Verhandeln und entscheiden: Politische Kultur im Senat der frühen Kaiserzeit 3515113738, 9783515113731

Im politischen und gesellschaftlichen Gefüge Roms bedeutete die Etablierung des Principats eine gravierende Veränderung:

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German Pages 255 [258] Year 2017

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung
2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung
des kaiserzeitlichen Senats
2.1 Res publica restituta: Konzeptionen der frühen Kaiserzeit
2.2 Zugriffsmöglichkeiten auf den kaiserzeitlichen Senat:
Das Quellenkorpus
2.3 Theoretische Überlegungen: Der Senat als Gremium und
senatorische Kommunikationsmechanismen
2.4 Der kaiserzeitliche Senat und dessen Verfahren:
Dimensionen symbolischer Kommunikation
2.5 Ergebnisse
3. Bedingungen senatorischer Kommunikation: Der
kaiserzeitliche Senat und seine Aufgabenbereiche
3.1 Die ,Senatsopposition‘ in der frühen Kaiserzeit
3.2 Neue Aufgabenbereiche des Senats
3.2.1 Senatorische Gerichtsbarkeit
3.2.2 Magistratswahlen in der frühen Kaiserzeit
3.3 Ergebnisse
4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das
kaiserzeitliche Senatsverfahren
4.1 Senatsalltag
4.1.1 Die Organisation des senatorischen Entscheidungsprozesses:
Eine idealtypische Rekonstruktion des Senatsverfahrens
4.1.2 Senecas Apokolokyntosis: Zwischen Idealvorstellungen
und kaiserzeitlichem Senatsalltag
4.1.3 Konkurrenz und Konsens: Bedeutungsebenen des
Senatsverfahrens
4.2 Veränderungen im senatorischen Entscheidungsprozess
4.2.1 Reglementierungen senatorischer Entscheidungsprozesse
4.2.2 Diskontinuitäten: Veränderungen im Entscheidungsprozess
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Register
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Verhandeln und entscheiden: Politische Kultur im Senat der frühen Kaiserzeit
 3515113738, 9783515113731

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Simone Blochmann

Verhandeln und entscheiden Politische Kultur im Senat der frühen Kaiserzeit

Alte Geschichte Franz Steiner Verlag

Historia – Einzelschriften 245

Simone Blochmann Verhandeln und entscheiden

historia

Zeitschrift für Alte Geschichte | Revue d’histoire ancienne |

Journal of Ancient History | Rivista di storia antica

einzelschriften

Herausgegeben von Kai Brodersen, Erfurt |

Mortimer Chambers, Los Angeles | Mischa Meier, Tübingen | Bernhard Linke, Bochum | Walter Scheidel, Stanford Band 245

Simone Blochmann

Verhandeln und entscheiden Politische Kultur im Senat der frühen Kaiserzeit

Franz Steiner Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017 Druck: AZ Druck und Datentechnik, Kempten Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11373-1 (Print) ISBN 978-3-515-11377-9 (E-Book)

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort..............................................................................................................

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1. Einleitung ....................................................................................................

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats .............................................................................

17

2.1 Res publica restituta: Konzeptionen der frühen Kaiserzeit ..................

18

2.2 Zugriffsmöglichkeiten auf den kaiserzeitlichen Senat: Das Quellenkorpus .......................................................................................

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2.3 Theoretische Überlegungen: Der Senat als Gremium und senatorische Kommunikationsmechanismen................................................

40

2.4 Der kaiserzeitliche Senat und dessen Verfahren: Dimensionen symbolischer Kommunikation ...............................................

53

2.5 Ergebnisse .............................................................................................

71

3. Bedingungen senatorischer Kommunikation: Der kaiserzeitliche Senat und seine Aufgabenbereiche.......................................

75

3.1 Die ,Senatsopposition‘ in der frühen Kaiserzeit ...................................

83

3.2 Neue Aufgabenbereiche des Senats ...................................................... 105 3.2.1 Senatorische Gerichtsbarkeit ....................................................... 105 3.2.2 Magistratswahlen in der frühen Kaiserzeit .................................. 124 3.3 Ergebnisse ............................................................................................. 150 4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren ..................................................................... 153 4.1 Senatsalltag ........................................................................................... 4.1.1 Die Organisation des senatorischen Entscheidungsprozesses: Eine idealtypische Rekonstruktion des Senatsverfahrens..................... 4.1.2 Senecas Apokolokyntosis: Zwischen Idealvorstellungen und kaiserzeitlichem Senatsalltag ......................................................... 4.1.3 Konkurrenz und Konsens: Bedeutungsebenen des Senatsverfahrens ...................................................................................

153 154 160 163

6

Inhaltsverzeichnis

4.2 Veränderungen im senatorischen Entscheidungsprozess ...................... 178 4.2.1 Reglementierungen senatorischer Entscheidungsprozesse .......... 180 4.2.2 Diskontinuitäten: Veränderungen im Entscheidungsprozess ....... 207 5. Fazit ............................................................................................................. 231 Literaturverzeichnis ...................................................................................... 235 Register ......................................................................................................... 253

VORWORT Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2012 von der Philosophischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen angenommen wurde. Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Mischa Meier, der das Entstehen der Arbeit über die Jahre hinweg stets gefördert sowie wohlwollend und kritisch begleitet hat. Für die Übernahme der weiteren Gutachten danke ich Prof. Dr. Jürgen Leonhardt und Prof. Dr. Uwe Walter. Darüber hinaus gilt mein Dank PD Dr. Jan Timmer nicht nur für die Anregung zu der Beschäftigung mit dem Thema, sondern auch für zahlreiche Hinweise und konstruktive Kritik. Namentlich sei an dieser Stelle Peter Zeller, Jessica Schmeier und Lüder Hofmann herzlich für ihre Unterstützung gedankt; insbesondere sei hier auch meine Familie genannt. Außerdem sei natürlich auch all den anderen gedankt, die ich hier nicht namentlich erwähne, deren vielfältige Unterstützung beim Entstehen der Arbeit aber immer eine große Hilfe war. Prof. Dr. Kai Brodersen und den anderen Herausgebern der Historia Einzel­ schriften danke ich, dass diese Arbeit dort erscheinen kann. Tübingen, Februar 2016

Simone Blochmann

1. EINLEITUNG igitur Cn. Piso ‚quo‘ inquit ‚loco censebis, Caesar? si primus, habebo quod sequar; si post omnes, veror ne imprudens dissentiam.‘1

Am 12. Oktober des Jahres 19 v. Chr. kehrte der Sieger von Actium nach längerer Abwesenheit aus Syrien nach Rom zurück. Feierlich begleitet wurde er von einer Abordnung hochrangiger Mitglieder des Senats, die ihm bis nach Kampanien entgegengezogen war.2 In seinem Tatenbericht schildert Augustus, mit welcher Dankbarkeit seine Rückkehr nach Rom aufgenommen wurde: Der Senat habe ihm einen Tempel der Fortuna Redux gestiftet. Dieser Tempel stellte den Mittelpunkt der neu inititierten Feierlichkeiten dar, die ihm zu Ehren Augustalia genannt wurden und fortan jährlich begangen werden sollten.3 Acht Jahre zuvor hatte Augustus in einer Senatssitzung die res publica nach jahrelangen Bürgerkriegen in einem feierlichen Akt symbolisch an Senat und Volk von Rom zurückgegeben. Wie sich schnell zeigen sollte, waren die jahrzehntealten Konflikte innerhalb der Aristokratie damit aber nicht abrupt beendet; bereits vier Jahre später verdichteten sich die Spannungen in einer Kette von Ereignissen zu einer ernsthaften Krise, in deren Folge Augustus seine Herrschaft auf eine neue Grundlage stellte. Grundsätzlich waren die Probleme struktureller Art und in der Ausdifferenzierung monarchischer Formen angelegt; unmittelbarer Auslöser waren aber der Prozess gegen M. Primus und die Verschwörung des M. Varro Murena, der in diesem Jahr zusammen mit Augustus das Consulat bekleidete. Als Konsequenz der Krise legte Augustus im Juni 23 v. Chr. das Consulat, das er in diesem Jahr zum elften Mal in Folge innehatte, nieder; statt dessen wurde ihm in einer Senatssitzung die tribunicia potestas übertragen. Um den Verlust des konsularischen Rechtes der prima relatio zu kompensieren, wurde ihm außerdem unter anderem das Privileg zugestanden, sich bei der Meinungsumfrage im Senat als erster zu äußern, und das Recht gewährt, den Senat jederzeit einzuberufen.4 1 2 3

4

„Also fragte Cn. Piso: ,An welcher Stelle willst du stimmen, Caesar? Wenn als erster, weiß ich, welcher Meinung ich folgen muss; wenn nach allen anderen, dann fürchte ich, ich könnte aus Unwissenheit anderer Meinung sein.‘“ Tac. ann. 1,74,4 [übers. v. E. HEllEr]. R. Gest. div. Aug. 12: [ex senatus auctoritat]e pars [praetorum e]t tribunorum [plebis cum consule Q(uinto)] Lu[c]retio et principibus viris [ob]viam mihi mis[s]a e[st in Campan]iam, qui honos [ad ho]c tempus nemini praeter [m]e e[st decretus. (…)] R. Gest. div. Aug. 11: aram [Fortunae] Red[ucis a]nte aedes Honoris et Virtutis ad portam Cap[enam pro] red[itu me]o senatus consacravit, in qua ponti[fices et] vir[gines Ve]stal[es anni]versarium sacrificum facere [iussit eo] di[e quo, co]nsul[ibus Q(uinto) Luc]retio et [M(arco) Vi]nic[i]o, in urbem ex [Syria redieram, et diem Augustali]a ex [c]o[gnomine] nos[t] ro appellavit. Vgl. D. KiEnast, Augustus. Prinzeps und Monarch, 3., durchges. u. erw. Aufl., Darmstadt 1999, 84–92.

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1. Einleitung

In den darauf folgenden Monaten beruhigte sich die Lage in Rom allerdings nur kurzzeitig. Während sich Augustus ab 21 v. Chr. im Osten aufhielt, provozierten Probleme in der Getreideversorgung Epidemien und Hungerrevolten in der Hauptstadt. Darüber hinaus kam es in den Jahren 21 bis 19 v. Chr. zu Tumulten bei den Magistratswahlen; Agrippa, der deswegen nach Rom geschickt worden war, konnte die Situation nur bedingt beruhigen. Nach dessen Abreise brachen die Unruhen wieder aus, als der Consul C. Sentius Saturninus, der in diesem Jahr die Wahlen leitete, die – irrgeluäre – Kandidatur des M. Egnatius Rufus ablehnte. Denn bei Rufus, von dem in zeitgenössischen Quellen ein wenig schmeichelhaftes Bild gezeichnet wird, sorgte die Ablehnung seiner Kandidatur für erheblichen Unmut, der sich schließlich in gewalttätigen Reaktionen entlud.5 Augustus, den man zur Hilfe gerufen hatte, übernahm es daraufhin persönlich, einen geeigneten Kandidaten zu finden. Im Herbst 19 v. Chr. kehrte er schließlich nach Rom zurück.6 Dort angekommen, bestätigte und erweiterte der Senat in den nächsten Wochen Augustus’ herausgehobene Position durch zahlreiche weitere Rechte: Unter anderem wurde er zum Censor gewählt. In dieser Funktion begann Augustus umgehend damit, den Senat, der in der Bürgerkriegszeit von vormals 600 auf über 900 Mitglieder angewachsen war, auf seine vorherige Größe zu reduzieren. Ein Jahr später trieb er die Eingriffe in die Zusammensetzung des Senats mit der Ehegesetzgebung (lex Iulia de maritandis ordinibus und lex Iulia de adulteriis coercendis) energisch voran.7 Um die Mitgliederzahl weiter zu reduzieren, ging Augustus außerdem die Senatsliste erneut durch. Dazu hatten die Senatoren in einem komplizierten Verfahren selbst darüber zu entscheiden, wer von ihnen aus dem Senat ausschied. Beide Maßnahmen, sowohl die Ehegesetze als auch die lectio senatus, lösten scharfe Proteste auf Seiten der Aristokratie aus: Die drastische Reduzierung der Senatoren in Kombination mit dem gewählten Verfahren führte innerhalb der Aristokratie zu viel bösem Blut; Sueton berichtet in diesem Zusammenhang davon, dass sich selbst Augustus zeitweilig nur noch mit einem Brustpanzer unter der Toga in den Senat gewagt habe.8 Und auch in den kommenden Jahren zeigten sich noch die Auswirkungen. So ließ die Beteiligung an Senatssitzungen offenbar deutlich nach. Das spiegelt sich letztlich auch noch in einer Regelung des Jahres 9 v. Chr., der lex Iulia de senatu habendo, in der neben den Abläufen von Senatsverfahren ausdrücklich 5 6 7

8

Vgl. Vell. Pat. 2,91,3. Vgl. z. B. KiEnast, Augustus, 92–99. Wie genau die neuen Regelungen beschlossen wurden, lässt sich auf der Grundlage der Quellen leider nicht ganz eindeutig nachvollziehen (siehe dazu P. a. Brunt, The Role of the Senate in the Augustan Regime, in: CQ n. s. 34 (1984), 423–444, 427). Vgl. die sehr guten Darstellungen und Diskussionen der augusteischen Ehegesetzgebung bei K. GalinsKy, Augustan Culture. An Interpretive Introduction, Princeton 1996, 128–140 (auch zur Zusammensetzung des Senats in augusteischer Zeit); a. WallacE-Hadrill, Family and Inheritance in the Augustan MarriageLaws, in: PCPhS 207 (1981), 58–80; A. MEttE-dittMann, Die Ehegesetze des Augustus. Eine Untersuchung im Rahmen der Gesellschaftspolitik des Princeps, Stuttgart 1991; E. BaltruscH, Regimen morum. Die Reglementierung des Privatlebens der Senatoren und Ritter in der römischen Republik und frühen Kaiserzeit, München 1989. Siehe außerdem Kap. 4.2.1. Vgl. Suet. Aug. 35,2.

1. Einleitung

11

auch die Anwesenheit von Senatoren geregelt wurde.9 Ähnliches gilt für die Ehegesetze, deren Wirksamkeit im folgenden Jahr anlässlich der Saecularspiele in einem inschriftlich überlieferten Senatsbeschluss, den senatus consulta ludis saeculari­ bus, feierlich bestätigt wurde: a. d. X k. Iun. (…) quod C. Silanus [co(?)]s v. f. ludos saecularis post complur[es annos (…)] (…) [q. d. e. r. f. p., d. e. r. i. c., ut quoniam ludi ei] religio[nis] causa sun]t in[stituti, neque ultra quam semel ulli mo[rtalium eos spectare licet, ludos] quos [m]ag. XV vir. s. f. [ed]ent s. f. s. spectare liceat ieis lege de marita]ndis ordinibus tenentur. „Am 10. Tag vor den Kalenden des Juni [23. Mai], als (der Consul?) C. Silanus sagte, dass die Saecularspiele nach vielen Jahren [in diesem Jahr] stattfinden würden (…), was in dieser Sache getan werden sollte, hat der Senat diesbezüglich Folgendes beschlossen: Da diese Spiele] aus religiösen Gründen eingerichtet wurden, ist es keinem Sterblichen erlaubt, diese Spiele mehr als einmal zu sehen; die Vorsteher der quindecemviri in religiösen Angelegenheiten geben die Erlaubnis, diese zu sehen, denen, die von dem Gesetz über die heiratsfähigen ordines gebunden sind.“10

Den umstrittenen Regelungen wird damit per Senatsbeschluss ausdrücklich noch einmal ihre Gültigkeit bestätigt, auch wenn die Proteste damit keinesfalls endgültig beruhigt waren; scharfe Proteste provozierte noch die lex Papia Poppaea des Jahres 9 n. Chr., in der die augusteische Ehegesetzgebung nach jahrelangen Diskussionen und zahlreichen Modifikationen ihren Abschluss fand. Das Ausmaß der Kritik, wie es die literarischen Quellen dokumentieren,11 verschwindet in der Veröffentlichung des Senatsbeschlusses anlässlich der Festlichkeiten aber erst einmal hinter der Eindeutigkeit und Einigkeit, die hier darstellt wird. Ebenso verschwindet hinter den formelhaften Formulierungen, wie dieser Beschluss zustande kam. Die augusteische Zeit ist – wie der kurze Überblick gezeigt hat – in den Quellen vergleichsweise dicht dokumentiert; gleiches gilt für den Ausbau der kaiserlichen Position. Die Sonderrolle des Kaisers spiegelt sich in den zahl- und umfangreichen Privilegien und Rechten, die Augustus über die Jahrzehnte sukzessive vom Senat übertragen wurden.12 Der Princeps erscheint dabei nicht nur konkurrenzlos, sondern auch als der einzige, dem es gelingt, die immer wieder aufflammenden Konflikte innerhalb der Aristokratie beizulegen. Wichtig ist dabei vor allem, dass sich die Eingriffe von kaiserlicher Seite nicht auf akute Krisensituationen beschränkten. Sie waren vielmehr auch struktureller Art: in die Zusammensetzung der Aristokratie, aber auch in den Senat als Gremium. Im Senat scheint die Rolle des Kaisers klar, und die Worte, in denen Tacitus zufolge der Consular Cn. Piso Tiberius gefragt haben soll, an welcher Stelle dieser denn abzustimmen gedenke, damit sich der Senator daran orientieren könne, formulieren ungewöhnlich offen, worüber sonst nicht gesprochen wurde: die konkurrenzlose Autorität des Kaisers.13 Der gesamte 9 10 11 12 13

Vgl. dazu Kap. 4.2.1. CIL 6,32323, Z. 50–57. Vgl. Suet. Aug. 34; Cass. Dio 54,16; Tac. ann. 3,25–28. Vgl. dazu Brunt, 428–431; KiEnast, Augustus, 67–125. Vgl. zu den Regeln, denen die Kommunikation zwischen Aristokratie und Kaiser im Principat unterworfen war („doppelbödige Kommunikation“): A. WintErlinG, Caligula. Eine Biographie, München 2003, 15–19; siehe auch Kap. 3.1.

12

1. Einleitung

Sitzungsverlauf orientiert sich demnach am Kaiser als Akteur.14 Mit Blick auf die Rolle des Kaisers scheint dieser Senat mit dem Gremium in republikanischer Zeit nicht mehr viel gemeinsam zu haben. Unklar bleibt damit allerdings, warum es dann, wie im oben angeführten Beispiel, offenbar trotzdem wichtig war, mit einem Senatsbeschluss ausdrücklich noch einmal die Gültigkeit von Gesetzen zu bestätigen und warum sich auch Horaz beispielsweise im carmen saeculare in eben diesem Zusammenhang mit den Ehegesetzen explizit auf die decreta patrum als Autorität beruft.15 Es stellt sich also die Frage, welche Rolle der Senat unter den veränderten Bedingungen im Principat spielte. Die Frage stellt sich unmittelbar, sobald man die Perspektive wechselt und nicht mehr nur auf den Kaiser blickt. Das Bild erscheint dann erst einmal paradox, weil der kaiserzeitliche Senat als Gremium außerordentlich aktiv war: Seine Aufgabenbereiche wurden schon in augusteischer und tiberischer Zeit sukzessive erweitert. Der Senat übernahm seitdem eine zentrale Rolle als Ort gerichtlicher Entscheidungen. Klagen de repetundis, aber vor allem auch de maiestate und mit den augusteischen Ehegesetzen auch de adulteriis konnten damit im Senat verhandelt werden. Dazu kommt, dass im Jahr 14 n. Chr. die Magistratswahlen von den Comitien in den Senat verlegt wurden. Diese neuen Aufgaben bestimmten in der frühen Kaiserzeit in nicht unerheblichem Maße die Tätigkeit des Gremiums.16 Ein dezidiert kaiserzeitliches Phänomen ist es auch, dass der Senat nach außen verstärkt durch die Verleihung von Ehrungen sichtbar war und von den Comitien legislative Aufgaben übernahm, so dass Senatsbeschlüsse vermehrt als Gesetze zitiert wurden.17 Als Gremium, so lassen die unterschiedlichen Tätigkeiten erkennen, war der Senat also weiterhin unverzichtbar. Gleichzeitig wurde das politische Feld damit entscheidend umstrukturiert. Zwei Entwicklungen sind dabei besonders auffällig: Zum einen übernahm der Senat zentrale Aufgaben der Comitien. Das wiederum hatte unmittelbare Auswirkungen nicht nur auf etablierte Entscheidungsprozesse, sondern auch auf die Kommunikationsmechanismen zwischen Aristokratie und plebs urbana. Zum anderen übernahm der Senat Aufgaben, die möglicherweise vorher bewusst aus dem unmittelbaren Zuständigkeitsbereich der Aristokratie ausgelagert waren oder deren Auslagerung zumindest funktional war, weil die Aristokratie auf diese Weise nicht über die Zukunft ihrer Standesgenossen entscheiden musste, wie es bei der Gerichtstätigkeit und den Wahlen der Fall war. Die Frage, die in der vorliegenden Arbeit untersucht werden soll, ist, wie der Senat der frühen Kaiserzeit funktionierte, wie das Gremium unter diesen veränderten Bedingungen Entscheidungen traf. Mit der Fragestellung der Arbeit sind einige Probleme verbunden, die im weiteren Verlauf noch genauer diskutiert werden, an

14 15 16 17

Für die Rechte des Kaisers im Senat vgl. die lex de imperio Vespasiani (CIL 6,930=ILS 244). Vgl. Hor. carm. saec. 17 f. Vgl. dazu Kap. 3.2.2 und 3.2.3. Vgl. zum augusteischen Senat auch Brunt, Role of the Senate, bes. 428 (dort auch ein Überblick über die rege und vielseitige Aktivität des Senats). Vgl. dazu r. J. a. talBErt, The Senate of Imperial Rome, Princeton 1984, 341–487; F. Millar, The Emperor in the Roman World (31 B. C.-A. D. 337), 2. Aufl., London 1992; G. roWE, Princes and Political Cultures. The New Tiberian Senatorial Decrees, Ann Arbor 2005, 41–66.

1. Einleitung

13

dieser Stelle aber zumindest umrissen seien:18 Erstens ist zu klären, welches Verständnis von der frühen Kaiserzeit der Analyse zugrunde gelegt wird. Wichtig ist das, weil davon die Perspektive auf den Senat und die Art der Fragen, die man an das Thema stellt, in hohem Maße abhängig sind. Nach einem Erosionsprozess des politischen Systems und den damit einhergehenden Verschiebungen im gesellschaftlichen Gefüge im ersten vorchristlichen Jahrhundert wird die augusteische res pu­ blica restituta üblicherweise als Fundierung neuer Strukturen und damit zumindest implizit als Abschluss dieser Entwicklung gesehen.19 Diese Sichtweise ist durchaus berechtigt, zumal sie bereits in der Wahrnehmung der Zeitgenossen, die sich besonders eindrücklich über die Literatur der augusteischen Zeit erschließen lässt, ihre Grundlage findet.20 Darüber hinaus haben wissenschaftliche Studien dieses Bild grundsätzlich untermauern können. Der Senat erscheint in dieser ,wiederhergestellten‘ Republik – scheinbar ohne das Konfrontationspotential der späten Republik – vor allem als Konsensorgan. Problematisch ist allerdings, dass die spezifischen Mechanismen des senatorischen Verfahrens damit schnell aus dem Fokus geraten. Für die späte Republik ist die Quellenlage in dieser Hinsicht vergleichsweise gut. Hier kann man beispielsweise auf die Schriften Sallusts, das umfangreiche Schriftkorpus Ciceros oder die bei Gellius fragmentarisch überlieferten Kompilationen von Verfahrensabläufen eines Varro zurückgreifen. Für die frühe Kaiserzeit ist der Zugang, bedingt durch die Quellenlage, nicht ganz so einfach – aber trotzdem möglich. Die Frage nach den Funktionsmechanismen des Senats rückt außerdem gerade mit dem Blick auf die Prozesshaftigkeit von sich ausdifferenzierenden monarchischen Formen in der frühen Kaiserzeit wieder stärker in den Mittelpunkt. Zweitens stellt sich die Frage, wie der Senat als Gremium überhaupt analysierbar ist. Dafür gilt es die Frage nach den Funktionsmechanismen des Senats in der frühen Kaiserzeit zu operationalisieren. Grundsätzlich soll ,Funktion‘ nicht im engen Sinn als Kompetenz oder Kompetenzbereich verstanden werden – zumal für den kaiserzeitlichen Senat dafür die immer noch grundlegende Studie von r. talBErt bereits einen wichtigen Ausgangspunkt darstellt. Vielmehr soll es darum gehen, ein weiteres Verständnis zugrunde zu legen. Im Anschluss an Ansätze einer politischen Kulturgeschichte erscheint es sinnvoll, zwei verschiedene Dimensionen voneinander zu unterscheiden. Ausgearbeitet an vormodernen Verfahrensordnungen wird daher grundsätzlich zwischen einer instrumentellen und einer symbolischen Dimension unterschieden.21 Dem Ansatz liegt zugrunde, dass vormoderne 18 19 20

21

Vgl. v. a. Kap. 2. Dazu Kap. 2.1 / bes. S. 22 f. Zitiert seien hier nur exemplarisch die berühmten Worte, mit denen Tacitus seine Annales beginnt: urbem Romam a principio reges habuere; libertatem et consulatum L. Brutus instituit. dictaturae ad tempus sumebantur; neque decemviralis potestas ultra biennium neque tribu­ norum militum consulare ius diu valuit. non Cinnae, non Sullae longa dominatio; et Pompei Crassique potentia sito in Caesarem, Lepidi atque Antonii arma in Augustum cessere, qui cuncta discordiis civilibus fessa nomine principis sub imperium accepit (Tac. ann. 1,1). Vgl. dazu Kap. 2.1. Dazu B. stollBErG-rilinGEr, Einleitung, in: Dies. (Hg.), Vormoderne politische Verfahren, Berlin 2001, 9–24, 11 f.; 20; diEs., Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe – Thesen – Forschungsperspektiven, in: ZHF 31 (2004), 489–527, 505.

14

1. Einleitung

Gemeinschaften durch ein charakteristisches Ineinandergreifen politischer und gesellschaftlicher Strukturen gekennzeichnet sind.22 Die spezifischen Verfahrenslogiken lassen sich daher nicht ohne Kontextualisierung – und vor allem nicht ohne Rückbindung an die gesellschaftlichen Strukturen – analysieren.23 Dazu gehört im kaiserzeitlichen Kontext, dass sich die Rahmenbedingungen grundsätzlich verändert hatten. Untersuchungen zum Senat beziehen das zwar ein, setzen das Wissen aber in der Regel als Selbstverständlichkeit voraus, ohne die damit verbundenen Probleme zu diskutieren und eine solche Herangehensweise zu problematisieren. Allein die lange Zeit intensiv diskutierte Frage, wie sich der Principat überhaupt beschreiben lasse, sollte in dieser Hinsicht aber schon zur Vorsicht mahnen.24 Drittens schließt sich an diese Überlegungen die Frage an, was im Rahmen dieser Arbeit nicht untersucht wird. Mit dem Gremium Senat konzentriert man sich auf eine vergleichsweise überschaubare Gruppe von Akteuren. Was man damit nicht untersucht, sind die kommunikativen Rahmenbedingungen und die Formen der Habitusbildung, die entscheidend außerhalb institutioneller Arrangements geprägt wurden.25 Die weitreichenden und komplexen Kommunikations- und Verständigungsprozesse außerhalb des Senats bleiben hier weitgehend unberücksichtigt, sind für die Kaiserzeit jedoch in Form von Studien zum kaiserzeitlichen Patronagesystem immerhin gut untersucht.26 Mit dieser Schwerpunktsetzung geraten zwangsläufig auch jene informellen Routinen des Konfliktaustrags aus dem Blick, die in der Republik zum Teil noch so spektakulär und offensichtlich versagt hatten, weil keine alternativen Optionen zur Verfügung standen. Als strukturelle Voraussetzung, um Konflikte auch später im Senat zu lösen, sind diese auch für die Kaiserzeit immer einzubeziehen, können hier aber nicht weiter thematisiert werden.27

22 23

24 25

26

27

Vgl. stollBErG-rilinGEr, Einleitung, 15. Für die Kaiserzeit sind solche Ansätze zumindest in methodischer Hinsicht gut ausgearbeitet: Vgl. dazu grundlegend R. rilinGEr, Moderne und zeitgenössische Vorstellungen von der Gesellschaftsordnung der römischen Kaiserzeit, in: Saeculum 36 (1985), 299–325; A. WintErlinG, ,Staat‘, ,Gesellschaft‘ und politische Integration in der römischen Kaiserzeit, in: Klio 83 (2001), 93–112; dErs., Zu Theorie und Methode einer neuen Römischen Kaisergeschichte, in: Ders. (Hg.), Zwischen Strukturgeschichte und Biographie. Probleme und Perspektiven einer neuen Römischen Kaisergeschichte 31 v. Chr.–192 n. Chr., München 2011, 1–11. Zur Umsetzung vgl. beispielsweise F. GoldBEcK, Salutationes. Die Morgenbegrüßungen in Rom in der Republik und der frühen Kaiserzeit, Berlin 2010. Für eine Diskussion dieses Sachverhalts insbes. Kap. 2.1. Vgl. beispielsweise P. scHolz, Den Vätern folgen. Erziehung und Sozialisation der republikanischen Senatsaristokratie, Frankfurt a. M. 2011; U. WaltEr, Struktur, Zufall, Kontingenz? Überlegungen zum Ende der römischen Republik, in: K.-J. Hölkeskamp (Hg.), Eine politische Kultur (in) der Krise? Die „letzte Generation“ der römischen Republik, München 2009, 27–51, 49 f.; J. tiMMEr, Altersgrenzen politischer Partizipation in antiken Gesellschaften, Berlin 2008. Vgl. GoldBEcK, Salutationes, 246 ff.; 277 ff.; siehe außerdem J. WolKEnHauEr, Senecas Schrift De beneficiis und der Wandel im römischen Benefizienwesen, Göttingen 2014; J. GEistHardt, Zwischen Princeps und Res Publica. Tacitus, Plinius und die senatorische Selbstdarstellung in der hohen Kaiserzeit, Stuttgart 2015. Vgl. dazu A. WintErlinG, Freundschaft und Klientel im kaiserzeitlichen Rom, in: Historia 57 (2008), 298–316; M. t. GriFFin, De Beneficiis and Roman Society, in: JRS 93 (2003), 92–113.

1. Einleitung

15

Mit den sozialen Beziehungsnetzen ist viertens eng die Frage verbunden, welche Rolle der Kaiser in dieser Abeit spielt. Dieser stellt für die Analyse und die Darstellung des senatorischen Verfahrens in der frühen Kaiserzeit sicher ein zentrales Problem dar. Die explizite Fokussierung auf den Senat und die Analyse von dessen Verfahrensstrukturen bedeutet zunächst, sich weitgehend auf formalisierte Strukturen zu konzentrieren. Das hat den Vorteil, auf den Senat jenseits der schon in den zeitgenössischen Quellen aufgemachten Dichotomie zwischen Kaiser und Senatsaristokratie zugreifen zu können. Letztlich kann man erst damit nach den Kommunikationsmechanismen fragen, die für diese Konstruktion in der Regel bereits vorausgesetzt werden – ohne diese allerdings zu explizieren. Außerdem bringt ein solcher Ansatz mit sich, dass informelle Einflussmöglichkeiten in den Hintergrund gedrängt werden, zumal es primär darum gehen soll, das Funktionieren der Kommunikationsmechanismen im Senat – über das Handeln konkreter Akteure hinaus – zu untersuchen.28 Für den Kaiser und dessen Kontrollmöglichkeiten bedeutet das, ihn in die Analyse nur insoweit einzubeziehen, wie er als Akteur innerhalb formalisierter Verfahrensstrukturen auftritt oder als Zentrum der Kommunikation theoretisch reflektiert wird.29 Die vorliegende Arbeit gliedert sich in drei Teile: Im ersten Teil (Kap. 2) wird es darum gehen, grundsätzliche methodische Probleme zu diskutieren, mit denen sich die oben aufgeworfenen Fragen konfrontiert sehen. Zum einen betrifft dies den Umgang mit der frühen Kaiserzeit in der Forschung und deren Ergebnissen. Das erscheint vor allem notwendig, weil Studien, die die umfangreiche Forschungstradition zu diesem Thema sondieren, bisher weitgehend fehlen und auch Überblicksdarstellungen zur Kaiserzeit sich damit kaum oder gar nicht auseinandersetzen.30 Notwendig erscheint es auch, zumal in den letzten Jahren die Konsequenzen, die sich aus dem komplexen und oft nicht reflektierten Wechselverhältnis zwischen kaiserzeitlichen Quellen, Forschungstradition und konkreten Entwürfen des Principats ergeben, immer wieder aufgezeigt werden konnten. Zum anderen wird zu diskutieren sein, wie sich eine Studie zum kaiserzeitlichen Senat darin verorten und wie sich diese vor allem konkret gestalten lässt. Es wird also darum gehen, die Rahmenbedingungen für die weitere Analyse zu entwerfen. Notwendig erscheinen solche Überlegungen wiederum, weil die antiken Quellen über den Senat und seine Mitglieder meistens in anderer Form reflektieren. Eine Analyse des Gremiums kann sich an solchen Darstellungen daher nur bedingt orientieren. Im zweiten Teil (Kap. 3) wird es zunächst um die Frage gehen, ob und wie sich die zeitgenössischen Autoren mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen Kaiser und Senatsaristokratie auseinandersetzen und wie sie dieses konzipieren. Dabei wird es auch darum gehen, zeitgenössische theoretische Entwürfe zu untersuchen, 28 29 30

Vgl. dazu auch stollBErG-rilinGEr, Symbolische Kommunikation, 494 f. Vgl. zu den Patronagebeziehungen etwa r. P. sallEr, Personal Patronage under the Early Empire, Cambridge 1982; dErs., Patronage and Friendship in Early Imperial Rome. Drawing the Distinction, in: A. Wallace-Hadrill (Hg.), Patronage in Ancient Society, London 1989, 49–62. Vgl. z. B. K. cHrist, Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Augustus bis Konstantin, 3., durchges. u. erw. Aufl., München 1995; W. daHlHEiM, Geschichte der römischen Kaiserzeit, 2., überarb. u. erw. Aufl., München 1989.

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1. Einleitung

die von der kaiserzeitlichen Praxis abstrahierend versuchen, die erlebte Komplexität der soziopolitischen Strukturen tatsächlich auszuformulieren. Vor diesem Hintergrund sollen dann die spezifischen Bedingungen für die Kommunikation im Senat der frühen Kaiserzeit herausgearbeitet werden. Es ist in der Forschung immer wieder herausgestellt worden, wie sich mit der zunehmenden Institutionalisierung monarchischer Strukturen seit augusteischer Zeit die Rahmenbedingungen für das Verhältnis zwischen Princeps und Senatsaristokratie grundlegend veränderten. Mit dem Fokus auf den Senat führten auf formaler Ebene vor allem die Verlegung der Magistratswahlen von den Volksversammlungen in den Senat und die senatorische Gerichtsbarkeit dazu, dass sich der kaiserzeitliche Senat mit völlig veränderten Bedingungen konfrontiert sah. Es wird daher zu prüfen sein, wie sich solche Veränderungen auf das Funktionieren der Kommunikationsmechanismen in dem Gremium auswirkten. Grundsätzlich wird in dem Kapitel zwischen zwei Ebenen unterschieden: Zum einen lässt sich nachvollziehen, wie auf theoretisch-abstrahierender Ebene zunehmend versucht wurde, das Verhältnis zwischen Kaiser und Aristokratie genauer zu bestimmen (Kap. 3.1). Zum anderen lässt sich aufzeigen, wie sich solche Reflektionen systematisch in Unsicherheiten über die Kommunikationsmechanismen im kaiserzeitlichen Senat einordnen (Kap. 3.2 und 3.3). Schließlich wird im dritten Teil (Kap. 4) das alltägliche Senatsverfahren untersucht. Es gilt dabei der Frage nachzugehen, wie der Senatsalltag auch jenseits der spektakulären Fälle organisiert war und wie sich die neuen Rahmenbedingungen auf die senatorischen Kommunikationsmechanismen innerhalb des formalen Rahmens von Senatssitzungen auswirkten. Dazu sollen die formalen Verfahrensstrukturen, die den Entscheidungsfindungsprozess im Senat strukturierten, sowohl rekonstruiert als auch deren verschiedene Dimensionen analysiert werden. Darüber hinaus stellt sich im Zusammenhang mit der Untersuchung von Struktur und Funktion des senatorischen Entscheidungsfindungsprozesses die Frage, ob dieser im Verlauf der frühen Kaiserzeit ebenso Veränderungen unterworfen war, wie das in der althistorischen Forschung anhand des Institutionalisierungsprozesses monarchischer Strukturen nahegelegt wurde.

2. METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN ZUR UNTERSUCHUNG DES KAISERZEITLICHEN SENATS Eine Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats bringt einige Schwierigkeiten mit sich, die um das Problem kreisen, was den Senat als Gremium kennzeichnet. Als Untersuchungsgegenstand ist der Senat der Kaiserzeit seit der grundlegenden Studie von r. talBErt aus dem Jahr 1984 weitgehend aus dem unmittelbaren Fokus des Forschungsinteresses gerückt.1 Zugunsten der Zielsetzung, Verfahren und Funktionen des römischen Senats in einem weitgesteckten Zeitraum zwischen den Jahren 30 v. Chr. und 238 n. Chr. nachzugehen, blendet Talbert die historischen Rahmenbedingungen zwangsläufig zu großen Teilen aus. Für das Verständnis des Senats in einem völlig neuen, monarchischen Kontext sind diese aber keineswegs unerheblich. Daher stellt sich erstens die Frage, wie sich die Kaiserzeit überhaupt konzipieren lässt, bevor man den Senat darin einordnet. Gerade im Hinblick auf die lange Zeit polarisierende Forschungsdebatte um den Charakter des Principats ist ein kurzer Überblick erforderlich.2 Zweitens ist zu klären, worauf sich eine Untersuchung speziell des Senats stützen kann. Drittens wird es schließlich darum gehen, wie eine Analyse des kaiserzeitlichen Senats konkret umgesetzt werden kann.3

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Unter den zahlreichen Studien, die davor den Senat – meist speziell unter einzelnen Herrschern – zum Gegenstand hatten, siehe z. B. T. A. aBElE, Der Senat unter Augustus, Paderborn 1907, ND New York 1967; Brunt, Role of the Senate; B. GrEnzHEusEr, Kaiser und Senat in der Zeit von Nero bis Nerva, Münster 1964; B. J. JonEs, Domitian’s Attitude to the Senate, in: AJPh 94 (1973), 79–91; E. KornEMann, Der Prinzipat des Tiberius und der Genius Senatus, München 1947; W. K. lacEy, Augustus and the Senate, 23 B. C., in: Antichthon 19 (1985), 57–67; P. sattlEr, Augustus und der Senat. Untersuchungen zur römischen Innenpolitik zwischen 30 und 17 v. Chr., Göttingen 1960. Für jene Untersuchungen, denen explizit ein prosopographischer Zugang zugrunde liegt, vgl. Kap. 2.1 / S. 28–33; zur ,Opposition‘ vgl. Kap. 3.2. Die umfangreiche Forschung zum Principat ist bisher kaum systematisiert worden. Einen guten ersten Überblick liefert aber WintErlinG, ,Staat‘; zuletzt auch dErs., Theorie und Methode, 1–11. Für einen Überblick über die Forschung zur kaiserzeitlichen Aristokratie zuletzt EicH, Aristokratie und Monarchie, 125–151. Siehe dazu Kap. 2.3. Die Systematik orientiert sich dabei bewusst und ausschließlich an diesem Interesse. Es sei an dieser Stelle daher gesagt, dass es nicht das Ziel der folgenden Ausführungen sein soll, die Forschungslandschaft zur Kaiserzeit in vollem Umfang zu sondieren, sondern lediglich Grundzüge zu skizzieren, soweit sie für die vorliegende Arbeit von Interesse sind.

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

2.1 RES PUBLICA RESTITUTA: KONZEPTIONEN DER FRÜHEN KAISERZEIT Der augusteische Principat und die „römische Revolution“: Zwischen Republik und Monarchie Die zeitliche Eingrenzung der Untersuchung auf die Zeit ab Augustus ist mit einigen Vorentscheidungen verbunden, die hier in ihren Grundzügen skizziert werden sollen, weil sie die Frage nach der Konzeption des Principats unmittelbar betreffen. Für die Forschung zum Principat erwies sich der 1997 erschienene Sammelband The Roman Cultural Revolution von t. HaBinEK und a. scHiEsaro als richtungsweisend. Die Fragen, die darin aufgeworfen wurden, haben in den letzten Jahren zahlreiche, insbesondere auf die augusteische Zeit fokussierte Detailstudien hervorgebracht.4 In Arbeiten, die sich mit einem größeren Zeitraum beschäftigen, sind vergleichbare Fragen bisher allerdings kaum systematisch untersucht worden. Statt dessen dominieren Untersuchungen, die sich mit den einzelnen Kaisern beziehungsweise deren Regierungszeit beschäftigen. Größere strukturelle Zusammenhänge werden bei solchen Ansätzen zwangsläufig in den Hintergrund gedrängt.5 Eine Ausnahme stellen beispielsweise Studien zu den Flaviern dar, die in den vergangenen Jahren wieder stärker in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses gerückt sind. In der Regel als dynastische Einheit behandelt, werden dort die Veränderungen und Besonderheiten des Zeitraums auf unterschiedlichen Ebenen untersucht.6 Erklären lässt sich die Abkehr von der Frage nach den Konzeptionsmöglichkeiten des Principats damit, dass die Diskussionen lange Zeit vor allem von den zwei sehr unterschiedlichen Herangehensweisen von t. MoMMsEn und r. syME geprägt waren.7 In dem zwischen 1871 und 1888 in fünf Teilbänden erschienenen Römische[n] Staatsrecht formuliert MoMMsEn den Anspruch, die römischen Insti4

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Grundlegend dazu die Beiträge in t. HaBinEK / a. scHiEsaro (HGG.), The Roman Cultural Revolution, Cambridge 1997. Vgl. dazu u. a. die Arbeiten von A. Wallace-Hadrill. Dazu r. osBornE / c. Vout, Rez. A. Wallace-Hadrill, Rome’s Cultural Revolution, Cambridge 2008, in: JRS 100 (2010), 233–245. Dazu sei hier lediglich auf eine Auswahl von Biographien verwiesen: KiEnast, Augustus; B. M. lEVicK, Tiberius the Politician, London 1999; R. sEaGEr, Tiberius, London 1972; D. C. A. sHottEr, Tiberius Caesar, London York 1992; a. a. BarrEtt, Caligula. The Corruption of Power, London 1989; B. M. lEVicK, Claudius, New Haven (Conn.) 1990; M. T. GriFFin, Nero. The End of a Dynasty, London 1984. Zur Kritik an der Aufspaltung in strukturgeschichtliche und biographische Forschung pointiert A. WintErlinG, Zu Theorie und Methode einer neuen Römischen Kaisergeschichte, in: Ders. (Hg.), Zwischen Strukturgeschichte und Biographie. Probleme und Perspektiven einer neuen Römischen Kaisergeschichte 31 v. Chr.–192 n. Chr., München 2011, 1–11, 3 f. Siehe beispielsweise a. J. BoylE / W. J. doMiniK (HGG.), Flavian Rome. Culture, Image, Text, Leiden 2003 oder aus archäologischer Sicht R. darWall-sMitH, Emperors and Architecture. A Study of Flavian Rome, Brüssel 1996. Aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive ist das gut aufgearbeitet: vgl. v. a. die Beiträge in W. niPPEl / B. sEidEnsticKEr (HGG.), Theodor Mommsens langer Schatten. Das römische Staatsrecht als bleibende Herausforderung für die Forschung, Hildesheim 2005; außerdem auch WintErlinG, ,Staat‘.

2.1 Res publica restituta: Konzeptionen der frühen Kaiserzeit

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tutionen in ihrer Struktur, ihrer Entstehung und praktischen Bedeutung zu erfassen. Diese sollen in ihrer Besonderheit und in ihrer Beziehung zum ganzen System dargestellt werden, mit dem Ziel, die strukturierenden Prinzipien des römischen ,Staates‘ zu ermitteln. Die historische Dimension ist damit dezidiert nicht der Untersuchungsgegenstand.8 In der Darstellung macht Mommsen ihr aber trotzdem immer wieder Zugeständnisse, indem er die Prozesshaftigkeit und historische Entwicklung nicht ausblendet, sondern beispielsweise in Einzelstudien in seine Darstellung einfügt. Der Notwendigkeit, die soziopolitischen Strukturen auch für seine Darstellung zu berücksichtigen, ist er sich durchaus bewusst.9 Für den Principat hat diese Konzeption eines Römischen Staatsrechts unmittelbare Konsequenzen. Seine Dyarchiethese, der im Staatsrecht ein zentraler Stellenwert bei der Beschreibung des „souveränen Senats des Principats“10 zukommt, konnte Mommsen letztlich erst vor diesem Hintergrund ausarbeiten.11 Dafür geht er von der Frage aus, wie sich der Principat in eine verfassungsrechtliche Tradition der res publica integrieren lasse. Auf diese Weise versucht Mommsen der augusteischen res publica restituta methodisch gerecht zu werden. Unklar ist dabei vor allem, welche Rolle dem kaiserzeitlichen Senat, den er mit scheinbar paradoxen Charakteristika belegt, zukommt.12 Um ihn im Kontext der kaiserzeitlichen Strukturen beschreiben zu können, unterscheidet Mommsen deshalb zwischen Recht/„rechtlich“ und Macht/„praktisch“ zwei Ebenen. Im Gegensatz zur machtpolitischen Ebene, auf der der kaiserzeitliche Senat meist nur noch über vergleichsweise geringfü8 9

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MoMMsEn, StR 1, viii; S. rEBEnicH, Theodor Mommsen. Eine Biographie, München 2002, 108 zum Verständnis Mommsens bzgl. der Aufgaben einer „historischen Rechtswissenschaft“. Vgl. A. WintErlinG, Dyarchie in der römischen Kaiserzeit. Vorschlag zur Wiederaufnahme der Diskussion, in: W. Nippel / B. Seidensticker (Hgg.), Theodor Mommsens langer Schatten. Das römischen Staatsrechts als bleibende Herausforderung für die Forschung, Hildesheim 2005, 177–198, 196. Vgl. MoMMsEn, StR 3.2, 1252–1271. „Immer aber ist die Machtstellung des neuen Princeps so beschaffen, dass die neue Ordnung staatsrechtlich keineswegs als Monarchie, auch nicht als beschränkte, bezeichnet werden darf. Die Bezeichnung als Dyarchie, das heisst als eine zwischen dem Senat einer- und dem Princeps als dem Vertrauensmann der Gemeinde andrerseits ein für allemal getheilte Herrschaft, würde das Wesen dieser merkwürdigen Institution zutreffender ausdrücken.“ (MoMMsEn, StR 2.2, 748). „Der Principat hat einerseits die Substituirung des Senats als des Trägers der souveränen Gewalt anstatt der Bürgerschaft vollendet, andrerseits die neue souveräne Behörde, den senatus populusque Romanus vollständiger und dauerhafter lahmgelegt als der Senat der Republik die Comitien (…).“ (MoMMsEn, StR 3.2, 1271). Der Senat als Verkörperung der gesammelten politischen Erfahrung und religiösen Autorität wurde auf diese Weise, gefestigt durch die erfolgreichen Eroberungen Italiens und der Mittelmeerwelt, zum konkurrenzlosen Zentrum politischer Entscheidungen. Trotzdem ist die Frage, welchen Stellenwert der Senat für die soziopolitische Organisation der res publica überhaupt einnahm, damit eben noch keineswegs eindeutig erklärbar. So räumt Mommsen ein, dass das Gremium durch seine „ebenso eminente und effective wie unbestimmte und formell unfundirte Machtstellung (…) Rom und durch Rom die Welt regiert[e]“. (MoMMsEn, StR 3.1, 1022 u. 1033). Letztlich gesteht er sich damit selbst ein, in Bezug auf den Senat mit „ungewöhnlichen Schwierigkeiten“ konfrontiert zu sein, da das Gremium in seinem „Wirkungskreis“ keine mit abstrakten rechtlichen Kategorien zu fassende Institution darstellte (vgl. EBd., 1025 f.; 1034).

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

gige Angelegenheiten zu entscheiden gehabt habe, basiert seine staatsrechtliche Rekonstruktion des kaiserzeitlichen Senats im Wesentlichen auf den senatorischen Befugnissen in Gesetzgebung, Prozessfragen und der Wahl der ordentlichen Magistrate. Diese kamen dem Senat spätestens seit tiberischer Zeit zu. Mommsen zufolge machten diese Aufgaben maßgeblich die „souveräne Staatsgewalt“ aus.13 Die Legitimität des Senats beruht demzufolge auf konkreten politischen Funktionen innerhalb der anerkannten Ordnung. Demgegenüber leite der Princeps seine Stellung als eine „durch die rechtlich permanente Revolution temperirte Autokratie“14 aus einer prekären Gewaltsamkeit ab.15 Das Römische Staatsrecht Mommsens ist vor dem Hintergrund der Forschungsinteressen des 19. Jahrhunderts entstanden. Trotzdem ist seine Konzeption des Principats durchaus anschlussfähig. In der Dyarchiethese findet sich widergespiegelt, dass sich die politischen Strukturen der Kaiserzeit letztlich erst aus den Wechselwirkungen von politischen Organisationsstrukturen und gesellschaftlicher Rangordnung erklären lassen. Mommsen versucht also nicht allein eine ,staatsrechtliche Realität‘ einzufangen, sondern ist immer bemüht, gerade auch dem Spezifischen der ,kaiserzeitlichen Realität‘ gerecht zu werden. Das gilt für das Abstraktionsniveau auf theoretisch-methodischer Ebene; es gilt aber auch für die konkrete Nutzbarkeit der Ergebnisse für die Untersuchung des Senats und seines Verfahrens auf der Basis einer umfangreichen Auswertung des kaiserzeitlichen Quellenmaterials.16 Das 1939 veröffentlichte Werk The Roman Revolution17 von r. syME lässt sich als Gegenentwurf zur Principatskonzeption Mommsens lesen. Auch wenn Syme sich mit Mommsen nicht explizit auseinandersetzt, ist die Auseinandersetzung schon seinem Erkenntnisinteresse immanent. Syme konzentriert sich auf die Frage, wie die Machtgewinnung und -behauptung Octavians im Bürgerkrieg erklärbar ist, und untersucht die Transformation von „state and society at Rome between 60 B. C. and A. D. 14“.18 Die Transformation, so die zentrale These Symes, habe darin be13 14 15 16

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MoMMsEn, StR. 3.2, 1262 ff.: Seine Stellung als „legitim und ewig“ aktualisiere sich schließlich vor allem in Krisensituationen, in denen es allein dem Senat zukam, „der öffentlichen Meinung Ausdruck zu verleihen.“ (MoMMsEn, StR. 2.2, 1132). MoMMsEn, StR 2.2, 1133. Vgl. MoMMsEn, StR 3.2, 1262 f. Siehe WintErlinG, Dyarchie, bes. 196 zur Einforderung, sich über die wissenschaftsgeschichtliche Suche nach zeitgebundenen Fragestellungen hinaus mit den Gründen für die andauernde Plausibilität von dessen Analysen auseinanderzusetzen. Außerdem s. rEBEnicH, Theodor Mommsen, 107–121. In erster Linie auf den wissenschaftsgeschichtlichen Aspekt konzentriert sich u. a. K. cHrist, Klios Wandlungen. Die deutsche Althistorie vom Neuhumanismus bis zur Gegenwart, München 2006, 24 f. (allerdings ausgesprochen knapp); A. HEuss, Theodor Mommsen und die revolutionäre Struktur des römischen Kaisertums, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 3, Stuttgart 1995, 1730–1743. Zur wissenschaftlichen Rezeption des Staatsrechts vgl. W. niPPEl, Das Staatsrecht in der Diskussion – von 1871 bis heute, in: Ders. / B. Seidensticker (Hgg.), Theodor Mommsens langer Schatten. Das Staatsrecht als bleibende Herausforderung für die Forschung, Hildesheim 2005, 9–60. r. syME, The Roman Revolution, Oxford 1939. syME, Roman Revolution, vii. Dazu J. lindErsKi, Mommsen and Syme. Law and Power in the Principate of Augustus, in: K. A. Raaflaub / M. Toher (Hgg.), Between Republic and Empire. Interpretations of Augustus and his Principate, Berkeley 1990, 42–53, 44 f.

2.1 Res publica restituta: Konzeptionen der frühen Kaiserzeit

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standen, dass die in republikanischer Zeit herrschende Oligarchie in einem Prozess, der durch den Bürgerkrieg beschleunigt wurde, durch eine mitregierende Senatsaristokratie ersetzt worden sei. Diesen Prozess der grundlegenden Umgestaltung von gesellschaftlichen und politischen Strukturen vollzieht er, anders als Mommsen, prosopographisch nach. Beschreiben lasse er sich, so Syme, aus zwei Perspektiven: zum Teil als die physische Auslöschung weiter Teile der alten Nobilität, zum Teil als Rekonstituierung, indem zahlreiche, vor allem aus Italien stammende homines novi, die strukturell auf die Alleinherrschaft angewiesen gewesen seien, aufgenommen wurden.19 Aus dieser Perspektive erscheint es für Syme gleichzeitig gerechtfertigt, dass er sich für abstrakte Strukturen und Programme nicht interessiert. Für ihn sind diese nur die Fassade, weshalb er ihnen zugunsten einer kleinen Gruppe von Akteuren und deren Handlungen und Schicksalen wenig Erkenntniswert zugesteht. Für Syme lässt sich eine historische Wirklichkeit des Principats nur über die Akteure bzw. genauer die Oberschicht erfassen. Darin spiegelt sich, wie es u. WaltEr formuliert hat, Symes Misstrauen gegenüber zeitgenössischen antiken Konzeptionen, die sich in Begriffen und politischen Ideen wie der augusteischen res publica restituta greifen lassen. Für ihn sind diese nicht annähernd in der Lage, die Realität der kaiserlichen Macht abzubilden. Außerdem erklärt sein methodischer Zugang zum augusteischen Principat das geringe Interesse an Prozessen und vor allem Institutionen wie dem Senat. Um auf die übergeordneten Machtstrukturen zuzugreifen, spielen diese für Syme – anders als bei ,staatsrechtlichen‘ Ansätzen – eine untergeordnete Rolle. Gleichzeitig versucht Syme mit seiner Analyse der Machtstrukturen nicht das ,Wesen‘ des Principats in Worte zu fassen. Für ihn ist das in letzter Konsequenz auch gar nicht möglich, weil sich Theorie und Praxis viel zu offensichtlich widersprachen, um als Historiker daraus den Principat zu definieren.20 19

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Vgl. syME, Roman Revolution, 419; dErs., Tacitus, Bd. 2, Oxford 1958, 545: „The Revolution at Rome worked itself out in two stages, the one sudden, the other slow. The first act destroyed the Republic in civil war, the second wore down liberty and the aristocracy in the years of peace. Sallust is the child of the one epoch, Tacitus of the other.“ „The principate baffles definition.“ (syME, Roman Revolution, 323). Vgl. U. WaltEr, Der Historiker in seiner Zeit. Ronald Syme und die Revolution des Augustus, in: J. Spielvogel (Hg.), Res publica reperta. Zur Verfassung und Gesellschaft der römischen Republik und des frühen Prinzipats. Festschrift für Jochen Bleicken zum 75. Geburtstag, Stuttgart 2002, 137–152, 147: Walter zufolge weite Syme die fehlende Definierbarkeit auch auf den Princeps aus. Er betont außerdem, dass ein solcher Zugang zum Principat auch Symes Zeiterfahrung geschuldet sei: „Denn ähnlich wie beim begrifflichen Überbau aus Wertbegriffen und Schlagworten schien ihm auch in den Versuchen einer rechtlichen Definition des Prinzipats der manipulative Umgang mit Begriffen den Blick auf die Wirklichkeit zu verstellen. (…) Weil das Recht in der Gegenwart als Instrument der Machtkontrolle so augenscheinlich versagte oder gar ins Gegenteil verkehrt wurde, konnte es für Syme auch kein analytisches Potential gegenüber einer verkehrten Ordnung mehr enthalten. (…) Denn so sehr das wissenschaftlich systematisierte wie das positive Recht im 19. Jahrhundert der Verbündete aller Anhänger eines liberalen Systems gewesen war (…), so sehr wurde es in den Händen der Diktatoren zur Camouflage ihrer totalen Herrschaft.“ (WaltEr, Historiker, 147 f.). Vgl. z. B. lindErsKi, Mommsen and Syme, 46 ff. In diesem Sinn auch das Urteil: „The shadow of the past provided legitimacy for the victor in the

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

Die unterschiedlichen Konzeptionsversuche des Principats von Mommsen und Syme lassen sich nutzen, um den strukturellen Umbruch in der Kaiserzeit in seiner Vielschichtigkeit zu erfassen.21 Über die prosopographisch nachvollziehbaren gesellschaftlichen Verschiebungen hinaus wurde die Ausdifferenzierung monarchischer Strukturen22 von umfassenden Neustrukturierungen auf kultureller Ebene begleitet. Entscheidend war die Fokussierung auf den Princeps.23 Konsequenzen hatte vor allem der kontinuierliche Ausbau eines kaiserlichen ,Hofes‘. Dadurch wurden im Verlauf des ersten nachchristlichen Jahrhunderts neben dem Senat ein zweites institutionalisiertes Machtzentrum und sukzessive alternative Strukturen geschaffen.24 Die frühe Kaiserzeit bleibt trotz der allmählichen Überformung traditioneller Strukturen mit monarchischen letztlich gerade durch den Transformationsprozess immer auch sich scheinbar widersprechenden Entwicklungen verhaftet.25 Allerdings lassen sich solche Abgrenzungen gegenüber einer republikanischen Vergangenheit und deren Strukturen nicht immer ganz so eindeutig und vor allem vollständig nachvollziehen, wie ein solches Bild erst einmal suggeriert. Außerdem gilt es gerade die frühe Kaiserzeit stärker in ihrer Prozesshaftigkeit zu konzeptualisieren, einer Prozesshaftigkeit, die weder in jeder Hinsicht systematisch geplant noch in ihrer Komplexität und Eigendynamik überhaupt planbar war.26 Seit augusteischer Zeit hat es keine konkretisierten und einheitlichen Vorstellungen gegeben, die es rechtfertigen würden, von dem Principat im Sinne einer institutionalisierten soziopolitischen Ordnung zu sprechen. Entsprechend sollte man sich die

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Roman Revolution, and for that reason the elusive form of the principate was also its substance.“ (lindErsKi, Mommsen and Syme, 48). Zur Kritik an Syme vgl. WintErlinG, ,Staat‘, 98. Programmatisch aufgezeigt bei WallacE-Hadrill, Mutatio morum, 7 ff. Dazu auch ausführlich dErs., Rome’s Cultural Revolution, Cambridge 2008. Vgl. grundlegend Millar, Emperor. Zur Auseinandersetzung mit Mommsens und Symes Thesen und zur Weiterentwicklung siehe WallacE-Hadrill, Mutatio morum, 157–164. Vgl. a. WallacE-Hadrill, Suetonius. The Scholar and his Caesars, London 1983, 75 ff., Zit.: 75: „In the first place, we must abandon the misconception of institutional rivalry between bureaucracy and senate. Senators as well as equestrians served emperors, in more prestigious if less intimate positions than the secretariat. Suetonius, quite properly, applies the word official indiscriminately to senatorial, equestrian and freedman positions. There is no sense that senatorial offices are a class apart.“ Außerdem K. HoPKins / G. P. Burton, Ambition and Withdrawal. The Senatorial Aristocracy under the Emperors, in: K. Hopkins (Hg.), Death and Renewal. Sociological Studies in Roman History, Bd. 2, Cambridge 1983, 120–200, 176–184; bes. 182; K. HoPKins, Elite Mobility in the Roman Empire, in: M. I. Finley (Hg.), Studies in Ancient Society, London 1974, 103–120. Zuletzt umfassend a. WintErlinG, Aula Caesaris. Studien zur Institutionalisierung des römischen Kaiserhofes in der Zeit von Augustus bis Commodus (31 v. Chr.–192 n. Chr.), München 1999, 93 ff. (außerdem Kap. 2.4 / Anm. 170). Vgl. dazu WintErlinG, ,Staat‘, 108. Bisher wurde in der althistorischen Forschung nur selten versucht, solche Überlegungen methodisch zu nutzen. Vgl. dazu, wenn auch anhand der Republik diskutiert, grundsätzlich U. WaltEr, Struktur, Zufall, Kontingenz? Überlegungen zum Ende der römischen Republik, in: K.-J. Hölkeskamp (Hg.), Eine politische Kultur (in) der Krise? Die „letzte Generation“ der römischen Republik, München 2009, 27–51, 46 f. Eine ,Ideologie‘ (in dieser Hinsicht grundlegend P. zanKEr, Augustus und die Macht der Bilder, 3. Aufl., München 1997), die den Kaisern oft unterstellt wird, verdeckt diesen Befund weitgehend.

2.1 Res publica restituta: Konzeptionen der frühen Kaiserzeit

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augusteische Form des Principats vor allem nicht als Abschluss einer (zielgerichteten) Entwicklung vorstellen, die die strukturellen Probleme, die seit den Gracchen in zahlreichen Konflikten und Bürgerkriegen endeten, zusammenführte, um sie in Form einer Monarchie gewissermaßen aufzulösen. Die Forschung der letzten Jahre hat zwar erheblich dazu beigetragen, diesen Prozess nachzuvollziehen, indem sie die Vielschichtigkeit und Ambivalenz der augusteischen Zeit aufgezeigt hat.27 Die Verortung einer „cultural revolution“ im augusteischen Principat hat aber – was kaum die Intention gewesen sein dürfte – auch immer wieder dazu geführt, den Eindruck zu manifestieren, die Zeit nach Augustus erschöpfe sich, zugespitzt formuliert, weitgehend in der gelungenen oder eben misslungenen Nachahmung des ,großen Vorbildes‘. Diese Reduzierung widerspräche wohl auch der zeitgenössischen Wahrnehmung. Die Dialektik der Zeit lässt sich eindrucksvoll beispielsweise anhand der Literatur und Kunst nachvollziehen. In ihnen spiegelten sich komplexe Konzeptionalisierungen der augusteischen Zeit. Die in der Folgezeit zum Topos geronnene Bezeichnung als gefeiertes „Goldenes Zeitalter“, als aurea aetas oder saeculum aureum, trägt solchen zeitgenössischen Erfahrungen nur begrenzt Rechnung28 – zumal die Zeit nicht nur als Höhe- oder Endpunkt einer Entwicklung ver27

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Siehe v. a. die diversen Arbeiten A. Wallace-Hadrills und K. Galinskys: bes. WallacE-Hadrill, Mutatio morum; dErs., Mutatas Formas. The Augustan Transformation of Roman Knowledge, in: K. Galinsky (Hg.), The Cambridge Companion to the Age of Augustus, Cambridge 2005, 55–84; GalinsKy, Augustan Culture. Ihren Widerhall findet die Erinnerung weit über Augustus hinaus etwa in Tac. dial. 12,3; Sen. contr. 2,7,7; Sen. apocol. 4; Quint. 8,6,24. Die Forschung hat insbesondere in den letzten Jahren von der augusteischen Dichtung verstärkt ein Bild entworfen, das weniger auf Konformität als auf Facettenreichtum und Originalität zielt. Im Gegensatz zur im Jahr 40 v. Chr. verfassten Vierten Ekloge Vergils, in der die Wiederkehr eines „Goldenen Zeitalters“ heraufbeschworen worden war (dazu z. B. L. MorGan, Creativity out of Chaos. Poetry between the Death of Caesar and the Death of Virgil, in: O. Taplin (Hg.), Literature in the Greek and Roman Worlds. A New Perspective, Oxford 2000, 359–402, bes. 362 u. 366), zeigt sich dieser Gedanke, programmatisch nachvollziehbar in der Aeneis, nach dem Ende der verheerenden Bürgerkriege bereits in früher augusteischer Zeit als entscheidend modifiziert (vgl. GalinsKy, Augustan Culture, 92 f.). Das Epos distanziert sich von dem früheren Hymnus auf die Utopie eines paradiesischen Zustandes und betont statt dessen die – wenngleich immer noch grundsätzlich optimistische – Prozesshaftigkeit. Ihm liegt jene spezifisch augusteische Vielschichtigkeit der Konzeption zugrunde. So ist der noch zu erreichende Idealzustand mit Arbeit, Anstrengungen und Mühen verbunden. Trotzdem erlaubt diese Vorstellung, die erfahrenen und prägenden Widersprüche in ein – wenn auch vielleicht nicht ungebrochenes, aber doch zumindest – vielversprechendes und hoffnungsvolles Gesamtbild einzufügen. Charakteristisch ist, dass der Gegenwart ihre Abgeschlossenheit und Endgültigkeit genommen und der Idealzustand auf die Zukunft projiziert wird: hic vir, hic est, tibi quem promitti saepius audis, / Augustus Caesar, divi genus, aurea condet / saecula qui rursus Latio regnata per arva / Saturno quondam, super et Garamantas et Indos / proferet imperium; iacet extra sidera tellus, / extra anni solisque vias, ubi caelifer At­ las / axem umero torquet stellis ardentibus aptum (Verg. Aen. 6,791–797). Dazu t. HaBinEK, Ovid and Empire, in: P. Hardie (Hg.), The Cambridge Companion to Ovid, Cambridge 2002, 46–61, 54 f.; GalinsKy, Augustan Culture, 90 ff., Zit. 101: „The multiplicity of associations that accrued to the concept of the saeculum was congenial to Augustan culture. Just as important and typically Augustan, however, was the combination of the concept with a definite intention and a sense of direction.“ Widergespiegelt findet sich das auch über Vergil hinaus und darf insofern als programmatisch verstanden werden. Für die saeculum-Vorstellungen bei Ovid siehe

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

standen wurde, sondern gleichzeitig auch die Betonung von struktureller Kontinuität immer wieder Thema zeitgenössischer Auseinandersetzungen war.29 Trotz der Brechungen innerhalb der Dichtung in augusteischer Zeit vermitteln die Quellen insgesamt ein eindrucksvolles Bild vom Anbruch eines neuen Zeitalters. Sie sind aber nicht unbedingt repräsentativ dafür, wie unterschiedlich spätere antike Autoren mit dieser Zeit umgehen. Insgesamt – wenn auch nicht konkurrenzlos – setzte sich zwar eine positive Bewertung unter den nachfolgenden Kaisern durch.30 Diese Bewertungen sollten aber wiederum nicht dazu verleiten, die Zeit nach Augustus als statischen und unflexiblen Versuch zu verstehen, in dem die augusteische Herrschaft, ohne eigene Akzente zu setzen, bloß weitergeführt wurde. Eine solche Einschätzung birgt zumindest die Gefahr, die gesellschaftliche und politische Dynamik der frühen Kaiserzeit zu überdecken und statt dessen die Zeit nach Augustus weitgehend als Konservierung des Zustands zu verstehen.31

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Ov. met. 1,113 ff.; Ov. fast. 2,289–302). Die Verheerungen der vorangegangenen Bürgerkriegsjahrzehnte waren noch viel zu präsent, als dass man sie einfach hätte auslöschen oder ausblenden können. Vor allem auf dem Land dürfte sich die Situation nach den Enteignungen und Ansiedlungen von Veteranen erst langsam entspannt haben. Jedenfalls gibt es keine Hinweise auf einen plötzlichen wirtschaftlichen Aufschwung. Selbst die potentiell eskapistische Qualität eines ländlichen Idylls in den Bucolica oder der Georgica eines Vergil bleibt von solchen Eindrücken nicht frei. An dieser Stelle sei lediglich eine Auswahl neuerer Literatur zitiert: Vgl. etwa t. HaBinEK, The Politics of Latin Literature. Writing, Identity, and Empire in Ancient Rome, Princeton 1998; P. r. HardiE, Virgil’s Aeneid. Cosmos and Imperium, Oxford 1986; P. r. HardiE, Virgil, Oxford 1998; n. HolzBErG, Res publica est Caesar. Ovid und Martial konstruieren ihre Kaiser, in: M. Janka / U. Schmitzer / H. Seng (Hgg.), Ovid. Werk – Kultur – Wirkung, Darmstadt 2007, 283–300; M. c. J. PutnaM, Virgil’s Aeneid. Interpretation and Influence, Chapel Hill 1995; P. r. HardiE, Ovid’s Poetics of Illusion, Cambridge 2002; P. MurGatroyd, Mythical and Legendary Narrative in Ovid’s Fasti, Leiden/Boston 2005; c. E. nEWlands, Playing with Time. Ovid and the Fasti, Ithaka 1995; P. r. HardiE (HG.), The Cambridge Companion to Ovid, Cambridge 2002; B. WEidEn Boyd (HG.), Brill’s Companion to Ovid, Leiden/Boston/Köln 2002; M. JanKa / u. scHMitzEr / H. sEnG (HGG.), Ovid. Werk – Kultur – Wirkung, Darmstadt 2007; M. c. J. PutnaM, Poetic Interplay. Catullus and Horace, Princeton 2006). Vgl. M. MEiEr, Caesar und das Problem der Monarchie in Rom, Heidelberg 2014, bes. 7–32. In diesem Sinn lässt sich die Bedeutung der nach dem Principat des Tiberius ritualisierten Praxis erklären, die eigene Herrschaft symbolträchtig im Senat als demonstrative Nachfolge des augusteischen Principats anzukündigen. So auch zumindest implizit in der einflussreichen Studie von zanKEr, Augustus, 332. Kanonisiert war dieses Bild lange Zeit auch durch die Deutungshoheit der Philologie, die die augusteische Zeit als ,Klassik‘, an der sich alles Nachfolgende messen musste, geradezu idealisierte. Vgl. dazu kritisch M. FuHrMann, Geschichte der römischen Literatur, Stuttgart 2005, 45 f. Wenn im Folgenden trotzdem beispielsweise von ,augusteisch‘ oder ,tiberisch‘ gesprochen wird, soll das in erster Linie der zeitlichen Verortung dienen. Einen guten Einblick in die Komplexität der augusteischen Zeit liefert GalinsKy, Augustan Culture, bes. 71: „The Augustan mode of government was new and experimental and required continuing adaptation on the part of all those involved. Any fixity, if there ever was such, materialized only in the reign of later principes.“ Für die Nachfolger des Augustus ließe sich das sicher noch konsequenter weiterdenken.

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Kaiserzeitliche Paradoxien und die Institutionalisierung des Kaiserhofes Diese Deutung lässt sich auch in die Erkenntnisse darüber einbinden, wie sich seit augusteischer Zeit monarchische Strukturen ausformten. Nach der grundlegenden Studie zum Kaiser von F. Millar32 konnten solche Prozesse seit den 1980er Jahren insbesondere anhand des Kaiserhofes nachvollzogen werden. Für den Senat ist diese Entwicklung unmittelbar von Bedeutung. Mit dem Kaiserhof entstand in der frühen Kaiserzeit nach und nach ein neues, von den traditionellen Gesellschaftsstrukturen weitgehend unabhängiges Machtzentrum. Wie stark diese Entwicklung das erste Jahrhundert prägte, haben die Studien von a. WallacE-Hadrill und a. WintErlinG zeigen können.33 Ein kaiserlicher Hof entwickelte sich aus den Strukturen des aristokratischen Haushaltes. Die berühmte Bescheidenheit, die Sueton der augusteischen domus bescheinigt, verweist noch am Ende des ersten Jahrhunderts auf die ursprüngliche Verortung.34 Zwar waren aristokratische domus – in republikanischer Zeit wie auch in der Kaiserzeit – alles andere als bescheiden;35 in der Charakterisierung drückt sich aber aus, dass Augustus Wert darauf legte, seiner Stellung als Princeps nicht allzu deutlich bzw. nicht in jedem Kontext Ausdruck zu verleihen.36 In dieses Bild passt auch, dass er die Nähe zur Romulushütte auf dem Palatin suchte. Diese stand für die bescheidenen Anfänge Roms. Durch die Nähe, die Augustus in seiner Inszenierung für sich zur Romulushütte (und zu Romulus allgemein) herstellte, wurde diese gezielt aufgewertet.37 Damit konnte man Augustus im Umgang mit den anderen Aristokraten immer noch das notwendige Taktgefühl attestieren, das seine Nachfolger, zumindest soweit man den Quellen folgt, so oft haben vermissen 32 33 34

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Millar, Emperor. Grundlegend dazu a. alFöldi, Die Ausgestaltung des monarchischen Zeremoniells am römischen Kaiserhofe, in: MDAI(R) 49 (1934), 1–118; a. WallacE-Hadrill, The Imperial Court, in: CAH 10 (1996), 283–308; WintErlinG, Aula Caesaris; sallEr, Personal Patronage, 41–78. Suet. Aug. 72: in ceteris partibus vitae continentissimum constat ac sine suspicione ullius vitii. habitavit primo iuxta Romanum forum supra Scalas anularias, in domo quae Calvi oratoris fuerat; postea in Palatio, sed nihilo minus aedibus modicis Hortensianis, et neque laxitate neque cultu conspicuis, ut in quibus porticus breves essent Albanarum columnarum et sine marmore ullo aut insigni pavimento conclavia. Vgl. W. EcK, Cum dignitate otium. Senatorial domus in Imperial Rome, in: SCI 16 (1997), 162–190, 166. Dazu grundlegend WallacE-Hadrill, Civilis Princeps, bes. 45 ff. Dazu u. WaltEr, Memoria und res publica. Zur Geschichtskultur im republikanischen Rom, Frankfurt a. M. 2004, 182. Zur Pflege des Erbes Dion. Hal. ant. 1,79,11: βίος δ’ αὐτοῖς ἦν βουκολικὸς καὶ δίαιτα αὐτουργὸς ἐν ὄρεσι τὰ πολλὰ πηξαμένοις διὰ ξύλων καὶ καλάμων σκηνὰς αὐτορόφους· ὧν ἔτι καὶ εἰς ἐμὲ ἦν τις τοῦ Παλλαντίου ἐτὶ τῆς πρὸς τὸν ἱππόδρομον στρεφούσης λαγόνος Ῥωμύλου λεγομένη, ἣν φυλάττουσιν ἱερὰν οἷς τούτων ἐπιμελὲς οὐδὲν ἐπὶ τὸ σεμνότερον ἐξάγοντες, εἰ δέ τι πονήσειεν ὑπὸ χειμῶνος ἢ χρόνου τὸ λεῖπον ἐξακούμενοι καὶ τῷ πρόσθεν ἐξομοιοῦντες εἰς δύναμιν. Val. Max. 2,8 praef.: disciplina militaris acriter retenta principatum Italiae Romano imperio peperit, multa­ rum urbium, magnorum regum, validissimarum gentium regimen largita est, fauces Pontici sinus patefecit, Alpium Taurique montis convulsa claustra tradidit, ortumque e parvula Romuli casa totius terrarum orbis fecit columen.

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

lassen. Neuere archäologische Befunde weisen demgegenüber darauf hin, dass eine solche Charakterisierung seines Wohnhauses tatsächlich eher aus der Retrospektive ein positives Augustus-Bild verallgemeinert. Mit den archäologisch nachweisbaren imposanten Bauten und der räumlichen Ausdehnung der augusteischen domus hatte eine solche Erinnerung relativ wenig gemeinsam.38 Dass für einen Hof und dessen Mitglieder bis zum ausgehenden ersten Jahrhundert zunächst keine Definition existierte, die diesen gegenüber dem Senat terminologisch abgrenzte, verweist auf den ursprünglich ,privaten‘ aristokratischen Zusammenhang.39 Für die sukzessive Institutionalisierung eines Hofes ist das bezeichnend, weil sich diese auch in ihren Kommunikationsmechanismen immer im Spannungsfeld zwischen aristokratischer Tradition und der Ausdifferenzierung monarchischer Formen bewegte. Die Institutionalisierung forcierte zwei Entwicklungen, die vor allem die frühe Kaiserzeit charakterisieren: Erstens definierte man Rom weiterhin als die entscheidende Arena politischer Konflikte. Die Zentralisierungsbestrebungen lebten von der Anwesenheit der Herrscher in der Hauptstadt. Allerdings waren solche Maßnahmen – wie unter anderem die Verschärfung gesetzlicher Maßnahmen, die die Verpflichtung zum senatorischen Landbesitz in Italien immer wieder in Erinnerung riefen – aber keinesfalls die alleinige Garantie, dass die Akzeptanz solcher Bemühungen auch als selbstverständlich hingenommen wurde.40 38

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Vgl. J. R. PattErson, The City of Rome Revisited. From Mid-Republic to Mid-Empire, in: JRS 100 (2010), 210–232, 225; so auch schon WallacE-Hadrill, Imperial Court, 286 f.: „Suetonius’ emphasis on the modesty of Augustus’ residence may create a false impression, engendered by the desire of a later age to idealize the simplicity of the past.“ (Zit. 286). Außerdem T. P. WisEMan, The House of Augustus and the Lupercal, in: JRA 22 (2009), 527–545 als Versuch, die Unstimmigkeiten auch archäologisch aufzulösen, indem er die Augustus zugeschriebene Bescheidenheit mit dem Haus des Hortensius, also der frühen Phase, erklärt. Zur Archäologie und der Einbettung der kaiserlichen Bauten in den städtebaulichen Kontext vgl. Kap. 2.4 / S. 61. Die Verwendung des Terminus’ Palatium/παλάτιον spiegelt die Entwicklung vom Wohnviertel auf dem Palatin hin zur Okkupierung des Hügels für den Ausbau des kaiserlichen Haushalts, wie A. Winterling gezeigt hat, systematisch wider: In vordomitianischer Zeit diente er noch ausschließlich der geographischen Einordnung zur Bezeichnung des Hügels. Die vom Princeps bewohnten Gebäude dagegen wurden in den zeitgenössischen Quellen einheitlich als domus oder aedes gesondert gekennzeichnet: vgl. etwa R. Gest. div. Aug. 34; 35; Ov. fast. 4,954; trist. 3,1,35 u. 39; Vell. Pat. 2,81,3; Val. Max. 2,8,7; Plin. nat. hist. 36,111; 33,54; 34,84; siehe dazu die Diskussion bei WintErlinG, Aula Caesaris, 209–217. Begrifflich ließ sich damit der kaiserliche Wohnkomplex in der Zeit nicht von den anderen Wohnhäusern der Aristokratie auf dem Palatin unterscheiden, was jedoch der weitgehenden Orientierung an traditionellen architektonischen Formen aristokratischer Stadthäuser (privata aedificia) auch für den kontinuierlichen Ausbau der kaiserlichen domus bis in neronische Zeit entspricht. In domitianischer Zeit oder spätestens ab dem Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts lässt sich dann nachvollziehen, wie der Terminus auf die kaiserlichen Wohngebäude auf dem Palatin übertragen wurde. Siehe dazu z. B. für die domitianische Zeit Stat. silv. 1,1,34; 4,1,8; 3,4,38; 3,3,85; Iuv. 2,106; 4,31; für das Ende 1. Jh. n. Chr. Mart. epigr. 7,28,5; 9,42,5; 12,21,3 (palatia); Tac. Agr. 40,3; die Verwendung der alten Bedeutung dagegen bei Ios. ant. Iud. 18,195; 19,75 (βασίλειον); 19,71 (βασιλική); 19,8 (οἰκία). Vgl. dazu WintErlinG, Aula Caesaris, 211 f. So die Regelung der Anwesenheitspflicht bereits aus dem Jahre 29 v. Chr. nach Cass. Dio 52,42,6 (Xiph. 81,11–18): ταῦτά τε οὖν ἔπραξε, καὶ προσαπεῖπε πᾶσι τοῖς βουλεύουσι

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Zweitens etablierten sich mit der zunehmenden Verlagerung von Entscheidungsprozessen in die Abgeschiedenheit und Unzugänglichkeit des kaiserlichen Haushaltes41 Hierarchien, die unabhängig von den traditionellen Mechanismen funktionierten.42 Die Schaffung völlig neuer Ämter orientierte sich an dem Bedürfnis des Kaisers, sich von Personen umgeben zu wissen, die mit seiner gesellschaftlichen Stellung nicht konkurrieren konnten. Die Bedeutung der neuen Ämter definierte gleichzeitig erstmals Kriterien für eine politische Laufbahn, die in unmittelbarer Konkurrenz zu traditionellen Karrierewegen organisiert, aber von Anfang an auf den Zugang zum Kaiser und entsprechende Patronageverhältnisse fokussiert waren.43 Das Konkurrenzverhältnis solcher Hierarchien ergab sich wesentlich daraus, dass die Strukturen am Kaiserhof traditionelle Mechanismen der gesellschaftlichen Stratifizierung negierten. Beispielsweise wurden mit der Integration von Sklaven und Freigelassenen Gruppen einbezogen, für die solche hochrangigen Positionen bisher undenkbar gewesen waren, weil sie außerhalb eines Ehrverständnisses angesiedelt waren, das für die gesellschaftliche Stellung konstitutiv und auf μὴ ἐκδημεῖν ἔξω τῆς Ἰταλίας, ἂν μὴ αὐτός τινι κελεύσῃ ἢ καὶ ἐπιτρέψῃ. καὶ τοῦτο καὶ δεῦρο ἀεὶ φυλάσσεται· πλὴν γὰρ ὅτι ἔς τε τὴν Σικελίαν καὶ ἐς τὴν Παλατίαν τὴν περὶ Νάρβωνα, οὐδαμόσε ἄλλοσε βουλευτῇ ἀποδημῆσαι ἔξεστιν. Die Spannun-

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gen, die sich daraus ergaben, dass sich Tiberius während seiner letzten Jahre nach Capri zurückzog, stellen dazu keinen Widerspruch dar und sind in dieser Form entsprechend ohnehin exzeptionell. Grundsätzlich verlagerten sich die Orte des Konfliktaustrags trotz der zahlreichen Bemühungen immer weiter in Richtung Provinzen und Heer: vgl. grundlegend dazu E. FlaiG, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich, Frankfurt a. M. 1992, 136 ff.; 240 ff. Da weitgehend Konsens darüber herrscht, dass das consilium in seiner beratenden Funktion in der frühen Kaiserzeit in keiner Weise über permanente oder institutionalisierte Strukturen verfügte, wird es hier nicht weiter diskutiert (dazu WallacE-Hadrill, Imperial Court, 290; J. crooK, Consilium principis. Imperial Councils and Councellors from Augustus to Diocletian, Cambridge 1955, 31–55). Das betrifft auch die Ausdifferenzierung spezifisch kaiserlicher Kommunikationsformen wie salutationes, convivia etc. mit dem Ausbau des Kaiserhofes – und damit auch neuer Formen der Kommunikation mit der Senatsaristokratie jenseits von Senatssitzungen (zuletzt dazu GoldBEcK, Salutationes; d. scHnurBuscH, Convivium. Form und Bedeutung aristokratischer Geselligkeit in der römischen Antike, Stuttgart 2011). Auszugehen ist dabei von dem Befund, dass die gesellschaftliche Stratifizierung in der frühen römischen Kaiserzeit zunächst alternativlos an traditionellen, aus republikanischer Zeit bekannten Hierarchien orientiert war. Die Voraussetzung für das Funktionieren dieser politischen Ordnung war dabei einerseits eine nach Ehre hierarchisierte Gesellschaft, an deren Spitze eine intern nochmals differenzierte Senatsaristokratie stand, die darin gleichzeitig abgebildet und reproduziert wurde. Andererseits war damit die Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft sichergestellt. Vgl. WintErlinG, ,Staat‘, 99 ff. u. 108 f.; außerdem dazu G. alFöldy, Die römische Gesellschaft. Ausgewählte Beiträge, Stuttgart 1986, 69–81. Allgemein dazu: J. Martin, Formen sozialer Kontrolle im republikanischen Rom, in: D. Cohen (Hg.), Demokratie, Recht und soziale Kontrolle im klassischen Athen, München 2002, 155–172, 157. Zur Strukturierung des Senates: F. X. ryan, Rank and Participation in the Republican Senate, Stuttgart 1998. Innerhalb der entsprechenden Amtsklassen regulierte die Anciennität die Position der einzelnen Senatoren, wodurch jeder Senator in einer streng festgelegten Hierarchie seinen Platz einnahm. Speziell zum cursus honorum in der Republik siehe etwa a. lintott, The Constitution of the Roman Republic, Oxford 1999, 21 ff., 44–47. Dazu sallEr, Personal Patronage, 41 ff., bes. 44.

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die Aristokratie zugeschnitten war. Entscheidend ist, dass diese Hierarchien eine parallele Struktur aufwiesen und damit eine Alternative gegenüber den traditionellen Hierarchien darstellten. Auf diese Weise trafen alte, lange etablierte republikanische und neue, kaiserzeitliche Strukturen direkt aufeinander. Die besondere Dynamik der kaiserzeitlichen Strukturen ergibt sich damit aus einer kennzeichnenden Gleichzeitigkeit von historisch ungleichzeitigen Strukturen.44 Das bedeutet aber nicht, dass sich die Konfliktlinien, die sich daraus ergaben, ausschließlich auf dauerhafte Spannungen zwischen der Aristokratie und anderen Gruppen reduzieren lassen. Was hier als Konflikt erscheint, der sich aus den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen ergibt, gilt ebenso für Konflikte innerhalb bestimmter Gruppen. Daher ist es auch nicht sinnvoll, von einer kaiserzeitlichen Senatsaristokratie als geschlossener Gruppe auszugehen.45 Allerdings lässt sich allein damit nicht der Konflikt entschärfen, der sich mit dem Ausbau monarchischer Strukturen und dem Fortbestehen traditioneller Organisationsprinzipien ergab – dafür ist die Emotionalität, mit der das Thema von den kaiserzeitlichen Autoren diskutiert wurde, viel zu ausgeprägt. Der Einwand, dass die Senatsaristokratie weder gesellschaftlich noch politisch eine kohärente Gruppe dargestellt habe, ist sicher gewichtig. Allerdings bleibt zu berücksichtigen, dass in der Komplexität der Konfliktlinien strukturell ein hohes Potential an Unsicherheit über die Verbindlichkeit von Normen angelegt war. Die kaiserzeitliche Senatsaristokratie: ,Prosopographische Entwürfe‘ Darüber hinaus liefern prosopographische Studien für die Zusammensetzung der kaiserzeitlichen Aristokratie und des Senats wichtige Informationen. Diese können neben der literarischen Überlieferung vor allem auf umfangreiches epigraphisches Material zurückgreifen. Auffällig ist, dass dieses gegenüber den vorhergehenden Jahrhunderten seit augusteischer Zeit überproportional stark anwuchs. Die Deutung der Befunde ist allerdings in Bezug auf die Senatsaristokratie durch eine merkwürdige Ambivalenz gekennzeichnet.46 44

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Vgl. A. WintErlinG, Die antiken Menschen in ihren Gemeinschaften: Rom, in: E. Wirbelauer (Hg.), Oldenbourg Geschichte Lehrbuch. Antike, München 2004, 194–211, 209. R. Koselleck hat dieses Phänomen in seinem Konzept von der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ ausformuliert und zu einer zentralen Kategorie seiner auf die Zeitgeschichte fokussierten Historik erhoben. Damit hat er ein Konzept ausgearbeitet, das seit der Französischen Revolution immer mehr in den Mittelpunkt des (wissenschaftlichen) Interesses gerückt ist und in dem sich die Polaritäten von Diachronie und Synchronie, von Dauer und Wandel, von Erfahrung und Erwartung bündeln. Das Konzept verbindet zwei Erfahrungsdimensionen von der Überlagerung chronologisch verschiedener Herkunftsbestände in die Gegenwart („diachrone Dimension“) und der Erfahrung von Ungleichzeitigkeit im Kulturvergleich („synchrone Dimension“). Vgl. R. KosEllEcK, s. v. Geschichte, Historie, in: GG 2 (1975), 593–717. Diesen Aspekt betonen v. a. WallacE-Hadrill, Imperial Court, 301; rilinGEr, Moderne und zeitgenössische Vorstellungen, 305 ff. Symptomatisch für diesen Befund etwa die Diskussion des Forschungsstandes bei EicH, Aristokratie und Monarchie, 125–151, bes. 126–129.

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Konsens herrscht darüber, dass die Senatsaristokratie im Laufe der ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderte umgeformt wurde von einer Aristokratie, die im Kern stadtrömisch geprägt war, zu einer Aristokratie, die sich zunächst aus dem italischen Bereich und den westlichen und dann zunehmend auch aus den östlichen Provinzen rekrutierte. Diese Entwicklung lässt sich zwar schon in republikanischer Zeit und verstärkt unter Caesar beobachten, gewinnt aber ab der augusteischen Zeit eine besondere Dynamik.47 Zunächst waren es noch weitgehend Angehörige einer munizipalen Aristokratie Italiens, denen der Senatorenstatus gewährt wurde; schon in iulisch-claudischer Zeit weitete sich die Rekrutierungsbasis zunehmend auf weitere westliche Provinzen des Imperiums aus. Ebenso ist man sich im Wesentlichen darüber einig, dass nach erneuten Bürgerkriegen des ,Vierkaiserjahres‘ die Zeit der flavischen Kaiser in dieser Hinsicht einen weiteren Einschnitt markierte. Obwohl auch schon in iulisch-claudischer Zeit nachweisbar ist, dass kontinuierlich Provinziale aus dem westlichen Teil des Reiches in den Senat aufgenommen wurden,48 begann seit Vespasian eine Phase beschleunigter Umstrukturierung von einem bis dahin weitgehend römisch-italisch geprägten Senat. Soweit sie namentlich überhaupt greifbar sind, kamen diese Senatoren insbesondere aus der Gallia Narbonensis und der Baetica. Es waren also Provinzen, die in den Bürgerkriegen des Jahres 69 eine zentrale Rolle gespielt hatten und aus denen Angehörige lokaler Eliten bereits unter Claudius und Nero hochrangige Positionen besetzt hatten. Man geht daher davon aus, dass die Sicherung von Loyalitäten gegenüber dem neuen Herrscher in einer abermals deutlich dezimierten Senatsaristokratie ein wesentliches Motiv für die Beförderungen darstellte.49 Abgesehen von solchen Einschnitten ist unter Domitian und Traian erstmals nachweisbar, dass auch die östlichen Provinzen des Reiches zunehmend stärker die Zusammensetzung der Senatsaristokratie mitprägten.50 Umstritten ist dagegen, wie man mit dem prosopographischen Befund im Einzelnen umgeht. Zum einen stellt sich die Frage, wie repräsentativ die Daten sind.51 Zum anderen geht es um das Problem, wie sich auf der einen Seite die Senatsaristokratie als ordo und auf der anderen Seite die Mitgliedschaft zum Senat als Gremium konstituierte. Es geht also um die Frage, inwieweit man von familialen 47 48

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Grundlegend dazu syME, Römische Revolution, 363 f.; 375. Vgl. R. MEllor, The New Aristocracy of Power, in: A. J. Boyle / W. J. Dominik (Hgg.), Flavian Rome. Culture, Image, Text, Leiden 2003, 69–101. Für die prosopographischen Befunde dezidiert zur iulisch-claudischen Zeit vgl. z. B. syME, Römische Revolution, 517–535 (mit Blick auf die Nobilität); dErs., The Augustan Aristocracy, Oxford 1985. Grundlegend dazu u. a. W. EcK, Die Verwaltung des Römischen Reiches in der hohen Kaiserzeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge, Bd. 2, Basel/Berlin 1998, 3–145, bes. 33 ff.; syME, Tacitus, Bd. 2, Oxford 1958, 585–597; M. HaMMond, Composition of the Senate A. D. 68–235, in: JRS 47 (1957), 74–81, 77; zu Domitian speziell B. J. JonEs, Domitian and the Senatorial Order. A Prosopographical Study of Domitian’s Relationship with the Senate, A. D. 81–96, Philadelphia 1979; dErs., Domitian’s Attitude. Siehe H. HalFMann, Die Senatoren aus dem östlichen Teil des Imperium Romanum bis zum Ende des 2. Jh. n. Chr., Göttingen 1979, 71 ff., bes. 75.; EcK, Verwaltung, Bd. 2, 39. Zu dem Problem z. B. W. EcK, Befund und Realität. Zur Repräsentativität unserer epigraphischen Quellen in der römischen Kaiserzeit, in: Chiron 33 (2003), 49–64.

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

Kontinuitäten in der Zugehörigkeit zur Senatsaristokratie auf stabile Verhältnisse bei der Zusammensetzung des Senates schließen kann. Das Problem ergibt sich aus dem unklaren Verhältnis zwischen einer Zugehörigkeit zur Senatsaristokratie, die über drei Generationen unabhängig von der tatsächlichen politischen Betätigung gewährleistet war, und dem Befund, dass gleichzeitig mit dem Blick auf mehrere Generationen die Fluktuation unter den Amtsträgern nicht unerheblich war.52 Trotz der nachweislichen Verschiebungen im regionalen Gefüge bei einer kontinuierlichen – und unter spezifischen historischen Bedingungen zusätzlich beschleunigten – personellen Erneuerung wird in der Forschung prominent vertreten, dass man insgesamt von einem vergleichsweise hohen Maß an Kontinuität in der Zusammensetzung der Senatsaristokratie und entsprechend stabilen Verhältnissen ausgehen könne. Auch wenn beides nicht ganz unproblematisch ist, wird dafür in der Regel angeführt, dass mit der Verlegung der Magistratswahlen in den Senat die Abhängigkeit von kaiserlichen Entscheidungen und damit die Sicherheit gestiegen sowie außerdem die Zugehörigkeit zum ordo senatorius erblich gewesen sei.53 Demgegenüber lässt sich der skizzierte Transformationsprozess der Senatsaristokratie aber auch als Problem für deren Stabilität im ersten Jahrhundert bewerten.54 Auf der Basis von statistischen Auswertungen des prosopographischen Materials scheint es auffällig, wie wenig personale Kontinuität innerhalb des Senats gewährleistet war. Spätestens seit dem Jahr 19 v. Chr. war die republikanische Nobilität im Senat gegenüber zahlreichen homines novi, die meist aus der munizipalen Aristokratie Italiens stammten, in der Minderheit.55 Bis zum Ende der iulisch-claudischen Dynastie verschwanden bekannterweise die gentes, die bereits in republikanischer Zeit zur Nobilität gezählt hatten, zugunsten von Eliten aus den westlichen und zunehmend auch den östlichen Provinzen des Reiches fast vollständig. Dieser tiefgreifende strukturelle Wandel ging damit einher, dass auch die Definition von Adel auf der Grundlage vererbter Fähigkeiten und langer familiärer Traditionen neben der eigentlichen, individuellen Leistung – zumindest idealtypisch – zunehmend über damit konkurrierende moralische Qualitäten definierbar wurde: nobilitas basierte auf virtus und industria.56 52 53 54 55 56

Vgl. HoPKins/Burton, Death and Renewal, 124; 134–146. Dazu EcK, Verwaltung, Bd. 2, 37 f. Dazu HoPKins/Burton, Ambition and Withdrawal, 120–200. Deren Untersuchungen sind seit ihrer Veröffentlichung immer wieder umfassender Kritik unterzogen worden. Die Überlegungen sind trotz aller – zum Teil berechtigten – Kritik allerdings durchaus weiterführend. Vgl. WisEMan, New Men, 107–116. Das ist insofern nicht zu unterschätzen, als diese starke moralische Aufladung der Definition von Adel, konterkariert durch die Realität, immer wieder der Rechtfertigung bedurfte. Die besondere Bedeutung der augusteischen ,Sittengesetze‘ erklärt sich aus diesen Zusammenhängen. Dieser Wandel hatte sich bereits in republikanischer Zeit abzuzeichnen begonnen: vgl. zur Republik v. a. K.-J. HölKEsKaMP, Exempla und mos maiorum. Überlegungen zum kollektiven Gedächtnis der Nobilität, in: H.-J. Gehrke / A. Möller (Hgg.), Vergangenheit und Lebenswelt. Soziale Kommunikation, Traditionsbildung und historisches Bewusstsein, Tübingen 1996, 301–338, 309 f.; W. BlösEl, Mos maiorum. Von der Familientradition zum Nobilitätsethos, in: B. Linke / M. Stemmler (Hgg.), Mos maiorum. Untersuchungen zu den Formen der Identitätsstiftung und Stabilisierung in der römischen Republik, Stuttgart 2000, 25–97, 54 ff. Zur augusteischen Zeit siehe v. a. GalinsKy, Augustan Culture, 134 f.

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Eine Ausnahme von der fehlenden Kontinuität innerhalb der Nobilität stellten die ordentlichen Consuln dar; allerdings lässt sich insgesamt nachweisen, dass gerade Mitgliedern der patrizischen Familien in der Regel deutlich früher – teilweise sogar vor dem Mindestalter – hohe Positionen anvertraut wurden. Auf diese Weise mussten sie gleichzeitig auch nicht mehr die Funktionen durchlaufen, in denen man sich militärisch auszeichnen konnte, so dass ein wesentliches Feld der Bewährung wegfiel. Macht und Ehre wurden damit zunehmend voneinander getrennt.57 Einer Erblichkeit, die sich auf drei Generationen erstreckt haben sollte, steht ein solcher Befund insgesamt entgegen, wenn sich diese auf den Sitz im Senat und nicht auf die senatorischen Privilegien beziehen würde. Mit der Definition aristokratischer Dominanz über Leistung war diese ohnehin nicht vereinbar. Nur die Majestätsprozesse, auch wenn diese in den Quellen vor allem für das erste Jahrhundert prägend sind, für die Fluktuation innerhalb der Senatsaristokratie verantwortlich zu machen, wäre sicher zu kurz gegriffen.58 Darüber hinaus spielte auch der hohe finanzielle Aufwand eine nicht unerhebliche Rolle dafür, dass sich immer wieder Senatoren dem Konkurrenzkampf und dem Leben in Rom entzogen. Insbesondere Senatoren aus den Provinzen dürfte das betroffen haben, zumal sie mit ihren Verpflichtungen in der Hauptstadt längerfristig von ihrer finanziellen Basis abgeschnitten waren.59 Um das Mindestvermögen von 1.000.000 HS aufbringen zu können,60 wie es für den Sitz im Senat seit dem Jahr 18 v. Chr. notwendig war, vor allem aber auch das Vermögen für den Lebensstil, der in der Hauptstadt als einem Aristokraten angemessen galt, war ein Aristokrat maßgeblich auf das provinziale Kapital angewiesen – sei es durch die Verwaltung einer Provinz oder sei es dadurch, dass der familiäre Besitz dort seine Grundlage hatte. Zur Wahrung des familiären Vermögens lässt sich zudem die Tendenz beobachten, dieses auf möglichst wenige Nachkommen zu verteilen. Gleichzeitig stieg damit aber auch das 57 58 59

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Vgl. HoPKins/Burton, Ambition and Withdrawal, 124; 171–176. Zur Methodik vgl. allgemein W. EcK, Sozialstruktur des römischen Senatorenstandes in der hohen Kaiserzeit und statistische Methode, in: Chiron 3 (1973), 375–394. Vgl. HoPKins/Burton, Ambition and Withdrawal, 123. Hopkins und Burton bezeichnen das als „grand set“ gegenüber dem „power set“. Vgl. HoPKins/ Burton, Ambition and Withdrawal, 172–175. Kaiserliche Bestimmungen zum Landbesitz in Italien: Cass. Dio 52,42. Insgesamt liegt der Argumentation sicher die Entscheidung für eine in der Kaiserzeit weiter andauernde bzw. sogar gezielt aufrecht erhaltene aristokratische Konkurrenz um Ämter zugrunde. Der finanzielle Aufwand dürfte aber auch ohne diese Entscheidung nicht unerheblich gewesen sein: „(…) [B]y leading a life of ostentatious luxury in Rome, aristocrats were colluding in their own social suicide.“ (HoPKins/Burton, Ambition and Withdrawal, 175). Vgl. talBErt, Senate, 11; MoMMsEn, StR 1, 499. Ausgehend von den Angaben bei Cass. Dio 54,17,3: τάς τε ἀρχὰς ἅπασι τοῖς δέκα μυριάδων οὐσίαν ἔχουσι καὶ ἄρχειν ἐκ τῶν

νόμων δυναμένοις ἐπαγγέλλειν ἐπέτρεψε. τοσοῦτον γὰρ τὸ βουλευτικὸν τίμημα τὴν πρώτην εἶναι ἔταξεν, ἔπειτα καὶ ἐς πέντε καὶ εἴκοσι μυριάδας αὐτὸ προήγαγε. καί τισι τῶν εὖ βιούντων ἐλάττω, τότε μὲν τῶν δέκα, αὖθις δὲ τῶν πέντε καὶ εἴκοσι, κεκτημένοις ἐχαρίσατο ὅσον ἐνέδει. Abweichend davon sollen es nach Sueton zunächst 800.000 HS, die auf 1.200.000 HS erhöht wurden, gewesen sein; vgl. dazu Suet. Aug. 41,1: senatorum censum ampliavit ac pro octingentorum milium summa duodecies sestertium taxavit supplevitque non habentibus.

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

Risiko, beim Tod des Erben die Kontinuität der Familie nicht wahren zu können.61 Reichtum war, gerade mit der zunehmenden Konkurrenz durch Ritter und Freigelassene, sicher nicht das alleinige Kriterium für Adel – Exklusivität wurde anders definiert –,62 war aber trotzdem unverzichtbar. Das Bild von einem hohen Grad an sozialer Mobilität63 lässt sich weiter präzisieren, wenn man über solche Fragen der Prosopographie hinausgeht und sie um den sprunghaften Anstieg des epigraphischen Materials seit augusteischer Zeit erweitert. Der plötzliche Anstieg an sich ist in der Forschung bereits öfter konstatiert worden. Zu den prominentesten Überlegungen gehört sicher der 1991 erschienene Aufsatz von G. alFöldy. Dieser nimmt die 1989 veröffentlichte und breit rezipierte Studie von P. zanKEr64 über die spezifisch augusteisch-monarchische Bildprogrammatik zum Ausgangspunkt, nach dem „Beitrag des augusteischen Prinzipates zur Entwicklung einer ,epigraphischen Kultur‘ Roms“ zu fragen.65 Zanker untersucht darin die zunehmend monarchische Repräsentation des ersten Kaisers, die sich über Rom hinaus, vermittelt über verschiedenste Medien, im gesamten Imperium Ro­ manum manifestiert und den Herrscher allgegenwärtig macht.66 Bezeichnend ist allerdings, dass sich die Deutungsangebote durch ihre spezifische Fragestellung in der Regel auf den Kaiser beziehen, so dass die – in diesem Fall epigraphischen – Zeugnisse aristokratischen Ursprungs fast ausschließlich als eine Reaktion auf die konstatierte Allgegenwart des Monarchen erscheinen.67 61

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Vgl. HoPKins/Burton, Ambition and Withdrawal, 175. Zum ius trium liberorum etwa sallEr, Personal Patronage, 54 (für weitere Literatur siehe Kap. 4.2.2 / S. 190–193). Zu Adoptionen siehe B. raWson, Children as Cultural Symbols. Imperial Ideology in the Second Century, in: S. Dixon (Hg.), Childhood, Class and Kin in the Roman World, London 2001, 21–42. Siehe z. B. Petr. sat. 37 f.; 48. Vgl. zu dem Thema J. HusKinson, Élite Culture and the Identity of Empire, in: Dies. (Hg.), Experiencing Rome. Culture, Identity and Power in the Roman Empire, London 2000, 95–123, bes. 104. Vgl. HoPKins/Burton, Ambition and Withdrawal, 120–200; syME, römische Revolution, 363 ff.; dErs., Augustan Aristocracy; WisEMan, New Men; HaMMond, Composition of the Senate, 74–81; G. Burton, The Inheritance of the Consulate in the Antonine Period, in: Phoenix 49 (1995), 218–231, 220. zanKEr, Augustus (siehe dazu auch Kap. 2.4 / S. 59). Vgl. G. alFöldy, Augustus und die Inschriften. Tradition und Innovation: Die Geburt der imperialen Epigraphik, in: Gymnasium 98 (1991), 289–324, 291. Grundlegend für eine Systematisierung, die solchen Formulierungen inhärent ist: r. MacMullEn, The Epigraphic Habit in the Roman Empire, in: AJPh 103 (1982), 233–246; E. a. MEyEr, Explaining the Epigraphic Habit in the Roman Empire. The Evidence of Epitaphs, in: JRS 80 (1990), 74–96. Beispielhaft für den Konsens in der Forschung sei hier nur genannt: W. EcK, Öffentlichkeit, Politik und Administration. Epigraphische Dokumente von Kaisern, Senat und Amtsträgern in Rom, in: R. Haensch (Hg.), Selbstdarstellung und Kommunikation. Die Veröffentlichung staatlicher Urkunden auf Stein und Bronze in der Römischen Welt. Internationales Kolloquium an der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik in München (1. bis 3. Juli 2006), München 2009, 75–96, 76 ff. Zur Unterordnung unter die Formen, die vom Kaiser vorgegeben wurden dErs., Emperor and Senatorial Aristocracy in Competition for Public Space, in: B. C. Ewald / C. F. Noreña (Hgg.), The Emperor and Rome. Space, Representation, and Ritual, Cambridge 2010, 89–110, 94; 104; 110. Solche Deutungen sind sicherlich nicht von der Hand zu weisen, allerdings stellt sich die Frage, ob sie so umfassend sind, wie sie gerne für sich in Anspruch nehmen.

2.1 Res publica restituta: Konzeptionen der frühen Kaiserzeit

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Trotzdem stellt sich die Frage, ob sich der auffällig sprunghafte Anstieg des epigraphischen Materials auf diese Weise ausreichend erfassen lässt und die Erklärungsmöglichkeiten damit ausgeschöpft sind. Wenn man davon ausgeht, dass solche neuen Formen der Kommunikation, wie sie sich für die Kaiserzeit greifen lassen, zunächst ganz allgemein einem gewachsenen Bedürfnis nach Verortung entsprechen, lässt das seit augusteischer Zeit so plötzlich gestiegene Bedürfnis nach Visualisierung und Verschriftlichung, das der archäologische Befund nachweist, auch noch andere Schlüsse zu.68 Wie bereits der prosopographische Befund nahelegt, ist die Kaiserzeit durch ein hohes Maß an gesellschaftlicher Mobilität charakterisiert, die die individuelle Verortung in einer stratifizierten Gesellschaft keineswegs mehr als so eindeutig und unumstößlich erscheinen lässt, wie es für die römische Gesellschaft lange Zeit selbstverständlich war.69 Der erfahrenen Unsicherheit entspricht das gestiegene Bedürfnis, sich über Rang und Leistung in schriftlicher Form zu vergewissern und den flüchtigen Ruhm in monumentaler Form zu verewigen.70 Dass sich das so auffällig in der Ausprägung einer ,epigraphischen Kultur‘ mit ihren standardisierten Formen manifestiert, die trotzdem genügend Raum für die Darstellung der individuellen Leistung bieten, entspricht den Formen einer Aristokratie, die auf die Balance von kompetitiven und konsensualen Elementen angewiesen ist. Auch die Praxis, die in der modernen Begrifflichkeit der damnatio memoriae komprimiert wird, spiegelt solche Ängste verdichtet wider.71

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Siehe zu dieser Deutung G. WoolF, Monumental Writing and the Expansion of Roman Society in the Early Empire, in: JRS 86 (1996), 22–39, bes. 30–34; vgl. auch allgemeiner zur Funktion von Schriftlichkeit t. HaBinEK, Situating Literacy at Rome, in: W. A. Johnson / H. N. Parker (Hgg.), Ancient Literacies. The Culture of Reading in Greece and Rome, Oxford 2009, 114– 140, 119 f. Vgl. dazu rilinGEr, Moderne und zeitgenössische Vorstellungen, passim; HoPKins/Burton, Ambition and Withdrawal, 171 ff.; für eine eher skeptische Einschätzung, wie repräsentativ der Befund ist, siehe W. EcK, Befund und Realität. Zur Repräsentativität unserer epigraphischen Quellen in der römischen Kaiserzeit, in: Chiron 33 (2003), 49–64, 60 ff. Der Einschätzung des symbolischen Wertes, auf dem die Diskussion um den ‚epigraphic habit‘ wesentlich basiert, tut das jedoch m. E. insgesamt keinen Abbruch. Vgl. dazu H. I. FloWEr, The Art of Forgetting. Disgrace and Oblivion in Roman Political Culture, Chapel Hill 2006. Das gilt nicht nur für aristokratische Formen der Repräsentation (siehe dazu WoolF, Monumental Writing, 34 ff.). Zur inschriftlichen Fixierung von senatus consulta vgl. c. WilliaMson, Monuments of Bronze. Roman Legal Documents on Bronze Tablets, in: ClAnt 6 (1987), 160–183. Dazu WoolF, Monumental Writing.

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

Kaiserzeit und metus temporum72 Die frühe Kaiserzeit, so legen solche Befunde nahe, war wesentlich stärker von Instabilität geprägt, als es der Fokus auf den Kaiser alleine suggeriert. Der Prozess monarchischer Ausdifferenzierung bis zur Mitte des zweiten Jahrhunderts wurde von einem hohen Maß an Unsicherheit begleitet, forciert von charakteristischen strukturellen Ambivalenzen. Wesentlich für das Verständnis der frühen Kaiserzeit ist, dass der augusteische Principat zwar einen tiefen Einschnitt, nicht aber den Abschluss dieser Entwicklung markierte. Damit ist es im Hinblick auf eine Untersuchung des Senats wenig sinnvoll, einen primär biographisch orientierten, auf die einzelnen Kaiser zugeschnittenen Zugang zu wählen, sondern den Schwerpunkt auf eine Analyse struktureller Zusammenhänge zu legen. Naheliegend ist das außerdem, weil man ohnehin nicht von einer konkreten ,Senatspolitik‘ der Kaiser sprechen kann. Viele Veränderungen ergaben sich eher situativ, reagierten in der Regel aber durchaus auf bereits länger latent existente Probleme. Die Eigendynamiken, die sich daraus gerade im ersten nachchristlichen Jahrhundert entwickelten, lassen sich auf diese Weise letztlich wesentlich besser greifen. Vor diesem Hintergrund bleibt es ein Defizit, vor allem auch in der literaturwissenschaftlich orientierten Forschung, zwar die voraussetzungsreichen Diskussionen in den kaiserzeitlichen Quellen über den Senat und deren Wert aufgezeigt zu haben, aber nicht deren historische Grundlage, selbst wenn das als Perspektive zumindest eröffnet wird. Letztlich bleibt es daher immer noch zu prüfen, inwieweit und wie sich solche Erkenntnisse über den literarischen Diskurs hinaus im senatorischen Alltag der frühen Kaiserzeit verorten lassen. 2.2 ZUGRIFFSMÖGLICHKEITEN AUF DEN KAISERZEITLICHEN SENAT: DAS QUELLENKORPUS Für eine Untersuchung des Senats stellt sich nicht nur die Frage, wie in den kaiserzeitlichen und insbesondere in den unmittelbar zeitgenössischen Quellen über die Kaiserzeit reflektiert wird, sondern auch spezifischer über den Senat. Grundsätzlich reflektieren und strukturieren die antiken Autoren Entwicklungen der frühen Kaiserzeit primär über das Verhältnis zwischen Princeps und Aristokratie. Für die Analyse bedeutet das aber wiederum nicht, dass sich der Senat ausschließlich und vollständig in diesem Verhältnis erfassen lässt. Die Eigendynamiken, die in den spezifisch senatorischen Kommunikationsmechanismen angelegt sind, sind damit nur begrenzt beschreibbar.73 Den Senat zu untersuchen, kann daher auch einen Bei72

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Die Formulierung ist bewusst im Anschluss an den Titel der Monographie von A. Kneppe gewählt worden, auch wenn diese oft noch den Strukturen und Erklärungsmustern verhaftet bleibt, die in den kaiserzeitlichen Quellen angelegt sind: a. KnEPPE, Metus temporum. Zur Bedeutung von Angst in Politik und Gesellschaft der römischen Kaiserzeit des 1. und 2. Jhdts. n. Chr., Stuttgart 1994. Ähnliche Probleme lassen sich auch in der Behandlung anderer Themen erkennen. A. WallaceHadrill hat diese beispielsweise gerade erst wieder für die Auseinandersetzung mit dem Phäno-

2.2 Zugriffsmöglichkeiten auf den kaiserzeitlichen Senat: Das Quellenkorpus

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trag zum Verständnis des Gremiums in einer Monarchie leisten, jenseits des Befundes, dass dieses zunehmend marginalisiert worden sei. Bei den verwendeten Quellen gilt es verschiedenen Zeitschichten Rechnung zu tragen. Das betrifft vor allem die Dokumentation der iulisch-claudischen Zeit, für die mit der historiographischen und biographischen Tradition vorwiegend Texte zur Verfügung stehen, die zum Teil aus einiger zeitlicher Distanz verfasst wurden. Daneben kann man aber für die ersten Jahrzehnte des Principats bis zur neronischen Zeit beispielsweise noch auf das umfangreiche Schriftkorpus von Seneca zurückgreifen. Tacitus und Plinius stammen beide aus der Senatsaristokratie; was sie darüber hinaus kennzeichnet ist, dass sie ihre Schriften in einer Zeit verfassen, die nicht nur auf der Grundlage des prosopographischen Befundes einen beschleunigten Transformationsprozess vermuten lässt. Deren Werke zeigen sich besonders deutlich geprägt von einem – auch in dieser Deutlichkeit artikulierten – Bewusstsein, nicht mehr in der Republik, sondern in einem politischen System monarchischer Prägung zu leben. Dieses Bewusstsein, in einer anderen Zeit zu leben, artikulieren sie in der Regel in moralischen Kategorien. Beide, sowohl Tacitus als auch der jüngere Plinius, verbindet, dass sie ihre senatorischen Karrieren und senatorische Sozialisierung in domitianischer Zeit begannen.74 Unabhängig davon, wie man die Entwicklungen in dessen Herrschaftszeit im Einzelnen bewertet, ist sicher, dass die Jahre von den Zeitgenossen als Einschnitt empfunden wurden. Dementsprechend ist auch davon auszugehen, dass Plinius und Tacitus besonders sensibilisiert für Veränderungen im senatorischen Alltag der frühen Kaiserzeit waren und sich das in ihrem Werk verdichtet widergespiegelt findet.75 Das betrifft auch die Dokumentation von Senatssitzungen, wie sie sich in der kaiserzeitlichen Historiographie findet. Deren Darstellung dient in erster Linie dem Zweck, bestimmte Themen zu verhandeln, die über das eigentliche Thema der Sitzung hinausgehen. In der Darstellung wird solchen Sitzungen eine Bedeutung zugewiesen, die ihnen in ihrem ursprünglichen historischen Kontext selten so reflektiert beigemessen worden sein dürfte. Solche Dimensionen wurden ihnen wohl in den meisten Fällen erst retrospektiv zugeschrieben.76 Die zum Teil grundlegend anderen Darstellungen, Bewertungen und Schwerpunktsetzungen etwa bei Cassius Dio erklären sich damit auch durch die retrospektive Betrachtung. Die Frage ist, was sich daraus für Konsequenzen ergeben, wenn man die ersten Jahrzehnte des Principats untersucht. In dem Fall sind die Schriften nicht mehr unmittelbar als zeitgenössisch

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men ,Kaiserhof‘ konstatiert – auch wenn er den Senat, da er als Institution greifbar ist, bezeichnenderweise geradezu als Gegenbeispiel etabliert (a. WallacE-Hadrill, The Roman Imperial Court. Seen and Unseen in the Performance of Power, in: J. F. J. Duindam (Hg.), Royal Courts in Dynastic States and Empires. A Global Perspective, Leiden 2011, 91–102, 93). Vgl. syME, Tacitus, Bd. 1, 70: Praetor und quindecimvir sacris faciundis 85 n. Chr. (vgl. Tac. ann. 11,11) und Suffectconsul 97 n. Chr. Zuletzt dazu a. J. WoodMan, Tacitus and the Contemporary Scene, in: Ders. (Hg.), The Cambridge Companion to Tacitus, Cambridge 2009, 31–43; M. Wilson, After the Silence. Tacitus, Suetonius, Juvenal, in: A. J. Boyle / W. J. Dominik (Hgg.), Flavian Rome. Culture, Image, Text, Leiden 2003, 523–542. Vgl. dazu J. GinsBurG, In maiores certamina. Past and Present in the Annals, in: T. J. Luce / A. J. Woodman (Hgg.), Tacitus and the Tacitean Tradition, Princeton 1993, 86–103.

