt also das Gewicht auf die fehlende erkennbare Anordnung, nicht auf die fehlende Absicht. Das Urtheil

des O.A.G. von Rostock (Seuffert's Archiv Bd. XVII Nr. 249) vom 10. October 1860 bezeichnet geradezu den Irrthum, welcher einen Nichtig­

keitsgrund bildet, als eine „stillschweigende Bedingung des Eheconsenses", (d. h.

also der die Geschäftsgültigkeit

anordnenden

Aeußerung).

Am

81) So von Rassow in seiner Recension: Beiträge 1883, S. 762. Der Grund davon, daß der Verf. sich in seiner Schrift auf eine Erörterung der Urtheile des Reichsoberhandelsgerichts beschränkt, war lediglich das Bestreben, seiner Arbeit Grenzen zu stecken. Er erinnerte sich damals des bekannten Ausspruchs Göthe's, daß Bücher niemals fertig werden und daher für fertig erklärt werden müssen. Verhandlg. d. XX. A. T. Bd. BI. 5

66 deutlichsten wird die Erklärungstheorie verfochten in einem Urtheile des

Ober-Appellationsgerichts von Dresden aus dem Jahre 1854 (Seuff. Hier nimmt die dritte Instanz Veranlassung,

VIII, 26).

die

in die Bande des Willensdogmas verstrickt hatte,

welche sich

zweite,

über die

Unrichtigkeit dieser Lehre gründlich aufzuklären. Genau

dieselbe

Aufgabe,

die

Folgerungen

des

in die zweite Instanz eingedrängt hatten,

welche sich

fortzuräumen,

Willensdogmas,

in dritter wieder

löste das Oberapp ellaüonsgericht Berlin am 30. October

1873 (Seuffert's Archiv, Bd. XXIX Nr. 215).

In seinen Gründen

sagt es:

„Im Rechtsverkehr kann der innere Wille nur Bedeutung ge­

winnen durch die Zeichen, mit denen er sich zu erkennen giebt, und

es

beruht alle Rechtsordnung gerade auf der Zuverlässigkeit der

Zeichen, wodurch treten können.

Menschen

allein in

lebendige Wechselwirkung

Daher kann die Nichtübereinstimmung des innern

Willens mit einer klaren und unzweideutigen Willenserklärung nur

dann störend auf das Zustandekommen eines Rechtsgeschäfts ein­

wirken, wenn sie dem, mit welchem contrahirt wird, erkennbar ge­ worden ist."

Daß die Eigenschaft eines Umstandes, Gültigkeitsbedingung des Ge­

schäfts zu sein, nicht nach dem inneren Willen des Vertragschließenden, sondern „nach dem Vertrage" bestimmt werden muß, ist in dem Urtheile

des Reichsoberhandelsgerichts in Leipzig vom 26. September 1873 aus­ gesprochen worden (Seuffert's Archiv Bd. XXX Nr. 218).

Auch in dem Urtheile des Berliner Obertribunals vom 15. No­ vember 1877 (Seuffert Bd. XXXIV Nr. 189) wird das Willensdogma

verworfen. Auch sonst werden eine Reihe von Irrthümern als unbeachtlich zu­ rückgewiesen, denen die Eigenschaft, Nichtigkeitsgrund zu sein, nicht in er­

kennbarer Weise beigelegt war (vgl. z. B. das Urtheil des O.A.G. von Jena vom 20. Juni 1856, Urtheil des

Beilegung

Reichsgerichts,

erfolgt

ist,

Seuffert,

Archiv Bd. XIII,

Entsch. Bd. IV S. 121).

Ob

Nr. 142;

eine solche

darüber entscheidet nicht die innere Absicht des

Irrenden, sondern der Inhalt der „Hamburger Waarenpreislisten", also die Verkehrssitte (vgl. Urtheil des O.A.G. Lübeck vom 20. Nov. 1847,

Seuffert's Archiv Bd. II Nr. 20). Insbesondere hat das Urtheil des O.A.G. Lübeck vom 23. Mai 1850 den Satz festgestellt, daß Jemand eine Verpflichtung in einem ihm

unbekannten Umfange unbedingt auf sich nehmen kann, was von Seiten

67 auf Grund des Willensdogmas bestritten worden ist,82)

Windscheid's

obwohl ein solches Vorkommniß

scheinung bildet.

Ebenso

eine in der Praxis sehr häufige Er­

entschied das

Obertribunal zu Berlin am

10. September 1868 (Seuff. Arch. Bd. XXV Nr. 227). Der gleiche Grundsatz ist ferner vom Ober-Appellations-Gericht zu München am 17. März 1870 (Seuffert's Arch. XXIX, 84) anerkannt

worden,

ebenso

in dem Urtheile des

Ober-Appellations-Gerichts zu

Berlin vom 26. Januar 1874 (Seuffert's Arch. Bd. XXIX Nr. 229), desgleichen in demjenigen des Obertribunals von Stuttgart vom 26. Sep­

tember 1874 (Seuffert's Archiv Bd. XXXI Nr. 109).83) Dagegen hat allerdings die erwähnte Ansicht Windscheid's, welche

diesen Urtheilen widerspricht, in einem Erkenntniß des Ober-Landesgerichts zu Stuttgart vom 17. December 1881 (Seuff. Arch. Bd. XXXVII Nr. 288) Anerkennung gefunden, ein Beweis dafür, daß in allerneuester Zeit das

Willensdogma

sich

auch die Praxis zu unterwerfen beginnt; (vgl. auch

das im Endergebniß richtige, aber in den Entscheidungsgründen nicht be­ friedigende Urtheil des O.L.G. Bd. XXXVIII Nr. 207).

zu Darmstadt in Seuffert's Archiv,

Eine grundsätzliche Entscheidung der Hauptfrage

wird ausdrücklich vermieden in den Gründen des Urtheils des Reichs­ gerichts vom 14. Febr. 1883 ebendas. Bd. XXXIX Nr. 228.

Eine entschiedene Stellungnahme in dem Streite zwischen dem Willensdogma und der Erklärungstheorie hat der Verfasser überhaupt in

den Entscheidungen des Reichsgerichts nicht finden können. Andererseits liegen diejenigen Fälle, in welchen die Praxis in einem Irrthume einen Nichtigkeitsgrund anerkannt hat, in der Regel so, daß der Wille des Irrenden, die Abwesenheit des Irrthums als unerläßliche Gültigkeitsbedingung betrachtet zu sehen,

nach allgemeinen Auslegungs­

grundsätzen in der Erklärung des Irrenden gefunden werden mußte.84) 82) Archiv f. civ. Pr. Bd. 63 S. 93. Vgl. auch Zitelmann, dogm. Jahrb. Bd. 16 S. 398, 399, 400, und dagegen Leonhard, Der Irrthum, Bd. I. S. 151 und hierüber Förster-Eccius, Theorie und Praxis, 5. Aufl., Berlin 1887, Bd. I. § 30 Anm. 3; jetzt auch Windscheid, Pand., 6. Aufl., § 73, 3, S. 225. 83) Vgl. auch das R.O.H.G. in Seuffert's Archiv Bd. XXXIV Nr. 298. 84) Vgl. die Urtheile des O.T. zu Stuttgart vom 9. Juni 1841 (Seuffert's Archiv Bd. III Nr. 323), desselben Gerichtshofes vom 9. März 1852 (Seuff. Bd. V Nr. 271) sowie vom 17. October 1860 (Seuff. Archiv XIV, Nr. 47), des OberAppellations-Gerichts zu Kiel vom 15. December 1858 (Seuff. Arch. XV, Nr. 12), des Ober-Appellations-Gerichts Jena vom 11. December 1835 (Seuff. Arch. XVI, 33), des Ober-Appellations-Gerichts Cassel vom Jahre 1862 (Seuff. Arch. XVII, 22), des O.A.G. Celle vom 30. März 1860 (Seuff. XVIII, Nr. 224), das Urtheil vom

68 Eine Herrschaft des Willensdogmas in der Praxis läßt sich also nicht

behaupten. Daß dabei die unhaltbaren Lehren der Theorie auch in der Praxis nicht ohne nachtheiligen Einfluß waren, soll nicht bestritten werden. wird hierbei zunächst von solchen Urtheilen abgesehen, dige Mittheilung es

unmöglich

vox ambigua voraussetzt.)

zu verstehen.

macht, ihre Begründung

(So Seuff. Archiv III Nr. 157, XVI 34, welches

Es

deren unvollstän­ letztere wohl eine

Vielmehr soll nur hervorgehoben werden, daß

theils die Gewohnheit, bei jeder Jrrthumsfrage zu dem werthlosen Schul­

register der errores in persona, re, negotio, substantia zu greifen, zur Folge hatte, daß ganz einfache und übrigens richtige Urtheile mit einem Auf­ wande von Tiefsinn begründet sind, wurde,

(vgl.

welcher durchaus umsonst verthan

das Urtheil des O.A.G. Cassel vom 14. Februar 1861

XVI 36 und des Reichsgerichts, Entsch. Bd. 19 Nr. 50 S. 264), theils

auch die Freude am Schema wahre Mißgriffe erzeugt hat; so z. B. eine ganz handgreifliche Verwechselung der zur Gültigkeitsbedingung des Ge­

schäfts nach

gemachten Eigenschaften mit den dicta promissa, der

Abrede

nicht

Schadensersatzpflicht nach

eine

Geschäftsnichtigkeit,

sich ziehen soll.

deren Fehlen

sondern

eine

bloße

Diese Erscheinung zeigt sich

in den übrigens sachlich richtigen Urtheilen des O.A.G. zu Lübeck vom 24. December 1840

(Seuff. X Nr. 147)

und

des

O.A.G.

zu Kiel

vom 25. Januar 1845 (Seuff. VI Nr. 185).

Wirklich falsche Urtheile, die geradezu auf dem Boden des Willens­ dogmas stehen,

gehören zu den größten Seltenheiten.

Dahin sind die

beiden oben erwähnten Urtheile zweiter Instanz zu zählen, welche schließlich

noch in zwölfter Stunde in Dresden und Berlin verhindert wurden,

schädlich zu werden: Seuff. Arch. VIII Nr. 26, XXIX Nr. 215 und das bekannte von Bähr in den dogmatischen Jahrbüchern^) gerügte Urtheil, erwähnte Stuttgarter Urtheil vom 17. December 1881, welches sich auf die blindlings unterschriebenen Urkunden bezieht^).

vor Allem aber das

Auf die Praxis rückblickend sehen wir,

daß Lehren,

welche in der

Wissenschaft als verwerflich gelten, in der Praxis herrschen können, ohne Oetober 1869 in Seuffert's Archiv Bd. 24, Nr. 230, das Urtheil des O.A.G. Berlin vom 24. Nov. 1873 (Seuff. Bd. 29 Nr. 118), das Urtheil des obersten Landesgerichts für Bayern vom 28. Februar 1881 (Seuff. Bd. 36 Nr. 257). Hierher gehören auch die Urtheile des Reichsgerichts Entsch. Bd. IV Nr. 95 S. 345, Bd. VI Nr. 79 S. 290, Bd. VII Nr. 26 S. 78, Bd. VIII Nr. 76 S. 297.

85) Bd. 14 S. 418. 86) Vgl. Seuff. Archiv Bd. 37 Nr. 288.

69 daß einer der beiden Theile auch nur das Bedürfniß fühlt, diesen Zwie­ spalt auszugleichen.

Wir sehen

aber,

daß in solchem Falle Praktiker,

sobald sie zu Gesetzgebungsaufgaben berufen werden, keineswegs dagegen

geschützt sind, in das Schlepptau einer Lehre zu gerathen,

welche ihren

eigenen Berufsgewöhnungen widerspricht. Die Kunst, allgemeine Grundsätze anzuwenden, und die, sie in richtige Wortformeln einzukleiden, sind eben

zweierlei. Daß es

gerade Praktiker waren, welche

als Gesetzbuchs-Verfasser

dem Willensdogma die vollste Anerkennung verschafften, erhöht allerdings

die Bedeutung

des

Erfolges,

welcher den Verfechtern dieser Lehre zu

Theil wurde.

Dabei können wir jedoch die Frage, ob diese Verfasser der Denkart

ihrer Berufsgenossen hiermit durchaus entsprochen haben, nicht eher beant­ worten,

bis wir die Stimmen

geprüft haben, welche aus der Praxis

heraus sich bisher über die allgemeine Jrrthumslehre des Entwurfs haben

vernehmen lassen.

Dem Verfasser liegen die Urtheile eines Reichsgerichtsraths und dreier Anwälte vor Augen.

Meischeider,

eines Bürgerlichen

alten

Die

Streitfragen

gegenüber dem Entwürfe

Gesetzbuches für das Deutsche

Reich,

Berlin

und

Leipzig. Guttentag (Collin) 1889, S. 22, sagt von der Anschauung, auf welche sich die §§ 98 und 102 stützen: „daß sie dem praktischen Bedürfnisse und den Anforderungen

der Billigkeit entspricht, darf mit Grund bezweifelt werden". (Dies wird durch Beispiele belegt.)

Vgl. sodann S. 24: „Wird also in den Entwurf selbst eine der in den Motiven (I, 199) vertretenen Auffassung entsprechende Rechtsnorm, mit welcher die Aus­

schließung des

in Eigenschaften der Sache aus dem Bereiche

des Irrthums

wesentlichen Irrthums

zum Ausdruck

gelangt, nicht ausgenommen,

so bleibt die Streitfrage unentschieden."

S. 99 heißt es von der Jrrthumslehre, daß der Entwurf in ihr

„neues Recht aufstellt und damit experimentiren will". Auch in der Lehre von der Vertragschließung stellt er fest (S. 19), daß durch den Entwurf „das jetzt in Geltung befindliche Willensdogma große Einbuße erleidet". „Die in Rede stehenden Sätze sind nicht die einzigen im Entwurf

enthaltenen,

welche der

machen müssen."

Auftechterhaltung

des Dogmas Schwierigkeiten

70 Auf diese Bemerkungen legt der Verfasser um so größeres Gewicht,

als sie allem Anscheine nach von seinen eigenen Ausführungen wider das Willensdogma gänzlich unbeeinflußt sind.

Hellmann,

den Gutachten

in

über die erste

des Anwaltstandes

Lesung u. s. w. Heft 7 bemerkt S. 499 zu § 98:

„daß alle die alten Zweifel über die Frage, wann man sagen

könne,

daß eine andere Sache oder eine andere Person gewollt

war als die erklärte, von Neuem sich erheben müssen, wenn es bei der Fassung des zweiten Satzes verbleibt", und fernerhin: „Freilich

der

sich

läßt

einer

Versuch

die Schwierigkeit

Abhülfe

nicht verkennen,

Allein

bereitet.

daß

diese

welche

Abhülfe

dringend geboten sei, darf noch weniger verkannt werden." Vor Allem aber ist beachtenswerth,

daß auch Hellmann zu § 77

dem Willensdogma die Heeresfolge aufkündigt.

Das Erforderniß,

„daß

die Vertragschließenden ihren übereinstimmenden Willen sich gegenseitig er­

klären", scheint ihm verfehlt zu sein. Wenn man indessen unter dem Willen den Inhalt der erkennbar gewordenen Willensabbilder versteht, so ist gegen

das Erforderniß nichts einzuwenden. Daher denn auch der Verfasser dieses Gutachtens mit § 77 einverstanden ist.

üblich

gewordenen

Sprachgebrauchs

Hellmann aber, dem neuerdings

sieht

folgend,

in

dem Willen

die

innern Absichten und bemerkt in diesem Sinne zutreffender Weise:

„Solange

die

beiderseitigen Erklärungen nicht vollendet sind, kann

eine Uebereinstimmung der Willen nicht bestehen."

Darum schlägt er folgende Fassung des § 77 vor:

„Zur Schließung eines Vertrages wird erfordert, daß die von dem einen Vertragschließenden

an den

andern gerichtete Willens­

erklärung von diesem angenommen wird."

Auch

gegen

diesen

Vorschlag

aus

nichts

einzuwenden,

Standpunkte

vermag

der

Verfasser von

seinem

wenn er auch diese Verbesserung

nicht für nothwendig hält. Endlich sollen zum ferneren Beweise dafür,

daß das Willensdogma

auch in der Praxis keineswegs unumschränkt herrscht, die überaus treffenden Worte von Reatz^) angeführt werden.

„Der Wille der Contrahenten ist nicht allmächtig. sehr

wichtiger

Factor

bei

der

Gestaltung

der

Er ist zwar eijt

Privatrechtsverhältnisse,

87) Gutachten aus dem Anwaltstande über die erste Lesung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs S. 170.

71 ist

allein er

fehlt

es

durch

den

nicht ausschließlich

überhaupt

an

maßgebend.

An unzähligen

einem individuellen Willen,

er

Stellen

wird

ergänzt

an unzähligen Stellen fehlt es

allgemeinen Verkehrswillen;

auch an diesem, und dieser, wie jener, wird ersetzt durch den Willen des

Gesetzes; an unzähligen Stellen aber wird der individuelle Wille geradezu

unterdrückt und

zur Ohnmacht verdammt, weil er sich mit dringenden

Anforderungen des

Interesses

öffentlichen

oder der Moral in Wider­

spruch befindet, und diese Mächte in unserer Rechtsordnung vielfach stärker

sein müssen, als der Wille und die Interessen der Einzelnen." Während diese Ausführungen Reatz's allgemeiner Natur sind, richtet

sich Schilling (Aphorismen zu dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetz­

buches für das Deutsche Reich. das

in

Köln 1888.

angenommene

Jrrthumslehre

der

S. 46 ff.) direct gegen

Willensdogma.

Es

heißt

daselbst: „Der Entwurf (§ 98) stellt sich

auf den sogenannten subjectiven

Standpunkt (Motive S. 198), d. h. er läßt nicht den objectiven Maß­

stab der Bedeutung des Irrthums und der allgemeinen Schätzung gelten,

sondern stellt die Entscheidung auf die individuelle Schätzung des Irrenden.

Das

sicherheit

gewählten Maßstabes,

des

ist

grundverkehrt,

schon wegen der Un­ vor Allem aber,

weil die

Berücksichtigung solcher innerlichen Mängel einer äußerlich gültigen Rechts­ handlung, wie der Irrthum ist, eine Ausnahme von der im Sinne der ausgleichenden, die berechtigten Interessen aller Parteien gleichmäßig be­ rücksichtigenden Gerechtigkeit und Regel ist,

der Rechtssicherheit festzuhaltenden

daß die Willenserklärungen handlungsfähiger Per­

sonen diese

insoweit binden,

als ihnen nicht

ein äußerlich

erkennbarer Mangel anklebt, und weil aus Billigkeitsgründen von

dieser Regel gemachte Ausnahmen besser eingeschränkt als

ausgedehnt

werden. Durch den ersten Satz des § 98, welcher sich principiell auf den sogenannten subjectiven Standpunkt stellt, verlieren die Auslegungs­ regeln des zweiten Satzes den praktischen Werth;

und wie durch diese

Verschwommenheit selbst die in § 102 sanctionirte Regel der Einfluß-

losigkeit des Irrthums in den Beweggründen in's Schwanken gerathen kann,

davon

überzeugt

man

sich,

wenn

hängende und kaum verständliche

man

Gerede

das

unzusammen­

der Motive über

Irrthum in den Eigenschaften des Gegenstandes und Irrthum in den Beweggründen (S. 199) liest." Daß also der Hauptwiderspruch Kreisen der Praktiker

erschallt,

wider das Willensdogma aus den

kann nicht wunderbar erscheinen.

Sie

72 sind es, welche die Leiden werden beobachten müssen, die es im Verkehrs­ leben erzeugen muß, welche die Spitzfindigkeiten werden erdulden müssen,

durch welche es ihre Berufsarbeit zu erschweren droht.

und in der Universitätsvorlesung Die Praktiker würden

melden sich

auch wohl schon

Im Studirzimmer solche Uebel nicht.

freilich

früher und lebhafter gegen die

gefährliche Lehre protestirt haben, wenn sie geahnt hätten, daß sie bereits

so gewaltig um sich gegriffen hat und jetzt sogar die Gesetzgebung dazu

sie der Praxis aufzuzwingen.

treiben will,

So soll sich

denn jetzt ihre

Unterlassungssünde an ihnen rächen, sofern sie sich nicht etwa noch in der zwölften Stunde zu dem Rufe aufraffen: „Caveant consules ne quid detrimenti capiat respublica!“

b) Der Werth -es Entwurfs für die einzelnen Urchtsgenossen (Prüfung der DolKsthümlichKeit).

§ 9. Ein Gesetzgeber, strebt,

daß

der bewußt

er des Beifalls

strömung fortreißen läßt

nach Volksthümlichkeit in dem Sinne

wegen

das

Staatsschiff von

der

Tages­

und von der Gunst derjenigen abhängig macht,

welche heute „Hosiannah!" und morgen „Kreuzige!" rufen,

würde keine

Billigung verdienen.

Nach dieser Richtung

muß man den Verfassern

des Entwurfs auf­

richtiges Lob spenden. Nach dem Beifall der Masse haben sie sicherlich nicht gestrebt.

Die

Sprödigkeit ihrer Denk- und Redeweise erweckt vielmehr ihnen gegenüber

das Vertrauen, daß sie von keinem Mißgriffe weiter entfernt waren, als

von dem Streben,

das Gemeinwohl

den Vorurtheilen

der Menge zum

Opfer zu bringen.

So lobenswerth dies auch erscheint, so darf man doch auch hier den Bogen nicht allzu straff spannen. der strengsten Manneszucht

Wie in jedem Befehlsverhältnisse neben

eine wohlwollende Theilnahme

an dem Be­

finden der Untergebenen nicht bloß ein Gebot der Klugheit, sondern auch der Menschlichkeit ist,

so sollte auch der Gesetzgeber,

neue Pflichten auflegen will,

in der Form

welcher dem Volke

seiner Befehle der Fassungs­

kraft und der Denkart, ja sogar dem Wunsche derjenigen, welche sie auf­ nehmen sollen,

so viel wie möglich entgegenkommen.

diesen Gesichtspunkt gänzlich

vernachlässigt hat,

Daß der Entwurf

ist behauptet rootben88);

88) Vgl. namentlich Gierke, der Entwurf eines b. G.B. und das deutsche Recht, in Schmoller's Jahrbuch der Gesetzgebung u. s. ro. N. F. XIV, Heft 3 u. 4

73 dürfte der Vorwurf,

doch

Volksthümlichkeit fehlt,

den Grundgedanken

daß

des Entwurfs

nur bei einzelnen Theilen des Werkes

die

berechtigt

sein; und zwar ganz besonders da, wo das „Willensdogma" Anerkennung gefunden hat.

Sollte wirklich unser Juristenstand keit

eines Geschäftes aus

der

hierdurch

bereits den Glauben daran ver­

eine erregte Hoffnung auf die Gültig­

daß es Unrecht ist,

loren haben,

Gründen zu enttäuschen,

Verletzte nicht vorher

ahnen

unseres Volks ist er noch nicht erloschen. * *), achten 89

werden

wissenschaftlichen

als

bedrückend

Bildung

und

Urtheile,

empfunden.

seiner

unbeachtet

vox populi

eine vox Dei ist,

lassen.



der

in

Mehrzahl

welche ihn nicht be­

Auf

Machtstellung

solches Empfinden vielleicht als Jurist übersehen, er es nicht

deren Bedeutsamkeit

konnte;

der

Höhe

kann

der

seiner Richter

als Mensch aber sollte

Daß in schwierigen Rechtsfragen die

soll damit

nicht behauptet werden;

wohl

aber, daß man sie nicht ohne Grund mißachten soll.

Mehr noch als die Möglichkeit, Geschäfte wegen einer Verwechslung anzufechten, deren Abwesenheit weder nach der Abrede, noch nach dem Ver­ kehrsüblichen Gültigkeitsbedingung des Geschäftes sein soll, wird ein anderer

Umstand den Gerechtigkeitssinn des Volkes verletzen. Es ist dies der behauptete

verwechslung

rechtliche Unterschied

und der Eigenschaftsverwechslung.

zwischen der Sach­

Der Irrthum über die

Sache soll wesentlich, derjenige über Eigenschaften unwesentlich fein90). Das steht zwar nicht in dem Entwürfe, wohl aber in den Motiven (I. S. 199).

Diese sind zwar nur

was solche „Privatarbeit" bedeutet9').

eine Privatarbeit,

aber man weiß,

Schon jetzt wird der Entwurf aus

ihr in der Jrrthumslehre ergänzt92). Diese Behauptung, daß der Irrthum über Eigenschaften niemals die

Vertragsabsicht des Irrenden ausschließt, hält der Verfasser für eine der

unerfreulichsten Ausgeburten mann

ist

jener

der neueren Gelehrsamkeit.

unheimliche Homunculus,

Ihr Gewährs­

den die Gelehrten

heraufbe-

und hierüber Zitelmann, Die Rechtsgeschäfte im Entwürfe. Berlin, Guttentag, 1889, S. 1 ff. 89) Vgl. z. B. das von Bähr (dogm. Jahrb. Bd. 14 S. 418) mit Recht ge­ rügte Urtheil, auch Seuffert's Archiv Bd. 37 Nr. 288. 90) Vgl. hierzu auch Pfersche, zur Lehre vom sog. error in substantia, Graz 1880, Bechmann, der Kauf, Bd. 2 S. 450 ff. 91) Vgl. die Bemerkung des Reichsgerichts-Senats-Präsidenten Dr. Drechsler in den Verhdl. des 17. Deutschen Juristentages S. 77. 92) Vgl. Meischeider a. a. O. S. 24.

74 schworen haben, damit er über den Inhalt des menschlichen Willens eine

Auskunft ertheile, welche mit den Ergebnissen der Beobachtung der echten,

lebendigen Menschen im vollsten Widersprüche steht.

Es war in Rom verkehrsüblich und ist es noch heute, daß bei ge­

wissen fehlenden,

besonders wichtigen Eigenschaften das ganze Geschäft Daß dies dem Parteiwillen nicht entspricht, ist eine

nicht gelten sott93).

Behauptung,

deren Unrichtigkeit jeder durch Nachfragen in den Kreisen

der Verkehrtreibenden mit leichter Mühe feststellen kann.

Niemand kauft

an den Sachen etwas anderes als ihre Eigenschaften; für das „Ding an sich" zahlt kein vernünftiger Mensch auch nur einen Pfennig. Flasche Wein,

welche ich gekauft habe, Essig enthält,

Wenn die

so fällt eine zwar

nicht ausdrücklich gesetzte, aber verkehrsübliche Gültigkeitsbedingung der Ab­

rede aus.

Ebenso, wenn die als goldene gekaufte Uhr bloß vergoldet ist,

und dergl. mehr94).95 96 * *

Wenn in allen solchen Fällen die irrenden Parteien sich mit dem bloßen Ansprüche

auf Schadensersatz wegen fehlender

und den ädilicischen Rechtsmitteln begnügen sollen,

dicta promissa dies viel­

wird

so

leicht manches Mißvergnügen erregen. Dieser Uebelstand möchte freilich wohl noch am meisten zu ertragen sein.

Die Gründe,

toria sprechen,

welche für die kurze Verjährung der

ließen sich

actio redliibi-

vielleicht durch Verallgemeinerung

Nichtigkeitsklagen wegen Irrthums anwenden.

auf alle

Beweiserhebungen

über

Irrthümer verlieren in der That nur gar zu bald ihre Zuverlässigkeit.

Freilich kommen Eigenschaftsirrthümer nicht bloß bei Kaufgeschäften, son­ dern auch bei Pachtungen und anderen Verträgen in Frage.9i5)

Ein anderer viel größerer Nachtheil entspringt

aus

lichen Unterscheidung des Irrthums über eine Sache

der grundsätz­

oder eine Person

von demjenigen über ihre Eigenschaften. Die Abgrenzung der Begriffe „Identität" und „Eigenschaft", sowie die Bestimmung des Begriffes „Eigenschaft"

gehört

zu

den

schwierigsten

Fragen

der

Erkenntniß­

lehre.99) 93) Vgl. jetzt auch Graf Pininski a. a. O. Bd. II S. 511 ff. 94) Vgl. hierzu auch Werthauer, Ueber den Einfluß des Irrthums auf Ver­ träge. Breslau 1887, S. 63 ff. 95) Vgl. Seuffert, Archiv Bd. 16 Nr. 35. 96) Vgl. Leonhard, der Irrthum, Bd. II S. 438 A. 2, Zitelmann, Irr­ thum und Rechtsgeschäft S. 442, und hierzu (für Zitelmann) jetzt Graf Pininski, a. a. O. Bd. II S. 501, 502 Anm. 1, auch Werthauer a. a. O. S. 68. Entsch. des R.G. Bd. 20 S. 95.

75 Das kanonische Recht

hat sich nicht gescheut,

dem Volke

und

der

Rechtspflege eine solche Unterscheidung zuzumuthen, daher denn die Jrr-

thumslehre des Eherechts ohne sie nicht begriffen werden tarnt.97)98 Wollen wir uns nun aber wirklich im neuen Deutschen Reiche jene scholastischen Denker zum Vorbilde der Rechtspflege nehmen,

welche die

lebendige Welt „kaum durch die Fensterscheiben" zu betrachten pflegten?99)

Welche unsägliche Fülle von Spitzfindigkeiten würden wohl in den gerichtlichen Verhandlungen zu Tage treten, wenn es wirklich darauf an­

käme, ob irgend ein Umstand, über welchen geirrt worden ist,

die bloße

Eigenschaft einer Sache ist, oder ihr Jdentitätsmerkmal. Würde sich dann nicht ein Sachwalter finden

kaufter Papiere gefallen sind,

lassen,

der,

sobald

z. B.

die Course

den Kauf mit der Behauptung

würde, daß die Eigenschaft, Coursschwankungen zu widerstehen,

ge­

anfechten

für den

Käufer ein Jdentitätsmerkmal derjenigen Sachgattung gewesen wäre, welche er eigentlich hätte erwerben wollen? Dieses Beispiel läßt sich mit leichter Mühe verhundertfachen. 97) Vgl. Leonhard, der Irrthum Bd. II S. 413 ff. 98) Leonhard, der Irrthum, Vorwort S. XI, hatte bemerkt, daß die Grenz­ scheide zwischen dem Irrthume im „Geschäftswillen" und demjenigen im „Beweg­ gründe" „durch ein Labyrinth psychologischer Vorgänge" führt, „in welchem sich heimisch zu fühlen dem Durchschnitte der Juristenwelt niemals gelingen wird".

Witte (Das Wesen der Seele, Halle a. S., Pfeffer, 1888) bemerkt hiergegen, Vor­ wort S. XI: „Uns erscheint es denn doch, als ob ein juristischer Gelehrter weiter­ gehende philosophische Interessen als der Durchschnitt der Juristenwelt haben sollte." Witte hat offenbar die Seite 86 in des Verf. Schrift nicht gelesen, in welcher es heißt: „Nur um seine Auslassungen vor böswilligen Entstellungen zu schützen, be­ tont der Verfasser ausdrücklich, daß nach seiner Meinung eine gründliche philosophische Vorbildung die Voraussetzung auch der juristischen dogmatischen Thätigkeit ist." Daß ein für Juristen geschriebenes Werk von Seiten eines Philosophen die Ehre einer Beurtheilung erfahren soll, erwartet gewiß sein Verfasser nicht. Wenn ihm jedoch ein solcher Vorzug zu Theil wird, so darf er sich vielleicht dabei der Erwar­ tung hingeben, daß nicht Verwechselungen vorfallen, wie sie Witte in der oben angeführten Stelle zwischen den Vorarbeiten des Dogmatikers und der Fassung seiner für die Praxis bestimmten Sätze begangen hat. Die ersteren sollen sich über die Leistungen des Durchschnitts erheben (auch in philosophischer Hinsicht), die letz­ teren aber diesem Durchschnitte faßlich sein. Ferner darf wohl jeder Schriftsteller erwarten, daß ein philosophischer Kritiker, welcher sich berufen fühlt, Collegen einer anderen Facultät Zeugnisse über ihre Belesenheit auszustellen, nicht die Mühe scheue, wenigstens diejenigen Capitel des beurtheilten Buches, aus denen er einzelne Stellen zur Besprechung herausnimmt, gänzlich durchzulesen. Das entgegengesetzte Verfahren Witte's erklärt wenigstens, warum er eine vom Verf. ausgesprochene und ihm nicht zusagende Beurtheilung Hegel's auf einen Mangel an Belesenheit ihres Urhebers zurückzuführen zu müssen glaubt (a. a. O. Vorrede S. VIII").

76 Man halte nicht eine solche Befürchtung

für

nischen Rechts in der Jrrthumslehre

der menschliche

Scharfsinn

error personae

einen

aus

error

bei

kano­

des

Dort

bei Eheschließungen.^).

dem

einer

die Ausgeburt

sondern blicke nur auf die Geschichte

parteilichen Phantasie,

Nichtigkeitsklagen

hat

zulässigen

in errorem personae redundans

qualitatis

gemacht und unter dem letzteren Irrthume schließlich alle möglichen und unmöglichen Fälle falscher Voraussetzungen in den Kreis der Nichtigkeits­ gründe hineingezogen. *10°) Man braucht keine Prophetengabe zu besitzen, um eine gleiche Ent­

des Vermögensrechts

wickelung auf dem Gebiete sagen zu können,

für

den Fall vorher­

daß der Irrthum in den Beweggründen auch

nur

in

den „Motiven" des Entwurfs grundsätzlich für gleichgiltig erklärt werden sollte.'oi)

Was

jedoch

in

den

Fällen

seltenen

wider

der Nichtigkeitsklagen

Eheschließungen verhältnißmäßig ungefährlich war, würde in den häufigen

ähnlichen Erscheinungen des Verkehrsrechtes unerträglich werden.

c) Der Werth -es Entwurfs für den Nrchtsunterricht (Prüfung der Lehrkraft). § io. Der Leser der Ueberschrift dieses Paragraphen daß ein Rechtslehrer

für unbescheiden halten,

licher Bestimmungen es wagt,

den

auch

in

wird

es

vielleicht

der Erörterung gesetz­

besonderen Bedürfnissen seines

eigenen Berufs ein Plätzchen zur Besprechung zu gönnen. Hat man

daß gerade

es

doch

öffentlich

die Rechtslehrer

es

als an

einen Uebelstand

der

hervorgehoben,

erwünschten Anerkennung

des

Entwurfs haben fehlen lassen. Es mag in diesem Vorwurfe vielleicht etwas Richtiges liegen. ist am

unduldsamsten

hinsichtlich

derjenigen Fähigkeiten,

welche

Jeder

gerade

") Leonhard a. a. O. S. 416 ff. und die dort S. 417 Anm. 1 Citirten. 10°) Daß der Nichtbesitz von Zahlungsmitteln Eigenschaft einer Person ist, hat das Reichsgericht angenommen (E. Bd. 12 Nr. 22 S. 104); daß die Bebaubarkeit für einen bestimmten Preis eine Grundstückseigenschaft ist, dagegen verneint (E. Bd. 19 Nr. 50 S. 264). Den Begriff der Eigenschaft bestimmt es sehr weit im Bd. 20 der Entscheidungen S. 95. Nach des Vers. Meinung darf auf keinen Fall eine Proceß­ entscheidung davon abhängen, ob ein Anwalt im Stande ist, eine Thatsache als Eigenschaft einer Sache darzustellen, sonst wird jeder Recht behalten, der nur eine Zunge hat. Alle Dinge stehen in Wechselwirkung und lassen sich bei genügender dialektischer Gewandtheit als gegenseitige Eigenschaften darstellen. m) Vgl. hierzu auch Hinschius, Archiv f. civ. Pr. Bd. 74 S. 72.

77 Und so mag denn

er unausgesetzt übt.

an Leichtigkeit

der Mangel

in

der Ausdrucksweise auf dem Gebiete allgemeiner Rechtssätze, welcher aller­

dings dem Entwürfe wehe gethan haben,

anhaftet,

welche in

derjenigen

am

meisten

der Kunst der Formgebung

sich

unaus­

dem Empfinden

gesetzt in Wort und Schrift auszubilden genöthigt sind. Allein trotzdem beweist die Lebendigkeit der Proteste, welche gerade

aus diesen Kreisen hervorgegangen sind, die Uneigennützigkeit ihres Em­ Je unklarer und lückenhafter

pfindens.

ein Gesetzbuch

ist,

höher

desto

steigt der Werth und der Einfluß derjenigen, die dazu berufen sind, ein Verständniß zu vermitteln.

Wenn

gerade

Rolle begehren, als ihnen zugedacht ist,

sie

so

eine

minder

bedeutsame

nicht

wird man sie deshalb

tadeln dürfen. Hier soll es sich jedoch nicht um die Lehrer,

nenden handeln. gungen

des

In ihrem Gedeihen liegt eine

sondern

unseres Vaterlands.

innern Zusammenhaltes

um die Ler­

wichtigsten Bedin­

der

Die Grund­

gedanken, in denen sie erzogen werden müssen — und dazu gehören die Gesetzestexte —, können in Klarheit, Zweckmäßigkeit und Verständlichkeit

gar nicht hoch genug stehen; denn die Hauptaufgabe des Rechtsunterrichts kann ohne das nicht gelöst werden.

Diese erblickt der Verfasser in einer

steten Steigerung der Liebe zum Rechte und

der Einsicht

meinnützigkeit, sowie der Freude an dem Gedanken,

in

seine Ge­

durch seine Anwen­

dung dem Gesammtwohle später dienen zu können. Darum strebt auch

der Nechtsunterricht

schon

jener fühllosen und formalistischen Behandlung welche eine Folge der ungeschichtlichen

früherer Jahrhunderte war. griffen. io2)

seit Decennien

der Rechtslehre

aus

hinaus,

unpraktischen Bücherweisheit

und

Dieses Streben

ist

in stetem Steigen

be­

Darum muß ihm Alles fern gehalten werden, was wie ein

Reif in der Frühlingsnacht sein Emporblühen ertödten müßte.

Deshalb

sollten alle rein doctrinären, der Bücherweisheit entstammenden und dem Volksrechte

abgewandten

geschlossen werden,

Unterscheidungen

aus dessen Kenntniß

von

dem

aus­

Gesetzbuche

ein Richterstand

herauswachsen

soll, der für das wahre Leben einen offenen und freien Blick besitzt.

Aus diesem Grunde läßt Alles, was bisher vom logischen wie vom

praktischen Standpunkte gegen die Jrrthumslehre

des Entwurfes

gesagt

wurde, auch vom pädagogischen ihre Abänderung als dringend wünschens-

werth erscheinen. 102) Vgl. hierzu Leonhard, Noch ein Wort über den juristischen Universitäts­ unterricht, Marburg 1886, § 8 S. 24 ff.

78 Daß nichts so sehr, wie das „Willensdogma", die Verständlichkeit

der Rechtslehre verdirbt, wird der Leser zunächst kaum glauben wollen.

Um es ganz zu begreifen, müßte er mit dem Verfasser vorerst

Jahre

lang gewissenhafter Weise die flache Lehre vorgetragen und mit ihm das

Gefühl der Erlösung empfunden haben, welches

ihm

zu Theil wurde,

als es ihm seine Ueberzeugung erlaubte, diese Fessel abzuschütteln.

Durch die ganze Pandektenlehre wird von stillschweigenden Abreden

gesprochen, welche in den Gesetzbüchern nicht stehen und nunmehr von den Vertretern des Willensdogmas aus der Seele des Vertragschließenden künstlich herausdemonstrirt werden,

Verkehrsgebrauche beruhen.

auf dem

während sie in Wahrheit

Was unzählige Menschen in

langer Zeit

allmählich geschaffen haben, das wird als Inhalt eines einzigen bewußten Willensacts

Einzelner dargestellt.

Fortwährend werden Behauptungen

über Gedanken der Parteien im Brusttöne der Ueberzeugung vorgetragen,

von denen man Tode.

genau so viel weiß,

wie von Herrn Schwerdtlein's

Ein Gläubiger hat für das nächste Halbjahr Zinsen angenommen

und damit für diese Zeit die Schuld gestundet.

er die

Ob

Stundung

bewußt gewollt hat, kann kein Mensch wissen; aber die herrschende Lehre

behauptet es ganz sicher, und dem Prüsungscandidaten, der daran zweifelt, werden seine Freunde anrathen, ein sacrificium intellectus darzubringen. Wie viel einfacher ist es,

wenn man sagt: jene

ist in jenem Falle verkehrsüblich.

wollt sein oder nicht.

Sie gilt also,

mag

Stundungspflicht

sie innerlich

ge­

Genau so verhält es sich mit der Jrrthumslehre.

Nicht in den dunkeln Schacht der Menschenseele

brauchen

wir hinab­

zusteigen, um nachzuforschen, welcher Irrthum Nichtigkeitsgrund sein soll.

Auf dem sonnenhellen Markte des Lebens vom Verkehrsgebrauche gesunden.

Rechtsbeflissene gern verweisen,

liegt die Antwort vor uns,

Dorthin

läßt

dort wird er sich

man ihn aber auf das Innere der Parteien

sich

der jugendliche

zurechtfinden.

verweist,

Wenn

um dort Dinge

zu finden, von denen selbst er recht wohl weiß, daß sie dort unauffindbar sind, so wird er an der Zuverlässigkeit der Rechtswissenschaft irre.

In

der Regel lesen ja die Juristen aus den Seelen der Parteien doch

nur

heraus, was der Verkehrsgebrauch früher bestimmt hat, kommen also auf dem falschen Wege doch zum richtigen Ziele.

Daß dies aber sich so ver­

hält, ist immer für den Schüler und oft genug für den Lehrer selbst ein Berufsgeheimniß.

Wenn nun aber gar der Jünger in einer verzeihlichen

Begeisterung für den Meister auf dessen Worte schwört und alles Ernstes

glaubt, daß der unwissende Tagelöhner bei seinen Verträgen alle die schönen Bestimmungen bewußt will, welche das Pandektenheft ihn wollen

79

läßt,

so können sich in dem

Gläubigen Wahnvorstellungen entwickeln,

welche uns dahin treiben müßten, das Willensdogma schließlich auch noch

vom medicinischen Standpunkte zu kritisiren.

IV. Prüfung der Gemeinnützigkeit der Entwurfsbestimmungen (legislativ-politische Prüfung). a) Der volkswirthschaftttchr Standpunkt (nationalökonomische Prüfung). § H.

Ist eine Gesetzesbestimmung im Widerspruche mit den Lehren der

Geschichte, erweist sie sich überdies

so ist sie schon gerichtet.

als

undenkbar und

undurchführbar,

ihrer

Man braucht in der That nicht nach

Gemeinschädlichkeit besondere Nachfrage zu halten. Der Vollständigkeit wegen soll dieses dennoch geschehen.

Wir müssen

auch hier uns dem „Zwecke", dem „Schöpfer" und „Erklärer" des Rechts103)104

zuwenden. Wer die Gemeinnützigkeit eines Satzes prüfen will, kehrsleben aus der Vogelperspective betrachten.

muß das Ver­

Die Leiden und Wünsche

des Einzelnen erscheinen ihm dann unbedeutend gegenüber den

Bedürf­

nissen des großen ganzen Verkehrskörpers, und er fragt nur nach den mächtigen Strömungen, welche nicht bloß einzelne Fälle, sondern größere, immer wiederkehrende Gruppen von Fällen berühren *04). So fragen wir auch hier:

welcher aus Rücksicht Grundsätze des

auf den

„Welchen Einfluß

Einzelwillen

Verkehrsüblichen hinaus

als

wird

der Rechtssatz,

Irrthümer auch

über die

Nichtigkeitsgründe zuläßt,

auf den Verkehr ausüben?" Wir dürfen nicht vergessen, daß nicht bloß die Rechtssätze,

daneben auch die Gebote der Sittlichkeit und der Sitte der Menschen treibend einwirken.

sondern

auf die

Seele

Sollte also hier etwas Verkehrtes be­

stimmt werden, so wird die Sitte des Geschästslebens einen Gegendruck

ausüben. kanntes

So ist z. B. die berüchtigte Ehe auf Probe, welche

Gesetzbuch zuließ,

niemals

vorgekommen.

In

ein

be­

gleicher Weise

werden die Anschauungen des Verkehrs auch das „Willensdogma" vielfach unschädlich machen, wie sie es bis jetzt wohl da gethan haben,

wo

die

103) v. Jhering, der Zweck im Recht, 2. Ausl. S. 115, Der Besitzwille, Vor­ rede S. IX und S. 538 ff. Exner, der Begriff der höheren Gewalt, Wien 1883, S. 39. 104) Paulus 1. 6 dig. de legibus I, 3. To ydg ajra£ jj ut ait Theophrastus, 71 aqaßatvovöw 01 vofjbo&hai^

80 Rechtssprechung im Banne dieser Lehre stand.

Kaufleute, welche sich auf

culpose oder casuelle Mentalreservationen berufen,

laufen

Gefahr, das­

jenige, was sie im einzelnen Falle durch die Hervorkehrung ihrer Hinter­ gedanken gewinnen, durch eine Schädigung ihres Credits wieder einzu­ wohl auch in Zukunft verhalten.

büßen, und so wird es sich

Man darf jedoch den psychologischen Druck,

welchen

solcher Nichtigkeitsgründe auszuüben im Stande sein wird,

nicht unter­

Das Gesetz hat seine Hauptwirkungen außerhalb der Gerichts­

schätzen.

stätte.

die Zulassung

Der Richter sieht nur die Processe;

er sieht nicht die Fälle,

denen der Bedrückte den Kampf um's Recht als er sieht auch nicht die andern Fälle,

in

aussichtslos unterläßt,

in denen aus Furcht vor hinter­

listigen Einreden nützliche Geschäftsabschlüsse gänzlich unterbleiben.

Diese Furcht würde auch

heutzutage keineswegs unbegründet sein,

sobald erst einmal das „Willensdogma" gelten würde.

Auch in unserer

Zeit giebt es organisirte Meineidsbanden — der Verfasser hat selbst als Strafrichter eine solche mitabgeurtheilt —

sich über

„die Person,

und der Beweis, daß man

den Geschäftsgegenstand

geirrt habe", ist leicht durch falsche,

oder die

Geschäftsart

unwiderlegbare Zeugen zu führen.

Ja, selbst die Eideszuschiebung über einen solchen Irrthum bringt den­ jenigen, gegen den sie geschieht, juristischen

Leserkreise

wohl

in eine drückende Lage, nicht

erst

näher

welche

einem

auseinandergesetzt

zu

werden braucht. Daß das „Willensdogma" die Sorge vor hinterlistigen Einwendungen

erzeugt und dadurch den Verkehr lähmt, wird kein Kenner der wirklichen Lebensverhältnisse bestreiten. Von der Studirstube und vom Lehrstuhle aus betrachtet fechten allerdings nur solche Leute ihre Geschäfte wegen

Irrthums werden

an,

welche sich wirklich geirrt haben; im thatsächlichen Leben

aber in solchen Nichtigkeitsprocessen diejenigen die Hauptrolle

spielen, welche sich geirrt haben wollen, weil ihr Geschäft sich nachträglich als nicht vortheilhaft herausstellte.

Diese Leute begünstigt das Willens­

dogma auf Kosten der gewissenhaften Menschen, welche am Vertragsinhalte festhalten.

Der Böse wird von ihm auf Kosten des Guten bevorzugt,

und der Verkehr dadurch gelähmt.

Jede Verkehrslähmung bedeutet aber für uns ein Unglück.

Blüthe des Handels für alle Völker zu

Ob die

allen Zeiten ein Vortheil ist,

darüber läßt sich streiten. Für uns ist sie zur Zeit, wenn nicht erwünscht,

so doch unentbehrlich.

Ein geldbedürftiger Staat darf seine Hauptsteuer­

quelle nicht antasten lassen. Wir wissen, daß im byzantinischen Reiche eine andere Politik herrschte,

81 eine

welche

Geldverlegenheit

unausgesetzte

nach

Handelsgesetzbuch hat sie mit Erfolg bekämpft.

doch

ging

Strömung

sich

30g105).

Unser

Allein jene byzantinische

um das naturrechtliche

immer noch nicht so weit,

Willensdogma zu erzeugen. Wohl aber war es ihr Grundgedanke, dessen

dieses

Nachwirkung

Dogma

fortzeugend

Möge

gebar.

zukünftige

das

Reichsrecht sich das Handelsgesetzbuch zum Vorbilde nehmen! Zum Schlüsse (Busch's

möchte

der Verfasser

nach Englischem Rechte"

Vertragsschluß

für

Archiv

Theorie

die Lehre,

welche

der

Praxis

und

aufmerksam machen.

S. 317 ff.)

noch auf einen Aufsatz:

„Der

von Ernst Schuster in London des Handelsrechts,

Bd. 45,

Hier wird der Nachweis geführt,

Verfasser dieses Gutachtens

daß

in seiner oben oft

angeführten Schrift über den Irrthum gegen das Willensdogma verficht,

durchaus

dem

Übersetzung

englischen Rechte

entspricht,

namentlich auch,

daß

seine

consensus sich mit dem englischen „consent“ becft106).

von

Ohne sich der Anglomanie verdächtig machen zu wollen, möchte der

behaupten,

Verfasser

die Meinung

des

daß

in

der Frage,

was dem Verkehr Noth thut,

größten Handelsvolkes der Welt sogar unsern wissen­

schaftlichen Autoritäten gegenüber in's Gewicht fällt.

schätzt,

daß hiernach sogar dasjenige Volk,

ist überaus beachtenswert^

Es

schon durch seine Orthographie beweist,

welches

dennoch

wie hoch es das „Jch“

dem Einzelnen die Rücksicht auf das Allgemeinwohl zu-

muthet, welche das Willensdogma ihm-ersparen will. Was

also in der Heimath der Manchester-Theorie zum Besten der

das sollte doch auch

Gesammtheit vom Einzelnen ertragen werden kann,

bei uns

im

Lande

der

allgemeinen

Wehrpflicht

nicht

als

eine

allzu

schwere Last betrachtet werden.

b) Rückwirkung auf das äußere Staatswohl (politische Prüfung). § 12.

Die

allgemeine

Rechtslehre

ist

ein Gemeingut

aller Rechtszweige.

Was sie enthält, gilt nicht bloß im Privatrechte, sondern auch im Staats­

rechte und namentlich auch im Völkerrechte. Grundsätzen,

zu deren Anwendung

der

Nach denselben allgemeinen

zukünftige Richter und Anwalt

105) Vgl. v. Jhering, Der Kampf um's Recht. 9. Auflage. Wien 1889. S. 81 ff. Leonhard, Roms Vergangenheit und Deutschlands Recht. Leipzig 1889. § 54. i°6) Schuster a. a. O. S. 332. Dem Verf. des Gutachtens war dies vorher unbekannt. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. HI.

82 erzogen wird,

bildet auch der zukünftige Konsul und Gesandte seine

Rechtsanschauungen. Es kann daher im Hinblicke auf unsere auswärtigen Beziehungen nicht ganz gleichgültig sein, daß nach dem Entwürfe unsere Staatsvertreter in Grundsätzen der Vertragslehre erzogen werden sollen,

welche völker­

rechtlich unhaltbar sind.

Daß sie es sind,

geht aus Aeußerungen hervor,

welche der größte

Kenner und einflußreichste Begründer völkerrechtlicher Beziehungen gethan

hat.

Fürst Bismarck hat sich

Fragen des

bei zwei hochwichtigen Gelegenheiten in

öffentlichen Rechts

ein

als

unumwundener

des

Gegner

„Willensdogmas" gezeigt107). Der Entwurf droht also

allgemeinen Lehre die

durch die unrichtige Behandlung

völkerrechtliche Tüchtigkeit

Staatsvertreter zu erschüttern. Sollte man aber etwa geneigt sein,

unserer

einer

auswärtigen

das Willensdogma für das

Völkerrecht zu verwerfen und nur für das Privatrecht anzuerkennen, würden wir in die eigenthümliche Lage kommen,

so

Ausländern gegenüber

durch Festhalten an der geschehenen Zusage eine Rücksicht erweisen zu müssen, welche uns im Verhältniß zu dem eigenen Landsmanne nicht obliegen würde;

ein

Verfahren,

welches

zu den

Grundsätzen

unserer

neueren Politik nicht recht passen dürfte. Bedenken wir ferner, daß es für die Ausländer angenehmer ist, mit solchen Kaufleuten Geschäfte abzuschließen, welche das Willensdogma ver­ werfen und an dem erkennbaren Sinne ihrer Abreden festhalten, als mit

solchen,

welche nach ihren Geschäftsabschlüssen mit unerwarteten Nichtig­

keitsgründen aus dem Hinterhalte vorzurücken pflegen, bedenkt man ferner, daß die Engländer, wie wir sahen, zu den ersteren gehören, während

der Entwurf uns in die Schaaren der letzteren einreihen will, so wird man wohl auch

über den Einfluß,

den die bekämpfte Lehre auf den

Wettbewerb der Deutschen innerhalb des Weltmarkts haben muß, schwerlich

im' Zweifel sein können.

V.

Die ethische Seite der Frage (sittliche Prüfung). a) Der Grundsatz -er Zuverlässigkeit der Versprechen.

§ 13. Ueber dem Gemeinwohl des einzelnen Staates steht noch eine höhere 107) Hartmann hat hierauf aufmerksam gemacht. Bd. 72 S. 234, Bd. 73 S. 332 Anm. 15.

Vgl. Archiv f. civ. Pr.

83 Instanz, das Gebot des Gewissens.

Auch sie sei als eine letzte hier an­

gerufen. 108) Die Gebote der Sittlichkeit sind bekanntlich vielfach eben so streitig,

wie diejenigen des Rechts.109) Von drei Seiten möchte der Verfasser, Frage nach

dem Grunde der Sittlichkeit

ohne

etwa die

bekannte

auch nur streifen zu wollen,

das Willensdogma in seinem ethischen Gehalte prüfen, vom Standpunkte

der geschichtlichen Ueberlieferung, des christlichen Gebots der Nächstenliebe und des kategorischen Imperativs.

Was zunächst die geschichtliche Ueberlieferung betrifft,

so wird uns

erzählt, daß Numa der Fides einen Tempel baute, und daß man in Rom annahm,

die rechte Hand,

welche den Handschlag ertheilt,

enthalte die

Göttin in sich, I10)

Die Römer rühmen sich, sie vor allen geachtet zu haben, und klagen

später darüber,

daß sie ihnen verloren gegangen ist.

diese Fides als die „dictorum conventorumque

Cicero bestimmt

constantia

et veritas“

und nennt sie „fundamentum justitiae“.1H)

Hiernach ist es nicht recht glaublich, gegangen sind,

daß sie von einer Lehre aus­

welche auf die innern Hintergedanken das Schwergewicht

legt und den Vertrag nur dann gelten lassen will,

wenn

auch in dem

dunkeln Gebiete der Seele des Contrahenten alles in Ordnung ist. Daß die deutschen Anschauungen den römischen durchaus entsprechen, ergießt das Sprichwort: „Ein Mann, ein Wort." Allein auch das Gebot der Nächstenliebe, der Hauptkern des Christen­

thums,

führt zu gleichem Ergebniß.

Als eine Morgenröthe der neuen

108) Von dieser Seite her hat die Vertragslehre besondere Anregungen er­ fahren durch die eigenartige Schrift von Schloßmann, der Vertrag, Leipzig 1876, besonders S. 287 ff. Diese will die Rechtssätze unmittelbar ohne Berücksichtigung der Geschichte auf die Sittlichkeitslehre gründen, vergleichbar einem Anwalt, der alle unteren Instanzen überspringt und sich sogleich unmittelbar an die höchste Stelle

wendet. 109) Die ethische Frage muß bei juristischen Erörterungen von der logischen und psychologischen getrennt werden. Die Gesetze der beiden letzteren Wissenszweige kann ein Gesetzgeber nicht mit practischem Erfolge verletzen, selbst wenn er es will. Die ethischen Gesetze dagegen soll er gleichfalls nicht verletzen, aber er kann

es thun.

no) Livius I, 21. Plinius h. n. XI 55. lir) Cic. de off. I, 8, 23.

84 bei den heidnischen

Weltreligion finden wir seine Anerkennung schon römischen Juristen.112) So sagt Ulpian: „Verletze Keinen!"

Durch nichts aber kann man

seine Mitmenschen tiefer und schmerzlicher verletzen, als durch Enttäu­ schungen,

welche man ihnen bereitet.

Wer etwas verspricht,

der Empfänger seines Worts sich darauf verlasse.

lich in dessen Innerem eine Hoffnung.

will, daß

Er erzeugt also wissent­

Diese verwächst, falls es sich um

eine bedeutende Sache handelt, mit seinen wichtigsten Plänen unter Um­

ständen so sehr,

daß ihre Erfüllung zu einer Bedingung seiner Lebens­

freudigkeit wird.

Nun, nachdem sein Herz von Hoffnung erfüllt ist, führt

der Versprechende einen beinahe tödtlichen Streich,

wenn er es an der

schwächsten Stelle durch seine Wortbrüchigkeit trifft.

Daß eine so schäd­

liche Handlung nicht nur geduldet,

den soll,

sondern vom Staate unterstützt wer­

sogar in Fällen, in welchen eine Schuld des Verletzenden vor­

liegt, will dem Verfasser nicht recht in den Kopf.

Für ihn bedeutet der

Satz: „Verletze Keinen!" auch „Enttäusche Keinen!"

Die Anhänger des

Willensdogmas werden darin vielleicht eine übertriebene,

sichtnahme auf das Wohl der Mitmenschen sehen.

sinnlose Rück­

Vielleicht ist es auch

nur eine hypochondrische Grille, eine krankhafte Sentimentalität, an welcher der Verfasser leidet. Gleichviel. Jedenfalls kann er diese Empfin­ dungsweise nicht in sich vertilgen und, wenn man ihn um seine Meinung über die Jrrthumslehre fragt, nicht einmal verschweigen.

Man hat wider ihn hervorgehoben, daß man ebenso gut, wie dem Irrenden die Rücksicht obliegen soll,

den Erklärungsempfänger nicht zu

enttäuschen, auch diesem letztern die sittliche Pflicht auflegen könne, den Irrenden nicht an seinem ihm unerwünschten Worte festzuhalten.113) Von einem solchen Sittengebote kann nicht die Rede sein. Aufkündigen

einer unerwünschten

Das

Erklärung steht dem Festhalten des

Vertragsgenossen an derselben nicht gleich. Der Geldverlust, welchen jenes dem Erklärungsempfänger, dieses dem Absender zufügen würde, mag ja vielleicht der gleiche sein; das Gefühl, von dem Vertragsgenossen mißhandelt zu werden, ist nicht in beiden Fällen in derselben Weise vor­

handen.

Wer dem Andern eine Hoffnung erweckt und

ihn dann ent-

112) Cicero de leg. I 12 c. 34 necessarium, ut nihilo sepse plus quam alterum diligat. und Leonhard, Roms Vergangenheit und Deutschlands Recht §42. 113) So Lotmar a. a. O. S. 392: Sodann giebt es wohl auch ein Sitten­ gebot: „Verlange nicht die Erfüllung von Versprechen, die Dir unabsichtlich gegeben sind." — Für das Bestehen eines solchen Gebots wird sich schwerlich ein Beweis­ stück finden lassen.

85 täuscht, der erscheint als der Urheber einer Mißhandlung; jenige, der lediglich einen Vortheil davon hat,

nicht so der­

daß der Absender einer

Erklärung einem tückischen Zufalle oder Irrthume zum Opfer fiel, welchen er,

nicht verursacht hat und nicht er­

der Empfänger des Versprechens,

kennen konnte. Immerhin liegt in der hier abgewehrten Ansicht doch ein Fünkchen

Wahrheit.1U) Auch

der Irrende kann

im

soll

Dies

spruchen.

eine

gewisse mitleidige Schonung bean­ Paragraphen

folgenden

näher

ausgeführt

werden. Vorerst will der Verfasser noch einen Blick auf den „kategorischen Imperativ" werfen,

worüber wohl kein Zweifel ist,

der,

einem großen

Theile Deutschlands als maßgebend gilt.

Dieser verlangt bekanntlich, soll,

welche

Menschheit Normen

Insofern

Staat.

lativpolitische

sorgt,

nach Grundsätzen handeln

Kant denkt dabei offenbar an einen Gesetzgeber, der für die

können.

ganze

daß man

ein Gesetzgeber seinen Vorschriften würde zu Grunde legen

so

geht

hinaus.

aufstellt,

nicht bloß

für einen

bestimmten

auch für ihn die ethische Frage über die legis­ Da

gebietet Kantes

nun jeder Gesetzgeber für das Gemeinwohl unumstößliches

Gebot:

Unterordnung

des

Einzelrechts unter die Gebote des allgemeinen Menschheitswohls.

Daß nun das Willensdogma, welches, wie wir sahen, den mensch­ heitseinigenden Handel lähmt, vom Standpunkte eines Weltgesetzgebers nicht

billigenswerth

erscheint,

bedarf wohl keiner weiteren Ausführung.

Daß übrigens ein so einflußreich gewordenes Dogma unmöglich ohne eine gleichzeitige ethische Strömung aufgetreten sein kann, ist schon nach allgemeinen Gesetzen der Culturentwicklung höchst wahrscheinlich. Es handelt sich

hier um eine alte Bewegung,

die sich

bis auf Pelagius,

wenn nicht noch weiter, zurückführen läßt, nämlich um das Streben nach Anerkennung einer größtmöglichen Freiheit des Einzelnen. Es giebt,

die Thatsache

läßt sich nicht leugnen,

neben der Moral der Liebe auch

eine solche des Stolzes, die zur starken Bethätigung des eigenen Willens hintreibt. Daß dieses Streben einem Grundzuge des germanischen Wesens entspricht, kann nicht in Abrede gestellt werden.

werden auch

Daß es ausarten kann,

seine Anhänger nicht leugnen wollen.

Das Willensdogma

1H) Den Verf. veranlassen namentlich die Ausführungen Mandry's in seiner Recension der Schrift Leonhard's, der Irrthum u. s. ro. Archiv f. civ. Pr. Bd. 66 S. 486 und diejenigen Hartmann's, Archiv f. civ. Pr. Bd. 72 S. 161 ff., dies zuzugeben. Vgl. jetzt auch Graf Pininski Bd. II S. 467 ff.

86 ist eine solche Ausartung, jedenfalls eine Frucht dieser nur bis zu einem gewissen Grade anerkennenswerthen Neigung,

welche hier durchaus nicht

etwa als völlig verwerflich bekämpft werden soll.

das zeigt sich in den Illusionen,

Wie stark diese Neigung aber ist, welche sie

erzeugt hat.

auf dem Rechtsgebiete

gehörte z. B.

Zu ihnen

die bekannte Lehre, daß der Verbrecher sich selbst die Strafe zudictire Genau ebenso soll

jetzt die bewußte Absicht des Vertragschließenden die

rechtlichen Folgen seines Verhaltens erschöpfend bestimmen. Es liegt in

diesem Gedanken

der Staatsgewalt.

gewisser Titanentrotz

will,

„Wenn ich nicht

klarem Bewußtsein

selbst ihn mit

wieweit der Betroffene hat.

ein

gegenüber

Der Richter soll nur so weit einschreiten dürfen, in­

Bestrafung, wie in den Rechtsfolgen

herbeigerufen

kein Rechtszwang sein!"

so darf

soll

sich

In der

der Mann sein Schicksal

lediglich selbst schaffen, und der Satz gelten: „Kein Mensch muß müssen",

als ein Palladium der Freiheit, eines irrthümlicher Weise

auch in den Ketten

welche der Mensch

abgegebenen,

aber nach

seinem Inhalte unbe­

absichtigten Versprechens nicht verlieren kann.

Für jeden,

der die Verkehrsbedürfnisse

nicht kennt,

und namentlich

für den Studirenden, dem sie fremd zu sein pflegen, hat diese Lehre eine

dämonische, fesselnde Kraft.

Sie erinnert an die Leute, die vom breiten

Stein ihrer höchst persönlichen Wünsche

nicht wanken und nicht weichen.

So erfaßt sie eine unvertilgbare Schwäche des menschlichen Herzens, dessen Wunsch,

auch da

etwas

sein zu wollen,

wo

es

nichts ist,

hier

seine volle Befriedigung findet'^). Für Verkehrsbedürfnisse ist ein jugend­

licher Musensohn überhaupt schwerer zu erwärmen,

als für die Geltend­

machung der eigenen Sonderart.

Allein zweierlei.

Wünsche

und Erfüllungen

nüchternen Beobachter im Rahmen

die Freude

sind

auch

bei Vertragsschlüssen

Dieser titanenhafte Sturm und Drang erweist sich, von einem an

einem

über

die

der Wirklichkeit

wahre

angeschaut,

nur als

Abhängigkeit hinwegtäuschenden

ll5) Auch die nicht minder bekannte Lehre Lassalle's (Die Theorie der er­ worbenen Rechte. Leipzig 1861 S. 55 ff.): „Kein Gesetz darf rückwirken, welches ein Individuum nur durch die Vermittelung seiner Willensactionen trifft," beruht auf solchen Anschauungen. llß) Es ist daher kein Zufall, daß in einer Schrift, welche den Standpunkt der katholischen Kirche mit besonderer Schärfe wahrt, ein lebhafter Widerspruch gegen den „subjectiven Standpunkt des Entwurfs in der Jrrthumslehre erhoben wird, in Ausführungen, die übrigens auch für Nichtkatholiken höchst beachtenswerth sind. Schilling, Aphorismen zu dem Entwurf eines b. G.B. Köln 1888 S. 46ff.

87 Selbständigkeitstraume, der als ein Schleier die unvermeidliche Gebunden­

heit des Einzelnen vor ihm selbst verdecken soll. So hängen denn auch die Vertreter des Willensdogmas ihm einen Hemmschuh an,

der seine Kraft lähmen soll, die Lehre von der Gleich­

gültigkeit der Beweggründe.

So ließen sich auch die Richter,

als sie

noch lernten und glaubten, daß der Verbrecher sich selbst die Strafe auf­

lege, nicht davon zurückhalten, ihn selber ordentlich zu bestrafen.

Hätten

sie freilich aus jener Lehre das Recht hergeleitet, ihn, sobald er sich nicht bestrafen lassen wollte,

dann würde sie verhängnißvoll

laufen zu lassen,

geworden sein. Genau im selben Sinne wollte einer der gründlichsten Vertreter des

Willensdogmas in

einem achtungswerthen Gerechtigkeitsgefühle es der

Proceßpartei verwehren, zu berufenI17).

sich

im

vollen Umfange auf dieses Dogma

Nur in der Theorie sollte es leben,

im Leben unter­

gehen. Allein eine solche Scheinexistenz hat in sich die Neigung, sich schließ­

lich doch in wirkliche Richtersprüche zu verwandeln.

Und so wollen wir

denn grundsätzlich lieber alle unsere Lehren und Gesetze so gestalten, daß

man sie ganz und voll anwenden kann. b) das Gebot des Mitleids mit dem Irrenden (ein richtiger Äern der an­ gefochtenen Lehre).

§ 14. Das Willensdogma würde schwerlich (Quellenauslegung, Logik, Psychologie,

Ethik) triumphirt haben,

über alle feindlichen Mächte

Rechtsanwendung,

wenn nicht irgend

Gemeinwohl,

etwas an ihm richtig wäre.

Dieses Richtige liegt in dem Gebote des Mitleids mit dem armen Irrenden. Der Verfasser giebt gern zu, daß er in seiner Schrift, wohl in der Kampfeslust, welche der Streit für das Gemeinwohl in ihm erzeugte, mit diesem Unglücklichen zu hart umgegangen ist118).119 Errare humanum est, dieser Satz muß, — davon haben den Verfafser seine Gegner überzeugt, —

dem allzustrengen Festhalten an der

äußern Erklärung einen gewissen Abbruch thun1^). 117) Zitelmann, bogrn. Jahrb. Bd. 16 S. 411 ff. 118) Nicht mit Unrecht ist ihm dies vorgeworfen worden von Mandry in der Recension der Schrift über den Irrthum, Archiv f. civ. Praxis Bd. 66 S. 486. 119) Auch die frühere Behauptung (Leonhard in der Zeitschr. f. Handelsrecht Bd. 26 S. 298), daß man kein Recht hat, eine irrige Vertragserklärung sogleich zu

88 Die älteren Römer, welche ihre Schuldner in Stücke schnitten, waren

zu solchen Zugeständnissen nicht geneigt.

ihren Schein.

Sie pochten, wie Shylock,

auf

Die Menschenliebe der Kaiserzeit hat aber auch hier Ab­

hülfe geschaffen. Das Mittel, durch welches es geschah, war nach des Verfassers Meinung

die in integrum restitutio erroris causa. Daß man sie in der Regel nur in processualen Fällen

konnte,

wird

zwingen,20).

Drange

allgemein

gelehrt,

doch

ohne

daß

die

gebrauchen

Quellen

dazu

Man lehrt dies vielmehr aller Wahrscheinlichkeit nach im

eines unbewußten Bedürfnisses,

das Institut los zu

Neben dem Willensdogma hat es in der That

werden.

auch nicht den geringsten

Zweck.

Auch will man überhaupt der ganzen in integrum restitutio zu Leibe

rücken 121 * *),122 * * und * 120zwar nicht ohne guten Grund. Zu der deutschrechtlichen Stellung des Richters paßt nicht recht ein.

„civilrechtliches Begnadigungsrecht".

Da der Richter bei uns

von der

Aufsicht der Cabinetsjustiz frei ist, so will man ihm nicht gern dieselben

vollen außerordentlichen Befugnisse gewähren, welche die Günstlinge Ca-

racallas und Elagabals besaßen.'22) Wir können aber die in integrum restitutio

Die Grundsätze,

nach

ganz

gut entbehren.

denen der Prätor extra ordinem Recht sprach,

sind allmählich zu festen Rechtsregeln geworden, (man denke z. B. an die i. i. r. minorum). Das gilt m. E. auch von dem Grundsätze, welcher

der römischen in integrum restitutio erroris causa zu Grunde lag.

Er

läßt sich etwa folgendermaßen wiedergeben: Wer in Folge eines unverschuldeten Irrthums ein uner­

wünschtes Geschäft

abgeschlossen

zurücktreten, wenn

1) er denjenigen,

hat,

kann von demselben der sich

auf seine Er-

verbessern, kann nicht mehr aufrecht erhalten werden. Dagegen Hartmann (Dogm. Jahrb. XX. S. 42 Anm. 27), Enneccerus a. a. O. S. 81 Note 1, Unger in Grünhut's Zeitschr. Bd. 15 S. 680 Anm. 17. Der Vers, hat sich davon überzeugt, daß die Ansicht seiner Gegner dem Grundgedanken des Satzes: „Pacta in continenti facta stipulationi inesse videntur“ entspricht. 120) Warum will man nicht auch hier die Quellenbeispiele verallgemeinern, da sie ja nur Beispiele sind? 121) Für ihre Erhaltung jedoch Hartmann, Archiv f. civ. Praxis Bd. 73 S. 346 ff. 122) Daß das Institut der Restitution wegen Irrthums übrigens auch in Deutschland vorkommt, ergiebt sich aus Seuff. Archiv III 141, IV 28. Anders das Ober-Trib. Berlin, Seuff. XXXIV 266.

89 klärung

verließ,

möglich

ist,123)

2)

entschädigt,

und

eine

solche Entschädigung

3) keine Gefahr vorliegt,

die Be­

daß

hauptung eines Irrthums eine bloß vorgeschützte ist124)125 Einen derartigen Rechtsgedanken

glaubt der Verfasser

in unserem

Verkehrsleben allerdings beobachtet zu haben. liegt wohl auch der bekannten Lehre v. Jherings

Er

culpa in contrahendo,25) zu Grunde,

welche

daher

mit

von

der

vollem Rechte

trotz ihrer zweifelhaften Quellengrundlage als eine Ergänzung der uner­

träglichen herrschenden Lehre Anklang gefunden fyxt126)127

Jene Anfechtbarkeit wegen entschuldbaren Irrthums bei gleichzeitiger Leistung einer Entschädigung ist

Satz der Verkehrssitte.

nach

der Meinung

des Verfassers

ein

Vermuthlich ist er aus dem Grundgedanken der

römischen in integrum restitutio erroris causa herausgewachsen. Seine

nöthig,

besondere Erwähnung

einmal,

weil

im Gesetzbuche

der Richter bei

erscheint daher nicht

der Vertragsauslegung

auf

die

Verkehrssitte sehen und dabei diesen Satz finden muß;'27) zweitens, weil

es keinen Zweck haben

würde,

strengere,

wegen Irr­

die Anfechtungen

thums noch mehr beschränkende Gebräuche da, wo das Bedürfniß sie er­

zeugt, abzutödten.

Die Anerkennung

dieses

Satzes

der Verkehrssitte

ist

das

einzige

Zugeständniß, welches das „Willensdogma" verdient.

Capitel 3. Seitenblick auf einzelne Sonderbestimmungen des Entwurfs über Irrthum. I. Im Vermö gensrechte. § 15.

Dieses Gutachten bezieht sich zwar nur

Entwurfs.

auf die §§ 98—102

Da dieser jedoch ein in sich durchdachtes Ganzes

des

bildet —

123) So z. B. nicht, wenn ein Dienstbote, Procurist, Handlungsgehülfe u. s. w. eine feste Stellung im Vertrauen auf die Erklärung des Irrenden aufgeopfert hat. 124) Dies Erforderniß Nr. 3 entnimmt der Verf. in Anlehnung an Hart­ mann, Dogm. Jahrb. Bd. 20 S. 55 der 1. 12 dig. de trans. 2, 15 und Dernburg's Pandekten Bd. I § 99 Anm. 3. 125) Dogm. Jahrb. Bd. IV S. 1 ff. Gesammelte Aufsätze. Jena 1881. S. 327 ff. 126) Hartmann, Die Obligation. Erlangen 1875. S. 195 ff. Regels­ berger in Endemann's Handbuch des Handelsrechts Bd. II § 242 S. 414 Anm. 5, sowie über ihre Vorläufer in der Naturrechtszeü, Leonhard, Der Irrthum II S. 527, vgl. jetzt auch Unger a. a. O. S. 683 ff. 127) § 72, 359 Entw.; vgl. § 84, 86,4, 789, und Rümelin in den Jahrb. f. Dogm. Bd. 27. S. 231.

90 ein Vorzug,

ziemlich

welcher

dürfte es nicht unangemessen einen Blick zu werfen,

veranschlagt

hoch

sein,

werden

einige

auf

auch

muß —,

so

Sondervorschriften allgemeinen

welche im Zusammenhänge mit der

Jrrthumslehre ergangen sind. Hierher gehört zunächst die Behandlung Bei ihnen soll ein

bestimmter Theil,

Vertragschließenden

früher

die

gebilligte

beiderseits

von dem übrigen Inhalte

Anordnung der Hauptgeschäftsfolge,

den

der „abstraeten Verträge".

nämlich

oder

gleichzeitig

Erklärten

des von

unabhängig

sein, d. h. der Anfechtung mit einer Nichtigkeitsklage auf Grund solcher

Nebenabreden

unterliegen.

nicht

Daß

diesen

eine allzu große Ausdehnung gegeben worden

dings ausgeführt worden,^») war,

sie alle

wie auch,

„dingliche Verträge"

Geschäften ist,

daß es

zu nennen,

ist

im Entwürfe

mit Recht neuer­

schwerlich

nothwendig

von

weil einige

ihnen

dingliche Kraft haben.128 129)* In der Rechtspflege wird jedoch dieser Umstand keine allzu schlimmen Folgen haben.

Wie

die

modus überwunden hat,

preußische Praxis

die Lehre vom titulus und

so wird dies auch der deutschen hinsichtlich der

angeblich „abstraeten" Natur der Tradition und ähnlicher Geschäfte ge­

lingen.^9)

Allein

diese

ganze

übermäßige Ausdehnung der

abstraeten

Geschäfte würde wohl kaum geschehen sein, wenn die Verfasser des Ent­ wurfs nicht

Gefahren

das Bedürfniß

empfunden hätten,

ihres Willensdogmas durch eine

den Verkehr

gegen die

möglichste Einschränkung der

allgemeinen Nichtigkeitsgründe zu schützen.

Hervorzuheben ist, oder

wenigstens

daß auch der

weitgehende Schutz des redlichen,

dem äußeren Anscheine

nach redlichen Dritten l31) mit

dem Bestreben zusammenhängt, Anfechtungen von Traditionen mindestens

gegen Dritte zu beschränken.

128) von Strohal in den dogm. Jahrbüchern Bd. 27 S. 335 ff. Insbesondere möchte der Vers, seinen Ausführungen über die Tradition unbedingt beitreten (vgl.

Leonhard, Irrthum I S. 241 Anm. 3, II S. 344 ff.). 129) Vgl. Bähr, Krit. V.-J.-Schr. Bd. 30 S. 361 Anm. 1

(in der Form

etwas scharf).

13°) Sehr treffend bemerkt hierüber Strohal a. a. O. S. 395:

„Ebenso

wenig, wie es der Gesetzgeber in seiner Macht hat, jeden obligatorischen Vertrag kurzweg zum abstraeten zu proclamiren, ebenso wenig vermag er durch sein bloßes „sic jubeo“ immer und überall den Zusammenhang zwischen Rechtsübertragung und

Causalgeschäft zu lösen."

m) § 877 ff.

91 In noch

engerem Zusammenhänge mit der allgemeinen Irrthums­

lehre steht die Gestaltung der Bereicherungsklagen.132)

Die condictio indebiti setzt nach § 737 voraus, daß der Kläger „zum

Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit eine Leistung bewirkt hat". Gehört

hierher nun auch der Fall,

in

welchem der Kläger den

Zahlungszweck hatte, aber nicht erkennbar machte, so daß der Empfänger glauben mußte, die Gabe sei ihm geschenkt?'33)

Der richtigen Meinung

nach wird man dies verneinen müssen, da auch hier der erkennbare Sinn entscheiden muß, nicht der unerkennbar gebliebene Hintergedanke.134)135 136

Wenn freilich in der allgemeinen Jrrthumslehre das Willensdogma

angenommen wird, so wird man es auch

hier in entsprechender,

aber

m. E. unzutreffender Weise anwenden.

In zweifelloserer Weise sind die Voraussetzungen der condictio ob causam bestimmt.

Hier allein ist die Jrrthumslehre ganz nach dem

Herzen des Verfassers bestimmt; denn § 742 lautet:

„Wer

unter

der

ausdrücklich

oder

stillschweigend

erklärten Voraussetzung u. s. w. eine Leistung bewirkt hat,

kann u. s. w.

Warum ist bei der condictio indebiti nicht gleichfalls, so wie hier, eine ausdrücklich oder stillschweigend erklärte Voraussetzung

der Schuld

erfordert worden? Diese Frage ist kaum zu beantworten. Von der condictio causa data causa finita (§ 745) gilt dasselbe,

was von der condictio indebiti gesagt ist. Daß endlich die condictio sine causa in den Fällen anderer Irr­ thümer über vergangene Dinge, als es diejenigen über das Vorhanden­ sein einer Schuld sind, in grundloser Weise beschränkt worden ist, sowie daß dies lediglich als eine Folge der oben angefochtenen Lehre der Un­

wesentlichkeit des Irrthums in den Beweggründen angesehen werden muß,

wird sich wohl schwerlich bestreiten lassen. Von einer Erörterung der Bedeutung des Irrthums für die bona fides bei der Ersitzung *33) ist für die allgemeine Jrrthumslehre wohl schwerlich etwas zu gewinnen.'^) 132) Entw. § 737 ff. u. hierzu Hartmann, Gutachten aus dem Anwalt­ stande S. 323 ff., sowie Lenel im Archiv f. civ. Praxis Bd. 74 S. 213 ff. 133) Vgl. hierzu Leonhard, Irrthum Bd. I S. 265, 266. 134) Richtig das Urteil des Reichsgerichts, Entsch. Bd. 19 Nr. 24 S. 126. 135) § 881, 2 Entwurf. 136) Vgl. hierüber Leonhard, D. I. II S. 518 ff., Förster-Eecius a. a. SD. I § 30 Anm. 4.

92 Im allgemeinen Theil befindlich, aber auf das Vermögensrecht be­ züglich sind

endlich

noch die §§ 117, 118 des Entwurfs.

Sie sollen

hier noch in Kürze besprochen werden.

§ 117 lautet: „Das Erforderniß der Uebereinstimmung des wirklichen Willens

mit dem erklärten Willen, ingleichen die Erheblichkeit von Drohung, Betrug,

Irrthum, Wissen und

bestimmt sich nach

Wissenmüssen

der Person des Vertreters."

ob der Vertrags­

Dies kann sich doch nur auf die Frage beziehen,

abschluß wegen Irrthums als nichtig gelten muß, nicht darauf, ob es die

Vollmachtsertheilung aus

einem gleichen Grunde ist.

kann nur nach der Person des Herrn,

nicht nach

Diese letzte Frage

derjenigen des Ver­

treters bestimmt werden. Eine umfangreiche Litteratur, welche sich voraussichtlich weniger durch Verständlichkeit als durch

Tiefsinn

auszeichnen wird,

muß der § 118

Hervorrufen, welcher lautet: „Ist die Ermächtigung zur Vertretung von dem Vertretenen

durch Rechtsgeschäft

ertheilt (Vollmacht), und bezieht sich die Er­

mächtigung auf ein bestimmtes Rechtsgeschäft, so ist ein Nichtwissen

des Vertreters unerheblich, wenn der Vertretene wußte oder, sofern dem Wissen das Wissenmüssen gleichsteht, wissen mußte.

„Was wußte?" und „was wissen mußte?" so fragt jeder Leser, der Jurist nicht minder, wie der Laie. Die Antwort aus diese Frage soll offenbar die Wissenschaft ertheilen.137) Nun gut, wenn sie das soll, wozu ladet man ihr bei dieser ihrer Aufgabe überhaupt erst die Last

einer so tiefsinnigen Bestimmung auf? Man kann doch schwerlich glauben, daß das Ergebniß ihrer Arbeit dadurch leichter oder auch nur besser ge­

funden werden wird. Wie der Verfasser selbst über den Irrthum der Stellvertreter denkt,

hat er an anderer Stelle ausgeführt.138) II.

Im Familienrechte.

§ 16.

Der Irrthum bei Eheschließungen

bringt das Gesetzbuch

Berührung mit altehrwürdigen Lehren der christlichen Kirche.

in eine

Die Stelle

137) Die Stelle ist allem Anscheine nach eine Verallgemeinerung der 1. 34 § 1 dig. de acqu. rer. d. 41, 1. Leonhard, D. I. II S. 502 Anm. 1. 138) Leonhard, Der Irrthum II S. 493 ff.

93 des Gesetzbuches,

welche dieses geweihte Land betritt,

wird daher wohl

die Theilnahme nicht bloß der juristischen, sondern auch der theologischen

Kreise erroetfen.139)* *

Hier finden

wir

zunächst

eine

erfreuliche Anerkennung

der „Er-

klärüngstheorie" in der Form der Frage, welche der Standesbeamte nach

§ 1249 an die Brautleute richten muß.

Daß

aber trotzdem selbst die

Lehren der christlichen Kirche gegenüber dem Willensdogma keinen Wider­ leisten vermocht haben,

stand zu

wir oben sahen,

wird uns nicht verwundern,

daß keine nur irgend

nachdem

denkbare Rücksichtnahme sich als

stark genug erwiesen hat, um seinem Vordringen Halt zu gebieten. ^0)

Nirgends

übrigens

ist

der Entwurf

so schwer zu

beurtheilen wie

in der Lehre von der Ungültigkeit der Eheschließungen, und namentlich an derjenigen Stelle, welche vom Irrthume redet (§ 1259, 2). Es zeigt sich hier,

daß der Sinn eines

geschriebenen Satzes keine

feste unwandelbare Größe ist, sondern von den Vorkenntnissen desjenigen mit abhängt, in dessen Kopf sich seine Worte abspiegeln.U1)

So Sinn,

ergiebt

je

denn

nachdem

der

§ 1259, 2

des Entwurfs einen doppelten

er von einem unbefangenen Leser oder von einem

Kenner der neueren juristischen Literatur gelesen wird. Wir wollen beide Bedeutungen dieser Vorschrift betrachten. Sie lautet: „Die Ehe ist nur dann anfechtbar: „2. Wenn einer der Eheschließenden entweder den Willen,

überhaupt eine Ehe zu schließen, oder den Willen, eine Ehe mit

dem anderen Theile zu schließen, bei der Eheschließung nicht ge­ habt hat, und

in

beiden Fällen dieser Mangel der Ueberein­

stimmung des wirklichen Willens mit dem erklärten Willen auf einem Irrthume des Erklärenden beruhte".

Die Ehe

zweite Hälfte

will

allem Anscheine

nach

die Anfechtung der

wegen Simulation ausschließen und damit eine schwebende Streit­

frage entscheiden, und zwar in einem Sinne,142) welcher der Bedeutung

139) Vgl. hierzu die Ausführungen von Hinschius im Archiv f. eiv. Praxis Bd. 74 S. 69 ff. M0) Vom katholischen Standpunkte protestirt wider das Eherecht des Entwurfs Schilling, Aphorismen zu dem Entwurf eines b. G.Bs. Köln 1888 S. 16. M1) Leonhard, Ztschr. f. Civilproceß Bd. 11 S. 120 ff. 142) Vgl. Dernburg, Pr. Privatrecht I § 104, Pandekten 2. Aufl. § 100 Anm. 7 S. 229, 1. 30 dig. de ritu mixt. 23, 2.

94 entspricht,

welche ein anscheinend fehlerloser Ehebeschluß auch für dritte

Personen haben soll.143)

Die erste Hälfte erweckt allein Bedenken.