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

einzuordnen, womit sich die Frage stellt, was genau in ihnen widergespiegelt wird. Das Problem lässt sich nicht nur bei Cassius Dio verdeutlichen, sondern stellt sich beispielsweise, wie sich im Verlauf der Arbeit zeigen wird, gerade auch für Tacitus, Plinius und Sueton. Für eine Untersuchung des Senats ist es außerdem problematisch, dass die Darstellungen der Senatssitzungen oft nur literarisch überformt und auf stilisierte Reden reduziert greifbar sind. Die Kommunikationszusammenhänge daraus zu rekonstruieren, ist nicht immer einfach oder überhaupt möglich. Die beschriebenen Verhandlungen bedürfen daher einer sehr sorgfältigen Prüfung. Diese Art der Überlieferung hat aber nicht nur Nachteile. Zwar sind die Darstellungen oft gezielt um die Reden einzelner Senatoren organisiert, in Bezug auf senatorische Kommunikationsmechanismen setzen die Autoren beim Leser aber genauso oft ein entsprechendes Vorwissen voraus. Details von Entscheidungsprozessen werden so immer wieder eher beiläufig und entsprechend weitgehend unkommentiert erwähnt. ,Reden über den Principat‘ in den kaiserzeitlichen Quellen: Themen und Organisation des Materials Zeitlich sind für die Selektivität und die dafür zugrunde gelegten Kriterien, denen die kaiserzeitlichen Darstellungen folgen, zwei Dimensionen entscheidend:77 Erstens bildet die Republik bzw. genauer: die Erinnerung an die Republik78 die implizite, aber immer präsente Vergleichsebene für die Bewertung des kaiserzeitlichen Senats. Zweitens ist für die Darstellung zentral, wie eng Princeps und Senatsaristokratie miteinander verknüpft sind. Konzeptionell spiegelt sich das auch im Umgang mit der annalistischen Tradition des Genres. Diese ist zwar grundsätzlich dominierend, wird durch die Auswahl des Materials aber immer wieder aufgebrochen.79 77 78 79

Grundlegend dafür immer noch z. B. T. J. lucE / a. J. WoodMan (HGG.), Tacitus and the Tacitean Tradition, Princeton 1993; c. s. Kraus / a. J. WoodMan (HGG.), Latin Historians, Oxford 1997; a. J. WoodMan, Tacitus Reviewed, Oxford 1998. Zur Problematisierung vgl. a. M. GoWinG, Empire and Memory. The Representation of the Roman Republic in Imperial Culture, Cambridge 2005, 3 ff. Die nobiles hatten ihre Leistungen also in den Dienst der politischen Gemeinschaft zu stellen. Im Gegenzug bekamen sie dafür den entsprechenden öffentlichen Raum zur Würdigung zur Verfügung gestellt. Diese Zusammenhänge bildeten bekanntermaßen das gedankliche Gerüst, auf dem die Stabilität der Republik wesentlich beruhte. In dieser Form wurde das aristokratische Konkurrenzdenken integrierbar und produktiv nutzbar. Auch die Historiographie machte sich dieses Anspruchsdenken, literarisch ,objektiviert‘, zu eigen (U. GottEr / n. luraGHi / u. WaltEr, Einleitung, in: Dies. (Hgg.), Formen römischer Geschichtsschreibung von den Anfängen bis Livius. Gattungen – Autoren – Kontexte, Darmstadt 2003, 9–38, 31). Die Geschichtsschreibung bot damit eine gestaltbare Möglichkeit, die virtus von Aristokraten in literarischer Form in die öffentliche Erinnerung einzuschreiben und diesen Raum für sich zu beanspruchen. Dazu d. tiMPE, Antike Geschichtsschreibung. Studien zur Historiographie, hrsg. v. U. Walter, Darmstadt 2007, 79; u. WaltEr, Opfer ihrer Ungleichzeitigkeit. Die Gesamtgeschichten im ersten Jahrhundert v. Chr. und die fortdauernde Attraktivität des ,annalistischen Schemas‘, in: U. Eigler / U. Gotter / N. Luraghi u. a. (Hgg.), Formen römischer Geschichtsschreibung, 135– 156, 144; außerdem J. Marincola, Authority and Tradition in Ancient Historiography, Cam-

2.2 Zugriffsmöglichkeiten auf den kaiserzeitlichen Senat: Das Quellenkorpus

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Das primäre Interesse an Senatsdebatten folgt ebenso der Darstellung dieser Wirkungszusammenhänge. Das gilt beispielsweise, wenn Tacitus in der Darstellung vom Anfang und Ende der Jahre keinem einheitlichen Schema folgt oder wiederkehrende Ereignisse wie die jährliche Inauguration der Magistrate, die Vergabe der Provinzen, die Magistratswahlen oft weitgehend ignoriert werden.80 Wie stark die historiographische Tradition der frühen Kaiserzeit von solchen Deutungsschemata geprägt ist, zeigt der Vergleich mit inschriftlich überlieferten senatus consulta. Die archäologischen Funde in den letzten Jahrzehnten haben in dieser Hinsicht einiges dazu beigetragen, zumindest schlaglichtartig aufzeigen zu können, wie die kaiserzeitlichen Historiographen mit ihrem Material umgingen.81 Den leitenden moralischen Bewertungsmaßstab für seine Selektivität benennt Tacitus in seinem Geschichtswerk:

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bridge 1997; zu den annales maximi siehe auch T. J. cornEll, The Formation of the Historical Tradition of Early Rome, in: I. S. Moxon / J. D. Smart / A. J. Woodman (Hgg.), Past Perspectives. Studies in Greek and Roman Historical Writing. Papers Presented at a Conference in Leeds, 6–8 April 1983, Cambridge 1986, 67–86, 71 f. In solchen Verhandlungen über die Formen der Erinnerung an die mores maiorum markiert das Werk des Livius dagegen sicher einen literarischen Höhe- und Kontrapunkt. Die römische Geschichte ab urbe condita wurde darin in der spezifischen exempla-Tradition, in der es möglich war, weitgehend außerhalb konstitutioneller Reflexionen einen flexiblen Umgang mit den politischen Strukturen zu wahren, kanonisiert. Dazu J. GinsBurG, Tradition and Theme in the Annals of Tacitus, New York 1981, 83–96, 85 f. Vgl. insgesamt zur Interpretation GinsBurG, Tradition, bes. 89; WallacE-Hadrill, Suetonius, 9; zum Umgang mit Zeit im Principat auch dErs., Mutatas Formas, 58–61. Speziell zum 15. und 16. Buch der Annales J. KEr, The Deaths of Seneca, Oxford 2009, 49 ff. Darüber hinaus auch t. J. lucE, Tacitus’ Conception of Historical Change, in: Moxon/Smart/Woodman (Hgg.), Past Perspectives, 143–157, 151: „Note that the question is not whether one will comply with the wishes of those in power; one must (…) make compromises, one must flatter a bit. The question is one of degree, not of absolutes: how much to comply, who is complying to whom, and what the circumstances are that affect one’s choices on a particular occasion. This is one reason why Tacitus’ brand of history is so well suited to an annalistic format: each item needs to be taken up seriatim and dwelt upon separately. Through discrete episodes the milieu peculiar to a particular time is recreated; we can thereby appreciate the complexity of the individual moment, the interplay among events as precedents are established, one man responds to another (…).“ Dagegen steht die Deutung Timpes, der dieses letztlich als Anachronismus der Zeit wertet, in der sich Anspruch und Wirklichkeit senatorischer Formen der Historiographie immer weniger miteinander haben vereinbaren lassen, ohne als Paradoxie erkannt zu werden und sich in ,angemessenen‘ Formen niederzuschlagen: „Die Thematik verrät weniger Beschränktheit von Traditionalisten als Grübeln über die Kontinuität der römischen Geschichte. Aber darin lag doch auch eine ganz einseitige Zuspitzung, der die seltsame Konservierung der annalistischen Form entspricht, also des Aufbauprinzips einer Stadtchronik in den Tagen des weltweiten Imperiums.“ (tiMPE, Antike Geschichtsschreibung, 83). Vgl. dazu Kraus/WoodMan, Latin Historians, 97–102 für die Res Gestae divi Augusti. Siehe außerdem die inschriftliche Überlieferung der Rede des Claudius über die Aufnahme von Galliern in den Senat (Tac. ann. 11,24,1; Liv. 4,3,2–5,6; CIL 13.1668=ILS 212), zur Tabula Siaren­ sis und der Tabula Hebana und dem senatus consultum de Cn. Pisone patre (Tac. ann. 3,7–19; W. EcK / a. caBallos (HGG.), Das senatus consultum de Cn. Pisone patre, München 1996).

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats exsequi sententias haud institui nisi insignes per honestum aut notabili dedecore, quod prae­ cipuum munus annalium reor, ne virtutes sileantur, utque pravis dictis factisque ex posteritate et infamia metus sit. „Eine vollständige Berichterstattung über Anträge im Senat habe ich mir nur dann vorgenommen, wenn sie durch ehrenhafte Gesinnung herausragen oder bemerkenswerte Ehrlosigkeit verraten, weil ich es für die vornehmliche Aufgabe der Geschichtsschreibung halte, dafür zu sorgen, daß tüchtige Leistungen nicht verschwiegen werden und andererseits Bosheit in Wort und Tat sich vor der Schande bei der Nachwelt fürchten muß.“82

Solche Einblicke dienen explizit dazu, den erzählerischen Status zu untermauern. Dieser soll es rechtfertigen, sich exklusiv das Recht der Auswahl, Gewichtung und Komposition des Quellenmaterials vorzubehalten. Tacitus behält sich als berichtende Instanz auf diese Weise immer die letztgültige Autorität vor, wenn es darum geht, Auskunft über Taten zu geben, die von ihm als vorbildlich (oder gerade nicht vorbildlich) gewertet werden. Da sie ihre Themenauswahl auch anderen Auswahlkriterien und Bewertungsmaßstäben unterwerfen, können Cassius Dio und Sueton gegenüber Tacitus, der das Material am Anfang des zweiten Jahrhunderts bewertet, als Korrektiv dienen. Cassius Dio etwa greift auf eine zum Teil gegenläufige Überlieferungstradition zurück. Außerdem schreibt er aus noch wesentlich größerer zeitlicher Distanz und bewertet das Material auch aus dieser Perspektive. Entsprechend gewichtet er die Probleme oft entscheidend anders.83 Indem Sueton den Stoff in Form von Biographien systematisiert, kann er demgegenüber andere Schwerpunkte setzen, als es die Historiographie erlaubt. Der Fokus verschiebt sich damit deutlich. Entgegen einer Anspruchshaltung, die Nähe zum Epischen in der antiken Geschichtsschreibung zu wahren, verfolgt Sueton seine Themen in der Regel, ohne sie rhetorisch aufzubereiten. Zumindest zitiert er immer wieder auch technisches Vokabular, Fachausdrücke und Dokumente – auch in Bezug auf den Senat – im Wortlaut. Von dem manchmal sehr ,kreativen‘ Umgang mit solchen Dokumenten in der historiographischen Tradition unterscheidet er sich deutlich.84 Zentral sind damit drei Punkte: Erstens sind die spezifischen literarischen Techniken zu berücksichtigen. Das gilt zweitens auch für die Fokussierung der kaiserzeitlichen Quellen auf das Verhältnis zwischen Kaiser und Senatsaristokratie. Auf diesen Umstand lässt sich letztlich auch zurückführen, dass in der Forschung so oft entweder nach dem Verhältnis von Senatsaristokratie und Princeps oder direkt nach dem Princeps gefragt wird. Dass das Wissen um die Funktionsmechanismen des kaiserzeitlichen Senats oft genug als bekannt vorausgesetzt wird, dürfte nicht 82 83 84

Tac. ann. 3,65,1 [übers. v. E. HEllEr]. Dazu WoodMan/Kraus, Latin Historians, 88–118. Vgl. F. Millar, A Study of Cassius Dio, Oxford 1966; außerdem M. HosE, Erneuerung der Vergangenheit. Die Historiker im Imperium Romanum von Florus bis Cassius Dio, Stuttgart 1994. Kriterien, die der Chronologie folgen, treten dabei zugunsten einer spezifischen Auswahl, die ein möglichst konsistentes Bild des jeweiligen Herrschers zulässt, weitgehend in den Hintergrund: WallacE-Hadrill, Suetonius, 19–22. Zur Verwendung der acta senatus vgl. syME, Tacitus, Bd. 1, 186 ff.; 278 ff.; zur Überarbeitung und literarischen Funktion von Reden siehe auch Marincola, Authority and Tradition; EBd., Speeches in Classical Historiography, in: Ders. (Hg.), A Companion to Greek and Roman Historiography, Bd. 1, Oxford 2009, 118–132.

2.2 Zugriffsmöglichkeiten auf den kaiserzeitlichen Senat: Das Quellenkorpus

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unerheblich auf diese Quellenlage zurückzuführen sein. ,Unabhängig‘ soll hier keine tatsächliche Unabhängigkeit des Senats vom Kaiser meinen. Vielmehr gilt damit die Aufmerksamkeit den spezifisch senatorischen Kommunikationsmechanismen und deren Eigendynamiken bis ins frühe zweite Jahrhundert. Drittens gilt es den konkreten Zeithorizonten und unterschiedlichen Kontexten, die sich aus dem verwendeten Quellenmaterial ergeben, Rechnung zu tragen. Dabei stellt sich vor allem die Frage, wie Bewertungsmaßstäbe und Bewertungen dem jeweiligen Interesse und dem zeitgebundenen Verständnis der kaiserzeitlichen Autoren Rechnung tragen. Ergänzt werden kann dieses Quellenkorpus durch archäologisches Material, das in den entsprechenden Kapiteln diskutiert wird. Dieses einzubeziehen, ist in verschiedener Hinsicht hilfreich: Erstens lassen sich, wie im vorherigen Kapitel vorgestellt, prosopographische Untersuchungen der kaiserzeitlichen Senatsaristokratie, die detaillierte Einblicke in Struktur und Zusammensetzung der Senatsaristokratie in der Kaiserzeit eröffnen, nutzen. Zweitens lässt sich der Senat als Gremium auf der Basis archäologischer Studien in gut untersuchte architektonische Zusammenhänge einordnen. Archäologische Untersuchungen zur Topographie Roms und der kaiserzeitlichen Architektur in der Hauptstadt des Imperium Romanum liefern wichtige Erkenntnisse darüber, wie sich der Senat in diese Zusammenhänge einordnete und inwiefern die Architektur der Tagungsorte und die Verfahrensstrukturen des Gremiums aneinander angepasst waren. Inschriftliche Funde von Senatsbeschlüssen können zudem drittens die literarischen Quellen ergänzen. Anhand von inschriftlich dokumentierten senatus consulta wie des in Südspanien, der römischen Baetica, entdeckten und von W. EcK und a. caBallos herausgegebenen senatus consultum de Cn. Pisone patre85 lassen sich Parallelen, aber auch Unterschiede gegenüber der literarischen Überlieferung aufzeigen. Solche Funde illustrieren, wie unterschiedlich die Darstellung eines Prozesses, der seinerzeit einiges Aufsehen erregte, bei verschiedenen Adressatenkreisen ausfallen kann. Entsprechend können solche inschriftlich belegten Senatsbeschlüsse weitere Informationen liefern und eine Vergleichsfolie für die Darstellungen in den literarischen Quellen bieten.86 Selbst wenn solche Beispiele insgesamt selten sind, erhält man auf diese Weise einen Einblick in die Repräsentation und Kommunikation von senatorischen Entscheidungen.87 Die Möglichkeit, die Texte einander direkt gegenüberstellen zu können, hat aber auch 85 86 87

EcK/caBallos (HGG.), senatus consultum; außerdem J. BartEls, Der Tod des Germanicus und seine epigraphische Dokumentation. Ein neues Exemplar des senatus consultum de Cn. Pisone patre aus Genf, in: Chiron 39 (2009), 1–9. Siehe Tac. ann. 3,9–19. Die Aufmerksamkeit war entsprechend groß und spiegelt sich in den zahlreichen Publikationen wider: Vgl. u. a. H. i. FloWEr, Rethinking „Damnatio Memoriae“. The Case of Cn. Calpurnius Piso Pater in AD 20, in: ClAnt 17 (1998), 155–185; c. daMon, The Trial of Cn. Piso in Tacitus’ Annales and the Senatus Consultum de Cn. Pisone Patre. New Light on Narrative Technique, in: AJPh 120 (1999), 143–162. Ähnlich auch beispielsweise die Rede des Claudius zur Aufnahme von Galliern in den Senat (Tac. ann. 11,23 f.), die in Lyon auch inschriftlich nachgewiesen wurde (ILS 212 / FIRA I, Nr. 44=E. M. sMallWood, Documents Illustrating the Principates of Gaius, Claudius and Nero, Cambridge 1967, Nr. 367). Dazu z. B. F. VittinGHoFF, Zur Rede des Kaisers Claudius über die Aufnahme von „Galliern“ in den römischen Senat, in: Hermes 82 (1954), 348–372; M. t. GriFFin, The Lyons Tablet and Tacitean Hindsight, in: CQ

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

gezeigt, dass die inschriftliche Fixierung und Publizierung von Senatsbeschlüssen (senatus consulta) im Römischen Reich ebenso wenig wie die literarische Überlieferung als unmittelbare Übertragung des entsprechenden Senatsverfahrens zu verstehen ist. Sie folgte genauso darstellerischen Absichten, die nicht einfach nur auf ihre komprimierte Form zurückzuführen sind, woraus sich entsprechende Konsequenzen für eine Rekonstruktion senatorischer Kommunikationsprozesse ergeben.88 2.3 THEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN: DER SENAT ALS GREMIUM UND SENATORISCHE KOMMUNIKATIONSMECHANISMEN Wenn man sich von der in den Quellen angelegten Konzeption Princeps – Senat lösen will, ergeben sich auf theoretischer Ebene zwei wesentliche Probleme, um das Funktionieren des Senats anhand der Kommunikationsmechanismen untersuchen zu können. Auf die Kaiserzeit bezogen wurden solche Probleme für das Verhältnis von Senat und Senatsaristokratie bereits aufgeworfen. So stellt P. EicH fest, dass eine Untersuchung, die die „Amtsträger (…) als Teilhaber an ihrer originären soziopolitischen Konfiguration“ zum Thema macht, trotz der unterschiedlichsten Herangehensweisen weiterhin ein Desiderat bleibe.89 Auf theoretischer Ebene rückt das Problem in das Blickfeld, in welchem Verhältnis Akteure und Institutionen zueinander stehen. In der althistorischen Forschung ist für den Senat der umfassende Artikel in der Realencyclopädie von a. o’BriEn MoorE aus dem Jahr 1935 immer noch grundlegend. Auf der Basis der Arbeit t. MoMMsEns werden darin die zentralen Befugnisse des Gremiums zusammenstellt.90 Darüber hinaus ist die schon erwähnte Darstellung des kaiserzeitlichen Senats von r. talBErt seit 1984 grundlegend. Beide lassen allerdings aufgrund ihres Überblickscharakters einer umfangreicheren Beantwortung der Frage, wie sich der Senat innerhalb der soziopolitischen Strukturen verorten lässt, wenig Raum. Der Ansatz, sich dem Senat zu nähern, ohne gleichzeitig in die fast schon zwangsläufig erscheinende Dichotomisierung Princeps-Senat zu verfallen, wird zwar konsequent umgesetzt. Für das Verständnis des Gremiums in monarchischem Kontext wäre es aber nicht unwichtig, die soziopolitischen Strukturen stärker einzubeziehen. Daher bleibt die Frage nach der Funktion des kaiserzeitlichen Senats, trotz der bemerkenswert umfassenden Systematisierung des Quellenmaterials, oft zwangsläufig einem Überblickscharakter verhaftet.91

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n. s. 32 (1982), 404–418, bes. 406 f.; W. riEss, Die Rede des Claudius über das ius honorum der gallischen Notablen. Forschungsstand und Perspektiven, in: REA 105 (2003), 211–249. Vgl. WilliaMson, Monuments of Bronze, 162 ff. Vgl. außerdem EcK, Befund und Realität, bes. 54 ff. Zur Problematik auch r. HaEnscH, Einführung, in: Ders. (Hg.), Selbstdarstellung und Kommunikation, 1–15, bes. 7 f.; a. EicH, Diplomatische Genauigkeit oder inhaltliche Richtigkeit? Das Verhältnis von Original und Abschrift, in: Haensch (Hg.), Selbstdarstellung und Kommunikation, 267–299, 275; H. WanKEl, Die Rolle der griechischen und lateinischen Epigraphik bei der Erklärung literarischer Texte, in: ZPE 15 (1974), 79–97. EicH, Aristokratie und Monarchie, 131. o’BriEnMoorE, Senatus, 660–800. Allerdings sollte man anmerken, dass das auch explizit sein Anliegen war: talBErt, Senate, 3.

2.3 Theoretische Überlegungen: Der Senat als Gremium

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Politikwissenschaftliche Ansätze zur Analyse von Entscheidungsprozessen Grundsätzlich werden akteur- und institutionenzentrierte Ansätze als theoretische Zugänge nicht als unauflösbarer Widerspruch verstanden. Akteure folgen zwar den Wirkungsmechanismen von Institutionen und identifizieren sich gleichzeitig mit einer Institution und durch sie. Der Institution verleihen die Akteure damit aber wiederum erst Gestalt und Dauer. Institutionen lassen sich also in ihrer Bezogenheit auf und Gebundenheit an Akteure als konstruierte und dadurch in gewissem Sinn auch form- und wandelbare Kategorie charakterisieren. Vor allem stehen sie damit nicht außerhalb sozialer Interaktion, sondern werden erst durch diese konstituiert. Akteure wiederum sind in ihrem Handeln in institutionellen Kontexten spezifischen – vom Individuum abstrahierenden – Dynamiken unterworfen, die jedoch erst auf diese Weise die notwendige Stabilität der Handlungsbedingungen über den einzelnen Akteur hinaus gewährleisten.92 Diese theoretischen Vorannahmen zum Wechselverhältnis von Akteuren und Institutionen lassen sich für die Frage nach der Funktion des Senats in der frühen Kaiserzeit operationalisieren. Die Frage impliziert zwei Dimensionen, die voneinander zu unterscheiden sind. Erstens stellt sich die Frage nach der Funktion des Senats unmittelbar als Frage nach dessen Verortung im sozialen Makrokosmos.93 Im Anschluss an P. BourdiEu lässt sich eine Untersuchung des Senats grundsätzlich als Analyse des politischen Feldes konzipieren. Das setzt zwar voraus, zunächst 92

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Ein solches Verständnis von Institutionen und ihrer Wirksamkeit prägt auch die aktuelle Forschung: vgl. dazu grundlegend in der Geschichtswissenschaft r. BlänKnEr / B. JussEn (HGG.), Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, Göttingen 1998; außerdem aus politikwissenschaftlicher Perspektive: G. GöHlEr (HGG.), Institution – Macht – Repräsentation. Wofür politische Institutionen stehen und wie sie wirken, Baden-Baden 1997. Darin werden Institutionen vor dem Hintergrund der bisherigen Forschung folgendermaßen definiert: „Soziale Institutionen sind relativ auf Dauer gestellte, durch Internalisierung verfestigte Verhaltensmuster und Sinngebilde mit regulierender und orientierender Funktion.“ Weiter heißt es: „Institutionen sind einerseits selbst stabil, sie sind Strukturierungen, die relativ auf Dauer gestellt sind. Andererseits entfalten sie auf diese Weise stabilisierende Wirkung, weil sie dem menschlichen Zusammenleben über die Situationsbedingtheit hinaus eine Form geben, die die Handlungen der anderen bis zu einem gewissen Grade erwartbar und in den Gemeinsamkeiten erkennbar macht.“ (G. GöHlEr, Der Zusammenhang von Institution, Macht und Repräsentation, in: Ders. u. a. (Hg.), Institution, 11–62, 15); G. GöHlEr / r. sPEtH, Symbolische Macht. Zur institutionentheoretischen Bedeutung von Pierre Bourdieu, in: R. Blänkner / B. Jussen (Hgg.), Institutionen und Ereignis, 17–48; bes. 22 f. Darüber hinaus nähert sich auch Bourdieu der Macht beispielsweise der Schule bzw. dem französischen Schulsystem auf diesem Wege (vgl. P. BourdiEu, Der Staatsadel (La Noblesse d’état), Konstanz 2004, 15 f.). r. MüncH, Zwischen Handlungstheorie und Systemtheorie. Die Analyse von Institutionen, in: G. Göhler (Hg.), Grundfragen der Theorie politischer Institutionen. Forschungsstand – Probleme – Perspektiven, Opladen 1987, 173–187. So auch G. sartori, Demokratietheorie, Darmstadt 1992, 212–242 sowie grundlegend zum Verhältnis F. W. scHarPF, Interaktionsformen. Akteurzentrierter Institutionalismus in der Politikforschung, Opladen 2000, 72–94. Diese Perspektive auf das Ganze erscheint letztlich aber nur sinnvoll, wenn man auch nach der Autonomie innerhalb der sozialen Welt im Sinne einer Abgeschlossenheit von dieser und den sehr spezifischen Mechanismen fragt.

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

von dessen Bedeutung in republikanischer Zeit auszugehen, bietet aber den Vorteil, die Akteure in ihrer konkreten und vor allem spezifischen Bezogenheit auf das Gremium als Besonderheit fassen zu können. Im Hinblick auf die tiefgreifenden Veränderungen in der späten Republik und der frühen Kaiserzeit bedeutet das keineswegs, Kontinuität von vornherein vorauszusetzen. Es betont aber, dass kaiserzeitliche Kommunikationsmechanismen – selbst wenn sie sich davon grundlegend unterscheiden mögen – immer auch vor dem Hintergrund ihres Funktionierens in republikanischer Zeit zu verstehen sind. Zudem macht die Konzeption als politisches Feld deutlich, dass die Akteure, die diesem Feld unmittelbar zugeordnet werden können, in Formen handeln und kommunizieren, die nicht primär aus ihrem Bezug zu ihrer Umwelt, sondern aus ihrem Bezug auf die anderen Mitglieder des Feldes heraus erklärbar sind.94 Daran anschließend stellt sich zweitens die Frage, wie sich die spezifischen Mechanismen, oder auch Gesetzmäßigkeiten, des Feldes beschreiben und analysieren lassen.95 Dadurch, dass das Handeln der einzelnen Akteure in institutionellen Kontexten spezifischen Dynamiken unterworfen ist, lässt es sich nicht mehr problemlos auf den einzelnen Akteur zurückführen. Vielmehr lenkt das den Blick auf die Herstellung kollektivierter Entscheidungen und damit auch auf die konkreten Funktionsmechanismen von Gremien. Um die Funktionsmechanismen des Senats tatsächlich untersuchen zu können, erscheint es daher notwendig, nach prägenden Dynamiken von senatorischen Kommunikationsmechanismen, die im Senatsverfahren institutionalisiert wurden, zu suchen. Das wirft die Frage nach den theoretischen Zugängen auf, die einen Zugriff auf das Gremium erlauben. Deutungsangebote für solche Zusammenhänge liefern insbesondere entscheidungstheoretische Überlegungen in der Politikwissenschaft. Diese widmen sich explizit dem Problem, wie Gremien in unterschiedlichen politischen Systemen arbeiten. Damit werden Analysemöglichkeiten bereitgestellt, die auch für den kaiserzeitlichen Senat anschlussfähig sind. Formen der Entscheidungsfindung, wie sie für die römische Republik zuerst anhand der Volksversammlungen untersucht worden sind,96 lassen sich so Verfahren zuordnen, die in der politikwissenschaftlichen Theorie Konsens- bzw. Verhandlungssystemen zugerechnet werden. Sie 94

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Vgl. P. BourdiEu, Das politische Feld. Zur Kritik der politischen Vernunft, Konstanz 2001, 41–66. Speziell zur Betonung, dass das politische Feld keine unwandelbare Konzeption darstellen muss, sondern im Gegenteil grundsätzlich von der Wandelbarkeit ausgeht und sogar lebt vgl. BourdiEu, Das politische Feld, 42 (zur Genese des politischen Feldes). Diese werden trotz Rückbindung an den sozialen Makrokosmos auf sehr spezifische Weise ausdifferenziert: So ist es nach Bourdieu, „(…) einer der Vorzüge des Feldbegriffs, deutlich zu machen, daß bestimmte Handlungen von Personen, die auf dem Spielfeld mitspielen (…) ihren Ursprung in diesem politischen Feld haben.“ (BourdiEu, Das politische Feld, 46). Bourdieus Ausführungen zum politischen Feld stellen für diese Frage selbst ein wenig konkretes analytisches Instrumentarium bereit, weshalb an dieser Stelle darüber hinausgehend einige theoretische Überlegungen angebracht erscheinen. Allerdings wirft Bourdieu einige interessante Fragen auf, auf die im weiteren Verlauf aber gesondert zurückzukommen sein wird (vgl. EBd., 41 u. 46 f.). Vgl. dazu auch Kap. 2.3 / S. 47 f. mit der entsprechenden Literatur zu den Volksversammlungen.

2.3 Theoretische Überlegungen: Der Senat als Gremium

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werden damit – in Abgrenzung zur Herstellung von Entscheidungen durch hierarchische Steuerung, Mehrheitsentscheidungen und Einzelentscheidungen – als eine spezifische Form von kollektivierten Entscheidungen beschrieben.97 Dahinter steht die vor allem in der Demokratietheorie und policy-Forschung untersuchte Frage, wie Entscheidungen in Gruppen zustande kommen und wie diese funktionieren, ohne dass die Probleme, die mit der Kollektivierung verbunden sind, gegenüber individuellen Entscheidungen exponentiell ansteigen. Diese Probleme ergeben sich erst in der Interaktion. Sie bestehen im Wesentlichen in den unterschiedlichen Handlungsorientierungen der Akteure, die für eine Entscheidung integriert bzw. harmonisiert werden müssen, dem damit verbundenen Zeit- und Kraftaufwand („Transaktionskosten“)98 und der nicht selbstverständlichen Verbindlichkeit von Entscheidungen, also der Anerkennung als legitime Entscheidung.99 Um diese Probleme möglichst zu minimieren, sind verschiedene Faktoren wichtig: Zum einen ist die Größe des entscheidenden Gremiums wichtig. Je größer ein Gremium ist, desto höher sind die Transaktionskosten, weil viele Meinungen in den Entscheidungsprozess eingebunden werden müssen. Entsprechend sinkt die Berechenbarkeit des Entscheidungsprozesses mit der Vielzahl der Interessen. Die „äußeren Risiken“ dagegen, also die Möglichkeit, dass eine Entscheidung des Gremiums nicht anerkannt wird, sinken auf diese Weise. Zum anderen ist die Zusammensetzung des Gremiums entscheidend dafür, dass Beschlüsse anerkannt werden. Idealiter gilt diese als repräsentativ oder den gesellschaftlichen Strukturen angemessen. Gleichzeitig begründet die Zusammensetzung die Homogenität der Gruppe, indem sie die Ausrichtung auf eine solidarische Handlungsorientierung begründet und ausprägt.100 So lassen sich als Grundlage für die Entscheidungsfähig97

Vgl. dazu grundlegend sartori, Demokratietheorie, 212–249; H. nassMacHEr, Politikwissenschaft, 5., bearb. u. erw. Aufl., München 2004, 107–125, bes. 109–117; scHarPF, Interaktionsformen, 276–281 (Mehrheitssysteme); 281–284 (Verhandlungssysteme). Für antike politische Ordnungen tiMMEr, Altersgrenzen, 276 ff. Als Mehrheitssysteme lassen sich Formen der Entscheidungsfindung beschreiben, in denen das Ergebnis von der Mehrheit der beteiligten Akteure bestimmt wird, während die Meinungen der überstimmten Minderheiten dann keine weitere Berücksichtigung für die getroffene Entscheidung mehr finden und somit ihre Relevanz letztlich verlieren. Die wesentliche Grundlage eines solchen Systems wird geschaffen, indem die Stimmen aller am Prozess der Entscheidungsfindung beteiligten Akteure, unabhängig von der sozialen Stellung des Abstimmenden, grundsätzlich gleich gewichtet werden. Gleichzeitig besteht darin auch ein struktureller Nachteil, weil ein solches Verfahren auf der Fiktion beruht, dass alle Präferenzen die gleiche Intensität besitzen. Darüber hinaus birgt diese Form der Entscheidungsfindung beispielsweise auch immer die Gefahr, dass sich Instabilität, Unzufriedenheit mit dem Beschlossenen zyklisch wiederholen. Daran hängt die Möglichkeit eines strukturellen Legitimationsdefizits der getroffenen Entscheidungen durch diejenigen, deren Präferenzen eben keine Berücksichtigung gefunden haben. 98 Dieser – von Sartori als „Entscheidungskosten“ bezeichnete – Mehraufwand entsteht erst in der Interaktion (vgl. sartori, Demokratietheorie, 216). 99 Die „äußeren Risiken“ entstehen ebenfalls erst durch die Kollektivierung eines Entscheidungsgebietes und verweisen auf das Kollektiv, auf das sich die Entscheidungen beziehen bzw. auf die Ungewissheit oder als gefährlich wahrgenommene Möglichkeit der Akzeptanz (vgl. sartori, Demokratietheorie, 215). 100 Bei einer hohen Homogenität der Gruppe und einer entsprechend ausgeprägten solidarischen Handlungsorientierung, wie es auch für den republikanischen Senat nachweisbar ist, ist die

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

keit des Gremiums die Voraussetzungen für möglichst geringe Transaktionskosten schaffen. Darüber hinaus ist die Frage, welche Auswirkung die Probleme haben, die durch die Kollektivierung entstehen, wenn sie in der Realität von den Entscheidungsregeln in ihrem jeweiligen historischen Kontext abhängig sind, also an die spezifischen gesellschaftlichen Strukturen gebunden sind.101 Damit interessieren in diesem Kontext konkret drei Fragen: Erstens ist es für die Analyse von Entscheidungsprozessen wesentlich, ob es sich um unzusammenhängende Einzelentscheidungen oder um einen kontinuierlichen Entscheidungskontext handelt. Zweitens gilt es zu berücksichtigen, ob alle, die am Entscheidungsprozess beteiligt sind, in gleichem Maße oder ob sie überhaupt von den Entscheidungen profitieren. Drittens stellt sich die Frage, wie sich unterschiedliche Handlungsorientierungen, also verschiedene Fähigkeiten (Unabhängigkeit der Akteure) und inhaltliche Ziele (Präferenzen) der Akteure auf den Prozess der Entscheidungsfindung auswirken.102 Das Ziel der Ausprägung unterschiedlicher Entscheidungsmodi ist es auf jeden Fall – den spezifischen Kontexten entsprechend –, Entscheidungssicherheit herzustellen und so zu gewährleisten, dass Entscheidungen grundsätzlich erwartbar sind. Das Vertrauen in das Funktionieren der Kommunikationsmechanismen und die Stabilität basiert grundlegend auf solchen internalisierten Mechanismen.103 Unter Verhandlungssystemen, denen sich auch die politischen Strukturen der römischen Republik zuordnen lassen,104 werden Verfahren der Entscheidungsfindung verstanden, die darauf basieren, dass die beteiligten Akteure so lange miteinander verhandeln, bis sie sich entweder auf einen Konsens verständigt oder sogar Einstimmigkeit erzielt haben.105 Gegenüber Mehrheitsentscheidungen haben diese Formen der Entscheidungsfindung den Vorteil, dass sie den unterschiedlichen Präferenzen der einzelnen Teilnehmer eher gerecht werden, als es eine fiktive und eigentlich wirklichkeitsfremde Gleichsetzung verschiedenster Präferenzen der betei-

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Sozialisation in ihrer Ausrichtung auf die als angemessen definierten Kommunikationsmechanismen entscheidend: Vgl. tiMMEr, Altersgrenzen, 275. Grundsätzlich auch E. FlaiG, Die spartanische Abstimmung nach der Lautstärke. Überlegungen zu Thukydides 1,87, in: Historia 42 (1993), 139–160, 153 f. Dazu sartori, Demokratietheorie, 220. Zur aristokratischen Erziehung, wenn auch ohne Bezug zu Entscheidungsprozessen, siehe P. scHolz, Den Vätern folgen. Zur Sozialisation und Erziehung der republikanischen Senatsaristokratie, Berlin 2011. Vgl. zu den Unterscheidungen sartori, Demokratietheorie, 223 f. – wobei der erstgenannte Aspekt in erster Linie der theoretischen Schärfung des Problems dient und nicht der praktischen Umsetzung. Der Vollständigkeit halber wird er hier aber an dieser Stelle genannt. Dazu insbesondere EBd., 230. Zu ,Vertrauen‘ n. luHMann, Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, 4. Aufl., Stuttgart 2000, ND 2009. Zu einer Diskussion der Anwendbarkeit für die Geschichtswissenschaft vgl. etwa u. FrEVErt, Vertrauen – eine historische Spurensuche, in: Dies. (Hg.), Vertrauen. Historische Annäherungen, Göttingen 2003, 7– 66. Siehe dazu Kap. 2.3 / S. 47–50. Einstimmigkeit ist der seltenere und schwerer umzusetzende Fall, der jedoch den gleichen Wirkmechanismen unterworfen ist.

2.3 Theoretische Überlegungen: Der Senat als Gremium

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ligten Akteure leistet. Gleichzeitig festigen die Formen der Entscheidungsfindung die gesellschaftlichen Strukturen, indem sie diese immer wieder einschärfen.106 Dass diese Formen funktionieren, ist von einem relativ eng umgrenzten Teilnehmerkreis abhängig, weil Einigungen und damit die Beschlussfähigkeit ansonsten problematisch werden. Problematisch wäre das insofern, als vor allem der Zeitaufwand sonst exponentiell ansteigen würde. Notwendige Entscheidungen kämen auf der Basis nicht mehr zustande. Der Anzahl der unterschiedlichen Präferenzen im Rahmen von Kommunikationsmechanismen, die auf persönlichen Verhandlungen basieren, könnte man dann kaum mehr gerecht werden, um alle Interessen zu wahren und zu integrieren.107 Um ein Ergebnis mit dem Ziel, Konsens herzustellen, aushandeln und eine Entscheidung in der aktuellen Sache überhaupt erzielen zu können, wird von den einzelnen Akteuren verlangt, dass sie ihre Präferenzen und ein mögliches Nachgeben in der aktuellen Angelegenheit immer wieder reflektieren, abwägen und außerdem immer bereits vor dem Horizont zukünftiger Abstimmungen festlegen. Trotz der hohen Anforderungen, die solche Entscheidungsmechanismen mit sich bringen, ist auf dieser Grundlage dann aber auch gewährleistet, dass die Interessen aller Beteiligten zumindest in irgendeiner Form berücksichtigt werden.108 Gegenüber anderen Entscheidungen haben Verhandlungssysteme den Vorteil, dass die Akzeptanz der gefassten Entscheidung zumindest innerhalb des beschließenden Gremiums in der Regel sichergestellt ist: Im Idealfall werden alle Akteure, die am Entscheidungsprozess beteiligt sind, auch im Hinblick auf die tatsächliche Entscheidung unmittelbar integriert. Legitimiert werden muss die Entscheidung dann erst gegenüber denjenigen, die an dem Prozess der Entscheidungsfindung bis dahin nicht beteiligt waren, aber trotzdem von dem Beschluss unmittelbar betroffen sind.109 Wie im Fall des römischen Senats, der einen kontinuierlichen Entscheidungskontext gewährleistet, braucht ein solches Verfahren allerdings die Stabilität einiger Bedingungen, die – über die aktuelle Entscheidungssituation hinaus – auch langfristig sicherstellen, dass Entscheidungen zuverlässig zustande kommen: Die Grundlage dafür, dass durch Verhandlungen Angelegenheiten entschieden werden und das System als effektiv gelten kann, bildet eine grundsätzliche Kompromissbereitschaft, die gleichzeitig die unterschiedlichen Intensitäten der Präferenzen berücksichtigt.110 Diese Intensitäten müssen nicht zwangsläufig und ausschließlich einem ,freien Willen‘ der Akteure folgen, sondern tragen ebenso spezifischen, zeitgebundenen Rationalitäten (z. B. die spezifische gesellschaftliche Stellung) 106 Damit wählt man die Entscheidungen, die von den meisten Beteiligten vorgezogen werden, nicht aber die, die von den Beteiligten am meisten vorgezogen werden. Vgl. sartori, Demokratietheorie, 225; 227. 107 Vgl. sartori, Demokratietheorie, 217. 108 Vgl. EBd., 225 ff.; stollBErG-rilinGEr, Verfahren, 11: Die „geregelte Austragung von Konflikt und Dissens“ ersetzt damit den inhaltlichen Konsens. 109 Vgl. dazu tiMMEr, Altersgrenzen, 275. 110 Diese wird üblicherweise als „Disposition zum Nachgeben“ bezeichnet. Grundlegend aus althistorischer Perspektive die Überlegungen von Flaig (z. B. E. FlaiG, Ritualisierte Politik. Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom, Göttingen 2003, 105).

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

Rechnung.111 Da bei jeder Entscheidung immer auch zum Nachteil von beteiligten Akteuren entschieden wird, muss den Nachgebenden eine gleichwertige Gegenleistung oder zumindest eine akzeptable Ausgleichszahlung dafür geboten werden können, dass sie ihre Präferenzen in der aktuellen Angelegenheit zugunsten der Entscheidungsfähigkeit des Gremiums zurückstellen.112 In der Regel geschieht ein solcher Ausgleich zeitversetzt. Dazu muss die Erwartungssicherheit darüber gewährleistet sein, dass sich das Nachgeben zugunsten der Entscheidungsfähigkeit des Gremiums in dem aktuellen Fall – in Form einer konkreten Gegenleistung in der Zukunft – auch tatsächlich lohnt. G. sartori bezeichnet solche Ausgleichszahlungen als „zeitverschobene gegenseitige Kompensation“.113 Gegenüber der Bezeichnung als „Disposition zum Nachgeben“ akzentuiert das besonders, wie stark ein solches Verhandlungssystem an die Erwartung und Erwartbarkeit zukünftiger Leistungen gebunden ist. Erwartungssicherheit darüber, dass ein Nachgeben in der aktuellen Angelegenheit nicht grundsätzlich eine Niederlage bedeutet, sondern auch die zukünftigen Profite in die Kalkulation einbezieht – was für die Stabilität des Verfahrens unerlässlich ist –, ist damit grundsätzlich an das Vertrauen in das Funktionieren der Strukturen gebunden.114 Auf der Grundlage dieser theoretischen Überlegungen bleibt es nun genauer zu prüfen, inwiefern sich der kaiserzeitliche Senat über solche theoretisch beschriebenen Mechanismen analysieren lässt. Der Senat der römischen Republik als Verhandlungssystem Um die Mechanismen von Entscheidungsprozessen zu beschreiben, orientieren sich solche Theorien in der Regel an der Beobachtung gegenwärtiger politischer Systeme. Die Anwendbarkeit in historischer Dimension interessiert dabei aus politikwissenschaftlicher Perspektive kaum. Entsprechend wenig systematisch werden dafür auch politische Entscheidungsprozesse in ihrem unmittelbaren Bezug zu den existierenden gesellschaftlichen Strukturen analysiert.115 Üblicherweise werden die Entscheidungsprozesse anhand demokratischer Systeme untersucht, so dass Fragen 111 Zu diesem Sachverhalt auch n. luHMann, Politische Soziologie, Frankfurt a. M. 2010, 95– 105. Dass es sich bei der Verteilung der Präferenzen um keine „prästabilierte Harmonie“ handelt, weshalb es durchaus zu Krisen kommen kann, betont G. Sartori zu Recht (sartori, Demokratietheorie, 230). 112 Dazu sartori, Demokratietheorie, 227 ff. 113 Vgl. EBd., 229 f. 114 Vgl. insbes. EBd., 230; außerdem scHarPF, Interaktionsformen, 95 ff. Zur Problematik der Konzeption einer Kompromissbereitschaft als ,Verlustgeschäft‘ siehe J. tiMMEr, Gesetzgebung im Konsens? Überlegungen zu den Grundlagen eines Konzeptes und seinen Folgen, in: U. Walter (Hg.), Gesetzgebung und politische Kultur in der römischen Republik, Heidelberg 2014, 82– 107, 94; dagegen E. FlaiG, Die Mehrheitsentscheidung. Entstehung und kulturelle Dynamik, Paderborn 2013, 43; grundlegend für dieses Verständnis auch FlaiG, Ritualisierte Politik, 105. 115 Auch wenn solche Zusammenhänge selten explizit thematisiert werden, liegen solchen Untersuchungen in der Regel Trennungen von ,gesellschaftlichen‘ und ,politischen‘ Strukturen zugrunde.

2.3 Theoretische Überlegungen: Der Senat als Gremium

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nach der Anwendbarkeit für vormoderne Gesellschaften, aber auch für andere politische Formen wie Monarchien bisher bei der Theoriebildung und Analyse nicht einbezogen wurden. Allerdings bieten aktuelle Debatten in der althistorischen Forschung zur römischen Republik sowohl in methodischer als auch in inhaltlicher Hinsicht Anknüpfungspunkte. Die von F. Millar in den 1980er Jahren angestoßene Diskussion um den Charakter der römischen res publica regte seitdem eine Vielzahl von Studien an, die sich mit den Funktionsmechanismen der Republik beschäftigen. Dabei ging es darum, ein genaueres Bild von der politischen Kultur der römischen Republik und deren Stabilität zu gewinnen.116 In der Frage nach den spezifischen Funktionsmechanismen der res publica hat sich die althistorische Forschung lange im Wesentlichen auf Analysen konzentriert, die der Bedeutung des populus Romanus nachgehen.117 In diesem Zusammenhang ist aber nicht die erweiterte Perspektive auf die Volksversammlungen für die Bedeutung der plebs wichtig. Vielmehr interessiert, dass damit verstärkt den Entscheidungsfindungsmechanismen innerhalb der politischen Kultur Aufmerksamkeit gewidmet und herausgearbeitet wurde, wie grundsätzlich politisches Handeln an der Aushandlung des Konsenses orientiert war und den Zusammenhalt und die Stabilität des Gemeinwesens entscheidend begründete. Für die Volksversammlungen hat das M. JEHnE bereits aufzeigen können: Durch diese inszenierte man regelmäßig rituell die Bindung an und die Anerkennung durch den populus Romanus. Seine Akzeptanz bezog das Verfahren der verschiedenen Typen von Volksversammlungen vor allem aus der Einbettung in den Gesamtkontext. Demnach ordnet sich beispielsweise das Entscheidungsverfahren 116 So schon P. a. Brunt, Social Conflicts in the Roman Republic, New York 1971; grundsätzlich dann aber angestoßen v. a. von F. Millar, The Political Character of the Classical Roman Republic, 200–151 B. C., in: JRS 74 (1984), 1–19; dErs., Political Power in Mid-Republican Rome. Curia or Comitium?, in: JRS 79 (1989), 138–150; dErs., The Crowd in Rome in the Late Republic, Ann Arbor 1998. J. a. nortH, Democratic Politics in Republican Rome, in: P&P 126 (1990), 3–21. Siehe resümierend auch M. JEHnE, Einführung. Zur Debatte um die Rolle des Volkes in der römischen Politik, in: Ders. (Hg.), Demokratie in Rom? Die Rolle des Volkes in der Politik der römischen Republik, Stuttgart 1995, 1–9. 117 Vgl. u. a. JEHnE, Integrationsrituale in der römischen Republik. Zur einbindenden Wirkung der Volksversammlungen, in: K.-J. Hölkeskamp / J. Rüsen (Hgg.), Sinn (in) der Antike. Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum, Mainz 2003, 279–297; dErs., Die Beeinflussung von Entscheidungen durch „Bestechung“. Zur Funktion des ambitus in der römischen Republik, in: Ders. (Hg.), Demokratie in Rom? Die Rolle des Volkes in der Politik der römischen Republik, Stuttgart 1995, 51–76; dErs., Geheime Abstimmung und Bindungswesen in der Römischen Republik, in: HZ 257 (1993), 593–613; FlaiG, Ritualisierte Politik, 155–180; H. MouritsEn, Plebs and Politics in the Late Roman Republic, Cambridge 2001; a. yaKoBson, Petitio et Largitio. Popular Participation in the Centuriate Assembly of the Late Republic, in: JRS 82 (1992), 32–52. Vgl. darüber hinaus auch weitere Studien zur politischen Kultur der Republik, die sich im Hinblick auf die Konsensorientierung nicht mit den Institutionen beschäftigen, sondern mit Ritualen wie der pompa triumphalis: K.-J. HölKEsKaMP, Hierarchie und Konsens. Pompae in der politischen Kultur der römischen Republik, in: A. H. Arweiler / B. M. Gauly (Hgg.), Machtfragen. Zur kulturellen Repräsentation und Konstruktion von Macht in Antike, Mittelalter und Neuzeit, Stuttgart 2008, 79–126; t. itGEnsHorst, Tota illa pompa. Der Triumph in der römischen Republik, Göttingen 2005.

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

der comitia centuriata, innerhalb dessen primär die gesellschaftlichen Hierarchien abgebildet wurden, in das Zusammenspiel mit Entscheidungsverfahren der anderen Volksversammlungen, insbesondere der comitia tributa ein. Diese symbolisierten im Gegensatz dazu vor den Akteuren vor allem deren Gleichheit.118 Gleichzeitig bestätigte man über das Verfahren die Werte, die die res publica ausmachten, und die spezifische Legitimität der Aristokratie, die darauf beruhte. Insbesondere die Magistratswahlen durch das Volk schufen ein – zumindest idealiter – neutrales Feld für die alljährlich neubelebte Konkurrenz innerhalb der Aristokratie. Erst dadurch, so K.-J. HölKEsKaMP, habe die Aristokratie schließlich die Konsensfähigkeit, die sie für politische Entscheidungen im Senat benötigte, aufrecht erhalten können: Indem die inneradlige Konkurrenz kanalisiert wurde, konnte die Aristokratie nach außen die Homogenität und Geschlossenheit demonstrieren, die für die Akzeptanz ihrer Beschlüsse notwendig war.119 In diesem Zusammenhang sind aber weniger die konkreten Funktionsmechanismen der Volksversammlungen von Interesse als die zunächst paradox wirkenden Organisationsprinzipien des Verfahrens, die gleichzeitig und gleichberechtigt nebeneinander existierten. Über die instrumentelle Dimension hinaus lässt sich so eine stratifizierte Gesellschaft und ein auf Egalität basierendes Prinzip darstellbar machen, indem sie exemplarisch die wesentlichen und eigentlich widersprüchlichen Strukturierungsprinzipien der res publica als Ganzes im Rahmen des Verfahrens auflösten. Dass es allerdings nicht ganz unproblematisch ist, allein aus dem Abstimmungsverfahren der Volksversammlung auf ein Konsenssystem zu schließen, hat J. tiMMEr hervorgehoben. Da die Volksversammlung nicht der Ort der eigentlichen Entscheidungsfindung gewesen sei, müsse man den Blick ausweiten und nach der Bedeutung des Konsenssystems auch dort fragen, wo die eigentlichen Entscheidungen getroffen wurden, also im Senat.120 Dass auch dort Entscheidungen ein konsensorientiertes Verhalten zugrunde gelegt wurde, illustrieren antike Darstellungen der Verfahrensordnung, die für den republikanischen Senat galt. Strukturell war es unverzichtbar, dass die Homogenität innerhalb der Elite gewahrt wurde, und ein Verhandlungssystem wurde diesen Anforderungen am ehesten gerecht. Denn damit konnten zum einen die Stratifizierung der Aristokratie und zum anderen abweichende Präferenzen berücksichtigt werden. Die Aristokratie war streng hierarchisch organisiert: Die höchste dignitas und auc­ toritas besaßen die Censoren und ehemaligen Consuln; entsprechend waren sie die Meinungsführer im Senat. Danach kamen die Praetorier, Aedilicier und schließlich die ehemaligen Volkstribune und Quaestoren. Die Senatsaristokratie verfügte damit über eine vertikal geschichtete Binnenstruktur, die an sich nicht zur Verhandlung stand (und auch nicht stehen durfte), weil sie die gewissermaßen objektivierte Vor-

118 Siehe JEHnE, Integrationsrituale, 98 f. 119 Vgl. K.-J. HölKEsKaMP, Konsens und Konkurrenz. Die politische Kultur der römischen Republik in neuer Sicht, in: Klio 88 (2006), 360–396, 375; FlaiG, Ritualisierte Politik, 161; 165 f. 120 Vgl. tiMMEr, Altersgrenzen, 298 f. Zur Anwendbarkeit auf den Senat zuletzt dErs., Gesetzgebung im Konsens?, 96.

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aussetzung für den Vergleich und die Vergleichbarkeit der individuellen Leistungen und Ansprüche darstellte.121 Abgebildet wurde genau das durch die Verfahrensordnung des Senats: Die Hierarchien innerhalb der Elite manifestierten sich in der Reihenfolge, in der gesprochen werden durfte. Diese Reihenfolge ordnete sich dem Prinzip unter, den Ranghöchsten auch eine entsprechend exponierte Position in der Abfolge zuzuweisen.122 Sichtbar gemacht wurde das, indem man sie als erstes nach ihrer Meinung fragte. Besonders auch die übliche Form der Abstimmung, die discessio, zu der es in der Regel erst kam, wenn Meinungsverschiedenheiten zumindest weitgehend ausgeräumt worden waren,123 deutet darauf hin, dass es sich um ein Verhandlungssystem handelt. Das Auseinandertreten bildete dabei weder Dissens ab noch handelt es sich um ein reines Mehrheitssystem, bei welchem das Auszählen der Stimmen essentiell wäre; vielmehr diente es in der Regel dazu, die notwendige Übereinstimmung festzustellen.124 Die unverzichtbare Voraussetzung für senatorische Kommunikationsmechanismen, die sich grundsätzlich an der Aushandlung des Konsenses orientieren, ist dabei die bereits beschriebene Fähigkeit und Bereitschaft, in Verhandlungen über einzelne Sachfragen nachgeben zu können. Damit ermöglichte man auf der einen Seite, sich in der konkreten Situation zu einigen; auf der anderen Seite konnte man aber auch ein Entgegenkommen in anderen Fällen erwarten. Entsprechend ist ein solches Nachgeben im politischen Alltag in den republikanischen Quellen als Routine der Konfliktvermeidung auch eindeutig positiv konnotiert. Welche Bedeutung dieser Fähigkeit für die politische Kultur beigemessen wurde, zeigt, dass sie als eine zentrale Tugend galt.125 Wie u. WaltEr dargestellt hat, war eine Politik, die 121 Vgl. HölKEsKaMP, Konsens und Konkurrenz, 273 f.; H. BEcK, Karriere und Hierarchie. Eine Studie zur römischen Aristokratie in der mittleren Republik, Berlin 2005, 62–113. Zu den Neuerungen in der Kaiserzeit vgl. MoMMsEn, StR 1, 572 ff.: Wesentliche Neuerungen waren, dass die politische Laufbahn mit dem Vigintivirat, für den die genauen Altersbeschränkungen unbekannt sind, begann und dass die Altersgrenzen insgesamt herabgesetzt wurden. o’BriEnMoorE, Senatus, 765. 122 Für die ausführliche Argumentation vgl. tiMMEr, Altersgrenzen, 299–306. Zur Redesequenzierung immer noch grundlegend MoMMsEn, StR 3.2, 962–985, bes. 965; J. BlEicKEn, Die Verfassung der römischen Republik. Grundlagen und Entwicklung, 7., überarb. u. erw. Aufl., Paderborn 2008, 89. 123 Vgl. dazu J. tiMMEr, Auseinandertreten, wenn alle einer Meinung sind – Überlegungen zur discessio, in: Klio 91 (2009), 384–405, 394. 124 Vgl. Gell. 14,7,9; 3,18,2. Siehe dazu v. a. tiMMEr, Altersgrenzen, 299 ff. Für eine andere Interpretation der discessio vgl. FlaiG, Ritualisierte Politik, 224–226. Darüber hinaus sei hier auf die weitere Diskussion in den folgenden Kapiteln verwiesen. Für ein solches Verfahren den Begriff der „Konsensfiktion“ zu wählen, wie Hölkeskamp es generell formuliert, ist in diesem Kontext fast schon zu pejorativ, weil man so leicht Gefahr läuft, den römischen Denkmustern zumindest implizit nicht gerecht zu werden. Dazu auch – in Distanzierung von solchen Assoziationen – K.-J. HölKEsKaMP, Concordia contionalis. Die rhetorische Konstruktion von Konsens in der römischen Republik, in: E. Flaig (Hg.), Genesis und Dynamiken der Mehrheitsentscheidung, München 2013, 101–128, 112 f. 125 Siehe z. B. Cic. Att. 14,13B,4: contendi cum P. Clodio cum ego publicam causam, ille suam defenderet. nostras concertationes res publica diiudicavit. si viveret, mihi cum illo nulla con­ tentio iam maneret. Indirekt auch Cic. fam. 11,28,7; Cic. Brut. 1,15,10. Ein solches System

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

sich an sachpolitischen Fragen orientierte und auf Langfristigkeit angelegt war, damit zwar geradezu ausgeschlossen. Bezeichnenderweise wurde das aber nicht als Defizit empfunden, so dass auf dieser Ebene keine Zweifel an der politischen Routine formuliert wurden. Im Gegenteil entsprachen Flexibilität und Kurzfristigkeit – angepasst an die politischen Strukturen – letztlich dem Ideal. Auf diese Weise erklären sich auch die Argumentationen, wie sie beispielsweise charakteristisch für das Briefkorpus eines Cicero sind, die aus moderner Beobachterperspektive vielfach als Inkonsistenzen wahrgenommen werden. Die internalisierte Disposition zum Nachgeben formte dabei die flexiblen Argumentationsweisen und Standpunkte, die auf die konkrete Situation Bezug nehmen und aus dieser heraus durchaus sinnvoll, mit dem Blick über einzelne Entscheidungsfindungsprozesse hinaus für den Beobachter aber oft inkonsequent erscheinen. Angepasst an die Wahlkämpfe, die durch das Annuitätsprinzip permanent präsent waren, und die fehlenden ideologischen Gegensätze war der politische Handlungsraum der res publica damit durch ein nicht unerhebliches Maß an Unberechenbarkeit gekennzeichnet.126 Anknüpfungsmöglichkeiten für die frühe Kaiserzeit Es stellt sich nun die Frage, was diese Ergebnisse für den kaiserzeitlichen Senat als Untersuchungsgegenstand bedeuten. Welche Bedeutung hat ein Verhandlungssystem, das in dieser Form an die soziopolitischen Bedürfnisse angepasst war, im kaiserzeitlichen Kontext? Die Frage stellt sich umso unmittelbarer, wenn die Zeit ab Augustus von der Republik abgegrenzt wird. Die Nutzbarkeit ergibt sich vor allem aus einer grundsätzlichen Kontinuität des Senatsverfahrens.127 Dazu kommt, dass die zeitliche Trennung eine in erster Linie analytische darstellt, um die neuen Kommunikationszusammenhänge in einer Monarchie und die Frage, wie sich diese auf den Senat auswirkten, untersuchen zu können.128 Um ein Gremium zu analysieren, stellen die diskutierten theoretischen Überlegungen einen Erklärungsrahmen bereit, der es erlaubt, auf das spezifische Funktionieren auch des kaiserzeitlichen Senats über die Verfahrensstrukturen und deren Entscheidungsfindungsprozesse – unabhängig vom Kaiser – zuzugreifen. Damit rücken die konkret beobachtbaren senatorischen Kommunikationsmechanismen in den Mittelpunkt. Deren Analyse stellt vor dem theoretischen Hintergrund weitergehende Erklärungsmöglichkeiten bereit, als Ansätze einer ,neuen Politikgeschichte‘ basiert in hohem Maße auf Vertrauen. Ohne in diesem Zusammenhang umfassender auf die sogenannte ,Krise der späten Republik‘ einzugehen, lassen sich solche Wirkungs- und Kommunikationsmechanismen, selbst wenn sie nicht mehr reibungslos funktionierten, noch nachweisen (vgl. WaltEr, Struktur, 50). 126 Vgl. dazu zuletzt WaltEr, Struktur, 50 f. im Anschluss an scHolz, Den Vätern folgen, 268. Aus anderer Perspektive zur Stabilisierung der Handlungserwartung durch einen ,Grundkonsens‘ vgl. u. a. HölKEsKaMP, Concordia contionalis, 120–122; 125. 127 Vgl. dazu talBErt, Senate, 288; MoMMsEn, StR 3.2, 906. Vgl. dazu auch Kap. 4.2. 128 Dazu gehören v. a. die Verlegung der Wahlen, die Neuordnung der Gerichtsbarkeit, die Zusammensetzung des Senats sowie die Neuordnung des Institutionengefüges mit dem Ausbau alternativer Machtzentren wie dem Kaiserhof.

2.3 Theoretische Überlegungen: Der Senat als Gremium

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zunächst eröffnen.129 Das bedeutet nicht, diese ersetzen zu wollen, aber gerade im Hinblick auf das Funktionieren der senatorischen Kommunikationsmechanismen in einem Verhandlungssystem erscheint es sinnvoll, diese durch andere theoretische Analysemöglichkeiten zu ergänzen, um auf die senatorischen Entscheidungsprozesse zugreifen zu können.130 Es bedarf einer genaueren Überprüfung, ob sich der Senat der Kaiserzeit als ein Gremium bloß zustimmenden Charakters verstehen lässt. In einer solchen Deutung werden die Handlungsoptionen der teilnehmenden Akteure oft als gravierend eingeschränkt gesehen: auf Teilnahme und Akzeptanz auf der einen Seite oder Fernbleiben und Distanzierung auf der anderen Seite.131 Notwendig erscheint eine genauere Überprüfung auch, weil erst einmal weitgehend unklar bleibt, was sich hinter solchen konsensualen Formen verbirgt, welche Mechanismen dahinter wirken. Es scheint insgesamt ein – in der Regel quellenbedingtes – Defizit zu sein, zwar konsensuale Formen benennen zu können, nicht aber die Funktionsmechanismen, die sich dahinter verbergen. 132 Die Trennung zwischen Gremium und Verfahren, wie sie hier für die Darstellung vollzogen wird, kann letztlich nur eine analytische Trennung bleiben. Im Lateinischen wird jedenfalls terminologisch nicht differenziert. Daher kann sena­ tus sowohl den Senat als Gremium als auch die konkrete Sitzung beschreiben.133 Ebenso ist es – abhängig von der Art der Quelle – für viele, aber nicht alle genutzten kaiserzeitlichen Quellen charakteristisch, dass sie das senatorische Verfahren nicht an sich zum Thema machen, sondern dieses oft anderen Aspekten unterordnen. Auf dieser Grundlage lässt sich aber auch rechtfertigen, den Senat über dessen Verfahren und die dort ausdifferenzierten Kommunikationsmechanismen zu untersuchen. Über den modellhaften Charakter von Verhandlungssystemen hinaus bleibt es für die konkreten Zusammenhänge zu prüfen, inwieweit das diskutierte ,Konsensmodell‘ im Sinn eines Verhandlungssystems auf den Senat der Kaiserzeit zutrifft oder ob es möglicherweise signifikante Abweichungen gab. Als Bezugspunkt er129 Vgl. dazu auch die folgenden Anmerkungen mit der entsprechenden Literatur. 130 Dazu zuletzt auch tiMMEr, Gesetzgebung im Konsens?, 99 ff. 131 Vgl. c. ronninG, Herrscherpanegyrik unter Trajan und Konstantin. Studien zur symbolischen Kommunikation in der römischen Kaiserzeit, Tübingen 2007, 60. Entscheidend ist aber zunächst die charakteristische Fokussierung der senatorischen Kommunikationsmechanismen auf die Aushandlung des Konsenses wie sie sich für die römische Republik nachweisen lässt und damit konzeptuell auch für den Principat zur Verfügung gestanden haben dürfte. E. Flaig nähert sich im Rahmen seiner Studie zu den Usurpationen im Imperium Romanum den politischen Strukturen auf vergleichbare Weise, stellt damit innerhalb der althistorischen Forschung zur Kaiserzeit allerdings auch immer noch eine Ausnahme dar (vgl. FlaiG, Kaiser, 95 ff.). In Bezug auf den Senat ist die These noch zu diskutieren: „Der Senat der Kaiserzeit war zur Entscheidung nicht nur unfähig, sondern auch unwillig.“ (EBd., 122). 132 Exemplarisch dafür z. B. G. altHoFF, Colloquium familiare – Colloquium secretum – Collo­ quium publicum. Beratung im politischen Leben des früheren Mittelalters, in: FMSt 24 (1990), 145–167; B. scHnEidMüllEr, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: P.-J. Heinig / S. Jahns / P. Moraw (Hgg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, Berlin 2000, 53–87, die trotz der differenzierten Erklärungsangebote solche Fragen weitgehend ungeklärt lassen. 133 So auch schon MoMMsEn, StR 3.2, 905. Zur Diskussion des Befundes siehe Kap. 4.

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

scheint es sinnvoll, ein etabliertes Verhandlungssystem für die Analyse zugrunde zu legen, weil sich daran diskutieren lässt, ob sich eventuell strukturell bedingte Konflikte beobachten lassen. Wenn dem so sein sollte: An welcher Stelle tauchten diese auf? War der Senat überhaupt der Ort, in dem sie zu beobachten waren? Und wie wurden Konflikte in solchen Fällen verhandelt? Wie ließen sich unterschiedliche Interessen integrieren? Gab es situative oder strukturell angelegte Interessenkonflikte, die nicht integrierbar waren? Auch stellt sich die Frage, wie neue Mitglieder integriert wurden. Diese Frage ergibt sich nicht nur im Hinblick auf die zunehmende Anzahl von Provinzialen (die Frage ist allerdings, ob das entsprechend in den zeitgenössischen Quellen thematisiert und reflektiert wird), sondern auch im Hinblick darauf, wie generationenübergreifend Kontinuität gewährleistet wurde. Es ist bereits angedeutet worden, dass Verhalten und Kommunikation der einzelnen Akteure nicht in jeder Hinsicht aus einzelnen Prozessen der Entscheidungsfindung, also konkreten Situationen, erklärbar sind. Die aufgeworfenen Fragen ergeben sich über entscheidungstheoretische Entwürfe hinaus auch aus einer Theorie des politischen Feldes: Wie gezeigt, geht es – ausgehend von der Konzeption des Untersuchungsgegenstandes als vergleichsweise autonomes politisches Feld – nicht um die Kommunikation der Senatoren in ihren Beziehungen zu anderen Gruppen. Vielmehr fokussiert sich die Analyse auf die Eigendynamiken, die sich aus einer unmittelbaren Bezogenheit auf die anderen Mitglieder desselben Feldes ergeben. Damit bleibt allerdings die Frage, was dieser Kommunikation konkret zugrunde liegt. Dass diese funktioniert, so die Beobachtung P. BourdiEus, speist sich elementar aus der sozialen Herkunft, aber auch der Position im Mikrokosmos des politischen Feldes. Das nötige Gespür für die ,Spielregeln‘, das Beherrschen der spezifischen Kultur in der Praxis, lässt sich aber letztlich erst durch eine entsprechende, genau darauf ausgerichtete Sozialisation erlernen134 oder durch vergleichbare Mechanismen gewährleisten, die diese kompensieren. Eine Analyse des Senats soll nicht bedeuten, den Verfahrensbegriff ausschließlich in seiner Ausrichtung auf Entscheidungen und deren Inhalte zu konzipieren. Vielmehr haben zahlreiche Studien aufgezeigt, dass sich die Funktion aufwändiger Verfahren, wie bereits thematisiert, nicht allein in einer instrumentellen Ausrichtung im Sinne einer Herbeiführung von Entscheidungen, sondern ebenso aus bzw. im Zusammenwirken mit ihrer symbolischen Dimension erklären lassen. Solche Verfahren wurden zum Teil mit erheblichem Aufwand inszeniert. Verglichen mit der tatsächlichen Bedeutung solcher Entscheidungen steht der Aufwand zunächst in keinem Verhältnis. Über die Entscheidung hinaus erscheinen die Verfahren aus dieser Perspektive allerdings nicht mehr zwangsläufig als unverhältnismäßig, sondern entfalten in ihrer Bezogenheit auf die gesellschaftlichen Strukturen durchaus integrative Wirkung.135 134 Vgl. BourdiEu, Das politische Feld, 46 ff. 135 Vgl. dazu grundlegend stollBErG-rilinGEr, Einleitung, 12 f.: zur instrumentellen und symbolischen Dimension von Verfahren. Speziell zum Senatsverfahren grundsätzlich bereits WintErlinG, ,Staat‘, 109: „Dies zeigt etwa die sogenannte ,Geschäftsordnung‘ des Senats, die nicht nur eine politische Verfahrensordnung war, sondern zugleich die Funktion eines gesellschaftlichen Zeremoniells erfüllte.“

2.4 Der kaiserzeitliche Senat und dessen Verfahren

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2.4 DER KAISERZEITLICHE SENAT UND DESSEN VERFAHREN: DIMENSIONEN SYMBOLISCHER KOMMUNIKATION Zahlreiche Studien zu republikanischen Institutionen und deren Ritualen haben zeigen können, dass die Fokussierung auf eine Institution und die Ausdifferenzierungen des Verfahrens keinen Widerspruch zu der fehlenden Trennung zwischen politischen und gesellschaftlichen Funktionsbereichen darstellt. Für die Kaiserzeit ist das vor allem durch die Studien von r. rilinGEr und a. WintErlinG aufgezeigt worden.136 Damit politische Verfahrensformen eine solche Autorität erwerben können, wie es beim römischen Senat der Fall war, damit sie Entscheidungen hervorbringen, die als verbindlich gelten, bedürfen sie wesentlich einer strukturellen Autonomie. Auf diese Weise werden sie sichtbar von der Umwelt und dem Alltag abgegrenzt und als etwas Besonderes erfahrbar.137 B. stollBErG-rilinGEr hat die wesentlichen Kriterien für diese Herausgehobenheit des Verfahrens anhand vormoderner Strukturen formuliert: Charakteristisch ist demnach erstens, ein Verfahren in Raum und Zeit deutlich herauszuheben. Das bedeutet, Anfang und Ende des Verfahrens klar abzugrenzen und den Ort, an dem dieses stattfindet, symbolisch herauszuheben. Um der Gefahr zu entgehen, dass die Entscheidung unkalkulierbar oder die Verbindlichkeit anfechtbar wird, ist es zweitens unverzichtbar, den Teilnehmerkreis klar zu definieren. Drittens bedeutet das, dass spezifische Verfahrensrollen festgelegt werden. Sichtbar gemacht wird das etwa durch Amtsinsignien, Sitzordnung oder Redesequenzierung. Und viertens sind für die Herausgehobenheit des Verfahrens die spezifischen Regeln der Entscheidungsfindung charakteristisch. In ihrer äußeren Form sind sie damit normiert und folgen bestimmten Regeln. Auf dieser Grundlage beruht ihre Leistungsfähigkeit, Umwelteinflüsse filtern zu können und so letztlich Komplexität zu reduzieren.138 Tagungsorte Nachvollziehen lassen sich solche Abgrenzungen auch für den kaiserzeitlichen Senat – sowohl bezüglich des Ortes als auch bezüglich der Ausdifferenzierung des Verfahrens und der Verfahrensrollen. Die Tagungsorte und besonders der Haupttagungsort des kaiserzeitlichen Senats, die Curia Iulia, sind eingebettet in eine sorgfältig ausgearbeitete Repräsentationskultur. Diese war in die Topographie der Stadt Rom eingeschrieben, erfuhr in der Kaiserzeit aber entscheidende Umakzentuierungen. Zahlreiche Studien zur römischen Erinnerungskultur haben in den letzten Jahren unter Einbeziehung des archäologischen Befundes herausarbeiten können, wie eng verzahnt in Rom Rituale wie pompa triumphalis, pompa funebris 136 Vgl. beispielsweise WintErlinG, ,Staat‘, 108 ff.; dErs., Theorie und Methode, 9. 137 Das bedeutet nicht, dass das Verfahren damit gleichzeitig unabhängig von der Umwelt ist, aber dennoch einer eigenen, als besonders verstandenen Handlungslogik folgte. Vgl. dazu stollBErG-rilinGEr, Einleitung, 15. 138 Vgl. EBd., Einleitung, 15 f.; diEs., Symbolische Kommunikation, 503.

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

und pompa circensis mit den soziopolitischen Strukturen waren und wie sie in der Ausprägung einer spezifischen Memorial- und Repräsentationskultur regelmäßig vergegenwärtigt wurden.139 In der Kaiserzeit – forciert schon in augusteischer Zeit mit einem umfassenden ,Bauprogramm‘ – war die Topographie der Stadt Rom als politischem Zentrum des Imperium Romanum weitreichenden Veränderungen unterworfen, die auch den Senat sukzessive in neue Deutungskontexte einordnete. Da das Forum Romanum in augusteischer Zeit eindrucksvoll umgestaltet und erst wieder unter Domitian mit der Aufstellung einer überdimensionalen Reiterstatue angerührt wurde,140 stützt sich die folgende Darstellung im Wesentlichen auf die Forschungsergebnisse zur augusteischen Zeit.141 Im Rahmen des sorgfältig geplanten dramaturgischen Arrangements der drei Triumphe de Dalmatis, ex Actio und schließlich ex Aegypto, die den Sieg des neuen Princeps über die Bürgerkriegsgegner und Standesgenossen in immer anderen Facetten inszenierten, fügt sich die Einweihung der Kurie im Jahre 29 v. Chr. in diese Demonstration der Überlegenheit ein. Den Bau hatte bereits Caesar begonnen; unter Augustus wurde die Kurie dann fertig gestellt, um von da an den zentralen Ort

139 Siehe E. stEin-HölKEsKaMP / K.-J. HölKEsKaMP (HGG.), Erinnerungsorte der Antike. Die römische Welt, München 2006. Auf die umfangreiche Forschungsliteratur zu diesen Themen sei hier nur ausschnittsweise hingewiesen. Vgl. darüber hinaus WaltEr, Memoria und res publica; T. itGEnsHorst, Augustus und der republikanische Triumph. Triumphalfasten und summi vi­ ri-Galerie als Instrumente der imperialen Machtsicherung, in: Hermes 132 (2004), 436–458; M. BEard, The Triumph of the Absurd. Roman Street Theatre, in: C. Edwards / G. Woolf (Hgg.), Rome the Cosmopolis, Cambridge 2003, 21–43; T. C. BrEnnan, Triumphus in Monte Albano, in: R. W. Wallace / E. M. Harris (Hgg.), Transitions to Empire. Essays in Graeco-Roman History, 360–146 B. C., in Honor of A. Badian, Norman (Oklahoma) 1996, 315–337; FlaiG, Ritualisierte Politik; HölKEsKaMP, Hierarchie und Konsens, 79–126. Für den kaiserzeitlichen Triumph vgl. grundlegend itGEnsHorst, Tota illa pompa; M. BEard, The Roman Triumph, Cambridge 2007. Für weitere Literatur in Bezug auf die Kaiserzeit vgl. die folgenden Anmerkungen in diesem Kapitel. 140 Zur Reiterstatue siehe s. MutH, Auftritt auf einer bedeutungsschweren Bühne. Wie sich die Flavier im öffentlichen Zentrum der Stadt Rom inszenierten, in: N. Kramer / C. Reitz (Hgg.), Tradition und Erneuerung. Mediale Strategien in der Zeit der Flavier, Berlin 2009, 485–198, 487 f.; 490 f. mit weiterer Literatur. Darüber hinaus z. B. P. zanKEr, Forum Romanum. Die Neugestaltung durch Augustus, Tübingen 1972, 26 f.; darWall-sMitH, Emperors and Architecture; C. E. nEWlands, Statius’ Silvae and the Poetics of Empire, Cambridge 2002, 46–87. 141 Siehe z. B. für die Fülle an Forschungsliteratur zur augusteischen Zeit l. HasElBErGEr / d. G. roMano / E. a. duMsEr (HGG.), Mapping Augustan Rome, Portsmouth 2002; l. HasElBErGEr, Urbem adornare. Rome’s Urban Metamorphosis under Augustus (Die Stadt Rom und ihre Gestaltumwandlung unter Augustus), Portsmouth 2007; K. GalinsKy (HG.), Cambridge Companion to the Age of Augustus; d. FaVro, Making Rome a World City, in: Galinsky (Hg.), Cambridge Companion to the Age of Augustus, 234–263; a. WallacE-Hadrill, Augustan Rome, London 1993; s. WalKEr, The Moral Museum. Augustus and the City of Rome, in: J. Coulston / H. Dodge (Hg.), Ancient Rome. The Archaeology of the Eternal City, Oxford 2000, 61–75. Zur flavischen Zeit v. a. darWall-sMitH, Emperors and Architecture; außerdem: http:// dlib.etc.ucla.edu/projects/Forum [Stand: 16.01.2015]. Einen aktuellen Forschungsüberblick mit den Ergebnissen der archäologischen Grabungen in Rom und weiteren Literaturhinweisen liefert PattErson, The City of Rome Revisited.

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senatorischer Entscheidungen darzustellen.142 Ovid ließ sich ob der Architektur jedenfalls zu begeisterten Lobpreisungen hinreißen: simplicitas rudis ante fuit: nunc aurea Roma est et domiti magnas possidet orbis opes. aspice quae nunc sunt Capitolia, quaeque fuerunt: alterius dices illa fuisse Iovis. curia consilio nunc est dignissima tanto, de stipula Tatio regna tenente fuit (…).

„Einst herrschte rohe Schlichtheit, jetzt ist Rom golden,

und es besitzt die riesigen Schätze einer eroberten Welt. Sieh das Capitol an, wie es jetzt ist und wie es einst war; du wirst sagen, der Jupiter, dem es gehörte, sei ein anderer gewesen. Jetzt ist die Curie wahrhaft einer so bedeutenden Ratsversammlung würdig; aus Stoppeln war sie, als Tatius König war (…).“143

Zur Curia Iulia kamen die Rostra und der Tempel des Divus Iulius, womit Augustus insgesamt auf dem Forum Romanum relativ zurückhaltend investierte. Immerhin hatte er aber mit den wichtigsten politischen Stätten zielgerichtet zentrale Räume besetzt und für sich in Anspruch genommen.144 Einprägsam dürfte vor allem der Eindruck gewesen sein, dass aus erhöhter Position der dem Divus Iulius geweihte Tempel und – ab 10 v. Chr. – auch der von Tiberius erbaute Tempel der Concordia Augusta über das Forum ,wachten‘.145 Neben der Curia Iulia erwähnen die antiken Autoren weitere Orte, an denen der Senat tagte. Darunter sind vor allem der Tempel des Mars Ultor und Zusammen142 Wie selbstverständlich die Curia Iulia als Hauptversammlungsort galt, lässt sich auch daran erkennen, dass der Sitzungsort in den meisten Fällen von den antiken Autoren unerwähnt bleibt oder lediglich als curia kenntlich gemacht wird. So z. B. in R. Gest. div. Aug. 19,1: curiam et continens ei Chalcidicum; Suet. Cal. 60; Tac. ann. 13,4,1. Darüber hinaus findet sich die Klassifizierung als templum, die die sakrale Dimension und die Bedeutung des Ortes hervorhebt: Ov. Pont. 4,5,21: patres in Iulia templa vocati. Dazu auch schon Varro, überliefert bei Gell. 14,7,7. 143 Ov. ars 3,113–120 [übers. v. M. V. alBrEcHt]. Vgl. auch Prop. 4,1,11. Die Verse Ovids feiern emphatisch ein neues, goldenes Rom, dessen Glanz die alten Zeiten überstrahlt und sie nur noch als bloße Erinnerung und Kontrastfolie neben sich gelten lässt. Sie feiern mit der Kurie gleichzeitig den zentralen Ort senatorischer Willensbildung, dem in den goldenen Zeiten (endlich) eine Gestalt verliehen wurde, die der Würde des Gremiums angemessen Ausdruck zu verleihen schien – und sich einfügt in ein Bauprogramm, das mit dem gesamten urbanen Raum der Stadt Rom symbolisch den gesamten Erdkreis für sich in Anspruch nimmt. 144 ἐπεὶ δὲ ταῦτα διετέλεσε, τό τε Ἀθήναιον τὸ Χαλκιδικὸν ὠνομασμένον καὶ τὸ βουλευτήριον τὸ Ἰουλίειον, τὸ ἐπὶ τῇ τοῦ πατρὸς αὐτοῦ τιμῇ γενόμενον, καθιέρωσεν (Cass. Dio 51,22,1). Siehe zur Einweihung auch R. Gest. div. Aug. 19,1; 34,2. 145 Grundlegend dazu immer noch zanKEr, Augustus, 87; dErs., Forum Romanum, 20 f. Vgl. (zur ,Orchestrierung‘ des politischen Gedächtnisses unter Augustus’ Baupolitik) t. HölscHEr, Das Forum Romanum – die monumentale Geschichte Roms, in: Stein-Hölkeskamp / Hölkeskamp (Hgg.), Erinnerungsorte der Antike, 100–122, 114. Zudem E. WElin, Studien zur Topographie des Forum Romanum, Lund 1953; t. K. KissEl, Das Forum Romanum. Leben im Herzen der Stadt, Düsseldorf 2004 – allerdings beschränkt er sich auf die Darstellung. Einen guten Überblick, wenn auch für die oben dargelegten Zusammenhänge wenig ergiebig, liefert d. WatKin, The Roman Forum, London 2009, 11–29.

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künfte auf dem Palatin hervorzuheben.146 Beide Orte zeichnen sich dadurch aus, dass sie gerade die Nähe zum Kaiser inszenieren. Der Mars Ultor-Tempel, der als ebenfalls von Augustus initiiertes und fertiggestelltes Bauprojekt das benachbarte neue Augustusforum dominierte, diente Senatssitzungen, in denen über Krieg und Frieden oder über die Gewährung von Triumphen entschieden wurde.147 Insbesondere die Sitzungen auf dem Palatin, welcher nach und nach allein dem kaiserlichen Haushalt vorbehalten war – auch wenn diese Entwicklung erst in neronischer Zeit als abgeschlossen bezeichnet werden kann –148, dürfte durch die räumliche Nähe zum Kaiser den Eindruck verstärkt haben, dass dieser die Rahmenbedingungen der Sitzungen vorgab. Das machte deutlich, wie eng senatorische Entscheidungen an den Princeps gebunden waren. Sueton weiß von Senatszusam146 Zu weiteren – und auch eher selteneren – Sitzungsorten, obwohl ohne Interpretation, siehe talBErt, Senate, 113–120; G. G. Mason, Senacula and Meeting Places of the Roman Senate, in: CJ 83 (1987), 39–50. 147 Suet. Aug. 29,2: aedem Martis bello Philippensi pro ultione paterna suscepto voverat; sanxit ergo, ut de bellis triumphisque hic consuleretur senatus, provincias cum imperio petituri hinc deducerentur, quique victores redissent, huc insignia triumphorum conferrent. Cass. Dio 55,10,3: (…) τάς τε γνώμας τὰς περὶ τῶν νικητηρίων ἐκεῖ τὴν βουλὴν ποιεῖσθαι, καὶ τοὺς πέμψαντας αὐτὰ τῷ Ἄρει τούτῳ καὶ τὸ σκῆπτρον καὶ τὸν στέφανον ἀνατιθέναι (…). Ausführlich schildert Sueton ein solches Ereignis: (…) magnificas Romam litteras misit, moni­ tis speculatoribus, ut vehiculo ad forum usque et curiam pertenderent nec nisi in aede Martis ac frequente senatu consulibus traderent (Suet. Cal. 44,2). Siehe auch d. l. tHoMPson, The Meeting Places of the Roman Senate on the Palatine, in: AJA 85 (1981), 335–339. Darüber hinaus hilfreich l. ricHardson, A New Topographical Dictionary of Ancient Rome, Baltimore 1992, s. v. Curia Iulia, 102–104, 103 f.; E. tortorici, s. v. Curia Iulia, in: E. M. Steinby (Hg.), LTUR I, Rom 1993, 332–334. Zur symbolischen (und religiösen) Bedeutung der Ortswahl vgl. T. HölscHEr, Macht, Raum und visuelle Wirkung. Auftritte römischer Kaiser in der Staatsarchitektur von Rom, in: J. Maran / C. Juwig / H. Schwengel u. a. (Hgg.), Konstruktionen der Macht. Architektur, Ideologie und soziales Handeln (Constructing Power. Architecture, Ideology and Social Practice), Hamburg 2006, 185–201, 193: „Man wählte Tempel, deren Gottheiten dem Anlass angemessen waren.“ Dezidiert zum Mars Ultor-Tempel vgl. J. W. staMPEr, The Architecture of Roman Temples. The Republic to the Middle Empire, Cambridge 2007, 130– 150. 148 Der Hügel war traditionell durch seine Exklusivität als Wohnsitz gekennzeichnet. Bereits in republikanischer Zeit galt er als das Wohnviertel der Nobilität. Auch der sukzessive Ausbau der Wohngebäude, die zur kaiserlichen domus gehörten, und der Ankauf weiteren Baulandes rührten zunächst nicht grundlegend an der Situation. Weitgehend unklar ist, wie genau und ob sich die kaiserlichen Gebäude von denen der Aristokraten unterschieden (siehe dazu auch W. EcK, Emperor and Senatorial Aristocracy, 102 f.; c. KrausE, Die Domus Tiberiana – Vom Wohnquartier zum Kaiserpalast, in: A. Hoffmann / W. Wulff (Hgg.), Die Kaiserpaläste auf dem Palatin in Rom. Das Zentrum der römischen Welt und seine Bauten, Mainz 2004, 32–58, 47 f.; EcK, Cum dignitate otium, 167). Zum kontinuierlichen Ausbau eines kaiserlichen Hofes und der damit einhergehenden Okkupierung des Palatin für die kaiserlichen Bauten vgl. grundlegend WintErlinG, Aula Caesaris, 47–75. Für eine erste Zusammenfassung neuerer Grabungsbefunde vgl. PattErson, The City of Rome Revisited, 204–207. Demnach bedürfen zwei Punkte der Revision: Zum einen scheint die augusteische domus wesentlich repräsentativer gewesen zu sein, als es bisweilen angenommen wurde und es die literarische Überlieferung vermittelt. Zum anderen gibt es Hinweise dafür, dass mit dem Bau der prachtvollen und in sich abgeschlossenen Anlage der domus Augustana bereits unter Vespasian und nicht erst unter Domitian begonnen wurde.

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menkünften im Apollotempel zu berichten, der einen Teil des kontinuierlich weiter ausgebauten Palastkomplexes darstellte.149 Darüber hinaus finden sich Belege dafür, dass sich die Praxis damit etabliert hatte oder es sich zumindest nicht unbedingt um eine Ausnahmesituation handelte.150 Offenbar blieben die Räumlichkeiten auf dem Palatin aber besonders symbolträchtigen Anlässen vorbehalten. So wurde beispielsweise der Fall des Prätorianerpräfekten Seian im Jahr 31 n. Chr. im Concor­ dia-Tempel151 verhandelt und der Senat nach dem Herrschaftsantritt des Claudius zehn Jahre später dort zusammengerufen. Die letzte explizit dokumentierte Sitzung im Palatium dagegen war ein handfester Skandal, weil Agrippina 54 n. Chr. ankündigte, an einer Entscheidung aktiv teilnehmen zu wollen, was ihr als Frau eigentlich verboten war. Entschärft wurde die Situation schließlich dadurch, dass man den Bereich, in welchem sie sich aufhielt, mit einem Vorhang abtrennte.152 Insgesamt blieb aber die Curia Iulia der Ort, an dem der Senat regelmäßig tagte.153 Die Verbundenheit mit dem Kaiser drückte sich hier nicht nur durch den Bauherrn und Namensgeber der Kurie aus. Auch die Innenausstattung vergegenwärtigte den Senatsmitgliedern diese in jeder Sitzung aufs Neue. Archäologisch lässt sich das Innere des neuen Senatsgebäudes nicht mehr rekonstruieren, beschrieben wird es aber bei kaiserzeitlichen Autoren wie Plinius dem Älteren, bei denen es 149 In spätaugusteischer Zeit fanden diese mit dem Hinweis auf das fortgeschrittene Alter des Princeps dort statt: Siehe Suet. Aug. 28 und 29. Für eine ähnliche Nutzung der Räumlichkeiten in Palatio vgl. Tac. ann. 2,37,2; Cass. Dio 58,9,4; Tab. Siar. fr. II b, Z. 20 f.: (…) in Palatio in portico quae est ad Apollinis in templo, quo senatus haberetur(…); SCPP, Z. 1: (…) in Palatio in portico quae est ad Apollinis; Tab. Heb., Z. 1 f.: (…) in Palatio in portico quae est ad Apol­ linis in eo templo in quo senatus haberi solet (…) (zit. nach EHrEnBErG/JonEs, Nr. 94a=M. H. craWFord, Roman Statutes, Bd. 1, London 1996, Nr. 37–38). Dazu WintErlinG, Aula Caesaris, 54 (Anm. 39) u. 57. Zur Archäologie des Apollontempels vgl. etwa l. BalEnsiEFEn, Bibliotheca Palatina – Die Apollo-Bibliothek, in: Hoffmann/Wulf (Hgg.), Kaiserpaläste, 100–111, bes. 110 f.; diEs., Apollo Palatinus. Ein Kultgründungsvorhaben des jungen Caesar Divi Filius, in: C. Schmitz / A. Bettenworth (Hgg.), Mensch – Heros – Gott. Weltentwürfe und Lebensmodelle im Mythos der Vormoderne, Stuttgart 2009, 67–89. 150 Vgl. B. taMM, Auditorium und Palatium. A Study on Assembly-Rooms in Roman Palaces during the 1st Century B. C. and the 1st Century A. D., Lund 1963, 56 ff. 151 Vgl. HölscHEr, Macht, 193; zanKEr, Forum Romanum, 20 f.; I. KöB, Rom – ein Stadtzentrum im Wandel. Untersuchungen zur Funktion und Nutzung des Forum Romanum und der Kaiserfora in der Kaiserzeit, Hamburg 2000, 50 f.; J. E. PacKEr, Pompey’s Theater and Tiberius’ Temple of Concord. A Late Republican Primer for an Early Imperial Patron, in: Ewald/Noreña (Hgg.), The Emperor and Rome, 135–167. 152 Seian: Cass. Dio 58,9,4; Claudius: Ios. ant. Iud. 19,266; Agrippina: Tac. ann. 13,5,1: (…) ne quis ad causam orandam mercede aut donis emeretur, ne designatis quaestoribus edendi gladiatores necessitas esset. quod quidem adversante Agrippina, tamquam acta Claudii sub­ verterentur, obtinuere patres, qui in Palatium ob id vocabantur, ut adstaret additis a tergo foribus velo discreta, quod visum arceret, auditum non adimeret. Dazu auch WintErlinG, Aula Caesaris, 66 / Anm. 107. 153 Grundlegend ist immer noch die Monographie von A. Bartoli (a. Bartoli, Curia Senatus. Lo scavo e il restauro, Rom 1963), der darin die archäologischen Befunde wesentlich auf der Basis der Rekonstruktion in den 1930ern zusammenstellt. Siehe außerdem l. ricHardson, The Curia Iulia and the Janus Geminus, in: MDAI(R) 85 (1978), 359–369; G. Fatucci, La Curia Iulia. Una proposta di ristostruzione, in: WAC 6 (2009), 113–121; http://dlib.etc.ucla.edu/projects/ Forum/reconstructions/CuriaIulia_1 [Stand: 16.01.2015].

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

zumindest plausibel erscheint, dass die Beschreibungen dem augusteischen bzw. weitgehend wohl auch dem frühkaiserzeitlichen Aussehen insgesamt gerecht werden. Den Schilderungen zufolge ließ Augustus sie mit einer Statue der Victoria, die symbolträchtig auf einer Weltkugel thronte und Waffen aus ägyptischem Beutegut in der Hand hielt, hinter den Sitzen der Consuln als Siegesdenkmal auf einem Pfeiler dekorieren.154 Als Siegesgöttin in der Schlacht von Actium riefen die VictoriaDarstellungen in der Kurie permanent den Sieg über Marcus Antonius in Erinnerung und aktualisierten die militärische Überlegenheit des neuen Herrschers. Dieser Wahrnehmung entsprach auch der Antrag nach dem Tod des Princeps, den Sueton überliefert. Demzufolge sollte das Bild seinem Leichenzug vorangetragen werden. Zwar wurde der Antrag abgelehnt, die Anekdote demonstriert aber, dass die Verbindung zu Augustus von den Zeitgenossen auch tatsächlich hergestellt wurde oder zumindest hergestellt werden konnte.155 Auch die weitere Ausstattung der Kurie war ganz auf den Herrscher fokussiert. Plinius der Ältere beschreibt zwei Bilder, die Augustus dort habe aufhängen lassen.156 Augustus selbst berichtet in seinem Tatenbericht davon, dass sein Name inschriftlich in dem Gebäude verewigt und eine Statue von ihm aufgestellt worden sei.157 Außerdem beschloss der Senat im Jahr 27 v. Chr., einen goldenen Schild zu Ehren des neuen Herrschers aufzustellen, der dessen virtus, clementia, iustitia und pietas pries.158 154 ἐνέστησε δὲ ἐς αὐτὸ τὸ ἄγαλμα τὸ τῆς Νίκης τὸ καὶ νῦν ὄν, δηλῶν, ὡς ἔοικεω, ὅτι παρ’ αὐτῆς τὴν ἀρχὴν ἐκτήσατο· ἦν δὲ δὴ τῶν Ταραντίνων, καὶ ἐκεῖθεν ἐς τὴν Ῥώμην κομισθὲν ἔν τε τῷ συνεδρίῳ ἱδρύθη καὶ Αἰγυπτίοις λαφύροις ἐκοσμήθη (Cass. Dio 51,22,1 f. [Xiph. 80,5 f.]). Weitere antike Erwähnungen der Victoria im Senat bei Suet. Aug. 100; Herodian 5,5,7; 7,11,3; SHA Alexander Severus 14,2; Claud. De VI cos. Honori Aug. 597 ff.; ders. De cos. Stilichonis III 202 ff. Für die wohl bekannteste Erwähnung vgl. Symm. rel. 3,3 u. 5; Ambr. epist. 1,17 f.; 57,4–6. Grundlegend dazu t. HölscHEr, Victoria Ro­ mana. Archäologische Untersuchungen zur Geschichte und Wesensart der römischen Siegesgöttin von den Anfängen bis zum Ende des 3. Jhs. n. Chr., Mainz 1967, 6–17. Vgl. außerdem zanKEr, Augustus, 85 f., dErs., Forum Romanum, 9–12 u. 114; talBErt, Senate, 121 ff. Eine späte Beschreibung findet sich außerdem bei Prud. 2,27–38 (vgl. talBErt, Senate, 128). 155 Vgl. Suet. Aug. 100,2. Inwieweit die Victoria-Darstellungen im Senat allerdings konkret an die augusteische Sieghaftigkeit gebunden waren, lässt sich schwer nachvollziehen, zumal – in allerdings späteren Quellen, die inzwischen auf eine wesentlich längere ,Deutungsgeschichte‘ und zahlreiche Kaiser zurückblicken konnten – abstrahierend von der Romana Victoria (SHA Alexander Severus 14,2; SHA Probus 12,7) oder Victoria quae est in curia (Suet. Aug. 100,2) gesprochen wird. Die Zweifel, die T. Hölscher vor diesem Hintergrund äußert (HölscHEr, Vic­ toria Romana, 11), scheinen durchaus gerechtfertigt und tragen der charakteristischen Ambivalenz der augusteischen Semantik Rechnung, womit die Deutung als Siegesmonument zwar als eine mögliche Lesart, aber nicht als einzige erscheint. 156 Siehe Plin. nat. hist. 35,27 f. u. 131. 157 Vgl. R. Gest. div. Aug. 35,1; Tac. ann. 1,11. 158 Vgl. R. Gest. div. Aug. 34,2; Cass. Dio 55,12,1. Siehe dazu auch talBErt, Senate, 127; außerdem die sehr guten Diskussionen bei GalinsKy, Augustan Culture, 80–90; a. WallacE-Hadrill, The Emperor and his Virtues, in: Historia 30 (1981), 298–323. Zur Ausstattung der Kurie und der Fokussierung auf die gens Iulia sowie die kaiserliche Sieghaftigkeit M. BonnEFondcoudry, Pouvoir des mots, pouvoir des images. Octave et la curia Iulia, in: Klio 77 (1995), 386–404.

2.4 Der kaiserzeitliche Senat und dessen Verfahren

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Das Senatsgebäude im städtischen Kontext Die Darstellung auf die augusteische Zeit zu fokussieren, bringt die Gefahr mit sich, eine Endgültigkeit der Formen zu suggerieren, die der kaiserzeitlichen Realität letztlich nicht gerecht wird. Angelegt ist eine solche Interpretation sicher bereits in der für die frühe Kaiserzeit einzigartigen Dichte der augusteischen Überlieferung – sowohl an literarischem als auch an archäologischem Material – und der zeitgenössischen Wahrnehmung, unter Augustus eine Zeit des Umbruchs und der Erneuerung zu erleben.159 Als prägend für die Forschung können dafür die grundlegende Studie P. zanKErs über das ,Bildprogramm‘ der augusteischen Zeit160 wie auch die Charakterisierung der augusteischen Zeit als „kulturelle Revolution“ gelten.161 Daraus ein Bild der Kaiserzeit zu entwerfen, das zentral von der Konservierung eines solchen „goldenen Zeitalters“ geprägt war, wäre, wie bereits diskutiert, voreilig. Gerade im Hinblick auf die archäologischen Befunde und die Diskussion über die zum Teil rege Bautätigkeit der Kaiser in Rom, die sich auch in den literarischen Quellen widerspiegelt, ist der weitgehende wissenschaftliche Konsens über den ,musealen Charakter‘ der Stadt und der Fokussierung auf das augusteische Erbe unter den Nachfolgern des Augustus in den letzten Jahren zunehmend in Frage gestellt worden.162 Für den Senat selbst scheint diese Diskussion zunächst einmal nicht unmittelbar relevant, weil die Kurie – ebenso wie das Forum Romanum – bis in flavische Zeit kaum bauliche Veränderungen erfuhr. Der Brand Roms im Jahr 69 n. Chr., bei dem auch das Senatsgebäude zerstört wurde, stellt in dieser Hinsicht eine Ausnahme dar. Damit ergab sich unmittelbarer Handlungsbedarf; die baulichen Maßnahmen konzentrierten sich aber offenbar vor allem auf den Wiederaufbau.163 In den folgenden Jahren wurde das Gebäude zunächst wieder aufgebaut und – soweit die Erwähnung des anonymen Chronographen aus dem vierten Jahrhundert – nach dem Brand im Jahr 80 n. Chr. offenbar renoviert.164 Überlegt wird in der Forschung gelegentlich, ob die Bauarbeiten an der Kurie möglicherweise doch umfangreicher 159 Vgl. dazu Kap. 2.1 / S. 23. 160 Vgl. zanKEr, Augustus. Sein Urteil ist m. E. in dieser Hinsicht zu einfach, obwohl die Studie ansonsten zu Recht immer noch als grundlegend gilt. 161 Vgl. WallacE-Hadrill, Mutatio morum, 6 f.; im Anschluss daran d. FaVro, The Urban Image of Augustan Rome, Cambridge 1996, 248; siehe dazu auch schon die Kritik von d. FrEdEricK, Architecture and Surveillance in Flavian Rome, in: Boyle/Dominik (Hgg.), Flavian Rome, 199–227, 207. 162 Vgl. FrEdEricK, Architecture, 205–207, Zit. 205: „The major Flavian projects (…) are enormous reminders that time and history did not stop with Augustus.“ Siehe auch MutH, Auftritt, hier 490 v. a. in Bezug auf das Forum Romanum. 163 Zur Bautätigkeit Vespasians auf dem Forum Romanum: darWall-sMitH, Emperors, 230 ff. 164 Vgl. Chron. anonym. [ed. MoMMsEn], p. 146. In einer weiteren, ebenfalls im 4. Jh. entstandenen Chronik wird die Kurie dagegen nicht explizit erwähnt (vgl. Hier. chron. 273F). Die jetzige Form entspricht dem Neubau unter Diocletian: vgl. ricHardson, Curia Iulia, 103. Dazu außerdem darWall-sMitH, Emperors and Architecture, 233 f. Über die Reiterstatue und die Kurie hinaus soll die Bauaktivität Domitians außerdem den Vespasian- sowie den Dioskurentempel betroffen haben.

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

waren und über Renovierungsarbeiten hinausgingen.165 Da solche Überlegungen in hohem Maße von der Interpretation von Münzbildern abhängig sind (und problematisch ist das bereits für den Bauzustand der Kurie in augusteischer Zeit) und nur durch vereinzelte Hinweise in spätantiken Quellen gestützt werden können,166 wird hier weiterhin von Restaurierungsarbeiten in domitianischer Zeit ausgegangen. Das erscheint insofern plausibel, als solche Erneuerungen in den zeitgenössischen Quellen kein Echo gefunden haben, wie es ein solch umfangreiches Projekt ansonsten hätte vermuten lassen. Archäologisch ist daher m. W. bisher nur die unter Diocletian nach einem Brand neu errichtete Kurie belegbar. Von der Kurie in der frühen Kaiserzeit sind nur wenige Reste erhalten.167 Sicher belegen lässt sich dagegen, dass sich der städtebauliche Kontext, in den sich die Kurie einordnete, kontinuierlich und entscheidend veränderte. Bereits die umfangreichen Baumaßnahmen in augusteischer Zeit sprengten das Repertoire der aristokratischen Selbstdarstellung im öffentlichen Raum, das aus der Republik bekannt war. Die Kurie war baulich zwischen Forum Romanum und Augustusforum integriert. Angefangen auf dem Forum Romanum, das Augustus in der Nachfolge Caesars umfassend auf die Repräsentation der Iulier fokussierte, schuf das neu angelegte Forum Augustum einen Raum, der von Anfang an nicht mehr der Konkurrenz mit anderen Aristokraten diente. Vielmehr vereinnahmte der Princeps deren Erfolge in einzigartiger Weise für sich – inklusive, ganz unbescheiden, die gesamte römische Geschichte. Augustus begegnete damit dem, wie u. WaltEr es formuliert, „agonal-polysemen“ Charakter republikanischer Repräsentationskultur, in der die Aristokratie sich kontinuierlich mit neuen Superlativen überboten hatte, mit einem konsistenten und umfassenden teleologischen Anspruch. Die Entwicklung der römischen Geschichte lief damit auf Augustus als neuen und einzigen Herrscher zu.168 Auch die nachfolgenden Herrscher verstanden es, im Verlauf des ersten und des zweiten Jahrhunderts auf den schon bestehenden Fora, aber auch mit der Anlage neuer öffentlicher Plätze – wie unter Domitian das Forum Transitorium oder unter Traian das Forum Traiani – die öffentlichen Räume der Stadt immer weiter zu vereinnahmen. Auf diese Weise strukturierten sie auch das politische Leben

165 So vermutete l. ricHardson sogar, dass das Gebäude in der Zeit auch verlegt worden sein könnte. Vgl. l. ricHardson, Curia Iulia, 367 / Anm. 55; dazu zuletzt auch M. HEinzElMann, Der domitianische Baukomplex von S. Maria Antiqua in Rom – ein unvollendetes Senatsgebäude als Annex des Kaiserpalastes?, in: H. Svenshon / M. Bolder-Boos / F. Lang (Hgg.), Werkraum Antike. Beiträge zur Archäologie und antiken Baugeschichte, Darmstadt 2012, 176–196. 166 Solange das frühkaiserzeitliche Senatsgebäude archäologisch nicht besser nachweisbar ist, wird man sich weiter auf die literarischen Belege verlassen müssen. Festzuhalten bleibt aber m. E., dass diese für die domitianische Zeit leider nicht besonders detailliert sind und zudem immer noch eine ansonsten rege Bautätigkeit in der Zeit feststellbar ist. 167 Dazu darWall-sMitH, Emperors and Architecture, 233 f. Unklar ist auch, inwieweit sich aus Münzbildern auf den Bauzustand schließen lässt (vgl. talBErt, Senate, 102). 168 Vgl. dazu WaltEr, Memoria und res publica, 420; dazu auch itGEnsHorst, Augustus, 454; M. sPannaGEl, Exemplaria principis. Untersuchungen zu Entstehung und Ausstattung des Augustusforums, Heidelberg 1999.

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um.169 Dazu zählte der sukzessive Ausbau des kaiserlichen Haushaltes. Dieser verdrängte nach und nach auch die letzten aristokratischen Häuser auf dem Palatin, um für immer umfangreichere und in sich geschlossene Anlagen der Kaiser Raum zu schaffen.170 Die seit Augustus neuangelegten Gebäudekomplexe einschließlich des Apollotempels bezogen ihre Bedeutung nicht allein aus ihrer beeindruckenden Größe und Architektur, sondern auch aus der Lage am Südwestabhang des Palatin über dem Circus Maximus. Sie befanden sich damit in unmittelbarer Nähe von Monumenten, die die Gründung der Stadt vergegenwärtigten. So schloss der Apollotempel direkt an ein älteres Heiligtumsareal an, in dem das Monument der Hütte des Romulus verortet wurde. Dessen Nähe suchte Augustus nicht nur hier und nicht nur räumlich.171 Das Forum Romanum als der zentrale Raum des politischen Lebens der Republik blieb damit zwar in die städtischen Strukturen eingebunden, war aber seit der Neuorganisation des öffentlich-politischen Raumes nicht mehr selbstverständlich konkurrenzlos. Die Bauaktivität Domitians fällt in dieser Hinsicht durchaus aus dem Rahmen, weil er im Gegensatz zu seinen Vorgängern das Forum Romanum wieder als Raum für die Inszenierung der kaiserlichen Position suchte.172 169 Kaiserfora: u. a. MutH, Auftritt, 485–496; zanKEr, Forum Romanum; wenig Beachtung angesichts der umfangreichen Baumaßnahmen widmet dem B. W. JonEs, The Emperor Domitian, London 1992, 89. 170 Vgl. Plin. nat. hist. 17,1–6; Vell. Pat. 2,14,3. Zum Ausbau des kaiserlichen Hofes siehe grundlegend WintErlinG, Aula Caesaris, 47–75; WallacE-Hadrill, Imperial Court. Außerdem u. a. zu einem allgemeinen Überblick der Besiedlung und Bebauung des Palatin seit republikanischer Zeit c. KrausE, Domus Tiberiana; speziell zu Nero: l. F. Ball, The domus aurea and the Roman Architectural Revolution, Cambridge 2003; H. von HEsBErG, Die Domus Imperatoris der neronischen Zeit auf dem Palatin, in: Hoffmann/Wulf (Hgg.), Kaiserpaläste, 59–74 (v. a. Innenausstattung und Luxus). Extravagant war an der domus aurea die räumliche Ausdehnung über weite Teile der Stadt; extravagant war aber auch die Architektur, weil sie sich nicht, wie bis dahin üblich, an der Form des aristokratischen Stadthauses, sondern an der Form der villa rustica orientierte. Die kaiserlichen Bauten verbanden damit auf neuartige Weise Idealtypen römisch-aristokratischer Architektur im urbanen politischen Raum, die den Princeps nicht völlig außerhalb der aristokratischen Konventionen verortete. In ihrer Abgeschlossenheit und der Orientierung an Formen, die für den städtischen Raum untypisch sind, betonen sie aber die Exklusivität des Herrschers. Vgl. WintErlinG, Aula Caesaris, 68 f.; HEsBErG, Domus Imperato­ ris, 61. M. BErGMann, Der Koloß Neros, die Domus Aurea und der Mentalitätswandel im Rom der frühen Kaiserzeit, Mainz 1994, 22–25, widerlegt überzeugend frühere Versuche der Forschung, die neronischen Bauten in Zusammenhang mit hellenistischen Vorbildern zu bringen. Die Kritik der Zeitgenossen richtete sich bezeichnenderweise besonders gegen die räumliche Ausdehnung der neuen kaiserlichen Bauten (z. B. Suet. Nero 31,1 f. Eine Sammlung der Belegstellen über die domus aurea findet sich bei BErGMann, Der Koloß Neros, 18 f.). Speziell zu Domitian: P. zanKEr, Domitians Palast auf dem Palatin als Monument kaiserlicher Selbstdarstellung, in: Hoffmann/Wulf (Hgg.), Kaiserpaläste, 86–99; FrEdEricK, Emperors and Architecture; J. E. PacKEr, Plurima et amplissima opera. Parsing Flavian Rome, in: Boyle/Dominik (Hgg.), Flavian Rome, 167–198. 171 Dazu überzeugend BalEnsiEFEn, Apollo Palatinus, 84 f. Zur Romulushütte: Dion. Hal. ant. 1,79,11. Für eine überzeugende Deutung der Denkmäler, die an die Ursprünge Roms erinnerten, sowie zu weiterer Literatur siehe WaltEr, Memoria und res publica, 179–183. Außerdem J. von unGErn-stErnBErG, Die Romulus-Nachfolge des Augustus, in: W. Schuller (Hg.), Politische Theorie und Praxis im Altertum, Darmstadt 1998, 166–182, 172 ff. 172 In diesem Sinn auch MutH, Auftritt, 490 f.

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

Die Curia Iulia Das Senatsgebäude bestand aus einer 25,20 m langen, 17,60 m breiten und 31,60 m hohen Halle, die leicht erhöht über dem Niveau des Forums liegend über Treppen zugänglich war.173 Da diese Abmessungen zwar auf der Rekonstruktion der spätantiken Kurie basieren, im Wesentlichen aber wohl auch dem seit der frühen Kaiserzeit genutzten Bau entsprachen, gehen Schätzungen bei diesen Ausmaßen davon aus, dass in dem Gebäude Platz für etwa 450 bis 500 Personen war.174 Der Haupteingang befand sich auf der Seite zum Forum Romanum. Auf der gegenüberliegenden Seite existierte mit zwei kleineren Türen auf der Seite, von der aus die vorsitzenden Magistrate die Sitzungen leiteten, eine direkte Verbindung zum Augustusforum.175 Tageslicht fiel in den Raum durch drei große Fenster über dem Haupteingang und durch jeweils ein hoch angesetztes Fenster an den Längsseiten des Gebäudes. Der Innenraum war wesentlich durch drei breite Stufen, die sich an den beiden Längsseiten und über fast die gesamte Länge des Raumes entlangzogen, strukturiert. Nicht ganz klar ist allerdings, ob solche Stufen schon in der ursprünglichen Curia Iulia vorgesehen waren oder erst nachträglich eingebaut wurden.176 Durchbrochen wurde diese Organisation durch die Orientierung auf ein erhöhtes Podest, das über zwei Stufen erreichbar war und sich zwischen zwei Türen am Kopfende der Kurie befand. Vorbehalten war der Platz den vorsitzenden Magistraten – und dem Princeps.177 Prägend für die Architektur war damit innerhalb des Gebäudes die Orientierung auf den Platz des Sitzungsleiters am Kopfende des Saales sowie die Anordnung der Sitzplätze, die durch Stufen strukturiert war. Das Senatsgebäude orientierte sich mit seinem Haupteingang auf die zentralen Orte politischer Entscheidungsfindung auf dem Forum Romanum. Charakteristisch ist aber auch die Abgeschlossenheit und Exklusivität des Raumes. Unterstrichen wurde das durch den massiven Bau, die hoch angesetzten Fenster und die leicht erhöhte Position. Der Entscheidungsfindungsprozess war daher von außen nur begrenzt, bei geschlossener Tür gar nicht 173 Zu den Maßen vgl. ricHardson, Curia Iulia, 103. Die Feststellung Ciceros, dass die Kurie über das Forum ,wache‘ (cum speculatur atque obsidet rostra vindex temeritatis et moderatrix offici curia [Cic. Flac. 57]; dazu R. MorstEin-Marx, Mass Oratory and Political Power in the Late Roman Republic, Cambridge 2004, 56), bezieht sich zwar nicht auf den Neubau der Kaiserzeit, verdeutlicht aber, dass man eine solche erhöhte Position durchaus wahrnahm. Zu der erhöhten Position siehe PattErson, The City of Rome Revisited, 217 f. (im Anschluss an P. caraFa, Il comizio di Roma dalle origini all’età di Augusto, Rom 1998, 132–135) als bauliche Reflexion der Autorität der Aristokratie. 174 Dagegen ältere Schätzungen, die aber auf der Annahme basieren, dass die Senatoren auf Stühlen und nicht auf Bänken Platz nahmen. Vgl. zu einer kritischen Auseinandersetzung damit L. R. taylor / r. t. scott, Seating Space in the Roman Senate and the senatores pedarii, in: TAPhA 100 (1969), 529–582, 545–548 für die genaue Berechnung. Vergleichbares haben auch die Untersuchungen des (republikanischen) Comitiums ergeben, das – je nach Schätzung – entweder 3.000 oder 5.000 Wählern Platz bot, was in keinem Verhältnis zu der Zahl der potentiellen Wähler steht: siehe dazu MouritsEn, Plebs and Politics, 19. 175 Die genaue Funktion dieser beiden Türen ist allerdings nicht geklärt. 176 Siehe dazu genauer Kap. 2.3 / S. 69. 177 Vgl. ricHardson, Curia Iulia, 103.