Nach ihr ist der Irrthum

überall geschäftshindernd, wo der Irrende den Willen, eine Ehe mit dem andern Theile zu schließen,

nicht gehabt hat.

Das kann doch aber nur

heißen, wo er „ihn nicht gehabt haben würde"; denn, wenn er ihn wirk­

lich

nicht

gehabt hätte,

würde er die Trauung nicht haben zu Stande

kommen lassen.

Will man aber in diesem Sinne deck § 1259, 2 beim Worte nehmen, so kommt man zu den ungeheuerlichsten Ergebnissen.

die Vermögensverhältnisse des Schwiegervaters,

Täuschungen über

welchen

sich der Bräu­

tigam hingegeben hat, das Zurückkehren der von der Braut für todt ge­

haltenen

ersten Liebe und dergl. Dinge mehr müßten Nichtigkeitsgründe

abgeben,

sofern sie dem persönlichen Willen des Irrenden als unerläß­

liche Vorbedingungen seines Jaworts thatsächlich vorschwebten.144) Man

wird

hiergegen

anführen,

daß es sicherlich nicht die Absicht

der Verfasser des Entwurfs war, solche Rechtszustände heraufzubeschwören. Wenigstens erschien es mehreren Kennern der neueren Literatur unzweifel­

haft, daß der Entwurf die Anfechtbarkeit der Ehen wegen Irrthums eher zu sehr einschränkt, als zu weit ausdehnt.145)146

Sie gehen anscheinend davon aus,

nur da

wegen

daß in Zukunft Eheschließungen

error in persona und in negotio t46) ansechthar sein sollen,

der Entwurf

mit

dem

„selbst

geschaffenen Dogma von der Nicht­

berücksichtigung des Irrthums im Beweggründe" 147)148 nach

den Motiven

auch hier unzweifelhaft arbeitet.,48)

Sollte

übrigens Jemand

glauben,

daß irgend ein Deutscher,

der

143) Leonhard, Irrthum II S. 411. 144) Solche Dinge sind in der Rechtsgeschichte nicht unerhört, vgl. Schaum­ burg, compendium Juris digestorum. Jenae, pars III p. 59 „error fortunae non simpliciter est vilipendendus. Daß ein Betrug über Vermögensverhältnisse ein Anfechtungsgrund ist, hat das Reichsgericht am 27. Mai 1887 ausgesprochen. Entsch. Bd. 18 S. 224. Selbst wegen der unzureichenden Kochkunst einer Gattin ist in der Zeit des Rationalismns eine Ehescheidung vorgekommen. Vgl. überhaupt die bei

Leonhard, der Irrthum II S. 417 Anm. 1 Angeführten. 145) Vgl. Hinschius a. a. O. S. 69 ff., Berolsheimer, Gutachten aus dem Anwaltstande S. 298. 146) Ueber diesen vgl. Leonhard, der Irrthum II S. 413 Anm. 3. 147) So Hinschius a. a. O. S. 72. 148) Mot. IV S. 78, woselbst ein schwer einzulösender Wechsel auf die Wissen­

schaft gezogen wird.

95 dieses Dogma nicht aus neueren Schriften kennt, es aus der angezogenen Gesetzesstelle etwa werde herauslesen

oder richtiger in sie hineinlesen

Man gebe nur den § 1259, 2 jedem beliebigen

können, so täuscht er sich.

Nichtjuristen zur Auslegung in die Hand, und man kann sicher sein, daß er eine hochgradige Anfechtbarkeit irrthümlich geschlossener Ehen wegen

aller möglichen falschen Vorgedanken herauslesen wird. Wenn nun auch nicht zu verlangen ist,

daß das Gesetzbuch dem

Nichtjuristen verständlich sein soll, so erscheint doch der Wunsch nicht un­

billig, es so abgefaßt zu sehen, daß es nicht dem Rechtsunkundigen Vor­

stellungen

erweckt, welche mit der Würde der ©je149) und den Lehren

der christlichen Religion

ebenso

sehr im Widersprüche stehen,

demjenigen, was die Verfasser des Entwurfes

eigentlich

wie mit

haben sagen

wollen. Diesen hat daher auch hier die Redeweise des Willensdogmas keinen

guten Dienst geleistet. Wie sehr diese Behauptung berechtigt ist,

ein allem Anscheine nach

hervorragend

ergiebt sich daraus, daß

tüchtiger praktischer Jurist den

Entwurf offenbar nicht mit den Einschränkungen gelesen hat, die sich aus den Lehren der neueren juristischen Psychologie ergeben.

Wenigstens

spricht er davon, 15°) daß „die Staatsgesetzgebung auf der schiefen Ebene der einseitigen Ordnung des Eherechts,

falls sie sich einmal daraus be­

geben hat, immer tiefer hinabgleitet in den Sumpf der Gleichstellung der Ehe mit gewöhnlichen Verträgen". Daß unser Staat auch

Ehe nicht

werden.

ohne Beihülfe der Kirche die Würde der

ebenso gut wahren kann, wie diese es thut, muß bestritten Bei Wahrung des „Willensdogmas" wird dies aber freilich

unmöglich sein.

Daß durch die scharfe Betonung dieser Lehre dem Ge­

setzgebungswerke unerwünschte Schwierigkeiten zu erwachsen drohen, er­ giebt sich aus Schillinges Bemerkung:151) „Würde der Entwurf mit dem Eherecht als integrirendem Bestandtheil zur Abstimmung im Reichstag ge­

bracht, dann würden die katholischen Abgeordneten dem Ganzen ihre Zusümmung versagen müssen."

Aus Rücksicht auf die sittliche Bedeutung der Ehe dürste dieser Protest auch von nichtkatholischer Seite die vollste Berücksichtigung ver­

dienen. 149) Vgl. die Ausführungen des Reichsgerichts Bd. 17 S. 251 Nr. 58. 16°) Schilling, Aphorismen zu dem Entwurf eines b. G., Cöln 1888.

161) Aphorismen S. 15.

96 Allerdings

kann

auf die Nichtigkeit der Ehe wegen

die Berufung

Irrthums nicht in der gleichen Weise eingeschränkt werden, wie diejenige

der vermögensrechtlichen Verträge.

Ein Hinweis auf den Inhalt

einer

Verkehrssitte würde hier keinen Sinn haben. Dagegen würde es sich empfehlen,

zu § 1259 folgenden Zusatz zu

machen:

„Die Anfechtung ist

Betrugs

wegen Drohung,

ausgeschlossen,

dort

oder Irrthums

wo sie aus Rücksicht auf die Würde der

Ehe als unzulässig erscheint." Ein Hauptnachtheil dieser Vorschrift würde freilich der

Spielraum

sein,

wird aber wohl,

sie

welchen

soweit

dem Richter gewährt.

der Verfasser sieht,

sehr

große

Dieser Uebelstand

als unvermeidliches Uebel

ertragen werden müssen. III.

Im Erbrechte. § 17.

Der Vollständigkeit

zu Liebe

soll

noch auf zwei Punkte des Erb­

rechts ein Blick geworfen werden.

Ganz besondere Beachtung verdient der § 1781 des Entwurfs:

„Eine letztwillige Verfügung kann angefochten werden,

wenn

der Erblasser zu derselben durch einen auf die Vergangenheit oder die Gegenwart sich beziehenden Irrthum bestimmt worden ist, oder

wenn der Erblasser zu der Verfügung durch die Voraussetzung des Eintrittes oder Nichteintrittes eines künftigen Ereignisses oder eines rechtlichen Erfolges bestimmt worden ist, und die Voraussetzung sich

nicht erfüllt hat.

Die Verfügung ist nur dann anfechtbar,

wenn der Irrthum

aus der Verfügung zu entnehmen, oder die Voraussetzung in der­ selben ausdrücklich oder stillschweigend erklärt ist."

Diese Vorschrift steht im denkbar schärfsten Gegensatze zu den Lehren eines

großen

Theiles

der

neueren Wissenschaft.152)

Ganz

allgemein

nimmt man nach Savigny's Vorgänge an, daß letztwillige Verfügungen

leichter wegen Irrthums anfechtbar sein sollen, Entwurf bestimmt das Gegentheil.

der Regel

nur

für den Verkehr an,

Man

als Verträge.153)

Der

greift das Willensdogma in

für die letztwilligen Verfügungen

152) Vgl. aber auch Eisele, dogm. Jahrb. Bd. 23 S. 41. 153) Vgl. statt vieler jetzt Level, Archiv f. civ. Pr. Bd. 74 S. 220 ff., Seuff. Archiv IV, 132.

97 Der Entwurf hält es aber umgekehrt für die

will man es gelten lassen.

Geschäfte unter Lebenden aufrecht, und hier, bei den letztwilligen Ver­

fügungen, wo man es nicht anficht, läßt er es fallen.

kann man kaum von

einer Verkehrssitte,

Gerade bei ihnen

welche den Inhalt der still­

schweigenden Willenserklärungen zu bestimmen pflegt,

reden, und

doch

wird gerade bei ihnen die stillschweigende EÄlärung der Voraussetzungen

für deren rechtliche Bedeutsamkeit erfordert. Wenn viele Vertreter der Wissenschaft bisher anders dachten, so sind

drei Gründe vornehmlich

angeführt worden.

dafür

Zunächst ist der

Urheber letztwilliger Verfügungen ein Wohlthäter,

welchen der Bedachte

nicht so hart an seinem Worte festhalten darf,

wie

Geschäftsmanne

gestattet ist,

dem

es vielleicht dem

gegenüber sich ein Wettbewerber auf

dem Gebiete des Verkehrslebens in Vertragsbande verstrickt hat. Zweitens richtet sich die

letztwillige Verfügung an einen unbestimmten Personen­

treis, d. h. sie will nach ihrem Inhalte von diesem, nicht von bestimmten

Einzelnen, beachtet roerben154).

Sobald also auch nur Einem gegenüber

der wahre innere Wille des Testators fehlt,

Anordnung

nach

ihrem

Sinne

entbehrt die nicht gewollte

der Verpflichtungskraft155).

Endlich,

drittens, dient die letztwillige Verfügung von vorn herein nur dem Wunsche

einer einzigen Person, welche sie daher widerrufen kann. Im zweiseitigen Vertrage dagegen finden sich die Bedürfnisse zweier Personen auf einem Mittelwege zusammen. Sollten diese Gründe wirklich so wenig beachtenswerth sein, wie es

nach der Bestimmung des Entwurfs den Anschein hat? — — Zum Schlüsse sei noch das Erbantretungsrecht kurz erwähnt. Hier ist die Anfechtbarkeit der Antretung und Ausschlagung wegen

Irrthums in einer neuen, weitgehenden Weise beschränkt worden. Die Erbschafts-Ausschlagungserklärung

soll

nur

in

einem

ganz

seltenen Falle wegen Irrthums anfechtbar sein, wenn vor der Ausschlagung eines Pflichttheilsberechtigten eine ihm auferlegte Beschränkung oder Be­

schwerung oder Pflichttheilslast mit allen Wirkungen weggefallen, und der Wegfall zur Zeit

der Ausschlagung

ihm

nicht

gewesen ist

bekannt

(§ 2040). Die Annahmeerklärung aber soll überhaupt nicht mehr wegen Irrthums angefochten werden können (§ 2041). 154) Das gilt auch vom Damnationslegat, was Eisele in den dogm. Jahrb. Bd. 23 S. 41 'dem Vers, gegenüber bestreitet. Es kommt dabei nicht auf die gram­ matikalische Form an, sondern darauf, ob die Erklärung nach ihrem Inhalte von einer unbestimmten Menge wahrgenommen werden will. 155) Leonhard, der Irrthum I S. 175. Berhandlg. d. XX. I. T. Bd. III.

7

98 alten Rechte,

deren Folgen für die

Irrenden sehr hart sein können, nothwendig war,

ist mindestens zweifel­

Daß diese Abweichung vom

haft^^). Sie wird sich überdies bei stillschweigenden Annahmeerklärungen (§ 2029) kaum handhaben lassen.

Sollte nicht das dunkle Gefühl, in der Annahme des Willensdogmas zu weit gegangen zu sein, auch hier den unbewußten Trieb erzeugt haben,

die Folgen dieser Lehre so

viel als möglich und vielleicht sogar noch

darüber hinaus einzuschränken?

Capitel 4. I.

Gegenvorschläge.

Bereits veröffentlichte Gegenvorschläge.

§ 18. Wir sahen schon oben gelegentlich, daß die allgemeine Jrrthumslehre des Entwurfs bei ihren Kritikern (Hölder, Schilling, Meischeider, Bähr, Hartmann, Hellmann, Unger) nirgends einen vollen Anklang,

zum Theil sogar lebhaften Widerspruch gefunden hat.

Ein Gegenvorschlag ist jedoch nur von Bähr^) gemacht und von jpattmcittn158) gebilligt worden.

Derselbe lautet: „Eine im

erklärung,

Rechtsverkehre

welche

übereinstimmt,

mit dem

irrthümlich

abgegebene

Willens­

wirklichen Willen des Urhebers nicht

bindet gleichwohl diesen,

wenn er sie in einer ihm

zuzurechnenden Weise abgegeben hat. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn der Empfänger der Willenserklärung den Irrthum kannte oder kennen mußte. Sie findet ferner keine Anwendung,

wenn und

soweit der

Empfänger durch die Annahme der Erklärung eine Vermögensein­ buße nicht erlitten hat."

Die drei Sätze dieses Gegenvorschlags müssen im Folgenden einzeln geprüft werden. I.

Bähr beginnt: „Eine im Rechtsverkehrs irrthümlich

abgegebene Willenser­

klärung, welche mit dem wirklichen Willen des Urhebers nicht über™) Mot. V S. 511 ff. 167) Krit. V.J.Schr. 30 S. 18. 168) Archiv f. civ. Pr. Bd. 73 S. 332.

99 einstimmt, bindet gleichwohl diesen, wenn er sie in einer ihm zuzu­ rechnenden Weise abgegeben hat."

Dieser Satz ist überaus billigenswerth, nur meines Erachtens völlig Nachdem das Gesetzbuch

unnöthig.

Willenserklärungen binden,

auch dann gilt,

einmal bestimmt

hat, daß gewisse

braucht es nicht erst hinzuzufügen,

daß dies

wenn sie mit dem wirklichen Willen des Urhebers nicht

übereinstimmen, etwa ebenso wenig, wie eine Zeugenvorladung des Zusatzes bedarf, daß sie auch bei schlechtem Wetter gelten soll.

Obwohl also

§ 97

und

mit ihm § 117

im Eingang wegfallen

müssen, so ist es doch nicht nöthig, daß ihr selbstverständliches Gegentheil erst noch besonders versichert werden muß.

II.

Bähr fährt fort:

„Diese Vorschrift findet keine Anwendung (d. h. also eine Erklärung ist

schließt,

wegen Irrthums, der den wirklichen Willen aus­

nichtig),

wenn der Empfänger der Willenserklärung den

Irrthum kannte oder kennen mußte." Auch dieser Satz ist durchaus richtig.

flüssig und

Allein er ist gleichfalls über­

deckt dazu nicht ganz dasjenige, was Bähr wahrscheinlich

sagen wollte. Ueberflüssig ist er, weil er aus allgemeinen Auslegungsgrundsätzen folgt159). Nach heutigem Rechte darf der Erklärungsempfänger sich nicht

an die Worte des Erklärenden anklammern,

er muß fragen, was dieser

wirklich gewollt hat. Findet er nun oder muß er finden, daß dieser das Gesagte nicht will, nun, so hat überhaupt die Erklärung, welche vor ihrem Empfänger steht, nicht den Sinn einer ihn berechtigenden, ver­ bindlichen Anordnung. Hier fehlt also schon nach den allgemeinen Aus­ legungsgrundsätzen eine gültige Erklärung. Ueberdies hat hier Bähr anscheinend

zweierlei verwechselt.

„Er­

kennbarkeit des Irrthums" und „Erkennbarkeit der Zumuthung, daß die Erklärung für den Fall eines solchen Irrthums nicht gelten soll". *16°) Nur eine solche Zumuthung muß aus dem Verhalten des Irrenden oder aus der Verkehrssitte, welche die Bedeutung dieses Verhallens erklärt und

ergänzt,

erkennbar sein, nicht der Irrthum selber.

Namentlich,

wenn

beide Parteien über einen Punkt irren, der für beide entscheidend ist,

oder von dem auch nur Einer erklärt, daß er bei seiner Unrichtigkeit die 169) Vgl. hierzu Leonhard, der Irrthum Bd. I § 9. 16°) Vgl. hierzu Leonhard, der Irrthum Bd. II S. 528 und Nachtr. S. 592, Graf Piniüski a. a. O. II S. 456 ff.

100 angeordneten Geschäftsfolgen nicht wünsche, so muß der Vertrag ungültig fein161).162 Wenn z. B. in einer Notariatsstube, in welcher mehrere Ver­

tragsurkunden zu gleicher Zeit ausgearbeitet werden, A und B den Ver­ trag unterschreiben,

welcher für X und D bestimmt war,

so kann dieser

Umstand sie nicht binden, selbst wenn ihr Irrthum ein durch die Umstände (z. B.

die irrige Versicherung des Notars,

es sei ihnen die richtige

Urkunde vorgelegt,) durchaus entschuldigter war. Dies würde übrigens auch gelten, wenn die (hiernach meines Erach­ tens nicht ausreichende) von Bähr vorgeschlagene Bestimmung wirklich

zum Gesetze werden sollte. III.

Bähr's dritter Satz lautet:

„Sie findet ferner keine Anwendung (d. h. eine Erklärung ist

nichtig, sobald ihr Inhalt wegen Irrthums nicht gewollt ist), wenn und soweit der Empfänger durch die Annahme der Erklärung eine

Vermögenseinbuße nicht erlitten

,62)

Diese Bestimmung enthält, wenn der Verfasser sie richtig versteht, eine Ausnahme für die „einseitig belastenden Verträge" und entspricht

durchaus

einer Lehre,

welche der Verfasser dieses Gutachtens aus den

Quellen heraus zu entwickeln versucht hat.163)

Dieser hat also sicherlich keine Veranlassung, Bähr's Vorschlag zu widersprechen,

hält jedoch

eine

gesetzliche Bestätigung

seines

Inhalts

nicht für nöthig, weil dieser Inhalt schon aus dem Gebote der guten

Treue und aus der Verkehrssitte folgt.

Gerade wie

bei der Unter­

scheidung der Fälle, in denen Jemand aus einem Vertrage für culpa lata

haftet, von denjenigen, bei welchen er nur für culpa levis einsteht, muß auch hier derjenige, welcher von einem Geschäfte selbst Vortheil erwartet,

strenger behandelt, d. h. in einem Rechte zur Berufung auf seinen

Irr­

thum mehr beschränkt sein, als ein uneigennütziger Wohlthäter. Rückblickend bemerkt also der Verfasser, daß er die Vorschläge Bähr's in ihrem Inhalte billigt, ihre Aufnahme in das Gesetzbuch aber nicht

für nöthig hält.

Dasselbe

gilt von den Vorschlägen,

welche Werthauer in seiner

161) Vgl. hierzu auch Unger a. a. O. S. 689 Anm. 43.

162) Sie läßt freilich noch eine andere Deutung zu: „Rücktrittsrecht des Irrenden, solange sich sein Vertragsgenosse noch nicht wegen der irrigen Erklärung in Auslagen gestürzt hat." 16d) Leonhard, der Irrthum Bd. II S. 363 ff. § 21.

101 Schrift: „Ueber den Einfluß des Irrthums auf Verträge" 164) schon vor

dem Erscheinen des Entwurfs gemacht hat. Werthauers Ansicht weicht von derjenigen Bähr's und des Ver­ fassers nur in folgenden Punkten ab:

unterscheidet den Irrthum bei der Erklärung der

Werthauer

I.

Absicht und denjenigen bei der Bestimmung der Absicht.

Ein solcher Unterschied ist für die psychologische Betrachtung aller­

dings vorhanden.

Am deutlichsten

sieht man dies da, wo Jemand im

Auslande ein Vertragsanerbieten zunächst in seiner Muttersprache nieder­ und

schreibt

es

hinterher

in die Sprache des Landes übersetzt.

Hier

kann bei beiden Theilen seines Verhaltens ein verhängnißvoller Irrthum

Das Gleiche

vorkommen.

ist aber auch der Fall,

in der gewählten Redeweise

Gedanken

wenn Jemand einen

seines Umgangskreises faßt und

ihn dann in die volkstümliche Sprache einkleidet, um ihn einem schlichten Manne verständlich zu machen.

Allein, was in der psychologischen Betrachtung verschieden ist, darum

noch

nicht

in

der juristischen Behandlung zu

zureichenden Grund für den Gesetzgeber, verschiedener Weise zu behandeln,

trennen.

ist

Einen

die genannten beiden Fälle in

hat Werthauer m. E. nicht beizu­

bringen vermocht. II.

Werthauer

bevorzugt

neben

den

Verträgen

unentgeltlichen

Dies hängt mit der oben bestrittenen und von ihm

auch die dinglichen.

angenommenen abstracten Natur dieser Geschäfte zusammen.

III. Richtigkeit

Werthauer will die Anfechtung

des Beweggrundes

der Geschäfte,

„wenn die

zur (stillschweigenden oder ausdrücklichen)

Bedingung" (hier müßte noch eingeschoben werden „der Geschäftsgültig­

keit") „erhoben worden ist", nach den „Vorschriften über die auflösende Bedingung" beurtheilt sehen. Dieser Satz würde m. E. in ein Lehrbuch,

gehören.

Daher

ist

hier

von

seiner näheren

nicht in ein Gesetzbuch Prüfung

Abstand

ge­

nommen.

IV.

Werthauer will, wenn der Verfasser ihn recht versteht, auch

noch in folgenden

drei Fällen

die Nichtigkeit des Vertrages

festgesetzt

wissen:

a) wenn beide Parteien den durch Zustimmung (z. B. Unterschrift) anerkannten Vertragsinhalt wegen desselben Irrthums nicht wünschen; 164) Breslau, 1887, beurtheilt von Lotmar in der Krit. V.J.Schr. Bd. 31 S. 304 ff.

102 b) wenn beide Parteien Erklärungen abgegeben haben, die sich in für einen der Erklärenden

einem anscheinend

oder beide entscheidenden

Punkte nicht decken; c) wenn sie mehrdeutige Erklärungen abgegeben haben, und ihre innere Einigkeit über die eine der mehreren Deutungen nicht möglich ist.

Daß in diesen drei Fällen der Vertrag nichtig ist,

ist allerdings

zweifellos.'^) Allein kein Richter würde wohl auf den Gedanken kommen, das Gegentheil anzunehmen, daher denn der Gesetzgeber hier­ über besser schweigt.

Zum Schlüsse muß

nochmals hervorgehoben werden,

diesen untergeordneten Bedenken

daß

außer

gegen den Hauptinhalt der Vorschläge

Werthauer's sich nichts einwenden läßt.

II.

Versuch eigener Gegenvorschläge.

§ 19. Wenn der Verfasser Gegenvorschläge machen wollte, so müßten sie nach dem Vorstehenden folgendermaßen lauten: I.

nichtig,

„Eine

Willenserklärung

ist

wegen

Irrthums

wenn für den Fall solchen Irrthums durch die

erkennbare Bestimmung des Irrenden oder die (nach allgemeinen Grundsätzen) ihren Inhalt ergänzende Ver­ kehrssitte ihre Nichtigkeit angeordnet ist."

II.

Auch außerdem kann der Urheber einer Willens­

erklärung von derselben zurücktreten, Absicht nicht entsprach und

wenn

sie seiner

1. der Irrthum entschuldbar war, 2. keine Gefahr vorliegt, daß er betrüglicher Weise

vorgeschützt wird, 3. derjenige, welcher sich auf die Erklärung verlassen

mußte,

von

dem

Irrenden

in

Geld

entschädigt

wird, und 4. sein Schaden aus der Auflösung des Vertrages in Geld ausgeglichen werden kann. III.

Gegen

Rechtsnachfolger des Vertragsgenossen

darf der Irrende dieses Recht nur ausüben, soweit dem nicht die allgemeinen Grundsätze über den Erwerb red165) Leonhard, der Irrthum II § 19, § 22, I S. 186 ff.

103 licher Dritter entgegenstehen, oder der Sinn der gepflo­ genen Abrede widerspricht.

Ein g leiches Rücktrittsrecht steht dem Absender

IV.

einer Erklärung zu, wenn diese ohne Schuld unterwegs

entstellt und in solchem Zustande angekommen ist,

daß dies der Empfänger bemerken mußte. § 101,

ohne

(Ein Ersatz für

in welchem die Bezeichnung der Telegraphenanstalt und „Mittelsperson" nicht ohne

ähnlicher Beförderungswerkzeuge als

sprachliche Härte ist.) Alle diese Sätze sind freilich, wie wir sahen, selbstverständlich und daher von ihrer besonderen Anerkennung unabhängig.

Noch

eine Frage ist unerledigt:

„Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit?"

Soll das durch einen geschäftshindernden Irrthum erzeugte Geschäft so lange gelten, bis eine besondere Anfechtungserklärung es wegräumt, oder auch ohne das ungültig seht.166)

Da wir sahen, daß die Jrrthumsfrage eine Auslegungsfrage ist, die Erklärung also für den Fall des geschäftshindernden Irrthums nichts

anordnet, nehmen

so müßte man ihr,

wollte,

wenn man ihre bloße Anfechtbarkeit an­

gewissermaßen eine

nach

ihrem Inhalte unerwünschte

vorläufige Wirksamkeit aufdrängen. Hierzu liegt kein Bedürfniß vor. Was ferner die Heilbarkeit des nichtigen Geschäfts betrifft,167) so ist auch

sie eine Auslegungsfrage. Gerade deshalb wird es keinem Zweifel unterliegen können, daß der Irrende sich dann das Recht vor­ behält,

die Erklärung zu heilen,

wenn der Irrthum nur ihn allein in

eine schmerzliche Enttäuschung bringt.

Betrifft es aber einen Umstand,

der für beide Theile gleich wichtig ist, z. B. wenn ein falsches Haus ver­ kauft ist, welches der Verkäufer nicht entbehren, und der Käufer nicht

brauchen kann,

heilen,

so

können

nicht einer allein.

nur beide Theile

zusammen das Geschäft

Wo nun aber der Eine der durch einen ge­

schäftshindernden Irrthum Enttäuschte ist und den Andern dadurch miß­ handelt, daß er sich eine Heilungserklärung vorbehält und so die Nichtig­

keitsklage beständig

über dem Haupte eines Vertragsgenossen

als Da-

166) Vgl. hierzu Förster-Eccius, Theorie und Praxis Bd. I § 30, Dernburg, Preuß. Privatrecht Bd. I § 108, Leske, der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches, Leipzig, Veit u. Co., 1889, S. 11 Anm. 2, Seuffert, Archiv Bd. V Nr. 153. 167) Sie unklaren Ausdrücke „absolut" und

grundsätzlich hier wie sonst.

„relativ"

vermeidet der Verf.

Auch die Worte „subjectiv" und „objectiv" sind wegen

ihrer Mehrdeutigkeit thunlichst vermieden.

104 moklesschwert schweben läßt, da wird dieser sich durch eine Feststellungs­

klage (§ 231 C.P.O.) helfen können,

feststellt,

welche die Nichtigkeit endgültig

sofern sich nicht der Verklagte (der aber auch dann auf alle

Fälle die Proceßkosten tragen muß)

bis

zum Urtheile entschließt, das

Geschäft zu heilen.

Alle diese Dinge bedürfen m. E. einer gesetzlichen Regelung selbst

dann nicht, wenn man den vorstehenden Vorschlägen zustimmt.

Das

Gleiche

gilt

von

der bekannten

im Hauptpunkte richtigen,

neuerdings freilich mehrfach angezweifelten Lehre von Savigny/9«) daß der Irrthum, welcher die Willenserklärung nach ihrem eigenen Sinne als ungültig

erscheinen

läßt,

auch

ohne

Entschuldbarkeit

berücksichtigt

werden muss.168 169) Am besten würde es freilich sein, wenn das neue Gesetzbuch über

die allgemeine Jrrthumslehre

Es stehen hier in der

gänzlich schwiege.

Wissenschaft zwei unversöhnliche Parteien einander gegenüber,

hänger des Willensdogmas

die An­

und die Freunde der Zuverlässigkeitslehre.

Hie Einzelwille, hie Verkehrswohl, so lautet der Schlachtruf der Streiter. Was dem Einen recht ist, ist dem Andern billig. der Zuverlässigkeitslehre

als Härte empfinden,

Wie es die Anhänger

daß der Entwurf ihnen

die Vertheidigung ihrer Sache abschneiden will, so müssen sie einen ähn­ lichen Gewaltact gegenüber ihren Gegnern möglichst zu vermeiden suchen,

sobald das Gesammtwohl es erlaubt oder gar verlangt. Daß dies aber der Fall ist, soll im nächsten Abschnitte nachgewiesen

werden.

Zweiter Abschnitt.

Rechtfertigung der vorgeschtagenen Herstellung einer GefetzbuchKlücke. Cap. 1. Zulässigkeit von Gesetzbuchslücken. I. Der erforderliche Gesetzbuchsinhalt. a) Dir Veranlassung -er Gesetze.

8 20. So weit der Gesetzbuchsinhalt reichen muß, so weit sind Lücken un­

zulässig.

Wie weit er aber gehen soll, ergiebt sich aus seinem Zwecke.

168) Dernburg, Pand. I § 101 und Graf Pininski, a. a. O. Bd. II S. 408 ff., welche mit der heutigen Meinung die Ansicht Savigny's anders auffassen. 169) Richtig Seuff., Arch. VII, 19, IX, 141,261, vgl. Leonhard, der Irr­ thum Bd. II S. 520 ff.

105 Den Zweck einer Einrichtung erkennt man

bekanntlich

am besten

nicht da, wo sie gilt, — dort hält man sie meist für selbstverständlich —,

sondern nur da, wo sie fehlt, und wo ein dringendes Bedürfniß eine zu­ nächst unbefriedigte Sehnsucht nach ihr erzeugt.

So verhält es sich auch mit den Gesetzbüchern. Wir müssen in die gesetzlosen Zeiten der Weltgeschichte blicken, die Klagerufe der Plebejer vor der Herstellung der zwölf Tafeln nicht minder

anhören, wie diejenigen der deutschen Kaufherren in der Faustrechtszeit, um zu verstehen,

warum man dort ein Gesetzeswerk schuf und hier ein

solches aufnahm. Die Ursachen solcher Rechtserneuerung sind immer die Mangelhaftig­ keit der Rechtspflege und die Rücksichtslosigkeit mächtiger Rechtsgenossen, dieselben Erscheinungen, welche auch den großen Friedrich

in so hohem

Maße (vielleicht sogar in allzu hohem Maße) erbitterten und das Preu­

ßische Landrecht aus sich heraus geboren haben. Und doch dürfen wir uns nicht verhehlen, daß solche Uebelstände nur Zeichen des Verfalls einer früher erträglichen Culturstufe sind. Wären sie von Anfang an unleidlich gewesen,

so

würde man sie nicht

erst so spät bekämpft haben.

Wir müssen vielmehr annehmen, Rechts

überall lange als etwas

daß die Zeit des ungeschriebenen

ganz Natürliches

namentlich als die Kunst des Schreibens

zugten Kreises war. Wir dürfen jedoch wohnheiten

nicht glauben,

geurtheilt wurde.

empfunden

das Geheimniß

daß damals

wurde,

eines bevor­

lediglich

nach Ge­

Selbst in verkehrsarmen Zeiten bilden

sich nicht so viel Gewohnheiten, wie Gelegenheiten zu Streit und Kampf. Hier mußte der Richter (mochte es nun das Volk

sein oder ein Einzel­

ner) oft genug Recht erzeugen, weil er es nicht vorfand.

aber nicht willkürlich, sondern dem Gemeinwohl zu Liebe.

Dies that er Er richtete

so, daß sein Urtheil ein gutes Beispiel gab, gemeinnütziges Streben an­

feuerte und von gemeinschädlichem Begehren abschreckte. Dieser ideale Zustand scheint Manchem noch jetzt begehrenswerth. Einer unserer geistvollsten Juristen wünscht ihn noch für die Gegenwart

herbei 17°).

Vom Standpunkte des Richters aus ist ein solches Begehren

begreiflich.

Ein Richter, den nur sein Gewissen bindet,

der bei jedem

Urtheil den Eindruck vorher berechnet, welchen es auf das Wohlverhalten der Rechtsgenossen zu machen verspricht, und hiernach der gemeinnützigeren no) Bähr in den Grenzboten 1888 S. 391 ff., 450 ff.

106 Möglichkeit vor der minder gemeinnützigen,

natürlich noch mehr vor der

gemeinschädlichen, den Vorzug giebt, ein solcher Rechtspfleger ist in einer

beneidenswerthen Lage und in einer bewunderungswürdigen Stellung.

Eine

derartige

Vaterlande

fürstliche

manchen

in

scheint

Machtvollkommenheit

Gebieten

in

der

That

dem

in

unserm

gemeinrechtlichen

Während in den einen Theilen des Reiches

Richter zugefallen zu sein.

der Richter nach einem bekannten Worte „ein wanderndes corpus Juris" ist und

der

gewissenhaft an Ulpian und Papinian ebenso anlehnt, wie

sich

altpreußische Jurist

an

während man

seine Landrechtsparagraphen,

ferner in anderen Bezirken nicht den Gesetzestext von Justinian's Werk,

sondern

irgend

ein Lehrbuch oder vielleicht auch mehrere als verbindlich

anzusehen pflegtl71), so leitet man endlich auf noch andern Richterstühlen

aus

der Zweifelhaftigkeit de:r Texte

und der Verschiedenheit der Lehr­

meinungen einfach für sich das Recht her, mit derselben Unumschränlheit

zu urtheilen,

welche in alter Zeit den Gesetzgebungen vorausging.

Um

diesem Zustande ein entschuldigendes Mäntelchen umzuhängen, nennt man es

Urtheilen

der Natur der Sache"

„aus

(richtiger wäre:

„aus

der

Natur der eigenen Person"). Unsere

gemeinrechtlichen

Juristen

zerfallen

daher

in

Diener der

römischen Rechtsbücher, der Lehrbücher und der eigenen Einsicht.

Daß besonders

gerade bei den unumschränkten Rechtspflegern

das Volk

sich

schlecht

das Publicum

soll

steht,

liebt vielleicht

der Natur der Sache"

nicht

Im Gegentheil:

behauptet werden.

weit mehr einen Rechtspfleger,

entscheidet,

der „aus

d. h. aus seinem eigenen Gedanken­

kreise, also aus Anschauungen, welche das Volk erforschen und berechnen kann, als einen solchen, der aus einem Gesetzbuche Recht schöpft, welches die Menge niemals wird verstehen können, deutschen

Ursprungs

sein,

mag

es

mag es nun römischen oder

sich Pandekten

oder Sachsenspiegel

nennen. Wir begreifen daher, daß gerade aus der Mitte dieser unumschränkten Jurisprudenz

der Wunsch

verallgemeinern. jedenfalls

ausgesprochen

Ein Fürst,

lieber sehen,

worden ist,

ihren Zustand zu

welcher mediatisirt werden

soll,

wird

es

daß andere neben ihm in seinen Stand erhoben

werden, als daß er selbst zu ihnen hinabsteigen muß. Man darf hiergegen auch nicht etwa behaupten wollen,

daß unsere

1/r) Die Bemerkung des altpreußischen Juristen, über welche Bähr a. a. O. S. 455 Anm. sich beklagt, war allem Anscheine nach durch die Beobachtung that­ sächlicher Verhältnisse verursacht.

107 Richter solcher Stellung nicht gewachsen sein würden.

An Wohlwollen,

Gewissenhaftigkeit und Durchbildung lassen sie vielmehr nichts zu wünschen

übrig.

Die

gegen

welche Friedrich Wilhelm I.

Vorwürfe,

und Friedrich II.

treffen sicherlich heut­

den Richterstand ihrer Zeit erhoben haben,

zutage nicht mehr zu.

Trotzdem wird die Mehrzahl der Juristen einen solchen Machtzuwachs

ablehnen,

entschiedensten werden

am

mit dem Schreiber dieser Zeilen

wohl diejenigen thun,

es

welche

mit Unrecht bisweilen verkannte,

die

strenge altpreußische Ausbildung genossen haben.

der Erkenntniß

zu

sind

Diese

erzogen,

daß

mit der

Macht

die

strengste Verantwortlichkeit verbunden; ist und wo diese letztere nicht mehr mit

werden kann,

getragen

ruhigem Gewissen

da darf auch die Macht

nicht begehrt werden. liegt

So

der

„aus

Man denke sich in die Lage des Richters,

es aber hier.

der Natur der Sache" schöpfen,

solche Urtheile fällen

d. h.

soll, die ihm in ihren Nachwirkungen auf die Seelen der Rechtsgenossen gemeinnützig

werfen

sein

zu

Ein

scheinen.

„Kann

müssen:

ich

solcher würde sich die Fragen auf­

die Einwirkungen meiner Urtheile auf das

Volk auch nur mit annähernder Sicherheit vorausbestimmen? nur

doch

was

wissen,

genau

Kann ich

da ich von meinem Vaterlande

kleinen Bezirk beobachtet habe und in diesem auch nur

einen

kleinen Personenkreis,

einen

ist,

„gemeinnützig"

der

nicht

den gewähltesten

gerade

immer

Theil der menschlichen Gesellschaft darstellt?"

Wenn er ein ehrlicher Mann ist, so muß er diese Fragen verneinen. Er kann namentlich auch nicht auf Bücher verwiesen werden;

von

wimmeln

Meinungsverschiedenheiten,

bei

denen

nur

denn diese

die

eigene

Erfahrung den Ausschlag geben kann. Dieser Uebelstand

höher kann

die

Bildung

je höher der Reichthum,

wird immer größer,

eines Landstriches

man wohl in seinem Inhalte,

je

armseliges Dörflein

Ein

steigt.

wie in seinem Zusammenhänge mit

dem übrigen Vaterlande völlig übersehen und daher dort dasjenige, was gemeinnützig

ist,

ziemlich leicht feststellen.

Durchschnittskenntnisse

wächst,

je

Je höher aber das Maß der

mannigfacher

die

Erfahrungen

und

Wünsche der Einzelnen sind, desto unvollkommener wird das Gesammtbild seines Sprengels sich in des Richters Seele bilden, und desto größer die

Gefahr sein, daß dasselbe Bild bei verschiedenen Rechtspflegern ganz ver­

schieden den

ausfällt.

Namentlich

aber

unvollkommenen Zerrbildern

innerhalb

eines

wird

abheben,

es sich hier immer mehr von welche

undurchsichtigen Gewimmels

von

der Privatmann sich

dem

großen Ganzen

108 bilden

muß.

Hier gehen die Ansichten immer mehr aus einander.

Die

Richter trennen sich in ihrer Denkart unter einander und mehr noch von

den

Gerichtseingesessenen.

größeren Städten

den

In

kann

man

dies

genau beobachten.

Der die

höhere Bildungsgrad

und

der höhere Reichthum müssen also

innere Gleichartigkeit der Volksgenossen trüben und somit ein volks-

thümliches Recht unmöglich machen.

ißt,

Erkenntniß

mehr

desto

wird

Je mehr das Volk vom Baume der

es

aus den paradiesischen Zuständen

einer gesetzlosen Rechtspflege hinaus gedrängt. Darum sind es nicht gerade die reichsten und kenntnißvollsten Land­

striche, in denen sich das Urtheilen „aus der Natur der Sache" zu erhalten vermocht hat.

Die Zerklüftung der Rechtsansichten ist also die Quelle des Gesetz­

gebungsbedürfnisses.

Das Ziel des Gesetzbuchs aber ist, ihr ein Gegen­

gewicht zu bieten.

b) Iirle und Mittel der Gesetzgebung. Die Gesetzgebungsziele.

«)

§ 21.

Die

durchaus

soeben

klar

gelegten

Uebelstände

der Gesetzlosigkeit, (welche

noch keine Rechtlosigkeit zu sein braucht),

weisen uns auf die

Ziele des Gesetzgebers hin; genau so wie der Inhalt des ärztlichen Re­

cepts aus der Krankheit des Patienten gefolgert werden kann. Das Meinungen

Gesetzbuch

ist

ein Gegengewicht

dasjenige

über

Verhallen,

wider die Zerklüftung

welches

als

gemeinnützig

der

zu

gelten hat.

Es ist zugleich ein Gegengewicht wider richterliche Abwege und wider die Rechtsverwirrung in den Seelen der einzelnen Rechtsgenossen.

Wo

die Richter allzu verschieden denken, da lähmt jeder Wechsel in der Person

des Rechtspflegers das Vertrauen auf den voraussichtlichen Inhalt seiner Sprüche.

Abhängigkeits- und Sicherheitsgefühl mindern sich.

Der Böse

fürchtet nicht mehr das Schwert der Themis,

der Wohlmeinende glaubt

nicht mehr an das Gleichmaß ihrer Wage.

Beiden Uebelständen Hilst

der Gesetzgeber ab.

Aber

auch

die Zersplitterung der Rechtsgedanken des Volkes be­

darf des Gegengewichtes.

Das gegenseitige Vertrauen, die Vorbedingung

des Verkehrs und Volkswohlstandes, erlahmt nicht bloß da, wo die sitt­

liche Zuverlässigkeit schwankt,

sondern schon da,

dasjenige, was sie gebietet, sich zerklüften.

wo die Ansichten über

109 Auch hiergegen muß die Gesetzesvorschrift ankämpfen.

Beide Ziele,

den Streit wider die richterlichen und wider die all­

gemeinen inneren Zersplitterungen, theilt die Gesetzgebung mit dem Unter­

richtswesen, das in gleicher Weise einend wirkt.

Eine Einigung der verschiedenen Ansichten ist

aber nur möglich

durch eine Wahl unter ihnen oder durch Aufstellung einer neuen Meinung

statt ihrer.

Hier muß der Gesetzgeber die verschiedenen Rechtssätze nach ihrer Wirkung prüfen,

die sie

erfahrungsmäßig und voraussichtlich aus das

Verhalten des Volks ausüben werden.

nie vergessen,

Er darf hierbei

daß nicht er allein es ist, welcher die Menschen lenkt, sondern daß neben

ihm Sitte, Religion, Selbstsucht, Liebe und andere Mächte den Einzelnen bestimmen und in der Diagonale aller der verschiedenen Kräfte vorwärts treiben,

welche

auf ihn wirken, und von welchen das Gesetz nur eine

einzige ist. Hätte man dies sich klar gemacht, minder ungünstig beurtheilt haben,

hat sich auf das Nothwendige

so würde man den „Entwurf"

beschränkt und

zweifellos

Bestrebungen im besten Sinne des Wortes gehuldigt.

Hinsicht sollte man

Der Entwurf

als es geschehen ist.

eonservativen

Schon in dieser

seinen Verfassern eine verdiente Anerkennung nicht

verkürzen. Gewöhnlich stellt man freilich das Ziel der Codification viel höher. Man verwechselt Gesetz und Recht,

es

man beansprucht vom ersteren,

daß

die volle Menge der gültigen und in der Praxis nöthigen Rechts­

vorschriften in sich aufnehme, genau bestimme, wann der Richter Klagen

zulassen und

verweigern soll,

wann der Privatmann etwas thun oder

unterlassen muß, um fremde Rechte zu schonen.

Dieses Ziel ist einfach unerreichbar, und jeder Annäherungsversuch ist verfehlt.

Man fesselt „den Geist in ein tönendes Wort", wenn man

glaubt, die unendliche Menge des täglichen Lebens in feste Wortformeln

zwängen zu können. und

gedeiht nur

Solcher Glaube

entspringt nur der Studierstube

beim trüben Lampenlichte.

Wer das wirkliche Leben

kennt, kann ihn nur als traurigen Wahn beklagen.

Alles sagen will, sagt schließlich nichts.

Ein Gesetzgeber, der

Sein Werk wird unübersichtlich,

widerspruchsvoll und innerlich planlos, so daß die leeren Stellen, die es schließlich doch übrig läßt, nicht verstopft werden können, und durch seine vielen

stehen.

inneren Räthsel zunächst

zahllose Lücken des Rechtes

neu ent­

110 Das Gesetzbuch kann sehr leicht mehr neue Zweifel schaffen, als es

an alten beseitigt. Recht und Gesetz

bleiben

also

zweierlei.

Wo das Gesetz schweigt

oder mehrdeutig ist, da fängt das „bloße Recht" an. auch in unserer Zeit auf demselben Boden,

Dieses steht aber

den es in der Urzeit hatte,

auf dem Boden des Gemeinwohls.

Diejenigen Grundsätze gelten also im Zweifel, nützigen

sind.

Dies

Darüber, was nun zu unserer Zeit für ein Gerichts­

Entwurfs sein.172)

gemeinnützig

gebiet

einigen,

welche die gemein­

allein kann der räthselhafte „Geist" des § 1 des

ist,

werden

sich

natürlich

die Meinungen niemals

aber nur eine Ansicht kann die richtigste sein.

Die wirklichen

Volksbedürfnisse und die Lehren der Rechtsgeschichte geben die Antwort auf die gestellte Frage.

barer

Richter,

allein

er

Nur wer Beides genau kennt, vermag

die

ist ein brauch­

Gesetzesbestimmungen mit

seiner

eigenen Kenntniß und Denkkraft so weit zu ergänzen, daß sie vollständig genug werden, um anwendbar zu sein. Es

giebt

also

kein Gesetzbuch,

das

den

Rechtsgenossen

eine

er­

schöpfende Anweisung zu einem rechtlichen Leben und den Urtheilsftndern eine erschöpfende Anweisung zu einem angemessenen Richten geben kann.

Am allerwenigsten können wir aber dem Gesetzbuchs diejenige Auf­ gabe zuertheilen,

welche man ihm früher stellte, namentlich zur Zeit der

12 Tafeln und auch im vorigen Jahrhundert in Preußen,

Ziel,

gegen

Nachlässigkeit und

ungerechte

Vorliebe des

nämlich das

Richters

eine

einschränkende Macht zu bilden.

Beide Fehler sind im Laufe der Welt­

geschichte sicherlich vorgekommen,

wenn sie auch glücklicher Weise unserm

Die akademische Freiheit, die sitt­

gegenwärtigen Richterstande fern sind.

liche Kraft eines wissenschaftlichen, d. h. auf selbständige Quellenforschung

gerichteten Denkens haben hier Wunder gewirkt.

Die Zucht der

prak­

tischen Erziehung aber und die würdige Unabhängigkeit des Amtes haben das gewünschte Ergebniß vollendet.

Unsere Richter verdienen daher kein Mißtrauen.

Allein

wenn

sie

es verdienten, wenn wirklich richterliche „Willkür" (d. h. Ungebundenheit gegenüber der Stimme des Gewissens) zu befürchten wäre, so würde doch

der Gesetzesbuchstabe ein schlechtes Gegenmittel wider dieses Uebel sein. 172) Bähr freilich spricht jetzt die Befürchtung aus (Kr. V.J.Schr. Bd. 31

S. 371), daß man in Zukunft unter dem „Geiste der Rechtsordnung" den Geist der

Verfasser des Gesetzbuchs verstehen werde.

Dies ist nicht anzunehmen.

Die auf die

Bedürfnisse des Volkswohls hinzielende Wissenschaft wird auch in Zukunft die Kraft besitzen, mit diesem Geist ein Wort zu reden.

111 daß überall, wo buchstäbliche Vorschriften

Die Erfahrung hat gelehrt,

herrschten, der Spitzfindige und Ungerechte über den ehrlichen, redlichen

Mann weit eher zu triumphiren pflegte, als anderswo, der Richter aber

doch Mittel und Wege fand, um den Scharfsinn des Gesetzgebers zu überbieten. juria“.

Gerade dort entstand der Satz:

schränkt werden,

geber,

„summum jus, summa in­

Ein unredlicher Richter kann durch das Gesetzeswort nicht be­ er weiß

zu drehen und zu wenden.

es

Ein Gesetz­

welcher glaubt, daß er ihm durch seine Worte hierbei ein Bein

stellen kann,

wird

das Gegentheil von dem erreichen,

was er beab­

sichtigt. Wohl aber übt das Gewohnheitsrecht in Verbindung mit dem öffent­

lichen Verfahren

auf den Richter einen psychologischen Druck aus, der Ob ein Urtheilsspruch einen guten löblichen

ihm die Willkür erschwert.

Brauch verletzt,

das versteht das Volk,

und wo der Richter dies nicht

thun darf, da liegt seine Ungerechtigkeit offen zu Tage.

Diese Schranke gegen richterliche Willkür hat man freilich

beseitigt

(§ 2), und es ist vielleicht in der That kaum möglich, sie in ihrem vollen

Umfange aufrecht zu erhalten.

einer Gewohnheit zu folgen,

setze

widerspricht, da ist

Wo es dem Privatmanne erlaubt ist,

von der er wissen muß, daß sie dem Ge­

eine Rechtseinheit nicht erzielbar.

Daß man

jedoch die unbewußt gesetzwidrige Nachahmung einer anscheinend legalen

Gewohnheit diesem Falle gleichstellt, dürfte eine große Härte in sich bergen. Selbst wenn also

der

Gesetzgeber nur

„aufzeichnet" (codificirt),

muß er seine Arbeit lediglich nach ihrer voraussichtlichen Wirkung und

in ihrem Zusammenhang

mit dem gesummten Culturleben abschätzen, nicht nach der Absicht, erschöpfend zu sein oder des Richters Willkür zu

beschränken. Damit ist aber nur die eine Seite der Gesetzgebungsthätigkeit er­ läutert. Die Weltgeschichte kennt noch eine andere, die reformirende oder umgestaltende, wie sie z. B. der große Peter in Rußland übte. ist die gefährlichere,

daher durch

Diese

weil sie mit unbekannten Größen rechnet, sie wird

außerordentliche Nothstände bedingt, und

der sie ohne solche unausgesetzt anwenden, würde,

ein Gesetzgeber,

müßte in kurzer Zeit

die Erinnerung an die Vergangenheit des Staats wegwischen, welche die Vaterlandsliebe erzeugt und damit den Hauptkitt der dauernden Einung

der Volksgenossen zu einem Ganzen bildet. Bei uns

liegen solche dringende Nothstände zur Zeit nicht vor,

wenigstens nicht in der Grenze der Aufgaben, welche das neue Gesetz­ buch lösen soll.

112 Die Ziele unserer Gesetzgebung können also nur sein: „Abwehr drohender Meinungsverschiedenheiten und im Noth­

falle gemeinnützige Umgestaltungen der hergebrachten Grundsätze."

Die Gesetzgebungsmittel.

ß.

§ 22. Wenn soeben worden sind,

schon

Ziele

die

der

als sie der kühne Flug

Gesetzgebung niedriger gesteckt

unmäßigen Begehrens festzusetzen

pflegt, so wird ein Blick auf ihre Mittel uns noch mehr zur Bescheiden­ heit und Nüchternheit herabstimmen müssen. Wie der verständige Denker seine Wünsche nach seinen Mitteln be­ Seine Werkzeuge sind nichts als SBorte.173)

mißt, so auch der Gesetzgeber.

Diese Worte sollen in die Seele des Lesers dringen, dort in Verbindung mit

dessen Vorkenntnissen Gedanken erzeugen,

Denkenden

nommen,

bestimmen.

Die

keinen Sinn,

Worte

bergen

sondern empfangen

welche das Handeln des

aber ihn

in

strenge

sich,

ge­

erst im Geiste dessen,

der sie in sich aufnimmt, wie schon oben gelegentlich bemerkt wurde.

So steht denn zwischen dem Gesetzgeber und dem Erfolge, den sein Befehl anstrebt, Worte

das Mißverständniß

hinwegspringen müssen.

als eine Schranke, über die seine

Natürlich

Durchschnitt des denkbaren Leserkreises.

wendet

er sich

nur an den

Die Unglücklichen, denen es be­

stimmt ist, „non intelligere, quod omnes intelligunt“, kann er nicht bei dem Satzbau seiner Befehle in das Auge fassen, ebenso wenig wie die

übergenialen Naturen,

welche die

und zwischen den Zeilen lesen,

leichteste Andeutung

sofort

was sie daselbst lesen sollen,

ergänzen

bisweilen

sogar noch mehr. Um nun die Durchschnittsgröße der Fassungskraft seiner Leser abzu­ messen, muß sich der Gesetzgeber darüber klar werden, zu wem er eigent­

lich

reden

will.

Die Gesetzgeber

haben sich zu dieser Frage im Laufe

der Zeiten in sehr verschiedener Weise gestellt.

Das preußische Landrecht

wollte zum Volke reden, die zwölf Tafeln thaten es, die deutschen Rechts­

bücher versuchten es. nicht danach,

Justinian's Codex verlangt es, handelt aber selbst

denn daß die

byzantinischen Proletarier Justinians Vor­

schrift über das beneficium inventarii u. dgl. begreifen konnten, ist kaum

glaublich.

Solche Rede zum ganzen Volk,

eine juristische Bergpredigt,

wäre

Festgabe für Gneist.

Jena,

173) Vgl. auch Franken, Vom Juristenrecht. Fischer, 1888, S. 109.

113 allerdings

etwas

Schönest")

sehr

Allein

läßt

es

wirklich

sich

auf

höherer Bildungsstufe erreichen? Giebt es einen Popularschriftsteller, dex die Lehre

vom Conto-Current

oder

kaufmännischen Retentionsrechte so

klar darstellen kann, daß unsere Tagelöhner sie mit Erfolg lesen können? Ich glaube nicht. Richtern

lyrischen

zum ganzen Volke reden will,

Wer nur

Gegenstände

berühren,

welche

muß gleich den jeden

angehen.

Auf dem Rechtsgebiete gehören aber nur wenige Dinge in diesen allge­ mein menschlichen Gefühlskreis hinein, nur die Hauptsachen;

das Meiste

ist und bleibt jedoch für die Masse zu hoch.

Und doch

soll und muß

die Menge

eine Möglichkeit

haben,

Kenntniß der Sätze zu gelangen, welche ihr Loos bestimmen.

zur

Es giebt

da noch einen anderen Weg, welchen diejenigen nicht beachten, die durch­

aus das neue Gesetzbuch im Tone eines Volksbuches abgefaßt zu sehen wünschen.

führt schließlich auch zum Volke.

Dieser Weg

Freilich ist er nicht

der nähere, aber er ist der bessere und ungefährlichere. das Publikum.

müssen,

Er wendet sich

an den Richter und den Anwalt und durch diese hindurch an

zunächst

Der Anwalt räth seinen Clienten, wie sie sich verhalten

um dem Rechte

Rath ertheilen die

zu

genügen.

Einen

richterlichen Sprüche.

gleichen

stillschweigenden

Was nach ihnen die Einsich­

tigen thun oder unterlassen, wird dann auf dem Wege der Nachahmung

ein allgemeines Verhalten.

Was also der Anwalt oder Richter aus dem

das wird auf diese Weise in einer ungeschriebenen

Buche geschöpft hat,

Form geistiges Besitzthum der Massen. Darum ist das Gewohnheitsrecht

großem Werthe.

er eine Möglichkeit,

geistig

beherrschen

für den gemeinen Mann von so

In der Nachahmung des allgemeinen Verhaltens sieht

dem Gesetze zu genügen, kann.

gerade zu ihm spricht,

Ein Gesetzbuch,

das er unmittelbar nicht

welches in

seiner Redeweise

kann daher allenfalls das Gewohnheitsrecht ver­

bieten, ein solches aber, das nur zum wissenschaftlich gebildeten Richter

redet, sollte es nicht thun. Wenn man begreifen,

jetzt

dem gemeinen Mann,

der das Gesetzbuch nicht

sich also nur nach Gewohnheiten richten kann,

die Befugniß

abschneiden will, sich auf diese zu berufen, wenn man ihn also an Vor­

schriften binden will, die er bei dem besten Willen nicht erkennen kann, so liegt dem derselbe Mangel an Beobachtungsgabe gegenüber den Leiden der Mitmenschen zu Grunde, welcher das Willensdogma kennzeichnet.

174) Vgl. auch Zitelmann, Die Rechtsgeschäfte im Entwurf, Berlin 1889, S. 1. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. in. 8

114 Hieraus

ergiebt sich,

seiner Redeweise darf

er nicht in

daher auch

daß

der Gesetzgeber das Recht hat,

an die Fassungskraft des Richters seinen Anforderungen auch

sich in

anzulehnen.

Nur

über sie hinausgehen und

nicht die Sprache jener Gelehrten reden,

welche sich

dessen

rühmten, daß sie von Niemand verstanden werden sonnten.175)176

Auch in dieser Hinsicht scheint

dem Verfasser der Entwurf nur in

einzelnen wenigen Theilen aus den gegebenen Schranken herausgetreten zu sein.

Wo dies der Fall ist, wo er also mißverständlich ist, wird er

nicht bis in das Volk dringen, weil er schon auf dem Wege dckhin un­

verstanden bleiben und somit in seiner Kraft erlahmen wird. Nur was dungen,

in das Volk dringt,

welche überraschend wirken,

mehr unheilvoll als segensreich.

geber vermeiden, und darum

vermag dort zu

wirken.

Entschei­

weil man sie nicht erwartet,

sind

Solche hervorzurufen, muß der Gesetz­

sollte die Jrrthumslehre

in ihrer gegen­

wärtigen Gestalt nicht stehen bleiben.

II.

Der Zweck der Gesetzgebungslücken.175)

§ 23. Wir sehen aus dem Vorhergehenden, wie weit Gesetzeslücken möglich, und wie weit sie nöthig sind.

Möglich erscheinen sie uns überall da, wo sich die Gesetzgebungs­

ziele nicht mit den Gesetzgebungsmitteln voll und ganz erreichen lassen. Wo daher die Meinungen der Richter und der Rechtsgenossen nicht

also zersplittert oder auf Abwege gerathen sind, daß der Gesetzgeber Ver­ anlassung hat, sie in eine bestimmte Bahn zu zwingen, da erscheint die

Gesetzgebung überflüssig.

Sie ist es aber

Mittel auf den rechten Weg leiten,

auch überall da,

wo andere

wo Verkehrssitte und Wissenschaft,

Takt und Einsicht des Richters des gesetzgeberischen Gängelbandes nicht bedürfen.

Endlich da, wo die Aussicht, zum Volke durchzudringen und

auf das Volk zu wirken, fehlt.

Die Nothwendigkeit der Lücken ergiebt sich aber auch gleichfalls aus dem oben Ausgeführten.

Der Gesetzgeber muß da eine Lücke lassen,

wo seine Bestimmung mehr Nachtheile erzeugen wird, als Vortheile, wo sich

das Mißverständniß

einzustellen droht, und nach menschlicher Vor­

aussicht die Gefahr neuer Zweifel

und Zersplitterungen größer ist, als

die Hoffnung auf Beseitigung der vorhandenen. 175) Vgl. auch Meischeider a. a. O. S. 99. 176) Vgl. auch Hölder, Ueber den Entwurf eines deutschen bürgerlichen Ge­ setzbuches, Erlangen u. Leipzig, 1889, S. 23 ff.

115 Wir müssen es daher als eine lobenswerthe Enthaltsamkeit rühmen,

daß der Entwurf

gescheut hat,

sich nicht

an vielen überaus wichtigen

Stellen mit denkbaren Bestimmungen zurückzuhalten. Die

gesetzlichen

Schranken,

welche in Zukunft den Richter gleich

einer Mauer umgeben sollen, sind

also in überaus verständiger Weise

zahlreiche Luft- und Lichtlöcher durchbrochen worden,

durch

Richter

durch

sie

auf

das

freie

Gefilde

der

damit der

Wissenschaft

hinaus­

blicken kann. Es ist hier ein Hauptfehler des Allgemeinen Preußischen Landrechts

welches sowohl seine Richter wie seine Unterthanen

vermieden worden,

durch einen förmlichen Festungswall von den „Meinungen der Rechtslehrer" abzuschneiden suchtein).

Capitel 2.

Anwendung der gefundenen Grundsätze ans den Entwurf.

I. Auf die Jrrthumslehre.

§ 24. Wenden wir die gefundenen Grundsätze auf die allgemeine Jrrthums­ lehre des Entwurfes an,

so können wir an der Möglichkeit, die §§ 98

(meines Erachtens

bis 102

zweifeln. Man mag

auch den dunkeln § 97) wegzulassen,

über die Jrrthumslehre bei Verträgen denken,

kaum

wie man

will, eines sollte man zugeben, daß sich die Verkehrssitte und die Praxis

im Großen und Ganzen des rechten Weges wohl bewußt sind. achten,

daß man an seinem Worte festhalten muß,

nur da Ungültigkeitsgründe sein können,

kehrsbrauch

Kaufleute,

sie

als

solche

ausdrücklich

daß Irrthümer also

wo Parteierklärung oder Ver­

oder

stillschweigend

welche darüber hinaus Ausflüchte machen,

herrschenden Meinung der Juristenwelt ihre Kunden auch der Buchstabe des Gesetzes,

Sie be­

bezeichnen.

pflegen trotz der

zu verlieren, und

welcher in den Kreisen des Volkes mit

Recht die höchste Beachtung zu finden pflegt,

würde an dieser Thatsache

nichts zu ändern vermögen. Ist dem so, wozu soll dann der Widerspruch zwischen der Verkehrs­

sitte und der Gelehrtenwelt unnöthiger Weise in volle Beleuchtung gerückt werden?

Will man ihn durchaus aus einer vollkommen verständlichen

Achtung vor den Vertretern der herrschenden Meinung aufrecht erhalten, 177) Einleitung zum Allg. Pr. Landrechte § 6.

116 so mag man

in den „Motiven"

schlimmsten Falls

ihm

huldigen,

aber

Jener Grundsatz des Entwurfs,

ihn nicht in das Gesetzbuch aufnehmen.

welcher dem Vertragschließenden das Recht giebt, seine eigenen, unerkenn­

bar

zum Maßstabe

gebliebenen Wünsche

dem Lehrstuhl

dem Lehrbuche

und

sollte

als deren ausschließliches Besitzthum

Sollte er wirklich richtig sein, so wird er seine Lebens­

erhalten bleiben.

kraft bei der

eines Ver­

für die Gültigkeit

auf welchen sein Vertragsgenosse sicher rechnet,

trages zu machen,

des Gesetzbuches

ergänzenden Auslegung

bewähren.

Wir

aber, die wir ihn für falsch und schädlich halten, werden dann später eine

um so durchgreifendere Niederlage erleiden. Warum will man uns, statt uns

durch Widerlegung

langsam zu beseitigen,

mit

den Keulenschlägen

der Gesetzesparagraphen niederschmetternd

Ein solcher Sieg könnte doch

der Rechtsgeschichte und

der Wissenschaft nur als ein

vor dem Forum

Pyrrhussieg gelten. Man

sehe sich

Werden nicht aus

diese §§ 97 ff.

ferner

ebenso

ihnen

geschäft

an

entstehen,

und

frage sich:

als sie in der

Die Begriffe „Mangel der Ueber­

jetzigen Wissenschaft vorhanden sind?

einstimmung

näher

viel Zweifel

des wirklichen Willens mit dem erklärten Willen" „Rechts­

„Nichtigkeit einer Vertragserklärung"

anderer Art",

(während

doch zum Vertrage zwei Erklärungen nöthig sind), der in der Art seiner Abmessung

nicht

näher

bestimmte „Schadensersatz" der §§ 97, 99, die

„Mittelsperson" des § 101, „der Irrthum in den Beweggründen" dergleichen mehr,

fragwürdigen Ausdrücke

alle diese

und

werden eine Fluth

bei deren bloßer Vorahnung es den Freund

von Streitigkeiten erzeugen,

einer schlichten und gemeinverständlichen Rechtspflege eiskalt überläuft.

Allein selbst diejenigen,

welche im Gesetze einen Zügel sehen, durch

welchen richterliche Willkürgelüste gebändigt werden müssen, diesem können.

ihren Standpunkte

aus mit

dem Entwürfe

werden von

nicht zufrieden sein

Je nachdem der Richter eine bestimmte Fahrlässigkeit für „grob"

hält oder nicht, darf er einen Vertrag gellen lassen oder nicht. Die Fest­

stellung dieser „groben" Fahrlässigkeit beruht

aber auf einer sehr feinen

welche der Oberrichter nicht

wird prüfend beaufsichtigen

Unterscheidung,

können.

Man denke sich

übrigens in die Seele

eines Richters,

der in

der Lage ist, durch eine derartige Entscheidung die eine der beiden Parteien an den Bettelstab bringen zu müssen.

Die allgemeine Jrrthumslehre kann hiernach offen bleiben, es

aber auch.

Wie

sollten

wohl die

88 97 ff. auf dem gewöhnlichen Wege,

führt,

dem

letzteren

innerlich

sie muß

zweifelsreichen Vorschriften

der

der vom Gesetzgeber zum Volke

zugänglich werden?

Unterwegs,

in den

117 Köpfen der Juristen würden sie von der düstern Gewitterwolke undurch­

dringlichen Tiefsinns verhüllt werden, aus welcher verkehrsverletzende Blitz­ strahlen in der Form unbegreiflicher Entscheidungen hervorbrechen müßten.

Das Volk würde aber meinen, daß man ihm in der neuen Vertragslehre statt des erwünschten Brotes, wenn auch nicht einen Stein, so doch einen

Leckerbissen vorgesetzt hat, welcher nur für juristische Feinschmecker genießbar ist. Aber auch wenn die richtige Jrrthumslehre an die Stelle der falschen gesetzt werden sollte, so würde damit etwas Ueberflüssiges geschehen. Allem

aber würden

legenheit haben,

Vor

dann die Vertreter der herrschenden Meinung Ge­

in den Hauptgrundlagen des Rechts

einen Gegensatz

zwischen römischem und deutschem Rechte zu lehren, welcher die ohnehin

bedauerliche Abnahme schwächen würde.

verloren, richterliche

der Freude am Quellen-Studium noch weiter ab­

Wo

Das

Tüchtigkeit.

aber

dieses Studium

was viel wichtiger ist,

erlahmt,

da

geht

als ein gutes Gesetzbuch,

etwas

nämlich die

verwickelter Verhältnisie,

Beobachten

ihre

Auflösung in die Bestandtheile, sowie ihre möglichst schlichte Darstellung, diese drei Tugenden kann der Jurist nur an den antiken Mustern lernen,

gerade wie der Bildhauer der Vorbilder

kann.

des Alterthums nicht entrathen

Es ist nicht das römische Recht, was wir lehren und lernen, sondern

die römische Beobachtungs- und Darstellungskunst. Mag immerhin

das Willensdogma

noch eine Weile eine Lücke des

Gesetzbuches füllen, wenn nur die Fühlung mit dem Boden der römischen Quellen nicht verloren geht.

Sie würde es,

Texte in den Grundgedanken ihres Rechts

ihrem Boden werden

sobald man glaubte,

diese

mißbilligen zu müssen.

Aus

und sollen die Gegner des Willensdogmas schließ­

lich doch noch die Kraft schöpfen,

um es auf demselben Felde zu ver­

nichten, aus dem es herausgewachsen ist.

Der Verfasser glaubt, seine Zuversicht in den unvermeidlichen Sieg

der von ihm verfochtenen Sache wenn

er

für

ihre

Wann der Sieg erreicht

er aber eintreten

nicht

besser

bekunden zu können,

Vorkämpfer jede Hülfe der

wird,

werden wird,

desto

Gesetzgebung

mag zweifelhaft sein.

gründlicher wird

er sein.

als

ablehnt. Je später

Jede Ueber-

stürzung würde ihn nur aufhalten oder zu einem ungenügenden machen. II.

Der Werth des Entwurfs im Ganzen. § 25.

Der Verfasser hat die Jrrthumslehre des Entwurfs hart angefochten.

Um so mehr fühlt er sich veranlaßt, zum Schlüsse hervorzuheben, daß -er das Gesetzeswerk als Ganzes keineswegs mißbilligt.

118

Er glaubt, — soweit dies in der Frist seit seinem Erscheinen möglich

war, — es ziemlich genau kennen gelernt zu haben, da er es sogleich in seine Pandektenvorlesung

überzeugt hat,

und sich davon

verwoben

Litteratur über das Werk hat er sich bemüht,

daß

Auch in der neueren

sich danach das Privatrecht recht gut lehren läßt.

die beachtenswerthen Ein­

wendungen von den grundlosen zu unterscheiden.

Um nicht gegen die Verfasser des Entwurfs ungerecht zu sein, muß man die beiden Fragen unterscheiden: Was ist wünschenswerth, und was

ist erreichbar? Daß der Entwurf für jeden selbständig

denkenden Juristen vielfach

sehr weit hinter demjenigen zurückbleibt, was er sich wünscht, ist ein un­

Der Entwurf kann nur dem Durchschnitte seiner

vermeidlicher Uebelstand.

nicht denjenigen,

Zeit genügen sollen,

andern Frage

weiter sehen

als

Vaterlandes sich Gehör zu verschaffen

einen oder in der

welche in der

dieser.

Daß auch

suchen,

sie zum Wohle des

ist nicht mehr

als billig,

aber sie dürfen sich nicht darüber beklagen, wenn sie es nicht finden.

Der

herrschenden Strömung

derer sein,

zu unterliegen,

welche durch besondere Arbeiten

wird

sich eine

stets

das Loos

besondere Einsicht

erkämpft haben.

strenge genommen,

Es sollte daher,

jeder Kritiker nur fragen,

ob

der Entwurf schlechter ist als dasjenige, was er verdrängt, das sind die

Gesetz- und Lehrbücher, nach denen bisher gerichtet wird. Ich glaube,

enthält unter

ihm

anhaften.

daß diese Frage verneint werden muß.

Der Entwurf

allen Umständen einen Fortschritt trotz der Mängel,

die

Selbst die vom Verfasser angefochtene Jrrthumslehre ist

zwar von Allem, was er bietet, am mindesten gelungen, aber immerhin

doch

nicht

derartig,

daß,

wenn der Entwurf mit ihr stünde und fiele,

ihretwegen sein Wegfall nöthig sein würde. Daß der Entwurf in stilistischer Hinsicht verbessert werden soll,

ein tief empfundener Wunsch.

ist

Allein selbst wenn dieses Begehren uner­

füllt bliebe, ließe sich zur Noth mit ihm auskommen.

Besser freilich würde es sein, arbeiten

ließe,

welche

messene Worte zu kleiden, Satzbildung

wenn man ihn von Männern über­

in der Kunst,

allgemeine Erörterungen in ange­

bewährt sind,

und Feinfühligkeit für

Anschaulichkeit,

Leichtigkeit der

den Wohllaut der Worte bewiesen

haben, also diejenigen Eigenschaften, welche an dem Entwürfe in minder

hohem Grade zu finden finb.178)

178) Daß sich in dieser Hinsicht von geübter Hand mit Leichtigkeit Verbesserun-

119 Unter allen Umständen aber müßte das Werk in die Hände eines

bewährten Anordnungskünstlers gerathen; denn, was die

gleichmäßige

Aufstellung des Stoffs und das Ebenmaß der Theile betrifft, so steht es

in manchen Theilen nicht einmal auf der Höhe der besseren Lehrbücher, welche unsere Literatur besitzt.179 * *)

Dieser Uebelstand würde aber in sehr

kurzer Zeit von jedem Sachverständigen beseitigt werden können. Sollte der Inhalt revidirt werden, so müßte dies durch neue Kräfte

geschehen, welche dabei nicht Richter in ihrer eigenen Sache sein würden. Daß der Entwurf zu römisch ist, scheint dem Verfasser kein Fehler.

Römisch und romanistisch sind ihm zweierlei; ebenso wie „germanistisch" und

„germanisch"

sich nicht immer decken.

man die silbenstechende,

Unter Romanismus versteht

überaus unrömische Art,

in welcher man in

früherer Zeit die lateinischen Rechtsquellen behandelt hat.

ist ein Künstler des schlichten,

nur allzu oft ein dialektischer Virtuose.

Spuren dieses Virtuosenthums

zeigen sich freilich auch in dem neuen Werke, auch in der Jrrthumslehre.

Der Römer

natürlichen Denkens, der Romanist aber so z. B., wie wir sahen,

Allein wie sollte es anders sein,

solange

die Ausartungen der „romanistischen" Methode in der Juristenwelt, aus der und für die das Gesetzbuch geschrieben werden mußte, noch nicht völlig überwunden worden sind? An Volksthümlichkeit der Ausdrucksweise läßt es das Werk aller­

dings durchweg fehlen, aber auch dies ist nur die unvermeidliche Folge des Zeitgeistes. Unsere Wissenschaft, die germanistische wie die roma-

nistische,

bewegen sich nicht immer in volksthümlicher Denk- und Rede­

weise, folgeweise kann es auch die Gesetzgebung nicht thun. Nicht ein Kampf Deutschlands wider Rom thut uns Noth, um zu besseren Rechts­

zuständen zu gelangen, sondern eine größere Berücksichtigung des leben­ digen Volkswohls gegenüber der lebensunkundigen Stubengelehrsamkeit, und zwar der germanistischen nicht minder als der romanistischen. Darüber sind auch wohl Alle einig; um aber in dieser Richtung an das Ziel zu gelangen,

bedarf es noch einer längeren Entwickelung.

Daß

schon die Verfasser an diesen Endpunkt unseres Strebens, welchen viel­ leicht erst die Enkel des lebenden Geschlechts erreichen werden, sollten, konnte nicht von ihnen verlangt werden.

than,

gelangen

Sie haben genug ge­

indem sie den Ablauf dieser unabsehbaren Bewegung wenigstens

gen anbringen lassen, beweisen die Gegenvorschläge von Zitelmann, Die Rechts­ geschäfte im Entwurf, Berlin, Guttentag, 1889, S. 161 ff. 179) Vgl. namentlich die Unterabtheilungen des ersten und des fünften Buchs.

120 nicht mehr, als nöthig war, verzögerten.

Gut Ding muß Weile haben.

Noch lange Zeit muß das Schiff der Rechtswissenschaft in der erwünsch­

und

steuern,

ten Richtung

auf dem Boden eines neuen,

einheitlichen

Gesetzbuches wird es besser diesen Kurs innehalten können, als in dem alten Wirrwarr,

in

dessen

zahllosen Schlupfwinkeln Spitzfindigkeit und

Wortklauberei ihren Lieblingssitz haben.180)

Was uns

schon jetzt eint,

ist die deutsche Rechtswissenschaft, und sie wird auch in Zukunft die An­

sichten der Juristenwelt nicht durch Zweideutigkeiten des Gesetzbuches aus­ einandersprengen lassen. Darum meint der Verfasser, werden soll;

ohne

daß der Entwurf zum Gesetze erhoben

am liebsten in verbesserter Gestalt, aber im Nothfalle auch

eine solche,

Willensdogmas,

am liebsten ohne eine ausdrückliche Anerkennung des

schlimmsten Falls aber auch mit ihr.

kurz muß dieses Dogma doch zu Grunde gehen,

auch

den

unter der Herrschaft

Ueber lang oder

und seine Gegner wer­

des neuen Gesetzbuchs im Streite nicht

erlahmen.18!)

Zu

guter Letzt möchte sich der Verfasser noch gegen den Verdacht

verwahren, als ob seine Bekämpfung des Willensdogmas einen Vorwurf

gegen die Hersteller des Entwurfs enthalten sollte. nichts Anderes thun,

Diese konnten wohl

als diese unhaltbare Lehre vorläufig anzunehmen.

Die Wissenschaft ist eben eine Größe, deren Inhalt unausgesetzten Aende­

Als der „allgemeine Theil" des Entwurfs end­

rungen unterworfen ist.

gültig festgesetzt wurde, stand, wenigstens in der Theorie, auf deren Bei­ hülfe der Gesetzgeber hinsichtlich seiner allgemeinen Formeln angewiesen

war, wie

das Willensdogma unangefochten da.

wir oben

werden, in

sahen,

damals

noch

Der Protest Bähr's ging,

zu weit und konnte nicht beachtet

entbehrte auch der Begründung aus den Quellen.

Gerade erst

den letzten Jahren seit jener Zeit ist eine lebhafte Bewegung in der

Vertragslehre entstanden.

Der Inhalt dieser Bewegung konnte bei der

180) Bähr, Krit. V.J.Schr. Bd. 31 S. 371, steht viel zu schwarz und be­ urtheilt namentlich die Literatur des Civilprocesses viel zu streng. Soweit unsere Wissenschaft noch an Verworrenheit leidet, wird sie sich schließlich doch zur Klarheit durcharbeiten müssen. Der Zug unserer Zeit strebt nach Deutlichkeit, Anschaulichkeit und Gemeinfaßlichkeit. Von ihm wird auch unsere Rechtslehre von Tage zu Tage im besten Sinne mehr und mehr erfaßt, und gerade deshalb darf ihr auch das neue

Gesetzbuch anvertraut werden. m) Vgl. auch Bekker, System und Sprache des Entwurfs, Berlin u. Leipzig 1888, S. 82, v. Liszt, die Grenzgebiete zwischen Privatrecht und Strafrecht, Berlin u. Leipzig 1889, S. 45.

121 ersten Lesung nicht mehr beachtet werden, da sie zum größten Theile erst

nach

dem Actenschlusse sich

ereignete.

Jetzt,

in zweiter Instanz,

muß

man zu ihren Gunsten ein beneficium novorum in Anspruch nehmen. Jedenfalls können die Gegner des Willensdogmas in dem Vertrauen

auf die Lebenskraft ihrer Lehre jeder, dung

auch einer ungünstigen Entschei­

in der großen Proceßsache „'Einzelwille contra Verkehrsgebrauch"

mit Ruhe entgegensehen.

XXIV. Machten des Herrn Rechlsanmatt Dr. Max Hachenburg zu Mannheim über die Frage:

Ist die im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches angenommene Behandlung der Pertinenzen zu billigen, oder eine Abänderung derselben wünschenswerth, und in welchem Sinnes

I.

Ein Gegensatz, der in der jüngsten Zeit bei den Besprechungen über Civilrecht des Deutschen Reiches oft betont wurde, der Gegensatz zwischen römischem und deutschem Rechte, ist auch bei der hier vorliegenden Materie der Pertinenzen unverkennbar. Nicht als ob sich

das künftige

zwei Systeme schroff gegenüberstünden; aber es sind zwei Strömungen vorhanden, eine ausdehnende und eine einengende, die historisch und quellenmäßig auf jene beiden Grundlagen zurückgehen. Wie auch die Motive (III S. 66) anerkennen, zieht sich durch das heutige Recht „ein Zwiespalt,

ist".

dessen Beseitigung im Interesse der Rechtseinheit unerläßlich

Gemeines Recht und Particularrecht stehen sich gegenüber, und das

moderne wirthschaftliche Leben drängt dazu, die particularrechtliche Idee zur reichsrechtlichen zu machen. Ob die Römer überhaupt einen dem heutigen entsprechenden Pertinenzbegriff hatten, wird bezweifelt !); jedenfalls sind die Normen des corpus juris, die hierauf bezogen werden, nur unvollständige Keime; zur Ent­

faltung des

Begriffes,

wie er sich

heute

gestaltete,

*) Goeppert, Ueber die organischen Erzeugniffe.

fehlte das wirth-

(1869) S. 55ff., 58.

123 schaftliche Bedürfniß,

fehlte auch, was beim Deutschen Rechte von so

tiefgreifendem Einflüsse war,

die scharfe Trennung von Mobilie und

Liegenschaft und ihren Rechten.

Die Zubehör im heutigen Sinne und der Sachbestandtheil figuriren unter gemeinsamem Namen als pars fundi, pars oder portio aedium2 3).4 Mag dies nur bedeutet haben, daß gewisse Kleinigkeiten als „Zugaben"

mit in den Kauf gingen/)

oder daß zwar ein sachlicher Zusammenhang

bestand, dieser aber mangels Interesses daran nicht deutlich erfaßt und hervorgehoben wurde,

jedenfalls

kein festes römisches Fundament,

gemeinrechtliche Wissenschaft

hatte die

auf dem sie aufbauen konnte.

Daher

zunächst das Zusammenwerfen von Sachbestandtheil und Pertinenz,

also

Dann arbeitet sich,

von

völliger Anschluß an die römische Lehre5).6

deutschrechtlichen Ideen nicht unbeeinflußt, der Gegensatz

von Sachtheil

und Zubehör heraus, allerdings mit oft kühnen Versuchen, das denselben bedingende

und

begründende

Moment

treffens.

zu

Die

Angriffe

Goeppert's, dessen Untersuchung in den Worten gipfelt: „in der That

halte ich die ganze heutige Lehre von den Pertinenzen für unbegründet",7) und Kritik vom rein römischen Standpunkte aus

und dessen Polemik

nicht unberechtigt war, vermochte den einmal anerkannten Pertinenzbegriff nicht mehr zu erschüttern. — Stets

aber,

und hier zeigt sich der nicht

zu beseitigende Einfluß der Pandektenstellen,

ist der Umfang

ein be­

Aus den vorhandenen Stellen konnte der Begriff inhaltlich, so wie er heute in Lehrbüchern und Urtheilen figurirt, entnommen werden. schränkter.

Der Umkreis

bleibt stets

Sprung hinausführt.

ein fest gegebener,

über den nur ein kühner

„Pertinenzen, sagt Windscheid, sind solche Sachen,

welche, ohne Bestandtheil einer anderen Sache zu sein, zu einer anderen

Sache in einem solchen Verhältnisse stehen, daß sie nach der Verkehrs­ auffassung als in dieser Sache begriffen angesehen werden", also eine

2) Kohler, Zur Lehre von den Pertinenzen, in Jhering's Jahrb. Bd. 26 S. 23 ff. 3) fr. 32, fr. 91 § 4 D. leg. III (32) fr. 33 D. a. e. v. (19,1), fr. 49 D. de c. e. (18,1), fr. 3 § 1 D. de trit. (33,6), fr. 12 § 23 D. de instr. leg. (33,7) u. s. w. 4) Goeppert S. 71. 5) So noch Glück, Pandekten II S. 524ff., Thibaut, Pandekten § 172. 6) Kierulff, Theorie des gem. Civilrechts IS. 330 ff., Waechter, Württemb. Privatrecht II S. 246, Unger, Oesterr. Privatrecht I S. 428 ff., Girtanner in Jhering's Jahrb. III S. 105, Windscheid, Pandektenr. I § 143 (6. Ausl. S. 461). 7) a. ö. O. S. 58.

124 Definition dem Worte nach ziemlich ähnlich der der modernen Gesetze und auch der des

Entwurfs.

Aber in der

Einzelausführung

bleibt

der

Pertinenzcatalog der von den Römern überlieferte; die zur Bewirthschaftung eines Grundstückes,

zur Ausübung

Hilfssachen, Maschinen u. dergl., sind

eines Gewerbes dienenden

nie Zubehörs; in keiner Weise

verlieren sie ihre Selbständigkeit. Hier

aber zeigt

sich

gerade der Gegensatz zum deutschen Rechte;

nicht in der formalen Begriffsbestimmung liegt er, in der Auffassung vom Wesen der Zubehör, sondern in dem Umfang, der den Zubehörden gegeben

wird.

Wo

die particulare Gesetzgebung eine Definirung enthält,

lautet

sie ähnlich wie die des gemeinen Rechtes. So sagt das preußische A.L.R.

(I, 2 § 42): „Eine Sache, welche zwar für sich bestehen kann, die aber mit einer anderen Sache in fortwährende Verbindung gesetzt worden, wird ein Zubehör oder Pertinenzstück derselben genannt. "§)

Noch mehr pan-

dekten-ähnlich das sächsische B.G.B. (§ 65): „Als Zubehörungen einer Sache werden Sachen

angesehen,

welche

ohne Bestandtheile zu sein, zu fort­

dauerndem Gebrauche bei ihr bestimmt und entweder körperlich mit ihr

verbunden

oder. in das

zu diesem Gebrauche erforderliche Verhältniß

gebracht sind." Das österr. B.G.B. (§§ 293, 294) und der code civil (a.a. 524, 525), die keine directe Definirung geben, kommen in ihren Regeln doch auf dasselbe begriffliche Verhältniß") hinaus; sie nähern sich

der früheren gemeinrechtlichen Auffassung durch den Mangel der scharfen

Trennung von den Sachbestandiheilen"). — Beide,

gemein- wie parti-

cularrechtliche Vorschriften stimmen darin überein, daß sie der Hauptsache eine „Hilfssache" beifügen, die rechtlich mit jener vereinigt ist, ohne es körperlich zu sein, daß sie eine besondere rechtliche Beziehung beider an­ erkennen, das Pertinenzverhältniß. Sie trennen sich aber dann, sobald es sich fragt, wann jenes Verhältniß gegeben ist, welche Objecte zu einem anderen in die pertinenziale Beziehung treten können. Hier zeigt die deutsche und ihr folgend die moderne Rechtsanschauung eine weitgehende

8) Windscheid a. a. O. Note 6 S. 463, Kohler, S. 147 u. die daselbst Citirten. 9) Förster-Eceius, Theorie und Praxis des heutigen preußischen Privatrechts, 4. Ausl. I. 1881 S. 123 ff. 10) S. österr. B.G.B. § 294: die der Eigenthümer zum fortdauernden Gebrauche der Hauptsache bestimmt hat", code civil S. 524: que le propriGtaire dun fond y a places pour le Service et l’exploitation de ce fond. n) Unger, Oesterr. Privatrecht S. 440, Stabel, Institutionen des französ. Civilrechts S. 104, Laurent, principes du droit civil t. V No. 460 ff.

125 Ausfüllung der Begriffsformel.

„Zusammenhängend mit

der vestitura

des Gutes" '2) rechnen schon früh die deutschen Rechtsquellen all die Mobilien zum Gute, die zu zweckentsprechender Nutzung nothwendig finb 12 13).14 Von industriellen Etablissements ist natürlich nicht die Rede,

aber beim

landwirthschaftlichen Betriebe wird das zur Bewirthschaftung nothwendige und bestimmte Inventar zum Gute gerechnet und nimmt Theil an seinen

Schicksalen.

Die heutigen großen Particulargesetze stehen auf demselben Das preußische A.L.R.

Standpunkt.

Casuistik über die Zubehörden.

verbreitet sich in ausgedehntester

Dabei laufen zwar manche Seltsamkeiten

mit unter, — so: „Gemälde, die in freier Lust aufgerichtet sind" (§ 74), — auch einzelne Unrichtigkeiten, — so wird z. B. (§ 45) der Zuwachs zur Pertinenz gezählt"), — im Großen und Ganzen trifft die Aufzählung das

Richtige: „als Pertinenzstücke eines Landgutes werden in der Regel alle

darauf befindliche Sachen angesehen, welche zum Betriebe des Ackerbaues und der Viehzucht gebraucht werden".

näher aus.

§ 48 und die folgenden führen dies

Gasthöfe und Fabriken behandeln die §§ 90 und 93; zu

letzteren gehören Maschinen und Geräthe, nicht auch die zu bearbeitenden Vorräthe. — Denselben Standpunkt nimmt das

österreichische B.G.B.,

verbunden mit dem Hofdekret vom 7. April 1826 ein15); „das auf dem

Gute befindliche Getreide, Holz, Futter, Geräth, Vieh, insofern dasselbe zur Fortsetzung des ordentlichen Wirthschaftsbetriebes erforderlich," gilt als

Theil des Gutes, und es giebt daher keine Mobiliarexecution in daffelbe. —

Der code civil a. 524 führt in erster Reihe als immeubles par destination die landwirthschaftlichen und gewerblichen Zwecken dienenden Fahrniffe auf.

Die hier benannten Objecte werden nur als Beispiele aufgezählt; die Praxis zweifelt nicht daran, daß eine Reihe ähnlicher Gegenstände dem­ selben Prinzip

unterstehen16).

Das sächsische B G B.

erwähnt nicht

minder in den §§ 69 und 70 die landwirthschaftlichen und gewerblichen Pertinenzen, allerdings keine allgemeine Formel gebend, sondern als speziellen Fall der Pertinenzen die bestimmten Objecte benennend n).

12) Heusler, Institutionen des deutschen Privatrechts I S. 358. 13) Dernburg, Pand. I § 77 Note 13 S. 174, Heusler a. a. O., Stobbe, Deutsches Privatrecht I §65 (2. Aufl.) S. 549, Kohler,^S. 132, Ueber das ältere französische Recht das. S. 134. 14) Förster-Eecius a. a. O. S. 124. 15) Unger S. 438. 16) S. die einzelnen Erkenntnisse bei Sirey-G-ilbert, codes annotes I a. 524. n) Ueber das wieder etwas einschränkendere Züricher G.B. s. Bluntschli, Privatrechtl. Gesetzbuch für den Kanton Zürich II S. 4 ff.

126 Es

wird

bei

der reichsgesetzlichen

Regelung der Materie

kaum

zweifelhaft sein, für welche von beiden Auffassungen zu entscheiden ist.

Es ist nicht die beliebige Willkür des Einzelnen,

welche die Pertinenz-

qualität schafft, es giebt keine gewillkürten Pertinenzen; sondern der ein­ heitliche Zweck, wirthschaftlichen

zusammenhält.

dem Hauptsache und Zubehör dienen, Struktur gemeinsam erstreben sollen,

den sie nach der ist

es, der sie

Sie werden diesen Zwecken gewidmet, und solange diese

Widmung besteht, ist eine Losreißung volkswirthschaftlich ungesund. Dies gilt aber nicht nur, wie die Römer anerkannten und die gemeinrechtliche Praxis annehmen mußte, von den der Benutzung der Hauptsache,

unproduetiven Gebrauche dienenden Hilfssachen,

ihrem

sondern wesentlich auch

dann, wenn die Hauptsache und mit ihr die Pertinenz Productionszwecken gewidmet ist.

Die Trennung der Maschinen von der Fabrik,

nahme des zur Bewirthschaftung des Landgutes

die Weg­

nöthigen Saatkornes,

Viehes, Ackergeräthes ist productionsschädlich, wirkt zerstörend. Des Weiteren bedarf heut — und auch dies Bedürfniß kannten die Römer nicht

— Fabrikation und Urproduction des Bodencredits.

Er

leidet, wenn jene Zersplitterung von Liegenschaft und Zubehör gesetzlich

statthaft ist, und wo die gemeinrechtliche Praxis den Versuch macht,

die

römischen Fesseln zu sprengen,18 19)20da ist es meist das zwingende Bedürfniß, den für den Wirthschaftsbetrieb nothwendigen Credit nicht zu unterbinden. Der Credit wird nicht dem Grundstück, sondern dem Etablissement gegeben, und deshalb müssen die einen wesentlichen Theil desselben bildenden Fahrnisse als Zubehörden der Immobilien, d. h. als Theil eines einheit­

lichen Ganzen

erscheinen und mit dem Grundstück als rechtliches, wenn

auch nicht factisches Stück desselben betrachtet werden. Kurz vor der Schaffung des französischen Civilgesetzbuchs hat der Jurist, dessen Schriften von dem bedeutendsten Einflüsse auf die Gestaltung des code civil wurden, Pothier, den unter der römischen Einwirkung

stehenden Zustand in Frankreich beklagt.^)

Der code civil hat in der

18) Für die spätere römische Zeit kommt auch das Generalpfandrecht, das auch das wirthschaftliche Mobiliar umfaßt, in Betracht. 19) S. z. B. O.A.G. Wolfenbüttel in Seuffert's Archiv 22 Nr. 158, O.L.G. Kiel das. 40 Nr. 178. 20) — Je ne puis m’empecher de temoigner qu’il serait ä, desirer qu’il y eüt une loi qui attachät au domaine d’une terre celui des bestiaux qui servent ä son exploitation“ (traite de la communautS No. 44). Laurent V No. 433 p. 539 und Kohler S. 1 nehmen die Ausführungen Pothier's zum Ausgange ihrer Darstellung. Sie sind in der That grundlegend für das französische Recht der Pertinenzen geworden.

127 oben beschriebenen Weise diesem Bedürfnisse Rechnung ähnliches

liegt

Begehren

dem

in

Ringen

getragen.

der Praxis des

Ein

gemeinen

Rechtes, in den Versuchen, wenigstens in den Executions-Gesetzen dem

Verkehrsbedürfnisse Rechnung zu tragen^).

Auf diesen Standpunkt stellt sich auch der Entwurf in den §§ 789,

791.

den allgemeinen Begriff der Zubehör ge­

Nachdem er im § 789

geben^),

führt der § 791

lich folgende auf.

als

hervorzuhebende Pertinenzen nament­

Es gehören

1. „zu dem Zubehör

eines

zu einem gewerblichen Zweck auf jbie

Dauer eingerichteten Gebäudes, insbesondere einer Mühle, eines Brauhauses,

einer Schmiede,

die dem

einer Fabrik auch

werblichen Zwecke dienenden Maschinen und

ge­

sonstigen Geräth-

schaften;

2.

zu dem Zubehör eines Landgutes das zum Wirthschaftsbetriebe bestimmte Geräth und Vieh, sowie die landwirthschaftlichen Er­

zeugnisse,

soweit sie zur Fortführung der Wirthschaft bis zu

in welcher

der Zeit erforderlich sind,

gleiche oder ähnliche Er­

zeugnisse voraussichtlich gewonnen werden, desgleichen der erfor­ derliche Dünger."

Es

acceptirt der Entwurf also die moderne deutschrechtliche Idee

vom Umkreis der Pertinenzen und

entspricht hierdurch

dem Bedürfniß

der heutigen wirtschaftlichen Betriebsverhältnisse.

II. Ist der Entwurf der Strömung des

erkennung der Zubehöreigenschaft des lichen Inventars treten,

gefolgt,

Gesetzbuches.

und gewerb­

war darin inhaltlich seiner Anordnung beizu­

so fragt es sich doch,

sprechende ist.

heutigen Rechtes in der An­

landwirthschaftlichen

ob die Formulirung dieser Idee die ent­

Der Entwurf folgt dem Systeme des sächsischen bürg.

An die Legaldefinition schließt er als besonders bewerkens-

werth die in § 791 benannten Objekte an;

diese Stelle

„bezweckt nicht

eine Erweiterung, sondern nur eine Verdeutlichung des Zubehörbegriffs".

Die übrigen vom sächsischen Gesetzbuch erwähnten Fälle, z. B. im § 68 Winterfenster, Löschgeräthe bei einem Wohnhause, hält der Entwurf offen­

bar nicht für erforderlich;

er hebt nur die in § 791

erwähnten

eben

wegen des oben geschilderten Zwiespaltes hervor. Damit gewinnt es nun 21) Kohler S. 89. 22) Ueber diesen § 789 alsbald das Nähere.

128 den Anschein,

als ob man diese Beispiele nur deshalb giebt, ja über­

haupt die Definition nur darum aufstellt, um jene römische Beschränkung des

Pertinenzkataloges zu

beseitigen.

Es

ist nicht

zweifelhaft,

Fensterläden Zubehörden des Hauses sind, darin stimmen systeme überein,

daß

alle Rechts­

ob aber die Maschinen zur Fabrik gehören, darüber

divergiren die Auffassungen, und darum die gesetzliche Regelung. Dabei wird

aber der Entwurf dem in der ausdehnenden Tendenz

liegenden Prinzip nicht völlig gerecht; er steht mit der Definition des § 789 noch im römischen Systeme, und seine Begriffsbestimmung lautet wie ein Satz eines Pandektenbuches; der § 791 ist eine Concession an das deutsche Recht, und er zeigt diese Eigenschaft auch deutlich. Dabei fragt es sich aber: wenn wir es wirklich mit Fällen der Zubehörden zu thun haben, müssen dann nicht diese eine bestimmte Gruppe bilden, und muß es nicht

möglich sein, den Gegensatz zur andern Gruppe hervorzuheben? der That giebt es zwei Arten von Pertinenzen,

dem gemeinsamen Begriffe unterordnen,

die

Und in

allerdings sich

die aber unter sich durch die

Verschiedenheit des die Pertinenz begründenden Zweckes verschieden sind.

Die vom römischen und vom gemeinen Recht als Zubehörden anerkannten Sachen, Dinge meist auch von geringem Werthe23), haben fast durchweg keinen productiven Zweck; sie werden mit Sachen, Mobilien wie Liegen­ schaften, verbunden,2*) um die Benutzung derselben in lediglich konsumtivem

Sinn,

ohne Hervorbringung eines neuen wirthschaftlichen Gutes zu er­

möglichen, zu erleichtern; sie sind wie die Hauptsache selbst unfruchtbar. Ihnen gegenüber stehen die mit der Hauptsache productiven Zwecken dienenden Zubehörden. Durch diesen Zweck erhält die Sache ein ihr eigenthümliches Gepräge; Fabrik und Mühle, Bergwerk und Landgut haben ihre wirthschaftliche Bedeutung, und die mit diesen demselben Re­

sultate gewidmeten Sachen werden ihre Zubehörden. solchen Zwecke, so fehlt es den Sachen,

Fehlt es an einem

die bei jenen Sachen Zubehör

sind, sowie sich in und bei anderen befinden, an der Zubehöreigenschast,

denn es fehlt dann an der wirthschaftlichen Einheit.

Das nur Wohn­

zwecken dienende Haus hat Pertinenzen nur, soweit dieser Zweck geht, soweit die Einrichtung nicht die Jndividualpersönlichkeit berührt, soweit die Zubehör, es mag das Haus bewohnen wer will, für jeden erforderlich ist.

Bäume in Kübeln, die der Hauseigenthümer auf seine Treppe stellt,

23) Goeppert, S. 70. 24) Einzelne wenige Fälle des Gegentheiles finden sich allerdings so z. B. fr. 17 § 11 D. (19,1) die Weinbergpfähle, obwohl hier das „fundi sunt“ stark auf die Vereinigung mit dem Grund und Boden hinweist.

129 sowie der auf ihr festgelegte Teppich

gehören nicht dem Hause, der all­

gemeine Wohnzweck ist erfüllt ohne dieselben; der Nachfolger benutzt die

Treppe ohne Läufer und ohne Bäume; aber ohne Läden, Schlüssel und Thüren ist die Erreichung des Zweckes der ordnungsmäßigen Benutzung

erschwert; sie gehören zum Hause.

Coneentrirter ist der Zweck bei den

productiven Pertinenzen.

Hier ist die Zahl derer, welche die Hauptsache, benutzen können, kleiner, der Kreis der Zubehörden ein erweiterter. Jeder Mensch kann ein Haus bewohnen,

einen Garten benutzen;

nur eine be­

schränkte Zahl vermag eine Fabrik, eine Brauerei zu gebrauchen. Mit der Jndividualisirung der Hauptsache durch den Zweck, dem sie

nach ihrer Beschaffenheit dient, wächst die Möglichkeit, Zubehörden zu haben; je specialisirter derselbe wird, desto größer die Menge der Zu­ behörstücke.

Ein Gebäude, das zur Fabrikation eines

ganz bestimmten

z. B. zur Herstellung von Anilin,

Artikels eingerichtet wird,

wird zum

Erreichen dieses Zweckes weit mehr einzelne Pertinenzen umfassen,

als

ein lediglich zu Fabrikzwecken, aber noch ohne Jndividualisirung errichtetes Bauwerk.

Sobald dieser

Productionszweck,

dieses

individuelle,

die

Hauptsache von allen andern dem gleichen höheren Begriffe angehörenden Etablissements unterscheidende Kennzeichen gegeben ist, wird das Charakte-

risticum der Zubehör leichter sein.

Daß eine Sache demselben Zwecke

wie die Hauptsache dient, ist erkennbar, wenn dieser Zweck ein indi­ viduell ausgeprägter ist.

hier von Bedeutung;

Der moderne Begriff des Etablissements wird

er schafft ein Ganzes im wirthschaftlichen Sinn

und damit die Nothwendigkeit für das Recht, die Zubehörmöglichkeit und

ihre Folgen anzuerkennen. Mehr instinctiv gefühlt als klar erkannt haben die Verfasser des code civil unsern Gegensatz. Es stehen hier die productiven Zwecken die­ nenden

Grundstücke den

andern

nicht productiven

Sachen

gegenüber

(a. 524 und a. 525), und während bei den letzteren die Widmung eine

„ständige"

Den

sein

Gegensatz

muß, kennt man bei

zu

den

im

a.

524

jenen

dies

Erforderniß

benannten Mobilien,

die

nicht. der

Landwirthschaft und dem Gewerbe dienen und durch diesen Zweck (Fexploitation de ce fonds) zu Pertinenzen werden, bilden die, „que le pro-

prietaire a attaches au fonds ä perpetuelle demeure“, bei denen also der Jndividualzweck fehlt, und bei denen die Eigenschaft der allgemeinen Be­

nutzbarkeit der Hauptsache, nicht dem persönlichen Bedürfnisse zu dienen, durch die Dauer der Verbindung hergestellt werden muß. Daher auch

bei der ersteren Gruppe, die jeweils den festen wirthschaftlichen, die Einheit

schaffenden Zweck hat, eine klare Darstellung, die in Theorie und Praxis Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. HI.

9

130 Zustimmung findet, daher aber bei der zweiten, weil jenes Moment fehlt, die Schwierigkeit der Abgrenzung und die Mängel des Gesetzes23). — Es ist dabei daran festzuhalten, daß nur die der Erreichung desselben

Zweckes, wie die Hauptsache dienende Hilfssache Zubehör wird;

folgt, daß als solche nie die Objecte erscheinen,

hieraus

welche Gegenstand der

Arbeit oder ihr Resultat sind. Daher auch correct das preußische A.L.R.

(I 2 § 93) als Pertinenzen der Fabrik nicht „die vorräthigen Materialien oder

in Arbeit befindlichen und noch weniger die bereits verarbeiteten Sachen" Und ebenso folgerichtig

anerkennt.

giebt das sächsische B.G.B. und der

Entwurf nur den landwirthschaftlichen Erzeugnissen Pertinenzeigenschaft,

„die zur Fortführung der Wirthschaft erforderlich sind", also wiederum

der Production direct oder inbirect25 26)

dienen.

Es

bedarf dies

aber

keines besonderen Ausspruches im Gesetz, denn es ergiebt sich, sobald das Princip feststeht, die Parallele zwischen Haupt- und Hülfssache, der beiden gemeinsamen Zwecke im menschlichen Culturleben; wenn, wie weiter unten

zu zeigen, das juristische Wesen der Pertinenz darin besteht, daß sie das rechtliche Schicksal der Hauptsache theilen soll, soweit nicht Rechte Dritter es vereiteln, so kann dies nur daraus folgen,

daß beide dieselbe Auf­

gabe haben, so daß ihr Auseinanderreißen ein wirthschaftlicher Nachtheil wäre.

Es

ist

ferner geboten,

keine Beschränkung durch

enunciativer Weise eintreten zu lassen.

Aufzählung

in

Zwar die einzelnen Etablissements

im tz 791 Z. 1 sind nur Beispiele, einengend aber wirkt das Wort „Gebäude". Denn nicht immer bei Grundstücken,

die

productiven Zwecken

dienen,

sind Bauten errichtet; es fiele ein Bergwerk, ein Steinbruch weder unter Z. 1 noch unter Z. 2, obwohl auch bei ihnen dasselbe Princip zu gelten hätte. Ebenso können auch Fälle eintreten, bei denen die „Maschinen

und sonstigen Geräthschaften" nicht völlig ausreichen, und die Frage wird

aufgeworfen werden,

ob nicht im einzelnen Falle

grundstück umlaufendes Capital Zubehör wird,

einer Maschine doch

bestimmten,

auch wieder dem

besonders

Gewerbezweck,

auch

beim Gewerbe­

etwa die zur Speisung

gearteten Feuerungsmittel,

die

der Herstellung des Productes

bieneit27).

25) S. hierüber Laurent t. V no. 440, Demolombe, cours du droit civil, t. V no. 257 ff., Kohler S. 157. 26) Als Futter für das zur Wirthschaft nöthige Vieh. S. Urtheil des Apellhofs Bordeaux bei Dalloz v° biens no. 102. 27) Die positiven Vorschläge f. am Ende.

131

III. Wie aus dem vorstehend Dargelegten sich ergiebt,

hat durch die

Erfassung des Wesens des Etablissements der Pertinenzbegriff eine erhöhte

Bedeutung, eine weitere dem gemeinen Recht unbekannte Gruppe erhalten. Die legislatorische Verwerthung ist für die Formulirung der Vorschläge (s. unten V.) aufgespart.

Hier

handelt es sich zunächst um die Dar­

stellung des für beide Gruppen maßgebenden, sie beide umschließenden

Pertinenzbegriffs, dessen Aufstellung der Entw.Z789 versucht. Daß überhaupt eine Legaldefinirung gegeben ist, wird durch den Zweifel über die Einzel­

heiten begründet (Motive S. 61).

Wesentlicher als dieses

Moment,

das sich noch bei einer Reihe anderer Materien nachweisen läßt, dürste sein,

daß aus der Begriffsbestimmung

gleichzeitig die Entstehung der

Pertinenzqualität, ihre Schaffung und Vernichtung folgt, und der Inhalt

des § 789 nicht nur beschreibender, sondern auch disponirender Natur ist.

Er lautet: „Zubehör einer Sache sind diejenigen beweglichen Sachen, welche, ohne Bestandtheile der Hauptsache zu sein, derselben bleibend zu dienen bestimmt und in ein dieser Bestimmung entsprechendes äußeres Verhältniß zur Hauptsache gebracht sind, es sei denn, daß nach der Verkehrssitte eine solche Sache nicht als Zubehör ange­

sehen wird.

Ein Zubehörstück verliert diese Eigenschaft dadurch nicht, daß es nur zu einem vorübergehenden Zwecke von der Hauptsache ge­

trennt wird."

Es wird nicht schwer fallen, aus dieser Bestimmung den eigentlich definirenden Theil von dem die Vorschriften für die Entstehung der

Pertinenzen gebenden zu sondern.

Es wird sich ergeben,

daß jene sich

auf einige wenige Worte redueiren, die schließlich auch entbehrlich sind. Der Abs. 2 enthält lediglich eine Disposition; er giebt an, wodurch

die Zubehöreigenschaft nicht verloren werde, und hierdurch Anhalt für die Beantwortung der Frage, wann dies ja der Fall ist.

Trennung der

Zubehör zu einem nicht nur vorübergehenden Zwecke löst die pertinenziale

Beziehung.

Hierdurch

schon liegt der Gedanke nahe,

daß der Abs. 1

die Norm über die Entstehung der Pertinenz als solcher enthalte.

Folgt man der Anordnung der gesetzlichen Definirung, so ergiebt sich, daß Zubehör 1. eine bewegliche Sache ist, die 2. nicht Bestandtheil

einer

anderen sein darf,

aber 3. ihr bleibend zu dienen bestimmt ist, 9*

132 4. sich

deshalb

entsprechenden Verhältniß zu dieser

in einem äußeren

befindet, ohne daß 5. die Verkehrssitte die Zubehöreigenschast versagt.

Die Zubehör kann nur eine bewegliche Sache sein. die verschiedenen Rechtssysteme

sind

Ob man Grundstücke oder nicht, ist

Frage; sie

hängt von

Liegenschaft,

anerkennen will

als Zubehör anderer Grundstücke

keine aus

der Pertinenz

dem Wesen

der Auffaffung

insbesondere

von

dem

Bekanntlich

hierüber verschiedener Meinung?") zu

beantwortende

des positiven Rechtes von

Grundbuchsrecht

System des Entwurfs folgt als Consequenz,

ab.

Aus

der dem

daß bei Durchführung der

Grundbuchsordnung das praktisch richtigere ist, keine Jmmobiliarpertinenzen

anzuerkennen; Einheit, und

entweder bilden die angeblich mehreren Grundstücke eine

so Hofraum und Haus,

sind

eine

Liegenschaften,

einzige Sache;

ein Blatt im Grundbuche

es sind

wirklich mehrere getrennte

dann hat jede ihr besonderes Blatt und damit ihr selb­

Auch wenn das Gesetz jene Beschränkung der Zu­

ständiges Schicksal.

behör

sie haben

oder

auf Fahrniffe

gefolgert werden.

nicht hätte,

müßte sie

aus dem Grundbuchsrechte

Sie hat aber mit der Begriffsbestimmung der Perti­

nenzen nichts zu thun; sie ist eine aus praktischen Gründen zur Erleich­ terung

des Grundbuchsrechtes

die ebensowohl bei

getroffene Vorschrift,

diesem als bei der Pertinenzlehre ihre Stelle finden dürfte. Die als Zubehör geltende Sache darf kein Bestandtheil der Haupt­ sache sein.

Die Unterscheidung von Sachtheil und Pertinenz ist richtig;

denn der Sachtheil hat überhaupt keine selbständige Existenz, er geht in der Hauptsache auf.

Er existirt als besonderes Object nur im Begriffe,

factisch ist nur eine Sache vorhanden, deren Theile logischer Weise ein­

heitliche Schicksale haben.

Die

Pertinenz

besteht

selbständig,

es

sind

factisch mehrere Sachen gegeben, und die Einheit existirt nur begrifflich?") Wann aber

ist jener Gegensatz vorhanden,

wo hört

der Sachtheil auf

und fängt die Zubehör an? Die allerdings einfachste Antwort hierauf,

die lediglich auf physische Cohärenz sieht/") ist falsch; denn es giebt eine Reihe von Objecten, deren Pertinenzeigenschaft als zweifellos anerkannt ist, und die dennoch mehr oder minder fest mit der Hauptsache verbunden

28) Goeppert S. 65, Dernburg § 77 Not. 5 S. 173, Förstcr-Eceius I S. 123 ff., III S. 353, O.L.G. Karlsruhe in Puchelt's Ztschr. f. frz. C.R. 12 S. 224, Urtheil des Reichsgerichts v. 3. Juli 1886 in Gruchot'sBeitr. 31 S. 94. 29) Die einzelnen Folgen dieses Gegensatzes f. bei Kohler S. 45 ff. 30) Marcade, Explic. du code civil II no. 350 p. 330. Dagegen Laurent a. a. O. Nr. 477, Kohler S. 31.

133 sind?') Unzutreffend ist auch der Versuch, einen Gegensatz aus dem Verhält­ niß zur Hauptsache abzuleiten und Bestandtheile die zu nennen, welche inte-

girende Theile der letzteren sind, die zur Vollendung derselben bienen,31 32) wäh­ rend die Zubehörden der Hauptsache beigefügt sind, weil diese sonst ihrer

wirthschaftlichen Bestimmung nur unvollkommen entsprechen würde. tive zu § 789 des Entwurfs.)

zeigt, daß

nöthig sind,

es

eine Reihe von Zubehörden

giebt,

die zur Vollendung

und ohne welche die Hauptsache unbrauchbar wäre.

möchte einen Koffer,

(Mo­

Ein Blick auf den Pertinenzcatalog

ohne Schlüssel,

eine Cassette

Ruder? Und ist die Ornamentik eines Hauses,

Wer

einen Nachen ohne

der Balcon oder Erker,

der zweifellos Sachtheil ist, zur Vollendung nöthig? Die scharfe Polemik

Göppert's gegen diese Formulierung ist völlig begründet; eben keine feste Grenze ziehen.

es läßt sich

Nur der einzelne Fall kann bestimmen,

ob Sachtheil, ob Pertinenz, und damit tritt ein Factor in den Vorder­ grund, den der § 789 sehr stiefmütterlich nur als negirendes Element

behandelt, die Verkehrsauffassung.

Sie ist es, die in Zweifelfällen sagt,

ob ein Object seine factische Selbständigkeit verlor oder ob es sie behielt, also besondere Rechte daran möglich sind.

Die Mobilie muß der Hauptsache bleibend zu dienen bestimmt sein. Hier ist das „bleibend" nicht einwandsfrei.

Wie oben angeführt, kennt

das französische Recht dies Erforderniß nicht für die „destination agricole et industrielle“;33) das „bleibend" hat Bedeutung als Erkennungs­

zeichen für die Absicht, daß ein Zubehör geschaffen werden sollte,

wenn

diese sich nicht aus dem productiven Zwecke ergiebt, nothwendig aber ist

diese Folgerung nicht. Auch hier muß auf die Auffassung des Verkehrs ver­ wiesen werden. — Zweifel erregt auch die Formulirung, daß die Zubehör

„der Hauptsache diene".3^) - Hier ist denklich.

allerdings

nur der Ausdruck be­

Nicht der Hauptsache dient die Zubehör,

sondern mit jener

einem gemeinsamen Zwecke in der menschlichen Wirthschaft. Die richtige Fassung ist nothwendig, weil sonst auch die richtige Auffassung vom Wesen der Pertinenz erschwert ist. Weil sie demselben Zweck wie die

31) Das sächs. B.G.B. § 65 hat die körperliche Verbindung sogar ausdrücklich in die Definirung ausgenommen. S. auch a. 525 des code civil. 32) S. hiergegen schon Goeppert S. 59; dortselbst die näheren Citate. Oben I Not. 6. 33) S. insbes. Laurent V no. 434 ff. p. 54 und das Beispiel der Hammelheexde „pour fertiliser le fonds“, obwohl der Eigenthümer die Absicht hat, beide energischen Mittel anzuwenden. 3*) Kloeppel in Gruchot's Beitr. 39 S. 651.

134 soll sie von ihr

Hauptsache gewidmet ist, theilt sie auch ihre Schicksale, nicht getrennt werden.

Dieses Moment aber führt schon bedeutend auf

den Lispositiven Teil, auf die Entstehung der Zubehör, dem das folgende

Stück, das Hervorbringen der Pertinenzeigenschaft durch Herstellung des entsprechenden

äußeren Verhältnisses

völlig

angehört.

Mit der Frage,

was eine Zubehör ist, hat die Frage, wann sie als vorhanden anzusehen

ist, nichts zu thun, ebenso wenig wie mit der nach der Beendigung. Für die Definirung bleibt einmal nur der negative Theil, daß die

Pertinenz kein Sachtheil sein darf; wenn aber die vorhergehenden Para­

graphen von diesem handeln, der § 789 von der Zubehör spricht, dann

Für die Wissenschaft muß

ist dieser Satz wohl hieraus selbstverständlich.

er stets betont werden,

legislatorisch ihn ausdrücklich hervorzuheben ist

unnöthige Belastung. — So würde die Definition auf die Verkehrsauf­

fassung reducirt, wobei allerdings ein Satz: „Zubehör ist, was nach der als

Verkehrsauffassung

solche

also was im einzelnen

angesehen wird",

Falle der Richter unter Würdigung

der Sachlage hierfür erklärt,

für

eine Definition

von besonderer Bedeutung

ist,

eben­

Was aber

falls auf besonderen Werth keinen Anspruch machen könnte.

das Erkennenlassen

der rechtlichen Natur des betreffenden Institutes, das, was diese auf solche Weise unserer

beschriebene Sache

vor

Legalbestimmung.3')

der

anderen

Erklärt

hervorhebt,

man es

für

dieses Moment aus der disponirenden Norm ergeben, gegen

einzuwenden,

nur bedarf

es

alsdann

noch

das

unnöthig,

fehlt bei

soll sich

so ist nichts da­

weit weniger einer

Legaldefinirung. Es führt das Vorstehende daher zu dem Resultate, der mehr

beschreibenden als

Abs. 1 eine Regelung der Entstehung der Zubehör treten sollte. denn auch das positive Moment der Beschränkung kann insbesondere

daß an Stelle

begriffsbestimmenden Vorschrift des § 789

Hierbei kann

auf die Mobilie,

es

aber auch die Frage gelöst werden, wer der Mobilie

diese Eigenschaft geben darf.

Nach

der

bisherigen Fassung

des Ent­

wurfes ist hierüber nichts bestimmt35 36), und man wird diese Fassung beizu­ Wählte man einen positiven Wortlaut, wonach nur

behalten wünschen.

der

Eigenthümer

befähigt

ist,

jenes Rechtsgeschäft der Pertinenzirung

35) Sei Windscheid's Definition (f. oben) liegt correct der Schwerpunkt neben der Unterscheidung von Sachtheilen darin, daß die Zubehör „nach der Ver­

kehrsauffassung als in dieser Sache begriffen angesehen werden".

Aehnlich Dern-

burg a. a. O. S. 172.

36) Cosack, Das Sachenrecht des Entwurfs in Bekker's und Fischer's Beiträgen

Heft 13 S. 3.

135 vorzunehmen, dann tauchen alsbald wieder eine Reihe von Zweifeln auf,

ob nicht für den

einzelnen Fall Ausnahmen möglich sind,

des code civil

Gebiete

Rechtens,

eintrat.37)

daß die Pertinenzirung

wie dies im

und anerkannten

ist zweifellos

Es

rechtlichen Beschaffenheit der

an der

Sache nichts ändert; dies schließt aber nicht aus, daß nicht dennoch das Zubehörverhältniß eintrete,

allerdings unvollkommen und jederzeit durch

die Rechte des Dritten bedroht.

Es wird in den seltensten Fällen der

Miether und Pächter die Absicht haben, eine Sache dem Hause dauernd

zu widmen,

was er einbringt,

allein es sind

ist für seinen Gebrauch;

dennoch Fälle denkbar, in denen jene Absicht vorwaltet,

und auch diese

muß das Gesetz anerkennen; namentlich wird dies dann geschehen, sobald

an

einer verlorenen Zubehör der Detentor,

Stelle

des

Kenntniß

eine

Eigenthümers,

andere

auch

wenn

Pertinenz

ohne Oder

schafft.

möchte Jemand bezweifeln, daß der neue Hausschlüssel zum Hause gehört

und

Verlassen

beim

gesetzte

Resultat,

der

dürfe

für den verlorenen Ersatz geben, ist

also

die

als

wünschenswerth,

Abs. 1

abzuliefern

Wohnung

der Miether

daß

des § 789

diesen

ist?

wäre unbillig und

eine

Bestimmung

entsprechend

dem

in

entgegen­

Das

mitnehmen,

müsse

unbrauchbar.

das

Abs. 2

Gesetz

aber

Es

trete,

die Entstehung

der Zubehör regelt und die Frage, wann liegt eine Pertinenz vor,

be­

Sie wird die Herstellung des räumlichen Verhältnisses sowie

antwortet.

die Absicht, die Mobilie dem Zwecke der Hauptsache zu widmen, zu berück­ sichtigen haben und

gleichzeitig auch

diesen Zwecken wiederum

in

der

oben (II.) versuchten Weise gerecht werden müssen. Die Bestimmung des Begriffes

der Zubehör wird man nach Fest­

setzung ihrer Entstehung und nach der alsbald zu erörternden Erklärung ihrer Rechtswirkung der Wissenschaft überlassen dürfen.

IV. Ueber die Rechtsnatur des Pertinenzverhältnisses enthält der Ent­

wurf keine Normen;

Alles,

auch die Motive schweigen darüber.

was

das Gesetz giebt, ist die Jnterpretationsregel des § 790:

„Das

eine Sache

erstreckt sich Zeit des

betreffende Rechtsgeschäft unter Lebenden

im Zweifel auch auf diejenigen Sachen,

Abschlusses

des

Rechtsgeschäftes

Zubehör

welche zur

jener Sache

sind".

37) Aubry et Rau, cours du droit civil t. II p. 12 ff. V no. 208.

Demolombe

136 und die Motive (S. 61, S. 63)

auch,

berichten

daß sie

in der Auf­

stellung derselben die Bedeutung der Normen über die Pertinenzen sehen.

wird ausdrücklich hervorgehoben,

Es

rechtliche Geschäfte

diese Regel habe für sachen­

nicht die Bedeutung, daß das an der Sache begrün­

dete Recht sich ohne Weiteres auf die Zubehör erstrecke.

eines Grundstückes

lassung

den Pertinenzen erworben,

vollzogen

gabe

Auch bei Auf­

sei mit dieser noch nicht das Eigenthum an es sei denn,

daß die hierzu nöthige Ueber-

sei

Daß die Hypothek die Pertinenzen mitumfaßt,

sei.

Besonderheit des Hypothekenrechtes^

So

zutreffend

die

des § 790,

gesetzliche Auslegungsregel

obligatorischen Bedeutung die Zubehörden mitergreife, der

negative Inhalt

wiedergeben.

Man

mand ein Anwesen,

ja so

daß der Vertrag über eine Sache in seiner

selbstverständlich es fast ist,

des Gesetzes,

nehme

wenigstens

so

so

bedenklich

den praktisch einfachsten Fall:

Haus oder Fabrik,

das

ist

wie ihn die Motive

es kauft Je­

ihm von dem grundbuch­

mäßigen Eigenthümer aufgelassen wird; der Eintrag ist ebenfalls erfolgt. Ehe auf.

die Fabrik übernimmt,

er das Haus bezieht,

taucht ein Vindicant

Das Grundstück kann dem Erwerber gemäß § 834 nicht mehr ent­

rissen werden, falls er nicht das Recht des Dritten kannte; die Zubehör­

den der Immobilie aber dürfte dieser, den Motiven

zufolge,

noch

fort­

nehmen, also consequent die Schlüssel zu den Thüren, die in den Nischen

stehenden Figuren, die Maschinen u. s. w. nackte Gebäude,

Dem Erwerber

bliebe das

das hierdurch für ihn im Werthe einbüßt,

oder,

man

denke an die Fabrik ohne Maschinen, unbrauchbar wird, dem Vindicanten

die

losgelösten

kann.

Wie

mit

Mobilien,

oben

betont,

ist

denen es

er

ebenfalls

nichts

gerade der wesentlichste,

anfangen

das neuere

Gesetz durchziehende Gedanke, die Einheit von Hauptsache und Pertinenz zu erhalten,

scheint.

weil die eine ohne die andere wirthschaftlich

Trennung

werthlos er­

von Zubehör und Hauptsache durch das Recht ohne

durchgreifenden Grund hieße,

„einen

zu

einem bestimmten Zwecke her­

gestellten Organismus zerstören";^) gelangt man nach der von den Mo­ tiven

vertretenen Meinung zu einem solchen Zersplitterungsresultate,

so

kann dessen Grundlage nicht die richtige, dieses System nicht wirthschaft­ lich brauchbar sein.

Nach

dem Entwürfe

beschränkt

sich

die Bedeutung

begriffs auf das obligatorische Rechtsgeschäft;

des Zubehör­

seine Regel stützt sich auf

eine vermuthete Absicht des über die Hauptsache Disponirenden und da-

3d) Kohler S. 151.

137 her auch den gleichzeitlichen

gleichheitlichen Gebrauch der Bezeichnung

„Nebensache" in den Motiven.

Auf die Nebensache allerdings paßt jene wenn dieses Wort

Beschränkung ihrer Bedeutung als Auslegungsregel,

überhaupt juristisch brauchbar ist39)40 41 Die42Bedeutung 43 der Zubehör, wenn anders sie ihren Zweck erreichen soll, muß eine weilergehende sein.

In den Lehrbüchern des Pandektenrechts wird die Folge der Perünenzqualität einer Sache dahin formulirt, die Hauptsache auch die Zubehör ergreife.49)

daß jede Verfügung über

Unterscheidungen zwischen

obligatorischen und dinglichen Rechtsacten sind

hierbei nicht gemacht.

Bei den oben besprochenen Mängeln der Quellen in unserer Materie

wird

hier nicht viel zu gewinnen sein. — Das preuß. A.L.R. stellt ein

noch

allgemeineres Princip

bei der Hauptsache sind,

auf.

„Pertinenzstücke

nehmen, solange sie

an allen Rechten derselben Theil."

Es folgt

aus dieser Anschauung, daß die Besitzergreifung der Hauptsache auch den Besitz der Pertinenz giebt (I 7 § 52),

falls diese nicht im wirklichen Be­

sitz eines Dritten ist/') daß mit der Hauptsache die Zubehör ersessen ist u. s. w. — Während das österreich. B.G.B. und der code civil keine directen Regeln geben,

aber aus der Darstellung und der Annahme der

Jmmobilisirung der Zubehörden durch den Zweck,

dem sie dienen,

die

Rechtslehre ein ähnliches System folgert/3) hat das sächs. B.G.B. wieder eine

ausdrückliche Bestimmung:

„Rechtliche Verfügungen

über

eine

Sache erstrecken sich ohne Weiteres auf deren Zubehörungen" (§ 66).

Soviel läßt sich

jedenfalls

aus dem fest bestehenden Rechte ent­

nehmen, daß man überall dem Zwecke der Pertinenzen Rechnung zu tragen und ihre Trennung von der Hauptsache als wirthschaftlichen Fehler zu vermeiden sucht.

Dies geschieht aber eben dadurch, daß nicht

nur wie bei Haupt- und Nebensache die Vermuthung des Contractwillens

vom Gesetze aufgestellt wird,

sondern, daß rechtlich ein dingliches Ver­

hältniß zwischen Hauptsache und Zubehör anerkannt ist/3) eine sachen­ rechtliche Beziehung, hervorgerufen und erhalten durch den Zweck,

den

beide Objecte gemeinsam erreichen wollen. Daß ein dingliches Verhältniß besteht, ergiebt sich,

sobald man die

39) Windscheid I § 143 a. E. S. 464. 40) Kierulff a. a. O. S. 437 f., Windscheid a. a. O., Dernburg I § 77 S. 172. 41) Förster-Eccius III S. 45, Entsch. des Ober-Tribunals Bd. 23 S. 69, S. 79. 42) Unger, Oesterr. Privatrecht IS. 440, Laurent, principes t. VNo.440 ff. 43) So auch Kohler S. 3, S. 67 ff.

138 processuale Gestaltung des praktisch wichtigsten Falles, die Pfandbelastung

eines Grundstücks betrachtet.

Nach allen Rechten,

auch nach dem Ent­

würfe (§ 1067, Z. 3) umfaßt die Hypothek an der Liegenschaft auch die

Zubehörungen berfe[6en.n) Findet die Veräußerung der ganzen Liegenschaft statt, so wandert, mag auch der Verkauf im Vollstreckungswege erfolgen,

die Mobilie mit der Liegenschaft, ohne daß hierbei ihre Rechtsnatur be­ sonders hervortritt. Wenn aber ein Zugriff auf die Mobilie allein, im Wege der Fahrnißpfändung erfolgt,

dann tritt das dingliche Recht,

Zusammengehörigkeit der beiden Sachen in Activität.

die

Der Pfandgläü-

biger ist befugt, die Widerspruchsklage gemäß § 690 C.P.O. zu erheben.") Er hat also ein die Veräußerung der Fahrnisse,

separirt von der Im­

mobilie, verhinderndes Recht und zwar als Ausfluß seines Sachenrechtes an dem Grundstücke.

Er hat nicht so viel Pfandrechte, als factisch selb­

ständige Gegenstände vorliegen,

denn in diesem Falle müßte ihm die

Klage auf vorzugsweise Befriedigung

Fahrnißstücke zustehen.

aus dem

gepfändeten

einzelnen

Diese Klage wird meist ausdrücklich versagt.

Sie

hätte auch wieder die vom Rechte perhorrescirte wirthschaftliche Zer­

splitterung zur Folge. Veräußerung

Sonach bleibt nichts,

als den Grund dieses die

hindernden Rechtes des Hypothekengläubigers in dem Zu­

sammenhänge von Hauptsache und Zubehör zu

sehen.

Die Klage aus

§ 690 C.PO. ist der Rechtsschutz dieses dinglichen Rechtsverhältnisses, die Auf­ rechterhaltung der Zweckbeziehung, in welche die Mobilie durch die Pertinenzirung zur Hauptsache gesetzt wurde. Schüfe diese nur das lose Band,

das der Entw. § 790 andeutet, gäbe sie nur Anhalt für die Interpretation

des

obligatorischen Willens,

dann wäre nicht einzusehen,

woher von

diesem Standpunkte

aus der Hypothekengläubiger und jeder an der Sache dinglich Berechtigte sein Widerspruchsrecht ableiten will. “) Ueber die Ausnahme des sächs. B.G.B. (§ 411, 412) für Theile des landwirthschaftlichen Inventars s. Kohler S. 162, Opitz, Gutachten über den Entwurf e. B. G.B. f. d. Deutsche Reich (1889) S. 41. 45) Urtheile des Reichsgerichts v. 15. April 1887, Entsch. 17 S. 323, des O.L.G. Karlsruhe, bad. Annalen 49 S. 164, O.L.G. Cöln in Rhein. Archiv 73 II S. 57. Preußische Subhastationsordnung § 206. Ueber das österr. Hofdecret v. 7. April 1826 s. Unger I S. 478. Ueber den französischen Proceß c. a. 592 des code de proc. s. CarrG et Chauveau, proc. civ. IV p. 710. Es ist hier­ nach überhaupt die Mobiliarexecution in die Pertinenz für unstatthaft erklärt, und nicht nur ein Widerspruchsrecht des Hypothekengläubigers statuirt. Der deutsche Civilproceß kennt dies nur für die laudwirthschaftlichen Betriebe, H 715 Z. 5 und sieht hier mehr auf die Competenzfrage. Ueber einzelne Etablissements s.

Kohler S. 93 Not. 193 u. 194.

139 Aus diesem Gesichtspunkte ergiebt sich die ganze Struktur der Per­ tinenz; sie ist factisch kein Theil der Hauptsache, aber juristisch ist sie es;

sie hat zwar „ein selbständiges Dasein, aber keine selbständige Bedeutung"Sie hört nicht auf, besonderes Rechtsobject zu sein, sie wird aber in eine

solche Beziehung zu einer anderen Sache gesetzt, daß für das Recht diese Thatsache der Selbständigkeit zurücktritt.

Hauptsache sind

Die rechtlichen Vorgänge für die Nicht weil die

rechtliche Vorgänge für die Pertinenz.

Parteien es so wollen, sondern weil das Gesetz es so will, tritt dieselbe juristische Thatsache gleichzeitig für Pertinenz wie Hauptsache ein.

also

Was

der § 1067 Z. 3 des Entwurfs nur für das Hypothekenrecht be­

stimmt,

was die

Prinzips

und

Motive

als

Ausnahme hinstellen,

ist

Ausfluß

muß für alle anderen dinglichen Nechtsacte gelten.

des Mit

Auflassung und Eintragung muß, wenn hierdurch das Eigenthum an der Liegenschaft erworben wird, auch das Eigenthum an den Pertinenzen er­

worben sein u. s. w. Der § 1067 Z. 3 schließt von dem Pfandrechte des Gläubigers die

Zubehörden

die „nicht in

aus,

Grundstückes gelangt sind".

die nicht Eigenthum des Grundeigen-

bei der Pertinenz,

eines Dritten

thümers ist,

das Eigenthum des Eigenthümers des

Hier also, beim Zusammenstoß des Rechtes

mit der Hypothek am Ganzen geht das erstere vor. diese Stelle so aufzufassen haben,

wird jedenfalls

Man

daß der an und für

sich statthaften Klage des Dritten nicht seitens des Gläubigers opponirt

werden dürfe, aber,

die Sache

sei Zubehör und

daß auch der Schuldner sich

also ihm verpfändet,

hierauf berufen und

nicht

die Ausnahme

der Pertinenzen von dem Pfandnexus und Zugriffe fordern darf; dies ist

und bleibt lediglich Befugniß des dritten Eigenthümers. es sich, ob darin

ein Princip gefunden werden darf,

Hier nun fragt das analoge An­

wendung findet auf die anderen dinglichen Verträge, oder ob für diese, insbesondere den Eigenthumserwerb etwas Anderes gilt und gelten soll.

Angenommen, es sind in einem Hause Zubehörden,

an denen der Ver­

käufer sich bis zur Zahlung des Preises das Eigenthum vorbehält;

wie

soll es beim Verkaufe des Hauses gehalten werden, bei dem von jenem fremden Eigenthum

keine Rede

war? Wenn Besitzergreifung

von der

Liegenschaft auch den Besitz an der Zubehör giebt,46) — und das muß

man nach dem Vorstehenden wohl annehmen — dann wäre unter der

Voraussetzung des guten Glaubens des Erwerbers (§ 874) dieser Eigen-

46) Kohler S. 80 und im Arch. für civ. Praxis 69 S. 170, Stobbe, Privatrecht I S. 550.

140 thümer der Zubehör, wobei allerdings das Moment zu Bedenken veran­ laßt, daß der originäre Eigenthumserwerb des gutgläubigen Empfängers

vor Allem auch den Traditions- und Eigenthumsübertragungswillen des

Veräußerers voraussetzt,

der bei einem Liegenschaftsgeschäfte doch mehr

oder minder fingirt wird.

Jedenfalls

der Grundbuchseintragung

bis

Hier dürfte,

möglich.

den

die

Rückforderung

verschiedene Gestaltung

vornherein eine

diese fortdauern, bis

verlangten Act die Gleichheit der juristischen Be­

rechtlich

erzeugt ist.

schaffenheit

noch

zur Uebergabe

da von

au Zubehör und Hauptsache besteht,

des Rechtes

durch

ist aber in der Zwischenzeit von

von Anfang an

Hier ist die Pertinenzqualität

eine prekäre, jederzeit nicht nur durch den Willen des Eigenthümers der

Hauptsache, sondern auch den eines Dritten aushebbare. und

Rechtens

liegt

dem Entwürfe

auch

Es ist anerkannten

daß

Grunde,

zu

durch

die

Schaffung des Pertinenzverhältnisses allein das Eigenthum an den Mobi­

lien nicht verloren ronb.47) und

Zubehör

Darin

befähigt ist der,

gerade zeigt sich der Gegensatz von Zur

Sachbestandtheil.

Herstellung

Pertinenzen

von

der über Haupt- und Hülfssache verfügen kann.

Man

wird für beide nicht das Eigenthum an den Objecten fordern. Es ist denkbar, daß

derjenige,

welcher

eine Mobilie zum Zubehör einer anderen Sache

macht, nicht Eigenthümer derselben ist, sei es, daß er sie zwar als solcher

dies aber,

erworben zu haben glaubt,

weil die Sache ohne Willen des

berechtigten Dritten aus dessen Besitz kam,

er von vornherein nur Detentor ist.

Verkaufs

des

in

Maschinen

also er

später.

kommen, tung

der

besseren

nisse

hier

kann

Faustpfand

zu Pertinenzen Hier ist

bricht sich

das

des

der Schuldner

bestellen,

in

dem

dem

wenn

er

Rechte

weil bei der Hypothek dieser Besitz nie

Dritten

also

erwirbt

unvoll­

dieser

der Gestal­

Hauptsache

Gläubiger

originäre

den

Fahr­

wirksam

Besitz

Erwerb

eintritt,

dem

an

nicht gehörenden

ihm

Und

die

bringen,

nur

Verhältniß

und

ihm

dem

des

zu

aber Eigenthum

gutgläubigen

aber nur,

befugt,

ist

Hof

von der Gleichheit

Zubehör

An

Käufer seinen

zu machen,

von

Dritten.

der

sachenrechtliche

das Princip

Rechtsverhältnisse

Rechte

den Pflug

Fabrik,

sei es, daß

Der hierfür praktischste Fall ist der

Eigenthumsvorbehalt;

seine

Sachen

die

erst

mit

nicht möglich ist,

ein

überträgt,

entgegensteht.

weil die Zube­

hör, welche Dritten zu Eigen gehört, stets in den Händen des Schuldners

bleibt, ergreift das Pfandrecht die fremde Zubehör nicht.

Auch hier dem

47) Urtheil des Reichsgerichts vom 24. April 1883 in Seuffert's Archiv 39 Nr. 6, Kohler S. 67 Not. 139 und die daselbst Citirten.

141 Hypothekengläubiger die Zubehör preisgeben, wenn er in gutem Glauben

war,

hieße,

ihn bevorzugen

hat,

Ahnung davon

Und

daß

zu Lasten des Dritten,

der häufig

die Liegenschaft hypothekarisch

beim Eigenthumserwerbe; solange die Hauptsache

ebenso

keine

belastet wird.

in den

Händen des Veräußerers ist, liegt für den dritten Eigenthümer kein Anlaß vor,

sich

zu rühren;

erst wenn die Sache

in fremde Hände wandert,

dann ist auch für die Mobilie das äußere Moment eingetreten, das sein Einfacher wird

Recht vernichtet.

es bei der Pertinenz an der Mobilie

sein; denn da nach dem System des Entwurfes die Rechte an derselben

von dem Besitze abhängen, mit Ruder)

zusammen

so

werden Hauptsache und Zubehör (Boot

in die Hände des Erwerbers

allerdings eine res furtiva vor,

gelangen.

Liegt

so bleibt diese in allen Fällen nach wie

vor vindicabel. —

Das Resultat

aus

dem vorstehend Skizzirten ist also die Identität

des Rechtserfolges für Hauptsache und Zubehör bei vorhandener Identität

der Rechtsverhältnisse.

des

für die Hauptsache

Die

auf die Pertinenz erweiterte Rechtswirkung

eintretenden juristischen Thatbestandes tritt nur

dann ein, wenn beide Objecte denselben Eigenthümer haben, anderenfalls cessirt diese Deckung.

Aus diesem Princip lassen sich eine Reihe von einzelnen Fragen be­ antworten:

Bei Vindication

Rechtswirkung

auch Klage

ist die Klage auf die Hauptsache in ihrer

auf die Zubehör^);

insbesondere findet die

Vorschrift des § 933 des Entwurfs auch auf die letzteren Anwendung;

auch für die Zubehör trägt der Beklagte die Gefahr des casuellen Unter­ ganges

in der vom Gesetze bestimmten Weise.

der Hauptsache ist Urtheil

Urtheil auf Herausgabe

auf Herausgabe der Pertinenz.

Wenn der

Beklagte sie von der Sache nach dem Urtheil entfernt, so ist dieses Voll­ streckungstitel, sie ihm nach § 769 C.P.O. fortzunehmen. aber,

Auf Pertinenzen

welche nicht im Eigenthum des Vindicanten stehen, sei es, daß sie

dem Besitzer

oder einem Dritten gehören, findet dies keine Anwendung;

sie bleiben in den Händen des Beklagten und Verurtheilten, und ihr Unter­ gang

macht ihn

nicht ersatzpflichtig. — Wird eine Sache beschlagnahmt

oder eingezogen, und ist diese Einziehung nur statthaft, wenn der Delin­

quent der Eigenthümer ist, Hauptsache nur,

wenn

so

theilt die Pertinenz das Schicksal der

sie dem Eigenthümer der Hauptsache gehört. —

Fahrnißpfändung erfaßt auch die Zubehör, selbst wenn ihrer im Protocoll 48) Ueber die Behandlung

Bei Unsicherheit

bei der Vindication s. Kohler S. 95.

des Eigenthums in der Pertinenz

142 keine Erwähnung

ist sie Eigenthum eines Dritten,

geschieht;

so erwirkt

dieser gemäß § 690 C.P.O. Feststellung der Ungültigkeit des Beschlages. —

Die

kraft Gesetzes

eintretenden Ereignisse sind in der gleichen Weise zu

behandeln wie die rechtsgeschäftlichen oder richterlichen Acte.

Fälle

einer der wichtigsten

des

bisherigen Rechtes,

Allerdings

die Legalhypothek,

verschwindet mit dem Entwürfe 49). Uneingetragene Hypotheken giebt es über­

nicht mehr.

haupt

Die

Eintragung

Titel zur

ohne

Vertrag

(§ 74 des

§ 1130 des Entwurfs).

entstehenden

Entwurfs eines

geben

nur

einen

Einführungsgesetzes,

Auch die auf diese Weise erlangten Pfandrechte,

die auf keinem Rechtsgeschäfte bemhen, ergreifen die Zubehörden. — Die gesetzlich eintretenden Nutznießungen umfassen Vermögensmassen und selbst­

verständlich hierdurch die einzelne Sache mit ihrer Zubehör; Pertinenzen, die Eigenthum eines Dritten sind, werden nicht zum Vermögen gerechnet und

unterstehen daher

nicht dieser

Nutzung.

Der

Eigenthumserwerb

durch Ersitzung, den der Entwurf nur für Fahrnisse kennt, geht gleichzeitig

für Hauptsache wie Pertinenz vor sich, und gerade hier ist das Moment, daß vorübergehende Trennung der Pertinenz von der Hauptsache unerheblich

ist,

von

Dasselbe

Bedeutung.

gilt

von

dem

Eigenthumserwerb

von

Liegenschaften durch Zueignung und Aufgebot. Die Gleichheit der Rechts­ verhältnisse

an Zubehör

und Grundstück

wird

durch

diese beiden Acte

herbeigeführt. — In derselben Weise gestaltet sich das dingliche Vorkaufs­ recht u. s. w. Es ist dabei durchaus möglich, heitliche Regel

zu fassen.

dieses Resultat in eine

Die Vorschrift

einzige ein­

des § 1067 Z. 3

wird ver­

allgemeinert und daher unnöthig. Die sachenrechtliche Verbindung zwischen

Hauptsache und Zubehör wirkt kraft Gesetzes und völlig unabhängig vom Willen der Betheiligten,

Eigenthümer haben.

aber nur dann,

wenn beide Objecte

Dies ist eine sachenrechtliche Regel,

sequent im Sachenrechte

denselben

die völlig kon­

und zwar im allgemeinen Theile desselben ihre

Stelle findet.

Daneben kommt aber auch die Eigenschaft der Zubehör als Neben­ sache in Betracht, d. h. als ein Object, das vermuthlich bei obligatorischen

Rechtsgeschäften, wie bei letzten Willensacten neben der Hauptsache vom Willen

der Betheiligten mitumfaßt wird.

Die Auslegungsregel,

welche

der Entwurf im § 790 gab, gehört in das Recht der Schuldverhältnisse, genau so wie in § 1859 Abs. 1 für das Vermächtniß

einer

bestimmten

49) S- hierüber die guten Ausführungen der Motive III S. 600 ff. Bemerkung Co sack's a. a. O. verliert hierdurch an Bedeutung.

Die

143 Sache eine

ausgestellt ist.

Jnterpretationsvorschrift

In

diesen

beiden

Fällen handelt es sich um Klarlegung des Willens der Contrahenten und

des Testators;

das

dingliche

Verhältniß kommt nicht in Betracht,

so

wenig wie die Frage des Eigenthums des Verkäufers bei der Hauptsache

für die Gültigkeit des Kaufcontraets (§ 348).

die dingliche Wirkung,

dann erst tritt jenes

Handelt es sich aber um

um Rechte nicht auf die,

sondern an der Sache,

sachenrechtliche Verhältniß hervor,

dann aber auch

seine Folgen nur in jener oben beschriebenen Weise.

V. Auf Grund des Vorstehenden würde folgende Fassung des Gesetzes

vorgeschlagen werden dürfen:

§ 789:

Eine bewegliche Sache

wird Zubehör einer anderen Sache

(Hauptsache), wenn sie in Uebereinstimmung mit der Verkehrssitte entweder zur Ausübung eines landwirthschaftlichen oder gewerblichen Betriebes auf

ein Grundstück eingebracht oder einer Sache mit der Bestimmung, der Er­

füllung ihres Zweckes zu dienen, beigefügt ist. Zu den

ersteren können insbesondere gehören:

die Geräthe und

Maschinen in Fabriken, Brauhäusern, Mühlen u. dergl., die Ackergeräthe, der zur Wirthschaft nöthige Viehstand,

Dünger und Vorrath

an land­

wirthschaftlichen Erzeugnissen; zu den letzteren: die Oefen, Schlüssel, Winter­

fenster, Löschgeräthe u. s. w.

Vorübergehende Trennung von der Hauptsache hebt die Zubehör­

eigenschaft nicht auf.

§ 790.

Rechtlich erhebliche Vorgänge,

welche die Hauptsache un­

mittelbar betreffen, gelten auch als für die Zubehör eingetreten, mit Aus­

nahme der Zubehörstücke,

welche

nicht Eigenthum des Eigenthümers

der Hauptsache sind.

§ 359 a.

Ist

eine

einzelne bestimmte Sache zu Folge Vertrages

zu leisten (oder: Gegenstand des Vertrages), so erstreckt sich die Leistungs­ pflicht im Zweifel auch auf die Zubehör der Sache.

Zu § 789 sei als Erläuterung bemerkt:

trägt den Ausführungen

über den Ausschluß

„Eine bewegliche Sache"

der Mobiliarpertinenzen

Rechnung. „In Uebereinstimmung mit der Verkehrssitte"

beschränkt die Zu­

behörden auf die von der Verkehrs-Anschauung und -Uebung als Per­ tinenzen anerkannten und sanetionirt den Ausschluß der gewillkürten Per­

tinenzen.

144 Die Beifügung der Mobilie in dem Willen, sie der Sache zu widmen,

genügt in keinem Falle, wenn der Verkehr dies nicht anerkennt.

„Entweder — beigefügt ist" versucht die beiden einander gegenüber stehenden Gruppen auch legislatorisch zu sondern. —

Die folgenden Beispiele dienen lediglich der Erläuterung; sie haben sich im Gebiete des französischen und des sächsischen Gesetzes bewährt, so

daß ihre Beibehaltung erwünscht ist, wie überhaupt, sowenig die Casuistik

erstrebenswerth erscheint, die Anführung eines Beispieles im Gesetze mehr wirkt als mehrere Seiten Motive.

Zu

§ 790

kann auf die Ausführungen sub IV verwiesen werden;

er regelt die dinglichen (unmittelbar die Sache berührenden) Rechtsacte. § 359a giebt die entsprechende Regel für das Obligationenrecht, ist

lediglich Jnterpretationsmittel, neben dem der §438 über den Wiederkauf bestehen bleibt, da dieser die Zweifel in einem besonderen Falle lösen soll.

XXV.

Machten des Herrn Professor Dr. Rohter in Rertin. über die Frage:

Ist die im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches angenommene Behandlung der Pertinenzen zu billigen, oder eine Abänderung

derselben wünschenswerth, und in welchem Sinne? Die Bestimmungen über Zubehör finden sich in den §§ 789—791,

1067 Z. 3, 1068, 1074, 1859 des Entwurfs; der Kern- und Schlüssel­ punkt liegt in § 790,

aber gerade hier fehlt es an einer ausreichenden

Darlegung des Wesens der Pertinenzialität.

Wie ich in meiner Abhandlung im Jhering's Jahrb. XXVI. S. 1 f. ’) dargethan, ist die Verbindung der Pertinenz mit der Hauptsache eine ding­ liche; sie ist nicht so fest, wie die Verbindung des Bestandtheiles mit der

Sache, welche Bestandtheil und Sache zu einer totalen dinglichen Ein­

heit zusammenfügt; aber sie bewirkt doch, daß die Rechtsschicksale der Hauptsache die Pertinenz mittreffen, soweit sie sie überhaupt treffen können. meines

Und um diese eigenartige Verbindung zu charakterisiren, wäre es Erachtens

dringend wünschenswerth,

Pertinenz zu wahren.

Typus,

den technischen Ausdruck

Das Wort Zubehör hat einen viel zu vieldeutigen

es hat eine Vulgärbedeutung, welche von der streng technischen

Bedeutung der Pertinenz weitaus verschieden ist, und der Gebrauch eines solchen Ausdruckes würde dazu führen,

bedeutung an Stelle der technischen

daß sich sehr leicht die Vulgär­

einschleichen würde,

was der Klar­

stellung der Sache sehr hinderlich wäre.

Der Grund der genannten und Pertinenz liegt darin,

sachenrechtlichen Junctur zwischen Sache

daß es ein sociales Bedürfniß ist, die einem

*) Künftig einfach mit Jahrb. citirt. Verhandle d. XX. I. T. Bd. III.

146 einheitlichen wirtschaftlichen Zwecke dienenden und sich einander gegen­ seitig adaptirten Sachen beisammen zu lasten, weil aus ihrer Trennung

eine Entwerthung

des Ganzen und damit eine Güterzerstörung folgen

würde (Jahrb. S. 6 f.).

Es ist daher ein unrichtiger Standpunkt, wenn man bei der legalen Charakteristik der Wirkung des Institutes von dem Rechtsgeschäft ausgeht und sagt, daß das Rechtsgeschäft im Zweifel auch auf die Zubehör sich

erstreckt. Denn dies ist durch den Gedanken getragen und

erregt den un­

richtigen Gedanken, als ob es bei Pertinenzen wesentlich auf den Partei­ willen ankomme, und

ob

als

Pertinenz in den Kreis

der Parteiwille

es

wäre,

welcher die

hineinzieht oder aus dem

der Rechtsgeschäfte

Rechtsgeschäft heraus entläßt.2)3

Daher muß der § 790

die richtige Fassung

abgeändert werden;

ist diese: „Rechtsschicksale,

welche

die Sache

betreffen,

betreffen

auch die Pertinenzen."

Damit ist gesagt,

daß

ohne Rücksicht

auf den Motor der Rechts­

änderung die Pertinenz von der Rechtsänderung

wird,

insbesondere

auch,

wenn etwa durch

der Sache miterfaßt

gesetzliche oder gerichtliche

Hypothek oder durch sonstige, außerhalb des Parteivertrages stehende Ein­ wirkungen die Stellung der Sache geändert wird.

Was aber den Zusatz betrifft, daß die Pertinenz „im Zweifel" von dem Rechtsgeschäfte betroffen wird, so ist dieser Zusatz eigentlich incorrect. Als Pertinenz wird die Sache sicher betroffen. Allerdings steht es dem Eigenthümer zu,

den Pertinenzverband zu lösens und

die Pertinenzsache der Verstrickung zu entziehen:

dadurch in diesem Falle ist die

Pertinenzsache von der Verfügung frei, sie bleibt von den Rechtsschicksalen 2) Verfehlt sind die Motive des Entwurfs III S. 65. Auf derselben unrichtigen Idee beruht der Satz im § 789: „es sei denn, daß nach der Verkehrssitte eine solche Sache nicht als Zubehör angesehen wird". Dies beruht (Motive III S. 63) auf der Erwägung, daß beispielsweise in manchen Gegenden die Oefen mit der Wohnung mitvermiethet werden, in andern nicht, so daß die Verkehrsanschauung für die Zubehöreigenschaft mit entscheidend sein müsse. Allein hier handelt es sich gar nicht um Pertinenzialität, sondern darum, was der Vermiether oder der Ver­ käufer seinem Mitcontrahenten zu leisten hat. Hierfür ist allerdings die Lebensan­ schauung entscheidend; allein die Lebensanschauung macht keine Pertinenzen, sondern nur die reale wirthschaftliche Einheit macht sie. 3) Absolut oder relativ, vgl. Jahrb. S. 108 f.

147 unberührt, — allein dann hört sie auch auf Pertinenz zu sein.

Ist nun

aber auch die Beifügung dieser zwei Worte nicht eben correct, so glaube ich sie doch befürworten zu sollen, des vulgären Verständnisses wegen, sofern dadurch

zum Ausdruck

gebracht wird,

(absolut oder relativ) möglich ist;

daß eine Pertinenzlösung

auch das Verständniß des Volkes ist

vom Gesetzgeber zu berücksichtigen.

Wenn der § 790

auf solche Weise abgeändert ist,

dann ist eine

richtige Grundlage für die Behandlung der Pertinenz im Hypothekenrechte

gegeben.

Jetzt

entwickelt sich daraus der Satz,

daß die Hypothek auch die

und es ließe sich fragen,

Pertinenz ergreift (§ 1067 Z. 3), von selbst; ob überhaupt eine solche Specialisirung

noch

zu empfehlen sei.

Doch

würde ich dieselbe aus zwei Gründen befürworten; einmal wegen einiger

sich daran

anschließender wichtiger Sätze bezüglich des Erlöschens der

Pertinenzialität, von welchen alsbald zu handeln ist; und sodann wegen einer Besonderheit des Hypothekenrechts, welche ich bereits (Jahrb. S. 96 f.)

hervorgehoben habe.

Die Hypothek trifft nämlich als eine die Sache ständig in Anspruch nehmende Belastung auch die zur Sache erst künftig hinzutretenden Per-

tinenzen — sie trifft nicht

etwa bloß die Pertinenzen,

welche zur Zeit

der Pfandbegründung schon vorhanden waren. Es wäre wohl zweckmäßig, diesen Umstand im Gesetze speciell anzu­ deuten;

und so könnte man zu § 1067 Z. 3 eine Bestimmung der Art

befürworten: ' Die Hypothek ergreift die Pertinenzen des Grundstückes,

die gegenwärtigen, wie die zukünftigen. Dagegen muß hier (in § 1067 Z. 3) nothwendig der Zusatz ge­

strichen werden, daß die Zubehörstücke, welche nicht in das Eigenthum des Grundeigenthümers gelangt sind, ausgenommen seien; denn solche Stücke sind eben keine Pertinenzen im Rechtssinne;

man kann sie Zubehörstücke

nennen, aber sie sind dann nur Zubehörstücke in der factischen Bedeutung

des Lebens, nicht im Sinne des Rechts; und gerade an diesem Beispiele zeigt es sich, wie wenig zweckdienlich es ist, den technischen Ausdruck Per-

tinenz mit dem Vulgärausdruck Zubehör zu vertauschen. Der Begriff des Zubehörs

ist

ein factischer,

wirthschaftlichen Verbindung der Zubehörsache.

er beruht auf der

Der Begriff der Pertinenz

ist ein juristischer: die Pertinenz setzt eine Zubehör voraus, aber außer­

dem noch

etwas anderes.

Pertinenz kann nämlich nur die Sache sein,

welche demselben Eigenthümer gehört, wie

die Hauptsache, oder welche

10*

148 mindestens in der conditio usucapiendi zu

Gunsten des

eigenthümers sich befindet (Jahrb. S. 69 f.).

Daher kann eine Pertinenz

wenn das

nur dann vorliegen, Sache in die

Dritten,

Zubehörverbindung

Hauptsachen-

Zubehör von

dem Eigenthümer der

gesetzt wird

oder zwar von einem

von diesem aber für den Eigenthümer unter Eigenthumsüber­

tragung an ihn (Jahrb. S. 74s., 175f.). ergiebt sich

Daraus

haltbar ist.

auch,

daß die Bestimmung des § 789 nicht

Will man überhaupt eine Definition der Pertinenz geben,

— wir halten eine solche nicht für geboten und

überhaupt nicht für

empfehlenswerth, — so muß das Moment eingeschoben werden, welches bereits das preußische und das französische Recht betont, daß nur solche Sachen Pertinenzen sind,

rühren, oder besser,

welche von dem Eigenthümer der Sache her­

welche von dem Eigenthümer der Sache

oder für

denselben in die Verbindung mit der Sache gesetzt worden sind. Aber die Definition des § 789 leidet noch an einem weiteren wesent­ lichen Mangel.

Es ist unrichtig zu sagen, daß die Pertinenzsache der

Hauptsache dienen solle,

unrichtig auch die Motive III S. 62.

Zur

Pertinenzqualität gehört allerdings zweierlei: 1. daß verschiedene Sachen in ihrer Verbindung einem gemeinsamen wirthschaftlichen Zwecke dienen; 2. daß von diesen verschiedenen Sachen die eine Sache eine prävalirende Bedeutung hat. Handelt es sich nun um lauter Mobilien, so ist eine solche herr­ schende, überwiegende Bedeutung der einen Sache, welche sie zur Haupt­

sache macht und die übrigen Sachen in die accessorische Stellung rückt, allerdings nur dadurch zu erzielen, daß diese eine Sache wirthschaftlich prävalirt, also für die Zweckbestimmung eine besondere Bedeutung hat. Ist aber die eine' Sache eine Immobilie und sind die anderen Mobi­ lien, so ist der prävalirende Charakter bereits durch die Jmmobiliarqualität

gegeben, auch wenn die Immobilie an sich in der Zweckbestimmung von geringerer Erheblichkeit wäre und lediglich der Mittelpunkt wäre, um den sich die Mobilien in ihrer Zweckbestimmung gruppirten. Daher muß die Definition nothwendig die Pertinenzen von Immo­

bilien und

trennen;

von Mobilien scheiden und in der gesetzlichen Beschreibung

eine gemeinsame Definition für Mobiliar-

und

Jmmobiliar-

pertinenzen muß aus diesem Grunde stets eine fehlerhafte werden.

Ich würde daher definiren: Pertinenz ist eine bewegliche Sache, welche zu einer Im­

mobilie, ohne ihr Bestandtheil zu werden, in eine derartige

149 Beziehung gesetzt wird, daß das Ganze eine wirthschaftliche Einheit bildet; vorausgesetzt, daß diese Verbindung durch den

Eigenthümer der Immobilie oder für denselben erfolgt. Auch eine Mobilie kann Pertinenzen haben, sofern sie in wirthschaftlichen Zweckerfüllung

der

eine ausschlaggebende

Bedeutung hat.

Der in § 791

angenommenen Exemplification ist im Allgemeinen

zuzustimmen; doch wären die Badeanstalten und Theater beizufügen; bei­

zufügen ferner die Ausrüstungen

und Ziersachen

eines Hauses,

sofern

dieselben dem Gebäude speciell angepaßt sind. Was das Aufhören der Pertinenzqualität betrifft, so wäre solches

allerdings stricto jure nicht bloß dann anzunehmen,

wenn der Eigen­

thümer die Pertinenzsachen auf die Dauer ihrer Bestimmung

entkleidet

hat, sondern auch dann, wenn sie (obgleich im wirthschaftlichen Zusammen­ hänge verharrend) an einen Dritten veräußert werden und dadurch einen anderen Eigenthümer finden (Jahrb. S. 100 f.).

Dies würde aber, wie

bereits in den Jahrbüchern nachgewiesen, verderblich wirken. Man muß vielmehr im Interesse des Credits folgende Postulate

aufstellen:

1. Die einmal an der Pertinenz bestehen,

bestehenden Hypotheken bleiben

solange die factische Verbindung mit der Hauptsache

nicht gelöst ist; 2. die Hypothek ergreift auch diejenigen Zubehörsachen, welche nicht

mehr dem Eigenthümer der Hauptsache gehören und daher nicht mehr Pertinenzen sind, — sofern nur eben die wirthschaftliche Verbindung noch fortbesteht; Schließlich muß man 3. dem Hypothekargläubiger Mittel und Wege geben, die factische

Trennung und Fortschaffung der Pertinenzen zu hindern oder mindestens zu bewirken, daß dieses factische Fortschaffen die an den Pertinenzen bestehenden Hypothekenrechte nicht zerstört4). Von diesen Postulaten ist 1 und 3 im § 1068 des Entwurfes er­ nur wäre hier eine andere Fassung zu wünschen.

füllt;

Es wäre zu

sagen: Das Hypothekenrecht an den Pertinenzen bleibt bestehen, 4) Vgl. auch die Entsch. des Appelh. Douai 16. 12. 1886 cit. im Arch. f. bürgerliches Recht I S. 351 f. (Sirey, Recueil general des lois et des arrets 88 II p. 115).

150 so lange die

steht, und

factische Verbindung

mit

der

Hauptsache be­

kann selbst dem gutgläubigen Erwerber der Per-

tinenzsache entgegengehalten werden.

Besteht Gefahr, daß die Pertinenzsache von der Haupt­

sache

entfernt wird,

so

kann der Hypothekengläubiger auf

dem Wege des Arrestes Beschlag legen lassen;

durch den Be­

schlag werden die Hypothekenrechte gewahrt.

Das Postulat 2 muß noch erfüllt werden.

Es wäre zu erfüllen

durch einen Zusatz zu § 1067 Z. 3, welcher so lautete: Die Pertinenzen des Grundstückes, auch diejenigen, welche nur noch factisch mit dem Grundstück in wirthschaftlicher Ver­ bindung stehen.

Sind wir auf diese Weise mit dem Entwurf in verschiedenen Bezie­ hungen pari passu gegangen, so müssen wir eine bedeutende Erweiterung

der Pertinenzwirkung befürworten, nämlich dahin, daß die Pertinenzen nicht selbständig, sondern nur mit der Hauptsache zusammen Gegenstand der Vollstreckung sein können; m. a. W. wir empfehlen die Aufnahme einer

Bestimmung

nach Analogie

des

a. 592 des C. de proc.

liegen in der socialen Bestimmung der Pertinenzsache

Jahrb. S. 91 f. entwickelt.

und

Die Gründe sind bereits

Sie treten mit besonderer Schärfe entgegen,

wenn man die vielen Verwickelungen und Streitigkeiten ins Auge faßt, welche sich zwischen solchen Mobiliarpfändungsgläubigern und den Hypo­

thekengläubigern entspinnen, indem diese Hypothekengläubiger der Mobiliarexecution entgegentreten und entgegentreten müssen. Es entwickeln sich

Einsprachsprocesse.

hier oft die kostspieligsten und unerquicklichsten

Es giebt Creditinstitute, welche in dieser Beziehung

immer auf der Umschau stehen und

von

einem Einsprachsprocesse zum

andern schreiten müssen. Um meine

vorschlagen,

in

legislativen Vorschläge

zusammenzufassen,

so würde ich

erster Reihe den § 789 ganz zu streichen und die Defi­

nition der Wissenschaft zu überlassen.

Subsidiär wäre folgende Fassung

zu wählen:

Pertinenz ist eine bewegliche Sache,

welche zu einer Im­

mobilie, ohne ihr Bestandtheil zu werden, in eine derartige

Beziehung gesetzt wird, daß das Ganze eine wirtschaftliche Einheit bildet; vorausgesetzt, daß diese Verbindung durch den Eigenthümer der Immobilie oder für denselben erfolgt. Auch eine Mobilie kann Pertinenzen h ab en, sofern sie in der

151

wirtschaftlichen Zweckerfüllung eine ausschlaggebende Be­ deutung hat. An Stelle des § 790 wäre zu setzen: Rechtsschicksale, welche die Sache betreffen, betreffen (im Zweifel) auch die Pertinenzen. Pertinenzen können nur zugleich mit der Hauptsache Gegenstand der Vollstreckung sein. § 791 wäre dahin zu ändern: Pertinenzen sind namentlich 1. die zu einem gewerblichen Gebäude, insbesondere einer Mühle, .einem Brauhause, einer Schmiede, einer Fabrik, einer Badeanstalt, einem Theater gehörigen, dem gewerblichen Zwecke dienenden Maschinen und Geräthschaften; 2. das zum Wirthschaftsbetriebe eines Landgutes be­ stimmte Geräthe und Vieh, sowie die zum Betrieb gehörigen landwirthschaftlichen Erzeugnisse, Stroh und Dünger; 3. Ausrüstungen und Zierstücke eines Wohnhauses, sofern das Haus und die Sache einander speciell angepaßt sind. § 1067 Z. 3 wäre dahin zu ändern: Die Hypothek ergreift 3. die Pertinenzen des Grund­ stückes, die g egenwärtigen wie die zukünftigen, auch diejenigen, welche nur noch factisch mit dem Grundstück in wirthschaftlicher Verbindung stehen. An Stelle des § 1068 wäre (was die Pertinenzen betrifft) zu setzen: Das Hypothekenrecht an den Pertinenzen bleibt bestehen, solange die factische Verbindung mit der Hauptsache besteht, und kann selbst dem gutgläubigen Erwerber der Pertinenzsache entgegengehalten werden. Besteht Gefahr, daß die Pertinenzsache von der Haupt­ sache entfernt wird, so kann der Hypothekengläubiger auf dem Wege des Arrestes Beschlag legen lassen; durch den Be­ schlag werden die Hypothekenrechte gewahrt.

XXVI.

Machten des Herrn Lkertandesgerichtsrach Thomsen zu Stettin über die Frage:

Ist das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers und Verpächters

beizubehalten? „Es erben sich Gesetz' und Rechte Wie eine ew'ge Krankheit fort."

Im Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich ist bestimmt: § 521.

Der Vermiether eines Grundstückes hat wegen seiner Forderungen aus dem Miethvertrage ein gesetzliches Pfandrecht an den eingebrachten

Sachen des Miethers. Das Pfandrecht besteht nicht in Ansehung der­ jenigen Sachen, welche der Pfändung nicht unterworfen sind. Es er­ lischt mit der Entfernung der Sachen von dem Grundstücke, auf welches das Miethverhältniß sich bezieht, es sei denn, daß die Entfernung heimlich

oder gegen den Widerspruch des Vermiethers erfolgt ist.

Der Vermiether kann der Entfernung derjenigen Sachen nicht wider­ sprechen, zu deren Entfernung der Miether im regelmäßigen Betriebe seines Geschäftes oder dadurch veranlaßt wird, daß die gewöhnlichen Lebensverhältnisse die Entfernung mit sich auch

bringen.

Er ist berechtigt,

ohne Anrufung des Gerichtes die Entfernung aller anderen seinem

Pfandrechte unterliegenden Sachen zu hindern und,

wenn der Miether

das Grundstück räumt, dieselben in seine Jnhabung zu nehmen.

Der Vermiether ist berechtigt, von dem Miether die Zurückschaffung der heimlich

oder gegen seinen Widerspruch

entfernten Sachen, deren

153 Entfernung er zu widersprechen befugt war,

und nach bereits erfolgter

Räumung des Grundstückes die Ueberlassung der Jnhabung derselben zu

fordern. Die Ausübung des

gesetzlichen Pfandrechtes des Vermiethers kann

durch

für

Sicherheitsleistung

die Forderung und in Ansehung jeder

einzelnen diesem Rechte unterliegenden Sache durch Sicherheitsleistung bis zur Höhe des Werthes der Sache abgewendet werden.

Die Sicher­

heitsleistung durch Bürgen ist ausgeschlossen.

Wird

eine dem Pfandrechte des Vermiethers unterliegende Sache anderen Gläubiger gepfändet,

so kann diesem gegenüber das

Pfandrecht wegen desjenigen Miethzinses

nicht gellend gemacht werden,

für einen

welcher auf eine frühere Zeit als das letzte Jahr vor der Pfändung

entfällt.

§ 543. Der Verpächter eines landwirthschaftlichen Grundstückes hat wegen seiner Forderungen aus dem Pachtverträge ein gesetzliches Pfandrecht sowohl an den

eingebrachten Sachen des Pächters als

auch

an den

Früchten des Grundstückes. Auf dieses Pfandrecht finden die Vorschriften

des § 521 Abs. 1 bis 4 entsprechende Anwendung.

Die Frage,

ob die Beibehaltung dieser Bestimmungen sich

legis­

latorisch empfiehlt oder nicht, hat nicht bloß eine juristische, sondern auch eine volkswirthschaftliche oder, wenn man es lieber so ausdrücken will,

soziale Bedeutung. Beide Seiten sind hier von jeher in der Gesetzgebung wie im prak­ tischen Leben so eng mit einander verbunden gewesen, daß jede bei der Erörterung der Frage einer gleichen Berücksichtigung bedarf.

Die Motive zum § 521 sagen (II S. 402): „Im Hinblick auf das geltende Recht kann kein Zweifel darüber daß dem Vermiether zur Sicherung wegen seiner Forderungen aus dem Miethvertrage gegen den Miether ein besonderes Recht an den

bestehen,

von dem Miether eingebrachten Sachen einzuräumen ist. Zweifelhaft kann nur sein, in welchem Umfange ein solches Recht anerkannt, und wie das juristische Wesen desselben bestimmt werden soll,

da in dieser Beziehung die bestehenden Rechte weit auseinandergehen. — Der § 521

räumt dem Vermiether an den von dem Miether ein­

gebrachten Sachen ein gesetzliches Pfandrecht ein, da eine solche Regelung allein

geeignet ist,

einfaches und klares Recht zu schaffen,

während sie

auf der anderen Seite zu praktischen Unzuträglichkeiten nicht führt."

154 Beim § 543 wird nur auf § 521 verwiesen.

Dies ist die ganze Motivirung für die Einführung bzw. Beibehaltung des

gesetzlichen Pfandrechts, die Antwort auf die Frage nach der legis­

latorischen

Existenz-Berechtigung

dieses

historisch-gegenwärtige Dasein eines

Instituts

überhaupt.

Das

besonderen Rechts in den geltenden

deutschen Gesetzen wird als Grund für die Berechtigung zum Weiterleben

angeführt.

Wie hochwichtig dieser Grund nun auch an und für sich sein

mag, so wird andererseits doch anzuerkennen sein, daß für die Würdigung seiner Tragweite die Untersuchung bedeutungsvoll ist, ob denn die Existenz

des Instituts überhaupt von vorneherein gerechtfertigt gewesen. Vor Allem ist

es

gewinnen,

einen Einblick in die Ge­

also von Wichtigkeit,

schichte des Rechtsinstituts,

in seinen

historischen Grund und Zweck zu

soweit die aus dem Dunkel ferner Zeiten überlieferten Nach­

richten die Möglichkeit der Aufklärung gewähren. heblicher Stützpunkt

geschaffen für

die

als welche hier anzusehen sind:

Erwägungen,

Damit wird ein er­

ausschlaggebenden

bestehenden Verhältnissen den vorzugsweisen

legislativen

„einerseits die Rücksicht,

Schutz,

welchen sie jetzt

genießen, nach den praktischen Bedürfnissen des Lebens fernerhin zu er­

halten, andererseits das Verlangen, veraltete Rechtsinstitutionen aus dem Verkehrsleben zu beseitigen." *) In den

älteren

Zeiten Roms

gab

es

nur zwei Formen,

unter

welchen im Privatrecht pfandrechtliche Sicherheit für Forderungen bestellt

wurde: fiducia d. h. Uebertragung des Eigenthums und pignus d. h. Über­ tragung des Besitzes.

Die fiducia war ein Institut des jus civile, konnte

nur durch eine civilrechtliche Art des Eigenthumserwerbes: in jure cessio oder mancipatio,

vermittelt werden und

nur zwischen römischen cives

stattfinden. Das pignus war prätorischen Ursprungs,

gehörte dem jus gentium

an, wurde durch formlose (vertragsmäßige) Einhändigung einer Sache bewirkt und war zwischen Peregrinen wie Römern zulässig. Das Ver­

kaufsrecht, dieser ökonomische Kern des ganzen Rechtsinstituts, mußte bis in das

erste Jahrhundert der Kaiserzeit durch

ausdrücklich

eine

besondere Clausel

gewährt werden und bildete sich erst später als eine selbst­

verständliche Vefugniß

des

eigenthümlichen Geiste des

Pfandgläubigers

heraus.

Wie nach dem

älteren römischen Rechts ein directer Angriff

auf das Vermögen des Schuldners principmäßig ausgeschlossen war, und der Gläubiger nur durch Zwang gegen die Person des Schuldners mittel*) Mot. z. Einf.-Ges. z. d. Konk.-O. § 11.

155 bar seine Befriedigung aus dessen Vermögen herbeiführen konnte,

bildeten ihrer ursprünglichen Natur nach

so

fiducia und pignus gleichsam

als Haft der Sache ebenfalls indirecte Zwangsmittel, um den Schuldner zur Zahlung zu bewegen.

diesen

Neben

beiden

alten Pfandrechts-Formen (der Streit der

Gelehrten über die Frage, welche die ältere sei, berührt uns hier nicht)

stellte das prätorische Recht in seiner weitern Entwickelung noch dritte Form auf: die Hypothek,

d. h. die Verpfändung durch

Vertrag ohne Uebertragung der Sache.

eine

bloßen

Erst nach der Einführung dieses

neuen Rechtsinstituts beginnt die Aera der sogen, stillschweigenden gesetz­

lichen Pfandrechte.

ist

Eigenthümlich

es, daß

gerade mit dem Pachtverhältniß die

Entstehung und Ausbildung der Hypothek aufs Engste verknüpft ist,

die

hypothekarischen Rechtsmittel des interdictum Salvianum und der actio Serviana gerade das Pachtverhältniß bezielen, und sich an diese Rechts­

mittel die Entwickelung des gesetzlichen Pfandrechts anschließt.