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einsehbar; für Entscheidungsprozesse, die in ihrer Außenwirkung auf die Feststellung des Konsenses ausgelegt sind, wären damit wesentliche Voraussetzungen gegeben. Die Beteiligung selbst war exklusiv den Senatoren – und den Söhnen von Senatoren, die ab Augustus wieder dem Sitzungsverlauf von der Tür aus folgen durften – vorbehalten.178 Die Besonderheit, die durch den Ort betont wurde, spiegelte sich auch in der engen Verknüpfung zwischen politischem Entscheidungsprozess und sakraler Sphäre wider. Diese stellte eine entscheidende Grundlage für die Autorität des Senats dar.179 Markiert wurde das zum einen durch die Gleichsetzung des Tagungsortes mit einem templum,180 die die Nähe der Entscheidung zum Willen der Götter herstellte. Zum anderen wurde diese Nähe nicht nur nach außen sichtbar gemacht, sondern auch zu Beginn der Senatssitzungen mit dem verpflichtenden Opfer an den Gott, in dessen Tempel man tagte. Damit rief man nicht nur die Privilegierung, sondern auch die ,geheiligte‘ Pflicht jedes anwesenden Senators in Erinnerung.181 Teilnehmerkreis und Verfahrensrollen Der Teilnehmerkreis war durch die Bekleidung sichtbar definiert und abgegrenzt. Laut Sueton war seit den 20er Jahren des ersten Jahrhunderts v. Chr. per Edikt vorgeschrieben, dass das Forum Romanum zukünftig nur noch in der Toga betreten werden durfte. Das galt ebenso im Gericht, im Theater, während der morgendlichen salutationes und bei religiösen Festen (abgesehen von den Saturnalia, während derer die sozialen Normen für eine kurze Zeit verkehrt wurden).182 Die 178 Sen. apocol. 9,1: tandem Iovi venit in mentem, privatis intra curiam morantibus [non licere] sententiam dicere nec disputare. In diesem Sinn auch Tac. ann. 13,5 (Agrippina). Die Rückbesinnung auf die Praxis, dass die Söhne von Senatoren dem Sitzungsverlauf vor der Kurie folgten, ist dokumentiert bei Suet. Aug. 38,2: liberis senatorum, quo celerius rei p. assuescerent, protinus virili toga latum clavum induere et curiae interesse permisit (…). Außerdem Plin. epist. 8,14,4–6; Val. Max. 2,1,9. 179 Dazu auch EicH, Aristokratie und Monarchie, 132 f. 180 Zur Kurie als geheiligter Ort Gell. 14,7,7: tum adscripsit de locis, in quibus senatusconsultum fieri iure posset, docuitque confirmavitque, nisi in loco per augurem constituto, quod ‚templum‘ appellaretur, senatusconsultum factum esset, iustum id non fuisse. propterea et in curia Hosti­ lia et in Pompeia et post in Iulia, cum profana ea loca fuissent, templa esse per augures cons­ tituta, ut in iis senatusconsulta more maiorum iusta fieri possent. 181 Zur Praxis in der frühen Kaiserzeit Cass. Dio 54,30,1: (…) θυμιᾶν τε τοὺς βουλευτὰς ἐν τᾠ συνεδρίῳ, ὁσάκις ἂν ἕδρα αὐτῶν ᾖ, καὶ τὴν ἄφιξιν πρὸς ἑαυτὸν μὴ ποιεῖσθαι, τὸ μὲν ἵνα θεοσεβῶσι, τὸ δὲ ἵν’ ἀπονητὶ συνίωσιν, ἐκέλευσε. Suet. Aug. 35,3: quo autem lecti probatique et religiosius et minore molestia senatoria munera fungerentur, sanxit, ut prius quam consideret quisque ture ac mero supplicaret apud aram eius dei, in cuius templo coiretur (…). Siehe außerdem Suet. Tib. 70; Cass. Dio 56,31,3 zur Abweichung von der Regel während der ersten Senatssitzung nach Augustus’ Tod. 182 Suet. Aug. 40,5: etiam habitum vestitumque pristinum reducere studuit, ac visa quondam pro contione pullatorum turba indignabundus et clamitans: ,en Romanos, rerum dominos, gentem­ que togatum!‘ negotium aedilibus dedit, ne quem posthac paterentur in foro circave nisi positis lacernis togatum consistere. Die Verflechtung von ,religiöser‘ und ,politischer‘ Sphäre ist außerdem in den Aufgabenbereichen der Aristokratie in den zahlreichen Priesterkollegien ange-

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

kaiserliche Anweisung an die Aedilen steht im Zusammenhang mit den umfangreichen Bemühungen, durch zahlreiche ,Sittengesetze‘ die mores wiederzubeleben und die verloren geglaubte Würde der römischen Bürger wiederherzustellen.183 Damit wurde der Raum in seiner herausgehobenen Bedeutung und Exklusivität für den römischen Bürger markiert. Das galt insbesondere, weil das Tragen der Toga mit dem Besitz des römischen Bürgerrechts verbunden war und so die Zugehörigkeit zu einer definierten und klar abgegrenzten Gemeinschaft sichtbar gemacht wurde.184 Als zeremonielle Bekleidung markierte die Toga den öffentlichpolitischen Raum und den Träger als Teilnehmer – in strikter Abgrenzung vom Alltag. Reglementierungen, die die Kleidung von Senatoren betreffen, lassen sich in der frühen Kaiserzeit immer wieder nachweisen; besonders eingeschärft und in der Reichweite mit den augusteischen Regelungen vergleichbar wurden sie erneut unter Domitian.185 Neben der verbindenden, Gemeinschaft stiftenden Dimension diente die Toga in ihren Variationen aber auch als Distinktionsmerkmal, um den Status und Rang ihres Trägers unmittelbar kenntlich zu machen. Als Senator unterschied man sich durch den breiten roten Streifen (latus clavus) an der Tunika, den goldenen Ring und spezielle rote Schuhe (calcei), die es zudem möglich machten, Senatoren patrizischer Herkunft besonders hervorzuheben.186 Senatoren waren in ihrer Zugehörigkeit als

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legt: vgl. dazu (für die Republik) H. BEcK, Die Rollen des Adeligen. Prominenz und aristokratische Herrschaft in der römischen Republik, in: Ders./Scholz/Walter (Hgg.), Die Macht der Wenigen, 101–123, 103 f. Vgl. E. BaltruscH, Regimen morum. Die Regelung des Privatlebens der Senatoren und Ritter in der römischen Republik und der frühen Kaiserzeit, München 1988, 173 f.; speziell zum Tragen der Toga: zanKEr, Augustus, 167–170. Die Exklusivität betont auch Vergil, der Iuppiter zu Beginn der Aeneis den göttlichen Plan offenbaren lässt – und auf dessen Worte wohl auch Augustus bei Sueton rekurriert: his ego nec metas rerum nec tempora pono; / imperium sine fine dedi. quin aspera Iuno / quae mare nunc terrasque metu caelumque fatigat, / consilia in melius referet, mecumque fovebit / Romanos, re­ rum dominos gentemque togatam (Verg. Aen. 1,278–282). Das verstärkte Bedürfnis danach, moralische Qualitäten hervorzuheben, dürfte sich vor allem ergeben haben, weil sich die kaiserzeitliche Gesellschaft mit der zunehmenden Integration von Gruppen konfrontiert sah, die zuvor ausgeschlossen waren. So erleichterten beispielsweise die augusteischen Ehegesetze die Heirat mit Freigelassenen und damit auch auf Dauer die Verleihung des Bürgerrechtes (vgl. GalinsKy, Augustan Culture, 137). Das galt offenbar insbesondere in Abgrenzung von Sklaven und peregrini (vgl. Suet. Aug. 40,3 f.; vergleichbar unter Domitian mit Mart. 5,8; 23; 35 und 5,25; 27; 38; 41). J. EdMondson, Public Dress and Social Control in Late Republican and Early Imperial Rome, in: Ders. / A. Keith (Hgg.), Roman Dress and the Fabrics of Roman Culture, Toronto 2008, 21–46, 22–26 und 32; c. Vout, The Myth of the Toga. Understanding the History of Roman Dress, in: G&R 43 (1996), 204–220, 214 ff. Wie deutlich die Unterscheidung gerade von Rittern damit möglich war, ist allerdings umstritten. In der Kunst lassen sich die Unterschiede jedenfalls kaum erkennen (vgl. d. BoscHunG, Ordo senatorius. Gliederung und Rang des Senats als Thema der römischen Kunst, in: W. Eck / M. Heil (Hgg.), Senatores populi Romani. Realität und mediale Repräsentation einer Führungsschicht. Kolloquium der Prosopographia Imperii Romani vom 11.–13. Juni 2004, Stuttgart 2005, 97–110, bes. 103), dürfte im Alltag aber deutlicher markiert gewesen sein (vgl. z. B. Hor. sat. 1,6,24–29; Cic. Phil. 13,13,28; insgesamt dazu EdMondson, Public Dress, 27 f.).

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Gruppe damit nach außen sichtbar von anderen Gruppen abgegrenzt. Politische Ämter (kurulische Magistraturen) und religiöse Ämter (Priesterkollegien) erlaubten demgegenüber eine weitere Differenzierung. Deren spezifische Autorität wurde durch das Tragen der toga praetexta187 und den zugehörigen Amtsinsignien sowie Lictoren betont, die die Unantastbarkeit des Amtsinhabers und die Verpflichtung zum Gehorsam diesem gegenüber begründeten.188 Gesteigert war die symbolische Abgrenzung in der Bekleidung für das höchste Amt des cursus honorum, das des Censors, sowie für die höchste Auszeichnung für militärische Leistungen durch den Triumph. Ein vollwertiger Triumph war seit dem Jahr 19 v. Chr. bekanntlich dem Kaiser und den Mitgliedern der kaiserlichen Familie vorbehalten. Senatoren wurden seitdem entweder mit der ovatio oder den Triumphinsignien für militärische Siege (ornamenta triumphalia) ausgezeichnet. Der Triumphzug und das Auftreten im aufwändigen Triumphalgewand (vestis tri­ umphalis) – eine purpurne Tunika, die mit goldenen Palmzweigen bestickt war (tu­ nica palmata), und eine purpurne Toga mit goldenen Sternen (toga picta) – wurde zu einem Privileg des Kaisers und der Mitglieder der kaiserlichen Familie.189 Seit Domitian im Jahr 85 n. Chr. das Amt des Censors schließlich dauerhaft übertragen worden war (censor perpetuus),190 galt das auch für das höchste Amt des cursus honorum. Mit einer komplett purpurfarbenen Toga waren die Censoren in dieser Funktion durch ihre Kleidung sichtbar von den übrigen Magistraten abgegrenzt.191 Dass solche Auszeichnungen, die auch durch eine besondere Symbolik hervorgehoben waren, sukzessive als Privileg dem Kaiser vorbehalten waren und gleichzeitig auch aus ihrem ursprünglich senatorischen Kontext herausgelöst wurden (oder es zumindest versucht wurde),192 hebt auf der einen Seite den Princeps in der Personifikation der höchsten senatorischen Ehrungen deutlich sichtbar gegenüber dem Gremium hervor. Auf der anderen Seite lässt eine solche Symbolik die Senatsmitglieder je nach Kontext und Perspektive in ihrer Einheitlichkeit auftreten oder hinter dem Herrscher zurücktreten. Nur die amtierenden Magistrate waren durch die toga praetexta hervorgehoben. Mit der Vereinnahmung der höchsten Ämter durch den Princeps konnten sie aber letztlich nicht ernsthaft konkurrieren. 187 Diese war, im Gegensatz zu der weißen Bekleidung des Bewerbers um ein politisches Amt, mit einem Purpurstreifen gesäumt. 188 Vgl. die Übersicht bei MoMMsEn, StR 1, 382–389. Zu den Lictoren als symbolische Demonstration der magistratischen Gewalt siehe a. Goltz, Maiestas sine viribus. Die Bedeutung der Lictoren für die Konfliktbewältigungsstrategie römischer Magistrate, in: Linke/Stemmler (Hgg.), Mos maiorum, 237–267, 242 u. 263 (Zit.: 242): „Zwar gebührten dem Magistrat aufgrund seines Amtes und seiner individuellen, aus Herkunft, ziviler und militärischer Karriere, rhetorischem Können und sozialem Verhalten resultierenden auctoritas Ehrfurcht und Gehorsam. Gewaltsam einfordern konnten die Lictoren sie im Verweigerungsfall nicht.“ Gerade in der gewaltfreien Durchsetzung der Magistrate lag aber ohnehin das wesentliche Machtpotential. 189 Vgl. MoMMsEn, StR 1, 411 f. Zum ritualisierten Triumph in der Kaiserzeit siehe BEard, Roman Triumph, 69 ff.; itGEnsHorst, Augustus, bes. 443 ff. 190 Vgl. dazu EdMundson, Public Dress, 33. 191 Vgl. EdMondson, Public Dress, 33. 192 Für eine ausführliche Diskussion der Triumphalsymbolik vgl. MoMMsEn, StR 1, 411 ff.

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

Die Darstellungen in der Kunst der Kaiserzeit tendieren dazu, die Standes- und Statusmerkmale zu vereinheitlichen, liefern also keine weiteren Hinweise für die Binnendifferenzierung der Aristokratie. In seiner Gesamtheit wird der Senat – auf Münzen erstmals unter Galba nachweisbar – in der Personifikation als Genius sena­ tus dargestellt; Binnendifferenzierungen verschwinden auch hier hinter der Einheitlichkeit.193 Grundsätzlich verdecken solche Inszenierungen nach außen die internen Distinktionsmerkmale, die sich allein schon in der Kleiderordnung ausdrücken. Wesentlich ist dabei, dass auf diese Weise die Senatoren gegenüber den Magistraten in ihrer Einheitlichkeit als Gruppe sichtbar zurücktraten oder zumindest deutlich abgegrenzt waren. Die Sitzordnung Der Sonderstellung der amtierenden Magistrate wurde auch in der Sitzordnung Ausdruck verliehen. So leiteten die vorsitzenden Magistrate die Sitzung aus erhöhter Position, auf der sella curulis sitzend, mit dem Blick auf die versammelten Senatoren.194 Gegenüber der Gruppe von Senatoren, die sich für die Entscheidungsfindung im Senat eingefunden hatte, hebt die Sitzordnung damit die besondere Ehrenstellung des Vorsitzenden als gegenwärtigem Amtsinhaber in seiner Besonderheit hervor.195 Das gilt auch für die Sitzungen, in denen der Kaiser anwesend war. Dessen Präsenz im Senatsverfahren manifestierte sich auf verschiedene Weise. Visuell wurde der Stellung des Princeps Ausdruck verliehen, indem ihm während der Senatssitzungen – der konsularischen Amtsgewalt gemäß – eine sella curulis zustand. Wenn er bei Sitzungen anwesend war, nahm er zumindest in der Regel darauf Platz.196 193 Vgl. BoscHunG, Ordo senatorius, 99 u. 103 f. Die Ikonographie ist dabei, wie D. Boschung gezeigt hat, äußerst sorgfältig ausgearbeitet: Die Verbundenheit mit dem Kaiser, aber auch die klare Hierarchie wird dargestellt, indem vor dem jugendlichen Genius populi Romani der im Genius personifizierte Senat steht. Bildlich an traditionelle Darstellungen von Vatergottheiten angeglichen, trägt er die spezifisch senatorische Kleidung und betont unmissverständlich das Alter und die Würde des Senats. Zum Genius senatus siehe auch D. KiEnast, Der heilige Senat. Senatskult und „kaiserlicher“ Senat, in: Chiron 15 (1985), 253–283. 194 Wie fasces dienten auch sellae curules als Amtsinsignien ausschließlich dazu, hochrangige senatorische Magistraturen zu symbolisieren, zumindest soweit deren Ursprünge und Entwicklung noch nachvollziehbar sind. Sie versinnbildlichten zum einen die konkrete und legitime Ausübung, aber auch die Kontinuität von Herrschaft. Zum anderen garantierten sie die Unangreifbarkeit des jeweiligen Amtsinhabers (vgl. t. scHäFEr, Imperii Insignia. Sella Curulis und Fasces. Zur Repräsentation Römischer Magistrate, Mainz 1989, 19 ff.; für einen allgemeinen Überblick siehe o. WanscHEr, Sella curulis. The Folding Stool: An Ancient Symbol of Dignity, Kopenhagen 1980). 195 Trotzdem ist es für Senatssitzungen bezeichnend, dass auch die Senatoren sitzen, während bei anderen Gelegenheiten der Ausübung magistratischer Gewalt die anderen Beteiligten dem Magistrat gegenüber stehen (MoMMsEn, StR 1, 397). 196 Generell dazu z. B. Suet. Aug. 43; Suet. Galba 18; Tac. hist. 2,59. Zum Ursprung des kaiserlichen Privilegs im Senat Cass. Dio 54,10,5: ἐπειδή τε μηδὲν ὡμολόγει ὅσα τε ἀπόντος αὐτοῦ στασιάζοντες καὶ ὅσα παρόντος φοβούμενοι ἔπρασσον, ἐπιμελητής τε τῶν

2.4 Der kaiserzeitliche Senat und dessen Verfahren

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Damit wurde ihm ein Platz eingeräumt, der sich zwar der bekannten senatorischen, vom Individuum abstrahierenden Formensprache bediente; gleichzeitig wurde ihm aber auch als einzigem im Senat ein fester Platz, zwischen den beiden amtierenden Consuln, gewährt. Dazu kam, dass dieser Platz dauerhaft an seine Person gebunden und unabhängig von einem konkreten Amt war.197 Diese Art der Repräsentation fügt sich in eine seit spätrepublikanischer Zeit gängige aristokratische Formensprache: t. scHäFEr hat gezeigt, dass beginnend mit der späten Republik vor allem in der frühen und mittleren Kaiserzeit sellae curules bei munizipalen und kurulischen Magistraten als Bildformeln weit verbreitet waren und als solche zu dem Schmuck von Grabbauten schlechthin avancierten.198 Sowohl fasces als auch sellae curules dienten als Amtsinsignien ausschließlich dazu, hochrangige senatorische Magistraturen zu symbolisieren, zumindest soweit sich deren Ursprünge und Entwicklung noch nachvollziehen lassen. Sie versinnbildlichten die konkrete und legitime Ausübung, aber auch die Kontinuität von Herrschaft. Außerdem garantierten sie die Unangreifbarkeit des jeweiligen Amtsinhabers.199 Darüber hinaus ist auffällig, dass die Quellen einerseits mit einer Selbstverständlichkeit davon ausgehen, dass dem Kaiser während der Sitzungen ein so exτρόπων ἐς πέντε ἔτη παρακληθεὶς δὴ ἐχειροτονήθη, καὶ τὴν ἐξουσίαν τὴν μὲν τῶν τιμητῶν ἐς τὸν αὐτὸν χρόνον τὴν δὲ τῶν ὑπάτων διὰ βίου ἔλαβεν, ὥστε καὶ ταῖς δώδεκα ῥάβδοις ἀεὶ καὶ πανταχοῦ χρῆσθαι, καὶ ἐν μέσῳ τῶν ἀεὶ ὑπατευόντων ἐπὶ τοῦ ἀρχικοῦ δίφρου καθίζεσθαι. Darüber hinaus für Tiberius als designierter Nachfolger des Augustus Suet. Tib. 17,2; für Caligula Cass. Dio 59,12,2; für Claudius Cass. Dio 60,16,3. 197 Das nimmt auch Mommsen an (StR 1, 402 f.). Das Privileg macht die bestehenden Hierarchien unmittelbar erfahrbar. So etwa Sen. epist. 7,2,10: si consulem videro aut praetorem, omnia quibus honor haberi honori solet faciam: equo desiliam, caput adaperiam, semita cedam. Suet. Tib. 31: ipsum quoque eisdem et adsurgere et decedere via; Cic. Pis. 12,26: an (…) consulem te quisquam duxit? (…) quisquam in curiam venienti adsurrexit? Wie sensibel man reagierte, wenn solche Spielregeln nicht eingehalten wurden, zeigt Caesar. Als dieser vor dem Senat nicht wie üblich aufgestanden war, wurde ihm Absicht unterstellt. Entsprechend bezeichnete man sein Verhalten als arrogant – zumal er offenbar selbst die Ehrerbietung gegenüber seiner Person in solchen Formen weiter einforderte und Nichtbeachtung als Herabsetzung interpretierte: adeuntis se cum plurimis honorificentissimisque decretis universos patres conscriptos sedens pro aede Veneris Genetricis excepit. quidam putant retentum a Cornelio Balbo, cum conaretur assurgere; alii, ne conatum quidem omnino (…). idque factum eius tanto intolerabilius est vi­ sum, quod ipse triumphanti et subsellia tribunicia praetervehenti sibi unum e collegio Pontium Aquilam non assurrexisse adeo indignatus sit, ut proclamaverit: ,repete ergo a me Aquila rem publicam tribunus!‘ (…) (Suet. Caes. 78; so auch Liv. ep. 116; Cass. Dio 44,8). Solche Formen der Ehrerbietung und Höflichkeit gegenüber dem Höherrangigen galten generell: so z. B. Piso, überliefert bei Gell. 7,9,6; Liv. 9,46; Val. Max. 8,5,6; Cass. Dio 45,16. Grundlegend dazu immer noch MoMMsEn, StR 3.2, 933 f.; 397 ff. 198 Vgl. scHäFEr, Imperii insignia, 21. Er bringt die Beliebtheit dieser Formensprache unmittelbar damit in Zusammenhang, dass die Repräsentationsmöglichkeiten des ordo senatorius seit der frühen Kaiserzeit massiv eingeschränkt worden seien und erklärt sie als erzwungenes Ausweichen auf den sepulkralen Raum. Konsequent ist auch die Annahme, nicht eine Beschneidung der Handlungsräume kurulischer Magistrate für die Wahl der Thematik auf Grabreliefs zu vermuten. Inwieweit sie möglicherweise als Widerspiegelung neuer vor allem kaiserlicher Repräsentationsformen zu interpretieren sind, bleibt allerdings weitgehend ungeklärt. 199 Vgl. scHäFEr, Imperii insignia, 19 ff.; für einen allgemeinen Überblick siehe WanscHEr, Sella curulis, 121–190.

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

ponierter Platz wie die sella curulis zustand, weil er seiner Position am ehesten gerecht werde. Andererseits illustrieren die Quellen aber auch, dass solche Formen in der frühen Kaiserzeit damit nicht zwangsläufig als etabliert gelten mussten. Tiberius’ Umgang mit dem Vorrecht fällt in diesem Zusammenhang aus der Reihe. Nur von ihm wird berichtet, er habe diesen Platz regelmäßig den zuständigen Praetoren überlassen, um sich statt dessen mit einem Platz in einer Ecke des Tribunals zufrieden zu geben.200 Ein solches Verhalten lässt Raum für Interpretationen. Ohne explizit auf das Beispiel des Tiberius einzugehen, deutet z. yaVEtz es als demonstrativen Akt der eingeforderten civilitas.201 Trotzdem verstieß Tiberius, daran lässt Tacitus keinen Zweifel, mit seinem Verhalten gegen die exponierte Position, die ihm als Princeps im Senat zustand. Denn er bediente sich einer Demutsgeste, die senatorischen Kommunikationsformen in einem solchen Kontext ebenso fremd war wie die Überhöhung in göttliche Sphären. Außerdem verweigerte er sich – ob bewusst oder unbewusst, lässt sich nicht endgültig klären – dem Bedürfnis der Senatsaristokratie nach eindeutigen Signalen von Seiten des Kaisers.202 Der Fall zeigt, wie wenig festgelegt und selbstverständlich die Repräsentationsformen des kaiserlichen Status’ im Senat zu Beginn des ersten Jahrhunderts n. Chr. noch waren. Anhand solcher Fälle wurde aber immerhin die Erwartungshaltung an den Kaiser konkretisiert, womit das Auftreten des Kaisers klar voneinander abgegrenzten Kategorien zugeordnet werden konnte. Der Ambivalenz, die in dem kaiserlichen Auftreten im Senat strukturell angelegt war, wurde aber letztlich selbst in dieser Sitzordnung noch Ausdruck verliehen. Der exponierte Platz in der Kurie eignete sich aber, um die latenten Konfliktlinien dieses Ideals visuell aufzulösen und die potentiellen Interpretationsspielräume eng zu halten: Der Kaiser steht zwar für alle sichtbar an der Spitze der Hierarchie, lösen kann er sich aber nicht aus ihr, weil er gleichzeitig seiner Rolle als Senator verhaftet bleibt.203 200 Tac. ann. 1,75,1: nec patrum cognitionibus satiatus iudiciis adsidebat – in cornu tribunalis, ne praetorem curuli depelleret –, multaque eo coram adversus ambitum et potentium preces con­ stituta. Zu dem Platz, der dem Princeps zustand, vgl. talBErt, Senate, 163 ff., der diese oben besprochene Situation allerdings unberücksichtigt lässt. Siehe KiEnast, Augustus, 95. Zur sella curulis auch M. T. GriFFin, Urbs Roma, Plebs and Princeps, in: L. Alexander (Hg.), Images of Empire, Sheffield 1991, 19–46, 30 mit den entsprechenden Belegen. Sueton überliefert dagegen für Caesar, dass dieser einen goldenen Sessel in der Kurie und im Gericht habe aufstellen lassen (Suet. Caes. 76). 201 Vgl. Z. yaVEtz, Plebs and Princeps, Oxford 1969, 98 f. Dass diese nicht ausschließlich als Kommunikation mit der plebs, sondern ebenfalls mit der Aristokratie zu verstehen ist, hat a. WallacE-Hadrill überzeugend herausgearbeitet: Vgl. WallacE-Hadrill, Civilis Princeps, bes. 47 f. Siehe dazu auch KornEMann, Prinzipat des Tiberius, bes. 16. 202 Tiberius’ Verhalten war offensichtlich nicht eindeutig einschätzbar und wurde entsprechend, um – den Herrschaftsverhältnissen Rechnung tragend – auf der sicheren Seite zu bleiben, als recusatio interpretiert (vgl. zu den Kommunikationsformen des Tiberius v. a. KnEPPE, Metus temporum, 198 ff.). Kneppe sieht darin die Unsicherheit der Senatsaristokratie im Wesentlichen begründet, die sich in der taciteischen Darstellung in einem Bild des Kaisers widerspiegelt, der im Laufe seiner Regierungszeit deutlich tyrannische Züge entwickelt. 203 Als spezifische Markierung der herausgehobenen kaiserlichen Position entsprach die Sitzordnung in Senats- und Gerichtsverhandlungen den spezifischen Anforderungen einer streng hierarchisch gegliederten Gesellschaft, die sich auch im Senat fortsetzte und in solchen Formen

2.4 Der kaiserzeitliche Senat und dessen Verfahren

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Gegenüber den versammelten Senatoren als Kollektiv waren die vorsitzenden Magistrate ebenso wie der Kaiser als individuelle – und einflussreiche – Akteure besonders markiert. Die Sitzordnung der anwesenden Senatoren war demgegenüber flexibler. Feste, an bestimmte Akteure gebundene Sitzplätze gab es wohl nicht. Allerdings saßen die Senatoren auf Bänken und ihrem Rang entsprechend zusammen.204 Die Senatoren waren aus dieser Perspektive auch keine homogene Gruppe mehr, sondern grundsätzlich hierarchisch, zunächst in Gruppen, die der jeweiligen Rangklasse der Akteure entsprachen, organisiert. Wie bereits angedeutet, ist unklar, ob die stufenförmig angeordneten Sitzreihen in der Curia Iulia bereits aus augusteischer Zeit stammen, ob sie eventuell nach dem Brand Roms im Zuge der Restaurierungsarbeiten in domitianischer Zeit oder noch später ergänzt wurden. Da die Quellen nur davon berichten, dass das Senatsgebäude unter Domitian restauriert worden sei, scheint ersteres nahezuliegen – sofern man davon ausgeht, dass die augusteische der diocletianischen Kurie im Wesentlichen entsprach. Für eine spätere Neuerung – selbst wenn sie zeitlich nicht genau zu bestimmen ist – spricht allerdings, dass weder von Tempeln noch beispielsweise von der Kurie des Pompeius bekannt ist, dass diese über Stufen verfügt hätten. In den Provinzen ist eine solche Strukturierung des Innenraumes für Senatsgebäude erst ab dem zweiten Jahrhundert nachweisbar.205 Umstritten ist zudem, wie die Magistrate in diese Sitzordnung integriert wurden, zumal wenn der Kaiser anwesend war. Wichtig wären solche Informationen auch insofern, als sie die Schätzungen betreffen, wie vielen Personen das Senatsgebäude Raum bot. Mit den Stufen dürften einige Senatoren weniger Platz gefunden haben. Das wiederum würde zu den Vermutungen passen, wonach bis ins 3. Jahrhundert zum einen immer weniger Senatoren Interesse an den Sitzungen gezeigt haben sollen, ein Zusammenhang muss aber keineswegs zwangsläufig bestehen.206 Wichtig wären die Informationen auch, weil zum anderen nachträglich eingebaute Stufen auch einem gestiegenen Bedürfnis entsprochen haben könnten, die Binnendifferenzierung der Senatsaristokratie allen Akteuren zusätzlich einzuschärfen oder zu verdeutlichen.207 Auch wenn a. o’BriEn MoorE im Anschluss an Bemerkungen Cassius Dios davon ausgeht, dass jeder Senator einen festen Platz hatte,208 stand für den Verlauf

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aktualisiert wurde. Gleichzeitig wurde so der Kaiser als neuer Akteur in den Verlauf der Senatssitzung integriert. Gegen eine feste Sitzordnung für jeden einzelnen Senator, die noch dazu mit individuellen Sitzplätzen aufwändig wäre, spricht die Zuordnung zu Gruppen, die den Rangklassen entsprachen, aber auch, dass es neben der Curia Iulia zahlreiche weitere Tagungsorte gab. Dazu taylor/scott, Seating Space, 539 ff. Weitere Hinweise könnte auch die Bauweise munizipaler Senatsgebäude liefern. Auch hier ist aber für die frühe Kaiserzeit keine stufenförmige Anordnung der Sitzreihen im Innenraum bekannt. Vgl. z. B. M. HaMMond, The Antonine Monarchy, Rom 1959, 259. Dazu Kap. 4.2.2. Vgl. Kap. 4.2.2. Cass. Dio 56,31,3: ἐκαθέζοντο δὲ οἱ μὲν πολλοὶ ὥς που ἕκαστος εἰώθει, οἱ δ’ὕπατοι κάτω ἐν τοῖς βάθροις ὁ μὲν τῷ τῶν στρατηγῶν ὁ δὲ τῷ τῶν δημάρχων. Cass. Dio 60,12,3: Λουκίῳ δὲ δὴ Σύλλᾳ καὶ ἐς τὸ τῶν στρατηγῶν βάθρον, ὅτι μὴ δυνηθείς ποτε ὑπὸ γήρως ἐκ τῆς ἐαυτοῦ ἕδρας ἐπακοῦσαί τινα ἀνέστη, καθίζεσθαι ἐπέτρεψεν. o’BriEnMoorE, Senatus, 768 dazu: „Die Mitglieder saßen auf Bänken gegenüber dem Vorsitzenden. Entgegen

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

des Entscheidungsprozesses die Mobilität im Vordergrund. So positionierten sich die Senatoren, nachdem sie um ihre Meinung befragt worden waren, auf der Seite des Raumes, auf der sich der Senator befand, dessen Meinungsäußerung (sententia) man unterstützte.209 Für den Vorsitzenden, wie auch für die anwesenden Senatoren, waren damit die Mehrheitsverhältnisse während und nach der Meinungsbefragung direkt sichtbar. Fraglich ist allerdings, ob die baulichen Formen tatsächlich unmittelbare Rückschlüsse auf Entscheidungsmodi zulassen. Problematisch erscheinen solche Zusammenhänge allein schon, wenn man bedenkt, dass mit den Bauformen der augusteischen Curia Iulia keine grundsätzlichen Neuerungen eingeführt wurden, obwohl es für das Verfahren an sich Hinweise auf Veränderungen in der frühen Kaiserzeit gibt.210 Für den Übergang von der Meinungsumfrage zur eigentlichen und formal gültigen Beschlussfassung in der discessio war diese Eindeutigkeit, wie noch zu zeigen sein wird, unverzichtbar.211 Auch die Bekanntmachung von Senatsbeschlüssen, soweit diese noch nachvollziehbar ist, ordnet sich einer klaren Semantik unter. Inschriftlich überlieferte Senatsbeschlüsse lassen erkennen, dass es bei der Darstellung eines Senatsbeschlusses nicht darum ging, die genauen Abläufe des Entscheidungsprozesses sichtbar zu machen. Vielmehr vermittelten sie, dass die Entscheidung auf bewährte Art zustande gekommen war. Daher konnten auch, wie beispielsweise die Veröffentlichung des senatus consultum de Cn. Pisone patre erkennen lässt, mehrere einzelne Beschlüsse für die inschriftliche Bekanntmachung auf die Inhalte komprimiert werden, die als wesentlich erachtet wurden. Die Inhalte selbst dürften bei dieser Form der Dokumentation ohnehin in den Hintergrund getreten sein, weil sie zum der Freiheit der Republik behielt jeder Senator wenigstens gewöhnlich denselben Platz, was die regelmäßige Abhaltung der Versammlungen in der Curia erleichterte (…), obgleich es keinen Beweis dafür gibt, daß diese Plätze nach dem Rang angewiesen oder angeordnet waren (…).“ Für letzteres lassen sich aber zumindest recht deutliche Hinweise anführen. Vgl. oben dazu die von A. O’Brien Moore bereits angeführten Belege für eine feste Sitzordnung. 209 Plin. epist. 6,5,5: nolo referre, quae dici ab ipsis moleste tuli. quo magis quosdam e numero nostro improbavi, qui modo ad Celsum, modo ad Nepotem, prout hic vel ille diceret (…). In gewisser Weise auch noch Plin. epist. 9,13,10: interim me quidam ex consularibus amicis se­ creto curatoque sermone quasi nimis fortiter incauteque progressum corripit, revocat, monet, ut desistam (…). Tac. ann. 11,6: talia dicente consule designato, consentientibus aliis, paraba­ tur sententia, qua lege repetundarum tenerentur, cum Suillius et Cossutianus et ceteri, qui non iudicium, quippe in manifestos, sed poenam statui videbant, circumsistunt Caesarem, ante acta deprecantes. o’BriEn MoorE, Senatus, 768. 210 Vgl. auch tiMMEr, Auseinandertreten, 399. Damit ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass sich mögliche Zusammenhänge zwischen architektonischen Formen und Verfahrensformen herstellen lassen. In Rechnung zu stellen sind aber solche Zuordnungen bei Verfahrensänderungen in neuen gesellschaftlichen Kontexten sowie die Anlehnung an architektonische Vorbilder. In solchen Fällen müssten dann außerdem die jeweiligen Geschichtsbilder, auf deren Grundlage man diese Vorbilder wählt, miteinbezogen werden. 211 Vgl. taylor/scott, Seating Space, 534 f.; MoMMsEn, StR 3.2, 933 / Anm. 1: „Da die Senatoren sitzend abstimmten und dabei entweder rechts oder links von dem Consul Platz nahmen, so müssen die beiden Stimmplätze ersichtlich geschieden gewesen sein.“. Eingeschränkt auch talBErt, Senate, 283.

2.5 Ergebnisse

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Zeitpunkt der Veröffentlichung immerhin schon durchgesetzt waren. Wesentlich wichtiger dürfte dagegen gewesen sein, Beschlüssen in ihrer Legitimität dauerhaft Sichtbarkeit zu verleihen und sie in der kollektiven Erinnerung zu verankern.212 Ein wesentliches Element war offenbar auch zu betonen, dass man sich einig bzw. es gelungen war, den Konsens herzustellen. In diesem Sinne ließe sich jedenfalls die systematische inschriftliche Fixierung der Senatoren, die in der Sitzung anwesend waren, verstehen.213 Den Wert der senatorischen Beschlüsse unterstrich man außerdem durch das Material, auf dem diese üblicherweise veröffentlicht wurden. Bronze vermittelte nicht nur Dauerhaftigkeit, sondern auch den besonderen Wert solcher Entscheidungen – anders als beispielsweise Stein, der ansonsten für Inschriften wesentlich häufiger als Material verwendet wurde.214 Insgesamt lässt sich aus der topographischen Einordnung der Curia Iulia wie auch deren architektonischer Gestaltung erkennen, wie zentral und exklusiv der Senat in der politischen Kultur angesiedelt war – selbst wenn die Umgestaltung des städtischen Raumes in der Kaiserzeit diese Semantiken zum Teil erheblich umdefinierte. Diese Herausgehobenheit wurde beibehalten, wenn der Senat nicht in der Curia Iulia zusammenkam. Auch die ritualisierten Abläufe der Senatssitzung und des eigentlichen Entscheidungsfindungsprozesses ordnen sich in diese Semantik ein. Gleichzeitig verweisen die Ausdifferenzierungen spezifischer Verfahrensrollen – zumindest soweit sie sich darüber erschließen lassen, wie sie symbolisch dargestellt wurden – auf eine intern hierarchisch strukturierte Teilnehmergruppe. Für Verfahren konsensorientierter Entscheidungsfindung sind damit sowohl nach außen in der Symbolisierung der Geschlossenheit als auch nach innen durch interne Differenzierungen, die Verhandlungen zwischen den einzelnen Akteuren erleichtern, wichtige Voraussetzungen gegeben. Inwiefern diese für die Praxis des kaiserzeitlichen Senats tatsächlich zutreffen, bleibt allerdings noch zu prüfen. 2.5 ERGEBNISSE Der Blick auf die althistorische Forschung hat gezeigt, dass sich je nach Perspektive und Fragestellung sehr unterschiedliche Bilder von der frühen Kaiserzeit zeichnen lassen, in denen Stabilität und Unsicherheit in einem permanenten Spannungsverhältnis zueinander stehen. Angelegt ist ein solcher Befund in einer charakteristischen Gleichzeitigkeit verschiedener Entwicklungen. Das wiederum bedeutet, gerade das erste Jahrhundert n. Chr. stärker in einer Prozesshaftigkeit zu konturieren, die in der Vielschichtigkeit und Eigendynamik kaum plan- und kontrollierbar gewesen sein dürfte. Gerade diese Prozesshaftigkeit lenkt den Blick von einer Systematisierung, die sich an den einzelnen Kaisern orientiert, auf übergeordnete Strukturen. Es ist zu berücksichtigen, dass sich in den zeitgenössischen Schriften ein zum Teil sehr ausgeprägtes Bewusstsein dafür aufspüren lässt, in einer Zeit des Um212 Dazu EcK/caBallos, Senatus consultum, 255 ff.; nach CIL 6,32323; 32324=FIRA I, Nr. 40: ad conservandam memoriam. 213 Beispielsweise: SCPP, Z. 173. Für weitere Belege siehe Kap. 4.1.3. 214 Vgl. WilliaMson, Monuments of Bronze, 169; so auch EcK/caBallos, Senatus consultum, 257.

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

bruchs zu leben. Der Frage, welche Rolle der Senat in solchen Überlegungen einnahm, gilt es im Verlauf der Arbeit weiter nachzugehen. Da Fragen nach der Funktion des Senats in den meisten kaiserzeitlichen Quellen in der Regel anhand des Verhältnisses zwischen Kaiser und Senat reflektiert werden, bedeutet das für eine Untersuchung des Senats, dass Fragen nach dem methodischen Vorgehen, den Analysemöglichkeiten und dem Erklärungspotential immer wieder einbezogen werden müssen. Für die Analyse von Verfahren lassen sich vier wesentliche Kriterien festhalten, die sie als solche von ihrer Umwelt abgrenzen und in ihrer Besonderheit aus dem Alltag herausheben. Charakteristisch ist erstens die Heraushebung in Raum und Zeit, also eine klare Abgrenzung von Anfang und Ende des Verfahrens, sowie die symbolische Herausgehobenheit des Ortes. Um der Gefahr zu entgehen, dass die Entscheidungen unkalkulierbar oder die Verbindlichkeit anfechtbar wird, ist zweitens eine klare Definition des Teilnehmerkreises unverzichtbar. Drittens ist dafür die Ausprägung spezifischer Verfahrensrollen, die etwa durch Amtsinsignien, Sitzordnung oder Redesequenzierung sichtbar gemacht werden, notwendig. Viertens sind die spezifischen Regeln der Entscheidungsfindung für die Herausgehobenheit des Verfahrens zu beobachten. Solche Abgrenzungen lassen sich auch für den Senat aufzeigen. Das betrifft sowohl den Ort als auch die spezifische Ausdifferenzierung des Verfahrens und der Verfahrensrollen. Speziell auf den kaiserzeitlichen Senat bezogen lassen sich allerdings gegenüber republikanischen Bedingungen entscheidende Umakzentuierungen erkennen. Die Tagungsorte und besonders der Haupttagungsort in der Curia Iulia waren eingebettet in eine sorgfältig ausgearbeitete Repräsentationskultur, die in die Topographie der Stadt Rom eingeschrieben war. Die umfangreichen Bauprogramme seit Augustus schufen gegenüber der Republik deutlich andere Rahmenbedingungen, die auch den Senat nach und nach in zum Teil völlig neue Deutungskontexte einordneten. Bereits in augusteischer Zeit wurde das Forum Romanum aufwändig umgestaltet. Erst die Flavier griffen wieder umfangreicher in diese Zusammenhänge ein. Selbst wenn die Hinweise in den jeweiligen Kontexten zunächst wenig konkret wirken, deuten sie, zusammen auch mit dem prosopographischen Befund, insgesamt auf deutliche Veränderungen gerade seit flavischer Zeit. Seit Augustus galt die neu fertig gestellte Curia Iulia als der Haupttagungsort des Senats, daneben dienten aber weiterhin auch Tempel verschiedener Götter und die Bibliothek des Apollotempels auf dem Palatin als Räumlichkeiten für Zusammenkünfte des Senats. Ein zentrales Charakteristikum für die Sitzungsorte ist die Nähe zum Kaiser, die sich auch in deren Innenausstattung (soweit sich diese über die Inneneinrichtung der Curia Iulia hinaus noch rekonstruieren lässt) widerspiegelt. Nach den umfangreichen baulichen Maßnahmen in augusteischer Zeit erfuhr die Kurie – ebenso wie das Forum Romanum – bis in flavische Zeit kaum bauliche Veränderungen. Was sich dagegen kontinuierlich, aber entscheidend auch schon vor den Flaviern veränderte, war der städtebauliche Kontext, in den sich die Kurie einordnete. Sowohl die neuen Kaiserfora als auch der sukzessive Ausbau des Palatins zu einem Wohnsitz, der ganz dem Kaiser und dessen Familie vorbehalten

2.5 Ergebnisse

73

war, überformten das Stadtbild mit seinen traditionellen Strukturen zunehmend im Verlauf des ersten nachchristlichen Jahrhunderts. Die Architektur und auch die topographische Verortung der Curia Iulia selbst spiegelten jedoch weiterhin die Exklusivität des Ortes senatorischer Entscheidungsfindung und damit auch die Autorität, die den senatorischen Entscheidungen beigemessen wurde. Die besondere Würde speiste sich vor allem daraus, dass sich der eigentliche Entscheidungsfindungsprozess der direkten Nachvollziehbarkeit leicht entziehen konnte und exklusiv der Kompetenz der Senatoren vorbehalten war. Ebenso wurde gezeigt, wie der Teilnehmerkreis definiert und nach außen sichtbar von anderen gesellschaftlichen Gruppen abgegrenzt wurde. Der Entscheidungsfindungsprozess an sich war damit nicht für jeden Außenstehenden unmittelbar einsehbar. Der Blick auf die Ausdifferenzierung spezifischer Verfahrensrollen zeigt aber, dass sich damit vor allem die Präsentation nach außen darstellen ließ. Mit einer solchen Herangehensweise wird der Blick auch von den Inhalten von Entscheidungen zu ihren Formen gelenkt.215 Allerdings bedürfen gerade die Funktionsmechanismen dieser Entscheidungsmodi, die sich im Rahmen der Verfahrensstrukturen in ihrem historischen Kontext beobachten lassen, noch einer umfangreicheren Verortung.216 Deutungsangebote für solche Zusammenhänge können entscheidungstheoretisch orientierte Überlegungen in der Politikwissenschaft liefern. Ausgehend von der Frage, wie in unterschiedlichen politischen Systemen Entscheidungen getroffen werden, ergeben sich auch Analysemöglichkeiten für den kaiserzeitlichen Senat. So lassen sich die Formen der Entscheidungsfindung, wie sie für die römische Republik gut untersucht sind, Verfahren zuordnen, die theoretisch als Verhandlungssysteme beschrieben werden. Dass hier zunächst republikanische Verfahren und Kommunikationsmechanismen zugrunde gelegt wurden, erscheint insofern legitim, als diese zum einen wesentlich besser bekannt sind als kaiserzeitliche und zum anderen ausgehend von einer weitgehenden Kontinuität bestimmter Formen trotz veränderter Rahmenbedingungen zumindest in der frühen Kaiserzeit weiterhin den Bezugspunkt aristokratischer Kommunikation darstellten.217 Das Ziel unterschiedlicher Entscheidungsmodi ist es, Entscheidungssicherheit herzustellen und entsprechend Vertrauen in das Funktionieren der Kommunikationsmechanismen aufzubauen. Umgekehrt ist dieses Vertrauen auch Voraussetzung für das Funktionieren dieser Modi. Verhandlungssysteme, wie sie sich am Beispiel des römischen Senats nachvollziehen lassen, folgen dabei bestimmten theoretisch beschreibbaren Mustern: Die in solche Entscheidungsprozesse involvierten Akteure verhandeln in der Regel so lange, bis sie den notwendigen Konsens in der verhandelten Angelegenheit erzielt haben. Die Ergebnisse, die in diesem Teil der Arbeit formuliert worden sind, versuchen theoretische Überlegungen zur Analyse von Entscheidungen in vormodernen Gesellschaften anhand von Ergebnissen, die vor allem auf der Grundlage archäologi215 Vgl. stollBErG-rilinGEr, Einleitung, 13. 216 Die verschiedenen Abstimmungsmodi werden von Stollberg-Rilinger zwar berücksichtigt, das Wissen um die unterschiedlichen Funktionsmechanismen wird jedoch vorausgesetzt und nicht weiter expliziert: vgl. dazu stollBErG-rilinGEr, Einleitung, 17. 217 Vgl. WintErlinG, ,Staat‘, 111.

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2. Methodische Überlegungen zur Untersuchung des kaiserzeitlichen Senats

scher Untersuchungen formuliert wurden, zu konkretisieren und auf kaiserzeitliche Bedingungen anzuwenden. Im Hinblick auf den Senat stellt sich weiterführend die Frage, inwieweit sich diese Ergebnisse mit dem Blick auf das senatorische Verfahren mit der Praxis in der frühen Kaiserzeit vereinbaren lassen, wie also senatorische Kommunikationsmechanismen vor dem Hintergrund der spezifischen Bedingungen in der frühen Kaiserzeit funktionierten. Ein Problem bei der Übertragung von entscheidungstheoretischen Ansätzen ergibt sich durch ihren demokratietheoretischen Bezugspunkt. Für die Ausdifferenzierung monarchischer Strukturen in der frühen Kaiserzeit bleibt es damit auch zu prüfen, ob solchen Ansätzen möglicherweise an der Stelle Grenzen gesetzt sind.

3. BEDINGUNGEN SENATORISCHER KOMMUNIKATION: DER KAISERZEITLICHE SENAT UND SEINE AUFGABENBEREICHE Bewertungsmaßstäbe: Neue Semantiken Bevor es um die konkreten Kommunikationsmechanismen im Kontext des Senatsverfahrens geht, ist es hilfreich, sich die Themen und Denkmuster, die sich in den zeitgenössischen Quellen finden, zu vergegenwärtigen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob sich Reflexionen über die Verortung der Senatsaristokratie in den gesellschaftlichen Strukturen, die von der senatorischen Praxis abstrahieren, finden lassen. Es ist bereits als prägendes Strukturmerkmal genannt worden, dass kaiserzeitliche Kommunikationsmechanismen in den zeitgenössischen Quellen üblicherweise über das Verhältnis zwischen Kaiser und Aristokratie untersucht werden. Dieser Schwerpunktsetzung entsprechend sind die Kommunikationsformen in der frühen Kaiserzeit immer wieder Thema althistorischer Untersuchungen.1 a. WintErlinG hat sich auf dieser Grundlage mit der Frage beschäftigt, wie die Auseinandersetzung mit dem Thema dazu beitragen kann, neue methodische Zugänge für den Principat zu eröffnen. Solche Analysen haben insgesamt dazu beigetragen, die Logik, der die Kommunikation zwischen Princeps und Aristokratie folgte, zugänglich zu machen.2 Die Aufrechterhaltung der Dopplung republikanischer und neuer Strukturen benötigte, so Winterling, besondere Formen des Umgangs. Man habe sich zwar an der bestehenden soziopolitischen Ordnung orientiert, diese aber nicht unmittelbar thematisiert. Das erklärt auch das Bemühen der Kaiser, ihrer faktischen Sonderstellung nicht zu offen Ausdruck zu verleihen, sondern sich als primus inter pares in der Kommunikation mit der Senatsaristokratie darzustellen. Dieses spezifische Erfordernis bezeichnet Winterling als „Doppelbödigkeit in der Kommunikation“.3 Demnach war die Stabilität der jeweiligen Herrschaft in hohem Maße von der Kommunikationsfähigkeit der einzelnen Principes und ihrer Sensibilität für die politischen Notwendigkeiten abhängig.4 Die These geht davon aus, dass diese Kommunikationsformen in ambivalenten kaiserzeitlichen Strukturen angelegt waren. Im Verlauf des ersten Jahrhunderts lässt sich beobachten, dass auch die Zeitgenossen solche Strukturen zunehmend 1 2

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Grundlegend dazu WallacE-Hadrill, Civilis Princeps. Vgl. dazu WintErlinG, ,Staat‘; expliziter dErs., Caligula; dazu auch F.-H. MutscHlEr, Potesta­ tis nihilo amplius habui quam ceteri. Zum Problem der Invisibilisierung der Macht im frühen Principat, in: G. Melville (Hg.), Das Sichtbare und das Unsichtbare der Macht. Institutionelle Prozesse in Antike, Mittelalter und Neuzeit, Köln 2005, 259–282, 260 f. Vgl. WintErlinG, Die antiken Menschen in ihren Gemeinschaften, 208. Siehe zu Überlegungen bezüglich dieses für die Kaiserzeit charakteristischen Strukturproblems auch: MutscHlEr, Zum Problem der Invisibilisierung der Macht, 260 f.

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3. Bedingungen senatorischer Kommunikation

als widersprüchlich und defizitär wahrnahmen. Im Anschluss an solche Diagnosen begann man damit, theoretisch darüber zu reflektieren: Die antiken Darstellungen des Principats – gerade die zeitnah entstandenen – bewegen sich üblicherweise zwischen zwei Polen. Sie prägen Bewertungsmaßstäbe, die von der historischen Realität abstrahieren, denen die komplementäre Vorstellung vom Ideal eines bonus bzw. malus princeps zugrunde gelegt wird. Entwickelt an der Praxis des ersten Jahrhunderts n. Chr. wurden diese zu Topoi, die sich in die aristokratische Vorstellungswelt integrieren ließen. Damit wurde über solche Muster die ,Leistung‘ eines Princeps bewertbar und für die Argumentation abrufbar. Eine Objektivierung in konkreten Verfahren konnte das zwar nicht kompensieren, die Bewertung wurde damit aber zumindest Regeln unterworfen.5 Wie prägend solche Deutungsmuster waren, zeigt sich daran, dass sie im zeitgenössischen Diskurs ab dem ersten Jahrhundert n. Chr. gattungsübergreifend als Konzept immer weiter ausdifferenziert wurden. Bisher fehlen immer noch systematische Untersuchungen; in Detailstudien ist es aber gelungen, diese Konzepte als Phänomen der Kaiserzeit greifbarer zu machen.6 Das Fehlen solcher Untersuchungen dürfte sicher der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes geschuldet sein, die sich aus der engen Verbindung zu Fragen nach dem Verhältnis zwischen Kaiser und Senatsaristokratie ergibt. Gerade deswegen erscheint es hier aber notwendig, einige grundsätzliche Überlegungen zu solchen Diskussionen und ihrer Verortung im kaiserzeitlichen Kontext anzustellen.7 5

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Vgl. grundsätzlich für solche Überlegungen F. rExrotH, Wie man einen König absetzte, in: B. Jussen (Hg.), Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit, München 2005, 241–254, 245 ff. Für den römischen Kontext vgl. z. B. FloWEr, Art of Forgetting, 55 ff.; diEs., Rethinking „Damnatio Memoriae“, 156 ff.; zum Terminus damnatio memoriae immer noch grundlegend F. VittinGHoFF, Der Staatsfeind in der römischen Kaiserzeit, Berlin 1938. Vgl. zu diesem Thema a. WintErlinG, Caesarenwahnsinn im Alten Rom, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 2007, München 2008, 15–39; WallacE-Hadrill, Civilis princeps; zuletzt auch Ansätze in WintErlinG (HG.), Zwischen Strukturgeschichte und Biographie. Für den stoischen Einfluss auf die Ausdifferenzierung solcher Kriterien siehe W. turPin, Tacitus, Stoic ex­ empla, and the praecipuum munus annalium, in: ClAnt 27 (2008), 359–404. Darüber hinaus wird das Thema erstaunlich oft als Allgemeinwissen behandelt. Als eine der wenigen Ausnahmen für eine umfassendere Untersuchung siehe t. arand, Das schmähliche Ende. Der Tod des schlechten Kaisers und seine literarische Gestaltung in der römischen Historiographie, Frankfurt a. M. 2002, bes. 73–102 (allerdings bleiben die Ergebnisse zum Teil sehr allgemein). Im Wesentlichen gilt das auch für die bisherigen dezidiert geschichtswissenschaftlich orientierten Untersuchungen von „Gewalt“ als spezifisch kaiserzeitliches Phänomen, die ebenso Berührungspunkte mit dem Thema aufweisen: d. roHMann, Tyrannen und Märtyrer. Seneca und das Gewaltkonzept in der Literatur des ersten nachchristlichen Jahrhunderts n. Chr., in: M. Zimmermann (Hg.), Extreme Formen von Gewalt in Bild und Text des Altertums, München 2009, 275–294; u. HuttnEr, Sterben wie ein Philosoph. Zur Inszenierung des Todes in der Antike, in: M. Zimmermann (Hg.), Extreme Formen von Gewalt in Bild und Text des Altertums, München 2009, 295–320. Für die declamationes ist es ein dort zentral verhandeltes Thema und gut untersucht. Den Forschungsstand zusammenfassend a. corBEill, Rhetorical Education and Social Reproduction in the Republic and Early Empire, in: W. Dominik / J. Hall (Hgg.), A Companion to Roman Rhe-

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Den spezifischen Formen, wie man über die politische Praxis reflektierte, ist in den letzten Jahren für die Kaiserzeit, aber vor allem für die römische Republik in der Forschung vermehrt Aufmerksamkeit gewidmet worden. Demnach kann man davon ausgehen, dass mit der Erfahrung wachsender Instabilität auch das Bedürfnis wuchs, sich der politischen Strukturen und der gesellschaftlichen Stellung zu vergewissern. Für die frühe Kaiserzeit rückt damit Senecas Schrift De clementia in den Fokus, weil darin wesentliche Themen für die Kaiserzeit in bis dahin unbekanntem Umfang systematisiert werden.8 Grundsätzlich ist zu klären, wie sich solche Reflexionen überhaupt einordnen lassen und inwieweit sie sich an erfahrenen kaiserzeitlichen Realitäten oder idealisierenden Entwürfen orientieren. Interessant ist Senecas Konzeption auch deshalb, weil sie kein utopisch-idealisierender Entwurf ist, sondern durchaus Normen einer aristokratischen kaiserzeitlichen Realität reflektiert. Zentrale Erwartungen an senatorisches und kaiserliches Handeln, wie sie Senecas Konzeption in De clementia zugrunde liegen, formulieren auch andere Autoren. Als Vergleichsfolie können hier beispielsweise die Briefe von Seneca und Plinius dienen. Dort ist der Kaiser auf ähnliche Weise das Zentrum eines permanenten Austausches von Gefälligkeiten – und für die Vervollkommnung seiner virtus unmissverständlich in etablierte aristokratische Wertvorstellungen eingebunden bzw. an sie gebunden.9 De clementia setzt aber noch einmal andere Akzente. Die Schrift entstand als Reaktion auf die Befürchtungen, die nach dem Mord an Britannicus artikuliert worden waren.10 Diese aufnehmend kommt der Angst in Senecas Schrift De clementia

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toric, Oxford 2007, 69–82, bes. 74–77 – obwohl diese aus dem fehlenden unmittelbaren Bezug auf die kaiserzeitliche Realität möglicherweise zu schnell als apolitisch gedeutet werden. Für ähnliche Überlegungen auch E. FlaiG, Können wir den Majestätsprozeß gegen C. Silius (24 n. Chr.) verstehen? oder Wir verstehen nur, was erklärt ist, in: M. Heinz / M. K. H. Eggert / U. Veit (Hgg.), Zwischen Erklären und Verstehen? Beiträge zu den erkenntnistheoretischen Grundlagen archäologischer Interpretation, Münster 2003, 23–52, 37, 43 ff. Zu einer Deutung von De beneficiis in diesem Sinne vgl. auch GriFFin, De Beneficiis; diEs., Seneca as a Sociologist. De Beneficiis, in: A. De Vivo / E. Lo Cascio (Hgg.), Seneca Uomo Politico, Bari 2003, 89–122; WintErlinG, Freundschaft und Klientel. Für die republikanische Zeit ist hier v. a. auf die Untersuchung der exempla-Tradition zu verweisen: vgl. BlösEl, Mos maiorum; HölKEsKaMP, Exempla und mos maiorum. Vgl. dazu Kap. 3.3.2 / S. 135–137. Die Frage, ob die Schrift auf die Zeit vor oder nach dem Mord an Britannicus zu datieren ist, ist in der Forschung intensiv diskutiert worden. Eine Datierung in den Zeitraum kurz nach der Ermordung des Thronrivalen entspricht aber dem Tenor der Forschung. Vgl. die Diskussion zusammenfassend M. T. GriFFin, Seneca. A Philosopher in Politics, Oxford 1992, 133 f. Dazu auch R. rilinGEr, Seneca und Nero. Konzepte zur Legitimation kaiserlicher Herrschaft, in: Klio 78 (1996), 130–157, 139. Eine frühere Datierung schlägt dagegen K. Dingel vor: „Denn wenn Seneca in Nero einen Mörder sah, so kann er eigentlich kaum noch den Plan gefaßt haben, seinen Schüler von der misericordia zur clementia zu führen. (…) Dies würde aber heißen, daß jenes auslösende Erlebnis vor dem Tod des Britannicus stattgefunden hat. Es würden also wenigstens die Grundgedanken von De clementia auf eine Zeit zurückgehen, in der Nero noch frei von Blutschuld war.“ (K. dinGEl, Misericordia Neronis. Zur Einheit von Senecas De cle­ mentia, in: RhM 132 (1989), 166–175, 174 f.). Ähnlich apologetisch auch W. ricHtEr, Das Problem der Datierung von Seneca De clementia, in: RhM 108 (1965), 145–170. Für eine solche Datierung spricht sich auch O. Zwierlein aus: Vgl. o. zWiErlEin, Zur Datierung von

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in ihrer positiven Umkehrung als securitas ein auffälliger Stellenwert für die Gegenüberstellung von ,guten‘ und ,schlechten‘ Herrschern zu. Demnach ist Sicherheit für alle, Herrscher und Beherrschte, notwendig und bildet die Grundlage für die Überlegungen zur clementia. Mit der Aufmerksamkeit, die Seneca der clementia widmet, stellt er sich in eine längere Tradition. Dass der Begriff im römischen Kontext für spezifische Herrschaftsansprüche in Anspruch genommen wird, lässt sich konkret seit den Versuchen Ciceros in den 40er Jahren des ersten Jahrhunderts v. Chr. greifen. Damit bemüht Cicero sich, Caesar, dessen Herrschaftsansprüche in den Bürgerkriegen der vergangenen Jahre konkurrenzlos geworden waren, auf dessen Milde zu verpflichten. Allerdings ist es bezeichnend, dass Caesar selbst in seinen Schriften diesen Begriff nicht verwendet. Statt dessen beansprucht er für seine Politik Begriffe wie misericordia, liberalitas und lenitas oder verwendet die Negierung von clemen­ tia in Form von crudelitas. Caesar steht damit, wie M. GriFFin betont, mit seiner Wortwahl griechischen Konzeptionen näher als spezifisch römischen Entwürfen von clementia, die im Griechischen sprachlich keine unmittelbare Entsprechung findet.11 Die entscheidende und nachhaltige Akzentverschiebung vollzieht Cicero, indem er für Caesars Politik in der Frage, wie mit den früheren Bürgerkriegsgegnern umzugehen sei, clementia einfordert.12 In augusteischer Zeit findet sich die Bezugnahme auf clementia – neben iustitia und pietas die gefeierten Tugenden des ersten Princeps – mit der Verewigung auf dem clupeus virtutis an exponierter Stelle. Auch für die nachfolgenden Herrscher ist clementia ein zentraler Aspekt ihres Herrschaftsverständnisses, auf den auch in den Quellen immer wieder Bezug genommen wird.13

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Senecas De clementia, in: RhM 139 (1996), 14–32. Allerdings spricht insgesamt wenig für eine Datierung vor dem Tod des Britannicus, weil es die Problematik der Schrift und der weiteren antiken Quellen zum Mord an Britannicus verkennt. Zur crudelitas: Cic. Att. 9,16,2; misericordia und liberalitas: Cic. Att. 9,7C; lenitas: Caes. civ. 1,74,7; 3,98,2. Siehe dazu M. T. GriFFin, Clementia after Caesar. From Politics to Philosophy, in: F. Cairns / E. Fantham (Hgg.), Caesar against Liberty? Perspectives on his Autocracy, Cambridge 2003, 157–182, 160 ff. So auch FlaiG, Majestätsprozeß, 37. M. Griffin verfolgt die Evolution der Konzeptionalisierung von clementia systematisch von der politischen Nutzbarmachung in der späten Republik zu philosophischen Auseinandersetzungen der frühen Kaiserzeit. Diesen Prozess beschreibt sie als Weg „from the realm of political propaganda into that of political philosophy.“ (GriFFin, Clementia after Caesar, 157). Cic. Att. 7,7,7; 7,20,2; 8,9A,2; 9,16,2; Cic. fam. 11,4,3 u. a.; vgl. dazu GriFFin, Clementia after Caesar, 163 ff.; diEs., Seneca and Pliny, in: C. Rowe / M. Schofield (Hgg.), The Cambridge History of Greek and Roman Political Thought, Cambridge 2000, 532–558, 540; S. rocHlitz, Das Bild Caesars in Ciceros Orationes Caesarianae. Untersuchungen zur clementia und sapi­ entia Caesaris, Frankfurt a. M. 1993. Vgl. R. Gest. div. Aug. 34. Für die Zeit nach Augustus siehe B. M. lEVicK, Mercy and Moderation on the Coinage of Tiberius, in: Dies. (Hg.), The Ancient Historian and his Materials. Essays in Honour of C. E. Stevens, Westmead 1975, 123–137; d. Konstan, Clemency as a Virtue, in: CPh 100 (2005), 337–346; SCPP, Z. 38–51; Cass. Dio 59,16,10; Ios. ant. Iud. 19,246; Sen. cons. ad Polyb. 13,2; Suet. Nero 10; Tac. ann. 13,11). Sen. ir. 2,23 zur clementia Caesars und der sprachlichen Nähe von clementia und moderatio: hoc eo magis in Alexandro laudo, quia nemo tam obnoxius irae fuit; quo rarior autem moderatio in regibus hoc laudanda magis est. fecit hoc et C. Caesar ille quia victoria civili clementissime usus est; cum scrinia deprendisset

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Bei Seneca ist es allerdings neu, dass clementia zum Kernelement der theoretischen Überlegungen wird und danach gefragt wird, wie sich die neue historische Realität einer Monarchie in aristokratische Denkmuster einfügt. Seneca zufolge gibt es für den Herrscher nur einen Weg: Denn nur clementia, die er in ihrer Verbindlichkeit für den Herrscher als Kaisertugend institutionalisiert, könne die notwendige Sicherheit und Stabilität gewährleisten.14 In letzter Konsequenz geht es Seneca in der Schrift also um eine Lösungsstrategie für ein Problem, das gerade in Krisen immer wieder aktualisiert wird: nämlich in welchem Rahmen der Herrscher überhaupt agierte und wie die Stabilität der kaiserlichen Herrschaft garantiert werden konnte. Davon ausgehend unternimmt er den Versuch, die kaiserliche Herrschaft im soziopolitischen Raum des frühen Principats zu verorten. Seneca zeichnet mit der Schrift das Bild eines idealen Zusammenspiels zwischen Kaiser und Senat. Dieses orientiert sich zwar an der kaiserlichen Macht; die Kaiser müssen sich aber trotzdem an einem Ideal messen lassen, das die Senatsaristokratie als Bezugspunkt einbindet. Diese Rechtfertigung gegenüber der Senatsaristokratie dient als individuelle Legitimation für den einzelnen Kaiser. Aus praktischen Anforderungen entstanden war es im römischen Alltag wichtig, immer in der Lage sein, sich mit dem höchstmöglichen Maß an Flexibilität an aktuelle Gegebenheiten anzupassen. Demgegenüber versucht Seneca hier aber gerade, die Mehrdeutigkeiten und erfahrene Komplexität der Principatsrealität zu begrenzen, die die kaiserzeitliche Praxis produzierte. Damit versucht er mit der Entwicklung von objektivierbaren Kriterien und Bewertungsmaßstäben über die aristokratische Bewertung hinaus gleichzeitig, Sicherheit und Verbindlichkeit – und damit auch Mechanismen zur Bewältigung von Konflikten – bereitzustellen.15 Als Reflex auf die Entstehung eines Herrschaftsbereiches, der sich immer mehr senatorischer Definitionsmacht entzog, für den man aber zur Legitimation zunächst auf keine alternative, positiv konnotierte Tradition zurückgreifen konnte, bietet Senecas Konzeption einen Vermittlungsversuch. Seneca konstatiert zwar die neuen Strukturen, versteht sie aber nicht grundsätzlich als unauflöslichen Widerspruch zu aristokratischen Ansprüchen. Gleichzeitig zeigt er aber anhand der Ambivalenzen die Grenzen einer solchen Principatskonzeption aus letztlich paradoxen Strukturen auf. Über die Kriterien, an denen man die kaiserliche Herrschaft messen konnte, bestand in der frühen Kaiserzeit offenbar Klärungsbedarf. Auffällig ist, dass solche Reflexionen vor allem ab der Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr., besonders ab neronischer Zeit in der literarischen Überlieferung greifbar werden. So sind

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epistularum ad Cn. Pompeium missarum ab iis, qui videbantur aut in diversis aut in neutris fuisse partibus, combussit. quamvis moderate soleret irasci, maluit tamen non posse; gratissi­ mum putavit genus veniae nescire quid quisque peccasset. Dass Caesar als exemplum derart positiv besetzt ist wie noch in De ira, ist vor dem Hintergrund der späteren Umakzentuierung von Caesars Politik in Senecas Schriften zumindest ungewöhnlich: (…) neque enim quisquam liberalius victoria usus est, ex qua nihil sibi vindicavit nisi dispensandi potestatem (…) (Sen. ir. 3,30,4). So auch GriFFin, Clementia after Caesar, 167–169. Vgl. Sen. clem. 1,3. So auch FlaiG, Majestätsprozeß, 37, 43 ff.

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Senecas Überlegungen nicht die einzigen, die sich des Themas anhand der Frage nach dem Verhältnis zwischen Kaiser und Senatsaristokratie annehmen. Aus einer anderen Perspektive als Seneca, nämlich mit dem Senator als Bezugspunkt, bietet Plinius in seinem Panegyricus Anfang des zweiten Jahrhunderts einen Einblick. Mit dem Anspruch, nicht nur Topoi zu bemühen, beschäftigt er sich mit der Suche nach Möglichkeiten, um Glaubwürdigkeit und Aufrichtigkeit eindeutig zu bestimmen. Auch hier lässt sich der Versuch beobachten, das Lob des jetzigen Herrschers ebenso wie die Kritik am früheren Herrscher an bestimmbaren Kriterien festzumachen. Diese wiederum spiegeln wider, dass sich solche Versuche an spezifisch senatorischen Bedürfnissen der frühen Kaiserzeit orientieren, moralisch angemessene Kommunikationsformen – in der polarisierenden und endgültigen Qualifizierung als ,gut‘ oder ,richtig‘ bzw. ,schlecht‘ oder ,falsch‘ – gegenüber dem Herrscher festzulegen. Sie fangen damit ein Unbehagen ein, das in den antiken Quellen zur frühen Kaiserzeit gegenüber fehlenden Richtlinien in den neuen historischen Rahmenbedingungen allgegenwärtig ist.16 Programmatisch steht dafür die Eröffnung des Panegyricus, in der Plinius seiner Hoffnung Ausdruck verleiht, dass ein guter Herrscher wie Traian in der Lage ist, das Verhalten der Senatoren ihm gegenüber zuverlässig einzuschätzen und zu bewerten: haec me cura haec difficultas sola circumstat; nam merenti gratias agere facile est, patres conscripti. non enim periculum est ne, cum loquar de humanitate, exprobrari sibi superbiam credat; cum de frugilitate, luxuriam; cum de clementia, crudelitatem; cum de liberalitate, ava­ ritiam; cum de benignitate, livorem; cum de continentia, libidinem; cum de labore, inertiam; cum de fortitudine, timorem. „Allein diese Sorge, diese Schwierigkeit bedrängt mich! Denn, Senatoren, an sich ist es leicht, dem, der das wirklich verdient, Dank abzustatten. Es besteht nämlich keine Gefahr, daß er mein Lob seiner Menschlichkeit als Vorwurf gegen seine Überheblichkeit betrachtet, daß er glaubt, mit dem Stichwort ,Sparsamkeit‘ ziele ich in Wirklichkeit auf seine Verschwendungssucht, mit ,Milde‘ auf seine Grausamkeit, mit ,Großzügigkeit‘ auf seinen Geiz, mit ,Güte‘ auf seine Gehässigkeit, mit ,Selbstbeherrschung‘ auf seine Triebhaftigkeit, mit ,Arbeitsamkeit‘ auf seine Trägheit, mit ,Tapferkeit‘ auf seine Furchtsamkeit.“17

Damit formuliert er eine sehr konkrete Erwartungshaltung. Die Aufrichtigkeit der Kommunikationsformen gegenüber dem Princeps wird systematisch und ausschließlich an den guten Herrscher gebunden, wobei der ,schlechte Herrscher‘ als Kontrastfolie immer mitgedacht wird. Gleichzeitig ergibt sich damit ein Problem: 16

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Siehe dazu s. BartscH, Actors in the Audience. Theatricality and Doublespeak from Nero to Hadrian, Cambridge/London 1994, 148–187, bes. 169–180; ronninG, Herrscherpanegyrik, 24–187; außerdem die Deutung als theoretische Rezeption bei J. connolly, Fear and Freedom. A New Interpretation of Pliny’s Panegyricus, in: I convegni della Fondazione Niccolò Canussio 8 (2009), 259–278. Als distinctio findet sich die Technik auch in der rhetorischen Theorie etwa bei Quintilian: huic diversam volunt esse distinctionem, cui dant nomen παραδιαστολήν, qua similia discernuntur: ‘cum te pro astuto sapientem appelles, pro confidente fortem, pro inliberali diligentem.’ quod totum pendet ex finitione, ideoque an figura sit dubito. cui contraria est ea, qua fit ex vicino transitus ad diversa ut similia: ‘brevis esse laboro, obscurus fio’ et quae secuntur (Quint. inst. 9,3,65). Plin. paneg. 3,4 [übers. v. W. KüHn].

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Die Kommunikation wird an moralische Kategorien gebunden. Da diese allerdings selbst nicht eindeutig sind, kann das letztlich nicht leisten, dass die Kommunikation eindeutigen Kriterien unterworfen ist. Das Bewusstsein darüber, wie defizitär die Kommunikationsmechanismen organisiert sind, konkretisiert sich bei Plinius entsprechend in dem ständigen Bemühen, der empfundenen Unsicherheit eine Selbstsicherheit aus sich heraus über die Ehrlichkeit der Kommunikation entgegenzusetzen, die die richtige Bewertung der Herrscher selbstverständlich voraussetzt.18 Einige Jahre vor der Entstehung des Panegyricus hatten solche Überlegungen auch schon Quintilian in der in den 90er Jahren entstandenen Schrift Institutio ora­ toria geleitet, wo sie als ein zentrales Problem greifbar werden. Dort verhandelt er die Schwierigkeit, Aufrichtigkeit und Unaufrichtigkeit im Gespräch zu unterscheiden.19 Ziel ist es zum einen, Unaufrichtigkeit in ihren konkreten situativen Verortungen und den Schwierigkeiten, die daran gekoppelt sein können, genau zu bestimmen. Zum anderen gilt es Vorschläge herauszuarbeiten, die mit dem Kommunikationsproblem konstruktiv umgehen, indem die Situationen bestimmt werden, die Ehrlichkeit oder Direktheit erforderlich machen.20 Inhärent ist einem solchen Umgang zumindest, dass Verstellung grundsätzlich akzeptiert ist und als Möglichkeit der Kommunikation mitgedacht wird. Die kaiserzeitliche Realität ist demnach wesentlich durch dissimulatio gekennzeichnet, was aber ein Befund ist – dem Idealzustand entspricht es ausdrücklich nicht. Das Problem besteht jeweils in der Schwierigkeit, Unaufrichtigkeit und Aufrichtigkeit in irgendeiner objektivierbaren Form voneinander zu trennen. Dieses Problems nimmt sich auch Plutarch in seiner Schrift De adulatore et amico an – allerdings aus anderer Perspektive, nämlich mit dem Blick auf die Schwierigkeiten, die einem Herrscher daraus erwachsen. Als Zeitgenosse Neros stellt er darin konkrete Überlegungen zur Schmeichelei an. Hier ist es in erster Linie der Kaiser, der sich mit dem Problem der Doppeldeutigkeit des Verhaltens ihm gegenüber und der Schwierigkeit, dieses zu deuten, konfrontiert sieht. Die Selbstverständlichkeit, mit der Plinius Jahrzehnte später in seinem Panegyricus argumentiert, wenn er die Doppeldeutigkeiten durch die Fähigkeiten eines guten Herrschers auflösbar sieht, 18

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Dieses Dilemma beschreibt auch Dion Chrysostomus – ebenso gegenüber Domitian wie bei Plinius – (z. B. Dion Chrys. 6,57–59, bes. 58 f.: Ἐὰν μὲν οὖν τις αὐτῷ διαλέγηται θαρρῶν, ὁ δὲ ὀργίζεται καὶ δέδοικε τὴν παρρησίαν· ἐὰν δὲ θεραπεύων καὶ ὑποκατακλινόμενος, ὑποπτεύει τὴν θεραπείαν. Καὶ ὑπὸ μὲν τῶν ἐλευθεπίως προσερχομένων οἴεται ὑβρίζεσθαι, ὑπὸ δὲ τῶν ταπεινοτέρων ἐξαπατᾶσθαι. καὶ λοιδορούμενος μὲν πολλαπλασίως ἀναἀται ἢ ἄλλος, ὅτι δὴ τύραννος ὢν ἀκούει κακῶς· ἐπαινούμενος δὲ οὐχ ἥδεται· οὐ γὰρ φρονοῦντας οὕτως οἴεται λέγειν. τοῦ δὲ καλλίστου καὶ λυσιτελεστάτου κτήματος ἁπάντων ἐστὶν άπορώτατος· εὐνοίας καὶ φιλίας ἐλπίσαι οὐδὲν δύναται παρ’ οὐδενός, ἀλλὰ πρότερον τοὺς ἀργίυς λέοντας οἱ τρέφοντες ἀγαπήσουσιν ἢ τοὺς τυράννους οἱ θεραπεύοντες καὶ προσιόντες. Zur Sicherheit im Leben eines Tyrannen: Dion Chrys. 13,12 f.; 45,1). Darin spiegeln sich Ausdrucksmöglichkeiten von Aufrichtigkeit und Unaufrichtigkeit im Gespräch, die sich insbesondere in der kaiserzeitlichen Rhetorik ausdifferenzierten – in diesem Fall allerdings wohl weniger in einem spezifisch römisch-senatorischen Diskurs zu verorten sind. Vgl. etwa Quint. inst. 6,3,85 ff. Quint. inst. 9,2,95.

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verschwindet mit diesem Perspektivenwechsel völlig. Das illustriert die Aporie, in die diese Kommunikationsstrukturen bei solchen Versuchen der Objektivierbarkeit immer wieder führen.21 In verschiedenen Zusammenhängen reflektiert auch Seneca über den Wert der Verstellung. Wesentlich ist dabei, dass er – vom Individuum gedacht – seine Überlegungen konsequent an seine Konzeption des „Guten“ (bonum) und „Ehrenhaften“ (honestum) bindet.22 Die notwendige Ehrlichkeit als Kommunikationsideal fordert er zunächst sich selbst gegenüber, bevor man diese von anderen erwartet.23 Erst auf dieser Grundlage erscheint es denkbar, Ermahnungen und Ratschläge im Sinne einer konstruktiven Ehrlichkeit positiv und nicht zwangsläufig als negativ zu wertende Kritik oder als Beleidigung zu denken.24 Damit wird die Selbstbeherrschung zum eigentlichen Ideal. Als Ideal lässt sich diese auch auf den Herrscher übertragen, denn mit Hilfe der Selbstbeherrschung wird von ihm erwartbar, die latenten Kommunikationsunsicherheiten zu überbrücken.25 Gemeinsam ist diesen Reflexionen trotz der unterschiedlichen Adressaten und Entstehungskontexte, dass sie sich auffällig intensiv mit der Frage auseinandersetzen, wann oder in welchen Situationen Aufrichtigkeit bzw. Unaufrichtigkeit sowohl von kaiserlicher als auch von aristokratischer Seite die angemessenen Formen der Verständigung darstellen und wie dadurch Stabilität gewährleistet werden kann. Gemeinsam sind ihnen auch die Schwierigkeiten, mit den Konstruktionen die Ambivalenzen zu überbrücken, die sich aus dem Wechselspiel zwischen Intention und Wahrnehmung des Gesagten ergeben. In diesen Zusammenhang gehören auch die Versuche, das Verhalten des Kaisers – gemessen in erster Linie gegenüber der Senatsaristokratie – als ,gut‘ oder ,schlecht‘ in Kategorien einzuteilen. Systematisiert und zum Ausdruck gebracht wird mit der Ausdifferenzierung von in dieser Form 21 22 23 24

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Siehe Plut. de adul. et am. 56C. Sen. epist. 120,1: epistula tua per plures quaestiunculas vagata est sed in una constitit et hanc expediri desiderat, quomodo ad nos boni honestique notitia pervenerit. Vgl. bes. Sen. epist. 53,6; 94,25; 97,12; benef. 6,32,1; 7,26,1. Sen. epist. 94,25: ‚quid prodest‘ inquit, ‚aperta monstrare?‘ plurimum; interdum enim scimus nec adtendimus. non docet admonitio sed advertit, sed excitat, sed memoriam continet nec partitur elabi. pleraque ante oculos posita transimus: admonere genus adhortandi est. saepe animus etiam aperta dissimulat; ingerenda est itaque illi notitia rerum notissimarum. Zum Umgang mit Beleidigungen Sen. benef. 7,26,1: ‚sed nihil‘ inquit ‚proficimus; dissimulat, obli­ tus est: quid facere debeam quaero‘. quaeris rem maxime necessariam et in qua hanc materiam consummari decet, quemadmodum ingrati ferendi sint. Placido animo, mansueto, magno. Vgl. dazu etwa Sen. ir. 33,1; 33,5; cons. Marc. 13,1; benef. 6,32,4. Verfolgt man insgesamt das Wortfeld um dissimulatio in der frühen Kaiserzeit, stellt man zum einen fest, dass dissimulatio im Verlauf des ersten nachchristlichen Jahrhunderts zunehmend häufiger auftaucht. Zum anderen fällt die verstärkt negative Aufladung des Begriffs auf: Grundsätzlich positiv besetzt ist die Verstellung etwa bei Vell. 2,65,5; 2,99,2; 2,11,3; Val. Max. 6,5 ext. 4; 6,7,1; 7,3,7; 5,7 ext. 1; 7,4,4; 8,14 ext. 1. Relativ wertneutral ist die Verwendung etwa bei Sen. suas. 7,12. Ironisch als Ahnungslosigkeit und Ignoranz bei Mart. 5,16,14; 5,36,2; 7,10,9. Negativ konnotiert – wenn auch nicht durchgängig – ist die Verhaltensweise prominent bei Tacitus: z. B. Tac. ann. 4,71; 6,50: iam Tiberium corpus, iam vires, nondum dissimulatio deserebat: idem animi rigor (…). 13,15,2: unde orta miseratio manifestior, quia dissimulationem nox et lascivia exemerat. Ähnlich auch Tac. ann. 13,25; 13,49 (vgl. dazu die Diskussion in Kap. 3.2 und 4).

3.1 Die ,Senatsopposition‘ in der frühen Kaiserzeit

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,objektivierten‘ Bewertungsmaßstäben ein Bedürfnis, das in kaiserzeitlichen aristokratischen Diskussionen immer wieder durchscheint. Damit wird einer allgemein wahrgenommenen Unsicherheit gegenüber den angemessenen Kommunikationsformen begegnet. Für eine zunehmend beobachtbare Reflexion ist dabei charakteristisch, dass die Probleme nicht ausschließlich beim Kaiser, sondern vor allem auch innerhalb der Aristokratie gesehen werden.26 Die Frage, die sich an die Untersuchung zeitgenössischer Reflexionen über das Verhältnis zwischen Kaiser und Senatsaristokratie anschließt, ist, wie sich solche Konzeptionen in die kaiserzeitliche Praxis einordnen lassen: Wie sah diese Praxis, vor deren Hintergrund solche Überlegungen formuliert wurden, konkret aus? Wie verhielten sich solche Denkmuster zur Praxis? Zunächst wird es daher um die für Verhandlungssysteme grundsätzliche Frage gehen, wie Konflikt und Dissens in das Senatsverfahren integriert wurden und in welchen Formen dieses geschah.27 In einem nächsten Schritt soll die Frage dann auf die unterschiedlichen Entscheidungskontexte, die sich durch neue Aufgabenbereiche ergaben, ausgeweitet werden.28 3.1 DIE ,SENATSOPPOSITION‘ IN DER FRÜHEN KAISERZEIT Neben dem Bild des Principats als einer Phase verhältnismäßig reibungsloser Akzeptanz des Kaisers und – nach den Bürgerkriegen der späten Republik – einer Phase von Ruhe und Stabilität findet sich noch ein anderes, welches die frühe Kaiserzeit als äußerst ambivalent erscheinen lässt. Denn gleichzeitig scheinen die antiken Autoren den Eindruck erwecken zu wollen, dass die Zeit unter den iulisch-claudischen und flavischen Kaisern von Feindseligkeit und Misstrauen zwischen Kaiser und Aristokratie geprägt gewesen sei. Folgt man solchen Darstellungen, scheint das besonders symptomatisch für die Kaiser gewesen zu sein, die als ,schlecht‘ charakterisiert werden.29 Dieser Quellenbefund rechtfertigt zunächst die Annahme einer umfangreichen Opposition. Bisher kaum systematisch untersucht, wurde sie gerade in der älteren Forschung immer wieder zum festen Bestandteil des politischen Alltags der Kaiserzeit deklariert.30 26 27 28 29

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Eine Auseinandersetzung auf theoretischer Ebene scheint sich bereits im Verlauf des ersten Jahrhunderts abzuzeichnen. Dazu auch GriFFin, De beneficiis, 93 f. Vgl. Kap. 3.2. Vgl. Kap. 3.3.1 und 3.2.2. Mit diesem Befund hat sich die Forschung bisher ausführlich auseinandergesetzt: Vgl. u. a. KnEPPE, Metus temporum; D. BarGHoP, Forum der Angst. Eine historisch-anthropologische Studie zu Verhaltensmustern von Senatoren im römischen Kaiserreich, Frankfurt a. M. 1994; außerdem beispielsweise die zahlreichen Tiberius-Biographien, die in den meisten Fällen den Majestätsprozessen unter Tiberius ein eigenes Kapitel widmen (vgl. u. a. lEVicK, Tiberius, 180– 200; c. E. sMitH, Tiberius and the Roman Empire, Baton Rouge 1942, 166–181; sEaGEr, Tiberius, 151–162). Dazu der programmatische Aufsatz K. Raaflaubs, in dem der Versuch einer grundlegenden und umfangreichen Systematisierung der verschiedenen Formen oppositionellen Verhaltens unternommen wird: K. a. raaFlauB, Grundzüge, Ziele und Ideen der Opposition gegen die Kaiser im 1. Jh. n. Chr. Versuch einer Standortbestimmung, in: Ders. / A. Momigliano / D. Timpe u. a.

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‚Opposition‘ als analytischer Begriff Das Problem, das diesen Ambivalenzen zugrunde liegt, ist allerdings vielschichtiger als es vielleicht auf den ersten Blick erscheint: zum einen weil man in der Diskussion um eine sogenannte ,Opposition‘ spezifische Verhaltensweisen unter ungeeigneten Kategorien und Prämissen subsumiert; zum anderen, weil es auch für das Funktionieren des kaiserzeitlichen Senats unmittelbar relevant ist. Die Untersuchungen einer ,Opposition‘ schärfen sich an modernen Problematisierungen. Paradoxerweise laufen sie aber gleichzeitig Gefahr, antike Diagnosen zu reproduzieren und dabei stehenzubleiben, womit man sich den Blick auf eine Analyse des Phänomens verstellt. Zunächst stößt man in den entsprechenden Situationen auf Begriffe wie re­ sistere, repugnare, adversari, desciscere sowie im Zusammenhang mit Gruppen auf die Erwähnung von adversarius, inimicus, proditor und hostis. Diesen vielfältigen Formulierungen entsprechen auch die unterschiedlichsten Ausdrucksformen devianten Verhaltens. Nach einer Zusammenstellung K. raaFlauBs konnten sich diese als Rückzug von jeglicher politischer Betätigung,31 dem Unterlassen von üblichen oder erwarteten Handlungen oder Äußerungen,32 vom Kaiser abweichenden Meinungsäußerungen,33 kritischen Anmerkungen zu Vorschlägen des Princeps,34 Vorschlägen, die der Intention des Kaisers widersprachen,35 dem Bestehen auf der Unabhängigkeit des Senats,36 – direkten oder indirekten – kritischen Äußerungen

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(Hgg.), Opposition et Résistances a l’Empire d’Auguste a Trajan, Genf 1987, 1–64. Vgl. zuletzt dazu beispielsweise BarGHoP, Forum der Angst, 113–120. Vgl. außerdem u. a. K. A. raaFlauB / l. J. saMons, Opposition to Augustus, in: K. A. Raaflaub / M. Toher (Hgg.), Between Republic and Empire. Interpretations of Augustus and his Principate, Berkeley 1990, 417– 454. Siehe zu neueren Untersuchungen z. B. BarGHoP, Forum der Angst, 113–120. Zu weiterer Literatur vgl. darüber hinaus die umfangreichen bibliographischen Angaben bei Raaflaub (raaFlauB, Grundzüge, 46–55). Darüber hinaus nähert sich mit anderen Voraussetzungen dem Thema an: V. rudicH, Political Dissidence under Nero. The Price of Dissimulation, London 1993. Er arbeitet jedoch nicht mit dem Begriff ,Opposition‘, sondern mit ,political dissidence‘. Zu Verwendung und Verständnis des Begriffs vgl. EBd., xvii ff. Vgl. dazu raaFlauB, Grundzüge, 16 ff. Alle diese beobachteten möglichen Formen ,oppositionellen‘ Verhaltens konnten demnach Anlass zu einer Anklage wegen Verletzung der kaiserlichen maiestas sein; u. a. Tac. ann. 14,12; 16,22; 2,34; 4,21. Siehe Tac. ann. 3,76. Vgl. Plin. paneg. 33,3 f. Eine bewusste Ermutigung wurde dagegen den ,guten‘ Principes attestiert, so in der Anfangsphase der Regierungszeiten des Tiberius (Tac. ann. 4,4) und Neros (Tac. ann. 13,50) sowie unter der Herrschaft Traians (Plin. paneg. 66, wobei hier allerdings die literarische Gattung des Panegyricus und Plinius’ Verbundenheit mit Traian eine entscheidende Rolle spielen). So z. B. Tac. ann. 2,38. Siehe Tac. ann. 1,74; 2,36; 2,57; 2,69; 6,3; 14,48 f. Vgl. Tac. ann. 13,49; 14,48 f.; die Darstellung der Handlungen des Helvidius Priscus bei Tacitus (Belege dazu bei J. Malitz, Helvidius Priscus und Vespasian. Zur Geschichte der ,stoischen‘ Senatsopposition, in: Hermes 113 (1985), 231–246); Tac. ann. 2,35.

3.1 Die ,Senatsopposition‘ in der frühen Kaiserzeit

85

zur Person des Kaisers37 sowie Verschwörungen gegen den Herrscher38 oder Revolten gegen diesen mit militärischen Mitteln39 äußern. Es existierte also im Lateinischen kein Begriff, der Opposition in der politischen Sprache eindeutig kennzeichnete.40 Anhand einer solchen Bestandsaufnahme lässt sich zunächst einmal die Heterogenität der dokumentierten Formen ablesen. Gerade Ausmaß und fließende Grenzen machen eine klare Definition des Oppositionsbegriffs aber notwendig, um ihn nicht inflationär auf sämtliche bezeugten Formen devianten Verhaltens anzuwenden, sondern konkret auf die Kommunikationsmechanismen im Rahmen des Senatsverfahrens. Daher ist es sinnvoll, zunächst den Oppositionsbegriff zu präzisieren, der in den Quellen bezeichnenderweise selbst keine Verwendung findet. Ihn im weitesten Sinne als ,Widerstand‘ aufzufassen, erscheint wenig weiterführend. Denn damit ließe sich, wie W. JäGEr in den Geschichtlichen Grundbegriffen bemerkt, „eine Geschichte des Phänomens ,Opposition‘ (…) mit der Geschichte der sozialen und politischen Konflikte und damit der Geschichte der Politik überhaupt“41 gleichsetzen. Konkret bedeutet das, dass der Begriff für eine Analyse zugunsten einer künstlichen Homogenisierung und entgegen dem differenzierten lateinischen Sprachgebrauch Gefahr liefe, um seinen analytischen Wert gebracht zu werden. Problematisch ist die Verwendung des Terminus ohnehin, weil hier ein neuzeitliches Verständnis von Opposition zugrunde gelegt wird, das nicht ohne Weiteres auf antike Verhältnisse übertragbar ist. Damit wird die Existenz eines Phänomens suggeriert, das für das Funktionieren des Senats nicht oder nur bedingt aussagekräftig ist. Deutlich lässt sich das schon an der fehlenden sprachlichen oder historischen Kontinuität einer äquivalenten antiken Terminologie festmachen.42 37

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Raaflaub unterscheidet auch hier zwischen direkter Kritik, indirekter Kritik durch historische und literarische Anspielungen – wozu er das Geschichtswerk des Cremutius Cordus zählt (etwa Tac. ann. 4,34 f.; 6,29) – und indirekter Kritik durch Äußerungen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren oder anonym verbreitet wurden (vgl. raaFlauB, Grundzüge, 17). Vgl. dazu besonders die Ermordung Caligulas, die von Tacitus nicht überliefert ist. Diese Ausdrucksform wie auch die folgende findet bei Raaflaub in der weiteren Analyse keine Berücksichtigung mehr, weshalb auch keine genaueren Angaben gemacht werden. Vgl. dazu FlaiG, Kaiser. Vgl. W. JäGEr, s. v. Opposition, in: GG 4 (1978), 469–517, 472. Darin wird darauf hingewiesen, dass höchstens in dem Interzessionsrecht der Tribunen eine funktionale Äquivalenz zur modernen Opposition zu finden sei: Auf diesen Umstand macht auch Raaflaub in seinem für die ,senatorische Opposition‘ grundlegenden Aufsatz aufmerksam (siehe raaFlauB, Grundzüge, bes. 1–3 zur Problematik des Begriffs). Selbst eine solche Übertragung ist allerdings letztlich schon problematisch. Siehe zu ersten Ausprägungen von Opposition als dezidiert neuzeitliche Erscheinung JäGEr, Opposition, 470 f. Vgl. JäGEr, Opposition, 470 f. Die Definition, die sich in Universallexika üblicherweise findet, wonach es prinzipiell sinnvoller sei, ,Opposition‘ nicht diffus als ,Gegensatz‘ oder ,Widerstand‘ im Sinne sozialen Verhaltens, sondern im engeren Sinne als zielgerichtete Gegnerschaft von Individuen, Gruppen, Parteien etc. gegen die Regierung oder die Verfassung eines politischen Systems zu verstehen, kommt einem solchen Verständnis zumindest sehr nahe. Der Definition folgen auch fachspezifische Lexika der Politikwissenschaft, insofern kann hier auf sie zurückgegriffen werden. Damit ließe sich die Uneinheitlichkeit in den oben beschriebenen Verhaltensweisen erklären, mit denen in der lateinischen Terminologie sehr viel differenzierter

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3. Bedingungen senatorischer Kommunikation

Innerhalb der politikwissenschaftlichen Oppositionsforschung folgt man keiner allgemeingültigen Definition von Opposition. Vielmehr bevorzugt man vor allem in vergleichend angelegten Analysen eine recht weitgefasste Definition, die es ermöglicht, auch Widerstandsbewegungen in totalitären Systemen einzubeziehen.43 Demgegenüber teilen andere Arbeiten den Ansatz, oppositionelle Verhaltensmodi an Vorstellungen von einer rechtlichen Absicherung des entsprechenden Verhaltens zu knüpfen. Letzteres vorausgesetzt beschäftigt man sich in der Regel mit Formen institutionalisierter gegenüber Ausprägungen nicht institutionalisierter Opposition.44 Überzeugend erscheint eine solche engere Begriffsdefinition, weil sich damit zwischen einem Verständnis von rechtlich garantierten, als oppositionell charakterisierbaren Kommunikationsformen und im Gegensatz dazu gerade isolierten Formen wie Widerstand, Obstruktion oder Revolution unterscheiden lässt. Damit muss sich eine Definition politischer Opposition nicht in jedem Fall und zwangsläufig auf Artikulationsformen im Rahmen institutionalisierter Strukturen beschränken, sondern integriert zumindest auch Formen, die sich außerhalb speziell geschaffener institutioneller Arrangements konkretisieren. Ersteres steht aber im Mittelpunkt und ist, wenn man die senatorischen Entscheidungsfindungsprozesse untersucht, auch im Sinne der bereits skizzierten ,Verfahrenslogiken‘, eine sinnvolle Eingrenzung. Es wird daher ein Verständnis von Opposition zu Grunde gelegt, das sich auf Kommunikationsformen konzentriert, die sich im Rahmen als verbindlich geltender Vorstellungen von der Legitimität – und Legalität – des ent-

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mit verschiedenen Ausdrucksformen von Widerstand umgegangen wird. Vgl. außerdem tiMPE, Antike Geschichtsschreibung, 65 f.: [O]pponere und oppositio und die modernen Derivate gehören von Haus aus eher in die Rhetorik oder Astronomie als in die Geschichte und Politik. Die Übertragung des Begriffes auf das römische Altertum gehört vielmehr zum intellektuellen Modernismus des 19. Jahrhunderts; (…) man konnte leicht auch die Erfahrungen des 19. Jahrhunderts mit monarchischen Autokratien und mit liberal-bürgerlichen oder ständisch-konservativen Oppositionsbewegungen und ihren literarischen Ausdrucksformen auf die principes und ihre Gegner anwenden. So gelangte man zur Vorstellung einer senatorischen Opposition gegen den Prinzipat, zur Annahme einer oppositionellen öffentlichen Meinung oder, noch moderner, zur Unterstellung literarischer Formen eines geistigen Widerstandes.“ So plädiert beispielsweise W. Euchner dafür, „den Oppositionsbegriff auch auf Gruppen und Bewegungen anzuwenden, die in Ländern ohne zureichende politische Freiheitsrechte“ agieren (W. EucHnEr, Politische Opposition in Deutschland und im internationalen Vergleich, Göttingen 1993, 15). Insbesondere in der deutschen Forschung stieß eine solch weite Definition mit dem Hinweis auf historische Konnotationen und Konsequenzen auf Widerspruch. Dort wird der Begriff verbreitet als „abgrenzbare Position im Willensbildungsprozess entwickelter und stabilisierter, heute mit Sicherheit demokratischer politischer Systeme“ verwendet (vgl. H. oBErrEutEr, Einleitung, in: Ders. (Hg.), Parlamentarische Opposition. Ein internationaler Vergleich, Hamburg 1975, 8–24, 12). Den Hintergrund stellt die Herkunft des Oppositionsrechtes aus dem mittelalterlichen Widerstandsrecht dar, welches sich im Zuge historischer Differenzierungsprozesse in Revolutionslehre und Oppositionslehre spaltete. Während beim Widerstandsrecht dessen repressive Natur betont wird, wird dem Oppositionsrecht allgemein ein eher präventiver Charakter zugewiesen. Einen Überblick über verschiedene zugrunde gelegte Definitionen und Ansätze in der politikwissenschaftlichen Forschung gibt Helms: l. HElMs, Politische Opposition. Theorie und Praxis in westlichen Regierungssystemen, Opladen 2002, 9–33.

3.1 Die ,Senatsopposition‘ in der frühen Kaiserzeit

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sprechenden Verhaltens bewegen.45 Die Frage bleibt vor diesem Hintergrund, wie sich eine Opposition mit Kommunikationsmechanismen in Verhandlungssystemen vereinbaren lässt bzw. was sich damit für die Funktionsmechanismen des kaiserzeitlichen Senats ergibt. Die ,stoische Senatsopposition‘: Literarische Darstellung und senatorische Praxis in der frühen Kaiserzeit Im Anschluss an diese Überlegungen lohnen Verhaltsweisen, die in den antiken Quellen dokumentiert werden, eine genauere Betrachtung. Allerdings gilt es die Fragen an die Quellen anders zu formulieren: Zu fragen ist erstens, warum solchen Vorfällen in der literarischen Überlieferung überhaupt ein solcher Stellenwert zugewiesen wird, was also ihre Brisanz und ihr polarisierendes Potential ausmacht. Zweitens ist die Frage, inwieweit sie einer näheren Charakterisierung des kaiserzeitlichen Senats dienen und zu einem Bild über spezifisch senatorische Kommunikationsmechanismen in dem Gremium beitragen können. Daher lohnt sich vor allem ein erneuter Blick auf das, was in der Forschung oft unter der sogenannten ,stoischen Senatsopposition‘ zusammengefasst wurde – obwohl die Formulierung selbst irreführend ist. Die prominentesten Vertreter waren Thrasea Paetus – einer der Protagonisten, die für die neronische Zeit die Überlieferung dominieren – sowie dessen Schwiegersohn Helvidius Priscus. Im Jahr 66 n. Chr. wurden im Zusammenhang mit der Anklage gegen die Senatoren Barea Soranus und Thrasea Paetus auch Helvidius und dessen Freund Paconius Agrippinus, die in der Überlieferung alle in die Nähe zum Stoizismus gerückt werden, angeklagt und schließlich ins Exil geschickt beziehungsweise zum Tode verurteilt.46 Auch 45

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Auf die Unterscheidung zwischen ,aktiven‘ und ,passiven‘ Formen ist damit bewusst verzichtet worden, da gerade vermeintlich passive Handlungsmuster, in ihrem Anspruch, eine Form entweder von Widerstand oder auch – basierend auf einem eher unscharfen Verständnis – von Opposition darzustellen, ex post leicht als solche eingeordnet werden. Siehe – im Sinne der oben angeführten Definition – allgemein zu einer Diskussion des Forschungsstandes innerhalb der Politikwissenschaft zur politischen Opposition HElMs, Politische Opposition, 14. Barea Soranus: Iuv. 3,116–118: stoicus occidit Baream delator amicum / discipulumque senex, ripa nutritus in illa / ad quam Gorgonei delapsa est pinna caballi. In der Anklage des stoischen Philosophen P. Egnatius [Celer], der als dessen cliens bezeichnet wird und der als Zeuge et tunc emptus ad opprimendum amicum, auctoritatem Stoicae sectae praeferebat, habitu et ore ad exprimendam imaginem honesti exercitus, ceterum animo perfidiosus, subdolus, avaritiam ac libidinem occultans (… ) (Tac. ann. 16,32,3). Den Vorwurf, damit die Freundespflicht verletzt zu haben, sollte Musonius Rufus vier Jahre später noch einmal erneuern (vgl. Tac. hist. 4,10). Musonius Rufus als Freund des Thrasea (belegt bei Epikt. 1,1,27) und des einflussreichen Rubellius Plautus attestiert Tacitus, dass der wahre Grund für seine Verurteilung im Zuge der Aufdeckung der Pisonischen Verschwörung sein Ruf als Philosoph gewesen sei (Tac. ann. 14,57,3: [Nero:] Plautum magnis opibus ne fingere quidem cupidinem otii, sed veterum Romanorum imitamenta praeferre, adsumpta etiam Stoicorum adrogantia sectaque, quae tur­ bidos et negotiorum adpetentes faciat. 15,71,4: Verginium Flavum et Musonium Rufum clari­ tudo nominis expulit: nam Verginius studia iuvenum eloquentia, Musonius praeceptis sapien­ tiae fovebat.). Helvidius Priscus: Gewissermaßen als Bestandteil der öffentlichen Laufbahn

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3. Bedingungen senatorischer Kommunikation

die anderen Beteiligten werden als philosophisch gebildet beschrieben – also der Volkstribun Arulenus Rusticus, der Thrasea vor der Urteilsverkündung angeboten haben soll, von seinem Vetorecht im Prozess Gebrauch zu machen, sowie Demetrius, der Thrasea in dessen letzten Stunden begleitet haben soll.47 Die Konjunktur, die die stoische Lehre während der Kaiserzeit in aristokratischen Kreisen erlebte, lässt sich mit einer kritischen oder oppositionellen Haltung gegenüber dem Principat als monarchischer Regierungsform allerdings kaum in Verbindung bringen.48 Plausibler ist eher, wie dies E. FlaiG und M. rollEr vertreten haben, sie als ein Symptom für die Suche nach neuen Ausdrucksformen einer aristokratischen ,Identität‘ zu verstehen. Üblicherweise sei das als Wertekonflikt objektiviert worden: nämlich als eine tiefe Verunsicherung über die Anforderungen an das eigene Verhalten in einer Phase, die sich wesentlich dadurch auszeichnete, dass grundlegende gesellschaftliche und politische Veränderungen noch ihren Platz finden mussten.49 Das Verhalten des Thrasea Paetus oder des Helvidius Priscus erscheint erst einmal nicht eindeutig. Allerdings kann man auf eine gute Dokumentation zurückgreifen, weil deren Verhalten offensichtlich einiges an Konfliktpotential bereithielt und entsprechend ausführlich dargestellt wird. In dem Untergang des Senators P. Clodius Thrasea Paetus scheint sich der Verfallsprozess der politischen Kultur im Senat, der von den antiken Autoren so häufig bemüht wird, unter dem letzten Princeps der iulisch-claudischen Dynastie zu verdichten. Vorausgegangen waren den Ereignissen diverse Majestätsprozesse, die nach der Aufdeckung der Pisonischen Verschwörung verhandelt wurden. Die Darstellung des Senators ordnet sich in eine Reihe von Aristokraten ein, denen Tacitus im 16. Buch der Annales ein Denkmal setzt.50 Möglicherweise folgte er damit auch einer in der frühen Kaiserzeit besonders florierenden Tradition,

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präsentiert in Tac. hist. 4,5: doctores sapientiae secutus est, qui sola bona quae honesta, mala tantum quae turpia, potentiam nobilitatem ceteraque extra animum neque bonis neque malis adnumerant. Paconius Agrippinus: Epikt. 1,1,28–30; 1,2,12 f. Arulenus Rusticus, der spätere Biograph des Thrasea (Tac. Agr. 2,1), wird von Plinius und Cassius Dio als Stoiker bezeichnet: Plin. epist. 1,5,2: [M. Regulus] Rustici Aruleni periculum foverat, exultaverat morte, adeo ut librum recitaret publicaretque, in quo Rusticum insectatur atque etiam ‚Stoicorum simiam‘ adpellat; adicit ‚Vitelliana cicatrice stigmosum‘ (…). Cass. Dio 67,13,2 (Xiph. 222,31–225,4 R.St. / Zon. 11,20, p. 63,1–9D): (…) τὸν γὰρ δὴ Ῥούστικον τὸν Ἀρουλῆνον ἀπέκτεινεν ὅτι ἐφιλοσόφει καὶ ὅτι τὸν Θρασέαν ἱερὸν ὠνόμαζε (…). Demetrius als Cyniker: Sen. benef. 7,8,2; epist. 20,9; brev. vit. 14,1. Dazu sowie zu weiteren Beispielen GriFFin, Nero, 171. Iunius Rusticus, der ebenfalls unter Domitian zum Tod verurteilt wurde, soll Thrasea und Helvidius als „die untadeligsten Männer“ bezeichnet haben: Iunium Rusticum, quod Paeti Thraseae et Helvidi Prisci laudes edidisset appellassetque eos sanctissi­ mos viros (…) (Suet. Dom. 10,3). Herennius Senecio als Verfasser einer Vita des Helvidius Priscus und weiteres Opfer Domitians: Plin. epist. 7,19,5 f.; 3,1,1; Tac. Agr. 2,1 f. Vgl. GriFFin, Nero, 172 u. 175 f. Vgl. FlaiG, Kaiser, 112 f. Detaillierter in: M. B. rollEr, Constructing Autocracy. Aristocrats and Emperors in Julio-Claudian Rome, Princeton 2001, 66–124. Ähnlich, allerdings auch grundsätzlicher angelegt, J. HaHn, Philosophy as Socio-Political Upbringing, in: M. Peachin (Hg.), The Oxford Handbook of Social Relations in the Roman World, Oxford 2011, 119–143, 134. Programmatisch dazu die Ankündigung in Tac. ann. 16,16,2.

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das Ende berühmter Männer literarisch aufzuarbeiten. Tacitus nutzt diese Art der Darstellung, um das Spannungsverhältnis zwischen der bloßen Wiederholung bestimmter Handlungen und der individuellen Tragik zu illustrieren. Gleichzeitig löst er an diesen Stellen traditionelle narrative Strukturen der Historiographie auf, die sonst in Jahrbüchern angelegt ist. Zwar hält er für die Darstellung vordergründig an der üblichen Jahreszählung fest und orientiert sich an den amtierenden Consuln; Buch 15 und 16 füllt er aber unkonventionell in erster Linie mit res internae.51 Der Anklage ist zu entnehmen, dass Thrasea Paetus wiederholt seine äußerst distanzierte und später auch kritische Haltung in Senatssitzungen, zu denen er schließlich überhaupt nicht mehr erschien, zum Ausdruck gebracht haben soll. Wiederholt sei er auch den unterschiedlichsten Inszenierungen kaiserlicher Macht ferngeblieben. So habe er seine Teilnahme an den Opfern für den Kaiser und schließlich sogar an den Iuvenalia Neros verweigert, obwohl er selbst in seinem Geburtsort Patavium die Hauptrolle in einer Tragödie übernommen hatte. Außerdem habe die Anklage in ihm grundsätzlich eine Gefahr für die Eintracht und den Frieden der Bürgerschaft gesehen.52 Schon der Ort der Auseinandersetzung fällt auf: Der Senat wird als ein Gremium geschildert, das den Wünschen des Herrschers widerspruchslos nachgekommen sei. Der Senat ist allerdings, wie auch der Anklage zu entnehmen ist, nicht der einzige Ort, an dem Thraseas Verhalten aufgefallen war. Bemerkenswert ist aber, dass sich die detailreichen Schilderungen seiner Auftritte ausschließlich auf den Senat konzentrieren. Auf diese Weise wird die besondere Bedeutung eines solchen Verhaltens für das senatorische Gremium unterstrichen. Dadurch gewinnt gleichzeitig das Verhalten des Senators, kontrastiert mit dem devoten Verhalten der anderen Senatoren, zusätzlich an Konturen. Sein Tod rückt ihn dann in einigen antiken 51

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Für C. Fannius belegt das Plinius als pulcherrimum opus (Plin. epist. 5,5,3). In einem weiteren Brief erwähnt Plinius Titinius Capito, der an einem Werk über das Ende berühmter Männer (exitus inlustrium virorum), deren Freundschaft Plinius sich selber rühmt, arbeite und auf diese Weise die fromme Pflicht gewissermaßen in Form einer laudatio funebris erfülle (vgl. Plin. epist. 1,17,1 ff.; 8,12,4 f.). Zu dieser Art der Literatur siehe F. a. Marx, Tacitus und die Literatur der exitus illustrium virorum, in: Philologus 92 (1937), 83–103, bes. 96 ff. (allerdings auf rein philologischer Ebene, ohne den Blick auf diese besondere Konjunktur im Kontext der frühen Kaiserzeit); J. GEiGEr, Munatius Rufus and Thrasea Paetus on Cato the Younger, in: Athenaeum 57 (1979), 48–72, 61 f.; zuletzt KEr, The Deaths of Seneca, bes. 53 f.; für einen allgemeinen Überblick vgl. G. o. HutcHinson, Latin Literature from Seneca to Juvenal. A Critical Study, Oxford 1993, 256–326. Zu den Vorläufern speziell in der Kaiserzeit vgl. die repentina mortes in der Naturgeschichte des Plinius (Plin. nat. hist. 7,180–186) und Valerius Maximus’ Sammlung De mortibus non vulgaribus (Val. Max. 9,12). Zur besonderen Eignung, den Charakter der zu zeichnenden Person im Tod einzufangen: Sen. suas. 21–25; Cic. Brut. 11,42. Dazu C. EdWards, Death in Ancient Rome, New Haven (Conn.) 2007, 5–9. Zur Prägung der narrativen Struktur für diesen Zusammenhang auch V. E. PaGán, Conspiracy Narratives in Roman History, Austin 2007, 75 f. Vgl. Tac. ann. 16,22; bes. 16,22,2: seccessionem iam id et partes et, si idem multi audeant, bellum esse. ‚ut quondam C. Caesarem‘ inquit ‚et M. Catonem, ita nunc te, Nero, et Thraseam avida discordiarum civitas loquitur. et habet sectatores vel potius satellites, qui nondum contu­ maciam sententiarum, sed habitum voltumque eius sectantur, rigidi et tristes, quo tibi lasciviam exprobrent. (…).‘

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3. Bedingungen senatorischer Kommunikation

Darstellungen in den Rang eines exemplum für die senatorische Moral. Besonders prominent an der Schilderung des Selbstmordes ist die Nähe zum Stoizismus, in die der Senator gerade hier gerückt wird.53 Im Zusammenspiel mit dessen Verhalten im Senat wird er damit als Beispiel eines Aristokraten dargestellt, der – wenn auch nicht ungebrochen positiv – couragiert und standhaft für die senatorische Freiheit eintritt. Allerdings lassen die Darstellungen bezeichnenderweise immer auch Raum für eine distanziertere Haltung gegenüber seinem Handeln.54 Wie sein Verhalten bewertet wurde, demonstriert die Anklage, die Thrasea – letztlich erfolgreich – vorwarf, Unruhe (secessio), wenn nicht sogar Krieg (bellum), zu stiften. Nachdem er laut Senatsbeschluss schuldig gesprochen worden war, beging der Senator schließlich Selbstmord.55 Nero erscheint in den Quellen dabei als treibende Kraft des Verfahrens. Laut Sueton ist die Motivation im Bereich des Willkürlichen anzusiedeln. Er berichtet davon, dass es dem Kaiser offenbar nicht gefallen habe, den Senator mit einer „mürrischen Miene“ (tristior et paedagogi vultus) herumlaufen zu sehen.56 Wenn man das mit anderen Beispielen kaiserlicher Willkür abgleicht, ergibt sich damit die Funktion im Bericht Suetons: nämlich Neros Handeln jegliche Rationalität und Berechenbarkeit abzusprechen. Auch Tacitus spricht zunächst davon, dass Nero „Lust“ überkommen habe, den unbequemen Senator zusammen mit Barea Soranus, einem weiteren Standesgenossen, aus dem Weg zu schaffen.57 Die Formulierung lässt ähnliche Rückschlüsse zu, 53

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Zur Interpretation Thraseas als dezidiert stoisches exemplum vgl. turPin, Tacitus, 398 f.: „Like the Agricola, this raises what is perhaps the most important issue in Tacitus: it was not always easy, under the principate, to know what to do. Certain behaviours, of course, were obviously admirable, and others were obviously reprehensible, and could usefully offer inspiration or deterrence. But most Romans were in a much more equivocal position: resistance might in some circumstances be unavoidable, and therefore right, but sometimes collaboration might be more helpful. Tacitus’ job as a historian was, as he saw it, to provide a wider range of exempla: his readers could reflect on the exempla, good and bad, to help them figure out what they ought to do.“ Vgl. Cass. Dio 65,15; 62,20; 62,15,7; 62,26 f.; Suet. Nero 37,1. Hinweise, wie dem Verhalten des Senators erinnert wurde, auch in Cass. Dio 67,13,2 (Xiph. 222,31–225,4 R. St. / Zon. 11,20, p. 63, 1–9D). Tac. hist. 2,91,3: inrisere plerique impudentiam aemulationis; aliis id ipsum placebat quod neminem ex praepotentibus, sed Thraseam ad exemplar verae gloriae legisset [gem. Vitellius]. Epikt. 1,1,26. Zur Biographie und zum Hintergrund der Verurteilung des Thrasea Paetus vgl. u. a. ronninG, Herrscherpanegyrik, 57–60. Außerdem zur Deutung c. ronninG, Der Konflikt zwischen Kaiser Nero und P. Clodius Thrasea Paetus. Rituelle Strategien in der frühen römischen Kaiserzeit, in: Chiron 36 (2006), 329–355. Vgl. Tac. ann. 16,22,2 (siehe Kap. 3.1 / Anm. 52). Zur Schilderung des Selbstmordes vgl. Tac. ann. 16,33 f. Suet. Nero 37,1: nullus posthac adhibitus dilectus aut modus interimendi quoscumque libuisset quacumque de causa. (…) obiectum est (…) Paeto Thraseae tristior et paedagogi vultus. Auch bei Tacitus wird dieses Verhalten erwähnt, allerdings in größerem Kontext, als einer der Anklagepunkte, die dem Senator in dem gegen ihn angestrengten Prozess vorgeworfen wurde: Vgl. Tac. ann. 16,22,2. trucidatis tot insignibus viris ad postremum Nero virtutem ipsam excindere concupivit inter­ fecto Thrasea Paeto et Barea Sorano (…) (Tac. ann. 16,21,1). Ausführlicher und deutlich in einen politischen Kontext gestellt ist allerdings der weitere Bericht des Tacitus: requirere se in senatu consularem, in votis sacerdotem, in iure iurando civem, nisi contra instituta et caerimo­

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so dass die Gründe, die zu einer solchen Entscheidung führten, letztlich nicht nur unverständlich, sondern auch vollkommen ungerechtfertigt erscheinen. Dass Thrasea durch sein Verhalten im Senat und im Umgang mit Nero allgemein in Ungnade gefallen war, wird erwähnt – allerdings nur am Rande. In den Vordergrund rückt damit die unberechenbare, feindliche Haltung des Kaisers, der damit mutmaßlich als eigentlicher Initiator erscheint.58 Tatsächlich geht es auch Tacitus in letzter Konsequenz, ähnlich wie Sueton, um eine Charakterisierung des Herrschers. Eine vergleichbare Erzähltechnik lässt sich auch am Beispiel des Geschichtsschreibers Cremutius Cordus erkennen. Dieser war unter Tiberius angeklagt und in den Selbstmord getrieben worden. Auch ihm wird nur bei Tacitus und Seneca so viel Aufmerksamkeit gewidmet. Andere Quellen berichten zwar von dem Fall, weisen ihm aber nicht annähernd diese Bedeutung zu.59 Im Fall von Thrasea Paetus kann man von einer ähnlich gelagerten Intention ausgehen wie für Cremutius Cordus: das konsequente Eintreten für die senatorische libertas gegenüber einem Herrscher, der mit tyrannischen Attributen versehen wird, an einem konkreten Beispiel anschaulich zu machen.60 Der Senat als Ort der Austragung von Konflikten Tacitus berichtet, dass Thrasea die senatorische libertas verfochten und das Recht zur freien Stimmabgabe eingefordert haben soll.61 Später wird das dezidiert durch die Wortwahl unterstrichen, denn es wird berichtet, dass seine libertas das servi­ tium der anderen Senatoren gebrochen habe. Ansonsten soll er sich in seinen Meinungsäußerungen zu den Verhandlungspunkten, die zur Abstimmung standen, sehr verhalten gezeigt haben und damit demonstrativ der verbreiteten Unterwürfigkeit begegnet sein.62 Als darüber verhandelt wurde, ob ein Bild vom Princeps neben

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nias maiorum proditorem palam et hostem Thrasea induisset. (Tac. ann. 16,28,2). Zu Thrasea Paetus in den Annales des Tacitus vgl. K. HEldMann, Libertas Thraseae servitium aliorum ru­ pit. Überlegungen zur Geschichtsauffassung im Spätwerk des Tacitus, in: Gymnasium 98 (1991), 207–231. Die zur Schau getragene tristitia interpretiert Barghop, wenngleich seine Einordnung des Verhaltens problematisch erscheint (BarGHoP, Forum der Angst, 116). (…) olim utrisque infensus, et accedentibus causis in Thraseam, quod senatu egressus est, cum de Agrippina referretur, ut memoravi, quodque Iuvenalium ludicro parum spectabilem operam praebuerat (…) (Tac. ann. 16,21,1). Vgl. Tac. ann. 4,34 ff.; Sen. cons. ad Marc. 1,2; 22,4; Suet. Tib. 61. Siehe dazu M. MEiEr, Das Ende des Cremutius Cordus und die Bedingungen für Historiographie in augusteischer und tiberischer Zeit, in: Tyche 18 (2003), 91–127. Für eine solche Interpretation in Bezug auf Thrasea Paetus siehe zuletzt J. PiGón, Thrasea Paetus, libertas senatoria and Tacitus’ Narrative Methods, in: D. Brodka / J. Janik / S. Sprawski (Hgg.), Freedom and its Limits in the Ancient World. Proceedings of a Colloquium held at the Jagiellonian University Kraków, September 2003, Krakau 2003, 143–153. Vgl. Tac. ann. 13,49. Tac. ann. 14,49,1: libertas Thraseae servitium aliorum rupit, et postquam discessionem consul permiserat, pedibus in sententiam eius iere (…). Damit weist er dem Senator eine Vorbildfunktion für andere zu. Thrasea Paetus nimmt hier aber eine zentrale Stellung ein, von der in dieser

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3. Bedingungen senatorischer Kommunikation

dem Standbild der Minerva aufgestellt werden sollte, soll er sogar den Senat verlassen haben.63 Das Verhalten in dieser Senatssitzung, in emotional aufgeladener Atmosphäre – unter dem Eindruck des unmittelbar vorangegangenen Mordes an Agrippina –, wird in allen antiken Auseinandersetzungen mit seiner Person als besonders wichtig markiert. Cassius Dio lässt keinen Zweifel aufkommen, dass das senatorische Verhalten gerade nicht ausschließlich situativ-spontan zu verstehen ist, sondern einer konsequenten Linie folgte. Besonderes Gewicht verleiht Cassius Dio dem Ereignis, weil er Thrasea Paetus – anders als Tacitus – damit überhaupt zum ersten Mal erwähnt.64 Tacitus wiederum nimmt den Vorfall zum Anlass, das Verhalten zu kommentieren: Er kritisiert, dass der Senator, der der üblichen Schmeichelei vorher mit Schweigen (silentio) oder nur knapper Zustimmung (brevi adsensu) begegnet war, dieses Mal den Senat verließ. Die Kritik besteht darin, dass sich Thrasea damit eher selbst in Gefahr gebracht habe, als den anderen einen Weg in die Freiheit (ceteris libertatis initium non praebuit) zu eröffnen.65 Das Urteil fällt überraschend hart aus, wenn man es mit der Überlieferung vergleicht, die den Senator sonst als couragierten Charakter sieht.66 Entsprechend scheint der Kommentar im Spannungsverhältnis zur herausragenden Beispielhaftigkeit zu stehen. Sobald man ihn allerdings als Hinweis auf ein entsprechend außergewöhnliches Ereigniss liest, eröffnen sich andere Perspektiven, die auch Rückschlüsse auf die Funktionsweise des Senats zulassen. Die Darstellungen beider Autoren lassen keinen Zweifel daran, dass, um das Verhalten in dieser Sitzung einordnen zu können, der Kontext berücksichtigt werden muss, weil sich die symbolische Qualität der Handlungen im Wesentlichen daraus ergibt. Das legt nahe, dass es nicht als ein einfacher Rückzug zu deuten war, wenn ein hochrangiger Senator eine Sitzung verließ, noch dazu zu einem solchen Zeitpunkt. Nach dem Mord an Agrippina im Jahr 59 wird die Atmosphäre in Rom von Tacitus als sehr gespannt beschrieben. Auch im Senat bemühte man sich, seine Loyalität dem Herrscher gegenüber zu bekunden, indem man in einem „merkwürdigen Wetteifer“ (certamine miro) Dankfeste in allen Tempeln beschloss.67 Der Antrag, das Standbild aufzustellen, wurde in dieser Atmosphäre zur feierlichen Umdeutung des Mordes an Agrippina und damit vermeintlich zu einem Sieg nach einer aufgedeckten Verschwörung. Dass Thrasea in dieser Situation den Senat verlassen haben soll, käme einem demonstrativen Akt der Missbilligung gleich. Das gilt vor

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Form nur Tacitus berichtet. Vgl. dagegen Suet. Nero 37,1 f.; Cass. Dio 62,26 (Xiph. 170,4– 172,1 R. St.). Vgl. Tac. ann. 14,12. Cass. Dio 62,15,2 (Xiph. 154,27–155,19,19 R. St.). Vgl. Tac. ann. 14,12,1. Siehe dazu C. EdWards, Death in Ancient Rome, New Haven (Conn.), 2007, 134 ff.; turPin, Tacitus, 360. Er betont darin vor allem, dass die kaiserzeitliche Auseinandersetzung mit dem Stoizismus nicht einheitlich und widerspruchslos – vor allem in Bezug auf die Frage über den Umgang mit der aktiven politischen Laufbahn – gewesen sei (so auch P. A. Brunt, Stoicism and the Principate, in: PBSR 43 (1975), 7–35, 9 f.; dazu z. B. Sen. tranq. 3,4 f.; 4,1–8). miro tamen certamine procerum decernuntur supplicationes apud omnia pulvinaria (…) (Tac. ann. 14,12,1).

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allem, wenn man, wie es die Quellen implizieren, voraussetzt, dass allen die Umstände des Todes bekannt waren.68 Dabei wird die Tat durch die inhaltliche Diskussion in der Sitzung immer nur in die Nähe eines Vorwurfs gerückt. Aber noch nicht einmal die Anklage konkretisierte diesen Jahre später. Es liegt daher nahe, das Problem in erster Linie auf anderer Ebene zu vermuten – nämlich, wie es c. ronninG plausibel gemacht hat, als Konflikt innerhalb der Senatsaristokratie.69 Hinweise darauf gibt es einige: Schon vorher soll es Thrasea in Senatssitzungen oft ausgereicht haben, seine Zustimmung einfach durch adsensio auszudrücken. Tacitus weist explizit auf diese Besonderheit hin. Denn da es allgemein üblich war, die Zustimmung nicht nur zu bekunden, sondern die sententia mit Lobreden auf den Kaiser zu verbinden, wird die adsensio Thraseas wenn nicht zur Ablehnung, aber auf jeden Fall zur Bekundung von Unmut gegenüber den senatorischen Kommunikationsformen.70 Allerdings belässt es Tacitus hier bei einer zusammenfassenden Erwähnung. Anders ist das bei der Schilderung einer Senatssitzung im Jahr 58 n. Chr., bei der Thrasea bei Tacitus zum ersten Mal erwähnt wird: In dieser Sitzung soll er eine relativ belanglose Entscheidungssituation genutzt haben, um im Rahmen einer sententia grundsätzlichen Unmut zu äußern, was ihm von anderen Senatoren auch prompt vorgeworfen wurde.71 Eine Senatssitzung zu verlassen, die unter veränderten kommunikativen Voraussetzungen nach dem Mord an Agrippina stattfindet, kommt demgegenüber ein völlig anderer symbolischer Wert zu. Die Handlung lässt sich jedenfalls nicht ohne Weiteres in das Fernbleiben zahlreicher Senatoren, das nicht nur unter Nero belegbar ist, einreihen.72 Dass Senatoren anscheinend öfter bei Sitzungen fehlten, wird immer wieder erwähnt. Allerdings unterscheidet sich die Abwesenheit von der demonstrativen Geste des Thrasea Paetus, was auch die Kommentierung der Episode in der taciteischen Darstellung provoziert haben dürfte.73 Denn bisher hatten sich 68

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Dabei ging es nach der Ermordung Agrippinas darum nur vordergründig, eigentlich sollte damit die Treue der Senatoren dem Princeps gegenüber bekundet werden: Thrasea Paetus silentio vel brevi adsensu priores adulationes transmittere solitus exiit tum senatu, ac sibi causam pe­ riculi fecit, ceteris libertatis initium non praebuit (Tac. ann. 14,12,1). Vgl. dazu auch ronninG, Konflikt, bes. 351; 354; mit einem anderen Schwerpunkt in dErs., Herrscherpanegyrik, 58. Soweit zumindest auch BarGHoP, Forum der Angst, 113. Zu senatorischen Formen der Zustimmung vgl. genauer Kap. 4.2.2. Vgl. Tac. ann. 13,49,1: non referrem vulgarissimum senatus consultum, quo civitati Syracusa­ norum egredi numerum edendis gladiatoribus finitum permittebatur, nisi Paetus Thrasea con­ tra dixisset praebuissetque materiem obtrectatoribus arguendae sententiae. Zum Vorwurf vgl. Tac. ann. 13,49,2 f. Dagegen GriFFin, Nero, 176: „Their grounds for disillusionment with the government, namely the moral conduct of the Emperor and the decline of senatorial independence, were not new, nor was their form of protest.“ Siehe dazu auch S. 184; S. 194 f. Auch wenn Abwesenheit der Senatoren bei den Sitzungen kein ausschließlich kaiserzeitliches Phänomen darstellte, so habe es jetzt, wie etwa R. Talbert betont, einen Kaiser gegeben, der sich daran stören konnte, weil er ein Interesse daran haben musste, dass der Senat sich als ein intaktes Gremium präsentierte: „Though few of them [gem.: die Principes] genuinely sought Tiberius’ ideal of a well-attended senate which would play a full, independent part in government, it remained important to the standing of all sane emperors that attendance be kept up. The

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3. Bedingungen senatorischer Kommunikation

die Kommunikationsformen – bei Cassius Dio zwar nur zusammenfassend, aber trotzdem eindeutig, bei Tacitus explizit durch die Wortwahl „dagegen sprechen“ (contra dixisset) unterstrichen74 – des bekannten senatorischen Repertoires bedient. In diesem Fall rührten sie aber an normativ gesetzten Grenzen. Sie warfen die Frage auf, ob sich der Senator hier überhaupt noch im Rahmen dessen bewegte, was als angemessen toleriert werden konnte.75 In diesem Sinn interpretiert würde sich auch der taciteische Kommentar insofern einfügen, als er auf dieser Ebene senatorische Diskussionen in Form einer Stellungnahme reflektiert. Dazu muss man nicht zwangsläufig so weit gehen, die Handlung des Senators als strategischen Tabubruch oder als gezieltes Spiel mit der Normativität der Kommunikationsstrukturen zu sehen. Zumindest wurde aber entsprechend wahrgenommen, dass der Senator mit seinem Verhalten bewährte Kommunikationsstrukturen zur Disposition stellte. Dokumentiert wird das, indem man dieses Verhalten zu einem der zentralen Punkte der Anklage erhob. Darin manifestiert sich ein Deutungsprozess, der das Verhalten als nicht tolerierbar qualifizierte. Und auch im Kommentar des Tacitus spiegelt sich das wider.76 Als dann einige Zeit später im Senat der Fall des Praetors Antistius verhandelt wurde, dem man vorwarf, Schmähgedichte gegen den Kaiser verfasst zu haben, wandte sich Thrasea gegen dessen Hinrichtung. Er erinnerte Nero daran, dass eine Umwandlung der geforderten Strafe in ein lebenslanges Exil ein hervorragendes Beispiel für dessen clementia bieten würde.77 Seine Äußerung entsprach

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senate represented continuity and tradition, and it alone legitimized the position and measures of the emperors.“ (talBErt, Senate, 136). Den Konflikt wie V. Rudich in diesem Kontext zu sehen, verkürzt die politische Bedeutung und personalisiert sie, wohl oder gerade weil er die Außergewöhnlichkeit des Senators in der taciteischen Darstellung betont: „(…) [A] senatorial tendency to avoid attendence was prominent under the early principate. The average man (…) could escape trouble by some sign of compliance, risking a fine at worst. [But Thrasea Paetus] (…) was too conspicuous to manifest his moral resolve by absenting himself from the Senate and not eventually suffer the consequences. (…) [T]o be present would have meant forfeiting his public image which had taken shape over several years and nullifying his earlier actions.“ (rudicH, Political Dissidence, 78). Vgl. zu den Verhältnissen in republikanischer Zeit z. B. Cic. leg. 3,40. Tac. ann. 13,49; vgl. außerdem 14,12,1. Darüber hinaus gibt es einige Hinweise darauf, dass Senatoren auch zuvor schon Sitzungen verlassen hatten, allerdings stammen sie entweder aus republikanischer Zeit oder die entsprechenden Akteure werden ähnlich als exemplum dargestellt, scheinen dann aber auch offenbar aus Situationen heraus gehandelt zu haben, in denen ihr Schicksal bereits besiegelt schien: Als Ausnahme davon vgl. Tac. ann. 2,34,1. Vgl. auch die Auftritte eines Praetors im Jahr 22 n. Chr. (Cass. Dio 57,21,2 [Xiph. 137,17–140,7]) und eingeschränkt den des C. Fufius Geminus im Jahr 30 n. Chr. (Cass. Dio 58,4,6 [Xiph. 145,22–146,30]), außerdem die Rede des Cremutius Cordus (Tac. ann. 4,35) und des C. Fufius Geminus im Jahr 30 n. Chr. (Cass. Dio 58,4,6 [Xiph. 145,22–146,30]). Wenn auch nicht explizit auf Thrasea Paetus bezogen, sieht H. Haynes die taciteische Konzeption der Geschichtsschreibung geprägt von dem kunstvollen Spiel mit der spezifisch zeitgebundenen Wahrnehmung des Principats: vgl. H. HaynEs, The History of Make-Believe. Tacitus on Imperial Rome, Berkeley 2003, 180. ceteris inde assentientibus, Paetus Thrasea, multo cum honore Caesaris et acerrime increpito Antistio, non quicquid nocens reus pati mereretur, id egregio sub principe et nulla necessitate

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offensichtlich der allgemeinen Erwartungshaltung, dass Antistius ohnehin freigesprochen werden würde. Denn es soll, so berichtet es Tacitus, vermutet worden sein, dass Nero sein tribunizisches Einspruchsrecht gegen die Verurteilung nutzen würde. Wenn man das symbolische Potential der Handlung bedenkt, dass er in einem solchen Kontext dem Kaiser die Ehre streitig machte, indem er das Veto Neros mit seinem Einwand hinfällig werden lässt, kann man das Verhalten zumindest von Seiten Neros sicher als Affront werten. Besonders subtil erscheint der Appell an die clementia insofern, als der Senator damit auch auf das zu Beginn der Herrschaft Neros kommunizierte Programm angespielt haben könnte. Dass das genaue Gegenteil umgesetzt wurde – zumindest legt Tacitus diese Interpretation nahe –, führte Thrasea Paetus der Aristokratie jetzt vor Augen. Ob sich daraus allerdings eine Kommunikationssituation konstruieren lässt, die bewusst gegen Nero gerichtet war, ist fraglich. Das Verhalten ließe sich genauso mit einer falschen Einschätzung der Situation von Seiten Thraseas erklären. Möglich wäre aber auch, es als Versuch zu sehen, in gewohnte senatorische Umgangsformen zurückzukehren, als Konzession an entsprechende Vorwürfe, die sein vorheriges Auftreten als nicht angemessen qualifiziert hatten. Auch der Senator Helvidius Priscus, der Schwiegersohn des Thrasea Paetus, spielt in der Überlieferung eine wichtige Rolle. Im Zuge des Prozesses gegen Thrasea Paetus wurde Helvidius Priscus verbannt. Von Neros Nachfolger Galba wurde er allerdings begnadigt und rehabilitiert.78 Unter Otho wird er dann nicht weiter erwähnt. Erst unter Vitellius wird er in den Quellen konkreter greifbar: In einer Senatssitzung war es zu Unstimmigkeiten mit dem Princeps gekommen, weil Helvidius nicht im Sinne des Kaisers abgestimmt haben soll.79 Schließlich eskalierte der Konflikt unter Vespasian, was dann mit der Verbannung des Senators und dessen späterer Ermordung im Exil endete. Auch in diesem Fall erwähnen die Quellen explizit die handlungsleitende Nähe zu stoischen Lehrinhalten. Und auch in diesem Fall beurteilen sie das senatorische Verhalten ähnlich ambivalent, was erneut die Frage danach aufwirft, warum ihm dieser Stellenwert zugebilligt wurde, was an seinem Verhalten derart provozierte und polarisierte. Auch hier lässt sich zeigen, dass der Konflikt primär ein senatorisches Problem berührte. Die verschiedenen Darstellungen divergieren zum Teil erheblich darin, wie sie das Verhalten gewichten und beurteilen: Sueton berichtet nur davon – im Kontext eines Kataloges positiver Charaktereigenschaften des Kaisers –, dass sich die Konfrontation unter Vespasian zugespitzt habe; grundsätzlich bestätigt er die Vorfälle aber zumindest. Demgegenüber widmen Cassius Dio und Tacitus ihnen wesentlich mehr Raum.80

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obstricto senatui statuendum disseruit (…) (Tac. ann. 14,48,3). Zur Deutung der Stelle vgl. auch J. E. lEndon, Empire of Honour. The Art of Government in the Roman World, Oxford 1997, 143. Vgl. Tac. ann. 16,33 f. Cass. Dio 64,7,2 (Exc. Val. 269, p. 701); Tac. hist. 2,91,2. Vgl. Suet. Vesp. 15: non temere quis punitus insons reperi[r]etur nisi absente eo et ignaro aut certe invito atque decepto. Helvidio Prisco, qui et reversum se ex Syria solus privato nomine Vespasianum salutaverat et in praetura omnibus edictis sine honore ac mentione ulla trans­ miserat, non ante succensuit quam altercationibus insolentissimis paene in ordinem redactus.

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3. Bedingungen senatorischer Kommunikation

Greifbar wird der Konflikt zum ersten Mal in einer Senatssitzung unter Vitellius, in der Helvidius als designierter Praetor seine Meinung anders vertreten haben soll, als es der Herrscher wünschte. Daraufhin habe sich dieser zunächst der Unterstützung durch die Volkstribune versichert. Später nahm er allerdings seine Anweisungen mit dem Hinweis zurück, eine alltägliche Meinungsverschiedenheit unter Standesgenossen (quod duo senatores in re publica dissentirent / εἰ δύο ἄνδρες ἒξ ὑμῶν διηνέχθημέν τι πρὸς ἀλλήλους) rechtfertige keine so drastische Maßnahme.81 Über die Hintergründe erfährt man wenig. Da die Situation in einen Zusammenhang mit der Charakterisierung des Vitellius gestellt wird, lässt sich ein Konflikt auf dieser Ebene vermuten – obwohl dieser erst einmal unbestimmt bleibt. Vitellius’ Herrschaftsstil wurde als verschwendungssüchtig empfunden und rief damit unmittelbare Assoziationen an die Herrschaft Neros wach.82 Diffus bleibt vor allem der eigentliche Bericht des Vorfalls. In den Darstellungen wird dieser in einen größeren Zusammenhang, nämlich der Charakterisierung des neuen Herrschers Vitellius, eingeordnet. Daneben steht der nicht weiter konkretisierte Befund, dass das Abstimmungsverhalten des Senators im Situativen zu verorten ist. Tacitus spricht davon, Helvidius’ Entscheidung im Rahmen der Abstimmung im Senat sei „zufällig“ (ac forte) anders ausgefallen als vom Princeps intendiert (contra studium eius censuerat). Cassius Dio ist hier in der Wortwahl nicht präziser. Demnach habe der Senator dem Princeps „irgendwie widersprochen“ (ἀν τειπόντος τι).83 Übereinstimmend dokumentieren sie auch, dass die Reaktion des Vitellius unentschlossen ausfiel. Dass dieser die Tribunen beauftragte, das senatorische Verhalten zu ahnden, die Forderung aber kurz darauf widerrief, charakterisiert die Situation als genauso unbestimmt wie die Darstellungen des senatorischen Verhaltens. Die Situation war entscheidend dadurch geprägt, dass unter dem neuen Herrscher die Erwartungen noch nicht klar waren. In einer solchen Atmosphäre erschien es für die Zeitgenossen nicht eindeutig, das senatorische Handeln zwangsläufig als einen zielgerichteten Affront zu sehen. Vitellius fasste es zwar offenbar zunächst genauso auf, korrigierte diese Interpretation aber schnell, indem er die Uneinigkeit demonstrativ in den Bereich einer Meinungsverschiedenheit unter Senatoren verschob. Er entschärfte damit den Zwischenfall in seiner Offenheit, die sich in den Quellen deutlich widerspiegelt, weil er ihn seinem plötzlichen und erst vor kurzem erfolgten Rollenwechsel zurechnete. Gleichzeitig ordnete er den Zwischenfall auf diese Weise nachträglich als ,legitimes‘ Verhalten ein.84

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Cass. Dio 64,7,2 (Exc. Val. 269, p. 701); 65,12 ff.; Tac. hist. 2,91; 4,4 ff.; 4,44 f.; 4,53; Epikt. 1,2,19. Tac. hist. 2,91; Cass. Dio 64,7,2 (Exc. Val. 269, p. 701). Vgl. Cass. Dio 65,9; Tac. hist. 2,91; 4,2. Tac. hist. 2,91,3; Cass. Dio 64,7,2 (Exc. Val. 269, p. 701). Cass. Dio 64,7,2 (Exc. Val. 269, p. 701); Tac. hist. 2,91,2. Erleichtert wurde eine solche Entscheidung möglicherweise dadurch, dass es sich, wie die Kontextualisierung durch den vorangehenden Satz im taciteischen Bericht nahelegt, anscheinend um eine weniger wichtige Sitzung handelte: ventitabat in senatum, etiam cum parvis de rebus patres consulerentur.

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Ein paar Monate später hatten sich die politischen Rahmenbedingungen erneut geändert: Vespasian hatte Vitellius’ Truppen geschlagen und war noch im Osten des Imperiums von Heeresteilen zum Imperator ausgerufen worden. Auf die neue Situation reagierend beeilte sich der Senat, dem neuen Herrscher die entsprechenden Ehrungen zukommen zu lassen und seine Ankunft in Rom vorzubereiten. Die Darstellungen über Helvidius Priscus während der ersten Jahre der Herrschaft Vespasians divergieren in den Quellen erheblich. Während im taciteischen Bericht, der allerdings mit dem vierten Buch der Historien im Jahr 70 n. Chr. abbricht, die Auseinandersetzungen des Senators mit dem Standesgenossen Eprius Marcellus im Vordergrund stehen, verlagert sich der Konflikt bei Cassius Dio grundsätzlich, wenn auch nicht widerspruchsfrei, auf die Ebene einer unmittelbaren Auseinandersetzung mit Vespasian. Diese scheinbaren Inkongruenzen lassen sich trotzdem miteinander in Einklang bringen. Jedenfalls schließen sich die unterschiedlichen Darstellungen nicht aus, sondern erklären die Brisanz dieses ambivalenten exemplum. Auf der Grundlage des taciteischen Berichts lassen sich folgende Ereignisse rekonstruieren: In der Senatssitzung, die die Ankunft Vespasians in Rom mit den entsprechenden Ehrungen vorbereitete, demonstrierte Helvidius Priscus offenbar auf unübliche Weise seine Eloquenz. Ihm soll das Kunststück gelungen sein, ohne den neuen Herrscher zu hofieren, unmissverständlich seine Zustimmung zu kommunizieren. Damit hob er sich von der Mehrzahl der hochrangigen Senatoren ab, die bei der Befragung durch ihre Mimik oder eine entsprechende Handbewegung ihre Zustimmung signalisiert haben sollen. Für den designierten Praetor, so kommentiert Tacitus retrospektiv, habe dieser Tag den „Anfang großen Anstoßes, aber auch großen Ruhms“ (magnae offensae initium et magnae gloriae) bedeutet.85 Diese Einschätzung wirkt in einem solchen Kontext erst einmal deplatziert. Sie erklärt sich aber, wenn man einbezieht, wie die Senatssitzung dargestellt wird. Denn nachdem man sich über die Ehrungen schnell einig geworden war, folgte eine hitzige Debatte zwischen Helvidius Priscus und Eprius Marcellus darüber, wie die beschlossene Gesandtschaft an Vespasian angemessen zu wählen sei.86 Helvidius sprach sich dafür aus, vereidigten Magistraten die namentliche Wahl der Abgeordneten zu überlassen; dagegen sprach sich Marcellus dafür aus, per Los abzustimmen. Dafür konnte er sich darauf berufen, dass in dieser Sache auch ein designierter Consul seine Zustimmung signalisiert hatte. Die folgende Diskussion scheint allerdings weniger dem aktuellen Anlass als einem schon länger schwelenden Konflikt geschuldet.87 Denn Eprius Marcellus hatte sich seinerzeit als hauptverantwortlich für die Anklage des Thrasea Paetus gezeigt. Schon unter Galba hatte Helvidius Priscus versucht, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen: 85

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Tac. hist. 4,4. eaque omnia Valerius Asiaticus consul designatus censuit; ceteri vultu manuque, pauci, quibus conspicua dignitas aut ingenium adulatione exercitum, compositis orationibus adsentiebantur. (Tac. hist. 4,4); insbes. aber hier 4,4,3: isque preacipuus illi dies magnae offen­ sae initium et magnae gloriae fuit. Vgl. Tac. hist. 4,6,3. paulatimque per altercationem ad continuas et infestas orationes provecti sunt, quaerente Helvidio, quid ita Marcellus iudicium magistratuum pavesceret (…) (Tac. hist. 4,7,1). Vgl. Tac. hist. 4,6–8.

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3. Bedingungen senatorischer Kommunikation ruina soceri in exilium pulsus, ut Galbae principatu rediit, Marcellum Eprium, delatorem Thraseae, accusare adgreditur. ea ultio, incertum maior an iustior, senatum in studia diduxe­ rat: nam si caderet Marcellus, agmen reorum sternebatur. „Durch den Sturz seines Schwiegervaters in die Verbannung getrieben, machte er sich sofort, nachdem er im Prinzipat Galbas zurückgekehrt war, daran, Marcellus Eprius, den Denunzianten Thraseas, anzuklagen. Dieses Racheverlangen – soll man es übersteigerten Geltungsdrang oder übersteigerten Rechtssinn nennen? – hatte den Senat in zwei Parteien gespalten. Sollte nämlich Marcellus fallen, mußte ein ganzer Haufen von Schuldigen auf der Strecke bleiben.“88

Als sich mit einer fehlenden klaren Stellungnahme Galbas keine Mehrheit für seinen Antrag abzeichnete, hatte Helvidius die Sache damals allerdings auf sich beruhen lassen. Das dürfte den Standesgenossen gelegen gekommen sein, weil der Fall einige Sprengkraft besaß, wenn er eine generelle Aufarbeitung der Regierungszeit Neros provoziert hätte. Unabhängig von der persönlichen Motivation, Eprius Marcellus’ Verhalten nicht ungestraft zu lassen, erfordert das Verhalten einiges an Vorverständnis. Dazu ist der Blick über diesen konkreten Fall hinaus in ,nachneronische‘ Senatsdebatten über den Umgang mit einem spezifisch kaiserzeitlichen Phänomen notwendig: dem Delatorentum.89 Darin fand im Zusammenhang mit den zahlreichen Majestätsprozessen die aristokratische Konkurrenz um kaisernahe Positionen ihren spezifischen Ausdruck. Gleichzeitig schwächte diese permanente Konkurrenzsituation den Zusammenhalt innerhalb der Aristokratie, weil damit die Regeln, die den strukturell notwendigen Zusammenhalt und damit auch die Konsensfähigkeit gewährleisteten, unterlaufen wurden. Die Gefahr, die vom Delatorentum ausging, wurde durchaus wahrgenommen; in der Regel überwog aber das Gefühl, dem nichts entgegensetzen zu können, um das Problem zu lösen. Wenn die Voraussetzungen günstig waren, gab es aber zumindest Versuche, solchen gewachsenen Strukturen zu begegnen und den Umgang mit dem Phänomen zu reglementieren.90 Eine solche Gelegenheit hatte sich mit dem Sturz Neros und dem Herrschaftsantritt Galbas ergeben. Helvidius’ erster Versuch, unter Galba gegen Eprius Marcellus vorzugehen, ist daher kein Einzelfall, sondern ordnet sich in den allgemeinen Aktionismus ein, den man gegen die Delatoren der neronischen Zeit an den Tag legte: (…) nam recens Galbae principatu censuerant patres, ut accusatorem causae noscerentur. id senatus consultum varie iactatum et, prout potens vel inops reus inciderat, infirmum aut vali­ dum, retinebat adhuc terroris. „(…) [G]leich zu Beginn von Galbas Herrschaft hatten die Senatoren beschlossen, alle Fälle berufsmäßiger Ankläger überprüfen zu lassen. Dieser Senatsbeschluß wurde verschieden ausgelegt und, je nachdem ein einflußreicher oder ein unbedeutender Angeklagter an der Reihe

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Tac. hist. 4,6,1 f. [übers. v. H. VrEtsKa]. Siehe dazu auch Kap. 4.2.1. Vgl. FlaiG, Kaiser, 114 f.; dErs., Loyalität ist keine Gefälligkeit. Zum Majestätsprozeß gegen C. Silius 24 n. Chr., in: Klio 75 (1993), 289–305, bes. 289–291; so auch W. niPPEl, Aufruhr und „Polizei“ in der römischen Republik, Stuttgart 1988, 31 ff.; cHrist, Geschichte, 187 ff.

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war, außer Kraft gesetzt oder mit aller Strenge angewendet: so behielt er noch immer etwas von seinem Schrecken.“91

Nach dem Prinzip der anscheinend sehr gründlichen Abwägung der Vor- und Nachteile, die die Verurteilung eines Delators mit sich bringen konnte, berichtet Tacitus dann explizit von dem Fall, dass der Ritter Annius Faustus sich auf Betreiben des Vibius Crispus in einem Verfahren für sein Handeln zu verantworten hatte. Dieser wurde verurteilt, obwohl die Entscheidung gegen den Ritter keineswegs eindeutig ausgefallen war.92 Die Fälle, die für die kurze Herrschaft Galbas dokumentiert sind, illustrieren die wesentlichen Strukturmerkmale, die sich auch für die neue Prozesswelle nachweisen lassen, die mit dem Herrschaftsantritt Vespasians ausgelöst worden war. So bemerkt E. FlaiG, dass die Prozesse den Senat jedes Mal auf eine grundsätzliche Probe gestellt hätten, weil ihnen so viel Konfliktpotential innewohnte, dass sie das Gremium in Parteien gespalten hätte, weil deren Positionen miteinander nicht vereinbar gewesen seien. Solche Prozesse rührten damit jedes Mal an der Konsensfähigkeit, die für das Funktionieren des Gremiums so wichtig war.93 Um diese Konsensfähigkeit zumindest ansatzweise wiederherzustellen, verständigte man sich in einzelnen Situationen auf einen Sündenbock. Üblicherweise waren das rangniedrige Aristokraten mit wenigen sozialen Bindungen. Das etablierte Verfahren drohte also in vielen Fällen zu versagen, und seine Gültigkeit konnte oft nur in dieser Form aufrechterhalten werden.94 Daneben beschreibt Tacitus in seinen Historien eine Art von Selbstdisziplinierung – von FlaiG als „purgatorisches Ritual“95 bezeichnet –, um auf die Probleme, in diesen Angelegenheiten Beschlüsse zu fassen, zu reagieren. Demnach hätten sich die Senatsmitglieder eidlich verpflichtet, dass sie sich in der Vergangenheit moralisch integer verhalten hatten. Sobald die geforderte Unschuldsbekundung allerdings zu offensichtlich nicht wahrheitsgemäß war, schreckte man aber nicht davor zurück, die betroffenen Senatsmitglieder unter Androhung von Gewalt aus der Kurie zu vertreiben.96 91 92

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Tac. hist. 2,10,1 [übers. v. H. VrEtsKa]. Vibius Crispus, pecunia potentia ingenio inter claros magis quam inter bonos, Annium Faus­ tum equestris ordinis, qui temporibus Neronis delationes factitaverat, ad cognitionem senatus vocabat (…). (…) mox damnatus est Faustus, nequaquam eo adsensu civitatis quem pessimis moribus meruerat: quippe ipsum Crispum easdem accusationes cum praemio exercuisse meminerant, nec poena criminis sed ultor displicebat (Tac. hist. 2,10,1 u. 3). Siehe z. B. auch Tac. hist. 4,6,1. So geschah es auch im Fall des Publius Celer: Tac. hist. 4,40,3 (siehe für den Fall auch schon hist. 4,10). Dazu auch FlaiG, Kaiser, 115. Vgl. FlaiG, Kaiser, 115 / Anm. 72. FlaiG, Kaiser, 115. Vgl. FlaiG, Kaiser, 115 f.; Tac. hist. 4,41,1 f. (…) trepidis et verba iuris iurandi per varias artis mutantibus, quis flagitii conscientia inerat. probabant religionem patres, periurium arguebant; eaque velut censura in Sariolenum Voculam et Nonium Attianum et Cestium Severum acerrime incubuit, crebris apud Neronem delationibus famosos. Die reinigende Funktion von Gewaltakten ist besonders intensiv für die frühe Neuzeit untersucht worden: vgl. etwa die wegweisende Studie von n. z. daVis, Humanismus, Narrenherrschaft und die Riten der Gewalt. Gesellschaft und Kultur im frühneuzeitlichen Frankreich, Frankfurt a. M. 1987, 178; M. dinGEs, Formenwandel der Gewalt in der Neuzeit. Zur Kritik der Zivilisationstheorie von N. Elias, in: R. P.

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In einer solchen Atmosphäre rollte auch Helvidius Priscus den schon einmal angestoßenen Fall wieder auf. Sein persönliches Interesse an einer Verurteilung des Marcellus zieht sich als handlungsleitendes Motiv durch den taciteischen Bericht über den Senator. Mit seiner Hartnäckigkeit traf Helvidius einen empfindlichen Nerv, weil die Folgen, die ein Prozess gegen einen hochrangigen Senator wie Eprius Marcellus mit sich bringen konnte, nicht abzuschätzen waren. Die Angelegenheit erforderte schon allein deshalb einen entsprechend sensiblen Umgang. Welches Konfliktpotential der Fall bereithielt, belegt auch der Umstand, dass sich wenig später Vespasian persönlich in die immer wieder aufflammenden Diskussionen einmischte und deutlich sein Interesse artikulierte, der Sache nicht weiter nachzugehen.97 Spätestens zu diesem Zeitpunkt dürfte die Angelegenheit in dem Sinne interpretierbar geworden sein, wie es die Darstellung Cassius Dios nahelegt: als Konflikt zwischen Helvidius Priscus und Vespasian.98 Eine Deutung als Konflikt innerhalb der Aristokratie steht nur scheinbar im Widerspruch zu einer anderen Passage bei Cassius Dio. Darin führt er die Verbannung und spätere Ermordung des Helvidius im Exil nicht darauf zurück, sondern sieht sie vielmehr darin gerechtfertigt, dass der Senator prinzipiell ein „Unruhestifter“ gewesen sei, der „die Monarchie dauernd anklagte und die Demokratie pries“ (βασιλείας τε ἀεὶ κατηγόρει καὶ δημοκρατίαν ἐπῇνει).99 In der Anklage dürfte sich letztlich der Umgang mit dem kompromisslosen Auftreten im Senat widerspiegeln, das offensichtlich so gegensätzliche Bewertungen provozierte, dass es gleichzeitig die Konsensfähigkeit des Gremiums grundsätzlich herausforderte. Sueton und Epiktet bestätigen eine solche Deutung insofern, als beide hervorheben, dass Vespasian sich offenbar bemühte, den Konflikt als keinen persönlichen, sondern als einen grundlegenden und sachlichen zu markieren. Der nur von Epiktet überlieferte Schlagabtausch zwischen Vespasian und Helvidius Priscus, selbst wenn er in dieser Form fiktiv ist, betont diese Dimension: προσπέμψαντος αὐτῷ Οὐεσπασιανοῦ, ἵνα μὴ εἰσέλθῃ εἰς τὴν σύγκλητον, ἀπεκρίνατο ‚Ἐπὶ σοί ἐστι μὴ ἐᾶσαί με εἶναι συγκλητικόν· μέχρι δὲ ἂν ὦ, δεῖ με εἰσέρχεσθαι.‘ ‚ἄγε ἀλλ‘ εἰσελθών,’ φησίν, ‘σιώπησω.’ ‘μή μ‘ ἐξέταζε καὶ σιωπήσω.‘ ‚ἀλλὰ δεῖ με ἐξετάσαι.‘ ‚κἀμὲ εἰπεῖν τὸ φαινόμενον δίκαιον.‘ ‚ἀλλ‘ ἐὰν εἴπῇς, ἀποκτενῶ σε.‘ ‚πότε οὖν σοι εἶπον, ὅτι ἀθάνατός εἰμι; καὶ σὺ τὸ σὸν ποιήσεις κἀγὼ τὸ ἐμόν. σόν ἐστιν ἀποκτεῖναι, ἐμὸν ἀποθανεῖν μὴ τρέμοντα·σὸν φυγαδεῦσαι, ἐμὸν ἐξελθεῖν μὴ λυπούμενον.‘

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Sieferle / H. Breuninger (Hgg.), Kulturen der Gewalt. Ritualisierung und Symbolisierung von Gewalt in der Geschichte, Frankfurt a. M. 1998, 171–194, 188. Vgl. dazu Kap. 3.2.2. proximo senatu, inchoante Caesare de abolendo dolore iraque et priorum temporum necessita­ tibus, censuit Mucianus prolixe pro accusatoribus; simul eos qui coeptam, deinde omissam actionem repeterent, monuit sermone molli et tamquam rogaret (Tac. hist. 4,44,1). Vgl. Cass. Dio 65,12,1a (Zon. 11,17, p. 53,29–54,3D). Cass. Dio 65,12,2 (Exc. Val. 273, p. 702).

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„Als Vespasian ihm [Helvidius Priscus] Nachricht gab, damit er nicht in den Senat komme, antwortete er, ,Es ist an dir, mich nicht zum Senat zuzulassen, so lange ich aber Senator bin, ist es nötig, dass ich erscheine.‘ ,So sei es, aber wenn du schon teilnimmst,‘ erwiderte Vespasian ‚schweige zumindest.‘ ,Frage mich nicht und ich werde schweigen.‘ ,Aber es ist nötig, dass ich dich frage.‘ ,Und ich muss das sagen, was mir richtig erscheint.‘ ,Aber wenn du sprichst, werde ich dich zum Tode verurteilen.‘ ,Habe ich dir jemals gesagt, dass ich unsterblich bin? Also tust du das Deine und ich tue das Meine. Es ist an dir, mich zum Tode zu verurteilen, an mir ist es, ohne Furcht zu sterben; es ist an dir, mich zu verbannen, an mir ist es, ohne Kummer zu gehen.‘“100

Stoischer Lehre entsprechend ergeben sich beide Charaktere in das unabwendbare Schicksal; eigentlich muss nur noch entschieden werden, in welcher Form das geschieht.101 Aber unabhängig von der stoischen Überformung des Dialoges ist es durchaus glaubwürdig, dass tatsächlich eher die gesetzten, unumstößlichen Rahmenbedingungen die Situation dominieren und das Schicksal des Senators besiegeln als eine möglicherweise sogar willkürliche kaiserliche Entscheidung. Plausibel erscheint das auch durch die Antwort, die Epiktet Helvidius auf die Aufforderung Vespasians geben lässt, den Sitzungen in Zukunft fernzubleiben. Diese dürfte auf die Anklage seines Schwiegervaters anspielen. Der Aktionsradius beider Akteure ist damit in erheblichem Maße sowohl von der Form als auch von bestimmten Rollenerwartungen geprägt. Formen des Umgangs mit Konflikten im Senat Aus der Analyse der Zwischenfälle lässt sich nun Folgendes gewinnen: Erstens weist in beiden Fällen vieles auf eine Provokation hin, allerdings weniger auf eine Provokation des Kaisers als auf eine Provokation gegenüber senatorischen Kommunikationsformen. Deren zentrale Motivation ist auch nicht primär in einer Haltung, die stoischen Idealen verpflichtet ist, angelegt, sondern in dem Agieren in der Rolle eines Senators gegenüber anderen Senatoren. Beide Senatoren handeln weniger wie jemand, der das Verhalten des Kaisers nicht in vorher übliche Kommunikationsstrukturen einordnen kann. Vielmehr handeln sie wie jemand, der auch vor dem Hintergrund einer umstrittenen Handlung unnachgiebig bleibt. Ein Senator, der in dieser Form die Regeln senatorischer Kommunikation ignorierte, bot damit genug Angriffsfläche, die obligatorische nach außen demonstrierte Konsensfähigkeit grundsätzlich und sichtbar in Frage zu stellen. Auf diese Weise unterlief er gleichzeitig senatorische Erwartungen, dass die unverzichtbare Disposition zum Nachgeben auch in konfrontativen Auseinandersetzungen ein wirksames Instru-

100 Epikt. 1,2,19–21. Siehe außerdem Suet. Vesp. 15; Tac. hist. 4,4 ff.; 4,43 f. 101 Dazu J. sEllars, Stoicism, Chesham 2006, 108 f.; zu Epiktet und dessen Nähe zu Teilen der römischen Aristokratie (insbesondere Kreisen mit einer Affinität zum Stoizismus) grundlegend auch F. Millar, Epictetus and the Imperial Court, in: JRS 55 (1965), 141–148.

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3. Bedingungen senatorischer Kommunikation

ment der Selbstdisziplinierung im Interesse der Gruppe und deren Entscheidungsfähigkeit darstellte.102 Entsprechend gewichtet der Senator, der die Anklage führt, Capito Cossutianus, den Konflikt dann auch und stellt Thrasea in eine Reihe mit dem Caesarmörder Brutus.103 Damit präzisiert er vor allem das Problem, das dem Konflikt zugrunde lag, und macht es zu einem wesentlichen Punkt der Anklage, wenn er den Senator mitsamt seinen Anhängern als grundsätzliche Gefahr für die benötigte Eintracht erklärt.104 Das vorrangige Ziel des Prozesses dürfte es daher auch gewesen sein, den Glauben an die in Frage gestellte Fähigkeit zu konsensorientiertem Verhalten innerhalb der Senatsaristokratie wiederherzustellen.105 Gleichzeitig dürfte die Bitte, die von der Anklage an Nero adressiert wurde, den Fall dem senatorischen Urteil zu überlassen, genau diese Fähigkeit thematisieren, Konsens auch innerhalb der Senatsaristokratie aus eigener Kraft herzustellen.106 Vor diesem Hintergrund wird schließlich erklärbar, dass erst die Summe der Vergehen zur Anklage führte und den Kaiser gegen den Senator aufbrachte. Thraseas Auftreten dürfte also im Einzelnen – zumindest in Bezug auf den Kaiser – wesentlich weniger Symbolcharakter zugekommen sein als es vor allem Tacitus suggeriert. Dafür spricht auch, dass sich der Konflikt über mehrere Jahre hinzog und sich zuletzt, nach zunehmender Marginalisierung des Senats durch die Politik Neros, auf anderer Ebene auf der neuen kaiserlichen Bühne im Theater fortsetzte.107 Zweitens liefern die Vorfälle um Thrasea Paetus eine ausgezeichnete Vorlage, Nero als willkürlichen und rachsüchtigen Kaiser zu charakterisieren. Je mehr etwa Tacitus dabei einen Thrasea als vorbildlichen und tugendhaften Senator nach dem Vorbild des stoischen Weisen zeichnet, desto eher schafft er einen Kontrast zu einem Kaiser, den plötzlich – scheinbar ohne erkennbaren Grund – Lust überkommt, den Senator anzuklagen. Die wahrscheinlicheren Gründe, die Nero zu diesem Schritt veranlassten, erscheinen auf diese Weise weniger zentral. Darüber hinaus bietet ein Herrscher, den man mit tyrannischen Zügen versieht, die Möglichkeit, das Verhalten Thraseas nachträglich in einen legalen Rahmen einzuordnen. Dem kaiserlichen Verhalten wird es dezidiert gegenübergestellt, obwohl das Verhalten des Senators, wie gezeigt, eigentlich grundsätzlich als problematisch wahrgenommen worden war. Der taciteischen Darstellung folgend, löst der Konflikt mit Nero 102 Letztlich, so interpretiert zumindest Ronning das Verhalten, habe er sich senatorischer Kommunikationsformen bedient, deren Wirkung im neuen Kontext der neronischen Herrschaft nicht kalkulierbar gewesen seien, weil Herkunft und spezifischer Problemhintergrund, auf den sie antworten, verloren gegangen und damit unbekannt geworden sei (vgl. ronninG, Herrscherpanegyrik, 58). 103 Zu den Bedeutungsdimensionen eines solchen Vergleichs siehe grundlegend a. J. WoodMan, Amateur Dramatics at the Court of Nero. Annals 15.48–74, in: Luce/Woodman (Hgg.), Tacitus and the Tacitean Tradition, 104–128. 104 Vgl. Tac. ann. 22,2. 105 Vgl. dazu auch Kap. 3.2.2. 106 ‚(…). denique nihil ipse de Thrasea scripseris: disceptatorem senatum nobis relinque‘ (Tac. ann. 16,22,5). 107 Vgl. dazu M. MEiEr, „Qualis artifex pereo“ – Neros letzte Reise, in: HZ 286 (2008), 561–603, 578.

3.1 Die ,Senatsopposition‘ in der frühen Kaiserzeit

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gleichzeitig nachträglich den strukturellen Konflikt auf. Retrospektiv erscheint es dann auch konsequent, in der Darstellung sowohl die kontinuierliche Zuspitzung des Konfliktes zu suggerieren und die ersten Auftritte im Senat als absehbare Entwicklung aufzuwerten als auch dem Senator diese prominente Bedeutung im Werk zuzuweisen. Drittens weist auch der Fall des Helvidius Priscus einige Jahre später ähnliche Charakteristika auf. Selbst wenn er in einer völlig anderen Situation agierte, stieß der Senator auch in diesem Fall deutlich an die Grenzen, die den Kommunikationsmechanismen innerhalb des Senats gesetzt waren. Mit seiner Beharrlichkeit und Unnachgiebigkeit rührte er an der strukturell notwendigen Konsensfähigkeit und damit auch an der generellen Entscheidungsfähigkeit des Gremiums. Der kaiserzeitliche Senat und Konsens Für die weitere Diskussion der Kommunikationsmechanismen im kaiserzeitlichen Senat ergibt sich damit Folgendes: Die senatorische Kommunikation provozierte in solchen Situationen, wie exemplarisch an diesen beiden Fällen diskutiert, Deutungsunsicherheiten, weil sie die Grenzen dessen thematisiert, was zum Repertoire üblicher Kommunikationsformen zu zählen ist. Genau das macht das polarisierende Potential dieser exempla aus, die in dieser Form, in der Regel aber nicht theoretisch reflektiert für Überlegungen zu Strukturmerkmalen argumentativ genutzt werden.108 Strukturell ist das deviante Verhalten in den Senat schwer integrierbar, weil es mit der spezifischen Konsensfähigkeit des Gremiums die Grundlage des senatorischen Exklusivitätsanspruches in Frage stellt. Erst vor der Kontrastfolie eines ,idealen‘ tyrannischen Herrschers bietet sich die Möglichkeit, es doch noch in einen normativen Rahmen einzuordnen. Insofern lässt sich daran auch aufzeigen, dass und wie die Rolle des Kaisers als integraler Bestandteil des politischen Systems mitgedacht wird. Damit wird die Frage nach dem grundsätzlichen Verständnis des kaiserzeitlichen Senats und dessen Kommunikationsstrukturen aufgeworfen. Mit der Frage nach einer sogenannten ,Senatsopposition‘ legten die Untersuchungen lange einen eher unbestimmten Oppositionsbegriff zugrunde, der es erst erlaubte, den Kommunikationsformen einzelner Senatoren in der frühen Kaiserzeit gleichzeitig eine Modernität einzuschreiben, welche beispielsweise d. tiMPE moniert. Implizit scheint in den wissenschaftlichen Diskussionen das überlieferte Verhalten aktualisiert und lässt sich auch als Auseinandersetzung mit totalitären Systemen lesen. Die Studien wirken damit oft – wenn auch nicht ausschließlich – wie ein Versuch, sich auf abstrakter Ebene – und ohne dieses als solches zu formulieren – der Richtigkeit des eigenen Verhaltens zu vergewissern.109 Obwohl schon die äußerst heterogenen Fälle 108 Vgl. dazu auch FlaiG, Ritualisierte Politik, 204. 109 D. Timpes Hinweis, über die Verwendung des Oppositionsbegriffs selbst zu reflektieren, ist wesentlich für eine grundsätzliche Diskussion des Themas. Wichtig scheint hier der Hinweis auf modernere Interpretationen, die insbesondere eine vermeintlich geistige oppositionelle Haltung zum Untersuchungsgegenstand machen. Bezeichnenderweise kann man in der althis-

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3. Bedingungen senatorischer Kommunikation

die Frage nach dem Nutzen einer solchen Kategorisierung aufwerfen sollten, wird die Frage danach, ob ein auf konsensuale Praktiken ausgerichteter Senat überhaupt den entsprechenden Raum bot oder ob in diesem Rahmen nicht einer Opposition grundsätzlich die Voraussetzungen entzogen waren, nicht thematisiert, wenn die Existenz einer Opposition im Principat a priori als gesetzt gilt.110 Letztlich zeigen sich solche Untersuchungen in erheblichem Maße von den Quellendarstellungen abhängig. Die anfängliche Einengung des Oppositionsbegriffs für seine Operationalisierbarkeit bei Verhandlungssystemen und besonders für kaiserzeitliche Strukturen verweist bei einer solchen Interpretation auf ein entscheidendes Charakteristikum senatorischer Kommunikationsmechanismen, das auch den Senat entscheidend strukturiert. Politische Opposition war auf solche Formen bezogen worden, die sich im Rahmen institutionalisierter Strukturen bewegen. Die Analyse dessen, was oft als ,senatorische Opposition‘ bezeichnet wurde, hat gezeigt, dass bei den beschriebenen senatorischen Kommunikationsformen keineswegs klar war, ob sich diese im Rahmen als verbindlich geltender Vorstellungen von der Legitimität des entsprechenden Verhaltens bewegen. Gerade das war aber der neuralgische Punkt, an den die Senatoren mit ihrem Verhalten rührten. Bei einem Verhandlungssystem, das auf die Herstellung des Konsenses im senatorischen Entscheidungsfindungprozess fokussiert ist, wirken solche Diskussionen, wie sie in den kaiserzeitlichen Quellen dokumentiert sind, dysfunktional. Denn solche Formen sind grundsätzlich letztlich weder mitgedacht noch strukturell integrierbar. Die Kritik an dem senatorischen Verhalten – zumal sie sich grundsätzlich auf ursprünglich senatorische Konflikte bezieht – dürfte von dem Wissen um solche Funktionsmechanismen bestimmt sein, wie sie sich für den republikanischen Senat nachweisen lassen und im ersten Jahrhundert n. Chr. offenbar noch die Folie für entsprechende Idealvorstellungen darstellten, die als Maßstab weiterhin angelegt wurden. torischen Forschung ab den 1940er Jahren im Allgemeinen und in der deutschsprachigen Forschung im Besonderen ein sprunghaft angestiegenes Interesse an solchen Themenkomplexen verzeichnen. Vgl. dazu etwa zahlreiche Dissertationen und weitere Arbeiten: K. BEcKEr, Studien zur Opposition gegen den römischen Prinzipat, Tübingen 1950; W. ricHtEr, Römische Zeitgeschichte und innere Emigration, in: Gymnasium 68 (1961), 286–315; R. scHMicH, Die Darstellung der sog. Stoischen Senatsopposition bei Tacitus, Heidelberg 1960; K. F. sPrinGEr, Tyrannus. Untersuchungen zur politischen Ideologie der Römer, Köln 1952, GrEnzHEusEr, Kaiser und Senat; H. FucHs, Der geistige Widerstand gegen Rom in der antiken Welt, Berlin 1938. Dazu kommen diverse internationale Arbeiten wie J. M. c. toynBEE, Dictators and Philosophers in the First Century A. D., in: G&R 13 (1944), 43–58; D. Mcalindon, Senatorial Opposition to Claudius and Nero, in: AJPh 77 (1956), 113–132. 110 Auch neuere Versuche, die dokumentierten Fälle über zugrundegelegte Konzeptualisierungen von Rache zu erklären, können diesen Aspekt nicht aufdecken: siehe dazu EicH, Aristokratie und Monarchie, hier 139 ff. Lediglich e silentio findet sich eine solche Annahme, wenn etwa Mommsen zwar in seiner Römischen Geschichte für die späte Republik historische Parallelen mit einer Form von Opposition zieht, dieser jedoch im Staatsrecht keinen Raum zuweist. In diesem Sinn auch o’BriEn MoorE, Senatus; BlEicKEn, Verfassung. Zu dieser Frage, auch wenn sie im Rahmen seiner Arbeit letztlich keinen Raum findet, vgl. BarGHoP, Forum der Angst, 113–120. Zudem folgt man damit allzu leicht einer auch den Quellen häufig eigenen normativen Vorstellung vom ,Verfall‘ oder ,Niedergang‘ einer politischen Kultur.

3.2 Neue Aufgabenbereiche des Senats

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Damit lässt sich beobachten, dass eine institutionalisierte Opposition in einem konsensorientierten Gremium wie dem kaiserzeitlichen Senat letztlich nicht nachweisbar sein kann, weil sie strukturell nicht integrierbar war und sie nach der Definition von ,Opposition‘ nicht existiert haben kann. Entscheidend ist dabei vor allem, dass sie sich nicht in den Horizont aristokratischer Kommunikationsformen integrieren ließ. Genau deshalb werden die Kommunikationsformen von Senatoren wie Thrasea Paetus oder Helvidius Priscus von den Quellen auch als deviant markiert, weil sie offensichtlich neuralgische Punkte innerhalb senatorischer Kommunikationsstrukturen des frühen Principats zur Sprache bringen. 3.2 NEUE AUFGABENBEREICHE DES SENATS Es ist gezeigt worden, dass eine senatorische Opposition in Entscheidungsfindungsprozesse, die Verhandlungssystemen zugeordnet werden, strukturell nicht integrierbar war, was sich – mit anderem Vokabular und unter anderen narrativen Strukturen systematisiert – auch in den kaiserzeitlichen Quellen reflektiert findet. Diese ordnen senatorische Kommunikationsformen, die sich nicht mehr primär an der Konsensfähigkeit des Senats als Gremium orientieren bzw. andere Schwerpunkte setzen, entsprechend als destruktiv ein – auch wenn solche zeitgenössischen Analysen immer mit dem übergeordneten Narrativ Kaiser-Senat konkurrieren. Auffällig ist an dem Befund, dass sich die bisher beschriebenen Probleme in erster Linie in Situationen ergaben, die in irgendeiner Form im Zusammenhang mit Majestätsprozessen standen. Da es sich bei der Gerichtstätigkeit um einen neuen Aufgabenbereich des Senats handelt, dem ähnlich wie der ebenfalls neuen Zuständigkeit für die Magistratswahlen in den kaiserzeitlichen Quellen auffällig viel Raum gewidmet wird, gilt es im Folgenden der Frage nachzugehen sein, inwieweit sich diese neuen Aufgabenbereiche auf das Funktionieren des Senats und die senatorischen Entscheidungsfindungsmechanismen auswirkten. 3.2.1 Senatorische Gerichtsbarkeit In den zeitgenössischen Quellen nehmen die Majestätsprozesse eine prominente Rolle ein, wie sich exemplarisch anhand der Feststellung Senecas zeigen lässt: sub Tib. Caesare fuit accusandi frequens et paene publica rabies, quae omni civili bello gra­ vius togatam civitatem confecit; excipiebatur ebriorum sermo, simplicitas iocantium; nihil erat tutum; omnis saeviendi placebat occasio, nec iam reorum exspectabantur eventus, cum esset unus. „Unter Kaiser Tiberius gab es eine häufige und nahezu allgemeine Sucht, Menschen vor Gericht zu bringen, die schlimmer als jeder Bürgerkrieg in tiefem Frieden das Gemeinwesen gefährdete. Man belauschte der Betrunkenen Gerede, die Einfalt der Scherzenden; nichts war sicher; jede Gelegenheit zum Wüten gefiel und nicht mehr wartete man auf die Folgen für die Angeklagten, weil es nur eine einzige gab.“111 111 Sen. benef. 3,26 [übers. nach M. rosEnBacH].

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3. Bedingungen senatorischer Kommunikation

Die Prozesse in dieser Schärfe zu verurteilen, wie es Seneca macht, spiegelt den weitgehenden Konsens in den antiken Quellen wider. Als strukturelles Spezifikum der frühen Kaiserzeit haben diese Prozesse bereits in den antiken Darstellungen besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen, wobei dem Phänomen grundsätzlich ab tiberischer Zeit eine neue Qualität zugeschrieben wird.112 Die Majestätsprozesse liefern den Autoren einen wesentlichen Beitrag, die frühe Kaiserzeit vor allem zwischen Tiberius und Domitian zu charakterisieren und ein entsprechendes moralisches Urteil über die verschiedenen Herrscher zu fällen. Wenn Seneca sie mit der Grausamkeit und zerstörerischen Kraft von Bürgerkriegen vergleicht, erklärt er unmissverständlich, welchen Stellenwert die Majestätsprozesse für ihn einnehmen. Aus philologischer Perspektive ist – dem Schwerpunkt in den Quellen entsprechend – gerade den Majestätsprozessen viel Aufmerksamkeit gewidmet geworden. In zahlreichen Detailstudien sind die intertextuellen Bezüge als literarische Technik nachvollziehbar gemacht worden. Diese haben zum Verständnis beigetragen, wie das Exemplarische der Prozesse immer wieder durch Rekurse auf republikanische Vorbilder in aristokratischen Diskussionszusammenhängen verortet wurde, wie also über die Majestätsprozesse gesprochen wurde. Das gilt sowohl für Vorbilder für individuelles Verhalten113 als auch für die Motive, die genutzt werden, um dem Leser die Atmosphäre vorzuführen.114 Die zahlreichen Todesschilderungen, die sich insbesondere in der Historiographie ausgearbeitet finden, sind außerdem in Einzelstudien als literarisches Phänomen untersucht worden. Selbst wenn diese in erster Linie literaturwissenschaftlich orientiert sind, werden dabei auch die Zusammenhänge zwischen literarischer und historischer Ebene betont.115 Nicht zuletzt durch solche Studien ist die althistorische Forschung in den letzten Jahren zu einer Neubewertung von Funktionalität und Dysfunktionalität der Prozesse gekommen, die auch über die literarische Ebene hinaus Erklärungen für die Frage anbietet, warum die Schilderungen der kaiserzeitlichen Prozesse phasenweise das dominierende Erzählmuster darstellen. Während sich die immer noch grundlegende Studie von r. BauMan116 vorwiegend auf die Rekonstruktion rechtlicher Aspekte konzentriert, versuchen neuere Studien, die Majestätsprozesse in ihrer soziopolitischen Dimension umfassender in ihrem spezifischen historischen 112 Vgl. z. B. auch Tac. ann. 6,7,4; Cass. Dio 58,23,4; Calp. Sic. ecl. 1,58–73. 113 Vgl. c. EdWards, Modelling Roman Suicide? The Afterlife of Cato, in: Economy and Society 34 (2005), 200–222; r. J. Goar, The Legend of Cato Uticensis from the First Century BC to the Fifth Century AD, Brüssel 1987; J. GEiGEr, Munatius Rufus; M. t. GriFFin, Philosophy, Cato and Roman Suicide, in: G&R 33 (1986), 64–77 u. 192–202. 114 Insbesondere gilt das für die Anbindung an Reflexionen über den Sinn von Leben und Tod oder die Notwendigkeit politischer Aktivitäten, die vom Stoizismus inspiriert sind: vgl. z. B. c. EdWards, The Politics of Immorality in Ancient Rome, Cambridge 1993; diEs., The Suffering Body. Philosophy and Pain in Seneca’s Letters, in: J. Porter (Hg.), Constructions of the Classical Body, Ann Arbor 1999, 252–268; a. d. lEEMan, Das Todeserlebnis im Denken Senecas, in: Gymnasium 78 (1971), 322–333; a. a. lonG, Epictetus. A Stoic and Socratic Guide to Life, Oxford 2002; d. Earl, The Moral and Political Tradition of Rome, London 1967; s. BoBziEn, Determinism and Freedom in Stoic Philosophy, Oxford 1998. 115 Grundlegend Marx, Tacitus; zuletzt EdWards, Death. 116 BauMan, Impietas in principem.

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Kontext zu verorten. Auch wenn, wie s. rutlEdGE betont, den Prozessen und dem damit zusammenhängenden Delatorenwesen durchaus auch funktionale Aspekte zugekommen seien, herrscht weitgehend Einigkeit in der Bewertung darüber, dass die senatorische Gerichtstätigkeit grundsätzlich dysfunktional gewesen sei. Nach den konkreten Auswirkungen auf den Senat als Gremium wird dabei allerdings weniger gefragt, was auch damit zusammenhängen dürfte, dass die Quellenlage bzw. die Form der Überlieferung den Zugriff erschwert.117 In der Praxis sind die Fälle und die Grundlage für die Anklage oft nur schwer voneinander zu trennen. Probleme ergeben sich vor allem daraus, dass die Kategorien nicht scharf definiert waren, dass die Prozesse oft Anklagen in mehreren Angelegenheiten umfassten,118 aber auch daraus, dass die Darstellung in den Quellen die Analyse erheblich erschwert, weil die Autoren ihre Leser oft über die Gründe für die einzelnen Prozesse im Unklaren lassen. Damit spiegeln sie bis zu einem gewissen Grad die Komplexität der Prozesse wider. Die Art, die Prozesse – und das betrifft vor allem die Majestätsprozesse – darzustellen, wird aber durchaus auch gezielt als narrative Strategie eingesetzt, um die Spannungen innerhalb der Aristokratie auszublenden und statt dessen das Bild von den einzelnen Kaisern zu schärfen. Die Ergebnisse lassen sich grundsätzlich auch auf den Umgang anderer kaiserzeitlicher Autoren mit den Majestätsprozessen übertragen.119 Genaue Zahlen, wie sie Seneca in der Apokolokyntosis für die Opfer der Majestätsprozesse mit 35 Senatoren und 221 Rittern in claudischer Zeit120 benennt, auf der Grundlage der Überlieferung zu ermitteln, ist allein schon wegen der Strategien, die Prozesse literarisch auszugestalten, kaum möglich. Dazu kommt, dass selbst solche Zahlen, wie Seneca sie nennt, mit Vorsicht zu behandeln sind, da für den Leser nur schwer oder gar nicht rekonstruierbar ist, wie sie ermittelt wurden.121 Versuche, die Fälle zu systematisie-

117 Siehe dazu FlaiG, Kaiser, 114 f.; dErs., Loyalität, 291, der auf diese Defizite aufmerksam gemacht hat. Außerdem, wenngleich konzeptionelle Überlegungen bzgl. der kaiserzeitlichen Strukturen und institutionelle Aspekte dabei in den Hintergrund treten: s. H. rutlEdGE, Imperial Inquisitions. Prosecutors and Informants from Tiberius to Domitian, London/New York 2001; y. riVièrE, Les délateurs sous l’empire Romain, Rom 2002. Grundsätzlich auch schon P. d. a. GarnsEy, Social Status and Legal Privilege in the Roman Empire, Oxford 1970. Die Veränderungen bei Wahlen und Repetundenprozessen in augusteischer Zeit konstatiert auch KiEnast, Augustus, 135 f.; 140 ff. 118 „There is much confusion about the nature of the crimen maiestatis in the Principate, and the original cause is to be found in the primary sources, which seem quite unable to achieve a stable position either terminologically or conceptually.“ (BauMan, Impietas, 2). Vgl. a. yaKoBson, Maiestas, the Imperial Ideology and the Imperial Family. The Evidence of the „Senatus con­ sultum de Cn. Pisone Patre“, in: Eutopia 3 (2003), 75–107, 76; 92. 119 Vgl. MEiEr, Cremutius Cordus; r. s. roGErs, A Tacitean Pattern in Narrating Treason-Trials, in: TAPhA 83 (1952), 279–311. Zur Auseinandersetzung mit den Majestätsprozessen als inneraristokratisches Problem ronninG, Thrasea Paetus (die Erzählstrategien spielen hier allerdings eine untergeordnete eine Rolle). 120 Sen. apocol. 14,1. 121 Beispielsweise wird die augusteische Zeit bei Tacitus nur kurz behandelt, die Bücher zum Principat Caligulas sind nicht und zu Claudius und Nero nur zum Teil überliefert; Cassius Dio ist teilweise nur im Exzerpt überliefert; Suetons Darstellung folgt anderen Darstellungslogiken;

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3. Bedingungen senatorischer Kommunikation

ren, sind daher nicht unproblematisch, bieten aber dennoch eine Möglichkeit jenseits der Narrative der kaiserzeitlichen Quellen das Material zusammenzufassen.122 Die Gerichtstätigkeit des Senats umfasste unterschiedliche Bereiche: Fälle de repetundis, de maiestate und de adulteriis. r. talBErt sieht die Gerichtstätigkeit als „the most important and most time-consuming new function which it gained under the Principate“.123 Die Einschätzung ist, nicht nur vor dem Hintergrund der antiken Urteile, durchaus gerechtfertigt. Folgt man E. FlaiG, trug die Tätigkeit des Senats in solchen Angelegenheiten erheblich dazu bei, Unsicherheit über etablierte senatorische Kommunikationsmechanismen zu forcieren, weil sie mit diesen Kommunikationsmechanismen und deren Funktionalität nicht zu vereinbaren gewesen seien. Die Frage ist aber, wie dem in den Quellen Ausdruck verliehen wird, was Flaig primär aus theoretischen Überlegungen heraus entwickelt. Die Frage, die auch Talbert im Rahmen seiner Untersuchung nicht stellt, ist, warum der Gerichtstätigkeit in den Quellen so viel Aufmerksamkeit gewidmet wird, was genau in solchen Darstellungen eigentlich verhandelt wird und welche Konsequenzen die Gerichtstätigkeit für den Senat als Gremium hatte. Das Verfahren Das senatorische Prozessverfahren lässt sich folgendermaßen skizzieren:124 Seit augusteischer Zeit wurde die Jurisdiktion über senatorische Verfehlungen (de re­ petundis, de maiestate und wohl auch de adulteriis)125 sukzessive dem Senat übertragen. Zuvor fiel diese in der Regel in den Aufgabenbereich der Quaestionengerichte. Der Senat übernahm damit nicht nur jene Aufsichtsfunktion, die den quaestiones in republikanischer Zeit zukam; auch für den Verfahrensablauf stellten wahrscheinlich die Quaestionen die Formen bereit, an denen man sich orientierte. Idealtypisch bestand der erste Schritt darin, dass sich der delator mit seinen Vor-

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für die Zeit ab den Flaviern wird die Überlieferungslage ohnehin dünner. Vgl. zu solchen Problemen auch KoEstErMann, 97. Für Fälle de adulteriis vgl. z. B. BaltruscH, Regimen morum, 167; rutlEdGE, Imperial Inquisitions, 17. Für Fälle de repetundis und allgemein zur Gerichtstätigkeit vgl. talBErt, Senate, 460–487; P. a. Brunt, Charges of Provincial Maladministration under the Early Principate, in: Historia 10 (1961), 189–227, 224–227 (zur Diskussion der Probleme, die sich für die Ermittlung solcher Daten ergeben: 221). Für Majestätsprozesse lEVicK, Tiberius, 180–200. Auf der Grundlage des senatus consultum Pisone patre hinterfragt M. Griffin grundsätzlich, ob der Senat dabei überhaupt das letztgültige Urteil fällte (vgl. M. T. GriFFin, The Senate’s Story, in: JRS 87 (1997), 249–263, 254 f.). talBErt, Senate, 462. Zum Folgenden vgl. v. a. talBErt, Senate, 480–488, mit den entsprechenden Quellenbelegen; rutlEdGE, Imperial Inquisitions, 16–18. Das betrifft zumindest Fälle von einiger Brisanz, also die gegen hochrangige Aristokraten. Da solche – wie auch in den anderen Angelegenheiten – aber zum Teil auch vor dem Kaiser verhandelt wurden, ist nicht ganz klar, inwieweit die Anklagen de adulteriis, die vor dem Senat verhandelt wurden, auf – was unwahrscheinlich ist – eine klare Regelung der Aufgabenbereiche zurückgeht oder eher situativ entschieden wurde bzw. eine solche Zuweisung an den Senat auf die Kombination mit anderen Anklagen zurückzuführen ist (vgl. talBErt, Senate, 466).

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würfen entweder an den zuständigen Magistrat oder aber an den Kaiser wandte. Dieser entschied dann zunächst generell darüber, ob die Beschuldigungen für einen Prozess ausreichten und der Fall an den Senat übergeben werden sollte. Außerdem kam dem Kaiser die Entscheidung darüber zu, wer – für den Fall, dass die Vorwürfe von mehreren Personen vorgebracht wurden – die Rolle des Hauptanklägers übernehmen sollte, wie die anderen Ankläger ihre Anliegen vorzubringen hatten und zum Teil auch schon über die Belohnung für die Akteure, die an der Anklage beteiligt waren.126 In der Untersuchung (inquisitio) wurde das Beweismaterial zusammengetragen und die Beweislage aufgenommen, eventuelle Zeugen befragt und bei mehreren Anklagepunkten die Vorgehensweise vor dem Senat ermittelt. Bei der Verhandlung wurde den Anklägern die Eröffnung des Verfahrens eingeräumt; die Verteidigung reagierte in ihren Reden auf die vorgebrachten Anschuldigungen. Nachdem beide Seiten ihre Sichtweisen dargelegt hatten, wurden die Beweise vorgestellt (probatio) und die Zeugen befragt oder deren schriftliche Zeugnisse verlesen. Der Prozess konnte sich, abhängig davon, wie kompliziert die zu verhandelnde Angelegenheit war, Tage – zum Teil auch Wochen – hinziehen, bevor der Senat schließlich über den Fall entschied. Im Fall eines Schuldspruchs beinhaltete die Entscheidung sowohl das Strafmaß als auch die Festlegung konkreter Belohnungen für die Ankläger. Darüber hinaus war die Entscheidung unwiderruflich. Im Gegensatz zum eigentlichen Verfahrensablauf scheinen an diesem Punkt immer wieder Diskussionen aufgeflammt zu sein, die die Endgültigkeit des senatorischen Urteils in Frage stellten – das jedenfalls legen die überlieferten Stellungnahmen der Kaiser zu dem Thema nahe. Eine Änderung wurde anscheinend aber trotzdem nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Im Gegenteil wurde von kaiserlicher Seite immer wieder ausdrücklich die Unwiderruflichkeit des Urteils bestätigt. Im Zusammenhang mit der Regelung, die im Jahr 21 n. Chr. eingeführt wurde, wonach zwischen Urteil und Vollstreckung eine 10-Tages-Frist zu liegen habe, erwähnt Tacitus ausdrücklich, dass damit keine Möglichkeit zur Korrektur von Seiten des Senats verbunden gewesen sei. Plinius berichtet auch von Fällen, in denen die Zuordnung und die Frage, ob die Angelegenheit überhaupt als Verbrechen zu behandeln war, unklar waren.127 Schon solche Diskussionen legen nahe, dass die Rekonstruktion der Verfahrensabläufe eine Verbindlichkeit suggeriert, die weder die rechtliche Lage noch das Senatsverfahren in der Praxis der frühen Kaiserzeit schaffen konnte. Die idealtypische Rekonstruktion kann damit zunächst nur als erste Orientierung dienen. 126 Dabei musste nicht zwangsläufig der Denunziant die Hauptanklage und damit das ius pero­ randi übernehmen (vgl. rutlEdGE, Imperial Inquisitions, 17). 127 Tac. ann. 3,51,2: igitur factum senatus consultum, ne decreta patrum ante diem decimum ad aerarium deferrentur idque vitae spatium damnatis prorogaretur. sed non senatui libertas ad paenitendum erat, neque Tiberius interiectu temporis mitigabatur. Zu weiteren Überlegungen bzgl. der Funktion des Rechts im Kontext der Majestätsprozesse siehe auch s. BlocHMann, „Mit entblößter Brust in gezückte Schwerter“. Majestätsprozesse und aristokratische Moral in der frühen Kaiserzeit, in: E. Hartmann (Hg.), Moral als Kapital im antiken Athen und Rom [in Vorbereitung zum Druck].

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Darüber hinaus bleiben bei einer solchen Perspektive auf das Verfahren die dominierenden Darstellungsmuster in den Quellen, die zusätzliche Informationen liefern können, ausgeblendet. Mit Blick auf das Verfahren ergeben sich gegenüber der idealtypischen Schilderung der Abläufe Diskrepanzen, wenn man die Entwicklung der senatorischen Gerichtsbarkeit nachvollzieht: Auffällig ist, dass sich nicht deutlich erkennen lässt, wann und wie die Änderungen genau eingeführt wurden. Jedenfalls wird den Änderungen in augusteischer und tiberischer Zeit bei Tacitus, Cassius Dio und Sueton kaum Beachtung geschenkt. Auffällig ist das insofern, weil diese Autoren aus der Retrospektive ihre Erzählungen von der Erkenntnis leiten lassen, welche Auswirkungen die Veränderungen hatten. Treffend ist daher die Feststellung B. lEVicKs: „It was part of that policy that there had come about a change of the highest importance in the administration of that law and others, though Tacitus, Suetonius, and Dio do not notice it: the transfer of jurisdiction to a senatorial court, perhaps in 19 or 18 BC, the years of Augustus’ final constitutional settlement, as a result of the trials of Primus and Murena.“128 B. Levick benennt den maiestas-Prozess, der in der zweiten Hälfte der 20er Jahre v. Chr. gegen M. Primus geführt wurde, als richtungweisend für die Entwicklung der kaiserzeitlichen Gerichtsbarkeit. Verhandelt wurde der Fall allerdings noch vor dem Quaestionengericht.129 Eine ähnliche Entwicklung nahmen auch die Repetundengerichtsbarkeit und die Verhandlung von Ehebruchsvorwürfen (de adulteriis). Auch diese Prozesse, besonders die Fälle mit besonderer Brisanz, wurden sukzessive in den Senat verlegt, ohne dass die Quellen besonders auf veränderte Formen aufmerksam machen. Auch ein klarer Anfangspunkt, beispielsweise in Form eines Gesetzes, womit die Aufgabenbereiche zugeordnet und die Formen geregelt werden, lässt sich damit nicht benennen.130 Für die Repetundengerichtsbarkeit liefert immerhin das SC Calvisianum aus dem Jahr 4 v. Chr. nähere Informationen. Darin wurde das Verfahren neu geregelt, um Anliegen von Provinzialen schneller bearbeiten zu können. Welche Rolle der Senat dabei genau spielte – ob das Gremium damit die Aufgaben der quaestio de repetundis übernahm –, ist allerdings unklar.131 Ein Grund dafür, dass die Quellen die Veränderungen in der Gerichtstätigkeit nicht gesondert hervorheben, dürfte sein – darauf weist talBErt zu Recht hin –, dass für Senatssitzungen die Unterscheidung der verschiedenen Aufgabenbereiche in der Praxis weder systematisch nachvollzogen wurde noch wichtig war.132 Eine 128 B. lEVicK, Tiberius, 184. Vgl. zu den Prozessen Suet. Tib. 8; Cass. Dio 54,3. „(…) [T]he elaboration of the SC suggests that it was not already regular and acceptable for the senate to deal with capital jurisdiction affecting senators in extortion cases (…).“ (lEVicK, Poena Legis Mai­ estatis, 374 / Anm. 88 auch für mögliche Vorläufer). 129 Vgl. Cass. Dio 54,3,2 f.; dazu B. lEVicK, Poena Legis Maiestatis, in: Historia 28 (1979), 358– 379, 373. 130 Vgl. zur Entwicklung der Repetundengerichtsbarkeit Brunt, Provincial Maladministration, 190 ff. Allgemein zur Gerichtbarkeit siehe talBErt, Senate, 462 f.; „It was for needs and cases beyond the normal routine that Augustus turned to the senate. (talBErt, Senate, 463 [Hervorhebung S. B.]). 131 Vgl. SEG IX,8=EJ² 311. Dazu talBErt, Senate, 464 f. 132 Vgl. talBErt, Senate, 463.

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weitere Erklärung für die scheinbare Ignoranz seitens der kaiserzeitlichen Autoren könnte sein, dass diese Autoren für ihre Darstellungen auf wesentlich ältere Zeugnisse zurückgriffen, in welchen möglicherweise die Neuerungen in ihren Konsequenzen zunächst weniger brisant dargestellt worden waren, als es aus der retrospektiven Betrachtung angemessen schien. Darüber hinaus dürfte die Darstellung, wie sie sich in den Quellen greifen lässt, dadurch begünstigt worden sein, dass keiner der antiken Autoren ein Interesse an einer systematischen Analyse institutioneller Entwicklungen zeigte. Sowohl bei den Repetunden- als auch bei den Majestätsprozessen lässt sich kein klarer Einschnitt in der senatorischen Praxis erkennen; statt dessen findet man eher eine kontinuierliche Entwicklung, deren Anfänge in Bezug auf die Majestätsprozesse in den umfangreichen augusteischen Regelungen der Jahre zwischen 23 und 9 v. Chr. liegen, obwohl die Entwicklung in ihren Einzelheiten nur noch in Ansätzen erkennbar ist. Weitgehend abgeschlossen war diese Entwicklung, dass Fälle in Angelegenheiten de repetundis und de maiestate vor dem Senat verhandelt wurden, insgesamt aber spätestens in den 20er Jahren des ersten nachchristlichen Jahrhunderts.133 133 Die von Tacitus überlieferte Anfrage eines Praetors an Tiberius, ob Anklagen de maiestate zugelassen werden sollten (Tac. ann. 1,72,4: mox Tiberius consultante Pompeio Macro praetore, an iudicia maiestatis redderentur, exercendas leges esse respondit), interpretiert P. Garnsey als Hinweis darauf, dass solche Verhandlungen in einer quaestio und nicht im Senat geführt wurden, obwohl er darauf hinweist, dass in der Folgezeit die Mehrzahl der Fälle vor dem Senat verhandelt wurden (vgl. GarnsEy, Social Status, 19). Die Anfrage des Praetors und die Antwort des Tiberius als einen solchen Hinweis zu sehen, erscheint m. E. nicht zwingend. Vielmehr liefert die Stelle wenig konkrete Hinweise auf den Ort, an dem der aktuelle Fall, der zu dieser Anfrage veranlasste, verhandelt werden sollte. Noch viel weniger lässt die Stelle allgemeinere Schlüsse in dieser Frage zu. Für eine sukzessive Entwicklung der senatorischen Gerichtsbarkeit, die spätestens in den 20er Jahren mit der Verlegung in den Senat endete, vgl. talBErt, Senate, 460 f. (zur Übertragung auf den Senat in tiberischer Zeit, für Repetundenprozesse evtl. auch schon früher, talBErt, Senate, 465), obwohl er die Anfänge senatorischer Gerichtsbarkeit trotz solcher Vorläufer eher mit Prozessen gegen Cassius Severus (8 oder 12 n. Chr.) und Volesus Messalla (13 n. Chr.) später datiert – zumal diese in dieser Hinsicht eine neue Qualität besessen hätten (vgl. Tac. ann. 1,72; 4,21; Suet. Cal. 16; Cass. Dio 56,27,1). Auch R. Bauman datiert den Beginn eines – nicht überlieferten – Gesetzes, auf dessen Basis die Prozesse geführt worden seien, in die letzten Jahre der Herrschaft des Augustus (er hält das Jahr 8 n. Chr. für den plausibelsten Zeitpunkt) und setzt das Ende der Majestätsprozesse unter dem Principat Domitians (nach Plin. epist. 7,33,4; nach A. sHErWin-WHitE, The Letters of Pliny. A Historical and Social Commentary, Oxford 1968, 444) in den späten Jahren der Regierungszeit Domitians an (vgl. BauMan, Impietas in principem, 32 ff.). Vorsicht ist in dieser Hinsicht allein schon wegen der deutlich dünneren Quellenlage und entsprechend schlechteren Dokumentation solcher Fälle gegenüber der iulisch-claudischen Zeit geboten. In diesem Sinn lassen sich auch die Vorbehalte, die P. Brunt gegenüber solchen Folgerungen für eine angebliche Abnahme der Repetundenprozesse unter Domitian formuliert, verallgemeinern. Vgl. Brunt, Provincial Maladministration, 221: „It is no doubt an accident of our evidence that we know of only one trial under Domitian. Yet in fact they may have been few. Suetonius adds to his eulogy of Domitian that the remark that since his time many governors had been charged with all manners of offences. This suggests that he did deduce the excellence of Domitian’s administration from the paucity of recorded prosecutions.“ Zur Neuregelung der Repetundenprozesse vgl. auch das SC Calvisianum (4 v. Chr.): sHErK, Documents, Nr. 134, p. 174 ff. (dazu auch KiEnast, Augustus, 141 f.).

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Die grundsätzlichen Verurteilungen in den Quellen sind überraschend, wenn man berücksichtigt, dass über die ursprüngliche Intention, die hinter der Übertragung der Gerichtsbarkeit über die Standesgenossen stand, insgesamt kaum etwas bekannt ist. Das wiederum lässt zumindest vermuten, dass es anfangs tatsächlich keine größeren Diskussionen gab.134 Cassius Dio legt – in der Rede des Maecenas – nahe, dass es bei der Entscheidung in augusteischer Zeit vorrangig darum gegangen sei, den Zusammenhalt innerhalb der Senatsaristokratie gegenüber den equites zu stärken: ἄτοπον γὰρ τὸν μηδέπω δεδημαρχηκότα ἢ ἠγορανομηκότα ψῆφον κατά τινος τῶν τοιούτων φέρειν, ἢ νὴ Δία τούτων τινὰ κατὰ τῶν ἐστρατηγηκότων, ἢ καὶ ἐκείνων κατὰ τῶν ὑπατευκότων. ἀλλ’ οὗτοι μὲν ἐπὶ πάντας τὴν τοῦ τι ἀποφήνασθαι ἐξουσίαν ἐχέτωσαν, οἱ δ’ ἄλλοι ἐπί τε τοὺς ὁμοίους καὶ ἐπὶ τοὺς ὑποδεεστέρους. „Denn es wäre doch sinnwidrig, daß derjenige, der noch nicht Volkstribun oder Aedil gewesen ist, ein Urteil fällen sollte über Männer, die diese Ämter bereits versehen haben, oder, bei Gott, daß irgend jemand von den letztgenannten Männern gegen gewesene Praetoren und einer von diesen wieder gegen ehemalige Konsuln stimmen würde. Laß vielmehr den früheren Konsuln allein die Macht zu Entscheidungen über sämtliche Senatoren, während die restlichen Ratsmitglieder das gegenüber ranggleichen Senatoren und solchen auf niedrigerer Stufe tun dürfen!“135

Dabei dürfte es sich aber eher um eine Idealvorstellung bzw. eine Möglichkeit der Deutung handeln, die möglicherweise auch von kaiserlicher Seite entsprechend kommuniziert wurde.136 Dass es Deutungsspielräume gab, wird erkennbar, wenn man berücksichtigt, dass die Bewertung der Prozesse in vielen Quellen in der Zeit nach Augustus anders ausfällt. Sobald man die Umsetzung der Regelungen in die Praxis und außerdem spätere Entwicklungen einbezieht, die für die Darstellungen der antiken Autoren sicher eine Rolle gespielt haben dürften, erscheinen auch diese nicht unplausibel. In dem Fall machen sie ihre Deutung allerdings relativ unmittelbar von den Auswirkungen – und nicht, wie im ersten Fall, von der angeblichen Intention – abhängig. Plausibel erscheint eine solche Deutung aber auch vor dem Hintergrund, dass mit den Neuerungen Konfliktlinien innerhalb des Gremiums strukturell in der augusteischen Zeit zumindest angelegt waren. Zum einen lassen sich gerade für diesen Zeitraum zahlreiche homines novi und ein beschleunigter demographischer Wandel innerhalb der Senatsaristokratie nachweisen. Zum anderen gab es bereits in republikanischer Zeit Versuche, die Gerichtsbarkeit neu zu regeln, was durchaus auf Kritik gestoßen war. Daher ist es wahrscheinlich, dass sich die Reichweite der Neuregelung in augusteischer Zeit nicht auf die Aufwertung des senatorischen Status’ beschränkte, sondern – ob nun intendiert oder nicht – potentiell angelegte Konfliktlinien verstärkte. Jahrzehnte später bezeichnet Plinius im Zusammenhang mit einem Repetundenprozess die „Gefährdung eines Senators“ (pericu­ lum senatoris) als die schlimmste Konsequenz solcher Prozesse. Es geht ihm dabei weniger um den Inhalt der Anklage als um die Tatsache, dass das Ansehen eines Se134 Vgl. lEVicK, Poena Legis Maiestatis, 374. 135 Cass. Dio 52,32,3 [übers. v. O. Veh]. Dementsprechend werden die Veränderungen in der Regel auch als positive Entwicklung gewertet (so talBErt, Senate, 464). 136 Vgl. dazu auch die Diskussionen um die Ehegesetze (Kap. 4.2.1 / S. 190–193).

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nators durch einen anderen Senator geschädigt wird.137 Die Bemühungen, die Cassius Dio Augustus zugesteht, erscheinen damit durchaus plausibel.138 Allerdings bleiben die augusteischen Maßnahmen immer auch ambivalent. Diese Ambivalenz dürfte darin angelegt sein, dass die unterschiedlichen Ansprüche und Bedürfnisse von vornherein kaum miteinander zu vereinbaren waren. Darüber hinaus ist für die Bewertung der Neuregelungen zu beachten, dass diese wohl schrittweise erfolgten und eine situationsgebundene Entwicklung darstellten. Entsprechend sind sie daher immer sowohl vor dem jeweiligen Entstehungskontext als auch im Hinblick auf langfristige Entwicklungen zu beurteilen.139 Eine neue Qualität gewannen die Prozesse in tiberischer Zeit, als die Übertragung der Gerichtsbarkeit von den Quaestionengerichten auf den Senat weitgehend abgeschlossen war. Die Dimensionen, die die Prozesse annahmen, veranlassten die antiken Autoren, die Konsequenzen in dramatischen Worten zu schildern. Auffällig ist dabei, dass die Anzahl der Prozesse ab tiberischer Zeit deutlich zunahm.140 Dafür werden verschiedene Erklärungsmöglichkeiten in Betracht gezogen: Zum einen liegt allgemein ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der individuellen Ausgestaltung des Principats durch die einzelnen Kaiser und der Anzahl der Majestätsprozesse nahe. Zum anderen lässt sich spezifischer ein Zusammenhang mit unterschiedlichen politischen Krisen, wie sie beispielsweise durch die ungeklärte Frage der Nachfolge provoziert werden konnten, vermuten.141 Es bleibt aber zu klären, ob sich der Befund nicht auch aus strukturellen und institutionellen Veränderungen erklären lässt. Die Schwerpunkte, denen es im Folgenden nachzugehen gilt, liegen daher erst einmal in der Darstellung der fatalen, existenzbedrohenden Szenarien, die nicht wenige Angeklagte veranlassten, Selbstmord zu begehen. Generelle Schuldzuweisungen gegenüber den Anklägern (delatores), für die aufgeheizte Stimmung verantwortlich zu sein, ziehen sich leitmotivisch durch die kaiserzeitlichen Quellen.142 Bevor der Bezug zu den Auswirkungen auf die Kommunikationsmechanismen im Senat hergestellt werden kann, sollen daher zunächst 137 Plin. epist. 3,4,7: ducebar etiam quod decesserat Classicus, amotumque erat quod in eiusmodi causis solet esse tristissimum, periculum senatoris (…). 138 Vgl. rutlEdGE, Imperial Inquisitions, 47 f. 139 Vgl. dazu Kap. 4.2.1. 140 So z. B. Sen. benef. 3,26. Für die Ermittlung solcher Zahlen siehe BlocHMann, Majestätsprozesse. 141 Zu der Beobachtung, dass ein auffälliger Zusammenhang mit ungeklärten Nachfolgefragen bestehe, vgl. FlaiG, Loyalität, 290. 142 Was hier, im Anschluss an die althistorische Forschung, unter delatores zusammengefasst wird, präsentiert sich in den kaiserzeitlichen Quellen komplexer: Der Begriff wird darin zunächst nicht auf einer rechtlichen Grundlage, sondern pejorativ verwendet. Subsumieren lassen sich unter einer solchen Kategorisierung auch Bezeichnungen wie accusator und gelegentlich auch index, die in der Regel nicht klar voneinander abgegrenzt werden. Da jedoch auch die antiken Quellen in der Regel kaum scharf zwischen den Begrifflichkeiten differenzieren, wird in der modernen Forschung üblicherweise die Bezeichnung delator übernommen. Zur Problematik der Bezeichnung grundlegend t. MoMMsEn, Römisches Strafrecht, Leipzig 1899, 493 / Anm. 2; rutlEdGE, Imperial Inquisitions, 9 f.; riVièrE, Les délateurs, 45 u. 216 f., worin auf die klaren rechtlichen Konturen der unterschiedlichen Termini hingewiesen wird, die in den literarischen Quellen verwischt werden oder sich zumindest im Verlauf der Kaiserzeit ausgeprägt haben).

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die konkreten Darstellungen und deren Logiken nachvollzogen werden, um sie für eine Analyse des Gremiums nutzen zu können. Damit lassen sich auch die unterschiedlichen Ebenen zwischen den Formen der Darstellung und dem senatorischen Verfahren deutlicher sichtbar machen. Das Problem bestand darin, dass mit der Übertragung der Majestäts- und Repetundenprozesse an den Senat trotz der Orientierung an den Quaestionengerichten keinesfalls selbstverständlich die entsprechenden Rahmenbedingungen existierten, die eine problemlose Integration in die institutionellen Strukturen ermöglicht hätten. Die spezifische Art der Auseinandersetzung, die sich in den kaiserzeitlichen Quellen widerspiegelt, weist darauf hin, wie groß die Verunsicherung innerhalb der Senatsaristokratie war, wenn es darum ging, klare Kriterien und Kommunikationsmechanismen dafür zu bestimmen, wann und wie der Senat zuständig war, um einen geordneten Ablauf des Verfahrens dauerhaft und zuverlässig zu gewährleisten. Die Destruktivität von Prozessen: Die Gesetzgebung des crimen maiestatis und Kontroversen über den Selbstmord In ihrer Studie Death in Ancient Rome hat c. EdWards die spezifischen Formen, in denen die Bürgerkriege imaginiert wurden, herausgearbeitet.143 Die Außergewöhnlichkeit des Phänomens wird nicht nur durch die zahlreichen Schilderungen von Prozessen deutlich. Auch sprachlich wird diese durch den Bruch mit den traditionellen Erzählmustern der Jahrbücher kenntlich gemacht. Dieser Bruch wird genutzt, um auch stilistisch der Unfassbarkeit des Phänomens gerecht zu werden. Die kaiserzeitlichen Prozesse mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Verbindung zu bringen, dokumentiert damit konkret, was als Perversion der Gesetzgebung und als allgemeiner Zusammenbruch moralischer Wertmaßstäbe wahrgenommen wurde. Solche Deutungsmuster waren bereits aus den Zeugnissen der Bürgerkriegszeit der späten Republik bekannt. Die Übertragung auf kaiserzeitliche Kontexte erscheint daher naheliegend.144 Tacitus nutzt solche Assoziationen für seine Darstellungen der individuellen Schicksale. Diese Menschen hätten den fatalen Konsequenzen der allgegenwärtigen Prozesse zumindest im Angesicht des Todes noch etwas entgegenzusetzen gehabt. Der Bericht über die Aufdeckung der Pisonischen Verschwörung ist nicht die einzige, aber eine der dichtesten Beschreibungen, anhand derer man nachvollziehen kann, wie präsent der Krieg in den kaiserzeitlichen Darstellungen ist. Die Verschwörung liefert Tacitus die Vorlage, etwa den Centurio Sulpicius Afer auszu143 Für einen Überblick über die Majestätsprozesse vgl. BauMan, Impietas in principem. 144 Dazu programmatisch für die Ankündigung der Majestätsprozesse Tac. ann. 4,32, bes. 4,32,2: nobis in arto et inglorius labor; immota quippe aut modice lacessita pax, maestae urbis res, et princeps proferendi imperi incuriosus erat. non tamen sine usu fuerit introspicere illa primo aspectu levia, ex quis magnarum saepe rerum motus oriuntur. Vgl. EdWards, Death, 130 f.: Gerade auch bei der Nähe zu den Schilderungen solcher Zustände bei literarischen Autoritäten wie Thukydides und Sallust sei es durchaus nahe liegend, dass solche Bilder die Zeit der späten Republik heraufbeschwören würden.

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zeichnen, der bis in den Tod ein bewundernswertes Beispiel für eine unumstößlich „standhafte Haltung“ (constantiae exemplum) dargestellt habe.145 Auch die Charakterisierung Lucans beschwört solche Bilder des Krieges herauf. Noch kurz vor seinem Tod soll er ein letztes Mal die Worte eines sterbenden Soldaten aus seinem Bürgerkriegsepos zitiert haben.146 Nachdem alle, die im Zuge der Verschwörung verurteilt worden waren, bestraft waren, wirkt es dann besonders zynisch, wenn Nero die Soldaten mit je 2.000 Sesterzen und kostenlosem Getreide belohnt und im überstürzt einberufenen Senat diversen Mitgliedern der Elite die Triumphalinsignien zugesprochen haben soll. Solche Auszeichnungen dürften, betrachtet man den Anlass, auf die Zeitgenossen völlig deplatziert gewirkt haben – daran lassen auch die Darstellungen keinen Zweifel.147 Den spezifischen Situationen wird durch das sich wiederholende urbs captaMotiv nicht nur eine überindividuelle Kontinuität und strukturelle Vergleichbarkeit eingeschrieben. Es schafft auch einen Raum, in dem sich die betroffenen Akteure bewähren und auszeichnen können – selbst wenn ihnen dafür oft nur die Inszenierung ihres eigenen Todes bleibt.148 Was bewunderungswürdig erscheint, ist die Standfestigkeit und Selbstbeherrschung, die selbst noch im Angesicht des bevorstehenden Todes, sei es durch fremde Hand149 oder aber – die drohende Bestrafung antizipierend – durch die eigene, demonstriert wird. Dem Selbstmord kommt damit eine zentrale Bedeutung zu. Er stellt einen Kontrast zu der Eigendynamik dar, die den Majestätsprozessen eingeschrieben ist. Zumindest in dieser Hinsicht scheint das Geschehen den Angeklagten noch einen Rest an Kontrolle zurückzugeben.150 Die freie Entscheidung für den Selbstmord ist aus dieser Perspektive betrachtet eine bewunderungswürdige Kompromisslosigkeit und erhebt die Betroffenen über die anderen Akteure. Vor dem Hintergrund einer solchen Standhaftigkeit im Tod lässt sich dann auch die Erwartungshaltung an die aristokratische virtus definieren. Damit erhält das Sterben seinen gesellschaftlichen und politischen Wert. Die Gewaltbereitschaft der Umwelt wird mit der Erhabenheit im Tod kontrastiert, weil 145 Vgl. Tac. ann. 15,68. 146 is profluente sanguine ubi frigescere pedes manusque et paulatim ab extremis cedere spiritum fervido adhuc et compote mentis pectore intellegit, recordatus carmen a se compositum, quo volneratum militem per eius modi mortis imaginem obisse tradiderat, versus ipsos rettulit, ea­ que illi suprema vox fuit (Tac. ann. 15,70,1). 147 Entsprechend auch die Darstellung: tum quasi gesta bello expositurus, vocat senatum et trium­ phale decus Petronio Turpiliano consulari, Cocceio Nervae praetori designato, Tigellino prae­ fecto praetorii tribuit, Tigellinum et Nervam ita extollens, ut super triumphales in foro imagines apud Palatium quoque effigies eorum sisteret (Tac. ann. 15,72,1). 148 Weitere Beispiele dafür liefern etwa der Prozess gegen Cremutius Cordus (Tac. ann. 4,33 f.; Cass. Dio 57,24 (Xiph. 140,7–142,18), Valerius Asiaticus (Tac. ann. 11,3), und L. Iunius Silanus Torquatus (Tac. ann. 16,9). Vgl. dazu EdWards, Death, 140. 149 Dazu insbes. Tac. ann. 1,53,5: tunc milites ad caedem missi invenere in prominenti litoris, nihil laetum opperientem. quorum adventu breve tempus petivit, ut suprema mandata uxori Alliariae per litteras daret, cervicemque percussoribus obtulit, constantia mortis haud indignus Sempro­ nio nomine: vita degeneraverat. Vgl. auch Tac. ann. 16,9. 150 So beispielsweise Plin. epist. 3,9,5: nam fuit mors eius infamis, ambigua tamen: ut enim credi­ bile videbatur voluisse exire de vita, cum defendi non posset, ita mirum pudorem damnationis morte fugisse, quem non puduisset damnanda committere.

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diese Erhabenheit im Tod mit der scheinbar unumgänglichen Eigendynamik der Prozesse bricht.151 Die gesellschaftliche Akzeptanz des Selbstmords, der paradoxerweise der drohenden gesellschaftlichen Ausgrenzung durch den Schuldspruch der Standesgenossen vorgreift, korrespondiert durchaus mit seiner rechtlichen ,Würdigung‘. Die Quellen zeichnen ein Bild, wonach Selbstmord aus juristischer Perspektive nicht in erster Linie als Schuldeingeständnis galt. Vielmehr konnte er die Voraussetzungen dafür schaffen, dass den übrigen Familienmitgliedern Ehre und Besitz erhalten blieben. So soll beispielsweise C. Piso, der im Jahr 65 angeklagt wurde, sich selbst getötet haben, um seine Frau zu schützen.152 Die Frage ist aber, ob sich auf der Grundlage einer solchen Situation auf eine generelle Praxis in der frühen Kaiserzeit schließen lässt. Tacitus suggeriert zumindest für die tiberische Zeit, dass solche Mechanismen allgemein galten: nam promptas eius modi mortes metus carnificis faciebat, et quia damnati publicatis bonis se­ pultura prohibebantur, eorum qui de se statuebant humabantur corpora, manebant testamenta, pretium festinandi. „Denn solche Todesarten legte die Furcht vor dem Henker ebenso nahe wie die Tatsache, daß bei einer Verurteilung das Vermögen eingezogen und die Bestattung verweigert wurde, während diejenigen, die Selbstmord begingen, beerdigt wurden und deren Testamente gültig blieben, zum Lohn für ihre Eile.“153

Auch der Prozess gegen Cn. Piso 20 n. Chr. wird durch den Selbstmord des Angeklagten beendet. Trotzdem verhängte der Senat über den Consular harte Strafen – besonders betont wurde die damnatio memoriae –, wovon dessen Familie allerdings weitgehend ausgenommen war.154 Immerhin wurden seine Söhne weitgehend – und seine Frau ausdrücklich – freigesprochen. Ein Teil des vorher beschlagnahmten 151 Vgl. die oben genannten Beispiele sowie Cass. Dio 60,16,7; Sen. tranq. 14,4–6, bes. 14,6: dicet aliquis: potuit post hoc [Canus Iulius] iubere illum Gaius vivere. non timuit hoc Canus: nota erat Gaii in talibus imperiis fides. credisne illum decem medios usque ad supplicium dies sine ulla sollicitudine exegisse? verisimile non est quae vir ille dixerit, quae fecerit, quam in tran­ quillo fuerit. Zur Wirkmächtigkeit des Selbstmordes von Cato Uticensis für solche Darstellungen vgl. insbes. EdWards, Modelling Roman Suicide; GEiGEr, Munatius Rufus; Goar, Legend of Cato Uticensis; M. t. GriFFin, Philosophy, Cato and Roman Suicide, in: G&R 33 (1986), 64–77 u. 192–202. Zum performativen Charakter der Schilderungen siehe EdWards, Death, 144 f. Vgl. auch z. B. Epikt. 1,27. Zur Vorstellung der constantia, die sich an stoischen Lehrinhalten orientiert, siehe EdWards, Death, 133. 152 Tac. ann. 15,59,5. 153 Tac. ann. 6,29,1 [übers. v. E. HEllEr]. Vgl. Cass. Dio 58,24,3. Vgl. auch Tac. ann. 4,21 für die Beendigung des maiestas-Prozesses nach dem (natürlichen) Tod des angeklagten Lucius Piso während des Prozesses. 154 Vgl. FloWEr, Rethinking „Damnatio Memoriae“, 179 f.: Jegliche Erinnerung an den Verurteilten (von der Forschung als damnatio memoriae bezeichnet) auszulöschen, so betont H. Flower, habe im Fall Pisos zwei zentrale Funktionen erfüllt: Zum einen habe es als Bestrafung Pisos den Umfang der Trauer reflektiert, die Germanicus nach seinem Tod zuteil wurde (zu den Reaktionen auf den Tod des Germanicus vgl. Tac. ann. 2,82; Cass. Dio 57,18 [Xiph. 136,29– 137,17 / Exc. Vales. 189, p. 666] und den umfangreichen Ehrungen, die die Tabula Hebana und die Tabula Siarensis zeigen) und welche Piso diesem verweigert hatte. Zum anderen habe die Auslöschung der Erinnerung aber auch die Weiterexistenz seiner Familie und die Bestätigung

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Vermögens konnte damit zurückgegeben werden.155 Dass der Prozess nach dem Tod des Beschuldigten nicht für abgeschlossen erklärt wurde, wird ausdrücklich dem Verdienst des Kaisers zugeschrieben. Gleichzeitig wird dessen Vorgehen aber als ungewöhnlich gekennzeichnet.156 In den überlieferten Senatsbeschlüssen wird dann noch einmal explizit klargestellt, dass sich Piso mit seinem Selbstmord der gerechtfertigten Strafe entzog.157 Allerdings, so c. EdWards, bedeuten diese Beispiele nicht zwangsläufig, dass sich auf der Grundlage im Umgang mit solchen Anklagen eine Regelmäßigkeit und Planbarkeit annehmen lässt. Letztlich spiegelten diese die kaiserzeitliche Praxis nur teilweise wider. Die Fälle suggerierten zwar eine Systematik im Umgang sowohl mit dem Selbstmord als auch mit dem Strafmaß, die Bewertung der Fälle sei aber wesentlich stärker von der jeweiligen Situation abhängig gewesen. Für die Akteure seien die Fälle daher insgesamt deutlich weniger berechenbar gewesen. Eine Regelmäßigkeit anzunehmen, werde dieser Unberechenbarkeit daher nicht immer gerecht. Dafür spricht, dass Tacitus auch Beispiele erwähnt, in denen der Selbstmord des Angeklagten dessen Besitz nicht bewahren konnte.158 Versuche, die Praxis zu regeln und damit kontrollierbarer zu machen, lassen sich erst wesentlich später in den Digesten greifen. Diese fassen allerdings Regelungen zusammen, die sich im zweiten Jahrhundert ausdifferenzierten. Und selbst diese illustrieren wohl in erster Linie, dass es weiter anhaltende Diskussionen gab. Völlige Klarheit konnten auch sie wohl nicht in jeder Hinsicht herstellen. Immerhin deuten sie aber darauf hin, dass die bisherige Praxis als defizitär empfunden wurde.159

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ihrer Position innerhalb der Gemeinschaft ermöglicht, weil die bewusste Lösung von der Tradition reinigend gewirkt habe. Zumindest für den älteren Sohn wurde festgestellt, dass er an den Straftaten des Vaters beteiligt gewesen sei. Deshalb wurde die Rückzahlung im Senatsbeschluss auch nicht als Rückgabe, sondern als Geschenk (donari: SCPP, Z. 97) von Princeps und Senat bezeichnet. Sie war damit ein beneficium, das mit konkreten Auflagen verbunden war. Dazu gehörte es, das Praenomen des Vaters abzulegen (Z. 99 f.) (vgl. dazu EcK/caBallos, Senatus consultum, 214 f.; 218). Neben dem SCPP, bes. Z. 101–120 auch Tac. ann. 3,7–19. Siehe SCPP, Z. 17–20. SCPP, Z. 71–73: quas ob res arbitrari senatum non optulisse eum se de[b]itae poenae, sed maiori et quam inmin[e]re sibi ab pietate et severitate iudicantium intellegega{n}t subtraxisse (…). Üblicherweise werden mindestens sieben bis acht Senatsbeschlüsse angenommen. Nach EcK/caBallos, Senatus consultum, 124; 257 ff. fasst die inschriftliche Überlieferung des SC diese lediglich zusammen. M. Griffin vermutet dagegen, dass das überlieferte SC noch einmal im Senat verabschiedet wurde (vgl. GriFFin, Senate’s Story, 254 f.). Vgl. EdWards, Death, 119–121. Tac. ann. 2,31 f.: accusatio tamen apud patres adseveratione eadem peracta, iuravitque Tiberius petiturum se vitam quamvis nocenti, nisi voluntariam mor­ tem properavisset. bona inter accusatores dividuntur, et praeturae extra ordinem datae iis qui senatorii ordinis erant. (…); bedingt auch 4,20,1: saevito tamen in bona (…). Dazu EdWards, Death, 120 f.; GriFFin, Senate’s Story, 262. Nach EcK/caBallos (190 f.) habe die kaiserzeitliche Praxis darin bestanden, den Prozess mit dem Selbstmord des Angeklagten für beendet zu erklären. Die Praxis, die in den Digesten ([Ulpian] Dig. 48,4) kodifiziert ist, als Beleg dafür anzuführen, ist allerdings nicht unproblematisch: Letztlich lässt es sich nämlich kaum noch nachvollziehen lässt, wie sich die Praxis zwischen dem ersten und dritten Jahrhundert gewandelt hatte. Möglicherweise wurden damit auch eher spätere Entwicklungen darin festgehalten. Dass die Praxis im ersten Jahrhundert offenbar kaum klare Kriterien für den Um-

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Die widersprüchliche Praxis verweist grundsätzlich darauf, dass klare Kriterien, die den Umgang mit Situationen, wie sie oben geschildert wurden, hätten planund beherrschbar machen können, fehlten. In dieses Bild passt, dass der Selbstmord des Angeklagten in den einzelnen Prozessen durchaus umstritten war und offensichtlich an grundsätzlichen Problemen rührte. Der Selbstmord als Ausweg aus der Anklage wegen Majestätsverbrechens hatte gleichzeitig auch eine eskapistische Qualität, was Martial mit sarkastischem Unterton illustriert: quod magni Thraseae consummatique Catonis dogmata sic sequeris salvos ut esse velis, pectore nec nudo strictos incurris in ensis, quod fecisse velim te, Deciane, facis. nolo virum facile redimit qui sanguine famam, hunc volo, laudari qui sine morte potest. „Wenn du die Lehrsätze des großen Thrasea und des vollkommenen Cato befolgst, doch ohne dabei das Leben verlieren zu wollen, und nicht mit entblößter Brust in gezückte Schwerter hineinstürzt, dann handelst du so, Decianus, wie ich es mir von dir wünsche. Nicht schätze ich einen Mann, der mit leichtfertig vergossenem Blut sich Ruhm erkauft, wohl aber den, der Anerkennung finden kann auch ohne zu sterben.“160

Solche Äußerungen setzen der moralischen Überhöhung des Selbstmordes eine deutlich kritischere Auseinandersetzung mit dem Thema entgegen. Die Notwendigkeit, nach alternativen Lösungen zu suchen, erscheint damit zwar als die unbequemere, aber trotzdem erstrebenswertere Perspektive. Aristokratische virtus bestimmt sich danach nicht über den Selbstmord, sondern über die Leistungen im Leben des Einzelnen. Cassius Dio spitzt eine solche grundsätzliche Kritik noch weiter auf die Majestätsprozesse zu. Wenn er sein Unverständnis darüber artikuliert, dass in deren Folge tugendhaftes Verhalten nur noch über einen ehrenhaften Tod demonstriert worden sei (ὥστ’ ἀρετὴν μηκέτ’ ἄλλο μηδὲν ἢ τὸ γενναίως ἀποθανεῖν νομίζεσθαι),161 offenbart er die Hilflosigkeit der Zeitgenossen gegenüber solchen Konfliktsituationen. Auch Tacitus, der in der Regel162 den ehrbaren Tod in den Vordergrund stellt, bricht solche Deutungsmuster gelegentlich auf, indem er über die eigenverantwortliche Bestimmung des individuellen Schicksals hinaus über dessen Wert reflektiert: sciant, quibus moris est illicita mirari, posse etiam sub malis principibus magnos viros esse, obsequiumque ac modestiam, si industria ac vigor adsint, eo laudis excedere, quo plerique per abrupta, sed in nullum rei publicae usum ambitiosa morte inclaruerunt. „Wissen sollen die Leute, deren Art es ist, das Unerlaubte zu bewundern, daß es sogar unter schlechten Kaisern bedeutende Männer geben kann und daß Loyalität und Zurückhaltung, falls sie von Beharrlichkeit und Tatkraft begleitet werden, zu solchem Ruhm führen, wie ihn viele gang mit dem Selbstmord eines Angeklagten bereitstellte, wird in den Digesten eher am Rande thematisiert. 160 Mart. 1,8 [übers. v. P. Barié / W. scHindlEr (Hervorhebungen S. B.)]. Siehe auch Mart. 1,78. Dagegen z. B. Plin. epist. 1,12. 161 Cass. Dio. 60,16,7. Außerdem Cass. Dio 58,15. Dazu auch EdWards, Death, 126. 162 Für Ausnahmen siehe z. B. Tac. ann. 16,16; 14,48.