Die Untersuchung dieses Zusammenhangs wird für unsre Frage wegen Beibehaltung des gesetzlichen Pfandrechts des Verpächters und

nicht

Vermiethers

etwa eine bloß historische,

sondern auch eine höchst

wichtige legislative Bedeutung beanspruchen dürfen. Nach der einen Ansicht?) hat schon in alter Zeit zu Rom der Gläubiger

durch

einen

bloßen

Pfandvertrag

das

Recht

der

Apprehension

des

Besitzes erhalten, der Prätor durch gelegentliche Jnterdicte die Apprehension unterstützt,

sodann das ständige interdictum Salvianum gegeben und auf

dieser Grundlage endlich durch Einführung der actio Serviana und quasi

Serviana die Entwickelung der Hypothek vollendet.

Diese Ansicht hat

aber die herrschende Lehre nicht zu verdrängen vermocht, welche mit Recht annimmt, daß die Entwickelung des Vertragspfandes nur und allein an die Pfandabreden speciell zwischen Pächter und Eigenthümer sich

knüpfte.^)

an­

Mit dem int. Salv. begann erst die rechtliche Wirksamkeit des

bloßen Vertrages der Verpfändung.

Bis dahin gab ein solcher Vertrag,

wenn er überhaupt vorkam, kein Recht zur Besitzergreifung.

Wie kam nun der Prätor zur Einführung dieses Schutzmittels zu

Gunsten gerade des Verpächters? Gewöhnlich nimmt man an, daß die eigen2) Rudorfs, Z. S. f. gesch. Rechtswiff. 3 S. 192. Bachofen, Pfandrecht S. 9 ff. Brinz, Pandekten 2. Ausl. Bd. 2 S. 850. 3) Keller, Krit. J.-B. XI S.964ff. Pernice, Labeo I S. 427. Dernburg, Pfandr. I S. 51 f. Wendt, Jhering's J.-B. 21 S. 317.

156 artigen faktischen Verhältniffe bei der Pacht von Landgütern den Anstoß und den Grund für die prätorische Rechtshülfe

gegeben habend)

Pächter konnte dem Verpächter regelmäßig keine

Der

anderen Sachen zur

pfandrechtlichen Sicherheit darbieten als sein landwirthschaftliches Inven­ Die fiducia durch in jure cessio

tar und seinen Wohnungs-Hausrath.

— vor dem Prätor in Rom — war kaum thunlich,

durch mancipatio

nur bei Sclaven und Vieh, als res mancipi, möglich.

Außerdem konnte

die fiducia bei Peregrinen nicht stattfinden. unthunlich,

Das

pignus war ebenfalls

da der Pächter die Jnvecten und Jllaten,

deren factischer

Gebrauch ihm zur Verwirklichung des Zwecks der Pachtung,

zur Ge­

winnung der Früchte nothwendig war, doch nicht dem Eigenthümer und Verpächter in Besitz geben konnte.

An den Früchten war beim Einzuge

des Pächters natürlich fiducia wie pignus unmöglich,

Ernte, mindestens sehr schwierig. und der naturgemäße Wechsel der

später,

nach der

Dazu kam noch die Mannigfaltigkeit Jnventarstücke.

Bei diesen, sowie

bei den Früchten, wäre eine ewige Kette von Wiederholungen der Ueber-

tragung nothwendig gewesen.

Wo aber ein Eigenthums- oder Besitzpfand

der Jllaten und der Früchte beim Pachtverhältniß vorkam, großen factischen Unzuträglichkeiten

konnten die

für beide Theile allerdings durch

Anwendung der Ueberlassung per precarium gemildert werden, welche überhaupt beim Pfande als ein alltägliches Ereigniß geschildert wird?)

Durch

eine solche Aufgabe des Besitzes wurde jedoch

wiederum factisch schlechter gestellt.

der Verpächter

Das precarium hatte also auch seine

Schwierigkeiten, zumal die Vermittelung der Besitzübertragung durch das

constitutum possessorium erst im Anfang der Kaiserzeit anerkannt wurde. Wie konnte denn nun der Verpächter gesichert werden?

Wenn der Pächter nicht im Stande war, Bürgen zu stellen oder andere Sachen

als Jllaten und Früchte zum Pfand zu übergeben, pächter — eben nicht gesichert w.erden.

so konnte der Ver­

Eine dem wirklichen Pfandrecht

möglichst nahe kommende Sicherheit wollte nun der Prätor dem Ver­

pächter schaffen durch Einführung des interdictum Salvianum, welches

als ein prohibitorisches o) Jnterdict dem Verpächter die Befugniß ge­ währte,

die durch

bloßen Vertrag zum Pfande gesetzten Sachen des

Pächters pfandweise zu apprehendiren, resp, dem Pächter verbot, dieser Apprehension sich zu widersetzen.

4) S. 977. 5) 6)

Puchta, Inst. II S. 708. Huschke, Studien S. 340. Dernburg I S. 57. 1. 6 § 4 D. XLIII, 26. Rudorfs S. 210. Dernburg II S. 339.

Keller a. a. O.

157 War dies nun eine reine unvermittelte Erfindung des Prätors, oder

lehnte er sich dabei an ein bestehendes Rechtsinstitut an und an welches? Der ganzen Entwickelung des prätorischen Rechts entspricht nur die An­

nahme einer Anlehnung an Bestehendes. Einige Juristen haben die auf den ersten Blick verführerisch erschei­ nende Ansicht aufgestellt,

daß der Prätor zunächst ein pignus (Besitz­

pfand) nebst einem precarium fingirte und nun dem int. de precario

(int. recuperandae possessionis) das neue interdictum nachbildete?)

Andere haben das int. utrubi (int. retinendae possessionis) als Vor­ Beide Ansichten müssen m. E. schon

bild des int. Salv. angesehen?)

daran scheitern, daß das int. Salv. überall in den Rechtsquellen als ein int. adipiscendae possessionis bezeichnet wird.

Die Idee, daß von Alters her beim nackten Pfandvertrag der Ver­

mieter und der Verpächter das Perclusionsrecht (das Recht, die Weg­

schaffung der verpfändeten Jllaten mittels Verschließung des Hauses zu verhindern), gehabt habe, dies Recht für den Verpächter aber ungenügend

gewesen sei,

und daß nun diesem der Prätor mit dem int. Salvianum

ein stärker wirkendes Recht gewährt habe,o) läßt sich mit dem Umstande

nicht vereinigen, daß nirgends in den Quellen ein derartiges Recht des Vermiethers

oder Verpächters vor und unabhängig von dem int. Salv.

resp, der actio Serviana nachgewiesen werden kann, vielmehr stets sowohl

das Perelusions-

wie das sog. Retentionsrecht mit der Hypothek selbst

verbunden wird. Ohne

aus die vielfachen einschlagenden Streitfragen, welche oben

nur so weit, als sie hier interessiren können, erwähnt sind, weiter einzu­

gehen, soll jetzt der Nachweis versucht werden, daß das int. Salv. eine analoge Anwendung des dem römischen Aerar zustehenden und auf die

publicani übertragenen Rechts der pignoris capio bildet und ebenso wie das gesetzliche Pfandrecht des Verpächters und Vermiethers auf einer in

besonderen historischen Verhältnissen wurzelnden Begünstigung des in Rom übermächtigen Capitals beruht. Der ursprünglich dem Staate allein gehörende römische Grund und Boden wurde nur zum geringen Theil durch Assignation

rischen Verkauf in Privateigentum verwandelt.

oder quästo-

Der weitaus

größte

Theil wurde als possessio den einzelnen Bürgern zur Nutzung über-

7) Puchta, Inst. II S. 728. 8) Dernburg I S. 59. 9) Dernburg I S. 54.

158 lassen, der

theils gegen eine bestimmte Abgabe,

Im Laufe

theils zinsfrei.

Zeiten hatten aber die drückenden persönlichen Kriegslasten, die

Sclavenwirthschaft, die in Rom zusammenströmenden Kapitalmassen und die ungleiche Theilnahme an den Nutzungen des Staatseigenthums zur Folge, daß der ackerbautreibende Mittelstand mehr und mehr unterging. Der kleine Bauer ward ausgekauft, und die früheren Eigenthümer sanken

zu Pächtern

oder Tagelöhnern der Kapitalisten herab, so

daß sich die

Bürgerschaft in reiche Besitzer und in Proletarier auflöste.

Die Groß­

grundbesitzer waren zugleich auch die Großhändler, und überall in Stadt und Land trat der Gegensatz von Reich und Arm in seiner schroffen Härte

hervor.

Die agrarischen Gesetze und die Schuldgesetze wirkten nur theil-

weise und nur vorübergehend.")

Die grundbesitzenden Capitalisten be­

wirthschafteten nun ihre Güter entweder durch ihre Sclaven oder ver­ pachteten sie in kleinen Parzellen an Clienten, Freigelassene oder sonst

an kleine Leute.n) mäßig seltener vor.

Die Verpachtung

kam

aber anfänglich verhältniß-

Sie trat in gewisser Weise an die Stelle der früher

besonders bei der Clientel üblichen Verleihung als precarium, indem mit

dem Aufhören der persönlichen Clientelrücksichten der Speculationssinn sich

geltend

gewinn

machte und nun von der Verleihung einen Productions-

erstrebte.,2)

Namentlich

bei

entfernten

Grundstücken,

wo die

Beaufsichtigung der Sclavenwirthschaft schwer fiel, erschien es „tolerabi-

lius, agrum sub liberis colonis habere“.13 * )* * * Gerade * * 12 bei diesen kleinen Pachtungen trat nun für den Grundherrn die Unthunlichkeit hervor, eine pfandrechtliche Sicherheit durch

fiducia

oder pignus sich zu ver­

schaffen.

Ganz so schlecht und habgierig,

wie ein Theil der (vorhin in den

Anmerkungen citirten) Schriftsteller die oberen Zehntausend in Rom, Plebejer wie Patrizier, schildert, werden diese nun wohl nicht gewesen sein,

aber so viel ist als gewiß anzunehmen,

daß sie danach

strebten,

10) Natürlich darf man hier nicht an unsere modernen Interessengruppen denken! n) Vgl. Puchta, Inst. I 202, 260, 270. Arnold, Kultur und Recht S. 28—40. Mommsen, Röm. Gesch. I S. 620 ff., II S. 68 ff. Niebuhr, Röm. G. II S. 317 ff., 372 ff. Pernice, I^abeo I S. 467 Anm. 45. Jhering, Geist des R. R. II S. 237 ff. 12) Jhering a. a. O. I S. 241. Niebuhr II S. 372 „als Habsucht und Bereicherung der einzige Gegenstand der Wünsche wurde". Dankwardt, Nat.-Oek. II S. 17 ff. 13) Columella de re rustica I c. 7.

159 den Gewinn aus den Verpachtungen möglichst hoch und möglichst sicher zu machen.

Trotz des dem römischen Volke vorzugsweise innewohnenden

Gefühls der Rechtsgleichheit darf

Reichen Roms

es nicht Wunder nehmen, wenn die

hier einseitig ihr Interesse wahrnahm.

„Geldoligarchie"

Wie sehr die

ärmeren Volksclassen ihr specielles Interesse

gegen die

verfolgten, zeigen ja genugsam die

langwierigen Kämpfe bezüglich der

Staatsländereien, der Schuldverhältnisse,

der Magistrats- resp. Richter­

stellen, zeigen ferner die vielen Klagen über die willkürliche Bedrückung

sowohl im Civil- wie im Criminalrecht.")

Der Prätor, welcher persönlich

meist mitten im Interessentenkreise der Capitalisten stand, gab nun, „sei

es aus eigenem Ermessen oder auf äußeren Antrieb irgend einer Art",,5) den Verpächtern eine andere Sicherheit als fiducia und pignus, welche bei der Pacht nicht wohl thunlich waren.

Hier wird nun der Ort sein für den Versuch, schende,

eine allgemein herr­

für die Auffassung der besonderen Rechte des Verpächters sehr

wichtige Vorstellung zu beseitigen, geerbt zu haben scheint.

welche sich bisher unbeanstandet fort­

Ich meine die zur Rechtfertigung des int. Sal-

vianum und weiter des gesetzlichen Pfandrechts meistens und mit Vor­ liebe verwerthete

Vorstellung:

daß die

bereits

näher hervorgehobene

Schwierigkeit der fiducia und des pignus bei Jllaten und Früchten eine specielle Eigenthümlichkeit gerade des Pachtverhältnisses fei.16) Jene Schwierigkeit ist unleugbar vorhanden, aber einerseits nicht

allein,

bei dem Verpächter

sondern bei allen Gläubigern des Pächters,

andererseits nicht bei den Pächtern allein, sondern bei allen Landwirthen.

Konnte

die in jure cessio und die mancipatio leichter oder

etwa hier

anders erfolgen als dort?

Haus-Mobiliar

eher

Konnte hier das Wirthschafts-Jnventar oder

entbehrt und zur fiducia oder zum pignus wegge­

War die Uebertragung der Früchte nicht überall War die wechselnde Mannigfaltigkeit der einzelnen

geben werden als dort?

gleich

Stücke

schwierig? etwa

hier

anders als dort? und hatte die Rückgabe zum pre-

carium nicht überall die gleichen Unzuträglichkeiten?

Offenbar lagen also

14) Puchta, Inst. §§ 70, 71. Bethmann-Hollweg, Civ. Pr. I S. 46, 55, II S. 40. 15) Puchta, Inst. II S. 727. Dio Cassius hist. XXXVI p. 21: „neque enim praetores id jus, quod ad contractus dirigendos positum erat, observarant neque scripto juri steterant . . . crebroque per gratiam et odium ceterorum hominum, veluti fieri assolet, multa gerebantur“. 16) Es mag.nur verwiesen werden auf Bachofen, Pfdr. S. 7. Puchta, Inst. II S. 708. Dernburg I S. 56.

160 in dem Pachtverhältniß als solchem keine so eigenartigen Momente, welche legislatorisch die Berechtigung gaben, den Verpächter besser zu stellen als andere Gläubiger, z. B. als denjenigen, welcher dem Pächter Saatkorn,

Vieh,

Ackergeräth, Möbel u. s. w. auf Credit verkaufte oder zu solchem

Ankauf oder zur Bezahlung des Pachtzinses Geld lieh.

in dem Bedürfnisse,

für die Sonderberechtigung des Verpächters doch

einen plausiblen Grund zu finden, dings

Man hat wohl

eine Eigenthümlichkeit, welche aller­

gerade im Gebiete der Landwirthschaft allgemein bei allen Land­

wirthen und

gegenüber allen ihren Gläubigern obwaltete,

aufgegriffen

speciell auf das Eine landwirthschaftliche Verhältniß des Pächters

und

und Verpächters

concentrirt.

Damit wird aber die hieraus hergeleitete

legislatorische Begründung nicht gerechtfertigt, Salv.

nur

vielmehr kann

das int.

aus dem Gesichtspunkte eines besondern Privilegs der Ver­

pächter erklärt werden.

Es

hat nun m. E. der Prätor hier nicht an

griechische Institut des Vertragspfands (hypotheca) mit seinen un­

das

klaren Rechtsmitteln, auch nicht an die römischen interdicta ret. und recup.

poss. sich angelehnt, sondern

an das alte römische Institut der pignoris

capio der publicani (Gaj. IV, 28).

Die Fälle der legis

actio per

pignoris capionem bildeten eine Ausnahme von dem als Regel geltenden

Verbot eigenmächtiger Pfändung.

Die publicani, die Pächter der Staats­

einkünfte,

insbesondere der Einkünfte aus der Verleihung von Staats­

ländereien

gegen Pachtzins oder Zehnten n) (vectigalia = Erbpacht obet

Zeitpacht), hatten das privilegium, ohne Mitwirkung der Obrigkeit Sachen der Schuldner in Pfand zu nehmen, das Recht der pignoris capio,

ge­

kleidet in die legis actio per pignoris capionem. Dies Recht ward durch eine „lex censoria“ gegeben, welche ein Act entweder der Vertrags­ schließung oder der magistratischen Gewalt der Censoren war. Wie nun die specielleren Formen und Voraussetzungen dieser Pfändung waren,

resp,

ob und wie processualisch weiter verfahren wurde,. wie sich

nach

Einführung des Formularprocesses das Recht gestaltete,^) kann hier da­ hingestellt bleiben.

in

Jedenfalls aber mußte den Publicanen, wie auch den

einzelnen Fällen sonst noch

personen (z. B.

zur pignoris capio berechtigten Privat­

bei dem Verkaufe von Opfer-Thieren)

ein rechtliches

Mittel gewährt werden, um sich gegen einen von Seiten des Schuldners erfolgenden oder zu erwartenden Widerstand zu schützen. Die obrig-

17) Tigerström, Ager vect. S. 13ff. 18) Degenkolb, Lex Hieronica Abschn. V. Jhering I S. 151. Wendt, Jherings J.-B. 21 S. 275.

161 keitliche Hülfe konnte nach der staatlichen Organisation nur ein Interdikt hier vielleicht des Censors) sein,

des Magistrats (des Prätors,

welches

irgend ein nachfolgendes Strafverfahren in seiner Wirksamkeit ge­

durch

sichert wurde.

Erst im äußersten Falle lieh die Staatsgewalt durch die

Victoren selbst ihren Arm.

Ein solches Jnterdict mußte natürlich hier,

wo der Publiean noch nie im Besitze gewesen war, ein int. adipiscendae

possessionis resp, ein prohibitorisches Jnterdict sein (vim fieri veto, quo-

minus etc.).19)20 Wir finden also zum Pfande zu apprehendiren,

Rechts.

beim Publikanen das Recht,

Letzteres hing aber, wie alle Fälle der legis actio per pignoris

capionem, mit staatlichen Vermögensverhältnissen zusammen, öffentlich - rechtliche Natur.

hatte eine

Wie konnte es nun auf die Pacht zwischen

Privatpersonen angewandt werden?

Die Grundsätze, welche bei den

publicistischen Verträgen zwischen Staat und Privatpersonen waren,

Sachen

und ein interdictum zum Schutze dieses

wurden überhaupt im Wesentlichen auf die

aufgestellt

gleichen Verträge

zwischen Privatpersonen übertragen: z. B. bei dem Verkauf, der wider­

ruflichen concessio und ganz besonders bei der locatio conductio.

„Die

locatio ist dem Privatverkehr mit der römischen Administration gemein. Und es ist sehr merkwürdig, wie gerade an diesem Berührungspunkt das

Privatrecht von seinem festen Gefüge verliert, um die losere Gestalt des

römischen Administrativrechts in sich aufzunehmen. Gewiß häufig kam der Fall vor, daß von zwei Pachtnachbarn der eine vom Staat, der andere von einem Privaten gepachtet hatte.

Oft war das privat verpachtete Grundstück dem Verpächter zuvor von dem Staate gegen Pachtzins oder sonstige Abgaben übergeben, zumal

auch

in der langen Zeit, wo den Reichen vorzugsweise die Staatsländereien verliehen wurden. Gegen den Privatpächter war nur die actio locati möglich,

gegen den Staatspächter, und zwar nicht selten gerade gegen

den Pachtherrn des (After-) Privatpächters als Staatsschuldner, die pig­

noris capio des Publieanen. eine Gleichheit

hier

Was

einzuführen:

lag nun dem Prätor näher,

als

die bei Staatspachten einer Privat­

person, wenn auch gewiffermaßen in Vertretung des Staats bereits ver­ liehene pignoris capio auch bei Privatpacht dem Verpächter zu gewähren?

Dazu kam noch,

daß bei den Verpachtungen von Großgrundbesitzern an

die kleinen Leute naturgemäß

ein Abhängigkeitsverhältniß sich heraus-

19) Jhering I S. 165. 20) Degenkolb, Platzrecht S. 130ff. Vgl. Mommsen, Z. S. der Sav.Stift. Röm. Abth. III S. 261 ff. Puchta, Inst. II § 238. Verhandle d. XX. I. T. Bd. HI.

162 bildete,

welchem bei

Clienten und Freigelassenen sogar

öffentlich-rechtliche Natur innewohnte.

eine

gewisse

Das Verhältniß zwischen Pächtern

und Verpächtern war bei den Römern ähnlich, wie bei den Deutschen das

nach

Gutsherren.21)

die

Verhältniß von Hintersassen gegen

Entwickelung der Privat-Loeatio

Mit der

dem Vorbilde der administrativ­

rechtlichen Staats-Locaüo, überhaupt aber auch allgemein mit dem wirthschaftlichen und socialen Uebergewicht des Verpächters hing wesentlich die im classischen römischen Recht herrschende Inferiorität des Rechtsverhält­

nisses des Conductors, die „Zerbrechlichkeit" der conductio zusammen.22)23

Diese Hypothese der Uebertragung der pignoris capio der Publi-

canen auf die Privatverpächter scheint mir den damaligen Verhältnissen am meisten zu entsprechen.

Daß die Rechtsquellen nichts davon sagen,

darf nicht auffallend erscheinen, da vom int. Salvianum überhaupt nur höchst

dürftige Nachrichten uns in den Quellen überliefert sind, und insofern eine „auf

so kleinem Raume fast beispiellose

Unsicherheit der

Theorie"22)

herrscht. Der Prätor gab also dem Verpächter das Recht der pignoris capio; das jus „pignoris apprehendendi“,24)25knüpfte es aber nicht schon an das

Pachtverhältniß resp, die Jllation allein an, sondern verlangte außerdem noch das Vorhandensein der vertragsmäßigen Aussetzung zum Pfande.

lex censoria beim Publicanen

Der

entsprach beim Verpächter die mit prä­

torischem Schutze ausgestattete lex contractus.

Diese lex enthielt aber

nicht etwa ein pactum de ingrediendo, sondern die Zusicherung, daß die

Sachen zum pignus dienen sollten (Gaj. IV 147 quas pignori futuras pepigisset66). Ist die hier aufgestellte Hypothese der Anlehnung des int. Salv. an die pignoris capio der Publicanen richtig, so wird zunächst der Charakter

dieses Jnterdicts als eines ungerechtfertigten Privilegs der capitalistischen Verpächterclasse in noch klareres Licht gestellt.

Ferner werden nebenbei

dadurch in das beim int. Salv. herrschende Dunkel manche Streiflichter geworfen.

Zunächst wird

Räthsels gegeben,

dadurch die

befriedigendste Aufklärung des

weshalb bei dem gleichen,

jg näher liegenden2^) Be-

21) Puchta, Inst. I S. 271. 22) Ziebarth, Realexeeution S. 11. 159. Degenkolb a. a. O. S. 130, 154. Dernburg, Entwickelung des jur. Besitzes (5. 68 ff. Fischer, Verh. des 19. d. Jur.-T. S. 350. 23) Rudorfs a. a. O. S. 209. 2») 1. 1. pr. D. 43, 33. 25) Dernburg I S. 55.

163 dürfnisse des Vermiethers nicht auch wurde.

Das

führung det Hypothek existirt hätte, geschlossenen Sachen,2Ö)

Letzteres

diesem das wenn

angebliche Perclusionsrecht,

also

interdictum gegeben

es auch vor der Ein­

gewährte ja keinen Besitz der ein­

viel geringeren Schutz als das int. Salv.

konnte aber auf die Miethe deshalb nicht ausgedehnt werden,

weil die Analogie des Verhältnisses der vectigalia hier eben fehlte.

Aus gleichem Grunde ist zu erklären und anzunehmen, daß das Interdikt

überhaupt nicht auf andere Gläubiger als Verpächter ausgedehnt wurde. Der gewöhnlich gegen die Ausdehnung angeführte2?) Grund, daß beim

Pachtverhältniß die Sachen sich

im Herrschaftskreise des

Grundeigen-

thümers befinden, und diese eigenthümliche Constellation bei gewöhnlichen Hypotheken sich

keineswegs reproducire,

würde vollends beim Mieths-

verhältniß gerade die Ausdehnung rechtfertigen.

Die pignoris capio des

Publicanen setzte Fälligkeit der Schuld voraus, ein Gleiches ist hier an­ zuerkennen.

Erstere war nur gegen den Vectigalschuldner (und dessen

Erben) zulässig,

das int. Salv. muß daher auch nur gegen den Pächter (und dessen Erben) zugelassen werden. Alle in den Rechtsquellen er­

wähnten, ohnehin sehr streitigen Ausdehnungen des int. Salv. sind meines Erachtens erst entstanden, thek eingeführt wurde,

als die actio Serviana und damit die Hypo­

und nun das int. Salv. allerdings eine andere

Bedeutung gewann.

Die nächste Folge der Neuerung des int. Salv.

war natürlich

gewöhnliche Aufnahme der Pfändungsclausel wegen der invecta,

die

illata,

inducta, nata paratave in den Pachtcontract. Das int. Salv. gab aber den Verpächtern nun liches Apprehensionsrecht und nach

zwar ein persön­

dessen Geltendmachung

ein pignus,

aber kein dingliches Recht. Dieser Schutz war nicht vollkommen genug. Die Interessen der Verpächter verlangten daher weitergehende Hülfe.

In der Bevorzugung der Verpächter war das int. Salv. der erste Schritt, nun kam bald der zweite.

Mittels der actio Serviana führte der Prätor

für den Verpächter die Hypothek ein: das durch

bloßen Vertrag schon

entstehende Pfand, nun mit dinglicher Klage geschützt.

Diese Neuerung wird sich allerdings zum Theil an die griechische Hypothek, welche jedoch keine dingliche Klage gewährte2^ — zum Theil

an die altrömische fiducia angelehnt haben.

26) Dernburg II S. 332. 27) Dernburg II S. 345. 28) Dernburg II S. 74.

Den Anlaß gab wieder das

164 Interesse der Verpächter, und die Neuerung beschränkte aber in dieser Neuerung

Kreis,

großer allgemeiner Bedeutung.

sich

auf deren

lag ein legislatorischer Gedanke von

Dies

war die Verknüpfung des

ding­

lichen Charakters mit einem bloßen Vertrage zur Sicherung einer Forde­

rung, wodurch der Verkehr von der allerdings lästigen Anwendung der

fiducia oder des pignus befreit wurde.

Trotzdem darf man nicht in das

früher so oft gespendete unbedingte Lob des neuen Instituts einstimmen, da es auch eine große Schattenseite hat.

nämlich

Durch seine Einführung wurde

gebrochen mit dem Princip der Publicität,

welches das

alt­

römische Recht in der fiducia und dem pignus zur Geltung brachte, und welches auch bei dem öffentlich-rechtlichen Institut der praediatura (Ver­ pfändung von Grundstücken an den Staat

ohne Uebertragung) durch

Aufnahme einer öffentlichen Urkunde und Eintragung in die öffentlichen

Bücher20) gewahrt wurde. Jener

Gedanke

eines

Vertragspfands

mit dinglicher Kraft,

für

welchen das Pachtverhältniß den mehr zufälligen Durchbruchspunkt bil­

dete,

ließ sich nun auf alle obligatorischen Verhältnisse anwenden,

da

hier eine Anlehnung an ganz specielle eigenartige Verhältnisse, wie beim int. Salv. die pignoris capio der publicani, nicht

entgegenstand.

So

der analogen Anwendung

kündigte denn der Prätor an,

er würde bei

den Pfandverträgen in allen Verhältnissen die actio (Serviana) ertheilen,

natürlich umgestaltet als quasi Serviana.

Nun war das fruchtbare Feld

geschaffen, auf welchem die stillschweigenden Hypotheken erwachsen konnten.

Als das

am nächsten liegende Anwendungs-Verhältniß ist natur­

gemäß wohl die locatio conductio der praedia urbana, die Miethe, anzu­

sehen. Der Speculationsgeist der in Rom herrschenden Großcapitalisten, der „Geldoligarchie", richtete sich nicht bloß auf die Landwirthschaft, son­ dern mit der schnell wachsenden Größe der Stadt auch auf den Gewinn

durch Bauen und Vermiethen von Häusern.

werbsmäßiges Hauseigenthümer- und

Es

ein

„ge­

Wohnungsvermietherthum".

Die

bildete sich

Großcapitalisten bauten Miethscasernen und vermieteten sie entweder

im Ganzen an Miethsunternehmer, die wieder aftervermietheten, oder in Einzelwohnungen an kleine Leute. Gab es doch um 300 n. Chr. in

Rom nur 1790 domus (von den Eigenthümern selbst bewohnte Häuser, Paläste),

dagegen 46 602 insulae (Miethscasernen).29 30)

29) Bachofen, Pfandrecht IX, Dernburg II S. 30. 30) Friedländer, Sittengeschichte Roms I S. 63.

Die Monopol-

165 wirthschaft des gewerbsmäßigen Vermietherthums

führte zu einer Art

Feudalismus, so daß Hausherren und Miether nicht mehr im Verhältniß

von Verkäufem und Käufern

einer Waare, sondern von Herren und

Hörigen zu einander stauben.31)

Vor Einführung der actio Serviana mochten die Vermiether sich in gewissen Fällen die

fiducia oder pignus

Jllaten des Miethers durch

übertragen lassen und sie zum precarium zurückgeben. war für beide Theile unzuträglich.

Diese Einrichtung

Mit Einführung der actio Serviana

wurde es nun üblich, daß in die schriftlichen Miethscontracte (Formulare),

die Clausel der Verpfändung der Jllaten ausgenommen wurde, vorher

kein

wirksames

Recht

gewährt

Die

hatte.

Aufnahme

welche dieser

Clausel mochte nun wohl nicht immer glatt vom Miether zugestanden

werden,

war es

auch

verfassen, und

umständlich,

stets schriftliche Miethscontracte zu

wurde bei dem häufigen

endlich

Wechsel der Mieth-

wohnungen auch wohl vom Vermiether es versäumt, die Ausbedingung des

Pfandrechts

ausdrücklich

hinzuzufügen.

Das

Interesse der Vermiether

führte nun bald dahin, im Rechte eine solche Verpfändung als stets vor­ handen

anzunehmen:

ein sog.

stillschweigendes (gesetzliches) Pfandrecht.

Auf welche Weise wurde dieser neue Rechtssatz geschaffen?

Neratius

sagt (1. 4 D. 20, 2): Eo jure utimur, ut quae in praedia urbana inducta illata sunt, pignori esse credantur, quasi id tacite convenerit. Hiernach scheint der Rechtssatz mehr durch die Praxis der Gerichte resp, das

Juristenrecht, als durch den Prätor eingeführt zu sein.

die

legislatorische

Rechtfertigung

dieser

Praxis?

Worin liegt nun

Die

römischen

Juristen geben lediglich an, daß mit dem Miethsvertrag süllschweigend nach dem Willen der Contrahenten die Jllaten zum Pfande gesetzt seien,

ein pignus hier als tacite contrahirt angenommen werde. Beim Mangel der Pfandclausel im einzelnen Falle begann der Gerichtsgebrauch zu präsumiren, daß die gewöhnliche Sitte auch hier gelten solle, wenn nicht der Miether ausdrücklich das Gegentheil erklärt hatte. Diese „justa praesumtio“ wurde in der weiteren Entwickelung dahin ausgedehnt, daß ohne alle Rücksicht auf den Willen des Miethers die Verpfändung als

vorhanden angenommen wurde: das Pfandrecht ward

Eine

nähere

Aufilärung

geben die römischen

ein gesetzliches. Juristen nicht. Auch

unsere juristischen Schriftsteller gehen gewöhnlich gar nicht weiter auf die

Frage der legislatorischen Motive der Römer ein,

als daß sie im An-

31) Pöhlmann, Uebervölkerung S. 73 f., Ziebarth, Realexecution S. 10 Fischer a. a. O. S. 350 ff.

166 schloß an die Rechtsquellen eben die vermuthete Uebereinkunft, die tacita conventio als Ursache des Privilegiums anführen. Im Uebrigen registriren sie einfach für uns die Existenz des Instituts im geltenden Recht vermöge

der Reception des römischen Rechts. Die aus der Ueblichkeit der Hypothekclausel hergeleitete Vermuthung eines stets darauf gerichteten Willens kann aber nicht der wahre legis­

latorische Grund

sein.02)

Allerdings verstanden und übten die alt­

römischen Juristen die Kunst, das Alten mittels Fictionen dadurch

zu

praktisch Neue mit dem theoretisch

vermitteln,

daß

sie

durch

eine

geschickte Manipulation den neuen Rechtssatz unter einen Gesichtspunkt

brachten, der keinen Bruch der Jurisprudenz mit den bisherigen Rechts­ sätzen nothwendig machte.

fertigt,

Solche Fictionen waren aber nur

ein wirklicher Nothstand

wo

Alten vorlag,

wo

gerecht­

im Conflict des Neuen mit dem

die „technische Nothlüge" einen zwingenden Grund

So wurden denn mehrfach „die Abstractionen aus dem regel­

hatte.32 33)

mäßigen Inhalte der gangbaren Pfandgeschäfte durch die Vermittelung

der Juristen als Regeln in das objective Recht eingeführt"34) Man

geht aber fehl,

wenn man in der Vermittelungsform den

inneren Grund des vermittelten Rechtssatzes sehen will. rische Grund

muß eben tiefer liegen,

Der legislato­

wie er denn bei den meisten Fic-

tionsfällen in dem nothwendigen Ausbau des betreffenden Rechtsinstituts nach seiner inneren Zweck-Structur liegt, z. B. beim Verkaufsrecht des Pfandgläubigers. Eine innere Nothwendigkeit oder auch nur ein erheb­

liches Bedürfniß für die Fiction einer tacita conventio ist aber hier nicht

auszuftnden. Vor Einführung des bloßen Vertragspfandes war es aller­ dings für den Vermiether aus ähnlichen Gründen wie bei der Pacht schwierig, an den Jllaten des Miethers sich durch fiducia oder pignus ein Sicherungsrecht zu verschaffen, allein dies Schicksal hatte er wieder mit allen Gläubigern des Miethers

gemein.

Mit der actio Serviana

war diese Schwierigkeit einer pfandrechtlichen Sicherung beseitigt.

Daß

nun der Vermiether sich durch die regelmäßige Hypothekclausel zu sichern suchte, war sein volles Recht, vielleicht für ihn als guten Hausvater eine

Pflicht.

Für den Gesetzgeber aber lag ein legislatorischer Grund gewiß

32) Vgl. Gesterding, Ausbeute S. 27, welcher den wahren Grund als uns unbekannt bezeichnet. Brinz, Pandekten Bd. 1 S. 328. 33) Jhering a. a. O. II S. 377 ff., III S. 296 ff. 34) Regelsberger, Altersvorzug des Pfandrechts, § 4. Derselbe will die

Fiction auch hier als Grund ansehen, fügt aber doch in der Anm. 6 hinzu: „Im Einzelnen mögen freilich noch andere Motive mitgewirkt haben."

167 nicht vor, in väterlicher Fürsorge, wie etwa bei den Pupillen, dem Vermiether in allen Fällen die Hypothek gesetzlich zu gewähren und ihm

jede

eigene Bemühung

zu

ersparen.

der That

In

lassen

auch

die

römischen Rechtsquellen selbst gar nicht erkennen, daß sie die Ueblichkeit als Grund der Fiction angesehen haben.

Man hat nun ferner ein gewisses Specialrecht des Vermiethers an­ eine thatsächliche Einwirkung

genommen,

aus die verpfändeten Sachen

des Miethers zum Zwecke seiner Sicherung auszuüben, ein Recht, welches man bald als ein qualificirtes, bald als ein gewöhnliches Retentionsrecht,

bald

als

ein die

(Thorsperre) daß

Entfernung

Es

construirt.

ein derartiges Recht,

der Sache verhütendes Perclusionsrecht

mag hier als richtig angenommen werden,

sei es vor oder nach der actio Serviana,

im

Römischen Recht existirte, und ferner, daß es als ein „natürliches" Recht

des

vermiethenden Eigenthümers,

betrachten fei.35)36 Dies

als „Ausfluß

Hausrecht wird

aber in

seines Hausrechts"

zu

höchsten Aus­

seiner

dehnung doch nur auf verpfändete Sachen bezogen, und selbst,

wenn

man bei den Römern ein Recht des Hausherrn annähme, die verpfändeten

oder nicht verpfändeten retiniren,

so

Sachen des

würde davon doch

Miethers

die Frage

einzuschließen

sein,

unabhängig

resp,

zu

ob

die

Sachen gesetzlich als verpfändet gelten sollen. Mit dem „Hausrecht" ist also

gewiß

kein

genügender

legislatorischer Grund

für die Römer

gegeben, um ein so viel weiter gehendes, so anomales Vorrecht, wie die

gesetzliche Hypothek für den Vermiether zu schaffen. Die eigenthümliche Stellung des

Hausherrn

gab nur die Veranlassung

Abschluß von Pfandverträgen gesetzlichen Hypothek. 3§)

zum

häufigen

und hiermit indirect zur Schaffung der

Dadurch ist nichts weiter bewirkt,

Vermittelungs-Form für die Einführung

als daß die

des neuen Instituts,

für

die Fiction einer tacita conventio, vorbereitet, und ihr die factische Grund­ lage gegeben wurde.

Sodann ist zur Rechtfertigung des gesetzlichen Pfandrechts noch die

Idee

geltend gemacht,3?)

daß „nach der Natur der Miethe die Jllaten

des Miethers ebenso nach ihrer sächlichen Natur,

d. h. pfandweise, für

die Bewohnung haften müssen, wie der Miether selbst nach seiner persön­ lichen Natur, d. h. mit der Contractsklage, verhaftet ist, weil bewegliche 35) Brinz, Pandekt. Bd. 1 S. 328, Rudorfs, Ztschr. f. gesch. Rechtswissenschaft Bd. 13 S. 206, Dernburg Bd. 1 S. 54, 295, Langfelv, Retentionsrecht S. 78. 36) Dernburg Bd. 1 S. 296. 3') Huschte, Studien S. 342 ff.

168 ohne einen festen Punkt auf der Erde

Wesen

nicht würden bestehen

Diese Idee hat wohl mit Recht wenig Anklang und

können".

noch

weniger Verwerthung gefunden. Wenn man nun nach den bisherigen Erörterungen annehmen darf,

daß für die römische Rechtswelt weder die Ueblichkeit der Pfandclausel noch

andere Gründe die Einführung

Miethe

genügend

rechtfertigen,

so

der gesetzlichen Hypothek bei der

wird dies Vorrecht des Vermiethers

auf dieselben zufälligen historischen Verhältnisse zurückzuführen sein, wie das

int. Salvianum bei der Pacht.

Auch

bei der Miethe mußten in

Rom sich die Einflüsse der Reichen auf die legislatorischen Kreise geltend Aus der Geldoligarchie der Senatoren und Ritter (Plebejer wie

machen. Patricier)

gingen noch zu der Zeit des Augustus die Prätoren und

Richter hervor, im Wesentlichen die Juristen überhaupt.38) also

Es

liegt

die Annahme unabweislich nahe, daß im Interesse der Hauseigen­

thümer resp. Vermiether das Privilegium der gesetzlichen Hypothek,

es durch den Prätor, eingeführt wurde.

sei

sei

es durch Gerichtsgebrauch oder Juristenrecht,

Es liegt hier eine jener Ungleichheiten im römischen

sondern lediglich eine Bevorzugung eines Standes oder einer Classe von Personen Recht vor, welche „nicht durch objective Gründe geboten sind, auf Kosten

anderer bezwecken, und

deren

socialen Uebergewicht des Einflusses besteht,

letzter Grund

nur in

dem

den dieser Stand auf die

gesetzgebende Gewalt anszuüben und in seinem egoistischen Interesse aus­ zubeuten verstanden hat."30) durch

Die Einführung war um so leichter,

als

die Anknüpfung an die Ueblichkeit der Hypothekclausel, durch die

Fiction

der tacita conventio das

neue Institut mit dem Scheine der

Harmlosigkeit und Natürlichkeit umgeben wurde. Der Charakter des Instituts als eines Privilegiums geht auch daraus hervor, daß das neue Institut anfänglich nur in Rom und dessen Weich­

bild galt, dann dem neuen Rom, Constantinopel, ebenfalls verliehen wurde. Es blieb Jahrhunderte lang ein Residenz-Privilegium. Erst Justinian dehnte es auf alle Provinzen aus („justa praesumtione perpotiri.40)

Dem Verpächter eines

fruchttragenden Grundstücks

ward ebenfalls

ein pignus tacitum an den Früchten gewährt. Daß nach dem Römischen 38) Puchta, Institutionen I §§ 76, 77, Friedländer I S. 249, 278, Bethmann-Hollweg, Römischer Civilproceß II S. 11, 59. 39) Jhering II S. 96. 40) 1. 4 C. VIII 15.

169 Recht an den Jllaten des Pächters kein pignus tacitum bestand, nimmt mit Recht die herrschende Lehre an. Ueber den Grund dieser höchst auf­ fallenden Unterscheidung aber waltet große Unklarheit ob und hat man die verschiedensten Hypothesen ausgestellt.4') Diese zu erörtern, würde natürlich hier zu weit führen. Nur Eins sei dazu erwähnt. Daß die Ueblichkeit der Verpfändungsclausel bei den Früchten größer gewesen als bei den Jllaten des Pächters, und so der Unterschied sich erkläre, kann sicherlich nicht angenommen werden. Enthalten doch die alten Catonischen Pachtformulare41 42) nur die Verpfändung der Jllaten ohne Erwähnung der Früchte, und bezielt doch auch das int. Salvianum gerade die Jllaten, wenigstens zunächst. Wenn es mir gestattet sein soll, selbst eine neue Hypothese aufzu­ stellen, die zugleich ein weiteres Streiflicht auf den anomalen Charakter des Instituts wirft, wäre es folgende: Die allgemeine Ansicht, daß das gesetzliche Pfandrecht des Ver­ pächters an den Früchten durch Gerichtsgebrauch resp. Juristenrecht oder durch den Prätor eingeführt sei, wie das gesetzliche Pfandrecht des Ver­ miethers an den Jllaten, ist irrig: jenes ist erst durch Justinian ein­ geführt. Die Hauptstelle ist 1. 7 D. XX 2. (Pomponius ex var. lect): „In praediis rusticis fructus qui ibi nascuntur tacite intelleguntur pignori esse domino fundi locati, etiamsi nominatim id non convenerit. § 1. Videndum est, ne non omnia illata vel inducta, sed ca sola, quae, ut ibi sint, illata fuerint, pignori sint: quod magis est."

Der Jurist hat offenbar, wenn die Stelle selbst unbefangen betrachtet wird, nur praedia rustica im Sinne und spricht über deren fructus und illata, da man nicht annehmen kann, daß er vom Pfande der Früchte in prae­ diis rusticis plötzlich auf die praedia urbana und deren illata et inducta überspringe, daß er im princ. der Stelle ausdrücklich von den praediis rusticis spreche und unmittelbar darauf int § 1 ohne jede Andeutung stillschweigend unter illata inducta diejenigen der praedia urbana ver­ stehe und diejenigen der praedia rustica ausschließe. Das Wort „ibi“ kann nur auf die unmittelbar vorher erwähnten pr. rustica bezogen 41) Donellus Comm. 15 S. 453, Vinniusacl §§ 77 deact. Nr. 8u. 9, Glück, Pandekten 18 S. 440, Westphal, Erläuterg. S. 154, Huschte, Studien S. 344 ff. Gcsterding, Pfande. S. 133, Hellfeld, Opusc. XI § 1. 42) Bachofen S. 8.

170 werden, unmöglich auf pr. urbana, die vorher gar nicht genannt find. Man müßte geradezu zwischen dem princ. und § 1 einen Satz über praedia urbana als fehlend hinzudenken, wollte man § 1 aus pr. urbana beziehen. Da nun im römischen Recht bei pr. rusticis nur an den Früchten, nicht an den Jllaten ein gesetzliches Pfandrecht existirt, so muß Pomponius mit der Stelle lediglich das vertragsmäßige Pfandrecht im Auge haben und zwar bei pr. rusticis. Die Stelle ist schon wegen des Wortes „ibi“ als ein untrennbares Ganze anzusehen, so daß man nicht etwa an 2 „variae lectiones“, eine für die fructus der pr. rustica, eine für die illata der pr. urbana denken könnte. Die Pfandclausel bei praediis

rusticis lautete auf inducta et illata bald mit dem Zusatze: nata paratave oder fructus, bald ohne diesen Zusatz. Pomponius sagt nun, daß die Clausel im Vertrage auch ohne den Zusatz die Früchte als stillschweigend mitverpfändet umfasse.") Daß zur Zeit des Pomponius die gesetzliche Hypothek an den Früchten noch nicht existirte, scheint auch aus 1. 62 § 8 D. 47, 2 hervorzugehen, worin Afrikanus, der Zeitgenosse des Pomponius, ausdrücklich sagt: „ut adsolet, convenit uti fructus ob mercedem pignori mihi essent“. Auch der viel spätere Jurist Scävola spricht noch von ausdrücklicher Verpfändung der invecta inducta ibi nata bei praed. rusticis (1. 32 D. 20, 1). 1 Wären damals die fructus schon tacite kraft Gewohnheitsrechts, resp. Gesetzes verpfändet gewesen, wozu dann die ausdrückliche Clausel? Die Stellen 1. 24 § 1 und 1. 53 D. 19, 2, welche das Pfandrecht an den Früchten auf die Afterpacht ausdehnen, lassen sich ebensowohl auf ausdrückliche als auf stillschweigende Verpfändung beziehen, wie sie denn auch nicht in dem das pignus tacitum ex professo behandelnden Tit. 20, 2 stehen. Bei der letzteren Stelle wird sogar die ausdrückliche Verpfändung nothwendig anzunehmen sein, da zuerst von den „res conductoris“, dann von den fructus gesprochen wird, die res hier, bei praediis rusticis, aber jedenfalls ausdrücklich verpfändet sein mußten. Die Ausdehnung auf die vom Afterpächter gewonnenen Früchte war der Natur der Sache nach ganz genau so erforderlich beim pignus conventum, wie beim pignus 43) In diesem Sinne wird für die Pfandclausel denn auch die Stelle ver­ werthet von Bachofen S. 9, Rudorfs a. a. O. S. 215. Eigenthümlich ist es, daß die Gesetzesclausel im Pr. A.L.R. I 21 § 395 nur von den „Sachen und Effecten" des Pächters spricht, die Juristen aber die Clausel ebenfalls auf die Früchte tacite ausdehnen.

171

tacitum. Auch erklärt sich so der Schlußsatz in 1. 4 D. XX 2 (welche die classische Stelle für das pignus tacitum des Vermiethers an den Jllaten bildet) „in rusticis praediis contra observatur“. Die Ungenauigkeit dieses Satzes, welcher die Erwähnung des pignus tacitum an den Früchten bei praediis rusticis, die, wenn dasselbe bestand, doch so nahe lag, ganz unterläßt, ist mit Recht öfter gerügt worden, fällt aber bei der hier aufgestellten Hypothese weg. Als Justinian nun das Residenz-Privilegium des Vermiethers auf das ganze Reich ausdehnte, fand er für eine Berücksichtigung des bis dahin mit einem gesetzlichen Pfandrecht nicht bevorzugten Verpächters, für welchen doch speciell das int. Salv. und die a. Serviana eingeführt waren, in den Rechtsquellen bezüglich der Jllaten gar keinen Anhalts­ punkt, bezüglich der Früchte die Stelle des Pomponius, welche an sich freilich nur die interpretative Ausdehnung der vertragsmäßigen Psandclausel wegen der Jllaten des Pächters auch auf die Früchte ent­ hielt. Sie paßte aber mit ihren Worten: in praediis rusticis fructus tacite intelliguntur pignori esse domino tun di locati, etiamsi nominatim id non convenerit ganz vortrefflich zu dem Zwecke der Einführung eines pignus tacitum, zumal die vom pignus tacitum des Vermiethers handelnde 1. 4. D. 2, 14 fast wörtlich überein stimmt: „placet in urbanis habitationibus loiandis invecta illata pignori esse locatori, etiamsi nihil nominatim convenerit“. So nahm denn Justinian die Stelle des Pomponius und setzte sie in den Titel: In quibus causis pignus vel hypotheca tacite contrahitur. Damit war das stillschweigende Pfandrecht an den Früchten gewisser­ maßen auch „stillschweigend" vom Gesetzgeber eingeführt. In Folge dieser Manipulation hat die Stelle allerdings ihre ein­ fache, richtige Bedeutung, wie sie ursprünglich war, verloren, und jede Interpretation wird jetzt eine gezwungene. Die verschiedenen Auf­ klärungs-Versuche") müssen eben an dem Grundfehler scheitern, daß man überall annimmt, Pomponius spreche von einem schon existirenden pignus tacitum an den Früchten und meine dasselbe, was Justinian will. Bei der hier aufgestellten Hypothese erklärt sich die Sache ohne Schwierigkeit. Wenn dabei allerdings die Compilatoren der Pandekten der Vorwurf trifft, daß sie die ursprünglich correcte „lectio“ durch Anweisung einer ganz anderen Position zu einer incorrecten gemacht haben, so hat auch hier eben der Zweck das Mittel heiligen müssen. Hierdurch erklärt sich

172 ferner,

wie mich dünkt,

höchst einfach der Umstand,

daß das pignus

tacitum sich nur auf die Früchte bezieht, indem Justinian für die Jllaten

keinen Anhaltspunkt in den bisherigen Rechtsquellen fand und ohne einen

solchen nicht eine vollständige Neuerung statuiren mochte.

Verbot früherer Kaiser,

das

Haupttheil der Jllaten, zu pfänden (1. 7. 8 C. VIII 16),

Landwirthe,

wie regelmäßig

Wenn das

landwirthschaftliche Inventar,

sich

also den

auf alle

angenommen robb,45)46und nicht bloß auf

die tributpflichtigen Bebauer von öffentlichen Ländereien bezogen hat, so

hatte Justinian noch

um so

weniger Anlaß,

das gesetzliche Pfandrecht

auch auf die Jllaten des Pächters auszudehnen. — Nachdem in obigen Ausführungen versucht ist, zu zeigen, daß die gesetzlichen Pfandrechte der Verpächter und Vermiether in zufälligen

historischen Verhältnissen der Römer ihren Grund haben und der inneren

Rechtfertigung entbehren, will ich hier einige specielle, noch nicht erwähnte Aussprüche

der

juristischen

Schriftsteller

anführen,

welche

ebendahin

zielen:4^) Brinz, Pand. § 84 S. 329: „leicht könnte die tacita conventio moderne Beschönigung alter

Selbstherrlichkeit sein". Pernice, Labeo I 467, 468: „Zur Miethe wohnen in Rom nur tenuiores



leben nur

kleine Leute als Pächter. — Es lag nicht im Sinne der Juristen, solchen untergeordneten Leuten dem Capitale gegenüber einen be­

sonders wirksamen Rechtsschutz angedeihen zu lassen".

Thibaut, Arch. f. civ. Pr. 11 S. 131:

„Wenn, wie bei den Römern, der beste, mächtigste Theil des Volks sich dem Landbau ergiebt, so ist es auch natürlich,

Grundbesitzer ihr Interesse vor allen Andern

daß die

geltend zu machen

wissen". Dernburg I S. 57:

„In Rom sind es die Grundeigentümer, setzen wissen,

welche es durchzu­

daß der Prätor ihr Vertragspfand an den Jllaten

des Colonen selbst gegen spätere Erwerber schützt". Derselbe S. 61:

45) Gleich § 715 D. C P.O. 46) Connanus Comm. IV cap. 16 sagt, daß das Pfandrecht des Vermiethers eingeführt sei „a callidis, doetis et qui Romae essent Juris consultis et prudentibus viris“ gegen die „magna multitudo“ der „extranei et inopes“.

173 „Wir dürfen uns nicht wundern, wenn von Seiten der Guts­

herren bald höhere Prätentionen gemacht werden".

Gehen wir nun zum deutschen Recht über, so wird sich zeigen, daß hier ähnlich wie im römischen Rechte zufällige historische Verhältnisse zu Gunsten der Vermiether und Verpächter wirksam waren. Die Frage, ob im deutschen Recht wie bei der persönlichen Verhaf­

tung für eine Schuld, so auch bei den Formen der sachlichen Verhaftung

mittels Uebertragung zum Eigenthum oder zum bloßen Besitz, eine Gleich­

heit mit dem römischen Recht' anzunehmen ist,47)

kann hier dahingestellt

bleiben.

So viel muß aber als feststehend angesehen werden,

daß das alte

deutsche Recht an beweglichen Sachen, Fahrniß, nur ein Pfandrecht ver­

bunden mit Besitz, nur ein Faustpfandrecht formte:48) „Ohne Besitz kein Pfand"

war der Grundsatz des deutschen Rechts.

Hypotheken,

bloße

Vertrags- oder gesetzliche Pfänder waren unbekannt, und erst im späten Mittelalter begannen schüchterne Ansätze, ein Pfandrecht an Fahrniß ohne

Besitzübertragung zu constituiren. Das Faustpfand war entweder ein gesetztes (vertragsmäßiges) oder

ein

genommenes

geschah

Pfand.

entweder durch

Das

Nehmen des Pfandes,

richterliche Hülfe

Gläubiger birect.49)50 Nur dies Letztere:

die Pfändung,

oder eigenmächtig durch den die Privatpfändung durch den

Gläubiger, interessirt uns hier.

In den

ältesten Zeiten mochte die

eigenmächtige Pfändung

als

Selbsthülfe bei den Deutschen wie wohl überall den Anfang des Rechts­

schutzes gebildet haben, aber mit der steigenden Entwickelung der Cultur und

des Rechts

werden.

mußte die Eigenmacht mehr und mehr zurückgedrängt

So wurde denn das Privatpfändungsrecht schon früh in Deutsch­

land verboten, und nur wenige Ausnahmen blieben erhalten.

Dazu ge­

hörte auch die Pfändung des Grundherrn gegen den Zinsmann für ver­ sessenen Zins sowohl bei Pacht wie bei Miethe.

Man hat hier wie im

römischen Recht beim gesetzlichen Pfand-Recht, verschiedene Erklärungen

über das juristische Fundament dieses Pfändungs-Rechts aufgestellt?9) Als richtig ist die jetzt herrschende Meinung anzusehen,

daß diese Art

des Pfändungsrechts ihren Ursprung von der meistens auch die Gerichts-

47) Budde, 48) 49) 50)

Madai, Z. S. f. D. R. 8 S. 285 ff., Rückert, Sachenrecht S. 116,127, Z. S. f. D. R. 9 S. 411 ff., Schulte, D. R.G. S. 465. Heusler, Inst, des D. Pr.R. S. 201, Stobbe, D. Pr.R. II § 154. Heusler a. a. O. S. 206. Wilda, Z. S. f. D. R. I S. 217 ff., Meibom, D. Pfandr. S. 20 ff.

174 Herrlichkeit in sich

schließenden Herrschaft des Grundherrn über seinen

zur Leihe gegebenen Besitz und über seine Hintersassen genommen ^t51)

und

analog

ist32)

auf das Verhältniß der gewöhnlichen Miethe ausgedehnt

Zeitpacht und Zeitmiethe waren ohnehin oft kaum von der Erb-

welche letztere ebensowohl in den Städten wie

leihe zu unterscheiden,

auf dem Lande im Mittelalter üblich war.33)

So wurden denn auch

die gewöhnlichen Miether einer städtischen Wohnung Hintersassen

ge­

nannt. 34) Wir haben hier demnach als Privilegium der Grundeigenthümer

ein Pfändungsrecht, ein Recht auf eigenmächtiges Nehmen eines Pfandes, welches Recht in den derzeitigen socialen und wirthschaftlichen Verhält­ nissen Deutschlands

seinen Anlaß und Grund fand.

Dies Pfändungs­

recht erhielt sich für städtische Zinse wesentlich nur während des Mittel­ alters und verschwand später fast ganz aus den städtischen Statuten,33) während es bei ländlichen Gutsherrschafts-Verhältnissen bis in die neuere

Das

Zeit fortdauerte.33)

Verschwinden des Pfändungsrechts in den

Städten hing zusammen mit dem Aufhören seines wesentlichen Grundes,

des Abhängigkeits-Verhältnisses der kleinen Leute bei der Lerhe, nament­ lich in Folge der Ausbildung des Zuyft- und Gilde-Wesens.37) Mit der Reception des römischen Rechts wurde nun auch das In­

stitut der Hypothek,

des

geführt und der alte

„ohne Besitz kein Pfand"

in Deutschland

bloßen Vertragspfands,

Grundsatz des deutschen allmählich

ein­

Rechts bei Mobilien:

aufgegeben.

Die Reception des

römischen stillschweigenden Pfandrechts des Vermiethers an den Jllaten

und des Verpächters an den Früchten konnte um so glatter erfolgen, als schon früher bei Miethe und Pacht in Deutschland das Pfändungs­ recht bestanden hatte und in einzelnen Resten noch fortbestand.

Reste wurden sogar

Diese

ohne Weiteres von den älteren Juristen als das

5rJ Landfrieden v. 1281 Art. 59, Sachsenspiegel I 54, Schwabenspiegel § 85. 52) Meibom S. 207, Stobbe, D. Pr.R. I § 70 Nr. III, Heusler II S. 185. 53) Arnold, Gesch. des Eigenthums, Abschn. 2 u. 4, Heusler II §§ 110,111. 54) Verm. Sachsensp. II, 4, 2, 3. 55) Als charakteristisch muß hier hervorgehoben werden, daß das Pfändungs­ recht an den Mobilien des Miethers den Bürgern von Paris durch besonderes Pri­ vilegium zugesichert worden, während es in Frankreich sonst untergegangen war (Wilda S. 214). Also auch hier ein Residenz-Privilegium, wie das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers in Rom! 56) Wilda a. a. O. S. 21, Stobbe, D. Pr.R. I § 70 III. 57) Wilda S. 224. Vgl. Arnold, Gesch. des Eig. S. 4 f., 249 f.

175 Recht angesehen,

sich

an die invecta und illata zu halten,

allerdings

unter Subintelligirung der richterlichen §ülfe.58)59 60 Die61 stillschweigenden

Pfandrechte gingen dann auch in ältere und neuere Statuten resp. Ge­

setzbücher über und zwar mit der auch in der Praxis des gemeinen rö­ mischen Rechts vielfach

auch des Pächters. sehen,

vertretenen Ausdehnung auf die invecta et illata

Diese Ausdehnung ist als

ganz

consequent anzu­

da Justinian mit dem Privilegium des Verpächters auf halbem

Wege (bei den fructus) stehen geblieben war. Bei der vernichtenden Autorität, welche lange Zeit hindurch dem römischen Rechte innewohnte und nur allzu sehr noch immer bei manchen

Juristen unserer Zeit vorhält, kann es nicht verwunderlich erscheinen, daß erst im Anfänge des

18. Jahrhunderts die Angriffe

gegen die dem

deutschen Rechte widerstrebenden stillschweigenden Pfandrechte begannen.

Die ersten Vorstöße gingen von sächsischen Juristen aus,

wie überhaupt

im Gebiete des sächsischen Rechts der Widerstand und die Reaction gegen das römische Recht wohl am kräftigsten sich erwiesen hat.oo)

Diese Agi­

tation führte zu der Aufhebung der stillschweigenden Hypotheken durch die

chursächsische Proceßordnung von 1724.

Dem Einfluß der Roma­

nisten gelang es aber, die Restauration der stillschweigenden Pfandrechte durch das Mandat von 1734 alsbald wieder herbeizuführen. Eine wirksamere Reaction zu Gunsten des deutschen Faustpfand-

Princips wider die stillschweigenden Hypotheken entwickelte sich wesentlich

erst gegen die Mitte unseres Jahrhunderts, sowohl in der Literatur/') wie in der Gesetzgebung.

Bei der Darstellung des in Folge dieser Re­

action eingetretenen Zustandes der neueren Gesetzgebung in Deutschland, soweit das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers und Verpächters in Frage kommt, ist zu unterscheiden zwischen der Zeit vor der Deutschen

Concurs-Ordnung und nach derselben. Vor dem Inkrafttreten der D. C. O. war der Zustand folgender: Im Gebiete des gemeinen Rechts

nicht geändert worden —



sofern es particularrechtlich

bestand das gesetzliche Pfandrecht des Ver­

miethers an den Jnvecten und Jllaten,

ferner des Verpächters an den

58) Stryck, De jure pign. c. 3 § 32. 59) S. Mevii Dec. IV c. XXVII. 60) Griebner, Progr. de tacit. pign. Thomasius de origine hypoth. tac. Lips. 1832, welcher die stillschweigenden Hypotheken ein „venenum“, die actio Serv. die „hydra“ derselben nennt. Hellfeld, Opusc. XI. 61) So verurtheilt z. B. Gesterding, Ausbeute S. 19 ff., die stillschweigenden Pfandrechte auf's schärfste.

176 Die Frage,

Früchten.

ob der Verpächter auch an den Jllaten ein ge­

setzliches Pfandrecht habe,

war streitig,

ward aber von der herrschenden

Meinung verneint. Beibehalten war ferner in Landesgesetzen das gesetzliche Pfand­ recht: im Preußischen Allg. Landrecht I 21 § 395; im Anhaltischen Ge­ setz vom 13. April 1870 § 3; in den Oldenburgischen Gesetzen vom 3. April

1876 Art. 18, vom 28. Januar 1879 Art. 3 und vom 19. März 1879 Art. 3; im Braunschweigischen Gesetz vom 8. März 1879 § 3.

Diese

Gesetze geben die Rechte eines Pfandglüubigers resp, ein dem Faustpfand

gleiches Pfandrecht. Nach den Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. I S. 429, XIV S. 321

gehört auch das

Hamburger Stadtrecht (resp.

Gesetz vom 14. April 1882) hierher.

Beseitigt war das gesetzliche Pfandrecht durch folgende Particulargesetze: 1.

die Bayerische Prioritäts - Ordnung vom

1. Juni 1822 § 21

Nr. 3 und 4 (rechtsrheinisch), 2.

das Württembergische Pfandgesetz vom 15. April 1825 Art. 1,

2, 245, 3. das

Sächsische

Gesetzbuch

(vorher

schon

das

Mandat

vom

4. Juni 1829), 4. das Großherzoglich - Hessische Gesetz vom 15. September 1858 (Oberhessen und Starkenburg),

5.

das Hannoversche Pfandgesetz vom 14. December 1864 §§ 1,

43, 61 Nr. 4. Das Sächsische Gesetzbuch gewährte als Ersatz ein einfaches,

per­

sönliches Retentionsrecht (§ 1228). Das Hessische und Hannoversche Gesetz gaben ein Vorzugsrecht (im

Concurs). In Bayern,

Württemberg, Hessen und Hannover war dabei das

Fortbestehen des Retentionsrechts streitig.

Das Reichsgericht (Entsch. in

Strafsachen XV S. 232) hat das Retentionsrecht als Recht aus particularrechtlichen bestehend

Hannover)

erklärt,

ein selbständiges

Gründen in Bayern^) für fort­

sonst aber (Entsch. in Straffachen VI S. 301,

ausgesprochen,

daß das

Retentionsrecht

ein Ausfluß

für

des

Pfandrechts sei und mit demselben stehe und falle. Im Gebiete des französischen Rechts (Code civil Art. 2102 Nr. 1) 62) Der Bayerische Entwurf von 1860 Art. 423 giebt auch ein Retentionsrecht.

177 war ein Mittelweg eingeschlagen.

seitigt und

Das

war be­

gesetzliche Pfandrecht

nur ein Vorzugsrecht gewährt.

Diesem Vorzugsrecht war

aber insofern ein dinglicher Charakter beigelegt,

als der Berechtigte die

ohne seine Einwilligung entfernten Sachen innerhalb

einer bestimmten

Frist von dem dritten Besitzer zurückfordern konnte (droit de suite, Ver­

folgungsrecht). Man sieht, wie die Musterkarte der deutschen Gesetze vor der D. C. O. schon mannigfaltig genug war.

Nun kommt

und 4:

die D. C. O.

mit der Bestimmung des § 41 Nr. 2

daß Verpächter in Ansehung der Früchte und

eingebrachten

Sachen, Vermiether in Ansehung der eingebrachten Sachen den Faust­

pfandgläubigern gleichstehen. Dies Special-Vorzugsrecht, eine Art fingirten (Quasi-) Faustpfandes,

besteht jedoch

eben nur in den Grenzen des Coneurs-Gebiets.

Soweit sind alle anders gearteten resp, weitergehenden Privilegien, mögen

sie in den Particulargesetzen als Pfand- oder Retentions- oder Vorzugs-

Rechte erscheinen, allgemein beseitigt, resp, auf das Recht aus dem § 41 beschränkt.

Andererseits

ist da,

wo kein Vorrecht oder ein geringeres

bestand, ein neues eingeführt, resp, das vorhandene erweitert.

Außerhalb des Concursgebiets aber ist Alles beim Alten ge­ blieben im Verhältniß des Verpächters und Vermiethers zum Pächter und Miether wie zu anderen Gläubigern und dritten Personen.

Für das Gebiet außerhalb des Coneursverfahrens trafen nun die particularen Ausführungsgesetze zur D.C.O. weitere Bestimmungen.

Das preußische Ausführungsgesetz vom 6. März 1879 § 7 bestimmt, daß die Vorschriften des § 41 D.C.O. auch außerhalb des Coneursver­ fahrens auf das Verhältniß der durch diese Vorschriften den Faustpfand­

gläubigern gleichgestellten Gläubiger zu anderen Gläubigern des Schuld­ ners entsprechende Anwendung finden sollen. Diese Bestimmung gilt für die ganze preußische Monarchie.

Sie regelt nur das Verhältniß zwischen

den Gläubigern unter einander. Unberührt bleibt das Verhältniß zum Schuldner und

gläubigern.

zu Nicht­

Unberührt bleiben hier im Besonderen auch die Pfand- und

Retentions- oder Vorzugsrechte (speciell das Verfolgungsrecht im rheinisch­ französischen Rechtsgebiete), seits

welche landesgesetzlich existiren, wie anderer­

solche da, wo sie nicht existiren (Hannover),

im Verhältniß

zum

Schuldner und zu Nichtgläubigern nicht etwa neu eingeführt sind.

Gleiche Bestimmungen sind

durch die Ausführungsgesetze für die

thüringischen, die (nicht königlich) sächsischen und lippeschen Länder getroffen. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. NI.

12

178 In Mecklenburg ist durch das Gesetz vom 2. Februar 1884 ein „gesetzliches Pfandrecht" gewährt. ist im Uebrigen nichts

Für das Gebiet des gemeinen Rechts

Besonderes

zu bemerken.

(Oldenburg:

Aus­

führungsgesetz vom 28. Januar 1879 Art. 13 für Birkenfeld; Braun­

schweig: vom 8. März 1879 §§ 3, 5;

Bremen: vom 25. Juni 1879

§ 44.) Nach den bereits früher erwähnten Reichsgerichts-Entscheidungen in Strafsachen I S. 429, XIV S. 321 besteht in Hamburg noch das ge­ setzliche Pfandrecht, und

ist die in den Motiven zum Entwurf eines

Deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs II S. 403 enthaltene Aufzählung des

Hamburger Gesetzes

vom

14.

April 1882

unter den das

gesetzliche

Pfandrecht beseitigenden und nur ein Vorzugsrecht gewährenden Parti-

eulargesetzen nicht zutreffend. In Bayern rechts des Rheins ist durch Art. 140 Ausf.-Ges. vom

23. Februar 1879 den im § 41 D.C.O.

aufgeführten Gläubigern der

Vorzug vor späteren Pfändungs-Pfandgläubigern gewährt.

In den

hessischen Provinzen Oberhessen und Starkenburg ist das

bestehende Vorzugsrecht bestätigt mit dein Vorrechte vor dem späteren

Pfändungspfand.

(Ausf.-Ges. vom 14. Juni 1879 Art. 42, 43.)

In Rheinhessen (Ausf.-Ges. vom 4. Juni 1879 Art. 100), sowie in Baden (Ausf.-Ges. vom 3. März 1879 § 21), Pfalzbayern (Ausf.Ges. vom 23. Februar 1879 Art. 199, 200), Elsaß-Lothringen (Ausf.-

Ges. vom 8. Juli 1879 §§ 20, 21, 22) ist ebenfalls das bereits be­ stehende Vorzugsrecht mit dem Verfolgungsrecht unter einigen Modificationen bestätigt. Für das Königreich Sachsen ist nichts Besonderes bestimmt.

Das Bild der

jetzt in Deutschland

geltenden Bestimmungen

über

die Vorrechte der Verpächter und Vermiether erscheint demnach als ein

äußerst mannigfaltiges und buntes, als der schönste Mosaikboden! In den allgemeinsten Umrissen läßt dies Bild sich folgendermaßen zeichnen.^) Im

Gebiete des Concursverfahrens

gelten in Deutschland

überall und nur die Bestimmungen des § 41 D.C.O.

Außerhalb des Concursgebietes gelten:

A. im Gebiete des gemeinen Rechts — soweit unten keine Aus­ nahme erwähnt wird —

63) Dabei bleiben event, einzelne Irrthümer und Auslassungen, sowie die zahl­ losen speciellen Modificationen und Streitpunkte vorbehalten.

179

das gesetzliche Pfandrecht mit Retentionsrecht; B. in Preußen

1. beim Verhältniß der Verpächter und Vermiether zu anderen Gläubigern überall das Vorrecht aus § 41 D.C.O.,

2. beim Verhältniß der Verpächter und Vermiether zum Pächter und Miether, sowie zu Nichtgläubigern a) im Gebiete des Allg. Landrechts (sowie des gemeinen Rechts, abgesehen von Hannover)

das gesetzliche Pfandrecht mit Retentionsrecht; b) im gemeinrechtlichen Theile der Provinz Hannover

das particularrechtliche Vorzugsrecht; c) in der Rheinprovinz das particularrechtliche Vorzugsrecht mit Verfolgungsrecht;

C. in Bayern rechts des Rheins sowie in Württemberg das — streitige — persönliche Retentionsrecht;

v. in den hessischen Provinzen Oberhessen und Starkenburg das particularrechtliche Vorzugsrecht; E. in Rheinhessen, Pfalzbayern, Baden und Elsaß-Lothringen

das particularrechtliche Vorzugsrecht mit Verfolgungsrecht;

F. im Königreich Sachsen das persönliche Retentionsrecht.^) Dies ist der gegenwärtige gesetzliche Zustand in Deutschland. Daß einem solchen

legislatorischen Wirrwarr im Deutschen Reiche

irgend wie auf einheitliche Weise abgeholfen werden muß, kann nicht zweifelhaft sein. Es fragt sich eben nur, wie? Man kann nur zwei Wege zur einheitlichen Regelung einschlagen: entweder jedes Vorrecht des Ver­

miethers (Verpächters) radieal beseitigen oder ein Vorrecht beibehalten und dann eine der jetzt vorhandenen Vorrechtsformen auswählen. Der Entwurf schlägt den zweiten Weg ein, und zwar wählt er die Form des gesetzlichen Pfandrechts. Betrachten wir zunächst

die juristische Structur

unseres

Rechts­

instituts im Allgemeinen. Die Römer hatten (abgesehen von der fiducia) ebenso wohl wie die

Deutschen ursprünglich das Princip bei Mobilien: „Ohne Besitz kein Pfand". Den hohen Vorzug der Publicität, welchen diese Pfandform 64) Erwähnt mag noch werden, daß das österreichische Gesetzbuch — § 1101 — ein gesetzliches Pfandrecht, das Schweizer Gesetz über das Obligationenrecht — Art.

294 — ein Retentionsrecht gewährt.

180 in sich trug, gaben die Römer auf aus Gründen nicht juristischer, sondern ökonomischer und socialer Natur.65 66)67 68 Solche 69 70 Gründe bewogen sie auch, mit dem neuen Institut der Hypothek gerade bei den Jnvecten und

Jllaten des Pächters zuerst anzufangen.

Diese bildeten als Sachgesammt-

heit ein sehr complicirtes Pfandobjeet.

Dazu kam noch, daß die Ver­

mittelungsform für die weiter folgende gesetzliche Hypothek, die tacita conventio, zunächst eine Zwitternatur des Instituts herbeiführte, indem die Juristen bald aus dem vermutheten Vertragswillen,

bald aus dem

bindenden Gesetzesausspruch je nach Bedürfniß ihre Folgerungen zogen. Es kostete die größten Anstrengungen, die gesetzliche Hypothek hier mit den Forderungen der Jurisprudenz wie des Verkehrslebens möglichst in

Einklang zu bringen.

So ist denn dies Institut zu einem

zertretenen

Tummelplatz für die zahlreichsten und sonderbarsten Streitigkeiten ultet66) und neuer Juristen, Theoretiker wie Praktiker, geworden.

Mit Leichtig­

keit lassen sich mehr als ein Dutzend Controversen aufzählen. weise über die juristische Natur des

selbst — und dies

Vorzugs­

dem Vermiether gewährten Rechts

interessirt uns hier — herrscht ein lebhafter Streit.

Die Rechtsquellen sprechen mehrfach von einer retentio der Jllaten.6?) Man mußte aber allgemein anerkennen, daß der Vermiether als Haus­ herr nicht im Besitze oder Gewahrsam der Jllaten des Miethers sich be­

findet,66) also eine Retention im technischen Sinne nicht möglich ist. Man construirte nun ein Recht von besonderer Art. Einige Juristen gaben dem Vermiether bei ausdrücklicher oder stillschweigender Verpfän­ dung ein Recht,

die Jllaten zu

apprehendiren und

so

als Pfand

zu

retiniren,66) Andere sahen in der Berechtigung des Vermiethers ein qualificirtes Retentionsrecht mit der Befugniß zur Zurückhaltung der Jllaten, solange sie sich in dem Hause befinden, und mit einem Klagerecht gegen

dritte Besitzer bei fraudulöser Veräußerung.?6)

Eine dritte Ansicht, und

65) Dernburg I S. 63. 66) Der römische Jurist Nerva, welcher das Ausrücken durchs Fenster em­ pfahl (1. 9 D. 20, 2), wurde sogar mit dem Fluche der Lächerlichkeit belegt („derisus“), für welche Unart Cu ja eins, Obs. XXII c. 39 ganz amüsante Erklärungen und Entschuldigungen aufsucht. 67) z. B. 1. 6, 9 D. 20, 2. 68) Dernburg II S. 295. Langfeld, Ret.-Recht S. 78. 69) Bachofen S. 24. Rudorfs, Z. f. gesch. R. W. 13. S. 206. Das Reichs­ gericht (Entsch. in Strafsachen XIV S. 322) scheint sich auch auf diesen Standpunkt zu stellen, indem es „die körperliche Ergreifung und Einschließung der Sachen" als eine Ausübung des Sperrrechts bezeichnet. 70) Glück 18 S. 422.

181 diese ist wohl jetzt die herrschende, Apprehensionsrecht,

spricht dem Vermiether zwar kein

wohl aber ein Perclusionsrecht zu, d. h. die Be-

fugniß, sein Haus zu verschließen und die Wegschaffung der Jllaten zu

hindern.7')

Dabei wird gewöhnlich anerkannt, daß das Perclusionsrecht

nicht schon aus der Hypothek an sich entspringt, sondern gerade bei der Miethe ein mit der Hypothek verbundenes Specialrecht bildet, und daß

die Perclusion nicht wie die Apprehension den Besitz giebt.71 72)

Andere

endlich halten die Perclusion — welche ein Mal in den Quellen erwähnt roirb73) — nur für einen Act der Fixirung der als Pfandobjecte aus der Sachgesammtheit beanspruchten Jnventarstücke, welcher beim Wider­ stände des Miethers nur mit obrigkeitlicher Hülfe zulässig sein soll.74)75 Ob sodann das Retentions- resp. Perclusionsrecht unabhängig vom

Pfandrecht selbst existirt oder mit demselben steht und fällt, ist in den­ jenigen Gebieten des (gemeinen) Rechts, wo das Pfändungsrecht gesetzlich

beseitigt ist, lebhaft bestritten.7^) Ebenso verschieden sind die landesgesetzlichen Bestimmungen, welche,

wie oben dargestellt,

theils ein Pfändungsrecht, theils ein Retentions­

recht, theils ein Vorzugsrecht gewähren,

überall wieder mit Variationen

in Einzelheiten.

Ein solches Institut sollte für den juristischen Standpunkt schon von vornherein Mißtrauen und Bedenken gegen die Berechtigung seiner legis­ latorischen Beibehaltung erregen. Weder bei der fiducia und dem pignus im römischen Rechte noch beim deutschen Faustpfand konnte man an ge­ setzliche Pfandrechte denken.

Erst mit Einführung der römischen Hypo­

thek wurde die lange Aera der gesetzlichen Pfandrechte 'möglich.

neuere Legislatur ist zu dem Grundsatz: Mobilien zurückgekehrt.

Die

„Ohne Besitz kein Pfand" bei

Dieser Grundsatz ist nicht bloß ein deutscher,

sondern auch, was viel zu wenig den „Romanisten" gegenüber betont wird, ein alt- und echt-römischer. Die Hypothek, vollends die stillschwei71) Dernburg I S. 54, II S. 332. 72) Keller a. a. O. S. 972. Dernburg I S. 54. Langfeld S. 83. 73) 1. 9 D. 20, 2. 74) Glück 18 S. 127. Gösch, Meckl. Z. S. 3, S. 100 ff. (mit sehr beachtenswerthen Gründen). 75) Stegemann, Magazin f. D. R. II S. 300. Schneider ebenda S. 101. Francke, Jahrb. f.Dogm. XX 451. Altvater, Meckl. Z. S. 3 S. 70. Bunsen, ebenda S. 212. Das Reichsgericht (Entsch. in Strafsachen IV S. 43, VI S. 321, XIV S. 322) nimmt an, daß nach der inneren juristischen Natur des Pfandrechts des Vermiethers das Retentions- oder Sperrrecht vom Pfandrecht abhängig ist.

182 gende Hypothek

an Mobilien

war

nur

ein Product der zufälligen

ökonomischen und socialen Verhältnisse Roms.

Mit der Beseitigung des

Instituts dieser Hypothek verlangt die nothwendige Consequenz auch die Beseitigung aller süllschweigenden Hypotheken.

Die neuere Legislatur ist

denn auch im Ganzen nicht blöde gewesen und hat weitaus die meisten der stillschweigenden Hypotheken schonungslos über Bord geworfen, das Princip

des Besitzpfandes möglichst zu retten.

wurde aber noch viel unnützer Ballast conservirt.

um

Bei diesem jactus So verhält es sich

speciell eben mit der Hypothek des Vermiethers und Verpächters.

Als Vorläufer des Entwurfs zum D.B.G.B. ist hier die deutsche Concurs-Ordnung besonders

zu berücksichtigen.

Diese stellt int § 41

Nr. 2 und 4 den Vermiether und Verpächter hinsichtlich

der auf dem

Grundstücke noch befindlichen eingebrachten Sachen resp, auch der Früchte

den Faustpfandgläubigern gleich.

Die Motive der Deutschen Concurs-

Ordnung zum § 40 erkennen ausdrücklich an,

denken für den Coneurs und

daß man

„ohne.Be­

damit freilich für das Leben

die Mobiliarhypothek zu Grabe tragen kann",

und daß die

„jeder Hypothek ohne Besitz die Wirkung eines Vorzugsrechts

D.C.O. entzieht",

auch der „stillschweigenden, gesetzlichen".

In der Anmerkung

heißt es dabei, daß die gesetzlichen Fälle des § 41 den Besitz der Sache voraussetzen.

Im 8 41 wird dann gleichwohl an den Jllaten ein Vor­

recht (Absonderungsrecht) gewährt, und

in den Motiven

gesagt,

hier

mangele allerdings Besitz oder Gewahrsam, die Jllation verleihe aber dem Vermiether das Recht und die thatsächliche Möglichkeit, sich jederzeit

in den Gewahrsam zu setzen. Hier liege dieselbe Erweiterung des Be­ griffs vom Besitze vor, wie bei der sogenannten symbolischen Tradition. Dies thatsächliche Verhältniß genüge zum Pfandrecht,

da es für Jeder­

mann erkennbar sei, die Perclusion sei nicht Quelle, sondern Ausfluß des Pfandrechts, „sonst könnte der Gläubiger sie nicht ohne richterliche Hülfe ausüben", (als ob der Gläubiger alle „Ausflüsse" des Pfandrechts

ohne richterliche Hülfe ausüben könnte).

Es bedarf wohl kaum der Er­

örterung, wie prägnant sich hier wiederum die juristische Unklarheit und Unsicherheit des ganzen Instituts zeigt.

Besitz und Möglichkeit der Be­

sitznahme, Apprehensionsrecht und Apprehensionsmöglichkeit,

Perclusion

und Apprehension mischen sich durch einander, und diese Mischung

wird

durch die herangezogene Analogie der symbolischen Tradition nicht gerade

klarer.

Damit hängt ferner zusammen die gesetzliche Bestimmung,

daß

das Vorrecht nur zusteht, „sofern die Sachen sich noch auf dem Gmndstücke befinden", d. h. nach den Motiven: „so lange als die thatsächliche

183 Möglichkeit der sofortigen Besitzergreifung besteht".

die Motive

Ja,

Sachen vom

erklären die heimliche oder gewaltsame Entfernung der

Grundstück als dem Pfandrecht nicht präjudicirlich, während das Gesetz selbst den Verlust des Pfandrechts unbedingt an die Entfernung der

Sachen knüpft und keine Andeutung von einer Ausnahme enthält.

Man

sieht, wie so ziemlich alle Ansichten der Juristen hier legislatorisch vor­ tönen oder nachklingen.

Das

gewährte Vorrecht ist

für den Concurs

welches in den Motiven zur Concurs-

offenbar ein eigenartiges Recht,

Ordnung bald „Absonderungsrecht", bald „Pfandrecht" genannt, in den

zu den „Vorzugsrechten"

Motiven zum Einführungsgesetze § 13 auch gezählt wird.

Die Wissenschaft hat noch

die ferneren Bezeichnungen:

„Specialvorzugsrecht" oder „Quasifaustpfand" erfunden. Der Entwurf zum D.B.G.B. § 521 hat nun von den verschie­

denen .Arten des Vorrechts,

wie sie sich in den geltenden Gesetzen jetzt

darstellen: Pfandrecht, Retentionsrecht, Vorzugsrecht,

das erste gewählt

ein „gesetzliches Pfandrecht" constituirt, „da eine solche Regelung

und

allein geeignet ist,

klares Recht zu schaffen,

einfaches und

während sie

auf der anderen Seite zu praktischen Unzuträglichkeiten nicht führt," (Motive zu § 521). Untersuchen wir nun nach den allgemeinen Grundsätzen des Rechts

und nach den Bestimmungen des Entwurfs selbst,

ob die Absicht und

Erwartung, einfaches und klares Recht mit dem „gesetzlichen Pfandrecht"

Mich will bedünken,

zu schaffen, für den Entwurf sich verwirklicht hat.

daß der Entwurf von einer solchen Verwirklichung ziemlich weit entfernt

geblieben ist. Zunächst drängt sich die Frage auf: was bedeutet denn das „gesetzliche Pfandrecht", was ist der Begriff des „Pfandrechts"? Schon bei

dieser

ersten

Frage

uns

läßt

der

Entwurf

über rechts

den

Streitfragen

über

im

Allgemeinen

der

die

rechtliche Natur

herrschenden

Meinung

Stich.

im

Er

indem er gegen­

stellt das Pfandrecht unter das Sachenrecht (B. III),

des

Sachenpfand­

folgt,

daß

das

Sachenpfandrecht als ein Recht an der Sache aufzufassen sei. In den Titeln des neunten Abschnitts wxrden nach der Entstehungsform und

dem Gegenstände als verschiedene Kategorieen behandelt: das Pfandrecht an Grundstücken (Hypothek nebst Grundschuld), an beweglichen Sachen und

an

(vergl.

Rechten.

Allgemeine

Bestimmungen

die Vorbemerkungen in den

Mot.

zum

werden

9.

nicht

Abschnitt).

gegeben

Zum

3. Titel: „Pfandrecht an beweglichen Sachen (Faustpfandrecht)" bemerken die Motive (Vorbemerkungen), daß von den drei Arten der Begründung:

184 Rechtsgeschäft, Gesetz und Pfändung, hier nur die rechtsgeschäftliche Be­

gründung

geordnet werde.

Im § 1145 wird eine „mittelbare Defini­

tion" des Faustpfandes dahin gegeben:

„Eine bewegliche Sache kann in der Weise belastet werden,

daß eine bestimmte Person berechtigt ist, aus der Sache (Pfand)

einer Forderung Befriedigung zu verlangen (Faustpfand­

wegen

recht)."

Im § 1147 wird dann zur Begründung „die Einräumung und Er­ greifung der Jnhabung des Pfandes" erfordert.

Zu den Faustpfand­

rechten gehört also das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers keinenfalls. Es müßte nach dem Entwurf ein eigenes Recht für sich bilden und nach den

allgemeinen

Bestimmungen

über

Pfandrecht

Solche Bestimmungen aber fehlen eben im Entwurf.

bemerkungen zum 3. Tit.) sagen,

beurtheilt

werden.

Die Motive (Vor­

gesetzlichen Pfandrecht eine

daß beim

aushülfsweise Heranziehung der Vorschriften über die rechtsgeschäftliche Begründung

einem Punkte gerechtfertigt

kaum in irgend

sein werde.

Anders liege die Sache, was den Inhalt des Pfandrechts betreffe; doch

bleibe auch hier im Einzelnen

zu prüfen,

inwieweit die Proceßgesetze

die Gesetze, welche ein gesetzliches Pfandrecht gewähren, für die Anwendung der Vorschriften des Entwurfs Raum lassen. Hier handelt

und

es sich um währt.

ein gesetzliches Pfandrecht,

welches der Entwurf selbst ge­

Jede Bezugnahme auf die sonstigen Vorschriften des Entwurfs

fehlt aber wiederum im Entwurf selbst.