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durch ihr unnachgiebiges, jedoch für das Gemeinwesen unnützes Verhalten und durch einen aufsehenerregenden Tod erworben haben.“163

Der Unnachgiebigkeit, die der selbstbestimmte Tod als Ausweg aufzeigt, bevor jemand schuldig gesprochen wird, wird über die Bewunderung der persönlichen Entscheidung hinaus eindeutig die Grundlage abgesprochen, sobald ihr die erkennbare Bezogenheit auf das Wohl des Gemeinwesens (in nullum rei publicae usum) fehlt. Die grundsätzliche Kritik, der damit Ausdruck verliehen wird, verweist auf das eigentlich Problematische: nämlich dass die Mechanismen der Selbstdisziplinierung, wie sie Angehörige der kaiserzeitlichen Aristokratie im Tod üben, letztlich auch eine radikale Umdeutung aristokratischer Normen bedeuten, die die Bezogenheit auf das Gemeinwohl als handlungsleitend voraussetzen. Die Eigenverantwortlichkeit für das Handeln so radikal zu betonen, lässt sich damit auch als Reaktion auf Konflikte, die in den Majestätsprozessen ausgetragen wurden, verstehen. Das wiederum lässt sich mit einer grundsätzlich zerstörten Vertrauensbasis in die institutio­ nellen Reglementierungsmechanismen zusammenbringen. Die Lösungsstrategien, die sich am Individuum orientieren, stellen keine endgültige Lösung oder echte Alternative bereit, sich auch langfristig als tragbarer Kontrollmechanismus für ein strukturelles Problem durchzusetzen. Vielmehr schließt Selbstmord – so jedenfalls impliziert es die von Cassius Dio und Tacitus geübte Kritik – Lösungen auf institutioneller Ebene letztlich sogar aus. Funktionalität und Dysfunktionalität der Prozesse: Das Delatorenwesen Die Darstellung der anderen Seite, nämlich der Ankläger (delatores), folgt vergleichbaren Mustern:164 Parallel zum Umgang mit den Majestätsprozessen wird ihnen die eigentlich zerstörerische Kraft zugewiesen, die die Bürgerkriegsassoziationen165 überhaupt erst in ihrer Systematik rechtfertigt. Für die Erfahrung des Bürgerkriegs, der als Wirken (selbst)zerstörerischer Kräfte gemeinschaftlichen Lebens wahrgenommen wird, greifen die kaiserzeitlichen Autoren auf bekannte Charakterisierungen und Erklärungsmuster zurück, wenn sie Delatoren als ,Krankheit‘ oder ,inneres Übel‘ beschreiben.166 Anhand der Charakterisierung des A. Caepio Crispinus werden solche allgemeinen Darstellungsformen konkretisiert. Dieser wird zum Inbegriff eines typischen Delators (dedit exemplum) stilisiert: er ist von niedrigem sozialen Rang, und sein Ehrgeiz stellt eine Bedrohung für die hochrangigen Mitglieder der Senatsaristokratie dar. Das wiederum verweist darauf, dass das Delatorenwesen als soziales Problem wahrgenommen und systematisiert wurde.167 Die Ankläger werden sche163 164 165 166 167

Tac. Agr. 42,4 [übers. v. a. städElE (Hervorhebungen S. B.)]. Eine ausführliche Auseinandersetzung damit bei rutlEdGE, Imperial Inquisitions, 11–16. Tac. hist. 4,42,4; 4,50,2; Tac. ann. 16,29,1; Iuv. 4,113; 4,115; Tac. hist. 1,2,3. Beispielsweise Plin. paneg. 34,2; Tac. ann. 2,27,1; 4,66,1; 6,7,4; 11,6,3; 16,14,1. Tac. ann. 1,74,1–3: (…) qui formam vitae iniit, quam postea celebrem miseriae temporum et audaciae hominum fecerunt. nam egens ignotus inquies, dum occultis libellis saevitiae princi­ pis adrepit, mox clarisssimo cuique periculum facessit, potentiam apud unum, odium apud

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matisch über ihr Profitstreben – sei es finanzieller oder politischer Natur – einer sozialen Kategorie zugeordnet, die, so s. rutlEdGE, sprachlich außerhalb der aristokratischen Gemeinschaft verortet werde. Sie als ,unrömisch‘ zu stigmatisieren, betont, dass sie nicht im Sinne senatorischer Normen handeln. Vielmehr stellen die Delatoren, folgt man den Quellen, durch ihr Verhalten die existierenden Strukturen nicht nur in einzelnen Fällen, sondern systematisch in Frage. Ihnen wird die Schuld zugewiesen, hochrangige Mitglieder der Senatsaristokratie ins Exil oder in den Tod zu treiben. Gleichzeitig vergewissert sich die ,andere Seite‘ auf diese Weise kollektiv der Richtigkeit ihres eigenen Handelns.168 Allerdings waren solche Zuordnungen nicht in jedem Fall so eindeutig und ausschließlich. Quintilian bescheinigt beispielsweise den Anklägern, dass sie eine notwendige und wichtige Tätigkeit für das Wohlergehen der res publica verfolgten.169 Grundsätzlich akzeptabel erscheint die Tätigkeit – wie auch schon in der Republik – am Anfang der politischen Karriere170 oder als Verpflichtung gegenüber der pietas.171 Allerdings wandelte man bei der Auslegung der individuellen Motivation eines Anklägers auf einem schmalen Grat zwischen tolerierbarem und nicht tolerierbarem Verhalten. Auch dass eine Anklage in finanzieller und politischer Hinsicht attraktiv gewesen sei, wie es die Quellen sonst als Motivation voraussetzen, war offenbar nicht in jeder Situation selbstverständlich. Risiken barg die Tatsache, dass im Falle von Anklagen, die sich als haltlos und falsch herausstellten oder gewertet wurden, ein definierter Straftatbestand erfüllt war.172 Ansonsten entschieden Kaiser oder Senat darüber, ob und wie der oder die Ankläger belohnt wurden. Die Auszahlung aus dem aerarium betonte abschließend noch einmal den Dienst an der res publica sowie die allgemeine Dankbarkeit und Anerkennung.173

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omnis adeptus dedit exemplum, quod secuti ex pauperibus divites, ex contemptis metuendi per­ niciem aliis ac postremum sibi invenere. Gesteigert wird das nur noch, wenn Freigelassene – üblicherweise als Mitglieder des kaiserlichen Haushaltes – diese Rolle übernahmen, was unter Caligula erstmals belegt ist. Siehe Tac. dial. 13,4 zu den „Statusdissonanzen“: quae haec summa eorum potentia est? tantum posse liberti solent. Vgl. rutlEdGE, Imperial Inquisitions, 30. Dazu rutlEdGE, Imperial Inquisitions, 12 f.; Tac. dial. 5,5–7; 12,2; hist. 4,42,4. Quint. inst. 11,1,57 f.: nam sine dubio in omnibus statim accusationibus hoc agendum est, ne ad eas libenter descendisse videamur. (…). non enim iusta ex causa vel necessaria videri potest postulasse eum, sed quadam accusandi voluptate. praeter hoc tamen, quod est commune, pro­ priam moderationem quaedam causae desiderant. Vgl. Quint. inst. 12,7,3; Tac. dial. 34,6: (…) sive accusationem susceperat sive defensionem, solus statim et unus cuicumque causae par erat. Siehe außerdem Cic. Cael. 76; Cic. off. 2,49 f.; Plin. epist. 3,9,22 ff.; 6,29, bes. 1–3: (…) ita hoc saepe referebat, praecipere solitum suscipien­ das esse causas aut amicorum aut destitutas aut ad exemplum pertinentes. cur amicorum, non eget interpretatione. cur destitutas? quod in illis maxime et constantia agentis et humanitas cerneretur. cur pertinentes ad exemplum? quia plurium referret, bonum an malum induceretur. ad haec ego genera causarum ambitiose fortasse, addam tamen claras et inlustres. aequum est enim agere non numquam gloriae et famae, id est suam causam. Siehe dazu rutlEdGE, Imperial Inquisitions, 16; 70. Cic. Cael. 2. Vgl. zu einer solchen Interpretation auch EicH, Aristokratie und Monarchie, 140 ff. Vgl. Tac. ann. 3,37; 4,31; 6,7; 12,42; 13,33; Plin. epist. 3,9,33 (dazu talBErt, Senate, 467; 470). Viele Karrieren lassen sich zudem über einzelne Kaiser hinaus nachvollziehen. Zur Höhe der

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Obwohl das Delatorenwesen also durchaus funktional sein konnte, stellen die kaiserzeitlichen Quellen insgesamt die dysfunktionalen Elemente des Delatorentums in den Vordergrund und stilisieren es zu dem entscheidenden Phänomen der frühen Kaiserzeit. Dass Grenzen überschritten werden und etablierte aristokratische Wertmaßstäbe zusammenbrechen, ist dabei leitend, um die beteiligten Standesgenossen einzuordnen und moralisch zu bewerten. Die Konsequenzen der Prozesse als verheerend zu beschreiben, weist eher auf eine Vertiefung von Konfliktlinien, die im Senat strukturell angelegt waren.174 Immerhin boten sich hier neue Möglichkeiten, die inneraristokratische Konkurrenz zu verstärken. Wenn eine verstärkte Konkurrenz im Senat allerdings mit der alternativlosen Notwendigkeit zusammenfiel, Konsens für Entscheidungen herzustellen, dürfte das die im Verfahren ohnehin kaum ausgeprägten Kontrollmechanismen immer wieder überfordert haben.175 Wie bereits thematisiert, griffe der Versuch, die Ursachen für die strukturell bedingte Unsicherheit beim Princeps zu suchen, zu kurz und erfasst auch das Deutungsspektrum der zeitgenössischen Quellen nicht vollständig. Auch wenn ihnen solche Unsicherheiten sicher nicht immer ungelegen gewesen sein dürften, lassen sich immer wieder Bemühungen der Herrscher greifen, bei den Majestätsprozessen zumindest ein gewisses Maß an Sicherheit zu gewährleisten. Allerdings hatten diese offensichtlich entweder nur bedingt Erfolg oder waren bei den strukturellen Voraussetzungen von vornherein zum Scheitern verurteilt. Eine Möglichkeit bestand darin, dass sich der Princeps vorher an der Entscheidung beteiligte, ob überhaupt das maiestas-Gesetz angewandt werden sollte. Andernfalls konnte er auch nachher das senatorische Urteil korrigieren, indem er den Angeklagten nach dessen Verurteilung begnadigte und dadurch seine clementia demonstrierte. Allerdings waren solche Möglichkeiten umstritten.176 Auch der 21 n. Chr. gefasste Senatsbeschluss, der festlegte, dass Entscheidungen erst vollstreckt werden durften, nachdem sie zehn Tage im aerarium gelegen hatten, diente wohl – selbst wenn Tiberius als Initiator der Regelung im Gegensatz zu seinen Nachfolgern davon anscheinend keinen Gebrauch machte – diesem Zweck. Auslöser war die umstrittene Verurteilung und sofortige Hinrichtung des Ritters Clutorius Priscus gewesen, in deren Folge sich Tiberius noch nachträglich genötigt fühlte, den Übereifer der Senatoren zu tadeln.177 Die Regelung beinhaltete aber für den Senat nicht das Recht, Beschlüsse nachträglich zu korrigieren. Deshalb dürfte diese in der Praxis an der Situation im Senat kaum

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Belohnungen, die teilweise erst später ausgezahlt wurden und außerdem Schutz boten für den Fall, dass man selber angeklagt wurde, vgl. RutlEdGE, Imperial Inquisitions, 50. Vgl. insbes. Kap. 3.3.1. Vgl. dazu FlaiG, Kaiser, 115 f., rutlEdGE, Imperial Inquisitions, 28; GarnsEy, Social Status, 41. Vgl. z. B. Tac. ann. 1,73; 3,70; 3,50,2; 14,48. Dazu auch GarnsEy, Social Status, 39 f. id Tiberius solitis sibi ambagibus apud senatum incusavit, cum extolleret pietatem quamvis modicas principis iniurias acriter ulciscentium, deprecaretur tam praecipitis verborum poe­ nas, laudaret Lepidum neque Agrippam argueret. igitur factum senatus consultum, ne decreta patrum ante diem decimum ad aerarium deferrentur idque vitae spatium damnatis prorogare­ tur (Tac. ann. 3,51,1 f.). Zur Darstellung der genaueren Umstände, die zur Verurteilung führten, vgl. Tac. ann. 3,49–51. Diese – ebenso wie die Doppeldeutigkeit der Worte, mit denen Tiberius den Senatsbeschluss aus der Retrospektive verurteilte – illustrieren, in welchem Dilemma sich der Senat bei jedem Fall aufs Neue befand. Siehe dazu auch GarnsEy, Social Status, 34.

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etwas geändert haben, zumal die Widerrufbarkeit von Senatsbeschlüssen ohnehin die Autorität des Gremiums grundsätzlich in Frage gestellt hätte. Allerdings deuten solche expliziten Regelungen darauf hin, dass durchaus ein Problembewusstsein dafür existierte, dass das Verfahren und gerade auch die Entscheidungssituation regelmäßig Konflikte provozierten.178 Außerdem ist in den Quellen immer wieder davon die Rede, dass man die Gesetze, die den Prozessen zugrunde lagen, anzupassen versuchte. In tiberischer Zeit (20 n. Chr.) beispielsweise betraf das die Auswirkungen der lex Papia Poppaea, die Tacitus zufolge ihren eigentlichen Zweck, Ehe- und Kinderlosigkeit entgegenzuwirken, verfehlt habe, um statt dessen neue Gründe für Anklagen zu liefern.179 Sich an Gesetzen zu orientieren, welche die nötige Sicherheit über eine klare und weniger kontextgebundene Grundlage für die Verhandlungen im Senat verliehen, konnte der Verunsicherung über die Verfahrensstrukturen aber offenbar nicht grundsätzlich entgegenwirken. Jedenfalls musste Nero den Senat daran erinnern, dass dieser über die Angelegenheiten auf der Basis der Gesetze und unabhängig von äußeren Einflüssen zu entscheiden habe.180 Die kaiserliche Mahnung dürfte in diesem Fall auch nicht dem Zynismus, der Nero sonst allgemein im Umgang mit der Senatsaristokratie attestiert wurde, zuzuschreiben sein. Vielmehr scheint sie auf die fehlenden handlungsleitenden, objektivierbaren Kriterien für die senatorische Gerichtsbarkeit hinzuweisen, wie vier Jahrzehnte später zwei durchaus vergleichbare Situationen bestätigen, die Plinius schildert. Dabei wurde im Senat jeweils darüber diskutiert, ob die Senatoren für ihre Entscheidungsfindung an Gesetze gebunden seien oder – was sich durchsetzte – diese gegebenenfalls auch ändern dürften.181 Darüber hinaus deuten weitere Eingriffe der Kaiser darauf hin, dass konkrete und allgemeingültige Regelungen von Seiten der Kaiser gar nicht unbedingt erwünscht waren. Selbst wenn sich durchaus Versuche nachvollziehen lassen, die gesetzlichen Regelungen zu präzisieren, blieben die Eingriffe eher situativer als grundsätzlicher Art. Zum Teil verhinderten sie Vorstöße von senatorischer Seite sogar, strukturelle Probleme, die sich aus den Verfahrensabläufen ergaben, systematisch zu regeln.182 178 Auch die Regelung, im Zusammenhang mit dem Prozess gegen M. Primus getroffen, in der die Abstimmungspraxis für den Fall, dass der Angeklagte nicht persönlich anwesend war, konkretisiert wurde, weist in diese Richtung (vgl. Cass. Dio 54,3,6). 179 Tac. ann. 3,25,1: (…) ceterum multitudo periclitantium gliscebat, cum omnes domus delatorum interpretationibus subverterentur, utque antehac flagitiis, ita tunc legibus laborabatur. Für Versuche, die Repetundengesetzgebung zu modifizieren, vgl. Tac. ann. 11,5–7. 180 Vgl. Tac. ann. 14,49; Agr. 2. 181 Plin. epist. 4,9,17: quia scilicet et Macro legem intuenti consentaneum fuit damnare eum qui contra legem munera acceperat, et Caepio cum putaret licere senatui (sicut licet) et mitigare leges et intendere, non sine ratione veniam dedit facto vetito quidem, non tamen inusitato. Siehe auch Plin. epist. 2,11,4; Gell. 1,12,12; FIRA I, Nr. 45. Dazu talBErt, Senate, 471. 182 Für situative Entscheidungen vgl. z. B. Tac. ann. 3,56: darin hält Tiberius 22 n. Chr. accusatores zurück; Cass. Dio 58,21,5: Bestrafung von Denunzianten durch Tiberius befohlen; Cass. Dio 60,28 (Petr. Patr. Exc. de leg. G2): Entscheidung des Claudius, obwohl der Angeklagte nicht anwesend ist. Für die bewusst offen gehaltene Situation vgl. Tac. ann. 4,30: Tiberius verhindert durch sein Veto die Versuche von senatorischer Seite, die Belohnung von Anklägern zu regeln. In diesem Sinn auch MoMMsEn, Strafrecht, 951, der von einer „juristische[n] Grenzenlosigkeit“ spricht.

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Destabilisierend wirkte auch, dass keine Kriterien existierten, die ein Verbrechen de maiestate, de adulteriis oder de repetundis klar definierten, sondern die Auslegung der situativen und individuellen Entscheidung überlassen wurde.183 Dazu passt, dass – wie von FlaiG beschrieben – potentiell jeder Prozess die Senatorenschaft gespalten habe, so dass es schwierig war, überhaupt zu einer Entscheidung zu kommen. Wie die bisherige Diskussion gezeigt hat, ist das zwar eine Interpretation, die sich anhand an der Quellen selten unmittelbar belegen lässt, weil nur wenige Senatssitzungen überliefert sind, die eine detaillierte Rekonstruktion des Ablaufs zuließen.184 Trotzdem kann sie einige Plausibilität beanspruchen, sobald man sich ansieht, wie die kaiserzeitlichen Quellen über die Majestätsprozesse berichten und wo Regelungsbedarf gesehen wurde. Denn die Darstellungen orientieren sich auffällig an der Suche nach klaren Kriterien und Kommunikationsmechanismen, die den Umgang mit den Majestätsprozessen objektivieren und beherrschbar machen. Doch grundsätzlich kann die Praxis, sich auf einen (üblicherweise rangniedrigen) Sündenbock zu verständigen, um der Handlungsunfähigkeit entgegenzuwirken, nicht verdecken, dass das gerichtliche Verfahren trotz seiner etablierten Abläufe in vielen Fällen zu versagen drohte.185 Ein formalisiertes Verfahren allein war bei diesen Konfliktlinien offenbar nicht ausreichend, um die notwendige Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten – zumal Abläufe und gesetzliche Grundlage nicht so eindeutig waren, dass sie einen geregelten Umgang mit den Prozessen gewährleisten konnten. Die Gültigkeit des Verfahrens konnte dann tatsächlich oft nur durch solch ritualisierte, exemplarische Bestrafungen bewahrt werden, wie sie Flaig beobachtet.186 All das trug zu einer erheblichen Verunsicherung bei, wenn mit der Übertragung der Gerichtsbarkeit in den Senat verstärkt inneraristokratische Konflikte in das Gremium getragen wurden, für die keine Mechanismen existierten, um diese langfristig beizulegen und Entscheidungssicherheit zu gewährleisten. Auf die fehlende Sicherheit weist beispielsweise das Verhalten Pisos, der, nachdem er sich über die Bedingungen beklagt hatte, unter denen ein Verteidiger arbeiten müsse, den Senat demonstrativ verlassen haben soll.187 Die Hilflosigkeit offenbart sich beson-

183 P. Garnsey fasst diesen Umstand pointiert zusammen: „(…) [I]t [der Senat] [did not] try only those crimes which where scandalous in themselves and/or dangerous to the state. For some of the crimes punished by the Senate were scandalous and dangerous only by the Senate’s own definition. In its selection of cases for its judgement, the Senate showed that it was not immune to considerations of status.“ (GarnsEy, Social Status, 34). 184 Siehe etwa für eine der wenigen Ausnahmen Tac. hist. 4,6,1. 185 Siehe dazu Kap. 3.3 / S. 98 f. 186 Vgl. FlaiG, Kaiser, 116 / Anm. 72; etwas vorsichtiger GarnsEy, Social Status, 34 u. 50; Zit. 34: „However, it seems that at least on occasion low-status defendants were punished more harshly than high-status defendants on the same charges.“ Tac. hist. 2,10,1: id senatus consultum varie iactatum et, prout potens vel inops reus inciderat, infirmum aut validum. Zur Differenzierung beim Strafmaß vgl. GarnsEy, Social Status, 35 f. 187 inter quae L. Piso ambitum fori, corrupta iudicia, saevitiam oratorum accusationes minitan­ tium increpans abire se et cedere urbe, victurum in aliquo abdito et longinquo rure testabatur; simul curiam relinquebat (Tac. ann. 2,34,1).

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ders deutlich im Umgang mit den Anklägern188 und deren sozialer Degradierung. Ein generelles und eher diffuses Misstrauen, das man Delatoren entgegenbrachte, konnte – zumindest wenn die Voraussetzungen günstig waren – durchaus in Entscheidungen münden. Meist stellten solche Beschlüsse aber nur situative Versuche dar, den Umgang mit den maiestas-Klagen zu reglementieren. Ebenso hilflos wirken letztlich die Versuche von Angeklagten, Auswege aus einer Situation zu finden, die mit der Standeswürde noch in irgendeiner Form vereinbar schienen, wenn deren Existenz durch den Prozess gefährdet war. Obwohl die Formen des Verfahrens grundsätzlich geregelt waren, bedingte die Verlegung der Gerichtsbarkeit in den Verantwortungsbereich des Senats damit insgesamt ein hohes Maß an Unsicherheit innerhalb der Senatsaristokratie: zum einen durch das Fehlen klarer, handlungsleitender Kriterien und zum anderen durch die strukturelle Unvereinbarkeit mit senatorischen Kommunikationsmechanismen, die auf die Herstellung des aristokratischen Konsenses ausgerichtet waren. Dass sich damit ein neues Feld für die aristokratische Konkurrenz eröffnete, dürfte mögliche Absichten, die Senatsaristokratie gegenüber den equites aufzuwerten, entscheidend überlagert haben. Der Senat war damit insgesamt als gerichtliche Instanz strukturell überfordert. Es bleibt zu fragen, ob sich solche Dynamiken nur in solchen Kontexten oder auch in anderen Zusammenhängen nachweisen lassen. Daher soll im Folgenden die Untersuchung auch auf andere neue Entscheidungskontexte ausgeweitet werden. 3.2.2 Magistratswahlen in der frühen Kaiserzeit Die Verlegung der Magistratswahlen von den Comitien in den Senat unter Tiberius im Jahr 14 n. Chr. wird in der althistorischen Forschung intensiv diskutiert. Auch breiter angelegte Untersuchungen, die sich mit der Wahlpraxis in der frühen Kaiserzeit beschäftigen, drehen sich vor allem um diese Verfahrensänderung. Im Mittelpunkt stand dabei lange die Frage, inwieweit das Verfahren die herausragende gesellschaftliche Stellung des Princeps auch rechtlich widerspiegelte oder sich zumindest am Einfluss des Kaisers orientierte. Die Neuregelung im Jahr 14 n. Chr. wird als entscheidender Einschnitt in der kaiserzeitlichen Wahlpraxis behandelt, da man dem aristokratischen Wettbewerb damit einen Riegel vorgeschoben sah. Allerdings ist der Zusammenhang zwischen der Änderung der Wahlpraxis und einem Ende der Wahlkämpfe nicht so selbstverständlich wie oft angenommen; gleiches gilt für die Rolle des Kaisers. Dass man sich so intensiv damit beschäftigte, wie das kaiserliche Rollenverständnis bei den Magistratswahlen im Verlauf des ersten Jahrhunderts rechtlich ausdifferenziert wurde, hatte außerdem zur Folge, dass Formen senatorischer Entscheidungsfindung meist nur am Rande und als Spiegelbild kaiserlicher Dominanz untersucht wurden.189 188 Vgl. Kap. 3.2 / Anm. 168. 189 Vgl. r. FrEi-stolBa, Untersuchungen zu den Wahlen in der römischen Kaiserzeit, Zürich 1967; B. M. lEVicK, Imperial Control of the Elections under the Early Principate. Commendatio, suf­ fragatio and ‚nominatio‘, in: Historia 16 (1967), 207–230; a. E. astin, ‚Nominare‘ in Accounts

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Die Verlegung der Magistratswahlen in den Senat war nicht die erste Modifikation der Wahlpraxis in der frühen Kaiserzeit. Schon unter Augustus lassen sich mit einer lex de ambitu (18 v. Chr.) und den neu geschaffenen Destinationscenturien (ab 5 v. Chr.) konkrete Reglementierungsversuche und Änderungen in der Wahlpraxis greifen.190 Für die Formen senatorischer Entscheidungsfindung war es aber möglicherweise besonders einschneidend, die alljährlich stattfindenden Wahlen der senatorischen Ehrenstellen des cursus honorum von den Comitien in den Senat zu verlegen, wie es dann 14 n. Chr. in tiberischer Zeit vollzogen wurde; jedenfalls lassen sich diese Änderungen, anders als frühere, noch deutlich in den literarischen Quellen erkennen.191 Am ausführlichsten berichtet Tacitus von den Änderungen: tum primum e campo comitia ad patres translata sunt. nam ad eam diem, etsi potissima arbitrio principis, quaedam tamen studiis tribuum fiebant. neque populus ademptum ius questus est nisi inani rumore, et senatus largitionibus ac precibus sordidis exsolutus libens tenuit, moderante Tiberio ne plures quam quattuor candidatos commendaret, sine repulsa et ambitu designandos. „Damals wurden zum ersten Mal die Beamtenwahlen vom Marsfeld in den Senat verlegt; denn bis zu diesem Tag geschah zwar das Wichtigste nach der Entscheidung des Princeps, manches aber noch nach den Empfehlungen der Tribus. Doch beklagte sich das Volk über die Entrechtung nur in bedeutungslosem Gerede, und der Senat, vom Zwang zu Spenden und schimpflichen Bitten befreit, hielt gern daran fest, zumal Tiberius sich darauf beschränkte, nicht mehr als vier Kandidaten zu empfehlen, die ohne Ablehnung und Bewerbung gewählt werden mußten.“192

Tacitus ordnet die Neuerung erst einmal kommentarlos in seine Darstellung über die ersten Initiativen des Tiberius nach dessen Herrschaftsantritt ein. Das legt die Vermutung nahe, dass diese wohl tatsächlich von den Standesgenossen in tiberischer Zeit ähnlich angenommen wurde, wie es Tacitus beschreibt: Erleichtert, von den erbitterten und jährlich wiederkehrenden Wahlkämpfen und den damit aufzubringenden finanziellen Mitteln (largitiones) in Zukunft befreit zu sein, seien solche Veränderungen vor allem in aristokratischen Kreisen begrüßt und entsprechend ohne größere Diskussionen akzeptiert worden. So dargestellt erscheinen die Maßnahmen als Abschluss einer Entwicklung, die für die Aristokratie vor allem Ursaof Elections in the Early Principate, in: Latomus 28 (1969), 863–874; a. J. Holladay, The Election of Magistrates in the Early Principate, in: Latomus 37 (1978), 874–893; talBErt, Senate, 341–346; M. Pani, Comitia e senato. Sulla transformazione della procedura elettorale a Roma nell’età di Tiberio, Bari 1974. Zuletzt z. B. FlaiG, Kaiser, 94–131; M. dEttEnHoFEr, Die Wahlreform des Tiberius und ihre Auswirkungen, in: Historia 51 (2003), 349–358 (auch wenn Letztere hier weniger relevante Aspekte diskutiert). 190 Vgl. dazu talBErt, Senate, 341 f.; P. a. Brunt, The Lex Valeria Cornelia, in: JRS 51 (1961), 71–83. Außerdem FrEi-stolBa, Untersuchungen, bes. 97–130. 191 Alleine auf der Grundlage dieses Belegs lässt sich nicht sicher rekonstruieren, ob Tacitus möglicherweise nur die Wahl höherer Ehrenstellen, genauer die Wahl von Praetoren, in der comitia centuriata beschreibt. Zusammen mit den Bemerkungen des Velleius Paterculus und Äußerungen Cassius Dios über die Wahlpraxis in späterer Zeit lässt sich allerdings relativ sicher schließen, dass die Verlegung der Magistratswahlen allgemein gemeint sein dürfte (vgl. d. c. a. sHottEr, Elections under Tiberius, in: CQ n. s. 16 (1966), 321–332, 323). 192 Tac. ann. 1,15,1 [übers. v. E. HEllEr].

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che für entehrendes und ruinöses Verhalten war.193 Eine solche Einordnung deckt sich auch mit zeitgenössischen Darstellungen. Zeitnah zu den Neuerungen urteilt Velleius Paterculus in seinem Lob des neuen Herrschers ähnlich: post redditum caelo patrem et corpus eius humanis honoribus, numen divinis honoratum, pri­ mum principalium eius operum fuit ordinatio comitiorum, quam manu sua scriptam divus Au­ gustus reliquerat. „Nachdem der Himmel seinem Vater und seinem Körper menschliche Ehren, seiner Hoheit göttliche Ehren gewährt hatte, war die Regelung der Comitien das erste Werk als Princeps, wofür der göttliche Augustus in seiner eigenen Handschrift ein Konzept hinterlassen hatte.“194

Die Änderungen werden im Kontext eines Kataloges von Maßnahmen in tiberischer Zeit erwähnt, die in allen Belangen Frieden und Harmonie gebracht haben sollen. Der Tenor ist damit ähnlich wie bei Tacitus. Anders als Tacitus und Velleius Paterculus erwähnt Cassius Dio die Änderungen dagegen gar nicht. W. lacEy vermutet daher, dass sich Tacitus an dieser Stelle für seine Darstellung weniger auf Senatsakten als auf historiographische Werke gestützt haben könnte, die Cassius Dio nicht mehr zur Verfügung standen oder von diesem ignoriert wurden. Dazu kommt aber auch, dass Tacitus der Wahlpraxis ohnehin insgesamt mehr Raum widmet als Cassius Dio.195 Unabhängig von solchen Fragen, die nur schwer endgültig zu beantworten sind, wird die Suche nach den Ursachen und nach den Konsequenzen, die die Änderungen brachten, in den Darstellungen aber bezeichnenderweise nur insofern thematisiert, als sie ausschließlich als Lösung eines strukturellen Problems präsentiert werden. Das wird aber von Berichten, die sich auf Zustände in späterer Zeit beziehen oder in anderen Kontexten stehen, immer wieder anders dargestellt. Dazu kommt, dass die Änderungen auch in den antiken Quellen nie systematisch in die neu entstandenen Strukturen eingeordnet werden. Vielmehr werden sie eher Gattungstraditionen untergeordnet und entkontextualisiert, so dass die strukturellen Zusammenhänge und die Auswirkungen erst rekonstruiert werden müssen.

193 Unter Caligula wurde 38/39 n. Chr. noch einmal versucht, diese Entwicklung rückgängig zu machen (vgl. Cass. Dio 59,20,3–5). 194 Vell. Pat. 2,124,3 [übers. n. F. W. sHiPlEy]. Zur Verlegung der Magistratswahlen siehe a. J. WoodMan (HG.), Velleius Paterculus. The Tiberian Narrative (2.94–131), Cambridge 1977, 225 ff. u. 237 f. Insgesamt: Vell. Pat. 2,124–126, bes. 126,4: (…) honor dignis paratissimus, poena in malos sera, sed aliqua: superatur aequitate gratia, ambitio virtute; nam facere recte civis suos princeps optimus faciendo docet, cumque sit imperio maximus, exemplo maior est. 195 Vgl. W. K. lacEy, Nominatio and the Elections under Tiberius, in: Historia 12 (1963), 167–176, 171.

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Interpretationsangebote zu den Magistratswahlen in der althistorischen Forschung Interpretationsangebote ergeben sich aus althistorischen Studien, in denen seit einigen Jahren die politischen Strukturen der römischen Republik neu diskutiert werden. Zumindest mittelbar sind diese Untersuchungen auch für die Wahlpraxis der frühen Kaiserzeit nutzbar. FlaiG ließ sich von der Beobachtung leiten, dass die verschiedenen Volksversammlungen in der Republik den Anträgen, die die Magistrate einbrachten, fast ausnahmslos zustimmten. Dass die Beispiele, in denen genau das nicht der Fall war, in der Überlieferung so ausführlich geschildert werden, deutet darauf hin, dass sie als Abweichungen von der üblichen Praxis wahrgenommen wurden. Diese zur Norm gewordene Praxis, so argumentiert Flaig, sei es gewesen, den eingebrachten Anträgen zuzustimmen.196 Darüber hinaus wurde gerade auch das aufwändige Abstimmungsverfahren in den comitia centuriata wiederholt so gedeutet, dass damit ein bestehender Konsens oder ein möglicher Dissens ,unsichtbar‘ gemacht worden sei. Das ritualisierte Verfahren wurde regelmäßig für beendet erklärt, sobald man die notwendige Mehrheit der Stimmkörper erreicht hatte. Dass die neu gewählten Consuln später als omnibus centuriis gewählt ausgerufen wurden, nahm man offenbar nicht als Widerspruch wahr. Diese Praxis, so M. JEHnE, habe nicht dem Entscheidungsfindungsprozess an sich, sondern allein der Betonung des Ergebnisses gegolten.197 Außerdem schufen die Magistratswahlen durch das Volk, nach E. FlaiG und K.-J. HölKEsKaMP, ein – zumindest idealiter – neutrales Feld für die jedes Jahr neu belebte Konkurrenz innerhalb der Aristokratie. Damit erhielt die Aristokratie die Konsensfähigkeit aufrecht, die im Senat für politische Entscheidungen benötigt wurde. Dadurch, dass die inneraristokratische Konkurrenz in dieser Form kanalisiert wurde, habe die Aristokratie dann nach außen die Homogenität und Geschlossenheit demonstrieren können, die für die Akzeptanz ihrer Beschlüsse unverzichtbar waren.198 Solche Fragestellungen sind auf die Kaiserzeit bisher nur vereinzelt angewandt worden. So hat sich Flaig beispielsweise auch damit beschäftigt, wie sich strukturelle Veränderungen in der frühen Kaiserzeit auf etablierte aristokratische Kommunikationsformen auswirkten. Dabei geht er davon aus, dass die Aristokratie des Principats auf die monarchischen Strukturen systembedingt angewiesen gewesen sei, weil deren gesellschaftliche Position, die vom inneren Zusammenhalt und der aristokratischen Solidarität abhängig war, anders kaum hätte bewahrt werden 196 Vgl. FlaiG, Ritualisierte Politik, 167; 185. Zur Interpretation der Funktion der Volksversammlung in der angelsächsischen Forschung grundlegend Millar, The Crowd in Rome. 197 Dazu JEHnE, Integrationsrituale; HölKEsKaMP, Konsens und Konkurrenz, 383. 198 Vgl. FlaiG, Ritualisierte Politik, 165 f.: „Hätten die Senatoren selbst die Neuzugänge kooptieren müssen, dann wären darüber im Senat regelmäßig schwere Kämpfe ausgebrochen. Die Feindschaften hätten sich ins Unerträgliche gesteigert, und der Senat wäre dauerhaft handlungsunfähig gewesen. (…) Darum blieb der Mechanismus der personellen Selektion aus dem Senat ausgelagert.“ (Zit. 166). Vgl. dazu außerdem HölKEsKaMP, Konsens und Konkurrenz, 375.

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können.199 Die in den Senat verlegten Magistratswahlen, so Flaig, machten diesen strukturellen Zusammenhang nicht nur sichtbar, sondern forcierten ihn durch die verstärkte Abhängigkeit vom Princeps zusätzlich. Dass die kaiserzeitliche Aristokratie den inneren Zusammenhalt als Gruppe nicht allein habe wahren können, führt Flaig auf drei maßgebliche Faktoren zurück: Erstens habe sich das Feld inneraristokratischer Konkurrenz in der frühen Kaiserzeit verschoben. Zweitens habe sich der senatorische Habitus verändert. Und drittens habe sich der Senat als Gremium grundlegend gewandelt.200 Wenn man die Überlegungen Hölkeskamps und Flaigs zu Grunde legt, stellte es also insgesamt einen wichtigen Einschnitt dar, die Magistratswahlen in den Senat zu verlegen. Denn auf diese Weise wurde der permanente inneraristokratische Konkurrenzkampf anstatt in den Volksversammlungen in der Kurie ausgetragen.201 Problematisch war das, weil damit traditionelle Kommunikationsmechanismen und etablierte Formen der Entscheidungsfindung, die darauf ausgerichtet waren, dass sich ein Entgegenkommen in der aktuellen Situation im Hinblick auf zukünftige Entscheidungen durchaus lohnte,202 auf einen Wettkampf stießen, der durch Patronagesystem und Kandidatenüberschuss forciert war. Die Formen der senatorischen Entscheidungsfindung folgten aber Regeln, die den persönlichen Erfolg Einzelner in den Vordergrund stellten. Entscheidend ist bei der Änderung der Wahlpraxis nun, Hölkeskamp und Flaig folgend, dass dadurch die eingespielten Verhandlungsmuster im Senat unterlaufen wurden. Kommunikationsformen, die auf den Wettbewerb ausgerichtet waren, mussten damit in konsensorientierte integriert werden. Das wiederum habe weitreichende Folgen gehabt und sei langfristig zu einem ernsthaften Problem geworden. Von der Aristokratie als Wertekonflikt objektiviert, waren, so Flaig, Standesethos und Standesverhalten nicht mehr miteinander zu vereinbaren, so dass man davon ausgehen könne, dass sich genau diese Folgen in der frühen Kaiserzeit beobachten lassen.203 Etablierte senatorische Verhaltensmuster und Formen der Entscheidungsfindung konnten demzufolge der neu entstandenen Situation im Senat nicht mehr gerecht werden, vielmehr erschwerten sie die Fähigkeit zur Entscheidungsfindung sogar. Um das aufzuheben, sieht Flaig theoretisch zwei Möglichkeiten: Man hätte das Auswahlverfahren so ändern müssen, dass die Empfehlung (commendatio) des 199 Dazu FlaiG, Kaiser, 107. 200 Vgl. EBd., 108 ff. 201 „Die Senatoren mußten nicht mehr darum ringen, ihre Klienten und ihren Anhang bei der Plebs auszuweiten oder zu bewahren. Sie benötigte diesen nichtaristokratischen Anhang nicht mehr, um Wahlschlachten zu gewinnen. (…) Doch solange die Selektion sowohl der Neuzugänge wie der Aufsteiger in die nächste Rangklasse einem Mechanismus überlassen blieb, der außerhalb der honorigen Körperschaft lag, hielt sich das Gremium Senat weitgehend frei von erbitterten Konfrontationen, obschon die Senatoren sich im selektiven Prozeß engagierten.“ (FlaiG, Kaiser, 108 f.) So argumentiert für die republikanische Zeit, im Anschluss an theoretische Überlegungen von G. Simmel, auch K.-J. HölKEsKaMP, Rekonstruktionen einer Republik. Die politische Kultur des antiken Rom und die Forschung der letzten Jahrzehnte, München 2004, 85 ff.; so auch tiMMEr, Altersgrenzen, 305 f. 202 Vgl. dazu genauer Kap. 2.2 / S. 45 f. 203 Dazu FlaiG, Kaiser, 109–113.

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Kaisers die aristokratische Konkurrenzsituation auflöst. Auf diese Weise hätte der Senat in der Angelegenheit nicht mehr entscheiden müssen. Die Entscheidungsfähigkeit wäre also nicht immer wieder an die Grenzen gekommen.204 Man hätte aber auch das Wahlverfahren der unmittelbaren Kontrolle der Senatsaristokratie entziehen können, indem man geheime Wahlen einführt. Da aber letztlich beide Verfahren den Kommunikationsformen und der spezifischen Funktion des Senatsverfahrens widersprochen hätten, sei die beschriebene Situation im Principat immer wieder aufs Neue provoziert worden.205 Trotz der Perspektiven, die ein solcher Erklärungsansatz aufzeigt, birgt er allerdings Probleme. Zunächst scheint er der Einschätzung antiker Autoren zu widersprechen, die die Verlegung der Magistratswahlen in den Senat nicht nur positiv werten, sondern außerdem implizieren, dass die Änderungen in tiberischer Zeit das Ende der ruinösen Wahlpraxis bedeuteten. Einen Zusammenhang zwischen dem neuen Ort, an dem die aristokratische Konkurrenz ausgetragen wurde, und der inneren Zerrissenheit als Gruppe stellen sie nicht explizit her. Trotzdem bezieht der Erklärungsansatz ein zentrales Merkmal zeitgenössischer Strukturen ein. Denn in aristokratischen Diskussionen findet sich Entscheidungsunfähigkeit – wenn auch erst einmal ohne offensichtlichen Bezug zu den Wahlen – durchaus widergespiegelt. Im Anschluss daran wirft Flaig letztlich nur theoretisch, ohne die Diskussionen gerade auch in unmittelbar zeitgenössischen Quellen zu rekonstruieren, die Frage auf, wie man in der frühen Kaiserzeit auf die neu geschaffenen Strukturen reagierte, also, ob man auf instrumenteller Ebene entsprechende institutionelle Mittel entwickelte. Die Frage ist, ob sich solche Zusammenhänge, die hier im Wesentlichen auf der Grundlage theoretischer Überlegungen hergestellt wurden, auf Grundlage der Quellen rekonstruieren lassen. Insgesamt bietet sich ein Erklärungsansatz, der den senatorischen Kommunikationsmechanismen umfassend Rechnung trägt. Die Unsicherheit über die Angemessenheit der Kommunikationsformen, die oft nur diffus artikuliert wird, lässt sich damit einordnen und wird als Reaktion auf einen zunehmenden Ausdifferenzierungsprozess monarchischer Strukturen interpretierbar. Für die Mechanismen politischer Verfahren ergibt sich die Frage, inwiefern das konkret in Veränderungen politischer Strukuren angelegt ist. Zu klären ist damit auch, wie innerhalb solcher Strukturen die Entscheidungssicherheit, die zur Disposition gestellt wurde, gewährleistet oder aufrecht erhalten werden konnte. Konkret wird nicht nur zu diskutieren sein, welche Konsequenzen die Verlegung der Wahlen in den Senat hatte, sondern auch, ob sich die Veränderungen so deutlich an dem Jahr 14 n. Chr. festmachen lassen, wie es die literarische Überlieferung suggeriert.

204 Dazu auch MoMMsEn, StR 2.2, 915 ff. 205 Vgl. FlaiG, Kaiser, 113 f.

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Republikanische und kaiserzeitliche Diskussionen über den aristokratischen Wettbewerb In seinem positiven Urteil über die Verlegung der Magistratswahlen stellt Tacitus eine Verbindung her, die in aristokratischen Diskursen seit der späten Republik dominierend ist: neque provinciae illum rerum statum abnuebant, suspecto senatus populique imperio ob certa­ mina potentium et avaritiam magistratuum, invalido legum auxilio, quae vi ambitu, postremo pecunia turbabantur. „Auch die Provinzen waren jener Ordnung der Dinge nicht abgeneigt. Verleidet war ihnen Senats- und Volksherrschaft wegen der Machtkämpfe der führenden Männer und der Habsucht der Beamten; schwach war der Schutz der Gesetze, die durch Eigenmächtigkeit, politische Umtriebe, vor allem durch Bestechung unwirksam gemacht wurden.“206

Die Vergleichsebene ist damit klar: Die Reformen – auch wenn sie nicht explizit als solche bezeichnet werden – reagieren auf Missstände, die maßgeblich für den Verfall der politischen Kultur in der späten Republik verantwortlich gemacht werden.207 Die ersten gesetzlichen Regelungen, die sich mit einer als ambitus bezeichneten Praxis beschäftigen, lassen sich ab 181 v. Chr. greifen. Sie stehen in engem zeitlichen und wohl auch inhaltlichen Zusammenhang mit Maßnahmen, von denen für die Zeit ab Beginn des zweiten Jahrhunderts v. Chr. überliefert ist, dass sie die Regeln und Bedingungen für die Wahl der Amtsträger in einem verstärkten aristokratischen Konkurrenzkampf in Gesetzesform fixiert hätten.208 Intensivierte Bemühungen, den aristokratischen Wahlkampf zu reglementieren, datieren aber erst mit der lex Cornelia de ambitu in das Jahr 81 v. Chr. Diese sah vor, ambitus mit einem zehnjährigen Verbot, sich um Ämter zu bewerben, zu bestrafen. Die lex Calpurnia (67 v. Chr.) verschärfte und präzisierte solche Sanktionen dann noch weiter. Danach sollte der Betroffene aller Ämter enthoben werden und durfte sich außerdem lebenslang nicht mehr bewerben. Der Ankläger, falls er vorher selbst wegen des gleichen Vergehens belangt worden sein sollte, profitierte zusätzlich von der Anklage, weil er so seine früheren Rechte wiedererlangte. Die von Cicero durchgesetzte lex Tullia (63 v. Chr.) regelte, dass die Kandidaten zwei Jahre vor der Wahl keine Gladiatorenspiele mehr organisieren durften. Außerdem drohte dem Angeklagten ein 206 Tac. ann. 1,2,2 [übers. v. E. HEllEr]. 207 Einen Überblick zum Thema „Niedergang“ und „Dekadenz“ gibt a. W. lintott, Imperial Expansion and Moral Decline in the Roman Republic, in: Historia 21 (1972), 626–638. Gegen einen Zusammenhang der Tabellargesetze zum ambitus argumentiert c. lundGrEEn, Geheim(nisvoll)e Abstimmung in Rom. Die leges tabellariae und ihre Konsequenzen für die Comitien und die res publica, in: Historia 58 (2009), 36–70, 54 f. (vs. beispielsweise yaKoBson, Elections, 147; J. lindErsKi, Buying the Vote. Electoral Corruption in the Late Republic, in: AncW 11 (1988), 87–94, 91). Die genaue Argumentation ist für diesen Zusammenhang allerdings unerheblich, weil hier die Verknüpfungen relevant sind, die in den Quellen der Kaiserzeit hergestellt werden, und nicht der ursprüngliche Kontext. 208 Vgl. a. W. lintott, Electoral Bribery in the Roman Republic, in: JRS 80 (1990), 1–16, 5; M. JEHnE, Geheime Abstimmung und Bindungswesen in der römischen Republik, in: HZ 257 (1993), 593–613, bes. 606; dErs., Beeinflussung von Entscheidungen, 56.

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zehnjähriges Exil und den Austeilern von Bestechungsgeldern (divisores) Strafen. Nur acht Jahre später – weitere Gesetzesanträge sind in der Überlieferung zwar greifbar, aber gescheitert – beschloss man, mit der lex Licinia de sodalitatibus die Sanktionen noch einmal zu verschärfen. Das letzte Gesetz, das aus republikanischer Zeit überliefert ist, setzte Pompeius 52 v. Chr. durch.209 Auffällig ist, wie zeitnah die Gesetze zu Reglementierungsversuchen öffentlicher Gewalt eingebracht wurden. Außerdem ist bei einer solchen verdichteten Gesetzgebungstätigkeit auffällig, dass nirgendwo deutlich wird, ob und wie das Verhalten, das jeweils als ambitus galt oder gelten sollte, inhaltlich konkret bestimmt war, obwohl man mit den Gesetzen versuchte, den aristokratischen Wettbewerb in der späten Republik zu formalisieren.210 Was genau ambitus innerhalb der politischen Strukturen der römischen Republik meinte und was die Gesetzgebung reflektierte, lässt sich nicht beantworten, wenn man nur auf die rechtliche Dimension des Phänomens blickt. Definiert wurde es in der Praxis üblicherweise aus der jeweiligen Situation heraus.211 Als fester Bestandteil eines Dekadenz- und Niedergangsdiskurses lieferte die Praxis den Zeitgenossen Erklärungsmuster für die wahrgenommenen Krisensymptome der späten Republik. Auch wenn der Begriff ambivalent blieb, wurde ambitus erst in dieser Verortung zu dem emotional aufgeladenen Begriff, als welche die Praxis in den spätrepublikanischen und kaiserzeitlichen Quellen greifbar wird. Ihre Bedeutung bekommt sie, weil sie wesentlich für den Ausbruch der Bürgerkriege verantwortlich gemacht wird.212 Diese Einschätzung, ein gefährlich destabilisierender Faktor der politischen Ordnung zu sein, ist schon in den republikanischen Quellen angelegt. In einer solchen pejorativen Verwendung folgen ihr zum Beispiel Cicero und der Autor des Commentariolum Petitionis.213 Mit dem Commentariolum Petitionis bekommt man einen unmittelbareren Einblick in die politische Praxis als es durch die Gesetzgebungstätigkeit möglich ist, weil der Autor den Begriff in seinen Schriften schärft: Demnach meine ambitus die Sorge um die Anhänger- und Wählerschaft, die in der Tradition verankert ist. Der Begriff beschreibe ehrenhaftes Verhalten. Das Gegenteil gelte aber, sobald die Art, wie der Wahlkampf geführt

209 Vgl. dazu P. nadiG, Ardet ambitus. Untersuchungen zum Phänomen der Wahlbestechungen in der römischen Republik, Frankfurt a. M. 1997, 31–71; lintott, Electoral Bribery, 4–10. 210 Vgl. lintott, Electoral Bribery, 2 f.; W. scHullEr, Ambitus. Einige neue Gesichtspunkte, in: Hyperboreus 6 (2000), 349–361, 352 u. 359. 211 Vgl. z. B. lundGrEEn, Geheim(nisvoll)e Abstimmung, 54. 212 Vgl. etwa Sall. Catil. 10,1–3 u. 6–11; Iug. 41; hist. 1, fr. 13. Für kaiserzeitliche Deutungen vgl. z. B. Lucan. 1,160–182, bes. 1,178 ff.: hinc rapti fasces pretio sectorque favoris / ipse sui populus letalisque ambitus urbi, / annua venali referens certamina Campo / hinc usura vorax avidumque in tempora fenus / et concussa fides et multis utile bellum. Flor. epit. 1,47,11–13: iam ut speciosiora vitia tangamus, nonne ambitus honorum ab isdem divitiis concitatus? atqui inde Mariana, inde Sullana tempestas. aut magnificus apparatus conviviorum et sumptuosa largitio non ab opulentia paritura mox egestatem? Plut. Mar. 5,3–6; Plut. Sulla 5,2; Tac. ann. 1,2. Dazu lintott, Imperial Expansion, 626–638; dErs., Electoral Bribery, 2 f. 213 Zum Commentariolum als Quelle ausführlicher JEHnE, Bestechung, 59 f.

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wird, dafür sorge, dass etablierte Strukturen des Klientelwesens unterlaufen würden.214 Ausgehend von dem Befund, wonach ambitus im ersten Jahrhundert v. Chr. als dysfunktionales Element innerhalb der politischen Strukturen wahrgenommen wurde, wurde in den letzten Jahren überzeugend aufgezeigt, wie sinnvoll es ist, das Phänomen als Ausdruck von Klientelbeziehungen zu verstehen, die immer unübersichtlicher und schwerer kontrollierbar geworden waren. Erst in den Strukturen der späten Republik verlor die Praxis, die um den Terminus ambitus kreist, ihre ursprüngliche Funktionalität. Damit wurden im Zuge dieses Ausdifferenzierungsprozesses schließlich die Formen des Wahlverfahrens selbst zur Disposition gestellt.215 Obwohl in der Forschung für die frühe Kaiserzeit in der Regel ein andauernder aristokratischer Wettbewerb konstatiert wird, geht man trotzdem oft davon aus, dass der Wahlkampf entscheidend entschärft wurde, weil die Magistratswahlen in den Senat verlegt wurden und außerdem die Kaiser die Consuln bestimmt hätten.216 Um die kaiserzeitliche Wahlpraxis bewerten zu können, wären vergleichbare Detailstudien, wie es sie zu den republikanischen Strukturen gibt, sicher hilfreich. Dass diese weitgehend fehlen, dürfte auch hier darauf zurückzuführen sein, dass der Kaiser als der entscheidende Akteur wahrgenommen wird und außerdem die Quellenlage recht dünn ist.217 Wenn man untersucht, wie in der frühen Kaiserzeit über den senatorischen Alltag reflektiert und welche Rolle der Bewerbung um die magistratischen Ämter darin beigemessen wurde, erscheint der Quellenbefund nicht ganz eindeutig. Zwei zentrale Merkmale lassen sich hervorheben: Erstens liefern die kaiserzeitlichen Autoren konkrete Hinweise darauf, dass Wahlkämpfe weiterhin stattfanden und immer 214 V. a. Comm. Pet. 14,55; 5,18; 8,32. Vgl. lintott, Electoral Bribery, 11; a. yaKoBson, Secret Ballot and its Effects in the Late Roman Republic, in: Hermes 123 (1995), 426–442, 440. 215 Einhellig diesbezüglich M. JEHnE, Beeinflussung von Entscheidungen durch „Bestechung“; dErs., Geheime Abstimmung, bes. 611, 613; yaKoBson, Secret Ballot, 437 f.; lintott, Electoral Bribery, bes. 14–16, Zit. 14: „When ambitus begins to be recorded in the early second century, it is as a disruptive intrusion for those who have the established power, but for the electorate itself it was not only profitable but liberating, as it created the assumption that their votes were on the open market. Among the majority of politicians, however, there remained a distinction between the legitimate cultivation of connections and the subversive raiding by means of largitiones of votes which had belonged to others. (…) By the late Republic the succession of Leges de ambitu suggests a sudden concern in the face of a change in bribery both quantitative and qualitative. The organization which had developed gave candidates the impression that their success lay in the hands of the tribes’ agents. Bribery had become institutionalized, the money disbursed an expected pay-off rather than a piece of voluntary, if calculated, generosity. At the same time the sums required mounted enormously.“ Zusammenfassend scHullEr, Ambitus. 216 Vgl. dazu auch die Einschätzung, die Cassius Dio Maecenas formulieren lässt: αὐτὸς μέντοι σὺ πάντας αὐτοὺς αἱροῦ, καὶ μήτε ἐπὶ τῷ πλήθει ἢ καὶ τῷ δήμῳ ἔτι τινὰ αὐτῶν ποιήσῃ, στασιάσουσι γάρ, μήτε ἐπὶ τῷ συνεδρίῳ, διασπουδάσονται γάρ. μὴ μέντοι καὶ τὰς δυνάμεις σφῶν τὰς ἀρχαίας τηρήσῃς, ἵνα μὴ τὰ αὐτὰ αὖθις γένηται, ἀλλὰ τὴν μὲν τιμὴν φύλαξον, τῆς δ’ ἰσχύος παράλυσοω τοσοῦτον ὅσον μήτε τοῦ ἀξιώματός τι αὐτῶν ἀφαιρήσει καὶ τοῖς νεωτερίσαι τι ἐθελήσουσι μὴ ἐπιτρέψει (Cass. Dio 52,20,3). 217 Exemplarisch nachzulesen z. B. bei E. s. staVElEy, Greek and Roman Voting and Elections, London 1972, 117–127.

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wieder Konflikte auslösten. Diese machten dann Eingriffe der Kaiser notwendig, weil von senatorischer Seite die Konflikte nicht anders gelöst werden konnten.218 Praktiken, die sich in der lateinischen Terminologie negativ konnotiert als ambitus manifestieren, erscheinen mit der Verlegung der Magistratswahlen nicht belanglos. Im Senat erhielten sie einen neuen Ort – und damit auch neue Spielregeln. Zweitens weisen die Reflexionen über die Wahlkampfpraxis eine auffällige Struktur auf: Oft werden diese nämlich über intertextuelle Bezüge zu republikanischen Schriften thematisiert. Daran lässt sich zeigen, wie nachhaltig die Regeln senatorischer Kommunikation und Entscheidungsfindung von dem Wissen (oder von dem vermeintlichen Wissen) um die republikanischen Formen beeinflusst waren. Grundsätzlich sind zunächst die Wahlen der verschiedenen Ämter voneinander zu unterscheiden:219 Für die Consulwahlen wird üblicherweise angenommen, dass sie in besonderer Weise von kaiserlichen suffragationes geprägt und damit weitgehend ausgenommen waren von den ansonsten üblichen Formen, Kandidaten zu bestimmen. Allerdings ist das keine zwingende Konsequenz aus der kaiserlichen Position, da die Wahlen schließlich unter Tiberius insgesamt keinem regelhaften Verlauf folgten.220 Mit einer Selbstverständlichkeit, die eine entsprechende Regelmäßigkeit nahe legt, erscheint die kaiserliche Empfehlung (suffragatio) in den Quellen erst ab neronischer Zeit.221 Solche Verhältnisse werden durch Aussagen Senecas bestätigt. Er stellt fest, dass die Beförderungsmechanismen über den cursus honorum vom Princeps abhängig seien. Der Kaiser steht im Zentrum eines Austausches von Gefälligkeiten, der die soziale Realität entscheidend strukturiert: hoc mihi praestitit, sed illi plus, sed illi maturius (…).222 Als positives Beispiel erstrebenswerter Großzügigkeit erscheint er als klarer Bezugspunkt. In einem Gemeinwesen, das durch gegenseitige Verpflichtungen organisiert ist, unterstützt er in seiner ordnenden Funktion entweder einzelne Senatoren finanziell, begnadigt sie oder vergibt Ämter.223 Selbst wenn der Kaiser, ähnlich wie etwa in De clementia, noch innerhalb aristokratischer Wertvorstellungen verortet wird, ist er immer deren Zentrum. Die Erfahrungen der kaiserzeitlichen Realität werden auf diese Weise in einem theoretischen Entwurf 218 Vgl. Tac. ann. 1,81; 2,36; 2,51; 15,19 f.; Plin. epist. 3,20. Für Belege zu den Eingriffen der Kaiser s. Kap. 3.2.1 / Anm. 226. 219 Vgl. zum Folgenden die grundlegende Darstellung bei MoMMsEn, StR 2.2, 915–927. 220 Tac. ann. 1,81. In diesem Sinn auch MoMMsEn, StR 2.2, 924. 221 consul cum Titiano fratre in kalendas Martias ipse; proximos mensis Verginio destinat ut ali­ quod exercitui Germanico delenimentum (…) (Tac. hist. 1,77,2). ut Valenti et Caecinae vacuos honoris mensis aperiret, coartati aliorum consulatus, dissimulatus Marci Macri tamquam Othonianarum partium ducis; et Valerium Marinum destinatum a Galba consulem distulit (…) (Tac. hist. 2,71,2). Plin. paneg. 92 u. 72; Cass. Dio 66,2; 67,4; Plin. paneg. 77. Mommsen (StR 2.2., 924 f.) datiert die Veränderungen, unter Verweis auf die Formulierung in der lex de imperio Vespasiani (CIL 6,930=ILS 244), in neronische Zeit. Dass die Kaiser die Consulwahl bestimmten, belegt auch der weitere Sprachgebrauch. Siehe beispielsweise Tac. hist. 4,47: abrogati (…) consulatus quos Vitellius dederat (…). Plin. paneg. 77,8: facturus consules doceat (…). Plin. epist. 3,7,9: (…) utque novissimus a Nerone factus est consul, ita postremus ex omnibus, quos Nero consules fecerat, decessit. 222 Siehe Sen. benef. 2,28,1. 223 Siehe z. B. Sen. benef. 1,15,6. Vgl. GriFFin, De Beneficiis, 106 für weitere Belege.

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mit aristokratischen Idealvorstellungen zusammengebracht. Der Princeps wird in seiner ordnenden Funktion integrierbar und integriert.224 Gleichzeitig bedeutet das nicht zwangsläufig, dass in der Praxis alles vom Kaiser bestimmt war und die Konkurrenz um die Ämter wegfiel. Für die Wahl zu den niedrigeren Ämtern lassen sich leider nur wenige sichere Aussagen treffen, weil die Quellen in dieser Hinsicht deutlich weniger Schlüsse zulassen. Die Bezeichnung als candidatus Caesaris markiert zwar die besondere Ehrenstellung eines Amtsbewerbers und hebt ihn aus dem Bewerberfeld heraus; die Differenzierung weist aber darauf hin, dass es daneben auch noch andere Bewerber um die Ämter gab.225 Neben den belegbaren Konflikten, die sich bei den Magistratswahlen im Senat immer wieder ergaben, liefern die Eingriffe der Kaiser die deutlichsten Anhaltspunkte dafür, dass sich die Verlegung in den Senat nicht zwangsläufig stabilisierend auswirkte. Insbesondere bei den Wahlen zu den hohen Ämtern ergaben sich immer wieder Situationen, die letztlich nur durch das Eingreifen der Kaiser entschärft werden konnten. Im Jahr 56 soll sich Nero gezwungen gesehen haben, in die Praetorenwahlen einzugreifen, da im Senat ein so heftiger Wahlkampf (acriore ambitu) entbrannt sei, dass eine Wahl unmöglich schien. Nero löste den Konflikt, indem er die überzähligen Bewerber um die Praetorenstellen zu Legionslegaten ernannte.226 Dass mit der Verlegung der Magistratswahlen das Miteinander nicht unbedingt harmonisch wurde und Entscheidungssicherheit im Senat gewährleistet war, deutet auch Tacitus an: Die Wahlkämpfe fanden einen neuen Ort und mussten nun in den Senat und dessen spezifische Kommunikationsmechanismen integriert werden. Die Berichte über die Verlegung der Magistratswahlen werden relativiert, wenn man einbezieht, was insgesamt aus tiberischer Zeit berichtet wird. Diese ist entscheidend von einer Unsicherheit geprägt, die der Kaiser forciert habe. In diese Richtung zielen auch Berichte, wonach Tiberius den Senat bei den Wahlen bewusst sich selbst überlassen habe. Wichtig ist die Verbindung, die Tacitus in diesem Zusammenhang explizit zwischen den Konflikten im Senat und der kaiserlichen Position herstellt. Denn Tiberius soll Eingriffe bei Konflikten und Vorschläge, die der Entscheidungsunsicherheit mit der Formulierung klarer Regeln begegnete, abgelehnt haben, um 224 So auch GriFFin, De beneficiis, 110. So auch, wenngleich die Wahlempfehlung (ebenfalls als suffragium bezeichnet) offenbar nicht den Erwartungen entsprach, Tac. ann. 1,81; 3,19. Vergleichbar auch z. B. Sen. epist. 8,6. Zur Rolle, die dem Kaiser von Seneca in diesem System zugewiesen wird, GriFFin, De Beneficiis, bes. 106 ff.; FlaiG, Majestätsprozeß, 23–52. 225 Zuerst bei Vell. Pat. 2,124: quo tempore mihi fratrique meo candidatis Caesaris (…) destinari praetoribus contigit consecutis, ut neque post nos quemquam divus Augustus neque ante nos Caesar commendaret Tiberius. So auch Quint. inst. 6,3,62. Vgl. MoMMsEn, StR 2.2, 926 f. 226 Tac. ann. 14,28,1: comitia praetorum arbitrio senatus haberi solita, quoniam acriore ambitu exarserant, princeps composuit, tris, qui supra numerum petebant, legioni praeficiendo. FrEistolBa, Untersuchungen, 107, 159 f.; Millar, Emperor, 302. Eingriffe von Seiten der Kaiser oder Aufforderungen an den Kaiser, einzugreifen, finden sich als Reaktion auf die Wahlkämpfe immer wieder, siehe Cass. Dio 55,34 (in dem Fall vor der Verlegung der Wahlen); Suet. Tib. 42; Tac. ann. 3,32; 13,29; Tac. hist. 3,55,2; Plin. epist. 6,19. Eingriffe der Kaiser, die aber offenbar nicht auf brisante Situationen reagierten, sind z. B. belegt bei: Tac. ann. 2,28,2; Suet. Aug. 36 ff.; 56; Suet. Claud. 40,2. Welche Sicherheit der Kaiser damit vermittelte, belegt auch Plinius: Plin. epist. 69,1. Siehe darauf aufbauend die Forschung, die sich mit der Rolle des Princeps in der Wahlpraxis der frühen Kaiserzeit beschäftigt: wie Kap. 3.2.2 / Anm. 189.

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die „geheimen Grundlagen seiner Alleinherrschaft“ nicht zu gefährden.227 Dass die Wahlumtriebe auch weiterhin ein zentrales Problem darstellten und es kein klar geregeltes Verfahren für die Wahl der Magistrate gab, berichtet Tacitus: de comitiis consularibus, quae tum primum illo principe ac deinceps fuere, vix quicquam firmare ausim: adeo diversa non modo apud auctores, sed in ipsius orationibus reperiuntur. modo subtractis candidatorum nominibus originem cuiusque et vitam et stipendia descripsit, ut qui forent intellegeretur; aliquando ea quoque significatione subtracta candidatos hortatus, ne ambitu comitia turbarent, suam ad id curam pollicitus est; plerumque eos tantum apud se professos disseruit, quorum nomina consulibus edidisset; posse et alios profiteri, si gratiae aut meritis confiderent: speciosa verbis, re inania aut subdola, quantoque maiore libertatis imagine tegebantur, tanto eruptura ad infensius servitium. „Über die Konsulwahlen, wie sie jetzt erstmals unter diesem Kaiser und dann weiterhin stattfanden, möchte ich kaum etwas mit Sicherheit zu behaupten wagen: so viele Widersprüche finden sich nicht nur in den Quellenschriftstellern, sondern in seinen eigenen Reden. Bald ließ er die Namen der Kandidaten weg und machte nur Angaben über eines jeden Herkunft, Lebenslauf und Kriegsdienst, um erraten zu lassen, wer sie seien; ein andermal unterließ er auch diese Kennzeichnung, mahnte die Kandidaten, nicht durch Umtriebe die Wahlen zu stören, und versprach, sein persönliches Augenmerk darauf zu richten; meistens erklärte er, nur die Leute hätten sich bei ihm gemeldet, deren Namen er den Konsuln angegeben habe; es könnten sich auch andere melden, wenn sie zu ihrer Beliebtheit oder ihren Verdiensten Zutrauen hätten: es waren Äußerungen, wohlklingend durch schöne Worte, in Wahrheit wertlos oder heimtückisch, und sie sollten, je größer das Trugbild der Freiheit war, in das sie sich hüllten, ausschlagen in eine um so drückendere Knechtschaft.“228

Eine solche Bewertung ist nicht an die tiberische Zeit gebunden, sondern findet sich auch über die Zeit hinaus. Sie wird durch Quellen bestätigt, die einen unmittelbaren Einblick in den aristokratischen Alltag des ersten Jahrhunderts geben. Organisiert ist dieser Alltag im Kern um die Gerichtstätigkeit und die ständigen Wahlkämpfe, worin Briefe des jüngeren Plinius einen guten Einblick geben.229 Auch Seneca hebt diese Themen als zentrale Charakteristika aristokratischer Tätigkeit hervor. In seinen Briefen stellt er deren Sinn in Frage: Er sieht sie in scharfem Kontrast zu philosophischen Idealen und zweifelt, ob darin die Erfüllung zu finden sei. Entsprechend lehnt er solche Tätigkeiten auch ausdrücklich ab. Orientiert an stoischen Idealen ehrenvoller Lebensführung versteht er seine Konzeption als möglichen Gegenentwurf zu den Dynamiken aristokratischen Verhaltens.230 227 Tac. ann. 2,36: haud dubium erat eam sententiam altius penetrare et arcana imperii temptari. Tac. ann. 2,51: de praetore in locum Vipstani Galli, quem mors abstulerat, subrogando certa­ men incessit. (…) laetabatur Tiberius, cum inter filios eius et lege senatus disceptaret. 228 Tac. ann. 1,81 [übers. v. E. HEllEr (Hervorhebungen S. B.)]. 229 Etwa Plin. epist. 1,12,12; 2,1,8; 2,9; 4,17,6; 9,13,6. 230 si haec mecum, si haec cum posteris loquor, non videor tibi plus prodesse quam cum ad vadi­ monium advocatus descenderem aut tabulis testamenti anulum inprimerem aut in senatu can­ didato vocem et manum commodarem? mihi crede, qui nihil agere videntur maiora agunt; hu­ mana divinaque simul tractant (Sen. epist. 1,8,6). Vgl. t. n. HaBinEK, The Politics of Latin Literature. Writing, Identity, and Empire in Ancient Rome, Princeton/Oxford 1998, 137–150; GriFFin, De Beneficiis. Dass der im Principat von der Oberschicht reflektierte Stoizismus solche Fragen zwar aufwarf, die Antworten darauf aber trotz gleicher philosophischer Grundlagen sehr unterschiedlich ausfallen konnten und für die Adaption stoischer Gedanken in der frühen Kaiserzeit durchaus charakteristisch waren, zeigt P. Brunt auf: vgl. Brunt, Stoicism, 8 ff.

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3. Bedingungen senatorischer Kommunikation

Dieser Gedanke leitet auch weitere Reflexionen Senecas über die Eitelkeit des permanenten Bemühens, seinen Platz innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchien zu definieren. Durch die expliziten intertextuellen Bezüge führt er gewissermaßen einen fiktiven Dialog mit Cicero. Das literarische Ich wendet sich im Brief 118 von dem aristokratischen Wettbewerb ab, der in seiner Allgegenwärtigkeit ermüdend erscheint und der in den Wahlen sein institutionalisiertes Zentrum findet. Für die Suche nach erfüllender Glückseligkeit bieten ihm solche permanenten Anstrengungen keinen sinnstiftenden Halt:231 quanti animi res est solum nihil petere, nulli supplicare, et dicere: ‚nihil mihi tecum, fortuna. non facio mei tibi copiam. scio apud te Catones repelli, Vatinios fieri. nihil rogo.‘ hoc est pri­ vatam facere fortunam. „Welch eines bedeutenden Mannes Verhalten ist es, allein nichts zu begehren, niemanden unterwürfig zu bitten und zu sagen: ,Nichts habe ich mit dir, Schicksal; nicht verschaffe ich dir Gewalt über mich. Ich weiß, bei dir erleben Männer wie Cato eine Wahlniederlage, Männer wie Vatinius werden etwas: ich bitte um nichts.‘ Das heißt, sich ein persönliches Schicksal schaffen.“232

Dass Seneca das Thema einführt, indem er so ausdrücklich auf die Schriften Ciceros verweist, hat dazu geführt, dass in der Forschung der Erkenntnisgewinn über dezidiert kaiserzeitliche Praktiken als gering eingeschätzt wird. r. FrEi-stolBa urteilt über Senecas Analyse und Kritik an den Wahlkämpfen: „Obwohl eine Entscheidung nicht getroffen werden kann und die Widersprüche stehen bleiben müssen, scheint es (…) doch eher so zu sein, daß die umstrittene Stelle über das Verhalten der Kandidaten inmitten dieser Bilder und Anklänge an Cicero kaum einen vollständig aktuellen Bezug auf die zeitgenössischen Wahlen darstellt, in denen die alten Comitien noch einen ernstzunehmenden Einfluß besessen hätten, sondern ebenfalls durch Cicero beeinflußt sind.“233 Einer solchen Skepsis lässt sich allerdings begegnen, wenn man solche Aussagen als Auseinandersetzung mit der kaiserzeitlichen Realität versteht. Die Vergegenwärtigung republikanischer Alltagserfahrungen, wie hier in der Wahlkampfpraxis, lässt sich dann als ,objektivierter‘ Umgang mit der Erfahrung kaiserzeitlicher Realität deuten, die durch sich neu formierende soziopolitische Strukturen geprägt ist. Der fließende Übergang in der Beschreibung des republikanischen und kaiserzeitlichen aristokratischen Wettbewerbs ist damit auch als Versuch interpretierbar, Erklärungsmuster und Wertmaßstäbe für eine historisch vorbildlose Maßnahme zu gewinnen. Mit der Verlegung der Wahlen in den Senat war der inneraristokratische Wettbewerb keineswegs entschärft, sondern wurde entscheidend umstrukturiert. Die Suche nach Vergleichbarkeit mit republikanischen Strukturen lässt sich als Versuch verstehen, einer neu entstandenen Kommunikationssituation einen Sinn zuzuweisen. Jedenfalls zeigt Seneca für das Funktionieren des ambitus, den er an anderer Stelle als „vielgestaltiges Übel“ (multiforme malo) charakterisiert, mit dem schon Cato in Konflikt geraten sei, eine bemerkenswerte Sensibilität. Über die re231 Vgl. Sen. epist. 118,1–5. 232 Sen. epist. 20,118,4 [übers. v. M. rosEnBacH]. 233 FrEi-stolBa, Untersuchungen, 174.

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publikanischen Verhältnisse als Vergleichsebene bringt er ihn dem aristokratischen Alltag seiner Zeit nahe.234 Seine moralische Verurteilung gewinnt ihren Erkenntniswert für die frühe Kaiserzeit, wenn man sie als präzise Beobachtung erlebter Eigendynamiken aristokratischen Wettbewerbs und gezielten Versuch deutet, sich diesen Eigendynamiken zu entziehen und deren Konfliktpotential zu entschärfen.235 Modi der Entscheidungsfindung bei den Magistratswahlen Die bisherigen Ergebnisse liefern eine gute Grundlage für die weitere Untersuchung. Der Frage, wie Entscheidungssicherheit im kaiserzeitlichen Wahlverfahren hergestellt wurde und welche Bedeutung ihr zukam, wird in der Regel – unabhängig vom Kaiser – kein so zentraler Stellenwert beigemessen. Wenn man nur danach fragt, welche Kontrollmöglichkeiten der Princeps im Rahmen des Wahlverfahrens hatte, bleiben konkrete Verfahrensabläufe des Senats und die Auswirkungen der Änderungen auf senatorische Entscheidungsprozesse aber weitgehend unbestimmt. Außerdem wird ein Zusammenhang zu zeitgenössischen Diskussionen, die zum Teil erhebliche Unsicherheit über existierende Normen bzw. deren Angemessenheit erkennen lassen, selten explizit untersucht. Die Rahmenbedingungen in augusteischer Zeit lassen sich noch relativ gut rekonstruieren, weniger sicher sind aber die Gründe und Folgen der Veränderungen gegenüber der republikanischen Praxis. Bekannt ist zunächst, dass nach der lex Iulia de ambitu (18 v. Chr.) zumindest für die Auswahl der Praetoren und Consuln mit der lex Valeria Cornelia im Jahr 5 n. Chr. Destinationscenturien eingeführt wurden.236 Aufgabe des neu geschaffenen Gremiums aus 600 Senatoren und 2.400 234 Siehe dazu auch Kap. 3.2.2 / S. 143–150. 235 excussa iam antiqua credulitate et saeculo ad summam perducto sollertiam cum ambitu con­ gressus, multiforme malo, et cum potentiae immensa cupiditate, quam totus orbis in tres divisus satiare non poterat, adversus vitia civitatis degenerantis et pessum sua mole sidentis stetit solus et cadentem rem publicam, quantum modo una retrahi manu poterat, tenuit, donec ab­ stractus comitem se diu sustentatae ruinae dedit simulque exstincta sunt quae nefas erat dividi (…) (Sen. const. sap. 2,2). Siehe zu einer solchen Interpretation auch Kap. 3.3.2 und Kap. 4. Außerdem M. Wilson, Seneca’s Epistles to Lucilius. A Revaluation, in: J. Fitch (Hg.), Seneca, Oxford 2008, 59–83; c. EdWards, Self-Scrutiny and Self-Transformation in Seneca’s Letters, in: J. Fitch (Hg.), Seneca, Oxford 2008, 84–101. Selbst Plinius, dessen Briefe die Allgegenwärtigkeit der Wahlkämpfe im kaiserzeitlichen Alltag dokumentieren und in der Regel nicht als Belastung ansehen, deutet gelegentlich an, mit welchem Aufwand und vor allem mit welchem Maß an Unsicherheit ein Senator – selbst in der Rolle als Förderer – sich immer wieder aufs Neue konfrontiert sah. Vgl. dazu etwa Plin. epist. 2,9, bes. 2,9,1: anxium me et inquie­ tum habet petitio Sexti Eruci mei. adficior cura et, quam pro me sollicitudinem non adii, quasi pro me altero patior; et alioqui meus pudor, mea existimatio, mea dignitas in discrimen addu­ citur. 236 Existenz und Inhalt der lex Valeria Cornelia lassen sich vermittelt über inschriftlich überlieferte Senatsbeschlüsse aus den Jahren 19 und 23 n. Chr. erschließen (Tab. Heb., Z. 4 f. – Gesammelt, übersetzt und kommentiert in M. craWFord (HG.), Roman Statutes, Bd. 1, Nr. 37). Für die überzeugende Deutung der lex Valeria Cornelia siehe P. a. Brunt, The Lex Valeria Cornelia, in: JRS 51 (1961), 71–83.

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Rittern war es offenbar,237 gegliedert in zunächst zehn Centurien unter den Namen C. et L. Caesar, Kandidatenlisten aufzustellen (destinatio), ohne damit endgültig zu entscheiden. Für die endgültige Wahl in den Comitien dienten diese dann als besonders bedeutende Empfehlung und als regulierendes Vorbild. 20 n. Chr. wurden sie mit der lex Valeria Aurelia um fünf weitere Centurien unter dem Namen des Germanicus erweitert, drei Jahre später kamen noch einmal fünf unter Drusus’ Namen hinzu. Diese neuen Verfahrensabläufe konnten sich in augusteischer Zeit anscheinend ohne größeren Widerstand etablieren. Insgesamt dürften die Neuregelung und das komplexe Verfahren von kaiserlicher Seite aus nicht unbedingt primär darauf gezielt haben, den aristokratischen Wettbewerb um die hochrangigen Ämter zu kanalisieren. In dem Fall hätte die Einführung der Destinationscenturien ihr Ziel jedenfalls deutlich verfehlt. Für die folgenden Jahre sind in den Quellen Wahlkämpfe und -unruhen immer wieder dokumentiert.238 Auf der Grundlage der fasti ist nur für die Consuln – und auch nicht vollständig – ein verschärfter Wettbewerb nach dem Tod von Agrippa und Drusus 5 v. Chr. erkennbar. In den folgenden Jahren hielt dieser weiter an. Für 5 n. Chr. und die Jahre unmittelbar danach lassen sich dann aber keine auffälligen Veränderungen erkennen. Dazu kommt, dass die literarischen Quellen von keinen Veränderungen in dem Zeitraum berichten, die sich mit der Einführung der Destinationscenturien in Verbindung bringen ließen.239 Darüber hinaus dürfte eine anhaltende Konkurrenz um die Ämter auch im Interesse des Kaisers gelegen haben. Dass die Änderungen die Ehrenrechte bestimmter Gruppen hervorhoben, legt der weitere Kontext nahe. Die Einführung der Destinationscenturien und die Etablierung des komplizierten Verfahrens lassen sich, im Anschluss an P. Brunt und M. JEHnE, so deuten, dass sie als besondere Auszeichnung sowohl für Ritter und Senatoren als auch für das Kaiserhaus dienten.240 Mit der Verlegung der Magistratswahlen in den Senat veränderte sich die Situation noch einmal. Auch wenn in der Forschung keine Einigkeit darüber besteht, welche Auswirkungen die Verlegung der Wahlen in den Senat auf die Destinationscenturien hatte, spricht vieles dafür, dass diese allmählich ihre ursprüngliche 237 Das genaue Verhältnis ist umstritten: Während A. Jones dieses auf 5:1 veranschlagt (a. H. M. JonEs, The Elections under Augustus, in: JRS 45 (1955), 9–21, 17), spricht sich D. Flach für ein Verhältnis von 4:1 aus (d. FlacH, Destinatio und nominatio im frühen Prinzipat, in: Chiron 6 (1976), 193–203, 294). Unbestritten ist jedoch das eindeutige Übergewicht von Rittern in den Decurien. 238 Vgl. dazu auch M. JEHnE, Konsensfiktionen in römischen Volksversammlungen. Überlegungen zur frührepublikanischen Curienversammlung und zu den kaiserzeitlichen Destinationscenturien, in: E. Flaig (Hg.), Genesis und Dynamiken der Mehrheitsentscheidung, München 2013, 129–152, 142 f. Zum Ablauf der Wahlen in den (republikanischen) Comitien zuletzt lundGrEEn, Geheim(nisvoll)e Abstimmung, 40–44; zur Deutung der Abstimmungspraxis in den verschiedenen Arten der Volksversammlung vgl. grundlegend JEHnE, Integrationsrituale. Zu den Abläufen nach der Einführung der Destinationscenturien 5 n. Chr. JEHnE, Konsensfiktionen, 143 ff. 239 Brunt, Lex Valeria Cornelia, 73 ff. Für 7 n. Chr. z. B. Cass. Dio 55,34,2. Zu einer Einordnung der lex Valeria Cornelia in diesen Kontext auch Brunt, Lex Valeria Cornelia. 240 So auch JEHnE, Konsensfiktionen, 147; Brunt, Lex Valeria Cornelia, 76–79.

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Funktion verloren – zumal davon auszugehen ist, dass das Verfahren im Senat vor dem der Destinationscenturien stattfand.241 Problematisch scheint eine solche Deutung allerdings im Hinblick auf den Inhalt der Tabula Hebana zu sein. Die detaillierte Schilderung des Verfahrensablaufs in den Destinationscenturien, die sich auf der Tabula Hebana im Jahr 20 n. Chr. in einer Ehreninschrift anlässlich der Würdigung des Germanicus findet, wird seit ihrer Veröffentlichung im Jahr 1947 immer wieder als Beleg für die mangelnde Zuverlässigkeit der taciteischen Darstellung der Wahlen nach der Verlegung in den Senat angeführt – zumal, auch wenn das bei den Diskussionen keine Rolle spielt, diese bei Cassius Dio keine Entsprechung findet. Grundlage für diese Zweifel ist in erster Linie, dass die Darstellung des Verfahrens in der Inschrift in ihrer Ausführlichkeit die Bedeutung der Centurien zu illustrieren scheint. Die Ausführlichkeit ist tatsächlich auffällig, weil sich die Frage stellt, warum das Wahlverfahren für Consuln und Praetoren zu diesem Zeitpunkt überhaupt so detailliert dargestellt wurde,242 warum also noch im Jahr 20 n. Chr. offensichtlich ein derart aufwändiges Verfahren so prominent in schriftlicher Form festgehalten wurde. Auflösen ließen sich die Widersprüche und Fragen, wenn man davon ausgeht, dass die Verlegung der Magistratswahlen in den Senat einen entscheidenden Einschnitt, aber noch nicht unbedingt den Abschluss einer Entwicklung darstellte.243 Die Unstimmigkeiten bzw. Gleichzeitigkeiten von verschiedenen Strukturen lassen sich ebenso als Übergangsphase auffassen. Das erscheint auch insofern plausibel, als es, wie oben diskutiert, mit der Verlegung in den Senat Verfahrensstrukturen, die bei den Wahlen für die nötige Entscheidungssicherheit sorgten, erst noch zu etablieren galt. Die genauen Verfahrensabläufe nach den Reformen des Jahres 14 sind in der Forschung umstritten und gerade im Hinblick auf den Senat in den Details auch nicht bekannt. In den Grundzügen lassen sich diese nur aus späteren Quellen rekonstruieren.244 Unklar bleibt dann aber immer noch, inwieweit sich die dort geschilderten Abläufe auf die Situation gerade in der Anfangszeit übertragen lassen. Für die Destinationscenturien kann man dagegen auf der Grundlage der ausführlichen Schilderung der Abläufe in der Tabula Hebana relativ sicher sagen, dass sie in tiberischer Zeit im Anschluss an die Senatsbeschlüsse abgehalten wurden. Es wurde dann nicht mehr aus mehreren Kandidaten ausgewählt, sondern die Entscheidung des Senats bestätigt.245 241 Vgl. G. W. clarKE, The destinatio Centuries in A. D. 14, in: Historia 13 (1964), 383–384; R. Frei-Stolba hält es zumindest für möglich, dass „im Senat [zunächst] keine Abstimmung stattfand (…), zumal Abstimmungen vielleicht erst einen späteren Zustand darstellen (…). Hingegen werden in den Comitien bis zu dem oben angedeuteten unbestimmten Zeitpunkt in der tiberianischen Regierungszeit immer noch Stimmtafeln abgegeben worden sein.“ (FrEi-stolBa, Untersuchungen, 143 / Anm. 62). Dazu auch JEHnE, Konsensfiktionen, 145, für einen Überblick über die unterschiedlichen Meinungen bzgl. der Reihenfolge bes. Anm. 72. 242 Dazu Tab. Heb., Z. 6 ff. 243 Vgl. auch JEHnE, Konsensfiktionen, 145. 244 Ein Überblick über die Forschungskontroverse bei JEHnE, Konsensfiktionen, 145 / Anm. 71. 245 Vgl. Tab. Heb., Z. 41–46. Dazu JEHnE, Konsensfiktionen, 146: „Diese merkwürdige Regelung [dass die gewählten Kandidaten im Namen des Angehörigen des Kaiserhauses, dessen Namen die Centurie trug, ausgerufen wurden], dass die verstorbenen Heroen des Kaiserhauses regel-

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Für die Prozesshaftigkeit der Veränderungen und den allmählichen Bedeutungsverlust der Destinationscenturien spricht außerdem, dass sich im Sprachgebrauch etablierte, auch für Handlungen des Senats den Begriff destinare zu verwenden.246 Die schrittweisen Modifikationen der Wahlpraxis dürften primär darauf gezielt haben, die Wahlkämpfe der Aristokratie um die Stimmen der plebs einzudämmen und damit gleichzeitig auch die Mechanismen des Klientelwesens entscheidend zu durchbrechen. Das Volk grundsätzlich von den Wahlen auszuschließen, scheint nur ein Nebeneffekt gewesen zu sein.247 Das legt auch die beibehaltene Integration der Comitien in den Entscheidungsprozess nahe. In den Volksversammlungen wurden weiterhin die Listen verlesen und die gewählten Magistrate auf ritualisierte Weise vorgestellt (renuntiatio).248 Die Wahlempfehlungen (suffragationes), die als mündliche Empfehlung in Form von Lobreden die Unterstützung der zur Wahl stehenden Kandidaten in geregelter Form beschworen, wurden dagegen seit tiberischer Zeit im Senat abgegeben. Sprachlich wird das in den Quellen in der Regel formalisiert als suffragationem dare bezeichnet, womit die nicht schriftlich festgehaltenen Empfehlungen und privaten Absprachen zusammengefasst werden.249 Diese Mechanismen für die Wahl der Magistrate folgten dem streng geregelten Ablauf von Namensaufruf (citato nomine candidati), dem Sprechen des zur Wahl stehenden Kandidaten in eigener

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mäßig als Empfehler von Kandidaten fungierten, hat meiner Ansicht nach eine klare Konsequenz: Ein Dissens der Destinationscenturien war kaum vermittelbar.“ Eine ausführliche Bibliographie zur Tabula Hebana in: M. H. craWFord, Roman Statutes, Bd. 1, London 1996, 508; siehe außerdem roWE, Princes and Political Cultures. Allerdings bleibt die Frage, ob die Einführung der Destinationscenturien in augusteischer Zeit möglicherweise einen größeren Einschnitt bedeutete. Zu diskutieren wäre, ob das Verfahren der Destinationscenturien die republikanische Wahlpraxis in den Centuriatscomitien konterkarierte, dass die Vorstimmenden eben nicht aus der Gruppe kamen, aus der die Mehrheit der Kandidaten stammte, um die Konkurrenz nicht zu erhöhen. In dem Fall ließe sich die Einführung der Destinationscenturien in augusteischer Zeit als erster Schritt hin zur Übertragung der Wahlen auf den Senat verstehen. Vgl. FrEi-stolBa, Untersuchungen, 137. Dazu z. B. sallEr, Personal Patronage, 43; zuletzt GoldBEcK, Salutatio, 264 f. Cass. Dio 58,20,4; Plin. paneg. 63,3; 77,1; 92,3; Suet. Dom. 10,4; Iuv. Sat. 10, 77–79, besonders geehrt durch die Anwesenheit des Herrschers Tac. hist. 2,91,2. Vgl. dazu FrEi-stolBa, Untersuchungen, 97–130, 154, 169. Außerdem MoMMsEn, StR 2.2, 915–927. Zu den kaiserzeitlichen Veränderungen des Klientelwesens vgl. v. a. sallEr, Personal Patronage, 44 f. Vgl. etwa Tac. hist. 2,91,2; sed comitia consulum cum candidatis civiliter celebrans omnem infimae plebis rumorem in theatro ut spectator (…). Dieser Umstand dürfte außerdem maßgeblich eine Rechtfertigung für die auffälligen Parallelen, die kaiserzeitliche Quellen zu republikanischen Verhältnissen herstellen, geliefert haben (vgl. Kap. 3.3.2 / S. 143–150). Dazu kommt, dass sich die Verlagerung des Entscheidungskontextes aus den Volksversammlungen hin zum Theater schon in der Republik abzeichnete (vgl. dazu FlaiG, Ritualisierte Politik, 238). Der nicht ganz eindeutig datierbare Versuch Caligulas (Cassius Dio erwähnt die Änderungen im Zuge der kaiserlichen Maßnahmen nach dem Bruch mit der Senatsaristokratie im Jahr 39, Sueton dagegen innerhalb eines Kataloges positiv bewerteter Maßnahmen), das Verfahren wieder in den Comitien zu etablieren, scheiterte offenbar an den Absprachen der Bewerber, so dass die abermaligen Änderungen realiter wirkungslos blieben: Cass. Dio 59,20,3–5; Suet. Cal. 16,2: temptavit et comitiorum more revocato suffragia populo reddere. Gleichzeitig sind dieses die letzten zusammenhängenden Berichte über Wahlen im Principat.

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Sache (dicebat ipse pro se) und schließlich den Erklärungen von Bürgen (testes et laudatores).250 Das Verfahren bildete damit in komprimierter Form die Kommunikationsprozesse ab, die den aristokratischen Alltag strukturierten.251 Allerdings bleiben offene Fragen: So ist beispielsweise nichts Konkretes über den Zeitaufwand bekannt, den man für die regelmäßig stattfindenden Wahlen veranschlagen musste. Unklar ist auch, welches Maß an Verbindlichkeit und Eindeutigkeit das Wahlverfahren gewährleisten konnte. Inwiefern wirkten sich solche senatorischen Entscheidungsfindungsprozesse – möglicherweise auch unabhängig davon, dass die Magistratswahlen ein erhebliches destabilisierendes Potential besaßen – integrativ im Hinblick auf die Einbindung neuer Eliten aus?252 Und unklar ist ebenso, wie genau abgestimmt wurde und wie es gelang, die nötige Entscheidungssicherheit im Senat zu gewährleisten.253 Was man über die Entscheidungsprozesse weiß, legt aber nahe, dass sich die Senatsaristokratie offensichtlich vor erhebliche Probleme gestellt sah, eine Einigung in solchen Fragen zu erzielen. Sich nur auf die Sicherung von Einflussmöglichkeiten von kaiserlicher Seite zu konzentrieren, übersieht, dass es innerhalb solch instabiler Strukturen gar nicht notwendig war, diese auch rechtlich abzusichern. Die Wahlpraxis im ersten Jahrhundert lässt sich vor diesem Hintergrund als destabilisierender Faktor für die Konsensfähigkeit des Senats bezeichnen. Offenbar gelang es auch hier zunächst nicht, Verfahrensstrukturen zu entwickeln, die bei den Wahlen zuverlässig Entscheidungen zuließen. Die Absprachen unter den Senatoren, von denen die Quellen immer wieder berichten, dass diese die eigentliche Wahl damit praktisch umgehen würden, untermauern diesen Eindruck zusätzlich. Als Ausweg aus dieser Situation scheinen sich solche Absprachen allerdings insgesamt nicht durchgesetzt zu haben. Dafür sprechen vor allem zwei Argumente: Zum einen ist anzunehmen, dass es auch innerhalb der Aristokratie Vorbehalte gegen eine Institutionalisierung von Praktiken gegeben haben dürfte, die das Entscheidungsverfahren im Senat langfristig entwertet hätten. Zum anderen spricht dafür die Tatsache, dass noch zum Ende des ersten / Anfang des zweiten Jahrhunderts Handlungsbedarf gesehen wurde. Bezeichnend ist dabei, dass man mit einer Änderung des Abstimmungsmodus’ versuchte, die Magistratswahlen effizienter zu gestalten. Entscheidend dürfte gewesen sein, dass die Senatsaristokratie sich im Senat 250 (…) citato nomine candidati silentium summum; dicebat ipse pro se, explicabat vitam suam, testes et laudatores dabat vel eum sub quo militaverat, vel eum cui quaestor fuerat, vel ut­ rumque si poterat, addebat quosdam ex suffragatoribus; illi graviter et paucis loquebantur (Plin. epist. 3,20,5). 251 Siehe Sen. epist. 8,6. 252 Die Frage wird in der Forschung bereits für die Magistratswahlen der Republik diskutiert. Allerdings zeichnet sich in der Diskussion kein Konsens ab, da die Auswertung der verfügbaren prosopographischen Daten bereits umstritten ist. Vor ähnliche methodische Probleme dürfte sich, nach dem derzeitigen Stand, wohl auch eine wissenschaftliche Untersuchung der Frage für die frühe Kaiserzeit gestellt sehen. 253 Dass die Entscheidung, wie in anderen Situationen, per discessio fiel, ist unwahrscheinlich, weil das Konfrontationspotential, das ohnehin im Kontext der Wahlen schon hoch war, damit verstärkt worden wäre. Über die genauen Prozesse, wie Entscheidungssicherheit in der konkreten Interaktion hergestellt wurde, ist damit wenig bekannt.

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mit dem Problem konfrontiert sah, neue Entscheidungskontexte und damit auch die spezifische Logik eines etablierten Verfahrens in Entscheidungsfindungsmechanismen im Senat zu integrieren, für das man auf keinerlei Vorbilder in einem solchen Kontext zurückgreifen konnte. Die Diskussion um geheime Wahlen (tacita suffragia) Plinius berichtet in einem Brief an Maesius Maximus254 von einem Beschluss, demzufolge die jährlich stattfindenden Magistratswahlen im Senat in Zukunft in geheimer, schriftlicher Abstimmung entschieden werden sollten. Datiert wird das Schreiben von a. sHErWin-WHitE auf den Beginn des zweiten Jahrhunderts, wahrscheinlich 103 oder 104 n. Chr.255 Anlass für diese Maßnahme, die drastisch in die senatorischen Entscheidungsfindungsmechanismen eingriff, war laut Plinius, dass der streng geregelte – und angemessen würdevolle – Ablauf von Namensaufruf, Sprechen des Kandidaten in eigener Sache und Erklärungen von Bürgen256 von „maßlosen Wahlumtrieben“ (favore corrupta) immer weiter in den Hintergrund gedrängt zu werden drohte.257 Was Plinius in dem Brief als Idealzustand schildert, schien also bedroht: nämlich die offene, mündliche Stimmabgabe bei den Magistratswahlen im Senat. Nach seinem Urteil konnte diese in der Gegenwart weder dem heraufbeschworenen Ideal vergangener Zeiten noch der Würde des Ortes in irgendeiner Weise mehr gerecht werden. Anstatt dass Redezeiten eingehalten, die Redner geachtet, überhaupt Ruhe herrschte, zugehört wurde oder man gemessen auf seinem Platz sitzen blieb, beschreibt Plinius nur noch Chaos und Lärm.258 Selbst wenn in dieser Kontrastierung die beiden geschilderten Zustände sicher nur schablonenartig erkennbar sind, weil sie dazu dienen, die aktuelle Situation zu veranschaulichen, scheint Plinius’ Wahrnehmung durchaus der vieler seiner Zeitgenossen entsprochen zu haben.259 Jedenfalls sah man auf der Grundlage solcher Beobachtungen entsprechenden Handlungsbedarf, geheime Wahlen (tacita suffra­ gia) als neuen Abstimmungsmodus für die Magistratswahlen im Senat einzuführen. In dem Brief hält sich Plinius mit seinem Urteil noch zurück. Trotzdem äußert er 254 Zum Adressaten, der wahrscheinlich ritterlicher Herkunft war, siehe sHErWin-WHitE, Letters of Pliny, 259 f. 255 Vgl. sHErWin-WHitE, Letters of Pliny, 259. Sicher scheint die genauere Datierung allerdings – zumal über den Adressaten auch inschriftlich nichts weiter bekannt ist – nur in der Festlegung auf einen Zeitpunkt, nachdem Traian im Jahr 100 über die Wahlen präsidiert hatte. 256 Siehe Plin. epist. 3,20,5. 257 Plin. epist. 3,20,7. 258 excesseramus sane manifestis illis apertisque suffragiis licentiam contionum. non tempus lo­ quendi, non tacendi modestia, non denique sedendi dignitas custodiebatur. magni undique dissonique clamores, procurrebant omnes cum suis candidatis, multa agmina in medio mul­ tique circuli et indecora confusio (…) (Plin. epist. 3,20,3 f.). 259 Siehe dazu auch Plin. epist. 6,19, bes. 6,19,1 f.: (…) proximis comitiis honestissimas voces se­ natus expressit (…). Homullus deinde noster vigilanter usus hoc consensu senatus sententiae loco postulavit, ut consules desiderium universorum notum principi facerent, peterentque sicut aliis vitiis huic quoque providentia sua occureret.

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Zweifel, ob der kurzfristige Erfolg, den die Maßnahme anscheinend brachte, auch langfristig anhalten werde. Er sieht die Gefahr, dass sich „Schamlosigkeit“ (impu­ dentia) wieder einschleiche, weil die Verhaltensweisen derjenigen, die sich schon vorher dafür verantwortlich gezeigt hatten, langfristig auch damit nicht kontrollierbar würden.260 Ein Jahr später folgt dann ein weiterer Bericht: Darin verkündet Plinius, dass sich seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet hätten. Bei den letzten Wahlen hätten Abstimmende, die die Anonymität der Wahl ausnutzten, auf Stimmtafeln ihrem Protest Ausdruck verliehen und diverse „Witzeleien“ (multa iocularia) aufgeschrieben oder auch, anstatt einen Kandidaten zu benennen, die Namen der Förderer.261 Plinius sieht seine Einschätzung damit bestätigt, dass die Einführung geheimer Wahlen dem ausufernden Wettbewerb keinen Riegel vorschieben konnte: tantum licentiae pravis ingeniis adicit illa fiducia: ‚quis enim sciet?‘ poposcit tabellas, sti­ lum accepit, demisit caput, neminem veretur, se contemnit. inde ista ludibria scaena et pulpito digna. „Zu solchen Flegeleien lassen sich nur verdorbene Geister hinreißen in der Gewißheit: ,Es erfährt ja niemand.‘ Der Kerl läßt sich seine Stimmtafel geben, nimmt den Griffel zur Hand, senkt den Kopf, scheut niemand, verachtet sich selbst. Daher diese Scherze, die auf die Bühne, in den Zirkus gehören.“262

Eine Lösung innerhalb der Senatsaristokratie sieht er letztlich nicht; sein Vertrauen gilt dem Princeps und dessen Willen, solche Formen nicht nur zu missbilligen, sondern auch aktiv zu verhindern. Danach erwähnt er die Angelegenheit in keinem weiteren Brief mehr.263 Intertextuelle Bezüge: Cicero und die Diskussion um geheime Wahlen in der späten Republik Die beiden Briefe sind für die frühe Kaiserzeit in ihrem Inhalt einzigartig. Sie geben schlaglichtartig einen zusammenhängenden Einblick in den Ablauf und das Funktionieren bzw. hier eher Nicht-Funktionieren der Magistratswahlen im Senat. Die Darstellung orientiert sich an sehr konkret formulierten Ideal- und Normvorstellungen senatorischen Entscheidungshandelns. Vor deren Hintergrund kann Plinius seine skeptisch-ablehnende Haltung gegenüber der Einführung geheimer Wahlen erst formulieren. Präsent sind diese in den zwei Briefen auf unterschiedlichen Ebenen, was sich an zwei verschiedenen historischen Bezugspunkten festmachen lässt: Erklärungsbedürftig erscheint, dass Plinius seine Diskussion des Wahlmodus’ – wie auch zuvor schon bei anderen Autoren zu beobachten war – zunächst in eine völlig andere historische Situation einordnet, nämlich in einen republikanischen Diskurs über die Einführung geheimer Wahlen in den Volksversammlungen Ende 260 261 262 263

Plin. epist. 3,20,7 ff. Vgl. Plin. epist. 4,25,1. Plin. epist. 4,25,4 [übers. v. H. KastEn (Hervorhebungen S. B.)]. Vgl. Plin. epist. 4,25,5.

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des zweiten Jahrhunderts v. Chr. Erst vor der historischen Kulisse beurteilt er die selbst erlebten Änderungen in den kaiserzeitlichen Diskurs über die gegenwärtige Wahlpraxis. Eine historische Dimension verleiht Plinius der Darstellung von Anfang an durch Bezüge, mit denen er das Schreiben einleitet. Diese verweisen deutlich auf republikanische Diskussionen über die Einführung neuer Wahlmodi, wie sie sich bei Cicero finden.264 Gemeint ist dabei ein fiktives Gespräch in De legibus zwischen (Marcus) Cicero, seinem Bruder Quintus und dessen Freund Atticus, das die historische Tragweite der ab der Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. gesetzlich sanktionierten Änderungen in der Wahlpraxis der Volksversammlungen aus der Retrospektive verhandelt.265 Das Plädoyer des Quintus, der als Vertreter der optimatischen Position auftritt, fällt darin eindeutig zugunsten der offenen Stimmabgabe aus. Marcus ist dagegen der Meinung, dass grundsätzlich nichts gegen die Intention der Gesetze, auf deren Grundlage in einer spezifischen historischen Situation das erstrebenswerte Verfahren geheimer Wahlen eingeführt worden war, einzuwenden sei. Darauf antwortet Quintus, es sei allerhöchstens zu prüfen, ob die geheime Wahl nicht möglicherweise doch ein notwendiges Übel darstelle. Allerdings gibt er zu bedenken, dass sie vor allem die Macht der boni in Frage stellen würde und ihm schon allein deswegen ablehnenswert erscheine.266 Die folgende Argumentation untermauert diesen Standpunkt, wenn Quintus die Geschichte der leges tabellariae aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts in einer Weise zusammenfasst, in der die verantwortlichen Antragsteller als Demagogen erscheinen.267 Die Einschränkungen, die er macht, dürften letztlich darauf zurückzuführen sein, dass die Gesprächspartner Marcus und Quintus vorher noch die historische Entwicklung des Volkstribunats diskutiert hatten. Die Option, den Wahlmodus zu ändern, schien ihnen letztlich doch einfacher, 264 meminisse te saepe legisse (…) (Plin. epist. 3,20,1). Zurückhaltend in der Festlegung ist sHErWin-WHitE, Letters of Pliny, 260. Der von ihm formulierte Einwand, dass Cicero an keiner Stelle namentlich auftaucht, wiegt m. E. weniger schwer, zumal die Erinnerung an die republikanische Zeit – vermittelt nicht unwesentlich durch die Schriften Ciceros – in der frühen Kaiserzeit zum festen Bestandteil des ,Kanons‘ rhetorischer Ausbildung zählte. Zur Präsenz ciceronischer Schriften in den Briefen des Plinius E. FantHaM, Roman Literary Culture. From Cicero to Apuleius, Baltimore 1996, 200 ff. Zu den Parallelen mit Seneca und Cicero vgl. H.-P. BüttlEr, Die geistige Welt des jüngeren Plinius, Heidelberg 1970, 127. Zu den zahlreichen Parallelen zwischen den Plinius-Briefen und der ciceronischen Argumentation, die „had become part of the intellectual furniture of Rome’s ruling classes“, auch c. E. ManninG, Liberali­ tas – the Decline and Rehabilitation of a Virtue, in: G&R 32 (1985), 73–83, 74 f. Außerdem GriFFin, De Beneficiis, 106–108. 265 Vgl. Cic. leg. 3,33–39. Auch wenn R. Feig Vishnia vermutet, dass Plinius sich dabei nicht auf die Diskussion des Themas in De legibus bezieht (r. FEiG VisHnia, Written Ballot, Secret Ballot and the iudicia publica. A Note on the leges tabellariae (Cicero, De legibus 3.33–39), in: Klio 90 (2008), 334–346, 334. 266 Vgl. Cic. leg. 3,33; Das Urteil über die Auswirkungen auf die Politik der Optimaten lässt Cicero Quintus formulieren: quis autem non sentit omnem aucoritatem optimatium tabellariam legem abstulisse? quam populus liber numquam desideravit, idem oppressus dominatu ac po­ tentia principum flagitavit (Cic. leg. 3,34). 267 Vgl. Cic. leg. 3,35 f.

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weil das Volkstribunat strukturell tiefer verwurzelt war und man sich daher nicht so leicht an Veränderungen des Volkstribunats wagte. Allerdings bleibt es dabei, dass Cicero die neue Wahlpraxis insgesamt für eine rein pragmatische Lösung hält; das Ideal bleibt die offene Stimmabgabe.268 Diese Einschätzung findet sich immer wieder in Überlegungen zu den strukturellen Veränderungen der späten Republik. In Pro Sestio dient Cicero die lex Cassia, die 137 v. Chr. die geheime Wahl im concilium plebis einführte, neben den Agrar- und Korngesetzen des Tiberius und Gaius Gracchus als Beispiel, das Kontroverse an der popularen Gesetzgebung zu veranschaulichen.269 Auch Plutarch bestätigt in seiner Marius-Vita, dass das Wahlgesetz den Einfluss der Nobilität gefährdet habe und entsprechend nachdrücklich vom Senat abgelehnt worden sei.270 Plinius dürfte also in dem Wissen, auf eine der großen politischen Kontroversen der späten Republik zu verweisen, die Erfahrungen der eigenen Zeit bewusst vor solcher Erinnerung diskutieren.271 Die Änderungen, auf die sich die Autoren beziehen, waren im Verlauf des zweiten Jahrhunderts v. Chr. etappenweise durch mehrere Gesetze eingeführt worden. Die verschiedenen leges tabellariae etablierten Stimmtäfelchen als Modifikation der bisherigen Abstimmungspraxis der Volksversammlungen. Die lex Gabinia aus dem Jahr 139 v. Chr. war zunächst auf die Wahlen beschränkt, aber schon zwei Jahre später weitete die lex Cassia die geheime Abstimmung auf Prozesse mit Ausnahme von Perduellionsprozessen aus. Wohl 130/131 setzte C. Papirius Carbo das Wahlverfahren bei der Abstimmung über Gesetze durch. Die lex Coelia schrieb dann im Jahr 107 v. Chr. vor, auch in Perduellionsverfahren zukünftig auf diese Weise abstimmen zu lassen.272 Die Gründe dafür, dass man es offenbar für notwendig hielt, mit etablierten Abstimmungspraktiken zu brechen, werden – prominent vertreten von M. JEHnE – in der zunehmenden Komplexität der Klientelbeziehungen und der damit zusammenhängenden Mobilisierung der Wähler vermutet.273 In einem verschärften 268 [Quintus:] itaque graviora iudicia de potentissimis hominibus extant vocis quam tabellae (Cic. leg. 3,34). In dieser Deutlichkeit auch schon vorher: ‚creatio magistratuum, iudicia populi, iussa verita cum cosciscentur, suffragia optumatibus nota, plebi libera sunto‘ (Cic. leg. 3,10). An seiner Meinung zur Einführung geheimer Wahlen lässt Cicero insgesamt jedoch keinen Zweifel aufkommen: Cic. Lael. 42. Dazu auch yaKoBson, Secret Ballot, 430. 269 sed tamen haec via ac ratio rei publicae apessendae olim erat magis pertimescenda, cum mul­ tis in rebus multitudinis studium ac populi commodum ab utilitate rei publicae discrepabat. tabellaria lex ab L. Cassio ferebatur. populus libertatem agi putabat suam. dissentiebat princi­ ples et in salute optimatium temeritatem multitudinis et tabellae licentiam pertimescebat (Cic. Sest. 103). 270 Vgl. Plut. Mar. 4,2–4. 271 Die von R. Feig Vishnia vorgebrachten Einwände (vgl. Kap. 3.3.2 / Anm. 277) berühren nicht die Tatsache, dass sich im ersten Jahrhundert v. Chr. offensichtlich eine rege Debatte über die Wahlpraxis etablierte. 272 Vgl. zur Rekonstruktion der Chronologie nadiG, Ardet ambitus, 17–94. 273 „Durch die ganz normale Interaktion vervielfältigten sich die potentiell aktivierbaren Bindungen für die Oberschichten zwangsläufig in einem solchen Maße, daß sie sich überlagern mußten.“ (JEHnE, Geheime Abstimmung, 605). Das Idealbild des Bindungswesens, wie es sich aus kaiserzeitlichen Quellen herauslesen lässt, war eine reziproke und konkurrenzlose Beziehung

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Wettbewerb um die höchsten Ämter und Ehrenstellen und der starken Fixierung des aristokratischen Wettbewerbs auf den Erfolg in der Ämterlaufbahn drohte das Bindungswesen „von seiner verpflichtenden und die Politik wesentlich strukturierenden Kraft“ einzubüßen.274 Die populare Dimension der Wahlgesetze, die die antiken Deutungen so stark hervorheben und die Cicero in seiner Polemik angreift, scheint aber erst mit der Einführung des neuen Wahlmodus’ bei der Abstimmung über Gesetze in den Vordergrund getreten zu sein.275 Die Vehemenz, mit der die geheime Wahl in der späten Republik abgelehnt wurde, erschließt sich erst, wenn man einbezieht, dass solche Stellungnahmen den Wahlmodus nicht vor seinem eigentlichen Entstehungskontext diskutieren, sondern die Praxis an der politischen Kultur des ersten Jahrhunderts messen. Damit wird eine Verbindung zwischen dem neuen Abstimmungsmodus und der Eigenmit eindeutigem Gefälle (dazu JEHnE, Geheime Abstimmung, 605). Diskussionen um die Wahlmodi reflektieren sowohl in der politikwissenschaftlichen als auch im Anschluss daran in der althistorischen Forschung zunehmend eigene (demokratische) Ideale oder Idealvorstellungen, die den wissenschaftlichen Umgang lange beherrscht haben und liefern damit gleichzeitig neue Deutungsangebote. 274 Vgl. JEHnE, Geheime Abstimmung, 606 ff., Zit.: 608. Zur Formalisierung der senatorischen Ämterlaufbahn im cursus honorum und der Neustrukturierung vgl. BEcK, Karriere und Hierarchie, 63–113; 396. 275 Die Deutungsangebote in der Forschung differieren an dieser Stelle, was im Wesentlichen in den unterschiedlichen Perspektiven begründet liegt. Bezeichnend ist, dass sie letztlich zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen der gesetzlichen Neuerungen kommen und damit die Ambivalenz, die sich aus der Diskussion vor den jeweiligen Zeithorizonten des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. ergeben, exemplarisch widerspiegeln: M. Jehne etwa interpretiert die Neuerungen mit Blick auf die enge Verbindung gesellschaftlicher Beziehungen, die sich in den Klientelbeziehungen spiegeln, und formalen politischen Verfahren wie hier in den umkämpften Magistratswahlen als Entschärfung des aristokratischen Wettbewerbs. Die scharfe Kritik, die Jahrzehnte später insgesamt an den leges tabellariae geübt wurde, zielt seiner Meinung nach in erster Linie darauf, dass seit der lex Gabinia Wahlentscheidungen über Sachprogramme forciert wurden (vgl. JEHnE, Geheime Abstimmung, bes. 605, 611). Damit wurde zwar nicht der Grundwiderspruch gelöst, aber immerhin die öffentliche Verletzung der Norm verhindert (vgl. EBd., 612 f.). A. Yakobson konzentriert sich dagegen mit dem Blick auf das Problem der Wahlbestechungen, das besonders im ersten vorchristlichen Jahrhundert diskutiert wurde, verstärkt auf langfristige Entwicklungen und die destabilisierende Dimension der Wahlgesetze, an der sich die antike Kritik entzündet habe: Anstatt die Konkurrenzsituation für die Aristokratie zu entschärfen, habe die Einführung geheimer Wahlen bewirkt, den Wettbewerb zu verschärfen. Das Wahlverhalten sei auf diese Weise der unmittelbaren Überprüfung entzogen worden, womit „[t]he secret ballot allowed the voter to take bribes from the different candidates and then be free to vote the way he liked. (…) The voters would no doubt often reward ‚the highest bidder‘, though it should not be assumed that this was the sole consideration that determined their choice (…).“ (vgl. yaKoBson, Secret Ballot, Zit.: 438). Darüber hinaus siehe außerdem u. Hall, Greeks and Romans and the Secret Ballot, in: E. M. Craik (Hg.), „Owls to Athens“. Essays on Classical Subjects Presented to Sir Kenneth Dover, Oxford 1990, 191–199; diEs., Spe­ cies libertatis. Voting Procedure in the Late Roman Republic, in: M. Austin / J. Harries / C. Smith (Hgg.), Modus Operandi. Essays in Honour of Geoffrey Rickman, London 1998, 15– 30. Die Widersprüche, wenngleich sie kaum zufrieden stellend aufgelöst werden, sieht E. Gruen ebenfalls: E. s. GruEn, The Exercise of Power in the Roman Republic, in: A. Molho / K. A. Raaflaub / J. Emeln (Hgg.), City-States in Classical Antiquity and Medieval Italy, Stuttgart 1991, 251–267, 261 / Anm. 56; außerdem Millar, Political Character, 18.

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dynamik eines aristokratischen Wettbewerbs hergestellt, der seinen Ausdruck in der Wahlpraxis und dem komplexen Netz gegenseitiger Verpflichtungen des ersten Jahrhunderts v. Chr. fand. Ihre konkrete Plausibilität bezieht diese Diskussion des Abstimmungsmodus’ letztlich aus einer Situation, die von einem ruinösen Werben der Kandidaten um die Stimmen der Wähler geprägt war und in der man nach Erklärungen und Auswegen suchte.276 Sowohl die Kritik auf moralischer Ebene an den ,popularen Maßnahmen‘ als auch die Versuche, mit dem Wohl der res publica ein verbindliches Ideal zu etablieren, wie Cicero es entwickelt, spiegeln eine solche Suche nach Erklärungen und Auswegen wider. Der Tatsache, dass die gesetzlichen Neuerungen ursprünglich möglicherweise intendierten, den Wettbewerb zu erschweren, tragen solche polemischen antiken Deutungen nur noch sehr bedingt Rechnung. Eingebettet in einen neuen Zeithorizont wurden die Maßnahmen entscheidend umgedeutet. In der späten Republik spiegelt sich die Hoffnung, die man im zweiten Jahrhundert anfänglich offenbar in die Neuerungen gesetzt hatte, nur noch diffus. Deren Abschaffung stand aber in der späten Republik anscheinend nie ernsthaft zur Diskussion.277 Die kaiserzeitliche Auseinandersetzung, wie sie sich in den Briefen des Plinius findet, lässt sich nur vor dem Hintergrund dieser Bezüge verstehen. Dem Aspekt, die republikanischen Diskussionen für die Frage zu nutzen, ob sich die Einführung geheimer Wahlen positiv oder negativ auf die ausgetragenen Wahlkämpfe auswirkt, kommt in der Situation des späten ersten / frühen zweiten Jahrhunderts n. Chr. eine ganz bestimmte Funktion zu. Plinius bedient sich damit eines Deutungsmusters, das sich auch hier über die intertextuellen Bezüge bewusst an republikanischen Vorbildern orientiert. Die etablierte, negativ aufgeladene Verknüpfung von aristokratischem Wettbewerb und geheimer Wahl nutzt er für seinen eigenen Kontext.

276 Vgl. yaKoBson, Secret Ballot, 437; lindErsKi, Buying the Vote, 89 f. 277 Vgl. JEHnE, Geheime Wahl, 608. R. Feig Vishnia versucht die Inkonsistenzen, die sich in Ciceros Auseinandersetzung mit der Wahlpraxis widerspiegeln, aufzulösen, indem sie dessen distanzierte Haltung als Kritik an der Bestechlichkeit, der Praxis der iudicia publici in seiner Zeit, zuspitzt: „I would, therefore, further conjecture, that Cicero, in the De legibus, carefully planned an attack on the jury-courts of his day both directly by excluding them from his constitution and implicitly by denouncing their corrupt features enabled, in his view, by the secret ballot.“ (FEiG VisHnia, Written Ballot, 343). Wahrscheinlich gemacht werde das zudem, weil sich ähnliche zeitgenössische Kritik eben darin manifestiere. Gegen die Datierung in republikanische Zeit vgl. allerdings r. syME, Sallust, Berkeley 1964, 316 ff. Die Verbindung, die darin zur Wahlpraxis im Senat hergestellt wird – eine Verbindung, die bei Cicero allerdings bezeichnenderweise nirgendwo offen hergestellt wird –, provoziere schließlich die Kritik, wie sie Cicero artikuliert, wenn er die auctoritas der Optimaten bedroht sieht (vgl. EBd., 344). Da dieses jedoch den einzigen Anknüpfungspunkt darstellt, der einen Reflex auf dezidiert senatorische Wahlpraktiken in der späten Republik vermuten lässt – und die Datierung, wie Feig Vishnia auch betont, alles andere als sicher gilt –, erscheint es m. E. plausibler, der oben präsentierten Interpretation zu folgen. Letztlich ist eine Entscheidung darüber für die kaiserzeitlichen Zusammenhänge (und die Frage, ob Plinius in seiner Diskussion der kaiserzeitlichen Wahlpraxis sich der Komplexität des republikanischen Diskurses in vollem Umfang bewusst war) ohnehin weniger entscheidend, da, wie noch zu zeigen sein wird, primär das Scheitern und die kritische Sicht, die sich in den republikanischen Quellen widerspiegelt, von Bedeutung ist.

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Die Frage bleibt aber, was sich in solchen Formen der Reflexion widerspiegelt. Was lässt sich damit über die institutionalisierten Entscheidungsfindungsmechanismen und die Entscheidungsfähigkeit des kaiserzeitlichen Senats aussagen? Sowohl Plinius als auch Cicero bezweifeln die Effektivität geheimer Wahlen. Obwohl durch die Modifizierung des Wahlmodus’ Missstände beseitigt werden sollen, gilt ihnen die offene Stimmabgabe weiterhin als Ideal. Das liegt nicht nur daran, dass sie ihre individuellen Erfahrungen für ihre Wertungen nutzen. Diesen Erfahrungen zufolge sind beide Abstimmungsmodi, sowohl die offene Stimmabgabe als auch die geheimen Wahlen, primär ein gescheitertes Experiment. Vor allem illustrieren die Wertungen ein geschärftes Bewusstsein für einen Zusammenhang zwischen auszuhandelnder gesellschaftlicher Position und dem institutionalisierten Verfahren. Sie setzen selbstverständlich voraus, dass im Entscheidungsfindungsprozess gesellschaftliche Hierarchien abgebildet werden. In einem Verfahren, das von verfahrensexternen Rangunterschieden zugunsten einer größeren Entscheidungssicherheit abstrahiert, würden solche Strukturierungsprinzipien allerdings grundsätzlich unterlaufen.278 Dahinter steht die Sorge, dass sich Änderungen traditioneller und verfahrensinterner Mechanismen auf etablierte Legitimationsstrategien der gesellschaftlichen Stellung destabilisierend auswirken könnten. Das geheime Wahlverfahren zielt in erster Linie darauf, die Entscheidungsunsicherheit zu beheben, dargestellt durch das Verhalten seiner Standesgenossen im Senat, das Plinius als so entehrend empfindet. Der Abstimmungsmodus orientiert sich also primär am Ergebnis des Entscheidungsfindungsprozesses. Das Problem ergibt sich, wie E. FlaiG und B. stollBErG-rilinGEr betonen, daraus, dass es im Entscheidungsfindungsprozess des Wahlverfahrens ebenso wichtig war, die gesellschaftliche Position der Senatsmitglieder durch deren Bedeutung bei der Wahl der Magistrate zu verhandeln. Die Wege der Entscheidungsfindung waren damit auf die unmittelbare Nachvollziehbarkeit angewiesen. Die geheime Wahl konnte das nicht leisten. Vielmehr nahm sie einer streng hierarchisch gegliederten Senatsaristokratie deren Findungsmechanismen. Der neue Wahlmodus hätte damit langfristig ebenso destabilisierend gewirkt wie die eigentlich zu behebende Entscheidungsunsicherheit. Entsprechend wurde dieser auch nicht bloß von Plinius scharf angegriffen, sondern – auf andere Weise – offensichtlich auch von zahlreichen Standesgenossen, die das neu eingeführte Wahlverfahren allgemein der Lächerlichkeit preisgaben.279 „Persönliche Qualität“ durch „numerische Quantität“ zu ersetzen und die Akteure von ihren Loyalitätsrücksichten zu befreien, indem man das Verfahren eine Eigenlogik entwickeln ließ, die von der gesellschaftlichen Position abstrahierte,280 stellte damit keine Alternative für die kaiserzeitliche Aristokratie dar. Ein Ideal, das 278 Vgl. dazu wie auch zum Folgenden insbes. FlaiG, Kaiser, 109 ff.; stollBErG-rilinGEr, Einleitung, 17 f. 279 Plin. epist. 4,25,1: scripseram tibi verendum esse, ne ex tacitis suffragiis vitium aliquod exsis­ teret. factum est. proximis comitiis in quibusdam tabellis multa iocularia atque etiam foeda dictu, in una vero pro candidatorum nominibus suffragatorum nomina inventa sunt. FlaiG, Kaiser, 121. 280 stollBErG-rilinGEr, Einleitung, 17.