Die Motive zum tz 521 S. 404

sagen aber: „Aus der Bezeichnung des Rechts des Vermiethers als eines

gesetzlichen Pfandrechts folgt ferner, daß auf dasselbe, vorbehaltlich der besonderen Vorschriften des § 521, die allgemeinen Vorschriften des

dritten Buches über das Pfandrecht an beweglichen Sachen (§§ 1145s.) Anwendung finden, soweit dieselben nicht ein durch Rechtsgeschäft be­ gründetes Pfandrecht voraussetzen." Wir werden hiernach also auf Grund des Ausdrucks „gesetzliches Pfandrecht" die Vorschriften über das

vertragsmäßige Faustpfandrecht entsprechend anwenden dürfen und müssen.

Nun aber ist der Unterschied

zwischen

Rücksicht auf die Bestellungsart

beiden Pfandrechten

gerade hier,

auch

ohne

abweichend von anderen

gesetzlichen Pfandrechten, ein sehr wesentlicher: nämlich beim Faustpfand­ rechte ist die Jnhabung vorhanden, nicht.

beim Pfandrechte des Vermiethers

Letzteres ist in dieser Beziehung

Hypothek.

nichts weiter als die römische

Die analoge Anwendung eines Faustpfandrechts wird also

mißlich, oft unmöglich sein.

In der That hat denn auch der Entwurf

in § 521 eine Reihe von Einzelbestimmungen auf die

allgemeine Be-

185 stimmung des „gesetzlichen Pfandrechts" folgen lassen,

welche wesentlich

eben den Inhalt des gesetzlichen Pfandrechts regeln und dabei die jetzt

bestehenden zahlreichen Streitfragen möglichst beseitigen sollen.

Soweit

dies nach der Natur des Instituts thunlich ist, muß es im Allgemeinen

als gelungen anerkannt werden.

Wenn zunächst

die

freilich

Motive

den

Ausdruck

„eingebrachte

Sachen" als „einen klaren und bestimmten Sinn gebend" bezeichnen, so erinnert dies an jene Aeußerung der Motive zum Deutschen Strafgesetz­

buch Abschnitt 23, wonach der Begriff „Urkunde" bereits als bekannt und feststehend vorauszusetzen sei.

Der Begriff „Jnvecten und Jllaten",

„eingebrachte Sachen" ist stets viel bestritten gewesen und wird es stets

bleiben, wie ja auch die Motive zur Deutschen Concurs-Ordnung § 41 ihn als nach geltendem, zeichnen.

Jede

namentlich nach

gemeinem Rechte streitig be­

gesetzliche Definition wäre aber in der That vergeblich

und gefährlich.

Statt der unmöglichen Analogie des § 1191 (Rückgabe des Faust­ pfandes vom Pfandgläubiger Pfandrecht erlöschen durch

an den Eigenthümer)

Entfernung des

außer bei Heimlichkeit oder Widerspruch.

Pfandes

läßt § 521

das

vom Grundstück,

Dies ist eine Anwendung theils

einer verbreiteten gemeinrechtlichen Praxis über die gesetzliche Hypothek, theils der Idee eines qualificirten Retentionsrechts, theils der Grund­

sätze über den Verlust der „wirklichen" Jnhabung des Pfandes.

Die Beschränkung des Rechts des Vermiethers, der Entfernung der Sachen zu widersprechen, bezüglich derjenigen Sachen, zu deren Entfer­ nung der Miether im regelmäßigen Betriebe seines Geschäfts oder durch

die gewöhnlichen Lebensverhältnisse veranlaßt wird, ist ein auf dem ver­ mutheten Willen beruhender gemeinrechtlicher Satz über die gesetzliche

Hypothek, obgleich der Entwurf nach den Motiven II S. 404 die Idee der tacita conventio hier gänzlich von sich weisen will.76)

Die im Z

521

gewährte Befugniß des Vermiethers,

schaffung der Sachen eigenmächtig zu hindern,

die Weg­

ist nichts weiter als das­

jenige Recht, welches gemeinrechtlich als Beigabe der gesetzlichen Hypo­ thek dem Vermiether gewöhnlich zuerkannt und bald als Perclusionsrecht, bald als Retentionsrecht bezeichnet wird. Für den Wohnungsräumung ist es zum Apprehensionsrecht gesteigert.

Fall der

76) Auch in den Vorbemerkungen zum 3. Titel sprechen die Motive III S. 796 davon, daß die Entstehung der gesetzlichen Pfandrechte „meistens auf Willensacte des Eigenthümers zurückzuführen ist."

186 Die Motive nennen diese Befugniß eine Verstärkung

des

mit

„wirklichen" Jnhabung nicht verbundenen gesetzlichen Pfandrechts,

der

ohne

welche das Pfandrecht einen großen Theil seines Werths verlieren würde. Es sei „vermieden, zu bezeichnen,

die Befugniß im Entwurf als Zurückbehaltungsrecht

da unter diesem Ausdrucke der juristische Sprachgebrauch

ein dem Schuldner zustehendes obligatorisches Recht versteht".

Deshalb

Richtiger scheint es wohl zu

sei nur der Inhalt des Rechts angegeben.

sein, die Bezeichnung „Zurückbehaltungsrecht" deshalb als hier unpassend

zurückzuweisen, nicht

„wirklich"

weil man einfach nicht „zurückbehalten" kann,

inne

den juristischen Charakter des räthselhaften Rechts,

schon

allerdings

das Haus

der Sachen zu hindern,

was man

Die Motive vermeiden es aber überhaupt,

hat.

zu

bei

den Römern

sehr

verschließen resp, die Wegschaffung

irgendwie zu besinnen,

sie scheinen es als eine

Art gesetzlich gestatteter Selbsthülfe („ohne Anrufung des Gerichts") zu

betrachten, ebenso auch das eventuelle Apprehensionsrecht. zum Begriff des dadurch „verstärkten"

Daß es nicht

gesetzlichen Pfandrechts gehört,

erkennen also die Motive an, wohl im Anschlüsse an die herrschende An­

sicht, n) daß dies Recht ein durch die besonderen Verhältnisse der Miethe veranlaßtes, gerade an das Pfandrecht geknüpftes Specialrecht sei.

Noch einige Worte über dies Specialrecht! der Hypothekengläubiger nicht

eigenmächtig

Daß im römischen Rechte

sich

in den Besitz der ver­

pfändeten Sache setzen durfte, kein Recht zur Apprehension hatte, ist wohl jetzt als feststehend anzusehen.

Selbst das pactum de ingrediendo,

vertragsmäßige Einräumung des Apprehensionsrechts,

die

gewährte nicht die

Ausübung der Eigenmacht, vollends nicht, wenn der Schuldner sich wört­ lich

thätlich widersetzte.^)

oder

Als eine Ausnahme von dem Verbote

der Eigenmacht ist nun das Recht des Vermiethers, sei es zur Perclusion

oder

zur Apprehension

Gewöhnlich

zu

betrachten,

als

solches giebt nun wohl die Befugniß,

Sachen im Hause festzuhalten,

Das „Hausrecht" als

Störenfriede vom Hause fern zu

halten oder aus dem Hause hinauszuwerfen, oder

erlaubte Selbsthülfe.79 77) 78

beruft man sich auf das Hausrecht.

nicht aber,

aus der Thür Geworfenes wieder hineinzuwerfen.

außerdem

Personen oder

event, gar. Sachen in Besitz zu nehmen

Wie will man

für den Aftervermiether dem Aftermiether gegenüber ein der-

77) Dern.burg I S. 54 II S. 332. 78) Gesterding, Pfandr. S. 160. Fritz, Erläuter. S. 127. Jherings Jahrb. 21 S. 285 fl. Dernburg, Pfandrecht II 324 ff.

79) Windscheid, Pand. § 236.

Wendt in

Schwarze u. Heyne, Untersuch. S. 129.

187 artiges „Hausrecht" construiren?

Vermiethers auch

Das Perclusions- resp. Apprehensions-

gesetzlich gestattete Eigenmacht ein Speeialrecht des bei seinem Pfandrecht. Genau genommen, ist es juristisch

recht ist eben

als

weder ein „Bestandtheil"

noch ein „Ausfluß" noch eine „Conse­

quenz" des gesetzlichen Pfandrechts des Vermiethers, so) da aus dem Be­ griffe der Hypothek ein Recht zur eigenmächtigen Einwirkung auf das nicht besessene Pfand sich absolut nicht herleiten läßt,

wie denn beim

Faustpfande das Retentionsrecht zur Selbstvertheidigung, nicht zur Selbst­ Eher ließe sich das Perclusionsrecht als ein positiv recht­

hülfe gehört.

lich

dem Pfandrechte des Vermiethers beigelegtes „Pertinenzrecht"

be­

zeichnen.

Dies mag genug sein zur Charakterisirung des im § 521 construirten „gesetzlichen Pfandrechts" mit seinen Einzelbestimmungen. Nun die Analogie mit dem Faustpfandrecht! Daß ohne analoge Anwendung der Vorschriften über das Faustpfandrecht das gesetzliche

soweit die Einzelbestimmungen des § 521 nicht eingreifen,

Pfandrecht,

vollständig in der Luft schwebt, und daß der Entwurf in der That diese

analoge Anwendung auch wenigstens bezüglich des Inhalts des Rechts will und

wollen muß,

ist bereits

aber im Einzelnen praktisch

oben erwähnt.

Nun versuche man

die Durchführung der Analogie zwischen

dem principmäßigen Pfandrecht, welches auf der Jnhabung des Pfandes beruht, und einem Pfandrechte

ohne Jnhabung, mit anderen Worten:

zwischen Regel und Ausnahme. Die Motive zum § 521 vermeiden es wiederum, auf den Fundamental-Unterschied bezüglich der Jnhabung näher einzugehen, (etwa wie die Motive zur Deutschen Concurs-Ordnung, welche das „Recht und die thatsächliche Möglichkeit" der Appre-

hension betonen), können aber doch nicht umhin, hier vom Mangel einer „wirklichen" Jnhabung

zu sprechen,

also

doch eine uneigentliche, eine

Quasi-Jnhabung vorauszusetzen und zum § 1153 die Erlangung „einer gewissen, wenn auch zuweilen abgeschwächten Art von Jnhabung des Pfandes" bei den gesetzlichen Pfandrechten hervorzuheben. Mithin ist in der That der Entwurf wieder auf dem Standpunkt der Deutschen Concurs-Ordnung angelangt und hat ebenfalls ein „dem

Faustpfande gleiches Recht" geschaffen.

ein Faustpfand

fingiren,

Warum denn nicht lieber direct

als sei mit der Einbringung der Sachen die

80) wie es oft bezeichnet wird, auch in den RGE. in Strff. IV S. 44, VI S. 302, 322.

188

Jnhabung eingeräumt und ergriffen81),* 83 ober dem Vermiether die wirk­ liche Jnhabung der Sachen zusprechen?8^) Nur einige Analogie-Fragen! Wie ist es mit dem wichtigsten Theil des Pfandrechts, dem Verkaufsrecht vor der Wohnungs-Räumung resp, vor der Apprehension (§ 1165)? wie mit dem Schutze gegen Beeinträch­ tigungen des Rechts, die nicht gerade in der Entfernung der Sachen be­ stehen (§§ 1155, 929—945)? Soll die „abgeschwächte" Jnhabung mit dem „erweiterten Begriff des Besitzes" den gleichen Schutz genießen, welchen die §§ 797—825 der „wirklichen" Jnhabung, dem Besitz im „engeren" Sinne gewähren? Wie gestaltet sich das Pfandrecht bei Uebertragung der Miethsforderung (§§ 1186—87)? Wie ist es mit den ge­ setzlichen Vermuthungen über das Verhältniß zwischen Pfandgläubiger und Verpfänder resp. Eigenthümer (§ 1195)? Wie wird es beim Quotenpfandrecht (§§ 1146, 1184, 1185)? u. s. w. u. s. w. Man wird hiernach wohl überzeugt sein, daß das Institut des § 521 viel mehr Stoff zu Streitfragen in sich birgt und juristisch viel unklarer ist, als die gesetzliche Hypothek des römischen Rechts. Mit der Beseitigung der Mobiliar-Hypothek im Princip, mit der Restauration des altrömischen wie deutschen Systems des Faustpfandrechts verlangt die juristische Logik den Tod der gesetzlichen Hypothek des Vermiethers. Letztere ruhte im römischen Rechte mit der Hypothek auf einem Princip, im Entwürfe des B.G.B. fehlt ihr dieser Anhalt. Das gesetzliche Pfandrecht des § 521 ist eine gesetzliche Mobiliarhypothek mit verschiedenen Specialrechten (insbesondere Selbsthülfe) und mit der Analogie des Faustpfandrechts! Es ist also ein juristi­ sches Unicum. Den Verfassern des Entwurfs soll damit nicht im Ge­ ringsten etwa ein Vorwurf oder ein Tadel entgegengeworfen werden, im Gegentheil, ich glaube, sie haben geleistet, was überhaupt die Juris­ prudenz leisten kann, wenn einmal ein innerlich so unhaltbares Institut, 81) roie Bachofen S. 9 beim Vertragspfande des Verpächters will, vgl. Keller a. a. O. S. 966, ferner Schwarze und Heyne, Untersuchungen S. 139. 83) wie Cretschmar, Arch. f. civ. Pr. 68 S. 321 (Doppelgewahrsam des Miethers und Vermiethers). Auch die Judikatur des Reichsgerichts (Entsch. in Strfs. I S. 429, IV S. 43, VI S. 322, XI S. 232, XIV S. 322, XV 436, XVII S. 228) operirt für den § 289 St.G.B. (dem Pfandgläubiger u. s. w. „wegnimmt") in gleicher Weise mit einer „thatsächlichen Möglichkeit, sich in den Gewahrsam der Sachen zu setzen", mit einem „besitzähnlichen" Verhältnisse, ja mit einer „Erweite­ rung des Begriffs vom Besitze", (ganz wie in den Motiven z. Deutschen Konkurs­ Ordnung), meines Bedünkens ein für das Strafrecht noch vielleicht in höherem Grade bedenkliches Operiren.

189 gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers,

wie das

aus dem

Untergang der Mobiliar-Hypothek gerettet werden soll.

allgemeinen

Der Grundfehler

liegt eben darin, daß diese Hypothek selbst nicht beseitigt, das Gebrechen der Mobiliar-Hypothek, zumal in ihrer schlimmsten Erscheinung: der ge­ setzlichen Hypothek, nicht radical curirt ist.

Es wird

klar sein,

daß die Conservirung resp. Constituirung des

hier geschilderten eigenartigen Instituts in unserm heutigen Rechte nur

gerechtfertigt sein kann, wenn die allerdringendsten Gründe dafür sprechen.

Vorweg mag bemerkt werden, Gründe

daß wesentlich erst in neuerer Zeit die

für und wider zur Erörterung gelangt sind, und

meistens nur in social-politischer Beziehung. gewordenen) Erörterungen

reichen,

auch dann

Soweit die (mir bekannt

lassen sich die Gründe für das In­

stitut hauptsächlich auf drei Gesichtspunkte zurückführen,

die jedoch wie­

derum mehr oder weniger in einander spielen und sich in der Darstellung

nicht genau scheiden lassen:

1. Historische Tradition, 2. Billigkeit für den Vermiether,

3. Erhöhung der Kreditfähigkeit des Miethers. Was zunächst das historische Moment anbelangt, so ist es ja richtig, daß für den Vermiether ein gesetzliches Vorrecht (Pfand-, Retentions-, Vorzugs-Recht) in Deutschland als ein hergebrachtes Institut gegenwärtig

fortbesteht.

Dies ist für die Anhänger desselben der hauptsächlichste und

gewöhnlichste Grund.

Die Motive zum Entwurf eines B.G.B.

in kurzen Worten diesen Grund

allein an.

Sie sagen

geben

einfach

zum

§ 521: „Im Hinblick auf das geltende Recht kann kein Zweifel darüber be­ stehen,

daß dem Vermiether ... ein besonderes Recht an den von dem

Miether eingebrachten Sachen einzuräumen ist."

Dem entgegen will mich bedünken,

rechtfertigt sind, und daß

daß ganz erhebliche Zweifel ge­

neben der juristischen Unnatur noch andere

überwiegende Gründe für die radicale Beseitigung des ganzen Rechts­ instituts sprechen. In den früheren Erörterungen ist darzuthun versucht, daß die Ein­

führung und Entwickelung des Instituts der gesetzlichen Hypothek des

Vermiethers und Verpächters von seinem Anfänge auf zufälligen historischen,

(int. Salvianum)

an

ökonomisch-socialen Verhältnissen Roms be­

ruhte, daß diese Verhältnisse nicht bloß verschwunden sind, sondern auch

nicht

einmal für die damaligen Zeiten einen Rechtfertigungs-,

nur

einen Erklärungs-Grund geben, daß auch die angebliche Eigenartigkeit

190 des Pacht- und Mieths-Verhältnisses

fiducia und

nicht ausreicht, Interessen

pignus)

des

selbst

der Schwierigkeit

(mit

der

zur Rechtfertigung irgend einer Bevorzugung

daß vielmehr ein unberechtigtes,

der römischen Großcapitalisten

lediglich den einseitigen

gewidmetes Privilegium vor­

liegt, welches obendrein vor Justinian für den Vermiether auf die beiden

und

Constantinopel und

Residenzen

Rom

blieb,

den Verpächter

für

gar nicht existirte.

deutsche Recht darzuthun versucht,

lichen Psändungsrechts

deren Es

Weichbild

beschränkt

ferner für

ist

das

daß das ähnliche Institut des gesetz­

ebenfalls auf historischen Verhältnissen:

Gewalt

der Grundherren und Abhängigkeit der Hintersassen, beruhte, hierin auch zur Zeit eine gewisse Rechtfertigung fand,

zugleich

verschwunden

ist.

Mit der

aber mit diesen Verhältnissen

Reception des

änderte sich in Deutschland wiederum die Sachlage.

Rechts

römischen

Wie das dem deut­

schen Rechte fremdartige Institut des Vertragspfands an Mobilien über­

mit all seinen stillschweigenden Hypotheken ausgenommen roar,83)

haupt so

fand vorzugsweise die stillschweigende Hypothek des Verpächters und

Vermiethers

willige Aufnahme,

um so mehr,

als das frühere ähnliche

Institut des gesetzlichen Pfändungsrechts noch hie und da bestand, jeden­ falls noch nicht aus der Erinnerung verschwunden war.

in

Dazu kam, daß

den Städten regelmäßig das Regiment in den Händen der reicheren

Klassen

fand,

war,

die Gesetzgebung gewiß wenig Anlaß und Neigung

also

dem Andrang des römischen Rechts hier entgegenzutreten.

dem ist nun das Vorrecht geblieben und bald in dieser,

bald

Seit­

in jener

Gestalt aus dem gemeinen römischen Recht in die Landesgesetze mit her­

übergenommen.

Seine Entstehung war von vornherein ungerechtfertigt,

seine historischen Grundlagen sind ohnehin weggefallen, seine Aufnahme

in Deutschland ist nur in Bausch und Bogen mit dem ganzen römischen

Recht ohne weitere Prüfung seiner inneren Berechtigung erfolgt; speciell auf seine Beseitigung gerichtete Vorstöße haben erst in neuerer Zeit diese also kann die Thatsache des Gebliebenseins im gel­

Prüfung angeregt:

tenden Recht allein neu zu nichts

keinen

schaffenden Rechte

weiter

als

genügenden Grund für die Fortexistenz im

bilden.

An und für sich ist diese Thatsache

ein Beweis der Macht des „Beharrungsvermögens",

welche auch sonst bei manchen alten, im Entwurf über Bord geworfenen

Instituten zu beobachten ist.

So schauen denn auch gerade auf das In­

stitut der Hypothek an Mobilien überhaupt mehr als zwei Jahrtausende 83) „Eine besonders unglückliche Neuerung", wie es Stobbe II S. 289 nennt, gerade unter Anführung der Hypothek des Vermiethers und Verpächters als Beispiel.

191 herab,

und

haben neuere Landesgesetze in Deutschland, wie

gleichwohl

dieses Institut grund­

auch der Entwurf selbst, kein Bedenken getragen,

sätzlich zu beseitigen und als Princip lediglich das Faustpfandrecht an Mo­ bilien

Manche süllschweigende

anzuerkennen.

römischen Gesetzgebers

und

Hypotheken,

„die sich selbst nicht helfen können",

Personen,

welche

mit ganz besonderem Nachdruck angeordnet sind,

die sächsischen Juristen84) in ihrem Kampfe gegen die still­

welche

schweigenden Hypotheken noch theilweise gelten lassen wollten,

Entwurf

für

durch die Fürsorge des

conservirt,

nicht

aber

hier

soll

die

Fürsorge

sind

im

des Gesetzes

bleiben.85)86 *

Zu bemerken ist auch, daß die sonstigen, im Entwurf beibehaltenen

gesetzlichen Pfandrechte (§§ 536, 574) aussetzen, (sowie

eine

„wirkliche" Jnhabung vor­

während nur diejenigen des Vermiethers und des Verpächters

des

Gastwirths)88)

eine

Ausnahme

von

dem

principgemäßen

Postulat der Jnhabung. machen. Die Tradition

spricht

also mehr gegen, als für die Beibehaltung

des historisch wie juristisch unberechtigten Instituts.

Sodann

beruft man

„die

sich öfter auf eine dem Vermiether zur Seite

Man sagt für das römische Recht:

stehende Billigkeit.

gesetzliche Hypothek

erscheine als billig bei solchen Geschäften,

welche im gemeinen Leben ebenso alltäglich sind, als der Gläubiger dabei leicht

hintergangen

und

um

seine vermeinte Sicherheit gebracht werden

kann";8')

„hypothecae legales summam aequitatem habent66 8S) „quia justum et aequum visum“89) „freilich sehr im Allgemeinen, die Billigkeit"98)

u. s. w. u. s. w.

Worin

diese Billigkeit

bestehen soll,

wird nicht näher

angegeben. M) H.ellfeld a. a. O. 85) Negiisantius de pign. p. 172, provisio legis „aliquid addere provisioni hominis.“ 86) Dies Pfandrecht (§ 628) bezieht sich auf Gastwirthe, welche gewerbsmäßig Fremde zur Beherbergung aufnehmen (§ 676), und sollte richtiger Weise, weil es auf Gefahr im Verzüge beruht (Meibom, Das Pfandr. S. 422), nur gegen Fremde oder Unbekannte gewährt werden, nicht gegen alle Gäste. 8?) Glück 18 S. 400. 88) Pufendorf, Obs. 211 § 1. 80) Lauterbach XX 2, 92, Puchta, Inst. II S. 710: „wo es gerecht und billig erschien". ") Westphal, Pfandr. S. 287.

192 In 1. 7 0. 8, 4

spricht Justinian bei der Ausdehnung des gesetz­

lichen Privilegiums

der Vermiether in den Residenzen auf alle Pro­

vinzialen von einer „justa praesumtio“.91) Mit der „Billigkeit" ist aber in ihrer Allgemeinheit nichts zu machen. Bei der späteren Vermehrung der stillschweigenden Hypotheken

wird allerdings eine allgemeine aequitas vorzugsweise mitgewirkt haben, je nachdem die Praxis resp, die Gesetzgebung dies oder jenes für billig

wobei

hielt,

die

aequitas

oft als

cerebrina erscheint.

Zählt doch

Negusantius9?) zwei volle Dutzende von stillschweigenden Hypotheken

auf, die alle im römischen Rechte gefunden sind, Particulargesetze

welchen dann noch

wohl mehr als ein drittes Dutzend hinzugefügt haben.

Es ging sogar Boerius99) so weit,

daß er radical den Satz für das

geltende römische Recht aufftellte: bei allen Verträgen sei die Hypothek-

Bestellung stillschweigend zu subintelligiren! Die römischen Rechtsquellen selbst enthalten nichts von dem legis­

latorischen Grunde der Billigkeit.

Das Institut der Hypothek überhaupt

als zum jus gentium gehörig, mag als jus aequum erscheinen, aber nicht die stillschweigende Hypothek des Vermiethers.

Mit Recht fragt Anton

Faber*") indignirt: warum denn gerade diese stillschweigende conventio,

da

alle conventiones doch juris gentium seien,

„propria urbis Romae“

geblieben sei, als „merum privilegium“ ? Wie sehr übrigens das Privileg auch im römischen Volke als Härte, nicht etwa als Billigkeit empfunden wurde,

zeigt die oft citirte satirisch­

ergreifende Schilderung Martials9^) von dem Auszuge einer armen Familie am üblichen zweijährigen Juli-Termin, wo der Hausverwalter die werthvollere Habe für den rückständigen Miethzins zurückbehalten hat. Indem der Satiriker dies als Gebrechen der Zeit geißelt, ruft er aus:

„0 Juliarum dedecus Kalendarum! Vidi, Vacerra, sarcinas tuas, vidi, Quas non retentas pensione pro bina Portabat uxor“ — Wenn es nun richtig ist, der Großcapitalisten

91) 92) 93) 94) 95)

und

was oben über die einseitigen Interessen

ihre Einwirkung

auf die Gesetzgebung gesagt

praesumtio hier — Vorrecht. Eck, Pfandr. des Vermiethers Anm. 37. De pignoribus, anno 1653. Decis. 182 n. 54. De error. P. III Dec. LX err. 9, 10. Epigr. XII, 32.

193 worden, wenn die gesetzliche Hypothek bis auf Justinian für den Ver-

miether

viele Jahrhunderte

hindurch ein reines

nicht die Jllaten mit

jedenfalls

Residenz-Privilegium

für den Verpächter noch gar nicht eingeführt war oder doch

und

blieb

werden, daß die

umfaßte:

so muß gewiß angenommen

alten Römer bei ihrem sonst so ausgeprägten, aus­

gleichenden Rechtsgefühl sehr wohl das Bewußtsein hatten, hier liege ein auf iniquitas beruhendes Institut vor. Bei den Römern konnte diese

iniquitas noch einigermaßen verschleiert werden, indem die conductio über­

haupt juristisch den Charakter der „Zerbrechlichkeit und Bedingtheit" hatte,

aber bei dem von der Gesetzgebung längst anerkannten Zuge des deutschen resp, modernen Rechts, die juristische Stellung des Miethers zu festigen,

-gestaltet sich die iniquitas zur offenen injuria.

Das System der schonungslosen Ausbeutung der Armen durch die Reichen, wie es im alten Rom herrschte, existirt in unserer Jetztzeit nicht

mehr, Dank dem 'Christenthum, der modernen Gesittung und der staat­ lichen

Fürsorge.

modernen

Die

Gegensätze zwischen

Jnteressen-Gruppen,

mobilem und immobilem Capital,

die

modernen

Ackerbau

und

Industrie, Stadt und Land, Producenten und Konsumenten u. s. w. ver­ folgen andere Ziele als das Interesse von Reich gegen Arm.

auch von

einem Wohnungs-Wucher,

solchen zu klagen pflegt,

So kann

obwohl man viel über einen

in Deutschland wenig die Rede sein.

Der

Wohnungs- oder Mieths-Wucher tritt wesentlich in der Gestalt auf, daß

der Hauseigenthümer sein Haus

einem Andern zum Vermiethen resp.

dieser gewerbsmäßig den höchstmöglichen

Aftervermiethen überläßt, und

Gewinn daraus zu ziehen sucht. Solche Fälle (im alten Rom üblich, auch in den größeren Städten Englands jetzt nicht selten) kommen in Deutschland,

vor. oo)

selbst in den größeren Städten, in sehr beschränkter Zahl wird bei Verpachtungen, sei es größerer, sei es

Vollends

kleinerer

Güter,

von wucherischer Ausbeutung

Geltendmachung eines socialen,

wenig

die Rede sein können.

oder von unerlaubter

finanziellen oder sonstigen Uebergewichts

Dem Verlangen,

daß die Gesetzgebung

hier mit Wuchergesetzen einschreiten solle, ist also schwerlich stattzugeben; aber andererseits

tritt

uns

Rechtsgleichheit entgegen.

Rechte

ein Konsensualvertrag,

desto

gebieterischer

die Anforderung

der

Der Miethsvertrag ist nach dem geltenden

welcher auf der Annahme beruhen muß,

daß der Vertragsabschluß zwischen zwei rechtlich gleich stehenden Parteien stattfindet, daß Leistungen und Gegenleistungen gleichen rechtlichen Schutz 96) Trüdinger, Arbeiterwohnungsfrage S. 13, 36, 173.

Verhandle d. XX. I. T. Bd. M.

194 genießen.

Vom Rechtsstandpunkt aus muß

der Gesetzgeber selbst rechtlich

also verlangt werden, daß

den Miether und Vermiether gleichmäßig

zu behandeln, seinerseits Wind und Sonne gleich zu vertheilen hat. vollem Gegensatze zu dieser Anforderung

In

stellt der Gesetzgeber sich hier

auf die Seite des Vermiethers und giebt einerseits diesem nicht nur eine

Position

günstigere

als dem Miether,

sondern

auch andererseits dem

Miether eine ungünstigere Position, als sie der Gesetzgeber jedem andern Schuldner giebt,

der nur auf dem gewöhnlichen gerichtlichen Wege exe-

Das gesetzliche Privilegium ist gleichsam eine Privat­

quirt werden kann.

steuer, noch dazu auf ein nothwendiges Lebensbedürfniß gelegt. Miethen

muß, wer kein Haus sein eigen nennt, und er muß vielleicht unter Umstän­ den den härtesten Vertrags-Bedingungen sich fügen, je nach den ökono­ misch-factischen Gesetzen des Angebots und der Nachfrage, aber durch das

gesetzliche Pfandrecht unterwirft ihn das juristische Gesetz mit unerbitt­ licher Strenge97) ohne Weiteres einer Bedingung, die für den zahlungsun­

für den zahlungs­

fähigen Miether eine „geradezu unmoralische Härte",

fähigen jedenfalls

die Gefahr großer Belästigung in sich birgt.

die Gesetzesvorschrift

Durch

wird unmittelbar der Miether in das Verhältniß

drückender Abhängigkeit vom Vermiether gesetzt,

welches je nach den

concreten Umständen mehr oder weniger schroff hervortritt.

Dies

aber nicht

unberechtigte Weise

gestellt.

allein!

allen

Das Bedürfniß der Wohnung wird auf

anderen Lebensbedürfnissen gegenüber obenan­

Wer immer auch und für welchen Zweck er einem zur Miethe

Wohnenden Credit gewährt, muß — und dieser Punkt wird gewöhnlich nicht genug berücksichtigt — der Forderung des Hauseigenthümers für Miethe nachstehen. Das Vorrecht des Vermiethers richtet seine Spitze nicht nur gegen den Miether, sondern auch gegen jeden dritten Gläubiger.

Der Erwerb durch Vermiethen ist doch an und für sich ein Erwerb wie

jeder

andere.

Wer eine Miethcaserne baut

oder kauft, oder auch wer

sonst ein Haus erwirbt und neben dem Selbstbewohnen noch Miether auf­

nimmt, steht auf derselben wirthschaftlichen und rechtlichen Stufe wie der Kaufmann, der Fabrikant und der Handwerker; die arme Beamten-Wittwe,

welche ihre Miethswohnung wieder zum Aftervermiethen parcellirt, gleich der Budikers-Wittwe mit ihrem kleinen Geschäft.

steht

Sie alle arbeiten,

97) Es klingt fast wie Ironie, wenn man anknüpfend an die ursprüngliche Idee eines stillschweigenden Willensaetes der Verpfändung (Lauterbach 1. XX tit. II, XCI: mixtum ex lege et ex hominis facto) das Einbringen auch der un­ entbehrlichen Sachen als eine „freie Handlung" (R.G.E. in Strfs. 4 S. 202), als „ausdrückliche Unterwerfung" (Cretschmar S. 467) bezeichnet.

195 speeuliren,

seiner Art; sie alle sind des

ein jeglicher nach

erwerben,

rechtlichen Schutzes

bedürftig und

gleich

würdig,

und das Gesetz soll

nicht den Einen benachteiligen, den Andern bevorzugen, es sei denn int

zwingenden öffentlichen Interesse. Jene 'Rechtsungleichheit tritt nun um so

schärfer dem modernen

Rechtsbewußtsein entgegen, als sie sich nicht in den gewöhnlichen Formen

des Rechtsverkehrs und der Rechtshülfe bewegt, sondern mit e'iner eigen­

mächtigen Selbsthülfe verbunden ist. Letztere ist schon längst aus unseren Rechts- und Cultur-Staaten verschwunden, hier aber finden wir noch ein Stück des und

eine von mancher Seite sorgsam erhaltene

alten Faustrechts,

behütete Ruine

aus der Zeit gewaltsamer Selbsthülfe.

Der Ver­

mieter pflanzt sich mit seinen Leuten, nötigenfalls gewappnet,

an der

Schwelle seines Hauses auf, nicht aber etwa: um sein geheiligtes Haus­

recht, seinen Besitz gegen Angriff zu vertheidigen, nein: um einen Aus­

zug

zu verhindern und den Miether zu zwingen, daß derselbe seine

Sachen als Pfand im Hause zurückläßt,

oder

gar: um der Hand des

Miethers dessen Sachen gewaltsam zu entreißen. Gefühl verletzenden,

in den Häufen:,

Mitleid erregenden,

Auf die vielen,

das

ja scandalösen Scenen, welche

auf den Straßen, vor den Gerichten bei strenger Aus­

führung des vollen „Retentionsrechts" sich abspielen, soll hier nicht näher

eingegangen werden,

ebensowenig

auf die zahllosen Civil- und Straf-

Processe, welche als Folgen dieses Rechtsinstituts sich entwickeln. Dies Alles ist ja Allen genugsam bekannt. Auch die Anrufung richterlicher Hülfe, die Thätigkeit des Gerichtsvollziehers kann ja große Härten mit sich führen, aber dann ist es der Arm des Staats, vor welchem der Privatmann sich beugen muß. Beim „Retentionsrecht" des Vermiethers ist es die Eigenmacht, die

Selbsthülfe des Privatmanns, welche mit Rechtssphäre des Mitbürgers

Miether wie

eingreift.

oft brutaler Gewalt in die steht dem

Diese Selbsthülfe

ein drohendes Gespenst immer vor Augen und treibt ihn

nicht nur zu den äußersten Anstrengungen, sondern auch zu den größten Entbehrungen für sich

und

Miethe zu ermöglichen.

Der Charakter der Privatgewalt, welche freilich

das Gesetz sanetionirt hat,

seine Familie,

um nur

die Zahlung der

ist vorzugsweise das Moment, wodurch der gereizt, in ihm und im Publikum das

Miether wohl zum Widerstande

Gefühl einer zugefügten Unbill

erregt wird.

Jeder andere Schuldner

darf sich widersetzen, wenn gegen die in seinem Besitz befindlichen Sachen

ein Gläubiger eigenmächtig vorschreitet, nur der Miether darf es nicht.

Mit diesem Gefühl der Unbill hängt es auch zusammen,

daß im Volks-

13*

196 bewußtsein es nicht

gerade als eine schlimme,

gar strafrechtlich zu

ahndende That betrachtet wird, wenn der Miether jenem Rathe des alten

römischen Juristen Nerva („per fenestram liberare“ servum perclusum)

folgend,

die Thatsache des Vorhandenseins der Sachen auf dem Grund­

stücke mittels des sog. „Ausrückens" aufhebt.

Städten für diese Operation förmlich

Existiren doch in großen

organisirte „Rück-Compagnieen".

Man darf also keineswegs glauben, daß in Folge einer langen Gewohn­ heit das Vorrecht des Vermiethers im Rechtsbewußtsein des deutschen

Volkes feste, unausrottbare Wurzeln geschlagen habe und als ein in sich gerechtfertigtes Institut dastehe.

Man sagt nun wohl,

und so lautet durchgängig die Rede in den

Petitionen und Versammlungen der zahlreichen Hausbesitzervereine: dies ist unser gutes altes Recht; wer Obdach gewährt, muß erhöhte Sicherheit

haben,

wie es schon das römische Recht anerkannte mit den Worten:

„Erst Obdach, dann Stot".98)

Rechtsquellen zu finden sind,

Wo die letzteren Worte in den römischen wird nicht angegeben, sie sind auch wohl

nur der Ausdruck einer Schlußfolgerung aus der Thatsache des vorhan­ denen Privilegs der römischen Hausbesitzer. In der That ist auch nicht ersichtlich, daß die römische Gesetzgebung die Forderung wegen Wohnungs­

miethe als solche jemals für vorzugsberechtigt gegenüber den Forde­ rungen wegen

anderer Bedürfnisse erklärt hätte,

geren Grade des Wohnungsbedürfnisses

zumal bei dem gerin­

unter dem südlichen Himmel

und nach den Gewohnheiten des antiken Lebens. Panem et Circenses lieferte man dem römischen Proletariat von Staats- und Amtswegen, aber die Sorge für Wohnung,

Kleidung, Feuerung u. s. w.

erschien

weniger wichtig.99) Es soll „hart sein, daß der Vermiether schutzlos dem Abziehen des Miether zusehen, ihm möglicher Weise noch das Thor recht weit machen" muß, ein solcher Zustand soll ein „verzweifelter" feilt.100) Ist es aber vielleicht weniger hart, wenn der Schuster, der Schneider,

der Tischler, der Verkäufer landwirthschaftlicher Jnventarstücke, der Lie­

ferant von Nahrungs- und Feuerungsmitteln u. s. w. schutzlos zusehen müssen, wie der auf Credit vermiethende Hausbesitzer die auf Credit ge­ lieferten Sachen

Veto einlegt,

(soweit sie pfändbar sind) an sich nimmt,

resp, sein

falls sie sich an die von ihnen selbst gelieferten Objecte

98) Bornefeld, Recht des Vermiethers. verbände. S. 10, 24.

Vortrag im Rheinischen Hausbesitzer­

") Pöhlmann S. 47, 73. 10°) Mecklenburgische Zeitschr. Bd. 3 S. 215 (Bunsen).

197 halten wollen? Hier muß auch das Sprichwort gelten: „Was dem Einen

recht, ist dem Andern billig".

Wäre der Zustand ohne gesetzliches Pfandrecht ein „verzweifelter", so wäre es unerklärlich, wie man im ganzen ungeheuren römischen Reiche,

wo doch mit Rom und Constantinopel Städte wie Antiochia und Alexan­ dria an Größe wetteiferten, mehrere Jahrhunderte hindurch einen solchen

Zustand außerhalb Roms und

Auch in

Constantinopels ertragen hat.

der Neuzeit hat man da, wo das gesetzliche Pfandrecht mit dem Reten­

tionsrechte

aufgehoben ist (z. B. Hannover), von einem Verzweiflungs­

zustande der Vermiether nicht viel gemerkt.

frage,

rechtlich

Das Miethverhältniß richtet

den Regeln von Angebot

sich nunmehr wirthschaftlich nach

nach den Grundsätzen der Rechtsgleichheit.

und Nach­

Allerdings

wird, wenn das gesetzliche Pfandrecht wegfällt, beim Princip des Faust­

pfandrechts und bei der Unzulässigkeit des constitutum possessorium beim

Pfande (§ 1147) jetzt dieselbe Schwierigkeit einer Sicherung durch Mo­

biliarpfand

hier eintreten,

welche im römischen Reiche vor Einführung

der Hypothek (wie früher geschildert) bestand und zum int. Salvianum, zur actio Serviana und weiter zur gesetzlichen Hypothek den Anstoß gab.

Diese Schwierigkeit bestand aber und besteht wiederum bei allen Schuld­

nern und allen Gläubigern.

Bei der Wohnung mag der Vermiether sich

genau so sichern oder nicht sichern, wie andere Gläubiger bei anderen Lebensbedürfnissen. Wir sind jetzt mit dem Entwurf zum Zustande der römischen Zeit vor den Anfängen des Instituts des gesetzlichen Pfand­ rechts zurückgekehrt und sollten auch dabei bleiben, nicht durch die Bei­

behaltung

dasselbe Unrecht

begehen

wie

die Römer

durch

die

Ein­

führung.

Dazu

kommt noch,

daß die Uebelstände des Instituts

gegen den kleinen Mann wenden. ja

regelmäßig

wird.

sichern,

der kleine Mann

während

besonders

getroffen

In praktischer Beziehung kommt wesentlich die kleine Miethe in

Betracht.

Darum richten die Bestrebungen

der Socialpolitik

brennenden Frage nach Abhülfe der Wohnungsnoth

städten

sich gerade

Der wohlhabende Miether kann sich

sich

Recht.'0')

wesentlich

mit gegen

das

bei der

in unseren Groß­

gesetzliche Pfand- (Retentions-)

Man verlangt das Eingreifen der civilrechtlichen Gesetzgebung

zur Sicherstellung des Arbeiters

gegen zu harte Miethsbedingungen bei

101) S. Schriften des Vereins für Socialpolitik, XXX S. 76 ff. (Flesch), XXXI S. 182, 184 (Arnecke), 240 (Ernst), 308,376 (Hasse), 386 (de Liagre), XXXIII 16 (Miquel). Trüdinger, Arbeiterwohnungen, S. 160, 162, 171.

198 Wohnungen ähnlich wie beim Arbeitsmiethvertrag, mit Rücksicht auf die faktische Ungleichheit der beiden Contrahenten. man die Aufhebung des

Speciell aber verlangt

gesetzlichen Vorrechts des Vermiethers, min­

destens aber und unter allen Umständen hinsichtlich der unentbehrlichen

Sachen. Durch

den § 521 des Entwurfs sind

Civil-Proceßordnung

nun die nach § 715 der

nicht pfändbaren Sachen vom gesetzlichen Pfand­

rechte ausgenommen.^)

Wenn einmal das gesetzliche Pfandrecht beibe­

halten werden soll, so erscheint aus „Gründen der öffentlichen Wohlfahrt

und

im

öffentlichen Interesse" (Motive zum § 521) diese Ausnahme

gewiß als

gerechtfertigt.

In denjenigen Rechtsgebieten,

wo jetzt das

gesetzliche Vorrecht des Vermiethers auch auf unpfändbare, der Exeeution

entzogene Sachen (§ 715 D.C.P.O.) angewandt wird, führt diese An­ wendung zu den schwersten moralischen und socialen Uebelständen.

aller weiteren

Statt

Ausführungen mag hier nur folgendes Gitat103 * * ) Platz

greifen:

„Wird die Retention der Möbel durchgeführt,

d. h. werden

ihm (sc. dem Arbeiter) die Möbel vom Vermiether längere Zeit vorenthalten, so wird aus ihm, wenn er bisher ein armer Mann

war, ein ständiger Kostgänger der Armenpflege, und wenn er früher leichtsinnig war,

wird jetzt der letzte Grund genommen,

hinderte, ein völliger Vagabund zu werden.

der ihn

Der Obdachlose wird

arbeitslos, der Arbeitslose wird arbeitsscheu; und wenn die Frau ihm nicht mehr kochen und waschen kann, muß er eben sehen, ohne Frau und Kinder fertig zu werden, die nur eine Last für

ihn sind. Das Publicum aber, das sich um den Exmittirten und seine Familie drängt, fragt nicht, ob er nicht vielleicht leichtsinnig oder ein Säufer war, ob nicht die Frau vielleicht den Vermiether durch Schimpfreden, Ruiniren der Wohnung rc. aufgebracht hat; es sieht

nichts als die colossale Härte, die darin liegt, daß man einem Manne das vorenthalten darf, was zum Leben ebenso nöthig ist, wie das Kleid, das er trägt, das Bett zum Schlafen, das Geräth

zum Kochen und Arbeiten. Der Exmittirte fällt der Armenverwaltung zur Last, diese muß, 102) Ob schon nach dem jetzt geltenden Recht, ist sehr streitig. Vgl. Eck, Pfandrecht des Vermiethers. 103) Schriften des Vereins für Soeial-Politik XXX S. 79 (Flesch, Rechts­ anwalt und Magistratsmitglied zu Frankfurt a. M.)

199 wenn sie ihn los werden will, ihn wieder in den Stand setzen zu arbeiten, d. h. sie muß ihm die Möbel

wieder

auslösen.

Das Gesetz demoralisirt hiernach außer dem Miether auch den Vermiether, denn es ermuthigt zu Härten, die ohne sein Bestehen

zwecklos wären,

also unterlassen würden.

Es macht die Armen­

verwaltung zum Garanten für Miethschulden, insbesondere auch zu Gunsten der leichtsinnigen, liederlichen Miether und insbesondere auch zu Gunsten der rücksichtslosen und harten Vermiether". Durch die Ausschließung der unpfändbaren Sachen wird nun aller­

dings die schroffste Kante des Instituts abgestoßen, aber die innere Un­ gerechtigkeit des

bestimmung

Instituts

selbst nicht

ausgehoben.

Ja,

führt wiederum neue Uebelstände herbei.

die Special­

Die Gefahr der

Aufführung scandalöser Scenen vor dem Publicum, die Befürchtung von Gewaltthätigkeiten ist dadurch

Wenn der Ver­

größer geworden.

nur

miether nicht auf die pfändbaren Sachen beschränkt ist,

so erscheint die

Ausübung seines Vorrechts zwar in voller Härte, aber auch in voller Klar­

Man denke sich jetzt den Auszug des — mit oder ohne Schuld —

heit.

zahlungssäumigen Miethers. Wer soll dabei entscheiden, welche Sachen nach §715 C.P.O. „unentbehrlich" sind? Statt des bei der Zwangsvollstreckung zunächst entscheidenden Gerichtsvollziehers ist hier kein maßgebendes Organ

der Staatsgewalt da. Begriff

Jeder Theil wird nun nach seinen Interessen den

„unentbehrlich"^4)

werthen suchen.

auszulegen und

diese

Auslegung

zu

ver­

Wo bleibt da die Grenze zwischen erlaubtem und un­

erlaubtem Angriff oder Widerstand? Wird hier der Rest des Selbsthülse­

rechts nicht ebenso zu Gewaltthätigkeiten fortwährend Anlaß geben, wie

in altgermanischer Zeit das allgemeine Recht eigenmächtiger Pfändung? Andererseits bringt die Ausschließung der unpfändbaren Sachen eine erhebliche Schädigung der Interessen des Vermiethers unleugbar mit sich.

Während der Gesetzgeber mit der einen Hand ein seiner Ansicht nach berechtigtes Privilegium giebt,

nimmt er mit der

großen Theil seines praktischen Werthes wieder weg.

anderen Hand

einen

Es regen sich auch

bereits Stimmen, welche gegen die Beschränkung auf pfändbare Sachen opponiren.

beiter,

Es wird insbesondere

ausgeführt, ,05)

der kleine Handwerker selten,

daß der einfache Ar­

auch nur für eine kurze Zeit,

die

104) welcher Begriff schon bei der römischen Hypothek lebhaften Streit unter Theoretikern und Praktikern erregte, insbesondere mit Rücksicht auf den „vermutheten

Willen" (praesumtio gegen praesumtio). 105) Gutachten zum Bürgerlichen Gesetz-Buch aus dem Anwaltsstande, Heft 9 (Boyens).

200 Miethe vorausbezahlen könne,

keiten besitze,

als solche,

sehr häufig aber keine weiteren Habselig­

welche gesetzlich der Pfändung

entzogen sind.

In solchen Sachen liege für einen kurzen Miethstermin regelmäßig eine ausreichende Sicherheit.

Die Furcht vor dem Verlust der letzten unent­

behrlichen Habe wirke präventiv wie früher die Furcht vor der Schuld­ haft.

Ferner sei das Pfandrecht auch

an den unentbehrlichen Sachen

von großer Wichtigkeit böswilligen Miethern gegenüber.

Diese Gründe

erscheinen für den Gesichtspunkt, daß eben dem Vermiether eine erhöhte Sicherung gebühre, gewiß beachtenswerth.

Vollends der Verpächter hat

beim Ausschluß nicht bloß des unentbehrlichen Hausraths, sondern auch

gerade des

landwirthschastlichen Inventars und

der bis zur nächsten

Ernte unentbehrlichen Früchte (§ 715 Nr. 5 der C.P.O.) nur noch ein

illusorisches Pfandrecht dem Pächter gegenüber.

Der Gesetzgeber hat

nun mit Recht hier das private Interesse dem öffentlichen aber man sieht wiederum,

nachgesetzt,

wie nach den verschiedensten Richtungen hin

die innere Haltlosigkeit des ganzen Instituts zu Tage tritt, und nur eine

radicale Beseitigung desselben Abhülfe schaffen kann.

Der Vermittelungs­

vorschlag einer Einlösungsfrist (3 Monate) und einer dann eintretenden

Verkaufsbefugniß wird nichts nützen, wenn man nicht Mittel und Wege giebt, wo und wie inzwischen der Miether eben ohne seine unentbehr­

lichen Sachen existiren soll. Man hat auch wohl zur Rechtfertigung des Pfandrechts den Ge­ sichtspunkt

des Miethszinses

als

eines

Lagergeldes

Dies muß schon an der Erwägung scheitern,

herangezogen."«)

daß die Wohnungsmiethe

nicht den Zweck hat, einen Raum für Sachen, sondern für Personen zu

schaffen.

Die Sachen dienen nur als Mittel für den Personalzweck.

Außerdem giebt auch

für Lagergeld das Handelsgesetzbuch

nicht

etwa

ein Vorrecht. Ebenso wenig wird man etwa von einer Verwendung aus die Sachen und einer desfallsigen Retention sprechen können. In neuerer Zeit wird nun ein anderer Grund für die Beibehaltung

des Vorrechts ganz besonders geltend gemacht, Spieß umkehrt.

welcher so zu sagen den

Man behauptet, daß durch das Vorrecht des Vermiethers

die Creditfähigkeit des Miethers erhöht, und ihm die Verschaffung einer Wohnung erleichtert werde.

Nach den früheren Erörterungen über die

Reich und Arm wird man schwerlich glauben können, daß in Rom das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers

römischen Verhältnisse zwischen

106) Bornefeld a. a. O.

201 im Interesse der kleinen Leute eingeführt sei.

schenden Gewalten in Rom keine Ursache, derung des Proletariats

agrarischen Gesetze,

Ohnehin hatten die herr­

die colossale Masseneinwan­

Im Gegentheil verfolgten die

zu befördern.

die Colonisation Cäsars und der späteren Kaiser,

die Massenausweisungen

in der republicanischen wie in der kaiserlichen

Zeit, die eine Tendenz: die Hauptstadt von der Calamität des dem Staate zur Last fallenden ungeheuren Proletariats möglichst zu befreien.107)108

Richtig ist nun für die römische wie für jede andere Zeit der Satz, daß Jemand

für specielle Bedürfnisse

erhöhten Credit hat,

wenn seine

gerade für die desfallsigen Schulden vorzugsweise haften.

Sachen

will aber nicht recht einleuchten,

Es

wie dieser Satz für unsere Frage von Vergegenwärtigen wir uns die praktische

erheblicher Bedeutung sein soll.

Sachlage! Der Arbeiter, der kleine Handwerker, der kleine Beamte schafft sich den nothwendigen Hausrath

auch vielleicht

an,

einige Sachen jzur

behaglichen Einrichtung seines Hausstandes, verheirathet sich und miethet

eine Wohnung.

Am Ausziehetermin

kann er,

mit

oder ohne Schuld, Wo

die Miethe nicht zahlen, und seine Sachen werden zurückbehalten.

seine Creditfähigkeit für

bleibt da

eine doch sofort wieder nothwendige

neue Wohnung? Der zweite Vermiether findet ja keine Sicherheit mehr muß sich auf den persönlichen Credit des Miethers verlassen

vor und

und vielleicht auf die vage Hoffnung, einlöst

oder dereinst neue erwirbt

daß derselbe seine Sachen noch

und sie in die Wohnung

Also muß in unerbittlicher Verkettung des Rechts und

einbringt.

der Thatsachen

erste Anwendung des Vorrechts den für seine Beibehaltung angeführten Grund der Erhöhung der Creditfähigkeit des Miethers selbst­

schon die

mörderisch

vernichten.

Man

könnte nun sagen:

ohne irgend welchen

Hausrath sei überhaupt kein Wohnen denkbar, also müsse jeder Miether

Sachen einbringen.

Dies mag richtig sein, soweit unentbehrliche Sachen

in Frage kommen.

Aber auch diese kann der arme Miether selbst nicht

von Neuem anschaffen, sondern

es

verwaltung

muß

die

ein alten

falls beim Auszuge sie ihm vorenthalten sind,

wohlthätiger Verein

Sachen

einlösen

oder die

Miether wieder eine eigene Wohnung haben soll.

Spiel von Neuem beginnen.

öffentliche Armen­

oder neue kaufen,

So gestaltet sich

wenn der

Dann kann dasselbe

in der That die Sache

jetzt in manchen Nechtsgebieten, wo der § 715 C.P.O. auf das Vorrecht

des Vermiethers nicht

angewendet wird.10^)

Dieser Zustand hat einer-

107) Friedländer S. 22, 282. Poehlmann S. 45, 153, 114. Arnold, Cultur der Römer S. 42. 108) Vergl. die citirten Schriften des Vereins für Social-Politik a. a. O.

202 seits also

mit des Miethers Creditfähigkeit selbst nichts mehr zu thun,

andererseits kann er gewiß nicht dem Institut des Vorrechts zur Em­ pfehlung gereichen.

Wo aber die unentbehrlichen, der Pfändung gesetzlich

entzogenen Sachen dem Vorrecht nicht unterworfen sind,

also auch nach

dem Standpunkte des Entwurfs, wird die erste Anwendung des Vor­ rechts bei pfändbaren Sachen dem zweiten, meist auch jedem folgenden

Vermiether sein Vorrecht illusorisch machen und dem Miether die hieranf bezügliche Creditfähigkeit nehmen.

fähigkeit jenes, exmittirten

Wo

ist denn auch

eben unter Retention der irgend

armen Miethers

wohl die Credit­

verwerthbaren Habe

geblieben, welchem der römische Satiriker

Martial bei der erwähnten Schilderung

solchen Auszuges

Ironie den Rath giebt, sich nicht wieder nach

mit bitterer

einer Wohnung umzu­

sehen, da er ja umsonst aus der Brücke wohnen könne?

Man hält der Anführung, daß das „Retentionsrecht" den Miether

in ein drückendes Abhängigkeitsverhältniß setze, die Deduction entgegen, daß durch die volle Aufhebung des Retentionsrechts die Lage des Miethers in nichts gebessert würde, denn auch fernerhin könnte ja der Vermiether wegen des rückständigen Miethzinses klagweise vorgehen und dann durch die Zwangsvollstreckung mit größerer Kostspieligkeit und Um­ ständlichkeit dasselbe Resultat herbeiführen. deshalb hinfällig,

ohne Rücksicht

Dieser Gegengrund ist schon

weil er zu viel beweist.

auf das „Retentionsrecht"

Was hier der Vermiether

kann,

das können auch alle

anderen Gläubiger, und doch wird man diesen gegenüber nicht von einer drückenden Abhängigkeit oder Rechtsungleichheit sprechen wollen.

Nicht das

allgemeine Recht der Gläubiger auf gerichtliche Hülfe drückt den Miether, sondern das Recht des Vermiethers zur eigenmächtigen Selbsthülfe. Die Rücksicht auf erhöhte Kostspieligkeit und Umständlichkeit müßte in letzter

Consequenz

zum altdeutschen

allgemeinen Pfändungsrecht zurückführen.

unserer Zeit entspricht seien ihre Rechte auch noch

Dem entwickelten Staats- und Rechtsbewußtsein

eben nicht mehr die private Eigenmacht,

so alt. Es wird keiner besonderen Ausführung bedürfen, daß die Gründe, welche für und wider das Privileg des Vermiethers sprechen, im Wesent­ lichen mutatis mutandis auch bei der Pacht gelten, wie ja auch die Motive zum Entwurf bei der Pacht einfach auf die Miethe verweisen.

Nur auf einen Unterschied muß aufmerksam gemacht werden, daß nämlich die Pachtung eben nicht zu den nothwendigen Lebensbedürfnissen gehört

wie die Wohnung.

Einerseits wird

dadurch

gemildert, andererseits aber liegt hier,

die Härte des Privilegs

bei der vollständig freien Wahl

203 und der factischen Gleichheit beider Kontrahenten, um so weniger Grund vor, gesetzlich den einen Kontrahenten besser zu stellen,

fehlt jede Ursache,

und vollends

den Verpächter vor anderen Gläubigern,

gar vor

Lieferanten von nothwendigen Lebensbedürfnissen zu bevorzugen.

Fällt

also das Vermietherprivileg, muß auch das Verpächterprivileg fallen. Nach den vorstehenden Untersuchungen und Erwägungen scheinen

mir in historischer, rechtlicher, moralischer und social-politischer Beziehung Überwiegende Gründe

gegen die Beibehaltung des gesetzlichen Privile­

giums des Vermiethers und Verpächters zu sprechen.

Es ist ja nicht zu verkennen, daß es den betr. Jnteressen-Gruppen schwer wird, ein althergebrachtes Vorrecht aufzugeben, „und es kann der

Classe der Vermiether und Verpächter von ihrem Standpunkte aus nicht

verdacht werden,

wenn sie mit allen Kräften für die Beibehaltung,

Verstärkung ihres Privilegs zu wirken suchen.

ja

Wird aber dies Privileg

als ungerechtfertigt und als unhaltbar nachgewiesen, so muß es fallen, wie so viele andere unhaltbare Standes- und Classen-Privilegien gefallen

sind.

Die Stellung des

Verpächters wird dadurch

Vermiethers und

keineswegs etwa eine „verzweifelte",

vielmehr

treten sie dann in Reihe

und Glied mit den anderen Erwerbs-Klassen und

stehen gleich

ihnen

lediglich unter den Gesetzen von Angebot und Nachfrage". Was insbesondere dabei die Miethe betrifft, so bildet ja die Woh­

nungsfrage einen Theil der großen socialen Frage,

deren Lösung durch

staatliche und private Einrichtungen die moderne Zeit mit allen Kräften anstrebt und anzustreben alle Ursache hat.

Wie aber auch die verschie­

denen Reformvorschläge mittels Staatshülfe, Communalhülfe, (Genossen­ schafts-) Selbsthülfe u. s. w. zu beurtheilen sein mögen und ausfallen, ’09) so viel wird dabei anzuerkennen sein, daß in diesem Kampfe der wider­

streitenden Interessen der Staat mit seiner privatrechtlichen Gesetzgebung

nicht durch

ein

anomales Rechtsinstitut sich

auf die Seite einer der

kämpfenden Jnteressen-Gruppen stellen, sondern bei der „Verkettung von Besitzes-Speculantenthum, Pfandgläubigerwesen, Hausherrenthum, Mieths-

unterthanenwesen und Miethsnebenbuhlerthum" 109 110) unparteiisch die privat­ rechtliche Gleichheit schützen soll.

Hieran

kann auch die Rücksicht auf Hypothekennoth,

Communal-Lasten und

Staats- und

sonstige Nöthe der Grundbesitzer nichts ändern.

Ist hier Abhülfe erforderlich



wie in mancher Beziehung anerkannt

109) Trüdinger S. 157 ff. no) Dr. Stolp, „Lösung der Wohnungsfrage".

204 werden mag — so ist auf andere Weise zu helfen, als mittels einer privatrechtlichen Anomalie auf Kosten der Miether und ihrer sonstigen Gläubiger. Manche Mittel und Wege sind ja auch schon benutzt,

Vermiether wie für den Miether praktisch

insbesondere kleine Miethstermine, monatliche Abzahlung.

zu sorgen.

Vorausbezahlung,

um für den

Dazu gehören

wöchentliche

oder

In manchen Städten haben diese Mittel sich

vortrefflich bewährt und sind bereits üblich geworden."')

Auch

nach Beseitigung des

gesetzlichen Pfandrechts würde speciell

die Bedingung der Vorausbezahlung dem Vermiether als rechtlichen Vor­

theil die Möglichkeit und das Recht gewähren, bei der ersten Säumigkeit

des Miethers, auch beim Einzuge ohne thatsächliche Vorausbezahlung, als­ bald geeigneten Falls mittels Arrestlegung, jedenfalls mittels Zahlungs­ befehls und executivischer Pfändung Sicherung zu erlangen für die künftig

noch abzuwohnende Miethe.

Wegen dieser stets drohenden Gefahr wird

der Miether stets auch seine Kräfte anspornen, um die Vorausbezahlung

zu ermöglichen.

Ferner würde beim Auszuge im Fall rückständiger Miethe die An­ gelegenheit factisch oft, wie auch jetzt, sich dadurch erledigen, daß der Miether geeignete Sachen dem Vermiether zum Faustpfande überläßt. Er weiß ja, daß beim Mangel friedlicher Einigung er sofort mittels ge­ richtlicher Hülfe verfolgt wird, und dann die Sachen ihm doch abgepfän­ det werden,

noch

dazu mit erheblichen Kosten.

Selbst ein böswilliger

Miether wird sich vor dieser Folge scheuen.

Bei der Pacht kommen für die moderne Zeit socialpolitische Rück­

sichten naturgemäß weniger in Betracht, da es sich hier nicht um ein nothwendiges Lebensbedürfniß handelt. Ohnehin bietet das gesetzliche Vorrecht bei der Pacht nicht so Wichtigkeit wie bei der Miethe.

viel Vortheil und

hat nicht so

viel

So haben denn auch die Verpächter im

gewöhnlichen Pachtverkehr sich nicht so sehr auf das Vorrecht verlassen, vielmehr sind andere specielle Sicherheiten im Wege des Vertrags üblich

ln) So sagt denn auch die Kritik im Grenzboten 1889 S. 623 über Trüdinger's Arbeiterwohnungsfrage mit Bezug auf die Beibehaltung des gesetz­ lichen Pfandrechts wenigstens rücksichtlich der pfändbaren Sachen im angeblichen In­ teresse der Creditfähigkeit des Miethers: „Eine größere Beschränkung des Retentions-Rechts des Hauswirths würde weniger den Kredit des Wohnungssuchenden schwächen als auf eine wohlthätige Wirkung der Miethszahlungsfrist hinwirken".

205 geworden:

Vorausbezahlung, Bürgschaft,

Cautions-Einstellung, Verzicht

des Pächters auf Kompensation und Retention u. s. w.112)

Schließlich ist zu betonen,

daß,

wie früher ausgeführt ist,

die im

Entwurf enthaltene Ausschließung der unpfändbaren Sachen dem gesetz­ sowohl bei der Miethe wie besonders bei der Pacht

lichen Pfandrecht

einen großen Theil seines praktischen Werths nimmt.

Diese Ausschließung

muß

gesetzlich

wird

und

werden.

zweifelsohne

trotz

aller Angriffe

sanctionirt

Damit schmilzt das Interesse an der Beibehaltung des ganzen

Instituts sehr zusammen. Man sieht also,

daß in der That der Streit um die Beibehaltung

des gesetzlichen Pfandrechts bei Weitem nicht die Wichtigkeit für die Vermiether und Verpächter hat, Gleichwohl ist es zu erwarten,

welche man

gewöhnlich

damit verbindet.

daß gegen den Antrag auf radicale Ab­

schaffung des ganzen Rechtsinstituts viele Stimmen aus interessirten und nicht interessirten Kreisen sich erheben werden, und daß ein dahin gehen­

des Votum des deutschen Juristentages manche Angriffe erfahren, manchen Sollte aber der deutsche Juristentag in diesem

Sturm erregen würde.

Gutachten den Ausdruck seiner eigenen Ansicht wiederftnden, so wird zu hoffen sein,

daß

auch hier,

wie schon sonst bei noch größeren „Neue­

rungen" seinem Votum der Gesetzgeber zustimmende Berücksichtigung ge­

währen werde. Es würde doch wie eine „eigenthümliche Ironie des Schicksals" er­ scheinen,

wenn

bei der

grundsätzlichen Beseitigung des Instituts der

Mobiliarhypothek resp, der gesetzlichen Hypothek, bei der Wiederherstellung

der altrömischen und deutschen Regel des Faustpfandrechts an Mobilien gerade diejenigen gesetzlichen Mobiliarhypotheken erhalten bleiben sollten,

bei

welchen

einst im römischen Recht die erste Bresche im System des

Faustpfandrechts gemacht, resp, der Anfang der gesetzlichen Mobiliarhypo­

thek

genommen wurde.

Entgegen dem römischen Recht mit der über­

mäßigen Position des Vermiethers und Verpächters hat das neuere Recht

möglichst

in allen Beziehungen sonst den Miether dem Vermiether,

Pächter dem Verpächter rechtlich gleichgestellt,

den

jetzt handelt es sich um

nichts Anderes, als um die Beseitigung des letzten Restes der Rechts­

ungleichheit,

um die

consequente Durchführung und

Vollendung der

rechtlichen Pächter- und Miether-Emancipation.

In Gemäßheit des Gutachtens schlage ich unmaßgeblich vor: n2) Gesterding, Ausbeute S. 14.

Blomeyer, Pachtrecht S. 41, 214.

206 Der deutsche Juristentag wolle als seine Ueberzeugung aussprechen:

„Es

buchs

ein

empfiehlt

sich nicht,

im Deutschen Bürgerlichen Gesetz­

gesetzliches Pfandrecht

oder ein sonstiges Vorrecht des

Vermiethers und Verpächters beizubehalten",

eventuell: „Es empfiehlt sich, im Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers und Verpächters zwar

bei­

zubehalten, aber mit den im.§ 521 des Entwurfs bestimmten Be­ schränkungen,

Sachen."

insbesondere

mit der Beschränkung

auf pfändbare

XXVII. Wachten des Herrn Herichtsaffeffor Lewin sahn in Vertin über die Frage:

Ist das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers in seiner gegen­ wärtigen Gestalt beizubehalten oder abzuändern? ’)

Die

von

der

Deputation

Ständigen

des Deutschen Juristentages

gestellte Frage erwähnt zwar nicht ausdrücklich den Entwurf des Bürger­

lichen Gesetzbuches, Entwurf

dieselbe kann indessen doch nur im Hinblick auf den

beantwortet

in Ansehung

werden.

des Pfandrechts

der

Denn

bestehende

Rechtszustand

mag man denselben

des Vermiethers ist,

auch im Ganzen oder im Einzelnen für verbesserungsbedürftig halten, kein

solcher,

daß eine

Entscheidung fication

alsbaldige

Neuordnung

dieser Specialfrage

vor der

über den Entwurf und außerhalb des Rahmens der Codi-

ernstlich in Betracht gezogen werden dürfte.

Es kann sich viel­

mehr zur Zeit nur darum handeln, zu erörtern, wie der Gegenstand im

Bürgerlichen Gesetzbuch

zu

ordnen ist, und Stellung zu nehmen zu der

Behandlung, die er im Entwurf gefunden hat. Das Gutachten wird daher zunächst das bestehende Recht darzulegen

haben; handelt;

dann wird

zu betrachten sein,

wie der Entwurf die Frage be­

auf der Grundlage des Entwurfs wird dann zu erörtern sein,

welche Gestaltung

des

in Rede

stehenden Rechts

als die zweckmäßigste

zu empfehlen ist.

T) Die oben stehende Abhandlung über eine von der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages aufgestellte Frage ist zunächst von mir aus eigenem Antriebe verfaßt, dann aber von der Deputation als Gutachten für den Juristentag angenommen worden.

208 Erster Abschnitt. Das geltende Recht.

Das Pfandrecht des Vermieters an den eingebrachten Sachen des

Miethers ist im Deutschen Reich nicht einheitlich geregelt, sondern in den Einzelstaaten, wenn

auch

sehr verschiedenartig

ausgestaltet.

Rechtszustand dar,

die leitenden Grundsätze meist dieselben sind,

Die

folgende Uebersicht stellt den

zunächst ohne Berücksichtigung

des

Einflusses

der

Reichsgesetzgebung. § 1.

In den römischen Quellen kommen für das Pfandrecht des Ver­ miethers besonders folgende Stellen in Betracht:

1. 4 pr. D. de pactis (2, 14). Item quia conventiones etiam tacite valent, placet in urbanis habitationibus locandis invecta illata pignori esse locatori, etiamsi nihil nominatim convenerit. 1. 4 pr. D. in quibus causis (20, 2). Eo iure utimur, ut quae in praedia urbana inducta illata sunt, pignori esse credantur, quasi id tacite convenerit. 1. 6 D. eod. Licet in praediis urbanis tacite solet conventum accipi, ut perinde teneantur invecta et illata, ac si specialiter convenisset ... 1. 7 C. eod. (8, 14) Sancimus de invectis a conductore rebus et illatis, quae domino pro pensionibus tacite obligantur, non solum in utraque Roma et territorio earum hoc ius locum habere, sed etiam in nostris provinciis. Daraus ergiebt sich folgender Rechtszustand: Das Recht, um das es

sich handelt, ist ein gesetzliches Pfandrechts, und zwar ein wirkliches Pfandrecht, kein Retentionsrecht.2 3)4 Es steht zu dem Vermiether eines

praedium urbanum, d. h. eines nicht zum Fruchtertrag bestimmten Grund­ stücks, und zwar nicht nur dem Vermiether einer Wohnung, sondern auch anderer Räume und Plätze *) und nicht nur wegen der Forderungen aus dem Miethvertrage, sondern auch wegen anderer mit der actio locati geltend zu machender Ansprüche (wegen Deteriorationen u. bgl).5) 2) Ueber die Entwickelung des gesetzlichen Pfandrechts aus der Gewohnheit, Pfandverträge über die Jllaten abzuschließen, vgl. Glück, Pandekten Bd. 18 S. 407. Dernburg, Pfandrecht Bd. I S. 295. Brinz, Pandekten Bd. II S. 875. 3) Schwarze und Heyne, Untersuchungen praktisch wichtiger Materien u. s. w. S. 131. Dernburg, Pfandrecht I S. 296. H. Wächter, Vorzugsrecht des Vermiethers S. 21 ff. 4) Dernburg, Pfandr. I 297. Windscheid § 231 Anm. 2. 5) 1. 2 D. 20, 2. Sintenis, Pfandrecht S. 294. Schwarze und Heyne S. 133. Holzschuher, Theorie und Casuistik 3. Aufl. Bd. III S. 887. Dern-

209 Nothwendige Voraussetzung ist der Abschluß eines Mieth Vertrages,

die

Schadensersatzansprüche

aus

der

unentgeltlichen

Benutzung

einer

Wohnung sind nicht versichert.6*)* *

Das Verhältniß des Miethers ziehung

zum Aftermiether ist in jeder Be­

das gleiche, wie das des Hauptvermiethers zu seinem Miether.

1.11D. de pign. act. (13,7). Das Pfandrecht umfaßt die invecta et illata;

„ea quae in eam

habitationem q. d. a. introducta, importata, ibi nata factave sunt“ (1. 1 D. de migrando 43, 32).

Alles,

Darunter wurde nun nicht nur buchstäblich

was in die Wohnung hineingebracht ist, verstanden,

sondern der

Begriff ist zunächst eingeschränkt durch 1. 7 § 1 D. 20, 2: Videndum

68t, ne non omnia illata vel inducta sed ea sola, quae ut ibi sint illata fuerint, pignori sint; quod magis est. Daraus folgt nicht, „daß nur die zu dauerndem Verbleiben, etwa für die ganze Dauer der Mieth-

zeit eingebrachten Gegenstände als verpfändet gelten; dieselben auch

es genügt, daß

nur zeitweise in den vermietheten Räumen ihren regel­

mäßigen Standort haben sollen, und ausgenommen ist nur das gelegentlich,

vorübergehend, Eingestellte"

ohne jede

innere Beziehung

zum

vermietheten

Raum

(Entsch. des R.O.Handelsgerichts Bd. 6 S. 289).

Ver­

käufliche Waaren sind daher bis zu ihrer Veräußerung verpfändet, doch kann der Pfandnexus die Veräußerung nicht hindern; mit dieser scheiden sie aus der Pfandverbindlichkeit aus. T)

Auch

baares Geld ist, soweit es nicht in den Miethsräumen auf­

bewahrt werden soll, nicht verpfändet, ebensowenig Beweisurkunden über

Forderungen.8) Als „eingebracht" müssen auch die natürlichen Früchte der in der Wohnung befindlichen Sachen angesehen werden, wobei der Augenblick der Separation als der der Einbringung zu erachten ist; ferner Sachen,

welche als

nicht dem Miether gehörig vor oder während der Miethzeit

eingebracht sind, von dem Augenblick an, wo sie sein Eigenthum werden,

endlich Sachen des Miethers, welche sich zur Zeit seines Einzugs bereits

in den Räumen befanden, vom Augenblick des Einzugs an. bürg, Pfandr. Bd. I S. 299. Ob darunter auch Nebenforderungen zu begreifen sind, z. B. für Bedienung, Kost und dergl., ist quaestio facti. Vgl. Seuffert, Archiv N. F. Bd. 7 Nr. 186. 6) 1. 5 pr. D. 20, 2. Dernburg, Pfandr. I S. 300. Sintenis, Pfandr. S. 294. Glück S. 414. 7) Dernburg, Pf.-R. I S. 301, 302. Seuffert, Archiv N. F. Bd. 5 No. 8. 8) Dernburg a. a. O. S. 302. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. in.

14

210 Bestritten ist,

ob die für den Lebensunterhalt des Miethers unent­

behrlichen Gegenstände der Verpfändung unterliegen.

1. 6 D. de pign.

20, 1 bestimmt: Obligatione generali rerum, quas quis habuit habiturusve sit, ea non continebuntur, quae verisimile est quemquam specialiter obligaturum non fuisse.

Ut puta supellex item vestis relinquenda est

debitori et ex mancipiis quae in eo usu hahebit, ut certum sit eum pignori daturum non fuisse etc. „Es liegt kein Grund vor," bemerkt hierzu zutreffend DernburgO) „hierin eine Besonderheit der hypotheca omnium bonorum zu sehen; viel­

mehr hat die römische Jurisprudenz bei Gelegenheit der Generalhypothek

Regeln entwickelt, die für die Auslegung jeder allgemeinen Verpfändungs­ convention maßgebend

sind.

Bei der Legalhypothek des Vermiethers

mußten diese Regeln um so leichter Anwendung finden, da sie ursprünglich auf einer Präsumtion beruhten, welcher in Bezug auf jene Gegenstände

eine nicht weniger starke Gegenpräsumtion entgegentrat". 9 10)* Ueber den Einfluß der durch § 715 der Reichscivilprozeßordnung gesetzten Pfändungsbeschränkungen soll weiter unten gehandelt werden.

Dem Miether nicht gehörige Gegenstände sind dem Pfandrecht nicht

unterworfen,") jedoch kann der Vermiether Sachen,

welche der Miether

als die seinigen einbrachte, die er pignoris nomine induxit, dem Miether

gegenüber zurückbehalten, während er sie dem Eigenthümer herausgeben muß.12)13 Auch nimmt Dernburg (Pandekten I. Ausl. Bd. I S. 649) an,

daß

befugt ist,

Mobilien der Ehefrau,

durch

zu deren Verpfändung der Ehemann

die Jllation als verpfändet gelten;'2)

indessen ist der

Satz nicht schlüssig, da es sich nicht um vertragsmäßige Verpfändung, sondern um ein gesetzliches Pfandrecht handelt, also daraus, daß der Ehemann verpfänden darf, durchaus nicht folgt, daß die Voraussetzungen des gesetzlichen Rechts vorliegen. 9) a. a. O. S. 312. 303. 10) Vgl. auch Sintenis, Pfandrecht S. 500. Glück S. 415. Eck, das gesetz­ liche Pfand- und Vorzugsrecht des Vermiethers in seiner Anwendbarkeit auf die „unpfändbaren Sachen", in der Festgabe für Gneist. Berlin 1888 S. 2, 3; 1, 7, 8 C. quae res pignori 8, 16 und das dazu von Eck Bemerkte und die überzeugend be­ gründete Entscheidung bei Seuffert Bd. 26 No. III, dagegen' jetzt Entsch. d. Reichsgerichts in Strass. Bd. 4 S. 200. n) Glück S. 415. Seuffert, Archiv N. F. Bd. 3 Nr. 109. Bender, Lehrbuch des Privatrechts der freien Stadt Frankfurt a. M. S. 419. 12) 1. 1 § 5, 1. 2 D. de migrando 43, 32. Dernburg, Pfandr. 1 S. 304. Windscheid § 231 Anm. 5. 13) So auch Bender a. a. O. S. 419 für Frankfurt a. M.

211 Die Sachen

des Aftermiethers hasten bis zur Höhe der Forderung

des Aftervermiethers auch dem Hauptvermiether.")

Das Pfandrecht an den Jllaten entsteht nicht mit dem Moment des

Vertragsschlusses oder mit dem Beginn der Miethperiode, sondern durch die Jllation und

mit derselben,'^)

es

endigt

erst

mit der vom Ver-

miether ausdrücklich oder stillschweigend gestatteten Entfernung der Sachen

vom Grundstück,16 * *) * während 15 eine Veräußerung von Jllaten, solange sich dieselben noch auf dem Grundstück befinden, einflußlos ist.17)18

dem Pfandrecht

Aus

ergiebt sich

das Recht des Vermiethers,

die

der eingebrachten Sachen zu verbieten und zu verhindern,

Fortschaffung

das Perclusionsrecht.,8)

Dasselbe Forderung

Zurückbringung

ausgeübt werden,

kann

wegen der

besteht,

nicht

des

auch

wenn zur Zeit eine fällige

später fällig

wider den Willen

werdenden.19)20 Die

des Vermiethers Fortgeschafften

kann mit der Pfandklage verfolgt werden.29)

Das Perclusionsrecht

ist kein selbständiges Recht,

sondern Aus­

fluß und Consequenz des Pfandrechts.21)

Session

Eine

Wirkung,

des Pfandrechts

oder der Miethforderung

daß dem Cessionar das Retentionsrecht

stattfinden;

zustände,

mit

der

kann nicht

namentlich deshalb nicht, weil das besitzähnliche Verhältniß,

in dem der Vermiether zu den Jllaten des Miethers steht, und das eine

wesentliche begriffliche Voraussetzung des Pfandrechts bildet, nur bei dem Hauseigenthümer,

nicht

dem

Cessionar der

Miethforderung

oder des

Perclusionsrechts vorliegt.22)

u) 1. 11 § 5 D. de pigner. actione 13, 7 und dazu Dernburg, Pfandr. I S. 306-308. Glück a. a. O. S. 428ff. Sintenis, Pfandr. S. 293. Wind­ scheid § 231 Anm. 5. Seuffert, Archiv N. F. Bd. 3 Nr. 109. 15) 1. 11 § 2 D. qui pot. 20, 4. Dernburg, Pfandr. I S. 304. Holzschuher Bd. 3 S. 887. Vangerow, Pandekten 7. Aufl. Bd. I S. 850. 16) Dernburg, Pandekten Bd. I S. 651. ’7) Entsch. d. R.G. in Straff. Bd. 4 S. 200. 18) Schwarze u. Heyne S. 128. Dernburg, Pfandr. Bd. II S. 332ff. 19) 1. 1 § 4 D. de migrando 43, 32. Holzschuher S. 887. Dernburg, Pfandr. Bd. II S. 335. 20) Schwarze u. Heyne S. 133. Dernburg, Pandekten I S. 651. 21) Schwarze' u. Heyne S. 130. Dernburg, Pandekten I S. 650. Die Aufsätze von Stegemann und Schneider im Magazin f. d. deutsche Recht der Gegenwart Bd. 2 S. 301 ff. und 101 ff. Entscheidung des Tribunals zu Celle vom 30. 3. 1871 i. d. Zeitschrift f. Hannoversches Recht Bd. 4 S. 246; Entsch. d. R.-G. in Strass. Bd. 6 S. 300. 22) So Schwarze u. H eyne S. 151. Holzschuher S. 888. Entsch. d. R.G.

212 Die Ansicht Dernburgs (Pandekten I S. 650), daß der Miether

eine einstweilige richterliche Verfügung erwirken könne, miether

nicht

behrlich

ist,

mehr zurückbehalten darf, ist

wohl

wonach der Ver-

als zu seiner Sicherung unent­

nicht quellenmäßig belegt,

indessen steht ihr das

Gesetz auch nicht entgegen und sie entspricht der Billigkeit und der Natur

der Sache.

§ 2. Im Gebiet des Preußischen Allgemeinen Landrechts findet sich die

§ 395

gesetzliche

Grundlage

A.L.R.

Th. I

Tit. 21:

„Uebrigens hat der Vermiether oder Verpächter wegen

seines

unseres

Verhältnisses

in

Zinses oder anderer Forderungen auf die von dem Miether oder Pächter eingebrachten

oder

Gute

und zur Zeit der Endigung des Contracts in dem Hause

noch

vorhandenen

Sachen

und

Effecten

die Rechte

eines

Pfandgläubigers."

Die Auslegung des Gesetzes hat im Allgemeinen, da das Landrecht nicht

neues Recht schaffen,

duciren

wollte,

auf dieses

sondern das bestehende gemeine Recht reprozurückzugehen.

Danach hat der Vermiether

ein wirkliches Pfandrecht,23 * *) * nicht nur einen Titel zum Pfandrecht,

ein

erst durch die Ausübung dieses Rechts,

die

Pfandgewinnungsrecht,

der

Besitznahme oder Retention, zum Pfandrecht nritb.24).

Das Recht

entsteht mit der Einbringung der Sachen;23)

Forderungen aus dem Mietsverträge,

über die

zu deren Sicherung es dient,

ist

auf das oben Gesagte zu verweisen.2^)

Der Miether hat gegen den Aftermiether dieselben Rechte, die gegen jenen dem Hauptvermiether zustehen.27) in Strass. Bd. 11 S. 83 in einer für landrechtliches Gebiet ergangenen Entscheidung, deren Begründung aber auch für das gemeine Recht zutrifft. Andrer Ansicht Dernburg, Pfandr. Bd. 2 S. 337. 23) Bornemann, Preuß. Civilrecht 2. Aufl. Bd. 4 S. 328 ff. Dernburg, Pr. Privatrecht 3. Aufl. Bd. I S. 896. Foerster-Eecius 5. Aufl. Bd. II S. 203. Koch, Commentar 8. Aufl. Anm 8 zu 8 395 I 21. Entsch. d. Obertribunals Bd. I S. 28 ff. Striethorst, Archiv Bd. 60 S. 279. Entsch. d. R.O.H.G. Bd. 6 S. 289. Entsch. d. R.G. in Strass. Bd. 3 S. 59. Entsch. d. R.G. in Gruchot, Beiträge Bd. 25 S. 460. 2*) So Gärtner in Gans Beiträgen zur Revision d. preußischen Gesetzgeung S. 485 ff. Lenz, Studien u. Kritiken, bes. S. 126—129. 25) Entsch. d. Obertribunals Bd. 6 S. 98, 19 S. 289, 72 S. 213. 26) Vgl. auch Dernburg, Pr. Privatrecht Bd. 1 S. 896 Anm. 2, Entsch. d. R.G. bei Gruchot Bd. 26 S. 987. 27) Koch, a. a. O. Anm. 2, die entgegenstehende Ansicht von Lenz S. 132 ff. dürfte wohl keinen Vertreter mehr finden.

213 in dem die „eingebrachten Sachen und Effecten" zu

Der Umfang,

begreifen und dem Pfandrecht unterworfen sind, ist im Wesentlichen der­

selbe wie nach gemeinem Recht, zu bemerken.

doch ist im Einzelnen noch Folgendes

Daß auch die zum Leben unentbehrlichen Dinge dem Pfand­

recht unterliegen, wird für das preußische Recht allgemein angenommen;28)29 30 31 dabei muß so viel jedenfalls zugegeben werden, daß § 302 des Anhangs

zur Allgemeinen Gerichtsordnung

Derselbe

lautet:

dieser Auslegung

nicht

entgegensteht.

„Ist der Miether ein Künstler oder Handwerker,

so dürfen ihm, insofern er andere Mobilien besitzt,

keine zur Ausübung

seiner Kunst oder seines Handwerks erforderlichen Werkzeuge und Sachen

vorenthalten werden."

Der Paragraph enthält also für den Fall,

daß

der Miether andere Mobilien besitzt, keine Bestimmung. Wie weit sich liche Sachen

auf dem Miether nicht eigenthüm­

das Pfandrecht

bezieht,

ist

bestimmt durch die Declaration zum § 395

A.L.N. Th. I Tit. 21 vom 21. Juli 1846, welche dahin geht, „daß die

dem Vermiether und Rechte

Verpächter in

erstrecken,

§

395 A.L.R. I 21

beigelegten

sich nur auf solche Sachen und Effecten

eines Pfandgläubigers

welche dem Miether oder Pächter selbst gehören,

oder welche

derselbe ohne Einwilligung des Eigenthümers zu verpfänden befugt ist."

Sonach erwirbt det Vermiether an den in die Ehe gebrachten Sachen der Ehefrau ein Pfandrecht;^)

mögen

erwerbe,

daß er es auch am vorbehaltenen Ver­

ist mit Förster-Eccius (S. 208)

gegen das Ober­

tribunal (Striethorst Bd. 85 S. 75) und Koch (Anm. 11) neinen,

zu ver­

da der Ehemann zur Veräußerung des vertragsmäßig vorbehal­

tenen Vermögens nicht befugt ist, wenn auch die geschehene Verpfändung

nicht nichtig ist.



Es

ist nunmehr unzweifelhaft,

was vom Ober­

tribunal so) bereits vor Erlaß der Declaration angenommen ist, ohne rechtliche Bedeutung ist,

daß es

ob der Vermiether sich in gutem Glauben

an das Eigenthum des Miethers

an den Jllaten befunden hat oder

nicht.yi)

Ebenso folgt aus der Declaration, was übrigens auch ohne dieselbe

28) Motive der Gesetzrevision, Pensum XIII u. XIV S. 111. Bornemann S. 335, 336. Lenz S. 141. Dernburg, Pr. Privatrecht S. 897. FoersterEccius S. 207. Koch, Anm. 7. Entsch. d. R.G. Strass. Bd. 3 S. 59, Civils. Bd. 18 S. 429.