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sich an der offenen Stimmabgabe orientiert – auch wenn diese situationsbedingt nicht alternativlos erscheint – erhält vor diesem Hintergrund seine spezifische, historisch bedingte Plausibilität und Brisanz. Für Plinius bezieht es diese nicht nur aus der persönlichen Erfahrung, sondern auch daraus, dass es, wie es sich für ihn in den ciceronischen Schriften widergespiegelt findet, historisch disqualifiziert scheint. Die Zweifel am Erfolg der Maßnahme sind entsprechend parallel zu Ciceros Skepsis über die Wirksamkeit geheimer Wahlen aus der retrospektiven Sicht des ersten Jahrhunderts v. Chr. organisiert. Der Protest und das Scheitern wirken auch bei Plinius’ Reflexionen nach. Indem er sich über intertextuelle Bezüge zu republikanischen Erörterungen der Wahlpraxis auf die Autorität der historischen Erfahrung beruft, untermauert er sein moralisches Urteil. Durch eine Argumentation, die durch historische Beispiele gestärkt wird, verleiht er seiner Bewertung ihre gewissermaßen unumstößliche Evidenz. Denn mit einer solchen Bewertung kann er auf ältere, etablierte Erklärungsmuster – ähnlich wie es bei Seneca zu beobachten war – Bezug nehmen.281 Unabhängig von solchen, über einen Metadiskurs eingeführten Wertmaßstäben für ein strukturelles Problem, das auf moralischer Ebene identifiziert wird, sah man Ende des ersten Jahrhunderts entsprechenden Handlungsbedarf. Außerdem sah man offenbar zunächst wohl auch reelle Chancen, die Einführung geheimer Wahlen als Lösung der Entscheidungsunfähigkeit zu präsentieren. Diese Entscheidungsunfähigkeit resultierte aus einer allgemeinen Verunsicherung über die Formen der Entscheidungsfindung. Bedingt war die Verunsicherung maßgeblich durch die Eigendynamik eines aristokratischen Wettbewerbs, der in den Senat verlegt worden war. Diese Eigendynamik stellte die Konsensfähigkeit des Gremiums systematisch in Frage, ohne dass sich Alternativen geboten hätten. Mit ihrer republikanischen Vorgeschichte erhält die geheime Wahl zwar ebenfalls historische Vorbilder und liefert Möglichkeiten, sie in das kaiserzeitliche Senatsverfahren zu integrieren, bietet aber auch, wie bei Plinius zu sehen, Raum für Kritik. Kritikwürdig waren die Tumulte, die Plinius beschreibt, nicht grundsätzlich dadurch geworden, dass expressive Ausdrucksformen an sich Eingang in den Senat fanden. Grundsätzlich stellten 281 Insgesamt weist die Diskussion um die Einführung geheimer Wahlen erstaunliche Parallelen zu der im 19. Jahrhundert geführten Debatte über die Notwendigkeit der Abkehr von der bisherigen öffentlichen Wahlpraxis auf: A. Lintott hat für die Situation im ersten vorchristlichen Jahrhundert bereits vor einiger Zeit die Perspektiven eines Vergleichs mit der Einführung eines neuen Stimmrechts in Großbritannien im 19. Jahrhundert aufgezeigt (vgl. lintott, Electoral Bribery, 11–13). Kritische Auseinandersetzungen mit der aktuellen Demokratietheorie haben darüber hinaus gezeigt, wie moderne Theoriebildung zum Wahlverhalten, die die geheime Wahl zum Signum und Ideal der Moderne erheben, als Gegenentwurf zu zum Teil völlig entgegengesetzten Argumentationen noch im 19. Jahrhundert funktioniert. Erst in ihrer Möglichkeit, traditionelle soziale Abhängigkeiten zu überwinden, sprach man der geheimen Wahl ihre Legitimation zu. Damit konnte sie mit der Frage nach ,demokratischen‘ Maßstäben verknüpft werden (wie es auch die althistorische Forschung lange getan hat); sie konnte aber auch vor diesem Hintergrund als bloß temporäre Lösung, die dem Ideal der öffentlichen Stimmabgabe nichts absprach, betrachtet werden (vgl. dazu H. BucHstEin, Öffentliche Stimmabgabe in modernen Gesellschaften, in: Ders., Demokratietheorie in der Kontroverse, Baden-Baden 2009, 147–162, 157 f.).

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3. Bedingungen senatorischer Kommunikation

diese einen unverzichtbaren Bestandteil senatorischen Repertoires dar, was in den kaiserzeitlichen Quellen immer wieder betont wird.282 Kritikwürdig war das Verfahren durch die Konsequenzen, die sich daraus ergaben: Allgemein hielt man die von Plinius geschilderte Situation mit der Würde des Ortes und der Anwesenden für nicht vereinbar. Der entsprechende Handlungsbedarf, den man sah, konzentrierte sich bezeichnenderweise auf das Ergebnis des Entscheidungsfindungsprozesses. Wenn man den Wahlmodus in der beschriebenen Form änderte, verortete man das substantielle Problem offenbar in der Entscheidungsunsicherheit, die das Verfahren produzierte und die durch die etablierten Kommunikationsmechanismen allein nicht auflösbar war. Dass man trotzdem bewusst das Scheitern eines Wahlmodus’ in Kauf nahm, der darauf zielte, strukturelle Probleme der senatorischen Wahl zu beheben, ist allerdings bezeichnend. Denn die Entscheidungsunsicherheit zu beheben, bedeutete auch, funktionale Aspekte eines Verfahrens, das der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Strukturen diente, aufzugeben. Dass die Aristokratie dieses Scheitern fast schon selbstironisch mit ihrem Verhalten besiegelt, indem sie das Verfahren karikiert, ist ebenso bezeichnend wie die Tatsache, dass Plinius nur noch auf den guten Willen des Kaisers hofft, dem unehrenhaften Betragen der Standesgenossen zu begegnen. 3.3 ERGEBNISSE Ausgehend von kaiserzeitlichen Selbstbeschreibungen und Systematisierungsversuchen ist untersucht worden, welchen Bedingungen senatorische Kommunikationsmechanismen in der frühen Kaiserzeit unterworfen waren. Mit dem Blick auf deviantes senatorisches Verhalten bleibt festzuhalten, dass dieses, zumindest soweit es dezidiert auf den Senat bezogen war, weder in erster Linie gegen den Kaiser gerichtet war noch so verstanden wurde. Vielmehr lässt sich nachweisen, dass die Konflikte grundsätzlich aus dem Bezug auf die Entscheidungsfähigkeit in einem auf den Konsens orientierten Gremium erwachsen, in das die Kommunikation von Dissens nur in sehr spezifischen Formen integrierbar ist. So provozierte senatorische Kommunikation in solchen Formen, wie sie exemplarisch an den Fällen des Thrasea Paetus und des Helvidius Priscus diskutiert worden sind, Deutungsunsicherheiten in erster Linie, weil sie die Grenzen dessen thematisierte, was überhaupt zum Repertoire senatorischer Kommunikationsformen gehörte. Genau das macht letztlich das polarisierende Potential solcher Beispiele aus, mit dem Unterschied, dass ein solcher Befund nicht auf abstrakter Ebene reflektiert und systematisiert wurde. Das wirft die Frage nach dem grundsätzlichen Verständnis des kaiserzeitlichen Senats und von dessen Kommunikationsstrukturen auf. Es wirft auch die Frage auf, ob ein Senat, der auf konsensuale Praktiken ausgerichtet war, überhaupt den entsprechenden Raum bot oder ob in diesem Rahmen nicht einer Opposition 282 Siehe z. B. Plin. epist. 3,4,4.

3.3 Ergebnisse

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grundsätzlich die Voraussetzungen entzogen waren. Obwohl schon allein die äußerst heterogenen Fälle die Frage nach dem Nutzen einer solchen Kategorisierung aufwerfen sollten, werden solche Fragen in der Regel nicht systematisch verfolgt. Dabei lässt sich die Frage im Gegensatz zu den heterogenen Beispielen devianten senatorischen Verhaltens durchaus sinnvoll für den Senat zuspitzen. Das Ergebnis lässt sich auf zwei Ebenen verorten: Zum einen ist eine institutionalisierte ,Opposition‘ in einem konsensorientierten Gremium wie dem kaiserzeitlichen Senat letztlich nicht nachweisbar. Entscheidend ist dabei vor allem – was theoretisch bereits erwartbar war –, dass solche Kommunikationsformen, die grundsätzlich nicht wie üblich auf ein Nachgeben ausgerichtet waren, strukturell nicht in den Horizont aristokratischer Kommunikationsformen integrierbar waren, weil sie für die Standesgenossen unberechenbar waren. Genau deshalb werden zum anderen die Kommunikationsformen von Senatoren in den Quellen auch eindeutig als deviant markiert, weil sie offensichtlich neuralgische Punkte innerhalb der senatorischen Kommunikationsstrukturen der frühen Kaiserzeit zur Sprache brachten. Diese Probleme lassen sich auch erkennen, wenn man grundsätzlicher die Auswirkungen untersucht, die sich aus den neuen Funktionsbereichen des Senats seit der frühen Kaiserzeit ergaben. So trug die Übertragung der Gerichtsbarkeit in erheblichem Maße zur Verunsicherung innerhalb der Senatsaristokratie bei, da auf diese Weise verstärkt inneraristokratische Konflikte in das Gremium getragen wurden. Problematisch ist dabei, dass für solch tiefe Konfliktlinien bisher keine Mechanismen existierten, um diese langfristig auflösen zu können. Damit gefährdete man aber gleichzeitig die Entscheidungssicherheit des Senats. Die Hilflosigkeit gegenüber dieser Dynamik zeigte sich besonders deutlich in dem Umgang mit den Anklägern und deren sozialer Degradierung. Das Misstrauen, das man Delatoren entgegenbrachte, konnte dann auch durchaus die Interessen bündeln und entsprechend in Entscheidungen münden. Meist stellten solche Beschlüsse aber höchstens situationsgebundene Versuche dar, den Umgang mit den maiestas-Klagen zu reglementieren. Die Versuche von Angeklagten, Auswege aus einer Situation zu finden, die mit der Standeswürde noch in irgendeiner Form vereinbar schienen, wenn deren Existenz durch den Prozess gefährdet war, wirkten ähnlich hilflos. Obwohl die Formen des Verfahrens grundsätzlich geregelt waren, bedingte die Verlegung in den Verantwortungsbereich des Senats damit ein hohes Maß an Unsicherheit innerhalb der Senatsaristokratie, da zum einen klare, handlungsleitende Kriterien fehlten und zum anderen senatorische Kommunikationsmechanismen, die auf die Herstellung des aristokratischen Konsenses ausgerichtet waren, mit solchen Formen strukturell nur schwer zu vereinbaren waren. Solche Dynamiken lassen sich vor allem nicht nur in solchen Zusammenhängen, sondern auch in anderen Entscheidungskontexten nachweisen. So deutet die Verlegung der Magistratswahlen in den Senat darauf hin, dass die Entscheidungssicherheit im Senat im ersten Jahrhundert n. Chr. durchaus ein strukturelles Problem darstellte. Spätestens Ende des ersten Jahrhunderts sah man offenbar entsprechenden Handlungsbedarf, indem man versuchte, für die Magistratswahlen ein neues Wahlverfahren zu etablieren. Der Versuch lässt vermuten, dass man offenbar zu-

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3. Bedingungen senatorischer Kommunikation

nächst wohl auch reelle Chancen sah, die Einführung geheimer Wahlen als Lösung der Entscheidungsunfähigkeit zu präsentieren. Diese Entscheidungsunfähigkeit resultierte aus einer allgemeinen Verunsicherung über die Formen der Entscheidungsfindung, die durch die Eigendynamik eines in den Senat verlegten aristokratischen Wettbewerbs bedingt war. Auch hier wurde die Konsensfähigkeit des Gremiums systematisch in Frage gestellt, ohne dass sich Alternativen dazu geboten hätten. Mit ihrer republikanischen Vorgeschichte erhält die geheime Wahl allerdings – auch wenn eine explizite Verbindung in den kaiserzeitlichen Quellen nicht greifbar ist – historische Vorbilder und liefert Möglichkeiten, diese in das kaiserzeitliche Senatsverfahren zu integrieren. Bezeichnend ist, dass sich der Handlungsbedarf, den man sah, auf das Ergebnis des Entscheidungsfindungsprozesses konzentrierte. Wenn man den Wahlmodus in der beschriebenen Form änderte, verortete man das substantielle Problem offenbar in der Entscheidungsunsicherheit, die das Verfahren produzierte und die durch die etablierten Kommunikationsmechanismen allein nicht zu bewältigen war. Auch in diesem Zusammenhang lässt sich also ein erhebliches Maß an Unsicherheit über den formalen Rahmen feststellen, wobei besonders deutlich erkennbar ist, dass die Entscheidungssituation als problematisch markiert wird. Zu prüfen bleibt, welche Bedeutung diesen neuen Entscheidungskontexten im Hinblick auf das Senatsverfahren in der frühen Kaiserzeit insgesamt zukam.

4. KONTINUITÄTEN UND DISKONTINUITÄTEN: DAS KAISERZEITLICHE SENATSVERFAHREN 4.1 SENATSALLTAG Die verschiedenen Aufgabenbereiche voneinander getrennt zu diskutieren, obwohl die kaiserzeitlichen Quellen in der Regel weniger scharf trennen, ist zwei Gründen geschuldet, die hier noch einmal erwähnt seien: Erstens gehen die antiken Darstellungen in einer allgemeinen Tätigkeit des Gremiums auf. Sie tragen damit dem Umstand Rechnung, dass in der kaiserzeitlichen Praxis die Grenzen zwischen unterschiedlichen Entscheidungskontexten durchaus fließend waren und der Senat bei Bedarf in ein und derselben Sitzung mehreren Funktionen gerecht werden konnte.1 Die Kompetenzen, die in der Kaiserzeit neu hinzukamen, werden einer solchen Verallgemeinerung zwar erst einmal untergeordnet, dahinter ist aber eine genauere Differenzierung erkennbar. Die Trennung dient also erst einmal analytischen Zwecken.2 Darüber hinaus ist die Trennung zweitens sinnvoll, weil auf diese Weise die umfangreichen und unterschiedlichen Aufgabenbereiche darstellbar sind. Auch lassen sich Neuerungen oder Veränderungen im Senat besser sichtbar machen und zuordnen. Welche Konsequenzen sich daraus für die senatorischen Kommunikationsmechanismen ergaben, ist in den vorangegangenen Kapiteln aufgezeigt worden. Hier soll nun der Senatsalltag allgemein untersucht werden. Dazu werden zunächst die wesentlichen Strukturen einer Senatssitzung idealtypisch dargestellt,3 um als sie Grundlage für eine Diskussion des senatorischen Verfahrens zu nutzen (Kap. 4.1) und um Veränderungen im Senatsalltag (Kap. 4.2) besser einordnen zu können. Zurückgreifen kann man bei der Rekonstruktion auf die umfangreichen Arbeiten MoMMsEns und – spezifisch für die Kaiserzeit – die Studien talBErts zum kaiserzeitlichen Senat.4 Eine Auseinandersetzung mit deren Interpretationen wird allerdings nicht im Rahmen der idealtypischen Rekonstruktion stattfinden – dort lassen sich höchstens Perspektiven aufzeigen –, sondern bleibt der Analyse5 des Senatsverfahrens und den kaiserzeitlichen Veränderungen vorbehalten.6 Denn erst vor diesem Hintergrund werden die sehr spezifischen An1 2 3 4 5

6

Vgl. talBErt, Senate, 462 f. Vgl. MoMMsEn, StR 3.2, 905 f. Damit wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben (zumal dafür bereits ausführliche Rekonstruktionen bereitstehen, vgl. dazu Kap. 4 / Anm. 1 u. 2); den spezifischen Charakter kaiserzeitlicher Sitzungen darzustellen, erscheint erst in der Gesamtschau möglich. Vgl. EBd.; talBErt, Senate, 221–289. Allein durch die Verortung des Verfahrens im kaiserzeitlichen Kontext lassen sich bereits Veränderungen aufzeigen. Die analytische Trennung erscheint insofern gerechtfertigt, als auf diese Weise mögliche Veränderungen in den Kommunikationsmechanismen deutlicher betont und separat diskutiert werden können. Vgl. dazu insbes. Kap. 3.3.

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

forderungen an die Entscheidungsfindungsprozesse in der frühen Kaiserzeit darstellbar und analysierbar sein. 4.1.1 Die Organisation des senatorischen Entscheidungsprozesses: Eine idealtypische Rekonstruktion des Senatsverfahrens Der Sitzungsverlauf, der den senatorischen Entscheidungsprozess formal strukturierte, lässt sich idealtypisch in drei Abschnitte gliedern: erstens die Antragstellung (relatio), zweitens die Meinungsumfrage und drittens die Abstimmung (discessio).7 Die relatio leitete den eigentlichen, formalisierten Entscheidungsprozess im Senat ein.8 Der vorsitzende Magistrat stellte eine Angelegenheit in Form einer Frage zur Debatte. Die ursprüngliche terminologische Unterscheidung, die den unterschiedlichen Kontexten, in die die Anfragen gehörten, Rechnung trug, lässt sich für die Kaiserzeit nicht erkennen. Relatio diente damit als technischer Begriff für alle magistratischen Anfragen.9 Der vorsitzende Magistrat leitete mit seiner Anfrage an die versammelten Senatoren den Entscheidungsprozess ein. Gleichzeitig legte der Vorsitzende hier die jeweiligen Tagesordnungspunkte, die zu verhandeln waren, fest.10 Für die übrigen Senatoren waren gleichzeitig den Möglichkeiten, den Verlauf der Sitzung zu gestalten, enge Grenzen gesetzt. Zwar verfügte ein Senator prinzipiell über das Recht, sich im Verlauf der Befragung zu jeder beliebigen Angelegenheit zu äußern, eine Entscheidung war aber nur möglich, wenn dem eine offizielle Anfrage seitens des Vorsitzenden vorangegangen war.11 Strukturiert wurde der senatorische Entscheidungsprozess durch das Zusammenwirken von leitendem Magistrat und demjenigen, der sich in der Umfrage zuerst äußerte (primus rogatus). Durch die relatio wurde dieser Prozess formal eröffnet und die spätere Beschlussfassung zugleich legitimiert. Grundsätzlich war dieser allerdings immer noch in hohem Maße unvorhersehbar und abhängig von situativen Entscheidungen, zumal – abgesehen von informellen Absprachen im Vorfeld der 7 8 9 10 11

Diese Einteilung folgt weitgehend MoMMsEn, StR 3.2, 905. Bei Talbert werden diese einzelnen Abschnitte zwar genannt, insgesamt aber in eine sehr viel kleinteiligere Rekonstruktion eingeordnet, womit ihr strukturierender Charakter in der Darstellung weitgehend untergeht. Zum ritualisierten Beginn der Senatssitzungen mit Opfern, Dankansprachen, Gesprächen mit dem Vorsitzenden vgl. ausführlich talBErt, Senate, 224–234. Ursprünglich wurde zwischen der Bestätigung von Volksbeschlüssen und der Beratung über magistratische Dekrete unterschieden: MoMMsEn, StR. 3.2, 952 f. mit den entsprechenden Belegen. Da in der Regel nur Höherrangige dem etwas entgegenzusetzen hatten, blieben die Vorsitzenden, mit Ausnahme von Volkstribunen, die höchste Autorität und kontrollierten auf diese Weise den Sitzungsverlauf (vgl. talBErt, Senate, 235). magno adsensu celebrata sententia. non tamen senatus consultum perfici potuit abnuentibus consulibus ea de re relatum (Tac. ann. 15,22,1). So auch Tac. ann. 3,34: neque relatum de ne­ gotio. Auch während der Senat die Rechte von Freigelassenen ihren Patronen gegenüber im Jahr 56 n. Chr. verhandelte, zeichnete sich offensichtlich bereits früh eine Mehrheit ab. Dennoch habe sich, so berichtet es Tacitus (Tac. ann. 13,26,1), keiner der Consuln bereit erklärt, ohne Wissen des Princeps den Antrag einzubringen: (…) sed consules, relationem incipere non ausi ignaro principe (…). MoMMsEn, StR. 3.2, 942; 953.

4.1 Senatsalltag

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Sitzung – keine Agenda existierte, die den Ablauf der Sitzung durch festgelegte Themen hätte vorgeben können.12 Da für die Senatoren deswegen die Möglichkeiten zur Vorbereitung auf eine sachliche Diskussion der zu verhandelnden Gegenstände eng begrenzt waren, kam der Anweisung, die mit der Anfrage verbunden war, eine wichtige Rolle zu.13 Diese kompensierte die fehlende Vorbereitung und fehlende sachliche Kompetenz in speziellen Fragen. Dafür war vor der Diskussion vorgesehen, dass – was mit verba facere / λόγους ποιεῖσθαι bezeichnet wird – entweder der vorsitzende Magistrat oder aber, je nach Angelegenheit, Spezialisten die nötigen Informationen und das Fachwissen lieferten. Problematisch war dabei, dass gerade bei den Vorträgen der Vorsitzenden oder der Kaiser die Grenzen zwischen Vortrag und Vorwegnahme des Senatsbeschlusses fließend waren. Insbesondere galt das, wenn diese so formuliert waren, dass es nur noch um die Zustimmung oder Ablehnung des Anliegens ging.14 Über die Meinungsumfrage und den Charakter von Senatsdebatten in der römischen Praxis ist insgesamt leider vergleichsweise wenig bekannt. Erschwert wird der Zugang auch insofern, als insbesondere Reden in der Historiographie in der Regel so stilisiert sind, dass die Praxis dahinter oft weitgehend verschwindet.15 In substantivierter Form existierte für die Meinungsumfrage im Lateinischen kein Terminus. Im Zusammenhang mit der Abgabe der sententia werden üblicherweise die Verben censere und dicere (bzw. respondere als unmittelbare Reaktion auf eine Meinungsäußerung) verwendet.16 Falls bereits nach der Antragstellung absehbar war, dass die anwesenden Senatoren sich einig waren, ging man unmittelbar zur Beschlussfassung über (senatus consultum per discessionem).17 Sobald sich ab12 13 14

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Für diese Abläufe siehe talBErt, Senate, 235: „Not only did it depend upon members’ reaction to successive items; plans made by the president might also be upset by special requests raised on the spot.“ Dazu tiMMEr, Auseinandertreten, 387. Vgl. MoMMsEn, StR 3.2, 957–962. So weist Mommsen darauf hin, dass Cicero dieses noch in der späten Republik ausdrücklich als problematisch und exzeptionell bezeichnet: Cic. Phil. 1,1,4; 10,8,17. Die übliche Praxis, die Meinung als Princeps zu Beginn einer Sitzung in Form einer oratio vorzutragen oder – sollte der Herrscher nicht persönlich anwesend sein – in Form eines Briefes vorlesen zu lassen, was den weiteren Prozess der Entscheidungsfindung in der Regel entscheidend prägte, wird einer solchen Realität viel eher gerecht: z. B. Tac. ann. 3,55; Suet. Nero 15,2. Vgl. zu den entsprechenden Stellen z. B. Tac. ann. 3,19, wo von auctor die Rede ist, was auf eine Empfehlung, basierend auf der kaiserlichen auctoritas, rekurriert: Tac. ann. 3,53: consilium; 1,73; darüber hinaus Suet. Claud. 10,4. Die Rolle, die die Kaiser dadurch im Senat spielten, entsprach dennoch ganz der Tradition, in der der Senat handelte. Vgl. dazu FlaiG, Ritualisierte Politik, 223; WallacE-Hadrill, Augustan Rome, 20 f. – obwohl dem Urteil, dem Senat seien seit Augustus allein zeremonielle Funktionen zugekommen, zumindest in der Form nicht zuzustimmen ist. Tac. hist. 4,7. MoMMsEn, StR 3.2, 981–985. Vgl. z. B. Tac. ann. 3,17,4: primus sententiam rogatus Aurelius Cotta consul (…) nomen Pisonis radendum fastis censuit (…). 13,49,1: (…) nisi Paetus Thrasea contra dixisset praebuissetque materiem obtrectatoribus arguendae sententiae. Plin. epist. 2,11,5 f.: novissime consul desig­ natus Iulius Ferox (…) censuit (…). quae sententia non praevaluit modo (…). 6,5,4: respondit Nepos rursusque Celsus (…). Gell.14,7,9 u. bes. 12: quod ait [Varro] senatus consultum duobus modis fieri solere conquisitis sententiis aut per discessionem (…). Gell. 3,18,2: cum senatusconsultum per discessionem fie­

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zeichnete, dass in der betreffenden Angelegenheit Diskussionsbedarf bestand oder der zu verhandelnde Gegenstand von besonderer Bedeutung war, eröffnete der Vorsitzende die Meinungsbefragung der Senatoren.18 Diese folgte strengen formalen Regeln. Gellius zufolge sei die Reihenfolge, in der die Senatsmitglieder aufgefordert wurden, ihre Meinung zu der entsprechenden Angelegenheit zu äußern, in der späten Republik gesetzlich geregelt worden; davor sei sie beliebig gewesen.19 Der Feststellung dürfte zugrunde liegen, dass zum einen im ersten Jahrhundert v. Chr. zahlreiche Eingriffe in die traditionellen Formen belegbar sind und zum anderen durch gesetzliche Regelungen der formale Rahmen, dem die Senatssitzungen folgten, in dieser Verbindlichkeit erstmals schriftlich fixiert wurde und den Formen allein dadurch langfristig eine vollkommen neue Bedeutung zukam.20 Die senatorische Meinungsumfrage folgte auch in der Kaiserzeit – mit einigen, wenn auch entscheidenden Modifikationen – der Hierarchie, die im Wesentlichen im cursus honorum angelegt war, wobei ab augusteischer Zeit durch die Erfüllung familiärer Pflichten weiter differenziert wurde. Darüber hinaus wurden erfolgreiche Anklagen ebenso bei der Reihenfolge der Befragung berücksichtigt wie das kaiserliche Recht, einzelnen Personen Magistraturen – und damit verbunden wahrscheinlich auch ein fiktives Amtsalter und einen konkreten Platz in der senatorischen Hierarchie – zu verleihen (adlectio).21 Diese Kriterien erfassten allerdings nicht alle Akteure, die zum regelmäßigen Teilnehmerkreis bei Senatssitzungen zählten. Denn erstens kam, sofern sie in der Sitzung anwesend waren, Magistraten eine Sonderrolle zu, weil sie von der Meinungsumfrage und dem Stimmrecht ausgeschlossen waren.22 Zweitens wurde den designierten Magistraten eine exponierte Stellung zugewiesen. Diese wurden noch

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bat, nonne universi senatores sententiam pedibus ferebant. Suet. Tib. 31: cum senatus consul­ tum per discessionem forte fieret, transeuntem eum in alteram partem, in qua pauciores erant, secutus est nemo. Dass in den Inschriften die Formulierung senatus consultum per relationem discessionemque facere (z. B. CIL 6,930=ILS 244) verwendet wird, widerspricht dem nicht, sondern betont, wie Mommsen zu Recht vertritt, die wesentlichen Elemente, die zum Senatsbeschluss geführt haben und somit seine Legitimität unterstreichen. Vgl. MoMMsEn, StR 3.2, 983 f., bes. Anm. 4.; dazu auch EcK/caBallos, Senatus consultum, 271 f. Gell. 14,7,9 f.: docet deinde inibi multa: (…) senatusque consultum fieri duobus modis, aut per discessionem, si consentiretur, aut, si res dubia esset, per singulorum sententias exquisitas; singulos autem debere consuli gradatim incipique a consulari gradu. Iuv. 6,497–501; Tac. ann. 6,12,1; 13,49. Vgl. talBErt, Senate, 240; zur Diskussion auch Kap. 4.1.3. Dazu Gell. 4,10,1. Mommsen zu den Veränderungen seit Sulla: „Offenbar hat Sulla diese Vormannschaft [gemeint: princeps senatus] beseitigt. Politisch vertrug die vollendete Optimatenherrschaft sich nicht mit der wenn auch nur nominellen Vorstandschaft eines einzelnen Mitgliedes und mit dem festen Vorstimmrecht, welches jetzt in einer anderen weiterhin auseinanderzusetzenden Weise geregelt wird.“ (StR 3.2, 970; vgl. außerdem 975 zur individuellen Entscheidungsfreiheit des Vorsitzenden seit Sulla). Zur genaueren Einordnung der lex Iulia de senatu habendo siehe Kap. 4.2.1. Vgl. MoMMsEn, StR 3.2, 969–972. Zur Auswirkung der Ehegesetze vgl. BaltruscH, Regimen morum, 165; zur adlectio KiEnast, Augustus, 138. Vgl. Cass. Dio 41,2; 44,15 (dazu MoMMsEn, StR 3.2, 944). Auch Tacitus bestätigt diese Praxis: Vgl. Tac. ann. 3,17,4.

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nicht zu den amtierenden Magistraten gezählt, da sie an der Meinungsumfrage teilnahmen; allerdings wurden sie insofern in das Verfahren integriert, als sie bereits in dem Rang aufgerufen wurden, für den sie designiert waren. Exponiert war ihre Stellung nicht nur durch dieses Privileg, sondern vor allem dadurch, dass sie innerhalb dieses Ranges auch von den sonst für diese Reihenfolge maßgeblichen Kriterien befreit waren und damit an erster Stelle innerhalb ihrer Rangklasse stimmten.23 Schließlich war die Reihenfolge drittens für den Vorsitzenden nie vollständig verbindlich. Zwar galt es als normativer Maßstab, darauf Rücksicht zu nehmen, aber die Norm wurde weder in der Republik noch in der Kaiserzeit in irgendeiner Form fixiert, so dass sie als objektivierbarer Maßstab für die republikanische oder kaiserzeitliche Praxis hätte angewandt werden können.24 Ob die kaiserzeitliche Praxis aber den Herrschern wirklich in dieser Weise als Experimentierfeld für neue Formen der senatorischen Meinungsumfrage diente, wie es die Quellen an manchen Stellen suggerieren, ist fraglich und scheint weniger mit willkürlichen, situativen Entscheidungen als mit den Problemen zusammenzuhängen, die im Senat der frühen Kaiserzeit strukturell angelegt waren. Insgesamt folgte die senatorische Meinungsumfrage sehr klaren Strukturen. Dabei hatten nur diejenigen das Recht, bei der Umfrage anwesend zu sein, die auch tatsächlich stimmberechtigt waren.25 Die individuellen Meinungsäußerungen (sententiae), deren Reihenfolge im Wesentlichen an die senatorischen Hierarchien gebunden war, konnten nur mündlich abgegeben werden. Sich zu äußern, galt wohl als verpflichtend, sobald der Vorsitzende den einzelnen Senator namentlich dazu aufforderte. Dieser senatorischen Pflicht (senatoriam necessitatem)26 folgend wurde theoretisch jeder einzelne Akteur unmittelbar in den Entscheidungsfindungsprozess integriert, dem er sich im Rahmen des Senatsverfahrens kaum entziehen konnte. Allerdings bedeutete das nicht zwangsläufig, dass ein Senator auch zu diesem Thema Stellung beziehen musste; er konnte genauso von dem Recht Gebrauch machen, an dieser Stelle seine Meinung zu Themen zu äußern, die nicht in der relatio eingeschlossen waren.27 Da das Privileg der prima sententia damit verbunden war, einen konkreten Antrag zu stellen (censere), hatten die nachfolgenden Befragten zu entscheiden, ob sie diesem widersprachen und einen anderen Antrag stellten oder dem Vorschlag 23 24 25 26

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Vgl. MoMMsEn, StR 3.2, 972 f.; talBErt, Senate, 244. Bestätigt wird das von den antiken Quellen regelmäßig: vgl. Sen. apocol. 15; Tac. ann. 1,14; 2,36. Vgl. MoMMsEn, StR 3.2, 974 f. mit den entsprechenden Belegen für die Republik. Dass klare Vorstellungen davon existierten, in welcher Reihenfolge die Senatoren sich zu äußern hatten, illustriert auch Cass. Dio 54,15,5 f. Dazu Sen. apocol. 8; MoMMsEn, StR 3.2, 978. Vgl. Liv. 28,45,5; Tac. ann. 11,4,3: rogatus sententiam et Scipio ‚cum idem‘ inquit ‚de admissis Poppaeae sentiam quod omnes, putate me idem dicere quod omnes‘, eleganti temperamento inter coniugalem amorem et senatoriam necessitatem. Unabhängig von der eigentlichen Darstellungsabsicht belegt das auch Epiktet in dem fiktiven Dialog zwischen Helvidius Priscus und Vespasian, der die aus dieser Notwendigkeit entstehenden Probleme thematisiert: vgl. Epikt. 1,2,19–21 (siehe dazu Kap. 3.2 / Anm. 100). Dazu MoMMsEn, StR 3.2, 978 f.; talBErt, Senate, 253 ff.; zur republikanischen Praxis und den damit zusammenhängenden Problemen FlaiG, Mehrheitsentscheidung, 373 f.

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

zustimmten, wobei letzteres der häufigere Fall war. Eine Möglichkeit, sich damit als Redner zu profilieren und seine individuelle Position im Senat hervorzuheben, bot diese Form der Kommunikation allerdings nicht, sondern wurde in der Regel nur zur Kenntnis genommen.28 Einfluss auf den endgültigen Antrag, der dann nach der Meinungsumfrage zur Abstimmung gestellt wurde, konnte man aber nicht ausschließlich durch eine frühe Meinungsäußerung ausüben. Auch Vorschläge spät in die Diskussion einzubringen, bot eine Möglichkeit, auf den Entscheidungsprozess aktiv einzuwirken.29 Formal sah das Verfahren erst einmal vor, dass sich jedes Senatsmitglied nur einmal im Verlauf der Umfrage äußerte; abhängig von der Entscheidung des Vorsitzenden konnte ein Senator dann darum bitten, nach dessen sen­ tentia eventuell entstandene Missverständnisse auszuräumen. In diesem Rahmen war es dann auch möglich, dass sich Debatten zwischen einzelnen Senatoren oder zwischen Senator und Magistrat (altercatio) entwickelten.30 Das Ergebnis der Umfrage waren die verschiedenen Anträge. Nach der Prüfung des Vorsitzenden, ob sie inhaltlich miteinander zu vereinbaren waren, wurden sie nacheinander zur Abstimmung gestellt, wenn nicht ohnehin schon im Verlauf der Umfrage beantragt worden war, in einer sententia vorgebrachte Angelegenheiten getrennt voneinander zu behandeln.31 Ebenso war der Vorsitzende, ohne dass dafür eine Begründung notwendig gewesen wäre, befugt, senatorische Vorschläge zu ignorieren. Sofern sich abzeichnete, dass ein Antrag auch nach der Diskussion noch abgelehnt wurde, strich man diesen in der Regel von der Tagesordnung und stimmte nicht darüber ab. Dementsprechend finden sich auch keinerlei Belege dafür, dass die Ablehnung eines Antrags als Beschluss formuliert wurde. Die endgültigen Beschlüsse waren nur positiv als angenommene Anträge formulierbar.32 Die discessio33 war, im Gegensatz zur Meinungsumfrage, ein unverzichtbarer Teil des senatorischen Entscheidungsprozesses. Dass Varro zwei formalisierte Möglichkeiten, eine Entscheidung im Senat herbeizuführen, überliefert, nämlich 28

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Plin. epist. 2,11,21: nam quidam ex illis quoque, qui Cornuto videbantur adsensi, hunc qui post ipsos censuerat sequebantur. Tac. hist. 4,4: eaque omnia Valerius Asiaticus consul designatus censuit: ceteri vultu manuque, pauci (…) compositis orationibus adsentiebantur. MoMMsEn, StR 3.2, 979–981 mit den entsprechenden Belegen. Siehe z. B. Cic. Att. 1,19,9; Cic. Phil 5,2,5; Vell. Pat. 2,35; Plin. epist. 2,11. Direkt als altercatio bezeichnet in Tac. hist. 4,7; Suet. Aug. 54. Ansonsten finden sich auch andere Formulierungen häufiger im Zusammenhang mit Meinungsverschiedenheiten, die aber nicht in jedem Fall einen längeren Wortwechsel markieren müssen, z. B. Tac. hist. 2,53,1: no­ tabile iurgium fuit quo Licinius Caecina Marcellum Eprium et ambigua disserentem invasit. Tac. ann. 13,49. Vgl. Asc. p. 43C; Sen. mor. 2,21,9: quod fieri in senatu solet, faciendum ego in philosophia quoque existimo: cum censuit aliquis, quod ex parte mihi placeat, iubeo illum dividere senten­ tiam et sequor, quod probo. Dazu auch talBErt, Senate, 281 f. Eine Ausnahme verzeichnet Plinius, der nach der Sitzung bei einem Freund um juristischen Rat in der Frage sucht, ob der Ablauf einer bestimmten Sitzung rechtmäßig gewesen sei: (…) quae distinctio pugnantium sententiarum, quae exsecutio prioribus aliquid addentium (…) (Plin. epist. 8,14,6). nam si oportuisset dividi sententiam unius, quia res duas comprehendebat, non reperiebam quemad­ modum posset iungi sententia duorum tam diversa censentium (Plin. epist. 8,14,15). Vgl. MoMMsEn, StR 3.2, 987 f. / bes. Anm. 5. Mommsen unterscheidet in seiner Darstellung zusätzlich zwischen Fragestellung und eigentli-

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per discessionem, wenn Einigkeit bestand (si consentiretur) oder per singulorum sententias exquisitas, wenn Zweifel geäußert wurden (si res dubia esset),34 bedeutet nicht, dass im zweiten Fall die discessio entfiel. Das von Gellius überlieferte Verfahren, von dem Varro berichtet habe, betont lediglich die entscheidenden Momente, die die Entscheidungssicherheit herstellten und weniger den vollständigen formalen Ablauf des gesamten Prozesses. Selbst wenn sich nicht abzeichnete, dass Dissens bestand, stellte die Herbeiführung der Entscheidung per discessio den formalen Abschluss des Entscheidungsprozesses dar.35 Der Ablauf der Abstimmung, der zumindest im Hinblick auf die Entscheidungssituation vergleichsweise gut überliefert ist, lässt sich folgendermaßen rekonstruieren: Der Vorsitzende forderte die anwesenden Senatsmitglieder mit einer Handbewegung auf, sich auf die, je nach Zustimmung oder Ablehnung des Antrags, angewiesenen Seiten der Kurie zu begeben (discessionem facere / μετάστασις).36 Von Festus ist die Aufforderung als qui hoc censetis, illuc transite, qui alia om­ nia, in hanc partem,37 von Plinius d. J. in ähnlicher Form als qui haec censetis, in hanc partem, qui alia omnia, in illam partem ite qua sentitis38 bekannt. Dabei waren die einzelnen Senatoren in ihrem Abstimmungsverhalten nicht an die Meinung gebunden, die sie im Verlauf der Umfrage geäußert hatten, sondern konnten ihre ursprüngliche Position mit der endgültigen Feststellung des Urteils auch noch revidieren.39 Einen Rahmen, dieses zu begründen, lieferte die discessio selbst nicht; für die Abstimmung bestand lediglich noch die Option, für oder gegen den Antrag zu stimmen.40 Das Ergebnis der Abstimmung stellte der Vorsitzende schließlich mit den Worten „dieser Teil scheint mir der größere zu sein“ (haec pars maior videtur)41 fest. Eine solche Feststellung beinhaltet zwei wesentliche Aspekte der discessio. Erstens wurde bei der Abstimmung zwischen den Stimmen der einzelnen Senatoren nicht differenziert. Und zweitens suggerieren die Worte, dass für das Ergebnis offenbar kein Wert darauf gelegt wurde, das Abstimmungsergebnis durch genaue Zahlenver-

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cher Beschlussfassung. In den Quellen wird die Fragestellung in der Regel nicht als separater Verfahrensschritt hervorgehoben. Gell. 14,7,9 (siehe Kap. 4.1 / Anm. 18). Siehe z. B. Tac. ann. 6,12,1; Plin. epist. 2,11,22; 9,13,20. Vgl. dazu MoMMsEn, StR 3.2, 991; tiMMEr, Auseinandertreten, 385. Die Zweifel, die Talbert hinsichtlich der Formalisierung der discessio in allen senatorischen Entscheidungsfindungsprozessen geäußert hat, werden damit hinfällig (vgl. talBErt, Senate, 279 f.). Zu den Problemen der Übertragbarkeit vgl. allerdings Kap. 4.1.3. Plin. epist. 8,14,13; 2,11,22; Gell. 14,7,12; Cass. Dio 56,41,3. MoMMsEn, StR 3.2, 992 mit den Belegen für die technischen Ausdrücke. Fest. p. 261. Plin. epist. 8,14,19. Dazu Plin. epist. 2,11,21 (vgl. Kap. 4.1.3 / Anm. 92); Plin. epist. 8,14,24: qui ultimum suppli­ cium sumendum esse censebat (…) omissa sententia sua accessit releganti (…). So auch Cic. Phil. 11,6,15; Caes. bell. civ. 1,2. Zur geänderten Stimmungslage im Verlauf der Meinungsumfrage vgl. auch Tac. ann. 4,30; hist. 2,10. Vgl. MoMMsEn, StR 3.2, 991. Sen. vit. beat. 2: quod mihi discessionum more respondeas: ‚haec pars maior videtur‘. Vergleichbar auch Tac. ann. 14,45.

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

hältnisse auszudrücken. Entsprechend liefern auch weder die literarischen noch die inschriftlichen Zeugnisse Anhaltspunkte dafür, dass regelmäßig die Stimmen ausgezählt wurden. Obwohl die kaiserzeitlichen gegenüber den aus republikanischer Zeit bekannten Inschriften, die einzelne senatus consulta dokumentieren, die Zahl der anwesenden Senatoren regelmäßig festhalten, wird dieses erst formelhaft am Ende betont – und nicht im Rahmen der discessio.42 Insgesamt vertritt auch talBErt diese Meinung: „To take a count for the vote on every sententia without exception would have been time-consuming, pointless, and altogether impracticable.“43 Obwohl solche pragmatischen Erwägungen bei einem im Idealfall vollbesetzten Senat sicherlich eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben dürften, war die Praxis, die Stimmenmehrheit nicht durch Auszählen festzustellen, allerdings nicht so selbstverständlich und selbsterklärend, wie seine Worte es suggerieren. Doch dazu bedarf das senatorische Verfahren einer genaueren Analyse, als es die bisherige Rekonstruktion leisten kann. 4.1.2 Senecas Apokolokyntosis: Zwischen Idealvorstellungen und kaiserzeitlichem Senatsalltag Ein einmaliges Beispiel für eine zusammenhängende Darstellung einer kaiserzeitlichen Senatssitzung liefert die kurz nach dem Tod des Claudius veröffentlichte Apokolokyntosis. Die Schrift hat die Forschung zu sehr unterschiedlichen Urteilen bewogen, wie mit einer Satire, die so scharf mit der Herrschaft des Claudius abrechnet, umzugehen ist. Wie fließend allein die Genregrenzen in der Apokolokynto­ sis sind und wie bewusst sie gebrochen werden, hat c. daMon aufgezeigt.44 Für die hier interessierenden Zusammenhänge ist der Schrift aber, gerade weil sie primär als Satire behandelt wird, vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit gewidmet geworden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem, wie die fiktive Senatssitzung dargestellt wird. Denn auch durch die ironische Brechung der historischen Vorlage ist der Bezug auf zeitgenössische Strukturen durchaus erkennbar. Das betrifft beispielsweise die in den Olymp transferierte Senatssitzung, in der die Götter über die Vergöttlichung des eben verstorbenen Claudius zu entscheiden haben. In der Schrift konfrontiert Seneca Idealvorstellungen senatorischer Kommunikation auf ironische Weise mit der Praxis der frühen Kaiserzeit. Der Tod des Claudius liefert ihm dafür die Vorlage.45 Seneca lässt den Kaiser nach dessen Tod zunächst in den Olymp aufsteigen. Nachdem es Claudius gelungen ist, sich dort der Unterstützung des Hercules zu versichern, wird ihm von Iuppiter als Vorsitzen42 43 44 45

So auch MoMMsEn, StR 3.2, 993, bes. Anm. 6. Vgl. dazu Kap. 3.3.1. talBErt, Senate, 283 f. Dazu c. daMon, Too Close? Historian and Poet in the Apocolocyntosis, in: J. F. Miller / A. J. Woodman (Hgg.), Latin Historiography and Poetry in the Early Empire. Generic Interactions, Leiden 2010, 49–70. Zum historischen Kontext und der Intention der Schrift siehe etwa: H. HorstKottE, Die politische Zielsetzung von Senecas Apocolocyntosis, in: Athenaeum 63 (1985), 337–358; H. ottMann, Geschichte des politischen Denkens, Bd. 2.1: Die Römer, Stuttgart 2002, 248.

4.1 Senatsalltag

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dem erlaubt, dass Hercules die Bitte, unter die Götter aufgenommen zu werden, auf die Tagesordnung setzen lässt. Die Befragung des Claudius, die darauf folgt, endet allerdings in tumultartigen Szenen, so dass Iuppiter sich gezwungen sieht, in die Situation, die außer Kontrolle zu geraten droht, einzugreifen. Mit seinem souveränen Auftreten erinnert er an die Würde des Ortes. Die Kritik richtet sich nur vordergründig gegen das undisziplinierte Verhalten der Senatoren; dahinter zeigt sich das Bewusstsein, welche Auswirkungen es auf die Würde des Gremiums hat. Der Anspruch, als Ort der legitimen Entscheidungsfindung zu gelten, speist sich aus seiner symbolischen Überhöhung, der die Kommunikationsformen der Mitglieder entsprechend angepasst sind, um diesen Anspruch dauerhaft aufrechterhalten zu können. Ansonsten hätte ein solches Verhalten zur Folge, dass die Senatoren gleichzeitig nach außen Inkompetenz vermitteln würden. Eine würdevolle Aura des Gremiums zu wahren, wird in diesem Kontext zu einem dominierenden Anliegen, weil daraus letztlich die Position des Gremiums bestimmt wird.46 Strukturell ist das also durchaus vergleichbar mit den Diskussionen über den Umgang mit Dissens im Senat. Die folgende Meinungsumfrage folgt streng formalisierten Regeln der Kommunikation. Als ersten lässt Seneca Ianus, der für den ersten Juli als postmeridianus consul designiert ist, sprechen.47 Er setzt hier fort, was er schon vorher illustriert hat, nämlich anhand der Diskussion unter den Göttern senatorische Kommunikationsformen in der frühen Kaiserzeit zu karikieren. In der Figur des Ianus verbindet Seneca zwei verschiedene Entwicklungen, die die reale Grundlage in Erinnerung bringen. Die Kennzeichnung als postmeridianus consul kommentiert die Entwicklung des Suffectconsulats als ein Amt von rein symbolischer Bedeutung.48 Darüber hinaus karikiert Seneca mit der Figur des Ianus charakteristische Formen des Umgangs im Senat, die sich in der Doppelköpfigkeit des Gottes manifestieren, dank seiner Flexibilität alle Optionen offenzuhalten, die ihm in der Entscheidungssituation opportun erscheinen.49 Nach der sententia des Diespiter kann Hercules bilanzieren, dass sich die Stimmung zugunsten seines Antrages zu entwickeln scheint. Er nutzt die Gunst der 46

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Das spiegelt sich auch bei Ovid wider: quae pater ut summa vidit Saturnius arce, / ingemit et facto nondum vulgata recenti / foeda Lycaoniae referens convivia mensae / ingentes animo et dignas Iove concipit iras / conciliumque vocat: tenuit mora nulla vocatos (Ov. met. 1,163 ff.). Siehe dazu MutscHlEr, Potestatis, 274. Vgl. Sen. apocol. 9,2. Zum genauen Verlauf der Senatssitzungen vgl. o’BriEn MoorE, Senatus 705 ff.; sowie talBErt, Senate, 240–273. Sueton zufolge soll Caesar jemanden allein für einen Tag zum Suffectconsul ernannt und auf diese Weise die Funktionslosigkeit nachdrücklich vor Augen geführt haben (vgl. Suet. Caes. 76,3). Zur sich wandelnden Bedeutung der Ämter: lEndon, Empire, 182. Siehe auch BarGHoP, Forum der Angst, 75; vorsichtiger formuliert dagegen – zumindest anhand des Befundes zur augusteischen Zeit – F. HurlEt, Consulship and Consuls under Augustus, in: H. Beck / A. Duplá / M. Jehne u. a. (Hgg.), Consuls and Res publica. Holding High Office in the Roman Republic, Cambridge 2011, 319–335, 325. Außerdem z. B. Tac. ann. 3,10 f.; Tac. hist. 2,10,1: (…) pecunia potentia ingenio inter claros magis quam inter bonos (…). Die persönliche Eloquenz in den Vordergrund stellend, versichert sich auch Plinius der Unterstützung hochrangiger Freunde in den Prozessen (z. B. Plin. epist. 9,13). Sen. apocol. 9,2. Dazu BarGHoP, Forum der Angst, 163 ff.

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

Stunde, um immer mehr Senatoren von seinem Anliegen im Auftrag des Claudius zu überzeugen. Für ihre Unterstützung in dem aktuellen Fall bietet er im Gegenzug bei deren zukünftigen Anliegen seine Stimme an.50 Seneca betont das umtriebige Verhalten des Hercules, der „geschäftig bald hierhin bald dorthin eilte“ (modo huc modo illuc cursabat).51 Senatorische Kommunikation erscheint hier, wenn auch ironisch überspitzt, als sehr anpassungsfähig. Dadurch lassen sich Meinungspräferenzen pragmatisch und durch geschicktes Taktieren abwägen. Um ihre Anliegen erfolgreich durchzusetzen, waren die Senatoren darauf angewiesen, mächtige Mitglieder der Senatsaristokratie auf ihre Seite zu bringen. Bis zu einem gewissen Grad basierte der Erfolg zwar auf den individuellen Fähigkeiten der Akteure, darüber hinaus aber primär auf der Fähigkeit, sich einflussreicher Unterstützung zu versichern.52 Den Ausschlag dafür, dass die Götter den Antrag des Claudius ablehnen, gibt schließlich aber das Wort des Augustus. Dieser äußert sich, nachdem Seneca die eifrigen Verhandlungen unter den anwesenden Göttern geschildert hat. In einer rhetorisch brillanten Rede und mit seinem souveränen Auftreten argumentiert Augustus so überzeugend gegen den Antrag, dass im Anschluss an seine Meinungsäußerung Claudius abgewiesen und in die Unterwelt geschickt wird, um dort sein Glück zu versuchen. Dort vorstellig geworden, wird Claudius schließlich in einem Gerichtsprozess der Unterwelt zugesprochen.53 Bemerkenswert ist an der Schilderung in der Apokolokyntosis, dass man daran nachvollziehen kann, wie die Abläufe einer Senatssitzung und deren Kommunikationsmechanismen als Idealvorstellung für die Sitzung verfügbar sind – gerade letztere aber offensichtlich intensiv diskutiert werden. In solcher Form sind sie den Akteuren gegenwärtig und werden für die Bewertung der angemessenen, also als ,richtig‘ definierten Kommunikation als verbindlich wahrgenommen. Dass solche Vorstellungen bei Seneca an der ,Realität‘ der Satire scheitern, illustriert weniger fehlende Kenntnis über die formalisierten Abläufe, welche im Senatsalltag üblicherweise eher in Konfliktfällen reflektiert werden, als ein Bewusstsein für die mangelnde Souveränität des Senats in der Entscheidungsfähigkeit. Thematisiert wird also auch die Unsicherheit über die Kommunikationsformen, die die Autorität eines Senators – als Akteur eines exklusiv gehaltenen Entscheidungsprozesses – wesentlich definieren. Grundsätzlich wird damit der Sinn einer Senatssitzung verhandelt, was in der Apokolokyntosis bezeichnenderweise durch das würdevolle Auftreten des Augustus gerettet wird; entsprechend erscheint auch der Gewinn für die Senatoren letztlich als äußerst fragwürdig.54

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[Hercules:] (…) noli mihi invidere, ‚mea in res agitur‘; deinde tu si quid volueris, in vicem fa­ ciam: ‚manus manum lavat‘ (Sen. apocol. 9,6). Hercules enim, qui videret ‚ferrum suum in igne esse‘, modo illuc cursabat (…) (Sen. apocol. 9,6). Vgl. dazu BarGHoP, Forum der Angst, 72. Zu vergleichbaren kommunikativen Strukturen in republikanischer Zeit: FlaiG, Ritualisierte Politik, 184 ff. Vgl. Sen. apocol. 15. Vgl. Sen. apocol. 10.

4.1 Senatsalltag

163

4.1.3 Konkurrenz und Konsens:55 Bedeutungsebenen des Senatsverfahrens Eine idealtypische Rekonstruktion der Verfahrensstrukturen, welche den senatorischen Kommunikationsmechanismen zugrundeliegen, kann die verschiedenen Bedeutungsebenen des Verfahrens, wie bereits festgestellt, nur bedingt erfassen. So bleibt offen, ob eine solche Rekonstruktion der Abläufe der kaiserzeitlichen Praxis in vollem Umfang gerecht werden kann. Die Apokolokyntosis liefert dafür Hinweise. Denn gerade die feststellbare Kontinuität von Verfahrensabläufen zwischen republikanischer Zeit und Principat wirft die Frage nach der Funktion der Abstimmungsmechanismen in einem veränderten soziopolitischen Umfeld auf. Und auch wenn man danach fragt, wie sich die Verunsicherung über jene Kommunikationsmechanismen, die eigentlich die Entscheidungssicherheit gewährleisten sollten, auf das kaiserzeitliche Senatsverfahren auswirkte, ergeben sich neue Perspektiven auf die Verfahrensabläufe. Die relatio Wie bereits beschrieben, waren die vorsitzenden Magistrate nicht nur durch Kleidung und Sitzordnung symbolisch von den versammelten Senatoren abgegrenzt. Auch funktional lassen sie sich deutlich unterscheiden, da ihnen die Aufgabe zukam, mit der relatio den formalisierten Entscheidungsprozess im Senat einzuleiten. Der vorsitzende Magistrat befragte dafür die anwesenden Senatoren in einer Angelegenheit um ihren Rat. Für den Beginn des senatorischen Entscheidungsprozesses war diese Eröffnung unverzichtbar. Die relatio strukturierte den senatorischen Entscheidungsfindungsprozess nicht nur, indem sie ihn formal eröffnete, sondern legitimierte zugleich die spätere Beschlussfassung. Da für die Senatoren die Möglichkeiten zur Vorbereitung auf eine sachliche Diskussion eng begrenzt waren, übernahm die Anweisung, die mit der Anfrage verbunden war, eine wichtige Funktion, da sie auch die fehlende Vorbereitung und sachliche Kompetenz in spezialisierten Fragen auffing. Die Funktion der Magistrate ist damit allerdings nur teilweise beschrieben. Denn durch Auftreten und Aufgaben von den übrigen Senatoren distanziert, konnte der Vorsitzende anders in den Sitzungsverlauf eingreifen, als es den anwesenden Senatoren möglich war. Das ist insofern wichtig, als Unvorhersehbarkeit den Sitzungsverlauf in hohem Maße prägte. Begründet war das wesentlich darin, dass für eine Sitzung in der Regel im Vorfeld keine Agenda existierte, mit der man den Verlauf von vornherein sicher hätte steuern können, sondern nur informelle Absprachen bestanden.56 Magistratswahlen und Majestätsprozesse wichen davon sig55

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HölKEsKaMP, Konsens und Konkurrenz. Abläufe und Dimensionen des Senatsverfahrens werden in der Forschung – auch zur Republik – leider oft als selbstverständlich vorausgesetzt: Grundlegend sind die Darstellungen Mommsens (StR 3.2, 905–1003) und O’Brien Moores (insbes. 760–795). Einiges kann in diesem Zusammenhang nur skizziert werden. Zu Überlegungen, die Antragstellung in diesem Sinn zu interpretieren, vgl. tiMMEr, Auseinandertreten, 399; grundsätzlich dazu auch schon MoMMsEn, StR 3.2, 941.

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

nifikant ab, weil zumindest der Anlass der Sitzung bereits im Vorfeld eindeutig definiert war. Eine Entscheidung in der festgelegten Angelegenheit wurde damit aber auch allgemein erwartet.57 Grundsätzlich war durch die fehlende Festlegung der konkreten Diskussionsgegenstände – unabhängig von Wahlen und Prozessen – im Senatsalltag auch bis zu einem gewissen Grad gewährleistet, dass die Diskussionen und die Austragung von Konflikten im Rahmen des Senatsverfahrens nicht von vornherein festgelegt waren. Die Flexibilität, die für die Entscheidungsfähigkeit strukturell unverzichtbar war, blieb damit gewahrt. Dass ein solches Maß an Flexibilität aber auch destabilisierend auf den Entscheidungsfindungsprozess wirken konnte, kompensierte der vorsitzende Magistrat mit der relatio und mit der Auswahl des primus rogatus dieses Defizit.58 Dadurch wurde zum einen die Diskussion auf konkrete Anliegen fokussiert; zum anderen blieb dem Vorsitzenden das Recht vorbehalten, darüber zu entscheiden, wann und über welche Vorschläge am Ende abgestimmt wurde. Auf diese Weise wurde der Sitzungsverlauf strukturierbar. In der Praxis war er immer noch in hohem Maße unvorhersehbar und abhängig von situationsgebundenen Entscheidungen. Der Vorsitzende konnte damit aber immerhin in nicht unerheblichem Maße auf den senatorischen Entscheidungsfindungsprozess einwirken. Der besonderen Distanzierung der Magistrate von den übrigen Senatoren kam dabei eine wichtige Funktion zu, weil die Strukturierung des Diskussionsverlaufs dadurch ,ausgelagert‘ wird, wenn die auch symbolisch erkennbare Distinktion die klare Unterscheidung von Verantwortungsbereichen markiert.59 Die senatorische Konkurrenz wurde somit zunächst von außen reguliert, selbst wenn dieses ,Außen‘ streng genommen keines war, da auch die Magistrate sich aus Angehörigen der Senatsaristokratie rekrutierten. Der senatorische Entscheidungsfindungsprozess blieb auf diese Weise zu jeder Zeit auch tatsächlich eine Angelegenheit der Senatsaristokratie.60 57 58 59

60

Vgl. talBErt, Senate, 234–236. Siehe dazu auch S. 169 f. Zu Eingriffen der Kaiser in die Reihenfolge der Meinungsumfrage. Ob es ein Problem darstellte, dass die Heraushebung der Magistrate aufgehoben wurde, wenn sie wie alle anderen Senatoren an der Abstimmung teilnahmen, sobald der Kaiser anwesend war, lässt sich auf der Basis des Quellenbefundes nicht sicher sagen. Es ist aber wohl unwahrscheinlich, wenn man sieht, wie deutlich beispielsweise Tacitus diese den anwesenden Senatoren gegenüberstellt: senatus inchoantibus primoribus ius iurandum concepit quo certatim om­ nes magistratus, ceteri, ut sententiam rogabantur, deos testes advocabant, nihil ope sua factum quo cuiusquam salus laederetur (…) (Tac. hist. 4,41,1). Problematisch war, dass gerade bei den Vorträgen der Vorsitzenden oder der Kaiser die Grenzen zwischen Vortrag und der Vorwegnahme des Senatsbeschlusses fließend waren, insbesondere wenn diese so formuliert waren, dass es nur noch um die Zustimmung oder Ablehnung des Anliegens ging: Vgl. MoMMsEn, StR 3.2, 957–962. So weist Mommsen zu Recht darauf hin, dass Cicero dieses noch in der späten Republik ausdrücklich als problematisch und außergewöhnlich bezeichnet: Cic. Phil. 1,1,4; 10,8,17. Die übliche Praxis, die Meinung als Princeps zu Beginn einer Sitzung in Form einer oratio vorzutragen oder – sollte der Herrscher nicht persönlich anwesend sein – in Form eines Briefes vorlesen zu lassen, die den weiteren Prozess der Entscheidungsfindung in der Regel entscheidend prägte, wird einer solchen Realität viel eher gerecht. Z. B. Tac. ann. 3,55; Suet. Nero 15,2. Vgl. z. B. Tac. ann. 3,19, wo von auctor die Rede ist, was auf eine Empfehlung, basierend auf der kaiserlichen auctoritas, rekurriert; 3,53: consi­ lium, ein nicht formalisierter Ratschlag; 1,73; darüber hinaus Suet. Claud. 10,4.

4.1 Senatsalltag

165

Bedeutungsebenen der Meinungsumfrage „(…) [U]nd der Platz in der Reihe bedingt wesentlich den praktischen Werth des Senatssitzes, da nach der Natur der Sache die Abgabe eines Vorschlags um so wirksamer ist, je weniger Mitglieder sich vorher zur Sache geäussert haben. (…) [N]irgends haben die Rangverschiedenheiten sich schärfer entwickelt als im Schluss an die Umfrage im Senat.“61 Damit formuliert MoMMsEn, dass sich die Funktion der senatorischen Meinungsumfrage nicht darin erschöpft, die aktuell zu verhandelnde Angelegenheit inhaltlich zu diskutieren und sich in der Sache zu einigen. Vielmehr war der Entscheidungsprozess entscheidend davon geprägt, wie die Angelegenheiten diskutiert wurden. Mommsen macht das an den ritualisierten Formen der Umfrage fest. Seneca betont in der Apokolokyntosis die Formen der Kommunikation, in denen Angelegenheiten diskutiert wurden, und damit verbunden konkrete Vorstellungen über den Charakter der Diskussionen im Senat.62 Auf instrumenteller Ebene kam der Meinungsumfrage eine klare Funktion zu: Sie bot innerhalb des Verfahrens den Rahmen, Konflikte über Sachfragen grundsätzlich zu kommunizieren und auszuhandeln. Sie stellte also im Hinblick auf die Entscheidungssituation und -fähigkeit die entscheidende Grundlage dar. Dissens zu artikulieren, war durch den formalen Rahmen, den die Meinungsumfrage vorgab, systematisch in die Verfahrensstrukturen integriert. Entsprechend werden Entscheidungen, denen eine Diskussion im Gremium vorangegangen war, bei Gellius auch nicht als Ausnahme, sondern als Regelfall dargestellt.63 Auch Seneca verweist beispielsweise in der Apokolokyntosis darauf, als wie alltäglich und selbstverständlich die Aushandlungsprozesse im Rahmen der Meinungsumfrage wahrgenommen wurden. Selbst wenn es sich um einen Schlagabtausch (altercatio) zwischen Senatoren handelte, also erkennbar unterschiedliche Meinungen aufeinanderprallten, die auf eine entsprechend hohe Intensität der Präferenzen der Akteure hinweisen, wird das nicht als außergewöhnlich im Sinne kritikwürdigen Verhaltens hervorgehoben. Sueton berichtet zwar, dass Augustus, verärgert über solche „maßlosen Streitereien“ (ob immodicas disceptantium altercationes), eine Senatssitzung aus Protest verlassen haben soll, von senatorischer Seite stieß das aber offenbar auf Unverständnis. Solche Situationen wurden von senatorischer Seite als alltäglich wahrgenommen, was sprachlich bei Sueton entsprechend deutlich gemacht wird.64 Dass solche Diskussionen grundsätzlich positiv konnotiert waren, illustrieren die kaiserzeitlichen Autoren immer wieder durch die Kontextualiserung oder durch entsprechende Kommentare.65 Daher stellt die altercatio – wie in der Darstellung Suetons exemplarisch nach61 62

63 64 65

MoMMsEn, StR 3.2, 965 f. Das Wissen um diese Bedeutungsebene ist an sich keineswegs neu. Für das republikanische Senatsverfahren ist das immer wieder aufgenommen worden: grundlegend MoMMsEn, StR 3.2, 962–985, bes. 965. Darüber hinaus BlEicKEn, Verfassung, 89; tiMMEr, Auseinandertreten, 401 f., dErs., Altersgrenzen, 299 f. Vgl. dazu Gell. 14,7,9. Suet. Aug. 54: interdum ob immodicas disceptantium altercationes e curia per iram se proripi­ enti quidam ingesserunt, licere oportere senatoribus de re p. loqui [Hervorhebung S. B.]. Siehe dazu auch Kap. 4.2.2.

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

vollziehbar – keine Form des Konfliktsaustrags dar, der negativ besetzt war. Auch wenn das von Augustus anscheinend so wahrgenommen wurde, wird die Debatte im Gegenteil von senatorischer Seite als Zeichen für das Funktionieren genommen und zur Norm erhoben. Die Darstellung bei Sueton verweist auf diese spezifische Funktionalität solcher Diskussionen. Allerdings lässt sich diese Funktionalität – und damit lässt sich auch die Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung des Augustus und der senatorischen Sichtweise erklären – nicht auf instrumenteller Ebene greifen. Es geht hier nicht um die schnelle Entscheidungsfindung, sondern um die Formen und die Tatsache, dass man diskutierte. Entsprechend kommt der senatorischen Debatte und den spezifischen Kommunikationsformen als Beleg für die Bedeutung der Meinungsumfrage in den Quellen auch solche Bedeutung zu.66 Die Befragung der anwesenden Senatoren nach ihrer persönlichen Meinung wertete den Befragten als Akteur gegenüber dem Gremium auf und hob ihn aus der Gruppe sichtbar heraus. Wenn das zu einem besonders frühen Zeitpunkt im Rahmen der Umfrage geschah, unterstrich das die exponierte Position zusätzlich. In der Bedeutung, die der senatorischen Rede – schon in der aristokratischen Erziehung – beigemessen wurde, spiegelt sich das konzeptionell wider. Die Reden, wie sie sich in den historiographischen Werken finden, sind zwar literarisch stilisiert, reflektieren aber gerade in dieser Form Ideal und senatorischen Anspruch. Entsprechend liegt der Fokus bei den senatorischen Autoren in ihren Darstellungen von Senatssitzungen auch primär auf der Debatte.67 Die Kommunikationsformen im Rahmen der einzelnen sententiae waren auf die Konkurrenz und die Aushandlung unterschiedlicher Standpunkte zugeschnitten. Dissens war grundsätzlich nicht das Außergewöhnliche, sondern das Regelhafte, weil er die Grundlage für den kompetitiven Charakter der senatorischen Kommunikationsmechanismen darstellte. Betont wurde das zusätzlich dadurch, dass ein Senator das Recht hatte, zu jeder Angelegenheit zu sprechen, und mit seiner Meinungsäußerung nicht an die relatio gebunden war. Allerdings lassen die überlieferten Situationen, in denen es zu solchen Diskussionen kam, auch erkennen, wie schnell man damit an die Grenzen dessen stieß, was der senatorische Entscheidungsfindungsprozess aushalten konnte. Denn gerade damit wurde immer auch ein erhebliches Maß an Unvorhersehbarkeit in den Entscheidungsprozess getragen, gerade weil die Fokussierung auf den eigentlich zur Verhandlung stehenden Gegenstand auflösbar war.68 An der verwendeten Terminologie ändert sich in solchen 66

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Siehe z. B. – wenn auch eingeschränkt, weil die Formen Tacitus zufolge dem Ideal nur ähnelten – Tac. ann. 1,77,2 f.: actum de ea seditione apud patres, dicebanturque sententiae, ut prae­ toribus ius virgarum in histriones esset. intercessit Haterius Agrippa tribunus plebei increpi­ tusque est Asinii Galli oratione, silente Tiberio, qui ea simulacra libertatis senatui praebebat. Vgl. J. Marincola, Speeches in Classical Historiography, in: Ders. (Hg.), A Companion to Greek and Roman Historiography, Bd. 1, Oxford 2009, 118–132; GinsBurGH, In maiores cer­ tamina. Zur Bedeutung der Rhetorik in der Ausbildung vgl. a. corBEill, Rhetorical Education and Social Reproduction, in: W. Dominik / J. Hall (Hgg.), A Companion to Roman Rhetoric, Oxford 2007, 70–82, bes. 70–76; s. H. rutlEdGE, Oratory and Politics in the Empire, in: W. Dominik / J. Hall (Hgg.), A Companion to Roman Rhetoric, Oxford 2007, 109–121. Erkennbar ist das an den zahlreichen Möglichkeiten der Obstruktion: vgl. FlaiG, Mehrheitsentscheidung, 373 f.

4.1 Senatsalltag

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Situationen nichts; als Konflikte, die als problematisch wahrgenommen werden, sind die Situationen aber deutlich durch Kontextualisierung oder Kommentierung erkennbar, weil Dissens – wie bereits diskutiert – solange integrierbar war, wie er nichts Grundsätzliches berührte.69 Insgesamt dominierte in der Meinungsumfrage der kompetitive Charakter, der durch die individuelle Konkurrenz zwischen den einzelnen Redebeiträgen kommuniziert wurde. Im Hinblick auf die Entscheidungssituation, in der die endgültige Entscheidung zugunsten der gemeinsamen Entscheidung keine Differenzierungsmöglichkeiten mehr zulässt, erfüllte die Meinungsumfrage damit in ihrer symbolischen Dimension eine Aufgabe, die für den Entscheidungsprozess in einer stratifizierten Gesellschaft strukturell unverzichtbar war. Dass sich die Meinungsumfrage so streng an der Rangfolge orientierte, strukturierte grundsätzlich, wie Konflikte ausgetragen wurden. Entsprechend ausgeprägt ist in den Quellen auch die Sensibilität für die Reihenfolge, in der sich die Akteure im Verlauf der Umfrage äußerten. Da Meinungsverschiedenheiten auch dysfunktional werden konnten, war es besonders wichtig, die Kommunikation von Dissens in solchen Kontexten konkreten Regeln zu unterwerfen. Erwartet wurde daher bei (nahezu) gleichrangigen Akteuren, dass diese grundsätzlich zum Nachgeben bereit waren und sie damit die Entscheidungsfähigkeit des Gremiums im Blick behielten. Gegenüber Höherrangigen strukturierten bestehende Machtverhältnisse den Entscheidungsfindungsprozess mit, wenn die Akteure ihr Abstimmungsverhalten an den bestehenden Hierarchien ausrichteten. Deren Meinungsäußerungen boten theoretisch eine entscheidende Orientierung für das Verhalten der anderen Akteure und damit unmittelbar auch für die Entscheidungsfindung.70 Wichtig war das, da diese in latentem Spannungsverhältnis zur spezifischen Funktionalität der Austragung von Dissens bei der Meinungsumfrage stand. Die Disposition zum Nachgeben, die – orientiert an der Binnendifferenzierung der Senatsaristokratie – klaren Regeln folgte, tarierte diese beiden Funktionen innerhalb des Entscheidungsprozesses aus 69

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Für Meinungsverschiedenheiten, die deutlich als Konflikt, der über die normale Form einer senatorischen Diskussion im Rahmen eines Entscheidungsfindungsprozesses hinausgeht, gekennzeichnet sind, siehe z. B. Tac. ann. 13,49; Tac. hist. 4,6–9; bes. 4,6,3: hinc inter Helvidium et Eprium acre iurgium (…) und 6,9,1: secutum aliud certamen. Tac. ann. 2,51. Vgl. dazu Kap. 3.2. Auch in den wenigen dokumentierten Fällen, in denen ansonsten explizit erwähnt wird, dass ein Senator eine Sitzung nach Meinungsverschiedenheiten verlassen habe, deuten die Reaktionen darauf hin, wie exzeptionell und drastisch solche Formen, seinen Dissens zu artikulieren, wahrgenommen wurden: vgl. Cass. Dio 57,21,2 (Xiph. 137,17–140,7); Tac. ann. 2,34. Vgl. sartori, Demokratietheorie, 229 f.; FlaiG, Ritualisierte Politik, 105. Reflektiert findet sich die Reihenfolge, die sich an den Hierarchien orientiert und eine Orientierung für die Entscheidungsfindung bietet, z. B. in Plin. epist. 4,9,13 ff., insbes. 14: respondit Herennius Pollio in­ stanter et graviter, deinde Theophanes rursus. fecit enim hoc quoque ut cetera impudentissime, quod post duos et consulares et disertos tempus sibi et quidem laxius vindicavit. Eigentlich hätte sich Theophanes gegenüber den Höherrangigen (Consularen) bescheidener verhalten sollen. Vgl. außerdem z. B. Plin. epist. 9,13,6 ff.; Tac. ann. 3,17,4: primus sententiam rogatus Au­ relius Cotta consul (nam referente Caesare magistratus eo etiam munere fungebantur) nomen Pisonis radendum fastis censuit (…). 3,22,4: exemit etiam Drusum consulem designatum dicen­ dae primo loco sententiae (…). Tac. hist. 2,12; 4,41; Cass. Dio 56,17 (siehe außerdem Kap. 4.1.3 / Anm. 78).

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

und vermittelte damit ein Gefühl der Berechenbarkeit. Die inhaltliche Auseinandersetzung konnte das nicht immer leisten.71 Wie sich die Verständigung darüber, dass man zum Nachgeben grundsätzlich bereit war, im Rahmen einer Senatssitzung gestalten konnte, illustriert Seneca in der Apokolokyntosis. Während der Meinungsumfrage und nachdem sich die Stimmung allmählich zugunsten des Antrags neigt, Claudius in den Olymp aufzunehmen, nutzt Hercules dieses, um die anderen Senatoren von seinem Anliegen zu überzeugen. Geschäftig sei er „bald hierhin bald dorthin“ (modo huc modo il­ luc cursabat) geeilt.72 Für ihre Unterstützung in dem aktuellen Fall bietet er im Gegenzug bei deren zukünftigen Anliegen seine Stimme.73 Damit ist schließlich auch gewährleistet, dass beide Seiten profitieren und das Nachgeben im Hinblick auf die grundsätzliche Entscheidungsfähigkeit nicht als Niederlage aufgefasst wird: „Eine Hand wäscht die andere“ (manus manum lavat) ist in diesem Sinn keine ironische Überspitzung (und, selbst wenn sie sich als solche lesen lässt, nicht notwendigerweise Kritik); vielmehr drückt die Formulierung die praktische Erfahrung mit dem kaiserzeitlichen Senatsalltag aus.74 Auch wenn Seneca grundsätzlich diese Kommunikationsmechanismen ironisch überspitzt, reflektiert er gleichzeitig, wie auf diese Weise die Sicherheit geschaffen wird, die nötig ist, um das Verhalten der Verhandlungspartner im Hinblick auf zukünftige Entscheidungen erwartbar zu machen. Denn im aktuellen Fall nachzugeben, bedeutet auch, eine äquivalente Gegenleistung in einer Angelegenheit erwarten zu können, in der ein Interesse an einer Entscheidung im eigenen Sinn deutlich stärker ausgeprägt ist. Für die zuverlässige Aushandlung eines Konsenses ist das Funktionieren solcher Mechanismen unverzichtbar. Das aktuelle Nachgeben bedeutet zunächst einmal, den Verhandlungspartnern auch das Vertrauen entgegenzubringen, dass sich diese an Spielregeln halten, die als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Ein solches Vertrauen darin, dass das Verhalten grundsätzlich erwartbar ist, funktioniert ganz wesentlich auf der Basis eines kontinuierlichen Entscheidungskontextes und stellt, ausgerichtet auch auf zukünftige Entscheidungen, die nötige Entscheidungssicherheit her.75 Wie stark solche Mechanismen auch die senatorischen Aushandlungsprozesse prägten, spiegelt sich in der Selbstverständlichkeit, in der Seneca Hercules mit den anderen Anwesenden in dieser Form verhandeln lässt. Die gleiche Selbstverständlichkeit gilt auch für die Orientierung an den Hierarchien, die den Akteuren in der Debatte das Nachgeben erleichterte. Der Herstellung von Entscheidungssicherheit im Rahmen des Verfahrens blieb der kompetitive Charakter der senatorischen Meinungsumfrage damit letztlich untergeord71 72 73 74 75

Vgl. M. siKora, Der Sinn des Verfahrens. Soziologische Deutungsangebote, in: Stollberg-Rilinger (Hg.), Vormoderne politische Verfahren, 25–51, 47; stollBErG-rilinGEr, Einleitung, 11; 14. Dazu Plin. epist. 2,11,19 f. Vgl. Sen. apocol. 9,6. Vgl. Sen. apocol. 9,6. Vgl. ebd. Ein Verhalten, das sich an solchen Mustern orientierte und den aristokratischen Alltag prägte, ist in den Quellen reichlich dokumentiert. Vgl. dazu etwa das Briefkorpus des jüngeren Plinius, z. B. Plin. epist. 2,13. Siehe dazu sartori, Demokratietheorie, 225 ff.; scHarPF, Interaktionsformen, 87 ff.

4.1 Senatsalltag

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net.76 Die streng formalisierte Umfrage diente dazu, den anwesenden Senatoren ihren Platz in der Hierarchie zuzuweisen. Auf diese Weise ließ sich die Binnendifferenzierung der Senatsaristokratie in der Reihenfolge der Befragung aushandeln und gleichzeitig erfahrbar machen. Die Umfrage erfüllte damit für die Entscheidungssituation eine wesentliche Orientierungsfunktion.77 Deutlich erkennbar wird das – was sonst als selbstverständlicher Mechanismus vorausgesetzt wird –, wenn die Kaiser aktiv in diese Aushandlungsprozesse intervenierten. In solchen Situationen wurden die strukturierenden Mechanismen, die in ihrer Selbstverständlichkeit oft genau deswegen nicht weiter reflektiert wurden, ausformuliert. Außerdem wurden sie gezielt genutzt, um in die Hierarchien einzugreifen. Belegt ist das für die iulisch-claudische Zeit: Für Augustus ist überliefert, dass er immer wieder in die Reihenfolge der Stimmabgabe eingriff. Das betraf offenbar nicht nur Ausnahmesituationen oder richtete sich gegen einzelne Personen; explizit erwähnt Cassius Dio, dass Augustus die Proconsuln regelmäßig so aufgerufen habe, wie es ihm passte. Allerdings betraf dieser Eingriff, selbst wenn er in Bezug auf die Proconsuln systematisch war, die anderen Senatoren nicht. Caligula griff aktiv in die Reihenfolge, in der die ehemaligen Consuln ihre Stimmen abgaben, ein. Was bis dahin im Ermessen der Antragsteller gelegen hatte und als besondere Ehrung galt, wurde jetzt an das Amtsalter gebunden. Zur Folge hatte die Änderung, dass die Reihenfolge der Stimmabgabe damit grundsätzlich immer denselben Regeln folgte, die Kriterien also gewissermaßen ,objektiviert‘ und berechenbar wurden. Gleichzeitig schränkte die Modifizierung die Freiräume der Antragsteller und deren Möglichkeiten ein, Entscheidungsprozesse durch Ehrungen, wie bestimmte Senatoren als erste um ihre Meinung zu befragen, aktiv mitzugestalten.78 Auch neu in den Senat aufgenommene Personen in das Gremium zu integrieren, bedeutete regelmäßig einen Eingriff in die Reihenfolge, zumal die Einordnung in solchen Fällen durch die Kaiser erfolgte, also nicht durch inneraristokratische Aushandlungsprozesse zustande kam.79 Darüber hinaus lassen die Quellen erkennen, dass gerade auch das Auftreten der Kaiser – und vor allem die Frage, wann sich ein Kaiser im Verlauf der Mei-

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Den Beteiligten forderte das allerdings immer wieder aufs Neue ein hohes Maß an Selbstdisziplinierung ab, die wesentlich in der entsprechenden Sozialisation angelegt war. Vgl. dazu tiMMEr, Altersgrenzen, 306 ff.; scHolz, Den Vätern folgen, 354. Vgl. außerdem Kap. 4.2.1. Vgl. zum linear-hierarchischen Prinzip grundlegend rilinGEr, Moderne und zeitgenössische Vorstellungen; tiMMEr, Auseinandertreten, 401; außerdem sartori, Demokratietheorie, 230; dazu auch S. 167 f. Deutlich z. B. in Cass. Dio 54,15,5 f.: (…) καὶ οὔτε ἐς ἄλλο τι ὡς καὶ ἀξίῳ οἱ λόγου ἐχρῆτο, τότε δὲ καὶ τὴν ψῆφον ὑστάτῳ τῶν ὑπατευκότων ἐπῆγε. τοὺς μὲν γὰρ ἄλλους ἐν τῇ καθηκούσῃ τάξει ἐπεψήφιζε, τῶν δ’ ὑπατευκότων πρῶτόν τέ τινα καὶ δεύτερον τρίτον τε ἕτερον καὶ τέταρτον, τούς τε λοιποὺς ὁμοίως, ὥς που καὶ ἐβούλετο· καὶ τοῦτο καὶ οἱ ὕπατοι ἐποίουν. Cass. Dio 59,8,6: (…) καὶ ὅπως μηκέτι πρῶτος ἐπιψηφίζηται, ἐν ᾧ που καὶ διὰ τὴν ἡλικίαν καὶ διὰ τὸ ἀξίωμα ὑφ’ ἁπάντων τῶν ὑπάτων ἐτιμᾶτο, κατέλυσε τὸ πρῶτόν τινα τῶν ὑπατευκότων ἢ δεύτερον, πρὸς τὸ τοῖς τὴν γνώμην ἐπάγουσι δοκοῦν, ψηφίζεσθαι, καὶ κατεστήσατο ἐκ τοῦ ἴσου τοῖς ἄλλοις καὶ ἐκείνους ἐν τῇ τάξει τῆς ἀρχῆς ἣν ἦρξαν ἀποφαίνεσθαι. Siehe auch Tac. ann. 3,22; außerdem Kap. 4.1.3 / Anm. 70. Vgl. z. B. Cass. Dio 56,17 für Angehörige des Kaiserhauses.

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

nungsumfrage äußerte – eine erhebliche Herausforderung für die anderen Akteure darstellte.80 Die Regelhaftigkeit der Verfahrensabläufe, die sich aber insgesamt beobachten lässt, trug auf formeller Ebene erheblich dazu bei, die Erwartungssicherheit herzustellen. Durch die ritualisierten Abläufe, die Wiederholung und die grundsätzliche Orientierung am Rang der Akteure wurde der Entscheidungsprozess berechenbarer, als es die Offenheit der Meinungsumfrage zunächst zuließ. Trotzdem stellt sich die Frage, wie sich der Kaiser in solche Strukturen einfügte. Ihn als Akteur in die Meinungsumfrage zu integrieren, scheint nur unter den ersten Herrschern – und vor allem in tiberischer Zeit – Diskussionsstoff geliefert zu haben. Cassius Dio fasst zusammen, was Tacitus als zentralen Charakterzug des Kaisers hervorhebt und anhand immer neuer Beispiele ausbreitet: Während der Verhandlungen habe dieser offenbar vollkommen ohne erkennbare Systematik – zumindest suggeriert das die unbestimmte Formulierung Cassius Dios – mal als erster, mal nach einigen Vorrednern, dann wieder am Ende, manchmal aber auch gar nicht, seine Meinung erkennen lassen. Auch scheint Tiberius demzufolge geradezu eingefordert zu haben, seinen Ansichten zu widersprechen. Dass dabei gelegentlich Beschlüsse gefasst wurden, die seinem Urteil zuwiderliefen, soll er hingenommen haben.81 Wie wenig Tiberius damit allerdings den Erwartungen an seine Rolle als Kaiser gerecht wurde, zeigt das Urteil der antiken Autoren, das sich in einem äußerst zwiespältigen Tiberius-Bild manifestiert.82 Die Unsicherheiten, die Tiberius im Umgang auf senatorischer Seite provozierte, scheinen ihn schließlich auch zu entsprechenden Korrekturen in der Auslegung seiner Rolle veranlasst zu haben. So lässt Tacitus ihn über die Schwierigkeiten reflektieren, seinen Platz innerhalb der Hierarchien zu finden, die sich über den traditionellen cursus honorum definieren: (…) mihi autem neque honestum silere neque proloqui expeditum, quia non aedilis aut praeto­ ris aut consulis partis sustineo: maius aliquid et excelsius a principe postulatur; et cum recte factorum sibi quisque gratiam trahant, unius invidia ab omnibus peccatur. „(…) [F]ür mich jedoch ist es weder schicklich zu schweigen, noch ein leichtes, mich zu äußern, weil ich nicht eines Ädilen oder Prätors oder Konsuls Amt ausübe: etwas Größeres und Höheres verlangt man vom Princeps; und während für richtige Handlungen jeder für sich selbst

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Siehe dazu S. 9 ff. Cass. Dio 57,7,3 f. (Xiph. 127,28–31): καὶ ἔς γε τὸ μέσον τὴν ἑαυτοῦ γνώμην τιθεὶς οὐχ ὅπως ἀντειπεῖν αὐτῇ παντί τῳ παρρησίαν ἔνεμεν, ἀλλὰ καὶ τἀναντία οἱ ἔστιν ὅτε ψηφιζομένων τινῶν ἔφερε. καὶ γὰρ αὐτὸς ψῆφον πολλάκις ἐδίδου. ὁ μὲν γὰρ Δροῦσος ἐξ ἴσου τοῖς ἄλλοις τοτὲ μὲν πρῶτος τοτὲ δὲ μεθ’ ἑτέρους τοῦτ’ ἐποίει· ἐκεῖνος δὲ ἔστι μὲν ὅτε ἐσιώπα, ἔστι δ’ ὅτε καὶ πρῶτος ἢ καὶ μετ’ ἄλλους τινὰς ἢ καὶ τελευταῖος τὰ μὲν ἄντικρυς ἀπεφαίνετο, τὰ δὲ δὴ πλείω, ἵνα δὴ μὴ δοκῇ τὴν παρρηςίαν αὐτῶν ἀφειρεῐσθαι. So auch Suet. Tib. 31: quaedam adversus sententiam suam decerni ne questus quidem est. (…) cum senatus consultum per discessionem forte fieret, transeuntem eum in alteram partem, in qua pauciores erant, secutus est nemo. Vgl. Tac. ann. 1,74; 1,77; Cass. Dio 56,41,3. Zu diesen Zusammenhängen u. a. KnEPPE, Metus temporum, 198 ff.

4.1 Senatsalltag

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den Dank beansprucht, hat der eine die Vorwürfe zu ertragen, wenn von der Gesamtheit gesündigt wird.“83

Die Worte formulieren die Erkenntnis, was der Kaiser im politischen Diskurs nicht mehr war: nämlich ein Senator. Damit konnte er sich aber auch nicht beliebig in die Hierarchie einordnen.84 Als Princeps seine sententia in einer laufenden Verhandlung abzugeben, wie es für Tiberius öfter dokumentiert ist, ignoriert daher die Erwartungen an die kaiserlichen Kommunikationsformen. Augustus war in dieser Hinsicht offenbar berechenbarer. Er soll seine Stimme immer entweder zu Beginn oder am Ende der Meinungsumfrage abgegeben haben. Auch für die Zeit nach Tiberius werden keine vergleichbaren Probleme mehr berichtet, was aber zum Teil auch dem Umstand geschuldet sein dürfte, dass die Kaiser nicht immer persönlich anwesend waren und solche Situationen damit mieden. Deren übergeordnete Position aber, bedingt durch die grundsätzliche Ausdifferenzierung monarchischer Strukturen, stellte im Verlauf des ersten Jahrhunderts im Senat aber auch kein grundsätzliches Problem mehr dar.85 In welcher Form der Kaiser den senatorischen Entscheidungsprozess mit seiner Meinungsäußerung formen konnte, lässt sich anhand einer Sitzung aus claudischer Zeit zeigen. Sonst beobachtbare Formen, die sich einem Verhandlungssystem zuordnen lassen, folgen in der Situation solchen hierarchischer Steuerung.86 Bezeichnenderweise gibt es keine Anzeichen dafür, dass es irgendwelche Diskussionen gegeben hätte, inwieweit diese Formen legitim waren.87 Im Jahr 47 n. Chr. im Zuge einer Diskussion darüber, ob es sinnvoll sei, für die Führung eines Prozesses in Form von Geld oder Geschenken ,entlohnt‘ zu werden, zeichnete sich schließlich eine breite Mehrheit (consentientibus aliis) ab. Die Formulierung legt nahe, dass der Beschluss ohne Gegenstimmen gefasst wurde. Wichtig ist das, weil es auch andere Vorschläge gab; namentlich erwähnt Tacitus den Antrag des designierten Consuls C. Silius. Dieser habe vorgeschlagen, die Tätigkeit unentgeltlich zu verrichten, um die Zahl der Prozesse insgesamt effektiv zu verringern. Der Verlauf der Sitzung lässt allerdings erkennen, dass sich, als sich eine Einigung abzeichnete, doch noch entschiedener Widerstand formierte. Der Princeps machte daraufhin einen vermittelnden Vorschlag, der anscheinend auch dem endgültigen

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Tac. ann. 3,53,3 [übers. v. E. HEllEr]. Siehe FlaiG, Kaiser, 103; WintErlinG, Caligula, 57 ff. zu den ,Rollen‘ des Kaisers. Außerdem WallacE-Hadrill, Civilis princeps, passim. Zu Augustus: Tac. ann. 1,74; Cass. Dio 57,7,3. Vgl. scHarPF, Interaktionsformen, 281–318. Das Verfahren, das Cassius Dio für das Jahr 32 n. Chr. in der eiligen Verurteilung des Gardepräfekten Seian schildert, erscheint in diesem Zusammenhang zumindest problematisch, weil der betreffenden Senatssitzung eine beispiellose Ausnahmesituation zugrunde lag: ἐπεὶ δ’ οὐδὲν τοιοῦτον εὑρίσκετο, ἀλλὰ καὶ πᾶν τοὐναντίον ἢ προσεδόκων ἤκονον, ἔν τε ἀπορίᾳ καὶ μετὰ τοῦτο καὶ ἐν κατηφείᾳ πολλῇ ἐγίγνοντο. καί τινες καὶ ἐξανέστησαν τῶν συγκαθημένων αὐτῷ · ὃν γὰρ πρόσθεν περὶ πολλοῦ φίλον ἔχειν ἐποιοῦντο, τούτῳ τότε οὐδὲ τῆς αὐτῆς συνεδρείας κοινωνεῖν ἤθελον. (…). οὐ μὴν οὔτε πάντας αὐτοὺς ὄυτε περὶ τοῦ θανάτου τινὰ αὐτοῦ ὁ Ρήγουλος ἐπεψήφισε (…) (Cass. Dio 58,10,4–8).

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

Beschluss entsprach – zumindest beendet Tacitus seinen Bericht über die Sitzung genau an dieser Stelle.88 Die Herstellung des Konsenses: Die discessio Abgeschlossen wurde der Entscheidungsprozesses mit der discessio. Wie in republikanischen finden sich auch in kaiserzeitlichen Quellen in unterschiedlichen Kontexten Belege dafür; in der Regel – und das betrifft vor allem die Historiographie – bleibt es aber bei der Erwähnung, die vollständigen Kommunikationszusammenhänge fehlen leider oft. Daneben schildert vor allem Plinius in seinen Briefen noch Ende des ersten / Anfang des zweiten Jahrhunderts ausführlich Senatssitzungen, auf deren Grundlage sich die discessio in ein Gesamtbild des senatorischen Entscheidungsfindungsprozesses einordnen lässt. Im ersten Fall ging es um den Prozess gegen den hochrangigen Senator Marius Priscus im Jahr 100 n. Chr. Als ehemaliger Statthalter der Provinz Africa musste sich dieser vor dem Senat verantworten. Der Fall erregte viel Aufsehen, nicht nur weil hier ein hochrangiger Senator angeklagt war. Die Bedeutung der Angelegenheit spiegelt sich in besonderer Weise in dem detailliert geschilderten Entscheidungsfindungsprozess wider, in dem der Fall über mehrere Tage kontrovers diskutiert wurde.89 Nach mehreren Verhandlungstagen plädierte der designierte Consul Cornutus Tertullus dafür, Marius Priscus zu verpflichten, die abgezweigten Gelder an das aerarium zu zahlen, ihn aus Rom und Italien und den Mitbeschuldigten Marcianus darüber hinaus auch aus Africa zu verweisen.90 Die übrigen designierten Consuln und die Consulare hatten ihre Zustimmung schon signalisiert (adsenserunt consules designati, omnes etiam consulares), doch dann brachte Pompeius Collega, ebenfalls Consular, einen weiteren Vorschlag ein.91 Demnach sollten zwar auch die 700.000 Sesterzen an das aerarium gezahlt und Marcianus für fünf Jahre ins Exil geschickt werden; eine weitere Bestrafung sah der Antrag nicht vor. Plinius zufolge 88

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Tac. ann. 11,6 f.: talia dicente consule designato, consentientibus aliis, parabatur sententia, qua lege repetundarum tenerentur, cum Suillius et Cossutianus et ceteri, qui non iudicium, quippe in manifestos, sed poenam statui videbant, circumsistunt Caesarem, ante acta depre­ cantes. et postquam adnuit, agere incipiunt (…). accipe ergo quod per hos dies actum est, personae claritate famosum, severitate exempli salu­ bre, rei magnitudine aeternum (Plin. epist. 2,11,1). Die Einschätzung mag in erster Linie der Tatsache geschuldet sein, dass Plinius selbst in dem Fall die Anklage vertrat, für die Diskussion des senatorischen Entscheidungshandelns im Principat liefert der Brief trotzdem aufschlussreiche Details. Den ersten Verhandlungstag hatte man damit verbracht, eine sehr lautstarke Debatte darüber zu führen, wie in dem Fall überhaupt zu verfahren sei. Den Vorsitz über die rege besuchte Sitzung, die im neuen Jahr stattfand, hatte der Princeps inne, weil dieser im Januar das Consulat übernommen hatte. Über die Reden der Anklage verging der zweite Verhandlungstag, so dass der Senat für den folgenden Tag erneut einberufen wurde. Die Beweisaufnahme nahm noch einen weiteren Tag in Anspruch, bis man am dritten Tag dazu übergehen konnte, konkrete Vorschläge für das Urteil über Marius Priscus vorzubringen. Zu den Diskussionen vgl. 2,11,5 f.; 20 f. Vgl. Plin. epist. 2,11,19. Plin. epist. 2,11,20.

4.1 Senatsalltag

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fanden beide sententiae ihre Befürworter; tendenziell favorisierte man aber den Antrag des Collega.92 In der Abstimmungssituation wechselten allerdings diejenigen, die sich bis dahin noch um die Plätze der Consuln versammelt hatten, zu Cornutus über. Daraufhin wechselten die anderen, die ihre Zustimmung zum Antrag des Collega signalisiert hatten, ebenfalls die Seiten. Collega blieb mit einigen wenigen zurück (cum paucis relictus).93 Ein weiteres Beispiel für eine Entscheidungssituation liefert die Überlegung darüber, ob das Verfahren, nach dem man in einer Senatssitzung im Jahr 105 n. Chr. entschieden hatte, überhaupt zulässig gewesen war.94 Plinius berichtet darüber ausführlich, um sich nachträglich der Richtigkeit seines Verhaltens zu vergewissern. Gleichzeitig reflektiert er die Abstimmungsmodi im Senat. In der Sitzung ging es darum, die Todesumstände des Consuls C. Afranius Dexter und die Frage, welche Rolle dessen Freigelassenem dabei zukam, zu verhandeln. Das Problem ergab sich dadurch, dass sich in der Umfrage drei sehr unterschiedliche sententiae herauskristallisiert hatten. Aber sowohl diejenigen, die in dem Fall die Todesstrafe forderten, als auch diejenigen, die sich für Verbannung einsetzten, hatten signalisiert, bei der Abstimmung geschlossen gegen den Antrag auf Freispruch zu stimmen. Für Plinius warf das die Frage auf, ob sich zwei Anträge, die sich einander seiner Meinung nach ausschlossen, im Falle einer Abstimmung zusammenfassen lassen oder getrennt zu behandeln seien: lex non aperte docet dirimi debere sententias occidentis et relegantis, cum ita discessionem fieri iubet: ‚qui haec censetis, in hanc partem, qui alia omnia, in illam partem ite qua sentitis‘? „Zeigt nicht das Gesetz klipp und klar, daß die Stimmen für Todesstrafe und Verbannung getrennt werden müssen, wenn es folgenden Abstimmungsmodus vorschreibt: ,Ihr, die ihr für diesen Antrag seid, tretet auf diese Seite, ihr, die ihr für alles andere seid, auf jene, je nachdem wie ihr stimmt!’“95

Eine dritte ausführliche Darstellung, die sich konkreter kontextualisieren lässt, bezieht sich auf einen Fall, der zur Zeit der Abfassung schon einige Jahre zurücklag. Plinius berichtet darin ausführlich von seinem Anliegen, diejenigen, die für den Tod des Helvidius, den Sohn des Helvidius Priscus, verantwortlich waren, nach dem Ende der Herrschaft Domitians zur Rechenschaft zu ziehen.96 Plinius hatte in 92 93 94 95 96

erant in utraque sententia multi, fortasse etiam plures in hac vel solutiore vel molliore. nam quidam ex illis quoque, qui Cornuto videbantur adsensi, hunc qui post ipsos censuerat se­ quebantur (Plin. epist. 2,11,21). sed cum fieret discessio, qui sellis consulum adstiterant, in Cornuti sententiam ire coeperunt. tum illi qui se Collegae adnumerari patiebantur in diversum transierunt; Collega cum paucis relictus (Plin. epist. 2,11,22). Zur Datierung vgl. die Diskussion bei sHErWin-WHitE, Letters of Pliny, 461. Plin. epist. 8,14,19. Vgl. Plin. epist. 9,13,4 f. Selbstverständlich geht es Plinius auch hier wieder darum, seine Prinzipien ungeachtet eventueller Nachteile zu verfolgen: ac primis quidem diebus redditae liber­ tatis pro se quisque inimicos suos, dumtaxat minores, incondito turbidoque clamore postulave­ rat simul et oppresserat. ego et modestius et constantius arbitratus immanissimum reum non communi temporum invidia, sed proprio crimine urgere (…). Zugespitzt in seiner angeblichen Aussage: ‚„omnia praecepi atque animo mecum ante peregi“ nec recuso, si ita casus attulerit, luere poenas ob honestissimum factum, dum flagitiossimum ulciscor‘ (Plin. epist. 9,13,12).

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

der Senatssitzung darum gebeten, sein Anliegen vorbringen zu dürfen. Ausgehend davon setzte man den Fall, den Plinius eingebracht hatte, auf die Tagesordnung. Nach diversen Reden sprach dann Plinius, woraufhin die Stimmung zugunsten seiner Meinungsäußerung kippte.97 Die Reaktion der Gegenseite ging im allgemeinen Proteststurm unter, so dass daraus kein weiterer Antrag formuliert wurde. Daraufhin ging man nach Beendigung der Umfrage zur Abstimmung (discessio) über und beschloss die Angelegenheit mit offensichtlich großer Mehrheit.98 Gewinnen lassen sich auf dieser Grundlage Informationen über senatorische Entscheidungsprozesse der frühen Kaiserzeit auf zwei Ebenen. Erstens lässt sich konstatieren, dass die discessio auf instrumenteller Ebene, wenn sie explizit erwähnt wird, im Kontext längerer senatorischer Diskussionen steht und den unumstrittenen Abschluss der Debatten markiert. Dass die discessio generell und unabhängig davon, ob es überhaupt zu einer Diskussion kam, den regelhaften Abschluss einer Senatssitzung darstellte, illustrieren Reflexionen über Verfahrensangelegenheiten. Dem Varro-Fragment bei Gellius zufolge, in dem die Arten der Beschlussfassung in republikanischer Zeit festgehalten werden, bestehe die Möglichkeit, einen Senatsbeschluss entweder herzustellen, indem man „bei einstimmigem Beschluss“ (si consentiretur) gleich zur Abstimmung überging oder aber in strittigen Angelegenheiten (si res dubia est) zunächst die Senatoren nach ihrer Meinung befragte. Im Anschluss daran stimmte man über die Anträge ab, die auf breite Zustimmung stießen.99 In der kaiserzeitlichen Praxis orientierte man sich offensichtlich weiterhin an diesen Abläufen der Entscheidungsfindung. In den Quellen finden sich beide Formen, die Varro beschreibt; die Mehrzahl der Fälle, in denen die discessio explizit erwähnt wird, dokumentiert Situationen, in denen die Einigkeit nicht von vornherein bestand und die Angelegenheiten erst in der Meinungsumfrage ausgehandelt werden mussten. Die discessio wird allerdings auch immer wieder in anderen Kontexten erwähnt. So weicht auch eine bei Tacitus überlieferte Sitzung aus dem Jahr 32 n. Chr. davon ab. In der Sitzung war man ohne Diskussionen zur disces­ sio übergegangen; Tiberius soll allerdings nachträglich am Verlauf des Verfahrens genau diesen Punkt bemängelt haben.100 Der Beschluss in der Sache war damit nicht hinfällig – zumal grundsätzlich beide Formen der Beschlussfassung vorgesehen waren. Die Kritik artikuliert aber deutlich, dass die senatorische Debatte in der 97

omnes Certum nondum a me nominatum ut nominatum defendunt crimenque quasi in medio relictum defensione suscipiunt. (…) dicunt contra Avidius Quietus, Cornutus Tertullus: Qui­ etus, iniquissimum esse querelas dolentium excludi, ideoque Arriae et Fanniae ius querendi non auferendum, nec interesse cuius ordinis quis sit, sed quam causam habeat (…) (Plin. epist. 9,13,14 f.). 98 inter moras consul citatis nominibus et peracta discessione mittit senatum, ac paene adhuc stantem temptantemque dicere Veientonem relinquit (Plin. epist. 9,13,20). Zur Stimmung nach Plinius’ Antrag vgl. epist. 9,13,18 f. 99 Vgl. Gell. 14,7,9 f. (Kap. 4.1.1 / Anm. 17). Auf der Grundlage behandelt auch Talbert die discessio, bleibt jedoch bei der Feststellung (talBErt, Senate, 279 ff.) 100 Tac. ann. 6,12,1: quo per discessionem facto misit litteras Caesar (…). Gallo exprobrabat, quod scientiae caerimoniarumque vetus incerto auctore ante sententiam collegii, non, ut adso­ let, lecto per magistros aestimatoque carmine, apud infrequentem senatum egisset.

4.1 Senatsalltag

175

Praxis offensichtlich der erwünschten Form senatorischer Entscheidungsfindung entsprach.101 Der enge Zusammenhang zwischen Meinungsumfrage und discessio, der in den Quellen hergestellt wird, ergibt sich aus der spezifischen Funktion der Abstimmung auf symbolischer Ebene. Wie E. FlaiG und J. tiMMEr im Kontext der Diskussion des republikanischen Verfahrens betont haben, erlaubte diese Form der Abstimmung, im Konsens die Statusdifferenzen, die in der vorangehenden Umfrage noch ganz bewusst kommuniziert worden waren, gezielt unsichtbar zu machen, da formal jede Stimme gleich gewichtet wurde. Gleichzeitig habe man auf diese Weise die Homogenität innerhalb der Aristokratie hergestellt, die sowohl die Grundlage aristokratischen Selbstverständnisses als auch politischer Entscheidungsprozesse bildete – und kommunizierte diese demonstrativ auch für Außenstehende.102 Diese Gleichheit verdeutlicht Plinius in seinem Bericht über den Folgeprozess, in dem nach dem Urteil gegen Marius Priscus das Schicksal der Mitbeschuldigten verhandelt wurde: numerantur enim sententiae, non ponderantur; nec aliud in publico consilio potest fieri, in quo nihil est tam inaequale quam aequalitas ipsa. nam cum sit impar prudentia, par omnium ius est. „Denn die Stimmen werden gezählt, nicht gewogen, und anders geht es auch nicht in einem öffentlichen Gremium, in welchem nichts so ungleich ist wie gerade die Gleichheit. Obwohl nicht alle gleich klug sind, haben doch alle das gleiche Stimmrecht.“103

Die Gleichheit erscheint nicht als Widerspruch zu der sonstigen Orientierung an den Hierarchien innerhalb der Aristokratie, sondern ist – auch wenn Plinius in diesem Fall genau diese Gleichheit bedauert – von ihm bei der discessio als Selbstverständlichkeit verinnerlicht. Das bedeutet allerdings nicht, dass die in dieser Form dargestellte Gleichheit, die die notwendige Homogenität garantierte, auch realiter die Grundlage der Abstimmung darstellte. Die Gleichheit, die man im Konsens darstellte, bestand nicht darin, dass die Akteure in ihrer Urteilsfindung unabhängig waren.104 So verdeutlicht beispielsweise Plinius, wie das hierarchische Element in der Praxis auch in der discessio wirksam wurde. Denn ausschlaggebend für das härtere Votum im Fall des Marius Priscus war, dass zunächst diejenigen, die um die Sessel der Consuln standen, für den Antrag des Cornutus gestimmt und damit auch letztlich den Stimmungsumschwung zu verantworten hatten. Die Selbstverständlichkeit, mit der „daraufhin“ (tum) auch die anderen einlenkten und sich der Entscheidung der hochrangigen Mitglieder der Senatsaristokratie anschlossen, lässt daran keinen Zweifel.105 Diese Mechanismen reflektiert auch Sueton im Zusammenhang mit einem 101 Allerdings stellte diese – wie bereits festgestellt – auch immer insofern eine Herausforderung dar, als die Art, in der man man diskutierte, der senatorischen Würde angemessen sein sollte (vgl. Sen. apocol. 9,1). 102 Vgl. FlaiG, Mehrheitsentscheidung, 373; 375 ff.; tiMMEr, Auseinandertreten, 401 ff. Entsprechend zielte darauf die Sozialisation des Nachwuchses: dazu Plin. epist. 8,13. 103 Plin. epist. 2,12,5 [übers. nach H. KastEn]. 104 Vgl. tiMMEr, Auseinandertreten, 402 f. 105 In diesem Sinn ist auch Plin. epist. 9,13,6 zu verstehen: sed non sustinui inducere in animum,

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

Senatsbeschluss in tiberischer Zeit. Demnach maß man offenbar der Tatsache keine besondere Bedeutung bei, dass Tiberius, als man zur Abstimmung schritt, anders als die Mehrheit stimmte – ihm aber niemand folgte (secutus est nemo).106 Dass hier die Autorität, in dieser Situation noch dazu die des Kaisers, nicht ausschlaggebend für das Abstimmungsverhalten der anderen Akteure gewesen zu sein schien, widerspricht der grundsätzlichen Wirksamkeit solcher Mechanismen nicht, da es hier ausdrücklich als Ausnahme kenntlich gemacht wird. Denn dass die Situation den Rahmen des Erwartbaren sprengte, belegt nicht allein, dass Sueton sie überhaupt für erwähnenswert erachtet, sondern sie auch als eines von angeblich vielen Beispielen dafür anführt, in denen Tiberius diese Norm ignoriert haben soll. Mit seiner Einforderung, wie ein Senator und nicht wie ein Princeps behandelt zu werden, schuf er eine ebenso paradoxe Situation, in der gesellschaftliche Strukturen entgegen jeder Gewohnheit nicht mehr im Verfahren abgebildet werden sollten.107 Die Verfahrenspraxis orientierte sich also auch bei der discessio zunächst an den Formen republikanischer Entscheidungsfindung. Deutlich wird auch, dass die discessio den Entscheidungsprozess noch Anfang des zweiten Jahrhunderts in ritualisierter Form abschloss. In den dokumentierten Fällen ging man zur Abstimmung über, wenn sich in der Diskussion eine Einigung abzeichnete, die dann als Konsens beschreibbar war. Das Ergebnis stand also bereits im Vorfeld der discessio fest. Der discessio kam damit in der Regel nicht die Funktion zu, Mehrheitsverhältnisse herzustellen, sondern diese formal festzustellen.108 Dass im Fall des Marius Priscus, den Plinius schildert, die tatsächliche Entscheidung anders ausfiel, als es die Mehrheitsverhältnisse vorher hatten vermuten lassen, muss dem nicht widersprechen. Folgt man FlaiG, war die zeitliche Ausdehnung auch grundsätzlich vorgesehen und an sich funktional, weil den Senatoren damit bewusst Zeit eingeräumt wurde, sich möglicherweise noch einmal umzuentscheiden.109 Dafür, dass die discessio in der Regel nicht dazu diente, Mehrheitsverhältnisse herzustellen, spricht, dass Plinius immerhin schildert, dass, als man zur discessio überging, die Mehrheitsverhältnisse ein klares Ergebnis zu antizipieren schienen und die Abstimmung vielleicht nicht ungewöhnlich, aber zumindest unerwartet verlief. Für Dissens ließ die Entscheidungssituation insofern Raum, als dieser zwar in den antiken literarischen Darstellungen der Meinungsumfrage, für die discessio

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quominus illi eodem die facturum me indicarem, quod an facerem non deliberabam, expertus usu de eo quod destinaveris non esse consulendos quibus consultis obsequi debeas. Vgl. Suet. Tib. 31. Vgl. dazu allgemeiner lEVicK, Tiberius, 92 ff. Für die republikanische Zeit ist das umstritten: Timmer zufolge sei man zur discessio übergegangen, wenn die Mehrheitsverhältnisse geklärt waren: „Wenn es zur Abstimmung kam, dann stand das Ergebnis bereits fest. Es wurde offenbar im Vorfeld solange verhandelt, bis abweichende Minderheiten zu bedeutungsloser Größe geschrumpft waren; selbst die nicht überzeugte Minderheit schloß sich bei der Abstimmung dem gemeinsamen Votum des Gremiums an, und Themen, zu denen kein Konsens herzustellen war, verschwanden still und heimlich von der Tagesordnung.“ (tiMMEr, Auseinandertreten, 395). Dagegen FlaiG, Mehrheitsentscheidung, 378 f. Dass zumindest die Belege aus spätrepublikanischer Zeit eine solche Interpretation nahelegen, sagt aber auch Flaig (EBd., 378). Vgl. FlaiG, Mehrheitsentscheidung, 374 f. Vgl. Plin. epist. 2,11,22; außerdem Suet. Caes. 14.

4.1 Senatsalltag

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aber nur gelegentlich überhaupt konstatiert wird und weder die Verbindlichkeit des Ergebnisses in Frage stellte noch in irgendeiner Form in die offizielle Dokumentation des Beschlusses einging. Entsprechend finden sich in den kaiserzeitlichen Senatsbeschlüssen, die inschriftlich überliefert sind und in besonderer Weise auf die Repräsentation und nicht auf die Abbildung des Verfahrens zielen, keine Hinweise auf möglichen Dissens. Vielmehr beschwören sie die Einigkeit des Senats. Daher wurde auch das Abstimmungsergebnis in Formen wiedergegeben, die daran keinen Zweifel aufkommen ließen. Inwiefern sich an dieser Stelle möglicherweise Veränderungen gegenüber der republikanischen Praxis vollzogen, gilt es allerdings noch genauer zu untersuchen.110 Die Quellen können also von Konsens sprechen, selbst wenn sie von Stimmen berichten, die vom Abstimmungsergebnis abwichen. Das wiederum deutet auf den geringen Wert, der den tatsächlichen Zahlen- oder Mehrheitsverhältnissen beigemessen wurde.111 Tacitus’ Geringschätzung gegenüber den Senatoren, die im Majestätsprozess gegen Antistius selbst noch bei der Abstimmung die sententia des Thrasea ausdrücklich ablehnten, passt in dieses Bild. Auf diese Weise reflektiert er indirekt auch die Funktion, die der discessio zugewiesen wurde, nämlich im Abstimmungsergebnis jede Form von Dissens zu verdecken.112 Festhalten lässt sich damit, dass das Abstimmungsritual der discessio auch in der Kaiserzeit den formalen Rahmen bot, einem paradoxen Wirkungsprinzip, das auch schon bei der Meinungsumfrage zu beobachten war, Ausdruck zu verleihen. In der discessio wurden bewusst die Homogenität und der Konsens betont. Dadurch wurden die Hierarchien unsichtbar gemacht, die die Grundlage der Kommunikationsformen im vorangegangenen Verlauf der Senatsdebatte dargestellt hatten. Sie wirkten also integrativ und hoben die Verbundenheit als Gruppe hervor, die gleichzeitig ihre Exklusivität begründete. Dass die Dynamiken gesellschaftlicher Stratifikation in der Praxis bei dem Abstimmungsritual trotzdem wirksam blieben, wurde bezeichnenderweise nicht als defizitär oder sogar als Widerspruch begriffen, dies hieße auch die verschiedenen Sinndimensionen zu verkennen. Denn die Funktion der discessio dürfte nicht darin gelegen haben, das zu konterkarieren, was die Kommunikationsformen im Verlauf der Senatssitzungen sonst leisteten. Grundsätzlich wurden die Ungleichheiten unter den Akteuren nicht bloß reproduziert, sondern sogar verstärkt, zumal diese für das Funktionieren des Verfahrens und die Entscheidungsfähigkeit essentiell waren.113 Das integrative Po110 So etwa Plinius: cum paucis relictus (Plin. epist. 2,11,22); für weitere Belege siehe S. 185 f. Nach Cassius Dio geht das auf eine Regelung in augusteischer Zeit zurück: vgl. Cass. Dio 55,3 f.; vgl. außerdem für die Praxis SCPP, Z. 173 (EcK/caBallos, Senatus consultum, 50); SC de nundinis saltus Beguensis (CIL 8,270, 46=FIRA I, Nr. 47, Z. 9); SCC de aedificiis non diru­ endis, Z. 47 (CIL 10,1401=FIRA I, Nr. 45); MoMMsEn, StR 3.2, 990 / Anm. 1 u. 2; taylor/ scott, Seating Space, 532. Vgl. auch Kap. 4.2.2. 111 Vgl. z. B. Plin. epist. 2,11,10; 6,13,5 (genauer zu den Angaben von Zahlenverhältnissen S. 186 f.) 112 Tac. ann. 14,49,1. So auch tiMMEr, Auseinandertreten, 397. 113 Das bedeutet nicht, dass die Machtstrukturen jedes Mal aufs Spiel gesetzt und neu ausgehandelt wurden. „Der Konsens, den die Senatoren im Verlauf des Verfahrens finden und ausdrücken, entsteht nicht im machtfreien Raum.“ (tiMMEr, Auseinandertreten, 404). Ermöglicht wurde ein solches Verhalten auch dadurch, dass divergierende Interessen nicht in die Abstimmung hinein-

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

tential, das der Abstimmung immanent war, bleibt damit von einer Darstellung von Homogenität und Geschlossenheit der Senatsaristokratie nach außen zu unterscheiden. 4.2 VERÄNDERUNGEN IM SENATORISCHEN ENTSCHEIDUNGSPROZESS Wie gezeigt, lassen sich erst einmal kaum Unterschiede gegenüber dem republikanischen Verfahren erkennen. Entsprechend urteilt talBErt, dass bis weit ins zweite Jahrhundert der formale Rahmen traditionellen, aus republikanischer Zeit bekannten Strukturen gefolgt sei. Zwar seien die Verfahrensstrukturen sicher nicht so statisch gewesen, wie es ein solcher Befund zunächst vermuten lasse, doch insgesamt seien solche Entwicklungen nur graduell und informell und nicht das Ergebnis eines klar definierbaren oder überhaupt datierbaren Wandels gewesen.114 Man könne, so Talbert, in den meisten Fällen gar nicht konkretisieren, wann genau sich bestimmte Veränderungen in den Verfahrensabläufen etablierten, so dass letztlich alle Aussagen in dieser Hinsicht hypothetisch bleiben müssten. Das zweite Jahrhundert markiere zwar einen deutlichen Einschnitt, weil vieles darauf hinweise, dass sich in dieser Zeit tiefgreifende strukturelle Veränderungen vollzogen hätten. Gleichzeitig würden die wenigen Quellen, die erhalten seien, darüber aber kaum informieren. Nachvollziehen lasse sich ein Transformationsprozess auf dieser Grundlage kaum.115 Grundsätzlich, so der Tenor, kann man davon ausgehen, dass senatorische Entscheidungsfindungsprozesse in der Kaiserzeit entscheidenden Veränderungen unterworfen waren, die sich aber kaum konkret greifen ließen. Es wurde bereits gezeigt, dass das senatorische Verfahren im ersten Jahrhundert bei Prozessen und Wahlen nicht sicher gewährleisten konnte, dass überhaupt Entscheidungen zustande kamen. Damit wurde auch die Gewissheit über das Funktionieren der etablierten Kommunikationsmechanismen erkennbar erschüttert. Wenn sich aber Veränderungen im senatorischen Entscheidungsfindungsprozess nachvollziehen lassen: Wie, unter welchen Bedingungen und in welchen Situationen war das der Fall? Und was bedeutete das für das Gremium? Das Problem bei der Beantwortung solcher Fragen besteht – wie beschrieben – darin, dass die Rekonstruktion des formalen Rahmens für den senatorischen Entscheidungsfindungsprozess erst einmal auf weitgehende Kontinuität im kaiserzeitlichen Verfahren hinweist, dass die Formen der Entscheidungsfindung von denen, die aus republikanischer Zeit bekannt sind, also erst einmal gar nicht so weit entfernt waren. Gleichzeitig werden aber spätestens im zweiten Jahrhundert strukturelle Veränderungen vermutet, deren Entwicklungen in den kaiserzeitlichen Quellen höchstens vage erkennbar zu sein getragen wurden, sondern die Einigung eine ,äquivalente Gegenleistung‘ zu einem späteren Zeitpunkt erwartbar machte. 114 Vgl. talBErt, Senate, 221. 115 Vgl. EBd., 221 f. Als Transformationsprozess werden die vermuteten Veränderungen von Talbert streng genommen nicht bezeichnet. Vielmehr moniert er eigentlich die fehlende Datierbarkeit der Veränderungen.