29) Striethorst, Bd. 85 S. 75. 30) Entsch. Bd. 1 S. 455, Bd. 4 S. 1, 12. 31) Entsch. d. Obertribunals Bd. 83 S. 25.

214 gefolgert werden muß und gefolgert worden ist,32)

daß die Sachen des

Aftermiethers dem Hauptvermiether nicht verpfändet sind.

Geld und Werth-(Jtthaber)papiere sind nach Lenz (S. 142), Borne­ mann (S. 336),

Koch

(Anm. 7) dem Pfandrecht nicht unterworfen,

während sie Dernburg (S. 897), Förster-Eccius (S. 207) für mit­

verpfändet erachten; die beiden Letztgenannten nehmen aber die Schulddocumente aus, wogegen Niendorf (das Preußische Miethsrecht S. 225) auch diese und nur nicht die aus ihnen hervorgehenden Forderungen in

Letzteres

den Pfandnexus einbezieht.

geht aber zu weit,

da jene Ur­

kunden keinen selbständigen Werth, sondern nur den eines Beweismittels haben,

während die Forderungen unstreitig nicht verpfändet sind;

möchte annehmen,

daß Geld und Jnhaberpapiere,

der Retention in der Wohnung befinden, dem Pfandrecht unterliegen,

daß

ich

welche sich zur Zeit

retinirt werden

können und

aber im Uebrigen der Bermiether die

Entfernung dieser Objecte so wenig hindern darf wie die verkäuflicher

Waaren. Die Geltendmachung des Pfandrechts

erfolgt

auch

schon vor Ab­

lauf der Miethszeit und wegen erst später fällig werdender Forderungen.33) Zum Schutze seines Rechts darf der Bermiether jederzeit durch Per-

clusion die Fortschaffung der Jllaten verhindern, dagegen ist er zu einer

Besitznahme der Sachen,

zum Eindringen in die Wohnung nur befugt,

wenn er ohnedies Gefahr laufen würde, sein Recht zu verlieren.34)

Die

heimliche oder gegen Widerspruch geschehene Fortschaffung begründet das Recht auf Wiedereinbringung,

soweit nicht Rechte redlicher Dritter ent­

gegenstehen. 35)36 Das Pfandrecht ist vorhanden an den zur Zeit der Endigung des

Contracts auf dem Grundstück noch befindlichen Sachen; es erlischt also, zwar nicht, wie schon bemerkt, durch die heimliche oder gewaltsame Fort­ schaffung, wohl aber dadurch, daß die Gegenstände mit ausdrücklicher

oder stillschweigender Genehmigung des Vermiethers vom Grundstück ent­ fernt werden,3^) wobei eine Erklärung, die nicht eine ausdrückliche Ent­ sagung des Rechts enthält, nicht als ein Aufgeben desselben anzusehen 32) Entsch. d. Obertribunals Bd. 1 S. 455, Motive der Gesetzrevision S. 113. 33) Ges. - Revision S. 112. Foerster-Eceius S. 204. Entsch. d. Ober­ tribunals Bd. 6 S. 98, 19 S. 289. Striethorst Bd. 60 S. 279, 81 S. 59, 85 S. 75, 95 S. 186; Entsch. d. 34) Vgl. die Entscheidungen 35) Entsch. d. R.O.H.G. Bd. 36) Entsch d. Obertribunals

R.G. in Strass. Bd. 3 S. 59. aus der vorigen Anmerkung. 6 S. 289. Bd. 1 S. 28.

215 sein wird, so lange thatsächlich der Besitz noch festgehalten roitb.37) Das Fortschaffen der Mobilien innerhalb des Hauses aus einer Wohnung in die andere hebt das Pfandrecht nicht auf;38)

Veräußerung von Sachen, solange sie

nicht

gleichgültig aus

ist ferner die

dem Hause

geschafft

sind, oo)

Als

gerechtfertigt ist nach Dernburg (S. 897) die Wegbringung

auch anzusehen, wenn sie eine Folge des regelmäßigen Geschäftsbetriebes bildet, oder wenn es sich um einen Austausch gleichwerthiger Stücke oder um verhältnißmäßig Unbedeutendes,-die Sicherheit des Vermiethers nicht

wesentlich Berührendes handelt.

Diese Ansicht verdient den Vorzug vor­

der abweichenden von Förster-Eccius (S. 204), daß der Widerspruch des Vermiethers und die Geltendmachung des Retentionsrechts in jedem

Fall der Wegbringung

den Rechtfertigungsgrund

entziehe.

Es

würde

damit der Chicane Thür und Thor geöffnet und den Lebensverhältnissen nicht genügend Rechnung getragen sein.

Die Ausübung des Pfandrechts setzt natürlich das Bestehen einer

Forderung voraus^) und erfolgt in den gewöhnlichen Formen aus Grund eines gerichtlichen Urtheils. Die Cession der Miethsorderung überträgt das Pfandrecht nicht.41)

§ 3. Im Gebiet des rheinischen Rechts gilt Art. 2102 Code civil:

Les creanccs privilegiees sur certains meubles sont: 1) les loyers et fermages des immeubles, sur les fruits de la recolte de l’annee et sur le prix de tout ce qui garnit la maison louee ou la ferme et de tout ce qui sert ä, l’exploitation de la ferme, savoir pour tout ce qui est ßchu, et pour tout ce qui est ä echoir, si les baux sont authentiques, ou si, ötant sous signature privee, ils ont une date certaine; et dans ces deux cas, les autres creanciers ont le droit de reloucr la maison ou la ferme pour le restant du bail, et de faire leur profit des baux ou fermages, ä la Charge toutefois de payer au proprietaire tout ce qui lui serait encore dü. Et ä, defaut de baux authentiques, ou lorsqu’etant sous signature privee ils n’ont pas une ®7) 38) 39) Anm. 6, 40) 41)

Entsch. d. Obertribunals Bd. 72 S. 213, d. R.O.H.G. Bd. 6 S. 289. Entsch. d. R.G. in Strass. Bd. 10 S. 323. Rehbein-Reinke, Landrecht Anm. 128 zu § 395 Th. I Tit. 21. Koch, R.G. in Strass. Bd. 10 S. 323. R.G. in Strass. Bd. 3 S. 277. R.G. in Strass. Bd. 10 S. 83.

216 date certaine, pour une annöe ä, partir de Fexpiration de Fannie courante. Le m£me privilege a lieu pour les röparations locatives et pour tout ce qui concerne Fexecution du bail. —------- Le propriötaire peut saisir les meublcs qui garnissent sa maison ou sa ferme, lorsqu’ils ont 6t6 döplaces saus son consentement, et 11 conserve sur eux son priviläge, pourvu qu'il ait fait la revendication; savoir, s’il s’agit du mobilier qui garnissait une ferme, dans le dölai de 40 jours, et dans celui de quinzaine, s’il s’agit des meubles garnissant une maison. hat das Recht, die ohne seine Zustimmung fort­

Der Vermiether

geschafften Sachen in den Händen eines Dritten in Beschlag zu nehmen, jedoch

muß er von diesem Recht bezüglich der von seinem Landgut ent­

fernten Sachen binnen 40 Tagen, wegen der aus einem andern Gebäude

fortgeschafften Gegenstände binnen 14 Tagen vom Tage des Wegschaffens an Gebrauch machen.") Dagegen steht dem Vermiether ein Zurückbehaltungsrecht nicht

zu.")

Das

Vorzugsrecht

besteht

wegen

des Miethszinses

und

zwar,

wenn der Vertrag in einer öffentlichen Urkunde errichtet ist, oder wenn im

Concursfall

die

über

den Vertrag errichtete Privaturkunde ein sicheres

Datum trägt, sowohl wegen der schon verfallenen als wegen der künftigen

Zieler,

andernfalls

laufende Jahr,

aber wegen der verfallenen und der Zieler für das

vom Ende

desselben

ab aber nur noch auf ein Jahr;

ferner besteht das Vorzugsrecht für alle anderen aus dem Vertrage ent­ stehenden Verbindlichkeiten.")

Tout ce qui garnit la maison ist nicht mit Cretschmar (a a. O. S. 478) zu beschränken auf die „die Wohnung ausstattenden, garnirenden

Mobilien", sondern es umfaßt „tous les objets apportes par le locataire pour meubler

la

maison,

pour Ferner,

pour y rester ä dem eure ou

pour y 6tre consommes.“45 42)46 43 Ausgeschlossen 44 ist das baare Geld, Brief­ schaften, Schuldurkunden, Orden und Ehrenzeichen. 40)

Auch an fremden Sachen besteht das Vorzugsrecht, wenn der Vermiether den Umständen nach annehmen konnte, daß sie dem Miether gehören.4^

42) Zachariae (Puchelt), Handbuch des Franz. Civilrechts Bd. 2 S. 119 f. 43) Cretschmar, im Archiv f. d. civ. Praxis Bd. 68 S. 480. Scherer, das Rheinische Recht und die Reichsgesetzgebung S. 202. Gorius in d. Verhand­ lungen des 18. Juristentags S. 136. 44) Zachariae S. 117, 119. 45) S. das Citat bei Gorius S. 120. Zachariae S. 116. 46) Zachariae S. 117. Gorius a. a. O. S. 120. 40 Zachariae S. 117. Sarwey, Concursordnung f. d. Deutsche Reich S. 304, Entsch. d. R.G. in Civils. Bd. 20 S. 356.

217 Die Mobilien des Aftermiethers unterliegen dem Vorzugsrecht des Hauptvermiethers in Höhe der Schuld des Aftermiethers an seinen Ver-

miether.48)49 50

In Bezug auf die Pfändbarkeit der Competenzstücke bestimmt Art. 592 Code

de procödure

die der

sprechend § 715 C.P.O.;

Pfändung

entzogenen

setzt fest,

Art. 593

auch jene Dinge gepfändet werden dürfen,

Gegenstände

darunter loyers des manu-

factures, moulins, pressoirs, usines dont ils döpendent, lieux

ent­

für welche Forderungen

servant ä l’habitation personnelle du debiteur.

et loyers des

Unbedingt un­

pfändbar aber sind von den in Art. 592 aufgeführten Dingen le coucher näcessaire des saisis, ceux de leurs enfants, vivant avec eux, les habits

dont les saisis sont vetus et couverts.

ob diese Bestimmungen durch § 715

Die hier entstehende Frage,

C.P.O. aufgehoben sind, ist zu bejahen, da Art. 592, 593 C. de proc. wesentlich processualer Natur, also durch die C.P.O. ausgehoben und er­

setzt sind; es muß daher jedenfalls für das rheinisch-rechtliche Gebiet an­ genommen werden, ganz abgesehen von der Wirkung des § 715 für das

übrige Reich, daß die nach diesem Paragraphen der Zwangsvollstreckung entzogenen Sachen auch dem Vorzugsrecht des Vermiethers nicht unter­ liegen.^)

§ 4. Für das

Königreich Sachsen

bestimmt

§

1228

des

bürgerlichen

Gesetzbuchs:

Der Verpächter oder Vermiether von Grundstücken kann wegen der

Vertragsverbindlichkeiten des Pächters

oder Miethers

die in den ver­

pachteten oder vermietheten Räumen noch vorhandenen Sachen des Päch­

ters oder Miethers und bei Grundstücken, welche natürliche Früchte tragen, die darauf gewonnenen Früchte zurückhalten.

gegen den Unterpächter und Untermiether

Er kann dieses Recht auch

ausüben,

diesem gehörigen Sachen betrifft, bloß so weit, und Untervermiether eine Forderung

pächter oder Untermiether hat.

jedoch,

soviel die

als der Unterverpächter

aus dem Vertrage an den Unter­

An Gegenständen,

in welche die Hülfe

nicht vollstreckt werden darf, kann dieses Recht nicht ausgeübt werden. Dies Recht wird von Siebenhaar^) als „einfaches Retentions48) Zachariae S. 116. Sarwey S. 304. 49) Vgl. besonders Gorius S. 124 ff., ferner Eck S. 23. Cretschmar, Civ. Archiv Bd. 68 S. 478 ff. Scherer S. 210. 50) Annalen des Kgl. Sächsischen Oberappellationsgerichtes N. F. Bd. 5 S. 456.

218 recht" bezeichnet, indessen von der sächsischen Praxis als eine Art Pfand­

recht^'),

als ein dem Vermiether loco pignoris

zustehendes und

Analogie der Grundsätze vom Pfandrecht zu behandelndes Recht

nach

an­

gesehen.

Das Zurückbehaltungsrecht beginnt sonach zwar mit der Einbrin­ gung,

es kann aber Wirkung erst erlangen,

rung vorhanden ist.

sobald eine fällige Forde­

Bis zu diesem Zeitpunkt darf der Fortschaffung der

Sachen nicht widersprochen werden, und vorher,

wenn auch nur mittels

constitutum possessorium, erfolgte Veräußerungen sind nicht anfechtbar und entziehen dem Vermiether sein Recht.51 52)53 Sobald aber der Miether mit Vertragsverbindlichkeiten im Rückstände geblieben ist, ist das Recht

an den jetzt noch in der Wohnung vorhandenen Sachen mit der Ein­ bringung entstanden und geht einem nach der Einbringung entstandenen

Pfändungspfandrecht vor?2)

Nachdem das Zurückbehaltungsrecht erklärt

und geltend gemacht ist, ist eine Fortschaffung von Sachen, die der Ver­

miether nicht hindern konnte,

namentlich also eine durch Zwangsvoll­

streckung erfolgte, dem Vermiether nicht mehr schädlich.54) Daß das Recht nicht

an fremden Sachen,

die nicht Sachen des

Miethers sind, und nicht an der Zwangsvollstreckung nicht unterliegenden

Sachen entsteht, daß es

auch dem Untermiether gegenüber geltend zu

machen ist, wird im Gesetz direct ausgesprochen. Als invecta und illata sollen nur solche Sachen des Miethers betrachtet werden, welche zu dem Zweck in die gemiethete Wohnung gebracht sind, damit sie dort bleiben sollen.^)

8 5. In Braunschweig ist dem Vermiether das Pfandrecht gegeben durch § 3 des Mobiliarpfandgesetzes vom 8. März 1878, welcher lautet:

„Daneben verbleibt es bei der dem Faustpfandrecht gleich zu achtenden oder Verpächters eines Grundstücks, behufs

Befugniß des Vermiethers

51) Ebenda Bd. 2 S. 436, Bd. 4 S. 152. Wengler, Archiv f. civilrecht­ liche Entscheidungen der sächsischen Justizbehörden von 1886 S. 456 ff. 52) Motive zum § 1228 B.G.B. und Siebenhaar in d. Annalen N. F.

Bd. 5 S. 456. 53) Entsch. des O.A.G. Dresden in den Annalen N. F. Bd. 4 S. 152. Entsch. des O.L.G. Dresden bei Wengler, Jahrg. 1882 S. 115 ff., bes. S. 120,

Jahrg. 1886 S. 456, 457. 54) Entsch. bei Wengler 1883 S. 125. 56) SiebenHaar, Annalen N. F. Bd. 5 S. 456.

219 seiner Befriedigung wegen des laufenden und des

rückständigen Zinses

sowie wegen anderer Forderungen aus dem Mieth- oder Pachtverhältniß

die eingebrachten,

in den vermietheten

noch

oder verpachteten Räumen

vorhandenen Sachen des Miethers oder Pächters und bei Grundstücken,

welche natürliche Früchte tragen, die darauf gewonnenen Früchte zurück­

zuhalten. Dem Vermiether oder Verpächter steht dieses Recht auch gegen den

Aftermiether und Afterpächter zu, jedoch,

so viel die diesem gehörigen

Sachen betrifft, nur insoweit als der Aftervermiether oder Afterverpächter eine Forderung

aus

dem Vertrage

an den

Aftermiether

oder After­

pächter hat. An

welche der Pfändung nicht unterworfen sind,

Gegenständen,

kann dieses Recht nicht ausgeübt werden."

Für das Großherzogthum Oldenburg bestimmt das Gesetz v. 3. April 1876 betr. Verpfändung von Schiffen u. s. w. in Art. 18: „Ein dem

Faustpfand gleiches Recht steht zu dem Verpächter oder Vermiether eines

Grundstückes

wegen

der

gebrachten

beweglichen

Grundstücken,

welche

wonnenen Früchten,

vom

Pächter

Sachen

des

Pächters

lange

oder Miether

oder Miethers

tragen,

an

nicht diese Sachen

veräußert

und

vom

oder

Pächters

oder gemietheten Räumen

natürliche Früchte so

des

Vertragsverbindlichkeiten

Miethers an den in den gepachteten

den

unter­

und

bei

darauf ge­

oder diese

Früchte

Grundstücke entfernt

worden sind.

Dem Verpächter oder Vermiether steht dieses Recht auch gegen den Afterpächter oder Aftermiether zu, jedoch was die diesem gehörigen Sachen betrifft, bloß insoweit, als der Afterverpächter oder Aftervermiether eine For­ derung

aus dem Vertrage

an den Afterpächter oder Aftermiether hat.

Das Pfandrecht des Vermiethers kann an Gegenständen, in welche die

Pfändung nicht vollstreckt werden kann, nicht ausgeübt werden." Das Gesetz für das Herzogthum Anhalt, das Pfandrecht an beweg­

lichen Sachen u. s. w. betreffend, vom 13. April 1870, ordnet in § 3 an: „Ein dem Faustpfande

gleiches Pfandrecht steht dem Verpächter

Vermiether eines Grundstückes wegen

Pächters

oder Miethers

oder

der Vertragsverbindlichkeiten des

an den in den

erpachteten

oder ermietheten

Räumen untergebrachten beweglichen Sachen des Pächters oder Miethers

und bei Grundstücken,

welche natürliche Früchte tragen,

an den darauf

gewonnenen Früchten zu, so lange nicht diese Sachen und diese Früchte

220 vom Pächter oder Miether veräußert und von dem Grundstücke entfernt

worden sind.

Das Pfandrecht des Vermiethers kann an Gegenständen,

in welche die Hülfe nicht vollstreckt werden darf, nicht ausgeübt werden."

§ 6. Wir wenden uns nunmehr zu denjenigen Rechtsgebieten, in denen ein besonderer Schutz des Vermiethers überhaupt nicht oder doch nur in geringerem Umfange anerkannt ist.

Hier ist zunächst zu erwähnen das vormalige Königreich Hannover,

für welches durch das Gesetz vom 14. December 1864 (§§ 1, 43, 61 Nr. 4) das Pfandrecht des Vermiethers beseitigt ist.

Damit ist, da das

Retentionsrecht, wie oben (S. 211) hervorgehoben, kein selbständiges Recht,

sondern ein gefallen.^)

Ausfluß

des

Pfandrechts ist,

auch

jenes

Recht

fort­

Für das rechtsrheinische Bayern ordnet die Prioritätsordnung vom

1. Juni 1822 die Rechte im Concurse für diejenigen Gläubiger, welche kein Separationsrecht haben, und setzt in § 21 in die dritte Classe „die Vermiether von Wohnungen und Gebäuden wegen der Miethe,

für das laufende Jahr als für den Rückstand eines Jahres,

sowohl

sofern die

Mobilien oder Sachen, welche die Miethleute eingebracht haben, sich noch

in dem gemietheten Ort befinden

und zur Zahlung

dieser

Forderung

hinreichen."

Dazu

bemerkt Roth:^)

bayerische Civilrecht nicht mehr,

„Gesetzliche

Faustpfandrechte kennt das

da die Generalpfandrechte aufgehoben

sind, und die gesetzlichen Specialpfandrechte an Mobilien nur die Be­ deutung von Vorzugsrechten haben. Prioritätsordnung § 21 Nr. 2—6 sind die Ansprüche des Vermiethers und Verpächters u. s. w. in die dritte Classe locirt, ohne daß ihnen ein gesetzliches Pfandrecht beigelegt

gesetzlichen Pfandrechte an bestimmten das bayerische und preußische Landrecht aufstellen, als beseitigt anzusehen." wäre.

Hiernach

sind

also die

Mobilien, welche das gemeine Recht und

Indessen ist in der bayerischen Praxis der Grundsatz zur Geltung gelangt, daß auch nach dem Fortfallen des Pfandrechts ein Reten­ tionsrecht fortbestehe. ^) M) Vgl. die oben S. 211 Anm. 21 citirten. 57) Bayerisches Civilrecht Bd. 2 S. 489. 58) Entsch. des obersten Landesgerichts in Bayern Bd. 3 S. 429, Bd. 6 S. 807 und namentlich Bd. 8 S. 34.

221 Demgemäß

hat

das

Reichsgericht^)

auf Grund

der Rechtsent­

wickelung und der zur Zeit des Erlasses des Prioritätsgesetzes herrschenden Rechtsanschauung angenommen, daß das Zurückbehaltungsrecht vom Pfand­

recht unabhängig sei und auch nach Beseitigung desselben fortbestehe, daß auch der Vermiether,

wenn sein Recht des Schutzes bedürfe, sich den­

selben, ohne das Gericht anzugehen, verschaffen dürfe.

Weiter

gilt für das

ganze Königreich Bayern das Gesetz vom

18. December 1887, dessen Artikel 1 lautet:

„Die Rechte, welche nach

den Vorschriften des bürgerlichen Rechts dem Vermiether und dem Ver­ pächter an den eingebrachten Sachen und dem letzteren an den Früchten

des verpachteten Grundstückes zustehen, erstrecken sich nicht auf diejenigen Sachen,

welche

nach § 715 Nr. 1, 2, 3, 4, 6, 7, 9, 10 der Civil-

prozeßordnung der Pfändung nicht unterworfen sind." In Württemberg ist das Pfandrecht des Vermiethers durch das Pfandgesetz vom 15. April 182859 60) aufgehoben.

Im Gebiet des ehemaligen Herzogthums Nassau kommt zur An­ wendung das nassauische Pfandgesetz vom 15. Mai 1851, § 50: „Dem

Vermiether einer Wohnung steht bei dem Ablauf der Miethszeit oder

dem Auszuge des Miethers zur Sicherung der bedungenen rückständigen Miethsgelder von einem Jahr, nicht aber wegen anderer Forderungen,

das Recht zu, die von dem Miether oder Aftermiether eingebrachten Mobi­

lien in Besitz zu nehmen, insoweit dieselben Gegenstände der Hülfsvollstreckung werden können, so weit ihr Werth zur Sicherung des Rück­ standes erforderlich ist. Diese Befugnisse des Vermieters oder Verpächters können nur dann

ausgeübt werden, wenn der Mieths- oder Pachtvertrag schriftlich beur­ kundet worden ist." Ein weiteres Retentionsrecht steht dem Vermiether und Verpächter

nicht zu.

Bezüglich

der vom Miether weggebrachten Sachen läßt die

nassauische Prozeßordnung vom 28. September 1859 § 44 die gericht­

liche Beschlagnahme zu. Das Retentionsrecht ist nicht davon abhängig,

daß die Sachen im

Eigenthum des Miethers stehen.^) In Bremen besteht das Pfandrecht des Vermiethers

nicht; die

Erbe- und Handfestenordnung vom 30. Juli 1860 bestimmt in § 130

59) Entsch. in Straff. Bd. 11 S. 226 f. 60) Art. 245, 260. er) Bertram, Nassauisches Privatrecht § 382 (S. 131) § 1050 (S. 384).

222 die

allgemeinen, in § 131 die speciellen

gesetzlichen Pfandrechte,

ohne

darunter den Vermiether zu berücksichtigen, und setzt in § 132 fest: „Die

in den obigen Paragraphen nicht speciell namhaft gemachten gesetzlichen Pfandrechte sind aufgehoben; auch haben andere

gesetzliche Pfandrechte,

welche im Auslande entstanden sind, keine Wirkung." Im Concurse gewährt die Handfestenordnung § 154 dem Vermiether ein Absonderungsrecht. Ueber die Abänderung dieses Rechtszustandes durch das Ausführungs­

gesetz zur Reichsconcursordnung s. u. S. 230, 234.

§ 7.

Die bisherige Darstellung hat sich mit dem ausschließlich durch das Landesrecht gegebenen Zustande befaßt; wir wenden uns nunmehr zur Betrachtung der Einwirkung, welche die Reichsgesetzgebung

geführt

oder doch veranlaßt hat,

herbei­

und zur Darlegung des dadurch be­

gründeten Rechtszustandes.

Da ist zunächst die Frage zu erörtern,

ob durch die Pfändungs­

verbote des § 715 C.P.O. die von demselben

dem

gesetzlichen Pfandrechte auch

dort

betroffenen Gegenstände

entzogen werden, wo sie nach

dem Landesrecht dem Pfandrecht des Vermiethers unterliegen.

Theorie und Praxis nehmen überwiegend an, daß dem § 715 eine solche Wirkung nicht beizumessen sei;

sie hauptsächlich mit folgenden Erwägungen:

begründen diesen Standpunkt

1. Das Einbringen in die Wohnung beruhe aus freier Handlung,

stehe also der vertragsmäßigen Verpfändung gleich; soweit diese statthaft sei, bestehe daher auch das gesetzliche Pfandrecht.6?) —

Selbst wenn man aber, was ja bestritten ist,62 63) annimmt, daß auf

die Wohlthat des § 715 verzichtet werden dürfe, des gesetzlichen Pfandrechts verkannt.

wird hier das Wesen

Dies Pfandrecht ist völlig un­

abhängig vom Denken und Wollen des Schuldners;

es entsteht,

weil

das Gesetz es bestimmt, und zwar auch dann, wenn der Schuldner un­

zweifelhaft und ausdrücklich nicht will; da es also ganz gleichgültig ist,

ob der Schuldner thatsächlich den Willen hat, zu verpfänden, so muß es

62) So Reichsgericht Entsch. in Strass. Bd. 3 S. 61, 4 S. 292. Dernburg, Pr. Privatr. § 364 Anm. 10, der übrigens in der 2. Auflage der Pandecten Bd. 1 S. 651 Anm. 7 die Auffassung des Reichsgerichtes für „sehr bedenklich" erklärt.

Foerster-Eccius Bd. 2 S. 207 Anm. 241. Koch Anm. 7. 63) Vgl. Cretschmar, Civil. Archiv Bd. 68 S. 461 ff.

223 auch

gleichgültig

ob zu vermuthen ist,

sein,

daß er diesen Willen

habe.^)

2. Da die zu pfändenden Sachen sich nicht in der Gewahrsam des

Schuldners, sondern des Vermiethers, also des Gläubigers, befinden, so

erfolge die Pfändung nach Maßgabe des § 713 C.P.O., in diesem Falle

finde § 715 keine Anwendung.^) Dem ist entgegenzuhalten einmal, daß die Jllaten sich in der Regel

garnicht in der Gewahrsam des Vermiethers befinden,

doch

oder daß dieser

erst mit Gewalt sich die Gewahrsam verschafft hat,

§ 713 die Bestimmungen des § 712 für

anwendbar erklärt,

ferner daß

daß aber

die Pfändung nach § 712 unter Beobachtung der Bestimmungen in

8 715 zu erfolgen hat, die sonach auch anzuwenden sind, wenn gemäß § 713 Sachen beim Gläubiger oder einem Dritten gepfändet werden.

Auch

wäre durchaus

kein innerer Grund abzusehen,

warum die Ein­

schränkungen des § 715 nicht anwendbar sein sollen, wenn die Pfändung nicht beim Schuldner selbst stattfindet; daß der Gerichtsvollzieher nicht so leicht die Unentbehrlichkeit wird feststellen können, hindert doch die Frei­

lassung in den Fällen nicht, wo jene thatsächlich feststeht. 66)

3. könnte

man

sich

darauf berufen,

daß die Beschränkung des

8 715 nur auf Pfändungen, die auf Grund eines vollstreckbaren Titels

nach Maßgabe der Civilprozeßordnung stattfinden, anwendbar sei. Dieses Bedenken hat Eck (S. 15ff.) eingehend widerlegt. Er führt

aus,

daß hu 8 715 Pfändung prägnant im Sinne von „Zwangsvoll­

streckung" gebraucht sei, daß darunter überhaupt die Beschlagnahme von Vermögensstücken des Schuldners zum Zweck der Befriedigung des Gläu­

bigers zu verstehen, die „Pfändung" daher auch an einem bereits dem Pfandrecht des Gläubigers unterworfenen Gegenstand möglich sei; auch

auf eine solche Pfändung ist daher 8 715 anzuwenden. Ferner ist der Verkauf der Jllaten zur Ausübung des gesetzlichen Pfandrechts

ein

Zwangsverkauf und

nicht dem Verkauf eines Faust­

pfandes gleichzustellen?7)

Das Pfand- und Retentionsrecht stellen sich, wie das Ober-Appellationsgericht Berlin68) treffend ausführt „als zum Zweck der Vorbereitung und

Sicherung der

gerichtlichen Zwangsvoll-

M) Vgl. die eingehende Darlegung bei Eck a. a. O. namentlich S. 20—22. 65) So Foerster-Eccius Bd. 1 S. 769 Bd. 2 § 136 Anm. 241. 66) Eck S. 16, 17. Fo erst er in Zeitschrift f. Gerichtsvollzieher 1889 Nr. 6 Kes. S. 49. 67) Gorius S. 126. 68) Entscheidung vom 6. Nov. 1871 bei Seuffert Bd. 26 Nr. 111.

224 streckung

können

dar und

gegeben

nur innerhalb der für

daher auch

letztere zulässigen Schranken geübt werden."

Wenn dann von Cretschmar (Civ.-Archiv Bd. 68 S. 468) und

vom Reichsgericht (Entsch. in Civils. Bd. 18 S. 429) positiv oder be­

dingt

und Versteigerung der

daß zwar die Pfändung

zugegeben wird,

Competenzstücke

nicht zulässig,

dadurch aber das Zurückbehaltungs­

recht nicht berührt sei, so wird die Natur dieses Rechts verkannt.

Das­

selbe ist, wie bereits oben (S. 211) bemerkt, kein selbständiges Recht, sondern lediglich ein Ausfluß, eine Consequenz des Pfandrechts.

Wenn

dieses nicht besteht, — und ein Pfandrecht besteht eben nicht, wenn die Wegnahme und der Verkauf seines Objects nicht zulässig ist, — so fällt na­

türlich auch seine Folge, das Retentionsrecht, fort.

und Zweckwidrigkeit eines

solchen

nicht

(Ueber die Sinn-

realisirbaren Zurückbehaltungs­

rechts vgl. übrigens Eck S. 18, 19). Wenn auch zugeben werden mag, daß der Gesetzgeber bei Formulirung des § 715 C.P.O. nicht gerade an das gesetzliche Pfandrecht des

Vermiethers gedacht,

sondern die Zwangsvollstreckung auf Grund eines

vollstreckbaren Titels

der Civilproceßordnung

im Auge gehabt

hat,

so

hat er doch sicher jenen Fall auch nicht ausschließen wollen,

wie ja die

zur Vollstreckung

für gleich­

die Art der

Motive

stehenden Forderung

Der Zweck des § 715 ist doch kein anderer,

gültig erklären.

kein Schuldner

gezwungen werden soll,

daß er dieselbe immer soll benutzen können,

darben,

als daß

seiner unentbehrlichen Habe zu und dieser Zweck

wird ebenso vereitelt, wenn der Gläubiger dieselbe zurückhalt, als wenn sie durch den Gerichtsvollzieher versteigert wird.oo) Da die hier bekämpfte Ansicht auch, wie unten näher auszuführen,

aus Gründen

der Zweckmäßigkeit,

der Humanität zu

für das

der Billigkeit,

der Gerechtigkeit und

so kommen wir zu dem Schluß,

daß

ganze Reichsgebiet durch § 715 C.P.O. das Pfandrecht

des

Vermiethers

an

verwerfen ist,

den

dort

von der Pfändung

ausgeschlossenen Sachen

beseitigt ist.

§ 8. Unmittelbar

reichsgesetzlich

geregelt ist das Recht bei Vermiethers

im Fall des Concurses. Nachdem § 40 C.O. den Faustpfandgläubigern das Äecht abgeson­

derter

Befriedigung

verliehen

hat,

bestimmt § 41:

„Der Faustpfand­

gläubigern stehen gleich . . . 69) Eck S. 14,15; die angeführte Entscheidung bei Seuffert Bd. 26 Nr. 111. Vgl. auch den Anm. 66 angeführten Aufsatz von Fo erst er.

225 4. Vermiether wegen des laufenden und des für das letzte Jahr

vor der Eröffnung des Verfahrens

sowie wegen

rückständigen Zinses,

anderer Forderungen aus dem Miethsverhältnisse, in Ansehung der ein­ gebrachten Sachen, sofern die Sachen sich noch auf dem Grundstücke be­

finden."

Unmittelbar und ausschließlich hiernach bestimmen sich, da die Reichs-

Concursordnung für den Concurs die allein maßgebende Norm ist,

sobald der Miether in Concurs

Rechte des Vermiethers,

die

gerathen ist,

darüber hinaus aber trifft die Concursordnung keine Bestimmungen.

Wenn es heißt, den Faustpfandgläubigern „stehen gleich", so ist dem

Vermiether nicht ein Faustpfand gegeben,

sondern nur die Wirkung des

Pfandverhältnisses im Concurs bestimmt und festgesetzt, daß der Ver­ miether im Concurs dieselben Rechte

haben solle,

als wenn ihm an

den Jllaten des Miethers ein Faustpfandrecht zustände. 70) Das Absonderungsrecht steht dem Vermiether zu

brachten Sachen".

an den „einge­

Der Begriff derselben ist für die Corcursordnung

kein anderer als sonst

es gilt also das oben,

namentlich für das ge­

meine und das preußische Recht Gesagte.70 71) Da von abgesonderter Befriedigung im Concurs nur bezüglich solcher

Gegenstände die Rede sein kann, die zur Concursmasse gehören,

und da

dieselbe „das gesammte einer Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen

des Gemeinschuldners umfaßt, welches ihm zur Zeit der Eröffnung des

Verfahrens

gehört",

(§ 1 C.O.) so folgt schon hieraus, daß unter den

eingebrachten Sachen im Sinne des § 41 solche, nicht verstanden

gehören,

(S.

210),

Sachen

ob

das

ob

dem Vermiether

des Aftermiethers

vollstreckung

gehören,

die dem Miether nicht

sagen auch die Motive dem Miether nicht gehörige So

liege außerhalb des Concursrechts.72)

erstrecke,

die Frage,

sein können. Pfandrecht sich auf

zustehe,

beantwortet. 73)

nicht unterworfenen

so folgt weiter,

Damit ist auch

ein Absonderungsrecht an den Sachen

Da ferner die der Zwangs­

Gegenstände nicht zur

Concursmasse

daß dem Vermiether an diesen Sachen,

selbst

70) Sarwey, Concursordnung zu § 41 Anm. 1 Nr. III (S. 301). Entsch. d. Reichsgerichtes bei Seuffert N. F. Bd. 10 Nr. 104. 71) Vgl. Motive zur Concursordnung S. 209. 72) So Eck S. 7 und die dort Angeführten, ferner Endemann, das deutsche Concursverfahren S. 403. Stieglitz, Concursordnung S. 289. A. M. Völderndorff, Concursordnung S. 520. Foerster-Eccius Bd. 2 S. 208. 7a) Endemann S. 405, Entsch. d. R.G- in Civils. Bd. 13 S. 39, ferner Motive zu C.O. S. 210. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. III.

226 wenn ihm nach bürgerlichem Rechte an denselben ein Sicherungsrecht

gewährt wäre,

ein

Absonderungsrecht nicht zusteht.

hier das Recht des Vermiethers dadurch

Indessen erfährt

eine Erweiterung,

daß

nach

§ 1 Abs. 3 C.O. die im § 773 Nr. 5, 8 C.P.O. und die in § 20 des Postgesetzes vom 28. Oktober 1871

bezeichneten Gegenstände und nach

dem Gesetz vom 3. Mai 1886 die Eisenbahnfahrbetriebsmittel zur Concursmasse

gehören.

An diesen,

dem landwirthschaftlichen Betriebsinventar,

der Ausrüstung einer Apotheke und

besteht daher das

dem Inventar einer Posthalterei,

Absonderungsrecht des Vermiethers, wenn er auch

außerhalb des Concurses kein Pfandrecht daran hat.u)

Die „Forderungen aus dem Miethsverhältniß", wegen deren das Absonderungsrecht besteht,

sind

begrifflich dieselben wie außerhalb des

Concurses7^), jedoch sind sie zeitlich und den „laufenden" Zins beschränkt.

Miethzins

auf den Rückstand

eines Jahres

Unter letzterem ist auch hier der

für die ganze Dauer der Miethzeit zu verstehen,

Absonderungsrecht wegen desselben auch,

wenn das

da er Masseschuld ist, geringe

praktische Bedeutung hat.76 74) 75 Sehr bestritten ist die Frage, unter welchen Umständen das Ab­ sonderungsrecht durch Entfernung der Sachen vom Grundstück verloren

wird.

Zwar daß das bereits erworbene Absonderungsrecht nicht dadurch

erlöschen kann,

daß die Sachen nach der Concurseröffnung

in

einer

Weise aus dem Grundstück entfernt werden, in der ein freiwilliges Auf­

nicht gefunden werden kann, sollte füglich nicht be­ zweifelt werden77), fraglich ist es jedoch, ob das Absonderungsrecht auch entsteht, wenn Sachen in der erwähnten Art vor der Concurseröffnung

geben des Rechts

entfernt, zur Zeit der Concurseröffnung also nicht mehr auf dem Grund­

stücke sind. Meines Erachtens muß mit den Motiven (S. 211) und Dernburg (Privatrecht Bd. 1 S. 897, Pandecten § 268 S. 651) gegen Sarwey 74) Vgl. Eck S. 8, der auch den Grund der Ausnahme angiebt, daß nämlich das außerhalb des Concurses bestehende Motiv, den Geschäftsbetrieb des Schuld­ ners nicht zu vereiteln, im Concurs, wo ein solcher nicht mehr in Frage kommt, nicht mehr wirksam sein kann. Vgl. auch Gorius S. 134. 75) Völderndorff S. 526. 76) Sarwey S. 306. Wilmowski, Concursordnung zu § 41 Anm. 7. Endemann S. 406. A. M. Völderndorff S. 525, der als laufenden Zins den vom letzten Zahlungstage bis zur Concurseröffnung ansieht. Vgl. dagegen Entsch. d. R.G. Bd. 13 S. 256. 77) Motive S. 211, Sarwey S. 316; vgl. jedoch Völderndorff S. 522 und dagegen Wilmowski Anm. 5.

227 (S. 316)

Völderndorff (S. 522)

Stieglitz (©. 288) Endemann

(S. 405) das Reichsgericht (Entsch. i. Civils. Bd. 8 S. 99) angenommen werden,

daß durch eine derartige heimliche oder gewaltsame Beseitigung

der Jllaten dem Vermieter sein Recht ebenso wenig,

als wenn sie vor

der Concurseröffnung geschehen wäre, entzogen werden, und den Concurs-

gläubigern nicht ein Vortheil, auf den sie gar keinen Anspruch haben, zuwachsen könne.

Wie das Pfandrecht des Vermiethers durch eine der­

nicht verloren geht,

artige Besitzentziehung

so

kann sie auch das Ab­

sonderungsrecht im Concurs nicht aufheben, das ja dem Vermiether nicht durch die Concursordnung als ein selbständiges, positives Recht verliehen

ist, sondern

als Ausfluß und Folge des zwischen dem Vermiether und

Miether thatsächlich

bestehenden und fast überall in Gestalt des Pfand­

rechts an den Jllaten auch rechtlich anerkannten Zustandes.

Mit den Worten

„sofern sich die Sachen

auf

Grundstücke

dem

daß eine dem Miether freistehende Ent­

befinden", soll nur gesagt sein,

fernung von Sachen (durch Verkauf von Waaren u. dgl.)

oder eine

solche, durch die ein Aufgeben des Rechts des Vermiethers zum Ausdruck kommt, das Absonderungsrecht ausschließt.

Dieser Sinn und diese Absicht des Gesetzgebers ist in dem Wortlaut des Gesetzes nicht klar zum Ausdruck gekommen, derselbe widerspricht

ihnen aber nicht, das Gesetz ist daher in diesem Sinne auszulegen.

§ 9.

Erfolgt außerhalb des Concurses im Wege der Zwangsvollstreckung die Pfändung der Jllaten für einen dritten Gläubiger, so kann nach § 710 C.P.O. der Vermiether der Pfändung und Versteigerung nicht widersprechen, sondern muß seinen Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlöse im Wege der Klage geltend machen.

Ueber das

Rangverhältniß

zwischen

dem

Vermiether

und

dem

pfändenden Gläubiger bestimmt nun § 709 C.P.O.: Das Pfändungs­

pfandrecht „geht Pfand- und Vorzugsrechten vor, welche für den Fall des Concurses den Faustpfandrechten nicht gleich gestellt sind." Eine posi­

tive Lösung

erhält dadurch

die Frage nach dem Vorrang nicht; das

Gesetz bestimmt nur, daß der Pfändungspfandgläubiger demjenigen, der

ein Absonderungsrecht im Concurs geht;

über

das

Verhältniß

des

gemäß § 41 C.O.

nicht hat,

vor­

zu

dem

Absonderungsberechtigten

Pfändungspfandgläubiger bestimmt es nichts; dasselbe regelt sich also

nach dem bürgerlichen Recht, bezw. unterliegt der Regelung durch das15*

228 Aus dem positiven Inhalt des § 709 C.P.O. folgt nur, daß

selbe, in)

Pfändungspfandrecht

das

dem

Pfandrecht des

Vermiethers

jedenfalls

so weit vorgeht, als das letztere nicht durch § 41 C.O. dem Faustpfandrecht

gleichgestellt ist;

wo also z. B. dem Miether gegenüber das Pfandrecht

des Vermiethers

wegen

besteht,

doch

muß

es

jähriger Rückstände

rückständiger Miethzinsforderungen im Verhältniß

zurücktreten;

zu Dritten

unbeschränkt

wegen mehr als ein­

wo das Pfandrecht auch an nicht dem

Miether gehörigen Gegenständen und an solchen des Aftermiethers gegeben

ist,

kann der Vermiether doch auf den Erlös derselben dem Pfändungs­

pfandgläubiger gegenüber keinen Anspruch machen.^) Andererseits ist durch § 709 C.P.O. dem Vermiether, wo ihm nach

dem

bürgerlichen Recht

Concurses

dem

kein Vorzug gebührt,

pfändenden Gläubiger

ein solcher außerhalb des

gegenüber

auch

in soweit nicht

gegeben, als jener im Concurs absonderungsberechtigt ist.80 78)81 7982

Wo nun aber particularrechtlich ein Pfandrecht des Vermiethers an

den Jllaten

muß

besteht,

Pfändungspfandrecht

dasselbe als mit der Jllation entstanden dem

gegenüber

als das ältere angesehen werden,

dem­

selben daher vorgehen.8')

Die Pfändung kann die Sache nur mit den an ihr bereits bestehenden Lasten ergreifen.8?)

§ 10. Das Verhältniß anderen Gläubigern

der nach § 41 C.O. Absonderungsberechtigten zu außerhalb

des Concursverfahrens

ist durch

ine Reihe von Ausführungsgesetzen zur C.O. in den Einzelstaaten positive

geregelt. Das preußische Ausführungsgesetz zur Coneursordnung vom 6. März

1879

bestimmt

in

§ 7:

Coneursordnung finden hältniß der

durch

diese

„Die

Vorschriften

des

§ 41

der Deutschen

außerhalb des Concursverfahrens auf das Ver­

Vorschriften

den

Faustpfandgläubigern gleich­

gestellten Gläubiger zu anderen Gläubigern des Schuldners entsprechende

Anwendung." 78) Seuffert N. F. Bd. 7 Nr. 81. v. Cuny, im Archiv f. d. Civil- und Criminalrecht der Kgl. preußischen Rheinprovinzen Bd. 70 S. 30. 79) Foerster-Eccius Bd. 2 S. 209. 80) So z. B. für Württemberg. Gaupp, Zwangsvollstreckung zu § 709 C.P.O. (S. 227). 81) Endemann, Coneursverfahren S. 403. Mandry, Civilr. Inhalt der Reichsgesetze S. 345. Seuffert N. F. Bd. 6 Nr. 25. 82) Wilmowski-Levy, Civilprozeßordnung zu § 709 Anm. 26.

229 ergiebt sich zunächst,

Daraus

preußischen Staates, kein

oder

ein

denen

in

daß auch in denjenigen Gebieten des

der Vermiether dem Miether gegenüber

beschränkteres Pfandrecht hat,

(Hannover,

gegenüber vorzugsweise Befriedigung

anderen Gläubigern

Nassau),

er

beanspruchen

kann. § 41 C.O. gewährt das Absonderungsrecht an den Sachen, die sich

zur Zeit der Concurseröffnung noch auf dem Grundstücke befinden.

Da

außerhalb des Concurses von einer „Eröffnung" desselben nicht die Rede

sein kann, so fragt sich, wann in „entsprechender" Anwendung des § 41

die Sachen

auf dem Grundstücke noch vorhanden sein müssen,

um das

Vorrecht des Vermiethers gegen den pfändenden Gläubiger zu begründen.

Der entscheidende Augenblick kann nur der der Pfändung sein; wie beim Concurs die Concurseröffnung der Zeitpunkt ist, durch den die Concurrenz

und Collision der Gläubiger herbeigeführt, bezw. die gesetzliche Regelung der

collidirenden Interessen nothwendig

wird,

so

ist dieser Augenblick

außerhalb des Concurses die Pfändung.83) Es ergiebt sich daher,

auf

dem Grundstücke

daß die Jllaten sich zur Zeit der Pfändung

befinden müssen;

wenn sie vorher von demselben

entfernt worden und daher nicht auf dem Grundstücke gepfändet sind, so

kann der Vermiether dem pfändenden Gläubiger gegenüber keinen Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung geltend machen.

Welchen Einfluß bringung

eine

vorherige

S. 226, 227 zu entscheiden.

nehmen,

heimliche

oder

gewaltsame Weg­

der Sachen hat, ist hier nach denselben Grundsätzen wie oben daß,

Nach der herrschenden Ansicht muß man an­

wenn der Miether seine Mobilien gewaltsam fortgeschafft

hat, und nun ein anderer Gläubiger dieselben pfändet, oder wenn gar die Wegschleppung

Gläubigers

verloren

im

Einverständniß

erfolgt

hat.8^)

ist,

Ich

und

der Vermiether

meine,

auf

Anstiften

sein Vorrecht

des

pfändenden

diesem gegenüber

daß hier so wenig wie im Concurse eine

derartige Beiseiteschaffung der Jllaten das Recht des Vermiethers beein­ trächtigen kann und darf.

Aus dem Erlöse der gepfändeten Sachen kann der Vermiether vor­

zugsweise Befriedigung bezw. Sicherung verlangen in demselben Umfange

83) Cuny a. a. O. S. 29. Seuffert N. F. Bd. 6 Nr. 251, Bd. 10 Nr. 186, Wilmowski Anm. 7. Foerster-Eecius Bd. 2 S. 233 und Andere; a. M., mit unhaltbarer Begründung, Cr et sch mar, Civilistisches Archiv Bd. 64 S. 313 ff.; dagegen Seuffert Bd. 10 Nr. 186. Foerster-Eccius Bd. 2 S. 209 Anm. 251. Niendorf, Miethsrecht S. 247.

230 und

wegen derselben Forderungen,

wegen deren ihm im Concurs das

Absonderungsrecht gebührt, namentlich

also

auch wegen der noch nicht

fälligen Miethsforderungen bis zum Ende der Miethzeit^) (§ 710 C.P.O.).

§ n.

Das durch § 7 des Ausführungsgesetzes für Preußen zwischen dem Vermiether und anderen Gläubigern des Miethers außerhalb des Concurses begründete Rechtsverhältniß ist nun

auch durch die Ausführungsgesetze

der meisten deutschen Staaten zur Geltung gebracht worden. Unmittelbar ist das Preußische Gesetz eingeführt in Waldeck durch

Art. 1 des Ausführungsgesetzes

zur Concursordnung vom 1. Septem­

ber 1879.

§ 6 der Verordnungen vom 26. Mai 1879 für beide Mecklenburg,

§ 6 des Anhaltischen Gesetzes vom 10. Mai 1879, § 4 des SachsenAltenburgischen Gesetzes vom 26. März 1879, § 4 des Coburgischen Gesetzes vom 7. April 1879,

§ 4 des

Meiningenschen Gesetzes vom

20. Juni 1879, § 18 Abs. 2 Ges. vom 15. Mai 1879 für Reuß ä. L.,

§ 5 Ges. v. 22. Februar 1879 für Reuß j. L., § 22 Ges. v. 26. April 1879 für Schwarzburg-Rudolstadt, § 3 Ges. v. 20. Mai 1879 für Schwarzburg-Sondershausen, § 7 Ges. v. 26. Juni 1879 für Lippe-

Detmold,

§ 95 Ges. v. 30. Juni 1879 für Schaumburg-Lippe lauten

fast wörtlich übereinstimmend: „Die Bestimmungen des § 41 C.O. finden außerhalb des Concursauf das Verhältniß der durch diese Vorschriften den Faust­ pfandgläubigern gleichgestellten Gläubiger zu anderen Gläubigern des

verfahrens

Schuldners entsprechende Anwendung." Für das rechtsrheinische Bayern kommt in Betracht Art. 140 des

Ausführungsgesetzes vom 23. Februar 1879: „Die in §41 Ziffer 2—7 der Concursordnung aufgeführten Gläubiger können in Ansehung der dort bezeichneten Ansprüche aus den dort bezeichneten Sachen vorzugsweise

Befriedigung vor den Gläubigern verlangen,

welche nach Begründung

des Vorzugsrechts durch Pfändung ein Pfandrecht -erlangt haben." Für Bremen ordnet § 45 Ges. vom 25. Juni 1879 an: „Wenn außerhalb des

Concursverfahrens mehrere Gläubiger zusammentreffen,

welche aus den nämlichen beweglichen Gegenständen ihre Befriedigung suchen, so gelten folgende Bestimmungen: a) . . . . b) Faustpfand­ gläubiger und die ihnen in § 41 C.O. gleichgestellten Gläubiger haben 85) Entsch. d. R.G. in Civils. Bd. 13 S. 255.

231 in

der

Ansehung

haftenden Gegenstände

ihnen

Vorzugsrecht vor

ein

c) Bei einem Zusammentreffen mehrerer der unter

anderen Gläubigern,

b) gedachten Gläubiger in Ansehung des nämlichen Gegenstandes hat das

früher entstandene Recht den Vorzug vor dem später entstandenen, insoweit nicht die Rangordnung anderweitig gesetzlich geregelt ist.

d) Der unter

Ziffer 2 und 4 in § 41 C.O. erwähnte laufende und rückständige Zins

bestimmt sich,

ein Concursverfahren

wenn

nicht stattfindet,

nach dem

Zeitpunkt der Pfändung." an diese Gesetze ist noch anzuführen ein selbständiges

Im Anschluß

(kein

für Hamburg

Ausführungs-)Gesetz

vom

April 1882.

14.

§ 1

desselben lautet: „Dem Vermiether steht wegen des bis zum nächsten Um­

zugstermin

und

laufenden

Miethverhältniß

Ansehung noch

des

für das letzte Jahr vor der Pfändung

sowie wegen

rückständigen Miethzinses

der eingebrachten Sachen,

auf dem

anderer Forderungen

aus

dem

gegenüber dem pfändenden Gläubiger des Miethers in Grundstück befinden,

welche sich zur Zeit der Pfändung

das

Recht

auf

vorzugsweise Be­

friedigung aus dem Erlöse zu.

Dieses Vorzugsrecht fällt indessen fort,

wenn, der Vermiether nicht

bis zur Auskehrung des Erlöses der gepfändeten Sachen an den pfändenden Gläubiger Klage

gegen

denselben in Gemäßheit des § 710 C.P.O. er­

hoben hat. Soweit die Forderung

des

nicht fällig

Vermiethers

ist,

ist der

Erlös nicht an den Vermietber auszukehren, sondern zu hinterlegen." § 12.

Weitergehende Bedeutung, insofern sie nicht nur das Verhältniß des Vermiethers zu anderen Gläubigern des Miethers, sondern auch zu dem letzteren selbst ergreifen, haben folgende Gesetze:

die

Pfalz

das

Februar

1879,

Art.

Für

23.

erwähnte

198,

Bayrische

welches

Ausführungsgesetz

den Art. 2102

vom

des Pfälzer

Civilgesetzbuchs aufhebt, ferner Art. 199: „Ein Vorzugsrecht an bestimmten beweglichen Sachen

in

den

im Sinne des pfälzischen Civilgesetzbuchs haben die

§ 40—41 C.O.

bezeichneten

Gegenstände.

Vermiether nach

aufgeführten Forderungen Art.

200:

bezüglich der dabei

Insoweit dem

Verpächter und

dem pfälzischen Civilgesetz ein unmittelbares Klagerecht

gegen den Afterpächter und Aftermiether wegen der in § 41 Ziff. 2 und

4 der Coneursordnung Vorzugsrecht

derselben

bezeichneten Ansprüche auch

auf die

zustehl,

erstreckt sich das

in § 41 Ziffer 2 und 4 daselbst

bezeichneten Gegenstände des Afterpächters und Aftermiethers.

232 Eigenthumsansprüche Dritter

miethete Grundstück

an den auf das verpachtete oder ver-

eingebrachten Sachen können dem Vorzugsrecht des

Verpächters oder Vermiethers nicht entgegengesetzt werden, ausgenommen in dem Fall des Art. 2279 Abs. 2 des pfälzischen Civilgesetzbuchs oder

wenn nachgewiesen werden kann, daß der Verpächter und Vermiether von dem Eigenthumsrecht des Dritten

bringung

an

jenen Sachen

zur Zeit der Ein­

auf das Grundstück Kenntniß hatte,

derselben

oder wenn die

Sachen bei dem Miether oder Pächter im Fall eines Nothstandes hinter­

legt

oder

in ihrem Gewerbebetrieb vorübergehend anvertraut

denselben

worden sind.

Der Verpächter und Vermiether bewahren ihr Vorzugsrecht an den

ohne

dem Grundstück verbrachten Sachen jedem

von

ihre Einwilligung

britten Besitzer gegenüber, vorausgesetzt, daß der Verpächter in 40 Tagen, der

Vermiether in

zwei

Wochen

das

Recht

auf Rückgabe

gerichtlich

geltend gemacht hat." In Baden hebt § 20 des Einführungsgesetzes zu den Reichsjustizgesetzen

vom 3. März 1879 die Bestimmung des L.R. S. 2102 auf; § 21 lautet:

„An

die

Stelle des

L.R.

S. 2102

tritt

folgende Bestimmung:

2102: Besondere Vorzugsrechte auf bestimmte Fahrnißstücke genießen die in

den

§§ 40 und 41 C.O.

aufgeführten Forderungen

bezüglich

der

dabei bezeichneten Gegenstände.

Die Fahrniß des Beständers, welche zur Einrichtung seines Bestand­ hauses

oder Pachthofes

gehört,

Bewilligung weggeschafft wurde, darauf sein Vorrecht,

kann der Eigenthümer,

wenn sie ohne

in Beschlag nehmen lassen,

wenn er sie,

und behält

und zwar die Fahrniß eines Pacht­

gutes innerhalb 40 Tagen, und die Fahrniß eines Miethshauses innerhalb

14 Tagen an sich zieht."

Für Rheinhessen

ist

durch Art. 100

des Hessischen Ausführungs­

gesetzes vom 4. Juni 1879 Art. 2102 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf­ gehoben

und im Art. 102 bestimmt:

Sachen

beweglichen

Deutschen

haben

Concursordnung

die

in

„Ein Vorzugsrecht an bestimmten

den

§§ 40 und 41

bezeichneten Forderungen

Nr. 1—8 der

in Ansehung

der

bei einer jeden derselben angegebenen Gegenstände.

Verpächter und Vermiether bewahren ihr Vorzugsrecht an den ohne ihre Einwilligung

vorausgesetzt,

verbrachten Sachen jedem

dritten Besitzer gegenüber,

daß der Verpächter in 40 Tagen, der Vermiether in zwei

Wochen das Recht auf Rückgabe gerichtlich geltend gemacht hat.

Diese Vorzugsrechte gehen dem späteren durch Pfändung erworbenen

Pfandrechte vor."

233 Für Elsaß-Lothringen endlich ordnet § 20 Gesetz vom 8. Juli 1879 an: „Ein Vorzugsrecht an bestimmten beweglichen Sachen im Sinne des

Code

civil

den

steht

für die

Gläubigern

in

den §§ 40, 41

Forderungen

und

Nr. 1—8 C.O. bezeichneten

an den Gegenständen

zu,

auf

welche sich im Falle des Concurses ihr Absonderungsrecht erstreckt.

Die Vorzugsrechte der in den §§ 40, 41 Nr. 1—8 C.O. bezeich­ neten Gläubiger gehen den

späteren durch Pfändung erlangten Pfand­

rechten vor."

§ 22:

Sachen,

„Der Verpächter und Vermiether

können die eingebrachten

ohne ihre Einwilligung von

dem Grundstück verbracht

welche

Dieses Recht erlischt, wenn

sind, von dem dritten Besitzer zurückfordern.

es von dem Verpächter nicht innerhalb der nächsten 40 Tage,

Vermiether

von dem

nicht innerhalb der nächsten 14 Tage nach der Verbringung

gerichtlich geltend gemacht wird." diese Gesetze ist das Privileg des Rheinischen (französischen)

Durch

Rechtes im Wesentlichen aufrecht erhalten.86) In den hessischen Provinzen Starkenburg und Oberhessen gilt Art. 42 des Hessischen Gesetzes vom 4. Juli 1879, welcher mit dem angeführten

Art. 102 Abs. 1 und 3 wörtlich übereinstimmt. Bezüglich der letzterwähnten Kategorie von Gesetzen ist noch Folgendes zu bemerken: Das Absonderungsrecht im Coneurse schließt auch verschiedene außer­

halb des Concurses unpfändbare Gegenstände ein (Apotheken- und Land­

bauinventar,

Posthalterei- und Eisenbahnbetriebsmaterial).

Wenn

nun

das Vorzugsrecht außerhalb des Concurses nach Maßgabe des § 41 dem

Vermiether sich

auch

gegen

den Miether zustehen soll,

auf diese Sachen

erstreckt.

Da

so würde folgen,

dieselben

daß es

aber nach § 715

C.P.O. von der Pfändung und damit nach den obigen Darlegungen auch

von

dem Pfandrecht des Vermiethers ausgeschlossen sind, und da diese

Beschränkung eine reichsgesetzliche ist, so ist die entgegenstehende Anordnung

der Landesgesetze wirkungslos.8 ?)

Im Verhältniß zu dritten pfändenden

Gläubigern kann dieser Zweifel nicht entstehen,

da

ja an den unpfänd­

baren Sachen ein Pfändungspfandrecht nicht begründet werden kann.

Zu erwähnen bleibt ferner noch § 44 des Bremischen Ausführungs­ gesetzes:

88) Scherer S. 204 ff. Gorius S. 131. Cretschmar, Civil. Archiv Bd. 64 S. 311. Cuny st. st. Q. S. 16. 87) Gorius S. 131.

234 „Das

§ 41

in

erstreckt sich gebrachten

Ziffer 4 C.O. dem Vermiether eingeräumte Recht

auf die dem Ehegatten des Miethers gehörigen ein­

auch

noch

sofern die Sachen sich

Sachen,

auf dem

Grundstück

befinden, und das Mieth'local von dem Ehegatten mit bewohnt worden

ist.

indeß

kann

Derselbe

gegen Zahlung der Miethschuld Cession der

Miethforderung begehren; auch ist der Vermiether zunächst aus den durch

den Zwangsverkauf der eignen Sachen des Miethers gelösten Geldern zu

befriedigen, und sind die nach der Befriedigung desselben übrig bleibenden Gelder,

sofern

gelöst

sind,

sofern

der

aus

dieselben

dem

letzteren

Miether

nicht

dem Verkauf der Sachen des Ehegatten

zu

übergeben.

im

Concursverfahren

Diese Bestimmungen

ist,

finden,

entsprechende An­

wendung."

Nach der Concursordnung hat der Vermiether an den Sachen des

Ehegatten

kein Absonderungsrecht;

des Miethers

ein solches kann ihm

der § 44 ist somit

durch die Landesgesetzgebung nicht beigelegt werden; für das Concursverfahren wirkungslos.

Endlich

noch anzuführen die Mecklenburgische Zusatzverordnung

ist

vom 2. Februar 1884:

㤠3 a.

des

Ein gesetzliches Pfandrecht haben ...

2) Vermietherwegen

und des rückständigen Miethzinses,

sowie wegen anderer

laufenden

Forderungen aus dem Miethverhältnisse in Ansehung der in das Grund­

stück

eingebrachten,

dem

Miether

oder

einem

Aftermiether

gehörigen

Sachen, in Ansehung der eingebrachten Sachen eines Aftermiethers jedoch nur insoweit, als dem Aftervermiether eine Forderung aus dem Aftermiethverhältnisse gegen den Aftermiether zusteht.

§ 3b. geführten

haben die in § 3a auf­

Kraft des gesetzlichen Pfandrechts

das

Gläubiger

Recht,

die

dem

Pfandrecht

unterworfenen

Gegenstände zurückzubehalten. Jedoch

dürfen

sie der Entfernung solcher Gegenstände nicht wider­

sprechen, welche der Miether oder Pächter im gewohnten Betriebe seines

oder nach Maßgabe der gewohnten Lebensverhältnisse zu ver­

Geschäfts

äußern bestimmt wird. § 3 c.

Das gesetzliche Pfandrecht des Verpächters oder Vermiethers

erlischt an den demselben unterstellten Gegenständen, 1. wenn sie von dem verpachteten oder vermietheten Grundstück mit Zustimmung des Pfandgläubigers entfernt sind,

2. wenn

Betriebe

sie

von

dem

seines Geschäfts

Pächter

oder

Miether

oder nach Maßgabe

der

im

regelmäßigen

gewohnten Lebens-

235 Verhältnisse von dem verpachteten oder vermietheten Grundstücke entfernt

sind." § 13.

Fassen wir die bisherige Darstellung kurz zusammen, so ergiebt sich

als der im Deutschen Reich bestehende Rechtszustand folgender: I. Für das Verhältniß des Vermiethers zum Miether: Das gesetzliche

Pfand- bezw. Vorzugsrecht bestimmt sich nach Maßgabe der Landesgesetze, also gemäß den Vorschriften des Römischen Rechts,

des Code civil,

rechts,

des

Preußischen Land­

des Sächsischen B.G.B., des Braunschweigischen

Gesetzes vom 8. März 1878, des Bayerischen, Bremischen Ausführungsgesetzes zur

Elsässischen,

Hessischen, Badischen, Concursordnung, der

Mecklenburgischen Verordnung vom 2. Februar 1884. Keinen besonderen

Schutz genießt der Vermiether in der preußischen Provinz Hannover und ein bloßes Retentionsrecht in Bayern;

in Württemberg; Reich

aber,

Befugnisse

auch

wo

gewähren,

für das ganze

die Landesgesetze dem Vermiether weitergehende

sind

von dem Pfandrecht ausgeschlossen die nach

§ 715 C.P.O. der Pfändung nicht unterworfenen Gegenstände.

II.

Geräth der Miether in Concurs, so hat im ganzen Reichsgebiet

der Vermiether ein Absonderungsrecht nach § 41 Ziffer 4 C.O.

III.

Sind

gepfändet,

und

die Jllaten des Miethers von einem dritten Gläubiger

so geht dieses Pfändungsrecht wegen derjenigen Forderungen

an den Gegenständen,

Concurses

für die der Vermiether nicht im Fall des

ein Absonderungsrecht hat,

für das ganze Reich dem Recht

des Vermiethers vor, auch wenn dasselbe nach Landesrecht einen weiteren

Umfang hat. Soweit im Concurs ein Absonderungsrecht besteht, geht in Preußen, beiden Mecklenburg,

Anhalt,

Altenburg,

Coburg,

Meiningen,

beiden

Reuß, beiden Schwarzburg, beiden Lippe, dem rechtsrheinischen Bayern, Bremen der Vermiether dem pfändenden Gläubiger vor, auch wenn ihm das Landesrecht (wie in der Provinz Hannover)

recht

nicht

gewährt.

Wesentlich

ein gesetzliches Pfand­

dasselbe Ergebniß folgt für Hamburg

aus dem Gesetz vom 14. April 1882. Wo sonst dem Vermiether kein Pfandrecht zusteht, muß er auch dem

pfändenden Gläubiger weichen. Wo aber der Vermiether ein Pfand- und Vorzugsrecht hat, geht er, soweit sich im Concurs das Absonderungsrecht erstreckt,

Gläubiger vor,

dem pfändenden

selbst wenn das nicht in den Ausführungsbestimmungen

zur Concursordnung ausdrücklich angeordnet ist.

236 § 14. einen Blick auf die Gesetzgebung ver­

Werfen wir schließlich noch

wandter ausländischer Nationen, Oesterreich

Oesterreichs und der Schweiz.

Für

kommt in Betracht § 1101 B.G.B., welcher lautet: „Zur

Sicherstellung

des Mieth- und

Pachtzinses hat der Vermiether

einer

Wohnung das Pfandrecht auf die eingebrachten, dem Miether und After­ miether eigenthümlichen oder von einem Dritten ihnen anvertrauten Ein­ richtungsstücke und Fahrniß, welche zur Zeit der Klage darin befindlich

sind.

Der Aftermiether aber haftet nach Maß seines Miethszinses, doch

ohne die Einwendung einer dem Hauptmiether vorgeschossenen Voraus­ zahlung entgegensetzen zu können." Das Schweizerische Obligationenrecht ordnet im Art. 294 an: Der

Vermiether einer unbeweglichen Sache hat für den Miethszins des ver­ flossenen und des laufenden Jahres ein Retentionsrecht an den beweg­

lichen Sachen,

welche sich in den vermietheten Räumen befinden und zu

deren Einrichtung und Benutzung

Sinne des

Art. 227

oder gestohlenen,

sowie

gehören.

Vorbehalten

die Eigenthumsansprüche Dritter

bleiben

im

an verlorenen

an solchen Sachen, von denen der Vermiether

wußte oder wissen mußte,

daß sie nicht dem Miether gehören.

Weiter

sind ausgenommen diejenigen Sachen, welche nach den Schuldbeitreibungs­

oder Concursgesetzen von der Execution ausgeschlossen sind. In Folge seines Retentionsrechts kann der Vermiether, Miether wegziehen oder die in den

wenn der

gemietheten Räumen befindlichen

Sachen fortschaffen will, so viel Sachen mit Hülse der zuständigen Amts­

stelle zurückhalten, als zu seiner Deckung erforderlich sind. Art. 295. Das Retentionsrecht des Vermiethers erstreckt sich auch auf die von dem Untermiether eingebrachten Gegenstände, soweit diesem gegenüber das Recht des Untervermiethers reicht.

Zweiter Abschnitt. Das künftige Recht.

§ 15. Der Entwurf des B.G.B.

regelt das Pfandrecht des Vermiethers

im § 521, welcher lautet: „Der Vermiether eines Grundstücks hat wegen seiner Forderungen

aus dem Miethsvertrage ein gesetzliches Pfandrecht

an den eingebrachten Sachen des Miethers. Das Pfandrecht besteht nicht in Ansehung derjenigen Sachen, welche der Pfändung nicht unterworfen sind.

Es erlischt mit der Entfernung der Sachen von dem Grundstücke,

237 es sei denn, daß die Ent-

auf welches das Mietsverhältniß sich bezieht,

ferming heimlich oder gegen den Widerspruch des Vermiethers erfolgt ist.

Der Vermiether kann der Entfernung derjenigen Sachen nicht wider­ zu deren Entfernung der Miether im regelmäßigen Betriebe

sprechen,

seines Geschäftes

oder dadurch

veranlaßt wird, daß die gewöhnlichen

Lebensverhältnisse die Entfernung mit sich

bringen.

Er ist berechtigt,

auch ohne Anrufung des Gerichts die Entfernung aller anderen seinem

Pfandrecht unterliegenden Sachen zu hindern und, wenn der Miether das Grundstück räumt, dieselben in seine Jnhabung zu nehmen. Der Vermiether ist berechtigt, von dem Miether die Zurückschaffung

der heimlich

oder gegen seinen Widerspruch entfernten Sachen,

Entfernung er zu widersprechen befugt war, und nach

deren

bereits erfolgter

Räumung des Grundstücks die Ueberlassung oder Jnhabung derselben zu fordern. Die Ausübung des gesetzlichen Pfandrechts des Vermiethers kann durch Sicherheitsleistung für die Forderung und in Ansehung jeder ein­ zelnen,

diesem Rechte unterliegenden Sache durch Sicherheitsleistung bis

zur Höhe des Werthes der Sache abgewendet werden.

Die Sicherheits­

leistung durch Bürgen ist ausgeschlossen. Wird eine dem Pfandrechte des Vermiethers unterliegende Sache

so kann diesem gegenüber das Pfandrecht wegen desjenigen Miethszinses nicht geltend gemacht werden,

für einen anderen Gläubiger gepfändet,

welcher auf

eine frühere Zeit als das letzte Jahr vor der Pfändung

entfällt." Dazu kommt nach Art. 13 des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum B.G.B. § 41 der Coneurs-Ordnung in folgender Fassung: Den Faustpfandgläubigern im Sinne des § 40 stehen gleich . . .

2. Diejenigen, welchen an gewissen Gegenständen ein gesetzliches oder ein durch Pfändung erlangtes Pfandrecht zusteht. Das nach Maßgabe des § 521 des bürgerlichen Gesetzbuches bestehende Pfandrecht kann

wegen desjenigen Miethszinses werden,

oder Pachtzinses

nicht geltend gemacht

welcher auf eine frühere Zeit als das letzte Jahr vor der Er­

öffnung des Verfahrens entfällt. Zur Erläuterung des

Entwurfes kann

auf die Motive (Bd. 2

S. 402—410) verwiesen werden; hervorzuheben ist Folgendes: Der Entwurf gewährt ein gesetzliches

Pfandrecht;

also

kein

bloßes Zurückbehaltungs- oder Vorzugsrecht; dasselbe beruht lediglich auf dem Gesetz, der vermuthliche Wille der Parteien kommt also nicht in Betracht.

238 Das Recht besteht an den eingebrachten Sachen des Miethers; Dritten (auch Astermiethern) gehörige Sachen unterliegen ihm also nicht,

auch nicht, wenn der Miether zu deren vertragsmäßiger Verpfändung be­ fugt war oder wenn der Vermiether sie für eigene Sachen des Miethers gehalten hat und halten durfte. Der Begriff der „Forderungen aus dem Miethsvertrage" und der „eingebrachten Sachen" ist im Gesetz nicht besinnt; es ist der durch die

Wissenschaft namentlich für das gemeine Recht und das Preußische Land­ recht festgestellte und auch für die Auslegung der Concursordnung an­

gewendete. Durch die neue Fassung des § 41 der C.O. wird auch der Zweifel darüber ausgeschlossen, ob das Absonderungsrecht an vor der Concurs-

eröffnung heimlich weggeschafften Sachen besteht; der Entwurf giebt das Recht denjenigen, denen ein gesetzliches Pfandrecht zusteht,

und da nach

§ 521 das Pfandrecht an den heimlich oder gegen Widerspruch entfern­ ten Sachen fortbesteht,

so ist in Ansehung derselben auch das Absonde­

rungsrecht gegeben. Weitere Erörterungen des Entwurfs werden sich besser an die fol­ genden Auseinandersetzungen anschließen.

Wir wenden uns nunmehr zur Beantwortung der Frage unseres Themas,

ob das Pfandrecht des Vermiethers aufrecht zu erhalten,

be­

ziehungsweise wie es zu gestalten ist.

§ 16. Von vornherein wird die Annahme gestattet sein, daß wenn ein Rechts­

satz

bei den beiden großen rechtbildenden Völkern,

Stobbe, Deutsches Privatrecht Bd. 3 S. 262,

liche Pfand- und Zurückbehaltungsrecht § 1,

im deutschen (vgl.

Bunsen, das gesetz­

Paulsen, Schleswig-Hol­

steinisches Privatrecht S. 175) und im römischen Recht zur Anwendung

gelangt und

ist,

nunmehr seit vielen Jahrhunderten in Geltung geblieben

er einem dringenden Verkehrsbedürfniß

entsprungen ist und zur

Befriedigung desselben dient; daß das Pfandrecht besteht kraft einer Rechtsregel, welche dasselbe, wie Savigny sich ausdrückt (System Band 3 S. 254), Und so

ist es

„als natürlich,

in der That.

billig und

zweckmäßig voraussetzt".

Das Wohnungsbedürfniß ist neben dem

Nahrungs- und Kleidungsbedürfniß dasjenige,

dessen Bestiedigung zum

Leben am dringendsten nothwendig ist, und dessen Befriedigung, da die wenigsten Wohnungsbedürftigen Grundstückseigenthümer sind, nur dadurch

bewirkt werden kann, daß die Hauseigenthümer ihre Häuser Andern zum

239 Bewohnen überlassen, daß sie dieselben vermiethen.

nügendem Umfange für den

fahr

entschließen, treten.

vermiethen,

zu

es

wird Wohnungsnoth

ein­

erwähnte Gefahr ist nun aber beim Wohnungsvermiethen

große,

da

seiner Natur

dasselbe

Creditgeschäft

weitaussehendes Kleidung

zu erleiden,

andernfalls wird sich keine genügend große Anzahl

Wohnungen

Die

besonders

eine

daß die Ge­

bei der Vermiethung Schaden

Vermiether,

möglichst gering ist;

Damit dies in ge­

muß dafür gesorgt werden,

geschieht,

Beim

ist.

nach nothwendig ein

Erwerb

Nahrung und

von

es sich im einzelnen Fall regelmäßig um verhältniß-

handelt

mäßig geringe Summen, die meist baar bezahlt werden, bei denen jeden­

falls der Verkäufer, wenn er nicht genügend gesichert zu sein glaubt, Credit­

ablehnen

gewährung häufig

auf

zinses

erfolgt

kann.

Wohnungen

dagegen werden auf längere,

lange Zeiträume gemiethet,

sehr

die Zahlung des Mieths-

der Miether ist sicher,

periodisch,

daß ihm die Wohnung

während der Vertragsdauer gewährt werden kann, da ja die einmal vor­

handene Wohnung,

von besonderen Zufällen abgesehen,

bestehen bleibt,

eine entsprechende Sicherheit für den Vermiether aber ist nicht vorhanden, und

wenn der Miether zur Zeit des Vertragsschlusses in hohem

selbst,

Grade creditwürdig sein sollte, so besteht gar keine Gewißheit, daß er es

auch

einer vielleicht vieljährigen Vertragsdauer bleiben werde.

während

Dazu kommt, daß der Vermiether eine unverhältnißmäßig höhere Leistung gewissermaßen

vorschießen

muß,

als

ihm vom

Denn es geht im Allgemeinen nicht an,

wird.

Miether

gegengeleistet

daß der Vermiether nur

das Verfügungsrecht über die Wohnung erwirbt, die er vermiethet, son­ dern

um die Wohnung

also

ein

zu

vermiethen,

großes Capital einsetzen.

muß er das Haus besitzen,

Wenn er nicht die verhältnißmäßige

Gewißheit einer sicheren Verzinsung desselben hat,

sich sein,

überhaupt

zu

wenigstens

so wird er,

falls er

einer solchen Capitalaufwendung entschließt,

bestrebt

die Zeit,

während

welcher die Gefahr des Capitals­

verlustes besteht, dadurch möglichst abzukürzen, daß er nicht nur auf gute Verzinsung,

sondern auch auf baldige Amortisation des in dem Grund­

stück steckenden Capitals bedacht ist, mit anderen Worten, der Miethszins

wird

ein

höherer werden.

Daß aber unverhältnißmäßig hohe Miethen

eine große sociale Gefahr sind,

haben zur Folge,

bedarf keiner längeren Ausführung;

daß die große Zahl der Wohnungsuchenden,

sie

die nur

eine beschränkte Summe zur Bestreitung des Wohnungsbedürfnisses auf­ wenden

können,

Räume

bewohnt,

welche den Anforderungen,

die im

Interesse der Behaglichkeit, der Sittlichkeit und der Gesundheit zu stellen

sind,

nicht

entsprechen.

So entsteht Mangel entweder an Wohnungen

240 überhaupt oder an Wohnungen,

wie sie für das allgemeine Wohl er­

forderlich sind; es wird herbeigeführt einer der größten socialen Schäden

namentlich unserer Zeit,

die Wohnungsnoth.

Um wenigstens

eine der

muß dafür gesorgt werden, daß der Wohnungsvermiether gegen Verluste durch Ausfallen der Miethszahlungen

Ursachen derselben zu beseitigen,

möglichst geschützt werde; und

wenn das Wohnungsvermiethen kein sicheres

gewinnverheißendes Geschäft, wenn es ein gewagtes Unternehmen

ist, so tritt leicht der Fall ein, daß zu wenige oder doch zu theuere Woh­

nungen angeboten werden.88)89 Dazu kommt auf der anderen Seite,

miethe so

besonders

leicht ist,

den

daß es bei der Wohuungs-

Vermiether zu sichern,

ohne den

Miether in irgend erheblicherem Umfang zu belästigen oder zu schädigen.

einem Geschäft möglich ist,

Wenn es bei

dem einen Contrahenten eine

Sicherung, einen Vortheil zu verschaffen ohne Beeinträchtigung des Gegen-

contrahenten, so wäre es thöricht,

das nicht zu thun, selbst wenn keine

besonderen Gründe noch außerdem für die Gewährung solcher Sicherung sprächen. Und so ist die Sachlage bei der Miethe. Wenn der Ver­ käufer von Nahrung oder Kleidung,

wendigkeit des

gewährten

schäfte zu nennen,

um diese in Bezug auf die Noth­

Gegenstandes

am nächsten verwandten Ge­

zur Sicherung der Zahlung ein Pfand verlangt, so

kann ihm ein solches nur so gewährt werden, daß sich der Verkäufer des Besitzes und der Benutzung desselben entäußert und somit ein großes, ein oft unerschwingliches Opfer bringt. Dem Vermiether dagegen kann eine solche Sicherung zu Theil werden, ohne daß der Miether im Besitz

und der Benutzung der verpfändeten Gegenstände irgend erheblich gestört und beeinträchtigt wird. „Das Pfandrecht des Vermiethers," sagt Dernburg,80) „scheint unmittelbar aus der Natur der Sache hervorgewachsen. Wie nahe liegt es, Miethszinses

daß sich

der Vermiether wegen des rückständigen

an die Vermögensstücke des Schuldners

hält, die er

in

seiner Wohnung vorfindet, und deren Wegbringen er durch Verschließung

seines Hauses hindern kann? Wie unzweckmäßig wäre es, ihn zu nöthigen,

den wortbrüchigen Miether ziehen zu lassen, um hernach mit großer Beschwerde und Weitläufigkeit auf anderem Wege Zahlung * zu er­ zwingen?" Zu diesen positiven Gründen für die Beibehaltung des Pfandrechts

an den Jllaten kommt hinzu das Fehlen eines Grundes für seine Be88) Trüdinger, die Arbeiterwohnungsfrage und die Bestrebungen zur Lösung derselben. Jena 1888 S. 172. 89) Pfandrecht Bd. 1 S. 294.

241 seitigung.

Ein Institut, das, man

kann fast sagen,

von Anfang an

bestanden hat, das wenn es nicht aus dem Rechtsbewußtsein des Volkes heraus-, dann jedenfalls in dasselbe hineingewachsen ist, muß im Zweifel,

d. h. wenn

keine erheblichen Gründe für seine Aufhebung vorliegen,

unbedingt aufrecht erhalten werden.

Und solche Gründe können schwerlich

beigebracht roetben.90) Ist somit die Vorfrage im bejahenden Sinne zu entscheiden, so ist es die Aufgabe der Gesetzgebung, das Institut so zu

möglichst ausgiebige Sicherung

gestalten,

daß

des Vermiethers bei möglichst geringer

Beeinträchtigung des Miethers und dritter Personen erreicht wird.

§ 17. Zu diesem Zweck empfiehlt es sich

zunächst, das Recht des Ver­

miethers als ein Pfandrecht, nicht als bloßes Zurückbehaltungsrecht oder Vorzugsrecht zu

gestalten.

Denn das Verfügungsrecht des Miethers

über die Jllaten ist in allen Fällen in gleichem Umfange beschränkt, nur

gelangt der Vermiether beim Pfandrecht schneller und einfacher zur Be­

friedigung wegen seiner Forderung, als wenn er sich das Pfandrecht erst

durch Pfändung im Wege der Zwangsvollstreckung verschaffen muß. er durch das Pfandrecht

gegenüber dritten Gläubigem

wird, als durch das einfache Retentionsrecht,

Daß

besser gestellt

ist durch die vorstehenden

Erwägungen genügend begründet.

§ 18. Das Pfandrecht ist zu gewähren dem Vermiether, nicht dem, der unentgeltlich ein Grundstück zur Benutzung überlassen hat, wegen der ihm, auch abgesehen vom Miethszins, etwa zustehenden Ansprüche. Denn nur im Fall der Miethe entsteht das dargelegte öffentliche Interesse; die vereinzelten

Fälle

der unentgeltlichen Ueberlassung

von

Grundstücken

dienen nicht der Befriedigung eines Verkehrsbedürfnisses; wer eine Libe­ ralität vornehmen will,

hat es im einzelnen Falle in der Hand,

wie

weit er dieselbe erstrecken, und wie er sich gegen Schaden sichern will; wird dadurch, daß ihm genügende Sicherheit nicht geleistet werden kann, das Zustandekommen der Freigebigkeit im einzelnen Fall verhindert, so 90) Mir ist denn auch, soweit ich die Literatur übersehe, keine Stimme be­ kannt geworden, die sich für Beseitigung des Pfandrechts ausspricht; auch die eifrigsten Bekämpfer desselben (Flesch, Miquel) wenden sich nicht gegen das Recht selbst, sondern gegen seinen Umfang und verlangen nicht Abschaffung, sondern Be­

schränkung. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. III.

242 kann das ein Schade für den,

dem die Zuwendung entgeht,

nicht für

weitere Kreise sein. Nur dem Vermiether eines Grundstücks darf das Pfandrecht zu­

stehen. Es kommt zuweilen vor, daß auch bewegliche Sachen, z. B. Wagen (ausrangirte Eisenbahnwagen, die Wagen umherziehender Künstler­

truppen u. dgl.), und Schiffe zu Wohnungen benutzt werden, sehr selten aber, daß derartige Gelasse nicht Eigenthum ihrer Bewohner, sondern von

denselben gemiethet sind.

Wenn es sich in solchen Fällen wirklich ein­

mal um ein dauerndes Bewohnen des betreffenden Raumes handelt,

so

ist ein Vermiethen solcher Behausungen doch immer nur etwas Vereinzeltes, keine dauernde Verkehrseinrichtung, so daß der Grund für die besondere gesetzliche Sicherung des Vermiethers

Fällen das „Gebäude" meist

fortfällt.

Auch

wird

in solchen

ausschließlich vom Miether bewohnt sein,

also das besitzähnliche Verhältniß,

in dem sonst der Vermiether zu den

Jllaten des Miethers steht, und das einen wesentlichen Grund für unser

Rechtsinstitut bildet, S. 298).

nicht bestehen (f. Dernburg,

Pfandrecht Bd. I

Uebrigens dürste in dem häufigsten Fall des Vermiethens

beweglicher Sachen,

in dem vorübergehenden Bewohnen von Schiffs­

räumen während längerer Seereisen, der Vermiether in seiner Eigenschaft in seiner Eigenschaft als Ver­

als Schiffsführer als conductor operis,

miether aber als Gastwirth anzusehen und die betreffenden Bestimmungen (§ 628 des Entwurfs) anzuwenden sein.

§ 19. Hinsichtlich der Forderungen aus dem Miethsverhältniß, für die das

Pfand haftet, halte ich dem Entwurf gegenüber eine Einschränkung für geboten.

Allerdings ist mit den Motiven anzuerkennen, daß der Zweck

der Sicherung des Vermiethers fast völlig vereitelt werden würde, wenn die Haftung sich nicht

auch

auf den

künftigen Miethszins erstrecken

sollte; namentlich würde das der Fall sein gegenüber einer Pfändung zu

Gunsten eines anderen Gläubigers, durch welche dann dem Vermiether

seine Sicherheit leicht vollständig entzogen werden könnte.

Dagegen hat

es, wie auch die Motive (S. 407) nicht verkennen, für den Miether sehr

schwere Uebelstände zur Folge, wenn das Pfandrecht für alle bis zum Ablauf der Miethszeit

erwachsenden Forderungen besteht,

und noch er­

heblichere Bedenken ergeben sich für dritte Gläubiger des Miethers.

Die­

selben werden in allen den Fällen, wo der Betrag sämmtlicher bis zum

Ende der Vertragszeit fällig werdender Miethsrathen höher ist als der Werth der Jllaten, durch Pfändung keine Befriedigung erlangen können.