4.2 Veränderungen im senatorischen Entscheidungsprozess

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scheinen. Eine genauere zeitliche Eingrenzung, geschweige denn eine klare Datierung, scheint ein solcher Befund unmöglich zu machen. Eine Möglichkeit, diese Probleme zwar nicht zu lösen, aber sich der senatorischen Verfahrenspraxis anzunähern, ergibt sich durch einen Perspektivenwechsel: Erstens ist es im Hinblick auf bekannte, aber wesentlich spätere Formen zuverlässiger, zunächst von einer nachweisbaren Unsicherheit im Verfahren auszugehen.116 Zweitens erscheint es mit Blick auf die Quellenlage tatsächlich wenig sinnvoll, Veränderungen im Senatsverfahren anhand konkreter Datierungen festmachen zu wollen. Nicht nur im Hinblick auf die Quellenlage über antike Verhältnisse, sondern auch im Hinblick auf die Erfahrungen mit strukturellen Veränderungen, ergeben sich Probleme, die einen allmählichen Transformationsprozess wesentlich wahrscheinlicher machen. Es ist aber zu erwarten, dass ein solcher in den Quellen gerade wegen dieses Charakters eher diffus reflektiert wird. Die These Talberts, derzufolge sich die feststellbare Kontinuität des formalisierten Entscheidungsprozesses gleichzeitig implizit auch auf den Charakter und die Funktion des senatorischen Verfahrens übertragen lässt, lässt sich nur halten, solange man sich darauf konzentriert, die Formen weitgehend losgelöst vom historischen Kontext und den konkreten Bedingungen senatorischer Kommunikation in der frühen Kaiserzeit in ihrer engen Verknüpfung von politischen und gesellschaftlichen Strukturen zu analysieren.117 Demgegenüber wird zu diskutieren sein, wie sich auf die senatorische Praxis im Hinblick auf die Kommunikationsmechanismen in einer Atmosphäre der Verunsicherung über Funktionalität und Dysfunktionalität senatorischer Kommunikation zugreifen lässt. Denn innerhalb dieses formalen Rahmens begannen sich Veränderungen abzuzeichnen, die in senatorische Kommunikationsstrukturen tief eingriffen. Den Hintergrund für die folgenden Überlegungen bilden zu analytischen Zwecken die idealtypische Rekonstruktion des senatorischen Verfahrens und die an diesen Strukturen orientierte Interpretation. Das sorgfältige Austarieren von Konkurrenz und Konsensorientierung im formalisierten Rahmen des Entscheidungsprozesses gilt es mit der kaiserzeitlichen Realität detaillierter in Beziehung zu setzen. Daher stellen im Folgenden einerseits der formale Ablauf des Entscheidungsprozesses und andererseits die Diskussionen, die sich in den kaiserzeitlichen Quellen finden lassen und sich an diesen bekannten Abläufen orientieren, die Grundlage für die Untersuchung dar.

116 Dieses Problem sieht auch Talbert grundsätzlich (vgl. talBErt, Senate, 290 ff.). 117 Solche Einschränkungen macht auch MoMMsEn, StR 3.2, 1271.

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

4.2.1 Reglementierungen senatorischer Entscheidungsprozesse ,Formalisierungen‘ des Verfahrens: Die Regelung der Verfahrensordnung durch die lex Iulia de senatu habendo Wie es bereits anhand der neuen Kompetenzen aufgezeigt wurde, war die senatorische Praxis seit augusteischer Zeit sukzessiven, aber nachhaltigen Veränderungen unterworfen. Einzeln betrachtet scheinen die Konsequenzen überschaubar gewesen zu sein, im größeren Zusammenhang ergibt sich allerdings ein anderes Bild. Dazu kommt, dass die Quellenlage äußerst disparat ist. Entsprechend schwierig ist es, die Kommunikationsbedingungen, die dadurch im Senat geschaffen wurden, zu rekonstruieren. Zu berücksichtigen sind auch solche Änderungen, die nicht so offensichtlich als solche zu erkennen sind wie bei der Erweiterung der Aufgabenbereiche des Senats. Die lex Iulia de senatu habendo im Jahr 9 v. Chr. veränderte das Verfahren signifikant. Auf den ersten Blick scheint gegenüber der spätrepublikanischen Praxis nichts wesentlich Neues festgelegt worden zu sein und das Gesetz eher in deren Tradition zu stehen. Allerdings wird diese Kontinuität auf sehr spezifische Weise aufgegriffen, was die Regelung so interessant macht.118 In einer Gesamtdarstellung ist sie in den Quellen bezeichnenderweise nicht mehr greifbar; ohne dass der konkrete formale Rahmen benannt würde, lassen sich aber einige Details der Bestimmungen, die von Seneca, Plinius d. J. und Gellius übereinstimmend als Gesetz bezeichnet werden,119 rekonstruieren. Seneca bezieht sich auf das Gesetz, demzufolge die Pflicht für einen Senator, an Sitzungen teilzunehmen, mit dem 60. Lebensjahr aufgehoben wurde. Gellius setzt sich mit der Reihenfolge, in der die Senatoren ihre sententiae abgaben, auseinander. Mit der Verfahrensordnung hatten sich bis in die augusteische Zeit bereits mehrere Schriften beschäftigt. Die lex Iulia regelte auch, in welcher Reihenfolge die Stimmen abgegeben wurden. Schließlich beruft sich Plinius in mehreren Briefen auf die gesetzliche Regelung, wenn es um verfahrenstechnische Detailfragen wie beispielsweise den Abstimmungsmodus geht. Die Stellen bei Seneca und Gellius haben bereits gezeigt, wie umfangreich Fragen, die sich mit der Organisation von Senatsfragen beschäftigen, in der lex Iulia geregelt wurden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich auch Plinius auf dieses Gesetz bezieht.120 118 In der Forschung wird das Thema eher am Rande behandelt, was wohl in erster Linie der fragmentarischen Überlieferung und der Tatsache geschuldet sein dürfte, dass die Regelungen nicht als Neuerungen dargestellt wurden. Vgl. zum Umgang mit Reformen u. WaltEr, Praxis ohne Begriff? ,Reformen‘ in der Antike, in: B. Onken / D. Rohde (Hgg.), In omni historia curiosus. Studien zur Geschichte von der Antike bis zur Neuzeit. Festschrift für Helmuth Schneider zum 65. Geburtstag, Wiesbaden 2011, 111–127, bes. 111 f. zur Problematisierung. Zur lex Iulia de senatu habendo siehe auch talBErt, Senate, 222; zur Einordnung der Regelungen GalinsKy, Augustan Culture, 70 – auch wenn es bei Letzterem bei einer kurzen Erwähnung bleibt. 119 Sen. brev. vit. 20,4: lex (…) a sexagesimo (anno) senatorem non citat. Gell. 4,10,1: ante legem, quae nunc de senatu habendo observatur. Plin. epist. 5,13,5; Plin. epist. 8,14,19. 120 Sen. brev. vit. 20,4. Ähnlich, wenn auch unspezifischer, Plin. epist. 4,23,3; Gell. 4,10, bes. 4,10,1: s. Kap. 4.2.1 / Anm. 119. Quint. decl. 306; Plin. epist. 5,13,5 (105 n. Chr. [sHErWin-WHitE, Letters of Pliny 339]): adsenserunt omnes praeter Flavium Aprum. is interdicen­

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Das Gesetz ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert: Zum einen wird es in den kaiserzeitlichen Quellen nicht als Veränderung oder Neuerung markiert, sondern im Gegenteil eher als Fortschreibung traditioneller Praktiken. Allerdings ist eine solche Einordnung, wenn man die Reichweite der augusteischen Regelung betrachtet, durchaus erklärungsbedürftig. Mit diesem Befund dürfte auch zusammenhängen, dass sich auf der Grundlage der literarischen Überlieferung einige Schwierigkeiten ergeben, die Regelungen als Ganzes zu rekonstruieren. Zum anderen wirft das Gesetz auf der inhaltlichen Seite die Fragen auf, warum das Senatsverfahren überhaupt in dieser Form festgeschrieben wurde und was seine Dauerhaftigkeit als Referenzquelle für die Rahmenbedingungen eines Senatsverfahrens weit über die augusteische Zeit hinaus ausmachte. Damit bleibt auch zu klären, welche Bedeutung die Regelungen für senatorische Entscheidungsprozesse hatten. Dafür gilt es nicht nur die konkreten Inhalte der Bestimmungen zu rekonstruieren, sondern diese auch mit dem größeren Entstehungskontext in Beziehung zu setzen. In zusammenhängender Darstellung und eingeordnet in den größeren historischen Kontext sind die Regelungen von Cassius Dio und Sueton überliefert: (…) ὁ δ’ Αὔγουστος τάς τε τῆς γερουσίας ἕδρας ἐν ῥηταῖς ἡμέραις γίγνεσθαι έκέλευσεν (ἐπειδὴ γὰρ οὐδὲν πρότερον ἀκριβῶς περὶ αὐτῶν ἐτέτακτο καί τινες διὰ τοῦτο πολλάκις ὑστέριζον, δύο βουλὰς κατὰ μῆνα κυρίας ἀπέδειξεν, ὥστε ἐς αὐτὰς ἐπάναγκες, οὕσ γε καὶ ὁ νόμος ἐκάλει, συμφοιτᾶν· (…) τόν τε ἀριθμὸν τὸν ἐς τὴν κύρωσιν τῶν δογμάτων ἀναγκαῖον καθ’ ἕκαστον εἶδος αὐτῶν, ὥς γε ἐν κεφαλαίοις εἰπεῖν, διενομοθέτησε, καὶ τὰ ζημιώματα τοῖς μὴ δι’ εὔλογόν τινα αἰτίαν τῆς συνεδρείας ἀπολειπομένοις ἐπηύξησεν. „Augustus aber traf die Anordnung, daß die Sitzungen des Senats an bestimmten Tagen stattfinden sollten. Zuvor hatte nämlich hierfür keine genaue Regelung bestanden und die Folge war, daß Senatoren oftmals die Termine verpaßten. Nun aber sollten nach kaiserlicher Weisung jeden Monat zwei reguläre Sitzungen gehalten werden, so daß sich dazu die Mitglieder, jedenfalls jene, die das Gesetz rief, einfinden mußten. Nun aber sollten nach kaiserlicher Weisung jeden Monat zwei reguläre Sitzungen gehalten werden, so daß sich dazu die Mitglieder, jedenfalls jene, die das Gesetz rief, einfinden mußten. (…) Gesetzlich legte er ferner die Zahl der Senatoren fest, die für die Gültigkeit von Beschlüssen notwendig sei, und zwar richtete sie sich nach der jeweiligen Art – dies alles, um nur die wichtigsten Punkte der ganzen Regelung anzuführen. Dazu erhöhte er auch die Strafen für diejenigen, welche ohne triftigen Grund den Sitzungen fernblieben.“121

Übereinstimmend damit gibt Sueton das Gesetz in folgenden Worten wieder: (…) sanxit, (…) et ne plus quam bis in mense legitimus senatus ageretur, Kalendis et Idibus, neve Septembri Octobrive mense ullos adesse alios necesse esset quam sorte ductos, per quo­ rum numerum decreta confici possent (…). sententias de maiore negotio non more atque ordine dum ei advocationibus in quinquennium censuit et, quamvis neminem auctoritate traxisset, constanter in sententia mansit; quin etiam Dextrum, qui primus diversum censuerat, prolata lege de senatu habendo iurare coegit e re publica esse quod censuisset. Plin. epist. 8,14,19 (die genaue Datierung ist unklar [vgl. sHErWin-WHitE, Letters of Pliny, 460]): lex non aperte docet dirimi debere sententias occidentis et relegantis, cum ita discessionem fieri iubet: ‚qui haec censetis, in hanc partem, qui alia omnia, in illam partem ite, qua sentitis?‘ Zur Kontinuität republikanischer Formen sHErWin-WHitE, Letters of Pliny, 465. 121 Cass. Dio 55,3,1 f.

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren sed prout libuisset perrogabat, ut perinde quisque animum intenderet ac si censendum magis quam adsentiendum esset. „Er [Augustus] setzte fest, (…) daß der Senat höchstens zweimal im Monat als gesetzgebende Körperschaft tagen solle, und zwar an den Kalenden und Iden; und in den Monaten September und Oktober sei nur die Anwesenheit der Senatoren, die durch Los gezogen worden waren, erforderlich, so daß so viele da waren, daß gültige Beschlüsse gefaßt werden konnten. (…) Und er fing an, bei wichtigeren Angelegenheiten nicht mehr alle im hergebrachten Verfahren, sondern wie es ihm gerade einfiel, nach ihrer Meinung zu fragen; es sollte nämlich jeder mit vollem Einsatz dabei sein, so als wenn er mehr zu etwas raten als nur zustimmen müsse.“122

Die Punkte, die als wesentlich hervorgehoben werden, lassen sich damit folgendermaßen zusammenfassen: Erstens wird die Regelmäßigkeit der Zusammenkünfte sichergestellt, indem die Anzahl der Senatssitzungen festgelegt und dafür feste Tage bestimmt werden (Cassius Dio und Sueton).123 Darüber hinaus wird auch die individuelle Teilnahme verfügt, wenn zweitens eine offenbar nach Art (Cassius Dio) und Zeitpunkt (Sueton) des Beschlusses variierende, für die Gültigkeit notwendige Mindestanzahl von Senatoren beschlossen wird (Cassius Dio und Sueton) und drittens die Strafen für das Fernbleiben von Sitzungen erhöht werden (Cassius Dio). Darüber hinaus werden viertens die Bestimmungen – im Gegensatz zur Ehegesetzgebung – nicht als Neuerungen gekennzeichnet, sondern betonen, wie auch schon in anderen Kontexten zu sehen war, die Kontinuität. Regelungen der senatorischen Beteiligung an Entscheidungsprozessen Vollständig kann man den Inhalt damit nicht rekonstruieren, sondern nur einzelne Themen und Regelungen. Trotzdem lässt auch oder gerade diese fragmentierte Überlieferung Rückschlüsse für die Einordnung der Regelungen zu. Auffällig ist mit Blick darauf, dass man sich noch Jahrzehnte später auf sie bezog, als wie nachhaltig und verbindlich die Regelungen offenbar wahrgenommen wurden. Aus der Form als Gesetz lässt sich das nicht vollständig erklären. Dafür spricht jedenfalls, dass nicht alle thematisierten Bereiche in gleichem Maße wirksam blieben bzw. auf der Basis der lex Iulia geregelt wurden. In diesem Zusammenhang von Verbindlichkeit zu sprechen, meint nicht, dass die Form mündlicher Überlieferung, wie sie in republikanischer Zeit praktiziert wurde, einen geringeren Grad an Sicherheit vermittelte. Im Gegenteil gelten solche Formen der Überlieferung üblicherweise als äußerst stabil. In der späten Republik funktionierte es aber nicht mehr in jedem Fall, sich auf Traditionen, die primär mündlich überliefert wurden, zu berufen. Die besondere Verbindlichkeit im Falle der augusteischen Regelungen ergibt sich daher, weil sie als Versuch gesehen werden können, unsichere oder als prekär wahrgenommene Strukturen durch Verschriftlichung zu stabilisieren. Gegenüber der bisherigen Überlieferungstradi122 Suet. Aug. 35,3 [übers. v. H. MartinEt]. 123 Zur vorherigen Regelung über die Gewohnheit vgl. MoMMsEn, StR 2.2, 896. Daneben verfügte auch der Princeps dauerhaft über das Recht, den Senat einzuberufen: Cass. Dio 54,3,3; CIL 6,1,930,3: utique ei senatum habere (…) liceat, ita uti licuit divo Aug(usto).

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tion senatorischer Praktiken gewann das Senatsverfahren mit der schriftlichen Fixierung in den gesetzlichen Regelungen seit augusteischer Zeit grundsätzlich eine neue Qualität.124 Bemühungen, senatorische Praktiken zu verschriftlichen, finden sich schon in spätrepublikanischer Zeit als Reaktion auf die zunehmende Verunsicherung über die Grundlagen und Formen der Verständigung. Obwohl sie weit über ihren eigentlichen Entstehungszusammenhang hinaus rezipiert wurden und die Sensibilität für senatorische Konfliktlinien der Republik damit präsent blieben, schlugen sich die Reflexionen, wie sie sich bei Cicero oder Varro finden, in den meisten Fällen aber nicht unmittelbar in Verfahrensänderungen nieder. Über die von Augustus’ Rechtsexperten konsularischen Ranges C. Ateius Capito verfasste Schrift De officio sena­ torio ist, vermittelt durch einige Zitate bei Festus und vor allem Gellius, nur Weniges bekannt. Anscheinend trug Capito aber, ähnlich wie Varro in den 40er und 50er Jahren des ersten Jahrhunderts v. Chr., die Details des Senatsverfahrens zusammen, um den Stand in augusteischer Zeit zu dokumentieren.125 Die augusteischen Regelungen ordnen sich damit in ein schon länger greifbares Problembewusstsein ein. In ihrem gesetzgebenden und offenbar umfassenden Charakter erreichen sie aber einen bis dahin nicht erreichten Grad an Verbindlichkeit. Auffällig an den zusammenhängenden Berichten über die augusteische Regelung des Senatsverfahrens in der lex Iulia ist darüber hinaus, dass sie sich ausschließlich darauf konzentrieren, diese darzustellen soweit sie die Anwesenheit der Senatoren betrifft – obwohl die Regelungen insgesamt wesentlich umfangreicher und detaillierter waren. Da Seneca, Plinius und Gellius in anderen Zusammenhängen Detailfragen des Verfahrens erörtern, die weit über das hinausgehen, was Cassius Dio und Sueton interessiert, ist zu vermuten, dass das Gesetz Abläufe im Senat und die Rahmenbedingungen für das Senatsverfahren sehr detailliert regelte. Daneben stehen die Darstellungen bei Cassius Dio und Sueton, die die Bedingungen für die senatorische Beteiligung an Entscheidungsprozessen ins Zentrum stellen, um, wie Cassius Dio feststellt, „nur die wichtigsten Punkte der ganzen Regelung anzuführen“ (ὥς γε ἐν κεφαλαίοις εἰπεῖν). Für das Jahr 11 v. Chr. hatte Cassius Dio schon berichtet, dass Augustus im Zusammenhang mit einem weiteren Census auch die Anwesenheitszahlen für die Gültigkeit von Senatsbeschlüssen neu regelte: (…) καὶ τὴν βουλὴν κατελέξατο. ὁρῶν δὲ ὅτι οὐκ ἀεὶ συχνοὶ συνελέγοντο, ἐκέλευσε τὰ δόγματα αὐτῆς καὶ ἐν ἐλάττοσιν ἢ τετρακοσίοις γίγνεσθαι· οὐ γὰρ ἐξῆν τινα ἐκ τοῦ πρὶν ἄλλως κυροῦσθαι. „(…) [A]uch eine Senatsliste stellte er auf. Da er aber sah, daß bei Senatssitzungen zuweilen nur eine geringe Zahl von Mitgliedern zugegen war, ordnete er an, daß Beschlüsse, selbst wenn

124 Vgl. dazu die überzeugenden Interpretationsangebote von Habinek: HaBinEK, Situating Literacy, 119 f. So auch bereits die Erklärung der Fülle epigraphischer Zeugnisse seit der augusteischen Zeit WoolF, Monumental Writing, 30 f. (vgl. dazu auch Kap. 2.1). 125 Gell. 4,10,7 f.; 14,7,13. Außerdem erwähnt bei Tac. ann. 3,75; Dig. 1,2,2,47 (nur kurz erwähnt bei talBErt, Senate, 223). Zu den juristischen Entwürfen augusteischer Zeit vgl. WallacEHadrill, Mutatio morum, 13 f. Außerdem der – allerdings sehr knappe – aus philologischer Perspektive Überblick bei Fuhrmann: FuHrMann, Geschichte der römischen Literatur, 256 f.

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren weniger als 400 Senatoren anwesend seien, gefaßt werden könnten; bisher hatte nämlich kein Beschluß Gültigkeit, der von einer kleineren Zahl ausgegangen war.“126

Cassius Dio dokumentiert damit sicher fehlenden Enthusiasmus, an Senatssitzungen teilzunehmen, wie er immer wieder in den Quellen konstatiert wird. Daneben ist aber auch zu bedenken, dass sich die Regelung, nachdem der Senat deutlich verkleinert worden war, auch ganz pragmatisch auf eine nachträgliche Anpassung der Anwesenheitszahlen beziehen könnte.127 Im Kyrene-Edikt aus dem Jahr 4 v. Chr. ist davon die Rede, dass es nicht weniger als 200 Senatoren sein sollten, die für die Zuweisung eines Rechtsbeistands in Provinzfragen anwesend sein mussten. Auch wenn es sich in diesem Fall um keine Entscheidungssituation handelt, weist das auf deutlich niedrigere Teilnehmerzahlen hin, als sie bei regulären Sitzungen als normal angenommen wurden.128 Dass im Zusammenhang mit der lex Iulia de senatu habendo die Teilnahme als Aspekt einer ansonsten wesentlich umfassenderen Regelung derart hervorgehoben wird, ist weder Zufall noch der individuellen Entscheidung eines Autors zu verdanken und damit erklärungsbedürftig. Auch Sueton setzt diese inhaltlichen Schwerpunkte, was darauf hindeutet, dass damit ein zentrales Problem senatorischer Kommunikationsmechanismen berührt wurde, das den kaiserzeitlichen Senat entscheidend prägte. Dass man feste Tage für die Senatssitzungen bestimmte, sollte offenbar terminliche Kollisionen vermeiden und die Ausreden für das Fernbleiben einschränken. Für gültige Senatsbeschlüsse zu überprüfen, wie viele Senatoren anwesend waren, und verschärfte Strafen bei Missachtung der Anwesenheitspflicht, lässt sich insgesamt als Reaktion auf strukturelle Probleme verstehen, die schon in der Konfliktträchtigkeit der späten Republik angelegt und von den Zeitgenossen immer wieder konstatiert worden waren. Entsprechend wird in der Forschung auch diskutiert, ob ein Quorum für die Gültigkeit von Senatsbeschlüssen schon in republikanischer Zeit existierte. Das Quorum, das hier thematisiert wird, in eine längere republikanische Tradition zu stellen, wie es talBErt bevorzugt,129 ist zwar insofern gerechtfertigt, als eine schlecht besuchte Senatssitzung auch in republikanischer Zeit als Argument dienen konnte, eine Sitzung aufzulösen, verkennt aber die Bedeutung, die die antiken Autoren diesem Punkt der augusteischen Regelungen beimaßen. Unbestreitbar dürfte sein, dass das augusteische Gesetz auf kein neues Phänomen reagierte. Es finden sich genügend Hinweise darauf, dass die Begeisterung, sich 126 Cass. Dio 54,35,1 [Übers. v. o. VEH]. 127 Siehe für die genauere Diskussion, welche Auswirkungen intensive Minderheiten auf Verhandlungssysteme haben, Kap. 3.2. 128 FIRA I, Nr. 68, Z. 105 ff.: Ὁν ἂν ἐν τῇ συνκλήτωι αἰτίας ἐπιφέρουσιν ὅπως ἀκουσθῶσιν ἄρχων, ὂς ἂν αὐτοῖς πρόσοδον εἰς τὴν σύνκλητον δῶι, αὐθημερὸν παρούσης τῆς βουλῆς ὥστε μὴ ἐλάττους διακοσίν εἶναι, κληρούσθω ἐκ πάντων τῶν ὑπατικῶν τῶν ἢ ἐπ’ αὐτῆς τῆς Ῥώμης [ἢ] (…). 129 Zur augusteischen Regelung vgl. talBErt, Senate, 137 / bes. Anm. 19: Die Argumentation stützt sich vor allem darauf, dass sich die Bezeichnung über einen ungenügend besetzten Senat (frequens senatus), in der späten Republik zu einer technischen Terminologie verfestigt hätte. Mit der Reglementierung der lex Iulia de senatu habendo habe sie diese Bedeutung wieder eingebüßt, um in der Folgezeit lediglich noch gut oder weniger gut besuchte Sitzungen zu beschreiben.

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aktiv an senatorischen Entscheidungen zu beteiligen, in der späten Republik in bis dahin unbekanntem Ausmaß nachließ. Ebenso finden sich in den Quellen ein ausgeprägtes Problembewusstsein für diesen Umstand und konkrete Vorschläge, solchen Situationen zu begegnen.130 Die lex Iulia stellte in der Hinsicht nichts völlig Neues dar. Das zeigt der Umstand, dass das Gesetz auf frühere Regelungen Bezug nahm. Die Anwesenheitszahlen für die Beschlussfähigkeit wurden entsprechend wohl nur modifiziert. Um das Quorum differenzierter der jeweils zu verhandelnden Angelegenheit anzupassen, wurde schon 11 v. Chr. die bisher notwendige Anwesenheit von 400 Senatoren geändert. Wenn man die Untersuchungen von F. x. ryan zugrunde legt, waren die Teilnehmerzahlen in spätrepublikanischer Zeit insbesondere bei Entscheidungen in zentralen Fragen wichtig: in Wahlangelegenheiten, in gerichtlichen und militärischen Angelegenheiten, Entscheidungen über den ager Campanus und sakralen Fragen.131 Welchen Angelegenheiten das Quorum unter Augustus angepasst wurde, ist aus der Formulierung bei Cassius Dio nicht ersichtlich. Es ließe sich aber überlegen, ob auf der Grundlage der republikanischen Regelungen hohe Teilnehmerzahlen gerade in diesen Angelegenheiten festgelegt wurden – zumal sich die bisherigen Befunde in dieser Arbeit gut in dieses Bild einfügen würden.132 Neu war auf jeden Fall, wie detailliert die Regelungen in der lex Iulia de senatu habendo waren und welche Bedeutung den Anwesenheitszahlen in der Kaiserzeit insgesamt beigemessen wurde. Daneben wurde die Anwesenheit in den Senatsprotokollen festgehalten und auch in den öffentlichen Bekanntmachungen von senatus consulta – vereinzelt auch in literarischen Quellen nachvollziehbar – konsequent formalisiert.133 Gut dokumentiert ist das vor allem für die augusteische und tiberische Zeit: Für eine Sitzung im Jahr 23 v. Chr. werden, noch vor der Verkleinerung des Senats auf 600 Personen, 405 anwesende Senatoren festgehalten.134 Die Tabula Siarensis (20 n. Chr.) verzeichnet 285 und das senatus consultum de Cn. Pisone patre vom 10. Dezember 20 n. Chr. 301 anwesende Senatoren.135 Darüber hinaus werden in dem senatus consultum aedificiis non diruendis vom 22. September 44 n. Chr. 383 Senatoren erwähnt.136 Für das Jahr 138 werden im senatus consultum de nundinis 130 Zur Minimalzahl Cic. fam. 1,9,8; Liv. 35,7,1; Cic. Phil. 1,5,12. Allerdings musste dazu in der Regel die Auszählung der anwesenden Senatoren dezidiert beantragt werden: Fest. p. 170; Cic. Att. 5,4,2. Siehe außerdem Liv. 39,4,8; Cic. Att. 10,4,9; Cic. ad Q. fr. 3,2,2. Für das Jahr 16 v. Chr. auch Cass. Dio 54,18,3. 131 Vgl. F. x. ryan, Rank and Participation in the Republican Senate, Stuttgart 1998, 19–27. Siehe auch M. H. Dettenhofer, Verweigerung als Form der Abstimmung oder: Von der Ausnahme zur Regel. Das Senatsquorum von der mittleren Republik bis zum frühen Prinzipat, in: E. Flaig (Hg.), Genesis und Dynamiken der Mehrheitsentscheidung, München 2013, 153–172. 132 Vgl. Cass. Dio 54,35,1. 133 In diese Richtung weist auch die Festlegung, welche Senatoren genau für die aktuellen Angelegenheiten zuständig waren (vgl. Cass. Dio 55,3,1), sowie die Bestrafung für das Fernbleiben (Cass. Dio 55,3,2 f.) und ein öffentliches Verzeichnis, in dem die Senatoren aufgeführt wurden (Cass. Dio 55,3,3). 134 CIL 6,32,372. 135 Tab. Siar. fr. II (Coll. b), Z. 30; SCPP, Z. 173. 136 CIL 10,1401=FIRA I, Nr. 45, Z. 20.

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

saltus Beguensis die anwesenden Senatoren auf eine nicht mehr genau rekonstruierbare Zahl, die aber zwischen 250 und 299 gelegen haben muss, beziffert.137 In den literarischen Quellen sind solche detaillierten Angaben nicht greifbar; in der Regel wird dort nur verzeichnet, ob die Beteiligung besonders hoch oder niedrig war.138 Exemplarisch ist in dieser Hinsicht eine von Plinius überlieferte Senatssitzung, in der sieben abweichende Stimmen gegenüber der ‚Mehrheit‘ gezählt wurden.139 Solche vagen Zahlenangaben von anwesenden Senatoren wie in dem Fall bei Plinius (x [= pluribus] + 7 [evtl. 8]) sind mit den inschriftlichen kaum vergleichbar. Das gilt auch, weil diese sich auf die Abstimmungssituation beziehen, in der die Stimmen in der Regel nicht gezählt, sondern geschätzt wurden. Dafür spricht auch, dass zumindest die 400 Senatoren, die Aelius Aristides für eine Senatssitzung im Jahr 26 n. Chr. erwähnt, zum einen ungewöhnlich für literarische Quellen sind und zum anderen eine auffällig runde Zahl darstellen. Diese ist entweder, wie talBErt vermutet, tatsächlich geschätzt oder bezieht sich auf das Quorum. Auch in dem Fall wäre die Zahl wohl geschätzt, würde aber durch den Bezug auf ein Quorum besonders die Legitimität der Entscheidung betonen – zumal wie auch bei Plinius explizit nur sieben abweichende Stimmen erwähnt werden. Unabhängig davon deutet der Befund aber insgesamt auf vergleichsweise hohe Teilnehmerzahlen, die sich nicht in jedem Fall auf die Bedeutung der zu verhandelnden Angelegenheit oder die Anwesenheit des Kaisers zurückführen lassen.140 Die Gültigkeit von Senatsbeschlüssen an ein Quorum zu binden, war keine belanglose kleine Änderung im Verfahren, die kaum Auswirkungen auf die Herstellung senatorischer Entscheidungen hatte, sondern änderte deren Charakter deutlich 137 CIL 8,270=FIRA I, Nr. 47, Z. 9 f.: in senatu fuerunt CC[L…]. Dass die Anwesenheitszahlen im Untersuchungszeitraum kontinuierlich abnahmen, wie es für die Zeit bis ins 3. Jahrhundert – allerdings auf der Basis einer schmalen Überlieferung – angenommen wird (talBErt, Senate, 134–152; dEttEnHoFEr, Verweigerung, 154), lässt sich auf der Grundlage der überlieferten Zahlen m. E. nicht feststellen. Bei den wiederholten ,Erinnerungen‘ an die Anwesenheit lässt sich aber für die frühe Kaiserzeit sagen, dass die mangelnde Teilnahme an den Sitzungen immer wieder als Problem thematisiert wurde. 138 Besonders hoch z. B. Plin. epist. 2,11,10 (Januar oder Februar 100 n. Chr. [vgl. sHErWin-WHitE, Letters of Pliny, 160]): princeps praesidebat (erat enim consul), ad hoc Ianuarius mensis cum cetera tum praecipue senatorum frequentia celeberrimus; praeterea causae amplitudo auc­ taque dilatione exspectatio et fama insitumque mortalibus studium magna et inusitata nos­ cendi, omnes undique exciverat. Für die Beteiligung vgl. auch Plin. paneg. 76,2. Für eine geringe Beteiligung vgl. z. B. Tac. ann. 6,12,2 (32 n. Chr.): Gallo exprobrabat, quod scientiae caerimoniarumque vetus incerto auctore (…), apud infrequentem senatum egisset. Nach dem Tod Caligulas waren, laut Iosephus, nicht mehr als 100 Senatoren anwesend (vgl. Ios. ant. Iud. 19,249 [Januar 41 n. Chr.]). 139 Plin. epist. 6,13,4 f. (106/107; vgl. sHErWin-WHitE, Letters of Pliny, 369): (…) singulos enim integra re dissentire fas esse, peracta quod pluribus placuisset, cunctis tuendum. Acilius tan­ tum Rufus et cum eo septem an octo, septem immo, in priore sententia perseverarunt [Hervorhebungen S. B.]. Allerdings ist die Stelle für die Art der Beschlussfassung insgesamt interessant (vgl. Kap. 4.2.2). 140 Vgl. Ael. Aristid. or. 19,13. Dass in beiden Fällen sieben abweichende Stimmen gezählt wurden, könnte ebenfalls symbolische Bedeutung haben, da damit eine tatsächlich überschaubare Anzahl beschrieben ist, mag das aber auch Zufall sein. Vgl. auch Cass. Dio 55,3,4. Dazu MoMMsEn, StR 3.2, 851.

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und erklärt auch, dass es in den Quellen besonders hervorgehoben wird. In spätrepublikanischer Zeit lässt sich zwar ein ausgeprägtes Problembewusstsein für das mangelnde Interesse an Senatssitzungen nachweisen, im Vergleich dazu finden sich aber erstaunlich wenige Lösungsvorschläge.141 Eine Ausnahme in dieser Hinsicht ist der Versuch des C. Cornelius im Jahr 67 v. Chr. Asconius berichtet darüber in seinem Kommentar zur Verteidigungsrede Ciceros Pro Cornelio (de maiestate). Diese ist im Wortlaut nicht erhalten; ihr Inhalt lässt sich aber über den Kommentar erschließen. Der Senator war demzufolge in seiner Funktion als Volkstribun bereits mit einem Antrag, der vorsah, die Entscheidung über die Befreiung von Lasten auswärtiger Gemeinden vom Senat auf die Volksversammlung zu übertragen, gescheitert.142 Doch anstatt aufzugeben, habe er eine weitere Vorlage eingebracht, die ein Quorum in Senatssitzungen dafür vorsah, dass die Beschlüsse gültig waren. Er reagierte damit auf das, woran er vorher gescheitert war (oder zumindest auf das, was er dafür verantwortlich machte), da über solche Befreiungen im Senat sonst oft nur „durch wenige“ (per pauculos) entschieden worden sei. Mit dem Antrag scheiterte er allerdings, weil die Nobilität dadurch offenbar ihre Stellung bedroht sah. Die Abwesenheit von Belegen über ein formalisiertes Quorum in republikanischer Zeit ließe sich damit jedenfalls plausibel erklären.143 Die augusteischen Regelungen lassen sich also in ein konkretisierbares Problembewusstsein, das die Bedeutung der Anwesenheit reflektiert, einordnen. Ausgedrückt wird das in den zeitgenössischen Argumentationen und den Deutungsmöglichkeiten, die offenbar zwischen der Einsicht in die Notwendigkeit eines Quorums, das sichtbar mehr als nur eine kleine Gruppe der Senatoren in die Entscheidungen einbezog, und den Machtansprüchen hochrangiger senatorischer Gruppierungen vermitteln mussten. Die Regelungen der Anwesenheitspflicht in augusteischer Zeit gehören in solche Diskussionszusammenhänge, bedienen im Kontext der veränderten Rahmenbedingungen allerdings noch zusätzliche Erwartungen. In den republikanischen Diskussionen über die Einführung eines Quorums lässt sich erkennen, dass man sich davon eine disziplinierende Funktion erhoffte. Für die Wirksamkeit der lex Iulia de senatu habendo in augusteischer Zeit erscheint das ebenfalls wahrscheinlich. Darüber hinaus fällt die Verabschiedung des Gesetzes in eine Phase, in der Augustus nach dem Tod des Agrippa, der Octavia und des Drusus innerhalb kurzer Zeit seine relativ stabile Herrschaftsgrundlage zu verlieren drohte. Gleichzeitig stand in dieser schwierigen Situation für das kommende Jahr die Verlängerung des prokonsularischen Imperiums an. Wie bedrohlich diese Konstellation für Augustus im Senat war, illustrieren die Schilderungen von der dort herrschenden Atmosphäre. Sueton 141 Vgl. dazu tiMMEr, Auseinandertreten, 396. 142 Vgl. Ascon. Corn. 57C. 143 (…) promulgavitque legem qua auctoritatem senatus minuebat, ne quis nisi per populum legi­ bus solveretur. quod antiquo quoque iure erat cautum; itaque in omnibus S. C. quibus aliquem legibus solvi placebat adici erat solitum ut de ea re ad populum ferretur: sed paulatim ferri erat desitum resque iam in eam consuetudinem venerat ut postremo ne adiceretur quidem in senatus consultis de rogatione ad populum ferenda; eaque ipsa S. C. per pauculos admodum fiebant. indigne eam Corneli rogationem tulerant potentissimi quique ex senatu quorum gratia magnopere minuebatur (…) (Ascon. Corn. 58C, 3–13).

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

berichtet beispielsweise davon, dass Augustus sich nach zahlreichen Eingriffen in den Jahren vorher und den gerade erst durchgeführten lectiones senatus zeitweise nur noch mit einem Brustpanzer unter der Toga in den Senat gewagt haben soll.144 Damit lassen sich die Bestimmungen als Reaktion auf die spezifischen Bedürfnisse vor allem von Seiten des Kaisers verstehen, den Einfluss der Nobilität auf den senatorischen Entscheidungsfindungsprozess zu kontrollieren.145 Die Interpretation als Eingriff in die internen Machtverhältnisse im Senat lässt sich für die Kaiserzeit dadurch stützen, dass auch im Zusammenhang der lex Iulia de senatu habendo die Einführung einer Altersgrenze, die Senatoren von ihren Pflichten befreite, erwähnt wird. Diese ließe sich, wie J. tiMMEr gezeigt hat, im Anschluss an Strukturen, die aus republikanischer Zeit bekannt sind, dahingehend interpretieren, dass sie vor allem auf einflussreiche, hochrangige Kreise innerhalb der Senatsaristokratie zielte. Die unterschiedlichen Altersangaben in den Quellen, die zwischen 60 und 65 Jahren variieren, lassen an der grundsätzlichen Existenz einer solchen Regelung keinen Zweifel aufkommen.146 Im republikanischen Senat definierte Anciennität nach dem momentan bekleideten Amt den Status des Akteurs entscheidend. Altersgrenzen hätten dem entgegengewirkt, was die Einführung erst in der Kaiserzeit und nicht schon in republikanischer Zeit wahrscheinlich macht.147 Insgesamt kam es den Kaisern – und Augustus in der konkreten historischen Situation in besonderer Weise – sicherlich gelegen, wenn verdiente Mitglieder der Senatsaristokratie, die noch dazu wesentlich mehr Bezug zu dem Funktionieren in republikanischer Zeit hatten, in den Senatssitzungen nicht allzu prominent waren.148 Dafür spricht auch, dass die Altersgrenzen für die Ämterlaufbahn insgesamt herabgesetzt wurden: Die Quaestur als Eintritt in den Senat konnte seit Augustus 144 Vgl. Suet. Aug. 35,2. Zum Kontext vgl. KiEnast, Augustus, 103 ff. 145 Vgl. tiMMEr, Altersgrenzen, 98. 146 Sen. contr. 1,8,4: senator post sexagesimum et quintum annum in curiam non cogitur, non vetatur. Sen. brev. 20: lex a quinquagesimo anno militem non legit, a sexagesimo senatorem non citat. Die Diskrepanz wird üblicherweise im Anschluss an Mommsen (MoMMsEn, StR 3.2, 917 / Anm. 2), der die gesetzliche Herabsetzung von 65 auf 60 Jahre spätestens unter Claudius annimmt, erklärt. Insgesamt scheint das wahrscheinlicher, als von einem Irrtum des älteren Seneca auszugehen (vgl. u. a. T. G. ParKin, Old Age in the Roman World. A Cultural and Social History, Baltimore 2003, 126; tiMMEr, Altersgrenzen, 97). Belegen lässt sich die Existenz einer solchen Regelung darüber hinaus durch Formulierungen des jüngeren Plinius (Plin. epist. 4,23,3; 3,1,2) und Pseudo-Quintilians ([Quint.] decl. min. 306,16). 147 Auch wenn es als Kriterium nicht völlig außer Kraft gesetzt wurde, gab es damit zumindest zusätzliche, zum Teil konkurrierende Auswahlkriterien. 148 Dazu tiMMEr, Altersgrenzen, 97 f. Diese im Kontext der augusteischen Regelungen der Geschäftsordnung des Senats zu verorten, erscheint durchaus gerechtfertigt (so tiMMEr, Altersgrenzen, 98). A. Gutsfeld sieht die Gründe aus einer allgemeineren Perspektive vor allem im Aufbau einer effektiven Administration des Reiches begründet (vgl. A. GutsFEld, „Das schwache Lebensalter“. Die Alten in den Rechtsquellen der Prinzipatszeit, in: Ders. / W. Schmitz (Hgg.), Am schlimmen Rand des Lebens? Altersbilder in der Antike, Köln/Wien 2003, 161– 180, 166). Siehe außerdem – unabhängig von der Interpretation des historischen Kontextes – M. H. dEttEnHoFEr, Herrschaft und Widerstand im augusteischen Principat. Die Konkurrenz zwischen res publica und domus Augusta, Stuttgart 2000, 150 ff.). Dass Cassius Dio oder Sueton die Altersgrenze nicht explizit in diesem Zusammenhang erwähnen, ließe sich jedenfalls damit erklären, dass mit der neuen Altersgrenze kein konkretes Verbot ausgesprochen wurde.

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mit 25 Jahren bekleidet werden; Aedil konnte man seitdem mit 27 Jahren, Praetor mit 30 und Consul mit 33 Jahren werden.149 Gerade auch jungen Principes wie Caligula dürfte eine veränderte Zusammensetzung des Senats entgegengekommen sein, selbst wenn solche Zusammenhänge nicht unmittelbar belegt sind. Darauf, dass die Verbindung von Nobilität, großen Einflussmöglichkeiten und Lebensalter grundsätzlich problematisch war, weist auch die beobachtbare Tendenz, wonach im Verlauf des ersten Jahrhunderts gerade Patricier vermehrt früh und unter Umgehung des vorgeschriebenen Mindestalters hochrangige Ämter bekleideten. Von der Bewährung im politischen Alltag waren sie damit aber gleichzeitig ausgeschlossen, so dass deren ehrenvolle Positionen zunehmend nicht mehr mit den Einflussmöglichkeiten gleichzusetzen waren.150 Selbst wenn man davon ausgeht, dass diese Mitglieder prozentual einen vergleichsweise kleinen Anteil im Senat ausmachten, dürfte die Erwartungshaltung, die mit einer unverbindlichen Altersgrenze artikuliert wurde, zumindest noch in augusteischer Zeit auch den Einflussmöglichkeiten solcher Senatoren entsprochen haben. t. ParKin geht bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 30 Jahren davon aus, dass mit dem gleichzeitig herabgesetzten Eintrittsalter in den Senat auf 25 Jahre Senatoren im Alter von 25 bis 29 Jahren 14–16 %, von 30 bis 39 Jahren 25–28 %, von 40–49 Jahren 22–23 %, von 50–59 Jahren 17–19 % ausmachten. Für die 60 bis 69-Jährigen geht er dagegen nur noch von 11–13 % und für die über 70-jährigen Senatoren von lediglich 5–6 % aus.151 Damit hält Parkin die Vorstellung, dass hohes Alter grundsätzlich mit den Einflussmöglichkeiten von Senatoren korrespondierte, für irreführend. Vielmehr geht er davon aus, dass in der Realität ein Senator in den 40ern und 50ern (interregima aetas) mit dem Höhepunkt seiner politischen Karriere – dem Consulat – auch sein maximales Ansehen erreichte. Die Diskrepanz einer solchen Deutung zu den zeitgenössischen Darstellungen, die konsequent die Autorität des Senats in unmittelbaren Zusammenhang mit hohem Alter stellen,152 ließe sich, im Anschluss an Parkin so verstehen, dass die Umstrukturierungen in der Zusammensetzung des Senats auf langfristige Entwicklungen zielten, während man sich weiter an bestehenden Idealen orientierte.153 Die Beteiligung an 149 Vgl. Cass. Dio 52,20,2 (innerhalb der Rede des Maecenas überliefert). Für die Ämterlaufbahn seit augusteischer Zeit vgl. T. P. WisEMan, New Men in the Roman Senate 139 B. C.-14 A. D., Oxford 1971, 151–169: für die Änderungen in der Ämterlaufbahn (auch vor der Quaestur) und die Anzahl der einzelnen Ämter. 150 Vgl. HoPKins/Burton, Ambition and Withdrawal, 173 ff. 151 Siehe ParKin, Old Age, 105; HoPKins/Burton, Ambition and Withdrawal, 146–149. 152 So etwa Ov. fast. 5,57–78; Cass. Dio 68,5. Zu den widersprüchlichen Auffassungen über Alterskonzepte in der Kaiserzeit und die methodischen Schwierigkeiten demographischer Studien vgl. zuletzt M. HarloW / r. laWrEncE, Viewing the Old. Recording and Respecting the Elderly at Rome and in the Empire, in: C. Krötzl / K. Mustakallio (Hgg.), On Old Age. Approaching Death in Antiquity and the Middle Ages, Turnhout 2011, 3–23, 10 ff. Bezogen auf Senatoren ist der Aufsatz allerdings nicht weiter ergiebig. 153 Das gilt, zumal die Beschwörungen dieses Idealzustandes bezeichnenderweise auf Konzeptionen älterer Senatoren zurückzuführen sind, die auf diese Weise sicherlich auch ihren Platz innerhalb der Senatsaristokratie aus ihrer persönlichen Situation heraus (neu) zu bestimmen suchten (vgl. ParKin, Old Age, 100 ff.).

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Senatssitzungen in augusteischer Zeit an Altersgrenzen zu binden und als Eingriff in die senatsinternen Machtverhältnisse zu deuten, kann damit bestehen bleiben. Exkurs: Die augusteischen Ehegesetze und die Binnendifferenzierung der Senatsaristokratie Einen ähnlich weitreichenden Eingriff bedeutete die umfangreiche Ehegesetzgebung in augusteischer Zeit. Diese eröffnete neue Möglichkeiten, die Hierarchien in Senatssitzungen und die umkämpfte Chance zur Bewährung zu bestimmen. Das im Zuge der Ehegesetzgebung (lex Iulia de maritandis ordinibus) ab 18 v. Chr. geregelte ius liberorum objektivierte die Kriterien dafür durch die Bindung an das moralische Verhalten in deutlicher Abgrenzung gegenüber den traditionellen Formen, sich politisch zu bewähren. Gleichzeitig regelte es erstmals durch weitgehende Eingriffe in das Privatleben der römischen Aristokraten deren politische Karriere. Wie die Regelungen in der Praxis des ersten Jahrhunderts tatsächlich umgesetzt wurden, ist umstritten.154 Es lässt sich aber festhalten, dass es für die Kaiser durchaus als Argument dienen konnte, wenn es um die Förderung von Senatoren ging. Pro Kind bekam man ein Jahr erlassen, wenn man sich um eine Magistratur bewarb.155 Während des Consulates privilegierte die Regelung den Verheirateten gegenüber dem Unverheirateten, aber noch viel mehr sicherte es den Vorrang (ius fascium sumendorum) durch die Anzahl an Kindern. Die auf das Jahr 9 n. Chr. datierte Regelung bestrafte nach der lex Papia Poppaea einen Mann formal für Kinderlosigkeit zwischen dem 25. und 60. Lebensjahr, was dem gesamten Zeitraum seiner politischen Laufbahn entsprach.156

154 Umstritten ist die Reichweite der Regelungen, weil bereits in den kaiserzeitlichen Quellen erhebliche Zweifel daran geäußert wurden, dass diese konsequent umgesetzt wurden. Unter anderem konnte man sich darauf berufen, dass selbst Augustus den gesetzlichen Vorgaben mit nur einer Tochter ebenso wie Maecenas in keiner Weise genügte und auch beispielsweise die beiden Consuln M. Papius Mutilus und Q. Poppaeus Secundus, in deren Amtszeit 9 n. Chr. das Gesetz beschlossen wurde, nicht nur kinderlos, sondern auch unverheiratet waren (Cass. Dio 56,10,3: κἀκ τούτου ὅ τε Πάτιος καὶ ὁ Ποππαῖος νόμος ὑτό τε Μάρκου Παπίου Μουτίλου καὶ ὑπὸ Κυίντου Ποππαίου Σεκούνδου, τῶν τότε ἐν μέρει τοῦ ἔτους ὑπατευόντων, ἐτέθησαν. καὶ συνέβη γὰρ ἀμφοτέρους σφᾶς μὴ ὅτι παῖδας, ἀλλὰ μηδὲ γυναῖκας ἔχειν· καὶ ἀπ’ αὐτοῦ τούτου ἡ ἀνάγκη τοῦ νόμου κατεφωράθη.). Zur Bewertung der Regelungen z. B. BaltruscH, Regimen morum, 169. Adoptionen, wie sie innerhalb der Aristokratie zahlreich belegt sind, scheinen vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Vorgaben und den Risiken, die familiäre Kontinuität zu wahren, einen Ausweg aus dem Dilemma aufgezeigt zu haben. 155 Siehe Plin. epist. 7,16,2; Tac. ann. 2,51,1; Ios. ant. Iud. 5,10. 156 Dazu Gell. 2,15,4. Vgl. BaltruscH, Regimen morum, 165; ParKin, Old Age, 99 u. 126; KiEnast, Augustus, 138: Die Sanktionen sahen vor, Kinder- und vor allem Ehelosigkeit durch Verbote, das Theater zu besuchen und Erbschaften (außer von der engsten Verwandtschaft) anzutreten, zu bestrafen. Nach der lex Papia Poppaea wurden diese Bestimmungen abgemildert, so dass Verheiratete, selbst wenn sie kinderlos waren, zumindest die Hälfte der testamentarischen Zuwendungen erhalten durften.

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Welche Bedeutung den augusteischen Regelungen beigemessen wurde, lässt sich schon an dem Echo in zeitgenössischen und auch noch in späteren Quellen ablesen. Sueton berichtet davon, dass die Regelungen in augusteischer Zeit innerhalb der Aristokratie rigoros abgelehnt worden seien. Tacitus beschreibt sie gewissermaßen als Anfang allen Übels, weil die Gesetze die verheerenden gegenseitigen Anklagen und einen vernichtenden Konkurrenzkampf initiiert hätten. In den Digesten sind die Kommentare der Juristen so ausführlich wie bei keiner anderen Regelung.157 Auch die Formulierung, die Augustus selbst in seinem Tatenbericht wählt, verdeutlicht, in welchen Dimensionen die Gesetze angelegt waren: legibus novis me auctore latis multa exempla maiorum exolescentia iam ex nostro saeculo reduxi et ipse multarum rerum exempla imitanda posteris tradidi. „Durch neue, auf meine Veranlassung hin eingebrachte Gesetze habe ich viele Einrichtungen der Väter, die in unserer Epoche schon zu verschwinden drohten, wieder zum Leben erweckt und selbst für viele Dinge Beispiele zur Befolgung der Nachwelt überliefert.“158

Auch wenn die Vereinbarkeit mit der Tradition erwähnt wird, verweist, wie K. GalinsKy bemerkt, die explizite Benennung der Gesetze als neu (leges novae) unmittelbar auf deren Sprengkraft. Denn in einer Gesellschaft, die so wie die römische darauf bedacht war, jede Veränderung mit den traditionellen Werten zu vereinbaren, war das Neue nicht selbstverständlich mit Fortschritt im Sinn von Verbesserung verknüpft. Gerade die enge Verbindung von ,Privatleben‘ und ,politischem Leben‘ in den Regelungen bestimmte deren Bedeutung. So griffen die gesetzlichen Bestimmungen, die im Wesentlichen in den Jahren zwischen 18 v. Chr. und 9 n. Chr. erlassen und in dem Zeitraum – wohl auch wegen des entschiedenen Protests – immer wieder korrigiert, modifiziert und präzisiert wurden, nicht nur in die Heiratspolitik der römischen Oberschicht ein. Darüber hinaus regelten sie auch das Erbrecht neu und banden es über das Kriterium der Kinderlosigkeit untrennbar an die politische Karriere eines Aristokraten.159 Die Verleihung des ius trium liberorum als Privi157 Suet. Aug. 34,1: leges retractavit et quasdam ex integro sanxit, ut sumptuariam et de adulteriis et de pudicitia, de ambitu, de maritandis ordinibus. hanc cum aliquanto severius quam ceteras emendasset, prae tumultu recusantium perferre non potuit nisi adempta demum lenitave parte poenarum et vacatione trienni data auctisque praemiis. Siehe auch Tac. ann. 3,25–28. 158 R. Gest. div. Aug. 8 [übers. v. E. WEBEr]. Dazu überzeugend GalinsKy, Augustan Culture, 129. Zum Umgang mit Neuerungen und Tradition WaltEr, Praxis ohne Begriff. Das bedeutet nicht, dass vorher keine Versuche unternommen worden waren, Ehe- und Kinderlosigkeit vor allem in der Aristokratie zu regeln. Nach Gellius verlangten die Censoren auch schon in republikanischer Zeit einen entsprechenden Eid (dazu Gell. 4,3,2; vgl. auch Cic. leg. 3,3,7). Und auch Caesar hatte bereits Maßnahmen beschlossen, wonach kinderreiche Senatoren gezielt bevorzugt wurden (vgl. Cic. Marc. 23). Außergewöhnlich waren die Regelungen aber in ihrer Systematik und der auffällig selbstbewussten Darstellung als Neuerung (dazu auch KiEnast, Augustus, 139). 159 Die Regelungen beschränkten sich dabei keineswegs auf die Aristokratie, zielten jedoch in besonderem Maße auf deren Bedürfnisse (vgl. GalinsKy, Augustan Culture, 128 f.). Dazu Hor. carm. saec. 17 ff., bes. 17–24: diva, producas subolem patrumque / prosperes decreta super iugandis / feminis prolisque novae feraci lege marita, / certus undenos deciens per annos / orbis ut cantus referatque ludos / ter die claro totiensque grata nocte frequentes. Die decreta patrum, die Horaz erwähnt, verliehen den gesetzlichen Regelungen zusätzliche Autorität. Siehe zu den

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leg – in augusteischer Zeit selbst noch eine Seltenheit – oblag bis unter Claudius zunächst dem Senat, dann übernahm der Kaiser die Aufsicht darüber.160 Umstritten ist, wie auch schon in anderen Kontexten (z. B. bei den Destinationscenturien oder der Gerichtstätigkeit des Senats) nachweisbar, wer der Adressat der umfangreichen Bestimmungen war. Auf Grundlage der Überlieferung ist unklar, inwieweit diese eine Handhabung bereitstellten, den Einfluss der Nobilität gezielt einzuschränken161 oder doch durch ihren moralischen Duktus eher darauf zielten, die Autorität insbesondere der Aristokratie aufzuwerten.162 Für letzteres kann man sich zwar darauf berufen, dass zeitgleich mit den augusteischen Regelungen wieder vermehrt Angehörige der republikanischen Nobilität in den Consularfasten auftauchten.163 Damit lassen sich aber höchstens Zweifel an der Eindeutigkeit der Regelungen aufwerfen, was insbesondere für Augustus charakteristisch ist. Grundsätzlich wurden sie durchaus als Angriff auf die Dominanz der republikanischen Nobilität aufgefasst. Selbst wenn die Maßnahmen nicht explizit darauf gezielt haben müssen, erscheint es zumindest plausibel, dass sie den zahlreichen homines novi im Senat entgegenkamen. Denn sie erleichterten deren Integration insofern, als die Gesetzgebung eine Grundlage bot, sich als Aristokrat auch unabhängig von einer langen, zum Erfolg verpflichtenden Ahnenreihe über den individuellen Erfolg und die moralische Überlegenheit zu definieren.164 In diesem Sinn werden in der Regel auch die wiederholten Einschärfungen und vor allem die Verschärfungen in traianischer Zeit interpretiert – auch wenn diese nicht mehr auf die republikanische Nobilität zielten, weil diese mit dem Ende der iulisch-claudischen Dynastie weitgehend verschwunden war. In Qualität und Systematik unterschieden sie sich deutlich von der Anwendung und Durchsetzung des Drei-Kinder-Rechts im ersten Jahrhundert.165 Zu solchen Neukonzeptionen passt, dass sich nicht nur zahlreiche homines novi im Senat nachweisen lassen, sondern sich, wie schon angemerkt, auch der Umgang mit Alter seit augusteischer Zeit zunehmend änderte. Das betraf im privaten Be-

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Senatsbeschlüssen Dig. 23,2,43,10; 24,1,3,1; Cass. Dio 54,16; 56,7; Suet. Aug. 34; Dig. 39,6,35 pr.: senatus censuit placere mortis causa donationes factas in eos, quos lex prohibet capere, in eadem causa haberi, in qua essent, quae testamento his legata essent, quibus capere per legem non liceret. Vgl. Cass. Dio 54,30,5; Suet. Aug. 44. Vgl. BaltruscH, Regimen morum, 169–17; bes. 169 / Anm. 250. Zu weiteren Hinweisen auf die zahlreichen Senatsbeschlüsse und Edikte zu Modifikationen und Interpretationen der Gesetze vgl. insgesamt a. WallacE-Hadrill, Family and Inheritance in the Augustan Marriage Laws, in: PCPhS 27 (1981), 58–80, 75 f. Cass. Dio 59,15,1: (…) ἵνα γὰρ δὴ καὶ παρὰ τοὺς νόμους καὶ κληρονομεῖν καὶ δωρήματα τοιαῦτα λαμβάνειν, ὅτι μήτε γυναῖκα τότε γε μήτε παῖδας εἶχε, δύνασθαι δοκῇ, δόγμα τι προέθετο. Zur Verleihung ab Claudius Cass. Dio 60,24,3; Suet. Claud. 19. Siehe außerdem z. B. Plin. epist. 10,2; 11,1,38; 10,94 f.; ILS 1910. Vgl. dazu MoMMsEn, StR 2.2, 847 ff. Vgl. HoPKins/Burton, Ambition and Withdrawal, 98; WallacE-Hadrill, Family and Inheritance, 61 f. Vgl. dazu BaltruscH, Regimen morum, 175 f. Darüber hinaus zur Einordnung in den Kontext des 3. Jahrhunderts a. M. KEMEzis, Augustus and the Ironic Paradigm. Cassius Dio’s Portrayal of the lex Iulia and lex Papia Poppaea, in: Phoenix 61 (2007), 270–285. Vgl. syME, Roman Revolution, 167. Dazu GalinsKy, Augustan Culture, 134 f. Vgl. raWson, Children as Cultural Symbols, 23 ff.; 38.

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reich unmittelbar die Stellung des pater familias. Aber auch für den Senat hatte es Konsequenzen, die Altersstruktur und Zusammensetzung des Gremiums tendenziell zugunsten jüngerer Senatoren zu verändern. Wie bereits erwähnt, verpflichtete die lex Iulia de maritandis ordinibus unter anderem Männer zwischen 25 und 60 Jahren dazu, verheiratet zu sein. Dadurch verschaffte man sich als Consul Vorrang gegenüber seinem Amtskollegen genauso wie über die Anzahl der Kinder und nicht in erster Linie über die politische Erfahrung, die man im Laufe der Jahre sammelte. Dazu kam, dass das ius trium liberorum zunehmend, losgelöst von der tatsächlichen Kinderzahl, als Ausdruck der Privilegierung seitens des Kaisers verliehen werden konnte.166 Außerdem decken sich solche Regelungen mit Bestimmungen der lex Iulia de senatu habendo, die Senatoren ab dem 60. oder spätestens ab dem 65. Lebensjahr von der Anwesenheitspflicht im Senat befreiten. Selbst wenn damit zumindest für den Senat – im Gegensatz zu anderen Gremien167 – kein explizites Verbot ausgesprochen wurde, weist die gleichzeitige Absenkung des Eintrittsalters in den Senat auf 25 Jahre unter Augustus darauf hin, dass langfristig eine andere Zusammensetzung des Gremiums zugunsten jüngerer Senatoren gewünscht war.168 Anwesenheit und Entscheidungsfähigkeit Quorum, Altersgrenzen und Eingriffe in die senatorischen Hierarchien lassen sich als Versuch interpretieren, den Einfluss der Nobilität auf den Entscheidungsfindungsprozess einzuschränken. Gerade auch die zeitliche Nähe der einzelnen Regelungen zueinander legt das nahe. Plausibel erscheint es auch vor dem Hintergrund, dass strikte Ablehnung üblicherweise nicht im Rahmen des Entscheidungsfindungsprozesses artikuliert wurde, indem man gegen eine Beschlussvorlage stimmte, sondern indem man zu der Sitzung nicht erschien. Auf diese Weise ließe sich dann relativ leicht umgehen, Dissens in die Abstimmung selbst zu tragen, um die Entscheidungsfähigkeit des Senats nicht systematisch in Frage zu stellen. Explizit ist das im Hinblick auf die spezifischen Mechanismen des senatorischen Entscheidungsprozesses für die frühe Kaiserzeit nicht dokumentiert. Dass einzelne Senatoren – insbesondere wenn sie vorher schon konfliktträchtige Situationen heraufbeschworen hatten – nicht mehr an Sitzungen teilnahmen, weist aber ebenso darauf hin wie die Diskussionen um den Umgang mit grundsätzlicherem Dissens.169 Gleichzeitig lässt sich auf diese Weise auch erklären, warum Versuche, Senatoren zur Anwesenheit 166 Vgl. A. GutsFEld, „Das schwache Lebensalter“. Die Alten in den Rechtsquellen der Prinzipatszeit, in: Ders. / W. Schmitz (Hgg.), Am schlimmen Rand des Leben? Altersbilder in der Antike, Köln/Wien 2003, 161–180, 165. 167 Vgl. FIRA I, Nr. 68; dazu GutsFEld, „Das schwache Lebensalter“, 166. 168 Zu den Altersgrenzen siehe Cass. Dio 52,20; so auch zur senatorias aetas mit 25 Jahren Tac. ann. 15,28; hist. 4,42, die der quaestorias aetas mit 25 entspricht: Quint. inst. 12,6,1 (dazu MoMMsEn, StR 1,573 f.); lex Malacitana 54 (FIRA I, Nr. 24); Dig. 50,4,8; M. HarloW / r. laWrEncE, Growing Up and Growing Old in Ancient Rome. A Life Course Approach, London 2002, 112–115. 169 Vgl. Kap. 3.2.

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zu verpflichten, selten langfristig erfolgreich waren.170 Eine solche Interpretation der augusteischen Regelungen hat den Vorteil, dass es nicht mehr als Widerspruch erscheint, die Anwesenheit im Senat zu verbessern und gleichzeitig eine – wenn auch nicht im rechtlichen Sinn verbindliche – Altersgrenze einzuführen, die solchen Absichten auf den ersten Blick zu widersprechen scheint.171 Solche Versuche sind nicht auf die augusteische Zeit beschränkt, sondern setzten sich im ersten Jahrhundert fort. Die Senatoren mussten offenbar immer wieder an ihre Anwesenheitspflicht erinnert werden.172 Problematisch war die stärkere Kontrolle der Anwesenheit aber vor allem, weil sich einerseits die Akzeptanz eines Beschlusses erhöht, je mehr Akteure am Entscheidungsprozess beteiligt sind. Andererseits forcierte eine solche Regelung der Anwesenheit in einem Verhandlungssystem aber die Verunsicherung über die Kommunikationsformen erheblich, weil Dissens dadurch in weit größerem Ausmaß in die Sitzungen hineingetragen wurde, als es mit dem Fernbleiben üblicherweise möglich gewesen war. Damit dürfte die lex Iulia de senatu habendo mit den von Cassius Dio und Sueton hervorgehobenen Regelungen in diesem historischen Kontext darüber hinausgegangen sein, bekannte Praktiken bloß schriftlich zu fixieren. Gleichzeitig war man weit davon entfernt, die Neuerungen als solche besonders zu betonen. Ob die augusteischen Regelungen ausreichend waren, um langfristig disziplinierend und verbindlich wirken zu können, erscheint mit dem Blick auf wiederholte Eingriffe der Kaiser aber zumindest fraglich. Unabhängig von der lex Iulia sind seit augusteischer Zeit immer wieder Maßnahmen überliefert, die die senatorische Anwesenheitspflicht in Rom und bei den Sitzungen regelten. Dazu gehört unter anderem, dass sich Augustus schon seit 29 v. Chr. in der Frage, ob ein Senator Italien verlassen dürfe, die Entscheidung vorbehielt.173 Dazu kam, dass Statthaltern ab 28/27 v. Chr. nicht länger als drei Monate für die Rückreise aus den Provinzen nach Rom zugestanden wurden und 17 v. Chr. die Abwesenheit bei Sitzungen mit höheren Strafen belegt wurde.174 Diese Entscheidungen sind zwar zeitlich noch vor der lex Iulia zu verorten; die Wiederholungen und Verschärfungen legen aber nahe, dass diese Fragen auch Jahrzehnte später ein Problem blieben. In diese Richtung weisen beispielsweise Bestimmungen aus tiberischer Zeit. So verfügte Tiberius, dass sich designierte Magistrate in Rom aufhalten müssten. Außerdem degradierte er Senatoren, wenn sie sich vor der offiziellen Sommerpause im Juli in ihren horti aufhielten.175 Deutlich erkennbar ist das Problem in claudischer Zeit. Im Jahr 45 n. Chr. wurde die Anwesenheit von Senatoren in Italien grundsätzlich und exklusiv zur Angelegenheit des Kaisers. Dazu kam, dass Claudius bereits drei Jahre früher 170 171 172 173

Vgl. tiMMEr, Auseinandertreten, 396 f. Den Widerspruch betont auch ParKin, Old Age, 126. Vgl. z. B. Cass. Dio 61,7. Siehe Cass. Dio 52,42,6 f. 6 n. Chr. wurde die Regelung offenbar wegen des Ausbruchs einer Epidemie gelockert (Cass. Dio 55,26,1 f.). 174 Vgl. Cass. Dio 53,15,6; 54,18,3. 175 Vgl. Suet. Tib. 31; 35. Unter Berufung auf konkrete Regelungen: καὶ διὰ τοῦτο οὐδ’ ἡ πόλις τοὺς γάμους αὐτῶν ἑώρτασεν, ἀλλὰ τά τε ἄλλα καὶ ἡ βουλὴ καὶ τότε καὶ συνήχθη καὶ ἐδίκασε (Cass. Dio 58,21,2).

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ausnahmslos alle Senatoren, die dazu aufgefordert wurden, verpflichtet haben soll, an den Senatssitzungen auch tatsächlich teilzunehmen. Für den Fall der Missachtung wurden offenbar harte Sanktionen durchgesetzt.176 Von kaiserlicher Seite bestand das Interesse, die Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Anwesenheit möglichst vieler Senatoren bei den Sitzungen durch zahlreiche weitere Maßnahmen zu gewährleisten, weil eine geringe Beteiligung die Verbindlichkeit von Entscheidungen leicht in Frage stellte. Die äußeren Risiken wurden auf diese Weise reduziert, der Grad der Anerkennung einer Entscheidung also gesteigert. Gleichzeitig aber wirkten sich solche Reglementierungen, die die Außenwirkung im Blick hatten, vor dem Hintergrund der spezifisch kaiserzeitlichen Bedingungen nach innen deutlich auf den senatorischen Entscheidungsfindungsprozess aus, weil in einem Verhandlungssystem damit die Transaktionskosten üblicherweise gesteigert werden. Was in einem Verhandlungssystem damit dysfunktional erscheint, ist allerdings mit Blick auf die Legitimation nach außen und bei Entscheidungsprozessen, die über hierarchische Steuerung koordiniert werden, wiederum funktional.177 Den Zusammenhang zwischen Anwesenheit und senatorischen Entscheidungsmechanismen stellt beispielsweise Cassius Dio direkt her: dass Claudius die Anwesenheit bei Senatssitzungen so explizit einforderte, habe zahlreiche Selbstmorde zur Folge gehabt.178 Wenn der Kaiser im Senat anwesend war, war genau das der Fall, denn mit seiner Anwesenheit fokussierte sich die Aufmerksamkeit völlig auf ihn. Insgesamt lässt sich das mangelnde Interesse an den Sitzungen im Senat immer wieder als Problem greifen, zumal sich mit den neuen Aufgabenbereichen des Senats scharfe Konfliktlinien abzeichneten. Vor allem erscheint fehlendes Interesse nicht ausschließlich als Reaktion darauf, dass man die verhandelten Angelegenheiten zunehmend als bedeutungslos einstufte, sondern auch als eine Art, mit konfliktträchtigen Entscheidungssituationen umzugehen. Grundsätzlich scheinen die Kontrollmechanismen – die bei Bedarf dann auch realiter als Grundlage dienten, Senatoren zu belangen –179 die Sensibilität für senatorische Kommunikationsbedingungen und -mechanismen gesteigert zu haben. Auch die inschriftlichen Belege unterstreichen grundsätzlich nicht nur das Be176 τοῖς μὲν οὖν ὑπ’ ἀσθενείας βίου μὴ δυναμένοις βουλεύειν ἐφίει παρίεσθαι (…) τοὺς δ’ ἄλλους καὶ πάνυ πάντας ἐπηνάγκαζεν ἐς τὸ βουλευτήριον, ὁσάκις ἂν ἐπαγγελθῇ σφισι, συμφοιτᾶν. καὶ ἐπὶ μὲν τούτῳ οὕτως ἰσχυρῶς τοῖς μὴ πειθαρχοῦσιν ἐπετίμα ὥστε τινὰς ἑαυτοὺς ἀναχρήσασθαι (…) (Cass. Dio 60,11,8). 177 Siehe zur Einordnung Kap. 4.1.3 / S. 171 f. 178 Vgl. Cass. Dio 60,11,8. 179 In der Anklage des Thrasea Paetus wurde ihm entsprechend zum Vorwurf gemacht, dass dieser sich in den letzten drei Jahren im Senat nicht mehr hatte sehen lassen: Tac. ann. 16,22,1: (…) adsiduum olim et indefessum, qui volgaribus quoque patrum consultis semet fautorem aut ad­ versarium ostenderet, triennio non introisse curiam; nuperrimeque, cum ad coercendos Sila­ num et Veterem certatim concurreretur, privatis potius clientium negotiis vacavisse. 16,28,2: requirere se in senatu consularem, in votis sacerdotem, in iure iurando civem, nisi contra insti­ tuta et caerimonias maiorum proditorem palam et hostem Thrasea induisset. Nicht in solche Diskussionszusammenhänge gehören die vereinzelt dokumentierten Fälle, in denen Senatoren zu der Sitzung kamen, diese aber im Verlauf der Sitzung wieder verließen (vgl. dazu talBErt, Senate, 278 f.; außerdem Kap. 3.1 / S. 94, bes. Anm. 75 mit den entsprechenden Belegstellen).

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wusstsein, sondern auch den Effekt, den die Bestimmungen hatten, wenn sie systematisch und formelhaft die Zahl der anwesenden Senatoren festhielten.180 Allein der Stellenwert, der der Anwesenheit in der frühen Kaiserzeit beigemessen wurde, so dass die Teilnehmerzahlen in verschärften Bestimmungen nicht nur regelmäßig kontrolliert, sondern auch in den Veröffentlichungen der Senatsbeschlüsse formalisiert waren, weist darauf hin, dass solche Regelungen den Charakter des senatorischen Entscheidungsprozesses nachhaltig veränderten und das auch als Problem wahrgenommen wurde. Denn auf diese Weise wurde Dissens gerade durch die Kontinuität der traditionellen Strukturen des Verfahrens potentiell in weit stärkerem Maße als in republikanischer Zeit in den Senat hineingetragen.181 Gleichzeitig legte die in dem augusteischen Gesetz festgelegte Verfahrensordnung, wenn auch allgemein und unspezifisch, die äußeren Formen des Handelns fest, die für Entscheidungen die notwendige Rechtmäßigkeit stiften, eben weil sie in geregelten Formen zustande kommen. Probleme ergeben sich aus dem Umstand, dass die Zuständigkeiten des Senats schrittweise im Bereich der Gerichtsbarkeit oder der Magistratswahlen erst in den folgenden Jahrzehnten erweitert wurden. Unklar ist, ob die lex Iulia die notwendigen Ausdifferenzierungen im Senatsverfahren nachvollzog und normierte oder ob diese sich nur an dem in augusteischer Zeit festgelegten Rahmen orientierten, ohne als Modifizierung konkret verschriftlicht zu werden.182 Dass einiges für die letztgenannte Option spricht, wird auf der Grundlage der sehr spezifischen Konfliktlinien und der Funktionalität der Kommunikationsmechanismen im Senat der frühen Kaiserzeit zumindest nahegelegt. Die augusteischen Regelungen bewegten sich damit im Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit von Reformen, die auf Defizite senatorischer Kommunikationsmechanismen reagierten, und dem Versuch, mit den Reformen den Herrschaftsverhältnissen, die mit dem Principat neu entstanden waren, gerecht zu werden. Die Unsicherheit und Versuche, sich der Kommunikationsformen zu vergewissern, dürften entsprechend als Echo auf Verfahren zu deuten sein, die sich den neuen gesellschaftlichen Strukturen erst langsam anpassten. Insofern gilt es daher als nächstes zu klären, inwieweit Änderungen in den senatorischen Kommunikationsstrukturen und möglicherweise auch im Verfahren eine Antwort auf solche Entwicklungen darstellten. Kontinuitäten oder: Die Bedeutung senatorischer Sozialisation Die lex Iulia de senatu habendo reagierte auf Probleme, die schon vor Augustus als solche wahrgenommen wurden. Bisher hatte man noch keine Lösung gefunden, 180 Vgl. Kap. 4.1.3. 181 Vgl. sartori, Demokratietheorie, 216 ff. 182 „Sadly, we do not have further information on this vital law. In particular we do not know whether it was ever revised to take account of new procedures, such as elections within the House, which were established after 9 B. C. Conceivably these just continued to be run in accordance with the practice which developed.“ (talBErt, Senate, 223).

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die im Rahmen des Verfahrensablaufs mehr als nur situativ umsetzbar war. Es ist gezeigt worden, dass die lex Iulia versuchte, dem zu begegnen. Allerdings ist auch gezeigt worden, dass sich aus der gesetzlichen Regelung und den weiteren Maßnahmen, die sich ab augusteischer Zeit nachweisen lassen, neue Herausforderungen für die senatorischen Entscheidungsfindungsprozesse ergaben.183 Außerdem kann man zeigen, dass die lex Iulia de senatu habendo weit über die augusteische Zeit hinaus als verbindlich wahrgenommen wurde. Das galt allerdings offenbar nicht für alle Bestimmungen des Gesetzes in gleichem Maße: Problematisch wurde es, wenn die Neuerungen die Abläufe des Entscheidungsfindungsprozesses störten. Unklar ist auch, inwieweit die Regelungen für zeitlich spätere Neuerungen griffen. Gerade die Neuerungen werfen die Frage auf, wie das spezifisch senatorische Wissen als exklusives Herrschaftswissen über die technischen Abläufe und die angemessenen Umgangsformen im Senat insbesondere auch generationenübergreifend weitergegeben wurde.184 Zum anderen stellt sich die Frage, welche Bedeutung der Zusammensetzung im Senat dabei zukam. Die Frage stellt sich umso mehr, als mit der lex Iulia de senatu habendo zwar wesentliche Rahmenbedingungen formuliert und schriftlich fixiert worden waren, deren Verbindlichkeit auch noch bis ins zweite Jahrhundert nachweisbar ist, aber insgesamt fraglich ist, ob sie als Regelung formaler Abläufe auch die Weitergabe senatorischer Kommunikationsmechanismen gewährleisten konnte. Denn um die notwendige Stabilität durch Kontinuität und damit Gewissheit über das Funktionieren der Abläufe und der entsprechenden Kommunikationsmechanismen sicherzustellen, war man insgesamt wesentlich auf die mündliche Weitergabe, die sich aus den konkreten praktischen Erfahrungen speiste, angewiesen. Sueton berichtet von Augustus, dass dieser dem Senat „ganze Bücher“ vorgelesen habe (libros totos […] recitavit). Die Bemerkung steht in einem Zusammenhang, in dem die Bemühungen des Kaisers, das Wissen über Verfahrensabläufe zu bewahren, aufgelistet werden. Der Kontext legt nahe, dass es sich dabei unter anderem um exempla-Exzerpte aus Geschichtswerken und anderer Literatur handelte.185 Solche Maßnahmen passen in das Bild eines Kaisers, der sich in vielerlei Hinsicht um die Weitergabe von Wissen und die Bewahrung von Tradition gerade auch bei Verfahrensabläufen im Senat kümmert, wie es die Quellen in der Regel von Augustus zeichnen.186 Vergleichbare Belege finden sich bei seinen Nachfolgern 183 Die Feststellung, dass solche gesetzlichen Regelungen in augusteischer Zeit und damit schon früh nachgewiesen sind, lässt sich zwar als Argument dafür anführen, dass sie auf Unsicherheiten im senatorischen Entscheidungsprozess reagierten. Sie lassen sich aber nicht dafür anführen, dass sie die nötige Sicherheit geschaffen hätten, die senatorischen Entscheidungsprozesse in der frühen Kaiserzeit systematisch zu stabilisieren. 184 Siehe BourdiEu, Das politische Feld, 47 f. zur Bedeutung der Sozialisation. Solche Hinweise werden in der Regel nicht diskutiert, weil sie nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Senatsverfahren gebracht werden. 185 Suet. Aug. 89,2: in evolvendis utriusque linguae auctoribus nihil aeque sectabatur, quam prae­ cepta et exempla publice vel privatim salubria, eaque ad verbum excerpta aut ad domesticos aut ad exercituum provinciarumque rectores aut ad urbis magistratus plerumque mittebat, prout quique monitione indigerent. etiam libros totos et senatui recitavit (…). 186 Vgl. etwa Suet. Aug. 35,3 (zur lex Iulia de senatu habendo) oder Suet. Aug. 38,2.

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allerdings nicht – oder wurden zumindest nicht in der Form überliefert. Informationen darüber, welchen Erfolg solche Maßnahmen hatten, um von kaiserlicher Seite Wissen und Verhaltensregeln zu tradieren, sind leider nicht überliefert. Insgesamt ließen sich solche Praktiken aber gut in die Eingriffe in die traditionelle Zusammensetzung und Struktur des Senats einordnen. Darauf weist auch die weitere Gesetzgebung seit augusteischer Zeit hin, die in erster Linie betont, in welcher Tradition sie stehe.187 Welche Bedeutung es für das Funktionieren senatorischer Entscheidungsprozesse hatte, dass die Verfahrensabläufe und Kommunikationsmechanismen schon früh verinnerlicht wurden, illustriert Plinius in einem Brief aus dem Jahr 105 n. Chr. Darin bittet er einen befreundeten Senator um Rat in einer Angelegenheit, die in einer Senatssitzung für Diskussionen gesorgt hatte. Die Schilderung der genauen Umstände liefert ihm den Anlass, über die Formen zu reflektieren, die lange gewährleistet hätten, dass das Wissen um das senatorische Verfahren und um die angemessenen Formen im Rahmen dieses Verfahrens kontinuierlich hatte weitergegeben werden können. Während der Senat unter Domitian,188 als „verängstigte und stumme Kurie“ (curiam trepidam et elinguem), in der Bedeutungslosigkeit versunken sei, sei es vorher üblich gewesen, dass die jungen Aristokraten von der älteren Generation in ihr ,Handwerk‘ vor allem durch Zuschauen eingeweiht worden seien:189 (…) inde honores petituri adsistebant curiae foribus, et consilii publici spectatores ante quam consortes erant. suus cuique parens pro magistro, aut cui parens non erat maximus quisque et vetutissimus pro parente. quae potestas referentibus, quod censentibus ius, quae vis magistra­ tibus, quae ceteris libertas, ubi cedendum, ubi resistendum, quod silendi tempus, quis dicendi modus, quae distinctio pugnatium sententiarum, quae exsecutio prioribus aliquid addentium, omnem denique senatorium morem (quod fidissimum praecipiendi genus) exemplis docebantur. „(…)[D]eshalb standen sie, gewillt, sich um Ämter zu bewerben, an den Türen der Kurie und schauten bei den Beratungen zu, ehe sie daran teilnahmen. Jedem galt sein eigener Vater als Lehrer, und anstelle des Vaters alle angesehenen älteren Herren, wenn jemand keinen Vater mehr hatte. Welche Vollmachten die Referenten hatten, welche Rechte die Abstimmenden, 187 Vgl. Kap. 4.2.1 / S. 191–193. 188 Namentlich wird der Kaiser zwar nicht erwähnt, die Zuordnung gilt aber als sicher: sHErWinWHitE, Letters of Pliny; 461 ff.; zur literarischen Technik insbesondere c. l. WHitton, Pliny, Epistles 8.14. Senate, Slavery and the Agricola, in: JRS 100 (2010), 118–139, 121 ff. Sicher nachweisen lässt sich das m. E. jedoch letztlich nicht, zumal Plinius an dieser Stelle selbst kaum noch seinen eigenen Erfahrungsschatz wird bedient haben können. Zumindest bleiben solche konkreten Eingrenzungsversuche immer problematisch und jedenfalls hypothetisch. Gegen eine solche Datierung spräche auch, dass Plinius ein ausgeprägtes Unbehagen gegenüber den hohen Ehrenstellen von Freigelassenen in claudischer Zeit beweist (Plin. epist. 7,29; 8,6). Allerdings sollte man die Konsistenz der Darstellung über einzelne Briefe hinaus möglicherweise auch nicht zu hoch hängen, sondern eher von der situativ passend erscheinenden Argumentation abhängig machen. 189 Plin. epist. 8,14,4–6. Vgl. auch Tac. hist. 1,1,1: (…) inscitia rei publicae ut alienae (…). Dagegen die Charakterisierung unter Domitian: iidem prospeximus curiam, sed curiam trepidam et elinguem, cum dicere quod velles periculosum, quod nolles miserum esset. quid tunc disci po­ tuit, quid didicisse iuvit, cum senatus aut ad otium summum aut ad summum nefas vocaretur, et modo ludibrio modo dolori retentus numquam seria, tristia saepe censeret? (Plin. epist. 8,14,8).

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welche Macht die Magistrate, welche Freiheiten alle übrigen, wo man nachgeben müsse, wo widersprechen, wann Schweigen geboten sei, wie lange man sprechen dürfe, wie einander widersprechenden Anträge zu schneiden, Amendements zu früheren zu behandeln seien, kurz, die ganze Geschäftsordnung des Senats lernte man – die zuverlässigste Lehrmethode – an Musterbeispielen.“190

Plinius bezieht sich auf die Regelung, die unter Augustus wiedereingeführt wurde. Demnach besaßen die Söhne von Senatoren das Recht, den Senatssitzungen von den offenen Türen der Kurie aus zu folgen.191 In der Gegenüberstellung sind eine nicht näher konkretisierte ,bessere‘ Zeit und die Praxis unter Domitian sicher literarisch konstruiert. Das dürfte auch auf die Vorstellung zutreffen, wonach der Vater den idealen Erzieher für seinen Sohn darstellt und diesen in das politische Leben einführt. Eine solche Vorstellung könnte außerdem das kaiserliche Auftreten aufgreifen, sich auch im öffentlichen Leben in der Rolle als Vater zu präsentieren.192 Grundsätzlich sind solche idealisierenden Vater-Sohn-Beziehungen nur in ihrem Anspruch auf Allgemeingültigkeit neu.193 Die Vorstellung findet sich bereits bei Cicero, der in Cato die Personifikation des idealen Erziehers für seinen Sohn Marcus sieht. Im Rückgriff auf solche Ausformulierungen reproduzieren in der frühen Kaiserzeit der ältere Seneca, Plutarch, Quintilian und der jüngere Plinius in ihren Schriften dieses Bild. Wie n. BErnstEin bemerkt, betonen sie aber nicht speziell, welche Rolle als individuellem Erzieher seines Sohnes Cato zugeschrieben wird. Vielmehr verallgemeinern sie das als Ideal konstruierte Vater-Sohn-Verhältnis und übertragen es auf die Erziehung der Zeitgenossen und zukünftiger Generationen.194 Verdichtet lässt sich die Diskussion im ausgehenden ersten Jahrhundert beobachten, auch wenn Erziehung da bereits länger als prominentes Thema und ebenso umstrittenes Terrain gilt. Die Diskussion ist grundsätzlich auf zwei Ebenen angesiedelt, die einem übergeordneten Ziel folgen: der Selbstvergewisserung als Aristokratie. Festmachen lässt sich das an den wiederkehrenden Auseinandersetzungen, wie notwendig körperliche Bestrafung bei Schülern sei. Der Autor der Plutarch zugeschriebenen Schrift De liberis educandis spricht sich sehr entschie190 Plin. epist. 8,14,6. 191 Suet. Aug. 38,2: liberis senatorum, quo celerius rei p. assuescerent, protinus virili toga latum clavum induere et curiae interesse permisit (…). 192 Vgl. n. W. BErnstEin, Each Man’s Father Served as his Teacher. Constructing Relatedness in Pliny’s Letters, in: ClAnt 27 (2008), 205–230, 208 ff. 193 Die Vorstellung an sich ist wesentlich älter; wichtig ist in diesem Zusammenhang aber in erster Linie, dass es sich um eine Idealvorstellung handelt, die daher auch nicht zwangsläufig mit der Wirklichkeit korrespondieren muss. Vgl. W. M. BlooMEr, Eugenics and Eulogics in De Liberis Educandis, in: Arethusa 39 (2006), 71–99. 194 Sen. contr. 1, praef. 1; Plut. Cato Maior 20,6: οὕτω δὲ καλὸν ἔργον εἰς ἀρετὴν τῷ Κάτωνι πλάττοντι καὶ δημιουργοῦντι τὸν υἱόν, ἐπεὶ τὰ τῆς προθυμίας ἦν ἄμεμπτα καὶ δι’ εὐφυΐαν ὑπήκουεν ἡ ψυχή, τὸ δὲ σῶμα μαλακώτερον ἐφαίνετο τοῦ πονεῖν, ὑπανῆκεν αὐτῷ τὸ σύντονον ἄγαν καὶ κεκολασμένον τῆς διαίτης. Vgl. BErnstEin, Each Man’s Father, 210. Zu Generationenbeziehungen siehe auch B. raWson, Adult-Child Relationships in Roman Society, in: Dies. (Hg.), Marriage, Divorce, and Children in Ancient Rome, Canberra/ Oxford 1991, 7–30; zum Vater-Sohn-Verhältnis auch E. EyBEn, Fathers and Sons, in: Rawson (Hg.), Marriage, 114–143.

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den dagegen aus.195 Körperliche Bestrafung lehnt er ab, weil sie systematisch mit dem gesellschaftlichen Status von Sklaven verbunden werde. Verstärkt werde die Verbindung noch dadurch, dass Sklaven bei der Erziehung von Kindern – und nicht wie sonst der pater familias – die Bestrafungen ausführen würden.196 Mit dieser Ansicht ist er nicht allein. Auch Seneca ist davon überzeugt, dass ein Kind nichts erfahren sollte, was demütigend (humile) oder unterwürfig (ser­ vile) für es sei. Die körperliche Bestrafung in der Erziehung lehnt er ab, weil sie für das Kind eines Aristokraten demütigend sei. Seiner gesellschaftlichen Stellung sei das nicht angemessen.197 Dieselbe Verknüpfung stellt auch Quintilian in seiner Argumentation her. Die Einschränkungen, die sich daraus ergeben, gehen sogar noch weiter: Indem er gesellschaftliche und moralische Kategorien gleichsetzt, formuliert er Vorstellungen, wonach die Fähigkeit, überhaupt erzogen werden zu können, grundsätzlich auf die Aristokratie beschränkt bleibt.198 Insgesamt ordnet sich das ausgeprägte Bedürfnis, Grenzen zu ziehen und das dem gesellschaftlichen Status Angemessene zu definieren, in nicht mehr selbstverständliche gesellschaftliche Hierarchien ein, die sich insbesondere an dem Vergleich mit dem Status von Sklaven und Freigelassenen festmachen. In der Zuspitzung auf die Erziehung von Kindern geht es darum, in der Erziehung des Kindes zum Aristokraten die Grenzen von Anfang an klar sichtbar zu machen und das Exklusive einzuschärfen, um sich der Unabhängigkeit als herrschende Elite auf diese Weise zu versichern.199 195 κἀκεῖνό φημι, δεῖν τοὺς παῖδας ἐπὶ τὰ καλὰ τῶν ἐπιτηδευμάτων ἄγειν παραινέσεσι καὶ λόγοις, μὴ μὰ Δία πληγγαῖς μηδ’ αἰκισμοῖς. δοκεῖ γάρ που ταῦτα τοῖς δούλοις μᾶλλον ἢ τοῖς ἐλευθέροις πρέπειν· ἀποναπκῶσι γὰρ καὶ φρίττουσι πρὸς τοὺς πόνους, τὰ μὲν διὰ τὰς ὕβρεις. ἔπαινοι δὲ καὶ ψόγοι πάσης εἰσὶν αἰκίας ὠφελιμώτεροι τοῖς ἐλευθέροις, οἱ μὲν ἐπὶ τὰ καλὰ παρορμῶντες οἱ δ’ ἀπὸ τῶν αἰσχρῶν ἀνείργοντες ([Plut.] De liberis edu­ candis 12). 196 Die Privilegierung der Erziehung durch den Vater, die in der Praxis eigentlich eine eher idealtypische Konstruktion bleibt, welche in der Schrift aber zentral ist, erklärt sich aus dieser argumentativen Verknüpfung von körperlicher Bestrafung und gesellschaftlichem Status (vgl. dazu BlooMEr, Technology of Child Production, 82 ff.; mit Blick auf die Auswirkungen des fehlenden Kontaktes zum Vater M. W. GlEason, Making Men. Sophists and Self-Representation in Ancient Rome, Princeton 1995, 115). Zur Verbindung von körperlicher Unversehrtheit und persönlicher dignitas vgl. r. P. sallEr, Corporal Punishment, Authority, and Obedience in the Roman Household, in: Rawson (Hg.), Marriage, 144–165, 151. 197 Vgl. Sen. ir. 2,213 f. Zu diesem Zusammenhang auch M. W. BlooMEr, Schooling in Persona. Imagination and Subordination in Roman Education, in: ClAnt 16 (1997), 57–78, 61 f. 198 Vgl. Quint. inst. 1,3,13; Mart. 7,210. Vgl. dazu BlooMEr, Technology of Child Production, 83 f.; a. corBEill, Education in the Roman Republic. Creating Traditions, in: Y. L. Too (Hg.), Education in Greek and Roman Antiquity, Leiden 2001, 261–287, 263. 199 Vgl. dazu auch – unabhängig von der Diskussion über die angemessenen Formen der Erziehung – z. B. Plin. epist. 7,29; 8,6: cognovisse iam ex epistula mea debes, adnotasse me nuper monumentum Pallantis sub hac inscriptione: ‚huic senatus ob fidem pietatemque erga patronos ornamenta praetoria decrevit et sestertium centiens quinquagiens, cuius honore contentus fuit.‘ postea mihi visum est pretium operae ipsum senatus consultum quaerere. inveni tam co­ piosum et effusum, ut ille superbissimus titulus modicus atque etiam demissus videretur. (…) mitto, quod Pallanti servo praetoria ornamenta offeruntur (quippe offeruntur a servis) (…). (Zit. epist. 8,6,1 f. u. 4). Das wird vor allem immer wichtiger, wenn Reichtum, wie in der Kaiserzeit, kein klares Distinktionsmerkmal darstellt. Vgl. BlooMEr, Technology of Child Produc-

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Vergleichbares lässt sich auch für wesentliche Elemente der höheren Ausbildung nachvollziehen. Diese Formen lassen sich, wie unter anderem r. KastEr gezeigt hat, als Versuche verstehen, Orientierung und damit stabile oder zumindest stabilisierende Strukturen zu schaffen. Gut aufgearbeitet sind solche Zusammenhänge vor allem für die Deklamationspraxis. Die Deklamationsübungen, wie sie beispielsweise durch die Schriften des älteren Seneca überliefert sind, zeichneten sich letztlich nur scheinbar durch ein hohes Maß an Distanz zur kaiserzeitlichen Realität aus. Pointiert formuliert das M. BEard: „The cases familiar from the schoolroom were re-presented, re-rehearsed, re-debated in the salon. The ‚old favourites‘ were constantly reworked, new treatments judged against the fine performances of the past, arguments assessed and criticized. Declamation provided, in short, a social and cultural focus for the Roman elite of the first centuries CE.“200 Die Übungen bekamen gerade in ihrer scheinbaren Absurdität eine ordnende Funktion. Das gesellschaftliche Chaos, das sich in den Geschichten oft findet, lässt sich – in solchen Gedankenspielen zumindest theoretisch – ,beherrschen‘. Es lässt sich auflösen, wenn man in den Deklamationsübungen in systematischer Form auf die Tradition und auf bewährte juristische Mechanismen zurückgreift.201 Die controversia, detion, 81; sallEr, Corporal Punishment, 160–164; B. raWson, Children and Childhood in Roman Italy, Oxford 2003; s. F. BonnEr, Education in Ancient Rome, Berkeley 1977. 200 M. BEard, Looking (Harder) for Roman Myth. Dumézil, Declamation and the Problem of Definition, in: F. Graf (Hg.), Mythos in mythenloser Gesellschaft. Das Paradigma Roms, Stuttgart 1993, 44–64, 54. So auch der Umgang mit den Quellen, beispielhaft vorgeführt für den älteren Seneca, S. 53: „Seneca’s collection shows clearly that there was more at stake in these declamatory exercises than just school training. For the world of the ‚Controversiae‘ is a world not of hack humdrum teenage instruction, but a world of well-known, glamorous rhetoricians, enjoying a sparkling reputation among the Roman elite.“ Die These formuliert sie auf der Grundlage des Befundes, dass es in Rom – anders als beispielsweise in Griechenland – keinen Raum gegeben habe, der auf eine aktive ,mythische Tradition‘ schließen lasse. Lediglich in privatem, abgeschlossenem Rahmen aristokratischer Zusammenkünfte sei etwas vergleichbares explizit belegbar. Ausgehend von der sozialen Funktion des Mythos ordnet sie die Deklamationspraxis in solche Zusammenhänge ein: „The practice of declamation provides an even clearer example of mythic thinking in the elite Roman culture than poetic recitations (BEard, Looking (Harder) for Roman Myth, 56 ff.; Zit. 58). Vgl. allgemein zur kaiserzeitlichen Deklamationspraxis W. M. BlooMEr, Roman Declamation. The Elder Seneca and Quintilian, in: Dominik/Hall (Hgg.), Companion to Roman Rhetoric, 297–306; GundErson, Declamation, 90–115. So auch schon die Kritik bei Petr. 1 f.: [LO:] num alio genere Furiarum declamatores inquietantur, qui clamant: ‚haec vulnera pro libertate publica excepi; hunc oculum pro vobis impendi: date mihi ducem, qui me ducat ad liberos meos, nam succisi poplites membra non sustinent?‘ (…) et ideo ego adulescentulos existimo in scholis stultissimos fieri, quia nihil ex his, quae in usu habemus, aut audiunt aut vident, sed piratas cum catenis in litore stantes, sed tyrannos edicta scribentes, quibus imperent filiis ut patrum suorum capita praecidant, sed re­ sponsa in pestilentiam data, ut virgines tres aut plures immolentur, sed mellitos verborum glob­ ulos et omnia dictaque quasi papavere et sesamo sparsa. 201 Vgl. R. A. KastEr, Controlling Reason. Declamation in Rhetorical Education at Rome, in: Y. L. Too (Hg.), Education in Greek and Roman Antiquity, Leiden 2001, 317–337, 328; J. connolly, Rhetorical Education, in: Peachin (Hg.), Oxford Handbook, 101–118, 113; corBEill, Rhetorical Education, 69–82; BEard, Looking (Harder) for Roman Myth, 44–64; E. FantHaM, Quintilian on the Uses and Methods of Declamation, in: G. Urso (Hg.), Hispania Terris Omni­ bus Felicior. Premesse ed esiti di un processo di integrazione. Atti del convegno internazionale,

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ren fiktionale Situationen innerhalb der rhetorischen Ausbildung den Umgang mit juristischen Problemen einstudierten, und die suasoria, über die der argumentative Umgang mit moralischen Problemen angeeignet wurde, reflektierten und ordneten gleichzeitig immer wieder aufs Neue aus der Perspektive der Aristokratie gesellschaftliche Strukturen und übten soziale Rollen ein.202 Dahinter steht eine wesentlich grundsätzlichere Verknüpfung von elterlicher Leitfunktion mit der Notwendigkeit von gesellschaftlicher Kontinuität und der Formung von Mitgliedern, die gut in die existierenden soziopolitischen Strukturen integriert sind.203 Auffällig ist, dass bekannte Zuschreibungen erweitert wurden: Die ältere Generation wird systematisch zu Mentoren für die nachfolgende Generation, um diese in ihrer Entwicklung zu boni viri aktiv zu begleiten. Die individuelle Befähigung ist dabei untrennbar mit der moralischen Qualität des väterlichen Vorbilds und dem Verständnis als öffentliches beneficium verbunden.204 Die Autorität des pater familias, die eigentlich auf den häuslichen Bereich begrenzt ist, wird auf diese Weise durch die Erziehung junger Aristokraten und deren Integration in das politische Leben in einen Beitrag für die res publica transformiert.205 Auch wenn die Nähe durchaus gegeben ist, unterschieden sich solche Darstellungen von bekannten Praktiken des tirocinium fori insofern, als familiäre Beziehungen in der Sozialisation grundsätzlich in den Hintergrund gedrängt zu werden scheinen. Das kann durchaus auch der Perspektive und der Darstellungsabsicht der Autoren geschuldet sein, ihre soziale Rolle zu schärfen. Allerdings deckt sich der Befund mit vergleichbaren Hinweisen bei Tacitus und besonders Quintilian, die – die Schilderungen republikanischer Praxis und Ideale in den Schriften Ciceros vor Augen – die kaiserzeitliche Praxis davon deutlich abgrenzen.206 Ein solches Mentorat ist also nicht bei allen kaiserzeitlichen Autoren exklusiv auf die leiblichen

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Cividale del Friuli, 27–29 settembre 2001, Pisa 2002, 271–280. Eine solche Interpretation muss nicht zwangsläufig unvereinbar mit der schon bei den Zeitgenossen sehr gründlichen Kritik sein, die sich auf die Realitätsferne der Themen konzentriert: dazu etwa Tac. dial. 35,5: sequitur autem, ut materiae abhorrenti a veritate declamatio quoque adhibeatur. sic fit ut tyrannicida­ rum praemia aut vitiatarum electiones aut pestilentiae remedia aut incesta matrum aut quid in schola cotidie agitur, in foro vel raro vel numquam, ingentibus verbis prosequantur (…). Siehe zum Beispiel für die controversia: [Quint.] decl. 1,1; für die suasoria: Sen. suas. 7; Quint. inst. 3,8,46. Vgl. für eine solche Interpretation E. GundErson, Declamation, Paternity, and Roman Identity. Authority and the Rhetorical Self, Cambridge 2003, 90 f.; außerdem für die sozialen Rollen BlooMEr, Schooling in Persona, 58. Vgl. BErnstEin, Each Man’s Father, 211; wenngleich für die Republik scHolz, Den Vätern folgen, 262 ff. Vgl. z. B. Quint. inst. 6, praef. 1. Vgl. BErnstEin, Each Man’s Father, 211–215. Quint. inst. 10,5,19: quaere iuvenis qui rationem inveniendi eloquendique a praeceptoribus diligenter acceperit (…), exercitationem quoque modicam fuerit consecutus, oratorem sibi ali­ quem, quod apud maiores fieri solebat, deligat quem sequatur, quem imitetur: iudiciis intersit quam plurimis et sit certaminis, cui destinatur, frequens spectator. Siehe auch Tac. dial. 34,1– 4. Laut P. Scholz ist das auf die zunehmende Formalisierung der Ausbildung und die Entpolitisierung der Rede in der Kaiserzeit zurückzuführen (vgl. scHolz, Den Vätern folgen, 274). Zum tirocinium fori vgl. EBd., 260–291, bes. 264–275; zur Kontinuität in der Kaiserzeit rutlEdGE, Oratory, 111.

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Nachkommen beschränkt; vielmehr lassen sich solche Beziehungen auch auf junge Aristokraten projizieren, die mit dem Älteren in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis stehen. Gerade Plinius nutzt am Ende des ersten Jahrhunderts die bereits existierenden Modelle, um sie in diesem Sinne umzudeuten. In seinen Briefen setzt er sich ausführlich mit dem Thema auseinander, wenn er sich in seiner Rolle als Mentor – in einer Zeit, in der sich nur noch wenige junge Männer dafür entscheiden würden, dem Vorbild der Älteren nachzueifern –207 präsentiert: Er berichtet beispielsweise vom Tod des jungen Iunius Avitus, der in Plinius’ Haus den latus clavus angelegt habe und als dessen Förderer (suffragator) Plinius sich auch weit darüber hinaus verdient gemacht habe.208 Auch in seiner Korrespondenz mit einem nicht weiter bekannten Genialis lobt er dessen Bereitschaft, sich vom Vater – und von Plinius – anleiten zu lassen und in ihnen ein Vorbild für sein eigenes Verhalten zu sehen.209 Es liegt nahe, solche Bemühungen in engem Zusammenhang mit einer kaiserlichen Politik zu sehen, die, besonders wieder unter Traian forciert, Kinderreichtum in der Senatsaristokratie mit dem ius trium liberorum gezielt fördern sollte. Grundsätzlich unterschied sich die Politik in traianischer und hadrianischer Zeit in der Qualität und Systematik deutlich von der Anwendung und Durchsetzung des Drei-Kinder-Rechts des ersten Jahrhunderts. Kinder rückten insbesondere unter Traian und Hadrian durch die Gesetzgebung in den Fokus einer kaiserlichen Politik, die Senatoren mit kinderreichen Familien förderte. In dem Fall, dass einzelne Senatoren schuldlos verarmten, berichtet zumindest die Historia Augusta davon, dass der Kaiser diese entsprechend der Anzahl der Kinder unterstützte. Aber auch über die Historia Augusta hinaus lässt sich belegen, dass die Rechte von Kindern in Erbangelegenheiten offenbar systematisch zu deren Gunsten verändert wurden.210 Sich wie Plinius als Lehrer und Vater-Ersatz für die nächste Generation zu inszenieren, lässt sich in solche Kontexte einordnen, erfasst die kaiserzeitliche Realität insbesondere an der Jahrhundertwende aber nicht vollständig. Darüber hinaus ist es auffällig, wie Seneca, Quintilian, aber vor allem auch Plinius das ideale Verhältnis zwischen den Generationen in der Senatsaristokratie konzipieren. Die Vorstellung vom Vater als idealem Erzieher seines Sohnes wird zwar nicht überflüssig, 207 Beispielhaft in Plin. epist. 8,23,2 f.: (…) ad hoc ita me diligebat, ita verebatur, ut me formatore morum, me quasi magistro uteretur. rarum hoc in adulescentibus nostris. nam quotus quisque vel aetati alterius vel auctoritati ut minor cedit? statim sapiunt, statim sciunt omnia, neminem verentur, neminem imitantur, atque ipsi sibi exempla sunt. Vgl. auch z. B. Plin. epist. 8,13. Das Verhalten der jungen Aristokraten beklagt er beispielsweise in epist. 2,14. 208 latum clavum in domo mea induerat, suffragio meo adiutus in petendis honoribus fuerat (…). semper ille aut de studiis aliquid aut de officiis vitae consulebat, semper ita recedebat ut melior factus, et erat factus vel eo quod audierat, vel quod omnino quaesierat (Plin. epist. 8,23,2 u. 4). 209 Vgl. Plin. epist. 8,13: probo quod libellos meos cum patre legisti. pertinet ad profectum tuum a disertissimo viro discere, quid laudandum quid reprehendendum, simul ita institui, ut verum dicere adsuescas. vides quem sequi, cuius debeas implere vestigia. In diesen Zusammenhang lässt sich auch Plinius’ Bemühen bei der Suche nach einem geeigneten Lehrer für die Söhne eines befreundeten Senators einordnen: vgl. dazu Plin. epist. 2,18. 210 Vgl. HA Hadr. 7,9; 18,5; (Callistr.) Dig. 48,20,1; (Paul.) Dig. 26,7,12; 25,3; Cass. Dio 69,23,3; raWson, Children as Cultural Symbols, bes. 34 ff. So auch schon Tac. ann. 2,48 für Tiberius.

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

aber zumindest überformt durch Verallgemeinerungen, in denen familiären Bindungen nicht mehr zwangsläufig die Priorität eingeräumt werden. Zurückzuführen sein dürften solche Vorstellungen auch auf die im ersten Jahrhundert nachweisbare gesellschaftsfähige Praxis, durch Adoption die familiäre Kontinuität innerhalb der Senatsaristokratie zu wahren.211 Gleichzeitig liefern die Verallgemeinerungen und die Lösung von familiären Beziehungen als eine Idealkonstruktion, die die Kontinuität über Generationen gewährleisten soll, Hinweise dafür, dass man die Gewissheiten darüber erodieren sah.212 Die literarisch greifbaren Neukonzeptionen lassen sich daher auch als Kompensation für die fehlende Selbstverständlichkeit einer generationenübergreifenden Kontinuität innerhalb der Senatsaristokratie verstehen. Diese konnten, wie Plinius bemerkt, durchaus auch das Wissen über eigentlich selbstverständliche Abläufe im Rahmen des Senatsverfahrens bedrohen. Trotz der teilweise widersprüchlichen Befunde erscheint es durchaus sinnvoll, den Quellenbefund trotz oder gerade wegen seiner Topik ernstzunehmen. Zu solchen Neukonzeptionen passt auch, wie man seit augusteischer Zeit mit Altersvorstellungen umging. Im privaten Bereich betraf das unmittelbar die Stellung des pater familias; aber auch für den Senat hatte es, wie oben diskutiert, Konsequenzen, die Altersstruktur und Zusammensetzung des Gremiums zu verändern.213 Auffällig sind die diversen Bemerkungen in Plinius’ Briefkorpus über verfahrenstechnische Fragen im Senat damit insofern, als sie über einen alltäglichen Austausch von Fachwissen unter Senatoren hinausgehen und trotz ihrer thematischen Vielfalt nur scheinbar nicht miteinander in Beziehung stehen.214 Neben der Diskussion um die Einführung geheimer Wahlen in den Entscheidungsfindungsprozess der Magistratswahlen Anfang des zweiten Jahrhunderts setzt sich Plinius in dem bereits erwähnten Brief aus dem Jahr 105215 ausführlich mit dem formalen Ablauf des Senatsverfahrens auseinander, um sich bei Titius Aristo, den er als äußerst erfahren und kompetent in Rechtsfragen (peritissimus et privati iuris et publici, cuius pars senatorium est)216 bezeichnet, im Hinblick auf mögliche ähnliche Si211 Dazu J. carstEn, Cultures of Relatedness. New Approaches to the Study of Kinship, Cambridge 2000; c. Kunst, Römische Adoption. Zur Strategie einer Familienorganisation, Hennef 2005. 212 Auch die Ergebnisse der prosopographischen Untersuchungen zur Aristokratie der frühen Kaiserzeit ließen sich sicherlich sinnvoll in diesen Zusammenhang einordnen (vgl. dazu Kap. 2.1). 213 Vgl. dazu tiMMEr, Altersgrenzen, 306 ff. 214 Zur Konzeption und thematischen Kohärenz des Briefkorpus’ siehe WHitton, Pliny, 118 f. 215 sHErWin-WHitE, Letters of Pliny, 461: „There were circumstances in this case that might have caused a certain delay, as there was an element of doubt about the cause of death (…). But it is impossible to date the letter later than the end of 105.“ 216 Plin. epist. 8,14,1. sHErWin-WHitE, Letters of Pliny, 136 f. dazu: „Titius Aristo is known from legal sources as one of the great lawyers of the day, a pupil of the distinguished Cassius Longinus (…), judicial adviser of Trajan, and correspondent of Neratius Priscus and Juventius Celsus, his rivals. Nothing is known of his career. He must have been older than Pliny to have heard Cassius, who died c. A. D. 70 (Dig. 1,2,2,52). This letter implies (…), contrary to the view of Mommsen, that he was not a senator, cf. PIR¹, T 197. (…) It has also been held that Aristo was one of the small band of jurists, confined by Augustus to senators, who had the right of authoritative interpretation, ius respondendi, for citation in the courts of civil law.“

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tuationen in der Zukunft zu informieren.217 Die eigentliche Frage ergibt sich für Plinius aus dem Problem, dass offenbar in einer Senatssitzung unklar war, wie man mit drei sententiae, denen völlig unterschiedliche Vorstellungen über das Strafmaß zugrunde lagen, bei der anstehenden Abstimmung umgehen sollte. Es ging um die Freigelassenen des Consuls Afranius Dexter, welcher unter unklaren Umständen ums Leben gekommen war. In der betreffenden Senatssitzung wurde nun über eine mögliche Schuld der Freigelassenen entschieden. Die Anträge lauteten auf Freispruch, Exil und Todesstrafe. Dabei sei laut Plinius ursprünglich angedacht gewesen, die beiden letzteren für die Abstimmung zusammenzufassen, um im Falle der Zustimmung erst danach über Exil oder Todesstrafe zu entscheiden. Bei Plinius stieß dieses Vorgehen auf Unverständnis.218 Er argumentierte, dass der gesetzlich geregelte Abstimmungsmodus (discessionem fieri) es ausschließe, zwei so unterschiedliche Anträge wie die auf Exil und Todesstrafe zusammenzufassen (lex non aperte docet (…)?).219 Der Grund, weshalb er um Rat bittet, ist bezeichnend. Die Herrschaft Domitians, so Plinius, habe ein tiefen Einschnitt bedeutet, da in der Zeit entscheidendes Wissen über senatorische Praktiken verloren gegangen sei. Das Wissen darüber sei den fehlenden oder nur sehr eingeschränkten Möglichkeiten der Sozialisation als Senator zuzuschreiben, so dass es nicht mehr vermittelbar gewesen sei, traditionelle Verhaltensnormen und Verfahrensformen (senatorium morem) über die Vorbildfunktion der Älteren (exemplis) zu erlernen.220 Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Argumentation des Briefes: Das Vergessen traditioneller Praktiken unter Domitian ist sicherlich, wie in der Forschung angemerkt, einer Polemik geschuldet, die einschneidende Veränderungen topisch auf dessen Herrschaftszeit zuspitzt, um die Schuld in den persönlichen Entscheidungen dieses Princeps zu suchen.221 Trotzdem ist Plinius’ Einschätzung insgesamt ernstzunehmen, zumal er diese grundsätzlich mit Zeitgenossen teilte und sie insgesamt nicht ausschließlich an Domitian gebunden war.222 Zumindest ist die Frage berechtigt, warum Plinius 217 (…) cupio ex te potissimum audire, erraverim in senatu proxime necne, non ut in praeteritum (serum enim), verum ut in futurum si quid simile inciderit erudiar (Plin. epist. 8,14,1). 218 Plin. epist. 8,14,15. 219 Vgl. Plin. epist. 8,14,19. 220 Vgl. Plin. epist. 8,14,6. 221 Vgl. d. scHnurBuscH, Rationalität und Irrationalität. Die Flavier in der Sicht der biographischen Forschung, in: Winterling (Hg.), Zwischen Strukturgeschichte und Biographie, 277–294, 286 ff. 222 Beispielsweise: Vell. Pat. 1,16–18 (zum Niedergangsschema), bes. 17,3. Zur Blüte der Rhetorik: Petr. 1 ff.; Sen. contr. 1 praef. 6–10; Sen. epist. 114 und 114,13. Plin. nat. hist. 14,1,3–7; Quint. inst. 8,6,76. Darüber hinaus auch Plin. epist. 2,14 „in a sour mood“, wie Luce kommentiert (T. J. lucE, Reading and Response in the Dialogus, in: Ders./Woodman (Hgg.), Tacitus and the Tacitean Tradition, 11–38, 13). Plinius’ Deutungen unterscheiden sich bei diesem Thema gelegentlich aber deutlich vom üblichen Deutungsschema: Die eigene Bedeutung in seinem Briefkorpus herausstellend, kommt ihm als Redner dafür eine zentrale Rolle zu. Die Rhetorik scheint daher bei ihm, in Anlehnung an das Vorbild Cicero, in der Regel zu blühen (vgl. dazu etwa a. M. riGGsBy, Pliny on Cicero and Oratory. Self-Fashioning in the Public Eye, in: AJPh 116 (1995), 123–135, 133). W. J. doMiniK, Tacitus and Pliny on Oratory, in: Ders./Hall (Hgg.), Companion to Roman Rhetoric, 323–338.

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argumentieren kann, dass trotz aller Mechanismen, die Sozialisation als Senator auch jenseits des formalisierten Verfahrensablaufs zu gewährleisten, diese Kontinuität offenbar besonders seit domitianischer Zeit als gefährdet wahrgenommen wurde. Dass man in einer Situation, wie er sie in dem Brief schildert, dezidiert auf die lex Iulia de senatu habendo zurückgriff und sich in gesetzlich fixierten Formen die notwendige Vergewisserung holte, ist zumindest auffällig. Ein solcher Umgang mit verfahrenstechnischen Fragen innerhalb des senatorischen Entscheidungsfindungsprozesses verweist auf andere Weise als die Polemik auf eine Verunsicherung gegenüber den Abläufen des senatorischen Verfahrens, die Veränderungen wahrscheinlich machen und die auffälligen Auseinandersetzungen mit dem Verfahren und dessen Sinn erklären könnten. Dafür, dass zum Ende des ersten und Beginn des zweiten Jahrhunderts verstärkt Diskussionen geführt wurden, die auf die Notwendigkeit verweisen, sich der senatorischen Kommunikationsmechanismen zu vergewissern, gibt es weitere Hinweise. Grundsätzlich spiegelt sich darin die Suche nach konkreteren Orientierungsmöglichkeiten, als traditionelle Formen zur Vermittlung des nötigen fachspezifischen Wissens in der Situation möglicherweise oft leisten konnten. Über die Schrift De senatu habendo von Nikostratos sind leider nur der Titel und ihre Entstehungszeit im zweiten Jahrhundert bekannt. Möglicherweise bediente sie aber ein solches Bedürfnis nach Orientierung und bezog sich, wie auch bei Gellius erkennbar, auf die gesetzlichen Regelungen aus augusteischer Zeit.223 Eine andere Möglichkeit, einer solchen Verunsicherung zu begegnen, bestand darin, Praktiken aufzunehmen, die aus republikanischer Zeit bekannt waren. In der Diskussion um die Einführung geheimer Wahlen bedient sich Plinius eines Deutungsmusters, das sich über die intertextuellen Bezüge bewusst an republikanischen Vorbildern orientiert. Damit werden neue Praktiken anschlussfähig, selbst wenn sie republikanische Praktiken nicht tatsächlich aufnehmen.224 Die Verunsicherung über die senatorischen Kommunikationsmechanismen scheint sich also durchaus im Alltag der Senatssitzungen in der frühen Kaiserzeit niedergeschlagen zu haben. Sowohl fehlende Entscheidungssicherheit als auch fehlende Kontinuität zeigten offenbar nachhaltige Auswirkungen auf bisherige Selbstverständlichkeiten im Verfahrensablauf – selbst wenn das, mit Blick auf die Formen, zunächst nicht den Anschein hat. Damit ist noch nicht geklärt, worauf die Diskussionen sich konkret bezogen. Der Systematik des senatorischen Entscheidungsfindungsprozesses folgend soll dem im Folgenden genauer nachgegangen werden.

223 Dazu talBErt, Senate, 223. Zu Gellius vgl. c. HEuscH, Die Macht der memoria. Die Noctes Atticae des Aulus Gellius im Licht der Erinnerungskultur des 2. Jahrhunderts n. Chr., Berlin 2011, 191 ff. 224 Dazu Kap. 3.3.1 und 3.3.2.

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4.2.2 Diskontinuitäten: Veränderungen im Entscheidungsprozess In der Forschung ist die eigentliche Entscheidungssituation im kaiserzeitlichen Senat deutlich intensiver diskutiert worden als der senatorische Entscheidungsprozess allgemein. Es wird als bekannt vorausgesetzt – wie beispielsweise von M. HaMMond vertreten –, dass im zweiten Jahrhundert vermehrt Akklamationen Eingang in den kaiserzeitlichen Senat fanden, die den Charakter der Sitzungen einschneidend verändert hätten. Traditionelle Formen der Entscheidungsfindung seien immer weiter in den Hintergrund gedrängt worden. Darüber, wie sie sich im Senat etablierten und welche Funktion sie hatten, ist allerdings nur wenig bekannt.225 Wenn demgegenüber Kritik oder Vorbehalte geäußert wurden, richteten sich diese dagegen, dass Akklamationen vor allem auf der Grundlage einer zeitgenössischen Quelle, nämlich des Panegyricus’ des jüngeren Plinius, angenommen werden.226 Auch wenn talBErt seine Einwände auf den Quellenwert des Panegy­ ricus als Lobrede zuspitzt, sind die Bedenken grundsätzlich berechtigt. Denn die eigentliche Entscheidungsfindung im Senat ist ohne größeren Kontext, innerhalb des Verfahrens und innerhalb der historischen Konstellationen, nicht verständlich. Deshalb soll es hier darum gehen, zunächst die zeitgenössischen Diskussionen, die sich explizit mit senatorischen Kommunikationsmechanismen beschäftigen, nachzuzeichnen und sie dann einzuordnen. Methodisch erscheint es dafür nicht sinnvoll, ausschließlich nach der Bezeichnung ,Akklamation‘ zu suchen, sondern den Fokus allgemeiner und ergebnisoffener auf solche Praktiken zu legen, die solchen Formen ähneln. Im Verlauf des ersten und dem Beginn des zweiten Jahrhunderts verdichten sich die Hinweise in den Quellen, dass sich innerhalb der formalisierten Verfahrensstrukturen Veränderungen in lange etablierten Kommunikationsmechanismen abzeichneten, die sich nachhaltig auf den Charakter der senatorischen Entscheidungsfindung auswirkten. Anhand dessen lässt sich abschließend diskutieren, inwieweit neue Abstimmungsmodi in der frühen Kaiserzeit in alltägliches senatorisches Entscheidungshandeln tatsächlich integrierbar waren und integriert wurden.

225 Vgl. HaMMond, Antonine Monarchy, 259 ff. Siehe darüber hinaus MoMMsEn, StR 3.2, 980 / Anm. 2; ronninG, Herrscherpanegyrik, 63 f.; zuletzt zu Akklamationen im Senat tiMMEr, Altersgrenzen, 300 / Anm. 96; FlaiG, Mehrheitsentscheidung, 380 f. 226 Siehe dazu talBErt, Senate, 300 f.

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

Plinius über die Diskussion ante relationem In einem längeren Brief berichtet Plinius von einer Senatssitzung im Jahr 97.227 In der Sitzung kurz nach dem Herrschaftsantritt Nervas brachte Plinius ein heikles Anliegen vor. Es ging um die Frage, wie man mit der Vergangenheit eines bestimmten Senators als delator/accusator umgehen sollte. Dieser war dafür verantwortlich, dass der Sohn des Helvidius Priscus verurteilt worden war und dessen Familie ins Exil gehen musste.228 Plinius brachte sein Anliegen als Praetorier vor, ohne sich vorher mit befreundeten hochrangigen Senatoren in der Angelegenheit beraten zu haben, weil er befürchtete, dass diese ihm von dem Vorhaben abgeraten hätten. Erst kurz vor Sitzungsbeginn erzählte er Corellius Rufus, einem Senator konsularischen Ranges, von seinem Plan.229 Im Senat habe Plinius dann unter lautem Beifall (ma­ ximo adsensu) sein Anliegen vorgetragen. Dass er in seinen Ausführungen die Beschuldigten nicht namentlich nannte und außerdem mit früheren maiestas-Klagen ein äußerst umstrittenes Thema anrührte, provozierte diverse Zwischenrufe: ‚sciamus, quis sit, de quo extra ordinem referas‘; alius: ‚quis est ante relationem reus?‘; alius: ‚salvi simus, qui supersumus.‘ „‚Wir wollen wissen, wer es ist, von dem du außer der Reihe sprichst‘. ‚Wer ist schuldig, ehe sein Fall auf der Tagesordnung steht?‘ ‚Wir sind froh, am Leben zu sein, und wollen unsre Ruhe haben‘.“230

Daraufhin griff der vorsitzende Consul ein; es folgte ein kurzer Wortwechsel zwischen ihm und Plinius. Der Vorsitzende habe Plinius zurechtgewiesen und sei von ihm aufgefordert worden, sich zu äußern, wenn er an der Reihe sei. Plinius wiederum entgegnete darauf, dass er nur für sich in Anspruch nehme, was der Vorsitzende bisher immer zugelassen hatte.231 Die Diskussion wurde damit zwar vorerst für beendet erklärt (aguntur alia),232 die Entscheidung über die Angelegenheit selbst aber nicht ganz beigelegt, jedenfalls berichtet Plinius davon, dass sie noch in derselben Sitzung verhandelt wurde und es zu einer Entscheidung – in seinem Sinne – kam.233 Auch wenn Plinius das seiner Hartnäckigkeit gegen alle eingebrachten Vorbehalte hochrangiger Senatsmitglieder zuschreibt, dürfte unter den anwesenden Senatoren durchaus ein Interesse daran bestanden haben, die Angelegenheit weiter zu verfolgen. Darauf weist der anfängliche große Beifall (maximo adsensu), mit dem die Rede Plinius zufolge quittiert worden war.234 227 Nach sHErWin-WHitE, Letters of Pliny, 491. 228 Zur Vorgeschichte Plin. epist. 9,13,2–5. 229 Plin. epist. 9,13,6: omnia ego semper ad Corellium rettuli, quem providentissimum aetatis nos­ trae sapientissimumque cognovi: in hoc tamen contentus consilio meo fui veritus ne vetaret; erat enim cunctantior cautiorque. (…) expertus usu de eo quod destinaveris non esse consulen­ dos quibus consultis obsequi debeas. 230 Plin. epist. 9,13,7 [übers. v. H. KastEn]. 231 Plin. epist. 9,13,9 [übers. v. H. KastEn]. 232 Plin. epist. 9,13,9. 233 inter moras consul citatis nominibus et peracta discessione mittit senatum, ac paene adhuc stantem temptantemque dicere Veientonem relinquit (Plin. epist. 9,13,20). 234 Plin. epist. 9,13,7.

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Solche Formen, eine Senatssitzung zu eröffnen, so wurde immer wieder konstatiert, hätten im Verlauf des ersten Jahrhunderts das senatorische Verfahren zunehmend geprägt. Für a. o’BriEn MoorE steht die Entwicklung, dass dem „Verfahren vor der relatio (…) größere Ausdehnung und Wichtigkeit“ zugekommen sei, im Zusammenhang mit dem kaiserlichen Einfluss während der Senatssitzungen. Da sich die Praxis etablierte, dass zu Beginn der Senatssitzung dessen Rede – oder, wenn der Kaiser nicht persönlich anwesend war, sie in Vertretung durch einen Quaestor – vorgetragen wurde, sei der gesamte senatorische Entscheidungsprozess auf Dauer überformt und auf den Kaiser fokussiert worden. Entsprechend könne man zunehmend beobachten, wie diese Reden auch dem endgültigen Senatsbeschluss entsprochen hätten. F. Millar kommt in seiner Studie The Emperor in the Roman World zu demselben Schluss.235 Daneben diskutiert O’BrienMoore solche Formen aber auch außerhalb des unmittelbaren kaiserlichen Einflusses. Im Anschluss an MoMMsEn geht er davon aus, dass solche Verhandlungen vor der formalen Eröffnung einer Senatsdebatte über einen konkreten Gegenstand vor allem dazu dienten, zunächst noch informell einen Beschluss zu antizipieren, indem man die an dieser Stelle geäußerte Zustimmung oder Ablehnung als Stimmungsbild nutzte, um daran den weiteren Verlauf des formalisierten Entscheidungsprozesses auszurichten.236 Es ist allerdings nicht ganz klar, ob solche Möglichkeiten Ausnahmeerscheinungen waren oder sie sich systematisch nachweisen lassen. Welche Funktion kam ihnen vor der offiziellen Antragstellung zu? Welcher Stellenwert kam solchen Veränderungen innerhalb des senatorischen Entscheidungsfindungsprozesses zu – insbesondere sofern sie als systematische Veränderungen nachweisbar sind? Wie sind sie in den Kontext des gesamten Verfahrens einzuordnen? Um die Formen, die Plinius überliefert, einordnen und ihre Bedeutung für den senatorischen Entscheidungsfindungsprozess bewerten zu können, ist zunächst der Befund zu prüfen. Für die Frage, ob sich solche Abläufe im Entscheidungsprozess, wie Plinius es darstellt, systematisch nachweisen lassen, liefert Plinius selbst einen wichtigen Hinweis. Er habe, als er den Vorsitzenden darum bat, sein Anliegen vor einer Antragstellung durch die Magistrate (ante relationem) vorbringen zu dürfen, auf Formen zurückgreifen können, die mit den Konventionen vereinbar waren. Mit der Formulierung „das Recht, zu sprechen“ (ius dicendi) stellt Plinius klar, dass sein Vorgehen den Regeln entsprach. Es habe, selbst wenn Plinius außerhalb der üblichen Geschäftsordnung und Reihenfolge (extra ordinem) sprach, trotzdem eine legitime Grundlage besessen.237 Über diesen Hinweis hinaus ist es bei der Quel235 Tac. ann. 3,32: neque multo post missis ad senatum litteris Tiberius motam rursum Africam incursu Tacfarinatis docuit, iudicioque patrum deligendum pro consule gnarum militiae, cor­ pore validum et bello suffecturum. (…) igitur missus in Asiam, et de Africa decretum, ut Caesar legeret cui mandanda foret. „Durch diese Briefe kontrollierte der Kaiser einerseits die Geschäftsordnung (…) und andererseits bediente er sich des S[enats] als Publikationsstelle.“ o’BriEnMoorE, Senatus, 769 f., Zit. 770. 236 Vgl. MoMMsEn, StR 3.2, 950; o’BriEnMoorE, Senatus, 770; 774. 237 Zur Einordnung des geschilderten Verfahrens vgl. talBErt, Senate, 260. Talbert diskutiert die Passage in Auseinandersetzung mit der Interpretation Sherwin-Whites (vgl. sHErWin-WHitE, Letters of Pliny, 494) im Rahmen des senatorischen Rechts, außerhalb des von der relatio vorgegeben Themas („off the question“), zu sprechen. Seine Zweifel scheinen durchaus ange-

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

lenlage allerdings schwierig, Genaueres nachzuvollziehen. Tacitus erwähnt eine Sitzung, die sich zumindest in diesen Zusammenhang bringen ließe: Während der Senat die Rechte von Freigelassenen ihren Patronen gegenüber im Jahr 56 n. Chr. verhandelte, zeichnete sich offensichtlich schon früh eine Mehrheit ab. Trotzdem habe sich Tacitus zufolge keiner der Consuln bereit erklärt, ohne Wissen des Princeps mit der Berichterstattung zu beginnen (sed consules, relationem incipere non ausi ignaro principe). Statt dessen habe sich ihre Initiative darauf beschränkt, Nero schriftlich davon in Kenntnis zu setzen, dass sich die anwesenden Senatoren in der Angelegenheit einig gewesen seien (consensum senatus).238 Selbst wenn es bei dem Befund erst einmal nicht ganz eindeutig ist, wie die beschriebenen Formen konkret einzuordnen sind, lassen sich in den Situationen einige Auffälligkeiten erkennen: Erstens sind es die Formen, genauer gesagt die Einigkeit, die in den jeweiligen Situationen betont werden. Dissens scheint es entweder nicht gegeben zu haben, oder zumindest ging dieser angesichts der emphatischen Zustimmung unter. Zweitens tritt hinter der Beschlussfassung, in der man die Einigkeit betonte, die Darstellung von Hierarchien zurück. Vor allem Plinius betont diesen Punkt mit der Formulierung extra ordinem. Drittens lässt sich – allerdings mit einiger Vorsicht – vermuten, dass solche Formen im Zusammenhang mit Situationen stehen, in denen sich der Senat mit seiner Tätigkeit als Gericht auseinandersetzte. Wenn man diesen Befund betrachtet, stellt sich die Frage, wie sich solche Formen, die den Charakter einer Entscheidungssituation haben – vor dem Beginn des formalisierten Entscheidungsprozesses – einordnen lassen. Ein Problem ergibt sich dadurch, dass Sitzungen für die flavische Zeit nicht gut dokumentiert sind. Dadurch entsteht eine größere Lücke im Befund, was es erschwert, die Entwicklung von Praktiken im Detail nachzuvollziehen und zu datieren, von denen Plinius als Selbstverständlichkeit berichtet. Trotzdem legen die Quellen zumindest nahe, dass hier allgemeine Entwicklungen in der senatorischen Praxis des ersten Jahrhunderts dokumentiert werden. Nahegelegt wird das durch das „Recht zu reden“, auf das sich Plinius in seinem Brief beruft und womit er sich auf gängige Praktiken bezieht. Das Gleiche gilt für die Selbstverständlichkeit, mit der Tacitus über die betreffenden Senatssitzungen in iulisch-claudischer Zeit berichtet. Insgesamt illustrieren die Beispiele, dass die Praxis offenbar nicht als ein anstößiges Vorgehen wahrgenommen wurde. Das gilt zumindest für das frühe zweite Jahrhundert; aber auch Tacitus liefert keine Hinweise darauf, dass solche Formen – zumindest in der jeweiligen historischen Situation – in neronischer Zeit kritisch reflektiert wurden. Auf normativer Ebene scheint es also – auf der Grundlage dieses Befundes – durchaus mit dem

bracht, weil eine solche Deutung insofern problematisch ist, als Plinius seine Rede eindeutig vor einer solchen Antragstellung (ante relationem) vorbringt und die Situation allein dadurch einen anderen Charakter erhält. Weitergehend MoMMsEn, StR 3.2, 982. 238 Tac. ann. 13,26,1: per idem tempus actum in senatu de fraudibus libertorum, efflagitatumque ut adversus male meritos revocandae libertatis ius patronis daretur. nec deerant qui censerent, sed consules, relationem incipere non ausi ignaro principe, perscripsere tamen consensum se­ natus.

4.2 Veränderungen im senatorischen Entscheidungsprozess

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senatorischen Selbstverständnis vereinbar gewesen zu sein, Entscheidungssituationen auf diese Weise zu antizipieren. Es fällt auf, dass sich im offiziellen Rahmen einer Senatssitzung offenbar gerade die Spontaneität besonders gut eignete, um die Stimmung innerhalb der Senatsaristokratie für konkrete Themen zu sondieren. Ohne gleich die Verbindlichkeit vor Augen zu haben, die ein offizieller Antrag schuf,239 bot eine solche Vorverhandlung die Möglichkeit, eine potentielle Entscheidungssituation zu ,simulieren‘. Auf diese Weise wurde nicht zwangsläufig die Frage aufgeworfen, welche Konsequenzen es hätte, wenn es nicht gelingen sollte, sich in der betreffenden Angelegenheit zu einigen. Durch die Emotionalität, die mit den Rufen oder dem Beifall artikuliert wurde, vergewisserte man sich daher auch der Entscheidungsfähigkeit. Interessant ist das vor dem Hintergrund, dass diese Formen der Selbstvergewisserung im Zusammenhang mit einer Entscheidung stehen, die den Senat als Gericht betreffen. Wenn dieser Zusammenhang tatsächlich so bestand, ließen sich die Diskussionen vor der offiziellen Antragstellung auch als Reaktion auf die potentielle Entscheidungsunsicherheit des Gremiums deuten.240 Darüber hinaus bot die Einbringung einer Angelegenheit in die senatorische Diskussion vor der relatio eine Möglichkeit, das Interesse an einem vorgebrachten Fall zu sondieren, dem andernfalls möglicherweise gedroht hätte, im Verlauf der Meinungsumfrage unterzugehen oder vom vorsitzenden Magistrat ignoriert zu werden. Die Aufmerksamkeit wurde damit allein auf den Fall gelenkt, ohne den formalen Rahmen einer Senatssitzung zu sprengen, wenn möglicherweise auch nicht so hochrangige Senatoren Vorschläge einbrachten.241 Damit umging man die Notwendigkeit, dem Vorsitzenden im Vorfeld der Sitzung sein Anliegen vorzutragen – zumal man diesem damit auch die Entscheidung darüber überließ, ob die Angelegenheit eine Diskussion wert war.242 Die Praxis, einzelne Anliegen während der Sitzung, aber vor der eigentlichen relatio, vorzubringen, war dann eventuell eine Reaktion auf die immensen Möglichkeiten, den Ablauf des Verfahrens durch die relatio und die erste Meinungsäußerung zu beeinflussen.243 239 Das heißt nicht, dass die Einbringung eines Antrags zwangsläufig zu einem Beschluss führen musste, sondern soll lediglich den Rahmen, in dem ein Thema in der frühen Kaiserzeit diskutiert wird, betonen. 240 Für sichere Aussagen sind es zu wenige Belege, der Befund bedarf daher der weiteren Einordnung in die senatorischen Kommunikationsmechanismen im Kontext des Entscheidungsprozesses. Inwieweit die Diskussionen vor der Antragstellung den Einfluss des Vorsitzenden einschränkten, ist in den Quellen weniger gut dokumentiert. Dass diese den Einfluss der hochrangigen Senatsmitglieder auf die Entscheidungsfindung zumindest gefährdeten, spiegelt sich aber in den Reaktionen, von denen Plinius berichtet. Seine Rede erregte demzufolge vor allem Anstoß, weil sie weder mit hochrangigen Senatoren abgesprochen war noch diese sich jetzt, nach der relatio, in der üblichen Reihenfolge dazu äußern konnten. 241 Dazu passt letztlich auch die Entwicklung, dass die Frage, wie Hierarchien im Senatsverfahren herstellbar und darstellbar wurden, im Verlauf des ersten Jahrhunderts insgesamt zunehmend an Bedeutung gewonnen zu haben scheint (vgl. dazu Kap. 4.2.2 / S. 212 ff.). Vgl. Plin. epist. 2,12. 242 Vgl. MoMMsEn, StR 3.2, 942 ff. 243 Ob ein Zusammenhang damit bestand, dass bei den Vorträgen der Vorsitzenden und insbesondere der Kaiser die Grenzen zwischen Vortrag und der Vorwegnahme des Senatsbeschlusses oft fließend waren und der Entscheidungsprozess in solchen Fällen nicht mehr den Mechanismen

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

Die Frage, wie solche Veränderungen innerhalb des senatorischen Entscheidungsprozesses, in das Verfahren insgesamt einzuordnen sind und ob sich dort ähnliche strukturelle Veränderungen beobachten lassen, soll den Ausgangspunkt für den weiteren Blick auf das senatorische Verfahren bilden. Die Bedeutung der sententia und Formen der Zustimmung Im Dialogus de oratoribus lässt Tacitus Curiatus Maternus fragen, wozu man lange Meinungsäußerungen überhaupt noch bräuchte, wenn sich eigentlich alle – und zwar selbst die Besten (optimi) – damit zufrieden gaben, nur noch zuzustimmen.244 Die Feststellung gehört in eine Diskussion über den Niedergang der Rhetorik und ist an sich nicht neu. In der kaiserzeitlichen Literatur findet sie sich aber zum Ende des ersten und Anfang des zweiten Jahrhunderts verdichtet. Rede und Rhetorik bildeten nach wie vor einen zentralen Bestandteil senatorischer Praxis;245 die Hilflosigkeit gegenüber den konstatierten Formen ist damit erst einmal eine theoretische Debatte in einem fiktiven Dialog. Die Frage ist, ob sich, wenn man nicht unbedingt das Niedergangsparadigma, aber zumindest die Existenz der Diskussionen ernst nimmt, ein Bezug zur senatorischen Praxis der Zeit herstellen lässt und ob die Diskussionen möglicherweise auf Veränderungen in den senatorischen Kommunikationsformen Bezug nehmen. Der taciteische Maternus lässt sich jedenfalls in Diskussionen einordnen, die zentral um den Wert der Rede im Senat organisiert sind. Sie konkretisieren sich darin, dass unterschiedliche senatorische Ausdrucksformen der Zustimmung als Reaktion auf eine vorgebrachte sententia einander gegenübergestellt werden. Die Kritik zielt auf den Charakter der Senatsdebatten, der mit der eiligen Zustimmung radikal umgeformt zu werden drohe. Strukturell vergleichbar sind die Meinungsumfragen, die in der kaiserzeitlichen Historiographie dargestellt sind.246 Die Darstellungen legen nahe, dass solche Meinungsumfragen über die konkrete Sitzung hinaus auf grundsätzlicher Ebene Disvon Verhandlungssystemen folgte, ist allerdings nicht direkt nachzuweisen. Vgl. scHarPF, Interaktionsformen, 281–318. Siehe außerdem MoMMsEn, StR 3.2, 957–962. 244 quid enim opus est longis in senatu sententiis, cum optimi cito consentiant? (Tac. dial. 41,4). 245 Diesen Aspekt betont zu Recht s. H. rutlEdGE, Oratory and Politics in the Empire, in: W. Dominik / J. Hall (Hgg.), A Companion to Roman Rhetoric, Oxford 2007, 109–121, 110 f.: „Pleading in the courts, oratorical style, circulation and revision of speeches previously delivered, the passing reference to a sick or dead colleague’s eloquence, all indicate the professional importance oratory had for Pliny and the elite society in which he moved. Other sources, Tacitus in particular, also bear witness to oratory’s abiding importance. A good show in the courts or in the senate was still the way a young man could and did make his mark.“ Dazu kamen außerdem neue Gelegenheiten, sich als Redner zu profilieren, z. B. in Dankesreden gegenüber dem Kaiser. Bei den Zusammenhängen, die in den Quellen zwischen einer eingeschränkten Redefreiheit und dem Niedergang der Rede hergestellt werden, ist also durchaus Vorsicht geboten. Es lassen sich zwar deutliche Veränderungen erkennen, einem Niedergang der Rede entsprach das aber in der kaiserzeitlichen Praxis nicht. Zu den Veränderungen vgl. a. corBEill, Rhetorical Education and Social Reproduction, in: W. Dominik / J. Hall (Hgg.), A Companion to Roman Rhetoric, Oxford 2007, 70–82, 72. 246 Vgl. dazu Kap. 4.1.3 / S. 165–172.

4.2 Veränderungen im senatorischen Entscheidungsprozess

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kussionen provozierten, in denen es um die Formen ging, wie der Zustimmung im senatorischen Entscheidungsprozess angemessen Ausdruck zu verleihen sei. Die Debatten um die Auftritte des Thrasea Paetus liefern dafür längst nicht die einzigen Beispiele. In diesen Zusammenhang gehören auch die dokumentierten Fälle, in denen Senatoren (und gelegentlich auch Kaiser) aus Protest die Sitzung verlassen haben sollen. Dass diese Beispiele in den Quellen vermerkt werden, zeigt, dass ein solches Verhalten nicht zu den üblichen Kommunikationsformen gehörte und entsprechend als Grenzfall Eingang in die Überlieferung fand. Auffällig ist, dass in jedem Fall längere Debatten im Senat vorausgegangen waren, in denen die Uneinigkeit der anwesenden Senatoren eine Entscheidung verhinderte. Das Verlassen der Sitzung durchbricht diese Diskussionen zwar, illustriert aber gleichzeitig fehlende Mechanismen, um mit der Uneinigkeit innerhalb des Verfahrens umzugehen.247 Die Prominenz solcher Fälle allein zeigt, dass die Senatoren mit ihrem Verhalten einen neuralgischen Punkt getroffen hatten. Auch die Diskussionen, die sich mit der Meinungsumfrage auseinandersetzen, gehören in diesen Zusammenhang, abstrahieren aber bezeichnenderweise von konkreten Situationen. Im Verlauf der Meinungsbefragung bestand für den gerade Aufgerufenen grundsätzlich die Möglichkeit, einen eigenen Antrag zu formulieren oder aber einem bereits gestellten beizutreten (adsentiri). Solche Formen sind schon in republikanischer Zeit nachweisbar und dort nichts Ungewöhnliches. Diese Art die generelle Zustimmung zu signalisieren, verfestigte sich im Verlauf der Entscheidungsfindung in der frühen Kaiserzeit offenbar dauerhaft zu einem formelhaften adsentior.248 Nachvollziehen lässt sich das anhand eines in claudische Zeit datierten Papyrusfundes: mini[me] enim dec[o]r[um] est, p(atres) c(onscripti), ma[iestati] huius or[di]nis hic un[um ta]n­ tummodo consule[m] designatum [de]scriptam ex relatio[n]e consulum a[d ver]bum dicere senten[tia]m, ceteros unu[m] verbum dic[ere]: ‚adse[nti]or,‘ deinde c[um e]xierint ‚di[ximus].‘ „Denn, patres conscripti, es ist für die Würde dieses Standes höchst unkleidsam, dass nur einer, [nämlich] der designierte Konsul, seine Meinung (sententia) abgibt, die [noch dazu] Wort für Wort nach der Vorlage (relatio) der Konsuln gezeichnet ist, während die übrigen das eine Wort ‚ich stimme zu‘ (adsentior) sprechen, und, wenn sie dann auseinandertreten, sagen ,wir haben gesprochen‘ (diximus).“249

Die Äußerung des Claudius ist in mehrerer Hinsicht aufschlussreich: Sie liefert einen Einblick, wie die Praxis der senatorischen Entscheidungsfindung zur Mitte des ersten Jahrhunderts wahrgenommen wurde. Die Feststellung, dass es für einen Senator wenig ehrenhaft sei, auf seinem Platz sitzen zu bleiben und ausgerechnet die Meinungsumfrage abzukürzen, indem man sie durch ein formelhaftes adsentior ersetzte, liefert einen Hinweis, dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall, sondern 247 Vgl. z. B. Cass. Dio 54,27,4; Suet. Aug. 54; Cass. Dio 59,16,8; Tac. ann. 12,7; Cass. Dio 66,12,1. 248 adsentiri: Cic. fam. 1,13; 8,11,2; Phil. 1,6,14; seltener allgemeiner als adsentire: Cic. ad Q. fr. 2,7,3; Sen. vit. beat. 3,2: post omnes citatus nihil improbabo ex iis quae priores decreverint et dicam ‚hoc amplius censeo‘. Plin. epist. 4,9,20: Valerius Paulinus adsensus Caepioni hoc amplius censuit. Vgl. MoMMsEn, StR 3.2, 979. 249 FIRA I, Nr. 44, col. III, Z. 17–22. Dazu auch talBErt, Senate, 255.

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um eine gängige Praxis handelte. Wie und in welchen Situationen sich solche Formen etablieren konnten, lässt sich daraus allerdings leider nicht erkennen. Wie auch die literarischen Quellen belegt sie aber, dass sich nicht erst bei der Abstimmung, sondern bereits bei der Umfrage vermehrt Einstimmigkeit findet (oder zumindest als solche wirken sollte). Für diese Entwicklung spricht auch, dass sich in der Formulierung deutliche Kritik an dieser Art, Zustimmung festzustellen, artikuliert. Das deckt sich mit dem Befund in den literarischen Quellen – also Autoren wie Plinius und Tacitus –, die solche Entwicklungen innerhalb des Senatsverfahrens dokumentieren und reflektieren. Die Kritik, die sich im Dialogus gegen die Entwertung der Stimmabgabe richtet, ist also wohl nicht nur der distanziert-kritischen Haltung eines Tacitus zuzuschreiben, der aus der Beobachterperspektive die Entwicklung senatorischer Kommunikationsformen allgemein kommentiert. Vielmehr lässt sich diese auch außerhalb von historiographischen Werken oder literarisch stilisierten Briefen in anderen Kontexten finden. Die Formulierung minime (…) decorum est, mit der diese Art der senatorischen Kommunikation kommentiert wird, formuliert deutlich, dass diese Formen das senatorische Verfahren entwerten würden. Im Vordergrund steht hier die symbolische Dimension des Verfahrens; funktionale Aspekte wie das Ziel, zu einer Entscheidung zu kommen, werden an dieser Stelle bezeichnenderweise in den Hintergrund gedrängt. Das legt die Vermutung nahe, dass sich die Formen, wie sie in den kaiserzeitlichen Quellen zu finden sind, etablieren konnten, um die Entscheidungsfindung voranzutreiben. Die Entscheidungsfindung zunehmend an der ausschlaggebenden prima sententia zu orientieren, überformte die senatorische Umfrage zugunsten der Entscheidungsfähigkeit, die sich damit steuern ließ. Dass sich solche Veränderungen aber auch auf die spezifische Funktionalität des senatorischen Entscheidungsfindungsprozesses in seiner engen Bindung von Verfahrensstrukturen an gesellschaftliche Strukturen auswirkten, illustriert die Kritik, die sich in den Quellen widerspiegelt.250 Auf semantischer Ebene ist die Zustimmung, die in solchen Situationen durch ein nüchternes adsentior bezeugt wird, der genaue Gegenentwurf zu den Beifallsbekundungen, die Plinius etwa in seinem Panegyricus dokumentiert. Die knappe Wortäußerung wird konsequent in einen moralischen Kontext eingebettet. Sie wird damit zum Synonym für den Rückzug auf die bloße Verwaltung der senatorischen Pflichten in dem Sinn, nur noch die Form eines Entscheidungsfindungsprozesses zu wahren. Bezieht man mit ein, wie Plinius die Atmosphäre im Senat unter Domitian schildert, scheint gerade diese Form der einfachen Zustimmung grundsätzlich als wenig angemessen gewertet worden zu sein. Plinius zufolge sollen Befragungen und die folgenden Abstimmungen regelmäßig allein darin bestanden haben, dass sich ein Senator zu einer Angelegenheit äußerte und sich der übrige Senat dem vorbehaltlos anschloss, obwohl es nicht der tatsächlichen Meinung entsprochen haben soll: ceteri quidem defixi et attoniti ipsam illam mutam ac sedentariam adsentiendi necessitatem quo cum dolore animi, quo cum totius corporis horrore perpetiebantur! 250 Zur Einordnung der Form der Zustimmung siehe auch FlaiG, Mehrheitsentscheidung, 380 f.

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„Die andern jedoch, starr und regungslos – mit welch innerer Qual, mit welch körperlichem Schauder ließen sie jene schreckliche Notwendigkeit über sich ergehen, dem Redner zuzustimmen, ohne auch nur ein Wort zu sagen, ohne sich zu erheben!“251

Auch wenn man in die Interpretation einbezieht, dass es Plinius in erster Linie wohl darum ging, mit solchen Reglementierungen die domitianische Herrschaft zu charakterisieren, spiegelt sich hier trotzdem eine eindeutige Bedeutungszuweisung für eine solcherart verkürzte Form der Beschlussfassung.252 Mit einer solchen Bedeutungszuweisung spielt beispielsweise auch Tacitus, wenn er Thrasea Paetus als einen Senator zeichnet, dessen sententiae sich im Senat regelmäßig auf eine sehr kurze Bekundung der Zustimmung (brevi adsensu) beschränkt haben sollen oder er sie sogar durch Schweigen (silentio) ersetzte.253 In der neutralen Bedeutung als Möglichkeit, Zustimmung zu kommunizieren, wird das adsentire jeweils in einen Kontext gestellt, der letztlich die Grundlage liefert, um den Begriff moralisch aufzuladen und solche Formen der Zustimmung negativ zu konnotieren. Die moralische Dimension zu betonen, lässt sich vor allem über das Situative hinaus systematisch nachweisen als Ausdruck einer ,tyrannischen‘ kaiserlichen Herrschaft. Damit wird dem sensiblen Thema eine Deutung eingeschrieben; gleichzeitig werden die Formen an sich aber ausschließlich an den Tyrannen gebunden.254 In den Annales und besonders in den Schriften des Plinius lässt sich aber, wie bereits angedeutet, auch eine andere Charakterisierung erkennen, die auf die Möglichkeit verweist, solche Formen der allgemeinen Zustimmung genau gegenteilig zu deuten. Dass es sich dabei tatsächlich um eine Möglichkeit handelte, eine verlässliche und allgemein akzeptierte Grundlage für eine anschließende offizielle Beschlussfassung zu schaffen, bestätigt Tacitus. In der Darstellung heißt es, dass eine sententia des Thrasea Paetus im Jahr 62 n. Chr., in der sich dieser für die Verurteilung des unpopulären Claudius Timarchus im Interesse des Allgemeinwohls (ad bonum publicum) ausgesprochen habe, mit großem Beifall (magno adsensu) aufgenommen worden sei.255 Letztlich habe nur das Insistieren der Consuln, die 251 Plin. paneg. 76,3. Weiter heißt es: unus solusque censebat quod sequerentur omnes et omnes improbarent, in primis ipse qui censuerat. adeo nulla magis omnibus displicent quam quae sic fiunt tamquam omnibus placeant (Plin. paneg. 76,4). 252 Plinius befindet sich mit der Darstellung der domitianischen Herrschaft in guter Gesellschaft. Wahlweise wird Domitian als Tyrann oder zweiter Nero dargestellt: Mart. epigr. 11,33; Iuv. Sat. 4,38; Plin. paneg. 53,4. Für die erlebte Angst und Barbarei z. B.: Dion Chrys. 3,13; Plin. paneg. 47,1; Tac. Agr. 2,2 u. 3,2. Vgl. darüber hinaus auch Mart. epigr. 10,72; Suet. Dom. 13,2; Dion Chrys. 45,1; Cass. Dio 67,13,4. Zum „Domitianerlebnis“ siehe FloWEr, Art of Forgetting, 262 ff.; J. l. PEnWill, Expelling the Mind. Politics and Philosophy in Flavian Rome, in: Boyle/ Dominik (Hgg.), Flavian Rome, 345–368, 358 f. Darüber hinaus z. B. auch E. lEFèVrE, Plinius’ Klage um die verlorengegangene Würde des Senats (3,20; 4,25), in: Ders. / L. Castagna (Hgg.), Plinius der Jüngere und seine Zeit, München 2003, 189–200 – wenn auch für das Verfahren selbst wenig weiterführend. 253 Siehe Tac. ann. 14,12,1. 254 Siehe dazu Kap. 3.2. 255 Ihm wurde vorgeworfen, den Senat in seiner Würde beleidigt zu haben: una vox eius usque ad contumeliam senatus penetraverat, quod dictitasset in sua potestate situm, an pro consulibus, qui Cretam obtinuissent, grates agerentur (Tac. ann. 15,20,1).

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übliche Verfahrensordnung einzuhalten, nach welcher eine solche Stellungnahme allein auf der Basis einer entsprechenden vorherigen relatio gerechtfertigt war, verhindern können, dass ein entsprechender Senatsbeschluss gefasst wurde.256 Die große Zustimmung, auf die die sententia gestoßen sein soll, deutet nachdrücklich und unmissverständlich auf eine Entscheidungssituation. Allerdings hebt er in diesem Fall vor allem die besondere Begeisterung und Emotionalität anstelle der Teilnahmslosigkeit hervor, die dem formelhaften adsentior sonst an anderer Stelle eingeschrieben wird. Bedeutungsebenen Anhand der Frage, welchen Wert die Meinungsumfrage noch hatte, lässt sich erkennen, dass und wie die Formen des senatorischen Entscheidungsfindungsprozesses ab etwa der Mitte des ersten Jahrhunderts reflektiert wurden. Die Kritik bindet die Formen senatorischer Zustimmung als Ersatz für die formalisierte, auf Debatten ausgerichtete Meinungsumfrage systematisch an die moralische Verurteilung eines tyrannischen Herrschers. Solche Formen lassen sich durchaus als Reaktionen auf neue Anforderungen verstehen, die gleichzeitig Deutungsverschiebungen im senatorischen Entscheidungsfindungsprozess provozierten. Die verschiedenen Bedeutungsebenen, die sich der Zustimmung als Form von adsentire zuordnen lassen, spiegeln aber nicht nur ein allgemein geschärftes Bewusstsein gegenüber solchen veränderten Bedingungen, sondern auch sehr konkrete Funktionen des senatorischen Meinungsaustausches im Rahmen der sententiae. Das auffällige Changieren zwischen negativer und positiver Bewertung der Zustimmung als Ersatz für oder Verkürzung der senatorischen Meinungsumfrage zeigt, wie die Situationen als Bewertungsmaßstab für die Herrschaft des Kaisers funktionalisiert wurden. Gleichzeitig konnte man auf diese Weise die Kommunikationsformen zuordnen, um sich – am Verfahrensablauf konkretisiert – zu vergewissern, was der Norm entsprach und was als Abweichung galt. Daran lässt sich zumindest erkennen, wie problematisch die eigentliche Funktionalität senatorischer Debatten im kaiserzeitlichen Kontext geworden war. Die greifbare Selbstvergewisserung über den Stellenwert der senatorischen Meinungsäußerung wird vor allem anhand von Grenzfällen ausdifferenziert. Damit wird verhandelt, was den angemessenen Ablauf der Diskussionen im Senat ausmachte, wozu Formen einfacher Zustimmung gezählt wurden, die signalisierten, dass inhaltlich kein weiterer Diskussionsbedarf bestehe, was und warum etwas als Abweichung wahrgenommen wurde – und wie man mit Dissens umging. Reflektiert wird über die immanente Bezugnahme auf normative Vorstellungen, die den Maßstab für die aktuelle senatorische Praxis darstellen, die Funktion der Meinungsumfrage für die Entscheidungsfindung in ihrer symbolischen Dimension. Charakteristisch ist, dass selbst die zugrunde gelegten Normvorstellungen offensichtlich 256 magno adsensu celebrata sententia. non tamen senatus consultum perfici potuit abnuentibus consulibus ea de re relatum (Tac. ann. 15,22,1).

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nicht in der Lage waren, Deutungssicherheit über die existierenden Formen herzustellen – zumal je nach Gewichtung entweder konsensuale Aspekte257 oder die Austragung von Dissens258 in den Vordergrund rückten, die in einem latenten Spannungsverhältnis zueinander standen. Vor dem Hintergrund, dass innerhalb der senatorischen Meinungsumfrage eigentlich Konflikte in einem streng formalisierten Rahmen, strukturiert durch die Binnendifferenzierung der Senatsaristokratie, ausgetragen wurden,259 kommt solchen feststellbaren Unsicherheiten über die angemessenen Kommunikationsmechanismen eine besondere Bedeutung zu. Die spezifische Form der Auseinandersetzung lässt vermuten, dass man zunehmend versuchte, der fehlenden Konsensfähigkeit im Rahmen des Senatsverfahrens zu begegnen, von der die Autorität des Gremiums so abhängig war. Dazu würden auch die spezifischen Formen passen, um Entscheidungssituationen vor dem formalisierten Entscheidungsprozess zu antizipieren. Da der senatorische Entscheidungsprozess in der frühen Kaiserzeit ungleich mehr Dissens integrieren musste, als die traditionellen Mechanismen der Entscheidungsfindung auffangen konnten, standen gerade diese kompetitiven Elemente des Verfahrens immer wieder zur Disposition. Die Formen der Zustimmung, die sich in den zeitgenössischen Diskussionen greifen lassen, waren an sich keineswegs neu; neu war, wie regelmäßig sie in der frühen Kaiserzeit offenbar in den Entscheidungsprozess integriert wurden. Das Problem bestand darin, dass die solidarische Handlungsorientierung der Senatoren und das Vertrauen in das Funktionieren des Entscheidungsprozesses unter der Schärfe der in den Senat hineingetragenen Konflikte zwar litten, der senatorische Entscheidungsprozess aber vielen, auf unterschiedlichen Ebenen untrennbar miteinander verbundenen Funktionen gerecht werden musste: sowohl auf instrumenteller Ebene der Herstellung von Entscheidungssicherheit als auch auf symbolischer Ebene der Reproduktion gesellschaftlicher Hierarchien.260 Die einfache Zustimmung möglichst vieler Senatoren, sobald sie bei der Meinungsumfrage an der Reihe waren, kommunizierte primär die Bereitschaft, eine Entscheidung zu finden.261 Gleichzeitig entwertete sie allerdings, so die Befürchtung der Zeitgenossen, die sententia. Die Entwertung bestand auf symbolischer Ebene darin, dass die Zustimmung in ihrer fast schon ritualisierten Gleichförmigkeit die sententia substantiell der Möglichkeit beraubte, die inneraristokratischen Hierarchien im Verfahren auszuhandeln. Der kompetitive Charakter des Senatsverfahrens war auf diese Weise zwangsläufig gefährdet, wenn die ritualisierte Austragung von Dissens zugunsten der grundsätzlichen Entscheidungsfähigkeit in den Hintergrund gedrängt wurde. 257 258 259 260 261

Vgl. z. B. Tac. ann. 15,20,1; Sen. apocol. 9,6. Vgl. z. B. Tac. ann. 3,33 f.; 14,42 ff. Vgl. Kap. 4.1.3. Siehe dazu Kap. 4.1.3. Vgl. zu solchen Zusammenhängen stollBErG-rilinGEr, Verfahren, 11: Auch wenn das Ziel von Debatten nicht Konsens oder Einsicht sein sollte, habe die Leistung gerade darin bestanden, dass sie Kontrahenten erleichterte, das Ergebnis des Verfahrens zu akzeptieren, selbst wenn es inhaltlich nicht der Position entsprach. So habe die geregelte Austragung von Konflikt und Dissens den nicht herstellbaren inhaltlichen Konsens ersetzt und Akzeptanz auch bei missbilligten Entscheidungen gestiftet.

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

Problematisch war das wiederum, weil der senatorische Entscheidungsprozess an die streng hierarchisch organisierte Senatsaristokratie angepasst war, die in der Gleichförmigkeit ihren Wert zu verlieren drohte.262 Da sich solche Problematisierungen senatorischer Kommunikationsmechanismen verdichtet vor allem bei Autoren wie Tacitus und dem jüngeren Plinius finden lassen, könnte man einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem zeitlichen Horizont solcher Veränderungen vermuten.263 Konkreter greifbar werden die Veränderungen ab claudischer Zeit; darauf, dass diese sich forciert wohl in flavischer Zeit vollzogen, deutet ein weiterer Beleg im Panegyricus des jüngeren Plinius, wonach das Senatsverfahren unter Traian in den bekannten Formen wieder hergestellt worden sein soll und Entscheidungen erst nach einer ausführlichen und ergebnisoffenen Meinungsumfrage gefallen sein sollen: iam quam antiquum, quam consulare quod triduum totum senatus sub exemplo patientiae tuae sedit, cum interea nihil praeter consulem ageres! interrogatus censuit quisque quod placuit; ‚licuit‘ dissentire discedere, et copiam iudicii sui rei publicae facere; consulti omnes atque etiam dinumerati sumus vicitque sententia non prima sed melior. at quis antea loqui, quis his­ cere audebat praetor miseros illos qui primi interrogabantur? „Wie sehr entsprach es altrömischer Sitte und konsularischer Würde, daß der Senat drei Tage lang eine Sitzung abhielt, deine Ausdauer als Beispiel vor Augen, während du in dieser Zeit ganz nur als Konsul auftratst! Um seine Meinung befragt, äußerte sich jeder Senator nach Gutdünken; man konnte anderer Ansicht sein, anders abstimmen, dem Staat die Möglichkeit geben, eines jeden Meinung kennenzulernen; wir wurden alle befragt, unsere Stimmen wurden sogar gezählt, und es siegte nicht die Meinung, die als erste geäußert wurde, sondern die beste.

262 Dazu würde auch eine mögliche Neustrukturierung des Innenraums der Kurie durch eine stufenförmige Anordnung der Sitzreihen in flavischer Zeit passen. Selbst wenn eine solche Entwicklung in domitianischer Zeit mit der erstmaligen und umfassenden Restaurierung der Curia Iulia archäologisch nicht nachweisbar und bisher nur über Analogien mit dem Gebäudetypus in den Provinzen erschließbar scheint, könnte man die Datierung einer solcherart strukturierten Sitzordnung mit aller Vorsicht als Reaktion auf Entwicklungen im Senat, die über das Verfahren die Reproduktion von Hierarchien nicht mehr selbstverständlich erscheinen lässt, interpretieren (vgl. dazu Kap. 2.4 / S. 69). Immerhin könnten solche baulichen Maßnahmen dem wachsenden Bedürfnis entgegengekommen sein, die Binnendifferenzierung, die man über die Kommunikationsmechanismen im Rahmen des Entscheidungsfindungsprozesses und über die Zusammensetzung des Senats zum Ende des ersten Jahrhunderts nicht mehr sicher oder selbstverständlich herstellen konnte, auf andere Weise einzuschärfen, indem man sie allen Beteiligten sichtbar vor Augen führte. Allerdings können solche Überlegungen nur Vermutungen bleiben. Ähnliches gilt auch für die Hinweise bei Gellius bzgl. einer möglichen Verunsicherung über die Einordnung der pedarii (Gell. 3,18; dazu taylor/scott, Seating Space, 548 ff.). Sicher dagegen ist auf der Grundlage diverser Untersuchungen, dass sich in flavischer Zeit beispielsweise bzgl. des kaiserlichen Hofes und der salutatio tiefgreifende und nachhaltige Veränderungen greifen lassen: vgl. dazu WintErlinG, Aula Caesaris; GoldBEcK, Salutationes, 264 ff. 263 Bei Cassius Dio, obwohl seine römische Geschichte ähnlich wie Tacitus’ Geschichtswerk angelegt ist, sind solche Bedeutungsverschiebungen entsprechend kaum noch nachvollziehbar. Begründet dürfte das im Wesentlichen in dem grundlegend anderen Erfahrungshorizont am Ende des zweiten / Anfang des dritten Jahrhunderts liegen, vor dem solche Diskussionen entweder als Detailfragen oder, der weiteren Entwicklung und eigenen senatorischen Erfahrung Rechnung tragend, als selbstverständlich erscheinen.

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Früher aber, wer wagte da zu sprechen, wer nur den Mund aufzutun, außer den Ärmsten, die als erste gefragt wurden?“264

Auch hier kontrastiert Plinius schematisch eine schlechte Herrschaft Domitians mit einer guten Traians, die sich durch eine Wiederherstellung alter Verfahrensformen im Senat äußert. Trotz der Topik ist aber erkennbar, dass sich die Veränderungen unter Domitian, auf die Plinius sich bezieht, immer im Rahmen bekannter Verfahrensstrukturen bewegten. Was sich veränderte, waren die Bedeutungszuweisungen an bekannte senatorische Kommunikationsmechanismen, die – zumindest um Entscheidungen erwartbar zu machen – in den etablierten Formen und Sinnzuschreibungen offenbar dysfunktional geworden waren. In solche Zusammenhänge lassen sich Formen der Zustimmung einordnen, die – allerdings auf den ersten Blick im Rahmen bekannter Strukturen – das Verfahren in seiner traditionellen Funktion überformten. Die Unsicherheiten der Zeitgenossen, wie das adsentior einzuordnen und zu bewerten ist, dürften aus dem oben diskutierten Spannungsverhältnis ihre Brisanz bezogen haben. Dass die Kommunikationsmechanismen in der Regel auf die Entscheidung fokussiert waren, erschwert allerdings, den Entscheidungsfindungsprozess von der eigentlichen Entscheidungssituation zu trennen. Die Suche nach dem senatorischen Konsens: discessio und Akklamation Der Befund zur eigentlichen Entscheidungssituation erscheint zunächst vergleichsweise diffus. In der althistorischen Forschung wird es schon länger als bekannt vorausgesetzt, dass im zweiten Jahrhundert vermehrt Akklamationen Eingang in den kaiserzeitlichen Senat fanden, die den Charakter der Sitzungen einschneidend verändert hätten. Traditionelle Formen seien immer weiter in den Hintergrund gedrängt worden.265 Letztlich illustriert das auch die Wortwahl des Plinius im Panegyricus:266 Akklamationen im Senat erscheinen nicht als Novum, sondern als Selbstverständlichkeit; neu erscheint hier nur, dass sie jetzt auch nach außen getragen wurden. Hinweise auf Akklamationen im Senat liefern vor allem die Schriften 264 Plin. paneg. 76 [übers. v. W. KüHn]. 265 So bereits MoMMsEn, StR 3.2, 980: „Wer ohne weitere Ausführung einem gestellten Antrag sich anschliesst (verbo adsentiri), thut dies sitzend. In der späteren Kaiserzeit geht dies stumme Beitreten allmählich in der Acclamation auf.“ Und weiter heißt es: „In der That löst sich in den Senatsbeschlüssen der Kaiserbiographien die Umfrage in eine zweite Acclamation auf. Der Regel nach folgt hier auf die erste Acclamation noch die sententia der Vorstimmenden (so vita Maximini 26: post rogatus sententiam Cuspidius Celerinus haec verba habuit (…) decernimus; ebenso vita Taciti 5; vita Probi 12, auch wohl vita Probi 12). Im Leben Valerians c. 5 stellt der Vorsitzende die Frage an den vorstimmenden Senator, aber statt dass dieser antwortet, omnes una voce dixerunt interrupto more sententiae discendae (…) quae cum essent saepius dicta, addiderunt ,omnes‘ atque ita discessum est.“ (MoMMsEn, StR 3.2, 980 / Anm. 2); HaMMond, Antonine Monarchy, 259 f.; talBErt, Senate, 290–302; zuletzt tiMMEr, Altersgrenzen, 300 / Anm. 96; FlaiG, Mehrheitsentscheidung, 380 f. 266 ante orationes principum tantum eius modi genere monimentorum mandari aeternitati sole­ bant, acclamationes quidem nostrae parietibus curiae claudebantur (Plin. paneg. 75,2).

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

des jüngeren Plinius sowie die Darstellungen von Senatssitzungen seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts (allerdings aus spätantiker Perspektive in der Historia Au­ gusta) und bedingt auch die Briefe Frontos.267 Die Einführung von Akklamationen wurde dementsprechend in der Regel in das zweite Jahrhundert datiert, weil diese dort sicher belegt sind. Darüber, wie Akklamationen Eingang in senatorische Entscheidungsprozesse fanden, ist dagegen deutlich weniger bekannt, und auch ihre Funktion im senatorischen Entscheidungsprozess ist kaum systematisch untersucht worden. Aus der Sicht eines institutionellen Evolutionsprozesses werden solche Entwicklungen des zweiten Jahrhunderts in der Regel von vornherein als Niedergang gewertet. Exemplarisch dafür ist das Urteil M. HaMMonds, der aus den Akklamationen unmittelbar auf die abnehmende Bedeutung von Senatssitzungen schließt.268 Determiniert sind solche Bewertungen von einem Verständnis, demzufolge die frühe Kaiserzeit als Phase der Stabilität und Konservierung einer Monarchie konzeptionalisiert wird. Die Entwicklung wird in hohem Maße von den Einflussmöglichkeiten des Kaisers abhängig gemacht. Erklärbar ist die Entwicklung auf diese Weise aber trotzdem nur ansatzweise, weil sie immer unmittelbar an den Kaiser gebunden ist und die Entwicklung an sich kaum thematisiert wird. An diesem Punkt setzt auch r. talBErt an. Für die Diskussion von Akklamationen konzentriert er sich wegen der dürftigen Quellenlage, mit der man sich bei Fragen nach verfahrenstechnischen Änderungen im Senat konfrontiert sieht, auf zwei Neuerungen:269 Für die kaiserliche oratio lässt sich allgemein beobachten, dass Juristen diese ab dem zweiten Jahrhundert zunehmend als Grundlage für Gesetze anführen, wohingegen dem senatus consultum gleichzeitig dieser Charakter allmählich abhanden zu kommen scheint.270 Unmittelbare Rückschlüsse auf den Charakter der Senatssitzungen vermeidet Talbert jedoch, zumal er betont, dass sich das Phänomen möglicherweise auch aus der problematischen Überlieferungssituation heraus erklären lasse. Ebenso betont er, dass es zu berücksichtigen sei, wie abhängig solche Praktiken von einzelnen Kaisern waren. Entsprechend präsentiere sich auch ein wesentlich komplexeres Bild für den Stellenwert der kaiserlichen oratio nicht nur im Kontext der Senatsdiskussion, sondern auch als unmittelbare Gesetzesgrundlage: „Naturally it is awkward to draw conclusions when our knowledge of the relevant 267 Die Probleme, die sich bei der Nutzung der Historia Augusta als Quelle ergeben, brauchen hier nicht diskutiert zu werden. Zum einen entsprechen die dort erwähnten Akklamationen, selbst wenn sie im Einzelnen fiktiv sind, grundsätzlich trotzdem der spätantiken Praxis (vgl. WiEMEr, Voces populi, 180 f.; B. BaldWin, Acclamations in the Historia Augusta, in: Athenaeum 59 (1981), 138–149; talBErt, Senate, 294); zum anderen ist sie für die hier zu untersuchenden Zusammenhänge als Quelle ohnehin irrelevant. 268 HaMMond, Antonine Monarchy, 259 f.: „The meetings must have become less and less meaningful as business was increasingly introduced by the emperor. In consequence, the voting, which under Trajan was still by actual division and grouping about the proponents of the various sententiae, came more and more during the second century to be simply by unanimous acclaim, acclamatio.“ (Zit. 259). 269 Vgl. talBErt, Senate, 297 ff. 270 Dazu auch Millar, Emperor, 342; dazu roWE, Princes and Political Cultures, 51.

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speeches is so slight; but modern claims about the tone which imperial orationes had adopted by the late second century have perhaps been too sweeping.“271 Als problematisch und letztlich immer hypothetisch bewertet er die Versuche der Forschung, einen grundsätzlichen Wandel im Charakter der Senatssitzungen in hadrianische Zeit zu datieren. Auf der Grundlage, dass die orationes Hadrians, die in den Digesten von den Juristen zitiert werden, die ersten darstellen, die einem Kaiser namentlich zuzuordnen sind, sei das kaum möglich. Darüber hinaus, so Talbert, fehlten Hinweise, die auf einen signifikanten Wandel schließen ließen.272 Die Akklamation als Neuerung bzw. konkreter als Ersatz der Stimmabgaben diskutiert Talbert zwar im Anschluss an die kaiserliche oratio, untersucht aber nicht den unmittelbaren Bezug zueinander – wie er sonst oft angenommen wird. Wenn man außerdem, so Talbert, keine allgemein gehaltene Definition von ,Akklamationen‘ als lautstarkem Ausbruch von Beifall, sondern als das rhythmische Skandieren zugrunde lege, wovon spätantike Quellen zu berichten wissen,273 sei es nur schwer im Detail nachvollziehbar, wann und wie sie in den Verlauf der Senatssitzungen integriert wurden. Die Frage nach den Gründen diskutiert er in diesem Zusammenhang nur ansatzweise. Er weist darauf hin, dass sich zahlreiche Belegstellen für eine solche ritualisierte Ausdrucksform der Zustimmung in Heer und plebs urbana fänden, die als Vorbilder für eine Adaption in senatorische Kommunikationsformen fungiert haben könnten. Ebenso sei zu berücksichtigen, dass Formen der deutlichen Artikulation von Emotionen im Senat ohnehin zum Repertoire eines Senators gehörten und unverzichtbarer Bestandteil der Kommunikation gewesen seien.274 271 Dazu talBErt, Senate, 294–297 mit den entsprechenden Belegen, Zit. 296. 272 talBErt, Senate, 297: „Yet further signs of such a change are absent, and altogether there is no sound basis for the notion, especially when it may be sheer accident that his orationes are the first to be cited.“ Vgl. nach M. Hammond Dig. 5,3,22 (wohl aber nicht als senatus consultum zitiert, mit dem Hinweis auf: Dig. 5,3,20,6 als s. c. Iuventianum). Die Argumentation ist allerdings merkwürdig zirkulär, denn es sei „(…) hard to determine just when, if ever, the oratio was fully substituted for the phraseology of a decree came, as early as the law on the ‚praerogative‘ centuries of 19, to be cited in place of that proper to a lex (…). So far as the jurists are concerned, the reign of Hadrian seems to mark the beginning of the citation of the oratio for the decree (…).“ (HaMMond, Antonine Monarchy, 356 / Anm. 41). Außerdem Millar, Emperor, 342 f. 273 So etwa die Darstellung der Ereignisse, die dem Tod des Commodus unmittelbar gefolgt seien: HA Commod. 18 f.; für weitere Belegstellen siehe H.-u. WiEMEr, Akklamationen im spätrömischen Reich. Zur Typologie und Funktion eines Kommunikationsrituals, in: AKG 86 (2004), 27–73; Ergänzungen und weitere Hinweise in: EBd., Voces populi. Akklamationen als Surrogat politischer Partizipation, in: E. Flaig (Hg.), Genesis und Dynamiken der Mehrheitsentscheidung, München 2013, 173–202, 180–184. 274 Vgl. talBErt, Senate, 298; G. s. aldrEtE, Gestures and Acclamations in Ancient Rome Baltimore 1999, 101–127. Siehe beispielsweise Liv. 29,16,3; 30,21,10; 42,3; Sall. Catil. 48,5; Cic. fam. 10,16,1. Dazu auch ronninG, Herrscherpanegyrik, 52 f.: Das folgt der Logik einer Überzeugung, derzufolge die wahre Natur eines Menschen aus seiner äußeren Erscheinung und seine Überzeugung aus seiner Mimik und Gestik abzuleiten seien (so auch Suet. Nero 37,1; Tac. ann. 16,22,2). Die Glaubwürdigkeit eines Akteurs war damit essentiell an dessen Körper gebunden. Auch in der Rhetoriklehre spiegelte sich dieser innere Zusammenhang wider, wenn darin über die Körpersprache und den Gesichtsausdruck ein Ideal für die Angemessenheit des Verhaltens konstruiert wird (vgl. Plin. paneg. 67,1; 71,6; 75,6).

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4. Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Das kaiserzeitliche Senatsverfahren

Dass in den Quellen schon für die frühe Kaiserzeit lautstarke Bekundungen der Zustimmung erwähnt werden, sieht er als keinen ausreichenden Grund, um von einer Formalisierung solcher Formen auszugehen.275 Ohnehin, so Talbert, ließen sich für die frühe Kaiserzeit nur zwei Erwähnungen bei Sueton als Hinweis auf orchestrierte Akklamationen interpretieren: Im ersten Fall handelt es sich um die Reaktion im Senat auf eine Rede Neros, in der dieser zu dem Aufstand, den Vindex in Gallien initiiert hatte, Stellung bezog. Seine Ankündigung, die Aufständischen zur Rechenschaft zu ziehen, habe schließlich einstimmig entsprechende Beifallsbekundungen provoziert.276 Die zweite Erwähnung bezieht sich auf die Reaktionen der Senatsaristokratie, die der Ermordung Domitians unmittelbar gefolgt sein sollen. Diese hätte im Senat ihrer Erleichterung Ausdruck verliehen, indem sie, bevor sie die damnatio memoriae über den toten Kaiser verhängte, diesen wüst beschimpfte.277 Der Quelle, die hauptsächlich als Beleg für die Einführung von Akklamationen im Senat herangezogen wird, der Panegyricus des Plinius, wiederum steht Talbert grundsätzlich mit einiger Skepsis gegenüber. Schon der devote Tonfall und die rhetorisch stilisierte Form müssten demnach erhebliche Zweifel an dessen Glaubwürdigkeit und Nutzbarkeit für die Frage nach dem Charakter von Senatssitzungen in der frühen Kaiserzeit wecken. Die fehlende sprachliche Differenzierung, die keine genauere Verortung im Entscheidungsfindungsprozess zuließe, untermauere diese Einschätzung zusätzlich. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die erwähnten Akklamationen im Kontext eines Wahltages zu verorten seien, bei dem der Princeps persönlich anwesend war. Aus den Plinius-Briefen lasse sich aber, so Talbert weiter, ein präziseres Bild gewinnen. Doch hier sei es bezeichnend, dass sich zumindest für eine Formalisierung von Akklamationen im Beschlussverfahren keinerlei Beleg finde.278 Insgesamt hält er die Einführung formalisierter Beifallsbekundungen im Verfahren zur Herstellung von Entscheidungen spätestens im Verlauf des zweiten Jahrhunderts aber für plausibel. An seinem abschließenden Urteil, dass diese Entwicklung letztlich hypothetisch bleibe, ändert das aber nichts. Das sei insbesondere daran festzumachen, dass keinerlei Beleg überliefert sei, der Hinweise auf einen formell per acclamationem gefassten Senatsbeschluss liefere.279 Bei den überlieferten Akklamationen habe es sich vielmehr um informelle Kommunikationsfor275 Vgl. Suet. Aug. 58; Tac. ann. 1,8; Tac. ann. 15,22; Tac. hist. 4,43; Plin. epist. 3,4,4; Plin. epist. 4,9,18. Dazu talBErt, Senate, 299: „In none of these cases (…) is there specific indication that the applause was more than informal.“ 276 cum ex oratione eius, qua in Vindicem perorabat, recitaretur in senatu daturos poenas sceler­ atos ac brevi dignum exitum facturos, conclamatum est ab universis: tu facies, Auguste! (Suet. Nero 46). 277 contra senatus adeo laetatus est, ut repleta certatim curia non temperaret, quin mortuum con­ tumeliosissimo atque acerbissimo adclamationum genere laceraret, scalas etiam inferri cli­ peosque et imagines eius coram detrahi et ibidem solo affligi iuberet novissime eradendos ubique titulos abolendamque omnem memoriam decerneret (Suet. Dom. 23). Siehe zur detaillierten Diskussion talBErt, Senate, 298 f. 278 Vgl. talBErt, Senate, 300 f. 279 Im Gegensatz zu formalisierten Senatsentscheidungen per discessionem und per relationem (z. B. CIL 6,930).

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men gehandelt, die, dem Herrscher vorbehalten, dem Gruß oder der Lobpreisung dienten.280 Von Bedeutung sind Argumentation und Deutungsangebote insofern, als sie den Blick auf zentrale Probleme eröffnen. Wenn man den Umgang mit dem Abstimmungsmodus im kaiserzeitlichen Senat in der althistorischen Forschung zusammenfasst, lassen sich folgende Punkte festhalten. Problematisch erscheinen erstens die Quellen. Die Quellenlage ist zum einen äußerst disparat; zum anderen werfen die Quellen im Einzelnen die Frage auf, wie mit dem Befund umzugehen ist. Verbunden damit stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, die Einführung von Akklamationen grundsätzlich an der Belegbarkeit einer tatsächlich nirgendwo überlieferten formelhaften Beschlussfassung ,per acclamationem‘ und einer Formalisierung festzumachen, die sich sprachlich eindeutig greifen lässt. Es müssen also auch die sprachlichen Differenzierungen in den Quellen grundsätzlich berücksichtigt werden. Gleichzeitig erschwert das die Suche nach relevanten Situationen, um diese als solche zu identifizieren. Eine fest umrissene Terminologie für neue Formen der Abstimmung innerhalb des senatorischen Entscheidungsfindungsprozesses lässt sich für die frühe Kaiserzeit nicht voraussetzen. Auf der Grundlage des bereits diskutierten Befundes ist es plausibler anzunehmen, dass diese Formen weniger Voraussetzung als Begleiterscheinung eines allmählichen Transformationsprozesses war, in dem sich neue Praktiken – aber nicht zwangsläufig zeitgleich konkrete Bezeichnungen – ausdifferenzierten. Sinnvoller erscheint es daher, den Fokus allgemeiner und ergebnisoffener darauf zu legen, was sich als (neue) Praxis zur Herbeiführung einer Entscheidungssituation interpretieren lässt. Auf dieser Grundlage lässt sich dann diskutieren, inwieweit neue Formen der Entscheidungsfindung in alltägliches senatorisches Entscheidungshandeln integriert wurden. Dazu gehört auch, die Kommunikationsmechanismen nicht nur in den größeren Zusammenhang des Entscheidungsfindungsprozesses, sondern auch in die spezifischen historischen Bedingungen einzuordnen.281 Darüber hinaus stellt sich zweitens die Frage nach den Deutungsmöglichkeiten. Sowohl die Datierung(sversuche) als auch die Interpretationen einer institutionellen Entwicklung als Verfallsprozess282 sind wesentlich von einem spezifischen, aber selten explizierten Verständnis von der frühen Kaiserzeit geprägt, das als Deutungsmuster grundsätzlich schon in den zeitgenössischen Quellen angelegt ist. Obwohl talBErt nach dem Charakter des Senatsverfahrens in der Kaiserzeit fragt und obwohl er, wie oben gezeigt, Ansätze vorstellt, mit Hilfe derer sich das Aufkommen von Akklamationen im Senat konkreter einordnen ließe, diskutiert er nur ansatzweise, welche Funktion Akklamationen innerhalb des senatorischen Verfahrens zukam. Entsprechend verfolgt er auch nicht systematisch, inwieweit sena280 Vgl. talBErt, Senate, 302. 281 Es wird dann sicher auch darum gehen müssen, Plinius’ Panegyricus als zentrale Referenz in einen größeren Kontext einzuordnen, um die Nutzbarkeit seines Wortgebrauchs überprüfen zu können. 282 Beispielhaft sei hier die Formulierung von o’BriEn MoorE, Senatus, 773, zitiert: „Mit der Abnahme der wirklichen Freiheit und der Bedeutung der S.-Entscheidungen erlitt das Verfahren, durch das die Entscheidungen erlangt wurden, einen ähnlichen Verfall.“

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torische Kommunikationsmechanismen mit der Ausdifferenzierung monarchischer Formen möglicherweise funktional oder dysfunktional geworden waren. Gleiches gilt auch für die Frage nach den Auswirkungen und Bedingungen von Akklamationen. Gleichzeitig bedürfen die Hinweise in den Quellen, die ohne eine Kontextualisierung oft erst einmal diffus bleiben, einer Einordnung, um die Frage nach Charakter und Funktion des senatorischen Entscheidungsfindungsprozesses in der frühen Kaiserzeit neu aufzuwerfen. Dafür gilt es auch, wie Talbert zu Recht anmerkt, die Entscheidungskontexte, die sich in den Quellen für solche Zusammenhänge greifen lassen, einzubeziehen – selbst wenn das bei ihm letztlich in der Untersuchung eine untergeordnete Rolle spielt. Für die Frage nach der Funktionalität von Akklamationen ist es darüber hinaus hilfreich, theoretische Überlegungen zu Entscheidungsfindungsprozessen einzubeziehen. Wie bereits gezeigt, ergaben sich im Verlauf des ersten und dem Beginn des zweiten Jahrhunderts mit den neuen Aufgabenbereichen (v. a. Magistratswahlen, Gerichtstätigkeit) und neuen Akteuren (Kaiser) auch neue Herausforderungen an senatorische Entscheidungsfindungsprozesse. So finden sich gerade in solchen Kontexten zahlreiche Hinweise nicht nur auf Unsicherheiten bei der Entscheidungsfähigkeit, sondern auch auf tiefe Konfliktlinien. Dass etablierte Mechanismen in der frühen Kaiserzeit nicht mehr funktionierten, wurde in verschiedenen Zusammenhängen in den zeitgenössischen Quellen immer wieder problematisiert.283 Damit sind entscheidende Bedingungen für Veränderungen in den Kommunikationsmechanismen oder sogar für Eingriffe in Verfahrensabläufe gegeben. Die Frage ist, ob und wie Akklamationen sich darin einordnen lassen. Konkret bedeutet das: Wie sahen Akklamationen im Senat der frühen Kaiserzeit aus? Wann und wie akklamierte man? Aus theoretischer Perspektive betrachtet ist dafür zunächst zu klären, unter welchen Bedingungen andere Formen der Abstimmung bzw. in diesem Kontext konkreter Akklamationen möglich werden. Theoretisch seien diese – so E. FlaiG – in zwei Situationen möglich: zum einen wenn Sachfragen nicht über das Auszählen der Stimmenmehrheit entschieden werden, zum anderen wenn kein Verhandlungssystem existiert, das darauf ausgelegt ist, den Konsens unter den verhandelnden Akteuren herzustellen. Möglich sei auch der Fall, dass ein Konsenssystem erkennbar versagt. Beschlussfassungen durch Akklamationen ließen sich demzufolge in der Regel nicht bei einfachem Dissens, sondern insbesondere bei tiefen Konfrontationslinien feststellen, die die Handlungsfähigkeit systematisch in Frage zu stellen drohten. Das ist nicht als Widerspruch zur Qualität von Akklamationen zu verstehen, die darin liege, in Form des emphatischen Ausdrucks der eigenen Meinung zunächst einmal die Konfrontation zwischen Ja- und Neinstimmen zu verstärken. Wichtiger werde in solchen Kontexten aber, so Flaig, dass man sich lautstark über eine Entscheidung vergewisserte. Die 283 Für ein geschärftes Problembewusstsein würde prinzipiell sogar schon das Gefühl ausreichen, dass etwas nicht mehr wie gewohnt funktioniert. Für die frühe Kaiserzeit lässt sich allerdings, wie diskutiert, nicht nur ein solches Problembewusstsein finden, sondern auch konkrete Lösungsansätze, die Entscheidungsunsicherheit im senatorischen Entscheidungsfindungsprozess zu beheben (vgl. dazu Kap. 4.2.2).

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Funktionalität des Abstimmungsmodus’ leidet darunter also letztlich nicht.284 Für seine Überlegungen zur Funktionalität eines solchen Abstimmungsmodus’ verwendet Flaig das Beispiel Sparta und die spezifischen, dort beobachtbaren Formen der Akklamation als Vorlage. Sie passen aber zu Untersuchungen von Akklamationen in anderen Kontexten. Die kommunikativen Situationen eint, dass die Akteure gerade wegen der existierenden Konfliktpotentiale unter hohem Druck standen, ihrer Einigkeit Ausdruck zu verleihen. Akklamationen bedienen dieses Bedürfnis, weil sie diese Vergewisserung gegenüber beispielsweise dem Auszählen von Stimmen in intensivierter Form leisten.285 Es bleibt hier zu prüfen, inwiefern Abstimmungen, die durch Akklamationen herbeigeführt wurden, mit Formen zusammenzubringen sind, wie sie oben bereits diskutiert wurden.286 Die Diskussionen über die Angemessenheit unterschiedlicher Formen, im Verlauf der Meinungsumfrage die Zustimmung zu eingebrachten Anträgen zu demonstrieren, haben gezeigt, wie umstritten die senatorischen Diskussionen als solche im Senat geworden waren. In vielen Situationen war es problematisch, überhaupt zu einem Ergebnis zu kommen, welches sich am Ende einer Sitzung als Konsens vermitteln ließ – nicht nur nach außen, sondern auch für diejenigen, die unmittelbar am Entscheidungsprozess beteiligt waren. Dass sich in der frühen Kaiserzeit ein Wandel abzeichnete, in dessen Verlauf die Frage nach dem Sinn und den Grenzen des traditionellen Verfahrens virulent wurde, legen auch die seltenen ausführlicheren Beschreibungen von Senatssitzungen nahe. Wie sich zeigen lässt, betrifft das gerade auch veränderte Formen des senatorischen Entscheidungsprozesses, die zunehmend schwieriger in bekannter Weise einzuordnen waren.287 In einem auf das Jahr 100 datierten Brief berichtet Plinius,288 dass die von einer Gesandtschaft der Provinz Baetica vorgebrachte Bitte, ihn als Rechtsbeistand für eine Anklage ihres Statthalters abzustellen, „lauten Beifall“ (clarissima adsensio) provoziert habe, wie er Beschlüssen üblicherweise vorausgehe (quae solet decreta 284 Vgl. FlaiG, Die spartanische Abstimmung, 140 ff. für einen Versuch, Akklamationen systematisch – ausgehend von der Annahme, dass Verfahren der Beschlussfassung unmittelbar mit den gesellschaftlichen Strukturen verbunden sind – zu erklären. Siehe auch die Überlegungen zur Funktion von Akklamationen bei WiEMEr, Voces populi, 174 f. 285 Vgl. WiEMEr, Voces populi, 174 f.; c. t. KuHn, Emotionality in the Political Culture of the Graeco-Roman East. The Role of Acclamations, in: A. Chaniotis (Hg.), Unveiling Emotions. Sources and Methods for the Study of Emotions in the Greek World, Stuttgart 2012, 295–316, 297 u. 306: „The memorisation of acclamations must then be seen as symptomatic of a fragmentised, competitive elite, whose individual members tried to secure majorities in civic politics and publicly displayed on stone the support they won as a token of their acceptance in society.“ 286 Das ist auch insofern interessant, als vermutet wird, dass die Praxis von Akklamationen, wie sie sich ab dem zweiten Jahrhundert verstärkt nicht nur in Rom nachweisen lässt, aus dem römischen Senat übernommen wurde (vgl. KuHn, Emotionality, 297 / Anm. 7). 287 Die hier vorgenommene Trennung ist in dieser Hinsicht der Darstellbarkeit und der bis ins erste Jahrhundert nachvollziehbaren Trennung im Verfahrensablauf geschuldet. 288 Vgl. sHErWin-WHitE, Letters of Pliny, 213. Demnach bezieht sich der Brief auf Ereignisse aus der Zeit zwischen Oktober und November 99 und ist entsprechend auf die Zeit nach Januar 100 zu datieren.

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praecurrere).289 Wichtig ist hier, dass mit dem Wort adsensio eindeutig eine Entscheidungssituation markiert wird. Die Entscheidungssituation liefert außerdem keine Anhaltspunkte für eventuell relevante Meinungsverschiedenheiten. Vielmehr bildet sie Einvernehmen ab, welchem durch lautstarke Beifallsbekundungen Ausdruck verliehen wird. Sowohl im Panegyricus als auch in den Briefen benennt Plinius solche Formen, die Zustimmung auszudrücken, dezidiert nicht als neu und außergewöhnlich. Sie erscheinen vielmehr als Formen, die im Senat regelmäßig praktiziert werden (ille senatorius adsensus audiebatur). Die Ausrufe, die Plinius erwähnt, liefern nur Hinweise auf die Formen. Das tanto maior, tanto augustior verweist darauf, dass diese in ihrer Formelhaftigkeit ritualisiert waren, obwohl durch das Skandieren und die Steigerungsformen die spontane Begeisterung in den Vordergrund rückt.290 Mit Blick auf die kommunikative Situation eines Wahltages im Panegyricus stellt sich die Frage, inwieweit aus dem Befund auf eine allgemeine Praxis im Rahmen des senatorischen Entscheidungsprozesses geschlossen werden kann. Einen Hinweis könnte die verwendete Terminologie liefern. Plinius setzt adsentire und acclamationes in enge Beziehung zueinander, wenn er zwar sprachlich zwischen den beiden Begriffen unterscheidet, sie aber derselben Situation zuordnet. Als konkrete Abstimmungspraxis lassen sich Akklamationen innerhalb des senatorischen Entscheidungsprozesses nur schwer lokalisieren oder überhaupt greifen, zumal im empirischen Befund die Grenzen zwischen Meinungsfindung und der eigentlichen Entscheidungssituation oft unscharf sind. Der Befund entspricht damit erst einmal der kaiserzeitlichen Kritik, wie sie insbesondere in unmittelbar zeitgenössischen oder zeitnah entstandenen Quellen geäußert wird.291 Informationen über die Praxis von Akklamationen sind damit nicht besonders konkret. Das gilt insbesondere für die Verortung innerhalb des Entscheidungsprozesses, die Rückschlüsse auf deren Funktion zuließe. In den Plinius-Briefen stehen die Formen von zustimmenden Zurufen weniger im Mittelpunkt. Sie vermitteln aber eine andere Perspektive auf die senatorische Praxis und damit auch auf die Funktion. Die Emotionalität, die im Pa­ negyricus für die Situation charakteristisch ist, ist als Reaktion auf einzelne Redebeiträge auch hier zentral. Vor allem aber gewinnt man konkretere Einblicke in die senatorische Praxis, weil sich die Formen, die Plinius in anderen Entscheidungskontexten schildert, hier genauer in den Entscheidungsprozess einordnen lassen. 289 Plin. epist. 3,4,4. 290 Vgl. Plin. paneg. 71,1. Zum Panegyricus siehe u. a. connolly, Fear and Freedom; s. BartscH, Actors in the Audience. Theatricality and Doublespeak from Nero to Hadrian, Cambridge/ London 1994; G. sEElEntaG, Taten und Tugenden Traians. Herrschaftsdarstellung im Principat, Stuttgart 2004, 214–298. Allerdings diskutieren diese, bedingt durch andere Fragestellungen, die Bedeutung der Schrift für Fragen an senatorische Entscheidungsprozesse als solche nicht oder nur implizit. Anders ist es mit der Analyse C. Ronnings (ronninG, Herrscherpanegyrik, bes. 63 ff.), der sich den erwähnten Akklamationen zwar genauer widmet, diese allerdings nicht systematisch in den Kontext senatorischer Entscheidungsprozesse einordnet, sondern vielmehr als selbstverständlich voraussetzt. 291 Das könnte aber auch dem Umstand geschuldet sein, dass die entsprechenden Kenntnisse vom Autor beim Adressaten als bekannt vorausgesetzt wurden.

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In jener Sitzung, in der das Verhalten der nicht namentlich genannten Ankläger im Fall des Helvidius Priscus wieder aufgerollt wurde, berichtet Plinius, wie sein Antrag lautstarke Zustimmung hervorrief. Allerdings brachte er diesen, wie bereits diskutiert, nicht, wie es im Verfahren sonst üblich war, während der Meinungsumfrage vor, sondern noch bevor diese überhaupt mit der relatio eröffnet worden war. Dass ein solches Vorgehen offenbar nicht ungewöhnlich war, ist bereits diskutiert worden; interessant ist hier vor allem, wie die Reaktionen ausfielen und wie der weitere Entscheidungsfindungsprozess ablief – zumal Plinius in dem Brief den gesamten Verlauf der Sitzung schildert: Zunächst einmal provozierte Plinius mit seinem Anliegen nicht nur begeisterte Zustimmung, sondern auch Kritik statt eines Beschlusses, der der von Plinius berichteten großen Zustimmung entsprochen hätte.292 Tatsächlich bringt seine Ansprache den Fall nicht direkt zum Abschluss, sondern stößt erst eine längere Meinungsbefragung unter den anwesenden Senatoren an. Erst danach kam es zur discessio – allerdings so, wie es schon die ersten spontanen Reaktionen hatten vermuten lassen.293 Auffällig sind mehrere Punkte: Erstens hat die Form, in der Zustimmung geäußert wird, einen völlig anderen Charakter als die sonst oft kritisierte knappe affirmative Praxis. Zweitens stellt Plinius die zustimmenden Rufe in den Vordergrund seiner Darstellung, zumal diese auch der späteren Entscheidung entsprachen. Er berichtet aber daneben auch von heftigen Protesten anderer Senatoren. Diese Proteste scheinen sich daran entzündet zu haben, dass die Angelegenheit nicht mit den hochrangigen Senatoren abgesprochen war und damit übliche Mechanismen umgangen wurden.294 Die Proteste scheinen sich aber auch daran entzündet zu haben, dass der vorgebrachte Fall an sich als heikel angesehen wurde. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Kritik am Ablauf des Entscheidungsprozesses letztlich auf die Meinungsverschiedenheiten auf der inhaltlichen Ebene zurückzuführen ist. Dass die Anwesenden sehr unterschiedlicher Meinung waren, ist in Plinius’ Schilderung aber deutlich erkennbar. Die Reaktionen weisen also auf ausgeprägte Konfliktlinien hin und der weitere Verlauf der Sitzung bestätigt dieses Bild. Entsprechend ersetzen die zustimmenden Rufe drittens nicht die discessio, weshalb die Formen auch sprachlich von der Entscheidungssituation im Rahmen des Verfahrens abgegrenzt werden. Trotzdem entsprach die Entscheidung am Ende den zustimmenden Rufen. Vor allem aber wurde die Entscheidung weitgehend einstimmig getroffen. Laut Plinius blieb nach der Entscheidung nur ein Senator allein zurück.295 Selbst wenn in 292 293 294 295

Plin. epist. 9,13,7 f. Vgl. Plin. epist. 9,13,20. Zur Meinungsbefragung siehe Plin. epist. 9,13,13 ff. Siehe dazu Kap. 4.2.2 / S. 208–212. Explizit sagt Plinius das nicht, mehrere Formulierungen legen aber nahe, dass genau das dargestellt werden sollte: Erstens berichtet Plinius, dass, als er seine Position im Rahmen der Meinungsumfrage wiederholte, diese selbst von denjenigen, die vorher ihren Unmut geäußert hatten, mit lautem Beifall quittiert wurde (quibus clamoribus omnia exceperint, qui modo recla­ mabant [9,13,18]). Er spricht in diesem Zusammenhang von einem Stimmungsumschwung (conversio [9,13,18]), den er auf die Bedeutung des Falls (oder seine Rede) zurückführt. Zweitens gibt es Anzeichen dafür, dass nicht alle Anwesenden mit Plinius einer Meinung waren. Allerdings geht, als der einflussreiche Consular Fabricius Veiento einen anderen Vorschlag einbringen will, dieser unter den zahlreichen Rufen unter (nemo partitur; obturbatur, obstrepi­

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diesem Fall die Entscheidungsfindung nicht genau dem Muster folgte, weil die Äußerung erst einmal dazu diente, eine Entscheidungssituation zu forcieren, weist die konkrete Entscheidungssituation selber Parallelen zu Sitzungen auf, in denen die Meinungsumfrage vermehrt in eine Zustimmung zur prima sententia umgeformt wurde und die anschließende discessio einstimmig erfolgte. Auffällig sind auch hier die Entscheidungskontexte: Wenn es darum geht, dem Princeps oder Angehörigen der kaiserlichen Familie besondere Ehrungen zu verleihen, ist eine solche affirmative Praxis erwartbar. Hier sind es aber vor allem Situationen, in denen sich besonders scharfe Konflikte erkennen lassen. Oft sind es eben nicht nur solche Edikte, für die sich ein Konsens in der Regel problemlos herstellen ließ, sondern gerade auch Sitzungen, in denen der Senat Wahlen abhielt, als Gericht tagte oder sich mit Fragen beschäftigte, die mit der Gerichtstätigkeit des Senats verbunden waren, in denen sich diese spezifische Praxis findet. Das wiederum lässt Rückschlüsse auf die Funktion einer solchen affirmativen Praxis zu, zumal – auch wenn das erst einmal nur für eine ausdifferenzierte Akklamationspraxis angenommen wurde – diese eine Reaktion auf besonders ausgeprägte Konfliktlinien darstellt. In diesem Fall erscheint es plausibel, die scharfen Konflikte, das erweiterte Aufgabenspektrum des Gremiums und neue Formen, im Senat Zustimmung zu signalisieren, in einem unmittelbaren Zusammenhang zu sehen. Insofern erscheint die Veränderung in der Praxis und den Abläufen der Entscheidungsfindung aus den veränderten Rahmenbedingungen zumindest erklärbar und plausibel, selbst wenn sich die Entwicklung im Detail nicht rekonstruieren und entsprechend auch nicht konkret datieren lässt. Dass die Ausdifferenzierung einer Akklamationspraxis aus anderen kommunikativen Situationen wie dem Theater übernommen wurde, was allein durch die zeitliche Nähe oft vermutet wurde, ist damit als Erklärung nicht hinfällig, sondern wird um eine zusätzliche Dimension erweitert.296 Dass man bei den Wahlen mit unterschiedlichen Formen der Entscheitur [Plin. epist. 9,13,19]). Drittens berichtet Plinius davon, dass ihm, nachdem die Sitzung für beendet erklärt worden war, fast alle gratuliert hätten (non fere quisquam in senatu fuit, qui non me complecteretur [Plin. epist. 9,13,21]). 296 Zum Zusammenhang zwischen einer Akklamationspraxis, die auch für den griechischsprachigen Osten ab dem 2. Jh. verstärkt dokumentiert ist und dort formalisierte Entscheidungsprozesse überformte, und den Formen der Kommunikation im Theater: „And even if political speakers were not professional sophists at the same time, they usually had received their rhetorical training from sophists – an education that was meticulous about the art of theatrical delivery and dramatisation. Against this background, it is not surprising that elements which were typical of sophistic performances were gradually taken over into political speech.“ (KuHn, Emotionality, 303). „The following examples refer to occasions on which they appeared in the Roman courts, but we may with good reason assume that the same forms of ‚theatrical‘ persuasion were mutatis mutandis employed by them when they were active in the civic institutions. (…) Regardless of their trustworthiness, these anecdotes [vgl. Philostrat, Lives of the Sophists 512] reveal the significance that was attached to dramatic self-styling by many politicians. (…) Plutarch’s criticism [vgl. Plut. mor. (An seni respublica gerenda sit) 796F] indicates that people had come to experience the management of political matters in the civic political arenas as a performance and a spectacle; consequently, they demanded from the protagonstis of public life to meet their expectations.“ (KuHn, Emotionality, 304). Dazu auch J. connolly, Reclaiming the Theatrical in the Second Sophistic, in: Helios 28 (2001), 75–96.

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dungsfindung experimentierte, ist bereits gezeigt worden. Die Konflikte, die in einem Gremium wie dem Senat bei der ohnehin scharfen Konkurrenz forciert und vor allem verstetigt wurden, machten das notwendig oder überhaupt möglich. Die Formen waren hier integrierbar, selbst wenn – und daran entzündete sich die zeitgenössische Kritik letztlich – diese neu und offensichtlich nicht oder nur schwer mit bekannten Formen der Entscheidungsfindungsfindung begründbar waren. Akklamationen, selbst wenn sich diese Praxis im Verlauf des ersten Jahrhunderts erst ausdifferenzierte, waren immerhin deutlich näher an der im ersten Jahrhundert belegbaren Form, Entscheidungen durch einstimmigen Beschluss herbeizuführen. In beiden Fällen geht es nicht darum, die Stimmen auszuzählen, sondern Einigkeit zu demonstrieren – und zwar mit Nachdruck, auch um potentiell vorhandene Spannungen auszublenden, die durch die etablierten Verfahrensabläufe nicht aufgefangen werden konnten.297 Wenn man eine solche Entwicklung annimmt, die auf der Grundlage des Befundes plausibel erscheint, ist es naheliegend, dass eine Akklamationspraxis hier wohl in der Regel nicht die Aufforderung des Vorsitzenden ersetzte, eine Entscheidung durch Auseinandertreten (wie es für die republikanische Zeit angenommen wird) herbeizuführen. Auch Akklamationen erfüllten zwar die Funktion, eine Entscheidung herbeizuführen; hier stand aber im Vordergrund, Einigkeit zu demonstrieren und durch die Rufe unmittelbar erfahrbar zu machen. Dasselbe ist auch für die Entwicklung, Beschlüsse vermehrt durch die einstimmige discessio zu fassen, wahrscheinlich. Wenn man die Dynamik berücksichtigt, die sich in einer Sitzung offenbar häufig entwickelte, kam der ersten Äußerung eine entscheidende Rolle zu, weil durch die Zurufe andere Vorlagen nicht mehr notwendig erscheinen mussten oder überhaupt möglich waren. In dem tatsächlichen Auseinandertreten in der dis­ cessio, wie sie auch in Plinius’ Zeit noch praktiziert wurde, tauchen solche abweichenden Meinungen dann auch nicht mehr auf.298 An der im Panegyricus geschilderten Akklamationspraxis ist auffällig, dass Plinius die Form, Zustimmung zu signalisieren, als ,gut‘ bewertet, weil man sich auf diese Weise eines breiten Konsenses vergewissern kann. Er gesteht dieser also eine Funktionalität zu, die auch in anderen Kontexten erkennbar war, die damit aber, wie gezeigt, nicht in allen Quellen automatisch als wünschenswert qualifiziert wurde. Möglich wird die Deutung bei Plinius auch, weil er die emotionale Qualität, die als Gradmesser für die Überzeugungskraft der zustimmenden Rufe dient, an das Bild des ,guten Princeps‘ Traian bindet. Gerade wenn der Herrscher senatorische Praktiken adaptiert, macht er diese akzeptabel, weil sie damit nicht mehr ausschließlich als Zeichen eines unüberbrückbaren Gefälles zwischen Kai297 Vgl. WiEMEr, Akklamationen, 175 zu solchen Mechanismen – auch unabhängig von der dort untersuchten spätantiken Praxis. In ein solches Bild fügt sich insbesondere auch die bei roWE, Princes and Political Cultures, 41–66 untersuchte Praxis des kaiserzeitlichen Senats, für den Kaiser und die kaiserliche Familie Ehrungen zu beschließen. Den senatorischen Alltag prägte diese Praxis – gerade auch mit Blick auf die inschriftlichen Veröffentlichungen von Senatsbeschlüssen – zu einem nicht unerheblichen Teil mit. 298 Eine Abstimmung mit „nein“ im Sinne eines Abstimmens für eine andere Position wird damit hinfällig.

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ser und Senat interpretierbar sind. Einer umstrittenen Praxis verleiht er auf diese Weise durch das verum jene Würde, die ihr in anderem Kontext und vor allem in früheren Quellen abgesprochen wird.299 Für eine dauerhafte Etablierung als Kommunikationsmechanismus im Senat ist das letztlich unverzichtbar.300 Plinius spitzt das im Panegyricus in einer anderen Formulierung zu: ante orationes principum tantum eius modi genere monimentorum mandari aeternitati sole­ bant, acclamationes quidem nostrae parietibus curiae claudebantur. erant enim quibus nec senatus gloriari nec principes possent. „Früher pflegte man nur die Reden der Principes in solchen Dokumenten für alle Zeiten aufzubewahren, unsere Beifallsrufe dagegen drangen nicht über die Mauern der Kurie hinaus. Waren sie ja auch so, daß weder der Senat noch der Princeps stolz darauf sein konnten.“301

Damit werden solche ritualisierten Formen, Zustimmung zu bekunden, zur „ewigen Erinnerung“ (ne qua interciperet oblivio) in das Repertoire senatorischer Kommunikationsformen langfristig – auch von der konkreten Herrschaft eines ,guten‘ Princeps gelöst – integrierbar. Integrierbar werden sie vor allem, weil sie auf diese Weise – in dem Bewusstsein, auf neue Anforderungen an senatorische Entscheidungsfindungsprozesse reagieren zu müssen – mit senatorischen Ansprüchen, die selten explizit artikuliert werden, in Einklang zu bringen sind. Die Diskussionen um die Aufrichtigkeit und die Lesarten dieser Formen beziehen sich auf diesen Konflikt.302 Aber die konsequenten moralischen Kategorisierungen stellen, wie gezeigt, ohnehin kein Alleinstellungsmerkmal des Panegyricus dar, vielmehr knüpft Plinius an bekannte kaiserzeitliche Deutungsschemata an.

299 Dabei bleibt es immer zu beachten, dass in der kaiserzeitlichen Historiographie den unterschiedlichen zeitlichen Dimensionen Rechnung zu tragen ist und diese nicht immer klar zuzuordnen sind (vgl. zu dem Problem Kap. 2.2 und 3.2). 300 So auch Plin. paneg. 73,4: comprabasti et ipse acclamationum nostrarum fidem lacrimarum tuarum veritate. 301 Plin. paneg. 75,2 [übers. v. W. KüHn]. 302 Komprimiert ebenfalls im Panegyricus: has vero et in vulgus exire et posteris prodi cum ex utilitate tum ex dignitate publica fuit, primum ut orbis terrarum pietatis nostrae adhiberetur testis et conscius, deinde ut manifestum esset audere nos de bonis malisque principibus non tantum post ipsos iudicare, postremo ut experimento cognosceretur et ante nos gratos, sed miseros fuisse, quibus esse nos gratos probare antea non licuit (Plin. paneg. 75,3).

5. FAZIT Die Frage von Piso an Tiberius, an welcher Stelle Tiberius stimmen wolle, damit die Senatoren – hier namentlich Piso – wissen, wie sie sich bei der Meinungsumfrage verhalten sollen, verdeutlicht, wie kaiserzeitliche Historiographen den Senat als Gremium insgesamt charakterisieren: Der senatorische Entscheidungsprozess, so das Bild, ist zunehmend auf den Kaiser fokussiert. Wenn der Kaiser anwesend ist, folgt die Verfahrenspraxis also den Regeln hierarchischer Steuerung. Tacitus lässt Piso diese Erkenntnis mit seiner Anfrage deutlich formulieren. Dahinter lässt sich aber auch ein anderes Bild erkennen, das mit den prägenden Narrativen trotzdem vereinbar bleibt: Der Senat der frühen Kaiserzeit ist ein aktives Gremium, dessen Aufgabenbereiche seit augusteischer Zeit sukzessive, aber umfangreich erweitert wurden. Den republikanischen Senat zum Ausgangspunkt für die Analyse zu machen, ist in zweierlei Hinsicht sinnvoll. Zum einen hat der Blick auf die Formen des senatorischen Entscheidungsprozesses zunächst ein hohes Maß an Kontinuität gegenüber dem aus republikanischer Zeit bekannten Verfahren gezeigt. Es ist gezeigt worden, dass das allerdings nur eine Seite des Befundes ist. Ebenso lassen sich in der Praxis signifikante Veränderungen feststellen; mit dem Kaiser gab es einen neuen Akteur, der in den senatorischen Entscheidungsfindungsprozess integriert werden musste. Zum anderen ist gezeigt worden, wie präsent das republikanische Verfahren auch in den kaiserzeitlichen Diskussionen war, wenn es in bestimmten Situationen zum zentralen Bezugspunkt wird, um über die Spezifika der eigenen Praxis zu reflektieren. Die Veränderungen im Entscheidungsprozess, soweit diese in den Quellen nachvollziehbar sind, zeigen, dass es zunehmend wichtig erschien, Einigkeit bereits vor der eigentlichen Entscheidungssituation nicht nur abzubilden, sondern auch für die Akteure direkt erlebbar zu machen. Bei solchen Formen zur Herstellung der Entscheidungsfähigkeit und Entscheidungssicherheit stand die instrumentelle Dimension des senatorischen Verfahrens unweigerlich im Vordergrund. Gleichzeitig wurden mit solchen Umformungen des Entscheidungsprozesses andere Funktionen des Verfahrens zunehmend eingeebnet. Dass auf diese Weise gesellschaftliche Hierarchien, die im Verlauf des Entscheidungsfindungsprozesses nicht nur manifestiert, sondern auch reproduziert wurden, zunehmend schwieriger darstellbar waren, findet sich in den zeitgenössischen Quellen immer wieder problematisiert: Auf moralischer Ebene wird darin der Sinn eines Verfahrens zur Disposition gestellt, in welchem für Auseinandersetzungen, die im Rahmen der Meinungsumfrage formalisiert waren und auf symbolischer Ebene der Darstellung und Aushandlung inneraristokratischer Hierarchien dienten, nur noch wenig Raum blieb. Entsprechend dominieren in den kaiserzeitlichen Quellen Darstellungen, die erkennen lassen, dass instrumentelle und symbolische Dimensionen des Senatsverfahrens nicht mehr selbstverständlich miteinander verknüpfbar waren und nicht mehr selbstver-

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5. Fazit

ständlich in unmittelbarer Beziehung zueinander standen. Im Vordergrund stand vielmehr eindeutig, überhaupt die Sicherheit über die Entscheidungsfähigkeit herzustellen, die den Dissens, der in den Entscheidungsprozess hineingetragen worden war und die im Rahmen des Verfahrens etablierten senatorischen Kommunikationsmechanismen zu überfordern drohte, in neuen Formen aufzulösen versuchte. In solche Zusammenhänge lässt sich auch die Lex Iulia de senatu habendo aus augusteischer Zeit einordnen. Das Senatsverfahren in Gesetzesform zu fixieren, wirft die Frage nach der Kontinuität unter den neuen Bedingungen auf. Obwohl diese nicht als zusammenhängendes Dokument überliefert ist, kann man in den kaiserzeitlichen Quellen zum einen die Bedeutung erkennen, die den Regelungen weit über die augusteische Zeit hinaus beigemessen wurde; zum anderen lassen sich selbst aus den nur lückenhaft überlieferten Inhalten tiefe Konfrontationslinien innerhalb der Senatsaristokratie erkennen, die in den senatorischen Entscheidungsfindungsprozess hineingetragen wurden. Auch wenn die umfangreichen Regelungen der Anwesenheit an sich durchaus ambivalent waren und nicht nur auf strukturelle Probleme reagierten, sondern zugleich potentiell neue schufen, illustrieren die gesetzlichen Regelungen den Handlungsbedarf, den man offensichtlich hinsichtlich der Entscheidungsfähigkeit des Gremiums sah. Fragt man nach den Gründen für solche Veränderungen, die – anders als bei den Wahlen und der Gerichtstätigkeit – nach außen zunächst nicht als solche erkennbar waren, stößt man in den Quellen zunächst auf ein eher diffuses und auf moralischer Ebene verortetes Unbehagen ob der spürbaren Veränderungen. Auch die Zweifel, die in verschiedenen Kontexten an der politischen Routine immer wieder geäußert wurden, lassen sich in solche Zusammenhänge einordnen. Als entscheidend für die Veränderungen erwiesen sich jedoch vor allem die neuen Kompetenzen, die der Senat in augusteischer und tiberischer Zeit mit der Gerichtsbarkeit und den Magistratswahlen übertragen bekam. Problematisch war daran, dass sich damit der inneraristokratische Wettbewerb in den Senat verlagerte, was die Entscheidungsfindung erschwerte, weil die Kommunikationsmechanismen für solche tiefen Konfliktlinien dauerhaft nicht ausgelegt waren. Daher war auch im Rahmen des Senatsverfahrens kein Raum für eine institutionalisierte Opposition vorgesehen; aber auch Formen, die senatorischen Kommunikationsmechanismen zuwiderliefen, waren langfristig weder vorgesehen noch integrierbar. Solche Probleme sind deutlich im Kontext der senatorischen Gerichtsbarkeit und der Magistratswahlen erkennbar. Diese Neuerungen bewegten sich – wie auch in der gesetzlichen Fixierung der senatorischen Verfahrensabläufe erkennbar – im Spannungsfeld zwischen der Stabilisierung als Reaktion auf strukturelle Probleme und der Destabilisierung durch langfristige Auswirkungen auf die Kommunikationsmechanismen innerhalb der Senatsaristokratie, die sich im Rahmen des Entscheidungsfindungsprozesses verdichteten. In solchen Kontexten ließ sich nicht nur erkennen, dass ein erhebliches Maß an Verunsicherung über die Entscheidungsfähigkeit des Senats und die Kommunikationsformen herrschte, sondern auch, dass man zunehmend versuchte, diesen Problemen zu begegnen. An der Diskussion um die Einführung der geheimen Wahl lässt sich auch nachzeichnen, wie umstrittene Neuerungen in die senatorischen Verfahrensstrukturen,

5. Fazit

233

die auf die grundsätzliche Entscheidungsfähigkeit des Senats abzielten, integriert wurden, wenn in diesem Kontext keine Vorbilder unmittelbar verfügbar waren. In dieser Situation an Diskussionen aus republikanischer Zeit anzuknüpfen, die konkrete Deutungsangebote für ein solches Verfahren – wenngleich vor einem grundlegend anderen Hintergrund – bereitstellten, verweist sowohl auf die verschiedenen Sinngebungshorizonte des Verfahrens als auch auf die spezifischen strukturellen Probleme des kaiserzeitlichen Senats im ersten Jahrhundert. Unklar bleibt allerdings, ob die Formen in traianischer Zeit eine Rückkehr zu Formen darstellte, die vor Domitian üblich waren oder ob sie nicht eher eine Ausnahme darstellen. Mit den Schriften von Plinius ist die senatorische Praxis in traianischer Zeit im Gegensatz zu den Flaviern gut dokumentiert, eine konkretere Einordnung und Bewertung der Formen, die Plinius schildert, bleibt damit aber schwierig. Die Republik in der Form als Bezugssystem verfügbar zu machen, wie es sich auch über die kaiserzeitliche Diskussion um geheime Wahlen und die Majestätsprozesse hinaus nachvollziehen lässt, illustriert trotzdem eindrucksvoll die Suche nach Deutungsangeboten für eine senatorische Praxis, die zunehmend davon geprägt war, dass sich die etablierten Formen der Entscheidungsfindung als dysfunktional insofern erwiesen, als die unterschiedlichen Dimensionen des Verfahrens in sich ausdifferenzierenden monarchischen Strukturen nicht mehr korrelierten. Zumindest insofern sind die Formen, die Plinius schildert, sicher keine Ausnahme. Die Orientierung an aus der Vergangenheit bekannten Deutungsangeboten zeigt, wie grundlegend die Veränderungen waren, die sich im Verlauf des ersten Jahrhunderts abzeichneten. Gleichzeitig lässt sich aber auch beobachten, dass die Überformung des senatorischen Entscheidungsprozesses durch Akklamationen mit der Verunsicherung über die grundsätzliche Entscheidungsfähigkeit zunehmend anschlussfähig wurde und solche Formen vor allem über die Ausdifferenzierung von Bewertungsmaßstäben für die kaiserliche Herrschaft auch integrierbar waren.

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REGISTER QUELLEN (IN AUSWAHL) Augustus R. Gest. div. Aug. 8: 191 (Anm. 158) Aelius Aristides or. 19,13: 186 (Anm. 140) Asconius Corn. 57C: 187 Corn. 58C 3–13: 187 Cassius Dio 52,20,2 f.: 189, 132 52,32,3: 112 54,10,5: 66 54,35,1: 184, 185 55,3,1 f.: 181, 184 57,7,3 f.: 170, 171 59,8,6: 169 60,11,8: 195 60,16,7: 116 (Anm. 151) 62,15,2: 92 64,7,2: 95, 96 65,12,1f.: 100 Cicero leg. 3,33–35: 144, 145 Epiktet 1,2,19–21: 96, 101, 157 Gellius (Varro) 14,7,7: 155 14,7,9: 155 f., 159, 165, 174 Horaz carm. saec. 17–24: 12, 191 (Anm. 159) Iosephus ant. Iud. 19,249: 186 (Anm. 138) Martial 1,8: 118 Ovid ars 3,113–120: 55

Plinius (minor) epist. 2,11: 167 f., 172, 173, 176, 177, 186 epist. 2,12,5: 175 epist. 3,4,4: 149 f., 225 f. epist. 3,7,9: 133 (Anm. 221) epist. 3,20: 141–144 epist. 4,25: 143, 148 epist. 6,13,4 f.: 186 epist. 8,14: 173, 181 (Anm. 120), 198, 199, 204, 205 epist. 8,23: 203 epist. 9,13: 70 (Anm. 209), 173–175, 208, 227, 228 paneg. 3,4: 80, 225 f. paneg. 75,2 f.: 219 f., 230 paneg. 76: 214 f., 218 f. Seneca (minor) apocol. 9: 161, 162, 168, 175 benef. 2,28,1: 133 benef. 3,26: 105, 113 const. sap. 2,2: 137 epist. 1,8,6: 135 epist. 20,118,1–5: 136 epist. 120,1: 82 ir. 2,23: 78 (Anm. 13) tranq. 14,4–6: 116 (Anm. 151) vit. beat. 2: 159 Sueton Aug. 35,3: 182 Aug. 38,2: 199 Aug. 54: 158, 165 Aug. 89,2: 197, 63 Tib. 31: 194, 67 (Anm. 197), 156 (Anm. 17), 170 (Anm. 81), 176 Cal. 16,2: 140 (Anm. 249) Nero 37,1: 90, 92 Nero 46: 222 Dom. 10,3: 88 (Anm. 47), 215 Dom. 23: 222 Tacitus Agr. 42,4: 119 ann. 1,15,1: 125

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Register

ann. 1,74,1–3: 119 ann. 1,75,1: 68 ann. 1,81: 133, 135 ann. 2,31 f.: 117 ann. 2,36: 136 ann. 2,51: 136 ann. 3,51,1f.: 109 ann. 3,53,3: 171 ann. 6,12,1 f.: 159, 174 ann. 6,29,1: 116 ann. 11,6 f.: 172 ann. 13,26,1: 210 ann. 13,49,1: 91, 93, 94, 167 (Anm. 69) ann. 14,12,1: 92, 93, 215 ann. 14,28,1: 134 ann. 15,20,1: 215 ann. 15,22,1: 154, 216 ann. 16,21,1: 90, 91 ann. 16,22: 89, 90, 102, 195 hist. 2,10,1: 99 hist. 2,91: 90 (Anm. 54), 95, 96

hist. 4,4: 97, 100 hist. 4,6–8: 97 hist. 4,44,1: 100 Velleius Paterculus 2,124: 126, 134 Inschriften CIL 6,32323: 11 FIRA I, Nr. 44, coll. III: 213 FIRA I, Nr. 45 (CIL 10,1401): 185 FIRA I, Nr. 47 (CIL 8,270): 186 Tabula Hebana (M. H. craWFord (Hg.), Roman Statutes, Bd. 1, London 1996, Nr. 37–38): 116 (Anm. 154), 139, 140 (Anm. 245) Tabula Siarensis (siehe Tabula Hebana): 116 (Anm. 154), 185 senatus consultum de Cn. Pisone patre (AE 1996, 885): 39, 70, 108 (Anm. 122), 185

SACHREGISTER Abstimmung 49, 96, 158–160, 167, 173–178, 186, 214, 223–226, 227–229 Abwesenheit/Fernbleiben 51, 93, 182, 184, 185 (Anm. 133), 194 adsensio/adsentior/adsentire 92, 93, 208, 213–216, 219, 225, 226 Akklamation 207, 219–226, 228, 229 altercatio 158, 165 Altersgrenze 188–190, 194 ambitus 130–133, 136 Anwesenheit 26 (Anm. 40), 183–187, 193–196 Apokolokyntosis 107, 160, 162, 163, 165, 168 Augustus (Kaiser) 9–11, 23–26, 54–56, 58–61, 72, 110–113, 125, 138, 165 f., 169, 171, 183, 185, 187 f., 190–194, 196f., 199 Caesar 67 (Anm. 197), 78 Caligula (Kaiser) 126 (Anm. 193), 140 (Anm. 249), 169, 186 (Anm. 138), 189 Claudius (Kaiser) 122 (Anm. 182), 160–162, 168, 188 (Anm. 146), 194 f., 213 Comitien siehe Volksversammlungen Curia Iulia 53, 55, 57, 62, 63, 69–71 De clementia 77, 133 Delator 98, 99, 113, 119–121, 124

Destinationscenturien 125, 137–140 discessio siehe Abstimmung Disposition zum Nachgeben 45, 50, 101, 167 Dissens 49, 83, 127, 161, 165–167, 176, 177, 193, 194, 196, 216, 217, 224 dissimulatio 81, 82 (Anm. 25) Domitian (Kaiser) 29, 54, 60, 61, 69, 198, 199, 205, 219, 222 Drei-Kinder-Recht 191, 193, 203 Ehegesetzgebung/Ehegesetze 10–12, 182, 190 Einstimmigkeit 44, 214 Forum Romanum 54, 55, 60, 61 Geheime Wahlen 142–149, 152 Gericht(sbarkeit/-tätigkeit) 16, 107, 108, 110–113, 122–124, 210, 211, 228 ius trium liberorum siehe Drei-Kinder-Recht Kaiser/Princeps – allgemein 11,12, 20, 22, 34, 56, 57, 66, 68, 75–77, 79–85, 101–103, 109, 121, 122, 124, 128, 129, 132–134, 137, 141, 188, 190, 194, 228–230 – im Senat 62, 65–69, 155, 169–171, 176, 195, 209, 220, 221 Kaiserhof/kaiserlicher Haushalt 25, 26 (Anm. 39), 27, 61, 120

Register Konsens 45, 47–49, 63, 71, 104, 121, 124, 168, 175–177, 217, 224, 225, 228, 229 Konsensfähigkeit 48, 98–101, 103–105, 127, 141, 149, 217 Konsensorientierung 105, 128, 179 Konsenssystem 42, 48, 224 Kyrene-Edikt 184 lectio senatus 10 lex Cassia 145, 146 lex Coelia 145, 146 lex de ambitu 125 lex Calpurnia 130 lex Cornelia de ambitu 130 lex Gabinia 145, 146 lex Iulia de ambitu 137 lex Iulia de maritandis ordinibus 10, 190, 193 lex Iulia de senatu habendo 180, 184, 185, 187, 188, 193, 194, 197, 206 lex Licinia de sodalitatibus 131 lex Papia Poppaea 11, 122, 190 lex Tullia 130 lex Valeria Aurelia 138 lex Valeria Cornelia 137 Magistratswahlen/Wahlen 48, 124–130, 133, 134, 139–141, 228 Majestätsprozesse 102, 105–119, 121–124, 171 Meinung(säußerung) 70, 93, 158, 166, 169, 171, 212, 215–217 Meinungsumfrage 155–159, 161, 165–168, 171, 174–177, 213, 216–218, 228 Meinungsverschiedenheit 96, 167 (Anm. 69), 227 Nero (Kaiser) 56, 79, 89–96, 98, 102, 115, 122, 133, 134, 210, 222 Opposition 83–88, 91, 103–105, 150, 151 Panegyricus 80, 81, 207, 214, 218, 219, 222, 226, 229, 230 prima sententia 157, 214, 228 primus rogatus 154, 164 quaestio de adulteriis 108, 110, 123 quaestio de maiestate siehe Majestätsprozesse

255

quaestio de repetundis siehe Repetundenprozesse Quaestionengericht 108, 110, 113, 114 Quorum 184–187, 193 relatio 9, 154, 157, 163, 164, 166, 209–211, 216, 227 Repetundenprozesse 108, 110, 111, 114, 123 Selbstmord 90, 91, 113, 115–119, 195 sella curulis 66, 68 Senatsbeschluss 122, 155, 183–185, 196, 209, 220 senatus consultum siehe Senatsbeschluss senatus consulta de aedificiis non diruen­ dis 177 (Anm. 110), 185 senatus consultum de Cn. Pisone patre 39, 70, 108 (Anm. 122), 185 senatus consultum de nundinis saltus Beguensis 117 (Anm. 110), 185, 186 senatus consultum ludis saecularibus 10 sententia siehe Meinung Stoizismus 87, 90, 135 (Anm. 230) Tabula Hebana 116 (Anm. 154), 139, 140 (Anm. 245) Tabula Siarensis 116 (Anm. 154), 185 Teilnehmerzahlen 184–186, 196 Tiberius (Kaiser) 11, 55, 68, 106, 111 (Anm. 113), 117, 121, 122 (Anm. 182), 124 f., 133f., 170 f., 174, 176, 194, 231 Traian (Kaiser) 29, 80, 192, 203, 218, 219, 229, 233 Transaktionskosten 43, 44, 195 Wahlkampf 124, 125, 130–136, 137 (Anm. 235), 138, 140, 147 Wahlmodus 143, 144, 146, 148, 150, 152 Wahlverfahren 129, 132, 137, 139, 141, 148, 151 Verhandlungssystem 42, 44–46, 48–52, 83, 87, 104, 105, 171, 194, 195, 224 Vespasian (Kaiser) 29, 95, 97, 99–101 Vitellius (Kaiser) 95, 96 Volksversammlungen 127,128, 138, 140, 144, 145

historia



einzelschriften

Herausgegeben von Kai Brodersen, Mortimer Chambers, Bernhard Linke, Mischa Meier und Walter Scheidel.

Franz Steiner Verlag

ISSN 0341–0056

231. Björn Schöpe Der römische Kaiserhof in severischer Zeit (193–235 n. Chr.) 2014. 369 S. mit 4 Abb., geb. ISBN 978-3-515-10695-5 232. Frederik J. Vervaet The High Command in the Roman Republic The Principle of the summum imperium auspiciumque from 509 to 19 BCE 2014. 369 S., geb. ISBN 978-3-515-10630-6 233. Sara M. Wijma Embracing the Immigrant The participation of metics in Athenian polis religion (5th–4th century BC) 2014. 197 S., geb. ISBN 978-3-515-10642-9 234. Richard W. Burgess Roman Imperial Chronology and Early-Fourth-Century Historiography The Regnal Durations of the So-called Chronica urbis Romae of the Chronograph of 354) 2014. 208 S., geb. ISBN 978-3-515-10725-9 235. Luca Asmonti Conon the Athenian Warfare and Politics in the Aegean, 414–386 B.C. 2015. 200 S., geb. ISBN 978-3-515-10901-7 236. Aideen Carty Polycrates, Tyrant of Samos New Light on Archaic Greece 2015. 260 S. mit 11 Abb., geb. ISBN 978-3-515-10898-0 237. Anja Busch Die Frauen der theodosianischen Dynastie Macht und Repräsentation kaiserlicher Frauen im 5. Jahrhundert 2015. 256 S. mit 6 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11044-0

238. Martin Jehne / Francisco Pina Polo (Hg.) Foreign clientelae in the Roman Empire A Reconsideration 2015. 374 S. mit 11 Abb. und 2 Tab., geb. ISBN 978-3-515-11061-7 239. Lucia Cecchet Poverty in Athenian Public Discourse From the Eve of the Peloponnesian War to the Rise of Macedonia 2015. 283 S., geb. ISBN 978-3-515-11160-7 240. Altay Coşkun / Alex McAuley (Hg.) Seleukid Royal Women Creation, Representation and Distortion of Hellenistic Queenship in the Seleukid Empire 2016. 322 S. mit 21 Abb. und 3 Tab., geb. ISBN 978-3-515-11295-6 241. Sebastian Scharff Eid und Außenpolitik Studien zur religiösen Fundierung der Akzeptanz zwischenstaatlicher Vereinbarungen im vorrömischen Griechenland 2016. 389 S. mit 3 Abb. und 3 Tab., geb. ISBN 978-3-515-11203-1 242. Benjamin Biesinger Römische Dekadenzdiskurse Untersuchungen zur römischen Geschichtsschreibung und ihren Kontexten (2. Jahrhundert v. Chr. bis 2. Jahrhundert n. Chr.) 2016. 428 S. mit 6 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11339-7 243. David Whitehead Philo Mechanicus: On Sieges Translated with Introduction and Commentary 2016. 510 S., geb. ISBN 978-3-515-11343-4 244. Ernst Baltrusch / Hans Kopp / Christian Wendt (Hg.) Seemacht, Seeherrschaft und die Antike 2016. 348 S. mit 8 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11431-8

Im politischen und gesellschaftlichen Gefüge Roms bedeutete die Etablierung des Principats eine gravierende Veränderung: Mit dem Kaiser gab es nun einen Akteur, der weitgehend konkurrenzlos im Mittelpunkt des politischen und gesellschaftlichen Lebens stand. Doch welche Rolle spielte der Senat – als zentrales Entscheidungsgremium der res publica – unter diesen veränderten Bedingungen? Simone Blochmann geht dieser Frage nach und nimmt die Widersprüche in den Blick, die sich im Principat für den Senat ergaben. Während der Kaiser und

der kaiserliche Haushalt immer mehr Entscheidungen an sich zogen, war der Senat zugleich außerordentlich aktiv und erfuhr gegenüber der republikanischen Zeit sogar eine Erweiterung seines Aufgabenbereiches. Anhand der Entscheidungsmechanismen des Senats, die im Mittelpunkt der Arbeit stehen, untersucht die Autorin die spezifisch kaiserzeitlichen Kommunikationsmechanismen innerhalb der Aristokratie und die Ausdifferenzierung monarchischer Strukturen bis in die traianische Zeit.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

isbn 978-3-515-11373-1

9

7835 1 5 1 1 3 7 3 1