243 Ich glaube nun, daß sich sehr wohl ein Mittelweg finden läßt, der die Mißstände nach beiden Seiten hin, wenn auch nicht ausschließt, so doch

Einen solchen würde ich darin sehen, daß man

erheblich herabmindert.

die Haftung für den künftigen Miethszins, falls der Vertrag nicht mehr

ein Jahr läuft, auf die Zeit bis zu seinem Ablauf, andernfalls auf das laufende Kalendervierteljahr und ein darauf folgendes Jahr beschränkt, wie es

ähnlich in Art. 294 des schweizerischen Obligationenrechts ge­

schehen ist.

Die Sicherheit, die dadurch dem Miether gegenüber gewährt wird, dürfte vollständig ausreichend

sein,

sie ist es jedenfalls,

solange die

Miethe pünktlich bezahlt wird; es ist immer noch Deckung auf ein Jahr

im Voraus vorhanden;

ebenso,

wenn die für einen Zinstermin unter­

bliebene Zahlung bis zum nächsten Termin nachgeholt wird. letzteres

aber nicht,

und

Geschieht

wird auch die nächste Rate nicht gezahlt, so

gewährt auch der Entwurf (§ 528 B G B.) dem Vermiether ein Recht zum sofortigen Rücktritt.

Macht er davon Gebrauch, so kann er aus den

Jllaten, nachdem er sich wegen des Rückstandes befriedigt hat, noch für zwei Quartale Deckung entnehmen und würde Schaden erst dann erleiden,

wenn er die Wohnung nach 3/4 Jahren nicht wieder vermiethet hätte.

Eine Beeinträchtigung würde der Vermiether allerdings erfahren,

wenn

die nur den Betrag einer Jahresmiethe deckenden Jllaten schon vor dem Eintritt des Rücktrittsrechts

unter diese Höhe dadurch gebracht wären,

daß der Vermiether sich wegen vorher fällig

gewordener Forderungen

aus ihnen gedeckt hätte, etwa für Ansprüche auf Grund von Deteriora-

tUrnen, oder weil der Miether ein oder mehrere Male mit der Miethe geblieben, für den darauf folgenden aber Zahlung geleistet und so den Eintritt des Rücktrittsrechts verhindert

für einen Termin im Rückstände

hätte. Solche Fälle werden aber doch recht selten eintreten, und unter den wenigen derartigen Fällen wird wieder nur eine verschwindende Zahl sein, in denen erlaubter Weise eine Fortschaffung von Jllaten statt­ gefunden hat, welche hätte verhindert werden können, wenn das Pfand­

recht wegen aller künftig fällig werdenden Miethszieler bestände, in denen

also der Schaden in der befürworteten Einschränkung des Pfandrechts seinen Grund hätte.

Diese vereinzelten Fälle können aber nicht für eine es dürfen nicht alle Miether in der

allgemeine Norm bestimmend sein,

Verfügung über ihre Habe in unzulässigem Maße darum eingeschränkt werden, weil einmal ein Fall eintreten kann, in dem sonst der Vermiether

eine Einbuße erleiden könnte. Man wird auch nicht einwenden dürfen,

daß eine weitergehende

16*

244 des Vermiethers eintreten wird,

Schädigung

des § 528 Abs. 2 keinen Gebrauch macht;

wenn er von dem Rechte

denn wenn er

ein ihm zu­

stehendes Recht nicht benutzt, so thut er es auf seine Gefahr, der Miether

und dessen andere Gläubiger dürfen darunter nicht leiden;

da heißt es

volenti non fit injuria. daher dem Miether

muß

Es

die

von

Entfernung

Sachen gestattet sein, sofern noch so viele zurückbleiben, fälligen Forderungen aus

den

eingebrachten daß sie außer

den Miethszins des

dem Miethsvertrag

laufenden Viertel- und des folgenden ganzen Jahres decken.

Dritten

pfändenden Gläubigern gegenüber hat diese Einschränkung

des Pfandrechts zur Folge, daß sie, von Rückständen abgesehen, Befrie­

digung aus dem Theil des Versteigerungserlöses erlangen, der den Be­ trag der Miethe von vier bezw.

fünf Vierteljahren übersteigt. Sachen

in der Wohnung,

zugsrecht,

bei Hinterherzahlung der Miethe, von

Bleiben

noch genug

nach der Pfändung

so hat der Vermiether überhaupt kein Vor­

bleibt nur ein Theil der haftenden Jllaten zurück,

das Vorzugsrecht

an dem Theil des Erlöses,

so hat er

der zu dem Werth

der

zurückbleibenden Jllaten hinzukommen muß, um ihm für ein Jahr Sicher­

heit zu gewähren. Daß das Pfandrecht dem Miether gegenüber wegen aller rückstän­

digen Forderungen besteht, ist wohl selbstverständlich; einem dritten Gläu­ biger gegenüber dürfte es sich dagegen empfehlen, das Vorrecht auf den

Miethszins des letzten halben Jahres einzuschränken.

Der Vermiether

hat, wenn der Rückstand zwei aufeinander folgende Termine betrifft, das Recht des Rücktritts;

selbst wenn

aufeinander folgenden Termine

aber der Verzug

eingetreten ist,

wegen zweier nicht

so würde

eine Mieths-

rate, die bei Annahme eines halben Jahres kein Vorrecht mehr genießt, seit mindestens drei Vierteljahren geschuldet sein; so

lange Zeit

darf

verstreichen läßt,

ein Dritter

darunter

wenn der Vermiether

ohne seine Forderung

beizutreiben, so

Ebenso wird es mit anderen

nicht leiden.

rückständigen Forderungen als für Miethszins zu halten sein,

wobei es

sich gewöhnlich um Schadensersatzansprüche wegen Deteriorationen handeln

wird.

Wenn dieselben

seit mindestens

einem halben Jahr,

in dem sie

gerichtlich geltend gemacht werden konnten, nicht erhoben sind, — Schäden, die die Miethswohnung selbst betreffen

und sich auf diese beschränken,

werden (§ 520 des Entwurfs) in der Regel trages

erst bei Ablauf des Ver­

zum Austrag kommen — so wird man annehmen können, daß

der Vermiether

auf den Ersatz verzichtet;

jedenfalls darf er ihn einem

Dritten gegenüber nicht mehr zur Geltung bringen.

245 8 20.

Ob

„Forderungen aus dem Mietsverträge", wegen auch zukünftige Forderungen anderer

unter den

deren das Pfandrecht besteht,

als wegen Miethszinses verstanden werden sollen,

Art,

ist aus dem

Text und den Motiven nicht klar ersichtlich. Es wird sich dabei im Wesentlichen um Ansprüche auf Schadensersatz, namentlich wegen De-

teriorationen handeln.

sicher,

ob

stimmbar,

sie

entstheu

Bezüglich werden,

welche Höhe sie

es ganz un­

solcher Forderungen ist und

völlig

unbestimmt

und

unbe­

Der Entwurf (§ 1145,

erreichen werden.

Motive Bd. 3 S. 798) erklärt ein Faustpfandrecht für derartige Forde­ rungen für zulässig.oi) des Vermiethers

Dritten gegenüber. unbegrenzt,

Die Anwendung auf das gesetzliche Pfandrecht

erscheint höchst bedenklich,

sowohl dem Miether als

Die Höhe des Anspruchs des Vermiethers ist völlig

Beschädigungen des Miethsgegenstandes können in jedem

Augenblick und in einem Umfange eintreten, der nicht nur die gemietheten Räume, sondern das ganze Grundstück ergreift.

Wenn also die Jllaten

so würde der Ver-

für den sonach möglichen Schaden haften sollen,

miether der Fortschaffung jedes Stückes aus der Wohnung, sofern nicht

der Fall des Abs. 2 Satz 1 vorliegt, widersprechen können, selbst wenn die zurückbleibenden Sachen den vielfachen Werth der bis zum Ablauf

des Vertrages

noch geschuldeten Miethe haben.

dieser Folge durch die im

Auch die Abwendung

Absatz 4 vorgesehene Sicherheitsleistung ist

bei der Unbestimmbarkeit der zu versichernden Forderung nicht möglich.

Dritte pfändende Gläubiger würden niemals

vor Ablauf der Mieths-

zeit Befriedigung erlangen können, denn so hoch der

Versteigerung sein mag,

auch der Erlös aus

die Möglichkeit, daß

die während

der

Miethszeit noch entstehenden Forderungen höher sind, ist niemals aus­ geschlossen. Man braucht sich diese Consequenzen wohl nur vorzustellen, um überzeugt zu sein, daß sie unmöglich gezogen werden dürfen.

Daß das

Pfandrecht auch wegen dieser Forderungen durch die Jllation entsteht, und daß, wenn derartige Forderungen bereits vorhanden sind, wegen derselben aus den Jllaten Befriedigung gesucht werden kann, unterliegt

keinem Bedenken, dagegen darf es nicht zulässig sein,

wegen derartiger,

künftig möglicher Forderungen der Entfernung von Sachen und der Be-

91) Vgl. über die Frage Dernburg, Pfandr. Bd. 1 § 69. in Civils. Bd. 14 Nr. 61.

Entsch. d. R.G.

246 friedigung anderer Gläubiger aus dem

Erlös

gepfändeter Sachen zu

widersprechen.

In dieser Beziehung ist die vom Entwurf gewährte Freiheit zur Wegbringung von Sachen im regelmäßigen Geschäftsbetriebe Anlaß der gewöhnlichen Lebensverhältnisse nicht ausreichend.

oder aus Ob die

Gewährung eines Geschenkes außerhalb des Rahmens der üblichen Ge­ legenheitsgeschenke, die zeitweilige Ueberlassung eines Kunstwerkes an eine Ausstellung,

die Wegnahme von Möbeln, weil ein Familienmitglied,

ohne die Wohnung dauernd aufzugeben,

aus irgend

einem Anlaß an

einem anderen Ort Wohnung nimmt, als durch die gewöhnlichen Lebens­ veranlaßt anzusehen ist, kann sehr zweifelhaft sein. Aber selbst wenn die Wohn- oder Geschäftsräume aus irgend welchen

verhältnisse

Gründen der Nothwendigkeit, Nützlichkeit oder Annehmlichkeit nicht mehr oder nicht mehr ausschließlich bewohnt werden, und neben denselben oder

statt ihrer andere Räume benutzt werden sollen, und damit nicht bis zum

Ablauf der Miethszeit

gewartet werden soll,

wäre es

eine unbillige

Härte, die Wegnahme von Sachen aus den alten zum Zweck der Aus­

stattung der neuen Räume zu verhindern wegen möglicher künftig ent­

stehender Schadensersatzforderungen. Ebenso würde nach dem Grundsatz „pignoris causa est Individua“

(§ 1190 des Entwurfs), auch wenn die Jllaten nur für eine Jahres­ miethe haften, für diese jedes Stück haftbar, und daher dessen Wegnahme

unzulässig sein, wenn das Gesetz nicht ausdrücklich andere Bestimmungen

trifft.

Es empfiehlt sich daher, eine Aenderung aufzunehmen, daß der Vermiether der Entfernung nicht widersprechen darf, wenn so viel Sachen zurückbleiben, als zur Deckung der bereits entstandenen Forderungen und der Miethe für ein Jahr hinreichen. Indessen wäre es unbillig, dem Vermiether die Beweislast dafür, daß keine hinreichende Deckung vor­ handen ist, aufzubürden.

Vielmehr wird der Miether, der ja weiß, was

er besitzt, den positiven Beweis zu führen haben. Auf Grund der vorstehenden Ausführungen würde also Absatz 1 Satz 1 des § 521 lauten müssen:

„Der Vermiether eines Grundstückes

hat wegen seiner Forderungen aus dem Mietsverträge, bezüglich des Miethszinses jedoch nur wegen desjenigen für das laufende Vierteljahr und das auf dasselbe folgende Jahr,

ein gesetzliches Pfandrecht an den

eingebrachten Sachen." In Absatz 2 wäre hinter dem ersten Satz hinzuzufügen: „oder durch deren Entfernung der Werth der auf dem Grundstück verbleibenden, dem

247 Pfandrecht

Sachen

unterworfenen

erweislich

unter

nicht

den

Betrag

der in Absatz 1 Satz 1 bezeichneten Forderungen herabgemindert wird." Absatz 5 hätte zu lauten:

„Wird

dem Pfandrecht des Ver­

eine

miethers unterliegende Sache für einen anderen Gläubiger gepfändet, so kann

diesem gegenüber das Pfandrecht wegen desjenigen Miethszinses,

welcher auf eine frühere Zeit als das letzte halbe Jahr vor der Pfän­ dung entfällt, und wegen derjenigen rückständigen Forderungen aus dem

Miethsverhältniß nicht geltend gemacht werden, welche, obgleich sie inner­ halb

vor der Pfändung

letzten halben Jahres

des

gerichtlich

geltend

gemacht werden konnten, nicht gerichtlich geltend gemacht sind.

die Ausübung

Daß abgewendet

werden

des Pfandrechts durch Sicherheitsleistung muß

können,

ist

selbstverständlich,

da

ja

dadurch

eine

Schädigung des Vermiethers ausgeschlossen wird; auch wäre es unbillig, Sicherheitsleistung bestellt wird.

gewährt, Rückstände

oder

nur

Wird

zuzulassen,

wenn

sie

für die ganze Forderung

die Sicherheit nur für einen Theil der Forderung

erhöht sich der Anspruch dadurch,

entstanden sind,

daß Forderungen für

über das Maß der bestellten Sicherheit,

so

kann die Ausübung des Pfandrechts nur entsprechend der Höhe der vor­

handenen Sicherheit abgewendet werden, das heißt nur so weit, daß der

Werth der verbleibenden Sachen und die Höhe der Sicherheit zusammen die ganze Forderung decken. Ich

glaube,

daß

dieser Sinn

schon

mit dem Wortlaut des Ent­

wurfs „für die Forderung" zu verbinden ist, doch empfiehlt es sich wohl, um jeden Zweifel auszuschließen, zu sagen „für die Forderung oder einen Theil derselben".

Den Vermiether zur Annahme einer anderen als einer Realsicherheit

zu zwingen, wäre unbillig; dagegen Sicherheitsleistung

durch Bürgen nicht

ist nicht einzusehen,

soll

warum eine

erfolgen dürfen,

wenn der

Vermiether sie sich gefallen läßt. Der letzte Satz des Abs. 4 wird daher

so zu fassen sein: „Die Sicherheitsleistung durch Bürgen braucht der Ver­

miether nicht anzunehmen." Durch die vorstehend vorgeschlagenen Abschwächungen und Milderungen

des Pfandrechts werden wohl auch die Bedenken von Gierke (Schmollens

Jahrbuch XIII. Band S. 232, 233) beseitigt sein;

vorkommen

können,

daß,

es wird dann nicht

wer ein Geschäftsloeal für hohen Miethszins

auf 10 Jahre vermiethet hat, vielleicht die ganze Habe des Miethers fest­ zulegen oder nach Belieben dem einen Gläubiger den Zugriff zu gestatten und den anderen daran zu verhindern vermag.

248 § 21. Daß der Entwurf das Pfandrecht an dem Miether nicht gehörigen Sachen nicht entstehen läßt, ist, mit einer unten zu besprechenden Ein­

schränkung,

unbedingt zu

billigen.

Würden

auch fremde Sachen ein­

bezogen, so würden deren Eigenthümer, obgleich sie dem Vermiether gar nichts schulden und in gar keinem Rechtsverhältniß zu demselben stehen, unter Umständen genöthigt, die Schulden des Miethers zu zahlen; jeder,

der den Besitz seiner Sachen aus irgend einem Grunde einem Anderen überläßt, würde dadurch gezwungen, unter Umständen ohne sein Wissen und Willen eine Art selbstschuldnerischer Bürgschaft für dessen Mieths-

schulden zu übernehmen. Fremde Hausgenossen, Hausofficianten, Gesinde, würden in die Lage kommen können, daß

aus ihrem Vermögen die

Miethsschuld ihrer Dienstherrschaft gezahlt werden müßte.

Das ginge

weit über das Maß des Schutzes und der Sicherung hinaus,

der Vermiether billiger Weife Anspruch

hat.

auf das

Es würde ferner Jeder

Bedenken tragen müssen, Sachen einem Andern zu leihen, zu verpfänden, zur Ansicht zu überlassen u. dgl., da er ja annehmen muß, Sachen,

sofern sie nicht etwa

daß diese

einem Hauseigenthümer in dessen Haus

gegeben sind, mit einem Pfandrecht werden belastet werden.

Es würde

ferner Niemand, der seine Sachen weggiebt, sicher sein können, wann er dieselben, auch wenn es zu einem Pfandverkauf nicht kommt, zurückerhalten

wird, da ja der Vermiether, wenn einmal sein Pfandrecht entstanden ist, die Entfernung des Gegenstandes nicht zu dulden braucht, wenn sie nicht „die gewöhnlichen Lebensverhältnisse" mit sich bringen; ob dieser Fall

vorliegt, wird

oft sehr zweifelhaft sein.

Endlich würde,

da Niemand

das Recht hat, fremde Sachen zu verpfänden, da die Verpfändung fremder Sachen jedenfalls eine Aneignungshandlung ist, da die Herbeiführung

der Voraussetzungen eines gesetzlichen Pfandrechts strafrechtlich jedenfalls Jeder sich einer Anklage der eine ihm nicht gehörige Sache in

der vertragsmäßigen Verpfändung gleichsteht,

wegen Unterschlagung

aussetzen,

gemiethete Räume einbringt, sofern sie nicht der Vermiether ausdrücklich

vom Pfandrecht ausschließt. Für die Ausdehnung des Pfandrechts

auf fremde Sachen kann

auch nicht der Grundsatz „Hand muß Hand wahren" (Art. 306 H.G.B.

§ 1152 des

Entwurfs)

geltend

gemacht werden.

Denn die

analoge

Anwendung dieses für Rechtsgeschäfte geltenden Satzes auf das gesetzliche

Pfandrecht ist unzulässig; hier gehört eben das Eigenthum des Miethers

zu den Voraussetzungen, unter denen überhaupt das Pfandrecht entsteht. Auch trifft die ratio legis hier nicht zu; vertragsmäßig verpfänden kann

249 man nur die eigne Sache; wer eine Sache verpfändet, giebt sich dadurch stillschweigend als deren Eigenthümer aus; der Gläubiger darf und muß

ihn

dafür halten, und die Sicherheit des Verkehrs erfordert,

seinem

in

Wohnung

werden

eingebracht,

aber

daß er in

erworbenen Recht geschützt werde.

gutem Glauben

nicht

nur eigene,

In eine

sondern auch fremde Sachen

das Einbringen erklärt man die Sachen nicht für die

durch

eignen, und der Vermiether ist keineswegs

zu dem Glauben berechtigt,

daß jedes eingebrachte Stück dem Miether gehöre und von demselben ihm

verpfändet sei.

Trotz

dieser Bedenken wird der Ausdehnung des Pfandrechts

aller

auf fremde Sachen, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, von Cohn (Gutachten aus dem Anwaltstande Heft II S. 159 ff.) und von Boyens

(ebenda Heft IX S. 724 ff.) das Wort geredet. Cohn

spricht

sich

dafür

aus,

das Pfandrecht auf die

prinzipiell

fremden Sachen zu erstrecken und davon außer den gestohlenen und ver­

lorenen

nur diejenigen

Eingehung

denen

„von

auszunehmen,

Miethsvertrages

des

weiß,

sie

daß

der Vermiether bei

nicht

Eigenthum

des

Boyens geht zwar von dem Grundsatz aus, daß das

Miethers sind". Pfandrecht

an den

Pfandrecht

auf

fremden Sachen

nicht

besteht,

doch soll

sich

das

nicht verlorenen und gestohlenen Sachen Dritter

solche

erstrecken, welche zur Einrichtung der gemietheten Wohnung dienen, wenn

der

Miether dieselben

bei

der Einbringung

dem Vermiether

als

seinigen ausgiebt, und dieser das Recht der Dritten nicht kannte,

die

diese

Unkenntniß auch nicht auf grober Fahrlässigkeit beruhte.

Die Ausdehnung

des Pfandrechts wird wesentlich damit begründet,

daß der Vermiether die Wohnung vermiethe in der Annahme, durch die eingebrachten Sachen

wegen

seiner Forderungen ausreichend gesichert zu

sein, daß aber dies Vertrauen getäuscht werde, und leicht eine Schädigung

könne,

des Vermiethers

eintreten

nicht Eigenthum

des Miethers

seien.

kann

Indessen

von

wenn

und

die Jllaten zum großen Theil

daher

einer Täuschung

von dem Pfandrecht befreit und Schädigung des Ver­

miethers nur dann die Rede sein, wenn derselbe einen Anspruch darauf hat,

daß

der Miether zur Sicherung

ausreichende Sachen

besitzt und

einbringt.

Ein solcher Anspruch besteht aber nicht;

leider kann kein Gesetz die

Miether zwingen, Eigenthümer eines genügenden Mobiliars zu sein, und

kein Vermiether kann wenig

den

besitzt,

eigenen

dagegen

geschützt werden,

auch wenig einbringt. auch

geliehene Sachen

Dadurch, einbringt,

daß der Miether,

der

daß der Miether außer ist der Vermiether also

250 nicht schlechter gestellt,

inferirt würde.

eigene Habe des Miethers

als wenn nur die

Wenn der Vermiether nur an Jemand vermiethen will,

der eigene Sachen in ausreichendem Maße besitzt, so muß er vor Abschluß des Vertrages sich

Eigenthum seien,

bei dem Miether erkundigen,

ihn nicht befriedigt.

welche Sachen sein

den Vertrag nicht eingehen,

und

Gegen unrichtige

Angaben

wenn die Auskunft schützt

ihn

§ 263

Str.G.B.

Denn wenn der Vermiether dadurch,

Miether als seine eigenen bezeichnet sind,

bestimmt -ist und zu Schaden kommt,

daß

fremde Sachen vom

zum Abschluß des Vertrages

so liegt unzweifelhaft ein Betrug

vor; aber selbst wenn der Vermiether einen Ausfall an der Miethe nicht erleidet, ist die Handlungsweise des Miethers eine betrügerische.

Denn

die Erlangung einer Wohnung, auf die man keinen Anspruch hatte, und die man sonst nicht erlangt haben würde,

ist ein rechtswidriger Ver­

mögensvortheil, und wenn man statt einer pfandrechtlich gesicherten Forderung eine unsichere und ungesicherte erhält, so ist darin allein wohl schon eine Vermögensbeschädigung zu finden, Geldverlust nicht eintritt.

auch wenn ein wirklicher

Die Vermögenslage eines Menschen ist unter

sonst gleichen Umständen eine bessere, wenn er eine gesicherte, als wenn er eine ungesicherte Forderung hat,

wenn also

der Verlust der Sicherheit allein ist,

auch die Forderung bestehen bleibt,

einen Anderen bestimmt,

ein Vermögensverlust.

Wer

eine nicht gesicherte Forderung statt einer

gesicherten, die er sonst erlangt hätte, zu erwerben, schädigt ihn.

Trotz­

ja immer Fälle vorkommen, in denen Miether fremde Sachen als ihre eigenen bezeichnen und dadurch dem Vermiether Schaden

dem werden

zufügen, aber der Gefahr, betrogen zu werden, ist eben Jeder ausgesetzt.

Andererseits würde § 246 Str.G.B. verhindern, daß der Vorschlag von Boyens irgend erhebliche praktische Bedeutung gewinne. Denn wenn dadurch, daß der Miether eine fremde Sache für die feinige ausgiebt,

so würde zwar in dieser in der Einbringung der fremden Sache aber,

der Vermiether das Pfandrecht erlangt,

Erklärung

kein Betrug,

durch die ein Pfandrecht an derselben entsteht, eine Unterschlagung liegen.

Dadurch würden die Miether

wohl in fast

allen Fällen abgehalten

werden, fremde Sachen für ihre eigenen auszugeben, und es würde das

Pfandrecht nur in wenigen oder,

wie vom Gesichtspunkt der Sittlichkeit

zu wünschen wäre, in gar keinem Fall zur Entstehung kommen.

falls ist es doch moralisch höchst bedenklich, Wirksamkeit größer oder geringer wird

schlagungen, die begangen werden.

ein Gesetz zu geben,

je nach

Jeden­

dessen

der Zahl der Unter­

251 Wenn man schließlich etwa noch einwenden wollte,

durch die Aus­

des Pfandrechts werde die Sicherheit des Vermiethers erhöht,

dehnung

darum sei dieselbe nach den obigen Ausführungen (§ 16) zu empfehlen, so

zu

ist

erwidern, daß ja

allerdings die Sicherung des Vermiethers

aber nicht

wegen seiner Forderung nothwendig und wünschenswerth ist,

jede Sicherung, sondern nur eine solche, welche innerlich begründet und mit keiner unverhältnißmäßigen Störung und Schädigung des Verkehrs­

verbunden ist,

lebens

und

diese Voraussetzungen

hier

würden

nicht

zutreffen. Wenn ein Pfandrecht an den fremden Sachen nicht entsteht,

es

auch ohne Einfluß,

stattet ist.

handelt sich hier um ein gesetzliches Pfandrecht, das

Es

wenn seine Voraussetzungen,

nur entstehen kann,

des Miethers,

so ist

daß dem Miether etwa die Verpfändung ge­

hier also Eigenthum

vorhanden sind; wollte aber der Miether die Sache dem

Vermiether vertragsmäßig verpfänden,

müßte er ihm nach § 1147

so

des Entwurfs die Jnhabung einräumen,

könnte sie also nicht in seiner

Wohnung behalten.

§ 22. In einer Beziehung halte ich es indessen für nothwendig,

das ge­

setzliche Pfandrecht auch auf nicht dem Miether gehörige Sachen auszu­ dehnen,

Kinder

wenn

handelt.

es

sich

nämlich um die Sachen seiner Frau und seiner

Zunächst halte ich hier ein Bedürfniß für vorliegend,

denn die eingebrachten Sachen werden oftmals, wenn sich auch gar keine

geliehenen oder gemietheten darunter befinden, nur zum Theil Eigenthum des Miethers, zum großen Theil solches der Familienmitglieder, nament­

lich

der Ehefrau sein;

genommen werden,

nicht

wenn diese Sachen von dem Pfandrecht aus­

so würde der Zweck desselben in sehr vielen Fällen

erreicht werden.

Die Bedenken,

die

gegen das

fremden Sachen sonst bestehen, fallen hier fast alle fort.

Pfandrecht

an

Eine Störung

und Schädigung des Verkehrs tritt nicht ein, da es sich nicht um Sachen handelt, die der Eigenthümer aus dem Gewahrsam gegeben, dem Miether

überlassen

hat und

deren Unterwerfung unter ein fremdes Pfandrecht

ohne sein Wissen und

gegen seinen Willen

erfolgt.

Hier

bleiben die

Sachen in der Jnhabung ihrer Eigenthümer, diese wissen, daß der Ver­ miether ein Pfandrecht an denselben hat.

Ferner ist die Entstehung des

Pfandrechts auch innerlich begründet, da ja die Eigenthümer der Sachen

Mitbewohner der Wohnung sind,

nöthigenfalls für die Kosten

es daher nicht unbillig ist,

wenn sie

derselben in Anspruch genommen werden.

252 Allerdings tritt dann der Fall ein, und dieses Bedenken ist für die Mo­

tive das

ausschlaggebende,

daß im Widerspruch

mit den allgemeinen

Grundsätzen die Ehefrau und die Kinder in gewissem Umfange mit ihrem Vermögen für die Schulden des Ehemannes und Vaters einstehen oder

aus eigenen Mitteln ein Bedürfniß befriedigen, das dem Mann und Vater zur Last fällt. Indessen kommt es zur Beschlagnahme der Jllaten regelmäßig erst dann,

wenn der Miether zur Zahlung der Miethe nicht

Wenn in diesem Falle die nächsten Angehörigen für das

im Stande ist.

Familienhaupt einstehen, und wenn die sittliche Pflicht, die ihnen das gebietet,

auch

zu einer rechtlichen gestaltet wird,

so finde ich diesen

„Widerspruch mit den allgemeinen Grundsätzen" durchaus gerechtfertigt. Die Nothwendigkeit, das Pfandrecht gesetzlich zu constituiren, in

Ansehung des Frauengutes nicht,

§ 1282 des Entwurfs beseitigt,

wie

wird auch

die Motive meinen,

durch

die dort ausgesprochene gesetzliche

da

daß die in der Jnhabung des Ehemannes oder der Ehe­

Vermuthung,

frau oder Beider befindlichen Sachen Eigenthum des Ehemannes sind,

doch nur eine Vermuthung ist, welche, wenn sie den Thatsachen nicht entspricht, leicht beseitigt werden kann.

Ferner würde sonst die Gefahr nahe liegen, daß das Pfandrecht des Vermiethers durch Scheinverträge,

durch die der Mann seine Mobilien

an die Frau oder die Hauskinder veräußerte, beeinträchtigt würde;

der

Schutz der actio Pauliana, auf den die Motive verweisen, wird bei der Schwierigkeit, den erforderlichen Beweis zu führen, oft versagen.

Wenn

endlich die Motive den Rath geben,

der Vermiether möge,

um sich das Pfandrecht zu sichern, den Miethsvertrag zugleich mit der Ehefrau abschließen, so stellen sie dadurch die Ehefrau bedeutend schlechter, denn dann würde sie eben Mietherin sein,

also principaliter und mit

ihrem ganzen Vermögen haften, während sie andernfalls nur, wenn es zur Beschlagnahme kommt, uud nur mit den ihr gehörenden Jllaten in Anspruch genommen werden kann. Auch aus diesem Grunde ist es da­ her wünschenswerth, abzuschließen,

um die Veranlassung,

abzuschwächen,

erfolgt. Ich würde

daß

die

den Vertrag mit der Frau

Ausdehnung

des

Pfandrechts

aus den vorstehenden Gründen dem Vorschläge von

Boyens (S. 724) beistimmen, daß „auch die der Ehefrau und den Kindern des Miethers, welche mit ihm die häusliche Gemeinschaft theilen, gehörigen Sachen dem Pfandrecht des Vermiethers unterliegen",

halte ich

eine Einschränkung für

geboten:

doch

das Pfandrecht darf nicht

länger bestehen, als die häusliche Gemeinschaft dctuert.

253 Der Tochter,

die sich verheirathet, dem Haussohn, der die Selb­

ständigkeit erlangt hat und das elterliche Haus verläßt, der Ehefrau, der es gestattet ist, vom Manne getrennt zu leben, darf die Wegnahme ihrer

Sachen nicht versagt und damit die Entfernung aus der Wohnung nicht

erschwert

oder unmöglich

gemacht werden.

Auch

haben die Gründe,

welche die Mithaftung der Frau und der Kinder stützen, die Mitbewoh­

nung der gemietheten Räume zur wesentlichen Voraussetzung.

Danach müssen dem Pfandrecht unterworfen sein die Jllaten der

bezeichneten Angehörigen des

Miethers,

wenn und

solange sie mit

ihm die häusliche Gemeinschaft theilen. Hinzugefügt mag noch werden, daß dieses Pfandrecht völlig unab­

hängig davon ist,

ob der Ehemann zur Verpfändung der Sachen seiner

Angehörigen befugt ist, da es sich ja, wie mehrfach hervorgehoben, nicht

um eine Verpfändung,

sondern um ein gesetzliches Pfandrecht handelt.

Das Besondere ist nur, daß die dem Pfandrecht unterworfenen Sachen

hier für eine fremde Schuld haften,

so daß hier durch ein gesetzliches

Pfandrecht für fremde Schuld durch das Gesetz eine Art nothwendiger Bürgschaft constituirt wird (vergl. § 1149 des Entwurfs).

Zur Ausdehnung dieses Zwanges aus die Fälle,

wo

andere Per­

sonen, als die genannten nächsten Angehörigen (entferntere Verwandte, sogenannte Pensionäre u. dgl.) an der Wohnung und Familiengemein­ schaft theilnehmen, liegt kein Bedürfniß vor. Diese Fälle sind verhältnißmäßig selten, und eine sittliche Verpflichtung dieser Personen, für den

Miether einzustehen, ist nicht vorhanden.

gegen die Haftung der Sachen des Aftermiethers gegenüber welche die Haftung der Dritten gehörigen Sachen verbieten, aber doch die wesent­ lichen, namentlich daß eine Schuld gegenüber dem Hauptvermiether nicht Auch

dem Hauptvermiether sprechen zwar nicht alle die Gründe,

besteht, der Aftermiether daher nicht verbunden sein kann, aus seinem Vermögen die Schuld des Aftervermiethers zu decken. Daher ist dieses

Pfandrecht, das, wie

die Motive sagen,

geeignet ist,

ungerechtfertigte

Härten und mißliche Verwickelungen hervorzurufen, nicht einzuführen.

§ 23. Der Grundsatz, daß das Pfandrecht nicht an den der Zwangsvoll­ streckung entzogenen Sachen besteht, ist zwar nach obigen Ausführungen

(§ 7) bereits geltendes Reichsrecht,

indessen ist die Frage bestritten und

es daher namentlich gegenüber der herrschenden Praxis nothwendig, den

Satz positiv

auszusprechen.

Daß er Geltung

behalten oder erlangen

254 muß, ist unbedingt erforderlich; die erhobenen Zweifel beziehen sich immer nur auf die Auslegung des geltenden Rechts, meines Wisiens

de lege ferenda hat sich

außer, worauf gleich zurückzukommen,

eine Stimme gegen ihn erhoben, durch ihn wird,

drückt,

Boyens kaum

wie Gierke sich aus­

ein „geradezu schreiender Mißstand" beseitigt.

Alle die Gründe,

die dazu geführt haben, die Beschränkungen der Zwangsvollstreckung ein­

zuführen, und die „keine Ausnahme durch Rücksichten auf die Art der

beizutreibenden Forderung" leiden (Motive zur C.P.O. S. 427, Motive zum Bayrischen Ges. v. 18./12. 1887), bestehen auch

Daß der

hier.

Vermiether den Miether und

seine Familie ohne Kleider,

Topf, in dem gekocht werden,

ohne Betten, in denen geschlafen werden

ohne einen

kann, ohne Handwerkszeug, womit er sein Brot verdienen kann, auf die es führt auch

Straße wirft, empört nicht nur jedes menschliche Gefühl,

die schwersten socialen Schäden herbei.

In dieser Beziehung ist zu ver­

weisen auf die Bemerkungen von Trüdinger a. a. O. S. 171, Miquel (Die Wohnungsnoth der ärmeren Classen, in den Schriften des Vereins für Socialpolitik Bd. 30 S. XVI) und Flesch (ebenda S. 77 ff. na­ Letzterer sagt, gestützt auf eigene Erfahrung:

mentlich S. 78—80). „Es

ist für den,

der nicht in der Praxis

steht, überhaupt un­

möglich, die Härten und Grausamkeiten und den demoralisirenden Einfluß

auch nur zu ahnen, den jene verkehrte Gesetzesauslegung auf die Ver­ hältnisse unserer unteren Classen und zwar in immer mehr sich verschlim­

mernder Weise ausübt."

Aus

seiner Begründung dieses Satzes

Folgendes hervorzuheben: Die Ausübung des Retentionsrechts

ist

in dem geschilderten Umfange

macht den Miether zu einem ständigen Kostgänger der Armenpflege, und

läßt ihn, wenn er früher leichtsinnig war, zum völligen Vagabonden werden. „Der Obdachlose wird arbeitslos, der Arbeitslose wird arbeits­ scheu,

und wenn die Frau ihm nicht mehr kochen und

waschen kann,

muß er eben sehen, ohne Frau und Kinder fertig zu werden, eine Last für ihn sind.

die nur

Anderseits wird die Armenverwaltung, der der

Exmittirte zur Last fällt, genöthigt,

um demselben wieder die Möglich­

keit zu arbeiten zu verschaffen, die Sachen auszulösen; dadurch werden

die Vermiether zur Steigerung der Miethspreise veranlaßt, mehr auch mit unbilligen Forderungen leicht durchdringen.

da sie nun­ Die Armen­

verwaltung kann auch dem Obdachlosen, der gar nichts besitzt, nicht auf­ geben, sich eine neue Wohnung zu suchen; liederliche, heruntergekommene

Personen

legen

es demgemäß förmlich darauf an,

oft durch Verab-

255 redungen mit dem Hauswirth selbst, exmittirt zu werden, um sich dann auf Kosten der Armenverwaltung unterhalten zu lassen."

sichert ausdrücklich,

Flesch ver­

daß er seine Angaben auf Grund seiner praktischen

Erfahrungen in der Armenverwaltung von Frankfurt a. M. gemacht habe.

— Selbst wenn es aber auch nicht zur Beschlagnahme der unentbehrlichen Habe kommt,

so wird schon durch die Möglichkeit,

daß der Vermiether

den Miether jeden Augenblick unter den erschwerendsten Umständen auf die Straße setzen kann, dieser in einem Grade und in einem Umfange persönlich vom Vermiether abhängig, der ihn jeder Selbständigkeit beraubt und die verderblichsten Folgen hat.

Und daß die Erbitterung des aus­

getriebenen Miethers gegen den Vermiether persönlich und der Klassenhaß, der sich daraus leicht entwickelt, den socialen Frieden auf Schwerste ge­

fährdet, wird kaum zu bezweifeln fein.92) Eine weitere segensreiche Wirkung der Einschränkung des Pfand­

rechts liegt auf strafrechtlichem Gebiet; es wird nicht mehr möglich sein,

§ 289 Str.G.B. auf die Beiseileschaffung unentbehrlicher Sachen anzu­ wenden, wenn an diesen kein Pfand- und Zurückbehaltungsrecht mehr besteht; wer, dem Triebe der Selbsterhaltung folgend, solche Sachen dem

Vermiether entzieht, die Mutter, die die Betten und Kleider ihrer Kinder für diese bei Seite schafft, wird dafür nicht mehr in Strafe verfallen

können. Wie wird nun dem gegenüber die Ausdehnung des Pfandrechts auf die unpfändbaren Sachen gerechtfertigt? Auf den gewöhnlich angeführten

Grund,

daß das,

was

freiwillig verpfändet werden kann,

auch still­

schweigend verpfändet werden dürfe, braucht nach dem, was darüber be­ reits gesagt ist, nicht noch einmal eingegangen zu werden.

Weiter wird

92) Im Sinne der obigen Darlegung sind noch anzuführen die Bemerkungen von Flesch und Miquel in den Verhandlungen des Deutschen Vereins für öffent­ liche Gesundheitspflege vom 13.—15. September 1888 (Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege Bd. 21 Heft 1 S. 38, 39), die Aeußerungen von Miquel und Kalle in den Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik vom 24. und 25. Sept. 1886 (Schriften des Vereins Bd. 33 S. 16, 38), von Kalle und Flesch in den Verhandlungen und Schriften des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit (Heft 6 S. 94, 132 ff., Heft 7 S. 44, 49, 50). Wenn Flesch es zur Hebung der Wohnungsnoth für erforderlich hält, den Umfang der der Zwangsvollstreckung entzogenen Gegenstände weiter, als in der C.P.O. ge­ schehen, auszudehnen, so ist darauf hier nicht einzugehen, da auch Flesch eine solche Ausdehnung nicht nur dem Vermiether, sondern jedem Gläubiger gegenüber be­ fürwortet, ersteren in dieser Beziehung nicht ungünstiger als andere Gläubiger stellen will.

256 hervorgehoben, namentlich

auch

von Boyens

(a. a. O. 729ff.),

der

Miether, der nur noch unpfändbare Gegenstände besitze, werde schwer eine

Wohnung finden.

Ich glaube nicht, daß die Erfahrung diese Befürchtung

bestätigt; die Sicherheit, die die notdürftigste Habe dem Vermiether ge­

währen kann, wird kaum bestimmend für den Vermiether fein, namentlich

wenn der Miether arbeitsfähig ist, und wenn kurze Zahlungsfristen und die Möglichkeit der Entsetzung bei Nichtinnehaltung zweier Termine die

Verlustgefahr auf kleine Summen beschränken, und wenn andererseits die Gefahr besteht, die Wohnung überhaupt nicht zu vermiethen. In kurzen Zahlungsfristen und

baarer Zahlung wird

Miquel einen erwünschten

sociale Gefahr sehen müssen. verkauf der Stücke,

man aber wohl eher mit

Zustand,93) als mit Boyens

eine große

Auch ist der Erlös, der aus dem Zwangs­

die im Allgemeinen die unentbehrliche Habe

einer

Proletarierfamilie bilden (und darum handelt es sich doch zumeist),

er­ zielt wird, ein so geringer, daß der Vortheil des Vermiethers in keinem Verhältniß steht zu dem Schaden, der dem Miether, der die Sachen von

Neuem anschaffen muß, bereitet wird. Die eigentliche Wirkung dieses Pfandrechts soll aber nach Boyens eine präventive fein.

„Die

Furcht vor feiner Ausübung

früher die Furcht vor der Schuldhaft." Civilrecht übertragene Abschreckungstheorie.

wirkt wie

Hier haben wir die auf das

Nun mag ja auch die Ab­

schreckung auf diesem Gebiet unter Umständen zu billigen sein, wenn das Abschreckungsmittel ein an sich zulässiges ist, und in unserem Falle mag

die Furcht vor der Exmission manchen sonst nachlässigen Miether zu pünktlicher Zahlung bestimmen. Es mag ja sein, daß der Boyens'sche Vorschlag in dieser Beziehung noch wirksamer sein wird; wenn aber die Wirksamkeit eines Zwangs- und Schreckmittels der alleinige Maßstab für die Zulässigkeit desselben sein soll, dann kann man auch die Folter

und die qualificirten Todesstrafen vertheidigen und befürworten.

Uebri-

gens würde durch das Schreckgespenst des unbeschränkten Pfandrechts eine Zahlung doch nur da zu erzielen fein, wo eine solche überhaupt noch möglich ist; wo aber der Miether den Miethszins nicht hat und nicht

erschwingen kann, da gilt, wie der Satz impossibilium nulla est obliga­

tio, so auch der: für Unmögliches giebt es keinen Zwang, auch nicht durch Anwendung von Daumschrauben. Und wie kann man es ferner

93) Verh. des Vereins für Soeialpolitik, a. a. O. Bd. 33 S. 16 ebenso Strauß, ebenda S. 25. Schmoller in seinem Jahrbuch Bd. 11 S. 447. Kalle, Schriften des Vereins für Armenpflege Heft 7 S. 45.

257 rechtfertigen, um derer willen, die nicht zahlen wollen, alle diejenigen leiden zu lassen, die nicht zahlen können. „bedenkt,

Wenn man auch mit Boyens

wie viel träge und schlechte Elemente sich

unter den armen

Miethern befinden", so geht es doch nicht an, darum alle die, auf welche jene Bezeichnung nicht zutrifft, es mögen verhältnißmäßig viel oder wenig

sein, — und ich glaube doch, daß sie die große Ueberzahl ausmachen — und die unverschuldet in die Unmöglichkeit zu zahlen gebracht sind, der

Gefahr auszusetzen, ihre letzte und nothwendigste Habe zu verlieren. Nun schlägt Boyens allerdings eine „Milderung" der Maßregel

vor: um dem Miether die Möglichkeit zu gewähren, Sachen wieder einzulösen,

die verpfändeten

soll der Verkauf erst drei Monate nach der

Pfändung zulässig sein.

Der Fall wird wohl recht selten eintreten, daß Jemand ohne Ob­ dach, ohne Wirthschafts- und ohne Arbeitsgeräth das Kunststück zu Wege

bringt, nicht nur sich und seine Familie zu erhalten,

sondern auch noch

rückständige Schulden zu bezahlen, es sei denn, daß die Armenverwaltung für ihn eintritt.

anfechtbar,

Auch wird die Maßregel darum moralisch nicht weniger

und es treten die geschilderten verderblichen Folgen darum

nicht weniger ein,

weil dem Miether seine Kleider,

seine Betten,

sein

Wirthschafts- und Arbeitsgeräth zunächst einmal auf drei Monate, ge­

wissermaßen auf Probe, weggenommen werden.

§ 24. Wenn es nach dem Gesagten unbedingt nothwendig ist, im bürger­

lichen Gesetzbuch

die unpfändbaren Sachen vom Pfandrecht des Ver­

miethers auszunehmen, so glaube ich, muß man in diesem Punkt noch einen Schritt weiter gehen. Ob und wann das Gesetzbuch in Kraft treten wird, steht dahin; daß es vor dem Ablauf unseres Jahrhunderts

geschehen könne,

wird

dahin die Härten und

wohl von Niemand angenommen. Sollen bis Grausamkeiten des jetzigen Zustandes bestehen

bleiben, sollen die verderblichen Folgen desselben immer von Neuem ein­ treten? Und soll das geschehen, wenn eine Aenderung sofort, ohne Mühe,

ohne daß es

gesetzgeberischer Vorarbeiten und schwieriger zeitraubender

Verhandlungen bedarf, herbeigeführt werden kann? Man wendet vielleicht ein, die Abhülfe sei nicht so dringend geboten,

daß sie alsbald und außerhalb des Rahmens der Codification bewirkt werden

müsse, die Fälle, in denen die Vermiether von ihrem Recht so rücksichts­ losen Gebrauch machten, seien dazu viel zu selten. Demgegenüber berufe

ich mich auf die Angaben von Miquel und Flesch, auf die Begründung Berhandlg. d. XX. I. T. Bd. III.

17

258 des Entwurfs Bezug

zum Bayrischen Gesetz vom 18. Dezember 1887,

wird

genommen

erkannten

Klagen,

laut

auf die

und

die

auf

(Stenogr. Sitzungsberichte Band 1

gewordenen

Verhandlungen S. 195),

und

in

der

als begründet

über

jenes

Gesetz

endlich auf meine eigene

Erfahrung in mehrjähriger Thätigkeit als Vollstreckungsrichter in Berlin.

Die über Gerichtsvollzieher eingehenden Beschwerden von Miethern,

die in das äußerste Elend gerathen sind, weil ihnen wegen rückständiger Miethe das Letzte genommen ist,

sind nicht so selten, und die Zahl der

Beschwerden ist jedenfalls noch viel geringer als die der Fälle, welche dazu Anlaß geben.

Denn viele derart Geschädigte beschreiten den Beschwerde­

weg nicht, weil

sie

ihn

nicht kennen, oder weil sie die Umständlichkeit

namentlich wenn es

und die möglicherweise entstehenden Kosten scheuen,

bekannt ist, daß

die zuständigen Gerichte erster

oder

höherer Instanz

die Pfändung für zulässig halten. Ich halte demnach den baldigen Erlaß eines Reichsgesetzes für noth­

wendig, welches ausspricht, daß die unpfändbaren Sachen dem Pfandrecht des Vermiethers

wenn

man

erforderlich,

nicht

unterworfen

der Meinung ist, da

die

sind.

Ein

solches Gesetz ist,

auch

daß es bereits geltendes Recht ausspricht,

entgegenstehende

Ansicht

weit

verbreitet

ist

und

namentlich in der Praxis der höchsten Gerichtshöfe befolgt wird. Dieses Gesetz muß Anwendung finden auch auf die bereits bestehenden Miethsverträge.

Nach

dieser Richtung

schließe ich mich vollständig der

Begründung des Bayrischen Entwurfs an, in der es heißt:

spricht dem

sittlichen Gedanken,

„Dies ent­

der der Beschränkung zu Grunde liegt,

und enthält keinen zu tiefen Eingriff in bestehende Privatrechte. seiner Wirkung

Nach

und der durch diese bestimmten Auffassung des Verkehrs

erlangt das Recht des Vermiethers im Wesentlichen erst Bedeutung, wenn es zur Befriedigung seiner Forderung geltend gemacht werden soll.

Die

Beschränkung desselben kann deshalb unbedenklich einer Beschränkung der

Zwangsvollstreckung

gleichgestellt

werden,

welche

nach

allgemeinen

Grundsätzen auch für die Zwangsvollstreckungen wegen der zur Zeit ihrer

Einführung bereits bestehenden Forderungen maßgebend ist." Und in den Verhandlungen über das Gesetz wurde bemerkt (Sten.

Berichte S. 206): „Wenn

die Gesetzgebung davon ausgeht,

daß es dem allgemeinen

Sittlichkeitsgefühl widerstreitet, wenn der Vermiether dem Miether wegen der Miethsforderung Alles, auch das letzte Bett, den letzten Rock nimmt, dann ist die Gesetzgebung auch verpflichtet, sofort, wenn thunlich, diesem

Mißbrauch ein Ende zu machen."

259 Die weiteren Bestimmungen des Entwurfs über die Ausübung und

Geltendmachung des Pfandrechts sind fach-

zu

und zweckgemäß und geben

keine Veranlassung.

besonderen Bemerkungen

Erwähnt mag nur

werden, daß, wenn der Vermiether die Wegbringung von Sachen hindert,

hält,

welche der Miether für zulässig Verfügung

gemäß

§ 819 C.P.O.

der Zustand durch

einstweilige

zu regeln, und vom Miether Fest­

stellungsklage zu erheben sein wird.

§ 25. Das Ergebniß der vorstehenden Ausführungen fasse ich zusammen

in folgenden Vorschlägen: § 521 des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs muß lauten:

I.

„Der Vermiether eines Grundstücks hat wegen seiner Forderungen aus dem Miethsvertrage,

bezüglich des Miethszinses jedoch nur wegen

desjenigen für das laufende Vierteljahr, und sofern nicht die Vertrags­

dauer eine kürzere ist, für das auf dasselbe folgende Jahr, ein gesetzliches

Pfandrecht an den eingebrachten Sachen des Miethers,

sowie der Ehe­

frau und der Kinder des Miethers,

wenn und solange sie mit diesem

die häusliche

Das

Gemeinschaft theilen.

Ansehung derjenigen Sachen, sind.

Pfandrecht besteht nicht

in

welche der Pfändung nicht unterworfen

Es erlischt mit der Entfernung der Sachen von dem Grundstück,

auf welches das Miethsverhältniß sich

Entfernung heimlich

bezieht,

es

sei denn,

daß die

oder gegen den Widerspruch des Vermiethers er­

folgt ist.

Der Vermiether kann der Entfernung derjenigen Sachen nicht wider­ sprechen,

zu deren Entfernung der Miether im regelmäßigen Betriebe

seines Geschäfts

oder dadurch veranlaßt wird, daß die

gewöhnlichen

Lebensverhältnisse die Entfernung mit sich bringen, oder durch deren Entfernung der Werth der auf dem Grundstück verbleibenden, dem Pfand­

recht unterworfenen Sachen

erweislich

nicht unter den Betrag der in

Absatz 1 Satz 1 bezeichneten Forderungen herabgemindert wird.

Er ist

berechtigt, auch ohne Anrufung des Gerichts die Entfernung aller anderen

seinem Pfandrecht unterliegenden Sachen zu hindern und, wenn der Miether das Grundstück räumt, dieselben in seine Jnhabung zu nehmen. Der Vermiether ist berechtigt, von dem Miether die Zurückschaffung der heimlich

oder gegen seinen Widerspruch

Entfernung er zu widersprechen befugt war,

entfernten Sachen,

deren

und nach bereits erfolgter

Räumung des Grundstücks die Ueberlassung der Jnhabung derselben zu

fordern.

260 Die Ausübung

des gesetzlichen Pfandrechts des Vermiethers kann

durch Sicherheitsleistung für die Forderung oder einen Theil derselben

und

in Ansehung

jeder

einzelnen diesem Rechte unterliegenden Sache

durch Sicherheitsleistung bis zur Höhe des Werthes der Sache abgewendet werden. Die Sicherheitsleistung

durch Bürgen

braucht der Vermiether nicht

anzunehmen. Wird eine dem Pfandrecht des Vermiethers unterliegende Sache für

einen anderen Gläubiger gepfändet, so kann diesem gegenüber das Pfand­

recht wegen desjenigen Miethszinses,

welcher auf eine frühere Zeit als

das letzte halbe Jahr vor der Pfändung entfällt,

und wegen derjenigen

rückständigen Forderungen aus dem Miethsverhältniß nicht geltend gemacht

werden, welche, obgleich sie innerhalb des letzten halben Jahres vor der Pfändung

gerichtlich

geltend

gemacht

werden

konnten,

nicht gerichtlich

geltend gemacht sind."

Dem Abs. 5 entsprechend ist auch nach Art. 13 des Einführungs­ gesetzes

der

Schlußsatz

des

§

41

Ziffer

2

der

Concursordnung

zu

gestalten. II.

Es ist sobald als möglich ein Reichsgesetz folgenden Inhalts zu

erlassen:

§ 1. Die Rechte, welche nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts dem

Vermiether und

Sachen

und

Grundstücks

dem

dem

letzteren

zustehen,

Verpächter

in Ansehung

in Ansehung

der

eingebrachten

der Früchte des verpachteten

erstrecken sich nicht auf diejenigen Sachen,

welche

der Pfändung nicht unterworfen sind.

§ 2. Dieses Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.

Es gilt

auch für die zu dieser Zeit bestehenden Mieths- und Pachtverträge.

XXVIII. Machten des Herrn Iustizrath 31t. Levy zu Vertin über die Frage:

„Sind die im Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs vorgesehenen Arten des Pfandrechts an Grundstücken einschließlich der Grund­

schuld beizubehalten?"

Die Aufgabe, den Jmmobiliar-Credit für das Deutsche Reich nach

einheitlichen Grundsätzen zu ordnen,

der Lösung

entgegengeführt werden:

konnte auf einem zweifachen Wege entweder in möglichst engem An­

bestehenden Rechtsordnungen und unter möglichst sorg­

schlüsse

an die

fältiger

Schonung

aller

particularrechtlicher Formen

des Hypotheken­

wesens, oder durch eine radicale Umgestaltung auf Grundlage einer von

allen unbrauchbaren Schlacken gereinigten Theorie,2) unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Bedürfnisse des Verkehrs, namentlich auch in Bezug auf Einfachheit und Leichtigkeit der nöthigen Formen, sowie unter gleichmäßiger Sicherung des Gläubigers und des Schuldners, des Einen

gegen Gefährdung seiner Rechte,

des Anderen gegen Ausbeutung der

natürlichen Schwäche seiner Stellung.

der schwierigere,

Der zweite Weg war offenbar

sowohl an sich selbst, indem er über theoretische und

praktische Probleme hinwegführt,

deren Lösung ein seltenes Maß von

juristischem Scharfsinn und praktischem Blick erfordert, als auch in Bezug

auf die Ueberführung

eines mehr oder weniger neuen Systems in die

bestehenden Rechtszustände.

Gewiß hat nur die Rücksicht auf die letztere

Schwierigkeit die Verfasser des Entwurfs auf den ersten Weg, statt auf *) Ich stehe nicht an, mich zu den von Bähr (Beurtheilung des Entwurfs rc. München 1888 S. 136 ff.) entwickelten Grundsätzen durchweg zu bekennen.

262 Und es ist in der That nicht zu verkennen,

den zweiten geleitet.

daß

der Gesetzgeber alle Veranlassung hat, gegenüber den bestehenden Rechts­ zuständen mit äußerster Schonung zu verfahren, und nicht leicht die Ver­

antwortung übernehmen darf, in ein so verwickeltes, lebendiges und um­ fassendes Getriebe

wie das

des Hypothekenverkehrs

rücksichtsloser

mit

Hand einzugreifen, auf die Gefahr hin, unübersehbare Unordnungen oder

gar einen Stillstand der ganzen Maschine herbeizuführen. grundsätzlich

lieber das

rechten,

Wort

wenngleich

ich

hätte.

geredet

persönlich

Nur

einer radicalen Reform

einen

der

welcher die ihm gebührende dringende Erledigung, bei

Ich will des­

mit dem Entwürfe über den von ihm eingeschlagenen Weg nicht

halb

einer

Neugestaltung

will ich schon hier berühren,

kann,

aus

von Grund

des Hypothekenrechts

Punkte,

wichtigsten

wie ich glaube,

nur

finden

weil er auch für die weiteren Erör­

terungen von maßgebender Bedeutung ist.

Während Jmmobiliar- und Personal-Credit auf durchaus denen wirthschaftlichen Grundlagen beruhen,

verschie­

indem für den ersteren der

verhältnißmäßig geringen Schwankungen unterliegende Werth des zu. be­ leihenden Immobile, für den letzteren die minder stabile Creditwürdigkeit der Person den Ausschlag giebt;

in

während jener seiner Natur nach und

beiderseitigem Interesse des Gläubigers und Schuldners auf längere

Dauer

und Festigkeit

berechnet

ist,

ja in der Regel sich über mehrere

Generationen hinaus erstreckt, dieser dagegen eine verhältnißmäßig schnelle

Abwickelung und räume

nur

etwa

innerhalb

eine Erneuerung

gewisser Zeit­

periodischer Controle der Personalverhältnisse des Schuld­

unter

ners erheischt, hat man sich bisher fast allgemein von der eingewurzelten römisch-rechtlichen

Auffassung

der Hypothek

als

persönlichen Forderung nicht losmachen können. wirthschaftlich

verschiedenen

Erscheinungen

zu

eines Accessorium

der

Diese Verbindung zweier

einem

Rechtsinstitut

hat

unter den gegenwärtigen hoch entwickelten Verkehrsverhältnissen für den

Hypotheken-Schuldner zu den unerträglichsten Härten geführt.

sonalschuld,

Die Per­

auf welche bei Eingehung des Rechtsverhältnisses keine oder

nur sehr untergeordnete Rücksicht genommen ist, bleibt auf dem Besteller der Hypothek,

seinen Erben und Erbeserben haften,

mag

auch das

er

Psandgrundstück längst veräußert haben, und mag sogar die Erinnerung

an den Besitz bei seinen Nachkommen schon geschwunden sein. neuen

Erwerbern

der

verbreiteten Grundsätzen

Grundstücke

erwachsen

andererseits

In

nach

den

weit­

von den Wirkungen der Schuldübernahme dem

Gläubiger ohne sein Verdienst und Zuthun immer neue Personalschuldner für seinen Real-Anspruch, und alle diese können nicht bloß bei Fälligkeit

263 der Capitals-

oder Zinsen-Schuld einer Personalklage (selbst mit Ueber-

des Grundstücks,

gehung

bestehenden

fange

auch

müssen

exe.

abgesehen

excussionis

von der nur in beschränktem Um­ realis)

gewärtig sein,

sondern

damit dieselbe bei einer Zwangsversteigerung keinen Ausfall erleide,

welchen

sie

sie

fortdauernd gewissermaßen vor der Hypothek Wache stehen, persönlich

haftbar

gemacht

werden

können.

für

Sie sind ge­

nöthigt, entweder bei eintretender Zwangsversteigerung die Hypothek aus­

zubieten

und

ein Grundstück

zu erstehen,

an dessen Besitz sie keinerlei

Interesse haben, oder sie laufen auch bei der sichersten Hypothek Gefahr

erheblichen Verlustes,

eines

da der Gläubiger leicht für ein minimales

Gebot das Grundstück weit unter dessen Werth und weit unter dem Be­ trage der Hypothek zu erwerben in der Lage ist.

Die Oeffentlichkeit der

Zwangsversteigerung schützt davor nicht, da Jedermann voraus weiß, daß der Gläubiger nöthigenfalls seine gesammte Hypothek ausbieten wird, aber selten Jemand ein Interesse daran hat, ihn dazu zu nöthigen.

kann es sich ereignen und ereignet sich thatsächlich nicht selten,

So

daß der

Gläubiger, obwohl er in dem Grundstück selbst ein volles und mehr als

volles Aequivalent für seine Hypothek erwirbt, dessenungeachtet noch einen beträchtlichen Theil dieser Forderung,

ja zuweilen fast die ganze Forde­

rung gegen den ursprünglichen Besteller der Hypothek und dessen Besitz­ nachfolger sich erhält. Diese Uebelstände werden noch erheblich verschärft, wenn der Gläu­

biger auf den besseren Rang seiner Hypothek durch Vorrechtseinräumung

zu

Gunsten einer

eigenen

nachstehenden Hypothek

nacheingetragenen Forderung,

verzichtet, z. B. um

seiner

deren persönlicher Schuldner un­

sicher geworden ist, eine bessere Realsicherheit zu verschaffen, während er für die vorstehende Hypothek durch einen sicheren Schuldner in der Person

eines Vorbesitzers gedeckt ist, oder gar zu ähnlichem Zwecke sein Pfand­ recht vollständig

aufgiebt.

Die Bestimmung des Entwurfs,

daß

eine Aenderung des Rangverhältnisses nur mit Bewilligung des Grund-

stückseigenthümers wirksam erfolgen kann, § 841, gewährt hinsichtlich der

Aufgabe des Pfandrechts

überhaupt keinen Schutz

und

Vorrechtseinräumung nur dem jeweiligen Eigenthümer,

besitzer.

hinsichtlich der nicht dem Vor­

So kann Letzterer sich durch den bevorzugten Rang der Hypo­

thek, für welche er persönlich haftet, genügend geschützt glauben und erst

bei der Zwangsversteigerung zu seiner Ueberraschung erfahren, daß dieser vermeintliche Schutz völlig illusorisch war.

Die Realsicherheit der Hypo­

thek kann durch dergleichen Manipulationen so verschlechtert sein, daß er,

264 um sie auszubieten, das Grundstück für einen Preis erstehen müßte, der

den Werth desselben weit übersteigt. Der § 41

des

Preuß.

Bestimmungen gewähren

nur

Eigenthums-Erwerbsgesetzes und

ein

ganz

unzureichendes

ähnliche

Palliativmittel

gegen solche offenbaren Auswüchse des Hypothekenverkehrs.

Die Wurzel

derselben ist die unnatürliche Verquickung des Jmmobiliar- und Personal­ credits, und wer das Uebel ausrotten will, muß es an der Wurzel an­ fassen. Ich halte es deshalb für das oberste Postulat einer Hypotheken­

reform, daß eine strenge Sonderung der lediglich dem Jmmobiliarcredit

dienenden Hypothek von derjenigen eintrete,

welche nur eine Begleiterin

des Personalcredits ist, und daß für erstere die Haftung des Bestellers und seiner Besitznachfolger auf das Pfandgrundstück beschränkt und jede

weitere Haftung schlechterdings ausgeschlossen werde. Die geforderte Sonderung kann natürlich nicht nach äußeren Kennzeichen, etwa nach

dem Maße der Beleihung in Verbindung mit einer aufzustellenden Taxe, und überhaupt nicht zu Folge directer Vorschriften geschehen, vielmehr muß

der Verkehr

auf indirectem Wege gezwungen werden,

die Sonderung

selbst vorzunehmen. Nur der allein auf das Pfandgrundstück radicirten Hypothek sind diejenigen Privilegien zu gewähren, welche ihr die Eigen­ schaft eines umlaufsfähigen Werthpapieres verleihen, die Ausstellung eines

Hypothekenbriefes, der Schutz des gutgläubigen Erwerbers, die Vollstreck­ barkeit, erleichterte Form für die Begebung u. dgl.;

der mit

der Per­

sonalschuld verbundenen Hypothek dagegen sind diese Privilegien zu ver­ sagen. Der in dieser Weise vor die Wahl gestellte Gläubiger wird

natürlich nach denjenigen Motiven wählen, welche ihn bei der Beleihung des Grundstücks vorzugsweise geleitet haben, und wird keinen Anstand nehmen, die privilegirte, aber auf das Pfandgrundstück beschränkte Brief­

hypothek vorzuziehen, wenn er bei der Beleihung in erster Reihe den Werth des Grundstücks ins Auge faßt, m. a. W. um Gewährung eines eigentlichen Jmmobiliarcredits angesprochen ist und solchen beabsichtigt. welcher im Wesentlichen nur einen Personalcredit gewähren will und soll, und dem die dafür zu bestellende

Dagegen wird derjenige Gläubiger,

Jmmobiliarsicherheit nur als Accessorium angeboten ist, seinen Zwecken durchaus

entsprechenden,

nicht geeigneten Sicherungshypothek (vgl.

wenn auch

sich mit

einer

für den Umlauf

weiter unten III)

begnügen.

Dabei könnte es dem Gläubiger freigestellt werden, jederzeit unter Ver­ zicht auf seine persönliche Forderung die Ausfertigung eines Hypotheken­

briefes und demgemäß die Umwandlung seiner Hypothek in eine Brief­

hypothek zu erwirken.

Auf diese Weise wird die geforderte Sonderung

265 sich naturgemäß von selbst vollziehen können, und zwar mit einem Er­ folge, welcher der Gerechtigkeit, d. h. den wahren Intentionen und In­

teressen beider Theile entspricht.

eine Personalschuld contrahirt,

Ist von vornherein im Wesentlichen

so können es der Schuldner und dessen

Rechtsnachfolger nicht als eine Härte empfinden, wenn ihre Schuld von den Schicksalen des Pfandgrundstücks unabhängig bleibt, um so weniger, als dabei vorausgesetzt ist, daß die bestellte Sicherheit nicht erheblich ins

Gewicht fällt, andererseits wird aber diese Härte auch praktisch dadurch

gemildert werden, daß die contrahirte Schuld ihrer Natur nach in den Regelfällen einer verhältnißmäßig schnellen Abwickelung unterworfen sein Ist dagegen von vornherein nur ein Jmmobiliarcredit nachgesucht

wird.

und gewährt, so ist schlechterdings kein Grund einzusehen, dem Gläubiger

ein weilergehendes Recht auf das Vermögen und die Person des Schuld­

ners und seiner Rechtsnachfolger einzuräumen, es müßte denn sein, daß dieselben vorsätzlich oder versehentlich die Sicherheit der Hypothek durch Devastation u. dgl. schmälerten, für welchen Fall ein besonderer Schadens­ anspruch zu gewähren sein würde.

pfehlen,

Vielleicht dürfte es sich sogar em­

zur Verstärkung der Privilegien der Briefhypothek, derselben

gegenüber der Behandlung des Pfandgrundstücks durch den Schuldner noch eine weitere bevorzugte Stellung einzuräumen,

etwa von dem Ge­

sichtspunkte aus, daß der Grundstückseigenthümer, insoweit er einen wirk­

lichen Jmmobiliarcredit beansprucht und

erhalten hat,

dem Verwalter

fremder Güter nahe steht.

Daß bei der geschilderten Sonderung der eigentliche Jmmobiliar­ credit bis an die Grenze der objectiven „Beleihungsfähigkeit", d. h. bis hart an die Grenze des vollen Werthes der Immobilien sich wird er­

strecken können, dürste kaum zu bezweifeln sein.

er aber auch keiner Förderung und keines

Darüber hinaus bedarf

besonderen Schutzes.

Eine

weitergehende detaillirte Ausführung der hier angedeuteten

Grundzüge muß ich mir an dieser Stelle versagen; ich will nur hervorheben, daß bei der vorgeschlagenen Umgestaltung des Hypothekenwesens nur zwei Formen der Hypothek sich als nothwendig ergeben: die Briefhypothek

und die Sicherungshypothek, die erstere eine rein dingliche Forderung, unter Angabe des Rechtsgrundes, repräsentirend, die letztere eine Per­ sonalforderung (sei es ohne oder mit Angabe der causa), verstärkt durch

hypothekarische Sicherheit. obligation

Ob daneben noch eine rein dingliche Formal­

ohne Angabe des

Rechtsgrundes

(Grundschuld)

zuzulassen,

würde eine offene Frage bleiben, deren Erörterung ich hier dahingestellt sein lasse.

266 Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich hat den vorstehend entwickelten-Gesichtspunkten keine Rechnung getragen. Derselbe besinnt die Hypothek als das Recht einer bestimmten Person,

wegen einer bestimmten Geldforderung Befriedigung aus dem Grund­ stücke zu verlangen (§ 1062), construirt sie also in gewohnter Weise als Accessorium (Sicherheit^, Befriedigungsmittel, Pfandrecht, vgl. Motive III

603)

Dagegen läßt er eine Real- und

einer persönlichen Forderung.

zugleich Formalobligation in der Grund schuld zu, welche als das Recht einer Person, zu verlangen, daß für sie eine bestimmte Geldsumme aus dem Grundstücke (im Wege der Zwangsverwaltung und der Zwangs­

versteigerung) beigetrieben werde,

definirt wird (§ 1135).

Die Hypo­

thek selbst erscheint in einer dreifachen Gestalt:

1. als

Hypothek

ohne

Hypothekenbrief

(Buchhypothek)

§§ 1022—1106; 2. als Briefhypothek §§ 1106—1124,

beide mit

der Unterart der

„Eigenthümerhypothek",

welche durch Befriedigung des Gläubigers seitens des Eigen-

thümers und zugleich persönlichen Schuldners, oder durch Vereinigung der Forderung und Verbindlichkeit in der Person

des Eigenthümers entsteht §§ 1094, 1097, 1108; 3. als Sicherungshypothek

§§ 1129—1134 mit den Unter­

arten der Cautionshypothek § 1129, der Zwangshypo­

thek § 1130 und Arresthypothek § 1132.

will

Ich

nunmehr

der Reihe nach und

zunächst

diese

verschiedenen Hypothekenarten

zum Schluß die Grundschuld des Entwurfs be­

trachten. I.

Die Hypothek ohne Hypothekenbrief (Buchhypothek).

Der Entwurf behandelt die Hypothek ohne Hypothekenbrief an erster Stelle gewissermaßen als Normal-Verkehrshypothek. Es bedarf keiner Ausführung, daß sie diese Behandlung durchaus nicht verdient. In dem

eigentlichen Hypothekenverkehr tritt sie gar nicht oder nur als rara avisauf, wie sie denn auch in der That für den größeren Verkehr ungeeignet ist

und

durch

die

Vorschriften

des

Entwurfs

über

die Abtretung^

(§§ 1087, 828—833), welche zu ihrer Wirksamkeit außer einem Vertrage

zwischen Cedenten und Cessionar der Eintragung im Grundbuche bedürfen soll,

noch

ungeeigneter werden müßte.

Ein praktisches Bedürfniß für

die Aufrechterhaltung dieser verkümmerten Form der Verkehrshypothek ist nicht einzusehen.

Von der in Preußen bestehenden Befugniß,

auf die

267 Ausfertigung

eines Hypothekenbriefes zu verzichten,

wird

nur in den

seltensten Fällen zur Ersparung geringfügiger Kosten Gebrauch gemacht, und so oft es geschieht, führt es bei jeder weiteren Hypothekenoperation (Cession, Verpfändung, Veränderung der Nebenbestimmungen u. s. w.)

zu unliebsamen

Schwierigkeiten.

Die Motive III 617

wissen für die

Aufrechterhaltung der sogenannten Buchhypothek nur anzuführen, daß in denjenigen Gebieten,

in welchen das Grundbuch allein den Hypotheken­

verkehr vermittelt (z. B. Hamburg, Lübeck) ein Bedürfniß, hieran etwas zu ändern,

sich nicht herausgestellt habe.

Indessen ein solches Moment

könnte nur für die Particulargesetzgebung in den betreffenden Gebieten ausschlaggebend sein, nicht für die Reichsgesetzgebung.

Die Rechtseinheit

scheint mir allerdings zu fordern, daß dergleichen particulare Bildungen

ohne besonderen Werth bei einer einheitlichen Gestaltung des Hypotheken­ rechts verschwinden, um so mehr, als es gerade im Interesse des Jmmo-

biliarcredits angezeigt erscheint, den in jedem einzelnen deutschen Bundes­

staat creirten Hypotheken

auch in den

laufsfähigkeit zu verschaffen sichern.

und

anderen Bundesstaaten die Um­

gewissermaßen den

Capitalsmarkt zu

Die schon an sich für den Verkehr im Heimathlande schwerfällige

Buchhypothek wird

Gebieten und

in den von den Orten des Grundbuchs

zumal in solchen,

entfernten

wo die Briefhypothek besteht,

also in

dem größten Theile von Deutschland sich niemals Eingang verschaffen

können.

Die Hypothekenbanken in Bayern,

Württemberg,

Königreich

Sachsen, Gotha, Meiningen u. s. w. nehmen jederzeit willig die preu­ ßischen Hypothekenbriefe auf, verhalten sich dagegen den Buchhypotheken gegenüber

völlig

ablehnend.

Niemand

wagt,

sie

ihnen

anzubieten.

Welchen praktischen Zwecken also soll die Aufrechterhaltung der Buch­ hypothek dienen? Nur der lieben Gewohnheit in einzelnen Rechtsgebieten? Ein solches Motiv könnte man allenfalls gelten, lassen, wenn der Ueber-

gang von der bestehenden Buchhypothek zur Brieshypothek irgend welche Schwierigkeiten böte, oder wenn dadurch irgend welche Beschwerden oder Gefahren für Gläubiger oder Schuldner zu befürchten wären. Dies ist

aber offensichtlich nicht der Fall.

Der Entwurf (§ 1085 Abs. 2) gestattet

zwar dem Besteller einer Darlehnshypothek, binnen 30 Tagen von der Eintragung eine Vormerkung wegen nicht erhaltener Valuta auf einsei­

tigen Antrag eintragen zu lassen,

während er diese Befugniß dem Be­

steller einer Briefhypothek nicht gewährt § 1111.

Man könnte also

behaupten, daß die Sicherheit des Grundbesitzers

gegen Uebervorthei-

lungen bei der Buchhypothek größer sei, als bei der Briefhypothek, was namentlich für kleinere Besitzer und beschränktere Verhältnisse ins Gewicht

268 falle.

Indessen der praktische Werth dieser Einrichtung, deren ursprüng­

liche Quelle das preußische Recht ist,

höchst problematisch.

§ 738 I 11 A.L.R.,

erscheint

In Preußen hat man dieselbe fallen gelassen, aber

nicht deshalb weil, wie die Motive III 703 behaupten, das preußische Recht nur die Briefhypothek als Verkehrshypothek regele, denn dies ist thatsächlich

nicht der Fall (wie die Motive an anderer Stelle III 617

selbst hervorheben), sondern weil die Einrichtung sich theils als nutzlos,

theils

für den Schuldner

als beschwerlich

herausgestellt hat.

Da der

Gläubiger bei solcher Befugniß des Schuldners die Darlehnsvaluta mit

Sicherheit nicht vor Ablauf von 30 Tagen nach der Eintragung zahlen kann, der Schuldner aber regelmäßig so lange nicht auf das Geld warten will, so greift der Verkehr zu dem naheliegenden Auskunftsmittel, den

der Hypothek auf das Recht zur Eintragung

Schuldner bei Bestellung

der fr. Vormerkung verzichten zu lassen.

Ein solcher Verzicht war früher

in Preußen die Regel und in jedem Formular einer hypothekarischen Obligation enthalten. kein Grund

Den Verzicht gesetzlich auszuschließen,

ist

gewiß

dem Schuldner fast unmöglich machen,

und würde es

eine Buchhypothek nach seinem Bedürfniß Credit zu erlangen.

auf

Abgesehen

davon ist der Schuldner bei der Briefhypothek weit wirksamer dadurch gesichert, daß er die Aushändigung des Hypothekenbriefes an den Gläu­ biger nicht vor Zahlung der Valuta bewirken lassen kann, vgl. § 1110,

abgesehen von der Zulässigkeit von Vormerkungen nach § 1085 Abs. 1, §§ 844, 845 auf Anordnung des Gerichts.

Wenn man hiernach

auch

wie Bähr (Zur Beurtheilung des Entwurfs

nicht so weit gehen will,

S. 138ff.), in der Erhaltung der Buchhypothek geradezu Gefahren für auch diese Bedenken sehr

das materielle Recht zu sehen — wenngleich

beherzigenswerth sind — so wird man sich dennoch schon um der Rechts­

einheit willen und aus wirthschaftlichen Gründen für die Beseitigung der Buchhypothek des Entwurfs als einer Verkehrshypothek entscheiden müssen^

und diese Form lediglich für die Sicherungshypothek (vgl. weiter unten unter III) reserviren.

Die Brief-Hypothek.

II.

Alles, was für Beseitigung der Buch-Hypothek als Verkehrs-Hypo­ thek gesagt werden kann,

spricht gleichmäßig für die Aufrechterhaltung

der Brief-Hypothek als

solcher.

(Bähr a. a. O. S. 138

und

Bd. 74 S. 374) ist bemerkt,

Schon von anderer berufener Seite

von Meibom in Arch.

f.

eit). Praxis

daß die Gestaltung der Brief-Hypothek im

Entwurf, insbesondere die Bedeutung, welche darin dem Hypothekenbriefe

269 beigelegt wird,

indem derselbe über die Kraft einer bloßen Beweis-Ur­

kunde hinaus zum Träger des Hypothekenrechtes gemacht und mindestens zu diesem in

eine

untrennbare Verbindung gebracht ist,

den Zwecken

einer Verkehrs-Hypothek durchaus entspricht und volle Billigung verdient. Ich kann deshalb

von

einer Kritik der einzelnen Bestimmungen hier

um so mehr Abstand nehmen,

als dieselbe

Aufgaben dieses Gutachtens gehört.

nicht zu den unmittelbaren

Wird nach meinem Vorschläge die

Buch-Hypothek als Verkehrs-Hypothek beseitigt, so ergiebt sich daraus die

Streichung der Bestimmung, daß auf Grund

briefes nur

§ 1106.

die

besonderen

Ausfertigung eines Hypotheken­

Antrages bez. Vertrages

erfolgt;

Ebenso bedarf es dann keines Vermerkes im Grundbuche, daß

ein Hypothekenbrief ertheilt ist.

Hypothek von selbst,

Beides versteht sich für die regelmäßige

während für die Sicherungs-Hypothek und ihre

Unterarten (vergl. unter III) die Nichtertheilung des Hypothekenbriefes ebenso selbstverständlich ist. Daß die Brief-Hypothek nicht als

eine dingliche Forderung con-

struirt ist, sondern als accessorisches Recht einer persönlichen Forderung,

muß ich nach meinem oben entwickelten Standpunkte bedauern,

ich will

jedoch Angesichts der eingewurzelten Rechtsanschauungen und der Schwie­

rigkeit eines

unvermittelten Ueberganges von den

bestehenden Rechts­

zuständen zu der erwünschten Neugestaltung des Hypothekenrechts für jetzt keine entgegengesetzten Vorschläge machen, hoffe vielmehr von der Zukunft

eine allmähliche Reform im Sinne der Eingangs erwähnten Grundsätze. Nur eine Unterart der Verkehrs-Hypothek,?)

die Eigenthümer-Hypothek, bedarf noch einer besonderen Besprechung.

Der Entwurf bestimmt, daß

an Stelle einer erloschenen Hypothek eine andere nicht eingetragen werden kann (§ 1102), daß dagegen die einmal begründete Hypothek weder durch die Befriedigung des Gläubigers seitens des Eigenthümers (§ 1094),

noch durch Vereinigung des Gläubigerrechts und des Eigen­

thums in derselben Person (§ 1076), noch durch Vereinigung des Gläu­

bigerrechts und der Verbindlichkeit in der Person des (§ 1097)

Eigenthümers

erlischt, vielmehr mit der persönlichen Forderung fortbesteht,

sofern der Eigenthümer nicht persönlicher Schuldner ist,

und ohne die­

selbe, soweit er dies ist, bez. vor der Befriedigung des Gläubigers oder

der Confusion von Forderung und Verbindlichkeit war. Eigenthümer-Hypothek gebraucht der

Die Bezeichnung

Entwurf nur in denjenigen von

2) Für die Sicherungs-Hypothek vgl. § 1128 Entw.

270 diesen Fällen, wo

die persönliche Forderung durch

oder Confusion untergeht

Gläubigers

Befriedigung des

(§ 1094 Abs. 3. § 1097).

Die

sämmtlichen Fälle stellt der Entwurf jedoch unter die gemeinsame Regel,

daß der Inhaber einer solchen Hypothek (oder Theil-Hypothek § 1095) dieselbe bei der Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung (zur Bei­

treibung der Forderung bez. einer derselben gleichkommenden Summe) für sich

geltend

zu machen befugt ist,

ohne jedoch die Zwangsverwaltung

oder Zwangsversteigerung selbst betreiben zu dürfen (§§ 1076. 1098. 1099).

Für die Eigenthümer-Hypothek im engeren Sinne (§ 1094 Ab­

satz 3. § 1097) ist dieses Recht jedoch

§ 1099 Abs. 2 der Zeitdauer nach allen Fällen,

geltenden

hinsichtlich der Zinsen

beschränkt.

Gemeinsam

gemäß

ist ferner

daß die Hypothek von dem Eigenthümer nach den sonst

allgemeinen Vorschriften auf einen Dritten übertragen werden

kann, und daß sie sich auch auf das mitbelastete Grundstück eines Dritten erstreckt (§ 1094 Abs. 3). Abgesehen von der erwähnten Beschränkung hinsichtlich der Zinsen steht nichts im Wege, den Namen „Eigen­ thümer-Hypothek"

auf sämmtliche vorerwähnte Fälle auszudehnen,

was hier geschehen soll und im Anschlüsse an den in Preußen bestehen­ den Sprachgebrauch auch im Entwurf ohne Noth hätte geschehen können. Das Institut ist bekanntlich nicht neu und aus dem preußischen Recht in eine

große Zahl anderer deutscher Particularrechte

Mot. III 725).

übergegangen (vgl.

Dasselbe ist in Folge der nothwendigen Vorschriften

über die Rangordnung verschiedener auf dem belasteten Grundstücke nach

einander eingetragenen Hypotheken durch das praktische Bedürfniß ent­ standen, dem Eigenthümer im Interesse seines Realeredits die Ausnutzung

der durch die Befriedigung des Gläubigers und ähnliche Thatsachen frei gewordenen Stelle vorzubehalten und andererseits den nacheingetragenen nicht gegen den Willen des Eigentümers einen besseren Rang zu gewähren, als sie zu beanspruchen haben (vgl. Mot. III 203). Trotz der unleugbaren Schwierigkeit einer theoretischen Construction des Instituts, namentlich, wo die Hypothek als accessorisches Recht einer per­ Gläubigern

sönlichen Forderung

aufgefaßt wird,

zumal in den Fällen des Unter­

ganges dieser Forderung, hat sich dasselbe überall, wo es besteht, durch­

aus praktisch bewährt. Man kann deshalb die Aufnahme desselben durch einen Act der Gesetzgebung, welcher vorwiegend für die wirt­

schaftlichen Bedürfnisse des Verkehrs sorgen will,

nur billigen und muß

den Motiven darin beipflichten, daß die theoretische Rechtfertigung und Construction der Eigenthümer-Hypothek Aufgabe der Wissenschaft ist. Neuerdings hat sich jedoch ein jüngerer Praktiker (Dr. Hermann Staub/

271 Gutachten aus dem Anwaltstande Heft 6 S. 407 ff.) mit Entschiedenheit

Er nennt dieselbe einen Zank­

gegen die Eigenthümer-Hypothek erklärt. apfel der juristischen Theorie

und

crux der gerichtlichen Praxis.

eine

Die erstere Bezeichnung will ich als zutreffend einräumen, nicht aber die

Beläge

letztere.

dafür sind

in dem angeführten Gutachten nicht bei­

gebracht, und ich glaube dagegen aus einer fünfundzwanzigjährigen Praxis

als Rechtsanwalt und Notar versichern zu können,

daß

eine sog. crux

der gerichtlichen Praxis bei diesem Institute niemals, wenigstens nicht in Preußen bestanden hat. Einige Controversen haben sich allerdings im Lause der Zeit

herausgebildet,

dies nicht der Fall?

Die

aber bei

beiden

welchem Rechtsinstitute wäre

allein erheblichen praktischen Contro­

versen, welche sich auf den Fall der theilweisen Tilgung der Hypothek und

auf die Weiterbegebung der Eigenthümer-Hypothek nach Untergang

der persönlichen Forderung bezogen, löst der Entwurf in befriedigender Weise, die eine dahin, daß bei theilweiser Tilgung der Eigenthümer die Uebertragung der Theil-Hypothek auf ihn nicht zum Nachtheile des Gläu­

bigers geltend machen kann, und daß insbesondere dem Gläubiger in An­

sehung die

des ihm verbleibenden Theiles der Vorrang zusteht (§ 1095),3)

andere Kontroverse dahin,

daß durch die Uebertragung der Eigen­

thümer-Hypothek (im engeren Sinne) an einen Dritten mit derselben eine neue Forderung nicht verbunden wird (§ 1100 Abs. 2).

sind

auch nur rein theoretische Bedenken,

es

Im Grunde

welche Staub gegen die

Eigenthümer-Hypothek ins Feld führt, und welche ihn veranlassen, anstatt

derselben ein sog. System freier Stellen vorzuschlagen, daraus basirt, daß

der die Hypothek einlösende Eigenthümer befugt sein soll, nach Löschung

derselben Allein,

an

gleicher Stelle

wie mir scheint,

eine

neue Hypothek eintragen zu

lassen.

bietet die theoretische Construetion der Eigen­

Schwierigkeiten und

sind

die

praktischen Vorschläge zum Ersätze der Eigenthümer-Hypothek nicht

ge­

thümer-Hypothek keine unüberwindlichen

eignet. In ersterer Beziehung möchte ich Folgendes bemerken:

Wenn man

mit dem Entwürfe davon ausgeht, daß mit dem Untergange der persön­

lichen Forderung durch Tilgung oder Confusion dieselbe definitiv beseitigt ist und nicht wieder auflebt, so könnte es sich nur noch darum handeln,

den übrig bleibenden Realanspruch an dem eigenen Grundstücke zu recht­ fertigen.

Aber sind

denn die in der Eigenthümer-Hypothek geltenden

3) Ob diese Regel noch einiger Modificationen bedarf, mag hier dahin gestellt bleiben.

272 Rechte nur unter Zugrundelegung eines solchen jus in re propria zu verstehen?

Die Uebertragung der Eigenthümer-Hypothek an einen Dritten

als rein dingliche Forderung ist nichts Anderes als die Creirung eines neuen jus in re aliena in der erleichterten Form einer Session, statt der

Neubestellung einer Hypothek, oder, wenn man will, die Uebertragung und Wiedererweckung des schon früher bestandenen Realrechts, welches in

der Hand des Eigenthümers geschlummert hat — analog dem Falle des

Ruhens einer Grundgerechtigkeit bei Vereinigung des dienenden und herr­

schenden Grundstücks (§ 54 I 22 A.L.R.); — das Recht zur Geltend­

machung der Eigenthümer-Hypothek nach einer Veräußerung des Grund­ sei es einer freiwilligen oder einer Zwangsversteigerung ist nichts

stücks,

Anderes als der Vorbehalt eines jus in re aliena, denn nach der Ver­ äußerung wird ja das Recht an einem fremden Grundstücke ausgeübt,



etwa den nur theoretischen Fall ausgenommen,

der Ersteher des Grundstücks wird.

daß der Subhastat

bleibt für die bisherige

Demnach

Rechtsanschauung nur die Geltendmachung der Eigenthümer-Hypothek bei

der Zwangsverwaltung

als

etwas

Anstößiges.

Ob im

Interesse der

theoretischen Consequenz diese wenig praktische Befugniß zu streichen wäre,

darüber ließe sich reden. thek

Aber in Wahrheit hat die Eigenthümer-Hypo­

bis zu ihrer Veräußerung oder bis zur Veräußerung des Grund­

stücks überhaupt nicht den Charakter eines Realrechts in dem bisherigen

Sinne.

längst

Das Institut besteht und hat die Probe des praktischen Lebens überstanden.

Insoweit dasselbe sich

in die bisherigen Rechts­

formen und Rechtsanschauungen nicht schicken will, ist es Aufgabe des Juristen, das Wesen desselben zu ergründen und dafür die entsprechende

Rechtsform aufzufinden. Mir scheint, daß derjenige, welcher eine Eigenthümer-Hypothek be­ sitzt, einen bestimmten Theil des Verkehrs-Werth es seines Grundstücks von demselben ausgesondert in seinem Besitze und zu seiner Verfügung hat; die Eigenthümer-Hypothek wäre demnach eine von dem Gesetze zu­ gelassene theilweise Mobilisirung des Grundeigenthums, soweit dasselbe als Verkehrs-Object betrachtet wird

und

als solches functionirt.

Ein

Grundstück, welches in Höhe seines gesummten Werths mit EigenthümerHypotheken (bez. Grundschulden) belastet ist, ist gewissermaßen, soweit es ein Verkehrs-Object darstellt, in lauter mobile Werthobjecte zerlegt.

diesen,

den

wirthschaftlichen

Zwecken der

Von

Eigenthümer-Hypothek ent­

sprechenden Gesichtspunkten ließe sich meines Erachtens eine befriedigende

Theorie des Institutes herstellen ohne Gefahr, mit den bisherigen Rechts­ anschauungen in Collision zu gerathen.

Es ist indessen hier nicht der

273 diese

Ort,

Andeutungen

weiter

Ich glaube, gezeigt zu

auszuführen.

haben, daß das Institut auch mit den überkommenen Rechtsanschauungen

nicht absolut unvereinbar ist und daher auch von einem rein theoretischen Standpunkte nicht verworfen werden sollte.

desselben ist unbestritten.

löschter Hypotheken neue eintragen zu lassen, Eigenthümer-Hypothek

liegenden

entsprechenden Befugnisse, werth.

Die praktische Bedeutung

Der Vorschlag von Staub,

noch

und ist

an Stelle ge­

erschöpft weder die in der

dem Bedürfnisse des Realcredits

er für die Ausführung empfehlens-

Wenn man auch das Vorrücken der nacheingetragenen Hypotheken

nach Löschung einer vorstehenden nicht als eine „Naturnothwendigkeit"

ansehen kann,

sondern gewiß nur als eine positive,

Zweckmäßigkeit beruhende Vorschrift,

so

auf Gründen der

ist doch ebensowenig angängig,

das Nichtvorrücken als eine logische Nothwendigkeit anzusehen; man wird

vielmehr dem Grundstücks-Eigenthümer unbedenklich gestatten müssen, eine von ihm eingelöste Hypothek ein für alle Mal durch Löschung im Grund­ buche aus der Welt zu schaffen und auf die Benutzung des locus zu ver­ zichten, was dann natürlich im Grundbuche einzutragen wäre.

kennt auch Staub selbst S. 414 Anm. 4 ausdrücklich an.

Dies er­ Es

bedarf

keiner Ausführung, daß dadurch die Übersichtlichkeit des Grundbuchs auf unerträgliche Weise erschwert werden würde.

Während gegenwärtig eine

gelöschte Hypothek

bei der Feststellung des Realzustandes einfach unbe­

rücksichtigt

müßte später jedesmal kenntlich gemacht und geprüft

bleibt,

werden, ob die Löschungen unter Verzicht auf die Wiedereintragung oder

ohne solchen Verzicht, ob sie vor oder nach der Gesetzeskraft des bürger­ lichen Gesetzbuches mit den Wirkungen des alten oder des neuen Rechts

Die

erfolgt sind. dann

auch

zu dieser Prüfung

in die Hypothekenbriefe

einer Nichtübereinstimmung würde dadurch

erheblich

erforderlichen Vermerke müßten

übertragen

werden.

Die

Gefahr

der Hypothekenbriefe mit dem Grundbuche

vermehrt.

Dergleichen Schwierigkeiten machen

den Hypothekenverkehr unprakticabel und schwachen den Realcredit. Alles in Allem wird man sich hiernach für die Ausrechthaltung der

Eigenthümer-Hypothek entscheiden müssen, und was für diese gilt, ist für die Eigenthümer-Grundschuld noch in höherem Maße zutreffend.

III.

Die Sicherungs-Hypothek.*)

Die „Sicherungs-Hypothek" des Entwurfs bildet den Gegensatz zur

Verkehrs-Hypothek, indem sie

lediglich dem

Zwecke der Sicherung

4) Vgl. die eingehende Beurtheilung von v. Meibom in Archiv f. civ. Praxis. Bd. 74 S. 354 ff. Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. NI.

274 einer Personalforderung dienen

soll,

unter Ausschluß der Vorschriften,

des Grundbuchs für das Bestehen der Forderung

welche den Glauben

verwerthen und den Schutz des gutgläubigen Erwerbers der Hypothek gegen Einwendungen aus den Rechtsverhältnissen des Gläubigers

und

Schuldners, insbesondere gegen Aufrechnungen von Gegenforderungen be­ zwecken (§ 1125), unter gleichzeitigem Verbot der Ertheilung eines Hypo­

thekenbriefs (§ 1127) (im engeren Sinne).

und

Ausschließung

der

„Eigenthümer-Hypothek"

Die Sicherungs-Hypothek deckt sich nicht etwa mit

dem als Cautions-Hypothek (Sicherheits-Hypothek) bekannten und in ver­

schiedenen Bundesgebieten geltenden Institute, diese Unterart derselben.

Auch

für unbedingte und

ist vielmehr eine

dem Betrage nach fest­

stehende Forderungen soll eine Sicherungs-Hypothek unter Angabe dieser

Bezeichnung bestellt und eingetragen werden können. oben de lege ferenda behandelten Systeme,

In dem von mir

welches die Verkehrs-Hypo­

thek lediglich für den Immobiliarcredit unter Beschränkung der Haf­

tung des Schuldners auf das belastete Grundstück reservirt, entspricht die Sicherungs-Hypothek in dieser Gestalt einem unbedingten praktischen Be-

dürfnifse. Wenn dagegen, wie nach dem Entwürfe, auch die Verkehrs-Hypothek nur in Verbindung mit einer persönlichen Forderung als deren Accessorium auftritt, wird von der Sicherungs-Hypothek für unbedingte und

dem Betrage nach feststehende Forderungen nur in

ganz exceptionellen

Fällen Gebrauch gemacht werden. Wenn der Gläubiger die Wahl zwischen einer privilegirten und einer nicht privilegirten Hypothek hat, und er sich sowohl durch die eine wie

die andere noch eine persönliche Forderung gegen den Schuldner sichert, wird er seine Wahl schwerlich jemals zu Gunsten der nicht privilegirten Hypothek treffen. Die schwächere Lage des creditsuchenden Schuldners unterwirft denselben aber regelmäßig bei Bestellung der Sicherheit der­ jenigen Form, welche für den Gläubiger die vortheilhaftere ist.

Es liegt deshalb nahe, (mit v. Meibom a. a. O. S. 354 f.) die

Beseitigung der typischen Sicherungs-Hypothek des Entwurfs zu befür­

worten. Ich kann mich dessen ungeachtet diesem Vorschläge nicht anschließen. Daß für mehrere, keiner Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner unterliegende Fälle das Bedürfniß einer bloßen Sicherungs-Hypothek als Gegensatz zur Verkehrs-Hypothek besteht, kann nicht in Abrede gestellt

werden und wird

auch von Meibom anerkannt.

Es fordert deshalb

schon die logische Consequenz, für die Bestellung einer solchen Sicherungs-

275 Hypothek auch (affen.

der Vereinbarung der Parteien freien

Spielraum zu

Jedenfalls ist es weder theoretisch gerechtfertigt, eine solche Ver­

einbarung auszuschließen, noch ist in der Zulassung derselben ein praktischer Nachtheil zu erblicken.

Daran wird

auch nichts

geändert, wenn für

einzelne Unterarten der Sicherungs-Hypothek gewisse Modificationen der allgemeinen Regeln erforderlich bei jedem Institute,

sind,

denn diese Erscheinung findet sich

von welchem besondere Unterarten existiren.

Die

ausschlaggebenden gemeinsamen Kennzeichen bleiben davon unberührt, und ich halte es für ein besonderes Verdienst des Entwurfs, diese gemeinsamen Kennzeichen der verschiedenen Arten zur Aufstellung eines Gattungsbegriffs

verwerthet zu haben. Von meinem Standpunkte sehe ich aber noch einen besonderen Anlaß, der Beibehaltung der Sicherungs-Hypothek das Wort

zu reden, weil durch dieselbe die Differenz des Personal- und Jmmobiliarcredits zum Bewußtsein gebracht wird, wodurch allein eine spätere Reform

in dem von mir oben angedeuteten Sinne angebahnt werden kann. Die erste Unterart der Sicherungs-Hypothek ist nach dem Entwürfe diejenige Hypothek,

bei welcher die Feststellung des Betrages der

Forderung vorbehalten wird, § 1129 und demgemäß nur ein Höchst­ betrag

einzutragen ist.

Das Bedürfniß für eine solche (Cautions-)

Hypothek zur Sicherheit für dem Betrage nach unbestimmte und zukünftige Ansprüche

aus

einem bestehenden Rechtsverhältniffe (einem Dienstver­

hältnisse, einem laufenden Banquiercredit u. dgl.) ist unbestritten. Form der Hypothek hätte jedoch

auch auf solche Forderungen,

Diese welche

zwar ihrem Betrage nach zu berechnen,

abhängig

aber von einer Bedingung find, — im Anschlüsse an die Praxis des Preußischen Rechts

— ausgedehnt werden müssen. Es scheint mir mit der Natur einer Verkehrs-Hypothek absolut un­ vereinbar, daß dieselbe auch für bedingte Ansprüche — wie der Ent­ wurf § 1062 Abs. 2 vorschreibt — bestellt werden könne. Dazu ist

allein die Cautions-Hypothek geeignet, welche zwar eine der Form nach unbedingte Eintragung gewährt (int Gegensatz zu der bedingten

Eintragung durch eine Vormerkung), aber kein unbedingtes, sondern nur ein von späterer Feststellung der Forderung dem Grunde oder Betrage nach abhängiges Hypothekenrecht gewähren soll. Ihre Realisirung bei der Zwangsverwaltung und Zwangsversteigerung

kann nur unter der Voraussetzung dieser Feststellung erfolgen.

Sie ist

eine bedingte Sicherungs-Hypothek. Es bedarf also auch der Vorschriften über die Umwandlung derselben in eine unbedingte (definitive) Sicher­

ungs-Hypothek.

Hier ist eine Lücke im Entwurf.

Derselbe

giebt nur

18*

276 eine allgemeine Vorschrift über die Umwandlung einer jeden Sicherungs­

eine normale Verkehrs-Hypothek § 1134,

Hypothek in

indem

er dazu

außer dem Vertrage zwischen Gläubiger und Schuldner auch noch die

Zustimmung der gleichstehenden und nachstehenden Berechtigten erfordert. Mit Recht tadelt von Meibom a. a. O. S. 357 das formale Er­ forderniß dieser Zustimmung,

spruchsrechts der gleich-

welche unbeschadet des materiellen Wider-

und nachberechtigten Gläubiger sehr wohl ent­

behrt werden kann und geeignet ist,

praktisch

zu

machen.

Doch

die Cautions-Hypothek völlig un­

mag dies

dahingestellt

hier

bleiben.

Jedenfalls fehlt eine Vorschrift für die Umwandlung der Cautions-Hypothek in eine gewöhnliche Sicherungs-Hypothek. Man wird dazu nicht bloß die Bewilligung des Schuldners, sofern er noch Grundstücks-Eigenthümer ist,

sondern auch

ein rechtskräftiges

Urtheil für ausreichend erachten müssen, welches entweder diese Bewilligung ergänzt oder auch

nur die

betreffende Forderung

ihrem Grunde und

Betrage nach feststellt.

Hiernach

erachte ich die Cautions-Hypothek des Entwurfs zwar

für unbedingt nothwendig, die Vorschriften über dieselbe aber in mehr­ facher Hinsicht der Vervollständigung

bedürftig.

Es würde

sich

auch

empfehlen, für diese Unterart der Sicherungs-Hypothek den schon gebräuch­

lichen Namen „Cautions-Hypothek" aufzunehmen.

Eine nahe Verwandtschaft mit der Cautions-Hypothek hat eine andere Unterart der Sicherungs-Hypothek, die Arrest-Hypothek.

Daß der Entwurf der Vollziehung des Arrestes in unbewegliches

Vermögen, entsprechend dem Pfändungspfandrechte an beweglichen Sachen nach dem Vorgänge des Preuß. Ges. vom 13. Juli 1883 § 10, dingliche

Wirkung beigelegt hat, darf auf allgemeine Zustimmung Anspruch machen. Daß die Eintragung der durch den Arrest zu sichernden Geldforderung bez.

des

in dem Arrestbefehle gemäß

§ 803

C.P.O.

festzustellenden

Geldbetrages in Form einer Sicherungs-Hypothek und nicht,

wie nach

Preußischem Recht in der einer Vormerkung erfolgen soll, bewirkt keine materielle Differenz; denn auch die Arrest-Hypothek trägt, wie die Cautions-Hypothek, unausgesprochen den Vorbehalt der endgültigen Fest­ stellung der Arrestforderung in sich, kann also trotz der unbedingten Form nur

bedingte

Wirkungen äußern.

Arrest-Hypothek in

Hinsichtlich

der

Umwandlung

der

eine endgültige unbedingte Sicherungs-Hypothek gilt

hier also dasselbe, was vorstehend

bei der Besprechung der Cautions-

277 Hypothek dienen,

Keine Billigung scheint mir die Vorschrift zu ver­

gesagt ist.

daß

bei der Arrest-Hypothek,

auch wenn es sich um eine reine

Geldforderung handelt, nur der Höchstbetrag nach Maßgabe des § 803 C.P.O., bis zu welchem das Grundstück haften soll, lichkeit und Zinssatz

einzutragen sind, § 1132,

nicht aber Verzins­

§ 1129 Abs. 3,

denn

dadurch wird es unmöglich, die Zinsen für die Zukunft sicherzustellen. rechtfertigt sich wohl für einen Anspruch

Eine solche Bestimmung

der erst in eine Geldforderung übergehen kann (§ 796 C.P.O.), bei dem also

von einer Verzinslichkeit noch nicht die Rede ist, und allenfalls bei

der Cautions-Hypothek,

wo

die Parteien

es

in der Hand haben,

den

daß der muthmaßliche Betrag zukünftiger

Höchstbetrag so zu bestimmen,

Zinsen darin enthalten ist, nicht aber bei einer verzinslichen Geldforderung, zumal die Feststellung des Geldbetrags nach § 803 C.P.O. schon im Hinblick auf die vorausgesetzte Hinterlegung regelmäßig auf zukünftige

Die erwähnte Vorschrift verkümmert ohne

Zinsen keine Rücksicht nimmt.

Roth die Rechte des Gläubigers.

Ist der dingliche Arrest wegen einer

Capitalforderung nebst Zinsen von einem besümmten Tage ab angeordnet, so ist nicht einzusehen, warum die Eintragung der Arrest-Hypothek nicht

dem entsprechend soll erfolgen können. Eine dritte Unterart der Sicherungs-Hypothek ist die

Zwangshypothek des Entwurfs.

Dieselbe wird

auf einseitigen Antrag des Gläubigers

zur Sicherung einer vollstreckbaren Geldforderung auf den Grundstücken

des Schuldners

eingetragen,

und

gehört demnach zu den Mitteln der

Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen. Sie ist nicht bloß Judicatshypothek, da sie auf Grund eines jeden reichsgesetzlichen oder landesgesetzlichen vollstreckbaren Titels einzutragen ist, verdankt aber wohl ihre Entwickelung zumeist der französischen Judicialhypothek. Das In­

stitut ist in den

meisten deutschen Bundesstaaten,

wenngleich in abwei­

chenden Formen bekannt und verdient meines Erachtens volle Billigung. Die von v. Meibom a. a. O. S. 358s. dagegen erhobenen Bedenken

wollen mir nicht

einleuchten.

auf Schonung des Schuldners, keinen Grund

Richtig ist allerdings, daß die Rücksicht auf welche die Motive Gewicht legen,

für die Zwangshypothek abgeben kann,

denn wenn der

Gläubiger sich mit der Eintragung der Forderung an Stelle der Zwangs­

versteigerung oder Zwangsverwaltung vorläufig begnügen will,

wird er

auch den Schuldner in der Regel bereit finden, die Eintragung zu be­ willigen, und wenn dieser sich dazu nicht bereit finden läßt, verdient er auch

278 nicht, mit der Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung verschont zu Allein Recht und Interesse des Gläubigers erheischen die Zu­

werden.

lassung der Zwangshypothek.

Es ist nicht zutreffend, daß dieselbe dem

Gläubiger etwas Anderes verschafft,

gerichtet ist.

mögen des Schuldners,

Forderung

als worauf sein Forderungsrecht

Der Gläubiger hat das Recht,

aus dem bereitesten Ver­

wie solches zur Zeit der Vollstreckbarkeit seiner

beschaffen ist,

befriedigt zu werden.

Dies

wird

bei der

Zwangsvollstreckung in bewegliches Vermögen dadurch gesichert, daß dem

Gläubiger an den

gepfändeten Sachen

ein Pfandrecht verliehen wird,

welches ihm den Vorrang vor Nachpfändungen anderer Gläubiger ver­

schafft.

Es liegt kein Grund vor, dem Gläubiger die gleiche Sicherung

bei der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen zu versagen. Die Zwangshypothek fixirt nur den Rang,

in welchem der Gläubiger

aus dem Immobile Befriedigung erlangen soll, und auf welchen er mit

Recht zu der gegebenen Zeit Anspruch machen darf.

Wenn v. Meibom

die dingliche Wirkung der Vollziehung eines Arrestbefehls

in unbeweg­

liches Vermögen mit Rücksicht auf die Analogie des Pfändungspfand­

rechts an beweglichen Sachen billigt, so sollte schon die Consequenz da­ hin führen, die gleiche Billigung für die Vollziehung eines vollstreckbaren

Titels auszusprechen.

Wenn v. Meibom dann weiter bemerkt, daß „die

Erwirkung einer Zwangshypothek ein Glied

in der Kette der Opera­

tionen zu sein pflegt, durch welche wucherische Gläubiger, besonders im Kreise des ländlichen Kleingrundbesitzes, den wirthschastlichen Untergang

ihrer Schuldner herbeiführen",

so

kann ich nicht einsehen, inwiefern

gerade dieses Glied in der Kette der Operationen besonders gefährlich sein soll. Durch die sofortige Betreibung der Zwangsversteigerung wird der Ruin des Schuldners noch schneller herbeigeführt. Uebrigens kann die Rücksicht auf den möglichen Mißbrauch eines an sich zu billigenden Gläu­ bigerrechts durch Wucherer den Gesetzgeber nicht zur Beseitigung desselben veranlassen.

Dem Wucher ist — wenn ihm überhaupt gesteuert werden

kann — auf andere Weise zu begegnen. Wenn hiernach die Zwangshypothek an sich den berechtigten Interessen des Gläubigers durchaus entspricht, so ist doch andererseits dieselbe so zu gestalten, daß sie nicht ihren Zweck — die Sicherung einer

Personalforderung — überschreitet. Es verdient deshalb vollen Beifall, daß die Zwangshypothek vom Entwurf lediglich als Sicherungshypothek zugelassen

um so

wird.

Die abweichende Meinung von v. Meibom ist mir als derselbe der Zwangshypothek überhaupt nicht

auffallender,

sympathisch gegenübersteht.

Der Gläubiger,

welcher keinen Jmmobiliar-

279 credit gewährt, sondern lediglich die Beitreibung seiner persönlichen For­ derung ins Auge faßt,

hat keinen Anspruch auf eine Verkehrshypo­

thek, nicht bloß nicht auf eine Briefhypothek — was v. Meibom selbst anerkennt, S. 361 — sondern auch

nicht auf eine normale Buch­

hypothek im Sinne des § 1062ff., welche als Verkehrshypothek gestaltet ist (und die ich freilich an sich beseitigen möchte).

Ein solcher hat ins­

besondere keinen Anspruch auf die Privilegien des § 1083,

welcher zu

Gunsten des Bestehens der Forderung und zum Nachtheile der gegen

die Forderung zu erhebenden Einwendungen den Glauben des Grund­ buchs verwerthet: denn er hat nicht im Glauben auf das Grundbuch,

sondern auf die Person des Schuldners creditirt.

Ebenso wenig ist es

zu rechtfertigen, zu Gunsten des gutgläubigen Erwerbers einer Zwangs­ hypothek die Bestimmung der §§ 303—305 gemäß § 1089 wie bei der

Verkehrshypothek auszuschließen, denn die Zwangshypothek ist ihrer Natur nach nicht für den Umlauf bestimmt und

Realcredits.

kein Mittel zur Hebung des

Wenn v. Meibom in letzterer Beziehung hervorhebt, daß

die Berufung auf §§ 303—305

gegenüber einer durch

rechtskräftiges

Urtheil anerkannten Forderung nach § 686 C.P.O. ohnedies nur in be­ schränktem Umfange zulässig ist, so dürfte doch keine Veranlassung sein, die Einwendungen in diesem beschränkten Umfange dem Schuldner gegen

den gutgläubigen Erwerber der Zwangshypothek zu versagen; denn warum soll ein Schuldner, der nach der entscheidenden mündlichen Ver­ handlung die eingeklagte Forderung getilgt hat, mit dem Zahlungsein­ wande gegenüber dem Rechtsnachfolger des Gläubigers nicht gehört werden? Nur deshalb, weil der Gläubiger in der Zwangshypothek ein

Sicherungsmittel für seine Forderung erworben hat? Dies verdient offen­ bar keine Billigung.

Außerdem übersieht v. Meibom,

daß es sich bei

der Zwangshypothek auch um solche vollstreckbaren Titel handeln kann,

bei denen die Beschränkungen des finden, vgl. § 705 Abs. 4 C.P.O.

Kündigung

betreffenden § 1079

§ 686 C.P.O.

nicht Anwendung

Auch die Ausschließung des die

halte ich im Gegensatze zu der Be­

merkung von v. Meibom für gerechtfertigt.

Allerdings könnte der

§ 1079 erst bei einem Wechsel des Eigenthums nach der Eintragung der Zwangshypothek Anwendung finden. Aber ein solcher Eigenthumswechsel ist kein Grund, die Zwangshypothek, welche auch wirthschaftlich nur ein Accessorium der Personalforderung ist, hinsichtlich der Kündigung zu

privilegiren.

Eine Zusammenschweißung der Zwangshypothek mit der Cautionshypothek (vgl. oben), wie sie v. Meibom dem Entwürfe vorwirft, ist in

280 Beide, die Zwangshypothek und die Cautions-

der That nicht vorhanden.

hypothek haben nur gewisse gemeinsame Merkmale, welche sie als Unter­

arten der Sicherungshypothek erscheinen lassen,

sie unterscheiden sich

aber in besonderen Stücken, welche z. B. in den §§ 1129 Abs. 3 u. 4

Ausdruck gefunden haben.

Die im § 1134 geforderte Zustimmung der

gleich- und nacheingetragenen Gläubiger zur Umwandlung der Sicherungs­ hypothek in eine normale Hypothek ist freilich, wie schon oben angedeutet, allgemein (nicht bloß für die Zwangshypothek) zu verwerfen.

Dies

hindert aber nicht, der Gestaltung der Zwangshypothek als Sicherungs­ hypothek die Zustimmung zu ertheilen.

Was ich bei dieser Gestaltung

allein vermisse, sind Specialvorschriften

über die aus der Verschieden­

artigkeit der vollstreckbaren Titel sich ergebenden verschiedenartigen Wir­ kungen der Zwangshypothek.

vorläufig

(bez.

Insbesondere war zu unterscheiden zwischen

nur gegen Sicherheitsleistung)

gültig vollstreckbaren Titeln.

vollstreckbaren

und end­

Aus den ersteren dürfte nur eine be­

dingte Zwangshypothek, d. h. unter ausdrücklichem Vorbehalt der end­ gültigen Vollstreckbarkeitserklärung des Titels zugelassen werden, und im Anschlüsse daran wären Vorschriften über die Umwandlung einer bedingten

Zwangshypothek in eine unbedingte

als Sicherungshypothek,

(ohne Aenderung des Charakters

also nicht gemäß § 1134) zu treffen (vgl. § 7

des preuß. Ges. v. 13. Juli 1883). Verwandt mit der Zwangshypothek ist die nach Anm. 2 zu

§ 833 S. 189 auf Ersuchen einer zuständigen Behörde nach näherer Bestimmung der Grundbuchordnung einzutragende Sicherungshypo­ thek. Da die Grundbuchordnung bisher nicht im Buchhandel erschienen ist, so sehe ich mich außer Stande, darüber Weiteres zu sagen. Dagegen ist von der Zwangshypothek diejenige Hypothek zu unterscheiden, welche

auf Grund eines die Bewilligung d er Eintragung aussprechenden vollstreckbaren Urtheils im Wege der Zwangsvollstreckung gemäß und zwar in unbedingter Form, wenn das Urtheil endgültig vollstreckbar, in bedingter, wenn es nur vor­

§ 779 Abs. 1 C.P.O. einzutragen ist,

läufig vollstreckbar ist (§ 833 Entw.).

Eine solche unbedingte Hypothek

kann eine normale (Buch- oder Briefhypothek) oder nur eine Sicherungs­

hypothek sein,

je nach dem Inhalte der Verurtheilung; die bedingte

Eintragung kann dagegen wohl immer nur in Form einer Sicherungs­

hypothek erfolgen (vgl. oben). Eine von v. Meibom mit Recht getadelte Lücke im Entwurf ist darin zu finden, daß die Art der Sicherung eines Individualrechts auf

Bestellung einer Hypothek (oder Grundschuld), wenn dasselbe auf gesetz-

281 kicher Vorschrift oder auf Vertrag beruht, im Wege einstweiliger Ver­

fügung nicht vorgesehen ist. Da der Entwurf Vormerkungen (b. h. bedingte Eintragungen) zur Erhaltung noch nommen hat,

nicht bestehender Rechte an Grundstücken nicht ausge­

solche auch durch Zulassung der Eintragung bedingter

Realrechte in der That ersetzt und entbehrlich werden, so hat v. Mei­ bom einen Zusatz zu § 833 des Inhalts vorgeschlagen: „Die Vorschriften des § 833 Abs. 2 u. 3 finden entsprechende

der Eintragung eines noch nicht be­

Anwendung bei

stehenden Rechts am Grundstück zur Vollziehung einer dieselbe zur Erhaltung des Rechts auf Eintragung

anordnenden einstweiligen

Verfügung des Gerichts." Ich habe aus diesem Amendement die Worte, auf Eintragung einer Zwangs-Hypothek aus

welche sich lediglich einem vorläufig vollstreck­

baren Urtheil beziehen, fortgelassen, weil dazu nach den Vorschriften über die Zwangs-Hypothek kein Bedürfniß ist (vgl. oben), durch diese vielmehr auch die vorläufig vollstreckbaren Titel getroffen werden.

kläre ich mich

und

Dagegen er­

im Uebrigen mit dem Vorschläge durchaus einverstanden

kann zur weiteren Rechtfertigung desselben gegenüber den Motiven

nur auf die Besprechung von v. Meibom verweisen.

IV.

Die Grundschuld.

Die Grundschuld ist nach dem Entwürfe die Belastung eines Grund­ stücks für eine bestimmte Person des Inhalts, daß diese die Beitreibung einer bestimmten Geldsumme (mit oder ohne Zinsen)

aus dem Grund­

stück im Wege der Zwangsverwaltung und Zwangsversteigerung verlangen

kann (§ 1135).

Die Grundschuld darf von keiner Bedingung oder Zeit­

bestimmung abhängig gemacht werden. Träger derselben ist der Grund­ schuldbrief, dessen Ertheilung nicht ausgeschlossen werden kann. Sie kann auch für den Eigenthümer des Grundstücks selbst eingetragen werden

(§ 1142).

Sie unterliegt im Uebrigen den Vorschriften über die Brief-

Hypothek, soweit diese nicht mit dem Bestehen einer persönlichen Forderung

Zusammenhängen (§ 1136). stituts,

Dies sind die allgemeinen Umrisse des In­

welches schon oft und mit Recht einem Wechsel auf das Grund­

stück verglichen worden ist.

Real-Obligation,

Die Grundschuld ist demnach nicht bloß

sondern auch Formal-Obligation,

indem sie ohne Be­

Freilich kann hinter der Real-Obligation auch noch eine persönliche Forderung des Grundstücks-Eigenthümers verborgen sein, und es können dadurch dieselben Unzuträglichkeiten (wenn nennung der causa begründet wird.

282 nicht

auch

schildert

als

worden

mit Rücksicht

mit der accessorischen Verkehrs-Hypothek verbunden ge­ sind.

Die Zulassung der Grundschuld kann also nicht

auf die Beseitigung dieser Unzuträglichkeiten gerechtfertigt

Nichtsdestoweniger ist dieselbe

werden.

wie sie im Eingänge dieses

in gleichem Umfange) entstehen,

Gutachtens

zu

Ausschlaggebend

billigen.

kann dafür allerdings der Umstand allein nicht sein, daß das Institut in einigen Bundesgebieten theils

neben

der accessorischen Hypothek,

als ausschließliche Form des Jmmobiliarcredits besteht.

theils

Dagegen ergießt

sich einmal schon vom Standpunkte der Theorie aus die Aufrechterhaltung

bez. Einführung der Grundschuld als gerechtfertigt,

dieselbe

da

in der

Eigenthümer-Hypothek, nach § 1100 Abs. 2 auch in der weiter begebenen bereits

vorgebildet ist.

Ferner

für dieselbe, namentlich

welches die Hypothek nicht

nicht

construirt,

als reine Real-Obligation

Gegensatze

ist aber auch ein praktisches Bedürfniß

in einem Systeme,

Man hat im

abzuleugnen.

daß in denjenigen Rechtsgebieten,

dazu darauf hingewiesen,

wo die Grundschuld neben der Hypothek besteht, ein verhältnißmäßig spärlicher Gebrauch

gemacht

der

von

wird.

ersteren

Dies

ist

nur auch

richtig und vollkommen erklärlich, da der Gläubiger die mit dem persön­ lichen Ansprüche verbundene Hypothek der Grundschuld naturgemäß vor­

Wenn

zieht.

die Motive

berichten,

daß im Jahre 1878 bei dem vor­

maligen Stadtgericht zu Berlin Grundschulden im Betrage von mehr als

so wird der Werth dieser

12 Millionen Mark constituirt worden sind,

Thatsache dadurch erheblich abgeschwächt, daß die Grundschuld gerade bei

gewissen großen Credit-Operationen von Gesellschaften, näher bezeichnen werde, einzelner Grundschulden

über

sehr

hohe

die

ich

sogleich

so daß eine Anzahl

in Gebrauch gekommen ist,

ausgestellt

Beträge

wurde.

Aber immerhin hat sich die Grundschuld doch in Preußen, wo sie neben

der

accessorischen Hypothek

erst

seit 1. October 1872 besteht,

langsam

eingebürgert und sich für manche Zwecke äußerst dienlich erwiesen. schon angedeuteten Credit-Operationen,

Die

für welche die Grundschuld viel­

fach in Gebrauch ist, bestehen darin, daß bei Ausgabe von börsenmäßigen Schuldverschreibungen (auf den Namen oder auf den Inhaber) zur Sicher­

heit

der Obligationäre

trages

eine Grundschuld

in Höhe

des gesammten Be­

der auszugebenden Obligationen creirt und der Grundschuldbrief

einem bestimmten Pfandinhaber zur Verwahrung und Verwaltung über­ geben ward. entsprechen,

Ob diese Operationen ihrem Zwecke mag

juristisch

vollkommen

hier dahingestellt bleiben, jedenfalls haben sie wirth-

schaftlich ihrem Zweck entsprochen. bei Lebzeiten Capitals-Abfindungen

Grundbesitzer, welche ihren Kindern

gewähren

wollen,

ohne ihre Baar-

283 mittel zu schwächen oder sich persönlich verbindlich zu machen,

erreichen

dies durch Ausstellung von Grundschulden.

Gleiches geschieht häufig bei

des

Grundstücks-Uebernehmers zu

der Theilung des Nachlasses Gunsten der Miterben.

seitens

Bei Vereinigungen Mehrerer zur Erwerbung,

Ausnutzung und Veräußerung eines Grundstücks wird zur Vereinfachung des Verkehrs das Grundstück häufig nur auf den Namen eines der Ge­

sellschafter, besonders des socius gerens erworben und werden die Einlagen

der übrigen durch Grundschulden sichergestellt.

Ein Bauunternehmer, der die

Bauhandwerker nicht mehr befriedigen kann,

will denselben sein Grund­

stück überlassen; doch findet sich nur Einer, der es übernehmen, auch die

oder

Forderungen der Anderen ganz

persönlich dafür haften will.

schuld

dar.

Ein Bankinstitut

will

Jmmobiliar-Sicherheit gewähren,

Kautions-Hypothek.

theilweise

sicherstellen,

aber

nicht

Als Auskunftsmittel bietet sich die Grund­ einen

laufenden Credit

nur

gegen

scheut aber die schwerfällige Form der

Die Grundschuld übernimmt die Function derselben,

ähnlich einem Depot-Wechsel.

Diese wenigen Beispiele, welche sich leicht

vermehren ließen, zeigen deutlich, daß die Grundschuld mannigfachen Be­

dürfnissen des Rechtsverkehrs

in

zweckmäßiger Weise dienstbar gemacht

werden kann.

Andererseits läßt sich allerdings nicht in Abrede stellen, daß die Zu­

lassung

einer

rein

formalen Real-Obligation gewisse Gefahren

birgt, namentlich für den kleinen ländlichen Besitzer.

in sich

Indessen ließen sich

diese Gefahren vielleicht durch eine Bestimmung vermindern, nach welcher

Grundschulden nicht unter einem bestimmten Betrag ausgestellt, beziehungs­

weise getheilt werden dürfen,

und daß im einzelnen Falle die Weiter­

begebung der Grundschuldbriefe zum Nachtheile des Eigenthümers durch einen Vermerk wie „nicht übertragbar" untersagt

dem „nicht an Ordre" gestellten Wechsel,

werden

dergestalt,

darf,

analog

daß die Abtretung

nur zum Jncasso zulässig ist, die Einwendungen gegen den ursprünglichen

Gläubiger demnach erhalten bleiben.

Doch dies nur beiläufig.

Jeden­

falls scheinen mir die wirthschaftlichen Vortheile des Instituts gegenüber den angedeuteten Gefahren so überwiegend zu sein, daß man sich für die

Zulassung der Grundschuld unbedenklich entscheiden muß. Dem Wesen der Grundschuld als eines Mittels für den Jmmobiliarcredit entspricht es gewiß, daß dieselbe den Regeln über die Brief-Hypo­

thek



soweit

diese nicht mit dem Bestehen einer persönlichen Forde­

rung zusammenhängen — unterstellt ist.

Auf die einzelnen Bestimmun­

gen näher einzugehen, ist bei dem begrenzten Umfange dieses Gutachtens

keine Veranlassung.

Ich

lasse

deshalb

auch

dahingestellt,

ob für den

284 Grundschuldverkehr eine erleichterte Form der Abtretung sowie die Aus­

gabe von Zinsquittungsscheinen (welche in Preußen allerdings nicht techt Eingang gefunden haben) angemessen erscheint.

Die Eigenthümer-Grundschuld ist nur eine Consequenz der Eigenthümer-Hypothek, und es kann deshalb hier auf das über diese Ge­

genommen werden.

sagte Bezug

Der weitere Schritt zu der von vorn­

herein auf den Namen des Eigenthümers eingetragenen Grundschuld ist

schon in mehreren Particulargesetzen (auch in Preußen) mit gutem Er­ folge gemacht worden.

der Hand.

Die praktischen Vortheile dieser Form liegen auf

Der Grundbesitzer wird dadurch in den Stand gesetzt,

schon im Hinblick auf ein zukünftiges Bedürfniß in den Besitz Werthpapieres zu setzen,

sich

eines

dessen Begebung ihm zur rechten Zeit den ge­

wünschten Jmmobiliarcredit verschafft,

und der Gläubiger läuft bei Ge­

währung des Credits nicht Gefahr, daß die Eintragung der Grundschuld

beanstandet oder die Aushändigung des Grundschuldbriefs an ihn ver­ eitelt oder verzögert werde.

Der oben hervorgehobene Gesichtspunkt der

Mobilisirung des Grundstücks-Werths als Verkehrs-Objects ist bei dieser

Form noch mehr in die Augen springend. Schließlich sei noch Folgendes hervorgehoben:

Auch eine Grundschuld kann im Wege der Zwangsvollstreckung auf Grund eines die Bewilligung zur Bestellung eines solchen aussprechenden vollstreckbaren Urtheils

Gmnd

eines

eingetragen werden (§ 833),

mithin muß

auf

solchen nur vorläufig vollstreckbaren Urtheils oder auch

einer einstweiligen Verfügung eine bedingte, d. h. von der endgültigen

Vollstreckbarkeit des Urtheils bez. rechtskräftigen Feststellung des Anspruchs auf Bestellung abhängige Grundschuld eingetragen werden können.

Die Bestimmung des § 1137, welche die Beifügung einer Bedin­ gung bei Eintragung einer Grundschuld verbietet, müßte deshalb modificirt oder dem Bedürfnisse der Sicherstellung eines solchen Anspruchs in anderer Weise Rechnung getragen werden.

V.

Andere Jmmobiliar - Pfandrechte.

Zum Schluffe sei noch der von dem Entwürfe nicht aufgenommenen beseitigten Pfandrechtsarten mit wenigen Worten gedacht. Zuerst der römisch-rechtlichen General-Hypotheken und der franz. Legalbez.

Hypotheken.

Beide Gattungen stehen der Herstellung eines wirksamen

Jmmobiliar-Credits direct entgegen.

Dies ist längst erkannt.

Man wird

285 deshalb gewiß allgemein die Abschaffung derselben, wo noch Reste davon

bestehen, mit Beifall begrüßen. ^) Auch das Besitz-Pfandrecht (Antichresis) ist mit Recht beseitigt. Dasselbe ist, wie die Motive richtig bemerken, ein längst abgestorbenes Rechtsinstitut und in einem geordneten Hypothekenwesen für den Jm-

mobiliar-Credit durchaus entbehrlich. In der preußischen Praxis gehörte es in dem letzten Jahrzehnt zu den seltensten Erscheinungen und wird

fast nur noch von zahlungsunfähigen Besitzern als Mittel benutzt, den Hypothekengläubigern die Ausübung ihrer Rechte zu erschweren.

Die eingetragene Rente (sowie andere wiederkehrende Leistungen, Altentheile u. dgl.) sind von dem Entwürfe unter die Reallasten ver­ wiesen (§ 1051), was ihrer rechtlichen Natur vollkommen entspricht.

Die

Revenüen-Hypothek

wird

vom Entwürfe nicht erwähnt.

Nach Art. 36 des Einführungs-Gesetzes wird die Zulassung jedoch den Landesgesetzen für solche Grundstücke gestattet, deren Belastung nach den

in den Art. 33—35

enthaltenen Vorschriften (betr. Familien-, Fidei-

commiß-, Lehn-, Stammgüter, Güter der Landesherren, der Mitglieder der landesherrlichen Familien und der fürstlichen Familie Hohenzollern, sowie der ehemaligen reichsständischen Häuser und des Reichsadels) unzulässig

ist.

Man kann sich mit der Nichtzulassung der Revenüen-Hypothek für

andere Güter nur einverstanden erklären,

da ein praktisches Bedürfniß

dafür nicht vorhanden ist. Ob deshalb zur Vermeidung von Controversen eine besondere ver­ bietende Bestimmung erforderlich ist, wie v. Meibom annimmt (a. a. O.

S. 378),

möchte

ich

bezweifeln; jedenfalls wäre sie unschädlich.

Der

Vorbehalt für die Landesgesetzgebung ist in den Mot. zum E.G. S. 158

ausreichend durch Hinweis auf die rein locale und territoriale Bedeutung des Instituts gerechtfertigt. Vormerkungen (Protestationen u. dgl.) endlich zur Erhaltung noch nicht bestehender Rechte an Grundstücken, also auch zur Erhaltung des Rechts auf Eintragung von Hypotheken oder Grundschulden hat der

Entwurf nicht zugelassen.

Schon oben ist darauf hingewiesen, daß die­

selben durch Eintragung bedingter Hypotheken, welche vom Entwürfe ge­

stattet werden, leicht ersetzt und entbehrlich werden. Als Schlußergebniß des vorstehenden Gutachtens will ich meine Aus­ führungen dahin zusammenfassen: 5) Vgl. auch über die Aufhebung der eheweiblichen Legal-Hypothek des code civil Schotter, Gutachten aus dem Anwaltstande, Heft 5 S. 363.

286 Die in dem Entwurf eines

bürgerlichen

Gesetzes

für das

Deutsche Reich vorgesehenen Arten des Pfandrechts an Grund­ stücken einschließlich der Grundschuld sind, mit Ausnahme der Buch-

Hypothek als normaler Verkehrs-Hypothek, beizubehalten, sofern nicht eine gründlichere Reform des Hypothekenrechts zum Zwecke der Sonderung des reinen Jmmobiliar-Credits von dem durch Jmmobiliar-Sicherheit verstärkten Personal-Credit schon jetzt durchführ­

bar erscheint, unter Zulassung nur zweier Gattungen von Hypo­ theken, nämlich 1.

einer Brief-Hypothek,

als rein dinglicher Geld-Forderung,

mit allen für den Jmmobiliar-Credit und die Begebungs­ fähigkeit möglichen Privilegien (auch als Eigenthümer-Hypothek) in ausschließlich unbedingter Form;

2.

einer Sicherungs-Hypothek solche Privilegien,

ohne Hypothekenbrief und

ohne

als Aecessorium einer persönlichen Geld­

forderung sowohl in unbedingter Form als

in bedingter

(Cautions-Hypothek, Arrest-Hypothek u. s. ro.).6)

6) Die- Schrift von Dr. Joh. Krech: „Die Rechte an Grundstücken re." in den Beiträgen von Bekker u. Fischer ist erst nach Fertigstellung dieses Gut­ achtens erschienen und konnte deshalb nicht mehr berücksichtigt werden.

XXIX. Machten des Herrn Rechtsanwalt Rarl Rlörschetl, Rgl. Advokaten in Würzburg über

Die Aufnahme und Gestaltung

des Privatpfändungsrechtes im

künftigen Deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs.

Die Selbsthülfe



im Gegensatze

zu

der von dem Staate oder

bessert Organen zu leistenden — ist in Beziehung auf die Vertheidigung gegen Angriffe wider die Person und das Vermögen von jeher und auch

allgemein als berechtigt anerkannt;

heutzutage

Fall

bezüglich

nicht das Gleiche ist der

ihrer Richtung auf Befriedigung

oder Sicherung

eines

Anspruchs.

Nach

altem

germanischen Rechte in weitem Maße gestattet,

ist sie

mit der Erstarkung der Staatsgewalt und durch das Eindringen der ihr

durchaus

entgegenstehenden Grundsätze des

römischen Rechts mehr und

mehr beschränkt worden. Dies

gilt

insbesondere

von

dem

Pfändungsrechte

oder

Privat-

pfändungsrechte, worunter wir verstehen das Recht, eigenmächtig bewegliche

Sachen eines Anderen in Besitz zu nehmen,

um sich für einen Anspruch

gegen denselben Sicherung oder Befriedigung zu verschaffen.

Es kommen

hier

folgende einzelne Arten des Pfändungsrechts in

Betracht:

1. wegen Forderung vertretbarer Sachen (Geld, Gülte, Zinsen),

2. wegen Beschädigung und zum Zweck des Rechtsschutzes an Grund­ stücken (Viehpfändung, Personalpfändung).

288 Was nun zunächst die Pfändung wegen einer Forderung anbelangt, so war dieselbe im Allgemeinen verboten; die Ausnahmen sind so ver­

schwindend, daß sie

eine Berücksichtigung nicht verdienen bis auf zwei

gewichtigere: erstens die Pfändung auf Grund vertragsmäßiger Einräu­

mung dieses

Rechts,

zweitens die Pfändung wegen Abgaben (Zinsen,

Gülten, Renten), die Jemand

Am längsten,

als Besitzer eines Grundstückes schuldet.

bis in die Mitte des gegenwärtigen Jahrhunderts hinein,

hatte sich dies letztere Recht erhalten, ist aber heutzutage in ganz Deutsch­ land

vollständig

beseitigt.

Das

vertragsmäßig vom Schuldner

Gläubiger eingeräumte Pfändungsrecht,

dem

das in manchen Rechtsgebieten

eine Erweiterung für „kundliche unleugbare Schuld" erfahren hatte,

schon seit dem Anfänge des 18. Jahrhunderts

gekommen.

Gebrauch

auch

heutzutage noch

der Wirthschaft

ist

aufgehoben und außer

Thatsächlich wird diese Pfändung ganz zweifellos ausgeübt von Wirthen,

entfernen will,

wenn sich ein Gast aus

ohne die Zeche zu bezahlen, und

wegen Unbekanntheit des Gastes,

sei es

sei es wegen zweifelhafter Zahlungs­

fähigkeit desselben, der Verlust der Forderung zu befürchten ist, in welchem Falle der Wirth nicht bloß durch Zurückbehaltung des eingebrachten Gepäcks, sondern auch durch Abnahme von Sachen, die der Gast an sich

seine Befriedigung zu sichern sucht.

trägt,

Die Volksmeinung hält dies

für durchaus erlaubt, und für das Geltungsbereich des preuß. L.R. ist es durch I 14, §§ 414, 415, für das des sächs. Civ.-Ges.-B. durch § 179,

180 bestätigt, ob auch gemeinrechtlich gestattet, ist zweifelhaft.

Von den

Privatrechtslehrern erwähnt es nur Stobbe H.B. des D.Pr.R. § 70, V.

Unbestritten hat sich aber im größten Theile von Deutschland — Deutsch-Oesterreich einbegriffen — erhalten das uralte Recht der Pfändung

Fortlebend

wegen Beschädigung oder Rechtsanmaßung an Grundstücken.

im Volksbewußtsein,

thatsächlich zur Geltung

gebracht,

gebilligt und

geregelt durch die ältere und theilweise durch die neuere Gesetzgebung, hat es die ihm von dem Eindringen des römischen Rechts und dessen Anhängern drohende Gefahr überstanden und durch letztere nur die Aus­

gestaltung

erfahren,

daß

es

zu einem Mittel zum Schutze des Besitzes

erweitert wurde. In Bezug auf dieses Recht können folgende Sätze als gemeingültig,

bezw. als Inhalt des gemeinen Rechts angenommen werden: 1. Wenn fremdes Vieh auf einem Grundstücke Schaden anrichtet, darf dasselbe ergriffen und in Gewahrsam genommen werden.

2.

Ist der Eigenthümer des Viehs

nicht

anwesend,

so

hat der

Pfändende ihn von der Pfändung alsbald zu benachrichtigen; ist der

289 Eigenthümer unbekannt,

hat der Pfändende Anzeige bei Gericht zu

so

erstatten. 3. Wer auf seinem Grundstücke Jemanden trifft bei einer Handlung, die entweder eine Beschädigung oder eine Rechtsausübung an dem Grund­

stücke enthält, darf demselben ein Pfand abnehmen.

4.

Pfändungsberechtigt ist der Eigenthümer sowohl, als der Nutz­

nießer und der Pächter des Grundstücks und bei deren Abwesenheit deren

Leute, auch der Flurwächter. 5.

Die Pfändung kann nur bei Betreten auf frischer That geschehen

und nur auf dem betreffenden Grundstücke (in der betreffendeu Flur).

6. so viel

Sie muß

aus das Nothwendige

als voraussichtlich

also

auf

zugesügten Schadens,

der

beschränkt werden,

zur Deckung des

Fütterungs- und der Kosten des weiteren Verfahrens nöthig ist.

7.

Der Gepfändete ist berechtigt, das

genommene Pfand

durch

Hingabe eines entsprechenden anderen Pfandgegenstandes auszulösen.

8.

Die Wirkungen der Pfändung sind:

a) Das Recht, sich für den Schaden und die Kosten aus dem Pfande Befriedigung zu verschaffen, b)

Begründung einer Rechtsvermuthung

oder doch Befreiung vom

Beweise für die Beschädigung oder die widerrechtliche Besitzstörung,

c)

Erhaltung des Besitzes

am Grundstücke und Beweis desselben,

Unterbrechung der Rechtsersitzung.

9.

Die Veräußerung des Pfandes steht unter den Vorschriften über

Veräußerung von Faustpfändern. 10.

Durch die Pfändung wird der Gerichtsstand des Orts, wo sie

erfolgt ist, begründet.

In neueren Gesetzgebungen sind diese Grundsätze mit mehr oder weniger Modificationen zur Geltung gebracht.

So im preuß. L.R. Theil I Tit. 14

(„von Erhaltung des Eigen­

thums und der Rechte") 4. Abschnitt („von Pfändungen") §§ 413—465;

die §§ 414 bis 416,

nach welchen die Pfändung nur im Nothfalle, bei

Unmöglichkeit der richterlichen Hülfeleistung und der anderweitigen Fest­ stellung des Thäters und des Beweises gestattet ist, sind durch die Feld­ polizeiordnung vom 1. November 1847 § 4

für Preußen

außer Kraft

gesetzt; die übrigen Bestimmungen schließen sich im Wesentlichen an obige

gemeinrechtliche

Sätze

an,

verbieten

die

Pfändung

von

Posten

und

Frachtgütern, verpflichten den Thäter zur Erlegung eines Pfandgeldes, soweit

Provinzialrechte

dies

erlauben,

setzen

den

Gerichtsstand

des

Pfändungsorts nur für Ausländer fest und regeln das weitere auf Ersatz Verhandlg. d. XX. I. T. Bd. III. w

290 gerichtete Verfahren und die Folgen unrechtmäßiger und widerrechtlicher Pfändung, sowie ungerechtfertigter Widersetzung und Gegenpfändung.

Das bayrische Landrecht (von 1756) enthält bezügliche Bestimmungen

im 2. Theil, 6. Capitel („von Unterpfanden — pignoribus vel hypothecis“)

§ 24, welche insofern von den obigen Sätzen abweichen, als die Pfändung nur wegen Schadenszufügung, nicht aber zum Besitzesschutze und (Ziffer 3) nur unter der Voraussetzung

gestattet ist, daß ohne die Pfändung der

Beweis oder die Erlangung der Entschädigung erschwert sei; auch hier ist

(13) die Gegenpfändung verboten, und sind (14) Nachtheile auf unrecht­

mäßige Pfändung angedroht. Das österreichische Bürgerliche Gesetzbuch bestimmt im § 1321, daß, wer auf seinem Grund sein soll,

und

Boden fremdes Vieh

antrifft, berechtigt

falls er durch dasselbe Schaden erlitten hat,

es in Besitz zu

nehmen. Das sächsische Civilgesetzbuch enthält unter der 6. Abtheilung „von Sicherung, Verwahrung und Verfolgung der Rechte"

im § 179

den

Satz, daß Selbsthülfe durch eigenmächtige Wegnahme von Sachen oder durch eigenmächtige Nöthigung des Schuldners zur Erfüllung seiner Ver­

bindlichkeit in dem Falle erlaubt ist, wenn dem Berechtigten Gefahr droht, ohne solche sein Recht nicht verwirklichen zu können, und wenn die Hülfe der unter

Obrigkeit nicht zeitig zu erlangen ist; es gestattet in § 180

letzterer Voraussetzung bei Fluchtverdacht des Schuldners

sogar

dessen Festnahme und die Abnahme von Deckungsmitteln, mit der An­ ordnung, daß letztere und die festgehaltene Person sogleich zu Gericht gebracht werden müssen. In der Abtheilung „von dem Pfandrechte" handeln die §§ 488 bis 494 von dem „durch Pfändung" zu Erwerbenden

und enthalten im Wesentlichen die unter 1, 3, 4, 5, 6, 7, 8 a aufgestellten Sätze; die Pfändung von Thieren ist gestattet, wenn sie das fremde Grundstück auch nur (ohne Schadenszufügung) betreten, der Flurwächter darf die Pfändung außerhalb des betretenen Grundstücks innerhalb seines Dienstbezirks vornehmen; der Gepfändete kann verlangen, daß der ihm unbekannte Pfändende ihm in den nächsten Ort folge und das Pfand

bei der dortigen Behörde niederlege, der Pfändende kann statt Schadens­

ersatzes einen Pfandschilling von 5 Neugroschen beanspruchen; er muß innerhalb 48 Stunden bei dem zuständigen Gerichte die Pfändung anzeigen. Ob sonst wo particularrechtliche Bestimmungen über das Pfändungs­ recht bestehen,

ist mir nicht bekannt, die bayrischen Particularrechte ent­

halten keine.

Völlig

fremd ist dasselbe dem französischen

welches auf dem Standpunkte des römischen Rechts steht.

Civilrechte,

291 Dies

ist der derzeitige Rechtszustand in Deutschland hinsichtlich des

Privatpfändungsrechts. Es fragt sich nun: wie soll daffelbe künftig gestaltet werden?

Der Entwurf des Deutschen B.G.B. 1. Buchs

enthält im 8. Abschnitt des

unter dem Titel „Selbstvertheidigung und Selbsthülfe"

zwar im § 189 Bestimmungen, welche hierher einschlagen.

und

Danach soll die

Selbsthülfe mittels Wegnahme von Sachen oder mittels Nöthigung des Verpflichteten zur Erfüllung seiner Verpflichtung gestattet sein, wenn

obrigkeitliche Hülfe nicht rechtzeitig

zu erlangen ist, und der Berechtigte

ohne sofortiges Eingreifen Gefahr läuft,

daß die Verwirklichung des

Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werde; doch ist bestimmt,

daß hierbei nicht weiter gegangen werden darf, als zur Abwendung der Gefahr nothwendig ist, daß im* Falle der Festnahme des Verpflichteten dieser unverzüglich dem Amtsgerichte des Orts der Festnahme vorzuführen

und der persönliche Sicherheitsarrest zu beantragen, und daß hinsichtlich der zum Zwecke der Sicherung eines Anspruchs weggenommenen beweg­

lichen Sachen der dingliche Arrest sofort zu beantragen ist, außerdem aber

die Sachen zurückgegeben werden müssen. Die Motive (Band 1 S. 353 f.) sagen hinsichtlich des Privat­

pfändungsrechtes: soweit es

zur Abwehr der Erwerbung von Rechten

gedient habe, erledige es sich durch die Vorschriften auf dem Gebiete des Sachenrechts;

(es sind

hier

gemeint die §§ 797, 802, 810 bis 824,

welche von der Erlangung, Störung und dem Schutze des Besitzes handeln); zur reichsgesetzlichen Ordnung dieser Rechtseinrichtung, soweit es sich um Schadenszufügung handle, fehle es an zureichenden Gründen, da es sich um ein anomales mit dem Agrarrechte einzelner Bundesstaaten in engem

Zusammenhänge stehendes Institut handle, dessen heutiges Vorkommen nur zu der Erwägung Anlaß geben könne, ob und inwieweit die Bei­ behaltung desselben der Landesgesetzgebung im Einführungsgesetze offen zu lassen sei. Vor Allem wird darauf hinzuweisen sein, daß eine Wiederhervor­

ziehung veralteter Seiten des Pfändungsrechts heutzutage nicht mehr Es wird Niemand daran denken, eine Privat­

in Frage kommen soll.

pfändung wegen Schuldforderungen überhaupt oder wegen Zinsen, Gülten u. dgl. wiedereinzuführen; entsprungen in einer Zeit, wo die Hülfe des Staats zur Verwirklichung von Rechtsansprüchen entweder überhaupt nicht oder nur schwer und langsam zu erlangen war, hat diese Art der Selbsthülfe ihre Bedeutung durch die heutigen Rechtseinrichtungen

völlig verloren. Insbesondere ist auch die Frage wegen Zulassung eigen19*

292 mächtiger Pfändung im Falle der vertragsmäßigen Gestattung gegenstands­ los geworden durch die Bestimmung in § 702 Ziffer 5 der Civilproceßordnung,

daß der Gläubiger sich für seine auf Leistung von Geld oder oder anderen vertretbaren Sachen gerichteten Ansprüche

Werthpapieren

eine öffentliche Urkunde errichten lassen kann, in welcher der Schuldner erklärt, sich der sofortigen Zwangsvollstreckung zu unterwerfen. Ich halte es deshalb

nicht für nöthig, die Bedenken gegen die Zulassung einer der­

artigen Pfändung hier des Näheren zu erörtern; die Thatsache, daß sie längst außer Gebrauch

gekommen ist,

spricht am besten für deren Ent­

behrlichkeit. Ebenso

für veraltet die Pfändung,

halte ich

soweit durch sie ein

Beweis ersetzt werden soll, und zwar in der doppelten Richtung: Beweis, daß

gegen

ist, und

einen Rechtseingriff Widerspruch und Verwahrung eingelegt

Beweis,

daß

ein Grund

zur Pfändung

gegeben

war.

Zur

Aufrechterhaltung der früher an die Thatsache der Pfändung geknüpften rechtlichen Vermuthung und Entbindung des Pfänders von der Pflicht,

die die

Pfändung

begründende Rechtsverletzung oder Schädigung

zu

beweisen, fehlt es an jedem Grunde. Man darf sich nur vergegenwärtigen

die Möglichkeit, daß ein böswilliger Grundbesitzer einen Menschen pfänden könnte (falls dieser gutmüthig genug ist, sich's gefallen zu lassen),

unter

dem Vorgeben, derselbe habe sein Grundstück betreten, während es gar nicht der Fall war, oder daß er einen Menschen, der zwar das Grund­

stück betreten (beschädigt), aber dasselbe schon verlassen hat, pfändet, oder daß ein Grundbesitzer, der sein Grundstück beschädigt findet, das in der Nachbarschaft weidende Vieh eines Anderen pfändet, unter dem Vorgeben oder auch in der Meinung, daß In allen diesen Fällen müßte Pfänder ihm sagt, als erwiesen mäßiger Weise und aus rechtem

dieses ihm den Schaden zugefügt habe. der Richter bloß deshalb, weil es der annehmen, daß die Pfändung in recht­ Grunde erfolgt sei, also eine Rechtsan­

maßung oder Beschädigung an den Grundstücken stattgefunden habe; der

Richter müßte dies annehmen trotz des Widerspruchs des Gepfändeten, weil ja auch bei einer aus rechtsmäßiger Ursache und in rechtmäßiger Form erfolgten Pfändung der Gepfändete beides vor ihm in Abrede stellen kann. Ein solcher Grundsatz verträgt sich weder mit der Logik noch mit

der Rechtssicherheit.

Mit der Logik nicht; denn es besteht keine größere

innere Wahrscheinlichkeit und Glaubwürdigkeit für die eigenen Angaben

und Behauptungen des Pfändenden (und

nur um solche kann es sich

thatsächlich vom Standpunkte des Richters aus handeln) als für irgend

293 welche andere von demselben Manne in einer anderen Rechtsangelegen­

heit

dem Richter vorgetragene Behauptungen,

widersprochen werden.

Und

die von

einem Gegner

mit der Rechtssicherheit vertrüge sich der

Grundsatz nicht, weil die alltägliche Erfahrung lehrt, daß der Eigennutz, Uebelwollen und Rechthaberei sehr häufig zur Geltendmachung von Rechts­

ansprüchen führen, die nicht im Geringsten begründet sind, und weil von solchen Leuten eine solche Rechtsvermuthung auf unerlaubte Weise aus­ genutzt werden könnte.

Die in der deutschen Civilprozeßordnung dem Richter gewährte Frei­ heit der Ueberzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit dessen,

altmodischen Beweisnormirungen, einem Falle

überflüssig,

wo

was

fördert einerseits die Beseitigung solcher

die Parteien ihm vorgetragen,

und

macht sie

andererseits selbst in

wegen Fehlens von Zeugen

oder wegen

Mangels der Voraussetzungen der Eideszuschiebung früher eine Beweis­

erstellung unmöglich gewesen wäre; so kann der Richter demjenigen Grundbesitzer, der fremdes Vieh, das ohne Hüter lief, auf seinem Acker

gepfändet zu haben

behauptet,

auch

beim Mangel von Zeugen

den

richterlichen Eid, daß diese Thiere seinem Grundstücke Schaden zugefügt

haben, und über die Höhe des Schadens auflegen. Fordert der heutige Stand unserer Rechtsanschauungen gebieterisch die Beseitigung solcher Beweisregeln, so fällt damit zugleich materiell der

Werth

des Pfändungsrechts, insoweit

einem Grundstücke dienen sollte.

es

zum Schutze des Besitzes an

Diese Seite des Pfändungsrechts ist ja

ohnehin erst durch die Juristen ausgebildet worden, Rechte war sie fremd;

dem

germanischen

die auf dem römischen Rechte fußenden Juristen

hatten versucht, durch die Einführung des ihnen zusagenden Zwecks der

Besitzerhaltung

in das Pfandrecht,

dieses Institut,

der Widerstand des Volkes nicht duldete,

anzunähern.

Ich bin mit dem Entwürfe der Meinung,

Besitz, Besitzerlangung, ziehungsweise

dessen Beseitigung

römischrechtlichen Grundsätzen daß die über

Besitzstörung und Besitzverlust aufgestellten, be­

auszustellenden Bestimmungen völlig

ausreichen,

um ein

solches Rechtsmittel wie das fragliche durchaus entbehrlich zu machen. Dieses

Institut scheint mir

auch von allem Anfang

ganz zwecklos

gewesen zu

sein;

es kann doch immer nur in jedem Einzelfalle eine einzelne Hand­

lung

in Frage kommen,

die

als Ausübung

eines Rechts an fremder eine solche ein­

Sache sich darstellt, z. B. Fahren über ein Grundstück;

malige Handlung ist aber zur Erwerbung eines Rechts an sich betrachtet unerheblich; nur ihre Wiederholung innerhalb eines gewissen Zeitraums

(Ersitzungszeit) kann

zur Rechtserlangung führen.

Die Pfändung des

294 bei einer solchen Handlung betroffenen Thäters durch

den Eigenthümer

(Nutznießer u. s. w.) ist ja allerdings eine thatsächliche Rechtsverwahrung

(Protest) gegen die vorgenommene Handlung.

Aber jede andere Art der

oder thatsächlichen Protesterhebung (Widerspruch gegen das

mündlichen

Fahren, Aufhalten des Fuhrwerks,

Ziehung eines Grabens u. dgl.) ist

genau von demselben praktischen Werth. Man stelle sich nur einmal den thatsächlichen Verlauf einer solchen Handlung vor; angenommen, es reitet Jemand über ein fremdes Grund­ stück, der Eigenthümer des letzteren nimmt dem Reiter das Pferd ab,

führt es in seinen Stall, wenn er einen hat; was nun? was soll denn der Besitzer des Pferdes eigentlich thun, um es wieder zu bekommen?

Schaden — nehmen wir an — ist nicht entstanden, es soll nur gegen das Recht des Hinüberreitens protestirt werden: der Grundbesitzer wird nun eine Klage gegen den Herrn des Pferdes, — vielleicht ist der Reiter aber gar nicht der Eigenthümer, sondern er hat es nur geliehen oder ist nur Diener

des Pferdeeigenthümers, — also

gegebenen Falls gegen

den betreffenden Reiter zu stellen haben, inzwischen füttert er das Pferd

u. s. w.

Oder aber es fischt einer in einem fremden Fischwasser, der

Fischereiberechtigte ertappt ihn, nimmt ihm die Angelruthe weg, ehe jener einen Fisch

gefangen hat;

der Gepfändete macht sich davon und läßt

die Angel im Stich; was für einen Werth hat diese Procedur?

In den meisten derartigen Fällen wird von dem Uebelthäter ein Recht gar nicht angesprochen, es genügt also seine Wegweisung und ge­

gebenen Falls die Anzeige beim

Richter wegen Feld-,

Fischerei- rc.

Frevels, und in dem hiernach sich ergebenden polizeilichen (Straf-) Ver­

fahren kann der Beschädigte als Zeuge vernommen werden. Wo aber in der That ein Recht auszuüben versucht und dieses vom Besitzer der Sache bestritten wird,, wird der letztere die triftigste und wirkungsvollste Protestation erheben, indem er, wozu er im Falle der Privatpfändung doch gezwungen wäre, Klage bei Gericht stellt.

Die Privatpfändung erweist sich demnach auch in solchen Fällen,

wo es sich um ein Gehen, Reiten, Fahren u. dgl. ohne Schadenszu­ fügung handelt, als unnöthig, unbehelflich, ja unter Umständen dem eigenen Interesse des sie Ausübenden schädlich. So bleibt nur diejenige Art der Privatpfändung übrig, welche den Zweck hat, sich ein Pfand zur Sicherung des Ersatzes des durch Thiere

oder Personen einer unbeweglichen Sache zugefügten Schadens zu ver­ schaffen. Ich halte auch diese Seite des Rechts für veraltet und über­ flüssig.

Bekanntlich war in alter Zeit die Verfolgung desjenigen,

der

295 einem Anderen eine injuria zugefügt hatte, nicht nach der strafrechtlichen und eivilrechtlichen Seite so bestimmt geschieden wie jetzt; man denke nur an das Wehrgeld,

das zu zahlen war an die Hinterbliebenen im Falle

der Tödtung eines Menschen.

So war auch offenbar die Privatpfändung

ein Ausfluß einerseits des Bedürfnisses nach Ahndung der Widerrechtlich­ keit und des Verlangens des Schadensersatzes, prompter Hülfe der öffentlichen Gewalt.

da

und

andererseits des Fehlens

Ein Zeuge dessen ist noch das

dort bestehende Psandgeld (Pfandschilling) welches,

neben dem

Schadensersätze

werden

gefordert

konnte,

soweit es

zweifellos

den

Charakter einer Buße, einer Strafe hatte.

Heut zu Tage ist jener Grund, bestand,

sicher als weggefallen zu

welcher im Mangel rascher Justiz

erachten.

Die Rechtspflege

greift

prompt ein in den hier einschlägigen Fällen der §§ 398 Ziffer 9, § 370

Ziffer 1, 2, 4, 5, und es kann durch die Vernehmung des Beschädigten als Zeugen die Thatsache der Beschädigung festgestellt werden, wodurch

dem Uebelstande abgeholfen wird, der darin liegen kann, daß im Civil-

proceffe der auf Ersatz klagende Beschädigte wegen Mangels eines Zeugen vielleicht im Beweise behindert sein könnte. Vielfach, so z. B. im bayerischen Forstgesetze, wird durch den die Strafe wegen der Rechtswidrigkeit verhängenden Richter auch

zugleich

der Schadensersatzanspruch festgestellt und dem Beschädigten zugesprochen.

Nun erwäge man: es handelt sich der Regel nach um Schäden von unbedeutendem Geldwerthe; die rechtswidrigen Handlungen die hier in Frage kommen, bestehen bei Vieh im Zertreten oder Abfressen der Boden­

erzeugnisse,

bei Personen

im Gehen, Reiten, Fahren, Viehtreiben über

bestellte Felder, in der Wegnahme von Fischen, Krebsen oder Obst, im

Abhauen

oder Entrinden von Bäumen.

Ist nun der Thäter,

den der

Beschädigte auf frischer That ertappt, diesem bekannt, so sind zwei Fälle

denkbar: der Thäter hat Vermögen, um den Schaden ersetzen zu können,

oder er hat nichts; im letzteren Falle wird regelmäßig die Abnahme eines Pfandes unmöglich sein; der Beschädigte wird sich damit begnügen, das,

was etwa von seinem Eigenthume der Beschädigte noch im Besitz hat,

ihm abzunehmen; ihn „aufzuhalten" oder festzunehmen und zum Gericht zu führen,

könnte in diesem Falle

Thäter zur Strafe zu bringen.

offenbar nur den Zweck haben, den

Besitzt aber der Thäter Vermögen, so

hat die Pfändung zur Sicherung der Forderung gar keinen Zweck, denn

die Forderung ist dann durch die Verhältnisse des Verpflichteten gesichert, und es bedarf keiner Pfändung; daß diese für eine etwaige Beweisführung

heut zu Tage nicht mehr verwerthbar ist, habe ich schon oben ausgeführt.

296 Bei allen diesen bisher besprochenen Fällen ist nun des Weiteren immer vorausgesetzt, daß derjenige, welcher gepfändet werden soll, sich

auch pfänden läßt. Aber ist denn das auch nur als Regel anzunehmen? Wer sich nicht scheut, auf fremdem Eigenthum eine Widerrechtlichkeit zu begehen, der wird auch kein Bedenken tragen, sich einer Pfändung, wo

es möglich ist, entweder durch die Flucht oder durch Verweigerung oder gar durch Widerstand der Hergabe oder Abnahme eines Pfandes zu ent­ ziehen. Wie soll es in solchem Falle gehalten werden? Soll der Pfand­

berechtigte Gewalt anwenden dürfen? Sie war in manchen Gesetzen bis zu dem Umfange gestattet, daß im Falle der Tödtung oder Körperverletzung

des Widersetzers der Pfandberechtigte straflos war (L. Burg. XXVII, 6, Augsb. Stadtr.); so weit wird Niemand aber bei jeder Gewaltanwendung

ausartet.

heut zu Tage

gehen wollen,

entsteht die Gefahr, daß der Streit

Andere Gesetze verboten die Gewaltanwendung (Schwäb. Land­

recht c. 333, Sunesen, leges Scaniae X 1, L. Baj. III, 11).

Und doch war die Pfändung „Zugeständniß einer Eigenmacht, um von dem Gebrauch weitergehender Gewaltthat abzuhalten, um weiteren Rechtsverletzungen von der einen oder anderen Seite vorzubeugen" (Wilda, das Pfändungsrecht

i. d. Zeitschr. f. d. R., B. 1 S. 229). Der hieraus sich ergebenden Schwierigkeit hat man schon frühzeitig

auf verschiedene Weise Herr zu werden gesucht,

theils durch Androhung

von Strafen auf die Gegenwehr oder überhaupt auf die Verweigerung des Pfandes (L. Burg. XXVII 6, schwäb. Ldr. c. 333, Augsb. Stadtr., Pr. Ldr. I, 14, §§ 458—461), theils durch Gestattung der Gegen­ pfändung

oder Pfandkehrung — die sich aber keiner besonderen Gunst

erfreute (nt. vgl. Strykii opera B. III disput. XII de jure pignorandi Cap. VI § 39; Pr. Ldr. a. a. O. § 465; bayr. Ldr. II c. 6, Ziffer 12) — oder durch Androhung von Strafen auf gewaltthätiges Verfahren des Pfänders (Pr. Ldr. a. a. O. § 461, 463; bayr. Ldr. a. a. O. Ziffer 5 und 14) oder —

worauf aber das letztere wohl auch hinaus­

läuft — durch Verbot der Gewaltanwendung (s. oben Sunesen rc.). Mit einem solchen Verbot wird aber das Pfändungsrecht überhaupt hinfällig,

und alle übrigen Aushülfsversuche sind nicht geeignet,

einen

Ausweg aus diesem Dilemma zu bieten. Dazu kommt, daß nicht etwa, wie bei der Pfändung durch einen Beamten, der Schutz des Strafgesetzes Privatpfändung

gewährt

wird;

für

dem Privatpfänder

Widerstand

gegen

die

oder der

gesetzlich

gestattete Privatpfändung giebt es keine Strafandrohung im Strafgesetz­ buche (m. vgl. §§ 113 und 117 des Str.G.B.), und § 289 stellt nur

297 die Wiederabnahme der bereits gepfändeten Sache durch den Gepfändeten

oder einen für ihn Handelnden unter Strafe, setzt also eine bereits — rechtsförmlich

Strafen,

und

rechtsgültig —

geschehene Pfändung voraus.

(Die

die von den Gerichten in Fällen der Entziehung von Sachen

aus der Privatverstrickung ausgesprochen zu werden pflegen, bewegen sich

im

erfahrungsgemäß

niedrigsten Strafrahmen.)

Daß § 288

nicht ein­

schlägt (Beiseiteschaffung vor drohender Zwangsvollstreckung) bedarf keiner Erörterung. Der Mangel eines

strafgesetzlichen Schutzes macht aber ein solches

Recht geradezu illusorisch.

Die Gestattung der Gewaltanwendung für den Pfändungsberechtigten, um die Vereitelung seines außerdem ungeschützten Rechts durch den diesem widerstrebenden Beschädiger zu verhindern, begegnet aber all den vielfach

erörterten Gefahren und Bedenken, welche die Gesetzgebung frühzeitig zu immer größerer Einschränkung des Selbsthülferechts bis auf das mindest mögliche Maß:

die Vertheidigung der Person

und

des Besitzes durch

Gewalt gegen unberechtigte Angriffe — veranlaßt haben.

Nun

erwäge man,

daß es sich in den weitaus meisten Fällen nur

um Schäden von höchst geringer Bedeutung, von wenigen Mark handelt, — den Fall einer förmlichen Weide durch eine Heerde etwa ausgenommen

— denn welchen Schaden kann das Gehen durch einen Acker, der Gang

das Abfressen seitens eines einzelnen

eines Pferdes über einen solchen,

Thieres in der That anrichten? Und wegen dieser Dinge soll nun die Gefahr

großer Excesse, Drohungen, Körperverletzungen heraufbeschworen werden. Wenn aber eine Heerde einen Kleeacker abweidet, so kommen doch Heerden

nur

selten

so

ohne Weiteres von fremd

her,

sondern der Natur der

Sache nach werden sie meist in die Nachbarschaft des beschädigten Grund­

stückes gehören, und dann hat die Erlangung des Schadensersatzes ohnehin

keine Schwierigkeiten auch ohne Pfändung. nicht

angezeigt,

eine Heerde eines Unbekannten eindringt, zu treffen, wie unten zu erörtern. Noch eines weiteren Punktes

Gesetzt,

das

Thier,

wo aber

ist in anderer Weise Vorsorge

sei hier Erwähnung gethan,

verschiedenen rechtlichen Bedenken Anlaß

gedeutet worden.

Auch in diesem Falle ist es

die Gefahr einer Gewalthandlung zuzulassen;

giebt.

der zu

Er ist oben schon an­

die Sache,

welche

abgepfändet

ist nicht Eigenthum des Beschädigers;

kann die Jnpfandnahme gegenüber dem Eigenthümer trotzdem aufrecht bleiben? Es soll der Fall

wird,

angenommen werden: A stiehlt dem B eine Kuh, treibt ff.e über die un­

gemähte Wiese des C, dieser ertappt den A und pfändet die Kuh;

oder

298 X leiht sein werthvolles Reitpferd dem A, dieser sprengt durch das Korn

auf dem Acker des Z, der das Pferd pfändet; an dem Thiere,

welches

vom Beschädiger auf dem fremden Grundstücke geweidet und vom Besitzer

des letzteren gepfändet worden ist, steht dem früheren Eigenthümer kraft

vertragsmäßigen Vorbehalts noch das Eigenthumsrecht zu: müssen sich die Eigenthümer dieser Thiere die Pfändung gefallen lassen? Unbestritten steht demjenigen, dessen

bewegliche Sache ohne sein Wissen und seinen

Willen von Jemandem einem Dritten verpfändet wird, die Reivindicatio

gegen den Pfandinhaber zu; die Streitfrage,

ob das Zurückbehaltungs­

recht des Vermiethers oder Verpächters wegen seiner Forderungen aus

dem Mieth- oder Pachtverträge sich auf die vom Miether (Pächter) ein­ gebrachten Sachen eines Dritten erstrecke, ist heut zu Tage durch die

Rechtsprechung wohl als zu Ungunsten des Vermiethers entschieden zu

betrachten,

nach

soweit gemeines Recht in Frage kommt (Handelsrecht kommt

der Natur unseres Gegenstandes nicht in Frage,

Civ.G.B.

Bestimmung des franz.

ebensowenig die

Art. 2102 Ziffer 1, weil in deren

Geltungsgebiet unser Pfändungsrecht nicht stattfindet). Das sind freilich Grundsätze des römischen Rechts,

und wenn auch

das Zurückbehaltungsrecht des Vermiethers unverkennbar auf einer ähnlichen

Grundlage fußt, wie das Pfändungsrecht auf eigenem Grund und Boden, so ist nach jenen Grundsätzen eine Frage nicht zu entscheiden, welche sich

auf rein deutschem Rechtsgebiete gründet. deutschen Privatrechts

(z. B.

Nun sprechen die Lehrer des

Gerber § 71,

Bluntschli 102, 3c,

Stobbe § 70 I) zwar von dem Eigenthümer des gepfändeten Viehs als dem

Entschädigungspflichtigen,

haben aber offenbar hierbei einen der

obigen Fälle nicht, sondern nur den regelmäßigen im Auge, daß der Eigenthümer des Viehs auch die Verantwortung für den Schaden hat. Aehnlich verhält es sich mit der weiteren Frage: wenn die als Pfand abgenommene Sache zu den in § 715 Ziffer 1, 3, 4, 5 der

Civ.P.O. aufgeführten als nicht pfändbar bezeichneten Sachen gehört, welche nach einer weit verbreiteten Praxis und in Bayern zufolge gesetz­ licher Bestimmung auch dem Zurückbehaltungsrechte nicht unterliegen, ist trotzdem die Privatpfändung derselben erlaubt? Ohne Jnconsequenz kann dies kaum bejaht werden. Es würde zu weit führen, auf eine Untersuchung dieser Fragen näher

einzugehenwie auch das Ergebniß derselben ausfallen sollte, die Fragen doch

nicht endgültig lösen.

es würde

Die Anregung dieser Punkte

erfolgte vielmehr zu dem Zwecke, um zu zeigen, daß das Privatpfändungs­ recht nach verschiedenen Seiten hin mit den seither als feststehend gelten-

299 den Rechtsgrundsätzen in kaum zu lösendem Gegensatze steht, und daß dessen

Anpassung an jene Grundsätze deshalb den größten Schwierigkeiten begegnet. Letztere an sich würden freilich kein Grund sein, der gesetzgeberischen

Regelung aus dem Wege zu gehen; aber da ich glaube, die Entbehrlich­ keit des Instituts gezeigt zu haben, so wird es angezeigt sein, mit dem­ selben aufzuräumen.

Ich darf vielleicht hier noch beifügen, daß mir in

24 jähriger Berufsthätigkeit

nur

ein

einziger Fall der Viehpfändung

bekannt geworden ist; da man weiß,

wie hartnäckig gerade die Land­

in Streitigkeiten auch

über die geringfügigsten Dinge

bevölkerung sich

pflegt, so ist daraus immerhin der Schluß gerechtfertigt, daß thatsächlich kaum von dem Rechte mehr Gebrauch gemacht wird; „einzuhängen"

ältere Kollegen haben die gleiche Beobachtung mitgetheilt.

Ich gehe danach weiter als die Motive des Entwurfs und glaube, daß durch die gänzliche Aufhebung des Privatpfändungsrechts in seiner

bisherigen Gestalt keine Interessen geschädigt werden würden. Nur für einen Fall gebe ich die Nothwendigkeit oder doch Zweck­ mäßigkeit der Privatpfändung

im weitesten Umfange zu.

Das ist der

Fall, welcher durch § 189 des Entwurfs gedeckt wird, und durch welchen ein Grundsatz für ganz Deutschland zur Geltung gebracht werden soll,

der meines Wissens zuerst schon im Pr. Ldr. Einl. § 78 und neuestens

im

sächs.

bürg.

G.B.

§

179

und

180

aufgestellt,

von

Wächter,

W.Pr.R. II S. 406 und von Unger, oft Pr.R. I S. 343 sowie auch bei Wilda a. a. O. c. III 6 § 3 Ziff. 2 S. 270 vgl. Stobbe,

D. Pr.R. I § 70).

beglaubigt ist (man

Es ist der Nothsall,

wo obrigkeit­

liche Hülfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist, und der Berechtigte ohne so­ fortiges Eingreifen Gefahr läuft, daß die Verwirklichung des Anspruches

vereitelt oder wesentlich erschwert werde.

Ich kann mich in dieser Be­

ziehung den Motiven des Entwurfs im Wesentlichen anschließen (nur bestreite

ich, daß diese Anwendung des Rechtsmittels gemeinrechtlich anerkannt ist). Wohl ergiebt sich auch hier das oben angeregte Bedenken, ob die Ausführung dem in seinen Ansprüchen Bedrohten gegenüber dem Wider­ stände des Verfolgten möglich sei, und daß durch Gewaltanwendung Gefahr für Leib und Leben herbeigeführt werden kann; aber wenn man sich die

der seinen Banquier einholt,

wie

dieser soeben mit des ersteren Vermögen das Schiff besteigen will,

um

Alternative vorlegt:

soll ein Mann,

aus der Heimath zu verduften,

solchem Beginnen ruhig zusehen müssen,

weil es ihm nicht möglich ist, einen Arrestbefehl vom Richter zu erwirken oder selbst wenn er einen solchen hat, einen Gerichtsvollzieher zur Voll­ ziehung desselben zu finden? soll der Landwirth, in dessen Acker ein

300 auf

dem

von

Durchtrieb

befindlicher

weiterher

Schäfer

fremder

eine

300 Stück den ganzen Kleewuchs über Nacht hat ab­

Schaafheerde von

fressen lassen, denselben ziehen lassen müssen, in beiden Fällen nur deshalb, damit es keinen Scandal,

kein Geraufe,

oder soll da dem Gläubiger,

keine Gewaltanwendung giebt?

dem Beschädigten gestattet werden,

zuzugreifen und sich der Hülfe anderer Menschen,

seiner Nachbarn,

der

so wird man

um sein bedrohtes Recht zu sichern?

Polizei zu bedienen,

selbst

keinen Augenblick zweifeln, daß die Versagung der Selbsthülfe in solchem

Falle eine Unnatur, eine Unmöglichkeit, einfach unmoralisch wäre. In Nothfällen, wo es sich regelmäßig um ansehnliche, nicht geradezu

unbedeutende Vermögenswerthe handelt,

können die in der allenfalls zu

erwartenden Gewalthandlung

Gefahren gegenüber

liegenden

dem

Ge­

bote des Rechtsschutzes nicht von der Gewährung des letzteren abhalten. Mit dem § 127 der Strafpr.-Ordn.,

eines

läufigen Festnahme

welcher Jedermann zur vor­

auf frischer That betroffenen oder verfolgten

fluchtverdächtigen oder unbekannten Strafthäters ermächtigt,

ist übrigens

die Grundlage für eine ähnliche Bestimmung im Civilrecht geschaffen, ja

letztere durch die Consequenz gefordert. Wie aus dem zweiten angefochtenen Beispiel zu ersehen,

trifft der

§ 189 des Entwurfs auch den einzigen Fall, wo die Thier- bezw. Per­

sonalpfändung

der

des

deutschen Rechts noch angezeigt ist:

eines Grundstücks

Beschädiger

den Fall,

daß

oder der darauf stehenden Früchte

fremd und unbekannt ist, oder daß Thiere, deren Eigenthümer unbekannt

ist, ohne einen Aufseher fremde Grundstücke beschädigen. Die Vorschriften

über das

weitere Verfahren,

wie sie in Abs. 3

und 4 des § 189 gegeben sind, erscheinen gleichfalls als zweckmäßig und

sachentsprechend gegenüber den theilweise veralteten,

theilweise

mit dem

heutigen Stande des Proceßrechts nicht mehr vereinbaren Bestimmungen

z. B. des preuß. und bayr. Landr. Ich komme daher zu dem Vorschläge:

1. Die Privatpfändung wegen des durch fremdes Vieh oder Per­

sonen an einem Grundstück zugefügten Schadens sei,

soweit sie

nicht unter folgenden Satz fällt, überhaupt zu beseitigen; 2. Die

in

§

189

aufgestellten Sätze

des Entwurfs

eines

über Selbsthülfe

bürgerlichen Gesetzbuchs

zur Sicherung

eines An­

spruchs seien als dem Bedürfnisse entsprechend zu erachten.

Ob

nicht

auch

ein Schutz dieser Seite des Selbsthülferechts durch

Androhung einer Strafe auf den Widerstand gegen dieselbe geboten und

zu erstreben ist, fällt außerhalb des Rahmens dieser Erörterung.